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German Pages 500 Year 1999
Marcus Baum · Die Wissenszurechnung
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 223
Die Wissenszurechnung Von Marcus Baum
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Baum, Marcus:
Die Wissenszurechnung I von Marcus Baum. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 223) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09367-4
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 1999 Duncker &
ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-09367-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1997 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich sie im Juni 1998 aktualisiert. Mein akademischer Lehrer, Herr Prof. Dr. logo Koller, hat nicht nur das Thema dieser Untersuchung angeregt. Er hat auch das Entstehen der Arbeit mit Kritik, zahlreichen wertvollen Hinweisen, Rat und ermutigenden Worten begleitet. Für diese Förderung danke ich ihm sehr herzlich. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Reinhard Richardi für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Besonderen Dank schulde ich meinem ehemaligen Kollegen am Lehrstuhl von Prof. Dr. logo Koller, Herrn Dr. Florian Faust, LL.M. Er stand mir stets als kritischer Gesprächspartner zur Verfügung und hat die Arbeit in den verschiedenen Stadien ihres Entstehens gelesen. Ich verdanke ihm viele Anregungen. Mein Dank gilt auch Herrn Notarassessor Robert Höcherl und Herrn Rechtsassessor Michael Späth, MJur. Beide haben die Arbeit im ganzen gelesen und mir wertvolle Hinweise gegeben. Mein Vater, Herr Dr. rer. pol. Clemens Baum, und mein Bruder, Herr Dipl.-Kaufinann Thomas Baum, haben mir den betriebswirtschaftlichen Hintergrund der Problematik erschlossen. Hierfür danke ich Ihnen herzlich. Zu großem Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Dr. rer. nat. Ralf Plieninger, der mich bei der technischen Erstellung des Manuskripts mit großer Geduld unterstützt hat. Mein Dank gilt schließlich der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle Promotionsförderung. Stuttgart, im November 1998
Marcus Baum
Inhaltsverzeichnis
Einführung, terminologische und methodologische Vorbemerkungen ..................... 27
Teil I Systematische Vorbemerkungen § I Die Arten der Wissensnorrnen, das Lösungskonzept und der Gang der Untersuchung ........................................................................................................................ 32 A. Die Arten der Wissensnormen ............................................................................. 32
I. Wissen ist erheblich in Verbindung mit einem rechtsgeschäftliehen Verhalten (Tun oder Unterlassen)........................................................................... 33
li. Wissen ist erheblich in Verbindung mit einem geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Verhalten (Tun oder Unterlassen) .............................................. 34 III. Wissen ist an sich rechtsfolgebegründend .................................................... 34 B. Das Zurechnungsmode11 ...................................................................................... 35 C. Der Gang der Untersuchung ................................................................................ 37
Teil 11 Zurechnung von Wissen § 2 Das Gesetz ................................................................................................................ 39 A. § 166 I BGB ........................................................................................................ 39
I. Voraussetzungen ............................................................................................. 40 I. Hilfsperson ist Vertreter........................................................................... 40 2. Abgabe oder Empfang einer Willenserklärung durch den Vertreter für den Vertretenen........................................................................................ 40
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Inhaltsverzeichnis II. Rechtsfolge .................................................................................................... 41
1. ZurechnWlg vom Vertreter zum Vertretenen .......................................... .41 2. ZurechnWlg des gesamten Wissens des Vertreters, aber nur für die Folgen der gerade abgegebenen oder empfangenen Willenserklärung.......... 41 B. §§ 43 Nr. 1, 44 VVG ........................................................................................... 42 C. § 166 11 BGB ....................................................................................................... 43 D. § 164 I, 111 BGB .................................................................................................. 44 E. § 278 BGB ........................................................................................................... 45 F. Weitere Vorschriften über die ZurechnWlg schuldhaften Verhaltens .................. 46 G. Zusanunenfass\Ulg ............................................................................................... 47
§ 3 HandlWlgsabhängige ZurechnWlg des Wissens einer Hilfsperson ausgehend von § 166 I BGB ............................................................................................................. 49 A. Die RechtsprechWlg............................................................................................. 50 I. Die analoge AnwendWlg von § 166 I BGB .................................................... 50
li. Der allgemeine Rechtsgedanke ...................................................................... 53 B. Literatur ................................................................................................ ,.............. 55 C. Die Zulässigkeit von Analogie Wld allgemeinem Rechtsgedanken...................... 58 I. F eststellWlg der Lücke .................................................................................... 60
1. RegelWlgsabsicht des historischen Gesetzgebers ..................................... 61 2. Ratio legis als objektiv-teleologisches Kriterium..................................... 63 a) Kein logischer Zwang .......................................................................... 63 b) FormulieTWlg der ratio legis als objektiv-teleologisches Kriterium ..... 64 aa) VerantwortWlg für eine arbeitsteilig eingesetzte Hilfsperson als billiger Ausgleich .......................................................................... 64 bb) Weitere, speziellere ZurechnWlgsgesichtspWlkte .......................... 67 3. Nachweis der Lücke ................................................................................. 70 a) Allgemein ............................................................................................ 70 b) Insbesondere Lückenfeststellung bei § 990 BGB ............................... 73 II. LückenausfüllWlg .......................................................................................... 77
Inhaltsverzeichnis
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l. Die Rechtsfolge, insbesondere nur dienstlich erlangtes oder auch privates Wissen ................................................................................................ 78 a) Der Meinungsstand .............................................................................. 78 b) Methodische Erwägungen ................................................................... 81 c) Die ratio legis....................................................................................... 81 d) Analoge Anwendung auch des Negativgrundsatzes ............................ 83 2. Einsatz durch den Geschäftsherrn und Handeln im Rahmen der Aufgabe.......................................................................................................... 84 3. Stellvertretergleiche Stellung ................................................................... 85 a) Eigenverantwortlichkeit ....................................................................... 85 b) Auftreten nach außen ........................................................................... 90 D. Die Zurechnungsanordnung und deren Reichweite ............................................. 91 E. Zusammenfassung ................................................................................................ 91
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson........................ 92 A. Rechtsfreier Raum ............................................................................................... 93 B. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung ................................................................ 93 I. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über§ 166 I BGB ..................... 94
1. Die Rechtsprechung ................................................................................. 94 a) Der "Grundschuldfall" ......................................................................... 94 b) Der "Darlehensfall" ............................................................................. 95 c) Der "Supermarktfall" ........................................................................... 96 d) Der "Landesversorgungsamtsfall" ....................................................... 98 e) Der "Versicherungsanstaltsfall" ......................................................... 100 f) Der "Betriebsprüferfall" ..................................................................... 102 g) Die "kanadischen Betrugsfalle" ......................................................... 103 h) Der "Knollenmergelfall" .................................................................... 107 i) Der "Kreditabteilungsfall" .................................................................. 109
j) Der "PKW-Fall" ................................................................................. 110 k) Der "Aufrechnungsfall" ..................................................................... 114
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Inhaltsverzeichnis I) Die Position der Rechtsprechung ....................................................... 115 2. Die Literatur........................................................................................... l20 3. Die Lückenfeststellung mit§ 166 I BGB ............................................... l22 4. Fälle nur scheinbar handlungsunabhängiger Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des§ 166 I BGB ................................................... 124 a) Der "Scheckbetrugsfall I" .................................................................. 124 b) Der "Scheckbetrugsfall li" ................................................................. 126 5. Zusanunenfassung .................................................................................. 126 II. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über§ 166 II BGB ................ 127
1. Weite Auslegung des Begriffs Weisung................................................. 127 2. Grenzen der Auslegung.......................................................................... l29 3. Der allgemeine Rechtsgedanke des § 166 II BGB ................................. 131 4. Zusanunenfassung .................................................................................. l31 III. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über § 278 BGB .................. 132
1. Der Lösungsvorschlag von Oldenbourg ................................................. 132 2. Der Lösungsvorschlag von Canaris ....................................................... 133 3. Lückenfeststellung mit§ 278 BGB ........................................................ 134 a) Dieratio legis ..................................................................................... 134 b) Handlungsabhängigkeit der Zurechnung in§ 278 BGB .................... 135 c) § 278 BGB als Bereichshaftung ......................................................... 138 4. Zusanunenfassung .................................................................................. 139 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung ausgehend von§ 164 III BGB, der "Wissensempfangsvertreter" ................................................. 140
1. Lückenfeststellung mit § 164 III BGB ................................................... 140 a) Dieratio legis..................................................................................... 140 b) Die Lückenfesteilung im einzelnen und methodische Zulässigkeit ... 141 2. Lückenausfiillung................................................................................... l44 a) Voraussetzungen im einzelnen .......................................................... 145 aa) Einsatz gerade zur Wissenserlangung .......................................... 145
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bb) Abgrenzung "Wissensempfangsvertreter" und "Wissensempfangsbote" .................................................................................. 145 cc) Offenkundigkeil ........................................................................... 146 b) Rechtsfolge im einzelnen................................................................... 146 aa) Nur dienstliches Wissen ............................................................... 146 bb) Die Zurechnung als eigenes Wissen ............................................ 146 cc) Vergessen ..................................................................................... 147 dd) Sonderproblem Arglist ................................................................ 150 3. Die Rechtsprechung des BGH und der "Wissensempfangsvertreter" ..... 153 4. Abgrenzung zur Wissenszurechnung über§§ 164 III, 166 I BGB. ........ 154
5. Zusanunenfassung .................................................................................. 154 V. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung und gesetzesimmanente Rechtsfortbildung ...................................................................................... 155 VI. Zusanunenfassung ...................................................................................... 156 C. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ......................................................... 156 I. Vorschriften über den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen- die gesetzliche Konzeption und ihre Entwicklung durch die Rechtsprechung .... 158
1. § 166 I BGB ........................................................................................... 158 2. § 166 II BGB ......................................................................................... 158 3. § 164 I, III BGB ..................................................................................... 158 4. § 278 BGB ............................................................................................. 159 5. § 831 BGB ............................................................................................. 159
6. Sondergesetze ........................................................................................ 163 7. Auswertung ............................................................................................ 163 8. Zusanunenfassung .................................................................................. 164 II. Die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität im BGB zugrundeliegenden Wertungen und ihre heutige Gültigkeit .................................. 165
1. Die Wertungen des historischen Gesetzgebers ....................................... 165 a) Das wirtschaftspolitische Motiv ........................................................ 165 b) Die individualistische Konzeption .................................................... 167
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Inhaltsverzeichnis c) Die handlungsunabhängige Wissenszurechnung und die Wertungen des historischen Gesetzgebers ............................................................ 171 2. Die heutige Überzeugungskraft der dem BGB zugrundeliegenden Wertungen ............................................................................................. 171 a) Privilegierung arbeitsteiliger Aktivität und Aufgaben des Privatrechts.................................................................................................. l72 b) Auflösung der individualistischen Konzeption ................................. 175 3. Zusammenfassung.................................................................................. 176 III. Wissenszurechnung aufgrund des Gleichstellungsarguments .................... 176 1. Das Gleichstellungsargument in Rechtsprechung und Literatur ............ 177 2. Die Gleichstellung der juristischen mit der natürlichen Person ............. 178 a) Das Gleichstellungsargument und der Personbegriff des BGB .......... 179 b) Gesetzliche Zurechnungsvorschriften bei juristischen Personen und das Gleichstellungsargument ............................................................. 181 aa) Vertretung .................................................................................... 182 bb) Haftung ........................................................................................ 182 c) Die sachliche Richtigkeit der gesetzlichen Konzeption ..................... 184 d) Auswertung ....................................................................................... 185 3. Lückenfeststellung ................................................................................. 186 a) Wertungsmäßige Gleichheit von arbeitsteiliger Struktur und Einzelperson ................................................................................................ 186 aa) Arbeitsteilige Leistungserbringung und Gleichheitssatz .............. 186 bb) Andere rechtsgeschäftliche Beziehungen und Gleichheitssatz .... 188 cc) Außerrechtsgeschäftlicher Bereich und Gleichheitssatz............... 189 dd) Zwischenergebnis ........................................................................ 190 b) Lückenfeststellung mit dem Gleichstellungsargument im einzelnen . 190 4. Lückenausfiillung................................................................................... 193 a) Der Vorschlag von Medicus .............................................................. 194 aa) Der Begriff "Wissen" ................................................................... 194 (1) Der Begriff"Wissen" bei v. Tuhr und Medicus ..................... 194
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(2) Die Unrichtigkeit des Wissensbegriffs von Medicus ............. 196 (a) Die Sicherheit des Wissens und die lrrtumsproblematik.196 (b) Besteht eine Pflicht, sich Wissen zu verschaffen? ........... 200 (c) Vergessen ........................................................................ 201 (d) Zwischenergebnis ............................................................ 202 (e) Abgrenzung "Wissen" und "Wissenmüssen" aus prozessualer Sicht ........................................................... 202 (f) Ergebnis ............................................................................ 203
bb) Aktenwissen ................................................................................ 204 cc) Die mißglückte Gleichstellung ..................................................... 204 b) Der Vorschlag von Canaris ............................................................... 205 c) Die praktische Unmöglichkeit, mit dem Gleichstellungsargument die Gleichstellung zu erreichen .......................................................... 208 5. Ergebnis ................................................................................................. 208 6. Zusammenfassung .................................................................................. 208 IV. Wissenszureclmung als Vertrauenshaftung ................................................ 210 1. Vertrauenstatbestand: ordnungsgemäße, ideale Organisation ................ 213 2. Schutzwürdiges Vertrauen ..................................................................... 218 3. Zurechenbarkeit ..................................................................................... 219 a) Dolus praeteritus ................................................................................ 219 b) Risikozureclmung .............................................................................. 220 4. Vertrauensinvestition ............................................................................. 221 5. Kausalzusammenhang zwischen Vertrauen und Disposition ................. 221 6. Gesamtbewertung: Yenire contra factum proprium? ............................. 222 7. Reichweite des Vertrauensgedankens .................................................... 222 8. Zusammenfassung .................................................................................. 224 V. Wissenszureclmung aufgrund Risikoschaffung ........................................... 225 1. Wissensaufspaltung als Risikoschaffung durch Arbeitsteilung .............. 226 2. Rechtsprechung und Literatur ................................................................ 227
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Inhaltsverzeichnis a) Strikte, vollständige Zurechnung des Wissens als Ausgleich des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung ....................... 227 aa) Der "Nachtwachefall" ................................................................... 227 bb) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Möller ............. 228 cc) Repräsentantenstellung ................................................................ 229 (1) Der "Pferdestallfall" ............................................................... 229 (2) Der Repräsentant in der Literatur ........................................... 231 dd) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Hoffinann ........ 233 ee) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung beiM. Schultz ....... 234 b) Anforderungen an die Organisation des Wissens als Ausgleich des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung ....................... 234 aa) Die Rechtsprechung zur Arglist ................................................... 235
( 1) Der "Kolonnenfiihrerfall" ....................................................... 23 5 (2) Der "Dachpfettenfall" ............................................................. 240 bb) Die Arglistrechtsprechung in der Literatur .................................. 242 (1) Schubert ................................................................................. 243 (2) Derleder ................................................................................. 243 (3) Kniffka ................................................................................... 244 (4) Rutkowsky ............................................................................. 245 (5) Schiechtriern .......................................................................... 245 cc) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Meyer-Reim und Testorf .................................................................................. 246 dd) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Kohte .............. 248 ee) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Hersehe! .......... 248 c) Zusammenfassung ............................................................................. 249 3. Lückenfeststellung ................................................................................. 249 a) Rechtliche Verantwortung fiir die Schaffi.mg von Risiken ................ 249 aa) Gefährdungshaftung ..................................................................... 249 bb) Haftung fiir die Verletzung von Verkehrspflichten ..................... 250
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cc) Auftindung eines allgemeinen Prinzips mittels Induktion ........... 251 b) Lückenfeststellung aufgrund des allgemeinen Prinzips und methodische Zulässigkeit ................................................................................ 254 aa) Lückenfeststellung aufgrunddes allgemeinen Prinzips ............... 254 bb) Methodische Zulässigkeit ............................................................ 257 ( 1) Entgegenstehende gleich- oder höherrangige Prinzipien ....... 25 8 (2) Die Literatur ........................................................................... 258 (3) Das beredte Schweigen des Gesetzes ..................................... 259 (a) Argurnenturne contrarioaus § 166 I BGB? .................... 260 (b) Argurnenturne contrarioaus § 166 II BGB? ................... 261 (4) Ergebnis ................................................................................. 264 4. Lückenausfüllung................................................................................... 264 a) Grundlagen ........................................................................................ 264 b) Tätigkeit mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn ....................... 266 c) Wissenserwerb in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit ........... 266 d) Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen................ 267 aa) Das bewegliche System ................................................................ 267 (1) Typisierende Betrachtungsweise vom Zeitpunkt der Gefahrschaffung aus ......................................................................... 268 (2) Technische Beherrschbarkeit ................................................. 268 (3) Kosten der Beherrschung ....................................................... 269 (4) Größe und Art des möglichen Nachteils für den Dritten ........ 270 (5) Größe des Risikos der Wissensaufspaltung ............................ 270 (a) Eine Einzelperson hätte das Geschäft durchführen oder in der Rechtsbeziehung stehen können ........................... 270 (b) Eine Einzelperson hätte das Geschäft nicht durchführen oder in der Rechtsbeziehung nicht stehen können .......... 273 (6) Rechtsgeschäftlicher Kontakt ................................................. 274 (7) Datenschutz............................................................................ 275 bb) Der Einfluß der Einzelnorm auf das bewegliche Systern ............. 275
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Inhaltsverzeichnis e) Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten .................. 279 aa) Das bewegliche System ................................................................ 279 bb) Der Einfluß der Einzelnorm auf das bewegliche System ............. 285 cc) Der Tod ........................................................................................ 286 dd) Ergebnis ....................................................................................... 287
f) Die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, die Recht· sprechung und die Literatur, insbesondere die Bedeutung des Zeitpunkts der Informationserlangung ..................................................... 287 g) Rechtsfolge ........................................................................................ 290 aa) Bei Erfiillung der Pflicht.. ............................................................ 290 bb) Bei Nichterfiillung der Pflicht ..................................................... 290 cc) Sonderproblem Arglist ................................................................. 295 (1) Arglist bei der Einzelperson ................................................... 296 (2) Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur nach der Rechtsprechung ..................................................................................... 296 (3) Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur nach der Literatur...... 298 (4) Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur nach dem eigenen Standpunkt ............................................................................ 300 (a) Bei Geltung des Gleichstellungsarguments ..................... 300 (b) Sofern das Gleichstellungsargument nicht gilt ................ 300 ( c) Die Auflösung des Arglistbegriffs ................................... 301 h) Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung und Gehilfenversagen . 302 i) Beweislast. .......................................................................................... 305 5. Zusammenfassung .................................................................................. 305 § 5 Die Erweiterung der handlungsabhängigen Wissenszurechnung über die Verantwortung fiir Risikoschaffung .................................................................................. 308
A. Lückenfeststellung und methodische Zulässigkeit.. ........................................... 309 B. Lückenausfiillung .............................................................................................. 311
I. Grundlagen ................................................................................................... 311
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II. Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, und Rechtsfolgen ihrer Verletzung .................................................................................. 312
1. Tätigkeit mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn ........................... 313 2. Wissenserwerb in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit.. .............. 313 3. Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, im einzelnen ......................................................................................................... 313 4. Rechtsfolge ............................................................................................ 314 5. Beweislast .............................................................................................. 315 C. Zusammenfassung ............................................................................................. 315
§ 6 Organwissen ........................................................................................................... 317 A. Rechtsprechung ................................................................................................. 317 I. Überkommene Rechtsprechung .................................................................... 317
II. Der "Schlachthausfall" ................................................................................. 320 1. Der Sachverhalt. ..................................................................................... 320 2. Bestätigung der überkommenen Rechtsprechung zum Organwissen ..... 321 3. Die Absetzungsbewegung von der überkommenen Rechtsprechung ..... 321 4. Die Auswertung ..................................................................................... 322 III. Der "Ornnibusfall" ...................................................................................... 323 1. Die Entscheidung ................................................................................... 323 2. Die Auswertung ..................................................................................... 325
IV. Der "Altlastenfall" ...................................................................................... 328 1. Die Entscheidung ................................................................................... 328 2. Die Auswertung ..................................................................................... 329 B. Die Literatur ...................................................................................................... 330 I. Zustimmende Stimmen zur überkommenen Rechtsprechung ....................... 330 II. Ablehnende Stimmen zur überkommenen Rechtsprechung bzw. die strikte Zurechnung des Organwissens ablehnende Stimmen ................................ 335
1. Baumann ................................................................................................ 335 2. Gesellschaftsrechtliche Kommentarliteratur .......................................... 338
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Inhaltsverzeichnis 3. Flurne ..................................................................................................... 340 4. Tintelnot. ................................................................................................ 342 5. Reuter..................................................................................................... 342 6. Lösung über den Vertrauensgedanken ................................................... 343 a) Grunewald, Taupitz und W. Schultz .................................................. 343 b) Sieger................................................................................................. 344 7. Scheuch.................................................................................................. 347 8. Medicus ................................................................................................. 349 9. Bohrer .................................................................................................... 349 C. Die Ansatzpunkte in Rechtsprechung und Literatur und der eigene Lösungsvorschlag .......................................................................................................... 349
I. Handlungsabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB ............................................................................................... 350 II. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 II BGB ............................................................................................. 351 III. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf der Organtheorie ........................................................................................................ 351 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf§ 31 BGB ...... 353 V. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf§ 28 TI BGB .... 354 1. Lückenfeststellung ................................................................................. 354 2. Lückenausfüllung................................................................................... 355 3. Ergebnis ................................................................................................. 356 VI. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Vertrauensgedanken .................................................................................................... 356 VII. Die Lösung über das Gleichstellungsargument......................................... 357 1. Juristische Person mit einköpfigem Vertretungsorgan und Einzelper-
son mit HUfspersonen ............................................................................ 358 a) Zurechnung des Wissens der selbst handelnden Einzelperson und des selbst handelnden Organmitgliedes ............................................. 358 b) Zurechnung des Wissens der anweisenden Einzelperson und des anweisenden Organmitgliedes ........................................................... 359
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c) Wissen der Einzelperson und der juristischen Person an sich ........... 359 d) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens der Einzelperson und des Organmitgliedes wegen Risikoschaffung.............................. 360 e) Das Zurechnungsmodell für das Wissen der Einzelperson mit HUfspersonen und das Wissen des einzigen Organs einer juristischen Person ................................................................................................ 361
f) Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" bei der Einzelperson mit HUfspersonen und der juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan .............................. 362 2. Juristische Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan........................ 363 a) Zurechnung des Wissens des handelnden Organmitgliedes ............... 364 b) Zurechnung des Wissens des anweisenden Organmitgliedes ............ 364 c) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ............................................................................................ 364 d) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes wegen Risikoschaffung .......................................................... 366 e) Zusammenfassung ............................................................................. 368
f) Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" bei der juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan ......................................................................................... 369 3. Ergebnis ................................................................................................. 370 VIII. Zurechnung des Wissens anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter ........................................................................................................... 370 IX. Zurechnung des Wissens der Mitglieder von Aufsichtsorganen ................ 371 X. Der Anwendungsbereich der Zurechnungsmodelle ..................................... 371 1. Geltung für alle juristischen Personen ................................................... 371 2. Geltung für alle Organisationsformen .................................................... 372 a) Geltung bei einköpfigem Vertretungsorgan ....................................... 3 72 aa) Zurechnung des Wissens des selbst handelnden Gesellschafters . 372 bb) Zurechnung des Wissens des anweisenden Gesellschafters......... 372 cc) Wissen der Gesellschaft an sich ................................................... 373
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Inhaltsverzeichnis dd) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens des Gesellschafters wegen Risikoschaffung ................................................. 373 ee) Zurechnung des der Gesellschaft zurechenbaren Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" ............................ 373 b) Geltung bei mehrköpfigem Vertretungsorgan ................................... 373 aa) Zurechnung des Wissens des handelnden Gesellschafters ........... 374 bb) Zurechnung des Wissens des anweisenden Gesellschafters ......... 374 cc) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Gesellschafters über den aus § 164 lli BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ...................................................................................... 374 dd) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Gesellschafters wegen Risikoschaffung ................................................. 374 ee) Zurechnung des der Gesellschaft zurechenbaren Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" ............................ 375 D. Zusammenfassung ............................................................................................. 375
§ 7 Die Einzelnorm....................................................................................................... 378
Teil III Beispiele zur Wissenszurechnung
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells an Hand der Entscheidungen der Rechtsprechung ...................................................................................................... 379 A. "Der Grundschuldfall" ....................................................................................... 379 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 379
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 381 III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 381 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ....... 382 B. Der "Darlehensfall" ............................................................................................ 385 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 385
Il. Bewertung ................................................................................................... 386 C. Der "Supermarktfall" ......................................................................................... 387
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I. Sachverhalt Wld EntscheidWlgsgründe ......................................................... 3 87 II. HandlWlgsabhängige Wissenszurechnilllg ................................................... 389 III. ZurechnWlg des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 390 IV. HandlWlgsWlabhängige WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung ....... 390 D. Der "LandesversorgWlgsarntsfall" ..................................................................... 393
I. Sachverhalt Wld EntscheidWlgsgründe ......................................................... 393 II. HandlWlgsabhängige Wissenszurechnilllg ................................................... 395 Ill. ZurechnWlg des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 395 IV. HandlWlgsWlabhängige WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung ....... 395 E. Der "Versicherilllgsanstaltsfall" ......................................................................... 398
I. Sachverhalt Wld EntscheidWlgsgründe ......................................................... 398 II. HandlWlgsabhängige WissenszurechnW1g ................................................... 399 III. ZurechnWlg des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 399 IV. HandlWlgsWlabhängige WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung ....... 400 F. Der "Betriebsprüferfall" ..................................................................................... 402
I. Sachverhalt Wld EntscheidWlgsgründe ........................................................ .402 II. HandlWlgsabhängige WissenszurechnW1g ................................................... 403 III. ZurechnWlg des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ................................... .403 IV. HandlWlgsWlabhängige WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung ....... 404 G. Die "kanadischen Betrugsfälle" ........................................................................ .405
I. Sachverhalt Wld EntscheidWlgsgründe .........................................................405 II. HandlWlgsabhängige WissenszurechnW1g ................................................... 407 III. ZurechnWlg des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 408 IV. HandlWlgsWlabhängige WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung ....... 408 H. Der "Knollenmergelfall" .................................................................................... 411
22
Inhaltsverzeichnis I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ........................................................ .411
li. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 412 III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ................................... .412 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ...... .413 I. Der "Kreditabteilungsfal1" ................................................................................... 414 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 414
li. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 415 III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 II1 BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ................................... .416 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ....... 416 J. Der "PKW-Fall" .................................................................................................. 418 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 418 II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 421 III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 421 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ....... 422 V. Arglist.......................................................................................................... 425 K. Der "Aufrechnungsfall" ..................................................................................... 426 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 426
li. Zurechnung nach dem hier vertretenen Zurechnungsmodell ....................... 427 L. Der "Nachtwachefall" ........................................................................................ 428
I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ........................................................ .428 II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 429 III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 429 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ...... .429 M. Der "Pferdestallfall" .......................................................................................... 4 31 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 431
li. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 432
Inhaltsverzeichnis
23
III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 433 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ....... 433 V. Die Repräsentantenstellung und das Zurechnungsmodell ........................... 435 N. Der "Kolonnenfiihrerfall" .................................................................................. 436 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 436
li. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 439
III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ................................... .439 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ...... .440
V. Arglist. ......................................................................................................... 442
0. Der "Dachpfettenfall" ........................................................................................ 443 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ........................................................ .443
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 444 III. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken .................................... 444 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung .......444
P. Der "Schlachthausfall" ....................................................................................... 446 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ......................................................... 446 II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ................................................... 448
III. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ............... 448 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ....... 449
V. Arglist. ......................................................................................................... 451 Q. Der "Omnibusfall" ............................................................................................. 452 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ........................................................ .452
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG ......... .454
1. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der KomplementärGmbH .................................................................................................... 454
24
Inhaltsverzeichnis 2. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens des verstorbenen Geschäftsführers als Wissen der Komplementär-GmbH an sich ........... .455 3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei der Komplementär-GmbH................................................................ 456 4. Arglist .................................................................................................... 457
5. Ergebnis ................................................................................................. 457 R. Der "Aitlastenfall" ............................................................................................. 458 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe ........................................................ .458
li. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG .......... 460 I. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der KomplementärGmbH .................................................................................................... 460 2. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder oder ausgeschiedener unterorganschaftlieber Hilfspersonen über den aus § 164 III BGGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ................................................................................................ 460 3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei der Komplementär-GmbH................................................................ 460 4. Teilergebnis ........................................................................................... 462 III. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG.....462 S. Der "Knie-Fall" .................................................................................................. 463
I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe des "Knie-Falls" ............................. .463 II. Die Literatur zum "Knie-Fall" .................................................................... .466 III. Aktenwissen im hier befürworteten Zurechnungsmodell ...........................466
1. Aktenwissen bei der Einzelperson .........................................................467 2. Aktenwissen bei der arbeitsteiligen Struktur......................................... .467 a) Im allgemeinen .................................................................................. 467 b) Arbeitsteilig eingesetzte Wissensspeicher ......................................... 469 IV. Die Lösung des "Knie-Falls" ..................................................................... 469 1. Handlungsabhängige Wissenszurechnung ............................................. 469 2. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ......................... .470
Inhaltsverzeichnis
25
3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ... 470 4. Zurechnung wegen Erleichterung der Anzeigepflicht ............................ 470
Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse ............................................. 472 Literaturverzeichnis ...................................................................................................481 Sachwortregister ......................................................................................................... 496
Einführung, terminologische und methodologische Vorbemerkungen Dem Tatbestandsmerkmal "Wissen" bzw. "Kenntnis" 1 kommt im Privatrecht große Bedeutung zu. An Wissen knüpfen sich in einer großen Anzahl von Fällen unterschiedliche Rechtsfolgen.2 So verjährt nach § 852 BGB mit Kenntrlis von Schaden und Schädiger ein deliktischer Anspruch in drei Jahren. Bei Kenntrlis der Unrichtigkeit des Grundbuchs ·scheidet ein gutgläubiger Erwerb nach § 892 BGB aus. Bei Kenntrlis von gefahrerheblichen Umständen wiederum ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, diese dem Versicherer anzuzeigen (§ 16 I 1 VVG). Kennt der Käufer einen Rechts- oder Sachmangel, so hat der Verkäufer nach§§ 439, 460 BGB den Mangel nicht zu vertreten. 3 Diese Normen sind zunächst auf die Einzelperson zugeschnitten. In der modernen Wirtschaftsordnung agieren jedoch nicht nur Einzelpersonen für sich selbst. Die wirtschaftliche Realität ist vielmehr geprägt von mehr oder minder komplexen arbeitsteiligen Strukturen, die von der Einzelperson, die sich für ein Geschäft einer Hilfsperson bedient, bis zu multinationalen Konzernen reichen. Berechtigt und verpflichtet aus den Geschäften der Hilfspersonen werden die diese einsetzenden Geschäftsherren, seien die Geschäftsherren nun natürliche oder juristische Personen. Auf die Hilfspersonen scheint es insofern nicht weiter anzukommen. Oft wird eine Hilfsperson aber über Kenntrlisse verfUgen oder solche einmal erworben und ggf. in Akten abgelegt haben, die für eine Rechtsbeziehung des Geschäftsherrn relevant sind. In dieser Arbeit soll deshalb erörtert werden, wann eine arbeitsteilige Struktur etwas weiß, d. h. wann ihr Kenntnisse einer Hilfsperson zugerechnet werden können und müssen, wann ihr Wissen, das sie in Akten gespeichert hat, als bekannt zugerechnet wird und schließlich wann sie rechtlich weiß, obwohl niemand in der Struktur weiß. Diese Problemkreise werden in Literatur und Rechtsprechung seit langem und in den vergangeneu Jahren mit besonderer Heftigkeit unter den Stichworten "Wissenszurechnung" und "Wissenszusanunemechnung" als ein Teilproblem Wissen und Kenntnis sind Synonyme. Vgl. für eine umfangreiche Zusammenstellung die Dissertation von Sallawitz, Gleichstellung, S. 14 ff. 3 Die Aufzählung ist natürlich lediglich beispielhaft. 2
28
Einfiihrung, terminologische und methodologische Vorbemerkungen
der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität diskutiert. Dogmatisch handelt es sich dabei um ein Problem des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts. Für die zunehmende Schärfe der Debatte sind zuvörderst die bedeutenden Fortschritte auf dem Gebiet der Datenverarbeitung verantwortlich. Es ist Unternehmen mittlerweile theoretisch möglich, allen Mitarbeitern sämtliche relevanten Informationen durch einen umfassenden Datenahgleich verfügbar zu machen. Die neuen Teclmiken werden von den Unternehmen im Streben nach den entscheidenden Wettbewerbsvorteilen denn auch in großem Umfang eingesetzt. Für das Privatrecht stellt sich die Frage, ob die Nutzung der unbegrenzten Möglichkeiten der Informationstechnologie im Belieben der Unternehmen steht oder ob diese Möglichkeiten auch Verpflichtungen schaffen. Es sind also Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen, die ein grundlegendes Problem der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität neu ins Bewußtsein gerückt haben. Während sich nun die Betriebswirtschaftslehre mit der neuen Lust des Wissens befaßt, bleibt der Rechtswissenschaft lediglich die Last. Es war der BGH, der in den vergangeneo Jahren in einigen grundlegenden Entscheidungen4 die Literatur zu Lösungsvorschlägen aufgefordert und so die Diskussion von neuem entfacht hat. Der V. Zivilsenat5 hat sich schließlich im Jahr 1996 unter vollständiger Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung den Vorschlägen von Taupitz und Medicus vom Karlsruher Forum 1994 angeschlossen.6 Diese Arbeit bemüht sich auf der Grundlage der klassischen Methodenlehre um eine eigene und abschließende Konzeption der Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung bei Einzelpersonen und Organisationen. Den Weg zu dieser Lösung hat Herbert Hart bereits 1953 in seiner berühmten Antrittsvorlesung "Definition and Theory in Jurisprudence" 7 als Professor für Jurisprudence an der Universität Oxford gewiesen. Die Frage, was ein Unternehmen, eine arbeitsteilige Struktur wisse, sei nicht zu beantworten, indem man frage, was ein Unternehmen, eine arbeitsteilige Struktur sei. Es handele sich vielmehr um eine "debatable legal issue", eine rechtspolitische Entscheidung.S Er führte aus: "... but the important thing is to see that this legal issue, and not some logical issue, is the character of the question" 9 • Die Arbeit geht daher für diese
Vgl. für diese im einzelnen S. 94 tf. und S. 317 tf. Vgl. BGH NJW 1996, 1339. 6 Vgl. hierzu nun Medicus, WuB IV A § 166 1.96, S. 726 f. 7 LQR 70 (1954), 37 tf. s Hart, LQR 70 (1954), 37, 56 f. 9 Hart, LQR 70 (1954), 37, 57. 4
5
Einffihrung, tenninologische und methodologische Vorbemerkungen
29
"debatable legal issue" von den Wertungen der Gesamtrechtsordnung aus und kommt so zu einem neuen mehrstufigen Zurechnungsmodell, das die Probleme der Wissenszurechnung umfassend löst. Es ist nicht Thema der Arbeit, den Begriff "Wissen" fiir die Einzelperson zu klären. An einer grundlegenden Untersuchung zu dieser Frage fehlt es zwar bislang10 - angesichts der Vielzahl der Wissensnormen wäre es auch Gegenstand einer eigenen Arbeit 11 , die Vorschriften zu untersuchen -, doch kann das Problem, was "Wissen" ist, fiir diese Arbeit dahingestellt bleiben. 12 Es wird sich nämlich zeigen, daß sich die Fragen, was "Wissen" ist, und ob es zuzurechnen ist, weitgehend trennen lassen, 13 eine grundlegende Untersuchung des Wissensbegriffs daher keine Voraussetzung fiir eine Lösung der Probleme der Wissenszurechnung ist. Die Arbeit behandelt nicht besonders die Probleme der Wissenszurechnung im Konzern oder gar der Wissenszurechnung in der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung.14 Die Beantwortung dieser Fragen setzt zunächst ein allgemeines Konzept der Wissenszurechnung voraus, daß hier entwickelt werden soll. 15 Das hier entwickelte Lösungskonzept weist allerdings zumindest die Richtung fiir eine Wissenszurechnung im Konzern, da es keine besondere Verfaßtheit der arbeitsteiligen Struktur voraussetzt, in der Wissen zugerechnet wird, sondern Grundlage der Wissenszurechnung die bloße Arbeitsteilung - in welcher Form auch immer- ist. 10 Dies beklagt Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 5 Fn. 2. Nur kursorische Anmerkungen finden sich bei Schilken, Wissenszurechnung, S. 6 f.; aus:fiihrlicher Sallawitz, Gleichstellung, S. 50 ff., der verschiedene Normen auf den erforderlichen Grad der subjektiven Gewißheit hin untersucht. II Wenn nicht gar eines größeren Projekts. 12 Einige Bemerkungen zum Begriff "Wissen" finden sich gleichwohl aufS. 196 ff., diese dienen jedoch nur dazu, den Wissensbegriff von Medicus zu widerlegen, und erheben nicht den Anspruch, eine grundlegende Untersuchung darzustellen. 13 Vgl. für den Einfluß der Einzelnorm auf die Wissenszurechnung nach dem hier vorgeschlagenen Wissenszurechnungsmodell S. 275 ff. und S. 285 f. 14 Vgl. zum Problem der Wissenszurechnung im Konzern Bork, ZGR 1994, 237, 255 f.; Drexl, ZHR 161 (1997), 491 ff. Vgl. für die Probleme der Wissenszurechnung im Konzern und im Rahmen der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung auch Koller, JZ 1998, 75, 79 und ders., Anm. zu BGH LM § 166 BGB Nr. 36, Blatt 5. Koller weist darauf hin, daß eine strenge Wissenszurechnung innerhalb von Organisationen zu weiterem "outsourcing" fUhren kann. 15 So unterstellt auch Drexl (ZHR 161 (1997), 491, 494) in seiner Abhandlung die Grundsätze der Rechtsprechung über die Wissenszurechnung als gegeben und erörtert dann die Besonderheiten, die sich aus der Konzernierung ergeben.
30
Einführung, terminologische und methodologische Vorbemerkungen
Anzuschließen sind noch vier Vorbemerkungen, drei terminologische und eine methodologische. Die Begriffe "Wissenszurechnung" und "Wissenszusammenrechnung" werden in Literatur und Rechtsprechung uneinheitlich verwendet. Unter Wissenszurechnung wird hier die Zurechnung von Wissen einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung dieser Hilfsperson, die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung des Geschäftsherrn oder einer anderen Hilfsperson und die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir den Fall, daß Wissen des Geschäftsherrn an sich relevant ist, verstanden. Wissenszusammenrechnung ist dann lediglich die Addition des Wissens mehrerer Personen, seien es nun ausschließlich Hilfspersonen oder Hilfspersonen und der Geschäftsherr. 16 Diese terminologische Einteilung ist eine reine Zweckmäßigkeitsentscheidung. Die zweite terminologische Vorbemerkung betrifft den Gebrauch des Begriffs "Handlung" in dieser Arbeit. Ist im folgenden von "Handlung" die Rede, so steht dieser die Unterlassung gleich, sofern eine Rechtspflicht zur Handlung besteht. Die dritte terminologische Vorbemerkung betrifft den in dieser Arbeit verwendeten Begriff der "arbeitsteiligen Struktur". Dieser erfaßt als Oberbegriff gleichermaßen Unternehmen, Behörden, juristische Personen und Gesellschaften aller Art, aber auch die natürlichen Person, die einmal oder regelmäßig Hilfspersonen einsetzen. 17 Die Arbeit ist schließlich eine dogmatische und keine methodologische Studie. Methodisch orientiert sie sich an der von Larenz begründeten, nunmehr von Canaris fortgefiihrten Methodenlehre. Entscheidende Bedeutung fiir Zulässigkeitund Möglichkeiten der Rechtsfortbildung kommt im Rahmen der angestellten Überlegungen daher dem Lückenbegriff zu. 18 Die Methodenlehre von Larenz und Canaris hat sich erhebliche Kritik gefallen lassen müssen. 19 Insbe-
16 Vgl. z. B die abweichende Terminologie von Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnrn. 106, 800 a, der unter dem Stichwort Wissenszusammenrechnung auch Fälle erfaßt, die hier als Wissenszurechnung bezeichnet werden. 17 Wie bereits festgehalten, stellt die Wissenszurechnung im Konzern ein Sonderproblem dar, das in dieser Arbeit nicht behandelt wird. Auch Konzerne sind aber grundsätzlich arbeitsteilige Strukturen, auf die die entwickelten Zurechnungsregeln Anwendung finden. Möglicherweise sind jedoch wegen der besonderen Problematik der Konzernierung Modifikationen erforderlich. 18 Die Arbeit ist in großem Ausmaß Canaris' Dissertation "Feststellung von Lücken" verpflichtet.
Einführung, tenninologische und methodologische Vorbemerkungen
31
sondere wird dem Lückenbegriff jegliche Bedeutung für die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung abgesprochen, 20 da diese in erster Linie ein staats- und verfassungstheoretisches Problem sei. 21 Gleichwohl orientiert sich die Arbeit am Konzept von Larenz und Canaris. Zum einen wird man die dort angestellten methodischen Grundüberlegungen noch immer als herrschende Meinung ansehen können. 22 Zum anderen wird selbst von Gegnem23 anerkannt, daß bei Anwendung des Lückenbegriffs die Grenzen zulässiger Rechtsgewinnung nicht überschritten werden. So besteht begründeter Anlaß zur Annahme, daß die angestellten dogmatischen Überlegungen bei anderer Methodenwahl zu denselben Ergebnissen, wenngleich auf einem anderen Weg, fiihren würden.
19 Vgl. jüngst Rüthers, NJW 1996, 1249 ff., der von "fortgesetztem Blindflug" spricht. 2 Koch!Rüßmann, Begründungslehre, S. 254; vgl. auch Deckert, Folgenorientierung, S. 57 m. w. N. 21 Koch!Rüßmann, Begründungslehre, S. 254. 22 In der Sache ähnlich wie Larenz und Canaris Bydlinski, Methodenlehre, S. 472 ff.; Engisch, Einführung, S. 138 ff. und, wie auch Rüßmann, NJW 1996, 1264 betont, die Rechtsprechung. 23 Koch!Rüßmann, Begründungslehre, S. 249.
°
Teil I
Systematische Vorbemerkungen § 1 Die Arten der Wissensnormen, das Lösungskonzept und der Gang der Untersuchung A. Die Arten der Wissensnormen Jegliche Regelung der Zureclmung von Wissen und Kenntnis findet Anwendung auf die zahlreichen und vielfältigen Wissensnormen im Privatrecht, d. h. die Vorschriften, in denen an Wissen (des Geschäftsherrn) Rechtsfolgen geknüpft werden. Diese sollen daher zunächst systematisiert werden. Herkömmlicherweise werden die Wissensnormen nach den Rechtsfolgen, die an das Tatbestandsmerkmal "Kenntnis" geknüpft sind, eingeteilt. Eine solche Systematisienmg hat zuletzt Medicus 1 beim Karlsruher Forum 1994 vorgenommen. 2 Mag Karlsruher Forum 1994, 4, 4 f. Medicus unterscheidet fünf Gruppen: I. Fristenlauf: Kenntnis entscheidet über den Beginn (meist kurzer) Ausschluß- und Verjährungsfristen, so z. B. bei §§ 121 I S. 1 BGB, 124 ll S. 1, 626 II S. 2 und 852 I BGB (vgl. für weitere Beispiele Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4). 2. Nichterwerb von Rechten: Der Rechtserwerb kann durch die Kenntnis des Erwerbers von der Nichtberechtigung des Veräußerers ausgeschlossen sein. In diese Gruppe gehören z. B. §§ 892 I S. 1, 932 I S. 1, 2366 BGB aber auch §§ 439 I, 460, 539 und 640 ll BGB (Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 5) 3. Verschlechterung der Rechtsstellung: In der dritten Gruppe faßt Medicus Normen zusammen, bei denen Kenntnis die Rechtsstellung selbst verschlechtert. Dies sind z. B. §§ 819 I, 990 I BGB aber auch§§ 16 ff. VVG (Karlsruher Forum 1994, 4, 5). 4. Wissen und Arglist: Eine wichtige Rolle spielt Kenntnis auch als Bestandteil der Arglist, so für den Schadensersatzanspruch nach § 463 S. 2 BGB, die Unwirksamkeit von Haftungsausschlüssen nach§§ 443, 476, 540 und 637 BGB und den Ausschluß der kurzen Verjährung in den §§ 477 I S. 1, 638 I S. 1 BGB. Die Arglist setzt sich nämlich aus einem kognitiven und einem voluntativen Element zusammen. Das kognitive Element wiederum besteht aus drei Bestandteilen (vgl. ausführlich zu den einzelnen Wissenselementen Reinking/Eggert, Autokauf, Rdnm. 1857 ff.). Geht es um arglistiges Verschweigen eines Mangels beim Verkauf(§§ 463 S. 2 BGB, 476,477 BGB), so muß der 1
2
§ 1 Die Arten der Wissensnonnen Wld das LösWlgskonzept
33
auch manches für die Einteihmg nach der Art der Rechtsfolgen sprechen, insbesondere plastisch werden, welch unterschiedliche Rechtsfolgen an das Tatbestandsmerkmal "Wissen" und "Kenntnis" geknüpft werden und welch große Bedeutung diesem Tatbestandsmerkmal für das Privatrecht zukommt, so wird hier doch eine andere Einteilung bevorzugt. Die Normen lassen sich nämlich auch danach systematisieren, ob Wissen an sich oder in Verbindung mit einem wahrnehmbaren Verhalten, einem Tun oder Unterlassen, relevant ist. Das Verhalten kann wiederum rechtsgeschäftlicher, tatsächlicher oder geschäftsähnlicher Natur sein. 3 Es sind dann drei Gruppen zu unterscheiden: 4
I. Wissen ist erbeblieb in Verbindung mit einem recbtsgescbäftlicben Verbalten (Tun oder Unterlassen) So kommt es für den Gewährleistungsausschluß für Rechts- und Sachmängel nach §§ 439 I, 460 S. 1 BGB darauf an, ob der Käufer den Mangel bei Abschluß des Vertrages kennt. Wissen ist beim Vertragsschluß auch erheblich als kognitives Element des Vorsatzes bei der Arglist (z. B. §§ 463 S. 2, 476, 477, 638 S. 1BGB).5 Nach § 307 I S. 1 BGB hat Kenntnis bei Vertragsschluß einen Schadensersatzanspruch zur Folge. Auch bei den Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb (§§ 892 I S. 1, 932 I S. 1, 936, 1138, 1155, 1157, 1207, 1208 BGB, § 366 HGB) ist Wissen erheblich in Verbindung mit einem rechtsgeschäftlichen Tun, nämlich der dinglichen Einigung.
täuschende Verkäufer den Mangel kennen, jedenfalls aber für möglich halten, er muß wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Mangel nicht kennt, Wld er muß schließlich wissen oder damit rechnen, daß der Käufer bei Kenntnis der wahren Sachlage den Vertrag nicht oder nicht zu den konkreten BedingWlgen abschließen würde (vgl. für diese Arglistdefinition z. B. BGH NJW 1992, 1953, 1954). Das erste kognitive Element der Arglist ist also die Kenntnis des Mangels oder eine gemilderte Form der Kenntnis, nämlich das Für-Möglich-Halten. 5. Wissen Wld Vorsatz: Wissen ist schließlich kognitiver Bestandteil des Vorsatzes, so z. B. in§§ 826 BGB, 61, 152 VVG (Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 5). 3 Vgl. zu der hier vorgeschlagene EinteiiWlg auch 0/denbourg, WissenszurechnWlg, S. 1 f.; ähnlich Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 12 f. 4 Die im folgenden genannten BestimmWlgen sind lediglich beispielhaft angeführt. 5 Arglist setzt sich aus einem kognitiven und einem voluntativen Element zusammen. Das kognitive Element der Arglist besteht wiederum aus drei Teilelementen. Das erste kognitive Element der Arglist ist die Mangelkenntnis oder eine gemilderte Form der Kenntnis, nämlich das Für-Möglich-Halten (vgl. zum Arglistbegriff auch oben S. 32 f. Fn. 2). 3 Baum
34
Teil I: Systematische Vorbemerkungen
II. Wissen ist erheblich in Verbindung mit einem geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Verhalten (Tun oder Unterlassen) Nach § 990 I S. 1 BGB schadet positive Kenntnis (und grobfahrlässige Unkenntnis) der Nichtberechtigung bei Besitzerwerb, also einer tatsächlichen Handlung. Für die Duldungspflicht nach§ 912 I BGB kommt es im Rahmen des Vorsatzes auf die positive Kenntnis des Eigentümers des überbauenden Grundstücks von der Grenzüberschreitung beim Überbau, also einer tatsächlichen Handlung, an. Nach § 819 I BGB schadet positive Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes beim Leistungsempfang (ebenso wie nachträglich erlangte Kenntnis). Der Leistungsempfang ist ebenfalls eine tatsächliche Handlung. Wissen kann auch in Verbindung mit einem geschäftsähnlichen Verhalten erheblich sein. So erfolgt die Auslegung empfangsbedürftiger Erklärungen mit Rücksicht auf die Verständnismöglichkeit des Empfängers.6 Auf den wirklichen Willen des Erklärenden(§ 133 BGB) kommt es nur an, wenn der Empfänger diesen erkannt hat. 7 Kenntnis ist hier also bedeutsam im Zusammenhang mit einem geschäftsähnlichen Verhalten, dem Empfang einer Willenserklärung. 8
111. Wissen ist an sich rechtsfolgebegründend Der Beginn des Laufes der Verjährungsfrist für deliktische Ansprüche nach § 852 I BGB setzt bloße Kenntnis voraus. Durch späteren bösen Glauben (mala fides superveniens) wird die Rechtsstellung des Besitzers einer fremden Sache verändert, §§ 990 I S. 2, 994 II, 937 II 2. Fall BGB. In diesen Fällen ist also Wissen an sich rechtsfolgebegründend. Die vorstehende Unterscheidung wird in dieser Arbeit zugrunde gelegt, da durch sie am besten die grundlegenden Probleme der Wissenszurechnung deutlich und damit lösbar werden. Sie macht insbesondere erkennbar, daß es für die Wissenszurechnung entscheidend darauf ankommt, ob die Hilfsperson, deren Wissen dem Geschäftsherrn zugerechnet werden soll, im konkreten Fall für den
Larenz, AT, S. 339 f. Larenz, AT, S. 340. 8 Beim Erklärungsempfang handelt es sich nicht um ein Rechtsgeschäft, da lediglich passiv eine Erklärung entgegengenommen wird. Es fehlt also an einem final auf die Herbeiftihrung einer bestimmten Rechtsfolge gerichteten Akt (vgl. für diese Definition rechtsgeschäftliehen Verhaltens Larenz, AT, S. 314). Der Erklärungsempfang steht gleichzeitigjedoch in enger Beziehung zu rechtsgeschäftlichem Verhalten; man wird ihn daher als geschäftsähnliches Verhalten einordnen. 6
7
§ 1 Die Arten der Wissensnormen und das Lösungskonzept
35
Geschäftsherrn gehandelt hat9 oder ob dies nicht der Fall gewesen ist. Um dies zu verdeutlichen, soll im folgenden das hier zu entwickelnde Zurechnungsmodell in seinen Grundzügen skizziert und sodann ein Überblick über den Gang der Untersuchung gegeben werden.
B. Das Zurechnungsmodell In dieser Arbeit wird ein einheitliches Modell für die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber HUfspersonen und des Wissens von Organmitgliedern entwickelt. Das Gesetz enthält in § 166 I BGB eine Vorschrift, mit der sich dem Geschäftsherrn, sei dieser eine Einzelperson oder eine beliebige Form von Organisation, das Wissen einer rechtsgeschäftlich für den Geschäftsherrn handelnden Person10 für die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser rechtsgeschäftliehen Handlung zurechnen läßt. § 166 I BGB ermöglicht also eine Zurechnung für die erste Gruppe von Wissensnormen, d. h. bei Erheblichkeit von Wissen in Verbindung mit einem rechtsgeschäftliehen Verhalten. 11 Der Vorschrift des § 166 I BGB läßt sich darüber hinaus der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, daß das Wissen einer tatsächlich oder geschäftsähnlich für den Geschäftsherrn handelnden Person diesem auch für die Bestimmung der Rechtsfolgen des tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handelns 12 dieser Person zuzurechnen ist. Dieser Rechtsgedanke ermöglicht also eine Wissenszurechnung für die Wissensnormen der Gruppe zwei (Wissen ist erheblich in Verbindung mit einem geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Verhalten). 13 Da über § 166 I BGB und den Rechtsgedanken dieser Vorschrift dem Geschäftsherrn Wissen einer Person zur Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung 14 dieser Person zugerechnet wird, werden diese Fälle im folgenden als Fälle handlungsabhängiger Wissenszurechnung bezeichnet.l5
Oder trotz Rechtspflicht zur Handlung eine solche unterlassen hat. Diese kann eine unterorganschaftliehe Hilfsperson oder auch ein Organvertreter sein; fiir den Organvertreter läßt sich die Zurechnung seines Wissens zur Bestimmung der Rechtsfolgen seiner Handlung ggf. auch auf die Organstellung selbst stützen; vgl. s. 350. 11 Vgl. hierzu S. 39 ff. 12 Oder Unterlassens, sofern eine Rechtspflicht zur Handlung besteht. 13 Vgl. hierzu S. 49 ff. 14 Bzw. Unterlassung. 15 Eine handlungsabhängige Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher Hilfspersonen, die nicht über eine gewisse, fiir § 166 I BGB und den Rechtsgedanken dieser Vorschrift erforderliche Eigenverantwortlichkeit verfugen, läßt sich auch auf den Gedanken der Verantwortung fiir die Schaffung eines Risikos stützen; vgl. dafiir S. 308 ff. 9
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3•
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Teil I: Systematische Vorbemerkungen
Als wesentlich problematischer wird sich die Zurechnung des Wissens von Dritten für die Wissensnormen der dritten Gruppe, also wenn Wissen (des Geschäftsherrn) an sich rechtsfolgebegriindend ist, und für die Wissensnormen der Gruppen eins und zwei die Zurechnung des Wissens an bestimmten Handlungen nicht beteiligter Personen erweisen. Da in den genannten Fällen die Person, deren Wissen zugerechnet werden soll, nicht für den Geschäftsherrn handelt, entweder weil überhaupt nicht gehandelt wird, Wissen also an sich Rechtsfolgen auslöst, oder weil der Geschäftsherr selbst oder eine andere Person für diesen handelt, wird hier auf sie als Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung Bezug genommen. Für die handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens von unterorganschaftlichen Hilfspersonen und Organmitgliedern 16 läßt sich zunächst im Gesetz an die Vorschrift des § 164 III BGB anknüpfen. Aus dieser kann der Rechtsgedanke entnommen werden, daß Wissen einer Person, die vom Geschäftsherrn gerade dazu eingesetzt wird, bestimmte Informationen für ihn zu erlangen (sie ist dann dessen "Wissensempfangsvertreter"), diesem als eigenes Wissen zuzurechnen ist. Dieses dem Geschäftsherrn als eigenes zurechenbare Wissen ist ihm dann zuzurechnen, sofern sein Wissen an sich rechtsfolgebegriindend ist (also für die Wissensnormen der dritten Fallgruppe); es ist ihm außerdem für die Bestimmung der Rechtsfolgen seiner eigenen Handlungen 17 und für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung einer anderen als der wissenden Hilfsperson zuzurechnen, sofern er die andere Hilfsperson zu der Handlung angewiesen hat; letzteres folgt dann aus § 166 II BGB und dem allgemeinen Rechtsgedanken dieser Vorschrift i. V. mit dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. 18 Der aus § 164 III BGB zu entnehmende Rechtsgedanke ermöglicht also auch die Zurechnung des Wissens an einer Handlung unbeteiligter Personen für die Wissensnormen der Gruppen eins und zwei. Über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken hinaus ist dem Geschäftsherrn Wissen handlungsunabhängig über die Grundsätze der hier zu entwickelnden handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzurechnen. 19 Diese Zurechnung setzt voraus, daß den Geschäfts-
Bei lediglich einem einzigen Organmitglied ist Wissen des einzigen Organmitgliedes stets Wissen des Geschäftsherm; vgl. S. 359. 17 Als eigene Handlungen des Geschäftsherrn gelten die Handlungen seiner Organmitglieder, vgl. S. 365. I 8 Vgl. hierzu S. 140 ff. J9 Vgl. S. 225 ff. für die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung für Wissen unterorganschaftlicher Hilfspersonen, vgl. S. 360 f. für die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung für Wissen des einzigen Organmitgliedes bei einköpfigem Vertretungsorgan sowie der Einzelperson als Geschäftsherrn und S. 366 ff. für die Wissenszurechnung 16
§ l Die Arten der Wissensnormen und das Lösungskonzept
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herrn wegen der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung die Pflicht trifft, bestimmtes Wissen, das eine fiir ihn arbeitsteilig handelnde Person erworben hat - sei diese er selbst, ein Organmitglied oder eine unterorganschaftliehe Hilfsperson -, sich selbst oder einer anderen fiir ihn handelnden oder zuständigen Person verfügbar zu machen und zu halten, und er diese Pflicht schuldhaft verletzt. Auch über diese Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung wird also handlungsunabhängig Wissen zugerechnet, und zwar sowohl fiir den Fall, daß Wissen des Geschäftsherrn an sich relevant ist (also filr die Wissensnormen der Gruppe drei), als auch fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen des Geschäftsherrn und fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen von Handlungen anderer als der wissenden Hilfsperson. Die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ermöglicht also auch die Zurechnung des Wissens an einer Handlung unbeteiligter Personen fiir die Wissensnormen der Gruppen eins und zwei.
C. Der Gang der Untersuchung All dies soll nun im einzelnen in Teil II, dem Hauptteil der Arbeit, entwickelt und begründet werden. Zunächst soll dort in § 2 ein Überblick über die allerdings spärlichen gesetzlichen Wissenszurechnungsregeln gegeben werden. In §§ 3 - 5 wird sodann die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen erörtert. § 3 dient der Entwicklung des allgemeinen Rechtsgedankens der Vorschrift des § 166 I BGB, der eine handlungsabhängige Wissenszurechnung ermöglicht, also eine Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten Handlung der Hilfsperson. In § 4 wird das schwierige Problem der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung erörtert. Es geht dort also um die Frage, ob Wissen einer Hilfsperson dem Geschäftsherrn auch dann zugerechnet werden kann, wenn diese nicht konkret fiir ihn gehandelt hat. Das Wissen der Hilfsperson kann nämlich, wie bereits gesehen, sowohl in den Fällen von Bedeutung sein, in denen Wissen des Geschäftsherrn an sich Rechtsfolgen auslöst, ohne daß gehandelt werden müßte, es kann aber auch fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen von Handlungen anderer Hilfspersonen oder des Geschäftsherrn selbst, an denen die wissende Hilfsperson nicht beteiligt war, von Bedeutung sein. Zur Lösung des Problems der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung werden in § 4 die in Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Ansätze kritisch betrachtet und in Abgrenzung zu diesen ein eigener Lösungsvorschlag entwickelt. Um der methodischen Klarheitwillenwird hierzu zwischen den Formen der gesetzesimmanenten (unter B)
wegen Risikoschaffung fiir das Wissen von Organmitgliedern bei mehrköpfigem Vertretungsorgan.
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Teil I: Systematische Vorbemerkungen
und der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung (unter C) unterschieden. Die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung führt zu zwei Fonnen der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung, nämlich der über den Rechtsgedanken des § 166 li BGB und der über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. Die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ennöglicht die Entwicklung der Figur der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen der Verantwortung des Geschäftsherm fiir die Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung. In § 5 wird über diesen Gedanken der Verantwortung fiir die Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung eine weitere Fonn handlungsabhängiger Wissenszurechnung entwickelt, die die Zurechnung dienstlichen Wissens unselbständiger Hilfspersonen erlaubt. § 6 behandelt und löst das Problem des Organwissens. Es zeigt sich, daß das Organwissen nach den allgemeinen, fiir die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher Hilfspersonen geltenden Regeln zugerechnet werden kann. In § 7 wird der Bezug des hier entwickelten Wissenszurechnungsmodells zu den einzelnen Wissensnonnen hergestellt. Abschließend wird in Teil III, § 8, das Zurechnungsmodell beispielhaft auf die in der Arbeit vorgestellten Entscheidungen angewendet.
Teil 11
Zurechnung von Wissen In Teil II wird das hier vorgeschlagene LösWlgskonzept fiir die Probleme der WissenszurechnWlg Wld WissenszusammenrechnWlg im einzelnen entwickelt.
§ 2 Das Gesetz ZWlächst sollen die, allerdings spärlichen, gesetzlichen Regeln über die ZurechnWlg von Wissen betrachtet werden.
A. § 166 IBGB Nach§ 166 I BGB kommt es, soweit die rechtlichen Folgen einer WillenserklärWlg durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflußt werden, auf die Willensmängel bzw. die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Vertreters, nicht aber des Vertretenen an. Das Gesetz ordnet hier ausdrücklich die ZurechnWlg 1 von Wissen an. 2 Die ZurechnWlg ist jedoch, sowohl was die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen betrifft, in mancherlei Hinsicht beschränkt.
1 Ob § 166 I BGB überhaupt als Zurechnungsnorm bezeichnet werden kann, ist nicht ganz unproblematisch. Es wird nämlich nicht eigentlich dem Vertretenen Wissen seines Vertreters zugerechnet, dieses wird vielmehr für die Bestimmung der Rechtsfolgen des Vertreterhandeins erheblich erklärt. Wissen des Geschäftsherrn ist für die Bestimmung der Rechtsfolgen des Vertreterhandeins nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 166 II BGB relevant. So erklärt denn auch Wilhelm, daß § 166 I BGB keine Regel über eine Wissenszurechnung enthalte, vielmehr werde dem Vertretenen das Rechtsgeschäft des Vertreters zugerechnet (AcP 183 (1983), 1, 19). § 166 I BGB wird jedoch ganz allgemein als Zurechnungsnorm bezeichnet (vgl. z. B. Palandt!Heinrichs, § 166 Rdnr. 1). An dieser Einordnung wird auch hier festgehalten, da es sich lediglich um ein tenninologisches Problem handelt, die Einordnung jedoch inhaltlich ohne Belang ist. 2 Die Erheblichkeit der Willensmängel des Vertreters wird im folgenden nicht erörtert werden.
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Teil Il: Zurechnung von Wissen
I. Voraussetzungen 1. Hilfsperson ist Vertreter Zooächst muß es sich beim Zurechnoogssubjekt um den Vertreter, beim Zurechnoogso bj ekt um den Vertretenen handeln. 3 Voraussetzung ist daher das Vorliegen eines Vertretllllgsverhältnisses, gleichgültig ob dieses rechtsgeschäftlieh oder gesetzlich begründet ist. 4 Bloße Verhandloogsgehilfen ood ähnliche HUfspersonen werden nicht von § 166 I BGB erfaßt. 5 2. Abgabe oder Empfang einer Willenserklärung durch den Vertreter für den Vertretenen § 166 I BGB betrifft nur den Fall, daß die rechtlichen Folgen einer vom Vertreter abgegebenen oder empfangenen Willenserklärllllg6, die dem Vertretenen nach § 164 I, III BGB zurechenbar ist, durch Kenntnis oder Kennenmüssen beeinflußt werden. Der Vertreter muß also entweder eine Willenserkläfllllg abgeben oder entgegennehmen. 7 Da die Willenserkläfllllg dem Vertretenen zurechenbar sein muß, also eine Hauptzurechnoog vorausgesetzt wird, handelt es sich bei § 166 I BGB um eine lediglich akzessorische8 Zurechnoogsvorschrift.
3 Vgl. für diese Terminologie auch Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 17 f. Unter "Zurechnungssubjekt" wird die natürliche oder juristische Person verstanden, deren Wissen einer anderen natürlichen oder juristischen Person zugerechnet wird, dem "Zurechnungsobjekt". 4 Vgl. BGHZ 38, 65, 66; Palandt!Heinrichs, § 166 Rdnr. 2; Soergei/Leptien, § 166 Rdnr. 4. 5 Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 8. Zur Möglichkeit einer analogen Anwendung vgl. sogleich S. 49 ff. 6 Reine Wissenserklärungen sind ebensowenig erfaßt wie bloße Tathandlungen; vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 8; Staudinger!Dilcher, § 166 Rdnr. 9. 7 Auch nach dem Gesetz ist es daher nicht notwendig, daß der Vertreter rechtsgeschäftlich handelt. Bei der Empfangsvertretung handelt der Vertreter nämlich nicht selbst rechtsgeschäftlich. Er nimmt vielmehr lediglich passiv eine Willenserklärung entgegen, vgl. Schilken, Wissenszurechnung, S. 81. Es handelt sich bei der Empfangsvertretung um ein geschäftsähnliches Verhalten, vgl. Schilken, Wissenszurechnung, S. 83; a. A. Oldenbourg, Wissenszurechnung, S. 17, die Empfangsvertretung sei reales Verhalten. § 166 I BGB findet nach allg. M . auch auf die Empfangsvertretung Anwendung, vgl. z. B. Schilken, Wissenszurechnung, S. 79 ff. 8 Vgl. für den Ausdruck 0/denbourg, Wissenszurechnung, S. 10.
§ 2 Das Gesetz
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§ 166 I BGB ist mit anderen Worten keine selbständige Zurechnungsnorm, seine Anwendbarkeit setzt die Zurechnung von Vertreterhandeln über § 164 I oder III BGB voraus. II. Rechtsfolge 1. Zurechnung vom Vertreter zum Vertretenen
Da§ 166 I BGB Zurechnungssubjekt und Zurechnungsobjekt festlegt, kommt lediglich die Zurechnung des Wissens in eine Richtung, nämlich vom Vertreter auf den Vertretenen, in Betracht. 9 2. Zurechnung des gesamten Wissens des Vertreters, aber nur für die Folgen der gerade abgegebenen oder empfangenen Willenserklärung
Zugerechnet wird das gesamte Wissen des Stellvertreters. Das Gesetz differenziert nicht danach, ob es sich um privates Wissen10 handelt, also solches, das der Stellvertreter bereits besaß, bevor er in Bezug auf die dann abgegebene oder empfangene Willenserklärung tätig wurde, oder ob es sich um dienstliches Wissen handelt, das der Vertreter gerade bei der konkreten Tätigkeit fiir den Geschäftsherm erworben hat. Es kommt auf den konkreten Wissenszustand an. Das Wissen des Stellvertreters haftet dem Vertretenen nicht fiir die Zukunft an. 11 Zugerechnet wird das Wissen - handlungsabhängig - nur fiir die Bestimmung der rechtlichen Folgen der gerade abgegebenen oder. empfangenen Willenserklärung. Konsequenz dieser lediglich beschränkten Zurechnungsanordnung ist, daß das Wissen des Vertreters- auch das gerade bei der Tätigkeit fiir den Vertretenen erworbene - dem Geschäftsherrn nicht fiir ein späteres Rechtsgeschäft zugerechnet wird, das dieser selbst oder ein anderer Vertreter fiir diesen durchführt. Ebensowenig wird natürlich das Wissen des Vertreters zuge9 Bei Vorliegen der Voraussetzungen von§ 166 II BGB konunt es nach dem Gesetz zumindest der Sache nach zu einer Zurechnung von Wissen des Vertretenen auf den Vertreter, vgl. dazu ausfiihrlich unten S. 43 f. 10 Der Ausdruck "privates" Wissen fiir das, was der Vertreter wußte, bevor er in Hinsicht auf die dann abgegebene Willenserklärung tätig wurde, wird hier verwendet, obwohl er mißverständlich ist. Sein Wissen kann der Stellvertreter auch aus einer früheren dienstlichen Tätigkeit gezogen haben, selbstverständlich auch aus einer früheren Tätigkeit fiir den Vertretenen. 11 So ausdrücklich Waltermann, AcP 192 (1992) 181, 204 und BGH NJW 1984, 1953, 1954; dort dehnte der BGH dann jedoch§ 166 I BGB über seinen Wortlaut hinaus aus, vgl. S. 96 ff. Vgl. auch Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 8.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
reclmet, soweit es in der Folgezeit auf Wissen des Vertretenen im außerrechtsgeschäftlichen Bereich ankommt. Sollte der Vertreter Wissen, das er während seiner Tätigkeit fiir den Vertretenen erworben hat, zwn Zeitpunkt der Vomahme eines neuen Rechtsgeschäftes fiir denselben Vertretenen wieder vergessen haben, so kann die Information ebenfalls nicht zugereclmet werden. Entscheidend ist allein das aktuelle Vertreterwissen. § 166 I BGB ermöglicht demnach die handlungsabhängige Zureclmung von Wissen einer Hilfsperson, falls die Hilfsperson rechtsgeschäftlich fiir den Geschäftsherm tätig wird. § 166 I BGB ordnet also eine Wissenszureclmung fiir die erste Gruppe der Wissensnormen von oben 12 (Wissen ist erheblich in Verbindung mit einem rechtsgeschäftliehen Verhalten) an. Betrachtet man den Erklärungsempfang als geschäftsähnliches Verhalten, so ist auch ein Teil der zweiten Gruppe der Wissensnormen 13 (Wissen ist erheblich in Verbindung mit einem geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Verhalten) von § 166 I BGB erfaßt. Es wird beim Erklärungsempfang durch den Vertreter dann nämlich Wissen einer handelnden Hilfsperson fiir die Bestimmung der rechtlichen Folgen eines geschäftsähnlichen Verhaltens zugereclmet.
B. §§ 43 Nr. 1, 44 VVG Eine spezielle Regelung gilt fiir den Vermittlungsgehilfen des Versicherers. § 43 Nr.1 VVG verleiht dem Vermittlungsgehilfen eine gesetzliche Empfangsvertretungsrnacht. Dieser gilt als bevollmächtigt, Anträge auf Abschluß eines Versicherungsvertrages sowie deren Widerruf entgegenzunehmen. Die Empfangsvollmacht erstreckt sich nach allgemeiner Ansicht auch auf Tatsachenmitteilungen, die dem Agenten gegenüber im Zusammenhang mit seiner Stellvertretertätigkeit, insbesondere der Entgegennahme von Anträgen nach § 43 Nr. 1 VVG, gemacht werden. 14 Dem scheint § 44 VVG zu widersprechen. Danach soll die Kenntnis des Vermittlungsagenten der Kenntnis des Versicherers, soweit diese nach den Vorschriften des VVG erheblich ist, nicht gleichstehen. Unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien hat der IVa Zivilsenat des BGH § 44 VVG dahingehend interpretiert, daß dieser lediglich die Zureclmung privaten Wissens des Vermittlungsagenten ausschließt, also desjenigen Wissens, das dieser nicht "in Ausübung der Stellvertretung" erlangt hat. 15 Der Vermittlungsagent muß die Kenntnis gerade bei der Vermittlung des in Rede steVgl. S. 33. Vgl. S. 34. 14 Vgl. Prö/ls!Martin/Kollhosser, VVG, § 43 Anm. 3; BGHZ 102, 194, 197 unter Berufung auf die Gesetzesmotive. 15 BGHZ 102, 194, 197 f. 12
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§ 2 Das Gesetz
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henden Versicherungsvertrages als "Auge und Ohr" des Versicherers erlangt haben. 16 Als privates, nicht zurechenbares Wissen gilt das Wissen, das der Vermittlungsagent nicht während der Vermittlung von Versicherungsverträgen oder bei der Vermittlung eines Versicherungsvertrages mit einem Dritten erlangt, aber auch das Wissen des Vermittlungsagenten, das dieser bei der Vermittlung eines anderen als des konkreten Versicherungsvertrages zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer erworben hat. § 44 VVG schränkt also § 166 I BGB, der an sich auf den Vermittlungsagenten mit gesetzlicher Empfangsvertretungsmacht Anwendung finden würde, ein. 17 Über § 166 I BGB wird das gesamte tatsächliche Wissen des Vertreters bei Abgabe oder Empfang der Willenserklärung, einschließlich des privaten Wissens, zugerechnet.
C. § 166 II BGB Die rechtlichen Folgen von Kennen oder Kennenmüssen bestimmter Umstände bei einer durch einen Stellvertreter abgegebenen oder entgegengenommenen Willenserklärung behandelt auch § 166 II BGB. Hat der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser nicht auf die Unkenntnis des Vertreters von Umständen berufen, die er selbst kannte. Es wird also handlungsunabhängig das Wissen des Vertretenen zugerechnet. 18 Für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Willenserklärung ist hier dann das Wissen sowohl des Vertreters als auch des Vertretenen relevant. § 166 II BGB ergänzt also § 166 I BGB, das Vertreterwissen ist weiterhin relevant. 19 "Wissen" und "Wissen" wird addiert. 20 Es handelt sich demnach um einen Fall der Wissenszusammenrechnung. Begründet hat der Gesetzgeber die ausnahmsweise Erheblichkeit des Wissens auch des Vertretenen wie folgt:
16 BGHZ 102, 194, 197 f. Nach BGH, VersR 1992, 217, 218 kann die Zurechnung der bei Vennittlung des Versicherungsvertrags erlangten Kenntnis auch nicht durch eine entsprechende Klausel ausgeschlossen werden. 17 Der Grund für diese Einschränkung wird in der nur losen Verbindung des Versicherungsunternehmens mit seinen zahlreichen, räumlich weit versträuten Hilfspersonen gesehen (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 11. Legislaturperiode II. Session, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 22, S. 1238). 18 Dies setzt voraus, daß die Weisung, wie hier, nicht als Handlung verstanden wird. 19 Vgl. MünchKomm!Schramm, § 166 Rndr. 37; Palandt/Heinrichs, § 166 Rdnr. 10. 2 Falsch daher Michael Schultz NJW 1990, 477, 480, der behauptet, daß § 166 II BGB das Wissen des Vertreters für unmaßgeblich erkläre, falls der Vertretene den konkreten Geschäftsabschluß aktiv beeinflußt habe.
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Teil II: Zurechnung von Wissen "Bestimmt sich das Wissen und Wissenmüssen, soweit es rechtlich bedeutsam ist, grundsätzlich nach der Person des Vertreters, so kann doch das Wissen und Wissenmüssen des Vertretenen dann nicht unerheblich sein, wenn der Vertreter auf Grund rechtsgeschäftlicher Ermächtigung handelt und die Ermächtigung auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft sich bezieht. Der Vertretene beeinflußt in einem solchen Falle die Willensentscheidung und hat Theil an ihr. Sein Wissen und Wissenmüssen muß daher die gleiche Wirkung haben, wie das des Vertreters(§ 118). ... Andererseits kann das entscheidende Gewicht nicht auf die Person des Vertretenen allein gelegt werden; das Rechtsgeschäft ist und bleibt, auch bei dem Handeln auf Grund einer solchen Vollmacht, eine Willensthat des Vertreters; es muß daher auch dessen Wissen oder Wissenmüssen in Betracht kommen. Die Vorschrift auf alle Vollmachtsfalle bzw. alle Vertretungsfalle auszudehnen, in welchen der Vertretene Kenntnis von der Vomahme eines Rechtsgeschäfts in seinem Namen hat, ist bedenklich, und praktisch liegt kein Bedürfuis dazu vor." 21
Es geht dem Gesetzgeber hier um den Schutz des Geschäftspartners.22 So erklärt das Gesetz auch nur Wissen und Wissenmüssen des Vollmachtgebers fiir beachtlich. Hinsichtlich der Willensmängel soll aber weiterhin ausschließlich die Bewußtseinslage des Stellvertreters maßgeblich sein. 23 Wissen und Wissenmüssen haben fiir den Vertretenen stets eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung oder den Verlust eines Rechtsvorteils zur Folge. 24 So kann der um die Unrichtigkeit des Grundbuches Wissende nicht nach § 892 BGB gutgläubig erwerben. Kennt der Käufer den Mangel einer Sache, so stehen ihm insoweit keine Gewährleistungsansprüche zu (§ 460 S. 1 BGB). Der um seine Nichtberechtigung wissende Besitzer haftet schließlich nach§§ 990 I, 989 BGB verschärft. Die Berücksichtigung auch der Bewußtseinslage des Vertretenen würde es diesem hingegen erleichtern, sich ggf. von unvorteilhaften Rechtsgeschäften zu lösen.
D. § 164 I, 111 BGB § 164 I, III BGB ordnet an, daß eine mit (Empfangs-) Vertretungsmacht abgegebene oder empfangene Willenserklärung unmittelbar fiir oder gegen den Mugdan I, S. 478 (Motive I, S. 227). Soergel/Leptien, § 166 Rdnr. 27. 23 Vgl. aber die nun h. M. (BGHZ 51, 141, 146 ff.; Palandt/Heinrichs, § 166 Rdnr. 12; MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 41), die § 166 II BGB auf Willensmängel entsprechend anwenden möchte, da der Vertreter bei Vorliegen einer Weisung tatsächlich nur den Willen des Vollmachtgebers vollziehe, möge er auch rechtlich eine eigene Erklärung abgeben. 24 V gl. unten S. 55 f. zur gemeinsamen ratio legis der Wissensnormen. 21
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§ 2 Das Gesetz
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Vertretenen wirkt. Der Vertretene wird wunittelbar berechtigt und verpflichtet, so als hätte er selbst gehandelt. 25 § 164 I, III BGB ist gleichwohl keine Vorschrift über die Wissenszurechnung. Daß nämlich die abgegebene oder empfangene Willenserklärung wunittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt, bedeutet nicht, daß er um sie weiß. Erfährt der Vertretene nicht von der Abgabe oder dem Empfang der Willenserklärung, so wirkt diese zwar gegen ihn, aber sowohl ihr Inhalt als auch ihre Existenz bleiben ihm unbekannt. 26 Die praktischen Konsequenzen mag folgendes Beispiel verdeutlichen. Ein Geschäftsherr hat einen Vertreter zur Belastung eines Grundstücks bevollmächtigt. Der Vertreter bestellt daraufhin eine Grundschuld an dem Grundstück (§§ 873, 1191 BGB). Kurze Zeit später verkauft der Geschäftsherr das Grundstück. Eine Aufklärungspflicht über die Belastung bestünde nur bei Kenntnis der Grundschuldbestellung. Diese wird jedoch nicht über § 164 I, III BGB vermittelt. Erfährt der Geschäftsherr nicht auf anderem Wege von der Grundschuldbestellung, so besteht keine Aufklärungspflicht
E. § 278BGB Über § 278 BGB wird dem Geschäftsherrn schuldhaftes Gehilfenverhalten zugerechnet. Dem Geschäftsherrn wird also die Handlung der Hilfsperson und deren Verschulden zugerechnet. Handelt die Hilfsperson vorsätzlich, so kommt es auch zur Zurechnung des kognitiven Elementes des Vorsatzes, also von Wissen der Hilfsperson. Die Zurechnung des Wissens ist aber bei § 278 BGB nicht nur Rechtsfolge. Das Wissen ist als Bestandteil des vorsätzlichen Gehilfenverhaltens auch zurechnungsbegründend, also Tatbestandsvoraussetzung. Im übri-
25 RGRK!Steffen, § 164 Rdnr. 2; MünchKomm/Schramm, § 164 Rdnr. 108; Soergel/Leptien, § 164 Rdnr. 31. 26 Auf den Unterschied von Zugang und Kenntnis bei Empfang einer Willenserklärung weist schon v. Tuhr, Allg. Teil des Deutsch. Bürg. Rechts IV1, S. 129 hin. Zwischen Zugang mit der Folge, daß die Willenserklärung für und gegen den Vertretenen wirkt, und Kenntnis der Willenserklärung wird auch in BGH NJW 1965, 965, 966 unterschieden. Dort ging es um die Frage, ob der Adressat eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens zum Widerspruch verpflichtet ist. Das Gericht nahm eine solche Verpflichtung fiir den Fall der Kenntnis des Schreibens, zumindest aber seines Zugangs i. S. des § 130 BGB an. Der Leiter einer Zweigstelle des Adressaten kannte den Inhalt des Bestätigungsschreibens. Das Gericht erklärte, daß es darauf ankomme, ob der Zweigstellenleiter Empfangsvertreter, zumindest aber Empfangsbote des Adressaten gewesen sei. In beiden Fällen sei von Zugang beim Beklagten auszugehen. Kenntnis des Adressaten kam nach Ansicht des BGH keinesfalls in Betracht. Fälschlich setzt Wiesner, BB 1981, 1533, 1536 und 1540 Zugang und Kenntnis gleich.
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Teil Il: Zurechnung von Wissen
gen ist die Zurechmmg des Wissens nicht nur von einer zurechenbaren Handlung - Handeln in Erfiillung einer Verbindlichkeit -, sondern zusätzlich vom Vorliegen eines voluntativen Vorsatzmerkmals abhängig. Es handelt sich also im Vergleich mit § 166 I BGB sogar noch um eine gesteigerte Akzessorietät, 27 da die Zurechnung nicht lediglich von einer Handlung, sondern zusätzlich von einem W ollenselement abhängig ist.
F. Weitere Vorschriften über die Zurechnung schuldhaften Verhaltens Wissen als Teil des Vorsatzes wird ebenfalls über Spezialregeln für die Zurechnung von Gehilfenverhalten zugerechnet. So erweitert § 431 HGB den § 278 BGB im vertraglichen und quasi-vertraglichen Bereich dahin, daß der Frachtführer auch dann für seine Leute verantwortlich ist, wenn diese nicht zur Erfüllung der betreffenden vertraglichen oder quasi-vertraglichen Verbindlichkeit gehandelt haben. Der Frachtführer hat also schlechthin das Verschulden seiner Leute zu vertreten. 28 Handelt eine Hilfsperson vorsätzlich, so kommt es wie bei § 278 BGB zur Zurechnung des kognitiven Elementes des Vorsatzes, also von Wissen der Hilfsperson. Die Zurechnung des Wissens ist hier ebenfalls nicht nur Rechtsfolge. Das Wissen ist als Bestandteil des vorsätzlichen Verhaltens vielmehr auch zurechnungsbegründend. Die Zurechnung ist hier ebenfalls von einem W ollenselement abhängig. Auch ist die Zurechnung von einer Handlung abhängig, doch muß die Hilfsperson eben nicht zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gehandelt haben. 29 Wegen der Abhängigkeit von Handlung und W ollenselement ist die Zurechnungsanordnung des § 431 HGB ebenfalls gegenüber § 166 I BGB gesteigert akzessorisch. Nach § 485 HGB ist der Reeder für einen Schaden verantwortlich, den eine Person der Schiffsbesatzung oder ein an Bord tätiger Lotse einem Dritten in Ausführung von Dienstverrichtungen zufügen. Für § 485 HGB kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der Dienstverrichtung um eine vertragliche Verpflichtung des Reeders handelt oder ob eine solche zwischen Reeder und Geschädig-
27 Auch Oldenbourg, Wissenszurechnung, S. 10 sieht in§ 278 BGB eine akzessorische Zurechnungsvorschrift. 28 Vgl. z. B Koller, Transportrecht, § 431 Rdnr. 1, dort auch Nachweise auf abweichende Ansichten. 29 Für den erforderlichen äußeren Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit und dem Schaden vgl. Koller, Transportrecht, § 431 Rdnr. 2.
§ 2 Das Gesetz
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tem nicht besteht.30 Der Reeder haftet mithin auch über den Anwendungsbereich des § 278 BGB hinaus strikt für schuldhaftesVerhalten seiner Leute. Die Hauptbedeutung der Vorschrift liegt daher auf deliktischem Gebiet. 31 Nach § 735 HGB ist ein Reeder, sofern der Zusammenstoß mehrerer Schiffe durch Verschulden der Besatzung seines Schiffes herbeigeführt wurde, zwn Ersatz des durch die Kollision entstandenen Schadens verpflichtet. Auch hier muß die schuldhafte Handlung oder Unterlassung in Ausfiihrung einer Dienstverrichtung der Besatzungsperson begangen worden sein.32 Der Reeder haftet bei § 735 HGB also wie bei § 485 HGB für das Verschulden seiner Leute über den Anwendungsbereich des § 278 BGB hinaus zusätzlich im deliktischen Bereich. Handelt die Hilfsperson vorsätzlich, so kommt es daher in diesen Fällen ebenfalls zur Zurechnung des kognitiven Elementes des Vorsatzes, also von Wissen der Hilfsperson. Die Zurechnung des Wissens ist wiederum nicht nur Rechtsfolge. Dieses ist als Bestandteil des vorsätzlichen Gehilfenverhaltens vielmehr auch zurechnungsbegründend. Die Zurechnung ist erneut ebenfalls vom Vorliegen eines voluntativen Vorsatzmerkmals abhängig. Sie ist schließlich auch von einer Handlung, nämlich der Vomahme einer Dienstverrichtung33 abhängig, und deshalb ebenfalls gegenüber § 166 I BGB gesteigert akzessorisch.
G. Zusammenfassung Im Gesetz finden sich nur wenige Vorschriften über die Wissenszurechnung. Die wichtigste dieser Vorschriften ist§ 166 I BGB. § 166 I BGB ermöglicht die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson zur Bestimmung der Rechtsfolgen ihres rechtsgeschäftliehen Handelns, also eine handlungsabhängige Wissenszurechnung. Eine versicherungsrechtliche Spezialregelung zu § 166 I BGB enthalten die §§ 43 Nr. I, 44 VVG. Über § 166 II BGB ist Wissen des Vertretenen handlungsunabhängig zuzurechnen, wenn der Vertreter nach dessen bestimmten · Weisungen gehandelt hat. Die Vorschrift des § 164 I, III BGB enthält keine Regelung über die Wissenszurechnung. Über sie wirkt zwar eine vom oder gegenüber dem Vertreter abgegebene Willenserklärung unmittelbar für und gegen den Vertretenen, der Inhalt der Willenserklärung wird diesem aber nicht als bekannt zugerechnet. Über§ 278 BGB wird Wissen als Teil des Vorsatzes des Erfiillungsgehilfen zugerechnet. Vorschriften über die Wissenszurechnung sind
Vgl. Schaps!Abraham, Seerecht, § 485 Rdnr. 10. Vgl. Schaps/Abraham, Seerecht, § 485 Rdnr. 10; Rdnm. 23 ff. im einzelnen für das Verhältnis zu den Haftungsvorschriften des bürgerlichen Rechts. 32 Schaps/Abraham, Seerecht, § 735 Rdnr. 6. 33 Vgl. zu dieser Schaps/Abraham, Seerecht,§ 485 Rdnr. 7. 30 3!
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Teil II: Zurechnung von Wissen
deshalb auch die Spezialregeln über die Zurechnung schuldhaften Gehilfenverhaltens in den §§ 431, 485, 735 HGB.
§ 3 Handlungsabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson ausgehend von § 166 I BGB
Von den gesetzlichen Vorschriften der Wissenszurechnung enthält § 166 I BGB am ehesten einen allgemeinen Gedanken der Wissenszurechnung. Die Vorschrift ist so beinahe zwangsläufig zum gesetzlichen Ausgangspunkt fiir die Lösung der Probleme der Wissenszurechnung beim arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen in Rechtsprechung und Literatur geworden. Der BGH hat anknüpfend an § 166 I BGB und einen dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedanken seine "Wissensvertreter-" Rechtsprechung entwikkelt.1 § 166 I BGB ist auch Grundlage zahlreicher Lösungsvorschläge in der Literatur.2 So wird im folgenden zunächst untersucht, inwieweit die analoge Anwendung der Bestimmung des § 166 I BGB oder ein aus ihr zu entnehmender allgemeiner Rechtsgedanke als Formen gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung3 zur Lösung der Zurechnungsprobleme nutzbar gemacht werden können. Dazu wird zwischen zwei verschiedenen Konstellationen unterschieden. Zunächst wird die handlungsabhängige Wissenszurechnung ausgehend von § 166 I BGB erörtert, also die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson zur Bestimmung der Rechtsfolgen der von dieser Hilfsperson vorgenommenen Handlung4 , sodann wird diskutiert, ob sich auf § 166 I BGB auch eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung, also die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson, sofern Wissen an sich rechtsfolgebegründend ist, oder die Zurechnung des Wissens der Hilfsperson zur Bestimmung der Rechtsfolgen eigener Handlungen des Geschäftsherrn oder der Handlungen anderer Hilfspersonen, stützen läßt. 5 Über die analoge Anwendung der Vorschrift des § 166 I BGB oder die Zurechnung über einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedanken in den Fällen der handlungsabhängigen Wissenszurechnung, in denen also die Hilfsperson an der Handlung, zur Bestimmung von deren Rechtsfolgen ihre Kenntnis zugerechnet werden soll, beteiligt war oder diese
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Vgl. S. 50 ff., 94 ff. Vgl. S. 55 ff., 120 ff. Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202 ff. Vgl. hierzu im folgenden in§ 3. Vgl. hierzu S. 94 ff.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
durchgeführt hat, ist man sich in Rechtsprechung und Literatur bei bisweilen erheblichen Abweichungen in Einzelfragen weitgehend einig. 6 Die Hilfsperson handelt in diesen Fällen entweder tatsächlich oder geschäftsähnlich für den Geschäftsherrn oder bereitet die Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung vor. Das "Wissensrisiko" Hilfsperson wird dann dem Geschäftsherrn zugewiesen.
A. Die Rechtsprechung I. Die analoge Anwendung von§ 166 I BGB Die Rechtsprechung hat § 166 I BGB in zahlreichen solcher Fälle analog angewandt und auf dieser Grundlage Wissen von Hilfspersonen zugerechnet. Sie hat sowohl den persönlichen Anwendungsbereich "Hilfsperson ist Vertreter" als auch den sachlichen Anwendungsbereich "Abgabe oder Empfang einer Willenserklärung durch den Vertreter für den Vertretenen" im Wege des Analogieschlusses erweitert.7 So wird analog § 166 I BGB bei der Gläubigeranfechtung auf die Kenntnis von Hilfspersonen des Begünstigten (z. B. eines Verhandlungsgehilfens8 oder Vgl. dazu im folgenden S. 50 ff. In den Kommentardarstellungen wird üblicherweise zwischen dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich von § 166 I BGB unterschieden. Getrennt behandelt werden auch die Weiterungen des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereiches (MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnm. 17-23 b und 24- 36; Soergel/Leptien, § 166 Rdnm. 4-8 und 10- 26; Staudinger/Dilcher, § 166 Rdnm. 3-6 und 7- 10; Staudinger!Schilken, § 166 Rdnrn. 3- 6 und 7- 10). Dies setzt voraus, daß es möglich ist, bei der analogen Anwendung des § 166 I BGB in Hinblick auf seinen persönlichen und seinen sachlichen Anwendungsbereich zu differenzieren. Wie im folgenden zu zeigen ist, besteht die Möglichkeit, die Vorschrift "direkt" in Hinblick auf ihren persönlichen Anwendungsbereich und "analog" in Hinblick auf ihren sachlichen Anwendungsbereich anzuwenden (die Fälle, in denen ein Vertreter gehandelt, aber keine Willenserklärung abgegeben hat- auch hier kann man aber fragen, ob bei nicht realisierter Vertretungsmacht überhaupt von einem Vertreter gesprochen werden kann). Im übrigen ist eine solche Trennung jedoch nicht möglich und eine entsprechende Unterscheidung daher verwirrend. Eine Hilfsperson, die nicht Vertreter ist, kann keine Willenserklärungen mit Wirkung für den Geschäftsherrn abgeben (der Fall des Vertreters ohne Vertretungsmacht stellt keine Ausnahme dar, da die Genehmigung ggf. die fehlende Bevollmächtigung ersetzt). Eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereiches ist daher automatisch mit einer Erweiterung auch des sachlichen Anwendungsbereiches verbunden. 8 Vgl. für weitere Beispiele Kifger/Karsten Schmidt, KO, § 30 Anm 9 und Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 30 Anm. 30 b. 6 7
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eines Vertreters) von der Benachteiligungsahsicht des Gemeinschuldners (§§ 3 AnfG, 31 KO) sowie auf die Kenntnis von Hilfspersonen von der Krise und der Begünstigungsahsicht (§ 30 KO) abgestellt. 9 Handelt es sich bei der benachteiligenden Rechtshandlung um ein Rechtsgeschäft und hat auf seiten des Erwerbers ein Vertreter gehandelt, so kommt direkt § 166 I BGB zur Anwendung, denn bei der Frage der Anfechtbarkeit handelt es sich um eine unmittelbare Folge der Abgabe einer Willenserklärung. In den Fällen des § 30 Nr. 1 l.Alt. KO kommt daher stets§ 166 I BGB direkt zur Anwendung, da unter Rechtsgeschäften im Sinn dieser Vorschrift nur Verträge zu verstehen sind. 10 Die benachteiligenden Rechtshandlungen im Sinn von §§ 30 Nr. 1 2. Alt., 30 Nr. 2, 31 Nr. 1 KO, § 3 Nr. 1 AnfG beruhen jedoch nicht notwendig auf von Vertretern abgegebenen Willenserklärungen. Insbesondere gilt dies nicht für den im Rahmen von § 30 KO die Hauptrolle spielenden Zwangserwerb11, vor allem die Zwangsvollstreckung. Wird dieser von einer Hilfsperson, die möglicherweise gesetzlicher oder gewillkürter Vertreter ist, betrieben, so findet nach Ansicht der Rechtsprechung § 166 I BGB analoge Anwendung. 12 Es wird ggf. also nur der sachliche Anwendungsbereich ausgedehnt. Analoge Anwendung findet § 166 I BGB nach Ansicht der Rechtsprechung auf den Besitzerwerb durch den bösgläubigen Besitzdiener nach§ 990 I BGB 13
RG JW 1902, 444; LZ 1910 Sp. 161. Vgl. Kilger!Karsten Schmidt, KO, § 30 Anm. 3; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 30 Rdnr. 18. II Jaeger!Lent, KO, § 30 Anm. 18. 12 RG LZ 1910 Sp. 161; RG JW 1916, 317, 318. In der Rechtsprechung wirdjedoch nicht zwischen direkter und analoger Anwendung unterschieden. In BGH NJW 1991, 980, 981 ging der BGH von direkter Anwendbarkeit der Vorschrift aus, obwohllediglich eine analoge Anwendbarkeit in Betracht kam. Ein Konkursverwalter focht das durch Arrest- und Pfändungsbeschluß zugunsten der Beklagten angeordnete Pfandrecht an Vermögen und Bankguthaben des Gemeinschuldners an(§§ 30 Nr. 2, 37 I KO). Der BGH reclmete den Beklagten das Wissen ihres Prozeßbevollmächtigten über § 166 I BGB direkt zu. Die Anträge des Prozeßbevollmächtigten, den dinglichen Arrest in das Vermögen anzuordnen und das Bankguthaben zu pfänden, seien prozessuale Willenserklärungen. Sie seien Teil der Rechtshandlung, die den Beklagten das Pfändungspfandrecht an den Guthaben verschafften. Die entscheidende Rechtshandlung ist aber der gerichtliche Arrest- und Pfändungsbeschluß. Schon in RG JW 1916, 317, 318 hatte das RG für die Frage der Anfechtbarkeit einer Pfändung nach § 30 Nr. 2 KO § 166 I BGB direkt angewandt. 13 Vgl. z. B. BGHZ 32, 53, 58. Der BGH fordert für die Zureclmung, daß der Geschäftsherr den Besitzdiener im Rechtsverkehr vollkommen selbständig für sich hat handeln lassen und der Besitzdiener im Rahmen der ihm zur freien Entscheidung zuge9
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sowie für die verschärfte Haftung nach§ 819 I BGB 14• Auch soll § 166 I BGB analoge Anwendung auf§ 912 BGB finden. 15 Sofern der Überbauende vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, trifft den Nachbarn unter keinen Umständen eine Duldungspflicht (§ 912 I BGB). In diesen Fällen mag die Hilfperson zwar Vertreter sein, doch wird ihr Wissen nicht für die Bestimmung der rechtlichen Folgen einer von ihr abgegebenen oder empfangenen Willenserklärung relevant, sondern für die rechtlichen Folgen einer von ihr vorgenommenen tatsächlichen Handlung. Insofern ist eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches, des Tatbestandsmerkmals "Abgabe oder Empfang einer Willenserklärung durch den Vertreter für den Vertretenen" erforderlich. In BGHZ 42, 63 erweiterte der BGH den sachlichen und den persönlichen Anwendungsbereich des § 166 I BGB. Das Gericht entschied, daß sich ein Bauherr Wissen und damit Vorsatz seines Architekten zurechnen lassen müsse. 16 Der BGH rechnete also Wissen einer Hilfsperson, die wohl nicht Vertreter war, im außerrechtsgeschäftliehen Bereich für die Bestimmung der Folgen des Handeins der Hilfsperson zu. In vielen Fällen ist eine solche Erweiterung des sachlichen wie des persönlichen Anwendungsbereiches, also beider Tatbestandsmerkmale, unvermeidliche Voraussetzung einer analogen Anwendung. So wendet der BGHI 7 § 166 I BGB analog auf den Verhandlungsgehilfen an, den der Geschäftsherr eingesetzt hat. Der Verhandlungsgehilfe muß dem Geschäftspartner gegenüber als für den Geschäftsherrn handelnd aufgetreten sein, und die Verhandlungsergebnisse müssen die Grundlage für den Vertragsschluß
wieseneo Tätigkeit den Besitz fiir den Besitzherrn erworben hat; vgl. auch BGHZ 102, 316, 320. Vgl. aber KG NJW-RR 1994, 1391, 1391 f., das Kammergericht reclmete bei einem Anspruch aus §§ 990, 989 BGB i. V. mit Art. 21 ScheckG der Beklagten das Verhalten ihres Angestellten nach § 278 BGB zu. Eine Begründung findet sich nicht. Bei Art. 21 ScheckG kommt § 166 I BGB direkt zur Anwendung (vgl. Baumbach/ Hef ermehl, Wechselgesetz, Art. 21 Rdnr. 10), eine Zurechnung des bösen Glaubens des Angestellten über § 278 BGB scheidet daher aus. Aber auch fiir die Zurechnung der Bösgläubigkeit bei § 990 BGB über § 278 BGB und damit das Abweichen von der ganz herrschenden Zurechnungskonstruktion über§ 166 I BGB analog hätte es wohl zumindest einer Begründung bedurft. 14 BGHZ 83, 293, 296. 15 BGHZ 42, 63, 69. 16 BGHZ 42, 63, 69. 17 Ständige Rechtsprechung: BGH BB 1957, 729; LM § 166 BGB Nr. 8 und 14; NJW 1965, 1174,1175.
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gebildet haben. 18 Diese Rechtsprechung findet auch auf Vermittlungsagenten wie den Handelsvertreter 19, den Kreditverrnittler20 und den Agenten im Börsenterminhandel21 Anwendung. Für den Vermittlungsagenten im Versicherungsrecht gelten§§ 43 Nr.l , 44 VVG.22 In entsprechender Anwendung des § 166 I BGB soll sich der Versicherungsnehmer falsche Angaben dritter Personen zurechnen lassen müssen, wenn er diese Personen mit der Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheiten beauftragt hat (Wissenserklärungsvertreter).23
Immer hat die Rechtsprechung eine gewisse vertretergleiche Stellung der Hilfsperson gefordert. 24 II. Der allgemeine Rechtsgedanke
In BGHZ 83, 293 25 ist der BGH einen Schritt weitergegangen. Die Vielzahl analoger Anwendungen von§ 166 I BGB betrachtete er als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die - inzwischen verstorbene - Ehefrau des Beklagten hatte bei der Klägerin, einem Kreditverrnittlungsbüro, ein Darlehen beantragt. Den Antrag hatte sie in ihrem Namen und, ohne bevollmächtigt zu sein, im Namen des Beklagten unterschrieben. Die Auszahlung erfolgte auf das Konto des Beklagten. Dieser hatte seiner Ehefrau Kontovollmacht eingeräumt, da sich letztere um die finanziellen Angelegenheiten der Eheleute kümmerte. Die Ehefrau hob das Geld von dem Konto ab und gab es für sich aus. Der Beklagte wußte weder vom Abschluß des Darlehensvertrages, noch waren ihm die Auszahlung oder das Abheben des Geldes bekannt geworden. Der Nachlaß der Ehefrau war überschuldet. Die Klägerin verlangte daher vom Beklagten Rückzahlung des überwiesenen 18 Es handelt sich hier um eine Analogie nicht nur zum persönlichen Anwendungsbereich (der Verhandlungsgehilfe ist nicht Vertreter), sondern auch zum sachlichen Anwendungsbereich. Der Verhandlungsgehilfe gibt keine Willenserklärung ab und empfangt auch keine solche. Er verhandelt eben nur, auch wenn er insofern im rechtsgeschäftliehen Bereich verbleibt. 19 RG SeuffA 83 Nr. 153. 20 Stuttgart WM 1977, 1338, 1340; LG Essen MDR 1978, 844. 2l Harnburg HRR 1931 Nr. 516. 22 Siehe oben S. 42 f. 23 Vgl. jüngst wieder BGH NJW 1993,2112,2113. 24 Dies betonen auch MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 23 a; Soergel/Leptien, § 166 Rdnr. 6. 25 Im folgenden wird auf diese Entscheidung als "Darlehensfall" Bezug genommen.
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Betrages. Da der Darlehensvertrag wegen des hohen Zinssatzes nach § 138 BGB nichtig war, stützte sie das Begehren auf§ 812 I 1 1. Alt. BGB. Der Beklagte sei rechtsgnmdlos bereichert. Der Beklagte wandte ein, die Bereicherung sei weggefallen, als seine Frau aufgnmd ihrer Kontovollmacht das Geld abgehoben und fiir sich verwandt habe. Dies akzeptierte der BGH. Ein Anspruch der Klägerin bestand daher nur, falls der Beklagte verschärft nach§§ 819 I, 818 IV BGB haftete. 26 Da dem Beklagten die Darlehensaufnahme nicht bekannt gewesen war, kam eine verschärfte Haftung nur bei Zurechnung des Wissens seiner Ehefrau in Betracht. Diese wußte, auch wenn ihr die Nichtigkeit des Darlehensvertrages unbekannt geblieben war, zumindest, daß sie das Darlehen nicht dauerhaft behalten durfte. Dieses Wissen genügte nach Ansicht des. BGH als Kenntnis i. S. des § 819 I BGB.27 § 166 I BGB griff nicht direkt ein. Mangels Vertretungsmacht war die Ehefrau des Beklagten nämlich nicht seine Vertreterin beim Abschluß des Darlehensvertrages gewesen, der zur Auszahlung des Geldes führte.28 Der BGH hielt § 166 I BGB aber fiir analog anwendbar und rechnete dem Beklagten die Kenntnis seiner Ehefrau zu. 29 Das Gericht erklärte, daß die RegelWlg des § 166 I BGB - jedenfalls soweit es sich um die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht handele - ihre Rechtfertigung im Gedanken der Zurechenbarkeit habe. Der BGH stellte fest, er habe wiederholt bei einem der Interessenlage zwischen Vertreter und Vertretenem vergleichbaren Sachverhalt die Vorschrift des § 166 I BGB entsprechend angewandt. Das Gericht formulierte dann30:
26 Der BGH entschied im "Darlehensfall" (BGHZ 83, 293, 296), daß der nach §§ 818 IV, 819 I BGB verschärft haftende Bereicherungsschuldner nach§ 279 stets für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen habe. 27 BGHZ 83, 293, 295. 28 Auch wenn die Ehefrau Vertretungsmacht gehabt hätte, wäre ihrem Ehemann ihr Wissen nicht direkt über § 166 I BGB zuzurechnen gewesen. Bei § 819 I BGB ist Wissen nicht relevant für die Bestimmung der unmittelbaren rechtlichen Folgen einer Willenserklärung. Es geht darum, ob Kenntnis bei Vomahme einer tatsächlichen Handlung, hier dem Empfang des Geldes vorlag. Auch bei Bestehen eines Vertretungsverhältnisses kommt § 166 I BGB daher nur analog auf § 819 I BGB zur Anwendung, zumindest der sachliche Anwendungsbereich muß also erweitert werden. 29 BGHZ 83, 293, 296. 30 Es vermengt also Analogie und allgemeinen Rechtsgedanken; vgl. zur Abgrenzung von Analogie und allgemeinem Rechtsgedanken unten S. 58 ff.
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"Aufgrund des dieser Vorschrift31 zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens muß sich- unabhängig von einem Vertretungsverhältnis- derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen.'o32
In dem zu entscheidenden Fall waren nach Ansicht des Gerichts die Voraussetzungen, die die Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens rechtfertigen, erfiillt. Die Ehefrau habe - über die bestehende Bankvollmacht hinaus - eine vertreterälmliche Stellung gehabt. Der Ehemann habe sich von seiner Ehefrau bewußt in älmlicher Weise wie durch einen Stellvertreter repräsentieren lassen.33
B. Literatur Auch in der Literatur wird die analoge Anwendung des § 166 I BGB oder die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift fiir die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, an der sie beteiligt war, weitgehend befiirwortet. So wird in der Kommentarliteratur die Rechtsprechung zustimmend referiert. 34 Grundlegend ist die Bonner Habilitationsschrift von Schilken mit dem Titel "Wissenszurechnung im Zivilrecht" aus dem Jahr 1983. Untertitel der Arbeit ist "Eine Untersuchung zum Anwendungsbereich des § 166 BGB innerhalb und außerhalb der Stellvertretung". Schilken stellt zunächst fest, daß das Gesetz in den verschiedenen Regelungen, die an Kenntnis anknüpfen, zwar unterschiedliche Ziele verfolgt, 35 allen Normen, die an Kenntnis anknüpfen, aber der gemeinsame Aspekt möglichen Selbstschutzes zugrunde liegt. 36 Der Wissende habe es in der Hand, sein jeweiliges Verhalten der Kenntnis entsprechend einzurichten. 37 Er verdiene dann nicht den Schutz, den das Gesetz dem Gutgläubigen zubillige. In den Normen, die an Wissen anknüpfen, gehe es um einen Interessenausgleich zwischen dem Wissenden und seinem Geschäftspartner, einem anderen Dritten, aber auch den Interessen der Allgemeinheit. Die Kenntnis eines
Gemeint ist § 166 I BGB. BGHZ 83, 293, 296. 33 BGHZ 83, 293, 296. 34 Vgl. Soergel/Leptien, § 166 Rdnrn. 4- 26; Staudinger/Dilcher, § 166 Rdnrn. 310; MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnrn. 17- 36; Palandt/Heinrichs, § 166 Rdnrn. 69. 35 Wissenszurechnung, S. 51 f. 36 Wissenszurechnung S. 52 f. 37 Schilken, Wissenszurechnung, S. 52. 3!
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Umstandes rechtfertige es, daß der Wissende einen ansonsten eintretenden Rechtsvorteil verliert oder einen Rechtsnachteil hinnehmen muß. 38 Schilken geht von diesem von ihm aufgestellten allgemeinen Grundsatz fiir die Wissensberücksichtigung beim Selbsthandeln aus und überträgt ihn auf die Situation der gewillkürten Stellvertretung. 39 Der Positivgrundsatz des § 166 I BGB, nämlich die Berücksichtigung des Stellvertreterwissens entspricht nach seiner Ansicht der ratio der Berücksichtigung von Kennen und Kennenmüssen beim Eigengeschäft Der Stellvertreter, der mit dem rechtsgeschäftliehen Handeln betraut sei, könne und solle in erster Linie die Verläßlichkeit der Umstände prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen des Selbstschutzes ergreifen. Die Regelung rechtfertige sich durch den in der Bevollmächtigung liegenden privatautonomen Akt des Vertretenen. 40 Wenn also der Geschäftsherr einer Hilfsperson die Vomahme einer Handlung überträgt, dann überträgt er ihr nach Auffassung Schilkens auch die Aufgabe des Selbstschutzes und muß sich an dieser Übertragung festhalten lassen. Auf dieser Grundlage befürwortet Schilken über§ 166 I BGB analog auch außerhalb der Stellvertretung und des rechtsgeschäftliehen Bereiches eine Zurechnung des Wissens solcher Hilfspersonen, die vom Geschäftsherrn bei dem jeweiligen Vorgang eingesetzt und mit eigenverantwortlicher - nicht notwendig offenkundiger - Prüfungskompetenz fiir den Vorteilsschutz betraut wurden. 4 1 Richardi versteht § 166 I BGB als Ausdruck eines selbständigen Zurechnungsprinzips der Wissensvertretung. 42 Wennjemand einen anderen mit der Er38 Schi/ken, Wissenszurechnung, S. 51 ff. Die von Schilken erkannte allgemeine ratio legis der Wissensnormen überzeugt. Der Erwerber, der die Unrichtigkeit des Grundbuchs kennt, verdient eben nicht den Schutz, den das Gesetz dem Gutgläubigen zubilligt. Bei Kenntnis der einen deliktischen Schadensersatzanspruch begründenden Umstände ist es dem Geschädigten zuzumuten, innerhalb von drei Jahren zu klagen. Diese ratio /egis liegt schließlich auch den Arglistvorschriften zugrunde, die hier ebenfalls als Kenntnisnormen angesehen werden. So wird dem arglistig Handelnden ebenfalls ein Rechtsvorteil genommen. Er ist z. B. regelmäßig einer längeren Verjährungsfrist unterworfen (§§ 477 I, 638 I BGB) und kann sich nicht auf einen vertraglichen Haftungsausschluß berufen (§§ 443, 476, 540, 637 BGB), oder es wird dem arglistig Handelnden ein Rechtsnachteil auferlegt (vgl. die Schadensersatzhaftung in § 463 S. 2 BGB). 39 Wissenszurechnung, S. 59 ff. 40 Schi/ken, Wissenszurechnung, S. 60. 41 Wissenszurechnung, S. 301 f.; vgl. fiir die Wissenszurechnung bei §§ 932 ff. BGB, S. 235 ff., bei §§ 990, 991 BGB, S. 269 ff., 279 und 281; bei § 819 BGB, S. 292 ff. 42 AcP 169 (1969), 385 ff.
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ledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung betraue, so müsse er sich das in ihrem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen. 43 Er befürwortet daher ebenfalls die Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen über den engen Bereich der Stellvertretung hinaus. Seine Formel erfaßt sowohl Hilfspersonen, die konkret an einer Handlung beteiligt sind, als auch solche, die es nicht sind. Nur um erstere Gruppe geht es hier. In Anlehnung an Richardi will Waltermann dem gesetzlich geregelten Fall der Wissenszurechnung in § 166 I BGB den verallgemeinerungsfähigen Grundgedanken entnehmen, daß derjenige, der einen anderen statt seiner mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muß. 44 Diesen Grundgedanken hält Waltermann für auf all die Fälle im rechtsgeschäftliehen und außerrechtsgeschäftliehen Bereich übertragbar, in denen der Geschäftsherr die Hilfsperson statt seiner handeln läßt. 45 Er wendet § 166 I BGB analog46 auf Hilfspersonen im rechtsgeschäftliehen Bereich an, die nicht Stellvertreter sind, 47 aber auch bei Tathandlungen48 von Hilfspersonen wie dem Besitzerwerb im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis und der Bereicherungshaftung nach§§ 819 I, 818 IV BGB. Das Wissen der für den Geschäftsherrn handelnden Hilfsperson rechnet auch Medicus analog § 166 I BGB für die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung zu. 49 Die Zurechnung des Wissens der handelnden Hilfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, an der diese mitgewirkt hat, analog § 166 I BGB befürworten ebenfalls Grunewald50 und, ihr folgend, Taupitz51 . Eine Zurechnung des Wissens der fur den Geschäftsherrn handelnden Richardi, AcP 169 (1969), 385,403. AcP 192 (1992), 181, 198. 45 AcP 192 (1992), 181, 198 ff. 46 Auch Wa/termann unterscheidet wie der BGH, z. B. im "Darlehensfall" (BGHZ 83, 293), nicht deutlich zwischen analoger Anwendung einer Vorschrift und der Geltung eines allgemeinen Rechtsgedankens. 47 Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 198 ff. 48 Waltermann, AcP 192 (1992), 181,202 ff. 49 Karlsruher Forum 1994, 4, 8 ff., allerdings will Medicus (S. 9) bei § 990 BGB über§§ 31, 89,831 BGB zurechnen. 5 FS Beusch, S. 301, 310 (fiir den rechtsgeschäftliehen Bereich), 317 f., 320 (fiir den außerrechtsgeschäftliehen Bereich). 51 Karlsruher Forum 1994, 16, 24; dies ist Taupitz' These 2: "Einer natürlichen Einzelpersau wie auch einer (eine rechtliche Einheit darstellenden) Organisation (sei es eine juristische Person, eine Gesamthandsgesellschaft oder ein [sonstiges] Unternehmen) sind grundsätzlich diejenigen Kenntnisse zuzureclmen, die die konkret fiir diese Person bzw. Organisation gegenüber dem Verhandlungspartner auftretende, als Vertreter oder 43
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Hilfsperson analog § 166 I BGB oder über einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken bejahen auch Hoffmann52 , Häsemeyer53 , Sieger54, Westerhoff55 und M. Schultz56. Zahlreiche andere Stimmen in der Literatur fordern die analoge Anwendung des § 166 I BGB zumindest fiir bestimmte Einzelfälle. Für das Versicherungsrecht wird die Zurechnung des Wissens des Wissenserklärungsvertreters auf § 166 I BGB analog gestützt.57 Tintelnot hat die analoge Anwendung von § 166 I BGB auf den Verhandlungsgehilfen begründet. 58 Zahlreiche Befiirworter hat auch die analoge Anwendung des § 166 I BGB bei § 990 BGB.59
C. Die Zulässigkeit von Analogie und allgemeinem Rechtsgedanken Obwohl also grundsätzlich über die Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen, die an einer Handlung konkret beteiligt sind, Einigkeit besteht, soll die methodische Zulässigkeit dieser Rechtsfortbildung des § 166 I BGB mit den Mitteln des Analogieschlusses und der Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens im folgenden erörtert werden. Dazu soll zunächst die ratio legis des § 166 I BGB herausgearbeitet werden. Mit dieser werden sich dann auch einzelne Streitfragen hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfanges der Zurechnung beantworten lassen. (zur Aufnahme und Weiterleitung von Informationen zuständiger) "Repräsentant" handelnde Person hat. Wo und wann diese Kenntnisse erworben wurden, spielt grundsätzlich keine Rolle." 52 JR 1969, 372, 373; entscheidend fiir eine entsprechende Anwendung von § 166 I BGB sei, ob die Hilfsperson mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet ist. 53 JuS 1984, 176, 179 ausgehend vom "Darlehensfall" (BGHZ 83, 293). 54 Wissen der juristischen Person, S. 131 ff. 55 Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 42 ff., allerdings ohne hinreichend danach zu differenzieren, ob Wissen der Hilfsperson zur Bestinunung der Rechtsfolgen einer Handhmg zugerechnet wird, an der diese selbst beteiligt war oder nicht. 56 NJW 1990, 477 ff.; auch Michael Schultz unterscheidet nicht danach, ob die Hilfsperson an der Handlung, zur Bestinunung von deren Rechtsfolgen ihr Wissen zugerechnet werden soll, beteiligt war oder nicht. 57 Grundlegend Möller, WuR 1938, 5, 15; vgl. auch Volker Behrens, Drittzurechnung, S. 29 ff. 58 JZ 1987, 795, 796. 59 Grundlegend Raiser, JZ 1961, 26 f.; vgl. auch WolfflRaiser, SachenR, S. 45; Staudinger/Gursky, § 990 Rdnm. 43 f.; Reinhardt, GS R. Schmidt, S. 115, 118 ff. und 124; Wetze/, Zurechnung, S. 66; Rabe, Bösg1äubigkeit, S. 174 f., allerdings nur für das Wissen "funktionsbedingter Erfüllungsgehilfen"; Lorenz, JZ 1994, 549, 550 ff.
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Die beiden Lösungsansätze des BGH, Analogieschluß und Ableitung eines allgemeinen Rechtsgnmdsatzes aus dem positiven Recht, sind Methoden der Ausfüllung von Gesetzeslücken im engeren Sinn.60 Die Analogie wird wie folgt definiert: "Unter einer Analogie verstehen wir die Übertragung der für einen Tatbestand (A) oder für mehrere, untereinander ähnliche Tatbestände im Gesetz gegebenen Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten, ihm "ähnlichen" Tatbestand (B). Die Übertragung gründet sich darauf, daß infolge ihrer Ähnlichkeit in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Hinsichten beide Tatbestände gleich zu bewerten sind, also auf die Forderung der Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln."61 Die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgnmdsatzes aus dem positiven Recht wird auch als Induktion bezeichnet.62 Ein allgemeines Prinzip läßt sich bisweilen schon aus einer einzelnen Norm entnehmen. 63 So genügt mitunter die Klarstellung der einer einzelnen Gesetzesbestimmung zugnmdeliegenden ratio legis (wie vom BGH im "Darlehensfall" 64 für § 166 I BOB angenommen) sowie die Erkenntnis, daß diese ratio legis auf einen weiteren Kreis von Fällen zutrifftals den im Gesetz genannten. 65 Unter einer Gesetzeslücke i. e. S. versteht man eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes. 66 Die Gesetzeslücke i. e. S. ist streng von einem Fehler des Gesetzes zu unterscheiden.67 Um eine Gesetzeslücke i. e. S. handelt es sich nur, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht und immanenten Teleologie, unvollständig ist.68 Bei einem Fehler hält die vom Gesetz getroffene Entscheidung einer rechtspolitischen Kritik nicht stand. 69
60 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202 ff. Im Text wird dem Lückenbegriff von Canaris, Feststellung von Lücken, S. 16, 31 ff. gefolgt; vgl. aber die abweichende Konzeption von Larenz in der Methodenlehre, vollst. 6 Aufl., S. 368, 426 f. Die Systematisierung ist lediglich eine Frage terminologischer Zweckmäßigkeit, vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 35. 61 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. 62 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 97 f. 63 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 100. 64 BGHZ 83, 293. 65 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 207. 66 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 16, 31; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194; Bydlinski, Methodenlehre, S. 473. 67 Zu unterscheiden ist auch die Lücke i. w. S.; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, s. 195 ff.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Sowohl der Analogieschluß wie die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens dienen jedoch nicht erst der Lückenausfiillung, sondern, wie Canaris herausgearbeitet hat, bereits der Lückenfeststellung.7 Für den Analogieschluß ergibt sich dies aus der Überlegung, daß, wenn die Unvollständigkeit des positiven Rechts mit Hilfe des Gleichheitssatzes ermittelt wird und wenn für diesen Vergleich auf die Wertungen des Gesetzes, also die ratio legis zurückzugreifen ist, dies nichts anderes bedeutet, als daß schon für die Frage der Lückenhaftigkeit die Rechtsähnlichkeit eines gesetzlich geregelten und eines gesetzlich nicht geregelten Falles maßgeblich ist. Die Lücke wird dann also im Wege des Analogieschlusses festgestellt. 71 Daß ein allgemeines Rechtsprinzip allgemein Geltung für eine unbestimmte Vielzahl von geregelten und ungeregelten Fällen beansprucht, ergibt sich von selbst. 72
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I. Feststellung der Lücke Für den Analogieschluß und die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens ist zunächst festzustellen, ob eine Lücke vorliegt. Für die Lückenfeststellung ist in beiden Fällen auf die Wertungen des Gesetzes, die ratio legis73 der Bestimmung zurückzugehen, die analog angewandt oder aus der ein allgemeines Rechtsprinzip abgeleitet werden soll. 74 Dann kann entschieden werden, ob die Wertung in einem weiteren Einzelfall oder allgemein Gültigkeit beansprucht.
68 Bei der Lücke i. w. S. erscheint das Fehlen einer gesetzlichen Regelung zwar nicht schon gemessen am Plan des Gesetzes selbst, wohl aber gemessen an den Erfordernissen der Gesamtrechtsordnung als behebungsbedürftige Unvollständigkeit, Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246; Canaris, Feststellung von Lücken, S. 37 ff. 69 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 195. 7 Canans, Feststellung von Lücken, S. 72 und 78 (fiir den Analogieschluß), S. 93 f. und 98 (fiir die allgemeinen Rechtsprinzipien). 71 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 72 und 78. 72 Vgl. auch Canaris, Feststellung von Lücken, S. 93 f. und 98. 73 Das Prinzip oder den "vernünftigen Grund" einer Regelung; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 157. 74 Vgl. gerade.
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1. Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers Meist ergibt sich die ratio /egis schon aus den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers.7 5 In den Motiven findet sich folgende Begründung für die in § 166 I BGB getroffene Regelung: "Die Frage, inwieweit die fiir die Gültigkeit eines in Vertretung vorgenommenen Rechtsgeschäfts maßgebenden Momente aus der Person des Vertreters oder der des Vertretenen zu entnehmen sind, bedarf besonderer Entscheidung; diese hängt mit der Grundauffassung der rechtlichen Natur der Vertretung eng zusammen. Das Ergebnis ist ein verschiedenes, je nachdem ob man davon ausgeht, daß das Rechtsgeschäft in der Person des Vertreters zu Stande kommt und nur die Wirkungen auf den Vertretenen bezogen werden, oder davon, daß der Vertretene der rechtsgeschäftlich handelnde Theil ist, der seine Willenserklärung durch Vermittlung des Vertreters abgibt; ... Der Entwurf folgt der ersteren Auffassung. Das Geschäft ist ein Geschäft des Vertreters; aber es wird dem Vertretenen so zugereclmet, als ob es von ihm vorgenommen worden wäre ... Etwaige Willensmängel können nur da gesucht werden, wo die Willensentscheidung stattgefunden hat, mithin in der Person des Vertreters ... Des weiteren entscheidet die Person des Vertreters, soweit es sich um die Übereinstimmung des wirklichen mit dem erklärten Willen, um die Erheblichkeit von Zwang, Betrug, Irrthum, Wissen und Wissenmüssen handelt ... "76
Die getroffene Regelung ist also nicht Ergebnis einer wertenden Entscheidung. Die Gesetzesverfasser gingen vielmehr davon aus, daß die Regelung zwangsläufig aus der Entscheidung für eine bestimmte Auffassung über das Wesen der Stellvertretung folgt. Die gesetzliche Konzeption der Stellvertretung fußt auf der Repräsentationstheorie.77 Diese war eine der im 19. Jahrhundert im Streit um die rechtliche Erfassung der Stellvertretung vertretenen Theorien. 78 Die Rechtswissenschaft hatte Probleme, die Figur der unmittelbaren Stellvertretung mit der die Rechtsgeschäftslehre beherrschenden Willenslehre zu vereinbaren. Nach dieser können Rechtsfolgen nur durch den Willen, die Selbstbestimmung, der Geschäftspartei gerechtfertigt werden. Die Vertreter der Zessionslehre lehnten daher die Zur historischen Auslegung, Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149 ff.; Bydlinksi, Methodenlehre, S. 449 ff. 76 Mugdan I, S. 477 (Motive I, S. 226 f.). 77 Vgl. MünchKomm/Schramm, Vor § 164 Rdnr. 62; Soergel/Leptien, Vor § 164 Rdnm. 10, 15; Enneccerus/Nipperdey, AT I/2, S. 1116. 78 Einen knappen und guten Überblick bietet Soerge//Leptien, Vor§ 164 Rdnr. 9, vgl. auch MünchKomm/Schramm, Vor§ 164 Rdnr. 60; Staudinger/Di/cher, Vorbem zu § 164 Rdnr. 10; ausfUhrlieh Bauer, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der freien gewillkürten Stellvertretung, S. 90 ff. 75
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Teil II: Zurechnung von Wissen
direkte Stellvertretung ab. 79 Um die rechtliche Erklänmg der Stellvertretung rangen die von Savigny begründete Geschäftshermtheorie80 Wld die Repräsentationstheorie81. Nach der Geschäftsherrntheorie handelt bei der gewillkürten Stellvertretung nur der Vertretene rechtsgeschäftlich, der Vertreter wird lediglich als Träger des Willens des Vertretenen betrachtet. Die Repräsentationstheorie sieht bei der Stellvertretung den Vertreter als den Handelnden des Rechtsgeschäfts an. Weil der Vertreter den Vertretenen repräsentiere, träfen dann jedoch den Vertretenen die WirkWlgen des Rechtsgeschäfts. Schließlich wurde noch eine vermittelnde Theorie vertreten. 82 83 Man war sich einig, daß sich aus dem erkannten Wesen der Stellvertretung auch die Frage entscheiden lasse, ob fiir Wissen oder Wissenmüssen Wld Willensmängel auf die Person des Vertretenen oder des Vertreters abzustellen ist. Die Geschäftshermtheorie stellte auf den Vertretenen ab, die Repräsentationstheorie auf den Vertreter. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, hielt auch der Gesetzgeber mit der EntscheidWlg fiir die Repräsentationstheorie die Frage der Erheblichkeit des Vertreterwissens fiir entschieden. Dieser logische Zwang wird vor allem in der älteren Literatur in weiten Teilen akzeptiert. 84 Auf der Basis dieses Verständnisses der ratio /egis des § 166 I BGB ist aber zweifelhaft, ob in den Fällen des tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handeins einer Hilfsperson fiir den Geschäftsherm oder der Vorbereitung rechtsgeschäftliehen Handeins des Geschäftsherm durch eine Hilfsperson von einer Lücke fiir die WissenszurechnWlg auszugehen ist. Für die Annahme einer Lücke Puchta, Pandekten §§52, 273; ders. Vorlesungen über das heutige römische Recht, Band I, S. 116 ff., Band II, S. 112 ff. 80 Savigny, Obligationenrecht II, S. 54 ff.; ders., System III, S. 90 ff.; Dernburg, KZR 1 (1853), 1, 17 ff. 81 Buchka, Lehre von der Stellvertretung bei Eingebung von Verträgen, passim; Curtius, AcP 58 (1875), 69, 86 ff.; Laband, ZHR 10 (1866), 183, 226; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Band I, S. 352. 82 Mitteis, Die Lehre von der Stellvertretung,§§ 13, 14. 83 Es bereitet bis heute Schwierigkeiten, die unmittelbare Fremdwirkung des Vertreterhandeins mit dem Grundsatz der Privatautonomie, der Selbstbestimmung des Vertretenen, zu vereinbaren. Müller-Freienfels, Vertretung, passim, hat die Frage erneut gestellt, vgl. auch Soergel/Leptien, Vor§ 164 Rdnrn. 10 ff.; MünchKomm/Schramm, Vor§ 164 Rdnrn. 62 ff. Die h. M. geht davon aus, daß die Privatautonomie nur einer Fremdbestimmung entgegenstehen würde, die nicht von der Selbstbestimmung des Geschäftsherrn gedeckt ist; Flume, AT II, S. 754 f ; Enneccerus/Nipperdey, AT I/2, S. 1119 f.; Staudinger/Dilcher, Vor§ 166 Rdnr. 32, Larenz, AT, S. 607 f 84 Vgl. z. B. Enneccerus/Nipperdey, AT I/2, S. 1116 f.; Larenz, AT, S. 607 f.; wohl auch Staudinger/Dilcher, § 166 Rdnr. 1, vgl. aber Rdnr. 2. 79
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aufgrund eines Analogieschlusses müßte aus der rechtlichen Natur auch der tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handlung oder der Vorbereitung rechtsgeschäftliehen Handeins fiir einen anderen folgen, daß notwendig auf die Person des Handelnden für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung abzustellen ist, d. h., daß auch in diesen Fällen der für die Stellvertretung angenommene logische Zwang bestehen müßte, da nur dann die für einen Analogieschluß geforderte Rechtsähnlichkeit bestehen würde. Auf der Grundlage der Auffassung des historischen Gesetzgebers ließe sich aus der Vorschrift des § 166 I BGB kaum ein allgemeines Rechtsprinzip entwickeln, denn die ratio legis knüpft danach entscheidend an die logische Zwangsläufigkeit der Zurechnung an.
2. Ratio legis als objektiv-teleologisches Kriterium Ratio legis ist aber nicht nur das, was dem Gesetzgeber von vornherein bewußt ist. Sie wird vielmehr mitunter erst nachträglich von Wissenschaft und Rechtsprechung erarbeitet, ist dann also ein objektiv-teleologisches Kriterium. 85 a) Kein logischer Zwang Müller-Freienfels86 hat widerlegt, daß auf der Basis der Repräsentationstheorie ein logischer Zwang besteht, auf das Wissen des Vertreters abzustellen. Hinter der Frage der Zurechnung des Wissens des Vertreters stünden nicht Fragen der Logik, sondern solche der Zweckmäßigkeit. Wenn entsprechend dem Standpunkt der Repräsentationstheorie der Stellvertreter derjenige sei, der rechtsgeschäftlich handele, so sei die Stellvertretung zwar wesensmäßig dahin bestimmt, daß die Wirkungen des Rechtsgeschäfts von der Person des tatsächlich Handelnden abgelöst und auf einen anderen, den Vertretenen, bezogen werden. Ob eine solche Übertragung aber auch für Begleitumstände in der Person des Vertreters, nämlich Willensmängel oder Wissen und Wissenmüssen zu erfolgen habe, sei damit keineswegs bereits zwingend festgelegt. Selbst wenn man zur Rechtsnatur der Stellvertretung der Repräsentationstheorie folge, komme man nicht umhin, die Frage nach der für Willensmängel, Wissen und Wissenmüssen maßgeblichen Person wertend, d. h., unter Abwägung der unterschiedlichen beteiligten Interessen zu entscheiden. In der Tat hat die Regelungsanordnung, daß die rechtlichen Folgen der Vertretererklärung auf den Vertretenen übergeleitet werden, nichts mit der Frage zu tun, ob es fiir die Bestimmung der rechtlichen Folgen einer Willenserklärung auf die Kenntnis und das Kennenmüssen des Vertreters oder des Vertretenen ankommt. Die Frage stellt sich zwar notwendig im Rahmen der Stellvertretung,
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Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 157; Bydlinski, Methodenlehre, S. 453 f. Vertretung, S. 392.
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aber sie erfordert doch eine eigene, normative EntscheidWlg, da auch auf dem Boden der Repräsentationstheorie verschiedene Ergebnisse denkbar sind. Die begriffskonstruktiven Folgeroogen des Gesetzgebers können daher die RegelWlg des § 166 I BGB nicht begründen. 87 b) Formulieroog der ratio legis als objektiv-teleologisches Kriterium Literatur Wld RechtsprechWlg gehen daher heute auch überwiegend nicht mehr von einer logischen Zwangsläufigkeit aus, sondern suchen eine andere Begründung. Gemeinsam ist den meisten Auffassungen in RechtsprechWlg Wld Literatur über die ratio legis des§ 166 I BGB, daß die ZurechnWlg des Wissens des Vertreters in § 166 I BGB als ein billiger Ausgleich für den arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson (eines Stellvertreters) betrachtet wird. Dies kommt auch in der Formulieroog des allgemeinen Rechtsgedankens durch den BGH im "Darlehensfal1" 88 zwn Ausdruck: Wer einen anderen mit der Erledigoog von Aufgaben betraue, müsse sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen zurechnen lassen. 89
aa) Verantwortungfor eine arbeits/eilig eingesetzte Hilfsperson als billiger Ausgleich Eine große Gruppe in der Literatur sieht die ratio /egis des § 166 I BGB ausschließlich in diesem Gedanken der VerantwortWlg für eine arbeitsteilig eingesetzte Hilfsperson als billigen Ausgleich für den arbeitsteiligen Einsatz. So formulierte Richardi das dann vom BGH im "Darlehensfall" 90 übernommene ZurechnWlgsprinzip, daß jemand, der einen anderen mit der Erledigoog bestimmter Aufgaben in eigener VerantwortWlg betraue, sich das im Rahmen dieser Tätigkeit erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen müsse. 91 M. Schultz meint, § 166 I BGB "beruhe" allgemein auf der EinschaltWlg anderer für die Erledigoog eigener Angelegenheiten. 92 In leicht abgewandelter Form findet sich oft der Gedanke der Zusammengehörigkeit von Vorteil Wld Nachteil. Westerhoff sieht den Grood der RegelWlg des § 166 I BGB darin, daß die ArbeitsteilWlg, die zur VervieWiltigoog der Arbeitskraft des Geschäftsherrn führe, diesem nicht nur Vorteile einbringen solle, er müsse auch die damit verbWlde-
87 So auch Schi/ken, Wissenszurechnung, S. 12; Flume, AT II, S. 867 f. ; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 395 ff. 88 BGHZ 83,293. 89 BGHZ 83, 293, 296. 90 BGHZ 83, 293. 91 AcP 169 (1969), 385,403. 92 NJW 1990, 477,478.
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nenNachteile tragen. 93 V. Bebrens fonnuliert als Normzweck, daß jemand, der sich die Vorteile der Arbeitsteilung zunutze macht und an seiner Stelle Dritte handeln läßt, auch deren Nachteile zu tragen hat, indem er fiir diese Dritten einstehen muß. 94 Raiser erklärt anschaulich, daߧ 166 I BGB in seiner Wirkungwenn auch nicht seiner konstruktiven Begründung nach - dem Gedanken diene, daß derjenige, der sich im Rechtsverkehr fremder Hilfe bediene und die Wirkung des Handeins fiir sich in Anspruch nehme, auch die Nachteile daraus in Kauf nehmen müsse und sich nicht der eigenen sauberen Hände rühmen dürfe, wenn andere sie sich fiir ihn schmutzig gemacht haben. 95 Wetzel sieht- abgesehen von der früheren dogmatischen Begründung - als ratio legis des § 166 I BGB den Gedanken an, daß die Arbeitsteilung im rechtsgeschäftliehen Bereich nicht zu Lasten des Rechtsverkehrs gehen dürfe, sondern derjenige, der die Vorteile davon habe, auch das Risiko des ordnungsgemäßen 11 Funktionierens11 seines Mittelmannes tragen müsse. 96 Etwas anders argumentiert Reinhardt. 97 Nach ihm rechtfertigt sich die Zerstörung der eigenen Gutgläubigkeit des Geschäftsherrn durch die Bösgläubigkeit eines anderen dadurch, daß der Geschäftsherr der Hilfsperson ein Stück seiner unternehmerischen Funktion in eigener Verantwortung übertragen hat. 98 Lorenz fonnuliert als ratio legis einen allgemeinen Repräsentationsgedanken. 99 Wer sich die Arbeitsteilung des modernen Wirtschaftslebens zunutze mache, indem er, anstatt selbst zu handeln, weisungsunterworfene Personen fiir sich handeln lasse, müsse sich redlicherweise so behandeln lassen, als habe er selbst gehandelt. 100 Hinter dem Konzept der Einstandspflicht fiir arbeitsteilig eingesetzte Hilfspersonen stehen die Gedanken der Herrschaft und Veranlassung, des 11 qui facit per alium, facit per se 11101 - das Verhalten des Gehilfen gilt als Verhalten des Geschäftsherrn - und der Verbindung von Vorteil, Interesse und Nachteil, des 11 ex qua persona quis lucrum capit, eius factum praestare debet 11 102• Diese Gedanken treffen sicher den richtigen Kern. Als alleinige ratio legis des § 166 I BGB können die Prinzipien von Herrschaft und Veranlassung und von
Organ wtd gesetzlicher Vertreter, S. 42. Volker Behrens, Drittzurechnwtg, S. 30 f. 95 Raiser, JZ 1961 , 26, 27; dem folgt Staudinger/Gursky, § 990 Rdnr. 43. 96 Zurechnwtg, S. 40. 97 GS R. Schmidt, S. 115, 121. 98 Reinhardt, GS R. Schmidt, S. 115, 121. 99 JZ 1994, 549, 551. 100 Lorenz, JZ 1994, 549, 551. 101 Eigentlich "quifacit per alium, est perinde, ac sifaciat per se ipsum", Liber sextus 5, 13, 72 (Bonifaz VIII); Dig. 26, 7, 5 § 3 Mitte (U/pian). 102 Dig. 50, 17, 149 (Ulpian). 93
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Vorteil, Interesse und Nachteil aber nicht genügen, weil sie in dieser Allgemeinheit keine Geltung haben, die Regel daher nicht abschließend erklären können. Dies hat Spiro fiir die unbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn fiir seinen Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB überzeugend herausgearbeitet. 103 So gibt es keine allgemeine Regel, daß jeder die Folgen des Verhaltens derer, die in seinem Interesse (Vorteil, Interesse und Nachteil) tätig sind oder sein sollen, zu tragen hat. 104 Zunächst ist diese Regel nicht geltendes Recht. Zu diesem Verhalten würden nämlich auch die Delikte und schuldloses schadenverursachendes Verhalten zählen. In § 831 BGB ist aber keine unbedingte Einstandspflicht fiir Delikte von Hilfspersonen angeordnet. Und selbst wenn man die Ansicht vertritt, daß mittlerweile durch zahlreiche Sonderkonstruktionen 105 praktisch durch die Hintertür eine unbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn fiir Delikte seiner Hilfspersonen eingeführt wurde 106, so trifft jenen jedenfalls keine Garantiehaftung fiir sämtliche unverschuldeten schadenverursachenden Handlungen seiner Hilfspersonen. Spiro 107 hat auch auf die theoretische Untauglichkeit eines solchen Prinzips hingewiesen. Der Kreis derer, die unseren Interessen dienten, sei uferlos, denn zu ihnen gehöre, wer immer eine Leistung zu günstigen Bedingungen anbiete, jeder, der ihnen diese Leistung ermögliche, und sogar das Gemeinwesen, dessen Tätigkeit allen diene. Die direkte Verbindungzweier so weiter Begriffe wie "Interesse" und "Erfolg" bzw. "Vorteil" und "Nachteil" könne daher kein brauchbares Haftungskriterium abgeben. 108 Sie ist daher auch kein allein ausreichendes Zurechnungskriterium. Spiro hat auch herausgearbeitet, daß es kein allgemeines Prinzip von Herrschaft und Veranlassung gibt. 109 Der Geschäftsherr müßte dann nicht nur fiir alle Vertragsverletzungen seiner Hilfspersonen, sondern auch fiir all ihre Delikte einstehen ebenso wie fiir alle unverschuldeten Schädigungen Dritter durch seine Hilfspersonen. Der bloße Kausalzusammenhang sei darüber hinaus unbegrenzt, er könne daher kein allgemeines Haftungsprinzip sein. Das Veranlassungsprinzip ist als Zurechnungsprinzip deshalb untauglich. 110 Wäre es anders, so müßte
Vgl. Spiro, Erfiillungsgehilfen, S. 60 ff. Spiro, Erfiillungsgehilfen, S. 61. 105 Vgl. dazu ausführlich unten S. 160 ff. 106 Nach einer Ansicht in der Literatur wird man jedenfalls bei schuldhaftem Verhalten seiner Hilfspersonen dem Geschäftsherrn einen Verschuldensvorwurf machen können (vgl. Baums, FS Lukes, S. 623, 627; MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnr. 6 m. w. N. spricht von einer Deliktshaftung nach vertraglichen Grundsätzen). I07 Erfiillungsgehilfen, S. 61. !08 Spiro, Erftillungsgehilfen, S. 61. 1° 9 Erftillungsgehilfen, S. 62 ff. IIO Vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474. 103
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im Rahmen einer Vertragsbeziehung das Verhalten, auch das Wissen einer Hilfsperson, sowohl dem Schuldner als auch dem Gläubiger zugerechnet werden. Der Gläubiger, der sich die Leistung hat versprechen lassen und damit das Hinzuziehen des Gehilfen veranlaßt, hat nämlich den Schuldner und dessen Gehilfen zu seinem verlängerten Ann gemacht und durch sie gehandelt.
bb) Weitere, speziellere Zurechnungsgesichtspunkte Für die Regelung des § 166 I BGB lassen sich denn auch eine Reihe weiterer, spezieller die Zurechnung begründende Gesichtspunkte anführen. Immer wieder betont wird der Gedanke des Vertrauensschutzes. Der Dritte, der es mit der Hilfsperson zu tun hat, verlasse sich darauf, daß die Rechtsfolgen einer Handlung so eintreten, wie sie sich aus der Person der Hilfsperson ergeben.111 Für den Geschäftsgegner sei die Bewußtseinslage desjenigen maßgeblich, mit dem er es konkret zu tun hat, und die ihm deshalb am ehesten zugänglich ist. 112 Der Vertrauensgedanke findet sich bereits in den Gesetzesmaterialien. In der zweiten Kommission wurde der Antrag gestellt, bei gewillkürter Stellvertretung und Handeln auf Weisung durch den gewillkürten Vertreter, dem Fall des§ 166 II BGB, allein auf die Kenntnis des Vertretenen abzustellen. Der Antrag wurde zurückgewiesen, "weil diese Regelung die Sicherheit des dem Vertreter gegenüberstehenden Dritten zu sehr gefahrden würde" 113. Der Vertrauensgedanke steht auch hinter dem allgemeinen Rechtsgedanken des BGH aus dem "Darlehensfall" 114. Das Gericht erklärt, daß die Regelung des § 166 I BGB -jedenfalls soweit es sich um die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht handele - ihre Rechtfertigung im Gedanken der Zurechenbarkeit habe. 115 In BGHZ 55, 307 116 hatte der BGH diesen Gedanken erläutert: "Wer sich im rechtsgeschäftliehen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen 111 So Grunewa/d, FS Beusch, S. 301, 302; Wilhelm, AcP 183 (1983), 1, 18.
112 Soergel/Leptien, § 166 Rdnr. l.
113 Mugdan I, S. 740 (Prot. I, S. 293). 114 BGHZ 83,293. 115 BGHZ 83, 293, 296. 116 In dem der Entscheidung in BGHZ 55, 307 zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Gemeinschuldner nach Zahlungseinstellung einem von ihm bestellten Treuhänder Vermögensgegenstände mit dem Auftrag übergeben, Ansprüche bestimmter Gläubiger zu befriedigen. Dadurch hatte der einzelne Gläubiger gemäß § 328 I BGB unmittelbar das Recht erworben, von dem Treuhänder Befriedigung zu erlangen. Der Gläubiger brauchte bei Anfechtung des Rechtserwerbs durch den Konkursverwalter nach Ansicht des BGH die Kenntnis des Treuhänders von der Zahlungseinstellung nicht gemäß § 30 Nr. 2 KO gegen sich gelten lassen. Der Gläubiger habe sich des Treuhänders nicht wie eines Vertreters bedient. 5*
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eines Vertreters bedient oder das Handeln eines in seinem Namen auftretenden vollmachtlosen Vertreters nachträglich genehmigt, muß es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, daß ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird, kann sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen." 117 In der Tat überzeugt der Vertrauensgedanke als Rechtfertigung der positiven Regelungsanordnung des§ 166 I BGB, der Zurechnung des Wissens des Vertreters. Hat ein Dritter mit einem Vertreter zu tun, so kannjener davon ausgehen, daß sich die Rechtsfolgen der Vertretererklärung, soweit es fiir diese auf Kenntnis oder Kennenmüssen ankommt, aus der Person des Vertreters bestimmen, da dieser die Erklärung abgibt, also dessen Kenntnisse die Erklärung beeinflussen. Dies gilt insbesondere, wenn der Dritte die Bewußtseinslage des Vertreters kennt. So wird ein Verkäufer darauf verzichten, den Vertreter des Käufers über einen Mangel aufzuklären, wenn er weiß, daß dieser den Mangel kennt. Aber auch wenn der Dritte die genaue Bewußtseinslage des Vertreters nicht kennt, verläßt er sich doch darauf, daß sich die Folgen des Vertreterhandeins aus der Person des Vertreters bestimmen; dieser ist seine Bezugsperson. Grundlegend hat sich Schilken mit der ratio legis des § 166 I BGB befaßt. 118 Wie gesehen 119, entspricht nach Ansicht Schilkens der Positivgrundsatz des § 166 I BGB, die Berücksichtigung des Stellvertreterwissens, der ratio der Berücksichtigung von Kenntnis und Kennenmüssen bei der Einzelperson. Der Stellvertreter, der mit dem rechtsgeschäftliehen Handeln betraut sei, könne und solle in erster Linie die Verläßlichkeit der Umstände prüfen und ggf. die notwendigen Maßnahmen des Selbstschutzes ergreifen. Die Regelung rechtfertige sich durch den in der Bevollmächtigung liegenden privatautonomen Akt des Vertretenen. 120 Dies überzeugt. Wenn der Geschäftsherr einer Hilfsperson die Vomahme einer Handlung überträgt, dann überträgt er ihr auch die Aufgabe des Selbstschutzes. Die wissende Hilfsperson hat es in der Hand, ihr Verhalten entsprechend der Kenntnis einzurichten. An der Entscheidung der Hilfsperson muß sich der Geschäftherr, der die Übertragung wollte, festhalten lassen. Angeführt wird auch der Risikogedanke. So sieht Waltermann den fiir die Regelung des § 166 I BGB maßgeblichen Wertungsgesichtspunkt in der Zuweisung eines Risikos, das der Vertretene durch die Einschaltung der Hilfskraft (u. U. auch durch die Duldung ihres Tätigwerdens) geschaffen habe. 121 WesentBGHZ 55, 307, 311. Wissenszurechnung, S. 47 ff.; vgl. jetzt auch die Kommentierung Staudingerl Schilken, § 166 Rdnm. 3 ff., insbesondere Rdnr. 6. Die einschlägigen Passagen beruhen auf seiner Habilitationsschrift. 119 Vgl. geradeS. 55 f. 120 Wissenszurechnung, S. 60. 121 AcP 192 (1992), 181, 197. 117 118
§ 3 Handlungsabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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lieh für diese in§ 166 I BGB zum Ausdruck gebrachte gesetzliche Wertung sei, daß der Vertretene sich die Vorteile der Arbeitsteilung in seinem Interesse zunutze mache. Der Vertretene begebe sich dadurch einerseits der Möglichkeit, selbst von den Umständen Kennntnis zu nehmen, die nach dem Gesetz erheblich seien, er habe es andererseits in der Hand, das dadurch entstehende Risiko zu beherrschen. 122 Der Gedanke der Verantwortung für ein Risiko findet sich auch in der Kommentarliteratur. Dort heißt es, es sei Sache des Vertretenen, sich einen zuverlässigen Vertreter auszusuchen, ihn richtig einzuweisen und zu kontrollieren. 123 Der Risikogedanke rechtfertigt, wie später eingehend zu erörtem124, überzeugend die Zurechnung des dienstlich, d. h. in Ausführung der konkreten Handlung für den Geschäftsherrn erlangten Wissens 125 für die Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten Handlung. Durch den Einsatz der Hilfsperson zur Vomahme einer Handlung schafft der Geschäftsherr gerade das Risiko, daß er von bestimmten Umständen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung relevant sind, selbst keine Kenntnis erlangt. Gleichwohl wirkt die Handlung für und gegen ihn.126 Schließlich kann eine weitere, bisher nicht angeführte Überlegung die Zurechnungsanordnung rechtfertigen. Im Fall der Wissenszurechnung nach § 166 I BGB sind Vorteil und Nachteil nämlich identisch. Der Geschäftsherr macht sich, wenn er einen Vertreter einschaltet, dessen Wissen, also auch das Wissen, das er selbst nicht hätte und nicht erlangt hätte, zunutze. Genau dieses Wissen wird ihm aber zugerechnet. In § 166 I BGB wird also nicht nur allgemein angeordnet, daß der Geschäftsherr, weil er die Vorteile der Arbeitsteilung nutzt, auch die Nachteile zu tragen hat. Vorteil und Nachteil entsprechen sich vielmehr. Die Vorschrift des§ 166 I BGB läßt sich demnach auf ein Bündel vonjeweils für sich überzeugenden Zweckgesichtspunkten stützen. Zu den allgemeinen Gedanken über Herrschaft und Veranlassung und die Verbindung von Vorteil, Interesse und Nachteil treten weitere Wertungsgesichtspunkte: der Vertrauensgedanke, Schilkens Überlegung der Übertragung der Aufgabe des Selbstschutzes, der Gedanke der Verantwortung für Risikoschaffung und der Gedanke der Identität von Vorteil und Nachteil. Diese Wertungsgesichtspunkte stehen nebenein-
122 Wallermann AcP 192 (1992), 181, 197. 123 Staudinger/Dilcher, § 166 Rdnr. 2; Staudinger/Schilken, § 166 Rdnr. 2. 124 Vgl. S. 308 ff. 125 Er rechtfertigt nicht die Zurechnung des privaten, nicht in Ausfiihrung der konkreten Handlung erlangten Wissens der Hilfsperson, vgl. sogleich S. 78 ff. 126 Vgl. zu alldem ausfiihrlich S. 308 ff.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
ander und wirken kombinatorisch als ein bewegliches System i.S. Wilburgs 127 zusammen. § 166 I BGB hat also nicht "eine" einzige ratio legis, sondern "die" ratio legis, die als eine aus mehreren Teilbewertungen resultierende Gesamtbewertung, ein Bündel von Wertungsgesichtspunkten, verstanden werden muß. 128 Sind so die maßgebenden Prinzipien erkannt, lassen sie sich auch für die Rechtsfortbildung nutzbar machen. 129
3. Nachweis der Lücke a) Allgemein Damit eine Lücke hinsichtlich der Zurechnung des Wissens in den Fällen des tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handeins einer Hilfsperson für den Geschäftherm oder der Vorbereitung rechtsgeschäftlicher Erklärungen durch die Hilfsperson besteht, müßten diese Fälle mit der Abgabe oder dem Empfang einer Willenserklärung durch einen Vertreter in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Gesichtspunkten gleichzuachten sein. 130 Hier geht es zunächst nur darum festzustellen, daß die die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson rechtfertigenden Erwägungen über den engen Regelungsbereich des § 166 I BGB hinaus eingreifen können. Die Anforderungen an die Hilfsperson im einzelnen werden erst bei der Lückenausfiillung konkretisiert. 131 In allen Fällen - der Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen von rechtsgeschäftlichem, geschäftsähnlichem und tatsächlichem Handeln der HUfsperson wie auch bei der Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer von der Hilfsperson vorbereiteten rechtsgeschäftliehen Erklärung - geht es um die Zurechnung der Kenntnis einer arbeitsteilig eingesetzten Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, an der sie konkret beteiligt war, die sie durchgefiihrt hat. Stets kann der von Schilken 132 erkannte Gedanke der Übertragung der Aufgabe des Selbstschutzes eingreifen. Eine Hilfsperson, die tatsächlich oder geschäftsähnlich für den Geschäftsherrn handelt, kann wie auch 127 Grundlegend Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, passim, vgl. auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 529 ff. 128 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 538 für das Verständnis der ratio legis einer Norm als bewegliches System und den Gegensatz zwischen "einer" und "der" ratio legis. 129 Bydlinkski, Methodenlehre, S. 538, 540. 130 Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 72 und 78; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. 131 Siehe sogleich S. 77 ff. 132 Schilken, Wissenszurechnung, S. 59 ff.
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eine Hilfsperson, die die Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung vorbereitet, die Aufgabe des Selbstschutzes übernehmen. Auch greift der Gedanke der Verantwortung für die Schaffung eines Risikos bei tatsächlichen und geschäftsähnlichen Handlungen und der Vorbereitung der Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung in gleicher Weise wie bei der Abgabe einer Erklärung durch einen Vertreter ein. Es ist jeweils die Hilfsperson, die dienstlich Wissen erlangt. Auch in den Fällen tatsächlicher und geschäftsähnlicher Handlung für den Geschäftsherrn und der Vorbereitung rechtsgeschäftlicher Erklärungen durch die Hilfsperson kann die Identität von Vorteil und Nachteil bestehen. Schließlich ist auch der Gedanke des Vertrauensschutzes nicht auf die Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung durch eine Hilfsperson beschränkt. Ein Dritter kann darauf vertrauen, daß sich die Rechtsfolgen der geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Handlungen einer nach außen auftretenden HUfsperson aus der Person der Hilfsperson bestimmen. Auch kann ein Dritter darauf vertrauen, daß sich die Rechtsfolgen einer von einer HUfsperson vorbereiteten rechtsgeschäftliehen Erklärung aus der Person dieser Hilfsperson bestimmen, sofern diese nach außen aufgetreten ist. 133 Die die Zurechnung rechtfertigenden Gesichtspunkte fordern im übrigen nicht, daß die Hilfsperson die Handlung allein durchfiihrt. Es genügt, daß sie an einer Handlung beteiligt ist. Die Tatsache, daß die Hilfsperson im direkten Anwendungsbereich des § 166 I BGB eine Willenserklärung für den Geschäftsherrn abgibt, im übrigen eine tatsächliche oder geschäftsähnliche Handlung für den Geschäftsherrn vornimmt oder die Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung vorbereitet, rechtfertigt keine andere Bewertung. Die die Zurechnung rechtfertigenden Gesichtspunkte knüpfen nicht daran an, daß eine Willenserklärung abgegeben wird. Es ist jedoch auf einen Einwand Rabes einzugehen. Dieser wendet sich gegen die allgemeine Geltung der die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson in § 166 I BGB rechtfertigenden Wertungsgesichtspunkte. Er hält Erklärungsansätze, die, wie hier, die Regelung des § 166 I BGB mit dem Innenverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen begründen wollen, für nicht überzeugend. 134 Das Gesetz habe das Prinzip von der sich aus den Vorzügen der Arbeitsteilung ergebenden Verantwortlichkeit für Dritte nicht uneingeschränkt durchgefiihrt. 135 Ein Vergleich mit den §§ 278, 831 BGB zeige, daß der Grund für die uneingeschränkte Haftung für das schuldhafte Handeln des Erfüllungsgehilfen nur darin bestehen könne, daß zwischen dem Schuldner, der für seine
Vgl. zur Vertrauenshaftung ausführlich S. 210 ff. Bösgläubigkeit, S. 75, 76 f. Das Innenverhältnis betreffen der Gedanke der Übertragung des Selbstschutzes, der Risikogedanke und der Gedanke der Identität von Vorteil und Nachteil. 135 Rabe, Bösgläubigkeit, S. 75. 133 134
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Erfüllungsgehilfen hafte, und dem Geschädigten ein Schuldverhältnis besteht. 136 Der Zurechnungsgrund liege also im Außenverhältnis. 137 Für § 166 I BGB liege der Zurechnungsgrund darin, daß der Vertretene durch das Handeln des Vertreters zu einer bestimmten Person zu seinem Vorteil Rechtsbeziehungen anknüpfe.138 Es ist Rabe darin Recht zu geben, daß gegen die hier propagierte allgemeine Geltung des Rechtsgedankens des § 166 I BGB oder dessen mehrfache analoge Anwendung die Tatsache spricht, daß trotz weitgehend identischer W ertungsgesichtspunkte das Gesetz in §§ 278 und § 831 BGB grundsätzlich unterschiedliche Zurechnungsregeln getroffen hat, es also dem Bestehen eines rechtsgeschäftliehen Kontakts für die Zurechnung entscheidende Bedeutung beimißt Dies würde hier dafür sprechen, daß trotz allgemeiner Gültigkeit der der Vorschrift des § 166 I BGB zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkte keine Lücke im nicht-rechtsgeschäftliehen Bereich besteht. Es handelt sich hier um das Problem der Einordnung einer Rechtsfortbildung in das System. 139 Letztendlich wird man die Ausstrahlungswirkung des § 831 BGB jedoch für den Bereich der Kenntniszurechnung nicht für hinreichend stark ansehen, um eine wertungsmäßig generell gerechtfertigte Rechtsfortbildung auf Teilbereiche zu beschränken. Die Vorschrift des § 831 BGB - die gegenüber § 278 BGB unterschiedliche Regelungsanordnung - wird bereits in ihrem direkten Anwendungsbereich als unbefriedigend empfunden. 140 Zwar haben mehrere Reformanläufe bislang nicht zu einer legislatorischen Änderung geführt, doch wird die Vorschrift in der praktischen Rechtsanwendung auf verschiedenen Wegen141 negiert.142 Die hinter § 831 BGB stehende Wertung kann dann jedoch nicht eine wertungsmäßig gerechtfertigte Rechtsfortbildung für den außerrechtsgeschäftliehen Bereich blockieren. Entgegen Rabe ist daher mit den die Regelung des § 166 I BGB rechtfertigenden Wertungsgesichtspunkten eine Lücke für eine Wissenszurechnung im rechtsgeschäftliehen wie im nicht-rechtsgeschäftliehen Bereich festzustellen. Da keine Normen ersichtlich sind, aus denen sich ein argurnenturn e contrario ergibt, besteht also außerhalb des direkten Regelungsbereiches des § 166 I BGB eine Lücke hinsichtlich der Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen zur Be136 Rabe, Bösgläubigkeit, S. 78. 137
Rabe, Bösgläubigkeit, S. 81.
138 Rabe, Bösgläubigkeit, S. 81. 139
Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161 ff.
140 Vgl. S. 159 f. 141 Insbesondere durch eine starke Ausdehnung des Bereichs der vertraglichen und
quasi-vertraglichen Haftung. 142 Vgl. ausfiihrlich S. 160 ff.
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stimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, an der diese selbst beteiligt waren. Die Lücke kann im Wege des Analogieschlusses zu § 166 I BGB oder der Anwendung eines aus dieser Vorschrift abzuleitenden allgemeinen Rechtsgedankens geschlossen werden. Allerdings sind noch die Anforderungen an die Hilfsperson im einzelnen zu konkretisieren. b) Insbesondere Lückenfeststellung bei § 990 BGB Gerade fiir die Vorschrift des § 990 BGB ist die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 166 I BGB jedoch energisch und immer wieder bestritten worden. Die Frage, ob die Kenntniszurechnung bei Besitzerwerb durch Besitzdiener über§ 166 I BGB analog 143 , über§ 831 BGB analog 144 oder differenzierend145, je nachdem ob der Besitzerwerb im Rahmen eines Rechtsgeschäftes, dann § 166 I BGB analog, ansonsten § 831 BGB analog, erfolgt, ist zum /ocus classicus juristischer Konstruktion geworden. Es ist versucht worden, eine Vielzahl geistreicher Argumente durch eine ebenso große Zahl geistreicher Argumente zu widerlegen. Rein numerisch hat sich in der Zwischenzeit eine Mehrheit fiir die Vertreter einer analogen Anwendung des § 166 I BGB ergeben. Ohne auf die Argumente im einzelnen einzugehen, soll hier nur folgendes festgehalten werden. Entscheidend ist, daß die die Zurechnungsanordnung des § 166 I BGB begründenden Erwägungen auch beim Besitzerwerb durch Besitzdiener eingreifen können und die analoge Übertragung der Zurechnungsanordnung, Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson, hilft. 146 Ein Geschäftsherr setzt seine Hilfsperson arbeitsteilig ein, wenn diese fiir ihn Besitz erwirbt. Das Wissen der Hilfsperson soll zur Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten Handlung zugerechnet werden. Auf den Besitzdiener kann mit der Übertragung des Besitzerwerbs auch die Aufgabe des Selbstschutzes übertragen werden. Es kann die Identität von Vorteil und Nachteil bestehen. Bei Einsatz eines Besitzdieners wird das Risiko geschaffen, daß dieser das Wissen erlangt, das der Geschäftsherr bei eigenhändigem Besitzerwerb erlangt hätte. Hat der Eigentümer
143 Vgl. z. B. Staudinger!Gursky, § 990 Rdnm. 43 f.; MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 32; Schi/ken, Wissenszurechnung, S. 270 ff., insb. S. 278 ff.; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 402; Flume, AT Il, S. 875 Fn. 42. 144 Baur/Stürner, Sachenrecht, S. 37, 73; Medicus, BR, Rdnr. 581; Westermann, Sachenrecht, S. 73; ders. JuS 1961, 79, 82. 145 Hönn, JA 1988, 529, 537; nach dem Grad der Selbständigkeit für §§166, 831 BGB unterscheidend Müller, Sachenrecht, Rdnr. 474. 146 Es trifft zu, daß wegen des fehlenden Bezugs auf eine Willenserklärung weder Voraussetzungen noch Rechtsfolge von § 166 I BGB direkt passen (so Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 9); doch geht es eben nicht um eine direkte Anwendung des § 166 I BGB, sondern um eine analoge Anwendung, eine Anwendung der ratio legis.
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mit dem Besitzdiener zu tun, so greift der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ein.1 47 § 831 BGB paßt hingegen weder direkt noch analog. Umstritten ist bereits die deliktsähnliche Natur der Handlung der Hilfsperson bei § 990 BGB, 148 v. a. aber hilft die Rechtsfolge von § 831 BGB auch bei analoger Anwendung nicht weiter. 149 § 831 BGB ordnet eine Haftung für einen rechtswidrig durch eine Hilfsperson verursachten Schaden an, bei § 990 BGB geht es aber um die Frage, ob die Kenntnis einer Hilfsperson erheblich ist. Auch für die Zurechnung des Wissens eines Besitzdieners im Rahmen von § 990 BGB läßt sich also durch eine Analogie zu§ 166 I BGB oder Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift eine Lücke feststellen. So kann letztlich auch der gedankenreiche Beitrag Wilhelms in AcP 183 (1983), I ff. nicht überzeugen. Angeregt durch den "Darlehensfall" 150 hat er sich mit der Frage der Kenntniszurechnung auseinandergesetzt. Die Zurechnung der Kenntnis des Besitzdieners im Rahmen des § 990 I BGB über § 166 I BGB hält er für verfehlt, da sie auf zwei Ungenauigkeiten beruhe. 151 Über § 166 BGB werde dem Vertretenen nicht das Wissen des Vertreters zugerechnet, sondern das Rechtsgeschäft. 152 Zu diesem Rechtsgeschäft sei der Vertreter autorisiert. Zum Schutz des Geschäftspartners werde dann an den Vertreter angeknüpft. 153 Hinter § 166 I BGB stehe eine Interessenwertung: Der Geschäftspartner, der mit einem zu diesem Rechtsgeschäft autorisierten Vertreter kontrahiert, müsse sich darauf verlassen können, daß die Rechtsfolgen in der Gestalt eintreten, wie sie sich aus der Person des mit ihm kontrahierenden Vertreters ergeben. 154 Zu dieser Ungenauigkeit der Verwechslung von Wissenszurechnung und Zurechnung eines Rechtsgeschäfts trete als zweite Ungenauigkeit eine solche in der Anwendung des § 990 BGB hinzu. 155 Der BGH schließe aus der Bösgläubigkeit des Besitzdieners auf den Mangel der Gutgläubigkeit des Besitzherrn und wiederum von diesem Mangel der Gutgläubigkeit auf die Bösgläubigkeit desselben. 156 Richtig sei es zwar, § 166 I BGB auf § 932 BGB anzuwenden. Der gutgläubige Erwerb nach§ 932 BGB sei der gutgläubige Erwerbkraft eines 147 Dies wird freilich selten der Fall sein. 148 Schilken, Wissenszurechnung, S. 288 f. 149 So auch Staudinger/Gursky, § 990 Rdnr. 42. 150 BGHZ 83, 293. 151 AcP 183 (1983), 1, 17 ff. 152 AcP 183 (1983), 1, 19. 153 AcP 183 (1983), 1, 19. 154 AcP 183 (1983), 1, 18. 155 AcP 183 (1983), 1, 19 f. 156 AcP 183 (1983), 1, 20.
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im guten Glauben vorgenommenen Rechtsgeschäftes. Und fiir diesen Erwerb sei -unter Meidung des Zurechnungs-, in Anwendung des gesetzlichen Gedankens - in betreff der Person des rechtsgeschäftlich handelnden Vertreters zu sagen, daß sie bösgläubig ist und deshalb keinen Erwerb kraft gutgläubig abgeschlossenen Rechtsgeschäftes vermitteln kann, und sei in betreff der Person des Vertretenen nicht etwa zu sagen, daß sie bösgläubig ist und deshalb nicht erwerben kann, sondern daß es fiir sie an einem rechtsgeschäftlich betätigten guten Glauben fehlt. 157 Wie dies fiir den gutgläubigen Erwerb des Eigentums nach § 932 BGB gelte, gelte es auch fiir den gutgläubigen Erwerb der zu § 932 BGB ohnehin parallelen (siehe § 988 BGB und §§ 932, 816 I 2 BGB) minderen Rechtspositon der Privilegierung nach §§ 987 ff. BGB (§ 993 I 2. Hs. BGB). 158 Soweit gehe die Gleichung. Dem BGH aber unterlaufe eine Vermischung der Merkmale der Gut- und Bösgläubigkeit. 159 Bei der Anwendung des § 990 BGB gehe es um eine zusätzliche quasi-vertragliche Geschäftsfiihrerhaftung und in deren Rahmen insbesondere um die Anwendbarkeit des§ 278 BGB. Für diese Haftung reiche es nun aber keineswegs aus, dem Besitzer die Berufimg auf seine Redlichkeit und damit das Privileg des redlichen Besitzers zu versagen. Es müsse der böse Glaube des Eigentümers positiv hinzutreten. 160 Nach Wilhelms Verständnis führt§ 166 BGB nur in zweierlei Hinsicht zu einer Belastung des Vertretenen infolge des Wissens des Vertreters. 161 Im Verhältnis zum Geschäftspartner und zum Zweck seines Schutzes fülle die Vorschrift die mit dem autorisiert handelnden Stellvertreter getroffene rechtsgeschäftliche Regelung, abstrahiert vom Innenverhältnis, mit denjenigen Rechtsfolgen auf, die sich in Anknüpfung an das Wissen oder Wissenmüssen des Vertreters ergeben. Im Verhältnis zu Dritten würden dem Vertretenen bei Wissen des Vertreters solche ihm günstigen Rechtsfolgen vorenthalten, fiir deren Eintritt zu Lasten des Dritten es eines gutgläubigen rechtsgeschäftliehen Agierens bedürfe. § 166 BGB sei demgegenüber keine Grundlage dafiir, daß im Verhältnis zu einem Dritten, dem gegenüber gar nicht agiert wurde und demgegenüber auch keine Autorisation zu dem rechtsgeschäftliehen Agieren eines Vertreters bestand, vermittels des Agierens eines Vertreters fiir den Geschäftsherrn eine rechtsgeschäftliche Haftung begründet wird. Da es aber nach dem Verständnis von Wilhelm bei § 990 BGB um eine solche rechtsgeschäftliche Haftung geht, lasse sich schon fiir Besitzdiener, die zusätzlich als Stellvertreter das Erwerbsgeschäft über die einem Dritten gehörende Sache abschließen, erst recht aber
AcP 183 (1983), 1, 20 f. AcP 183 (1983), 1, 21. 159 AcP 183 (1983), 1, 21 f. 160 AcP 183 (1983), 1, 22. 161 AcP 183 (1983), 1, 24.
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für nur als Besitzdiener Handelnde eine Zurechnung des bösen Glaubens an den Besitzherrn zur Begründung der Haftung aus § 990 BGB gegenüber dem Eigentümer nicht rechtfertigen.I62
In Anbetracht des Charakters der Haftung nach § 990 BGB und ebenso nach § 819 BGB als rechtsgeschäftlicher Haftung seien die Grenzen der Anwendbarkeit von § 166 I BGB im Prinzip klar gesteckt. Diese Haftung müsse sich als Rechtsfolge eines von einem dazu autorisierten Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäfts mit dem Leistenden qualifizieren lassen.' 63 Wilhelms Ablehnung der generellen Wissenszurechnung bei § 990 BGB beruht entscheidend auf seinem Verständnis der Vorschrift als rechtsgeschäftlicher Haftung. Diese Auffassung wird hier nicht geteilt. § 990 BGB begründet keine zusätzliche Verpflichtung für den bösgläubigen Besitzer, sondern nimmt dem nicht gutgläubigen Besitzer eine Privilegierung 164 , weil dieser nicht den Schutz verdient, den das Gesetz dem Gutgläubigen gewährt. Auch so ist allerdings noch fraglich, ob man mit Wilhelm bei § 990 BGB zu einer Wissenszurechnung kommen würde. Wilhelm erörtert nämlich nur den direkten Anwendungsbereich des§ 166 I BGB. Bei§ 990 BGB geht es aber nicht darum, dem Vertretenen bei Wissen seines Vertreters solche ihm günstigen Rechtsfolgen vorzuenthalten, für deren Eintritt zu Lasten des Dritten es eines gutgläubigen rechtsgeschäftliehen Agierens bedarf- dies ist die generelle Belastung, zu der es nach Wilhelm gegenüber jedem Dritten kommt-, sondern um das Vorenthalten solcher günstiger Rechtsfolgen, für deren Eintritt zu Lasten des Dritten es eines gutgläubigen tatsächlichen Agierens bedarf. Ob insofern eine Analogie möglich ist, wird von Wilhelm nicht diskutiert. Im übrigen hätte Wilhelm auf der Basis seiner Konzeption - des Verständnisses der Vorschrift des§ 166 I BGB als einer Vorschrift über die Zurechnung eines Rechtsgeschäfts und nicht der Wissenszurechnung - auch erwägen müssen, ob analog § 166 I BGB eine Tathandlung einer Hilfsperson so zugerechnet werden kann, wie sie sich in der Person der Hilfsperson darstellt (dies wäre also eine Analogie zur ersten Form der Belastung gegenüber dem Geschäftspartner). Bei der Erörterung der Rechtsähnlichkeit hätte er dann erwägen können, ob die Tatsache, daß der Vertreter zur Abgabe der Willenserklärung gegenüber dem Dritten autorisiert ist, die Rechtsähnlichkeit mit z. B. Tathandlungen einer Hilfsperson ausschließt. Auch bei Tathandlungen wird aber die Hilfsperson ggf. 162 AcP 183 (1983), 1, 24. 163 AcP 183 (1983), 1, 30. 164 An dieser grundsätzlichen Einordnung ändert sich nichts durch die Tatsache, daß der bösgläubige Besitzer über §§ 990, 989, 278 BGB ggf. strenger haftet als nach allgemeinem Deliktsrecht Dies ist Konsequenz der mißglückten Regelung des§ 831 BGB.
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autorisiert sein, gegenüber dem Dritten zu agieren. Andererseits ist der Vertreter mit Generalvollmacht nicht konkret fiir die Abgabe einer Willenserklärung gegenüber einem bestimmten Dritten autorisiert. Der Unterschied zur überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, die in § 166 I BGB eine Vorschrift über die Wissenszurechnung sieht, wäre, wenn eine Tathandlung so zugerechnet werden könnte, wie sie sich in der Person der Hilfsperson darstellt, ein lediglich semantischer. Wegen der Beschränkung lediglich auf den direkten Anwendungsbereich des § 166 I BGB muß Wilhelms Konzeption zu kurz greifen.t6S
II. Lückenausfüllung Obwohl die Notwendigkeit einer analogen Anwendung des§ 166 I BGB oder der Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift in den Fällen des tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handeins und der Vorbereitung der Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung durch die Hilfsperson fiir den Geschäftsherrn fast allgemein anerkannt ist, 166 bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede in Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs der Zurechnung. Letztendlich gehen diese Unterschiede auf unterschiedliche Formulierungen der ratio legis, also des Grundes der Regelung, zurück. Es ist eine Frage lediglich der terminologischen Zweckmäßigkeit, ob man § 166 I BGB in allen Fällen des tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handeins einer Hilfsperson fiir den Geschäftsherrn und bei der Vorbereitung der Abgabe einer rechtsgeschäftliehen Erklärung durch eine Hilfsperson fiir den Geschäftsherrn analog anwendet oder von der Geltung eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgedankens ausgeht. Da Wissen einer handelnden Hilfsperson generell fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung zugerechnet wird, an der sie beteiligt war, ist es zweckmäßiger, von einem allgemeinen Rechtsgedanken als von mehreren Analogieschlüssen zu sprechen.167
165 Allerdings ist Wi/he/m zuzubilligen, daß bei seinem Verständnis der Vorschrift des § 990 BGB eine Analogie nicht weitergeholfen hätte, da er in ihr eine rechtsgeschäftliche Haftungsnorm sieht, mithin § 166 I BGB im Prinzip direkt anwendbar ist. Bei Beschränkung auf die Wissenszurechnung bei § 990 BGB sind seine Ausführungen daher konsequent. 166 Vgl. S. 50 ff. 167 Im folgenden ist gleichwohl weiter auch von der Analogie zu § 166 I BGB die Rede, um zu verdeutlichen, daß eine solche zu denselben Ergebnissen wie die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens führen würde.
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1. Die Rechtsfolge, insbesondere nur dienstlich erlangtes oder auch privates Wissen Zilllächst soll der Umfang der Zurechnilllg über § 166 I BGB analog oder den aus dieser Vorschrift abzuleitenden Rechtsgedanken, also die Rechtsfolge diskutiert werden. a) Der Meinilllgsstand Vielfach wird vorgeschlagen, die Zurechnilllg des Wissens sonstiger für den Geschäftsherrn tätiger Hilfspersonen auf das während der konkreten Handlilllg erworbene, dienstliche Wissen zu beschränken. In diesem Sinn kann die vom BGH im "Darlehensfall" 168 im Anschluß an Richardi 169 aufgestellte Formel interpretiert werden, daß der Geschäftsherr sich das im Rahmen der zur Erledigilllg übertragenen Aufgaben erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muß. 170 Allerdings befürwortet der BGH auch immer noch eine Analogie zu § 166 I BGB, ohne diese Analogie auf das dienstliche Wissen zu beschränken.171 Die Formel des BGH im "Darlehensfall" 172 illlterstützt auch Waltermann. 173 Dies spricht dafür, daß Waltermann lediglich dienstlich erlangtes Wissen zurechnen möchte. Andererseits diskutiert er die analoge Anwendilllg des § 166 I BGB, ohne eine Einschränkilllg der Rechtsfolge zu erörtern. 174 Die Formulierung Raisers 175, daß jemand, der sich im Rechtsverkehr fremder Hilfe bediene illld die Wirkilllg fremden Handeins für sich in Anspruch nehme, auch die Nachteile daraus in Kauf nehmen müsse illld sich nicht der eigenen sauberen Hände rühmen dürfe, wenn andere sie sich für ihn schmutzig gemacht haben, ist doppeldeutig. Für eine Beschränkilllg der Zurechnilllg auf dienstliches 168 BGHZ 83, 293. 169 AcP 169 (1969), 385, 403. Es wird nicht ganz deutlich, ob Richardi nur das dienstlich erlangte Wissen zurechnen möchte. Einerseits erklärt er, daß derjenige, der einen anderen mit Entscheidungsgewalt betraut, um sich über ihn am Rechtsverkehr zu beteiligen, auch dessen Willensmängel und Kenntnisse gegen sich gelten lassen muß (AcP 169 (1969), 385, 397). Dies spricht für eine Zurechnung auch des privaten Wissens. Andererseits formuliert er, daß jemand, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen müsse (so die Formulierung des Prinzips der Wissensvertretung; vgl. Richardi, AcP 169 (1969), 385, 403). 170 BGHZ 83,293,296. 171 s. 0. s. 50 ff. 172 BGHZ 83, 293. 173 AcP (192) 1992, 181, 198. 174 AcP(l92) 1992,181,198 ff. 175 JZ 1961, 26, 27.
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Wissen spricht die "Hände-Metapher", für eine Zurechnung auch des privaten Wissens der Hinweis, daß derjenige, der die Vorteile fremden Handeins für sich in Anspruch nehme, auch die Nachteile tragen müsse. Richardi, Waltermann, Raiser und der BGH können also nicht als eindeutige, wohl aber mögliche Verfechter einer auf das dienstliche Wissen beschränkten Zurechnung angesehen werden. Eindeutig für eine Beschränkung auf im Rahmen des Geschäftskreises des Gehilfen erlangtes Wissen spricht sich Taupitz 176 bei der analogen Anwendung des § 166 I BGB aus. Die Zurechnung auch des privaten Wissens der für den Geschäftsherrn handelnden Hilfsperson sieht Taupitz zwar in § 166 I BGB für den Bereich der Stellvertretung verwirklicht und hält dies für sachlich richtig. 177 Eine Einschränkung möchte Taupitz jedoch für den Fall des Überschreitens des direkten Anwendungsbereiches von § 166 BGB machen, also bei "Repräsentanten" oder "Wissensvertretem", die nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen seien, im Rechtsverkehr für ihn bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen. 178 Dabei komme es nicht so sehr auf die "eigenverantwortliche Erledigung" bestimmter Aufgaben an, sondern darauf, ob der Gehilfe gerade zur Aufnahme und Weiterleitung von Informationen bestimmt sei. Es sei dann aber nur konsequent, grundsätzlich nur dasjenige Wissen zuzurechnen, das der Gehilfe im Rahmen seines Geschäftskreises erlangt habe, während die Zurechnung eines bloß bei anderer Gelegenheit erlangten Wissens in der Regel ausscheide. 179 Für den Verhandlungsgehilfen fordert Medicus 180 die Beschränkung auf die Zurechnung von bei Gelegenheit der Ausführung der Tätigkeit erlangtem Wissen. Die Wissenszurechnung könne nicht vom Geschäftskreis gelöst werden, für den der Gehilfe zuständig sei. Ähnlich wie nach § 44 VVG scheide daher eine Zurechnung eines bloß bei anderer Gelegenheit erlangten Wissens aus. 181 Auf das dienstlich erworbene Wissen will Lorenz 182 bei der analogen Anwendung von § 166 I BGB auf § 990 BGB die Zurechnung beschränken. Die ratio des § 166 I BGB greife nicht, wenn der gute Glaube des Besitzherrn auch dann bestanden hätte, wenn er den Besitz persönlich erworben hätte. Die Zurechnung
Karlsruher Forum 1994, 16, 25. Karlsruher Forum 1994, 16,24 f. 178 Karlsruher Forum 1994, 16, 25. 179 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 25. BGHNJW 1984,1953,1954. 18 Karlsruher Forum 1994,4, 11. 181 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 11. 182 JZ 1994, 549, 552. 176
177
°
Taupilz
bezieht
sich
auf
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des Wissens des Besitzdieners beruhe nicht allein auf der Arbeitsteilung, sondern auf der (typisierten) Kausalität zwischen der Arbeitsteilung und dem guten Glauben des Besitzherm. 183 Mit einer interessanten Begründung kommt Tintelnot 184 zur Zurechnung nur des dienstlich erlangten Wissens. § 166 I BGB stelle hinsichtlich der Kenntnis auf die Position des Vertreters (Positivgrundsatz) und nur auf diese (Negativgrundsatz) ab. Damit verändere sich der Umfang des abstrakt zu tragenden "Kenntnisrisikos" gegenüber einem Eigengeschäft des Vertretenen nicht. Es beschränke sich auf die Bewußtseinslage einer einzigen natürlichen Person. Der Negativgrundsatz werde durch § 166 II BGB durchbrochen. Erst in Treuwidrigkeitsfallen mute das Gesetz kumulativ die Beachtlichkeit des vollen Kenntnisrisikos von Vertreter und Vertretenem zu. 185 Tintelnot führt weiter aus, daß es einer entsprechenden Anwendung des § 166 I BGB bedürfe, solle sich nicht das Mindestkenntnisrisiko für den Betroffenen, wie es Abs. I für Vertretergeschäfte zuweise und damit für Eigengeschäfte voraussetze, durch weitere Arbeitsteilung vermindern. 186 So bedürfe es einer entsprechenden Anwendung des § 166 I BGB bei Vorbereitung eines Vertrages durch einen Verhandlungsgehilfen, sonst gingen bei jeder Vorbereitung eines Vertrages durch Verhandlungsgehilfen wesentliche Kenntnisse an dem letztlich Erklärenden vorbei. Ein entsprechender Unkenntnisschutz wäre nicht gerechtfertigt. Die Rechtsprechung habe deshalb § 166 I BGB den allgemeinen Rechtsgedanken entnommen, daß "... -unabhängig von einem Vertretungsverhältnis- derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen sich zurechnen lassen"187 muß. Sie fiille sozusagen den Kenntnisstand des Erklärenden auf den von § 166 I BGB vorausgesetzten Umfang auf, den er ohne Einschaltung von Hilfspersonen hätte. Das erkläre, warum hier nur das "in diesem Rahmen erlangte Wissen" zugerechnet werde. § 166 I BGB würde es nicht decken, das Kenntnisrisiko deshalb um die vollen Vorkenntnisse weiterer Personen zu erhöhen. Terminologisch lasse sich das zum Ausdruck bringen, indem man bloße "Zusammenhangs-Kenntnis", um die es bei dieser Analogie gehe, von umfassender "Vor-Kenntnis" unterscheide, d. h. dem im eigentlichen Bereich des § 166 BGB gemeinten vollen Wissensstand einer Person, der jede Zusammenhangskenntnis mit umfasse. "Zusammenhangs-Kenntnis" sei alles Wissen, das eine Person im Rahmen einer (intendierten) rechtsgeschäftliehen Beziehung er-
183 JZ 1994, 549, 552. 184 JZ 1987, 795 ff. 185 Tinte/not, JZ 1987, 795, 796. 186 Tinte/not, JZ 1987, 795, 796. 187 Tinte/not, JZ 1987, 795, 796, zitiert den "Darlehensfall", BGHZ 83, 293, 296.
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langt hat oder doch erlangt hätte, wenn ihr die fraglichen Umstände nicht bereits vorher bekannt gewesen wären. 188 Eine mindestens ebenso große Gruppe in der Literatur spricht sich, in der Regel ohne weitere Begründung, für die Zurechnung des gesamten Wissensstandes der handelnden Hilfsperson aus. 189 b) Methodische Erwägungen Wie gesehen, schreibt § 166 I BGB die Zurechnung des gesamten Wissens des Vertreters, also sowohl des dienstlichen wie des privaten Wissens vor. Schon aus methodischen Griinden ist es bei der Einzelanalogie bedenklich, die Rechtsfolge nur teilweise zu übertragen. Dies gilt auch für die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus einer einzelnen Vorschrift, da insofern große Ähnlichkeit zur Einzelanalogie besteht. Aus methodischen Griinden scheint es daher zwingend, auch das private Wissen der Hilfspersonen zuzurechnen. c) Die ratio legis Trotz dieses eindeutigen methodischen Arguments könnten sich jedoch zwingende Wertungsgesichtspunkte ergeben, die Wissenszurechnung aufgrund des aus § 166 I BGB zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens auf die Zurechnung dienstlich erlangten Wissens zu beschränken. So könnte die Erheblichkeit des privaten Vertreterwissens ein Spezifikum der Stellvertretung oder möglicherweise überhaupt nicht begründbar sein. In letzterem Fall wäre gar zu
Tinte/not, JZ 1987, 795, 796 f. Schilken, Wissenszurechnung, S. 301 befiirwortet die analoge Anwendung von § 166 I BGB. Eine Beschränkung auf lediglich dienstlich erlangtes Wissen ergibt sich nicht. Da Grunewald, FS Beusch, S. 301 ff. darauf abstellt, daß der Vertragspartner die Zurechnung des Wissens der Hilfsperson erwartet, mit der er es zu tun hat, unterscheidet sie nicht nach der Quelle des Wissens. Schlicht das Wissen des Besitzdieners wollen Reinhardt, GS R. Schmidt, S. 115, 121, Wetze/, Zurechnung, S. 40, 66 und Rabe, Bösgläubigkeit, S. 70 ff. zurechnen. Auch Ho.ffmann, JZ 1969, 372, 373; Häsemeyer, JuS 1984, 176, 179, Möller, WuR 1938, 5, 13 (für den Wissenserklärungsvertreter), Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 113 (für den Verrnittlungsagenten) und S. 119 ff. (für den Besitzdiener) und Vo/ker Behrens, Drittzurechnung, S. 30 f. (für den Wissenserklärungsvertreter) gehen von der Zurechnung des gesamten Wissens aus. Auch in der Kommentarliteratur wird nicht nach dienstlichem und privatem Wissen differenziert, vgl. Palandt/Heinrichs, § 166 Rdnm. 6 f. , MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnm. 22 ff., Soergel/Leptien, § 166 Rdnm. 4 ff. 188
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erwägen, ob § 166 I BGB in seinem direkten Anwendungsbereich teleologisch reduziert werden muß.190 Wie gesehen, besteht Einigkeit dahingehend, daß dem Geschäftsherrn zumindest das dienstlich erlangte Wissen der handelnden Hilfsperson zugerechnet werden muß. Für die Frage, ob privates Wissen zugerechnet werden kann, ist von der ratio legis des § 166 I BGB, d. h. den dieser Vorschrift zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkten auszugehen. Geht man vom Risikogedanken aus, also der Überlegung, daß der Vertretene sich durch Einsatz einer Hilfsperson der Möglichkeit begibt, selbst von bestimmten Umständen Kenntnis zu nehmen, so kommt man zu einer Zurechnung lediglich des dienstlich erlangten Wissens.1 91 Für die Zurechnung des dienstlichen und privaten Wissens sprechen aber die anderen Wertungsgesichtspunkte, so der Vertrauensgesichtspunkt in den Fällen, in denen der Dritte es mit der Hilfsperson zu tun hat. Der Vertrauensgedanke greift, wie bereits gesehen, insbesondere ein, wenn der Dritte den Bewußtseinsstand der Hilfsperson kennt. 192 So wird ein Verkäufer den Verhandlungsgehilfen des Käufers nicht über die Mängel der Kaufsache aufklären, von denen der Verkäufer weiß, daß sie der Verhandlungsgehilfe kennt. Er vertraut darauf, daß das gesamte Wissen der Hilfsperson in die Vorbereitung der Erklärung einfließt. Aber auch wenn dem Verkäufer der Bewußtseinstand des Verhandlungsgehilfen nicht genau bekannt ist, orientiert er sich doch an diesem für die Erklärung. Dieser ist seine Bezugsperson. Das oben angefiihrte Argument der Identität von Vorteil und Nachteil spricht für eine vollständige Zurechnung. Der Geschäftsherr nutzt das gesamte Wissen der Hilfsperson. Zu diesem Ergebnis kommt man auch mit Schilken193. Die Hilfsperson erfüllt die ihr übertragene Aufgabe des Selbstschutzes mit ihrem gesamten Wissen. Dieses ist dann auch zuzurechnen. Ein Konflikt zwischen den verschiedenen die ratio legis des § 166 I BGB bildenden Wertungsgesichtspunkten ist sicher nicht rein numerisch zu lösen. Die Entscheidung ist vielmehr wertend aus dem beweglichen System zu treffen. Der Vertrauensgedanke, der Gedanke der Übertragung der Aufgabe des Selbstschutzes und der Gedanke der Identität von Vorteil und Nachteil fordern die Zurechnung auch des privaten Wissens der handelnden Hilfsperson. Der Risi-
190 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 210 ff. 191 Vgl. hierfiir ausfuhrlieh S. 308 ff. 192 Vgl. oben S. 67 f. 193 Wissenszurechnung, S. 51 ff.
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kogedanke hingegen fordert zwar nicht die Zurechnung des privaten Wissens, er verbietet sie aber auch nicht. Aus dem Zusammenspiel der einzelnen Wertungsgesichtspunkte und dem methodischen Gesichtspunkt, der die Zurechnung des gesamten Wissens fordert, ergibt sich daher die Notwendigkeit der Zurechnung auch des privaten Wissens der handelnden Hilfsperson. 194 d) Analoge Anwendung auch des Negativgrundsatzes Bei analoger Anwendung des § 166 I BGB oder Ableitwlg eines allgemeinen Rechtsgedankens kommt es selbstverständlich nicht nur zur Übertragung der positiven Regelungsanordnung, sondern auch zur Übertragung der negativen Regelungsanordnung. Das Wissen des Geschäftsherrn ist für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung der Hilfsperson nur relevant, sofern ein Fall des § 166 II BGB (analog) vorliegt. 195 Bereitet ein Verhandlungsgehilfe eine Erklärung vor, und wird diese dann von einem Vertreter abgegeben, so ist Wissen
Deshalb kann auch die Argumentation Tinte/nots (JZ 1987, 795, 796 f.) letztlich nicht überzeugen. Zunächst ist festzuhalten, daß Tintelnots beschränkte HilfspersonenKenntniszurechnung selbst auf der Basis seiner eigenen Argumentation nur für den Verhandlungsgehilfen gelten kann (So belegt auch Tintelnot seine These nur mit dem Beispiel eines Verhandlungsgehilfen JZ 1987, 795, 796). In anderen Fällen willenserklärungsunabhängiger Beachtlichkelt der Kenntnisse Dritter, so wenn die Hilfsperson für den Geschäftsherrn eine geschäftsähnliche oder tatsächliche Handlung vornimmt, kommt es bei Zurechnung des gesamten Wissens der Hilfsperson über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB nicht zu einer Erhöhung des Kenntnisrisikos, da über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB hinsichtlich der Kenntnis allein auf die Person des Vertreters (Positivgrundsatz) und nur auf diese (Negativgrundsatz) ankommt. Die Kenntnis des Geschäftsherrn bleibt in diesen Fällen entsprechend § 166 I BGB außer Betracht (vgl. sogleich im Text unter d). Bei Zurechnung des dienstlichen und privaten Wissens des Verhandlungsgehilfen über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB und Erheblichkeit des Wissens des Geschäftsherrn, da dieser die Erklärung abgibt, kommt es in der Tat, obwohl kein Treuwidrigkeitstatbestand vorliegt, zu einer Erhöhung des abstrakten Kenntnisrisikos. Dieses rechtfertigt sich aber durch die hier angeführten, § 166 I BGB zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkte. Ebensowenig überzeugt die These von Lorenz (JZ 1994, 549, 552). § 166 I BGB beruht nicht auf einer typisierten Kausalität zwischen Arbeitsteilung und gutem Glauben des Geschäftsherrn, sondern ordnet aufgrund einer Reihe von Wertungen eine Wissenszurechnung an. Der von Medicus (Karlsruher Forum 1994, 4, 11) geforderte Bezug auf den Geschäftskreis, für den die Hilfsperson zuständig ist, ergibt sich schon aus der Voraussetzung des Einsatzes der Hilfsperson durch den Geschäftsherrn und das Handeln im Rahmen der Aufgabe (dazu sogleich unter 2). 19 5 Vgl. zur Rechtsfortbildung auf der Basis von§ 166 II BGB S. 127 ff. 194
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des Geschäftsherrn für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Erklärung nur zuzurechnen, sofern er den Vertreter (§ 166 II BGB direkt) oder den Verhandlungsgehilfen (§ 166 II BGB analog) angewiesen hat. Allerdings wird sich die Übertragung auch des Negativgrundsatzes in zwei Hauptfällen der analogen Anwendung des § 166 I BGB oder der Anwendung eines aus dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens nicht auswirken. So schadet bei § 819 I BGB Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes bei Leistungsempfang (1. Alt.), aber auch spätere Kenntnis (2. Alt.). Folglich ist bei Leistungsempfang durch eine Hilfsperson die Kenntnis des Geschäftsherrn nur über § 166 II BGB analog zuzurechnen. Die spätere Kenntnis des Geschäftsherrn schadet dann aber, ohne daß gehandelt werden müßte. Nach § 990 I 1 BGB schadet Bösgläubigkeit bei Besitzerwerb. Kenntnis des Besitzers, des Geschäftsherrn, schadet bei Besitzerwerb durch Besitzdiener nur analog § 166 II BGB. Nach § 990 I 2 BGB schadet dann aber Kenntnis des Besitzers, des Geschäftsherrn, während der Besitzinnehabung, ohne daß gehandelt werden müßte.
2. Einsatz durch den Geschäftsherrn und Handeln im Rahmen der Aufgabe Im folgenden sollen die Voraussetzungen einer möglichen Zurechnung über § 166 I BGB analog oder einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedanken diskutiert werden. Voraussetzung für die Zurechnung ist zunächst, daß die Hilfsperson vom Geschäftsherrn mit der Erledigung einer Aufgabe betraut wird, sie muß also von ihm eingeschaltet werden. Dies wird aus allen Formulierungen der ratio legis in Rechtsprechung und Literatur deutlich. Häsemeyer 196 und Waltermann 197 haben darauf hingewiesen, daß daraus gleichsam negativ folgt, daß eine Zurechnung nur dann in Betracht kommt, wenn sich die Hilfsperson im Rahmen der ihr übertragenen Aufgabe hält. Dies überzeugt. Für die akzessorische Zurechnung nach § 166 I BGB muß sich der Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht halten, da nur dann die Zurechnung über § 164 BGB erfolgt. Auch bei analoger Anwendung der Vorschrift oder Zurechnung über einen aus ihr abgeleiteten Rechtsgedanken muß sich die Hilfsperson daher im Rahmen der Aufgaben halten, für die sie eingesetzt wurde. Wie bei der Stellvertretung wird eine Zurechnung durch ein Überschreiten des rechtlichen "Dürfens" im Innenverhältnis aber nicht gehindert.l 98
JuS 1984, 176, 179. AcP 192 (1992), 181 , 198 f. 198 Vgl. für die Stellvertretung z. B. Larenz, AT, S. 599, 614. 196
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3. Stellvertretergleiche Stellung Umstritten ist bei der analogen Anwendung des § 166 I BGB und bei der Zureclmung über den auf der Basis dieser Bestimmung entwickelten allgemeinen Rechtsgedanken, inwieweit der Hilfsperson eine "stellvertretergleiche" Stellung zukommen muß. Zum einen geht es dabei darum, welches Maß an Eigenverantwortlichkeit die Hilfsperson haben muß, zum anderen darum, ob sie für den Geschäftsherrn handelnd nach außen aufgetreten sein muß. a) Eigenverantwortlichkeit In Literatur 199 und Rechtsprechung200 wird zumeist für die analoge Anwendung des § 166 I BGB oder für die Anwendung des aus dieser Vorschrift entwickelten Rechtsgedankens gefordert, der Hilfsperson müsse bei der übertragenen Aufgabe eine gewisse Eigenverantwortlichkeit wie einem Stellvertreter eingeräumt sein. Im Schrifttum finden sich jedoch auch zahlreiche Stimmen, die dieses Erfordernis für überflüssig halten. Nach Waltermann201 kommt es auf eine Eigenverantwortung im Sinn einer eigenen Entscheidungsgewalt nicht an. Entscheidend sei nur, daß gerade die Möglichkeit der Kenntniserlangung auf die Hilfsperson verlagert werde. Ob die Hilfsperson befugt sei, aus erlangten
19 9 MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnrn. 23, 23 a; Soergel/Leptien, § 166 Rdnr. 6. Schilken, Wissenszureclmung, S. 301 verlangt eine eigenverantwortliche Prüfungs- und Entscheidungskompetenz, Richardi, AcP 169 (1969), 385, 401 f. eine Betrauung mit Aufgaben in eigener Verantwortung. Eine gewisse Eigenständigkeit verlangt auch Grunewald, FS Beusch, S. 301 , 313, da diese den Verhandlungsfiihrer zum Bezugspunkt des Vertrauens mache. Nach Raiser, JZ 1961, 26, 27 muß der Gehilfe beim Besitzerwerb wie ein rechtsgeschäftlicher Vertreter nicht in einen schematischen Organisationsablauf starr eingegliedert, sondern vielmehr im "Rahmen einer zur freien Entscheidung zugewiesenen Tätigkeit" selbständig zu handeln berufen sein. Gursky, Staudinger/Gursky, § 990, Rdnrn. 43 f. erklärt, die Hilfsperson müsse eine vertretergleiche Stellung haben, also zu selbständigem Handeln berufen und mit freier Entscheidungsgewalt ausgestattet sein. Auch Reinhardt, GS R. Schmidt, S. 115, 118 ff. und 124 verlangt die Übertragung eigener Entscheidungsbefugnis und Verantwortung. Rabe, Bösgläubigkeit, S. 168 will über§ 166 I BGB nur das Wissen solcher HUfspersonen zureclmen, die "funktionsbedingte Erfiillungsgehilfen" sind, d. h. auf Grund eines Vertretungs- bzw. älmlichen Verhältnisses an die Stelle des Obliegenheitsbelasteten getreten sind. Hoffmann , JZ 1969, 372, 373 verlangt eine gewisse Selbständigkeit der Hilfsperson. Häsemeyer, JuS 1984, 176, 179 setzt eigene Befugnisse der Hilfsperson zur selbständigen Erledigung voraus. Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 122 verlangt ebenfalls eine vertretergleiche Stellung. zoo Siehe oben die Entscheidungen S. 50 ff. 20 1 Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 200.
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Kenntnissen eigenverantwortlich weitere Konsequenzen zu ziehen, sei hingegen unerheblich, wenn man§ 166 BGB, um dessen analoge Anwendung es gehe, als Ausdruck eines auf den Gedanken der Risikozuweisung zurückgehenden Zurechnungsprinzips auffasse. Für die Verteilung des Risikos sei entscheidend, daß der Geschäftsherr in seinem Interesse die Möglichkeiten arbeitsteiligen Handeins nutzt und er es ist, der die damit zusammenhängenden Gefahren am ehesten beherrscht.202 Die Formulierung, daß derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen zurechnen lassen müsse, hält Medicus für widersprüchlich. 203 Wenigstens ein Rechtsgeschäft könne einem anderen kaum wirklich zur Erledigung übertragen werden, wenn ihm nicht auch Vollmacht erteilt werde. Richtig sei es, auf die Pflicht zur Kenntnisnahme von Informationen und deren Weiterleitung abzustellen,204 auf die Erledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung komme es hingegen nicht an. 205 Taupitz206 hat sich Medicus angeschlossen. Lediglich auf die Selbständigkeit beim Akt der Kenntnisnahme stellt auch M. Schultz207 ab. Beim Besitzerwerb durch Besitzdiener will Wetze! analog § 166 I BGB dem Besitzherrn das Wissen jedes Besitzdieners zurechnen. 208 Sie lehnt eine Unterscheidung zwischen "Stellvertreter-" und "botenähnlichen" Besitzdienern ab. Eine solche Einschränkung lasse sich nicht aus § 166 I BGB entnehmen, da auch das Wissen eines "Vertreters mit gebundener Marschroute" zugerechnet werde.209 Auch nach Lorenz 210 soll es auf eine besonders unabhängige Stellung des Besitzdieners Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 200 f. Kar1sruher Forum 1994,4, 10. 204 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 10 bezieht sich aufBGH NJW 1984, 1953. 205 Medicus, Kar1sruher Forum 1994,4, 10. 206 Karlsruher Forum 1994, 16, 25. 207 NJW 1990,477,479. 208 Wissenszurechnung, S. 53 f. Das Wissen höherer, nicht selbst den Besitzerwerbstatbestand der §§ 854, 855 BGB durchfUhrender Hilfspersonen sei zuzurechnen, wenn diese arbeitsteilig in Bezug auf den Besitzerwerb tätig geworden seien (S. 74 ff.). Im Rahmen von § 990 I 2 BGB will Wetze/ dem Geschäftsherrn über § 166 I BGB nur die nachträglich erlangte Kenntnis solcher Hilfspersonen zurechnen, die den Geschäftsherrn in der Besitzinnehabung repräsentieren (S. 84). Auf die Besitzinnehabung fiir einen Geschäftsherrn kommen die Grundsätze über die Zurechnung des Wissens einer an der Handlung unbeteiligten Hilfsperson zur Anwendung. Die Besitzinnehabung ist nämlich keine Handlung in dem Sinn, daß sie Rechtsfolgen auslösen würde. Es besteht insofern eher eine Verwandtschaft zu § 852 BGB (zu diesem Problem daher unten s. 92 ff.). 209 Zurechnung, S. 53 f. 210 JZ 1994, 549, 551. 202
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nicht ankommen. Schon bei der Stellvertretung sei das Erfordernis eines Entscheidungsspielraums kein unabdingbarer Wesensbestandteil, denke man an die möglichen Beschränkungen im Innen- und Außenverhältnis. 211 Nach Ansicht Westerhoffs212 ist es sicher richtig, daß nicht jeder Angestellte eines Unternehmens mit Außenkontakt zugleich auch Wissensvertreter sein kann. Die Kompetenz im Innenverhältnis könne aber nicht entscheidungserheblich sein. Genausowenig wie bei der Stellvertretung an sich sei es relevant, ob der Stellvertreter im Innenverhältnis derartig gebunden sei, daß er quasi nur als Werkzeug fungiere. Es komme nur darauf an, daß der Wissensvertreter mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn am Geschäftsverkehr teilnehme.213 Für die Beantwortung der Frage, ob eine gewisse Selbständigkeit der Hilfsperson erforderlich ist, ist erneut an die ratio /egis, die zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkte, anzuknüpfen. Ginge man lediglich von den allgemeinen Grundsätzen der Verbindung von Vorteil, Interesse und Nachteil sowie dem Grundsatz von Herrschaft und Veranlassung aus, so käme es auf eine besondere, eigenverantwortliche Stellung der Hilfsperson nicht an. Der Geschäftsherr setzt auch unselbständige Hilfspersonen zu seinem Vorteil ein. Er veranlaßt und beherrscht - letzteres sogar in besonderem Maß - auch die Tätigkeit unselbständiger Hilfspersonen. Als ratio legis des § 166 I BGB sind jedoch weitere Wertungsgesichtspunkte relevant. Auch aus dem Risikogedanken ergibt sich das Erfordernis einer gewissen Eigenverantwortung aber nicht. Wie Waltermann214 ausfUhrt, kommt es hier nur auf die Verlagerung der Möglichkeit der Kenntniserlangung an. Die Zurechnungsanordnung des § 166 I BGB beruht auch auf der Übertragung der Aufgaben der Verläßlichkeitsprüfung und des Selbstschutzes. 215 Von einer solchen Übertragung läßt sich aber nur sprechen, wenn der Hilfsperson eine gewisse Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit eingeräumt ist. Soweit man die Regelungsanordnung auf den Vertrauensgedanken stützt, wird man ebenfalls eine gewisse Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit verlangen. Ein Dritter wird nur dann darauf vertrauen, daß die Rechtsfolgen einer Handlung so eintreten, wie sie sich aus der Person der Hilfsperson ergeben, wenn die Handlung als eigene Handlung der Hilfsperson erscheint und diese nicht lediglich als Werkzeug des Geschäftsherrn auftritt. Der Gedanke der Identität von Vorteil und Nachteil spricht ebenfalls für das Erfordernis einer gewissen Selb-
Lorenz, JZ 1994, 549, 551. 212 Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 55 f. 213 Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 55 f. 214 AcP 192 (1992), 181,200. 215 So Schilken, Wissenszurechnung, S. 60.
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ständigkeit. Den Vorteil auch des privaten Wissens der Hilfsperson, das dem Geschäftsherrn ja zugerechnet wird, hat dieser nur, wenn die Hilfsperson über eine gewisse Selbständigkeit verfiigt, das private Wissen also tatsächlich auch einsetzt. Anders als bei der Frage, ob auch privates Wissen zugerechnet werden kann, fordert hier der Risikogedanke eine Erweiterung der Zurechnung, nämlich die Zurechnung auch des Wissens unselbständiger Hilfspersonen. Der Vertrauensgedanke und die Gedanken der Übertragung der Aufgabe des Selbstschutzes sowie der Identität von Vorteil und Nachteil fordern hingegen nur die Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen mit vertretergleicher Stellung. Auch hier läßt sichjedoch nicht sagen, daß diese Wertungsgesichtspunkte die Zurechnung des Wissens unselbständiger Hilfspersonen verbieten. Die Beantwortung der Frage, ob eine gewisse Selbständigkeit der Hilfsperson Zurechnungsvoraussetzung ist, hängt eng damit zusammen, ob über § 166 I BGB analog oder einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken lediglich das dienstlich erlangte oder auch das private Wissen zuzurechnen ist. Hält man lediglich das dienstlich erlangte Wissen fiir erheblich, so kommt es nur darauf an, ob die Möglichkeit, von bestimmten Umständen Kenntnis zu nehmen, auf die Hilfsperson verlagert wurde. Eine Eigenverantwortlichkeit der Hilfsperson ist im übrigen nicht erforderlich. 216 Aus generellen methodischen Erwägungen wie auch aus den § 166 I BGB zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkten hat sich aber ergeben, daß auch privates Wissen zuzurechnen ist. Geht man von dieser Rechtsfolge aus, so wäre es ein Wertungswiderspruch, das Wissen unselbständiger Hilfspersonen zuzurechnen.217 Die Zurechnung auch des privaten Wissens der Hilfsperson beruht auf Wertungsgesichtspunkten, die eine gewisse Eigenverantwortlichkeit vorausset-
216 So sind es auch überwiegend Vertreter der Ansicht, daß nur das dienstlich erlangte Wissen zuzurechnen sei, die keine besonderen Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit der Hilfsperson stellen. Dies gilt fiir Wallermann (AcP 192 (1992), 181, 200), Medicus (Karlsruher Forum 1994, 4, 10), Taupilz (Karlsruher Forum 1994, 16, 25), Michael Schultz (NJW 1990, 477, 479) und Lorenz (JZ 1994, 549, 551). Allerdings lehnt Wetze/, Zurechnung, (S. 53 f.) eine Unterscheidung zwischen "stellvertreter-" und "botenähnlichen" Hilfspersonen ab, obwohl sie auch das private Wissen zurechnen möchte. Andererseits verlangen auch einige Befiirworter der Zurechnung lediglich des dienstlich erlangten Wissens eine vertretergleiche Stellung, so Richardi (AcP 169 (1969), 385,401 f.).
217 Damit ist noch nicht entschieden, daß nicht über einen anderen Zurechnungsgrund die Zurechnung des Wissens, das Hilfspersonen ohne Eigenverantwortung "dienstlich" erworben haben, möglich wäre; siehe vielmehr unten S. 308 ff.
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zen. Würde man auch das Wissen unselbständiger Hilfspersonen fiir über § 166 I BGB analog oder einen aus dieser Vorschrift ableitbaren Rechtsgedanken zurechenbar halten, so käme es ggf. zur Zurechnung privaten Wissens, obwohl im konkreten Fall kein Wertungsgesichtspunkt dies rechtfertigt. Der Risikogedanke ermöglicht zwar die Zurechnung des Wissens tmselbständiger Hilfspersonen, nicht jedoch die Zurechnung privaten Wissens. Umgekehrt ermöglichen die drei anderen Wertungsgesichtspunkte die Zurechnung auch des privaten Wissens, setzen aber eine gewisse Selbständigkeit voraus. Um diesen Wertungswiderspruch zu vermeiden, ist es daher zwingend, daß die Hilfsperson eine gewisse Selbständigkeit hat. 218 Das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit sollte allerdings nicht zu sehr betont werden; wie die Figur des "Vertreters mit gebundener Marschroute" zeigt, dem die von ihm abzugebende Willenserklärung in allen Einzelheiten vorgegeben sein kann,219 kann auch bei der Stellvertretung die Eigenverantwortlichkeit des Vertreters beschränkt sein. Diesem Gedanken wird dadurch Rechnung getragen, daß eine Prüfungskompetenz der Hilfsperson genügt, eine Entscheidungskompetenz hingegen nicht unbedingt notwendig ist. 22o Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob eine Hilfsperson über eine ausreichende Entscheidungs- oder Prüfungskompetenz verfügt. Es läßt sich jedoch generell festhalten, daß mangels eigener Prüfungs- oder Entscheidungskompetenz eine Zurechnung der Kenntnis eines Boten über § 166 I BGB analog oder den Rechtsgedanken dieser Vorschrift ausscheidet.22 1
218 Hiergegen läßt sich nicht einwenden, daß man alternativ auch auf die Zurechnung des privaten Wissens verzichten und dann über§ 166 I BGB analog oder einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken Wissen unselbständiger Hilfspersonen zurechnen könnte. Die Zurechnung auch des privaten Wissens ergab sich aus den § 166 I BGB zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkten und dem methodischen Argument. Die Zurechnung auch des privaten Wissens ist daher zwingend. 219 Vgl. MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnm. 42 ff.; allerdings bleibt ein Rest Eigenverantwortlichkeit auch hier zurück, da der Vertreter die Erklärung abgibt. 220 Insofern wird hier von Schilken, Wissenszurechnung, S. 301, abgewichen, der formuliert, die Hilfsperson müsse eine Prüfungs- und Entscheidungskompetenz haben. 221 So die allg. M.; insofern macht es keinen Unterschied, ob man auf die Verlagerung der Möglichkeit der Kenntniserlangung oder die Prüfungs- oder Entscheidungskompetenz abstellt, vgl. nur Wa/termann, AcP 192 (1992), 186, 201; Soergel/Leptien, Vor§ 164 Rdnr. 51; Hoffmann, JZ 1969, 372, 373.
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b) Auftreten nach außen Die h. M. 222 verlangt, daß die Hilfsperson nach außen für den Geschäftsherrn tätig wird, knüpft also an das Offenkundigkeitsprinzip der Stellvertretung an, das selbst dort nicht inuner durchgehalten wird223 • Die gewöhnlich als ratio legis des Offenkundigkeitsprinzips bei der Stellvertretung betrachteten Gründe, der Schutz des Vertragsgegners und des gesamten Rechtsverkehrs224, greifen hier nicht ein. Die Zurechnung des Wissens der Hilfsperson wirkt sich lediglich negativ fiir den Geschäftsherrn aus, da bei Kenntniszurechnung ein Rechtsvorteil nicht eintritt oder er einen Rechtsnachteil hinnelunen muß. Der hier als Grund für die Wissenszurechnung angeführte Vertrauensgedanke fordert ein Auftreten nach außen, da der Dritte nur auf eine Hilfsperson vertraut, mit der er es zu tun hat. Doch bildet der Vertrauensgedanke mit anderen Wertungsgesichtspunkten ein bewegliches System. Diese anderen Wertungsgesichtspunkte sprechen fiir die Zurechnung auch des Wissens eines internen Beraters. So besteht auch bei Einsatz eines internen Beraters die Identität von Vorteil und Nachteil. Auf den internen Berater kann die Aufgabe des Selbstschutzes übertragen sein. Auch bei Einsatz eines internen Beraters entsteht schließlich das Risiko, daß die Hilfsperson Wissen anstelle des Geschäftsherrn erhält. Wie schon bei der Entscheidung der Frage der Zurechnung auch des privaten Wissens, fordern drei Wertungsgesichtspunkte die Zurechnung auch des Wissens interner Berater. Der Vertrauensgedanke verbietet die Zurechnung hingegen nicht, er kann sie nur nicht rechtfertigen. Die Zurechnung des Wissens interner Berater stellt, anders als ein Verzicht auf das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit, auch keinen Wertungswiderspruch zur Rechsfolgenanordnung dar. Auch das Wissen interner Berater kann daher für eine Handlung, die sie vorbereitet haben, zugerechnet werden. 225
222 Vgl. Richardi, AcP 169 (1969), 385, 401 f. und 403; MünchKomm!Schramm, § 166 Rdnr. 23; Waltermann, AcP 192 (1992), S. 181, 201; Staudinger/Schilken, § 166 Rdnr. 4; dazu in direktem Widerspruch noch Schilken, Wissenszurechnung, S. 226. Wohl auch Grunewald, da sie an die berechtigte Etwartung des Vertragspartners, daß das Wissen der Hilfsperson, mit der er es zu tun hat, erheblich sei, anknüpft (FS Beusch, S. 301 ff.); a. A. Larenz!Wolf, AT, S. 886. 223 Vgl. für die Durchbrechungen, Staudinger!Schilken, Vorbem. zu §§ 164 ff Rdnm. 52 ff. 224 Zu dieser doppelten ratio legis vgl. Staudinger/Schilken, Vorbem zu §§ 164 ff. Rdnr. 35 und MünchKomm!Schramm, § 164 Rdnr. 14 beide m. w. N. 225 Vgl. im Ergebnis auch Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 114.
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D. Die Zurechnungsanordnung und deren Reichweite Als allgemeiner Rechtsgedanke des § 166 I BGB läßt sich also formulieren: Hat der Geschäftsherr eine Hilfsperson zur Erledigung einer Handlung eingesetzt, so wird dem Geschäftsherrn für die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung die gesamte Kenntnis/das Kennenmüssen der Hilfsperson zugerechnet, sofern dieser eine gewisse eigenverantwortliche Stellung eingeräumt ist. Auf ein Auftreten nach außen kommt es nicht an. Oben waren die Wissensnormen für diese Arbeit in Gruppen eingeteilt worden. Mit § 166 I BGB und dem allgemeinen Rechtsgedanken dieser Vorschrift läßt sich handlungsabhängig Wissen zurechnen; über § 166 I BGB direkt läßt sich das Wissen der handelnden HUfspersonen zurechnen, sofern Wissen in Verbindung mit einem rechtsgeschäftliehen Verhalten (Tun oder Unterlassen) erheblich ist (Gruppe eins der Wissensnormen von oben). Wissen der handelnden Hilfsperspon ist auch über den allgemeinen Rechtsgedanken des § 166 I BGB zurechenbar, sofern Wissen in Verbindung mit einem geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Verhalten erheblich ist (Gruppe zwei der Wissensnormen von oben). Ungeklärt ist die Zurechnung des Wissens von nicht handelnden Hilfspersonen, sofern Wissen in Verbindung mit einem rechtsgeschäftlichen, geschäftsähnlichen oder tatsächlichen Handeln erheblich ist (Gruppen eins und zwei der Wissensnormen von oben) und die Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen, sofern Wissen an sich, ohne Handlung rechtsfolgebegründend ist (Gruppe drei der Wissensnormen von oben).
E. Zusammenfassung § 166 I BGB wird in Rechtsprechung und Literatur vielfach zur Begründung der Wissenszurechnung herangezogen. In der Tat läßt sich denn auch aus der Vorschrift der allgemeine Rechtsgedanke einer handlungsabhängigen Wissenszurechnung ableiten. So ist die gesamte Kenntnis und das Kennenmüssen einer Hilfsperson dem Geschäftsherrn für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung zuzurechnen, wenn der Geschäftsherr die Hilfsperson zur Erledigung dieser Handlung eingesetzt hat und dieser bei der Handlung eine gewisse eigenverantwortliche Stellung eingeräumt ist. Auf ein Auftreten nach außen kommt es nicht an.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson Wie gerade gesehen, läßt sich mit Hilfe eines aus § 166 I BGB ableitbaren allgemeinen Rechtsgedankens handlungsabhängig-also in den Fällen, in denen das Wissen einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung relevant ist, an der sie beteiligt war - Wissen zurechnen. Offen ist die Frage der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung, ob also Wissen einer an einer konkreten Handlung unbeteiligten (Hilfs-) Person zugerechnet werden kann 1 und ob das Wissen einer Hilfsperson dem Geschäftsherrn in Fällen zugerechnet werden kann, in denen Wissen an sich relevant ist, ohne daß gehandelt werden muß. 2 Eine gesetzliche Anordnung der Zurechnung findet sich für diese Fälle nicht. Die Frage der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung hat in jüngster Zeit in Rechtsprechung und Literatur erhebliche Aufinerksamkeit gefunden. 3 Gleichwohl hat sich noch kein einheitliches Bild ergeben. Im folgenden werden die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Postionen vorgestellt und diskutiert und ein eigener Lösungsvorschlag entwickelt. Nach einer methodischen Voriiberlegung (unter A) werden zunächst die Möglichkeiten gesetzesimmanenter (unter B), sodann die Möglichkeiten gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung (unter C) diskutiert.
1 Gleichgültig, ob die Handlung rechtsgeschäftlich, geschäftsähnlich oder tatsächlich ist (Gruppen eins und zwei der Wissensnormen von oben, vgl. S. 33 f.). 2 Gruppe drei der Wissensnormen von oben; vgl. S. 34. 3 Vgl. sogleich S. 93 ff.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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A. Rechtsfreier Raum De lege lata muß sich eine Lösung des Problems der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung im Rahmen der methodisch zulässigen Rechtsfortbildung halten. Eine Rechtsfortbildung ist aus methodischen Gründen ausgeschlossen, wenn die Frage in den "rechtsfreien Raum" fällt. 4 Der Begriff des "rechtsfreien Raums" ist unscharf. Canaris hat ihn dadurch präzisiert, daß er von einem "rechtsfreien Raum" nur sprechen möchte, wenn ein Lebenssachverhalt vom Standpunkt etnes einer bestimmten Prozeßordnung zugewiesenen Rechtsgebiets aus unerheblich ist. 5 Daß die Frage der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung in den "rechtsfreien Raum" fällt, scheint Schilken anzunehmen. Dieser verneint, daß es sich bei der Frage der Zurechnung des Wissens eines inaktiven Vertreters überhaupt um ein Problem der rechtlichen Behandlung der Arbeitsteilung handelt. Bei bloß abstrakter, nicht realisierter Vertretungsbefugnis fehle es an einem arbeitsteiligen Einsatz des Vertreters. 6 Schon die zahlreichen, im folgenden zu diskutierenden Begründungsansätze zur Zurechnung des Wissens unbeteiligter Hilfspersonen beweisen das Gegenteil. Bei der handlungsunabhängigen geht es wie bei der handlungsabhängigen Wissenszurechnung um die Frage der rechtlichen Behandlung der Arbeitsteilung. Setzt der Geschäftsherr eine Hilfsperson ein, und erlangt diese anstelle des Geschäftsherrn bestimmte Informationen, so ist dies auf den arbeitsteiligen Einsatz der Hilfsperson zurückzufiihren. Fraglich ist dann, ob sich der Geschäftsherr dieses Wissen handlungsunabhängig zurechnen lassen muß. Bestimmt der Geschäftsherr eine Hilfsperson zur Entgegenahme bestimmter Informationen, so stellt sich ebenfalls die Frage, wie diese arbeitsteilig bewirkte Wissensverlagerung zu behandeln ist. Die rechtliche Behandlung von Arbeitsteilung ist aber ein rechtliches Problem. Eine entsprechende Klage würde nicht als unzulässig abgewiesen. 7
B. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung Zunächst soll untersucht werden, ob mit den Möglichkeiten gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung, 8 also Analogieschluß und Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens, eine Lösung gefunden werden kann.
Canaris, Feststellung von Lücken, S. 40 ff. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 41 f. 6 Wissenszurechnung, S. 214. 7 Dies ist der von Canaris vorgeschlagene Test, vgl. Feststellung von Lücken, s. 41 f. 8 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202 ff. 4
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Teil II: Zurechnung von Wissen
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I. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über § 166 I BGB Herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist eine Lösung über § 166 I BGB. 1. Die Rechtsprechung
Im folgenden wird zunächst die Entwicklung der Rechtsprechung nachgezeichnet. a) Der "Grundschuldfall" Mit einer der hier interessierenden Fragen, nämlich der Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson in einem Fall, in dem Wissen an sich, d. h. ohne Handlung erheblich war, setzte sich der VIII. Zivilsenat in der Entscheidung BGHZ 41, I7 9 auseinander. Problematisch war dort, ob die Voraussetzungen fiir die Anfechtung einer Grundschuldbestellung nach § 30 Nr. I 2. Alt. KO vorlagen. Der BGH stellte zunächst fest, daß bei Anfechtung einer Grundschuldbestellung eine etwaige Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung zum Zeitpunkt der Eintragung maßgebend sei. 10 Es komme insofern nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Eintragungsautrags beim Grundbuchamt an. Im November I 959 hatten sich die E. GmbH, die spätere Gemeinschuldnerin, und der Beklagte auf die Bestellung einer Grundschuld fiir den Beklagten an einem Grundstück der E. GmbH geeinigt. Im November ging auch der Eintragungsantrag beim Grundbuchamt ein. Die Eintragung erfolgte am I 5. Januar 1960. Die E. GmbH hatte zu dieser Zeit die Zahlungen eingestellt, und ihr Geschäftsführer Sch. wußte hierum. Fraglich war, ob sich der Beklagte das Wissen des Sch. zurechnen lassen mußte. Dem Beklagten war bei den Verhandlungen mit der E. GmbH im November 1959 bekannt geworden, daß die Lage der E. GmbH angespannt war. AufVeranlassung des Beklagten wurde am 5. Dezember 1959 der Sch. zum alleinigen Geschäftsführer der E. GmbH bestellt. Sch. war seit vielen Jahren geschäftlicher Mitarbeiter des Beklagten in dessen Firma gewesen. Der Beklagte wünschte, bei der Durchführung einer Stützungsaktion einen Vertrauensmann in der Geschäftsleitung der E. GmbH zu haben. Durch Sch. kontrollierte er die gesamte Geschäftsleitung der E. GmbH. Der Beklagte brachte vor, daß er von Weihnachten 1959 bis zum 17. Januar 1960 in Urlaub gewesen und erst nach seiner 9
men. 10
Auf diese Entscheidung wird im folgenden als "Grundschuldfall" Bezug genomBGHZ 41, 17, 19 f.
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Rückkehr von Sch. über die Lage der E. GmbH unterrichtet worden war. Er habe also keine Kenntnis von der Zahlungseinstellung gehabt, so daß eine Anfechtbarkeit nach § 30 KO ausscheide. Da mit der Einigung im November 1959 die rechtsgeschäftliehen VoraussetZWlgen fiir die Vollendung des Rechtsgeschäftes geschaffen worden waren, kam eine Zurechnung über§ 166 I BGB direkt selbst dann nicht in Betracht, wenn Sch. Vertreter des Beklagten gewesen sein sollte. 11 Das Gericht rechnete dem Beklagten das Wissen des Sch. mit folgender Begründung dennoch zu: "Sch. handelte, wie das Berufungsgericht feststellt, als Geschäftsführer der E. jeweils im Auftrag Wld im Interesse des Beklagten. Er war demnach das andere Ich des Beklagten in der GeschäftsleitWlg der E. Dabei nahm er fiir den Beklagten auch die Aufgabe wahr, die kritische Lage der E. zu beobachten Wld im Notfall Alarm zu schlagen. In dieser Kontrollfunktion trat er an die Stelle des Beklagten. Der Sachverhalt karut deshalb nicht anders beurteilt werden, als wenn der Beklagte sich selbst zum alleinigen Geschäftsführer der E. hätte bestellen lassen Wld Sch. ihn darut während seines Urlaubs vertreten hätte. Wenn Sch. an Stelle des Beklagten die GeschäftsleitWlg der E. übernahm, so tat er dies zwar nicht im Rechtssinne als sein Vertreter, aber er übte an seiner Stelle und allein in seinem Interesse eine FWlktion aus, die im Rahmen der risikobelasteten StützWlgsaktion dem Beklagten den Vorteil einbrachte, durch seinen Vertrauensmarut über die EntwickiWlg der E. ständig auf dem laufenden gehalten zu werden. Nahm der Beklagte diesen Vorteil fiir sich wahr, so ist es nicht Wlbillig, daß ihm im AnfechtWlgsprozeß die Kenntnis des von ihm eingesetzten Beobachters zum Nachteil gereicht. In entsprechender AnwendWlg des § 166 I BGB ist ihm deshalb die Kenntnis des Sch. von der ZahiWlgseinsteiiWlg der E. als eigene zuzurechnen."12
Der BGH rechnete dem Geschäftsherrn also das Wissen einer Hilfsperson zu, das diese während einer dienstlichen Tätigkeit fiir den Geschäftsherrn erlangt hatte. Die Hilfsperson hatte jedoch keine konkrete Handlung vorgenommen, fiir die Bestimmung von deren Rechtsfolgen es auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmter Umstände ankam. Wissen löste vielmehr an sich eine Rechtsfolge aus. Das Wissen der Hilfsperson wurde daher handlungsunabhängig analog § 166 I BGB als Wissen des Geschäftsherrn betrachtet. b) Der "Darlehensfall" Ausgangspunkt fiir eine Reihe von hier interessierenden Entscheidungen, in denen der BGH zur Lösung der in Rede stehenden Probleme den Begriff des "Wissensvertreters" entwickelte und konkretisierte, war die Entscheidung des
Vgl. BGHZ 41, 17, 21. 12 BGHZ41, 17,22.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
BGH im schon oben dargestellten "Darlehensfall" 13 . In dieser formulierte der VII. Zivilsenat den sich seiner Ansicht nach aus § 166 I BGB ergebenden allgemeinen Rechtsgedanken 14 : "Aufgrund des dieser Vorschrift15 zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens muß sich - unabhängig von einem Vertretungsverhältnis - derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen.'' 16
Der Sache nach handelt es sich bei der Entscheidung des BGH im "Darlehensfall" um einen der oben diskutierten Fälle der handlungsabhängigen Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB.' 7 Das Wissen der Hilfsperson wurde zur Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, nämlich dem Empfang der Darlehensvaluta, zugerechnet, an der diese selbst und eigenverantwortlich beteiligt gewesen war. Die Ehefrau war am Empfang des Geldes zwar nicht physisch beteiligt gewesen, sie hatte jedoch Kontovollmacht gehabt und die Kontogeschäfte allein gefiihrt. Wichtig fiir die handlungsunabhängige Wissenszurechnung aber ist die Formulierung des weiterreichenden Prinzips. c) Der "Supermarktfall" Um die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der von einer anderen Hilfsperson vorgenommenen Handlung ging es in in der Entscheidung BGH NJW 1984, 1953 18 des IX. Zivilsenats. Der Konkursverwalter eines Supermarktes - der Gemeinschuldnenn - begehrte von der beklagten Großbank nach§ 37 KO die Rückgewähr von 64721,56 DM. Der Betrag setzte sich zusammen aus 55865,00 DM Bareinzahlung, den Tageseinnahmen, einer Überweisung von 1321,74 DM und den Beträgenzweier Schecks in Höhe von gemeinsam 7534,82 DM. Diese Beträge waren am 26. September 1980 dem Debetkonto der Beklagten gutgeschrieben worden. Die Beträge, so der Konkursverwalter, seien der Bank erst nach Zahlungseinstellung durch die Gemeinschuldnenn zugeflossen, und die Zahlungseinstellung sei der Bank auch bekannt gewesen (§ 30 Nr. 1 2. Alt KO), da sie sich direkt nach bzw. entsprechend § 166 I BGB die Kenntnis ihres bevollmächtigten Kassierers von der
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men.
BGHZ 83,293. Vgl. für den SachverhaltS. 53 f. Es vermengt also Analogie und allgemeinen Rechtsgedanken. Gemeint ist§ 166 I BGB. BGHZ 83, 293, 296. Vgl. oben S. 49 ff. Auf diese Entscheidung wird im folgenden als "Supermarktfall" Bezug genom-
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Zahlungseinstelhmg zurechnen lassen müsse. Nach Ansicht des Gerichts war es am 25. September 1980 um 16.45 Uhr, als der Geschäftsfiihrer des Supermarktes diesen schloß, zur Zahlungseinstellung gekommen. Um 17.30 Uhr brachten Angestellte der Gemeinschuldnenn die Tageseinnahmen zu einer Filiale der beklagten Großbank Einer der Überbringer erklärte dem Kassierer, der das Geld entgegennahm: "Wir haben zu, wir machen Konkurs." Der BGH ging davon aus, daß der Kassierer daraus auf die Zahlungseinstellung geschlossen hatte. Obwohl die Bareinzahlung erst am nächsten Tag dem Debetkonto gutgeschrieben worden sei, seien bereits am 25. September durch ein Rechtsgeschäft der Gemeinschuldnerin, die Übertragung des Eigentums an den Bareinnahmen auf die Beklagte, die Konkursgläubiger unmittelbar benachteiligt worden. Zudem habe die Beklagte als Konkursgläubigerio durch den Erwerb des Bargeldes von der späteren Gemeinschuldnenn entweder eine Teilbefriedigung ihrer Forderung aus dem Girokonto oder mit der Verrechnungsmöglichkeit eine Teilsicherung der Forderung erreicht. Gemäߧ 166 I BGB sei der Bank die Kenntnis des Kassierers zuzurechnen. 19 Die zum Erwerb des Bargeldes fiihrende Rechtshandlung war daher anfechtbar. Problematischer war die Frage, ob der Bank das Wissen des Kassierers um die Zahlungseinstellung auch für die Gutschrift der überwiesenen Beträge und der beiden Schecks am 26. September zugerechnet werden konnte, mit der Folge daß diese Rechtshandlungen ebenfalls anfechtbar waren. Die Gutschrift der überwiesenen Beträge und des Gegenwerts der beiden Schecks war nicht vom Kassierer, sondern von anderen Angestellten der Beklagten durchgefiihrt worden. Jedenfalls mit den Überweisungen hatte der Kassierer nichts zu tun gehabt. Ob die Schecks dem Kassierer gemeinsam mit den Tageseinnahmen von den Angestellten der Gemeinschuldnerin dem Kassierer übergeben wurden, ergibt sich nicht aus der Sachverhaltsschilderung. Der BGH rechnete der Bank auch für die Gutschrift der überwiesenen Beträge und des Gegenwerts der Schecks das Wissen des Kassierers zu. Er fiihrte aus: "§ 166 I BGB istjedoch über seinen Wortlaut hinaus anzuwenden. Die Kenntnis des Vertreters ist nicht nur maßgebend, soweit sie sich auf die Folgen der Willenserklärung auswirkt, die der Vertretene abgegeben hat. In BGHZ 41, 17, 2020 ... ist der durch Einigung und Eintragung eines Rechts im Grundbuch zu Lasten der übrigen Konkursgläubiger Begünstigte bei Anwendung des § 30 Nr. 1, 2. Alternative KO mit dem Wissen seines Vertrauensmanns belastet worden, das dieser bei Ausführung seines Auftrags, aber unabhängig von dem Grundstücksgeschäft noch vor der Eintragung erlangt hatte. In dieser Entscheidung ist dem vor den übrigen Konkursgläubigem Begünstigten das Wissen eines anderen wie das eines Vertreters zugerechnet
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BGH NJW 1984, 1953, 1954. Dies ist der "Grundschuldfall".
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Teil II: Zurechnung von Wissen worden, der nicht an dem die Konkursmasse benachteiligenden Rechtsgeschäft (§ 30 Nr. 1, 1. Alternative KO) oder an der Befriedigung gewährenden Rechtshandlung(§ 30 Nr. 1, 2. Alternative KO) beteiligt war. Danach kann bei Anwendung des § 30 Nr. 1 KO die Kenntnis, die der Vertreter in Wahrnehmung seiner Befugnisse erlangt hat, dem Vertretenen nicht nur, soweit es sich um die Folgen der Willenserklärungen und Rechtshandlungen des Bevollmächtigten handelt, sondern auch dann zugerechnet werden, wenn der Vertretene selbst oder andere von ihm Ermächtigte Rechtsgeschäfte mit dem Gemeinschuldner abschließen (§ 30 Nr. 1, 1. Alternative KO) oder an Rechtshandlungen im Sinne des § 30 Nr. 1, 2. Alternative KO teilnehmen. Das hält sich im Rahmen des allgemeinen Rechtsgedankens, daß derjenige, der sich bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten eines Vertreters bedient, die in diesem Rahmen vom Vertreter erlangte Kenntnis als eigene gelten lassen muß, sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen kann (BGHZ 83, 293, 296.... )." 21
Die Kenntnis des Kassierers war nach Ansicht des BGH somit den Repräsentanten, die die Beklagte bestellt hatte, und letztlich ihr selbst zuzurechnen. Die Beklagte, ihr Filialleiter und dessen Vertreter konnten sich nach Ansicht des BGH daher entsprechend § 166 II BGB22 nicht darauf berufen, daß die Angestellten, die am 26. September die Scheck- und Überweisungsbeträge dem Debetkonto der Gemeinschuldnenn gutschrieben hatten, nichts von der Zahlungseinstellung wußten. d) Der "Landesversorgungsamtsfall" Um die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson bei einer Norm, die an die Kenntnis an sich Rechtsfolgen knüpft, also ohne daß gehandelt werden muß, ging es in der Entscheidung BGH NJW 1986, 231523 des VI. Zivilsenats. Der Beklagte hatte Frau P am 21. 1. 1979 eine schwere Körperverletzung zugefügt. Frau P stellte bei dem Versorgungsamt M Antrag auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz. Das klagende Land nahm den Beklagten wegen Leistungen in Anspruch, die es nach dem Opferentschädigungsgesetz an Frau P erbracht hatte und in Zukunft erbringen würde. Da von Anfang an die Möglichkeit von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz bestand, vollzog sich der Anspruchsübergang auf das klagende Land nach § 5 OEG, § 81 a BVG, § 823 BGB bereits im Augenblick der Verletzungshandlung. Für die den Lauf der Verjährung nach § 852 BGB auslösende Kenntnis von Schaden und Schädiger kam es daher auf die Kenntnis des Landes als An-
BGHNJW 1984, 1953,1954. Vgl. zu dieser extensiven Auslegung von§ 166 II BGB unten S. 129 f. 23 Im folgenden wird auf die Entscheidung als "Landesversorgungsamtsfall" Bezug genommen. 2l
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spruchsträger an. Dem Land, so das Gericht, werde diese Kenntnis durch seine Bediensteten vermittelt. 24 Am 18. 1. 1980 traf das Versorgungsamt M eine Aktenentscheidung, in der es sich unter Schilderung des Sachverhaltes für die Erteilung eines endgültigen positiven Bescheides aussprach. Eine Durchschrift dieser Aktenentscheidung übersandte es der Abteilung IV des zuständigen Landesversorgungsamtes. Am 23. 10. 1980 setzte das Versorgungsamt die Rente für Frau P fest. Mit Schreiben vom 12. 8. 1981 legte das Versorgungsamt M dem zuständigen Landesversorgungsamt die Regreßakte vor. Erst ab Mai 1983 forderte das Landesversorgungsamt den Beklagten zur Erstattung verschiedener Einzelposten auf. Der Beklagte berief sich unter anderem auf die Einrede der Verjährung ( § 852 I BGB). Das zuständige Landesversorgungsamt habe bereits mit dem Schreiben vom 18. 1. 1980 von dem maßgeblichen Sachverhalt Kenntnis erlangt. Das klagende Land trug vor, daß das Landesversorgungsamt Kenntnis erst mit der Vorlage der Regreßakte am 12. 8. 1981 erhalten habe. Das Schreiben vom 18. 1. 1980 habe dem Landesversorgungsamt nicht die erforderliche Kenntnis vermittelt, da die Abteilung IV als Grundsatzabteilung für die Bearbeitung von Regreßangelegenheiten nicht zuständig sei. Mit dem Schreiben vom 18. 1. 1980 war das Versorgungsamt M einer VerfUgung des Landesversorgungsamtes nachgekommen, nach der die für die Durchfiihrung der Opferentschädigung zuständigen Versorgungsämter eine Durchschrift ihrer Aktenentscheidung über die Leistungsgewährung dem Landesversorgungsamt vorzulegen hatten. Die Vorlage diente dem Zweck, eine einheitliche Handhabe bei der Gewährung von Leistungen zu gewährleisten.
Der BGH erklärte, daß sich das klagende Land die Kenntnis der für die Verfolgung der Regreßansprüche nicht zuständigen Bediensteten der Abteilung IV des Landesversorgungsamtes nicht zurechnen lassen müsse. 25 Diese Beamten seien nicht "Wissensvertreter" des klagenden Landes. Zwar habe der BGH26 unter Heranziehung des in § 166 I BGB enthaltenen Rechtsgedankens anerkannt, daß das nach § 852 I BGB für die Verjährung erforderliche Wissen eines "Wissensvertreters" von Schaden und Schädiger dem Rechtsträger zuzurechnen sei. Zugleich habe der BGH aber die strengen Voraussetzungen deutlich gemacht, die für die Annahme eines "Wissensvertreters" vorliegen müßten. "Erforderlich ist hierfiir, daß der Rechtsträger den "Wissensvertreter" mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung betraut hat. Vor-
BGH NJW 1986, 2315. BGHNJW 1986, 2315,2316. 26 Der VI. Zivilsenat bezog sich auf seine Entscheidung BGH NJW 1985, 2583, die ebenfalls das Problem der Wissenszureclmung bei § 852 BGB betraf. 24
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Teil II: Zurechnung von Wissen aussetzung fiir die Annahme eines "Wissensvertreters" sind also dessen Sachzuständigkeit und Eigenverantwortlichkeit (vgl. Senat, NJW 1985, 2583 ...). Den Bediensteten der Grundsatzabteilung des Landesversorgungsamtes fehlten beide Voraussetzungen. Nicht sie, sondern die Bediensteten der Regreßabteilung waren fiir die Verfolgung der hier geltend gemachten Regreßansprüche zuständig und verantwortlich. "27
Das Gericht erörterte sodann, ob sich das Land die Kenntnis der Bediensteten der Gnmdsatzabteilung von Schaden und Schädiger deshalb zurechnen lassen müsse, weil diese verpflichtet gewesen wären, den zuständigen Bediensteten der Regreßabteilung die Aktenentscheidung zur Kenntnis zu bringen. Der BGH stellte fest, daß die Organisationsvorschriften des Landesversorgungsamtes eine solche Informationspflicht nicht begründeten. Von diesen Vorschriften sei aber auszugehen, selbst wenn sich diese organisatorische Regelung als unzweckmäßig oder gar als vorwertbarer Organisationsfehler erweisen sollte.28 Der Schädiger habe keinen Anspruch darauf, daß die Behörden - etwa unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes - eine Organisationsform schüfen, die die Kenntnis i. S. des § 852 I BGB zum frühestmöglichen Zeitpunkt eintreten läßt. 29 Eine Zurechnung des Wissens der Bediensteten der Grundsatzabteilung schied daher aus. Seine Entscheidung im "Landesversorgungsamtsfall" hat der VI. Zivilsenat des BGH in weiteren Entscheidungen bestätigt und präzisiert. 30 Dabei ging es um die Auslegung des Zurechnungserfordernisses, daß der Wissensvertreter mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut sein muß. e) Der "Versicherungsanstaltsfall" In BGH NJW 1992, 175531 ging es um die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine Landesversicherungsanstalt (LVA) die fiir den Verjährungsbeginn nach § 852 I BGB erforderliche Kenntnis von Schaden und Schädiger hatte. Erneut war also problematisch, ob die Kenntnis bestimmter Hilfspersonen als Kenntnis des Geschäftsherrn in einem Fall gelten konnte, in dem es auf Kenntnis an sich ankam. Die LVA hatte Leistungen an einen Geschädigten erbracht und machte
BGH NJW 1986,2315,2316. BGH NJW 1986,2315,2316. 29 BGH NJW 1986,2315,2316. 30 Vgl. sogleich unter e und f. Die Rechtsprechung wird erneut in BGH NJW 1996, 2508, 2510 und BGH NJW 1997, 1584 ff. bestätigt. 31 Auf die Entscheidung wird im folgenden als "Versicherungsanstaltsfall" Bezug genommen. 27
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mit einer am 7. 2. 1990 eingereichten Klage Regreßansprüche gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer geltend. Die Beklagten erhoben die Einrede der Verjährung. Die LVA habe bereits seit August 1981 Kenntnis von Schaden und Schädiger gehabt; sie habe jedenfalls - was unstreitig war - bereits am 19. 2. 1982 aus Anlaß dieses Unfalls einen Rentenbescheid erlassen. Die LVA hielt dem entgegen, daß ihre Rechtsabteilung, die fiir die Geltendmachung von Regreßansprüchen allein zuständig sei, erst am 10. 2. 1987 von dem Regreßfall Kenntnis erlangt habe. Die mit dem Schadensfall befaßte Leistungsabteilung hatte es zunächst unter Verletzung der einschlägigen Organisationsvorschriften versäumt, die Rechtsabteilung von dem Regreßfall zu unterrichten. Ein fiir die Benachrichtigung der Rechtsabteilung vorgesehenes Formblatt war versehentlich in die Akte eingeheftet worden, so daß diese in der Leistungsabteilung verblieben war, bis der Sachbearbeiterin bei der Bearbeitung des dritten Rentenantrages des Verletzten am 10. 2. 1987 aufgefallen war, daß die gebotene Unterrichtung der Rechtsabteilung unterblieben war. Entscheidend war, ob die Klägerin schon vor dem 7. 2. 1987 Kenntnis von Schaden, Schädiger und dem Unfallhergang erlangt hatte. Der VI. Zivilsenat erklärte, daß es nach den von ihm im "Landesversorgungsamtsfall" 32 entwickelten Grundsätzen auf das Wissen der Bediensteten der Rechtsabteilung ankomme, die fiir die Geltendmachung der Regreßansprüche allein zuständig sei. Es mache insofern keinen Unterschied, daß in dem vorliegenden Fall die Landesversicherungsanstalt auch fiir die Gewährung der Leistungen zuständig war. "Sind - wie hier - innerhalb der regreßbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung des Schadensfalls zuständig, dann kommt es auf den Kenntnisstand der Bediensteten der fiir Regresse zuständigen Stelle an, hier also auf das Wissen der Bediensteten der Rechtsabteilung."33
Eine Zurechnung der Kenntnis eines "Wissensvertreters" setze voraus, daß er von dem Anspruchsträger mit der Erledigung der in Rede stehenden Angelegenheit in eigener Verantwortung betraut worden sei. Die Leistungsabteilung sei zwar mit dem Schadensfall verantwortlich befaßt gewesen, nach dem hier zugrunde zu legenden Organisationsplan der Klägerin indes nicht in Richtung auf die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die allein Aufgabe der Rechtsabteilung gewesen sei. 34
32 BGHNJW 1986,2315. 33 BGH NJW 1992, 1755, 1756. 34 BGHNJW 1992, 1755, 1756.
Teil li: Zurechmmg von Wissen
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Darauf, daß eine Organisationsvorschrift verletzt worden und deshalb Kenntnis erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten war, ging das Gericht nicht ein. Es hielt dies also fiir unerheblich. f) Der "Betriebsprüferfall"
In BGH NJW 1994, 115035 hat der VI. Zivilsenat den "Landesversorgungsamtsfall"36 und den "Versicherungsanstaltsfall" 37 präzisiert. "Wissensvertreter" einer juristischen Person filr die Bestimmung des Verjährungsbeginns nach § 852 I BGB seien nicht nur die fiir die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zuständigen Bediensteten, sondern auch solche, die lediglich mit der Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen befaßt sind. Die Klägerin nahm den Beklagten mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch, daß dieser als Geschäftsfiihrer der Komplementärin der inzwischen in Konkurs geratenen W-GmbH & Co. KG zahlreiche Arbeitnehmer als nicht sozialversicherungspflichtige sogenannte "Geringverdiener" gefiihrt habe, obwohl diese über die Geringverdiener-Grenze hinaus beschäftigt und bezahlt worden seien. Der Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides war beim Gericht am 23. 2. 1990 eingegangen. Der BGH entschied, daß ein etwaiger Anspruch jedenfalls verjährt sei. Für die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche war die Rückstandssachbearbeitung zuständig. Wäre es allein auf die Kenntnis der Mitarbeiter dieser Abteilung angekommen, so wäre der Anspruch nicht verjährt gewesen. Der BGH rechnete der Klägerin jedoch auch die Kenntnis ihres Betriebsprüfers M zu. Dieser hatte bei einer Betriebsprüfung die Hinterziehungen aufgedeckt. Die Klägerin hatte am 11. 2. 1987 - also mehr als drei Jahre vor Eingang des Antrags auf Erlaß des Mahnbescheides - den undatierten Prüfbericht des M an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wußte M daher um den wesentlichen Umfang des angeblichen Schadens und die Person des vermeintlich Ersatzpflichtigen. Das Gericht fiihrte aus: "Insoweit kann den Ausfuhrungen des erkennenden Senats im Urteil vom 11. 2. 1992 (NJW 1992, 1755 f. ...)nicht entnommen werden, daß etwa die Zuständigkeit fiir die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung der Regreß- bzw. Schadensersatzansprüche allein maßgeblich sein solle. Vielmehr hat der Senat darauf abgehoben, ob die Abteilung, welcher der betreffende Bedienstete angehört, mit der Vorbereitung und Verfolgung von Regreßansprüchen betraut ist. Vorliegend ist
35 Auf diese Entscheidung wird im folgenden als "Betriebsprüferfall" Bezug genommen.
36 BGHNJW 1986,2315. 37 BGHNJW 1992, 1755.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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nach den tatsächlichen Feststellungen des Ber.Ger.... davon auszugehen, daß M ... damit betraut war, Beitragsverkürzungen zu ennitteln und der Klägerin darüber Bericht zu erstatten. Unter diesen Umständen kann von einer ausschließlichen Zuständigkeit der Abteilung Rückstandssachbearbeitung für Nachforderungs- und Schadensersatzansprüche im Sinne des Senatsurteils vom 11. 2. 1992 (NJW 1992, 1755f.) nicht die Rede sein. Vielmehr war daneben die Abteilung Betriebsprüfung ebenfalls mit dem Anspruch befaßt, indem sie seine tatsächlichen Voraussetzungen zu klären hatte, eine Entschließung über die Einschaltung der Abteilung Rückstandssachbearbeitung ebenso wie der Strafverfolgungsbehörden treffen mußte und sich dabei - wie die Revision einräumt - auch eine Meinung über die persönliche Verantwortlichkeit des Beklagten für die Beitragsverkürzungen gebildet hat. "38
M sei daher "Wissensvertreter" der Klägerin in Bezug auf die für § 852 BGB maßgebenden Umstände. 39 g) Die "kanadischen Betrugsfalle" In BGH NJW 1989, 2879 und BGH NJW 1989, 2881 40 hatte sich der III. Zivilsenat des BGH mit einem dem "Supermarktfall" 41 verwandten Sachverhalt auseinanderzusetzen. Erneut ging es um die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson für die Bestinunung der Rechtsfolgen der Handlung einer anderen Hilfsperson. Ein Betiiiger erwarb ein Mietwohnungsgrundstück in Kanada. Dieses teilte er in Eigentumswohnungen auf, um es an deutsche Käufer zu veräußern. Er garantierte eine 1OO%ige Finanzierung über die Mieteinnahmen und versprach, die Wohnungen nach fiinf Jahren zu 120% des Einstandspreises zurückzukaufen. Der Beklagte unterschrieb am 25. 3. 1983 eine Erwerbsverpflichtung fiir eine Wohnung. Teil des V ertragswerkes war auch ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Rechtsanwalt U, einem Bruder des Betrügers; danach sollte der U die Abwicklung der Kauf- und Finanzierungsverträge übernehmen. Am 21. 4. 1983 bevollmächtigte der Beklagte den U entsprechend. Den Kaufpreis kreditierten dem Beklagten zu je 30% die Filiale der Klägerin in B. und zwei weitere Kreditinstitute. Die übrigen 10% kreditierte die Filiale der Klägerin in M. Die Auszahlung der Darlehensvaluta erfolgte im März 1984 auf Anweisung des U auf das Konto einer Firma des Betrügers. In Wahrheit waren die in den Werbeunterlagen genannten Mieteinnahmen weit überhöht. Im Januar 1985 fiel der Betiiiger mit seinen Firmen in Konkurs. Die Unrichtigkeit der Werbeunterlagen und das Ausmaß der Unterdeckung waren dem Filialleiter der BGHNJW 1994,1150,1151. BGHNJW 1994, 1150, 1151. 4 Für die hier interessierende Wissenszurechnung verwies der BGH in BGH NJW 1989, 2881 aufBGH NJW 1989,2879. 41 BGHNJW 1984,1953. 38
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Klägerin in B. ebenso wie dem U von Anfang an bekannt gewesen. Im Mai 1985 erklärte der Beklagte gegenüber dem U die Anfechtung der ihm erteilten Vollmacht wegen arglistiger Täuschung und teilte das der M.-Filiale der Klägerin mit. Die Klägerin kündigte daraufhin das Darlehen und verlangte Rückzahlung des Darlehenskapitals samt Zinsen. Der Beklagte berief sich darauf, daß die vom U geschlossenen Darlehensverträge unwirksam seien, da die Anfechtung der zugrundeliegenden Vollmacht wegen arglistiger Täuschung durchdringe, und hielt auch einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht fiir begründet. Die durch die Anfechtung der Vollmacht rückwirkend herbeigefiihrte Nichtigkeit der Vollmacht brauchte die Klägerin nur gegen sich gelten zu lassen, wenn sie bei Abschluß der Darlehensverträge die Anfechtbarkeit der ihr von dem U vorgelegten Vollmacht des Beklagten gekannt hatte oder hätte kennen müssen. Das ergibt sich aus§§ 142 II, 173, 172 i. V. mit§ 171 BGB. Für den in der Filiale B. abgeschlossenen Darlehensvertrag war der Klägerin nach Ansicht des BGH das Wissen des dortigen Filialleiters F, der die Kreditverhandlungen persönlich gefiihrt hatte, aufgrund des allgemeinen Rechtsgedankens des § 166 I BGB zuzurechnen. 42 F, der um die unsolide Finanzierung wußte, habe die Täuschung des Beklagten zumindest aus Fahrlässigkeit nicht gekannt. Dies genüge nach §§ 142 li, 173 BGB. Der in der Filiale in B. abgeschlossene Darlehensvertrag sei daher unwirksam. Mit der Klage wurde jedoch die Rückzahlung des von der Filiale in M. ausbezahlten Darlehens gefordert. An der Gewährung dieses Darlehens hatte F nicht mitgewirkt. Da die Bediensteten der Klägerin in M. nicht um den wahren Sachverhalt wußten, hatte der BGH zu entscheiden, ob sich die Bank auch fiir das in M. geschlossene, spätere Geschäft die Kenntnis bzw. die fahrlässige Unkenntnis des F zurechnen lassen mußte. Der Filialleiter F, so der BGH, habe sein rechtserhebliches Wissen im Rahmen seiner Tätigkeit fiir die Klägerin als deren Vertreter erworben. Die Frage, ob eine Großbank sich das derart erworbene Wissen eines Filialleiters fiir spätere Geschäfte, auch wenn diese durch andere Mitarbeiter abgeschlossen wurden, zurechnen lassen muß, brauchte nach Ansicht des III. Zivilsenats in den "kanadischen Betrugsfallen" nicht umfassend entschieden zu werden.43
42 Es wird nicht recht deutlich, ob der BGH § 166 I BGB direkt oder analog anwendet. Analog wäre die Bestimmung nur dann anzuwenden, wenn der Filialleiter F den Kreditvertrag in der Filiale B. nicht selbst abgeschlossen hätte. 43 BGH NJW 1989,2879,2880.
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Einer Wissenszurechnung im Bereich des § 142 II BGB stünden jedenfalls nicht die Grundsätze entgegen, die der BGH - das Gericht bezog sich auf den "Landesversorgungsamtsfall"44 - bei der Prüfung deliktischer Regreßansprüche des Fiskus entwickelt habe. Dort komme es darauf an, wann der für die Vorbereitung und Verfolgung der Ansprüche zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde die in § 852 I BGB vorausgesetzte Kenntnis erlangt habe. Die Kenntnis eines anderen Bediensteten brauche sich der Fiskus auch nicht mit der Begründung zurechnen zu lassen, der Kenntniserlangende sei zur Unterrichtung der zust11ndigen Abteilung verpflichtet gewesen. Der Schädiger habe keinen Anspruch darauf, daß die Behörden eine Organisationsform schüfen, die die Kenntnis i. S. des § 852 I BGB zum frühestmöglichen Zeitpunkt eintreten lasse. 45 Näher läge die zur Frage der Konkursanfechtung nach § 30 Nr. 1 KO ergangene Entscheidung im "Supermarktfall" 46• Dort sei es jedoch nur um die Zusammenrechnung des Wissens innerhalb einer Bankfiliale gegangen. Hier gehe es nun um die Zusammenrechnung des Wissens von Bankvertretern in verschiedenen Filialen.47 Das Gericht führte sodann aus: "Zur Begründung seiner Entscheidung48 beruft sich der IX. Zivilsenat auf den allgemeinen Rechtsgedanken, daß derjenige, der sich bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten eines Vertreters bedient, die in diesem Rahmen erlangte Kenntnis als eigene gelten lassen muß, sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen kann (vgl. BGHZ 83, 293 [296] ... ). Für eine Ausweitung dieses Grundsatzes spricht sich Canaris49 aus und vertritt die Auffassung, größere Unternehmen dürften durch die stärkere Arbeitsteilung und die damit verbundene "Wissensaufspaltung" nicht privilegiert werden, es sei vielmehr ihr Betriebs- und Organisationsrisiko, ob und wie sie die umgehende Weiterleitung wesentlicher Informationen an alle in Betracht kommenden Stellen gewährleisten (Canaris, Rdnr. 108, 800a). Ob sich deswegen daraus, daß eine Großbank rechtlich eine Einheit bildet (Canaris, Rdnr. 499), allgemein eine "filialübergreifende" Wissenszusarnmenrechnung50 rechtfertigen läßt, braucht nicht
BGHNJW 1986,2315. BGH NJW 1989,2879,2880. 46 BGH NJW 1984, 1953. 47 BGH NJW 1989, 2879, 2880 f. 48 Gemeint ist der "Supermarktfall", BGH NJW 1984, 1953. 49 Vgl. für diesen ausfuhrlieh S. 133 f., 205 ff. 50 Der BGH verwendet hier, an Canaris anknüpfend, den Begriff "Wissenszusammenreclmung". An anderer Stelle in derselben Entscheidung verwendet er jedoch den Begriff "Wissenszureclmung" für die Beschreibung derselben Frage. Gemäß obiger (S. 30) Begriffsdefinition ist das hier in Rede stehende Problem ein solches der "Wissenszurechnung". 44 45
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abschließend entschieden zu werden. Die Zurechnung der Kenntnisse F's für das später in M. gewährte Darlehen war hier jedenfalls gerechtfertigt, weil dieses Darlehen der Finanzierung desselben Wohnungskaufs wie das vorher in B. gewährte diente und dieser enge Zusanunenhang vor Abschluß des Kreditvertrags in M. bekannt, ein Informationsaustausch daher möglich und naheliegend war. Es kommt nicht darauf an, ob sich die M.-Vertreter der Kl. tatsächlich mit der B.-Filiale in Verbindung gesetzt und welche Auskünfte sie erbeten und erhalten haben. In derartigen Fällen jedenfalls erscheint es dem erkennenden Senat gerechtfertigt und geboten, einer Bank durch eine umfassende Wissenszurechnung die Möglichkeit zu nehmen, den Informationsaustausch zwischen ihren - rechtlich unselbständigen - Filialen im eigenen Interesse auf bestimmte Fragen zu beschränken, andere Punkte aber dabei auszuklanunern, obwohl deren Aufklärung im Interesse des Verhandlungspartners geboten sein könnte."51
Die klagende Bank konnte ihren Anspruch daher nicht auf den Darlehensvertrag stützen. Auch ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung des Darlehens stand der Bank nach Ansicht des BGH gegen den Beklagten nicht zu. Das Risiko der Durchsetzung des Rückgewähranspruchs gegen den Betrüger müsse billigerweise nicht der arglistig getäuschte Beklagte, sondern die Klägerin tragen, weil sie bei der Darlehensgewährung die Täuschung kennen mußte, deren Folge die Anfechtung und damit die Nichtigkeit der Kausalbeziehung war. 52 In BGH NJW 1989, 2881, dem zweiten der "kanadischen Betrugsfälle", erörterte das Gericht, ob einem Kreditnehmerunter den oben behandelten Umständen auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Aufklärungspflichten im Rahmen des in B. begründeten Schuldverhältnisses zustände. Das Berufungsgericht hatte für den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht geklärt, ob der Beklagte tatsächlich arglistig getäuscht und dadurch zur Vollmachtserteilung bestimmt worden war. Der BGH hielt jedoch fest, daß, sofern dies der Fall gewesen sein sollte, die Bank, vermittelt über den Filialleiter in B., einen konkreten Wissensvorsprung gegenüber dem beklagten Kreditnehmer gehabt habe. Eine Bank treffe eine Aufklärungs- oder Warnpflicht, wenn sie diesen Wissensvorsprung erkenne oder erkennen müsse. Der Wissensvorsprung, so er bestand, war nach Ansicht des BGH für den Filialleiter F auch erkennbar. Der Schadensersatz wegen Verletzung von Aufklärungspflichten im Rahmen des in B. begründeten Schuldverhältnisses gehe dann nicht nur auf Befreiung der in B. begründeten Darlehensschuld, sondern auch auf Befreiung von der in M. begründeten Darlehensschuld. Hätte nämlich der Filialleiter in B. aufgeklärt, so wäre es sogleich zur Anfechtung der Vollmachtserteilung durch den 51 BGH NJW 1989, 2879, 2881. BGH NJW 1989, 2879,2881.
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Beklagten gekommen und daher gar nicht mehr zum Abschluß des Kreditvertrages in M. 53 h) Der "Knollenmergelfall" In BGH NJW 1992, 109954 hatte es der V. Zivilsenat des BGH mit einem dem "Supermarktfall" 55 und den "kanadischen Betrugsfällen" 56 verwandten Sachverhalt zu tun. Problematisch war erneut die Zurechnung des Wissens einer HUfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer von einer anderen Hilfsperson vorgenommenen Handlung. Gegenstand des Streits war der Verkauf eines mangelbehafteten Grundstücks durch eine Gemeinde. Im Ergebnis rechnete der BGH der Gemeinde das Wissen eines Sachbearbeiters des mit dem Verkauf nicht befaßten Baurechtsamts um den Mangel nicht zu. Die beklagte Gemeinde hatte, vertreten durch einen Stadtamtsrat beim Liegenschaftsamt, den Klägern ein Baugrundstück unter Ausschluß der Gewährleistung verkauft. In dem Vertrag versicherte die Stadt, daß ihr von verborgenen Sachmängeln nichts bekannt sei. Der Baugrund bestand jedoch teilweise aus Knollenmergeln. Dies machte zusätzliche Baumaßnahmen erforderlich. Die Kläger verlangten von der Gemeinde nach § 463 S. 2 BGB wegen arglistigen Verschweigens des Mangels als Schadensersatz die Erstattung der Mehrkosten. 57 Einem Sachbearbeiter im Baurechtsamt war der Mangel bekannt gewesen. Der BGH ging davon aus, daß im Prinzip eine Aufklärungspflicht über die Knollenmergel bestanden hätte. Die Aufklärungspflicht setze jedoch Wissen der Gemeinde um den Mangel voraus. 58 Das Gericht stellte zunächst fest, daß entsprechendes Wissen weder bei einem Organmitglied der Beklagten noch bei einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter vorgelegen habe.59 Insbesondere sei auch der Sachbearbeiter im Bau-
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men.
BGH NJW 1989,2881, 2882. Auf die Entscheidung wird im folgenden als "Knollenmergelfall" Bezug genom-
BGHNJW 1984, 1953. BGH NJW 1989, 2879 Wld 2881. 57 Hier geht es zunächst nur um die Mangelkenntnis, zu den übrigen kognitiven Elementen der Arglist und zum voluntativen Element, vgl. aus:fiihrlich unten S. 295 ff. 58 BGHNJW 1992, 1099, 1100. 59 Zum Problem des Organwissens siehe unten S. 317 ff. 55
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rechtsamt kein verfasslUlgsmäßig berufener Vertreter der Beklagten. Eine HaftlUlg der Beklagten wegen Organwissen komme daher nicht in Betracht. 60 Das Gericht erwog dann, ob sich die Gemeinde das Wissen des Sachbearbeiters aus anderen Gründen zurechnen lassen mußte. "Die Zurechnung von Wissen bei dem Abschluß von Verträgen ist nach § 166 BGB zu beurteilen. Die Anwendung der Vorschrift ist nach herrschender Ansicht ( ... ) nicht auf die rechtsgeschäftliche Stellvertretung beschränkt, sondern erstreckt sich analog auch auf den vergleichbaren Tatbestand der Wissensvertretung. "Wissensvertreter" ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Er braucht weder zum rechtsgeschäftliehen Vertreter noch zum "Wissensvertreter" ausdrücklich bestellt zu sein ( ... ). Der Geschäftsherr muß sich aber seiner im rechtsgeschäftliehen Verkehr wie eines Vertreters bedienen(... ). Hat der Wissensträger den Geschäftsherrn nur intern beraten, scheidet eine sinngemäße Anwendung von§ 166 I BGB aus ( ...)." 61
Nach diesen Grundsätzen müsse sich die Beklagte das Wissen ihres Sachbearbeiters im Baurechtsamt nicht zurechnen lassen. Denn es sei weder festgestellt, noch behauptet worden, daß sie ihn mit der eigenverantwortlichen WahrnehmlUlg von Aufgaben im privatrechtliehen Geschäftsverkehr betraut habe. Dies sei der Unterschied zum "Supermarktfall" 62 lUld den "kanadischen Betrugsfällen"63. 64 Das Gericht ließ jedoch erkennen, daß im Einzelfall auch anders zu entscheiden sein könne. 65 Daß eine Gemeinde nicht verpflichtet sei, für ihre fiskalischen GflU1dstücksgeschäfte einen ämterübergreifenden Informationsaustausch allgemein zu organisieren, schließe nicht aus, daß das Liegenschaftsamt im Einzelfall aus besonderen Gründen gehalten sein könne, bei einem anderen Amt Erklll1digungen einzuholen. In entsprechender AnwendlUlg der RechtsprechlUlg des BGH zur Wissenszurechnlll1g66 im Verhältnis verschiedener Bankfilialen67
BGH NJW 1992, 1099, 1100. BGHNJW 1992,1099,1100. 62 BGH NJW 1984, 1953; vgl gerade unter c. 63 BGH NJW 1989,2879 und 2881; vgl gerade unter g. 64 BGH NJW 1992, 1099, 1100. 65 BGH NJW 1992, 1099, 1100. 66 Der BGH sprach von "Wissenszusarnmenrechnung", vgl. jedoch für die hier verwandte Definition oben (S. 30). 67 Der BGH bezog sich auf die "kanadischen Betrugsfälle" (BGH NJW 1989, 2879 und 2881; vgl. gerade unter g. 60
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könne es unter Umständen geboten sein, das Aktenwissen eines an dem konkreten Rechtsgeschäft nicht beteiligten Amtes der Gemeinde dann zuzurechnen, wenn der sachliche Zusanunenhang der in den verschiedenen Ämtern angefallenen Vorgänge bekannt, ein Informationsaustausch daher möglich und naheliegend ist. So sei es hier jedoch nicht. Im Ergebnis verneinte der BGH daher einen Schadensersatzanspruch der Kläger. i) Der "KreditabteilungsfaJI" Um die Zurechnung des Wissens einer unbeteiligten Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer von einer anderen Hilfsperson vorgenommenen Handlung ging es auch in einer Entscheidung des OLG Karlsruhe68 • Ein früherer Angestellter der Klägerin hatte Schecks unterschlagen und zur Gutschrift auf sein Konto bei der Beklagten eingereicht. Der Kreditabteilung war bekannt, daß der Angestellte Mitarbeiter der Klägerin gewesen war. Diese Kenntnis hätte nach Ansicht des OLG Karlsruhe ausgereicht, um einen Schadensersatzanspruch nach §§ 990 I, 989 BGB i.V.mit Art. 21 ScheckG zu begründen. Das Gericht erklärte jedoch, daß sich die Beklagte das Wissen der Kreditabteilung fiir die Hereinnahme der Schecks nicht zurechnen Jassen müsse. Maßgebend sei nach dem Gedanken des § 166 I BGB das Wissen der Person, welche die Bank bei der Hereinnahme von Schecks im Rahmen des Geschäftsganges vertrete oder von ihr mit Aufgaben zur Abwicklung des Scheckeinzugs in eigener Verantwortung betraut worden sei. Das seien neben dem Angestellten, der den Scheck am Annahmeschalter entgegennehme, auch die Angestellten, die in der Scheck- und Belegabteilung fiir die Bearbeitung und Überprüfung des Schecks zuständig seien und denen der Scheck von dem Bankschalter oder der Postöffnungsstelle vorgelegt werde. Umstände, die zwar anderen, jedoch mit dem Scheckerwerb und seiner Prüfung nicht befaßten Angestellten bekannt seien, könnten den zuständigen Angestellten und dem Kreditinstitut hingegen grundsätzlich nicht zugerechnet werden. 69 Eine Zurechnung des Wissens komme auch nicht nach den Grundsätzen der "filialübergreifenden Wissenszusanunenrechnung" in Betracht. "Die Angestellten der Kreditabteilung sind mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Aufgaben in dem Bereich des Scheckeinzugs nicht betraut. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Sachverhalten, welche den ... in
68 WM 1995, 378; auf die Entscheidung wird im folgenden als "Kreditabteilungsfall" Bezug genommen. 69 OLG Karlsruhe,WM 1995, 378, 379 f.
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Teil II: Zurechnung von Wissen Bezug genonunenen Entscheidungen des BGH70 zugrunde lagen. Dort hatten die Personen (Kassierer und Leiter einer Bankfiliale) ihr Wissen, das der Bank zugerechnet wurde, gerade in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in dem speziell in Rede stehenden Geschäftskreis erlangt. ... Nur wenn ein sachlicher Zusammenhang der in den verschiedenen Abteilungen der Beklagten angefallenen Vorgänge naheliegt, kann es in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des BGH zur Wissenszusammenrechnung im Verhältnis verschiedener Bankfilialen ... geboten sein, das Aktenwissen einer an dem Priifungsvorgang nicht beteiligten Abteilung der Beklagten zuzurechnen.'o71
j) Der "PKW-Fall" In einer Entscheidung72 jüngeren Datums hat der VIII. Zivilsenat die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung weiterentwickelt. Problematisch war erneut die Zurechnung des Wissens einer art einer konkreten Handlung unbeteiligten Hilfsperson. Der Kläger verlangte die Wandlung eines Kaufvertrags über einen gebrauchten PKW. Diesen hatte er von der Beklagten, einer GmbH & Co. KG, erworben. Der Vertrag war mit dem Inhalt zustande gekommen, daß als Sollbeschaffenheit des Fahrzeugs eine dem Stand des km-Zählers entsprechende Laufleistung von 37000 km vereinbart wurde. In Wahrheit war die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs wesentlich höher. Die erhöhte Gesamtlaufleistung stellte nach Ansicht des BGH einen Mangel dar. Zum Zeitpunkt des Wandlungsbegehrens war die Sechs-Monatsfrist des § 477 BGB bereits abgelaufen. Darüber hinaus hatten die Parteien einen Gewährleistungsausschluß vereinbart. Der Kläger konnte daher nur Erfolg haben, wenn die Beklagte bei Abschluß des Vertrages arglistig gewesen war(§§ 476, 477 I BGB). 73 Die Verhandlungen mit dem Kläger fiihrte der Mitarbeiter R der Beklagten, der in der Gebrauchtwagenabteilung tätig war. Dieser wußte nicht um die erhöhte Gesamtlaufleistung. Den PKW hatte die Beklagte von dem Voreigentümer G in Zahlung genommen. Der G hatte dem für die Beklagte handelnden,
Das OLG Karlsruhe bezieht sich auf den "Supermarktfall" (BGH NJW 1984, 1953; vgl. gerade unter c und die "kanadischen Betrugsfalle" (BGH NJW 1989, 2879 und 2881; vgl. gerade unter g. 71 OLG Karlsruhe, WM 1995, 378, 380. 72 BGH NJW 1996, 1205; auf die Entscheidung wird im folgenden als "PKW-Fall" Bezug genonunen. 73 Es geht hier erneut zunächst nur um die Mangelkenntnis; vgl. fiir die übrigen kognitiven Arglistelemente und das voluntative Element der Arglist unten S. 295 ff. 70
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nicht zwn Vertragsschluß bevollmächtigten Angestellten K mitgeteilt, daß die Gesamtlaufleistung höher war als der Tachostand. Diese Angabe hatte der Angestellte K an die Dispositionsabteilung der Beklagten weitergegeben. Dort wurde die Information in einem Computer gespeichert. Für die Gebrauchtwagenabteilung der Beklagten hatte der Angestellte K entgegen sonstigen Gepflogenheiten im Betrieb der Beklagten nicht unmittelbar bei Hereinnahme des Fahrzeugs, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt zwn Zwecke des Verkaufs eine "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" ausgefiillt. Zu diesem Zeitpunkt, so die Beklagte, sei dem K die Mitteilung über den wahren Kilometerstand nicht mehr erinnerlich gewesen, deshalb habe er den Kilometerzählerstand von 37000 km in die "Vereinbarung" eingetragen. Von dieser Angabe war dann der R ausgegangen. Der BGH hielt zunächst fest, daß es sich bei der Beklagten um eine GmbH & Co. KG handelte, nicht um eine juristische Person; fiir sie handele lediglich eine solche(§§ 161 II, 125 HGB). Für die Frage, ob bei der beklagten KG das fiir eine Arglist erforderliche Tatbestandsmerkmal der Kenntnis des Sachmangels vorliegt, sei auf die Kenntnis ihres einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters abzustellen, also auf die Komplementär-GmbH. 74 Ein insoweit in Betracht kommendes Wissen des Geschäftsfiihrers der Komplementär-GmbH, die dieses Wissen der Kommanditgesellschaft vermitteln würde, stelle das Berufungsgericht nicht fest. 75 Zuzurechnen sei der GmbH allerdings das Wissen des Angestellten K in der Einkaufsabteilung des Unternehmens. Diesem sei die Divergenz zwischen Kilometerzählerangabe und der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs, somit der Sachmangel, bekannt gewesen. Auf den K als sogenannten "Wissensvertreter" finde die Vorschrift des § 166 BGB entsprechende Anwendung. Er sei ermächtigt gewesen, fiir die Beklagte im Rahmen der vorgegebenen Preiskalkulation selbständig bei der Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen tätig zu werden. Er sei demnach damit betraut gewesen, nach außen eigenständig Aufgaben zu erledigen, Informationen zur Kenntnis zu nehmen und sie weiterzuleiten. Der BGH bezog sich fiir die Definition des "Wissensvertreters" auf den "Knollenmergelfall" 76• Folge der Zurechnung sei, daß das Wissen als Wissen der GmbH, nämlich ihres Geschäftsfiihrers, zu betrachten sei. Hierbei sei es unschädlich, daß der Angestellte in der Einkaufsabteilung der Beklagten beschäftigt und somit mit dem Verkauf an den Beklagten nicht befaßt war. Zum einen sollte, so der BGH, der Einkauf des mängelbehafteten Fahrzeugs aus-
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BGH NJW 1996, 1205. BGH NJW 1996, 1205, vgl. zum Organwissen unten S. 317 ff. BGHNJW 1992,1099.
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schließlich zum Zweck des Wiederverkaufs erfolgen; zum anderen war es gerade Aufgabe des Angestellten K, Informationen über das Fahrzeug entgegenzunehmen und an die Verkaufsabteilung weiterzuleiten. 77 Wie die Revision mit Recht rüge, habe das Berufungsgericht aber unberücksichtigt gelassen, daß der Angestellte K - nach dem nicht widerlegten Vortrag der Beklagten- zu dem Zeitpunkt, als er die "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" anfertigte, die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs bereits vergessen hatte. Der VIII. Zivilsenat referierte die strikte Rechtsprechung zum Organwissen78, ließ allerdings unter Bezug auf den "Schlachthausfall" 79 offen, ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten sei. Diese Frage bedürfe im "PKW-Fall" ebensowenig der Vertiefung wie die Frage, ob ein (nur) über sogenannte Wissensvertreter dem Geschäftsfillrrer einer GmbH und somit dieser vermitteltes Wissen überhaupt als nicht mehr vertierbares Wissen eines Organmitgliedes im Sinne der Organrechtsprechung zu betrachten sei und ob das von der Beklagten behauptete Vergessen der maßgeblichen Tatsache dem Ausscheiden des wissenden Organvertreters aus dem Amt gleichzuachten sei. 80 Entscheidend sei in diesem Zusammenhang, daß die GmbH nicht selbst Vertragspartnerin des Klägers geworden, sondern lediglich als Komplementärin der Beklagten aufgetreten sei. Für diesen Fall habe aber der erkennende Senat bereits im "Omnibusfall" 81 entschieden, daß die Fortdauer der Wissenszurechnung davon abhängt, ob es sich bei den fraglichen Tatsachen um "typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen" handelt. Danach könne aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts eine Arglist der Beklagten nicht bejaht werden. Im Ausgangspunkt sei eine Verpflichtung der Beklagten zu bejahen, die Abweichung zwischen der auf dem Kilometerzähler ausgewiesenen und der tatsächlichen, wesentlich höheren Fahrleistung des Fahrzeugs so zu dokumentieren, daß auch bei der Aufspaltung der innerbetrieblichen Organisation zwischen Einkaufs- und Verkaufsabteilung die Information über diesen Umstand nicht "verlorengeht". Dies liege angesichts der besonderen Bedeutung, die der Käufer
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BGH NJW 1996, 1205, 1205 f.
78 V gl. hierzu ausführlich unten S. 317 ff. 79 BGH NJW 1990, 975; vgl. ausführlich unten S. 320 ff. 80 Das Ausscheiden eines Organs aus dem Amt steht nach bisher h. M. der Fortdauer der Wissenszurechnung nicht entgegen; vgl. zuletzt den "Omnibusfall" BGH NJW 1995, 2159; vgl. jetzt aber den "Altlastenfall" BGHNJW 1996, 1339; zu beiden ausführlich unten S. 323 ff. 81 BGHNJW 1995, 2159; vgl. ausführlich unten S. 323 ff.
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eines Gebrauchtwagens gerade dessen Kilometer-Leistung zumesse, auf der Hand. 82 Die Dokumentationspflicht habe die Beklagte indessen dadurch hinreichend erfüllt, daß sie in Gestalt der "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" organisatorische Vorkehrungen getroffen habe, um für einen etwaigen Käufer relevante Informationen schon beim Einkauf eines Gebrauchtwagens schriftlich festzuhalten und an die Verkaufsabteilung weiterzuleiten. Daß der Angestellte K pflichtwidrig diese schriftliche "Vereinbarung" nicht sogleich bei der Hereinnahme des Fahrzeugs ausgefüllt und bei der Nachholung eine unzutreffende Laufleistung eingetragen habe, weil er - nach dem Vortrag der Beklagten - die richtige Zahl vergessen hatte, begriinde lediglich den Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber dem Angestellten K und somit der Beklagten, nicht aber den Kenntnis voraussetzenden Arglistvorwurf Es verhalte sich nicht anders als bei dem Vergessen relevanter Tatsachen durch eine natürliche Person oder als in dem Fall, daß der Angestellte K nicht nur bei der Hereinnahme des Fahrzeugs in der Neuwagenabteilung der Beklagten tätig geworden, ihm der fragliche Umstand aber zwischenzeitlich entfallen wäre. 83 Auf die Speicherung der Fahrzeugdaten einschließlich der richtigen Gesamtlaufleistung im Computer der Dispositionsabteilung und den Umstand, daß die Geschäftsleitung der Beklagten von dieser Informationsmöglichkeit offenbar keinen Gebrauch gemacht habe, komme es nicht an. Die Speicherung im Computer der Dispositionsabteilung sei offenbar nur zu "hausintemem" Gebrauch, insbesondere zur Erstellung der abschließenden Rechnung gedacht. Für die Zwecke des Verkaufs sei hingegen der andere Dokumentationsweg, nämlich die Erstellung der sogenannten "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" geschaffen worden. Daß die Beklagte mit der computermäßigen Erfassung der Daten eine zusätzliche Informationsquelle geschaffen habe, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie - aus hier nicht näher aufgeklärten Gründen - von dieser Quelle keinen Gebrauch mache. 84 Der BGH verwies daher an das Berufungsgericht zurück, um festzustellen, ob der K bei Ausfüllen der "Vereinbarung" die Abweichung der Laufleistung vergessen hatte. Habe der K die "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" wissentlich falsch ausgefüllt, so sei Arglist auf seiten der Beklagten gegeben. 85
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BGH NJW 1996, 1205, 1206. BGH NJW 1996, 1205, 1206. BGH NJW 1996, 1205, 1206. BGH NJW 1996, 1205, 1206; zum Problem der Arglist siehe unten S. 295 ff.
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k) Der "Aufrechnungsfall" In den "kanadischen Betrugsfällen" 86 und im "Knollenmergelfall" 87 nahm der BGH Bezug auf die Entscheidung BGH NJW 1987, 325088 des III. Zivilsenats, um die Reichweite des "Wissensvertreter"-Begriffs zu begrenzen. Im "Aufrechnungsfall" ging es um die Frage, ob eine Bank befugt war, einen ihr zustehenden Schadensersatzanspruch gegen einen Festgeldanspruch aufzurechnen. Die Bank klagte auf Feststellung, daß dem Beklagten ihr gegenüber keine Ansprüche aus einem Festgeldkonto zustünden. Das Konto war von E., dem Bruder des Beklagten, eröffnet worden. E. war langjähriger Mitarbeiter der Klägerin gewesen. Das einbezahlte Geld hatte E. treuhänderisch für den Beklagten angelegt. Der E. hatte sich in strafbarer Weise am Vermögen der Klägerin bereichert. Diese rechnete mit dem ihr deswegen gegen den E. zustehenden Schadensersatzanspruch gegen den Festgeldanspruch auf. Nach Ansicht des BGH wäre eine solche Aufrechnung ausgeschlossen gewesen, wenn es sich bei dem Treuhandkonto um eine sogenannte offene Treuhand gehandelt hätte. Das Konto sei "offen", wenn seine Treuhandnatur der Bank im Zeitpunkt der Kontoerrichtung offengelegt und ihr deutlich gemacht werde, daß darauf ausschließlich Werte gelangen sollten, die dem Kontoinhaber nur als Treuhänder zustehen. 89 Eine solche offene Treuhand war anzunehmen, wenn die Kenntnis des E. bei Eröffuung des Kontos, daß es sich bei dem Guthaben um wirtschaftlich zum Vermögen des Beklagten gehörendes Treuhandgut handelte, der Bank zuzurechnen war. Der BGH verneinte eine solche Zurechnung. "Die Regelung des § 166 I BGB findet- jedenfalls soweit es sich um eine rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht handelt- ihre Rechtfertigung in dem Gedanken der Zurechenbarkeit. Wer sich im rechtsgeschäftliehen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen eines Vertreters bedient, muß es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, daß ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Danach setzt die unmittelbare Anwendung des § 166 I BGB einen Vertretungsfall voraus. Für eine entsprechende Anwendung zu Lasten des "Vertretenen" ist nach dem Gesagten nur dort Raum, wo ein dieser Interessenlage vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. Das ist der Fall, wenn sich der Vertretene eines anderen wie eines Vertreters bedient ... "90
BGH NJW 1989, 2879 und 2881; siehe gerade unter g. BGH NJW 1992, 1099; siehe gerade unter h. 88 Auf die Entscheidung wird im folgenden als "Aufrechnungsfall" Bezug genommen. 89 BGH NJW 1987, 3250, 325 I . 90 BGH NJW 1987, 3250, 3251. 86
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An diesen Voraussetzungen fehle es im "Aufrechnungsfall". Der Bruder des Beklagten habe den Kontoeröffnungsantrag nicht als Repräsentant der Klägerin, sondern als ihr Kunde gestellt. Als solcher sei er weder Vertreter der Klägerin gewesen, noch sei er zu dieser in einem vertretungsähnlichen Verhältnis gestanden. Er habe vielmehr ausschließlich seine eigenen Interessen bzw. diejenigen des Beklagten als seines Treugebers verfolgt. Das schließe es aus, seine Kenntnis vom Treuhandverhältnis nach§ 166 I BGB der Klägerin zuzurechnen. 91 1) Die Position der Rechtsprechung Aus dem Überblick ergibt sich, daß nicht von einer gefestigten Rechtsprechung gesprochen werden kann. Im "Grundschuldfall" 92 befürwortet der BGH analog § 166 I BGB eine extrem weitgehende Wissenszurechnung. Wissen, das die Hilfsperson bei geschäftlicher Tätigkeit fiir den Geschäftsherrn erlangt, ist Wissen des Geschäftsherrn. Der Geschäftsherr wird also gleichsam mit dem dienstlich erworbenen Wissen der Hilfsperson infiziert. Dies scheint auch die Formel aus dem "Darlehensfa11" 93 zu besagen, wonach derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muß. Diese strenge Wissenszurechnungskonzeption verfolgt der BGH auch im "Supermarktfal1" 94• Er rechnet dem Geschäftsherrn Wissen, das eine Hilfsperson dienstlich erlangt hat, fiir Rechtshandlungen zu, die nicht von der wissenden, sondern ausschließlich von anderen HUfspersonen vorgenommen wurden,95 ohne daß gefragt wird, ob die wissende Hilfsperson um die anderen Geschäfte wußte. Eine Einschränkung kann jedoch gemacht werden: der BGH behauptet nur die Zurechnung des Wissens des Kassierers fiir Geschäfte mit dem Gemeinschuldner. Ob das Wissen auch in einem anderen Zusammenhang zugerechnet worden wäre, bleibt offen. Sehr vorsichtig ist der BGH mit der Zurechnung von Kenntnis eines "Wissensvertreters" analog§ 166 I BGB in den Entscheidungen, in denen es um den Beginn des Laufes der Verjährungsfrist des § 852 I BGB geht. 96 So geht BGH NJW 1987, 3250, 3251. BGHZ 41, 17. 93 BGHZ 83, 293. 94 BGH NJW 1984, 1953. 95 Jedenfalls an der Gutschrift der Überweisungsbeträge war der Kassierer nicht beteiligt. 96 Vgl. den "Landesversorgungsarntsfall" (BGHNJW 1986, 2315), den "Versicherungsanstaltsfall" (BGH NJW 1992, 1755) und den "Betriebsprüferfall" (BGH NJW 1994, 1150). Dieser Rechtsprechung stimmt Schnaufer, Kenntnis des Geschädigten, s. 68 ff. zu. 91
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der BGH zwar im "Landesversorgungsamtsfall" 97 von der Formel des "Darlehensfalls" 98 aus, daß das Wissen99 eines "Wissensvertreters", der mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung betraut sei, dem Geschäftsherrn zugerechnet werde. Der BGH verlangt jedoch nicht nur wie im "Supermarktfal1" 100, daß das Wissen dienstlich erlangt wurde, sondern auch daß der "Wissensvertreter" "sachzuständig" für die Vomahme einer Handlung aufgrund der Kenntnis war. Zwar unterscheidet sich die tatsächliche Situation dahingehend, daß im "Supermarktfal1" 101 die Kenntnis der wissenden Hilfsperson im Zusammenhang mit der Handlung einer anderen Hilfsperson relevant ist, im "Landesversorgungsamtsfal1" 102 Kenntnis hingegen an sich Rechtsfolgen auslöst. In beiden Fällen geht es jedoch um die Frage, ob dienstlich erlangtes Wissen einer Hilfsperson - handlungsunabhängig - dem Geschäftsherrn für Handlungen bzw. unterlassene Handlungen zugerechnet werden kann, für die die wissende Hilfsperson nicht zuständig ist, für die dieser also nicht die Aufgabe des Selbstschutzes durch den Geschäftsherrn übertragen ist. Im "Supermarktfal1"103 bejaht der BGH dies, im "Landesversorgungsamtsfal1" 104 verneint er dies. Eine gegenteilige Entscheidung hätte durchaus nahegelegen. Im "Supermarktfal1" 105 wußte der Kassierer jedenfalls nicht um die Gutschrift der Überweisungsbeträge, im "Landesversorgungsamtsfall" 106 ist hingegen davon auszugehen, daß die Grundsatzabteilung mit Erlangung der Kenntnis von Schaden und Schädiger auch wußte, daß dem Landesversorgungsamt ein Ersatzanspruch zustand. Obwohl der BGH also jeweils an § 166 I BGB oder an den im "Darlehensfal1" 107 aus dieser Vorschrift entwickelten Rechtsgedanken anknüpft, kommt er zu gegensätzlichen Ergebnissen. In den "kanadischen Betrugsfällen" 108 sucht er diesen Gegensatz zu begründen. Für die Wissenszurechnung bei § 852 BGB gälten besondere Grundsätze,
97 BGH NJW 1986,2315. 98 BGHZ 83, 293. 99 Im "Landesversorgungsamtsfall", BGH NJW 1986, 2315, erwähnt der BGH nicht ausdrücklich, daß das Wissen dienstlich erlangt sein muß, doch ist dies wohl selbstverständlich. 100 BGH NJW 1984, 1953. 101 BGH NJW 1984, 1953. 102BGHNJW 1986,2315. 103 BGHNJW 1984,1953. 104BGHNJW 1986,2315. 105 BGH NJW 1984, 1953. 106 BGH NJW 1986,2315. 107 BGHZ 83, 293. 108 BGH NJW 1989, 2979 und 2881.
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die bei der Wissenszurechnung im Rahmen von § 30 Nr. 1 K0 109 und § 142 II BGBll 0 keine Anwendung fänden. Als Begründung findet sich lediglich die Behauptung, daß der Schädiger bei § 852 BGB keinen Anspruch darauf habe, daß die Kenntnis möglichst früh eintrete. Für ihn gelte kein Schuldnerschutz. Aber diese Begründung erklärt nicht, warum einmal dem Geschäftsherrn dienstlich erlangtes Wissen seiner Hilfsperson auch für Handlungen zugerechnet wird, für die diese nicht zuständig ist, das andere Mal eine solche Zurechnung unterbleibt. Bei der Zurechnung im "Supermarktfall"ll 1 spielte das Organisationsverschulden gar keine Rolle, die Zurechntmg war automatische Konsequenz des dienstlichen Erlangens von Kenntnis. In den "kanadischen Betrugsfällen" 112 relativiert der BGH auch die strikte Wissenszurechnung aus dem "Supermarktfall" 113 • Dienstlich erlangtes Wissen einer Hilfsperson sei jedenfalls "filialübergreifend" nur zuzurechnen, wenn ein Informationsaustausch möglich und naheliegend war. Ob dies bedeutet, daß Wissen innerhalb einer Filiale auch dann zuzurechnen ist, wenn der Wissensaustausch nicht möglich und naheliegend ist, bleibt in den "kanadischen Betrugsfällen"114 offen. Das OLG Karlsruhe hat im "Kreditabteilungsfall" 115 die filialinterne Zurechnung dienstlich erlangten Wissens nur für den Fall befürwortet, daß der Informationsaustausch zwischen Abteilungen möglich und naheliegend ist. Im "Knollenmergelfall" 116 schließlich versucht der BGH, die verschiedenen Fäden zusarnmenzu:fiihren. Die eigentliche Entscheidung überrascht nicht, da der Sachbearbeiter sein Wissen in Ausübung einer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit erlangt hat. Von Interesse sind aber die grundsätzlichen Ausführungen des BGH. Obwohl der Sachverhalt auf einer Linie mit dem "Supermarktfall" 117 und den "kanadischen Betrugsfallen"ll 8 lag, 119 also kein Sonderfall wie der "Landesversorgungsamtsfall" 120, der "Versicherungsanstaltsfall" 121 und der 109 Im "Supermarktfall", BGH NJW 1984, 1953. 110 In den "kanadischen Betrugsfällen", BGH NJW 1989,2879 und 2881. ll 1 BGHNJW 1984,1953. 112 BGH NJW 1989,2879 und 2881. 113 BGH NJW 1984, 1953. ll4 BGH NJW 1989, 2879 und 2881. 115 OLG Karlsruhe, WM 1995, 378. JJ6 BGH NJW 1992, 1099. 117 BGHNJW 1984,1953. 118 BGH NJW 1989,2879 und 2881. 11 9 In allen drei Fällen wurde die Kenntnis relevant fiir die Bestimmung von Rechtsfolgen von Handlungen im rechtsgeschäftliehen Verkehr. 120 BGH NJW 1986,2315.
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11 Betriebsptüferfall11122 war, verlangte der BGH zur Begründung der Zurechnung von Wissen neben der Übertragung der Angelegenheit, bei der das Wissen erworben wurde, zur Erledigung in eigener Verantwortung, daß die Hilfsperson berufen sei, Informationen zur Kenntnis zu nehmen und weiterzuleiten. Dies erinnert stark an den 11 Landesversorgungsarntsfall 11 123 , wo zusätzlich zur Eigenverantwortlichkeit bei der Informationsaufnahme eine Übertragung der Sachzuständigkeit zwn Handeln aufgrund der Information gefordert wurde. Im 11 Knollenmergelfall11124 wird nun eine Sachzuständigkeit zur Informationsweitergabe gefordert. Es wird allerdings nicht deutlich, ob die Zuständigkeit zur Kenntnisnahme und Weiterleitung von Information nicht in der Regel schon aus der Übertragung einer Aufgabe folgt, bei der solches Wissen erworben wird.
Im 11 Knollenmergelfall11125 betont der BGH, daß der Geschäftsherr sich der Hilfsperson wie eines Vertreters bedienen müsse, dieser also nach außen auftreten muß, damit eine Wissenszurechnung in Betracht kommt. Er knüpft damit an das Offenkundigkeilsprinzip der Stellvertretung an und beruft sich zur Begründung auf den 11 Aufrechnungsfall 11126• Im 11 Aufrechnungsfall 11127 ging es aber um die Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir eine Handlung, an der diese selbst beteiligt war. Im 11 Knollenmergelfall11128 ging es hingegen um die ganz andere Frage der Zurechnung für eine Handlung, an der die Hilfsperson nicht beteiligt war. Im 11 PKW-Fall11129 greift der BGH die 11 Wissensvertreter11 -Definition des auf. Er verlangt für die Zurechnung neben der Übertragung der Aufgabe, bei der Informationen erlangt werden, zur eigenständigen Erledigung auch die Betrauung mit der Aufgabe, die erlangten Informationen zur Kenntnis zu nehmen und sie weiterzuleiten. Allerdings scheint die Aufgabe, Informationen zur Kenntnis zu nehmen und sie weiterzuleiten, sich zwangsläufig aus der Übertragung der Aufgabe zu übergeben, bei der Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen tätig zu werden. Neu ist, daß der BGH das Wissen des 11 Wissensvertreters 11 nicht einfach nur fiir das relevante Geschäft zurechnet, sondern als Wissen des Geschäftsherm, der Komplementär-GmbH bzw. ihres 11 Knollenmergelfalls111 30
BGHNJW 1992,1755. 1994, 1150. 123 BGH NJW 1986,2315. 124 BGH NJW 1992, 1099. 125 BGH NJW 1992, 1099. 126 BGH NJW 1987, 3250. 127 BGH NJW 1987,3250. 128 BGH NJW 1992, 1099. 129 BGH NJW 1996, 1205. 130 BGH NJW 1992, 1099. 121
122 BGH NJW
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Geschäftsfiihrers betrachtet. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß er das Problem des Vergessens so als Problem des Vergessens von Organwissen diskutieren kann. 131 So ergibt sich, daß Wissen einer Hilfsperson einer Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG diese nicht dauerhaft infiziert, sondern ihr nur anhaftet, sofern es typischerweise aktenmäßig festgehalten wird. Allerdings genügt es dann, daß Vorkehrungen getroffen werden, die Information aktenmäßig zu erfassen. Eine Pflichtwidrigkeit der Hilfsperson fällt der GmbH & Co. KG nicht zur Last. Der "Wissensvertreter"-Begriff, den der BGH auf eine entsprechende Anwendung des § 166 I BGB stützt, bietet nach alldem keine klare Zurechnungskonzeption. In der Praxis ist der BGH, wie gesehen, mit dem "Wissensvertreter"-Begriff zu gelegentlich unvereinbaren Entscheidungen gekommen. Ungeklärt ist insbesondere auch das Zusammenspiel von allgemeinen Wissenszurechnungsregeln und speziellen Wissenszurechnungsregeln für die konkreten Normen, von denen die Rechtsprechung offensichtlich ausgeht. Zusätzliche Unklarheit besteht seit der Entscheidung des V. Zivilsenats BGH im "Altlastenfall" 132• An sich ging es in der Entscheidung um die Zurechnung von Organwissen, für die der BGH in ständiger Rechtsprechung spezielle Regeln entwickelt hatte, 133 doch erklärte der V. Zivilsenat, daß für die Wissenszurechnung bei organschaftliehen und unterorganschaftliehen HUfspersonen einheitliche Grundsätze gälten. 134 . Der V. Zivilsenat ging für die Wissenszurechnung nicht mehr von § 166 I BGB aus, sondern schloß sich Stimmen in der Literatur an, die die Zurechnung von Wissen auf eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation stützen wollen. 135 In BGH NJW 1997, 1917 ff. hat der XI. Zivilsenat die im "Altlastenfall" 136 entwickelten Grundsätze auf die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen angewendet. Zwar behauptet er zunächst, für die Zurechnung von § 166 BGB auszugehen, tragende Zurechnungsgründe sind dann jedoch das Gleichstellungsargument137 und eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation und Dokumentation von Wissen. Da sich der BGH jedenfalls faktisch von § 166 I BGB löst, 131 Vgl. für das Organwissen S. 317 ff. 132 BGH NJW 1996, 1339; vgl. ausführlich unten S. 328 ff. 133 Vgl. unten S. 317 ff. 134 BGH NJW 1996, 1339, 1341. Der Sachverhalt der Entscheidung soll gleichwohl erst bei der Erörterung des Problemkreises des Organwissens geschildert werden, vgl. unten S. 328 ff. 135 Der BGH bezieht sich auf Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 ff. und Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 ff. 136 BGH NJW 1996, 1339. 137 Vgl. hierfür ausführlich S. 176 ff.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
soll auf die Zurechnungskonzeption der Entscheidungen im Zusammenhang mit den Literaturstimmen, denen sich der BGH anschloß, eingegangen werden. 138 2. Die Literatur
Auch in der Literatur wird die Lösung des Problems der handlungsunabhängigen Zurechnung des Wissens unbeteiligter Hilfspersonen ausgehend von § 166 I BGB gesucht. Wie in der Rechtsprechung ist hier jedoch manches unklar. So folgen Teile der Kommentarliteratur der Konzeption der Rechtsprechung. Heinrichs 139 behandelt die "Wissenszusammenrechnung" 140 als Fall einer entsprechenden Anwendung von § 166 I BGB. Diese könne auch gerechtfertigt sein, wenn die Information in einem arbeitsteilig organisierten Betrieb bei einer Person oder Stelle ist, die an dem Vorgang unbeteiligt ist. Voraussetzung fiir die Wissenszurechnung sei, daß nach Treu und Glauben eine Pflicht zur Organisation eines Informationsaustausches bestehe 141 • Ergänzend wird also § 242 BGB herangezogen. Auch Schramm 142 diskutiert die "Wissenszusammenrechnung" als Weiterung des persönlichen Anwendungsbereiches der Vorschrift des § 166 I BGB. Den Leitgedanken fiir eine Wissenszurechnung sieht er in der Pflicht eines Unternehmens zur Organisation von Information. Leptien 143 scheint ebenfalls analog § 166 I BGB einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung zuzuneigen. Grundlegend fiir die Rechtsprechung zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB war, wie gesehen, das von Richardi 144 formulierte Zurechnungsprinzip des§ 166 I BGB, das der BGH im "Darlehensfall" 145 übernahm. Wenn jemand einen anderen mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung betraue, müsse er sich das in ihrem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen. 146 Mit der von ihm gewählten Formulierung erfaßt Richardi nicht nur den Fall der Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson fiir die von ihr selbst durchgefiihrte Handlung.
Vgl. flJr den "Altlastenfall" daher S. 210 ff. und S. 328 ff. Vgl. Palandt!Heinrichs, § 166 Rdnr. 8. 140 Nach der hier befiirworteten Terminologie (S. 30) geht es zumindest auch um Fälle der Wissenszurechnung. 14 1 Palandt/Heinrichs, § 166 Rdnr. 8. 142 Vgl. MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 21 a, b. 143 Vgl. Soergel/Leptien, § 166 Rdnr. 6; vgl auch§ 164 Rdnr. 11. 144 AcP 169 (1969), 385 ff. 145 BGHZ 83, 293. 146 Vgl. zu den Voraussetzungen im einzelnen Richardi, AcP 169 (1969), 385, 403. 138
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Auf seine Formelläßt sich vielmehr auch die dauerhafte Zurechnung des dienstlich erlangten Wissens stützen. Allerdings wird nicht deutlich, ob Richardi dies möchte. Er scheint nämlich im Gegensatz zur Weite seiner Formel doch nur von einer Zurechnung für die Fälle auszugehen, in denen die Hilfsperson selbst handelt.147 Andererseits erklärt er, daß die Fälle, in denen Wissen an sich erheblich ist, ohne daß gehandelt werden muß, über ein Zurechnungsprinzip der Wissensvertretung erfaßt werden könnten.1 48 Ambivalent ist insofern auch der Gedanke Raisers 149, der anknüpfend an § 166 I BGB formuliert, daß, wer sich im Rechtsverkehr fremder Hilfe bediene und die Wirkung des Handeins für sich in Anspruch nehme, auch die Nachteile daraus in Kauf nehmen müsse und sich nicht der eigenen sauberen Hände rühmen dürfe, wenn andere sie sich für ihn schmutzig gemacht haben. Auf die Formulierung ließe sich auch eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung stützen. Der "Schmutz" des Wissens würde dann dem Geschäftsherrn dauerhaft anhaften. Eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung ist aber wohl von Raiser nicht gewollt. Für eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung analog § 166 I BGB spricht sich Lehmann150 aus. Nach Ansicht Lebmanns muß sich der Geschäftsherr Wissen, das von einer vertreterähnlich am Rechtsverkehr teilnehmenden Person erlangt wird, zurechnen lassen. Dies müsse zumindest insoweit gelten, als ein Informationsaustausch möglich und naheliegend ist, der Rechtsverkehr also mit der Verarbeitung entsprechender Informationen rechnen muß.151 Auch Westerhoff scheint unter Bezug auf die Formel Richardis 152 eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung analog § 166 I BGB zu befürworten. 153 Allerdings unterscheidet er nicht klar zwischen den Problemen handlungsabhängiger und handlungsunabhängiger Wissenszurechnung. Über§ 166 I BGB analog will auch V. Behrens handlungsunabhängig Wissen von Hilfspersonen zurechnen. 154 Er zieht zur Begrüridung auch § 164 III BGB heran. 155 Im Ergebnis stimmt Donleder Rechtsprechung des BGH zur Wissens-
147 So lassen sich jedenfalls die Ausführungen aufS. 397 von AcP 169 (1969), 385
lesen.
148 Richardi, AcP 169 (1969), 385, 395. 149 JZ 1961, 26, 27. 150 DStR 1995, 1027, 1029. 151 Lehmann, DStR 1995, 1027, 1029. 152 Vgl. AcP 169 (1969), 385, 403. 153 Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 39 ff. 154 Drittzurechnung,
S. 41 ff.
155 Drittzurechnung, S. 43.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
zurechnung fiir das von ihm behandelte Teilproblem der Wissenszurechnung bei § 852 BGB zu. 156 Neben der Zuständigkeit der Hilfsperson, deren Wissen zugerechnet werden soll, verlangt er auch noch die Kompetenz der kenntniserlangenden Person, die wahrgenommenen Tatsachen in ihrer rechtlichen Relevanz zu bewerten. 157
3. Die Lückenfeststellung mit§ 166 I BGB Nachdem oben ratio legis, analoger Anwendungsbereich des § 166 I BGB und Reichweite des aus dieser Vorschrift ableitbaren allgemeinen Rechtsgedankens ausfiihrlich diskutiert wurden 158, kann hier ohne große Schwierigkeiten festgestellt werden, daß sich mit analoger Anwendung des § 166 I BGB oder der Anwendung eines aus dieser Vorschrift abgeleiteten allgemeinen Rechtsgedankens bereits keine Lücke fiir die Frage der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung feststellen läßt. 159 Das Fehlen einer Regelung über die handlungsunabhängige Wissenszurechnung, also der Zurechnung in den Fällen, in denen Wissen einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung einer anderen Hilfsperson relevant ist, und der Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson in den Fällen, in denen Wissen an sich relevant ist, ließe sich nur dann mit § 166 I BGB als planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes betrachten, wenn die Norm in ihrem direkten Anwendungsbereich eine handlungsunabhängige Zurechnung anordnen würde. Eine solche schreibt § 166 I BGB aber auch nicht in ihrem direkten Anwendungsbereich vor. Gibt ein Vertreter eine Willenserklärung fiir den Vertretenen ab, so wird das dienstliche und private Wissen des Vertreters nur fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der gerade abgegebenen Erklärung zugerechnet. Auch das dienstlich erworbene Wissen des Vertreters haftet dem Vertretenen nicht dauerhaft an, es "infiziert" ihn nicht. 160 § 166 I BGB ordnet in seinem direkten Anwendungsbereich also nur eine handlungsabhängige Wissenszurechnung an. 161
156 FS Klaka, S. 6, 8 ff. Es wird allerdings nicht deutlich, ob Donle noch an § 166 I BGB anknüpft. Er geht zumindest von der Rechtsprechung zu§ 166 I BGB aus. 157 Don/e, FS Klaka, S. 6, 9. 158 Vgl. S. 49 ff. 159 Vgl. oben S. 60 dazu, daß Analogie und Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens bereits der Feststellung einer Lücke dienen. Von einer Lücke geht wohl Waltermann , AcP 192 (1992), 181,212 f. aus, der diese Lücke dann allerdings nicht mit § 166 I BGB für in methodisch zulässiger Weise schließbar hält (S. 213 f .). 160 Dies sieht auch Schilken (Wissenszurechnung, S. 214) so, der dann allerdings der Möglichkeit einer anderen Begründung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung nicht nachgeht:
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer HUfsperson
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Würde man aber eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung auf eine Norm stützen, die lediglich eine handlungsabhängige Wissenszurechnung anordnet, gäbe man der Norm bei analoger Anwendung oder bei Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Norm eine Rechtsfolge, die sie bei direkter Anwendung nicht hat. Für die Analogie ist dies ausgeschlossen, da bei dieser die Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen übertragen wird. 162 Aber auch bei Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus einer Vorschrift läßt sich dieser der Rechtsgedanke nur so weit entnehmen, wie er in ihr zum Ausdruck kommt. § 166 I BGB regelt lediglich eine handlungsabhängige Wissenszurechnung. Das Wissen der Hilfsperson wird nur für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, an der sie selbst beteiligt war, zugerechnet. Nur dieser Gedanke kann daher aufverwandte Tatbestände übertragen werden. Der in Literatur und Rechtsprechung aus § 166 I BGB abgeleitete allgemeine Rechtsgedanke, daß derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muß, ist insofern doppelt falsch. Bei § 166 I BGB kommt es nicht darauf an, wo und wie der Vertreter seine Kenntnis erlangt hat, es wird die gesamte Kenntnis zugerechnet. Andererseits muß sich der Vertretene das Wissen eben nicht dauerhaft entgegenhalten lassen. Die Zurechnung erfolgt nur für die konkret vorgenommene Handlung.
"§ 166 BGB erklärt nicht bereits das Wissen oder Wissenmüssen jeder vertretungsberechtigten Person als zulasten des Vertretenen beachtlich, sondern verlangt darüber hinaus die Abgabe einer Willenserklärung durch diesen Vertreter, d. h. aber ein in einem bestimmten Rechtsgeschäft aktualisiertes Handeln. Erst ein solches Handeln hebt die Stellung des Vertreters aus einer bloß abstrakten, latenten Befugnis heraus, und ordnet den Vertreter im Geschäftsbereich des Vertretenen als Zuordnungsmittler fiir ein bestimmtes Rechtsgeschäft ein. Damit wird zugleich die Verbindung zum betroffenen Geschäftspartner geschaffen, die es rechtfertigen kann, auch die Kenntnisse des Vertreters zulasten seines Geschäftsherrn zu berücksichtigen. Bei bloß abstrakter, nicht realisierter Vertretungsbefugnis fehlt es an einem solchen arbeitsteiligen Einsatz des Vertreters; seine Person wird in das betreffende Rechtsgeschäft nicht mit einbezogen und kann seine rechtliche Beurteilung deshalb auch nicht beeinflussen. Die in § 166 BGB angeordnete Zurechnung ist stets nur Konsequenz der Einschaltung eines Zuordnungsmittlers und Ausgleich des aus einer solchen Arbeitsteilung gezogenen Vorteils, das Rechtsgeschäft nicht in eigener Person verwirklichen zu müssen." Nur bei konkretem Einsatz einer HUfsperson komme es zur Arbeitsteilung. (Wissenszurechnung, S. 214, vgl. auch S. 74). 161 Vgl. auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 46 ff., 78. 162 Vgl. zur Analogie Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
§ 166 I BGB ist also der falsche Ansatzpunkt fiir eine handhmgsunabhängige Wissenszurechnung. 163 Mit der ungenauen Formulierung des Rechtsgedankens werden zwei verschiedene Fragen, die handlungsunabhängige und die handlungsabhängige Wissenszurechnung, unzulässigerweise verwischt. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß der von Rechtsprechung und Teilen der Literatur formulierte allgemeine Rechtsgrundsatz sachlich falsch ist. Möglicherweise läßt er sich anders begründen. Dies soll im folgenden erörtert werden.
4. Fälle nur scheinbar handlungsunabhängiger Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des§ 1661 BGB Legt man ein extensives Verständnis der Handlung zugrunde, fiir die Bestimmung von deren Rechtsfolgen es auf die Kenntnis bestimmter Umstände ankommt, so läßt sich auch mit Hilfe des Analogieschlusses oder der Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus der Vorschrift des § 166 I BGB - allerdings handlungsabhängig- das Wissen mehrerer Hilfspersonen zusammenrechnen. So kam der BGH mit richtiger Begründung in zwei dem "Supermarktfall"164 verwandten Entscheidungen zur scheinbar handlungsunabhängigen, tatsächlich aber handlungsabhängigen Zurechnung des Wissens mehrerer Hilfspersonen. a) Der" Scheckbetrugsfall I" In BGH NJW 1974,438 165 hatte der II. Zivilsenat über folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Die Klägerin hatte einen (Inhaber-) Verrechnungsscheck auf die Filiale der Deutschen Bank in L gezogen. Diesen gab sie in die Post. Der Postbeamte F entwendete den Brief und legte den Scheck bei einer Filiale der Beklagten in D vor. Der Betrag wurde einem Konto gutgeschrieben, das der F unter falschem Namen eröffnet hatte. Die Klägerin verlangte Schadensersatz nach §§ 990, 989 BGB i.V. mit Art. 21 ScheckG, da die Bank beim Erwerb des
163 Gegen eine analoge Anwendung des § 166 I BGB in den Fällen handlungsunabhängiger Wissenszurechnung sprechen sich auch Wa/termann, AcP 192 (1992) 181, 208 ff. und Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 46 ff. aus. Wie hier aus methodischen Gründen ablehnend gegenüber einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung über§ 166 I BGB auch Reischl, JuS 1997, 783, 787 und Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 50 ff., 78. 164 BGH NJW 1984, 1953. 165 Im folgenden wird auf diese Entscheidung als "Scheckbetrugsfall I" Bezug genommen.
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Schecks aus grober Fahrlässigkeit 166 nicht gewußt habe, nicht zum Erwerb des Schecks berechtigt zu sein. Zunächst stellte der BGH fest, daß einem Geschäftsherm im allgemeinen eine grobe Fahrlässigkeit des Besitzdieners zur Last falle, da dieser es in der Regel allein sei, der - insoweit ähnlich wie ein Vertreter handelnd - beim Besitzerwerb tätig werde. 167 Besitzdiener beim Erwerb eines Schecks sei aber nur der Schalterbeamte. Dennoch sei der Rechtsgedanke des§ 166 BGB verwertbar. "Die zum Besitzerwerb filhrende vertretungsähnliche Handlung, die zur entsprechenden Anwendung des § 166 BGB führt, besteht hier nicht nur in der Tätigkeit des Schalterbeamten allein, sondern auch in dem Handlungsbeitrag dessen, der durch die Bereitstellung des Kontos die Einreichung des Schecks zur Einlösung und den Besitzerwerb vorbereitet und überhaupt erst ermöglicht. Die Unkenntnis von Tatsachen, die gegen die Eröffitung eines Kontos und damit von vornherein auch gegen die Legitimation des Kontoinhabers im Falle der Einreichung von Verrechnungsschecks sprechen und bei der Kontoeröffitung nur aus grober Fahrlässigkeit des betreffenden Bankangestellten unbekannt bleiben, muß sich die Bank daher ebenso entgegenhalten lassen wie eine grobe Fahrlässigkeit des Schalterbeamten."168 Im Ergebnis verneinte· der BGH eine Haftung der Bank, da auch dem kontoeröffnenden Bankbeamten keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen war. 169 Im "Superrnarktfall" 170 ist dem BGH dieser Weg verschlossen gewesen. Die Empfangnahme des Geldes hatte nichts mit der Gutschrift der Überweisungen zu tun. Bei der Kontoeröffnung handelt es sich hingegen um eine fortwirkende Tatsache. An sich muß die Bank zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit die Identität des Scheckeinreichers prüfen. Sie wird davon entlastet, wenn der Scheckeinreicher bereits ein Konto bei der Bank besitzt, weil dann seine Personalien bei der Kontoeröffnung überpriift worden sind. 171 Die Bank kann dann natürlich nicht durch eine solche Verlagerung der Identitätsprüfung eine Veringerung der an sie bei der Scheckeinreichung zu stellenden Sorgfalts-
166 Daß es im "Scheckbetrugsfall I" um die Zurechnung grober Fahrlässigkeit ging, ändert nichts an der Problematik der Frage, das Wissen bzw. Wissensmüssen welcher Hilfspersonen über§ 166 I BGB zuzurechnen ist. 167 BGH NJW 1974, 438, 439. 168 BGH NJW 1974, 458, 459. 169 BGH NJW 1974, 438, 439. 170 BGH NJW 1984, 1953. 171 Vgl. z. B. Staudinger/Gursky, § 990 Rdnr. 66.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
anforderungen bewirken. 172 Es läßt sich also gut begründen, die zum Besitzerwerb des Schecks fiihrende Handlung extensiv zu interpretieren. b) Der "Scheckbetrugsfall II" Auf dem im "Scheckbetrugsfalll'' 173 beschrittenen Weg hat der XI. Zivilsenat des BGH in BGH NJW 1993, 1066 174 auch das Wissen eines Mitarbeiters einer anderen Filiale als der, in der der Scheck eingereicht wurde, für erheblich erklärt, also filialübergreifend Wissen zugerechnet. Der K reichte in der Filiale N der Beklagten einen gestohlenen Scheck ein. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er bei der Filiale G der Beklagten ein Girokonto eröffuet. Die Filiale N leitete den Scheck sowie die Scheckeinreichungsbescheinigung der Filiale in G zur weiteren Bearbeitung zu. Diese legte den Scheck der bezogenen Bank vor. Maßgebend sei, so der BGH, nach § 166 I BGB das Wissen der Personen, die die Bank bei der Hereinnahme von Schecks vertreten. Für den Schadensersatzanspruch aus §§ 990, 989 BGB i. V mit Art. 21 ScheckG sei daher auch das aktuelle Wissen der Angestellten in der Filiale G, die erst die engültige Entscheidung über die Hereinnahme des Schecks trafen, über den Scheckeinreicher zuzurechnen.175 Der BGH hielt die Filiale in G für grob fahrlässig hinsichtlich der Nichtberechtigung des Scheckeinreichers. Mit der weiten Ausdehnung der zum Besitzerwerb fiihrenden Handlung kommt der BGH daher hier sogar zu einer filialübergreifenden Wissenszurechnung über§ 166 I BGB analog 176. Die Zurechnung über § 166 I BGB oder einen aus dieser Vorschrift abzuleitenden Rechtsgedanken setzt aber stets voraus, daß die Hilfspersonen, deren Wissen zugerechnet werden soll, an der zum Besitzerwerb fiihrenden Handlung beteiligt waren. Es handelt sich bei den diskutierten Fällen daher lediglich scheinbar um Fälle einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung.
5. Zusammenfassung Die h. M. in Rechtsprechung und Literatur löst die Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung mit geringfügigen Abweichungen im Detail ebenso wie die der handlungsabhängigen Wissenszurechnung über eine analoge Anwendung des § 166 I BGB oder dessen allgemeinen Rechtsgedanken. Der
172 Staudinger/Gursky, § 990 Rdnr. 66. 173 BGH NJW 1974, 438. 174 Im folgenden wird auf diese Entscheidung als "Scheckbetrugsfall li" Bezug genommen. 175 BGH NJW 1993, 1066, 1067. 176 Der BGH scheint von einer direkten Anwendbarkeit auszugehen.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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BGH rechnet dem Geschäftsherrn so das Wissen seiner "Wissensvertreter" zu. "Wissensvertreter" ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. § 166 I BGB ist aber der falsche Ansatzpunkt fiir eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung. Die Vorschrift regelt in ihrem direkten Anwendungsbereich lediglich eine handlungsabhängige Wissenszurechnung, dann ist es aber methodisch unzulässig, auf sie eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung zu stützen. Die Lösung der h. M. in Rechtsprechung und Literatur ist daher jedenfalls in der Begründung falsch. II. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über § 166 II BGB
Eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung, nämlich die Zurechnung des Wissens des Vertretenen zur Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, die er selbst nicht vorgenommen hat, der Abgabe einer Willenserklärung durch den Vertreter, ist in§ 166 II BGB 177 angeordnet. 178 Voraussetzung ist, daß der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vertretenen gehandelt hat. Die Vorschrift setzt natürlich nicht unbedingt eine Weisung des Geschäftsherrn selbst voraus, auch der Bevollmächtigte kann seinen Unterbevollmächtigten anweisen. 1. Weite Auslegung des Begriffs Weisung
Die Rechtsprechung ist schon bald über die wörtliche Anwendung des § 166 II BGB hinausgegangen, da diese zu unbefriedigenden Ergebnissen fiihre 179• Nach der weiten Auslegung des Begriffs der "Weisung" durch die Rechtsprechung genügt es, wenn der Vertretene den Vertreter zu einem bestimmten Geschäft veranlassen wollte. In RG JW 1916, 317 hatte der Vertretene den Vertreter zur Einklagung eines Wechsels bevollmächtigt. Dies führte letztendlich zur Pfändung der Wohnungseinrichtung des späteren Gemeinschuldners. Das Reichsgericht entschied, daß es fiir die Anfechtbarkeit der Pfändungen nach § 30 Nr. 2 KO auch auf die Kenntnis des Vertretenen vom
177 Vgl. schon oben S. 43 dafür, daß § 166 II BGB hier als Vorschrift über eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung angesehen wird, dies allerdings voraussetzt, daß die Weisung keine Handlung ist. Im Ergebnis ist die Einteilungjedoch lediglich von terminologischer Bedeutung. 178 Da Wissen und Wissen addiert wird, handelt es sich eigentlich um einen Fall der Wissenszusammenrechnung. 179 Vgl. RG JW 1916,317,318.
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Teil li: Zurechnung von Wissen
Konkurseröffinmgsantrag ankomme(§ 166 II BGB). 180 Es genüge, daß das vom Vertretenen von vornherein in eine bestimmte Richtung gelenkte Vorgehen seines Bevollmächtigten im allgemeinen Verlauf in dem Bewußtsein und Willen des Machtgebers lag. 181 Das Reichsgericht hielt es für entscheidend, ob der Vertretene zum Zeitpunkt der Pfändungen von dem Konkurseröffuungsantrag gewußt hatte. Es stellte nicht etwa auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Vertretene den Vertreter zur Einklagung des Wechsels bevollmächtigt hatte. In BGHZ 50, 364 erklärte der VIII. Zivilsenat des BGHI 82 ausdrücklich, daß das Wissen des Vertretenen nicht nur dann relevant sei, wenn er schon bei Erteilung der Vollmacht oder der Weisungen über die Kenntnis verfügt habe, sondern auch dann, wenn er sie später erlangt habe. In diesem Fall müsse jedoch hinzukommen, daß zur Zeit der Kenntniserlangung der durch den Bevollmächtigten vorzunehmende Rechtsakt noch bevorstehe und daß der Vollmachtgeber nicht eingreife, obwohl er es könnte. Auf eine persönliche Anwesenheit des Vollmachtgebers komme es dabei nicht entscheidend an. Der Vertretene müsse aber zusätzlich zu der rechtlich relevanten Kenntnis auch gewußt haben, daß der durch den Bevollmächtigten vorzunehmende Rechtsakt noch bevorstand. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der vertretene Käufer nach Übergabe eines Grundstücks, aber vor Auflassung, bei der er vertreten wurde, von der Mangelhaftigkeit des Grundstücks erfahren (§ 464 BGB). Der BGH hielt es für entscheidend, ob der Vertretene gewußt habe, daß die Auflassung noch bevorstand, und verwies zur Klärung dieser Frage an das Berufungsgericht zurück. Die Weisung braucht sich auch nicht auf die Vomahme eines bestimmten Geschäfts zu beziehen. In BGH BB 1965, 435 erteilte ein Hüttenunternehmer einem Bauunternehmer einen Auftrag zum Bau eines Schornsteins. Die erforderlichen Kaminsteine bestellte er selbst. Der Lieferung lagen die Verkaufs- und Lieferbedingungen des Lieferanten zugrunde. Als sich beim Bau ein Mehrbedarf an Steinen herausstellte, bestellte diese Nachlieferung der Bauunternehmer. Der VIII. Zivilsenat erklärte, die Liefer- und Verkaufsbedingungen des Lieferanten gälten auch für diesen Vertrag. Es komme auch nicht darauf an, ob der
180 Bei der Anfechtung von Pfandungen nach § 30 Nr. 2 KO kommt § 166 I BGB an sich analog zur Anwendung, vgl. dazu oben, S. 50 f., bei der Behandlung der Anwendung von§ 166 I BGB auf§ 30 KO. 181 RG JW 1916,317,319. In RG SeuffA 82 Nr. 41 erklärte das Gericht, es komme darauf an, ob der Bevollmächtigte im Rahmen der Vollmacht zu einem bestimmten Rechtsakt schreitet, zu dessen Vomahme ihn der Vertretene veranlassen wollte. Vgl. auch RGZ 161, 153, 161. 182 Die hier interessierenden Ausfiihrungen finden sich auf den Seiten 368 f.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Hüttenunternehmer den Bauunternehmer bereits vor der Nachbestellung bevollmächtigt oder die Nachbestellung erst nachträglich genehmigt habe. "Im ersteren Falle hätte die Klägerin [Bauunternehmer] nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers im Sinne von§ 166 ll BGB gehandelt. Voraussetzung für eine solche bestimmte Weisung ist nicht, daß sie für das einzelne in Frage stehende Rechtsgeschäft erteilt worden ist. Es genügt vielmehr, wenn die Klägerin beauftragt war, weitere für den Bau erforderliche Nachbestellungennamens der Hüttenwerk ... GmbH vorzunehmen. Im zweiten Fall stünde die Genehmigung der Nachbestellung der in§ 166 li BGB bezeichneten Weisung gleich."183
Es genügt also nach Ansicht des BGH, daß der Vertretene den Vertreter generell zur Vomahme bestimmter Geschäfte anweist; allerdings war hier klar, mit wem es der Bauunternehmer zu tun haben und um welche Art von Geschäften es sich handeln würde. 2. Grenzen der Auslegung
Auf eine Organisation fand § 166 II BGB im schon angesprochenen "Supermarktfall" 184 Anwendung. Über§ 166 I BGB wurde der Bank, d. h. deren Vorstand und anderen Repräsentanten, das Wissen des Kassierers um die Zahlungseinstellung dauerhaft zugerechnet. 185 Der BGH erklärte sodann lapidar, daß sich die Bank und ihr Filialleiter entsprechend § 166 II BGB nicht darauf berufen könnten, daß die Angestellten, die am 26. September 1980 die Scheck- und Überweisungsbeträge dem Debetkonto der Gemeinschuldnenn gutgeschrieben hatten, nichts von der Zahlungseinstellung gewußt hätten. 186 Es scheint jedoch sehr fraglich, ob sich der IX. Zivilsenat hier noch im Rahmen einer methodisch zulässigen Auslegung bewegte. Auch der weite Begriff der Weisung setzt in der Person des Vertretenen die Kenntnis der relevanten Information Wld die Kenntrtis des bevorstehenden Vertretergeschäfts voraus. 187 Das erste Kenntrtiselement, die Kenntrtis der relevanten Information - der ZahlWlgseinstellWlg -, wurde der Bank als Vertretener über ihren Kassierer zugerechnet. Folgt man dem, so muß fiir die Annahme einer Weisung doch noch zusätzlich Kenntrtis des Geschäftsherm, d. h. der Bank, also ihres Vorstandes oder jedenfalls ihrer Repräsentanten, von dem bevorstehenden Geschäft, der Gut183 BGH BB 1965, 435. 184 BGH NJW 1984, 1953, vgl. S. 96 ff. 185 Siehe oben S. 96 ff. Von der Richtigkeit dieser Zurechnung soll für den Augenblick ausgegangen werden, obwohl zumindest die Begründung über die Analogie zu § 166 I BGB, wie gesehen, nicht überzeugen kann. 186 BGH NJW 1984, 1953, 1954. 187 BGHZ 50, 364, 368 f. 9 Baum
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Teil li: Zurechnung von Wissen
schrift der Scheck- und Überweisungsbeträge, vorliegen. Solche Kenntnis liegt im "Supermarktfall" 188 nur vor, wenn man hierfür genügen läßt, daß die Bank generell weiß, daß Buchungen und Scheckgutschriften vorgenommen werden, also eine ganz globale Kenntnis für ausreichend hält. Dies ist nicht unproblematisch. Zwar wird zwischenzeitlich die ratio legis des § 166 II BGB von der Rechtsprechung unter breiter Zustimmung der Literatur189 nicht mehr wie vom historischen Gesetzgeber 190 eng und rein begrifflich formuliert. So liegt der Sinn des § 166 II BGB nach Ansicht der Rechtsprechung darin zu verhindern, daß die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsaktes durch die Bevollmächtigung eines arglosen Dritten umgangen wird. 191 Der BGH hat darüber hinausgehend aus den Regelungen des Abs. 1 und 2 den Grundgedanken entnommen, daß es im Einzelfall auf die Person und die Bewußtseinslage desjenigen ankomme, auf dessen Interessenbewertung und Entschließung der Abschluß des Vertretergeschäfts beruhe. 192 Doch ist es sehr zweifelhaft, ob die globale Entschließung, Bankgeschäfte durchzuführen, als die entscheidende Interessenwertung für die konkrete Buchung angesehen werden kann, ob in diesen Fällen also tatsächlich durch Vorschieben eines arglosen Dritten die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsaktes umgangen wird. Problematisch ist die Annahme einer Weisung im "Supermarktfall" auch im Hinblick auf den möglichen Wortsinn des § 166 II BGB, der die Grenze einer jeden methodisch zulässigen Auslegung darstellt. 193 Es scheint, daß sich von einer Weisung nur bei einer konkreteren Individualisierung des relevanten Geschäfts sprechen läßt. Die Rechtsprechung hat die hier angesprochenen Schwierigkeiten bei der Anwendung des § 166 II BGB auf größere Organisationen dadurch umgangen, daß sie die Vorschrift des § 166 II BGB in den weiteren Entscheidungen zur Wissenszurechnung nicht mehr erwähnt hat. Die Frage kann daher hier offenbleiben. Reinhardt will, ausgehend von der extensiven Auslegung des § 166 II BGB durch Rechtsprechung und Literatur, große Bereiche der handlungsunabhängi188 BGH NJW 1984, 1953. 189 Vgl. z. B. Soergel/Leptien, § 166 Rdnr. 27; MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 37; Jauernig/Jauernig, § 166 Anm. 2 a; Larenz, AT, S. 609. 190 s.o. s. 43 f. 191 RG JW 1916, 317,318 unter Bezugnahme auf Jäger, LZ 1912, Sp. 205,207, der dies zuerst formuliert hat; BGHZ 38, 65, 67. 192 BGHZ 51, 141, 146 f. 193 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 143m. w. N.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
131
gen Wissenszurechnung auf § 166 II BGB stützen. Der extensiven Auslegung des § 166 li BGB liege der gemeinsame Leitgedanke zugrunde, daß die Berufung des Geschäftsherrn auf die Gutgläubigkeit seines Angestellten dort ihre Grenze haben muß, wo die Verletzung von Sorgfaltspflichten in der Sphäre des Geschäftsherrn die Bösgläubigkeit des "Vertreters" verhindert. 194 Reinhardt möchte dem Unternehmer daher die Berufung auf die Gutgläubigkeit seines Angestellten verwehren, soweit jener seine Organisations- und Informationspflichten verletzt hat. 195 Diese Auslegung überschreitet aber jedenfalls die Grenze des methodisch Zulässigen. § 166 II BGB knüpft nicht an Sorgfaltspflichtverletzungen an, sondern an eine Weisung. Diese setzt zumindest voraus, daß der Geschäftsherr um das noch bevorstehende Geschäft weiß und dennoch nicht eingreift. Die bloß fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten ist damit nicht zu vergleichen. Schon aus diesem Grund kann die Konzeption Reinhardts nicht überzeugen. 3. Der allgemeine Rechtsgedanke des § 16611 BGB
§ 166 II BGB ordnet in einem engen Bereich eine Zurechnung des Wissens einer anderen als der handelnden Person an. Man wird, entsprechend der Erweiterung des § 166 I BGB, auch in § 166 II BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken sehen, 196 der die Zurechnung des Wissens der die Weisung erteilenden Person auch in Fällen geschäftsähnlicher und tatsächlicher Handlungen der Hilfsperson ermöglicht. Voraussetzung ist aber stets das Vorliegen einer Weisung, d. h. zumindest, daß zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Anweisenden das Geschäft noch bevorsteht, der Anweisende um dieses weiß und dennoch nicht eingreift. 4. Zusammenfassung
Auf§ 166 II BGB und den aus dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedanken läßt sich in beschränktem Umfang eine handlungsunab. hängige Wissenszurechnung stützen. So ist das Wissen des Anweisenden zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung seiner Hilfsperson handlungsunabhängig zuzurechnen, wenn er diese zu der Handlung angewiesen hat.
GS R. Schmidt, S. 115, 129. GS R. Schmidt, S. 115, 129 ff. 196 Vgl. schon oben S. 83 f. 194 Reinhardt, 195
9*
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m. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über § 278 BGB Zur Begrilndilllg einer handlilllgsilllabhängigen Wissenszurechnilllg ist in der Literatur an§ 278 BGB angeknüpft worden.
1. Der Lösungsvorschlag von 0/denbourg Mit der Frage, ob sich fiir das BGB eine selbständige, über § 166 I BGB hinausgehende Zurechnilllg fremden Wissens annehmen läßt, hat sich bereits Oldenbourg in seiner Dissertation "Die Wissenszurechnilllg" aus dem Jahr 1934 befaßt. Mit Hilfe eines Analogieschlusses zu § 278 BGB 197 bildet Oldenbourg den Tatbestand der Wissensgehilfenschaft. Er stellt folgende Regel auf: "Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, die in einer adäquaten Beziehung zu seinem Schuldverhältnis steht, muß sich die im Rahmen dieses Schuldverhältnisses rechtserheblichen Kenntnisse und Willenserklärungen, die der andere in Ausführung der ihm aufgetragenen Verrichtung erlangt bzw. empfangt, als von ihm selbst erlangt bzw. empfangen zurechnen lassen." 198
Mit dieser Figur der Wissensgehilfenschaft werden die Probleme der handllUlgslUlabhängigen Wissenszurechnilllg nur zum Teil erfaßt. Von vornherein scheidet so eine Wissenszurechnilllg außerhalb bestehender Schuldverhältnisse aus. Und auch innerhalb der Gruppe der Schuldverhältnisse käme eine handlilllgslUlabhängige Wissenszurechnilllg nur in Betracht, sofern bei einer HandllUlg im Rahmen des Schuldverhältnisses zur Erfiillilllg einer Pflicht 199 von einer Hilfsperson Wissen erworben wurde, das zur Bestimmilllg der Rechtsfolgen einer anderen HandllUlg im Rahmen dieses Schuldverhältnisses zur Erfiillilllg einer anderen Pflicht, die nicht von der wissenden Hilfsperson selbst, sondern von
Wissenszurechnung, S. 14 ff. Wissenszurechnung, S. 49. Nach Oldenbourg (Wissenszurechnung, S. 49) erfordert die Gleichheit des Rechtsgedankens und demnach die analoge Anwendbarkeit des § 278 BGB tatbestandlich: "1. einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Bestellungsakt des Geschäftsherrn und dem Verhalten des Gehilfen, dadurch vermittelt, daß das letztere in Ausführung der dem Gehilfen aufgetragenen Verrichtung verwirklicht wurde, 2. ein bestehendes Schuldverhältnis, in dessen Rahmen das vom Gehilfen verwirklichte Verhalten erheblich ist und zu dem die dem Gehilfen aufgetragene Verrichtung in adäquater Beziehung steht." 199 Ein Schuldverhältnis besteht typischerweise aus mehreren Pflichten, vgl. Larenz, AT, S. 6 ff. Ein plastisches Beispiel ist der Girovertrag, bei dem auf seiten der Bank regelmäßig verschiedene Hilfspersonen bei verschiedenen Buchungen tätig werden. 197
198
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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einer anderen Hilfsperson oder dem Geschäftsherrn durchgeführt wird, relevant wird.
2. Der Lösungsvorschlag von Canaris Auch Canaris befürwortet die Lösung des Problems der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung auf der Grundlage eines aus § 278 BGB abgeleiteten Rechtsgedankens. 200 Er fordert die Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter. Allerdings beschränkt er seine Ausfiihrungen auf Unternehmen.201 Beim Karlsruher Forum 1994 hat er den Anwendungsbereich auch auf Kommunen und Idealvereine erweitert,202 doch will er die Grundsätze nicht auf alle Arten der Stellvertretung anwenden.203 Eine Wissenszusammenrechnung komme nur in Betracht, wenn die Wissensaufspaltung organisationsbedingt sei. 204 Eine Bank, ein Untemehmen205 , so Canaris, sei eine rechtliche Einheit, und es sei grundsätzlich ihr/sein Organisationsrisiko, ob und wie sie/es sicherstelle, daß alle relevanten Kenntnisse von den Kenntnisträgem sofort an die zuständigen Stellen weitergegeben werden. Canaris ist sich bewußt, daß hierin (für die Fälle, in denen Wissen eine Schadensersatzpflicht auslösen kann, z. B. § 990 BGB) eine Verschärfung der Vertrags- und Schutzpflichthaftung von einer echten Verschuldenshaftung in Richtung auf eine Risikohaftung liegt.2°6 Canaris stützt diese Zurechnung auf das Gleichstellungsargument207 und den Rechtsgedanken des § 278 BGB.208 Größere Unternehmen dürften durch die stärkere Arbeitsteilung und die damit verbundene Wissensaufspaltung nicht pri200 Bankvertragsrecht, Rdnr. 106; ders. Karlsruher Forum 1994, 34. Allerdings behandelt Canaris nur die Frage der Zurechnung des Wissens unbeteiligter Hilfspersonen
bei Handeln einer anderen Hilfsperson und nicht das Problem der Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen bei Normen, die Wissen an sich fiir erheblich erklären. 201 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a. 202 Canaris, Karlsruher Forum, 33. 203 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a. 204 Canaris, Karlsruher Forum, 33. 205 Canaris geht in seiner Kommentierung zum Bankvertragsrecht naturgemäß von einer Bank aus. Es wird jedoch deutlich, daß er seine Lösung auf alle Unternehmen anwenden möchte, vgl. Rdnm. 106 und 800 a, wo jeweils auch von Unternehmen die Rede ist. 206 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 106. 207 Vgl. zu diesem ausfiihrlich unten S. 176 ff. Hier geht es nur um die mögliche Begründung einer Wissenszurechnung über § 278 BGB. 208 Bankvertragsrecht, Rdnr. 106; Karlsruher Forum 1994, 34.
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vilegiert werden. 209 Es gehe nicht an, daß Unternehmen durch Arbeitsteilung in Fragen "gutgläubig" blieben, in denen Einzelpersonen mit Selbstverständlichkeit nach dem normalen Verlauf der Dinge bösgläubig wären. Das gelte um so mehr, als die zunehmende Rationalisierung eine entsprechende Zunahme der Aufspaltung des Wissens im Unternehmen zur Folge habe. 210 Es sei ein Gerechtigkeitsgebot, das arbeitsteilige Unternehmen nicht gegenüber dem Alleinunternehmer zu privilegieren. 211 Im Gesetz sieht Canaris diesen Gedanken in § 278 BGB verankert. 212 Dieser behandle genau das Problem der Arbeitsteilung. Er kompensiere die arbeitsteiligen Vorteile des Geschäftsherrn, indem er diesem das Verhalten und Verschulden seines Gehilfen zurechne, und wolle den Gläubiger genau so stellen, als hätte der Schuldner in Person gehandelt. Das aber sei das Gleichstellungsargument. 213 3. Lückenfeststellung mit§ 278 BGB Im folgenden soll betrachtet werden, ob § 278 BGB tatsächlich als Ausgangspunkt für eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung in Betracht kommt. 214 Auszugehen ist von der ratio legis der Bestimmung.215 a) Dieratio legis Die Vorschrift des § 278 BGB wird als Anordnung einer unbedingten Einstandspflicht des Schuldners für das Verhalten seiner Gehilfen bei der Erfiillungshandlung betrachtet. 216 Als Normzweck des § 278 BGB gilt der Gedanke, daß derjenige, der sich der Hilfe Dritter bei der Bewirkung der Leistung bedient, dies zu eigenem Nutzen tue und auch das damit verbundene Risiko tragen
209 21
Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 106.
°Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a.
Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 106. Canaris, Karlsruher Forum 1994, 34. 213 Canaris, Karlsruher Forum 1994, 34. 214 In Betracht kommen Analogieschluß und Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens. Beide dienen, wie bereits gesehen, nicht nur der Lückenausfiillung, sondern bereits der Lückenfeststellung (Canaris, Feststellung von Lücken, S. 72, 78, 93 f.). Eine Analogie zu § 278 BGB ist an sich in zweifacher Form möglich. Die Vorschrift des § 278 BGB ist nämlich auch in ihrem direkten Anwendungsbereich eine Wissenszurechnungsvorschrift, vgl. oben S. 45 f. Allerdings ist sie dort sogar noch gegenüber § 166 I BGB gesteigert akzessorisch. Von Interesse ist daher nur eine Analogie zu § 278 BGB als Vorschrift über die Zurechnung schuldhaften Handelns. 215 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202, 207. 21 6 Soerg~l/Wolf, § 278 Rdnr. 1. 211
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müsse. 217 Wenn der Schuldner sich die Vorteile der Arbeitsteilung zunutze mache, solle er auch die Nachteile tragen. 218 Die Vorschrift gilt also als Verwirklichung der römischrechtlichen Parömien "ex qua persona quis tuerum capit, eius factum praestare debet" 219, dem Prinzip von Vorteil, Interesse und Nachteil und des "qui facit per alium, facit per se" 220, dem Prinzip von Herrschaft und Veranlassung. Allerdings hat Spiro nachgewiesen, daß sich die Vorschrift nicht allein mit diesen beiden Parömien begründen läßt, da diese in solcher Allgemeinheit keine Gültigkeit haben.221 Festgehalten werden kann aber, daß § 278 BGB eine unbedingte Einstandspflicht anordnet und insofern Ausdruck der beiden Parömien ist. Hiervon soll fiir die Erörterung der Möglichkeiten einer Rechsfortbildung zunächst ausgegangen werden. Auf den Gedanken einer unbedingten Einstandspflicht des Geschäftsherrn fiir seine Hilfspersonen ließe sich nämlich auch eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung stützen. b) Handlungsabhängigkeit der Zurechnung in§ 278 BGB Das Fehlen einer Regelung der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung ließe sich nur dann mit § 278 BGB als planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes betrachten, wenn die Norm in ihrem direkten Anwendungsbereich eine handlungsunabhängige Zurechnung222 anordnen würde. Andernfalls gäbe man der Norm bei analoger Anwendung oder bei Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Norm eine Rechtsfolge, die sie bei direkter Anwendung nicht hat. 223
21? Staudinger/Löwisch, § 278 Rdnr. 1. 218 MünchKomm/Hanau, § 278 Rdnr. 1; Soergei/Wo/f, § 278 Rdnr. 1; Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 106. 219 Dig. 50, 17, 149 (Wpian). 220 Die vollständige Parömie lautet "qui facit per alium, est perinde, ac si faciat per se ipsum"; Liber sextus 5, 13, 72 (Bonifaz VIII); vgl. auch Dig. 26, 7, 5 § 3 Mitte (Wpian). 221 So gelten sie nicht im deliktischen Bereich. Vgl. im einzelnen Spiro, Erfüllungsgehilfen, S. 60 ff.; vgl. auch oben S. 65 ff. 222 Die Zurechnung ist in § 278 BGB an sich natürlich immer handlungsabhängig, da die Zurechnung einer schuldhaften Handlung erfolgt. Unter dem Stichwort handlungsunabhängige Wissenszurechnung geht es aber um die Frage der Reichweite der Zurechnung. 223 Für die Analogie ist dies ausgeschlossen, da bei dieser die Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen übertragen wird. Aber auch bei der Ableitung eines allge-
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Die Anordnung der Zurechnung der schuldhaften Handlung in § 278 BGB bedeutet nun aber keine handlungsunabhängige Zurechnung. Zugerechnet wird das schuldhafte Handeln der Hilfsperson nur fiir die Pflicht im Rahmen eines Schuldverhältnisses oder quasi-Vertrages, zu deren Erfüllung die Hilfsperson eingesetzt und bei der sie tätig wurde. Die Zurechnung ist somit handlungsabhängig. Nicht zugerechnet wird das Verhalten von Hilfspersonen, die nicht vom Geschäftsherrn bei der Erfüllung einer Pflicht eingesetzt wurden und dort nicht gehandelt haben. 224 Die schuldhafte Handlung kann, anders ausgedrückt, nicht über § 278 BGB für die Bestimmung des rechtlichen Schicksals einer Pflicht innerhalb eines Schuldverhältnisses zugerechnet werden, bei deren Erfüllung die Hilfsperson nicht eingesetzt wurde und nicht handelte. Bei rechtsgeschäftliehen und gesetzlichen Schuldverhältnissen sowie quasi-Verträgen rechtfertigt nur der konkret arbeitsteilige Einsatz einer Hilfsperson zur Erfüllung einer Pflicht des Geschäftsherrn die Zurechnung. Eine schuldhafte Handlung wird darüber hinaus nicht im deliktischen Bereich über § 278 BGB zugerechnet. Die Zurechnung in§ 278 BGB ist also zweifach beschränkt. Da die Zurechnung nur für die konkrete Pflicht erfolgt, zu deren Erfüllung die Hilfsperson eingesetzt war, kann auch die beschränkte Wissenszurechnung Oldenbourgs nicht überzeugen. Dieser will das Wissen, das bei einer Verrichtung erlangt wurde, für das gesamte Schuldverhältnis zurechnen. Damit gibt er aber § 278 BGB bei analoger Anwendung eine Rechtsfolge, die die Vorschrift bei direkter Anwendung nicht hat. Er rechnet handlungsunabhängig zu, obwohl die Zurechnungsanordnung lediglich handlungsabhängig ist. Möglicherweise läßt sich aber über einen anderen Gedanken eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung auf§ 278 BGB stützen. Wie bereits festgehalten,225 ordnet § 278 BGB eine unbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn für seine Hilfsperson an. Er weist also, wenn auch beschränkt auf eine konkrete Pflicht, dem Geschäftsherrn vollständig das Risiko "Hilfsperson" zu. Folgt man für einen Augenblick diesem Gedanken, so könnte man es für konsequent halten, den Geschäftsherrn auch unbedingt für dienstlich erlangtes Wissen der Hilfsperson einstehen zu lassen. Da sich das schuldhafte Handeln sofort realisiert, macht eine Zurechnung des schuldhaften Handeins für die Bestimmung der Rechtsfolgen von zeitlich späteren Handlungen, wie es bei einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung in der Konstellation einer wissenden Hilfsperson und einer handelnden, aber nicht wissenden anderen Hilfsperson der Fall
meinen Rechtsgedankens aus einer Vorschrift läßt sich der Vorschrift der Rechtsgedanke nur so weit entnehmen, wie er in ihr zum Ausdruck kommt. 224 Vgl. für die Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 278 BGB hin zur Bereichshaftung sogleich unter c. 225 V gl. gerade unter a.
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ist, in der Tat keinen Sinn. Die schuldhafte Handlung hat nun einmal nicht den Charakter schleichenden Giftes wie das (dienstlich erlangte) Wissen. Auch gegen das Anknüpfen an den Gedanken der unbedingten Einstandspflicht spricht aber entscheidend, daß sich ein Mehr an Rechtsfolgenanordnung (handlungsunabhängige Zurechnung) nicht auf ein Weniger (handlungsabhängige Zurechnung) stützen läßt. Die unbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn gilt, wie gesehen, auch bei Schuldverhältnissen und quasi-Verträgen nur fiir die Bestimmtmg des rechtlichen Schicksals der Pflicht, bei deren Erfüllung die Hilfsperson eingesetzt wurde und handelte. Nur fiir die konkrete Pflicht gilt daher - wenn überhaupt - die Parömie "qui facit per alium, facit per se". Schließlich bleibt ein weiteres Bedenken. Selbst wenn man in § 278 BGB die Anordnung einer unbedingten Einstandspflicht sieht, so enthält die Vorschrift gleichwohl nur die Anordnung des Einstehens fiir eine Handlung, die sich notwendig - gleich realisiert. Das Wissen hat den bereits erwähnten Charakter des schleichenden Giftes. Die Zurechnung bei § 278 BGB ist eben nur handlungsabhängig, sie gilt, soweit die Hilfsperson konkret zur Erfüllung einer Pflicht eingesetzt wurde und gehandelt hat, und nicht dauerhaft handlungsunabhängig. Da die handlungsabhängige Zurechnung gegenüber der handlungsunabhängigen Zurechnung ein Weniger ist, läßt sich auf ihre Anordnung nicht ein Mehr stützen. In beiden Fällen der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung, also bei Zurechnung des Wissens der Hilfsperson zur Bestimmung von Rechtsfolgen von Handlungen, mit denen die Hilfsperson nichts zu ttm hat, und bei Zurechnung in Fällen, in denen bloße Kenntnis Rechtsfolgen auslöst, wird die Hilfsperson, deren Wissen zugerechnet werden soll, nicht konkret arbeitsteilig zur Erfüllung einer Pflicht eingesetzt und tätig.226 Gerade dies und die Beschränkung auf Schuldverhältnisse und Quasiverträge sind aber Kennzeichen der Zurechnung in § 278 BGB. 227 Eine handlungsunabhängige Zurechnung, wie sie Oldenbourg und Canaris befürworten, läßt sich nach alldem nicht auf eine Analogie zu § 278 BGB oder einen dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken stützen. 228
So wurde im "Betriebsprüferfall", BGH NJW 1994, 1150, der Betriebsprüfer zwar konkret arbeitsteilig eingesetzt, aber nicht zur Erfüllung einer Pflicht seines Geschäftsherrn gegenüber dem beklagten Schädiger. 227 Gegen eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung über § 278 BGB auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 91. 228 Damit ist noch nicht entschieden, daß sich Canaris' Zurechnungskonzeption nicht auf das ebenfalls zur Begründung in Anspruch genommene Gleichstellungsargument, vgl. dazu S. 205 ff., stützen ließe. 226
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Teil II: Zurechnung von Wissen c) § 278 BGB als Bereichshafumg
Allerdings werden an das Merkmal des Bedienens "zur Erfiillung seiner Verbindlichkeit"229 zunehmend geringere Anforderungen gestellt. So kann § 278 BGB auch anwendbar sein, wenn der Schuldner eine Person zu Arbeiten oder sonstigen Verrichtungen bestellt, die nicht an den Gläubiger, sondern an ihn selbst zu erbringen sind. 230 Insbesondere Eike Schmidt sieht eine Entwicklung hin zur Bereichshafumg des Geschäftsherm. 231 So seien fiir die Schutzpflichten des Geschäftsherrn alle seine Leute als "Bewahrungsgehilfen" anzusehen.232 Aber auch hinsichtlich des Leistungsinteresses müsse sich der Geschäftsherr das Verhalten all seiner Leute zurechnen lassen, die infolge seiner Anordnung oder betrieblichen Organisation in die Lage kommen, negativ auf das Leistungsinteresse einzuwirken. 233 Auch in Anbetracht dieser Entwicklung hin zur Bereichshafumg ist die Feststellung einer Lücke fiir die handlungsunabhängige Wissenszurechnung mit § 278 BGB jedoch schwierig. Allerdings ist festzuhalten, daß eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung eine Bereichshafumg wäre. Der Geschäftsherr müßte fiir Wissen in seinem Bereich einstehen. Zunächst bleibt es aber dabei, daß auch bei Ausbau zu einer Bereichshafumg § 278 BGB keine Antwort auf das Problem des dauerhaften Anhaftens des Wissens gibt. Über § 278 BGB als Vorschrift einer Bereichshaftung muß der Geschäftsherr fiir schuldhafte Handlungen seiner Hilfspersonen nur bei schon bestehenden Verbindlichkeiten einstehen. Die schuldhaften Handlungen realisieren sich sofort und spielen fiir später eingegangene Verbindlichkeiten keine Rolle mehr. Gerade um das dauerhafte Anhaften, das schleichende Gift, geht es aber bei der handlungsunabhän-
229 An sich handelt es sich um zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich den "Einsatz zur Erfüllung einer Verbindlichkeit" und das "Handeln in Erfüllung", doch werden an beide Tatbestandsmerkmale geringere Anforderungen gestellt. 230 MünchKomm/Hanau, § 278 Rdnr. 17; vgl. BGH LM § 278 Nr. 39; Mitarbeiter des Vermieters, die in einem Gebäude tätig waren, in dem ein Mieter Räume innehatte, wurden als Hilfspersonen des Vermieters bei der Durchführung der ihn gegenüber dem Mieter treffenden Fürsorgepflicht betrachtet. 231 Esser/Schmidt, SehR 112, S. 99; grundlegend EikeSchmidt, AcP 170 (1970), 502, 506 ff. 232 Esser/Schmidt, SehR 112, S. 99; vgl. auch Larenz, SehR AT, S. 301, der erklärt, daß ein Verstoß gegen Schutz- und Verhaltenspflichten dem Schuldner zugerechnet werden müsse, wenn er durch eine Person begangen wird, die mit seinem Willen im Umkreis der mit dem Schuldverhältnis zusammenhängenden, dem Schuldner obliegenden Verrichtungen und Maßnahmen tätig wird. 233 Esser/Schmidt, SehR 112, S. 96.
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gigen Wissenszurechnung. Aus einem Weniger läßt sich, wie oben gesehen, kein Mehr ableiten. Möglich wäre so noch auf der Grundlage der Bereichshaftung eine Zurechnung dienstlich erlangten Wissens zur Bestimmung des rechtlichen Schicksals anderer, zur Zeit des Erwerbs der Kenntnis bestehender Verbindlichkeiten, da sich hier das Problem der zeitlichen Dimension nicht stellt. Eike Schmidt hat herausgearbeitet, daß sich die Bereichshaftung durch den gesteigerten sozialen Vertrauenskontakt, dw-ch den das Tor zu beiderseitigen Integritätsbeeinträchtigungen aufgestoßen werde, rechtfertigt. 234 Jede der beiden Obligationsparteien begebe sich in den fiir sie nicht kontrollierbaren Bereich ihres Gegners bzw. eröffne demselben ihre eigene Intimsphäre nur deshalb, weil sie füglieh darauf bauen dürfe, ihr Kontrahent werde die erforderliche Sorgfalt einhalten, um Rechts- und Rechtsgutverletzungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Dieses Vertrauen erstrecke sich auch auf die zu welchem Zweck auch immer eingesetzten Leute, die ohne engeren sozialen Kontakt gar nicht in die Lage kämen, nachteilig auf den Güterbestand des jeweils anderen Teils einzuwirken.235 Grundlage der Bereichshaftung sind daher nicht die die Bestimmung des § 278 BGB in ihrem Kernbereich rechtfertigenden Argumente,236 es ist vielmehr der Vertrauensgedanke. 237 Es würde sich bei der Erweiterung der Bereichshaftung auf die Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung also nicht eigentlich um eine analoge Anwendung des § 278 BGB oder eine Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift handeln, sondern um eine weitere Form der Vertrauenshaftung. Die Frage, ob sich eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung auf den Vertrauensgedanken stützen läßt, soll noch ausführlicher im Rahmen der Möglichkeiten gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung erörtert werden. 238 Sie mag daher an dieser Stelle dahinstehen. 4. Zusammenfassung
In der Literatur wird bisweilen fiir eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung an die Vorschrift des § 278 BGB angeknüpft. Auf diese läßt sich jedoch keine handlungsunabhängige Wissenszurechnung stützen, da die Vorschrift auch in ihrem direkten Anwendungsbereich lediglich eine handlungsabhängige Zurechnung anordnet. Zugerechnet wird bei § 278 BGB nämlich das 234 AcP
170 (1970), 502,509. Esser/Schmidt, SehR V2, S. 99. 236 So auch Eike Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 506 ff; Esser/Schmidt, SehR V2, s. 98. 23 7 So auch Staudinger/Löwisch, § 278 Rdnr. 34. 238 Vgl. S. 210 ff. 235
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schuldhafte Handeln nur für die Pflicht, zu deren Erfiillung die Hilfsperson eingesetzt und bei der sie tätig wurde. IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung ausgebend von § 164 lß BGB, der "Wissensempfangsvertreter"
In der Literatur ist gelegentlich für die handlungsunabhängige Wissenszurechnung die Parallele zur Empfangsvertretung betont worden.239 Dennoch ist die Vorschrift des § 164 III BGB nie als gesetzlicher Ansatzpunkt für die Wissenszurechnung herangezogen worden.240 Gleichwohl soll erörtert werden, ob sich diese Vorschrift in analoger Anwendung oder über einen auf sie gestützten allgemeinen Rechtsgedanken für die handlungsunabhängige Wissenszurechnung nutzbar machen läßt.
I. Lückenfeststellung mit§ 164 III BGB Für die Lückenfeststellung durch Analogie wie auch für die Lückenfeststellung durch Ableitung eines allgemeinen Rechtsprinzips ist auf die Wertungen des Gesetzes, die ratio legis der Bestimmung, zurückzugehen, die analog angewendet oder aus der ein allgemeines Rechtsprinzip abgeleitet werden soll. 241 a) Die ratio legis Die Empfangsvertretung ist in § 164 III BGB der aktiven Stellvertretung gleichgestellt. Für beide gelten dieselben Überlegungen zur ratio legis. 242 Die Rechtfertigung der Stellvertretung, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Privatautonomie, hat erhebliche Schwierigkeiten bereitet.243 So konstatierte über fiinfzig Jahre nach dem Inkrafttreten des BGB MüllerFreienfels in seiner grundlegenden Monographie über die "Vertretung beim Rechtsgeschäft" einen Widerspruch zwischen dem Grundsatz der Privatautonomie und dem Prinzip der Stellvertretung.244 Die heute h. M. geht davon aus,
239 Richardi, AcP 169 (1969), 385, 398 ff.; Volker Behrens, Drittzurechnung, S. 43 ff.; Oldenbourg, Wissenszurechnung, S. 19 ff. 240 Eine Ausnahme stellt Volker Behrens, Drittzurechnung, S. 43 ff. dar. Allerdings geht auch er letztlich von § 166 I BGB aus. 241 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202 und 207. 242 Vgl. nur die Darstellungen zur ratio legis der Stellvertretung in der Kommentarliteratur: Soergel/Leptien, Vor § 164, Rdnm. 10 ff.; MünchKomm/Schramm, Vor § 164, Rdnm. 60 ff.; Staudinger/Dilcher, Vorbem zu§ 164, Rdnm. 16 ff. 243 Vgl. schon oben S. 61 f. 244 Insbesondere S. 14, 28, 71, 209 ff.
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daß die Privatautonomie nur einer Fremdbestimmung entgegenstehen würde, die nicht von der Selbstbestimmung des Geschäftsherrn gedeckt ist. 245 Besonders Flume246 hat betont, daß die Stellvertretung nicht im Gegensatz zum Grundsatz der Privatautomomie steht, sondern im Gegenteil eine konsequente Durchführung dieses Prinzips ist. Daß den Vertretenen die Rechtsfolgen des Vertreterhandeins treffen, beruht auf seinem eigenen freien Willen. 247 Entscheidende Wirksamkeitsvoraussetzung ist daher der Selbstbestimmungsakt des Vertretenen, die Vollmacht. 248 Dem Geschäftsherrn wird das Verhalten seiner Hilfsperson, die Erklärungsabgabe oder Erklärungsentgegennahme, als eigenes zugerechnet, weil er die Hilfsperson gerade zu diesem Zweck einsetzt, mit anderen Worten, weil er dies will. b) Die Lückenfesteilung im einzelnen und methodische Zulässigkeit Die Feststellung einer Lücke durch analoge Anwendung des § 164 III BGB oder Ableitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus dieser Vorschrift setzt voraus, daß zumindest einige Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung mit dem Empfang einer Willenserklärung in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Gesichtspunkten gleichruhewerten sind. Eine solche Ähnlichkeit besteht, wenn der Geschäftsherr eine Hilfsperson nicht zum Empfang einer Willens-, wohl aber einer Wissenserklärung einsetzt. Bestimmt der Geschäftsherr eine Hilfsperson, für ihn Wissenserklärungen entgegenzunehmen, so greift ebenfalls die ratio /egis des § 164 III BGB ein. In beiden Fällen will der Geschäftsherr, daß die Hilfsperson eine Erklärung für ihn entgegennimmt, er setzt sie gerade zu diesem Zweck ein. Er muß sich dann auch an diesem Willen festhalten lassen. Wissen kann nun aber nicht nur über Wissenserklärungen eines Dritten, sondern auch in sonstiger Weise durch Informationsaufnahme erlangt werden. So kann eine Hilfsperson vom Geschäftsherrn dazu eingesetzt sein, bestimmte Informationen für diesen einzuholen. Fraglich ist, ob auch in einem solchen Fall von einer Ähnlichkeit mit § 164 III BGB in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Gesichtspunkten ausgegangen werden kann, mit der Folge daß der Geschäftsherr an seinem Willen festzuhalten wäre. Als tragender Grund der
245 Insbesondere Flume, AT li, S. 754; Larenz, AT, S. 585, Fn. 6; Schilken, Wissenszurechnung, S. 22 f.; Soergel/Leptien, Vor § 164, Rdnm. 15 f.; MünchKomm/Thie/e, Vor § 164, Rdnm. 76 ff.; MünchKomm/Schramm, Vor § 164, Rdnm. 63 f.; Staudinger/Dilcher, Vorbem zu§ 164, Rdnr. 32. 246 Flume, AT li, S. 754. 247 So Larenz, AT, S. 585, Fn. 6. 248 Ausdrücklich MünchKomm/Schramm, Vor§ 164 Rdnr. 64.
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Regelung des § 164 III BGB ist erkannt worden, daß der Geschäftsherr die Hilfsperson gerade zum Empfang der Willenserklärung eingesetzt hat. Für die Zurechnung ist es also nicht entscheidend, daß die Erklärung von einem Dritten abgegeben wurde. Die Abgabe ist vielmehr konstitutives Merkmal einer Willenserklärung an sich. Ohne Abgabe gibt es keine Willenserklärung, die dem Erklärungsempfänger gegenüber direkt oder mittels eines Empfangsvertreters wirksam werden könnte. 249 Wissen wn einen Tatbestand hingegen setzt gerade nicht notwendig voraus, daß dieses Wissen durch eine Wissenserklärung eines anderen vermittelt ist. Ist eine Hilfsperson vom Geschäftsherrn eingesetzt worden, bestimmte Informationen fiir diesen einzuholen, so ist daher ebenfalls eine Ähnlichkeit in den fiir die gesetzliche Wertung maßgeblichen Gesichtspunkten gegeben. Auch hier ist es möglich, den Geschäftsherrn an seinem Willen festzuhalten. Mit der ratio legis des § 164 III BGB scheint sich also eine Lücke fiir die Fälle feststellen zu Jassen, in denen der Geschäftsherr eine Hilfsperson zum Empfang einer Wissenserklärung oder zur Aufnahme bestimmter Informationen in sonstiger Weise einsetzt. Eine Lücke, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit, würde jedoch nicht vorliegen, wenn das Schweigen des Gesetzes über eine Wissenszurechnung auf der Grundlage der ratio legis des § 164 III BGB als beredtes Schweigen250 anzusehen wäre. Das Schweigen des Gesetzes kann in zweifachem Sinn beredt sein. Entweder soll das fragliche Problem rechtlich überhaupt nicht geregelt werden - die Frage fällt dann in den rechtsfreien Rawn - oder aber das Gesetz zeigt durch die Verknüpfung einer Rechtsfolge mit einem bestimmten Tatbestand, daß es fiir einen anderen, nicht ausdrücklich geregelten Fall diese Rechtsfolge nicht will. In letzterem Fall handelt es sich wn ein argurnenturn e contrario. 251 Da es sich bei der Wissenszurechnung auf der Grundlage der ratio /egis des§ 1641II BGB wn eine Rechtsfrage handelt252, ist nur zu erörtern, ob die Rechtsfortbildung wegen eines argurnenturn e contrario ausgeschlossen ist. Einer Wissenszurechnung über die analoge Anwendung von § 164 III BGB oder die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift könnte die Vorschrift des § 166 BGB als gesetzliche Regelung der Wissenszurechnung entgegenstehen. Um dies entscheiden zu können, ist zunächst knapp die geplante Rechtsfortbildung zu skizzieren. Im folgenden wird über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken die Figur des "Wissensemp249 Flume, AT li, S. 226 beschreibt die Abgabe als "das In-Geltung-Setzen der Erklärung durch den Erklärenden". 2 50 Vgl. für den Ausdruck z. B. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 39m. w. N. 251 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 39 f. 252 s. 0. s. 93.
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fangsvertreters" entwickelt werden. 253 "Wissensempfangsvertreter" ist eine Hilfsperson, die gerade dazu eingesetzt ist, bestimmte Informationen, sei es über Wissenserklärungen oder in sonstiger Weise, für den Geschäftsherrn zu empfangen. Diese Informationen werden dem Geschäftsherrn dann als eigenes Wissen zugerechnet. Löst Wissen an sich Rechtsfolgen aus, gilt der Geschäftsherr daher als wissend. Handelt der Geschäfttsherr selbst, so gilt er ebenfalls als wissend. Handelt schließlich eine andere Hilfsperson, so ist das über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB dem Geschäftsherrn als eigenes zuzurechnende Wissen nur zuzurechnen, sofern die Voraussetzungen des § 166 II BGB direkt oder analog vorliegen. Da § 166 II BGB also auf die Wissenszurechnung über die hier zu entwikkelnde Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem Rechtsgedanken des § 164 III BGB, Anwendung finden soll, ist nur zu erörtern, ob die Vorschrift des § 166 I BGB dieser Rechtsfortbildung entgegensteht. Wie herausgearbeitet, enthält § 166 I BGB den allgemeinen Rechtsgedanken, daß das Wissen von Hilfspersonen für die Bestimmung von Rechtsfolgen von Handlungen, an denen die Hilfspersonen beteiligt sind, zuzurechnen ist. 254 Die Vorschrift könnte zusätzlich die negative Aussage enthalten, daß darüber hinaus keine Wissenszurechnung erfolgen kann. Beim argurnenturn e contrario handelt es sich - wie bei der Analogie - nicht um ein formallogisches Schlußverfahren, sondern um eine normativ-teleologische Beweisfiihrung. 255 Es erfolgt ein Schluß von der Verschiedenheit der Voraussetzungen auf die Verschiedenheit der Rechtsfolgen. 256 Dieser beruht auf dem Gebot der Gerechtigkeitsidee, Ungleiches ungleich zu behandeln. 257 Das argurnenturn e contrario schließt also die Übertragung der Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen Tatbestand aus. Die Wissenszurechnung über die Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf einem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, hat eine andere Rechtsfolge als die Wissenszurechnung aufgrund des Rechtsgedankens des § 166 I BGB. Bei dieser wird dem Geschäftsherrn das gesamte dienstliche und private Wissen einer Hilfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer konkreten Handlung zugerechnet. Bei jener wird dem Geschäftsherrn dienstlich erlangtes Wissen der Hilfsperson als eigenes zugerechnet. Es geht also nicht um die Übertragung der Rechtsfolge des § 166 I BGB auf einen anderen Tatbestand, sondern
Vgl. im einzelnen unter "2. Lückenausfiillung". Vgl. S. 49 ff. 255 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 45. 256 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 45. 257 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 45. 253
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um die Anordnung einer anderen Rechtsfolge. Da die Rechtsfolgen unterschiedlich sind, ist die hier vorzuschlagende Rechtsfortbildung nicht wegen eines argumentum e contrario aus § 166 I BGB als contra Iegern zu betrachten. Dies verdeutlicht auch die Überlegung, daß § 166 I BGB und die Wissenszurechnung über die Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf einem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, auf zwei unterschiedlichen, sich gegenseitig nicht ausschließenden Wertungen beruhen. § 166 I BGB basiert auf einem Bündel von Wertungsgesichtspunkten, die ein bewegliches System bilden. Zu den allgemeinen Gedanken über Herrschaft und Veranlassung und der Verbindung von Vorteil, Interesse und Nachteil treten als weitere Wertungsgesichtspunkte der Vertrauensgedanke, Schilkens Überlegung der Übertragung der Aufgabe des Selbstschutzes, der Gedanke der Verantwortung fiir Risikoschaffung und der Gedanke der Identität von Vorteil und Nachteit.258 Die Figur des "Wissensempfangsvertreters" beruht hingegen auf dem Gedanken, daß sich der Geschäftsherr an seinem Willen festhalten lassen muß. Diese Wertungsgesichtspunkte schließen sich nicht gegenseitig aus, sie ergänzen sich und stehen nebeneinander. Das Schweigen des Gesetzes über eine Wissenszurechnung auf der Grundlage des § 164 III BGB ist nach alldem nicht als beredtes Schweigen anzusehen. Es besteht daher eine Lücke, die nun ausgefüllt werden kann. 2. Lückenausfüllung
Durch analoge Anwendung des § 164 III BGB oder Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift ergibt sich die Figur eines "Wissensempfangsvertreters". Hat der Geschäftsherr eine Hilfsperson zur Entgegennahme von Wissenserklärungen oder zur Aufuahme bestimmter Informationen eingesetzt, so ist er so zu behandeln, als wäre die Wissenserklärung ihm selbst gegenüber abgegeben worden oder als hätte er die Information selbst erlangt. Er weiß also rechtlich um die Tatsache.259 Auch hier ist es wieder eine Frage der terminologischen Zweckmäßigkeit, ob man von einer analogen Anwendung der Vorschrift ausgeht oder in der Figur des "Wissensempfangsvertreters" die Verwirklichung eines allgemeinen Rechtsgedankens sieht. Wie bei der handlungsabhängigen Wissenszurechnung 258 Vgl. S. 63 ff. 259 Insofern besteht ein entscheidender Unterschied zur "Auge und Ohr" - Rechtsprechung des BGH im Versicherungsrecht Der Vennittlungsagent gilt als "Auge und Ohr" des Versicherers nur für den Versicherungsvertrag, bei dessen Abschluß die relevante Kenntnis erworben wurde ( vgl. BGHZ 102, 194, 197 f.). Das Wissen gilt nicht als eigenes Wissen des Versicherers in anderen Rechtsbeziehungen.
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über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB wird man eher von einem allgemeinen Rechtsgedanken ausgehen. Bei der Wissenszurechnung über die Figur des "Wissensempfangsvertreters" wird nicht die exakte Rechtsfolge des § 164 III BGB, die Zurechnung einer Erklärung als selbst empfangen, sondern der Gedanke, daß sich der Geschäftsherr an seinem Willen festhalten lassen muß, übertragen. 260 a) Voraussetzungen im einzelnen
aa) Einsatz gerade zur Wissenser/angung Allerdings sind strenge Anforderungen an eine Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB zu stellen. Die Hilfsperson muß gerade zum Empfang dieser Wissenserklärung oder der Aufnahme der relevanten Information für den Geschäftsherrn eingesetzt werden. Der Geschäftsherr muß wollen, daß die Hilfsperson dieses Wissen für ihn erwirbt. Lediglich "bei Gelegenheit" der Ausfiihrung einer Aufgabe erlangte Informationen, die bei Selbstvomahme vom Geschäftsherrn erlangt worden wären, können nicht über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zugerechnet werden. Dies ist die Kehrseite der Begründung der Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken über die Selbstbestimmung des Geschäftsherrn.
bb) Abgrenzung "Wissensempfangsvertreter" und "Wissensempfangsbote" Die Wissenszurechnung über die Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem Rechtsgedanken des § 164 III BGB, setzt wie die Empfangsvertretung eine gewisse Selbständigkeit der Hilfsperson voraus. Nur dann will der Geschäftsherr, daß die Hilfsperson Wissen für ihn, d. h. an seiner Stelle, erlangt und nützt die Hilfsperson nicht lediglich als unselbständige Empfangsvorkehrung. In letzterem Fall handelt es sich bei der Hilfsperson nur um einen "Wissensempfangsboten". 261 Im Einzelfall werden sich dieselben Abgrenzungsschwierigkeiten wie bei der Abgrenzung der Empfangsvertretung von der Emp-
260 ht Teil III, S. 379 ff., wird die Figur des "Wissensempfangsvertreters" zusammen mit weiteren, hier entwickelten Grundsätzen über die Wissenszurechnung auf die in der Arbeit diskutierten Entscheidungen angewendet. 261 Zwar bewirkt die Mitteilung der unverkörperten Erklärung an den Empfangsboten nach h. M. den Zugang der Erklärung (vgl. z. B. Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 9), doch gilt nicht die Regelungsanordnung des § 164 III BGB. Die Erklärung wirkt nicht unmittelbar für und gegen den Geschäftsherm. Von dieser Regelungsanordnung ist jedoch für die Figur des "Wissensempfangsvertreters" auszugehen. 10 Baum
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fangsbotenschaft stellen262, doch ist grundsätzlich diese Unterscheidtmg durchzuführen. cc) Offenkundigkeil Sofern der "Wissensempfangsvertreter" sein Wissen über eine Wissenserklärtmg erlangt, muß offenktmdig sein, daß er "Wissensempfangsvertreter" ist. 263 Dies ergibt sich aus der Anknüpftmg an den Empfangsvertreter.264 Erlangt der "Wissensempfangsvertreter" Wissen auf andere Weise, kommt eine Offenktmdigkeit nicht in Betracht, sie ist daher auch nicht erforderlich. 265 b) Rechtsfolge im einzelnen aa) Nur dienstliches Wissen Aus der Begründtmg der "Wissensempfangsvertrettmg" über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB ergibt sich außerdem, daß lediglich eine Zurechntmg dienstlich erlangten Wissens in Betracht kommt. Die Hilfsperson muß gerade dafür eingesetzt sein, das Wissen für den Geschäftsherrn zu erlangen. bb) Die Zurechnung als eigenes Wissen Über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB wird dem Geschäftsherrn das Wissen seines "Wissensempfangsvertreters" als eigenes zugerechnet. Es ist daher wie eigenes Wissen des Geschäftsherrn zu behandeln. Löst Wissen an sich Rechtsfolgen aus wie in § 852 BGB, so gilt der Geschäftsherr als wissend. Das dem Geschäftsherrn über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB zugerechnete Wissen kann auch für weitere Geschäfte, Handltmgen, relevant werden, die der Geschäftsherr oder eine seiner anderen Hilfspersonen für ihn vomehmen.266
262 Vgl. für die Unterscheidung Empfangsvertreter, Empfangsbote z. B. Schilken, Wissenszurechnung, S. 87. 263 Vgl. für das Offenkundigkeitsprinzip und seine Durchbrechungen z. B. Larenz, AT, S. 601 ff; Flume, AT II, S. 763 ff. 264 Die Figur des "Wissensempfangsvertreters" wird also durch Einordnung in das System des positiven Rechts konkretisiert; vgl. für den Vorgang Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161 ff. 265 Flume, AT II, S. 763 hat darauf hingewiesen, daß die Offenkundigkeit, anders als die Vertretungsmacht, kein apriorisches Erfordernis der Stellvertretung ist. Bei Wissenserlangllllg auf sonstige Weise kann daher auf die Offenkundigkeit verzichtet werden. Die Zurechnung läßt sich über den Willen des Geschäftsherrn begründen, sie knüpft nicht an die Offenkundigkeit an. 266 Vgl. für das Problem des Vergessens sogleich unter cc.
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Handelt der Geschäftsherr selbst, so gilt er als wissend. Handelt eine andere Hilfsperson, so wird für die Bestimmoog der Rechtsfolgen der von ihr vorgenommenen Handloog das Wissen des Geschäftsherrn - auch das über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB zugerechnete - über § 166 II BGB direkt oder analog nur zugerechnet, wenn die Hilfsperson nach bestimmten Weisoogen des Geschäftsherrn handelt. Auch dies ist Konsequenz der Zurechnoog als eigenes Wissen. Der Geschäftsherr muß die Hilfsperson also zu dem Geschäft veranlassen oder das Geschäft nicht verhindern, obwohl er weiß, daß es bevorsteht. Daß dem Geschäftsherrn ggf. tatsächlich das über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB zurechenbare Wissen fehlt, ist insofern sein Risiko. Rechtlich ist es Wissen des Geschäftsherrn. cc) Vergessen Rechtsfolge der "Wissensempfangsvertretung" über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB ist die Zurechnoog des Wissens des "Wissensempfangsvertreters". Mit der Zurechnoog des Wissens ist noch nicht die Frage beantwortet, ob das Wissen dem Geschäftsherrn auf Dauer anhaftet, ein V ergessen also ausgeschlossen ist. Die Norm des § 164 III BGB hilft hier nicht weiter. Wird eine Willenserklärung gegenüber einem bevollmächtigten Vertreter abgegeben, so wirkt sie für ood gegen den Vertretenen. Die Wirksamkeit richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, d. h. mit Zugang der Erklärung ist diese bindend geworden (Ausnahme§ 873 II BGB). 267 Ein Vergessen kommt nicht in Betracht. Aus der Tatsache, daß bei§ 164 III BGB Vergessen nicht erheblich ist, dieses Problem sich nicht stellt, läßt sich aber nicht ableiten, daß bei Anwendoog des Rechtsgedankens der Vorschrift ein Vergessen nicht in Betracht kommt. Canaris hat darauf hingewiesen, daß selbst beim Analogieschluß Lückenfeststelloog ood Lückenausfiilloog teilweise auseinanderfallen können. 268 Dies sei der Fall, wenn die Rechtsähnlichkeit sich nicht auf alle regeloogsbedürftigen Punkte erstreckt. Gilt dies für den Analogieschluß, so gilt es auch für die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus einer Einzelnorm. Ein Fall nicht vollständiger Rechtsähnlichkeit liegt hier vor, da sich das Problem des Vergessens nur beim Wissen stellt, nicht aber bei der Frage der Wirksamkeit der Willenserklärung. In solchen Fällen stellt sich methodisch dasselbe Problem wie bei der Ausfiilloog von Prinziplücken.269 Da die Prinzipien meist keinen rechtssatzmäßigen Charakter haben, sich also regelmäßig nicht Wlffiittelbar ooter sie subsu-
Larenz, AT, S. 420. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 149. 269 Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161 ff. 26? 268
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mieren läßt, ist die Rechtsfolge durch dogmatische Einordnung des Prinzips und die Abstimmung mit den Wertungen und Einzelbestimmungen des positiven Rechts zu konkretisieren. Auf das Problem des Vergessens wird im Lauf dieser Arbeit noch ausfUhrlieh eingegangen werden. 270 Hier sollen daher einige knappe, im wesentlichen verweisende Ausfiihrungen genügen. 271 Es ist letztlich nicht zweifelhaft, daß ein Vergessen möglich sein muß. Das Wissen wird dem Geschäftsherrn über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zugerechnet. Eigenes Wissen kann der Geschäftsherr jedoch wieder vergessen. Um festzulegen, ob juristisch vergessen wurde, bestehen drei Möglichkeiten. Erstens: Es kommt für das Vergessen auf die Person des "Wissensempfangsvertreters" an. Zweitens: Es kommt für das Vergessen auf die Person des Geschäftsherrn an. Drittens: Es wird nach einem normativen Maßstab bestimmt, ob eine Information noch bekannt ist. Es liegt nahe, an die Person der wissenden Hilfsperson, des "Wissensempfangsvertreters", anzuknüpfen, da diese tatsächlich weiß. Bei der Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ist juristisch Wissender aber nicht der "Wissensempfangsvertreter", sondern der Geschäftsherr, da diesem das Wissen als eigenes zugerechnet wird.2 72 Auf den "Wissensempfangsvertreter" kann es daher nicht ankommen, da ihm das Wissen rechtlich nicht zugeordnet ist. Es scheint daher auf die Person des Geschäftsherrn anzukommen. Für die Frage des Vergessens ist dies aber nicht sinnvoll. Der Geschäftsherr erfährt regelmäßig nicht tatsächlich das, was ihm über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zugerechnet wird. Auf seine Person kann es dann auch nicht für die Frage des Vergessens ankommen. Anders ist es, wenn dem Geschäftsherrn das ihm über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnende Wissen von seinem "Wissensempfangs-
Vgl. S. 279 ff. Zurückgestellt wird auch die Darstellung von Rechtsprechung und Literatur zum Problem des Vergessens. Bei der in dieser Arbeit zu entwickelnden handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung (vgl. S. 225 ff.) handelt es sich um eine allgemeine Form handlungsunabhängiger Wissenszurechnung. Die Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken stellt hingegen einen Spezialfall dar. Rechtsprechung und Literatur behandeln hingegen das allgemeine Problem des Vergessens und sollen daher auch erst dort dargestellt werden (vgl. s. 280 ff.). 272 Vgl. gerade unter bb. 270 271
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vertreter" tatsächlich mitgeteilt wird. Dann weiß er selbst, dann kommt es auch auf ihn fiir das Vergessen an. Für den Regelfall hilft der im Lauf dieser Arbeit grundsätzlich herauszuarbeitende Gedanke der Verantwortlichkeit fiir die Schaffung eines Risikos. 273 Dieser soll daher bereits hier herangezogen werden. Der Geschäftsherr setzt die Hilfsperson, den "Wissensempfangsvertreter", ein, um Wissen über ihn zu erlangen. Durch diesen Einsatz schafft er also das Risiko, daß das Wissen nicht real beim juristischen Träger des Wissens, nämlich ihm selbst, vorliegt. Das Wissen gilt zwar als sein Wissen, er weiß aber regelmäßig nicht. Er schafft daher auch das Risiko, daß "sein" Wissen nicht für eine gewisse Zeit verfügbar ist. 274 Damit der Geschäftsherr für dieses Risiko verantwortlich ist, müßten die Voraussetzungen des Zurechnungsgrundes der Einstandspflicht für die Sicherheit eines bestimmten Bereiches gegeben sein. 275 Dies ist der Fall, da der Geschäftsherr das Risiko beherrscht. Er zieht auch den Vorteil aus dem Einsatz der Hilfsperson; er will nämlich, daß diese fiir ihn Wissen erwirbt. Auch wird man von einem schwachen Vertrauen darauf ausgehen können, daß derjenige, der Hilfspersonen einsetzt, um Informationen zu erlangen, fiir die Verfügbarkeit dieser Informationen für eine gewisse Zeit sorgen wird. Es sind daher alle Voraussetzungen des Zurechnungsgrundes der Einstandspflicht fiir die Sicherheit eines bestimmten Bereiches gegeben. Den Geschäftsherrn trifft dann die Pflicht, sich das ihm zurechenbare Wissen mit zumutbarem, angemessenen Aufwand fiir eine gewisse Zeit verfügbar zu halten. 276 Wie lange der Geschäftsherr sich das ihm über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechenbare Wissen des "Wissensempfangsvertreters" verfügbar zu halten hat, ist dann aus dem Zusammenspiel verschiedener Kriterien, die ein bewegliches System bilden, zu ermitteln. Kriterien sind die Beherrschbarkeit des Risikos, die Kosten der Beherrschung, die Größe und Art des dem Dritten277 drohenden Nachteils, die Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und dem Dritten rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, Vgl. grundlegend S. 251 ff. Risiko schafft er natürlich nur, wenn ihm das Wissen nicht doch von seinem "Wissensempfangsvertreter" mitgeteilt wird. Ist dies der Fall, so kommt es fiir das Vergessen, wie gesehen, auf die Person des Geschäftsherrn an. Mangels Risikoschaffung ist das Prinzip der Verantwortung fiir die Schaffung eines Risikos dann schon nicht anwendbar. 275 Vgl. fiir dieses Erfordernis grundlegend S. 254 ff.; dort auch fiir die einzelnen Kriterien. 276 Vgl. fiir diesen Schluß ausfuhrlieh S. 279 ff. 277 Es geht um den Dritten, der aus der juristischen Kenntnis des Geschäftsherrn einen Vorteil zieht. 273
274 Dieses
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schließlich die Größe des Risikos, d. h. je offensichtlich wichtiger eine Information ist, wn so länger muß sie verfiigbar gehalten werden. Wie lange das Wissen verfiigbar zu halten ist, richtet sich auch nach der konkreten Wissensnorm. Insofern wird hier auf die grundlegenden Ausführungen bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung verwiesen. 278 Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, ist, daß das Wissen dem Geschäftsherrn gleichwohl, solange es verfiigbar zu halten ist, als eigenes zuzurechnen ist.279 Ein möglicher Einwand gegen diese Konzeption der zeitlichen Zurechnung ist, daß sie dem einschneidensten Fall des Vergessens bei der Einzelperson, nämlich deren Tod, nicht fiir die Zurechnung des Wissens der "Wissensempfangsvertreter" als eigenen Wissens des Geschäftherrn Rechnung trägt. Stirbt die Einzelperson, so geht ihr Wissen nicht auf ihren Erben über. 28 Für das über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnende Wissen ist ebenfalls fiir den Fall des Todes auf den Geschäftsherrn abzustellen. Solange dieser lebt, besteht keine Notwendigkeit dem Tod Rechnung zu tragen. Ist Geschäftsherr eine natürliche Person, so kommt es auf deren Tod an. Ist Geschäftsherr eine sonstige Rechtspersönlichkeit281 , so kommt es darauf an, ob diese aufgelöst wurde. Solange sie nicht aufgelöst wurde, "lebt" sie weiter. Wer lebt kann aber nicht in den Genuß der Frucht des Todes kommen.
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dd) Sonderproblem Arglist
Im "Knollenmergelfall" 282 und im "PKW-Fall" 283 ging es nicht eigentlich wn die Frage, ob eine arbeitsteilige Struktur wußte, sondern darwn, ob ihr Verhalten als arglistig zu werten war. So berief sich der Kläger im "PKW-Fall" auf §§ 476, 477 I BGB, weil ein vertraglicher Gewährleistungsausschluß vereinbart und die Sechs-Monatsfrist des § 477 I BGB bereits abgelaufen war. Im "Knollenmergelfall" verlangten die Kläger Schadensersatz nach § 463 S. 2 BGB. Die Annahme von Arglist schied dort schon deshalb aus, weil 278 S. 279 ff.; vgl. auch in Teil III, S. 379 ff., die weitere Konkretisierung an Hand von Beispielsfällen. 279 Vgl. S. 290 ff. fiir die Rechtsfolgen bei Nichterfiillung der Pflicht. 280 Eine gewisse Ausnahme ist, daß der Erbe nach allg. Meinung den Besitz so erwirbt, wie ihn der Erblasser hatte; vgl. MünchKomm/Joost, § 857 Rdnr. 131. Er muß sich daher ggf. wie ein unredlicher Besitzer behandeln lassen, ohne selbst unredlich zu sein; vgl. hierzu auch Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 8. 281 z. B. eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft, auch eine BGB-Gesellschaft. 282 BGH NJW 1992, 1099, vgl. S. 107 ff. 283 BGH NJW 1996, 1205, vgl. S. 110 ff.
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die Kenntnis des Sachbearbeiters nicht zurechenbar war. Im "PKW-Fall" verwies der BGH an das Berufungsgericht zurück, um zu klären, ob der Mitarbeiter der Einkaufsabteilung bei Ausfüllen des Formblatts die erhöhte Laufleistung vergessen hatte. Bei zurechenbarer Kenntnis, so scheint es, hätte der BGH284 dann aber ohne weiteres auf Arglist geschlossen.285 Auf das Problem der Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur wird im Verlauf dieser Arbeit noch ausführlich eingegangen werden. 286 Wie fiir das Problem des Vergessens sollen daher hier einige knappe, im wesentlichen verweisende Ausführungen genügen.287 Zunächst sollen Voraussetzungen und Nachweis der Arglist bei der Einzelperson referiert werden. Arglist erfordert nach allgemeiner Ansicht Vorsatz, wobei auch bedingter Vorsatz genügen soll. 288 Der subjektive Tatbestand der Arglist setzt sich daher aus einem kognitiven (Wissens-) und einem voluntativen (Wollens-) Element zusammen. 289 Das Wissen des arglistig Handelnden muß sich auf drei Elemente beziehen.290 So muß ein arglistig einen Mangel verschweigender Verkäufer den Mangel kennen oder fiir möglich halten. Er muß wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Mangel nicht kennt. Schließlich muß der Verkäufer wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Vertrag bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes nicht oder nicht zu den konkreten Bedingungen abschließen würde. Zu diesem Wissen muß auch noch das Wollen der 284 Vgl. insbesondere den "PKW-Fall", BGH NJW 1996, 1205, wo es dem BGH für die Arglist nur darauf ankam, ob für den Verkauf Kenntnis zurechenbar war. 285 v. Reinersdorff, WiB 1996, 395, 396 meint, es sei dem BGH beim "PKW-Fall" darum gegangen, ob jedenfalls bei einer für die GmbH & Co. KG handelnden Person Arglist vorgelegen habe. Dies ergibt sich aber gerade nicht aus der Entscheidung. 286 Vgl. S. 295 ff. 287 Zurückgestellt wird auch, wie für das Vergessen, die eingehendere Darstellung von Rechtsprechung und Literatur. Bei der in dieser Arbeit zu entwickelnden handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung (vgl. S. 225 ff.) handelt es sich um eine allgemeine Form handlungsunabhängiger Wissenszurechnung. Die Wissenszurechnung über den aus § 164m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken stellt hingegen einen Spezialfall dar. Rechtsprechung und Literatur behandeln aber das allgemeine Problem und sollen daher auch erst dort dargestellt werden (vgl. S. 296 ff.). 288 Für die Rechtsprechung: BGH LM § 463 BGB Nr. 1; WM 1971, 749, 751; für die Literatur: Soergel!Huber, § 476 Rdnr. 24; einschränkend MünchKomm/Westermann, § 463 Rdnr. 8; Erman/Grunewa/d, § 463 Rdnr. 6. 289 Die im folgenden referierte Arglistdefinition ist ständige Rechtsprechung, vgl. BGH WM 1983, 990; NJW 1987,2511, 2512; NJW 1990, 42,42 f. 290 Im folgenden wird der Deutlichkeit halber von einem arglistig einen Mangel verschweigenden Verkäufer ausgegangen.
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Täuschung treten. Für das Zivilrecht läßt die Rechtsprechung im Gegensatz zum Strafrecht den Schluß vom Wissens- auf das Wollenselement großzügig zu. 291 Die Rechtsprechung verlangt nur, daß der Verkäufer die Wissenselemente billigend in Kauf genommen hat. 292 Sie schließt sogar nach der Lebenserfahrung von der Kenntnis eines schwerwiegenden verborgenen Mangels auf die Einsicht und die Billigung, daß der Vertragspartner den Mangel vielleicht nicht kennt und andernfalls den Vertrag nicht oder nicht so wie geschehen abgeschlossen hätte. 293 Ist dem Geschäftsherrn Wissen eines "Wissensempfangsvertreters" - z. B. Wissen um den Mangel einer Sache - über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnen, und handelt er selbst, so fehlt es rein tatsächlich an den Voraussetzungen der Arglist. Dem Geschäftsherrn wird zwar die Mangelkenntis als eigenes Wissen zugerechnet. Er weiß aber nicht und rechnet auch nicht damit, daß dieser Mangel seinem Vertragspartner unbekannt ist, da er ja nicht tatsächlich, sondern nur rechtlich um den Mangel weiß. Ebensowenig weiß er oder rechnet er damit, daß sein Vertragspartner bei Kenntnis den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte. Schließlich mangelt es ihm auch an jeglichem rechtlich relevanten Wollen. Man kann auf die fehlenden Wissens- und W ollenselemente auch nicht aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung schließen. Der Schluß aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung ist ein Anscheinsbeweis. 294 Ein solcher muß geeignet sein, die volle Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit einer Tatsache zu begründen.295 Er ist also lediglich prozessualer Nachweis tatsächlicher Wissenselemente und tatsächlichen Wollens. Hier müssen jedoch Wissenselemente und das Wollenselement fingiert werden. Man wird dennoch auch in diesem Fall von Arglist ausgehen. Hierfür ist wiederum an den bereits erwähnten, im Lauf dieser Arbeit noch grundsätzlich herauszuarbeitenden Gedanken der Verantwortlichkeit für die Schaffung eines Risikos anzuknüpfen.296 Der Geschäftsherr setzt den "Wissensempfangsvertreter" ein, um über ihn Wissen zu erlangen. Durch diesen Einsatz schafft er das Risiko, daß das Wissen nicht real beim juristischen Träger des Wissens, nämlich ihm selbst, vorliegt. Es gilt als sein Wissen, er weiß aber regelmäßig nicht davon. Er schafft daher auch das Risiko, daß die tatsächlichen Voraussetzungen 291 So Reinking/Eggert, Autokauf, Rdnr. 1861. 292 Vgl. die ständige Rechtsprechwtg BGH WM 1983, 990; NJW 1987, 2511 , 2512; NJW 1990, 42, 42 f. 293 Vgl. BGH NJW 1990, 975, 976. 294 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 661. 295 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 661 m.w.N. 296 Vgl. grundlegend S. 251 ff.
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der Arglist nicht vorliegen, obwohl er juristisch weiß und handelt. Damit der Geschäftsherr für dieses Risiko verantwortlich ist, müßten die Voraussetzungen des Zurechnungsgrundes der Einstandspflicht für die Sicherheit eines bestimmten Bereiches gegeben sein. 297 Dies ist der Fall, da der Geschäftsherr das Risiko beherrscht. Er zieht auch den Vorteil aus dem Einsatz der Hilfsperson; er will, daß diese fiir ihn Wissen erwirbt. Auch wird man von einem schwachen Vertrauen darauf ausgehen könnnen, daß der Geschäftsherr über das für ihn erworbene Wissen informiert wird. Es sind also alle Voraussetzungen des ZurechnWlgSgrundes der Einstandspflicht für die Sicherheit eines Bereiches gegeben. Realisiert sich dann das Risiko aufgrund schuldhaften Verhaltens des Geschäftsherrn298, so hat dieser dafür einzustehen, d. h. der Dritte wird so gestellt, als hätte der Geschäftsherr tatsächlich gewußt. 299 Dann ist also auch von Arglist des Geschäftsherrn auszugehen, da bei tatsächlichem Wissen und Handeln nach der Lebenserfahrung auf Arglist zu schließen wäre. 300 Handelt der Geschäftsherr nicht selbst, so ist über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB zuzurechnendes Wissen für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung einer Hilfsperson nur zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen des § 166 II BGB (analog) vorliegen. 301 Weist der Geschäftsherr zu einem Geschäft an, d. h. veranlaßt er es oder verhindert es nicht, obwohl er weiß, daß es bevorsteht, so fehlt es, wenn ihm das über den aus § 164 III BGB zuzurechnende Wissen nicht tatsächlich bekannt ist, an den Voraussetzungen der Arglist. Wie bei Eigenhandeln des Geschäftsherrn und über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB zurechenbarem Wissen, wird man hier über den Risikogedanken bei Schuldhaftern Nichtwissen302 von einer über § 166 II BGB (analog) zurechenbaren Arglist des Geschäftsherrn ausgehen. 3. Die Rechtsprechung des BGH und der "Wissensempfangsvertreter"
Obwohl der BGH, wie gesehen, nur eine Wissensvertretung analog § 166 I BGB anerkennt, finden sich die der Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem aus § 164 III BGGB zu entnehmenden Rechtsgedan29? Vgl. für dieses Erfordernis grundlegend S. 254 ff.; dort auch für die einzelnen Kriterien. 298 Von solchem ist auszugehen, wenn der Geschäftsherr keine Maßnahmen getroffen hat, sich sein eigenes Wissen verfügbar zu machen. Vgl. für die Bedeutung des Verschuldens beim Risikogedanken S. 294 f. 299 Vgl. für diesen Schluß S. 300 f. 300 Vgl. für diese Auflösung des Arglistbegrifts S. 301 f. 301 Vgl. gerade unter bb. 302 Also wenn der Geschäftsherr keine Maßnahmen getroffen hat, sich sein Wissen verfügbar zu machen.
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Teil TI: Zurechnung von Wissen
ken, zugnmdeliegenden Gedanken auch in der Rechtsprechung. Im "Knollenmergelfall"303 wie im "PKW-Fall" 304 stellt der BGH fiir die Zurechnung des Wissens des Wissensvertreters analog § 166 I BGB darauf ab, ob die Hilfsperson damit betraut war, "Informationen zur Kenntnis zu nehmen und sie weiterzuleiten" 305 . Eine solche Hilfsperson ist ein "Wissensempfangsvertreter" analog § 164 III BGB. Der BGH erkennt also den richtigen Ansatzpunkt, unterscheidet aber nicht zwischen der Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB und der Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. 4. Abgrenzung zur Wissenszurechnung über§§ 164111, 166 I BGB
Von der "Wissensempfangsvertretung", basierend auf dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, ist die Wissenszurechnung über §§ 164 III, 166 I BGB zu unterscheiden. Nach allgemeiner Ansicht fmdet § 166 I BGB auf die Empfangsvertretung Anwendung. 306 Soweit die Rechtsfolgen der empfangenen Willenserklärung von Kenntnis oder dem Kennenmüssen bestimmter Umstände abhängen, bestimmen sich diese Rechtsfolgen nach dem Kenntnisstand des Empfangsvertreters. Auch hier bewirkt § 166 I BGB also nur eine handhmgsabhängige Wissenszurechnung. Der aus § 166 I BGB abzuleitende Rechtsgedanke ermöglicht darüber hinaus eine handhmgsabhängige Wissenszurechnung in den Fällen, in denen die Hilfsperson passiv in tatsächlicher Weise fiir den Geschäftsherrn tätig wird, sofern die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tätigkeit von Kenntnis oder Kennenmüssen abhängt. 5. Zusammenfassung
Mit der Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, ist in beschränktem Umfang eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung möglich. So ist dem Geschäftsherrn, der eine Hilfsperson mit einer gewissen Selbständigkeit gerade zum Erwerb einer bestimmten Information einsetzt, diese Information dann als eigenes Wissen zuzurechnen. Sie ist ihm daher zuzurechnen, sofern Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst. Sie ist ihm auch zur Bestimmung der Rechtsfolgen seiner eigenen Handlungen und zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Hand303 BGH NJW 1992, 1099, vgl. S. 107 ff. 304 BGH NJW 1996, 1205, vgl. S. 110 ff. 305 BGH NJW 1996, 1205 ("PKW-Fall"); ähnlich BGH NJW 1992, 1099, 1100 ("Knollenmergelfall "). 306 Vgl. nur Palandt/Heinrichs, § 164 Rdnr. 17, wonach die Vorschriften über die aktive Vertretung auch auf die passive Vertretung Anwendung finden.
§ 4 HandlWlgSWlabhängige Zureclmung des Wissens einer Hilfsperson
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Iungen anderer als der wissenden Hilfsperson zuzurechnen, sofern er diese anderen Hilfspersonen angewiesen hat. Letzteres folgt aus § 166 li BGB oder dem allgemeinen Rechtsgedanken dieser Vorschrift. Wie lange der Geschäftsherr sich das ihm über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnende Wissen verfiigbar zu halten hat, bestimmt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems. Bei verschuldeter Nichtverfiigbarkeit muß er es sich gleichwohl zurechnen lassen. Wäre bei Verfiigbarkeit des dem Geschäftsherrn über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnenden Wissens auf Arglist des Geschäftsherrn zu schließen, so ist bei verschuldeter Nichtverfiigbarkeit gleichwohl von Arglist auszugehen. Das Einstehenmüssen fiir die schuldhafte Nichtverfiigbarkeit des eigenen Wissens folgt aus der Verantwortung fiir Risikoschaffung. V. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung und gesetzesimmanente Rechtsfortbildung Das Problem der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung ist also nur in beschränktem Umfang mit den Mitteln der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung zu lösen. Über § 166 li BGB direkt oder über einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedanken wird unter engen Voraussetzungen Wissen des Geschäftsherrn handlungsunabhängig zugerechnet. Über die Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem aus§ 164111 BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, wird handlungsunabhängig Wissen einer Hilfsperson als eigenes Wissen des Geschäftsherrn zugerechnet, sofern dieser die Hilfsperson gerade zum Wissenserwerb fiir ihn eingesetzt hat. Auf diese Weise wird jedoch nur ein kleiner Teil der möglichen Fälle handlungsunabhängiger Wissenszurechnung abgedeckt. In vielen Fällen, in denen eine Hilfsperson weiß und eine andere Hilfsperson oder der Geschäftsherr selbst handelt, und in vielen Fällen, in denen Wissen der Hilfsperson an sich Rechtsfolgen auslösen könnte, ist so keine Wissenszurechnung möglich, da die wissende Hilfsperson nicht "Wissensempfangsvertreter" ist. Als weitere methodisch und verfassungsrechtlich zulässige Fonn der Rechtsfortbildung ist die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung, die Rechtsfortbildung extra legem, anerkannt. 307 Im folgenden308 soll untersucht werden, ob und inwieweit sich auf diesem Weg Regeln über eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung ergeben.
307 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 232 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 481 ff. spricht in der Sache weitgehend ähnlich von RechtsfortbildWlg aufgrund allgemeiner ("natürlicher") Rechtsgrundsätze. 308 Vgl. nWl S. 156 ff.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
VI. Zusammenfassung
Die h. M. in Rechtssprechm1g W1d Literatur rechnet handlW1gsm1abhängig dem Geschäftsherrn Wissen seines "Wissensvertreters" zu. Für die Figur des "Wissensvertreters" stützt sich die h. M. auf eine analoge AnwendW1g des § 166 I BGB oder einen aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken. Zumindest in der BegriindW1g ist dies jedoch falsch, da sich eine handlW1gsW1abhängige Wissenszurechnm1g nicht in methodisch zulässiger Weise auf § 166 I BGB stützen läßt. In beschränktem Umfang ermöglicht § 166 II BGB bzw. der allgemeine Rechtsgedanke dieser Vorschrift eine handlW1gsW1abhängige Zurechnm1g. So kann Wissen des Geschäftsherrn zur Bestimmm1g der Rechtsfolgen der Handlm1g einer Hilfsperson zugerechnet werden, wenn er diese Handlm1g angewiesen hat. Entgegen mancher Stimmen in der Literatur läßt sich eine handlungsm1abhängige Wissenszurechnm1g nicht in methodisch zulässiger Weise auf die Vorschrift des § 278 BGB stützen. Wohl aber muß sich der Geschäftsherr Wissen seiner "Wissensempfangsvertreter" handlW1gsW1abhängig über einen aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zurechnen lassen. Mit den Möglichkeiten der gesetzesimmanenten RechtsfortbildW1g, der Analogie W1d der AbleitW1g eines allgemeinenen Rechtsgedankens, läßt sich also nur in beschränktem Umfang handlm1gsW1abhängig Wissen zurechnen.
C. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Im folgenden wird m1tersucht, ob sich über die gesetzesübersteigende RechtsfortbildW1g, die RechtsfortbildW1g extra legem, weitere Möglichkeiten handlW1gsW1abhängiger WissenszurechnW1g ergeben. VoraussetZW1g der gesetzesübersteigenden Rechtfortbildm1g ist ebenfalls das Vorliegen einer Lücke. Allerdings ist hier nur eine Lücke im weiteren Sinn gefordert. 309 Eine solche liegt vor, wenn das Fehlen einer rechtlichen Regelm1g nicht schon (wie bei der Lücke i. e. S.) gemessen am Plan des Gesetzes selbst, wohl aber gemessen an den Erfordernissen der GesamtrechtsordnW1g als behebm1gsbedürftige Unvollständigkeit erscheint.3IO Das Vorliegen einer behebm1gsbedürftigen Unvollständigkeit muß positiv begründet werden, 311 m1d zwar mit spezifisch juristischen Argumenten W1d nicht etwa lediglich mit Zweckmäßigkeitserwägm1gen. 312 Sprechen lediglich Zweckmäßigkeitserwägoogen für eine Unvollständigkeit, so handelt es
309 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246. 310 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246. 31! Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246. 312 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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sich nur um einen Fehler des Gesetzes. Die Korrektur eines Fehlers durch Judizierencontra Iegern ist aber nur ganz ausnahmsweise erlaubt. 313 Bei der Frage, ob Wissen einer Hilfsperson dem Geschäftsherrn auch handlungsunabhängig zugerechnet werden kann, geht es um die rechtliche Behandlung des arbeitsteiligen Einsatzes von Hilfspersonen. Der Geschäftsherr, der Hilfspersonen einsetzt, erlangt bestimmtes Wissen nicht, das er bei Eigenvornahme des Geschäfts erlangt hätte. Fraglich ist darüber hinaus, ob dem Geschäftsherm das private Wissen seiner Hilfspersonen handlungsunabhängig zugerechnet werden kann. Ob und inwieweit eine Regelung der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung über die Anerkennung der Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, und den allgemeinen Rechtsgedanken des § 166 II BGB hinaus erforderlich ist, muß sich also aus der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Tätigkeit in der Gesamtrechtsordnung ergeben. Anzuknüpfen ist an die Ausgestaltung der Arbeitsteilung im BGB314 und die Fortbildung dieser Vorschriften durch die Rechtsprechung. Heranzuziehen ist daher zu-
313 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 251; entscheidend für die Abgrenzung der Bereiche der Rechtsfortbildung extra Iegern und der Rechtsfortbildung contra Iegern ist die Wahl der Auslegungsmethode (Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 251; Neuner, Rechtsfindungcontra Iegern, S. 132). Folgt man, wie hier, der wohl heute herrschenden objektiven Auslegungstheorie (Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141 ff.), so verbleiben für den Bereich des contra-/egern-Judizierens nur diejenigen Fälle, in denen eine richterliche Rechtsfortbildung entweder gegen die Wertungen des Gesetzes verstößt, ohne daß gemessen an den Anforderungen der Gesamtrechtsordnung eine behebungsbedürftige Unvollständigkeit vorliegt, oder in denen sie nicht durch spezifisch rechtliche Kriterien wie vor allem allgemeine Rechtsprinzipien und -werte legitimiert wird. Geht man von der subjektiven, am Willen des historischen Gesetzgebers orientierten Auslegungstheorie aus (vgl. zu dieser Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 137 ff.), so ist der Bereich des contra-legern-Judizierens hingegen wesentlich größer. Ein contra-legernJudizieren liegt dann schon vor, "wenn die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers mißachtet wird, sofern diese mit dem möglichen Wortsinn der Gesetzesnorm noch vereinbar ist oder im Wege der Analogie oder Restriktion durchgesetzt werden könnte" (Neuner, Rechtsfindung contra Iegern, S. 132). Die Wahl der Auslegungsmethode hat dann natürlich Auswirkungen auf die Zulässigkeit des contra-/egern-Judizierens (Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 251). 314 Vgl. für die Relevanz des Willens des Gesetzgebers auch bei der objektiven Auslegungstheorie Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 139.
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nächst die Gesamtheit der Vorschriften, die den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen regeln. 315
I. Vorschriften über den arbeitsteiligen Einsatz von HUfspersonendie gesetzliche Konzeption und ihre Entwicklung durch die Rechtsprechung 1. § 166 I BGB AusfUhrlieh erörtert wurde, daß § 166 I BGB durch Anordnung einer handlungsabhängigen Wissenszurechnung die rechtlichen Konsequenzen des arbeitsteiligen Einsatzes einer Hilfsperson regelt. 316 Die Vorschrift ist darüber hinaus gesetzliche Grundlage einer allgemeinen handlungsabhängigen Wissenszurechnung.317 2. § 166 II BGB Erörtert wurde ebenfalls, daß § 166 II BGB und der allgemeine Rechtsgedanke dieser Vorschrift in beschränktem Umfang, nämlich bei Vorliegen einer Weisung, eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung ermöglichen. 318 3. § 164 I, III BGB
§ 164 I, III BGB ordnet eine unbedingte, vollständige Zurechnung des Gehilfenverhaltens an. Dem Geschäftsherrn wird die von der Hilfsperson abgegebene oder empfangene Willenserklärung als von ihm selbst abgegeben oder empfangen zugerechnet. Als ratio dieser Zurechnung wurde erkannt, daß sie vom Geschäftsherrn gewollt, somit Ausdruck seiner Selbstbestimmung ist. 319 Auf den aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken läßt sich die Figur des "Wissensempfangsvertreters" stützen. 320
315 Heranzuziehen sind also insbesondere die Vorschriften, die bereits im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung diskutiert wurden. 316 Vgl. S. 49 ff. 317 Vgl. S. 49 ff. 318 Vgl. S. 127 ff. 319 Vgl. S. 140 f. 320 Vgl. S. 140 ff.
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4. § 278 BGB Eine unbedingte, vollständige Zurechnung des schuldhaften Verhaltens der Hilfsperson ist auch in§ 278 BGB angeordnet. Die unbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn für das schuldhafte Verhalten seines Gehilfen ist allerdings doppelt beschränkt. Die Zurechnung erfolgt nur bei rechtsgeschäftliehen und gesetzlichen Schuldverhältnissen sowie bei quasi-Verträgen und auch dort nur für die Verbindlichkeit, zu deren Erfiillung die Hilfsperson eingesetzt war. 321 Allerdings vollziehen Rechtsprechung und Literatur eine Entwicklung hin zu einer Bereichshaftung des Geschäftsherrn. 322 Auch diese hat jedoch nie eine zeitlich andauernde Zurechnung zur Folge.323
5. § 831 BGB Für den deliktischen Bereich ordnet das Gesetz keine strikte Haftung für das Verschulden einer Hilfsperson an. Der Geschäftsherr haftet nach § 831 BGB lediglich für eigenes Verschulden bei Auswahl und Überwachung der Hilfsperson, ohne daß es auf ein Verschulden der Hilfsperson ankäme. 324 Das Gesetz kommt dem Geschädigten mit einer Beweislastumkehr entgegen. 325 Das Verschulden des Geschäftsherrn wird vermutet. 326 Es trifft den Geschäftsherrn somit keine unbedingte Einstandspflicht für seinen Gehilfen. Die Regelungsanordnung der Norm, daß bei arbeitsteiligem Einsatz einer Hilfsperson der Geschäftsherr nur bei eigenem Verschulden haftet, wird als un-
321 Vgl. S. 135 ff. 322 Vgl. S. 138 f. 323 Vgl. S. 138. 324 Die Frage des Verschuldeus des Gehilfen ist im einzelnen umstritten. Einigkeit besteht lediglich dahingehend, daß es nicht auf die Verschuldensfähigkeit der Hilfsperson ankommt (vgl. z. B. Larenz/Canaris, SehR W2, S. 479 m. w. N. nach dessen Ansicht auf das Verschuldenselement nur verzichtet werden kann, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem Einsatz eines Gehilfen und dem Fehlen eines Schuldvorwurfs gegen ihn besteht). 325 Jakobs, VersR 1969, 1061, 1064; Esser/Schmidt, SehR 112, S. 91. 326 Die Haftung wird daher als Haftung für vermutetes eigenes Verschulden klassifiziert, v. Bar, Verkehrspflichten, S. 240; Kupisch, JuS 1984, 250, 251; Kötz, Deliktsrecht, Rdnr. 287; Medicus, SehR II, S. 394 ff. Die Haftung wird jetzt auch als Haftung für eine vermutete Verkehrspflichtverletzung klassifiziert; Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 475; ähnlich Esser/Weyers, SehR II, S. 588; MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnm. 1 ff.
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befriedigend empfunden327, da sie mit dem heutigen Stand der sozialen Entwicklung und dem Rechtsgefühl unvereinbar sei. 328 Dem Geschäftsherrn müsse auch im Recht der unerlaubten Handlung das Personalrisiko unbedingt auferlegt werden. 329 Trotz einhelliger Kritik sind mehrere Versuche der Reforrn330 mit dem Ziel der Anordnung einer unbedingten Einstandspflicht des Geschäftsherrn für unerlaubte Handlungen seiner Verrichtungsgehilfen, also einer strikten Haftung für Verschulden der Hilfspersonen oder einer Garantiehaftung auch für schuldlose Handlungen, nicht weiter verfolgt worden. 331 Obwohl die Reform unterblieben ist, wird der Grundgedanke der Vorschrift von der praktischen Rechtsanwendung negiert. 332 Die Rechtsprechung hat auf verschiedenen Wegen die Unzulänglichkeiten des § 831 BGB abgemildert. 333 Nach § 831 BGB ist der Geschäftsherr verpflichtet, die Hilfsperson sorgfältig auszuwählen sowie gegebenenfalls die Verrichtung zu leiten. Die Rechtsprechung fordert außerdem grundsätzlich eine sorgfältige Überwachung und Instruktion des Gehilfen.334 Dies stellt der Sache nach eine Analogie zu § 831 BGB dar. 335 Es werden darüber hinaus strenge Anforderungen an das Führen des Entlastungsbeweises gestellt,336 so daß bisweilen davon ausgegangen wird, dieser gelinge kaum mehr. 337 Die unbefriedigende Regelung des § 831 BGB wird auch für die starke Ausdehnung des Bereiches der vertragli-
327 Allg. M ., vgl. z. B. RGRK!Steffen, § 831 Rdnr. 3; Staudinger/Schäfer, § 831 Rdnm. 251 ff.; MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnr.. 6; Baums, FS Lukes, S. 623, 625; vgl. auch die Begründung des Referentenentwurfs von 1967 (Begründung, Band II, s. 11 f.); zur Reformdiskussion V . Bar, Gutachten n, s. 1758 f. und s. 1776 f. und Sch/echtriem, Gutachten II, S. 1616 ff. Rechtspolitische Kritik gab es bereits während der Gesetzesberatungen, vgl. Mugdan II, S. 1090 ff. (Prot. II, S. 2773 ff.); zu diesem Komplex auch Seiler, JZ 1967, 525 (vgl. sogleich ausführlich S. 165 ff.). 328 So die Begründung des Referentenentwurfs 1967, Begründung Band II, S. 11 f. 329 MünchKomm!Mertens, § 831 Rdnr. 6. 330 Vgl. Referentenentwurf 1967, Begründung Band II, S. 10 ff., 77 ff.; v. Bar, Gutachten II, S. 1758 f., 1762, 1776 f. ; Schlechtriem, Gutachten II, S. 1617, 1618. 331 Kritisch dem Reformvorschlag gegenüber Esser!Weyers, SehR II, S. 595; Larenz/Canaris, SehR W2 , S. 484, der die Beibehaltung der Vorschrift fiir Kleinbetriebe befiirwortet. 332 So die Begründung zum Referentenentwurf 1967, Begr Band II, S. 11 f. 33 3 Vgl. die Zusammenfassung bei RGRK!Steffen, § 831 Rdnr. 3. 334 Vgl. ausführlich RGRK!Steffen, § 831 Rdnm. 37 ff. 335 Larenz/Canaris, SehR W2, S. 481. 336 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 243 ff. 337 RGRK!Steffen, § 831 Rdnr. 3; a. A. für das Gelingen des Entlastungsbeweises Larenz/Canaris, SehR W2, S. 481.
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chen und quasi-vertraglichen Haftung durch die Rechtsprechung verantwortlich gemacht. 338 Besondere Probleme haben sich bei der Anwendung des § 831 BGB auf Großbetriebe ergeben. Die Rechtsprechung339 ermöglichte es dem Geschäftsherrn, durch Nachweis ordnungsgemäßer Auswahl und Überwachung der mit der Auswahl und Überwachung betrauten HUfspersonen den Entlastungsbeweis (sog. dezentralisierter Entlastungsbeweis) zu führen. Dies verstärkte sogar noch die unglückliche Wirkung des § 831 BGB und führte darüber hinaus zu einer Privilegierung großer Unternehmen. 340 Inzwischen versagt die Rechtsprechung dem Geschäftsherrn weitgehend den dezentralisierten Entlastungsbeweis oder handhabt diesen jedenfalls in einer Weise, daß sich der Geschäftsherr kaum mehr zu entlasten vermag. 341 Die durch die Anerkennung des dezentralisierten Entlastungsbeweises geschaffenen Probleme bemühte sich die Rechtsprechung, durch eine extensive Auslegung des Begriffs "verfassungsmäßig berufener Vertreter" bei des § 31 BGB zu korrigieren. 342 Für dessen Verschulden haftet die juristische Person unbedingt. Die Vorschriften über die Organhaftung wurden zudem auf die OHG und KG343 , nicht aber die GbR344 entsprechend ange~ wandt.345 Insbesondere als Korrektiv des dezentralisierten Enlastungsbeweises hat die Rechtsprechung aus der allgemeinen Verkehrspflicht, die aus der Schaffung einer Gefahrenquelle, der Nutzung einer arbeitsteiligen Struktur erwächst, eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation von Betrieben, insbesondere zur ordnungsgemäßen Organisation von Aufsicht entwickelt, die sie auf § 823 BGB 338 Esser!Weyers, SehR II, S. 594 f. nennt den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, die Drittschadensliquidation, die Erweiterung des Pflichtenkreises der Schuldner im Hinblick auf § 278 BGB, die Haftung aus culpa in contrahendo und positver Forderungsverletzung über den eigentlich rechtsgeschäftliehen Bereich hinaus; vgl. auch RGRK!Steffen, § 831 Rdnr. 3; Sch/echtriem, SehR BT, S. 371; differenzierend Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 482; Canaris, 2. FS Larenz, S. 28, 85 ff., 87 ff. 339 Grundlegend, BGHZ 4, 1, 2 ff.; vgl. auch schon RGZ 78, 107, 108 ff. 340 Larenz!Canaris, SehR Il/2, S. 482, spricht von einer "mißlichen" Privilegierung. 341 MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnr. 3. 342 Staudinger/Schäfer, § 831 Rdnr. 45; Baums, FS Lukes, S. 623, 626; Larenz/Canaris, SehR W2, S. 483; Schlechtriem, SehR BT, S. 372; je m. w. N. 343 BGHNJW 1952,537,538. 344 BGHZ 45, 311, 312; dazu kritisch z. B. Karsten Schmidt, Karlsruher Forum 1993, 4, 8.
345 Vgl. bei Palandt/Heinrichs, § 31 Rdnr. 3 und bei Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 483 für Nachweise auf die in der Kritik an BGHZ 45, 311, 312 weitgehend einige Literatur. II Baum
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stützt. 346 Es bleibt Aufgabe des Geschäftsherrn, allgemeine Aufsichtsanordnungen zu treffen, die die Gewähr für eine ordentliche Betriebsfiihrung bieten. Sollte ein Mangel der Organisation vorliegen (d. h. eine allgemeine Aufsicht nicht auf allen Stufen der Betriebshierarchie effektiv gewährleistet sein), so ist der Geschäftsherr wegen Vernachlässigung der allgemeinen Aufsicht aus § 823 I BGB haftbar. 347 Inhalt der Pflicht ist es, durch ausreichende organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß Dritte nicht durch die betrieblichen Arbeitsverläufe geschädigt werden348, die ordnungsgemäße Geschäftsfiihrung und Beaufsichtigung zu gewährleisten und den Aufsichtsorganen eine laufende Kontrolle des Personals zu ermöglichen.349 Es findet sich auch der Gedanke, daß derjenige, der eine arbeitsteilige Organisation nutzt, verpflichtet ist, einen Mindestbestand an Haftungsverantwortung auf der Unternehmerebene, d. h. ohne Entlastungsmöglichkeit nach § 831 BGB, zu gewährleisten. 350 Es muß eine hinreichende Anzahl an Personen bestellt sein, für die die juristische Person nach §§ 30, 31 BGB haftet. So hat die Rechtsprechung z. T. schon das Fehlen eines besonderen satzungsmäßigen Vertreters i. S. von § 30 BGB als Organisationsmangel qualifiziert, für den der Unternehmensträger unmittelbar nach § 823 I BGB i.V. mit § 31 BGB kraft fingierter Organstellung einzustehen hat.351 Nach Ansicht der Literatur haben diese Korrekturen dazu geführt, daß jedenfalls bei schuldhaftem Verhalten des Verrichtungsgehilfen auch dem Geschäftsherrn ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann.352
346 Vgl. Baums, FS Lukes, S. 623, 634. MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnr. 3 sieht die Sicherung des Verkehrs vor den Risiken arbeitsteiliger unternehmenscher Aktivität als Grundidee. Vgl. zu den Pflichten im einzelnen RGRK/Steffen, § 831 Rdnm. 6 ff.; Schlechtriem, SehR BT, S. 371; ders., FS Heiermann, S. 281, 289; kritisch Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 483. 347 BGHZ 4, 1, 3; 20,200, 214; BGH VersR 1964, 297; MDR 1968, 139. 348 Vgl. BGH MDR 1968, 139, 139 f. ; Palandt/Thomas, § 831 Rdnr. 16; RGRK/Steffen, § 831 Rdnr. 3; Esser/Weyers, SehR II, S. 593. 349 So Esser/Weyers, SehR II, S. 593. 350 Vgl. RGRK/Steffen, § 831 Rdnr. 8. 35 1 Vgl. Larenz!Canaris, SehR Il/2, S. 483; s. z. B. BGH VersR 1965, 1055, 1055 f. 352 Baums, FS Lukes, S. 623, 627; MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnr. 6 m. w. N. spricht von einer Deliktshaftung nach vertraglichen Grundsätzen; vgl. auch Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 483; eine Gefährdungshaftung sieht Staudinger/Schäjer, § 831 Rdnr. 252.
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6. Sondergesetze In Sondergesetzen finden sich fiir große Bereiche industrieller Tätigkeit über § 831 BGB hinausgehende HaftungsregelWlgen. 353 So haften nach § § 1, 2 HPflG BahnbetriebsWlternehmer Wld Inhaber von Energieanlagen verschuldensWlabhängig (GefährdWlgshaftung) für Schäden Dritter. Sonstige BetriebsW1ternehmer354 haften nach § 3 HPflG fiir die schuldhafte Herbeifiihrung von Tod oder KörperverletZWlg eines Dritten durch ihre leitenden Angestellten. Nach § 1 ProdHaftG trifft den Hersteller eine Garantiehaftung fiir Produktfehler. Über § 7 StVG trifft den Geschäftsherrn als Halter eine Wlbedingte Einstandspflicht fiir durch seine Hilfspersonen beim Betrieb von Kraftfahrzeugen verursachte Personen- Wld Sachschäden. 7. Auswertung
Aus der gesetzlichen Konzeption der rechtlichen BehandlWlg arbeitsteiliger Aktivität Wld der FortentwicklWlg dieser Konzeption durch die RechtsprechWlg ergibt sich ZW1ächst, daß nicht generell arbeitsteiliges Handeln der Hilfsperson als solches des Geschäftsherrn betrachtet wird. Das Handeln der Hilfsperson ist nicht stets Wld nicht in jeder BeziehWlg Handeln des Geschäftsherrn. Der Groodsatz des "qui facit per alium, facit per se" bzw. des "respondeat superior" ist nicht durchgehend verwirklicht. Er gilt fiir die Fälle der StellvertretW1g Wld bei einigen Sondertatbeständen der Haftung fiir schadensersatzauslösende Handlm1gen von Hilfspersonen. Die allgemeinen Regelm1gen der HaftW1g fiir schadensersatzauslösende Handlm1gen im vertraglichen wie im außervertraglichen Bereich verwirklichen das Prinzip hingegen nicht. Im rechtsgeschäftliehen Bereich, bei gesetzlichen Schuldverhältnissen Wld quasi-Verträgen erfolgt über § 278 BGB keine generelle strikte ZurechnWlg des Verhaltens der Hilfsperson, sondern lediglich eine strenge ZurechnWlg fiir die BestimmWlg des rechtlichen Schicksals der Verbindlichkeit355 , einer Pflicht, in deren Rahmen die Hilfsperson eingesetzt wurde. Die Ansätze zur Bereichshaftung verwirklichen zwar eine TotalzurechnWlg, allerdings nur in einem konkreten Zeitpunkt. Auch im deliktischen Bereich verfolgen Gesetz Wld RechtsprechWlg keine Konzeption der TotalzurechnWlg. § 831 BGB stellt den Geschäftsherrn weitgehend haftungsrechtlich von den schadensersatzauslösenden HandlWlgen seiner HUfspersonen frei. Die RechtsprechWlg hat die Wlbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn ebenfalls nicht konsequent verwirklicht. Soweit § 831 BGB
353 Vgl. auch oben S. 46 ff. für§§ 431,485, 735 HGB. 354 Vgl. im einzelnen den Wortlaut der Vorschrift. 355 Ein einzelnes Vertragsverhältnis kann durchaus aus mehreren Verbindlichkeiten bestehen. II*
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durch eine Ausweitung des Anwendungsbereiches vertraglicher und quasi-vertraglicher Haftung eingeschränkt wurde, gelten erneut die Überlegungen zu § 278 BGB. Für die Korrektur des § 831 BGB über die Figur des Organisationsverschuldens gilt ebenfalls, daß keine Totalzurechnung erstrebt wird, sondern dem Geschäftsherrn lediglich Organisationspflichten auferlegt werden. Über § 166 I BGB und den aus dieser Vorschrift zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedanken kommt es zu einer Zurechnung des Wissens der Hilfsperson nur fiir die konkrete Handlung, an der die Hilfsperson beteiligt war. § 166 II BGB und der dieser Vorschrift zugrunde liegende allgemeine Rechtsgedanke regeln zwar ebenfalls die Rechtsfolgen arbeitsteiligen Einsatzes einer Hilfsperson, allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt der Einstandspflicht des Geschäftsherrn fiir seine Hilfsperson. Die gesetzliche Konzeption der Behandlung arbeitsteiliger Aktivität spricht zunächst gegen die vielfach propagierte strikte Zurechnung des dienstlich erlangten Wissens aller Hilfspersonen, 356 die Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter.357 Eher scheint noch die Figur des Organisationsverschuldens ein richtiger Ansatzpunkt. 358 8. Zusammenfassung
Eine mögliche handlungsunabhängige Wissenszurechnung kraft gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung muß sich an der rechtlichen Behandlung der arbeitsteiligen Aktivität in der Gesamtrechtsordnung orientieren. Anzuknüpfen ist daher zunächst an die Gesamtheit von Vorschriften, die den arbeitsteiligen Ein-
356 Vgl. aus der Rechtsprechung: RGZ 101, 402, 402 f.; BGH VersR 1993, 828, 828 ff. für den Repräsentanten des Versicherungsnehmers; aus der Literatur: Ho.ffmann, JR 1969, 372 ff.; Michael Schultz, NJW 1990, 477, 479; für das Versicherungsrecht Möller, WuR 1938, 5, 11 ff.; Lücke, VersR 1993, 1098 ff.; Kampmann, VersR 1994, 277 ff.; Knappmann, NJW 1994, 3147; vgl. ausfiihrlich S. 227 ff. 357 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnm. 106,499, 800 a. 358 Auf das Organsiationsverschu1den oder die ordnungsgemäße Organisation stellen ab: Grunewa/d, FS Beusch, S. 301 ff.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 ff.; Bohrer, DNotz 1991, 124 ff.; Schlechtriem, FS Heiermann, S. 281 ff.; der Sache nach auch Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 ff.; Meyer-Reim/Testorf, VersR 1994, 1137, 1140; Kohte, BB 1988, 633, 637 f.; Reinhardt, GS R. Schmidt, S. 115, 129 ff.; Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 104 ff. 1n der Rechtsprechung findet sich dieser Gedanke in den Entscheidungen zum arglistigen Verschweigen von Baumängeln: BGHZ 62, 63 und BGH NJW 1992, 1754 - vgl. zu letzteren die zustimmende Literatur: Schuber!, JR 1974, 282; Kniffka, ZfBR 1993, 25; Schlechtriem, FS Heiermann, S. 281 ff. - und jetzt auch im "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339; vgl. ausführlich S. 234 ff.
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satzvon Hilfspersonen regeln. Aus diesen und ihrer Fortentwicklung durch die Rechtsprechung ergibt sich, daß nicht generell arbeitsteiliges Handeln einer Hilfsperson als solches des Geschäftsherrn betrachtet wird. Die gesetzliche Konzeption der Behandlung arbeitsteiliger Aktivität spricht daher zunächst gegen die vielfach propagierte strikte Zurechnung des dienstlich erlangten Wissens aller Hilfspersonen. II. Die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität im BGB zugrundeliegenden Wertungen und ihre heutige Gültigkeit
Für die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist auch an die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität zugrundeliegenden Prinzipien anzuknüpfen.359 Es sollen daher zunächst die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität im BGB zugrundeliegenden Wertungen des historischen Gesetzgebers erarbeitet werden. In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob diese auch heute fiir die Rechtsfortbildung noch Gültigkeit beanspruchen können. 1. Die Wertungen des historischen Gesetzgebers
Die fiir die rechtliche Behandlung arbeitsteiliger Aktivität entscheidenden Wertungen sind während der Beratungen des BGB nicht offen diskutiert worden. Es sind zwei sich wechselseitig verstärkende Gesichtspunkte, ein wirtschaftspolitischer und ein gesetzessystematischer, entscheidend gewesen. a) Das wirtschaftspolitische Motiv An einer Unterfrage der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität, der Frage des Einstehens des Geschäftsherrn fiir Gehilfenverhalten im deliktischen Bereich, wird deutlich, daß mit dem BGB bestimmte wirtschaftspolitische Zwecke verfolgt wurden. Um das Problem der Zurechnung des deliktischen Gehilfenverhaltens wurde während der Gesetzesberatungen hart gerungen. 360 Gleich mehrere Anträge361 , den Geschäftsherrn auch im deliktischen Bereich ohne eigenes Verschulden fiir seine Hilfsperson haften zu lassen, wurden in der zweiten Kommissison beraten und abgelehnt. 362 Die schließlich Gesetz gewor359 Eine Möglichkeit der Begründung einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung ist die Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein rechtsethisches Prinzip (vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240 ff.). 360 Vgl. Seiler, JZ 1967, 525 ff.; allgemein zur Entscheidung des BGB für das Verschuldensprinzip Benöhr, TvR 46 (1978), 1 ff. 36! Vgl. Mugdan li, S. 1090 f. (Prot. II, S. 2773 ff.). 362 Vgl. Mugdan li, S. 1091 ff. (Prot. II, S. 2776 ff.).
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dene Regelung des § 831 BGB, d. h. die an eigenes Verschulden des Geschäftsherrn gebundene Einstandspflicht fiir schadensersatzauslösende Handlungen seiner Gehilfen, wird zumeist als Ausdruck einer wirtschaftsliberalistischen Grundauffassung angesehen, also der Auffassung, daß das Recht den Rahmen für eine möglichst ungehinderte wirtschaftliche Aktivität zu schaffen habe. 363 Die Regelung ist, in Abgrenzung zum wirtschaftsliberalistischen Erklärungsansatz, aber auch als Ausdruck eines bewußten Eingriffs des Staates in den freien Markt betrachtet worden. 364 Welches wirtschaftspolitische Motiv der Regelung zugrundeliegt, soll im folgenden geklärt werden. Die Beratungen des BGB fielen in die Zeit der großen Depression, die mit der Gründerkrise 1873 einsetzte und sich über zwanzig Jahre hinzog. 365 In dieser krisenhaften Situation wurde die Frage einer möglichen verschuldeusunabhängigen Haftung von den Vertretern und Lobbyisten der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft zur schicksalhaften Grundentscheidung über die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland stilisiert. 366 Die einheimische Industrie liege darnieder. Die Haftplicht würde zu einer Preiserhöhung und dem Verlust von in- und ausländischen Märkten an die ausländische Konkurrenz führen. Massenentlassungen wären die unausweichliche Folge. Das Kapital werde aus Deutschland fliehen. Überhaupt werde unter dem Damoklesschwert unbegrenzter Haftung kaum jemand bereit sein, industrielle Anlagen zu betreiben. 367 So gestand die Mehrheit in der II. Kommission, die die Gesetz gewordene Regelung des § 831 BGB durchsetzte, den Befürwortern einer strengeren Haftung des Geschäftsherrn fiir seine Hilfspersonen zwar im Grundsatz zu, 11 ... alle Anträge enthielten allerdings insoweit ein berechtigtes Element, als sie auf dem Gedanken beruhten, daß derjenige, der die Vorteile eines Unternehmens genieße, auch fiir die Schäden, welche fiir Dritte daraus entstünden, aufzukommen habe ... 11368 . Es heißt dann allerdings weiter: 11 ... aber im Rahmen des BGB lasse sich dieser Gedanke nicht ausgestalten; das könne nur auf dem Wege der Spezialgesetzgebung geschehen, die allein im Stande sei, allen in Betracht kommenden Rücksichten ... Rechnung zu tragen ... 369. Letzteres stellt eine merkwürdige Kehrtwendung in der Argumentation der Gegner einer strikten Haftung dar. Einer Ausdehnung des eine strikte Haftung anordnenden ReichsII
363 Esser, Gefährdungshaftung, S. 51 f.; ders., AcP 148 (1943), 121 ; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 2 ff. 364 Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 10 ff., insbesondere 21. 365 Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 16. 366 Vgl. Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 20 f. 367 Vgl. Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 20 mit Nachweisen aufzeitgenössische Aussagen. 368 Mugdan II, S. 1094 (Prot. II, S. 2785). 369 Mugdan II, S. 1094 (Prot. II, S. 2785).
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haftpflichtgesetzesauf andere Tatbestände waren sie mit dem Argument entgegengetreten, daß eine Reform des Schadensersatzrechtes nur im Zusammenhang mit dem ganzen Obligationenrecht sinnvoll sei und man durch ein Spezialgesetz der künftigen umfassenden Regelung nicht vorgreifen dürfe. 370 Nun verwiesen sie die Regelung der Frage auf ebensolche Spezialgesetze. Den wahren Grund wird man in der Absicht sehen, die "der Schonung bedürfenden industrielle[n] Zweige sowie die kleine Landwirtschaft" 371 haftungsrechtlich zu privilegieren. Die Regelung ist also nicht Ausdruck einer wirtschaftsliberalistischen Grundeinstellung372, sondern um sich greifender Existenzangst und staatlicher Industriepolitik373. Die Gesetzesverfasser wußten, daß die Regelung zu einer haftungsrechtlichen Besserstellung arbeitsteiliger Aktivität gegenüber der Leistungserbringung durch den Einzelunternehmer führte. 374 Sie wollten diese Besserstellung. Sie meinten, aus einer anderen Regelung "könnten Gefahren375 entstehen, für welche das BGB nicht die Verantwortung übernehmen dürfe." 376 Mit der Privilegierung wird das wirtschaftliche Schicksal arbeitsteiliger Unternehmen gerade nicht der unsichtbaren Hand377 des Marktes überlassen. Der Gesetzgeber legt vielmehr selbst Hand an und betreibt Industriepolitik Bei der Regelung der Frage der Zurechnung deliktischen Gehilfenverhaltens ging es den Gesetzesverfassern also um die Privilegierung arbeitsteiliger Aktivität gegenüber Aktivität durch den Alleinunternehmer auf Kosten Dritter. b) Die individualistische Konzeption Maßgebend dafür, wie im BGB arbeitsteilige Aktivität behandelt wird, ist auch die individualistische378 Konzeption des Privatrechts, der die Verfasser
370 Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 29. 371
Mugdan II, S. 1094 (Prot. II, S. 2785).
372 So aber Esser, Gefährdungshaftung, S. 51 f.; ders. AcP 148 (1943), 121; Kötz, AcP 170(1970), 1,2ff. 373 Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 10 ff. 374 So führten die Befiirworter einer Garantiehaftung des Geschäftsherrn an: "... es sei unbillig, daß derjenige, der sich in seinem Haushalte Alles selbst besorge, für alle Handlungen einstehen müsse, während der Wohlhabendere, der sich Gesinde halten könne, nicht ohne Weiteres dem Dritten wegen des diesem vom Gesinde widerrechtlich zugefUgten Schadens verantwortlich sei ... ", Mugdan II, S. 1094 (Prot. II, S. 2783). 375 Gemeint ist die Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. 37 6 Mugdan II, S. 1094 (Prot. Il, S. 2785). 377 Vgl. Adam Smith, The Wealth ofNations, S. 456: "led by an invisible hand". 37 8 Von "individualistischen Gesichtspunkten" spricht schon v. Gierke, Der Entwurf, s. 261 f.
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des BGB anhingen. 379 Das BGB, obwohl für eine Industriegesellschaft geschaffen, orientiert sich am Leitbild des Menschen, der natürlichen Person.380 Der insbesondere durch Otto v. Gierke381 betonte kollektivistische Verbandsgedanke tritt hinter dieser Konzeption zurück. Das BGB enthält kein Sonderrecht für arbeitsteilige Organisationen, sondern nur einzelne Spezialvorschriften (z. B. §§ 26, 31 BGB), behandelt diese im übrigen wie eine Einzelperson, den Menschen. Den Verfassern des BGB noo war ein bestimmtes Menschenbild "selbstverständlich" 382 . GTWldvorstelloog ist, "daß der Mensch seiner eigentümlichen Natur ood Bestimmoog nach darauf angelegt ist, sein Dasein ood seine Umwelt im Rahmen der ihm jeweils gegebenen Möglichkeiten frei ood verantwortlich zu gestalten, sich Ziele zu setzen ood selbst Schranken des Handeins aufzuerlegen." 383 Dieses Verständnis wurzelt in der christlichen Religion ood der Philosophie, insbesondere dem ethischen Personalismus Kants. 384 Der Mensch ist nach Kant ein freies, vernUTJftbegabtes Wesen. 385 Aufgabe der Rechtsordnoog ist es dann, die Ausüboog der Freiheit weitestgehend zu ermöglichen ood den Mißbrauch der Freiheit zu verhindern. 386 In der Metaphysik der Sitten führt Kant aus: "Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingoogen, ooter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann"387. Ausdruck gefunden hat diese GTWldvorstelloog in der Privatautonomie als einem der Haupt- ood GTWldprinzipien des Privatrechts. Die Rechtsordnung sichert den Menschen durch die Privatautonomie die Möglichkeit, ihre Beziehoogen ootereinander innerhalb bestimmter Grenzen durch Rechtsgeschäfte zu regeln. 388 Ausfluß dieses Menschenbildes ist auch die im 19. Jahrhundert vorherrschende Willenstheorie389, nach der Rechtsfolgen nur durch den Willen des ein-
Ähnlich bereits 0/denbourg, Wissenszurechnung, S. 44. Larenz, AT, S. 33 ff. 381 Vgl. z. B. Die Genossenschaftstheorie und die Deutsche Rechtsprechung, passim. 382 Larenz, AT, S. 33. 383 Larenz, AT, S. 33 f. Nach Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 482 gilt "das Leitbild des vernünftigen, selbstverantwortlichen und urteilsfähigen Rechtsgenossen". 384 Zum Einfluß Kants auf Savigny und die Pandektistik, vgl. Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 9; Larenz, AT, S. 34; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 375 f. 385 Vgl. z. B . in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2. Abschnitt, S. 33 ff. 386 Vgl. hierzu auch Pound, HLR 68 (1954), 1, 17. 387 s. 337. 388 Für diese Definition der Privatautonomie Larenz, AT, S. 40. 389 Vgl. zur Willenstheorie Wunner, Contractus, S. 136 ff.; Kramer, Vertragliche Einigung, S. 119 ff.; zur Bedeutung der Willenstheorie fiir das Haftungsrecht Esser, Gefährdungshaftung, S. 51 f. 379
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zeinen gerechtfertigt werden. So hat denn auch die rechtliche Anerkennung und Begründung der Stellvertretung als einem Fall der Behandlung arbeitsteiliger Aktivität noch die Verfasser des BGB beschäftigt, da bei der Stellvertretung Handeln und Wille des Vertreters Rechtsfolgen in der Person des Vertretenen auslösen. 390 Das Bild des Menschen als freies und vernunftbegabtes Wesen schließt den Gedanken der Verantwortlichkeit fiir eigenes Tun und Unterlassen ein. 391 Es fordert sogar diese Verantwortlichkeit, da sich erst dadurch, daß der Mensch fiir die Konsequenzen seines Handeins verantwortlich gehalten wird, die Würde des Menschen realisiert. 392 Diese Vorstellung hat insbesondere im Strafrecht erheblichen Einfluß gehabt. 393 Aber sie erklärt auch, daß im Zivilrecht begangenes Unrecht eine Sanktion, die Schadensersatzpflicht, auslöst. 394 Begründet der ethische Personalismus die Verantwortlichkeit, so begrenzt er sie auch. Rechtliche Verantwortlichkeit triffi: nur den, der über seine Handlungen frei bestimmen kann. 395 "Nur soweit der Wille reicht, reicht die Tat", wird formuliert. 396 Für das Zivilrecht bedeutet dies, daß die Handlungschuldhaft sein muß. 397 So hing im 19. Jahrhundert die Schadensersatzhaftung am Schuldprinzip,398 es galt als raison ecrite. 399 Das Schuldprinzip findet sich bei den Anhängern der historischen Rechtsschule, in der preußischen Rechtslehre, den Aufklärungsgesetzen des deutschen Sprachraums, im preußischen ALR und dem Österreichischen ABGB, es beherrscht schließlich die Pandektistik.400 Insbesondere Jhering4° 1 hatte die ewige Wahrheit des Satzes "kein Übel ohne Schuld" hervorgehoben402 und mit der Weihe der Autorität des römischen Rechts versehen. Nicht der
Vgl. dazu schon oben S. 61 f. Larenz, AT, S. 37. 392 Larenz, AT, S. 37 f. formuliert: "Verantwortung zu tragen und verantwortlich gemacht zu werden, ist Vorrecht und Bürde der Person." 393 Vgl. Naucke, Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 27 ff. für den Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Strafrechts im 19. Jahrhundert. 394 Ähnlich Larenz, AT, S. 37 f. 395 So auch Benöhr, TvR 46 (1978), 1, 9. 396 Vgl. fiir dieses und ähnliche Schlagwörter die Nachweise bei Esser, Gefährdungshaftung, S. 51 f. 397 Larenz, AT, S. 38. 398 Seiler, JZ 1967, 525, 526. 399 Vgl. Esser, Gefährdungshaftung, S. 54. 400 Vgl. die Nachweise bei Seiler, JZ 1967, 525, 526 f. 401 Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, passim. 402 Schuldmoment, S. 6. 390 391
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Schaden verpflichte zum Schadensersatz, sondern die Schuld.403 Seiler hat herausgearbeitet, daß sich fiir die römische Rechtswirklichkeit entgegen Jhering und der Auffassung der Pandektistik eine umfassende Haftung fiir Hilfspersonen feststellen läßt. 404 Der freie Römer bediente sich nämlich überwiegend seiner Haussöhne und Sklaven als Hilfspersonen, fiir diese haftete er aber über die Noxalhaftung.405 So dient der Bezug auf das römische Recht nur der rechtstechnischen Absicherung philosophischer Grundüberzeugungen. Gilt das Schuldprinzip, dann läßt sich eine Schadensersatzpflicht nicht auf die Zurechnung bloßen fremden, ohne Nachweis eigenen Verschuldeos stützen. So sahen sich denn auch die Traditionalisten während der Beratungen des BGB außerstande, fiir das Einstehen des Geschäftsherrn fiir unerlaubte Handlungen seiner Hilfspersonen einen" Gerechtigkeitsgrund zu konstruieren" 406 . 407 Die individualistische Grundkonzeption verbindet sich also hier mit dem Gedanken der Privilegierung arbeitsteiliger Aktivität. War das Leitbild der Gesetzesverfasser der freie, vernunftbegabte Mensch, der fiir seine eigenen Handlungen, aber nur fiir diese verantwortlich ist, so ist die Zurechnung fremden Verhaltens, fremden Handeins oder Wissens nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu begründen. Zurechnung ist in einem solchen Konzept ein Fremdkörper. Diese zurechnungsfeindliche Grundeinstellung, an der man sogar die von allen Beteiligten an den Gesetzesberatungen fiir berechtigt gehaltene Einstandspflicht des Geschäftsherrn fiir unerlaubte Handlungen seiner Hilfspersonen scheitern lassen konnte, ist ein weiterer Hauptgrund fiir eine rechtliche Regelung, die arbeitsteilige Aktivität privilegiert.
Jhering, Schuldmoment, S. 40. JZ 1967, 525, 526; vorsichtiger Ogorek, Gefährdunghaftung, S. 71. 405 Seiler, JZ 1967, 525, 526; Ogorek, Gefährdungshaftung, S. 70. 406 So Enneccerus, Verb. d. 18. dtsch. Juristentages li, S. 89. 407 Seiler, JZ 1967, 525, 528. Einen Widerspruch - Ogorek, Gefährdungshaftung, S. 136 spricht von Schizophrenie - stellt daher die Anerkennung der Regelung des § 278 BGB auch durch die Anhänger des Schuldprinzips dar. Die Einstandspflicht des Schuldners fiir Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen im vertraglichen Bereich hatte sich jedoch seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Praxis durchgesetzt, so daß an ihr nicht mehr zu rütteln war (Seiler, JZ 1967, 525, 527). Das dogmatische Gesicht ließ sich fiir die Verfechter des Schuldprinzips durch eine ingeniöse Konstruktion von Enneccerus (vgl. Verb. des 17. dtsch. Juristentages II, S. 102 ff.; Verh. d. 18. dtsch. Juristentages li, S. 90) wahren. Er setzte am Begriff der Obligation an. Der Schuldner schulde entweder eigene Leistung, dann hafte er für eigene Diligenz, oder er schulde fremde Leistung, wenn er die Leistung durch eine Hilfsperson erbringen lasse, dann hafte er für fremde Diligenz. 403 404
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer HUfsperson
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c) Die handlungsunabhängige Wissenszurechnung und die Wertungen des historischen Gesetzgebers Es überrascht nach alldem nicht, daß die nicht unmittelbar ins Auge springende Frage der Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für privates und dienstlich erlangtes Wissen nicht konkret für ihn handelnder HUfspersonen nicht einmal erörtert wurde. Mit den Prinzipien des historischen Gesetzgebers zur rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität läßt sich keine Lücke für eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung feststellen. Die Prinzipien fordern keine Regelung der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung. Die Nichtregelung der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung ist vielmehr Ausdruck einer prinzipiellen Zurechnungsfeindlichkeit und der damit einhergehenden Absicht, arbeitsteilige Aktivität zu begünstigen. Waltermann hingegen führt das Fehlen einer Regelung über die handlungsunabhängige Zurechnung dienstlich erlangten Wissens im BGB auf die Alterung des Gesetzes zurück. 408 Das auf die Einzelperson zugeschnittene BGB könne die gegenwärtigen Bedingungen arbeitsteiligen Handeins nicht erfassen. 409 Die Intention des Gesetzes werde wegen eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse in typischen Fallkonstellationen nicht mehr verwirklicht. 410 Dem kann, wie sich hier gezeigt hat, nicht zugestimmt werden. Das Gesetz ist für eine arbeitsteilige Wirtschaft konzipiert. Deutschland war während der Beratungen des BGB bereits eine Industriegesellschaft. 411 Das Gesetz ist nicht gealtert, möglicherweise sind jedoch die ihm zugrundeliegenden Wertungen gealtert. 2. Die heutige Überzeugungskraft der dem BGB zugrundeliegenden Wertungen Hätten die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität im BGB zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkte heute keine Überzeugungskraft mehr, dann wären sie auch für die Rechtsfortbildung ohne Bedeutung. So kann sich eine Lücke auch infolge eines wesentlichen Wertewandels in der Gesamtrechtsordnung ergeben. 412 Da insbesondere bei § 831 BGB das gesetzliche Modell der Behandlung arbeitsteiliger Aktivität durch die Rechtsprechung erheblich
So ausdrücklich AcP 192 (1992), 181,212. durchzieht die Erörterungen Wallermanns wie ein roter Faden, vgl. AcP 192 (1992), 181, 182, 207,213. 4 1° Waltermann, AcP 192 (1992), 181,213. 411 Vgl. für die Entwicklung zur Industriegesellschaft in der Zeit nach 1870 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1866 - 1918, Bd. 1, unter V. "Industrie, Handwerk und Dienstleistungen" (S. 226 ff.), unter VI. "Die Volkswirtschaft im ganzen" (S. 268 ff.). 41 2 Larenz!Canaris, Methodenlehre, S. 248 (fiir das allgemeine Persönlichkeitsrecht). 408
409 Diese Aussage
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Teil II: Zurechnung von Wissen
korrigiert wurde, liegt die Annahme eines solch grundsätzlichen Wandels in den maßgeblichen Wertungen nahe. a) Privilegierung arbeitsteiliger Aktivität Wld Aufgaben des Privatrechts Die vom Gesetzgeber intendierte Privilegierung arbeitsteiliger Wlternehmerischer Aktivität fiihrt zu einer BesserstellWlg dieser Form Wlternehmerischer Aktivität gegenüber einer anderen Form Wlternehmerischer Aktivität, nämlich der LeistWlgserbringoog durch einen AlleinWlternehmer. Allerdings soll dies nicht für die RechtsbeziehWlg zwischen dem arbeitsteilig leistenden Unternehmer Wld dem LeistWlgsempfänger gelten, da für diese § 278 BGB eine Wlbedingte Ernstandspflicht anordnet. Wie sich aus den GesetzesberatWlgen zu § 831 BGB ergibt, soll eine arbeitsteilige Struktur gegenüber einem AlleinWlternehmer aber auf der Jedermannsebene, d. h. aufKosten Dritter, privilegiert werden. 413 Die Frage, ob die Absicht, arbeitsteilige Wlternehmerische Aktivität zu privilegieren, heute noch Überzeugoogskraft hat, rührt an das schwierige Problem der Aufgaben des Privatrechts in einer modernen Industriegesellschaft. Dieses zu diskutieren ist nicht Thema der vorliegenden Arbeit. Folgendes scheint verhältnismäßig Wlproblematisch: ZWlächst ist nochmals festzuhalten, daß die Absichten des Gesetzgebers bei der rechtlichen AusgestaltWlg der ArbeitsteilWlg einer wirtschaftsliberalistischen Grundeinstel!Wlg widersprechen Wld die getroffene RegelWlg einen gezielten Staatseingriff in den Markt darstellte. 414 Als Aufgabe des Privatrechts wird heute mit im einzelnen stark Wlterschiedlicher Akzentuierung die VerwirklichWlg eines ganzen Bündels an Zielen genannt.415 Für das Problem der rechtlichen BehandlWlg der ArbeitsteilWlg ist zuvörderst die Aufgabe der PrivatrechtsordnWlg bedeutsam, den rechtlichen Rahmen für eine Eigentümer-/Marktgesellschaft bereitzustellen,416 den privaten Rechtssubjekten also einen breiten Raum für die SelbstgestaltWlg ihrer Angelegenheiten zu eröffnen.417 Diese marktorientierte Grundkonzeption hat neue intellektuelle Schubkraft durch die law and economics-Bewegoog erhalten, die den Gedanken
413 S. geradeS. 167. 414 S. geradeS. 167. 415 Vgl. z. B. die eingehende Erörterung der Aufgaben, wenn auch nur des Schuldrechts von Esser/Schmidt, SehR I/1, S. 1 ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 3 ff.; Brüggemeier/Hart (Hrsg.), Soziales Schuldrecht, 1987, passim; prononciert für die Beschränkung auf eine Aufgabe Zöllner, JuS 1988, 329 ff. 416 Hier den Schwerpunkt setzend Zöllner, JuS 1988, 329 ff.; vgl. auch Esser, SehR AT I/1, S. 2 ff. 417 Zöllner, JuS 1988, 329, 335.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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der Effizienz als tragendes Rechtsprinzip betont. 418 Ohne grundsätzlich über die Bedeutung dieses Prinzips, insbesondere den bisweilen erhobenen Anspruch der ausschließlichen Gültigkeit befinden zu müssen, läßt sich feststellen, daß es mittlerweile eine wichtige Rolle als Wertungsgesichtspunkt spielt,419 da es klar die Aufgabe des Privatrechts als Marktrecht formuliert und sich mit der ökonomischen Analyse Erkenntnisse über die bestmögliche Realisierung dieser Aufgabe gewinnen lassen. Aufgabe der Privatrechtsordnung wäre es unter dem Gesichtspunkt der Effizienz, durch Sicherstellung eines Ievel playing fields, eines "Spielfeldes", den Erfolg der effizientesten Fonn unternehmenscher Leistungserbringung zu ermöglichen.420 Dies würde bedeuten, es dem Markt zu überlassen, ob eine Leistung arbeitsteilig oder durch einen Alleinunternehmer erbracht wird oder ob sie ohne Privilegierung möglicherweise gar nicht erbracht wird. Das Prinzip der Effizienz spricht daher gegen eine Beeinflussung des Marktes durch eine Privilegierung bestinunter Formen unternehmenscher Aktivität. 421 Gleichwohl scheint fiir eine Privilegierung arbeitsteiliger unternehmerischer Aktivität zu sprechen, daß durch diese Arbeitsplätze geschaffen werden. Dieser Gedanke ist aber schon an sich nicht überzeugend, da Arbeit eben sowohl in abhängiger Form (durch Arbeitnehmer) wie auch in selbständiger Form (durch Einzelunternehmer oder Gesellschafter) geleistet werden kann, beide Organisationsfonneo also Arbeitsplätze schaffen, insofern deshalb von gleichem Wert sind. Gegen den Versuch, Arbeitsplätze über die Ausgestaltung der Regeln des Haftungsrechts zu schaffen, spricht jedoch jedenfalls, daß die Privatrechtsordnung aufgrundihrer sehr indirekten Wirkung ein kaum geeignetes Mittel wirtschaftspolitischer Steuerung darstellt. Sie kann aber durch Schaffung eines Ievel
418 Vgl. grundlegend fiir den deutschen Sprachraum Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, passim; Peter Behrens, Die ökonomischen Grundlagen, passim; Eidenmüller, Effizienz, passim. 4 19 Für die Anerkennung der Effizienz als eines Wertungsgesichtspunktes z. B. Palandt/Heinrichs, Ein!. Rdnr. 32; trotz großer Skepsis gegenüber der ökonomischen Analyse ähnlich auch Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 417. 420 Zur Anforderung an das Recht aus ökonomischer Sicht, den Markt zuzulassen und zu erleichtern, Eidenmüller, Effizienz, S. 63 f. 421 Diese Überlegung setzt voraus, daß beide Formen der Leistungserbringung, Leistungserbnngung durch eine Einzelperson und durch eine arbeitsteilige Struktur, externe Kosten (z. B. Umweltverschmutzung) in derselben Höhe zur Folge haben. Die externen Kosten werden praktisch nicht durch den Markt berücksichtigt. Bei unterschiedlichen externen Kosten könnte daher eine Privilegierung einer bestimmten Form unternehmenscher Aktivität durch die Rechtsordnung gerechtfertigt sein, um den Erfolg der effizientesten Form unternehmenscher Aktivität zu ermöglichen.
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Teil li: Zurechmmg von Wissen
playing fields, eines "Spielfeldes", die Wirkungsmöglichkeiten anderer Steuerungsmittel (z. B. des Steuerrechts) erhöhen. Betont wird unter dem Einfhill des verfassungsrechtlich verankerten Soziaistaatsgedankens zunehmend die soziale Aufgabe des Privatrechts.422 Im einzelnen bestehen große, auch politische Unterschiede. 423 Am gängigsten scheint die Konzeption424, daß es Ziel sein müsse, durch Schutz des Schwächeren jenen freien Markt zu garantieren, der erst die Entfaltung der unsichtbaren Hand ermöglicht. 425 Erhebliche, auch vom Gesetzgeber426 anerkannte Bedeutung hat zwischenzeitlich der Verbraucherschutz. 427 Mit sozialer Aufgabe und Verbraucherschutz ist eine Privilegierung arbeitsteiliger Aktivität auf Kosten des Rechtsverkehrs ebenfalls nicht zu vereinbaren. Diese weisen vielmehr in die Gegenrichtung und bewirken in der Regel eine Belastung arbeitsteiliger unternehmerischer Aktivität sowie eine gleichzeitige Privilegierung der "Schwächeren".428 Die Privilegierung arbeitsteiliger untemehmerischer Aktivität war also bereits zur Zeit der Entstehung des BGB nicht mit der wirtschaftsliberalistischen Grundtendenz des Gesetzes zu vereinbaren. Sie steht darüber hinaus im Widerspruch zu allen heute als Aufgaben des Privatrechts verstandenen Zielen. W egen eines grundlegenden Wertewandels hat die Absicht, arbeitsteilige unternehmerische Aktitivität zu privilegieren, heute keine Überzeugungskraft mehr und deshalb keine Bedeutung fiir die Rechtsfortbildung.
422 Grundlegend Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, passim; v. Hippe/, Der Schutz des Schwächeren, passim. 423 Die Spannbreite reicht von Wieacker, Das Sozialmodell der Privatrechtsordnungen, S. I4 bis zu Der/eder, in: Brüggemeier/Hart (Hrsg.), Soziales Schuldrecht, S. I94 ff., der Vertragspflichten als Sozialpflichten betrachtet; für eine Trennung von Privatrecht und "Sozialrecht" Pawlowski, AT,§ I I 2 b. 424 So auch Zöllner, JuS I988, 329, 334, dieser freilich selbst anders. 425 Vgl. für dieses Verständnis der sozialen Aufgabe Eike Schmidt, JZ 1980, 153, I 56; Esser!Schmidt, SehR AT 111, S. 8 ff., der erklärt, daß es nicht um globale Gesellschaftsveränderung gehe, sondern "kleinere Brötchen gebacken" würden (S. 8). 426 Vgl. das VerbraucherkreditG, das HaustürgeschäfteWG, die Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 9.4.93, nunmehr mit Gesetz vom 19. 7. 1996 als § 24 a im AGBG (marginale Änderungen auch in § 12 AGBG), und wohl auch das AGBG als ganzes (anders Zöllner, JuS 1988, 329, 333). 427 Für die grundlegende Bedeutung spricht schon die Erwähnung an prominenter Stelle im Pa/andt, vgl. Palandt!Heinrichs, Ein! Rdnr. I; vgl. auch Similis, Verbraucherschutz - Schlagwort oder Rechtsprinzip, passim. 428 Vgl. auch Eike Schmidt, JZ 1980, 153, I 56.
§ 4 Handlungsunabhängige Zureclutung des Wissens einer Hilfsperson
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b) Auflösung der individualistischen Konzeption Als maßgeblich für die rechtliche Behandlung arbeitsteiliger unternehmerischer Aktivität ist außerdem die individualistische, an frei verantwortliches Tun anknüpfende Konzeption des 8GB-Gesetzgebers erkannt worden. 429 Da dieser bei der Erarbeitung des BGB an Handlungen und Unterlassungen eines frei verantwortlichen Menschen dachte, erweist sich das Gesetz als zurechnungsfeindlich. Insbesondere im Haftungsrecht wurde durch die Loslösung vom Verschuldensgnmdsatz als alleinigem Haftwl.gsgrund in den Jahrzehnten seit Inkrafttreten des BGB die individualistische Konzeption durchbrochen. Verantwortung knüpft sich nicht mehr nur an aus freiem Willen begangenes Unrecht. So ist zwischenzeitlich die Gefährdungshaftung als Haftungsgrund neben der Verschuldenshaftung etabliert. 430 Verantwortung knüpft sich hier nicht an ein individuelles Fehlverhalten, sondern an die Schaffung eines zulässigen erhöhten Risikos. Durch die Entwicklung von Verkehrspflichten ist es ebenfalls zu einer Loslösung von der individualistischen Konzeption gekonunen. Mit den Verkehrspflichten wurden Zurechnungskriterien der Gefährdungshaftung in die Verschuldenshaftung transponiert. 431 Rechtliche Verantwortlichkeit wird zwar terminologisch an ein Verschulden geknüpft, doch wird das Verschulden je nach Grad der Pflicht quasi unwiderleglich vermutet. 432 Zurechnung knüpft also - über den insofern zur Zeit des Inkrafttretens des BGB einen Sonderfall darstellenden § 278 BGB433 hinaus - nicht mehr notwendig an freies, verantwortliches und Schuldhaftes Tun an. Es konunt zur Risikozuweisungaufgrund Schaffung von Gefahren, größerer Nähe oder aber genereller Beherrschung. Durch die Loslösung von der individualistischen, am Schuldprinzip orientierten Konzeption stehen zahlreiche weitere Zurechnungsmechanismen zur Verfügung. Die rechtliche Behandlung arbeitsteiliger Aktivität wird nicht mehr durch ein bestinuntes vorherrschendes, individualistisches MenVgl. geradeS. 167 ff. Eindringlich Kötz, Gutachten li, S. 1779, 1792 : die Gefährdungshaftung sei von gleicher Dignität wie die Verschuldenshaftung; skeptisch Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 608: eine gewisse rechtsethische Überlegenheit des Verschuldensprinzips sei nicht zu leugnen. 431 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 319; MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 180; a. A. Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 429, der die Verkehrspflichten als zulässige, ja unumgängliche Konkretisierung von § 823 I BGB ansieht (SehR Il/2, S. 405). 432 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 319; hiergegen aber Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 429. Doch ändert die prinzipielle Kritik von Canaris nichts daran, daß in der Praxis eine Entwicklung weg vom Verschuldeosprinzip auch über die Verkehrspflichten erfolgt. 433 Siehe zur historischen Rechtfertigung dieses Sonderfalls oben S. 170 Fn. 407. 429 430
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Teil II: Zurechnung von Wissen
sehenbild gehindert. Diese, insbesondere auch die Wissenszurechnung, kann daher mit den heute gültigen Wertungen und Prinzipien "neu gedacht" werden. 3. Zusammenfassung
Für die mögliche handlungsunabhängige Wissenszurechnung kraft gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung ist auch an die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität im Gesetz zugrundeliegenden Prinzipien anzuknüpfen. Dem historischen Gesetzgeber ging es bei der Ausgestaltung der Frage der Zurechnung von Gehilfenverhalten um die Privilegierung arbeitsteiliger Aktivität. Auch hing der BGB-Gesetzgeber einer individualistischen, zurechnungsfeindlichen Konzeption an. Auf der Grundlage dieser Prinzipien wäre eine weitergehende handlungsunabhängige Wissenszurechnung ausgeschlossen. Die Absicht der Privilegierung arbeitsteiliger unternehmenscher Aktivität steht jedoch im Widerspruch zu allen heute als Aufgaben des Privatrechts verstandenen Zielen. Sie hat daher zumindest für die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung keine Bedeutung mehr. Auch herrscht heute nicht mehr die individualistische, zurechnungsfeindliche Konzeption vor. Die rechtliche Behandlung der Arbeitsteilung, insbesondere auch die Wissenszurechnung, kann daher mit Hilfe der heute gültigen Wertungen und Prinzipien "neu gedacht" werden.
Ill. Wissenszurechnung aufgrund des Gleichstellungsarguments Dem verfassungsrechtlich begründeten Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) kommt als Gleichbehandlungsgrundsatz auch für das Privatrecht und die Rechtsfortbildung eine besondere Bedeutung zu. 434 Das Gleichstellungsgebot verbietet die Ungleichbehandlung wertungsmäßig gleichliegender Tatbestände als mit der Idee der Gerechtigkeit unvereinbar. 435 In Literatur und Rechtsprechung wird das Gleichstellungsargument, das Gleichstellungsgebot, als Begründung für eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Wissenszurechnung angefiihrt. 436 Ob ein solcher Weg tragfähig ist, soll im folgenden untersucht werden.
434 Vgl. z. B. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 155, 161, 193, 203, 240, 250; grundlegend Hueck, Gleichmäßige Behandlung, passim. 435 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 155. 436 Bereits erörtert wurde der "Knollenmergelfall" BGH NJW 1992, 1099 (vgl. S. 107 ff.); das Gleichstellungsargument findet sich insbesondere in Entscheidungen zum Problem des Organwissens, so in BGH NJW 1990, 975 ("Schlachthausfall", S. 320 ff.) und in BGH NJW 1995, 2159 ("Omnibusfall", S. 323 ff.). In BGH NJW 1996, 1339, 1340 ("Altlastenfall", S. 328 ff.) wird die generelle Gültigkeit des Gleich-
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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1. Das Gleichstellungsargument in Rechtsprechung und Literatur Im einzelnen bestehen erhebliche Unterschiede in den Formulienmgen des Gleichstellungsargumentes. Unklar ist insbesondere seine Reichweite. Der BGH hat das Gleichstellungsargument erstmals in Entscheidungen zu juristischen Personen des öffentlichen Rechts angefiihrt. 437 Seine These war dort, daß der Bürger, der mit einer Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließt und ihr dabei im Zweifel erhöhtes Vertrauen entgegenbringt, im Prinzip nicht schlechter stehen darf, als wenn er es nur mit einer einzigen natilrlichen Person zu tun hätte.438 Im "Omnibusfall" 439 hat der BGH den Anwendungsbereich des Gleichstellungsarguments auf Personengesellschaften und damit a maiore ad minus aufjuristische Personen des Privatrechts ausgedehnt. 440 Canaris befi.irwortet eine Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter.441 Diese stützt er neben § 278 BGB442 auf das Gleichstellungsargument, das er filr ein Gerechtigkeitsgebot hält. Das arbeitsteilige Unternehmen dürfe gegenüber dem Alleinunternehmer nicht privilegiert werden. 443 Ein Unternehmen sei eine rechtliche Einheit, die Organisation des Wissens sei sein spezifisches Betriebs- bzw. Organisationsrisiko.444 Auch Medicus meint, der Dritte "dürfe im Prinzip nicht schlechter stehen, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte" 445. Er möchte das Gleichstellungsargument zur Wissenszurechnung nicht nur auf Unternehmen, sondern auf alle Organisationsformen, die zu einer Wissenszersplittenmg fiihren können, etwa auch auf eine Privatperson mit mehreren Hilfspersonen anwenden. 446
Stellungsarguments für die Zurechnung organschaftliehen und unterorganschaftliehen Wissens betont, in BGHNJW 1997, 1917 ff. wird dies erneut bestätigt. In der Literatur findet sich das Gleichstellungsargument als Lösungrundlage z. B. bei Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnrn. 106, 800 a und Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 11. 437 Vgl. den "Schlachthausfall" BGH NJW 1990, 975, 976 und den "Knollenmergelfall" BGH NJW 1992, 1099, 1100. 438 So im "Schlachthausfall" BGH NJW 1990, 975, 976 und im "Knollenmergelfall" BGH NJW 1992, 1099, 1100. 439 BGH NJW 1995, 2159, 2161 . 440 Vgl. jüngst den "Aitlastenfall", BGH NJW 1996, 1339, 1340 f. 44 1 Bankvertragsrecht, Rdnm. 106,499, 800 a. 442 S. dazu oben S. 133 f. 443 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 106. 444 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnm. 499, 800 a. 445 Karlsruher Forum 1994,4, 11. 446 Karlsruher Forum 1994,4, 12. 12 Baum
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Teil 11: Zurechnung von Wissen
Sowohl der BGH als auch Canaris447 scheinen fiir die Anwendbarkeit des Gleichstellungsarguments eine gewisse Verfaßtheit der Organisation zu fordern. Ausgangspunkt des BGH ist die juristische Person, die mit der natürlichen Person gleichgestellt wird. Die Grundsätze über die juristische Person sollen dann auf dieser ähnliche Organisationsformen Anwendung finden. 448 Mit dem Gleichstellungsargument ließe sich so nur eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung für in einer gewissen Weise verfaßte Organisationen begründen. Das Gleichstellungsargument soll hier, wie dies auch Medicus449 vorschlägt, zur Begründung einer allgemeinen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung beim arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen dienen, also auch beim Einsatz von Hilfspersonen durch einen Privatmann. Dies wäre ausgeschlossen, wenn die Anwendbarkeit des Gleichstellungsarguments eine gewisse Verfaßtheit der Organisation voraussetzte. Zur Entscheidung der Frage, ob die Anwendbarkeit des Gleichstellungsarguments eine gewisse Verfaßtheit voraussetzt, sollen einige Überlegungen zum Verhältnis juristischer und natürlicher Person und der Auswirkungen dieses Verhältnisses auf das Gleichstellungsargument angestellt werden. 2. Die Gleichstellung der juristischen mit der natürlichen Person
Überraschenderweise wird das Gleichstellungsargument vom BGH in den einschlägigen Entscheidungen450 nicht begründet. Er setzt es vielmehr voraus. Dies mag daran liegen, daß vom Gleichstellungsargument in der Form der Mit der Beschränkung auf Unternehmen sucht Canaris einen Gegensatz zu § 166 II BGB zu vermeiden (Bankvertragsrecht, Rdnr. 800a), siehe dazu unten S. 205 Fn. 590. 448 Diesen Schluß befürwortet der BGH im "Altlastenfall", BGHNJW 1996, 1339, 1341. 449 Karlsruher Forum 1994,4, 11. 450 Daß der Bürger, der mit einer Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließt und ihr dabei im Zweifel erhöhtes Vertrauen entgegenbringt, im Prinzip nicht schlechter stehen darf, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte (so der BGH im "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975, 976, und im "Knollenmergelfall", BGHNJW 1992, 1099, 1100), ist nicht eigentlich eine Begründung des Gleichstellungsarguments, dieses wird vielmehr vorausgesetzt und a maiore ad minus auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar erklärt. Auch im "Omnibusfall", BGHNJW 1995, 2159, bei Ausdehnung des Gleichstellungsarguments auf Personengesellschaften findet sich keine Begründung. Die Beklagte war dort eine GmbH & Co. KG. Ebensowenig findet sich eine Begründung im "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339. Die Klägerin, auf die es für die Wissenszurechnung ankam, war dort ebenfalls eine GmbH & Co. KG. 447
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Gleichbehandhmg von natürlicher Wld juristischer Person eine schon suggestive Überzeugungskraft ausgeht. Wer es mit einer juristischen Person zu tWl hat, soll nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen als der, der es mit einer natürlichen Person zu tWl hat. 451 Ob es sich bei natürlicher Wldjuristischer Person tatsächlich um wertWlgsmäßig gleiche Tatbestände handelt452, soll im folgenden Wltersucht werden. a) Das GleichstellWlgsargument Wld der Personbegriff des BGB Es liegt nahe, am Personbegriff des Gesetzes anzuknüpfen. Das GleichstellWlgsargument in der Form der GleichstellWlg von natürlicher Wld juristischer Person scheint die gesamte Autorität des BGB für sich in Anspruch nehmen zu können. Dieses versteht Wlter Personen im ersten Abschnitt sowohl natürliche (erster Titel) als auch juristische Personen (zweiter Titel). Aus dieser GleichstellWlg von natürlicher Wld juristischer Person scheint sich logisch das Gebot zu ergeben, daß derjenige, der es mit einer juristischen Person zu tWl hat, so stehen soll, als ob er es mit einer einzigen natürlichen Person zu tWl hätte. Die GleichstellWlg von juristischer Wld einziger natürlicher Person im Gesetz ist jedoch beschränkt. Beschränkt ist folglich auch das aus der GleichstellWlg folgende Gebot der GleichstellWlg des Dritten. Der Personbegriff des BGB ist nämlich ein lediglich formaler. 453 Einzig notwendiges Attribut dieses Personbegriffs ist die Rechtsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, Rechte Wld Pflichten zu haben Wld in Rechtsverhältnissen zu anderen Personen zu stehen.454 Gleichgestellt sind natürliche Wld juristische Person also nur bezüglich der Rechtsfähigkeit. Dies kommt schon durch die BegründWlg der PersonifizieTWlg der juristischen Person in den Motiven zum Ausdruck: "Die Rechtsfigur der juristischen Person ist jedem nur einigermaßen entwickelten Rechte unentbehrlich. Neben den Sonderzwecken, welche der Einzelne seinen jeweiligen Bedürfuissen gemäß mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln verfolgt, liegen andere, im Interesse des öffentlichen Wohles oder privater Gemeinschaften gesetzte Zwecke, deren Verwirklichung nur dadurch sichergestellt werden kann, daß ihnen ein selbständiger, der Herrschaft des einzelnen entrückter Vermögensbereich unmittelbar dienstlich gemacht wird. Die der Wissenschaft und Gesetzgebung geläufige Personifizierung der solchergestalt bestehenden Vermögensbereiche ent-
45 1 So formuliert mittlerweile der BGH, vgl. im "Altlastenfall" BGH NJW 1996, 1339, 1340. Gleichstellung bedeutet offensichtlich nicht nur keine Schlechterstellung, sondern auch keine Besserstellung. 452 Dies ist Voraussetzung der Anwendung des Gleichheitssatzes. 453 Larenz, AT, S. 42. 454 Larenz, AT, S. 42. 12•
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Teil li: Zurechnung von Wissen spricht der Vorstellungsweise des Lebens und dient zugleich der Technik des Rechts."455
Auch bezüglich der Rechtsfähigkeit gilt keine komplette Gleichstellung. Larenz nimmt an, daß die Rechtsfähigkeit der juristischen Person auf die Vermögensfähigkeit beschränkt sei. 456 Die herrschende Meinung hält dies fiir zu eng und geht davon aus, daß der juristischen Person alle Rechte und Rechtsstellungen offenstehen, soweit diese nicht die menschliche Natur ihres Trägers voraussetzen.457 Im Ergebnis kann die Streitfrage hier dahinstehen, da die Gleichstellung jedenfalls beschränkt ist. Soweit allerdings die Gleichstellung hinsichtlich der Rechtsfähigkeit reicht, soweit gilt im allgemeinen auch die Gleichstellung aus der Perspektive des Dritten. Wer mit einer juristischen Person einen Vertrag geschlossen hat, steht bezüglich der aus diesem Vertrag folgenden Rechte so, als ob er es mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte. Er hat einen einheitlichen Leistungsanspruch gegen die juristische Person, er hat möglicherweise Sekundäransprüche gegen die juristische Person, er kann diese schließlich verklagen und einen Titel erhalten.4S8 Das BGB begnügt sich zwar fiir die Anerkennung der Personheit mit einem formalen, auf die Rechtsfähigkeit beschränkten Personbegriff. Dem Regelwerk des BGB liegt jedoch der volle ethische Personbegriff zugrunde. 459 Leitbild des BGB, geborene Person, ist der Mensch. Dieser ist nicht lediglich rechtsflihig, sondern "seiner eigentümlichen Natur und Bestimmung nach darauf angelegt ... , sein Dasein und seine Umwelt im Rahmen der ihm jeweils gegebenen Möglichkeiten frei und verantwortlich zu gestalten, sich Ziele zu setzen und selbst Schranken des Handeins aufzuerlegen. "460 Er ist handlungsfähig. Dies ist die juristische Person zunächst nicht; sie ist lediglich, und das beschränkt,461 rechtsfähig. Insofern besteht eine Diskrepanz zwischen Anspruch
455
Mugdan I, S. 395 (Mot. I, S. 78).
456 AT, S. 134 ff. 457 Vgl. nur Palandt/Heinrichs, Einf. v. § 21 Rdnr. 8; Erman/Westermann, Einf. v.
§ 21 Rdnr. 6; MünchKomm/Reuter, Einl. v. § 21, Rdnm. 13a, 14. 458 Die Gleichstellung endet aber zumindest zur Zeit noch im Fall der Insolvenz. Für die juristische Person besteht hier die Möglichkeit von Vergleich und Konkurs. 459 Larenz, AT, S. 33 ff.; vgl. auch Rittner, FS Meier-Hayoz, S. 331, 332, der darauf hinweist, daß sich die Rechtsnormen überhaupt nur an den Menschen wenden können. 460 Larenz, AT, S. 34; vgl. schon oben zum Menschenbild des BGB, S. 167 ff. 461 S. gerade.
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und Wirklichkeit der juristischen Person. 462 Savigny hat das Problem der juristischen Person wie folgt formuliert: "Handlungen setzen ein denkendes und wollendes Wesen voraus, was eben die juristischen Personen als bloße Fiktionen nicht sind. Und so erscheint der innere Widerspruch eines der Vermögensrechte fähigen Subjects, welches doch die Bedingungen zum Erwerb derselben nicht erfiillen kann."463 Um ihre Rechte wahrzunehmen, ihre Pflichten erfiillen und privatautonom handeln zu können, bedarf die juristische Person deshalb natürlicher Personen, deren Handlungen ihr zugerechnet werden. 464 Für die Ausgestaltung der Zurechnung ergibt sich aus dem Personbegriff des BGB nichts; insbesondere nicht, daß die Zurechnung so erfolgen muß, daß der Dritte, der es mit einer juristischen Person zu tun hat, so steht, als hätte er es mit einer natürlichen Person zu tun. Gleichstellung ist, wie gesehen, durch den Personbegriff nur bezüglich der Rechtsfähigkeit angeordnet; weiter reicht der Personbegriff nicht, insbesondere erstreckt er sich nicht auf die Handlungsfähigkeit und andere Zurechnungsprobleme. Um ein solches Zurechnungsproblem handelt es sich aber auch bei der Frage, was eine juristische Person weiß. Es läßt sich also aus dem Personbegriff auch nicht ableiten, daß eine juristische Person weiß, wenn eine natürliche Person gewußt hätte. b) Gesetzliche Zurechnungsvorschriften bei juristischen Personen und das Gleichstellungsargument Da sich aus dem Personbegriff selbst nicht ergibt, daß eine juristische Person wissen muß, wenn eine natürliche Person weiß, ist im folgenden zu erörtern, wie der Gesetzgeber das Problem der Handlungsfähigkeit der juristischen Person und andere Zurechnungsfragen gelöst hat. Möglicherweise hat der Gesetzgeber die Zurechnung so ausgestaltet, daß ein Dritter, der es mit einer juristischen Person zu tun hat, so steht, als hätte er es mit einer natürlichen Person zu
462 Flume, AT I/2, S. 377 spricht von einem Widerspruch zwischen der Rechtsfähigkeit und der Handlungsunfähigkeit 463 System li, S. 282. 464 Larenz, AT, S. 43; Flume, AT I/2, S. 377. Wie Karsten Schmidt herausgearbeitet hat, verstand entgegen einem verbreiteten Mißverständnis auch v. Gierke die Frage der Handhmgsfähigkeit der juristischen Person als Zurechnungsproblem (vgl. Karsten Schmidt, Einhundert Jahre Verbandstheorie im Privatrecht, S. 16 ff. unter Bezug auf v. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die Deutsche Rechtsprechung, S. 615). Dieser ist also nicht davon ausgegangen, daß die juristische Person ohne Zurechnung handlungsfähig wäre.
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Teil II: Zurechmmg von Wissen
tun. Das Gleichstellungsargument in der vom BGH propagierten Form wäre dann im Gesetz verankert.
aa) Vertretung Ihre Handlungsfähigkeit erhält die jwistische Person nach allgemeiner Ansicht durch ihre Organe. 465 Dies hat mit § 26 BGB Eingang in das Gesetz gefunden. Nach § 26 II 1 BGB hat der Vorstand Vertretungsmacht Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (§ 26 II 1 2.HS BGB). Willenserklärungen, die von anderen Hilfspersonen für die juristische Person abgegeben werden, sind dieser hingegen nur zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen rechtsgeschäftlicher Vertretung nach § 164 I BGB vorliegen. Das Gesetz unterscheidet also zwischen Organvertretung und gewöhnlicher Stellvertretung. Mit der Ausgestaltung der Vertretungsordnung, der Unterscheidung zwischen Organvertretung und gewöhnlicher Stellvertretung, stellt der Gesetzgeber die juristische Person daher nicht der einzigen natürlichen Person, sondern einer natürlichen Person, die Hilfspersonen466 einsetzt, gleich. Abgesehen von der Vertretungsregelung findet sich im Gesetz keine ausdrückliche Regelung des Gedankens, daß die jwistische Person ihre Handlungsfahigkeit durch ihre Organe erlangt.
bb) Haftung Konsequenz von Handlungen können auch Schädigungen Dritter sein. Auch hier differenziert das Gesetz für unterschiedliche Gruppen von Hilfspersonen. Grundlage dieses Zurechnungsmodells ist die Vorschrift des § 31 BGB, deren Reichweite und dogmatische Einordnung im einzelnen stark umstritten sind. 467 Jedenfalls wird für Organe468 nach § 31 BGB, möglicherweise auch nach
Vgl. Flume, AT I/2, S. 377; Larenz, AT, S. 42 f., 134 ff. Im folgenden wird stets von der Einzelperson, die HUfspersonen einsetzt, die Rede sein. Es genügt natürlich bereits der Einsatz einer einzigen Hilfsperson. 467 Die wohl h. M. sieht in § 31 BGB die gesetzliche Entscheidung fiir die Organtheorie, vgl. z. B. BGHZ 98, 148, 151; Palandt!Heinrichs, § 31 Rdnr. 1; Soergel/ Hadding, § 31 Rdnr. 1. Anders die Vertretertheorie, die in § 31 BGB lediglich eine die Regelung des § 831 BGB modifizierende Vorschrift sieht; vgl. z. B. Esser/Schmidt, SehR I/2, S. 102; Flume, AT I/2, S. 396. 468 Es kommt hier weder darauf an, ob sich die juristische Person das schuldhafte Handeln ihrer Organe nun als eigenes Verschulden (so die Vertreter der Organtheorie) oder fremdes schuldhaftesVerhalten (so Flume, AT I/2, S. 384) zurechnen lassen muß, noch darauf, ob fiir § 278 BGB neben§ 31 BGB noch Raum ist (bejahend die Vertretertheorie, verneinend die Organtheorie). 465
466
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§ 278 BGB, für die übrigen Hilfspersonen nach §§ 278, 831 BGB gehaftet. Die haftungsrechtliche Konzeption zeigt, daß das BGB die juristische Person nicht wie die einzige natürliche Person als Einheit"69 begreift. Mit der strengeren Haftung für Organe als für sonstige HUfspersonen wird dem Umstand RechnWlg getragen, daß die juristische Person ohne Organe nicht handlWlgsfähig wäre. Die RegelWlg des § 31 BGB dient insofern der GleichstellWlg der juristischen mit der natürlichen Person. 470 So heißt es in den Motiven: "daß wenn die Körperschaft durch die Vertretung die Möglichkeit gewinne, im Rechtsverkehr handelnd aufzutreten, ihr auch angesonnen werden müsse, die Nachteile zu tragen, welche die künstliche Vertretung mit sich bringe, ohne daß sie in der Lage sei, Dritte auf den häufig unergiebigen Weg der Belangung des Vertreters zu verweisen. "471
Daß der Gesetzgeber von einem Unterschied in der Haftung, je nachdem ob es sich um Organe oder sonstige Hilfspersonen handelt, ausging, belegt auch die BegründWlg, mit der in der zweiten Kommission die Ansicht der Minderheit die Haftung nach § 31 BGB auf jede Schadenszufiigung durch einen Angestellten der Körperschaft auszudehnen, zurückgewiesen wurde. Es handele sich an dieser Stelle nur darum, "diejenige Haftung der Körperschaft zu regeln, welche auf dem besonderen Verhältnisse derselben zu ihren Organen beruhe."472
Und schon in den Beratungen der ersten Kommission hieß es, es sei bezüglich der Haftung der juristischen Person für die Wlerlaubten HandlWlgen der für sie handelnden Personen "kein GrWld vorhanden, die Körperschaften in dieser Richtung Wlgünstiger zu stellen als die physischen Personen. "473 In der zweiten Kommission war man sich einig, daß man für die allgemeine Haftung für Verrichtungsgehilfen bei der juristischen Person nicht anders entscheiden konnte als bei der natürlichen Person. 474 Für Hilfspersonen, die nicht Organe sind, haftet die juristische Person daher über §§ 278, 831 BGB wie eine natürliche Person, die HUfspersonen einsetzt.
Auf der Auffassung des Unternehmens als rechtlicher Einheit beruht jedoch die Konzeption von Canaris, vgl. Bankvertragsrecht, Rdnr. 499, 800 a. 47 0 Vgl. Staudinger/Coing, § 31 Rdnr. 33; Nitschke, NJW 1969, 1737, 1739; Martinek, Repräsentantenhaftung, S. 179. 47 1 Mugdan I, S. 409 (Mot. I, S. 103). 472 Mugdan I, S. 619 (Prot. I, S. 1052). 473 Mugdan I, S. 409 (Mot. I, S. 104). 474 Mugdan I, S. 619 (Prot. I, S. 1052). 46 9
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Auch für die Schadenshaftung soll die juristische Person also wie eine Einzelperson mit Hilfspersonen behandelt werden. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Organtheorie Gesetz geworden ist oder nicht. Eindeutig ist, daß der BGB-Gesetzgeber die juristische Person nicht mit einer einzigen Einzelperson gleichstellen wollte, sondern mit einer Einzelperson, die Hilfspersonen einsetzt. Im Gesetz verankert ist das Gleichstellungsargument also in der Form der Gleichstellung der juristischen Person mit der natürlichen Person mit Hilfspersonen, nicht aber in der Form der Gleichstellung der juristischen Person mit der einzigen natürlichen Person. c) Die sachliche Richtigkeit der gesetzlichen Konzeption Die im Gesetz vorgesehene Gleichstellung der juristischen Person mit der Einzelperson, die Hilfspersonen einsetzt, überzeugt auch sachlich. In beiden Fällen, bei der privatwirtschaftlich auftretenden juristischen Person und der Einzelperson mit Hilfspersonen, handelt es sich nämlich um dasselbe Problem. In beiden Fällen besteht eine arbeitsteilige Struktur, es entstehen daher in beiden Fällen dieselben Zurechnungsprobleme, sowohl bei der Zurechnung von schadensersatzauslösendem Verhalten als auch bei der Wissenszurechnung. Ursache dieser Zurechnungsprobleme ist nicht die Personifizierung gewisser Organisationen durch die Rechtsordnung, sondern das im weitesten Sinn arbeitsteilige Handeln einer natürlichen oder juristischen Person. Dies wird durch die Personifizierung der juristischen Person vernebelt. Die Sicht wird auch dadurch getrübt, daß nicht alle juristischen Personen arbeitsteilig am Privatrechtsverkehr teilnehmen, sondern einige auch hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Eine unterschiedliche Behandlung von Einzelpersonen, die Hilfspersonen einsetzen, und juristischen Personen, die im privatwirtschaftliehen Verkehr auftreten, wäre schon deshalb falsch, weil die Übergänge fließend sind. Zu denken ist an den Handwerker, der seinen Handwerksbetrieb sowohl als Einzelperson mit Hilfspersonen475 oder in Form einer Einmann-GmbH fUhren kann. Die Tatsache, daß es sich um dasselbe Problem handelt, veranschaulichen auch die Erkenntnisse der ökonomischen Analyse zur Entstehung von Organisationen. So hat Coase476 in einem berühmten Aufsatz untersucht, warum es in einem marktwirtschaftliehen System überhaupt hierarchische Unternehmungen geben kann und warum die Arbeitsteilung nicht ausschließlich durch Vertragsbeziehungen organisiert wird. Bei der Nutzung von Märkten, so Coase, entstehen spezifische Kosten, sogenannte Transaktionskosten. Diese seien um so hö-
475 476
Er ist dann noch nicht einmal Kaufmann,§ 1 li Nr. 2 HGB a.F. The Nature ofthe Firm, Economica 4 (1937), 386 ff.
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her, je umfassender die arbeitsteilige Organisation über Austauschverträge geregelt werde und je schwieriger es sei, die einzelnen Leistungen durch Verträge zu koordinieren. Diese Transaktionskosten würden eingespart, sofern die Koordination der einzelnen Leistungen hierarchisch erfolge. In Organisationen träten dannjedoch Kosten der Kontrolle auf, die sogenannten Agency-Kosten (Kosten der Planung, Durchfiihrung, Bewertung, Kontrolle). Solange die Transaktionskosten niedriger seien als die Agency-Kosten, werde die Marktlösung bevorzugt, andernfalls komme es zur Bildung von Organisationen. Hier ist es nicht erforderlich, Schwierigkeiten und Nutzen der ökonomischen Analyse des Rechts miteinander abzuwägen. Deutlich wird aber, daß es sich bei einer Privatperson, die Hilfspersonen einsetzt, um dasselbe Phänomen handelt wie bei einer Organisation, nämlich um eine arbeitsteilige Struktur. Dann stellen sich aber auch dieselben Zurechnungsprobleme. d) Auswertung Für das hier interessierende Problem der Wissenszurechnung ergibt sich aus diesen Überlegungen folgendes: Das Problem der Wissenszurechnung läßt sich nicht einfach über eine Gleichstellung von natürlicher und juristischer Person lösen. Aus dem Gesetz ergibt sich zunächst, sachlich überzeugend, nur die Gleichstellung juristischer Personen mit der natürlichen Person mit Hilfspersonen. Für die Wissenszurechnung sind daher allgemeine Regeln für arbeitsteilige Strukturen zu entwickeln (wie §§ 164 ff. BGB für die Vertretung und§§ 278, 831 BGB für die Haftung) und auf die juristische Person anzuwenden. Darauf, ob die arbeitsteilige Struktur in irgendeiner Form verfaßt ist oder nicht, kommt es hingegen nicht an. 477 Dies bedeutet auch, daß es keinen abschließenden speziellen organisationsspezifischen Wissensbegriff gibt. Richtigerweise ist daher zu fragen, ob derjenige, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur, sei es eine Einzelperson mit Hilfspersonen oder eine juristischen Person, zu tun hat, so stehen soll, als hätte er es mit einer einzigen Einzelperson zu tun. Es müßte sich dann bei einer arbeitsteiligen Struktur und der Einzelperson um wertungsmäßig gleiche Tatbestände handeln. Es geht also generell um Verantwortung für arbeitsteilige Aktivität. Das modifizierte Gleichstellungsargument könnte dann zur Entwicklung allgemeiner Wissenszurechnungsregeln für alle Formen arbeitsteiliger Strukturen fiihren.478
477 Falsch daher OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 718; richtig hingegen Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 158. 478 Dazu sogleich unter 3.
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Teil li: Zurechnung von Wissen
Für juristische Personen sind in einem zweiten Schritt lediglich insoweit besondere Regeln zu erarbeiten, als dies nötig ist, um die Diskrepanz zwischen vollem ethischen und formalen Personbegriff auszugleichen. Für die Fragen der Handlungs- und Verschuldensfähigkeit hat das Gesetz diese Diskrepanz durch die Zurechnung des Organhandeins bzw. Organverschuldens gelöst (§§ 26, 31 BGB). Das Problem soll daher bei der Erörterung der Zurechnung von Organwissen aufgegriffen werden. 479 3. Lückenfeststellung
a) Wertungsmäßige Gleichheit von arbeitsteiliger Struktur und Einzelperson Fraglich ist also, ob es sich bei einer arbeitsteiligen Struktur und einer Einzelperson um wertungsmäßig gleiche Tatbestände handelt; nur dann wäre eine Lückenfeststellung mit dem Gleichstellungsargument möglich. Im folgenden wird zwischen drei Gruppen, den Fällen arbeitsteiliger Leistungserbringung, anderen rechtsgeschäftliehen Beziehungen und dem außerrechtsgeschäftliehen Bereich unterschieden. aa) Arbeitsteilige Leistungserbringung und Gleichheitssatz
Zunächst scheint es einleuchtend, daß es sich bei arbeitsteiliger Leistungserbringung und Leistungserbringung durch einen Einzelunternehmer um wertungsmäßig gleiche Tatbestände handelt. Bei einer genaueren Betrachung kommen an der wertungsmäßigen Gleichheit arbeitsteiliger Leistungserbringung und der Leistungserbringung durch eine Einzelpersonjedoch Zweifel.480 So läßt sich eine Vielzahl arbeitsteilig erbrachter Leistungen nur arbeitsteilig erbringen, da sie das Zusammenwirken mehrerer Einzelpersonen notwendig voraussetzen. Dies gilt schon fiir den Transport schwerer Gegenstände. Zu denken ist auch an Leistungen, die das Zusammenwirken unterschiedlicher Experten aus verschiedenen Bereichen voraussetzen. In diesen Fällen fehlt es bereits an zwei unterschiedlichen Tatbeständen, die gleichbehandelt werden könnten, da die Leistung nur arbeitsteilig erbracht werden kann. Von diesen notwendig eine Arbeitsteilung voraussetzenden Leistungen sind solche zu unterscheiden, die zwar theoretisch von einer Einzelperson erbracht werden können, bei denen praktisch die Leistung durch eine Einzelperson aber etwas anderes wäre. So mag eine Einzelperson ein Haus bauen können. Doch wird dies jedenfalls länger dauern als ein Hausbau durch einen arbeitsteilig Iei-
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77f.
Vgl. S. 317 ff Grundlegend kritisch gegenüber den folgenden Ausführungen Koller, JZ 1998, 75,
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stenden Bauunternehmer. Die Erbringung einer größeren Leistung durch eine Einzelperson wird, insbesondere bei komplexeren Produkten, in der Regel qualitativ schlechter sein als die Leistungserbringung durch eine arbeitsteilige Organisation. Vor allem aber wird regelmäßig die Arbeitsteilung dem Leistungsempfänger durch einen günstigeren Preis zugute kommen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das Preisargument in den Vergleich mit einbezogen werden darf. Für ein anderes Problem, die Inhaltskontrolle von AGB nach § 9 AGBG, bleibt das Preisargument nämlich grundsätzlich außer Betracht.481 Das Preisargument verdient dort keine Beachrung, weil der angemessene Preis nicht feststellbar und der Preisvorteil in der Regel nicht quantifizierbar ist. 482 Hier muß der Preisvorteil jedoch nicht quantifiziert werden. Schon daß er besteht, macht deutlich, daß es sich bei einer arbeitsteiligen Leistung wertungsmäßig um etwas anderes handelt als bei der Leistung durch eine Einzelperson. Andererseits sind zahlreiche Konstellationen denkbar, in denen sich arbeitsteilige Leistungserbringung nicht von Leistungserbringung durch eine Einzelperson, einen Alleinunternehmer, unterscheidet. Charakteristisch für diese Fälle ist, daß die arbeitsteilige Struktur nicht die Leistung erbringt, zu deren arbeitsteiliger Erbringung sie gegründet wurde, die also ihr eigentliches Betätigungsfeld ist. Bei einem Grundstückskauf von einer arbeitsteiligen Struktur, die an sich nicht mit Grundstücken handelt, steht der Dritte nicht besser als beim Kauf von einem Einzelunternehmer. So war es im "Knollenmergelfall"483 beim Erwerb des Grundstücks von der Gemeinde. Der Dritte wird in der Regel in diesen Fällen weder einen Preisvorteil haben, noch eine qualitativ bessere Leistung empfangen. Anders ist es regelmäßig, wenn der Dritte mit der arbeitsteiligen Struktur in ihrem arbeitsteiligen Betätigungsgebiet zu tun hat. So läßt sich für den "PKW-Fall" 484, also den Erwerb eines Gebrauchtwagens von einem Autohaus, erwägen, daß der Dritte von der arbeitsteiligen Leistungserbringung ebenfalls profitiert, möglicherweise über einen besseren Preis oder bessere Aufklärung, also anders steht als bei Erwerb von einer Einzelperson. In einem Fall wie dem noch ausfiihrlich zu erörternden "Omnibusfall" 485 -hier erwarb der Dritte ein gebrauchtes Fahrzeug von einer Organisation, die an sich nicht mit Fahrzeugen handelt - steht der Dritte hingegen so, als hätte er von einer Einzelperson erworben.
481 BGHZ 22, 90, 98; 77, 126, 131; 120, 216, 226; Palandt/Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 13. 482 Palandt/Heinrichs, § 9 AGBG Rdnr. 13. 483 BGH NJW 1992, 1099, vgl. S. 107 ff. 484 BGH NJW 1996, 1205, vgl. S. 110 ff. 485 BGH NJW 1995, 2159. vgl. S. 323 ff.
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Teil II: ZurechnWlg von Wissen
In den Fällen arbeitsteiliger Leistungserbringung ergibt sich daher ein uneinheitliches Bild. Bisweilen steht der Dritte, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, mit Sicherheit anders, nämlich besser, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tun hätte, da er ebenfalls von der Arbeitsteilung profitiert, am lucrum teilhat. Bisweilen steht er mit Sicherheit so, als ob er es mit einer Einzelperson zu tun hätte. Dazwischen liegt eine weite Grauzone. Obgleich es also einige Fälle der Leistungserbringung durch arbeitsteilige Strukturen gibt, in denen der Dritte so steht, als ob er es mit einer Einzelperson zu tun hätte, läßt sich dies doch nicht für den ganzen Bereich der Leistungserbringung sagen. Eine generelle Lösung über das Gleichstellungsargwnent muß daher hier ausscheiden. Es fehlt an zwei wertungsmäßig gleichen Tatbeständen. Insofern ist das vom BGH postulierte Gleichstellungsargwnent auch in der modifizierten Form der Gleichstellung der arbeitsteiligen Struktur mit der natürlichen Person nicht gültig. bb) Andere rechtsgeschäftliche Beziehungen und Gleichheitssatz
Anders ist es, wenn die arbeitsteilige Struktur nicht die Leistung erbringt, sondern diese empfängt, so z. B. wenn eine Organisation von einer Einzelperson kauft. Nach§ 439 BGB haftet der Verkäufer nicht fiir einen Rechtsmangel, wenn dieser dem Käufer bei Abschluß des Vertrages bekannt war. Kauft eine arbeitsteilige Struktur, so stellt sich die Frage der Zurechnung des Wissens am Kauf unbeteiligter Hilfspersonen. Als ratio legis des § 439 BGB wird zwar der Gedanke genannt, daß der Käufer bei Kauftrotz Kenntnis auf seine Gewährleistungsrechte verzichtet. 486 Doch selbst wenn der Käufer nicht verzichten wollte, die Regelung aber nicht abbedungen wurde, gilt sie. Es handelt sich also bei § 439 BGB um eine Vorschrift über die Risikoverteilung beim Kauf. 487 Es ist nun kein Grund ersichtlich, warum sich an diesem Interessenausgleich etwas ändern sollte, wenn der Käufer eine arbeitsteilige Struktur ist. Beim Leistungsempfang handelt es sich nicht eigentlich um arbeitsteilige Aktivität, obwohl Leistungen natürlich auch von arbeitsteiligen Strukturen und ggf. sogar arbeitsteilig empfangen werden. Die arbeitsteilige Struktur verhält sich vielmehr tatsächlich nicht anders als eine Einzelperson. Hier gilt daher das Gerechtigkeitsargwnent des Gleichheitssatzes. Wer es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, soll nicht schlechter stehen, als hätte er es mit einer Einzelperson zu tun. Auch in anderen rechtsgeschäftliehen Beziehungen, bei denen sich arbeitsteilige Leistungserbringung nicht auswirkt, gilt mit dieser Argumentation das Gleichstellungsargwnent.
Mugdan II, S. 119 (Mot. II, S. 215). MünchKomm/Westermann, § 439 Rdnr. 1 nennt ebenfalls den Gedanken der RisikoverteilWlg. 486
487
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cc) Außerrechtsgeschäftlicher Bereich und Gleichheitssatz
Anders verhält es sich auch im außerrechtsgeschäftliehen Bereich, in Situationen also, in denen ebenfalls nicht beide Seiten von einer arbeitsteiligen Leistungserbringung profitieren. So mag eine arbeitsteilige Struktur ein Grundstück von einem Bucheigentümer erworben haben. 488 War ihr die Unrichtigkeit des Grundbuches nicht bekannt (§ 892 BGB), so setzt sich ihr Erwerbsinteresse gegenüber dem Bestandsinteresse des wahren Eigentümers durch. Auch hier stellt sich wieder das Problem der Zurechnung von Kenntnissen am Erwerbsvorgang unbeteiligter Hilfspersonen. Erneut macht es wertungsmäßig keinen Unterschied, ob der gutgläubige Erwerber eine Einzelperson oder eine arbeitsteilige Struktur ist, da die arbeitsteilige Struktur wie eine Einzelperson handelt. In § 892 BGB wird das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf die Richtigkeit des Grundbuchs geschützt. 489 Der Schutz erfolgt auf Kosten des wahren Berechtigten, der den falschen Rechtsschein nicht einmal zu vertreten haben muß. Die Regelung stellt daher auch eine Vorschrift über die Risikoverteilung zwischen den Interessen des wahren Berechtigten und des gutgläubigen Erwerbers dar. An diesem Interessenausgleich darf sich durch die Beteiligung einer arbeitsteiligen Struktur nichts ändern, da es sich beim gutgläubigen Erwerb durch eine arbeitsteilige Struktur und eine Einzelperson um wertungsmäßig gleiche Tatbestände handelt. Weder sollte der Dritte schlechter noch die arbeitsteilige Struktur besser stehen. Es gilt wiederum das Gerechtigkeitsargument, daß derjenige, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, so stehen soll, als hätte er es mit einer Einzelperson zu tun. In den Entscheidungen490 zur Frage des Zeitpunkts des Erlangens von Kenntnis durch juristische Personen bei § 852 BGB hat der BGH das Gleichstel-
lungsargument im Gegensatz zu den Entscheidungen491 , in denen eine juristische Person oder eine andere Organisation als Verkäufer auftrat, nicht erwähnt. 488 Der Fall des gutgläubigen Erwerbs nach§ 892 BGB wird hier dem außerrechtsgeschäftliehen Bereich zugeordnet, weil zwischen der erwerbenden arbeitsteiligen Struktur und dem betroffenen wahren Eigentümer keine rechtsgeschäftliehen Beziehungen bestehen. 489 Nur dieser Schutz macht auch den Boden zu Kreditsicherungszwecken verwendbar,vgl. MünchKomm/Wacke, § 892 Rdnr. 1. 490 Vgl. den "Landesversorgungsamtsfall" BGH NJW 1986, 2315 (vgl. S. 98 ff.), den "Versicherungsanstaltsfall" BGH NJW 1992, 1755 (vgl. S. 100 ff.), und den "Betriebsprüferfall" BGH NJW 1994, 1150 (vgl. S. 102 f.). 491 Vgl. den "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975 (vgl. S. 320 ff.), den "Knollenmergelfall", BGH NJW 1992, 1099 (vgl. S. 107 ff.), den "Omnibusfall", BGH NJW 1995, 2159 (vgl. S. 323 ff.), und den "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339 (vgl. S. 328 ff.).
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Der BGH erklärte im "Landesversorgungsamtsfall" 492, daß der Schädiger keinen Anspruch darauf habe, daß die Behörden etwa unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes eine Organisationsform schüfen, die die Kenntnis i. S. des § 852 I BGB zum frühestmöglichen Zeitpunkt eintreten lasse. 493 Im "Versicherungsanstaltsfall"494 war gar eine interne Organisationsvorschrift verletzt worden. Der BGH ging hierauf jedoch nicht ein. Der BGH macht also die Frage, ab wann Kenntnis i. S. des § 852 BGB vorliegt, von der frei gewählten Organisation der arbeitsteiligen Struktur abhängig, scheint also das Gleichstellungsargument nicht fiir anwendbar zu halten. Das kann nicht überzeugen. Es macht wertungsmäßig keinen Unterschied, ob Eigentum einer Einzelperson oder Eigentum einer arbeitsteiligen Struktur verletzt wird. Eigentum einer arbeitsteiligen Struktur ist nichts anderes als Eigentum einer Einzelperson. Dient die Anordnung der Verjährung der Friedensfunktion des Rechts, der Rechtssicherheit oder dem Schutz des einzelnen davor, daß er wegen länger zurückliegender Vorgänge in Anspruch genommen wird, die er nicht mehr aufzuklären imstande ist, 495 dann ändert sich an diesen Zwecken nichts dadurch, daß Geschädigter eine arbeitsteilige Struktur ist. Es gilt daher auch hier das Gleichstellungsargument, nach dem derjenige, der Eigentum einer arbeitsteiligen Struktur beschädigt, so stehen soll, als hätte er Eigentum einer Einzelperson verletzt.
dd) Zwischenergebnis Das Gleichstellungsargument gilt also im außerrechtsgeschäftliehen Bereich. Es gilt auch im rechtsgeschäftliehen Bereich, allerdings nicht in allen Fällen der Leistungserbringung durch eine arbeitsteilige Struktur.496 b) Lückenfeststellung mit dem Gleichstellungsargument im einzelnen Eine Lücke ließe sich mit dem Gleichstellungsargument feststellen, wenn mit den bisherigen Wissenszurechnungsvorschriften die Gleichstellung in den Fällen, in denen das Gleichstellungsargument gilt, nicht erreicht würde. Darüber, daß der Dritte, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, bei einer bloß handlungsabhängigen Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB, also die Zurechnung des Wissens der fiir die arbeitsteilige Struk-
BGH NJW 1986,2315. BGHNJW 1986,2315,2316. 494 BGH NJW 1992, 1755. 492
493
495 Vgl. zu dem nicht unproblematischen Sinn und Zweck der Verjährung Larenz, AT, S. 253.
496 Kritisch Koller, JZ 1998, 75, 77 f.
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tur konkret handelnden Hilfsperson, 497 schlechter stehen würde, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tun hätte, besteht weitgehend Einigkeit. 498 Dies soll der Deutlichkeit halber - an einigen Beispielen überprüft werden. Das Gleichstellungsargument gilt in den Fällen, in denen sich die Leistungserbringung durch die arbeitsteilige Struktur in nichts von der Leistungserbringung durch eine Einzelperson unterscheidet. 499 Dies trifft u. a. fiir folgendes Beispiel zu: Eine arbeitsteilige Struktur ist Eigentümerin eines Grundstücks, handelt aber nicht gewerbsmäßig mit diesen. 500 Es ergeht eine Verfügung gegen sie, die den Abriß eines Gebäudes fiir den Fall androht, daß nicht bestimmte Sicherungsmaßnahmen getroffen werden. Die arbeitsteilige Struktur veräußert nun das Grundstück. Bei Kenntnis der Verfügung bestünde eine Aufklärungspflicht über diese. Hätte eine Einzelperson veräußert, so wüßte sie um die Verfiigung.501 Die fiir die arbeitsteilige Struktur bei der Veräußerung handelnde Hilfsperson weiß aber möglicherweise nicht um die Verfiigung. Auch mag kein "Wissensempfangsvertreter" bestellt sein, dessen Wissen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken und § 166 II BGB zuzurechnen wäre. Der Dritte stünde bei Kauf von der arbeitsteiligen Struktur dann also schlechter. In einem solchen Fallläßt sich mit dem Gleichstellungsargument eine Lücke nachweisen. Wie gesehen, gilt das Gleichstellungsargument, in den Fällen, in denen eine arbeitsteilige Struktur eine Leistung empfangt. 502 Hier soll der Leistende so stehen, als hätte er es mit einer Einzelperson zu tun. Rechnet man z. B. fiir § 439 BGB über den aus der Vorschrift des § 166 I BGB folgenden Rechtsgedanken das Wissen der konkret handelnden Hilfsperson und über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken und § 166 II BGB das Wissen der zu "Wissensempfangsvertretem" bestellten Hilfspersonen zu, so erreicht 497 Im folgenden soll gezeigt werden, daß der Dritte auch dann noch schlechter steht, wenn zusätzlich das Wissen der "Wissensempfangsvertreter" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zugerechnet wird. Die Zurechnung des Wissens der "Wissensempfangsvertreter" wurde - natürlich • bisher nicht in den Vergleich mit einbezogen. 498 Diese Feststellung ist ja gerade der Ausgangspunkt für die zahlreichen Vorschläge, handlungsunabhängig Wissen zuzurechnen; vgl. den "Altlastenfall" BGH NJW 1996, 1339, 1340; vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 11 und Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 106, der spiegelbildlich von Privilegierung des arbeitsteiligen Unternehmens spricht. 499 Vgl. S. 186 ff. 500 Das Beispiel beruht auf dem "Schlachthausfall" BGH NJW 1990, 975. 50 1 Vom Problem des Vergessens soll fiir den Augenblick abgesehen werden. 502 Vgl. S. 188.
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man nicht unbedingt die Gleichstellung. Der Geschäftsherr mag keine Hilfspersonen zu "Wissensempfangsvertretem" bestellt haben und die konkret handelnde Hilfsperson mag zum ersten Mal für den Geschäftsherrn tätig geworden sein, daher nicht über das Wissen verfUgen, das eine bereits länger in dem entsprechenden Bereich tätige Einzelperson hätte. Es bestünde die Möglichkeit, daß sich der Geschäftsherr, wenn auch nicht bewußt,503 hinter seiner Hilfsperson versteckt, sich also eine organisationsbedingte Wissensaufspaltung auswirkt. Es läßt sich dann mit dem Gleichheitssatz eine Lücke feststellen. Auch im außerrechtsgeschäftliehen Bereich504 kommt man mit dem Gleichstellungsargument ggf. zum Nachweis einer Lücke. So kann es im Fall des gutgläubigen Erwerbs nach § 892 BGB505 nicht genügen, lediglich über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB auf die handelnde Hilfsperson abzustellen und über den aus§§ 164 III zu entnehmenden Rechtsgedanken und 166 II BGB das Wissen möglicher "Wissensempfangsvertreter" zuzurechnen. Es mag wieder der Fall sein, daß der Geschäftsherr keine "Wissensempfangsvertreter" bestellt hat und die handelnde Hilfsperson über wesentlich weniger relevantes Wissen verfiigt als eine selbst handelnde Einzelperson. Dann würde eine organisationsbedingte Wissensaufspaltung zu einer Schlechterstellung des Dritten fiihren. Eine Lücke läßt sich ggf. mit dem Gleichstellungsargument auch für den Beginn der dreijährigen Verjährungfrist nach § 852 BGB wegen Kenntnis von Schaden und Schädiger im Fall der Schädigung des Eigentums einer arbeitsteiligen Struktur nachweisen. Der BGH will in diesen Fällen analog § 166 I BGB das Wissen der mit der Durchsetzung des Regreßanspruchs betrauten Hilfsperson zurechnen.506 Dies ist in der Begründung falsch, im Ergebnis aber gleichwohl richtig. Über § 166 I BGB analog oder den aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken ist nur eine handlungsabhängige Zurechnung möglich. Bei § 852 BGB geht es aber - handlungsunabhängig - um Kenntnis an sich. Man wird die zuständige Hilfsperson aber als "Wissensempfangsvertreter" ansehen können, da sie gerade zum Erwerb der Informationen eingesetzt ist. Ihr Wissen ist dann über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnen. Wird lediglich das Wissen der mit der Durchsetzung des RegreßFür diesen Fall gilt§ 166 li BGB zumindest analog. Auch dort gilt das G1eichstellungsargument, vgl. S. 189 f. 505 Der gutgläubige Erwerb nach § 892 BGB wird hier dem außerrechtsgeschäftliehen Bereich zugeordnet, da zwischen der erwerbenden arbeitsteiligen Struktur und dem wahren Eigentümer keine rechtsgeschäftliehen Beziehungen bestehen. 506 Vgl. den "Landesversorgungsamtsfall", BGH NJW 1986, 2315, den "Versicherungsanstaltsfall", BGH NJW 1992, 1755, und den "Betriebsprüferfall", BGH NJW 1994, 1150. 503
504
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anspruchs betrauten Hilfspersonen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zugerechnet, so kann der Dritte wieder schlechter stehen, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tun hat. Der Geschäftsherr braucht keine "Wissensempfangsvertreter" einzusetzen, auch kann er den Informationszugang bei der entsprechenden Hilfsperson steuern. Dies wäre bei einer Einzelperson nicht der Fall. Zusammenfassend mag folgende Überlegung das Gesamtproblem nochmals verdeutlichen. Eine Einzelperson verfUgt über das Wissen hinaus, das sie bei der Durchfiihrung eines bestimmten Geschäfts erlangt, über weiteres sonstiges Wissen. Dieses Wissen ist bei jeder Einzelperson verschieden, aber es besteht. Wird mangels Bestellung von "Wissensempfangsvertretern" lediglich das Wissen der handelnden Hilfsperson zugerechnet, so besteht die Möglichkeit, daß sonstiges Wissen wegen der organisationsbedingten Wissensaufspaltung nicht zuzurechnen ist, da die handelnde Hilfsperson nicht in demselben Maß über relevantes sonstiges Wissen verfiigt wie die Einzelperson - möglicherweise verfUgt die handelnde Hilfsperson über gar kein relevantes sonstiges Wissen-, die ihre Geschäfte selbst durchfUhrt und das hierfiir relevante Wissen hat. Dieses relevante sonstige Wissen wird bei einer arbeitsteiligen Struktur typischerweise auf verschiedene Hilfspersonen aufgespalten sein. Mit dem Gleichstellungsargument läßt sich also in den Fällen, in denen es gilt, typischerweise eine Lücke fiir eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung feststellen. 4. Lückenausfiillung
Während bei der Feststellung einer Gesetzeslücke, einer Lücke i. e. S., durch Analogieschluß mit der Lückenfeststellung in der Regel die Lückenausfiillung feststeht507, fallen Lückenfeststellung und Lückenschließung bei Prinziplücken regelmäßig auseinander, da die Prinzipien wesensmäßig dadurch bestimmt sind, daß sie keinen rechtssatzmäßigen Charakter haben.508 Das Prinzip weist daher gewöhnlich nur die Richtung fiir eine Lückenausfiillung durch Konkretisierung. 509 In der Literatur wird bisweilen versucht, direkt mit dem Gleichstellungsargument die Lücke zu schließen.
507
s. 0 . s. 77.
Canaris, FeststellWlg von Lücken, S. 161. 509 Vgl. Canaris, Feststel!Wlg von Lücken, S. 161 ff. 508
13 Baum
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a) Der Vorschlag von Medicus So bedient sich Medicus zur Lösung des Problems der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung des Gleichstellungsarguments. 510 Medicus will in seiner Ansicht nach konsequenter Anwendung des Gleichstellungsarguments neben dem dienstlich erworbenen Wissen der handelnden Hilfsperson das Wissen anderer Personen, gleichgültig ob es sich wn Organe oder sonstige Hilfspersonen handelt, zurechnen, soweit fiir den Handelnden ein Anlaß besteht, dieses heranzuziehen. 511 Auch bei Einzelpersonen sei Gegenstand der Feststellung, daß Wissen vorliege, in Wahrheit nämlich nicht die innere Tatsache realen Wissens, sondern bloß dessen wahrscheinliches Vorliegen unter typischen Verhältnissen; eben dies werde nun auf Organisationen angewendet. 512 Zuzurechnen sei auch Aktenwissen, soweit Anlaß fiir die handelnde Hilfsperson bestehe, dieses heranzuziehen. 513 Dies betrachtet Medicus ebenfalls als Ergebnis einer Anwendung des Gleichstellungsarguments, da einer Einzelperson Speicherwissen zuzurechnen sei, sofern Anlaß bestehe, dieses heranzuziehen. 514 Ausgangspunkt fiir den Lösungsvorschlag von Medicus ist also neben dem Gleichstellungsargument eine bestimmte Definition des Begriffs "Wissen" bei der Einzelperson. Sein Lösungsvorschlag kann nicht überzeugen, da sowohl sein Kenntnisbegriff als auch die von ihm vorgenommene Gleichstellung nicht richtig sind.
aa) Der Begriff"Wissen" Für diese Arbeit ist auf die grundsätzliche Entwicklung eines eigenen Wissensbegriffs verzichtet worden, da sich die Fragen, was "Wissen" ist und ob es zugerechnet werden kann, weitgehend trennen lassen. 515 Im folgenden soll daher zum Wissensbegriff auch nur insoweit Stellung bezogen werden, als dies nötig ist, wn den Wissensbegriff von Medicus zu widerlegen (1) Der Begriff "Wissen" bei v. Tuhr und Medicus Medicus516 entwickelt seinen Wissenbegriff in Abgrenzung zur klassischen Definition bei v. Tuhr517 • Dieser schreibt: "Das Wissen ist die Vorstellung einer Karlsruher Forum 1994, 4, 11 ff. ff. 512 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 13. SIJ Medicus , Karlsruher Forum 1994, 4, 16. 514 Karlsruher Forum 1994, 4, 7. 51 5 Vgl. fiir den Einfluß der Einzelnorm im hier vorgeschlagenen Zurechnungsmodell S. 275 ff., 285 f., 378. 516 Karlsruher Forum 1994, 4, 5 f. 51°
5I I Karlsruher Forum 1994,4, 11
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Tatsache als einer sicher vorhandenen." Die Verengung des Wissensbegriffs auf das konkret Vorgestellte, so Medicus, sei jedoch nicht akzeptabel. 518 Es werde sich kaum je beweisen lassen, was sich jemand zu einer bestimmten Zeit vorgestellt habe. Vielmehr werde Wissen regelmäßig nur mit Hilfe von Erfahrungsregeln bewiesen werden können. So erhalte Wissen eine bestimmte normative Komponente. Man müsse sich als Wissen nicht bloß das zurechnen lassen, was man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich vorgestellt habe. Vielmehr gelte auch das als Wissen, was man nach Erfahrungsregeln im Gedächtnis hatte und sich daher vorstellen konnte. Zudem müsse man sich an das zu erinnern versuchen, was im Gedächtnis geblieben sei. 519 So habe auch das OLG Oldenburg520 entschieden, daß zwar das Vergessen den Versicherungsnehmer von seiner Anzeigepflicht nach § 16 VVG entlaste. Dagegen entlaste es ihn nicht, wenn er den Umstand gerade nicht präsent hatte. Auch der zweite Bestandteil der Wissensdefinition v. Tuhrs, wonach nur derjenige wisse, der eine Tatsache als "sicher vorhanden" annehme, sei nicht akzeptabel.521 So passe die Forderung nach einem sicheren Wissen nicht zum allseits anerkannten Eventualvorsatz. Auch die Entwicklung in der Rechtsprechung stehe einer solchen Auffassung entgegen. Es werde zunehmend sogar die Grenze zur bewußten Fahrlässigkeit aufgeweicht. Medicus verweist auf Schlagworte wie "Behauptung ins Blaue hinein" oder "Verschweigen auf gut Glück". In dieselbe Richtung weise auch die Vorschrift des § 16 II 2 VVG. Diese besage, daß der Versicherungsnehmer sich seine Unwissenheit nicht dadurch zu erhalten suchen dürfe, daß er vor Verdachtsmomenten die Augen verschließe.522 Im Fall des § 852 BGB schließlich sei es nicht nötig, daß der Geschädigte aus den ihm bekannten Tatsachen auch die zutreffenden rechtlichen Schlüsse fiir seinen Ersatzanspruch ziehe. 523 Aus diesen knappen Feststellungen folgert Medicus nun, daß bei der Einzelperson Gegenstand der Feststellung, daß Wissen vorliege, in Wahrheit nicht die innere Tatsache realen Wissens sei, sondern bloß dessen wahrscheinliches Vorliegen unter typischen Verhältnissen. 524 Er sieht also materiell und prozessual
Der Allg. Teil des Deutschen Bürg. Rechts, li 1, S. 130. Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 6. 519 Medicus, Kar1sruher Forum 1994,4, 6. 520 NJW-RR 1991, 1185. 52 1 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 6. 522 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 6. 523 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 6. 524 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 13. 517
518
13*
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Teil li: Zurechnung von Wissen
eine Auflösung des Kenntnisbegriffs in Richtung auf das Kennenmüssen, also das Nicht-Kennen in Folge von Fahrlässigkeit(§ 122 II BGB). 525
(2) Die Unrichtigkeit des Wissensbegriffs von Medicus Diese Folgerungen können jedoch nicht überzeugen, sie können dann natürlich auch nicht Anknüpfungspunkt fiir eine Lösung des Problems der Wissenszurechnung sein. Um dies zu beweisen, genügen folgende knappe Ausfiihrungen. 526 Insbesondere wird sich zeigen, daß entgegen Medicus weder materiell noch prozessual eine generelle Auflösung des Kenntnisbegriffs in Richtung auf das Kennenmüssen, die fahrlässige Unkenntnis, zu beobachten ist. Im einzelnen wird man fiir die Untersuchung der Wissensnormen drei Problemkreise unterscheiden. Erstens: Welche Anforderungen werden an die Sicherheit des Wissens gestellt, um Kenntnis zu bejahen? Im Zusammenhang damit steht die Frage, wie der Tatsachen- oder Rechtsirrtum behandelt werden. Zweitens: Besteht eine Verpflichtung, sich Wissen zu verschaffen? Drittens: Ist Vergessen erheblich, besteht eine Pflicht, sich zu erinnem?527
(a) Die Sicherheit des Wissens und die Irrtumsproblematik (aa) Sicherheit des Wissens und Tatsachenirrtum Bereits ein kursorischer Überblick ergibt, daß bei den einzelnen Wissensnormen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der erforderlichen Sicherheit des Wissens gemacht werden. 528 Wie gesehen, besteht die Arglist aus einem kognitiven und einem voluntativen Element. 529 Um Arglist anzunehmen, genügt dolus
525 Bereits Sa/lawitz, Gleichstellung, passim fordert eine "tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis", so der Titel der Dissertation. 526 Es wird hier, wie bereits vermerkt, nicht der Anspruch erhoben, eine grundlegende Untersuchung zum Begriff "Wissen" bei der Einzelperson vorzulegen. Dies müßte angesichts der Fülle der zu untersuchenden Wissensnormen Gegenstand einer eigenen Arbeit, wenn nicht gar eines größeren Projekts sein. 527 Selbstverständlich lassen sich nicht alle Fragen bei allen Wissensnormen stellen. So kommt nicht bei jeder Norm ein Rechtsirrtum in Betracht. Auch kann es auf ein Vergessen nur ankommen, wenn die Norm die Rechtsfolgen nicht direkt an die Kenntniserlangung knüpft, wie z. B. § 852 BGB. 528 So auch Sallawitz, Gleichstellung, S. 58 ff., 80, aufgrund einer Untersuchung der Vorschriften des Gutglaubensschutzes. 529 Vgl. S. 32 f. Fn. 2.
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eventualis. 53 Für die Wissenselemente bedeutet dies, daß der arglistig Täuschende nicht sicher wissen muß, sondern eine bloße Möglichkeitsvorstellung genügt. 531 Ein arglistig einen Mangel verschweigender Verkäufer muß den Mangel kennen oder für möglich halten. Der Verkäufer muß wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Mangel nicht kennt. Schließlich muß der Verkäufer wissen oder damit rechnen, daß der Käufer bei Kenntnis der wahren Sachlage den Vertrag nicht oder nicht zu den konkreten Bedingungen abschließen würde. 532 Der Verkäufer muß sich den Mangel also nicht als sicher vorhanden vorstellen, es genügt vielmehr eine bloße Möglichkeitsvorstellung.
Die Rechtsprechung ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Mit den Figuren der "Erklärung ins Blaue hinein" 533 und des "Verschweigens auf gut Glück" 534 hat sie eine Erosion des Arglisttatbestands und von dessen Wissenselementen über die Anerkennung des Eventualvorsatzes hinaus eingeleitet und die Arglist für Fahrlässigkeitsgedanken geöffnet. 535 Es wird keine Mangelkenntnis mehr gefordert, nicht einmal eine bloße Möglichkeitsvorstellung ist noch Voraussetzung. 536 Die Irrtumsproblematik stellt sich bei einem zur Fahrlässigkeit hin geöffueten Kenntnisbegriff zwangsläufig nicht.
530 H. M.; für die Rspr. BGH LM § 463 Nr. 1; WM 1971, 749, 751; für die Literatur: Soerge//Huber, § 476 Rdnr. 24; Erman/Grunewald § 463 Rdnr. 6; einschränkend MünchKomm/Westermann § 463 Rdnr. 8. 531 Vgl. Reinking!Eggert, Autokauf, Rdnm. 1857 ff. ausfiihrlich für die einzelnen Wissenselemente. 532 Vgl. für diese Arglistdefinition z. B. BGH NJW 1992, 1953, 1954. Das Willenselement des Vorsatzes wird in den EntscheidWlgen zur Arglist nicht erörtert (vgl. z. B. BGH NJW 1990, 42, 42 f.; BGH NJW 1995, 1549, 1550). Die RechtsprechWlg schließt also vom Vorliegen der Wissenselemente auf das Willenselement (so auch Reinking/Eggert, Autokauf, Rdnr. 1861). 533 Vgl. grundlegend BGHZ 63, 382, 388; BGH NJW 1977, 1055; BGH WM 1980, 983, 985; BGH NJW 1981, 1441, 1442. 534 Vgl. BGH NJW 1977, 1914, 1915; OLG-Celle, NJW-RR 1987, 744. 535 So auch Reinking/Eggert, Autokauf, Rdnr. 1880; Meyer-Lindemann, BedeutWlg der Schadensersatzhaftung, S. 101 f. 536 So auch MünchKomm/Westermann, § 463 Rdnr. 8; anders Soerge//Huber, § 476 Rdnr. 25; Palandt/Heinrichs, § 123 Rdnr. 11, wonach der Täuschende mit der Unrichtigkeit seiner Aussage gerechnet haben muß. Doch geben das die dort in Bezug genommenen EntscheidWlgen nicht her. Zwar hat der BGH in NJW 1977, 1055 betont, daß der Täuschende zumindest mit der Unrichtigkeit seiner Angaben rechnen müsse, doch prüft er dies nicht in der grundlegenden EntscheidWlg BGHZ 63, 382, 388. Ein "Für-möglichHalten" verlangt der BGH auch nicht in BGH WM 1980, 983, 985 oder in BGH NJW 1981, 1441, 1442.
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Für § 892 BGB läßt die Rechtsprechung hingegen dolus eventualis, also Zweifel an der Richtigkeit des Grundbuchs, im Prinzip nicht genügen. 537 Gleichwohl hat sie sich eine Hintertür offengehalten. So können über § 826 BGB auch Zweifel genügen, um den gutgläubigen Erwerb auszuschließen. Allerdings müssen die Umstände des Erwerbs trotz Zweifeln als sittenwidrig erscheinen.538 Für § 892 BGB finden sich fast ausschließlich Judikate zur Frage des Rechtsirrtums. 539 Eher zurückhaltend ist die Rechtsprechung mit der Annahme von Kenntnis bei den zahlreichen Normen des VVG, die an Kenntnis Rechtsfolgen knüpfen. Eine umfangreiche Judikatur hat sich v. a. zur Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers nach§ 16 I 1 VVG entwickelt. 540 In sehr an den individuellen Umständen des Einzelfalls orientierten Entscheidungen hat die Rechtsprechung immer wieder verlangt, der Versicherungsnehmer müsse sich des betreffenden Umstandes "bewußt" 541 sein, er müsse "positiv wissen" 542, er müsse "die Gewißheit erlangt" 543 haben, er müsse "zu der Überzeugung gelangt" 544 sein. Dieser Kenntnisbegriff findet sich auch in anderen versicherungsrechtlichen Entscheidungen, so z. B. zu§§ 2 545 und 33 1546 VVG. Die Rechtsprechung respektiert in den versicherungsrechtlichen Entscheidungen den individuellen Irrtum des Versicherungsnehmers. 54 7
537 Grundlegend RGZ 117, 181, 189, das dort eine Rechtsprechung der Berufungsgerichte (vgl. die Entscheidung der Vorinstanz KG JW 1926, 2215, 2216), die fiir § 892 BGB nicht positive Kenntnis forderten, sondern Zweifel an der Richtigkeit genügen ließen, verwarf 538 Grundlegend hierfiir ebenfalls RGZ 117, 180, 191 ; weitere Nachweise bei Staudinger/Gurksy, § 892 Rdnr. 130, dieser allerdings kritisch. 539 Vgl. dazu sogleich unter (bb). 540 Vgl. z. B. BGR VersR 1983, 25; VersR 1984, 150; VersR 1984, 884; OLG Ramm VersR 1981, 874; OLG München VersR 1983, 33; OLG Ranun RuS 1988, 311 ; RuS 1990, 314. 541 BGR VersR 1983,25, 25. 542 BGR VersR 1983, 25, 26. 543 BGR VersR 1984, 884, 885. 544 BGR VersR 1984, 884, 885. 545 Vgl. KG VersR 1952, 124. 546 Vgl. BGR VersR 1967, 56, 57 f. 547 Vgl. fiir § 16 I I VVG, BGR VersR 1984, 884, 885; OLG Ramm VersR 1981, 874; OLG München VersR 1988, 33; OLG Ramm RuS 1988, 311; zur Anzeigepflicht nach§ 5 Nr. 2 AHB, BGR VersR 1970, 1045, 1046.
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Allerdings scheint der strenge versicherungsrechtliche Kenntnisbegriff durch § 16 II 2 VVG aufgeweicht zu werden. 548 Nach dieser Vorschrift kann der Versicherer, auch ohne daß der Versicherungsnehmer positiv wußte, vom Vertrag zurücktreten, wenn die Anzeige eines gefahrerheblichen Umstandes unterblieben ist, weil sich der Versicherungsnehmer der Kenntnis des Umstandes arglistig entzogen hat. Damit scheint im Ergebnis auch im Versicherungsrecht der weite Kenntnisbegriff der Arglist zu gelten. 549 Der versicherungsrechtliche Kenntnisbegriff würde bei Übernahme der Figuren der "Erklärung ins Blaue hinein" und des "Verschweigens auf gut Glück" in das Versicherungsrecht regelmäßig leerlaufen, da dann wohl gewöhnlich der einfacher zu fuhrende Arglistnachweis angetreten würde. Es erstaunt daher zunächst, daß in der Kommentierung von Prölss/Martin zum Versicherungsvertragsgesetz bei §§ 16, 17 VVG550 ausfuhrlieh der strenge Kenntnisbegriff diskutiert, jedoch mit keinem Wort die Arglistalternative des § 16 II 2 VVG erörtert wird. Auch findet sich in den verschiedenen oben genannten Judikaten zum Kenntnisbegriff bei § 16 VVG kein Hinweis auf die Arglistalternative. Dies läßt sich dadurch erklären, daß für das Versicherungsrecht ein strengerer als der gewöhnliche Arglistbegriff gilt. Unter Bezug auf Bruck!Möller, VVG, § 16 Anm. 33 hat der BGH in einer Entscheidung zu § 23 VVG erklärt, daß Arglist eine besonders qualifizierte Form des Vorsatzes sei. 551 Der Versicherungsnehmer wisse, daß er etwas über gefahrerhebliche Umstände erfahren könnte, aber sein Wille sei darauf gerichtet, die Kenntnis nicht zu erlangen. Dieser Wille dürfe nicht auf bloßer Gleichgültigkeit beruhen, sondern müsse von dem Bewußtsein getragen sein, sonst müsse möglicherweise die vorvertragliche Anzeigepflicht so erfiillt werden, daß Vertragsabschluß oder -bedingungen gefährdet werden. 552 Der Vorwurf, der Versicherungsnehmer habe sich arglistig der Kenntnisnahme entzogen, setze demnach dreierlei voraus: "Der Versicherungsnehmer muß mit der Möglichkeit rechnen, daß das Fahrzeug Mängel aufweist, die seine Verkehrssicherheit beeinträchtigen. Er muß damit rechnen, daß es für den Versicherungsschutz auf seine Kenntnis von diesen Mängeln ankommt. Er muß schließlich, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden, von einer Überprüfung des Kraftfahrzeugs Abstand genommen haben." 553 Die vom BGH gegebene DefiniDiese Vorschrift zieht Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 6 als Beleg für eine Aufweichung des Kenntnisbegriffs heran. 549 Insbesondere da auch in eine Norm wie § 23 VVG, in der an sich nur von positiver Kenntnis die Rede ist, die Arglistalternative hineingelesen wird, vgl. BGH NJW 1969, 42, 45. 550 § 17 Anm. 5. 551 BGHNJW 1983, 121, 122. 552 BGH NJW 1983, 121, 122. 553 BGH NJW 1983, 121, 122. 548
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tion läßt wie üblich eine Möglichkeitsvorstellung zur Begründung der Wissenselemente der Arglist genügen. Gewöhnlich läßt die Rechtsprechung für das Zivilrecht aber den Schluß vom Wissens- auf das Wollenselement großzügig zu. Das Wollenselement wird regelmäßig nicht erwähnt. 554 Für das Versicherungsrecht verlangt der BGH jedoch auch das Wollenselement. Davon, daß eine "Erklärung ins Blaue hinein" oder ein "Verschweigen auf gut Glück" zur Begründung des Arglistvorwurfs ausreichen könnten, ist nicht die Rede. Der BGH hatte beide Figuren bereits anerkannt, als in BGH NJW 1983, 121, 122 der versicherungsrechtliche Arglistbegriff definiert wurde. 555 Dieser strenge versicherungsrechtliche Arglistbegriff fiihrt daher auch nicht zu einer Erosion des Kenntnisbegriffs. Wie die Entscheidungen zeigen, scheint es leichter, positive Kenntnis eines gefahrerheblichen Umstands nachzuweisen als das arglistige Sich-Entziehen. (bb) Rechtsirrtum Für die Fälle des Rechtsirrtums hat Bauer nachgewiesen, daß dieser von der Rechtsprechung weitgehend nicht anerkannt wird. 556 Er geht von einer Obliegenheit der Rechtskenntnis aus. 557 Es scheint sich hierbei allerdings um eine allgemeine und nicht eine normspezifische Entwicklung zu handeln. (cc) Zusammenfassung Es ergibt sich also, daß bei den einzelnen Normen unterschiedliche Anforderungen an die Sicherheit des Wissens gestellt werden. Dies gilt wohl auch für den Tatsachenirrtum. (b) Besteht eine Pflicht, sich Wissen zu verschaffen? Schadet lediglich Kenntnis, so besteht an sich keine Pflicht, sich diese zu verschaffen. 558 Gleichwohl hat auch hier die Rechtsprechung einzelne Kenntnisnormen weiterentwickelt. So geht sie für die Arglist bisweilen von einer Pflicht aus, sich Wissen zu verschaffen. Die dogmatische Einordnung ist nicht klar. Die Vgl. z. B. jüngst BGH NJW 1996, 1205, 1206, "PKW-Fall", vgl. S. 110 ff. Die Figur der "Erklärung ins Blaue hinein" findet sich erstmals in den unveröffentlichten Urteilen vom 2. 2. 1966 - VIII ZR 284/63 und vom 10. 7. 1968 - VIII ZR 167/66. Die erste veröffentlichte Entscheidung, BGHZ 63, 382, ist vom 21. 1. 1975. Das "Verschweigen aufgut Glück" findet sich in BGH NJW 1977, 1914. 556 GS D. Schultz, S. 21, 23 ff. 55 7 Bauer, GS D. Schultz, S. 21, 28 ff. 558 Das ist gerade der Sinn der Kenntnisnormen, vgl. auch Sallawitz, Gleichstellung, s. 18 ff. 554 555
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Pflicht, sich Wissen zu verschaffen, wird auf Treu und Glauben gestützt. 559 Sie wird als Unterfall der Arglist, genauer des "Verschweigens auf gut Glück" eingeordnet. 560 Gelegentlich fehlt eine Zuordnung561 . Wie auch immer man die Pflicht, sich Wissen zu verschaffen, dogmatisch fassen mag, sie fiihrt zu einer weiteren Auflösung des Kenntnisbegriffs bei der Arglist. Eine Erkundigungspflicht wird hingegen bei § 892 BGB abgelehnt. 562 Auch in der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung wird eine Ermittlungspflicht des Versicherungsnehmers abgelehnt. 56 3 Hinsichtlich einer möglichen Pflicht, sich Wissen zu verschaffen, bestehen also Unterschiede bei einzelnen Wissensnormen. (c) Vergessen Durch Vergessen geht Kenntnis wieder verloren. In zwei Entscheidungen zu einer möglichen arglistigen Täuschung über den Befall eines Hauses mit Hausschwamm stellt der BGH fest, daß es auf das individuelle Sich-Erinnern des möglicherweise Täuschenden ankomme und lehnt eine Nachforschungspflicht hinsichtlich einmal bekannter Umstände ab. 564 Strengere Anforderungen werden an die Gedächtnisanstrengungen des Versicherungsnehmers gestellt. So will das OLG Oldenburg565 als Kenntnis im Sinn der Gefahranzeigevorschriften das jederzeit aktualisierbare Wissen des Versicherungsnehmers verstehen. Zu diesem gehörten alle Umstände, deren sich der Versicherungsnehmer bei gehöriger Gedächtnisanspannung bewußt werden könne. Umstände, die der Versicherungsnehmer einmal gekannt habe, die seinem Gedächtnis aber wieder entfallen seien, kenne er hingegen nicht mehr. 566 Auch das OLG Oldenburg bemüht sich jedoch, individuell zu ermitteln, ob vergessen wurde. 567 Noch weitergehend verlangt das OLG Hamburg568 vom Versicherungsnehmer, daß er Nachforschungen über Tatsachen, die in der Vergangenheit liegen, anstellt.
BGH WM 1973,473,474. BGH NJW 1979, 1707; 1981, 323, 326. 561 BGHZ 74, 383, 392. 562 BayObLG NJW-RR 1989,907,909. 563 BGH VersR 1984, 884, 885; VersR 1967,56, 59. 564 BGH LM § 463 Nr. 1; WM 1987, 1285, 1286. 565 NJW-RR 1991, 1185, 1186. 566 OLG Oldenburg NJW-RR 1991, 1185, 1186. 567 Vgl. OLG Oldenburg NJW-RR 1991, 1185, 1186. 568 OLG Harnburg VersR 1979, 1122, 1122 f. 559
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Auch hinsichtlich der Anerkennung des Vergessens werden also bei einzelnen Normen.unterschiedliche Anforderungen gestellt. 56 9 (d) Zwischenergebnis Aus diesem überaus kursorischen Überblick ergibt sich zusammenfassend folgendes. Es gibt keinen einheitlichen Begriff der Kenntnis. Bei unterschiedlichen Normen werden vielmehr unterschiedliche Anforderungen fiir die Annahme von Kenntnis gestellt. Kenntnis ist also nicht nur, wie v. Tuhr570 meint, "die Vorstellung einer Tatsache als einer sicher vorhandenen." Es kann aber auch entgegen Medicus zumindest materiell nicht von einer generellen Auflösung des Begriffs "Wissen" in Richtung aufein "Wissenmüssen" gesprochen werden. Die vermeintliche Auflösung des Kenntnisbegriffs kann daher kein Ansatzpunkt zur Lösllilg des Problems der Wissenszurechnung sein. Allerdings fällt auf, daß die Rechtsprechung je nach Wissensnorm andere Wege gefunden hat, auch in Fällen, in denen an sich keine Kenntnis vorliegt, die entsprechende Rechtsfolge anzuordnen.571 (e) Abgrenzung "Wissen" und "Wissenmüssen" aus prozessualer Sicht Auch durch den prozessualen Kenntnisnachweis kommt es nicht zu einer Auflösung des Kenntnisbegriffs. 572 Vielmehr stellt die Rechtsprechung strengere Anforderungen an den Nachweis der Kenntnis als an den Nachweis des Kennenmüssen. Bereits der Gesetzgeber war sich bewußt, daß die Kenntnis einer Person als ein geistiger Zustand vor den Augen der Umwelt verborgen bleibt. Er glaubte, diesem Problem mit Hilfe der freien Beweiswürdigung begegnen zu können. 573 Der direkte, unmittelbare Beweis fiihrt nur ausnahmsweise im Fall der Parteivernehmung zum Nachweis einer inneren Tatsache. 574 Regelmäßig erfolgt der
569 In Judikaten zu § 892 BGB wird, soweit ersichtlich, die Frage des Vergessens nicht diskutiert. 570 Allg. Teil des Deutsch. Bürg. Rechts, li 1, S. 130. 57 1 Bei der Arglist erfolgt dies durch die AuflösWlg hin zur Fahrlässigkeit mit den Figuren des "Verschweigens auf gut Glück" Wld der "ErklärWlg ins Blaue hinein". Bei § 892 BGB werden Wlbillige Ergebnisse über§ 826 BGB korrigiert. Im VersicheTWlgsrecht werden strenge AnfordeTWlgen an das Sich-Erinnern gestellt. 572 Dies ist das Hauptargument von Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 6. Vgl. auch Sallawitz, GleichstellWlg, S. 71 ff., der deshalb die GleichstellWlg von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis fordert. 573 Vgl. Protokolle VI§ 222. 574 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 645.
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Nachweis durch indirekten Beweis, einen Indizienbeweis. 575 Für den Nachweis der Kenntnis hat daher die beweispflichtige Partei die äußeren, tatbestandsfremden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, die nach der Erfahrung den Schluß auf die Kenntnis zulassen. 576 Eine wesentliche Rolle beim Nachweis der Kenntnis spielen daher die Erfahrungssätze. 577 Kennenmüssen ist, wie gesehen, fahrlässige Unkenntnis(§ 122 II BGB). Wird- wie in der Regel- Fahrlässigkeit durch einen Anscheinsbeweis nachgewiesen,5 78 so ist dies ebenfalls ein Schluß aufgrund eines Erfahrungssatzes. 579 Erfahrungssätze sind "Regeln, in denen die Summe der Ergebnisse gezogen ist, die bei der Beobachtung typischer Geschehensabläufe immer wieder festgestellt worden sind."580 Der Anscheinsbeweis beruht auf der Erfahrung, "daß typische Ursachen gewisse Folgen zu zeitigen pflegen, die deshalb ohne weiteren Nachweis rein erfahrungsgemäß nach dem ersten Anschein unterstellt werden dürfen". 581 Nur weil sowohl der Beweis von Kenntnis als auch der von Kennenmüssen mit Erfahrungssätzen erfolgt, kommt es jedoch nicht notwendig zu einer Verwischung zwischen ihnen. Im Unterschied zum Nachweis bloßen Kennenmüssens stellt der BGH an den Nachweis der Kenntnis mit Erfahrungssätzen strenge Anforderungen. Kenntnis wird nicht mit einem Anscheinsbeweis nachgewiesen. 582 Ob jemand Kenntnis erlangt hat, lasse sich, so der BGH, in aller Regel nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilen. 583 Wie die Rechtsprechung im Einzelfall um den Nachweis von Kenntnis ringt, belegen eindrucksvoll die versicherungsrechtlichen Judikate. 584 Auch prozessual ist Kenntnis also etwas anderes als Kennenmüssen. (f) Ergebnis Für die vorliegende Arbeit sollen diese knappen Ausführungen genügen. W esentlich ist, daß es keinen einheitlichen Begriff der "Kenntnis" bei ·der Einzelperson gibt. Aus den untersuchten Entscheidungen ergibt sich keine generelle Auflösung des "Kenntnis"-Begriffs in Richtung auf ein "Kennenmüssen" auf
575 Wieczoreck, ZPO und GVG, CI, c 2 zu § 282. 576 Sallawitz, Gleichstellung, S. 82. 577 Sallawitz, Gleichstellung, S. 82. 578 Baumgärtel, Beweislastpraxis, Rdnr. 420. 579 Baumgärtel, Beweislastpraxis, Rdnr. 235. 580 Schneider, Beweis, Rdnr. 332. 581 BGHZ 2, 1, 5. 582 So ausdrücklich BGH VersR 1967, 56, 59; der Anscheinsbeweis findet sich in keiner der untersuchten Entscheidungen zum Kenntnisnachweis. 583 BGH VersR 1967, 56, 59. 584 Vgl. die Nachweise oben S. 198 Fn. 540.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
materiellem oder prozessualem Weg. Schon aus diesem Grund kann daher der Lösungsansatz von Medicus nicht überzeugen. bb) Aktenwissen
Die Auffassung, daß einer Einzelperson Aktenwissen zuzurechnen sei, soweit ein Anlaß besteht, dieses heranzuziehen, stützt Medicus auf eine einzige Entscheidung.585 Dort will der BGH einer Organisation- einer Versicherung- Aktenwissen zurechnen, soweit Anlaß besteht, dieses heranzuziehen. Das Gleichstellungsargument wirkt nach Medicus also wohl in zwei Richtungen. cc) Die mißglückte Gleichstellung
Die Bedenken gegenüber dem von Medicus vertretenen Kenntnisbegriff könnten hier jedoch sogar dahinstehen, da, selbst wenn man der Prämisse von Medicus folgt, der Lösungsvorschlag nicht überzeugen kann. Mit der von ihm vorgeschlagenen Lösung erreicht Medicus nämlich keine Gleichstellung. Medicus wählt das falsche Vergleichsobjekt Als Wissen der Einzelperson sieht er an, was diese Anlaß gehabt hätte zu wissen bzw. sich zu verschaffen, seien die Informationen nun im Gedächtnis gespeichert oder in Akten abgelegt. 586 Wissen der Organisation, der arbeitsteiligen Struktur sei neben dem Wissen der konkret handelnden Hilfsperson das Aktenwissen und das Wissen anderer Hilfspersonen, sofern die handelnde Hilfsperson Anlaß gehabt hätte, dieses heranzuziehen. 587 Es wird also der Wissensbegriff der Einzelperson nicht auf die arbeitsteilige Struktur übertragen, sondern auf die für die arbeitsteilige Struktur handelnde Hilfsperson. Richtigerweise müßte der Wissensbegriff aber auf die arbeitsteilige Struktur übertragen werden, da es ja um die Gleichstellung der arbeitsteiligen Struktur mit der Einzelperson geht. Auf dem von Medicus vorgeschlagenen Weg steht der Dritte, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, schlechter, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tun hat. Diese ist zentrale Instanz. Sie hat die Informationen, die sich in ihrem Gedächtnis befmden, selbst entgegengenommen. Sie hat die Akten angelegt. Die konkret handelnde Hilfsperson, der einzelne Mitarbeiter, hat die Akten nicht selbst angelegt. Er weiß auch nicht, was die arbeitsteilige Struktur über andere Hilfspersonen erfahrt. Die einzelne Hilfsperson der arbeitsteiligen Struktur ist daher nichts anderes als eine Akte bei der Einzelperson. Medicus gelingt die Gleichstellung daher nicht. Allerdings ist die Festlegung des richtigen Vergleichsobjekts, wie sich sogleich zeigen wird, problematisch.
BGH VersR 1993, 1089, hier "Knie-Fall" genannt; vgl. hierzu S. 463 ff. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 5 f., 7 f., 15. 587 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 11 ff. 585
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b) Der Vorschlag von Canaris Auch Canaris sucht die Lösung über das Gleichstellungsargwnent. Er propagiert eine Zusammenrechnung588 des Wissens aller Wissensvertreter, da es ein Gerechtigkeitsgebot sei, das arbeitsteilige Untemelunen nicht gegenüber dem Einzeluntemeluner zu privilegieren. 589 Allerdings komme eine Wissenszusammenrechnung nur in Betracht, wenn die Wissensaufspaltung organisationsbedingt sei. 590 Gegen die Rechtfertigung einer Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter mit dem Gleichstellungsargwnent spricht zunächst, daß das 588 Canaris bezeichnet mit Wissenszusarrunenrechnung auch die Fälle, die hier Wissenszurechnung genannt werden. 589 Bankvertragsrecht, Rdnr. 106. Siehe fiir die Ansicht von Canaris bereits ausfiihrlich oben S. 133 f.. Im folgenden wird nur noch erörtert, ob sich diese auf das Gleichstellungsargurnent stützen läßt. 590 Mit dem Merkmal "organisationsbedingte" Wissensaufspaltung will Canaris (Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a) einen Widerspruch zu § 166 II BGB bzw. einem aus dieser Vorschrift zu ziehenden Umkehrschluß vermeiden. Wissenszusammenrechnung komme nur bei organisationsbedingter Wissensaufspaltung in Betracht, nicht hingegen bei der gewöhnlichen Stellvertretung. Canaris belegt diese Unterscheidung mit einem Beispiel (Karlsruher Forum 1994, 33): Einem privaten Verkäufer eines Autos oder Grundstücks will er das Wissen seiner Ehefrau oder seines Sohnes um einen Mangel nicht zurechnen. Habe der Verkäufer Anlaß zu Rückfragen gehabt, so sei er fahrlässig gewesen. Einem Unternehmen will er in einem solchen Fall hingegen ceteris paribus das Wissen zurechnen. Eine solche Unterscheidung läßt sich jedoch nicht mit dem Begriff "organisationsbedingte Wissensaufspaltung" begründen. In beiden Fällen kann nämlich die Wissensaufspaltung organisationsbedingt sein, in beiden Fällen kann dies aber auch nicht der Fall sein. Hat der Mitarbeiter des Unternehmens sein Wissen privat erworben, so ist die Wissensaufspaltung nicht organisationsbedingt. Hingegen kann die Wissensaufspaltung auch im familiären Bereich auf der Nutzung der Vorteile der Arbeitsteilung beruhen, somit organisationsbedingt sein. So mag die Ehefrau als Vertreterio des Ehemannes das Auto erworben haben und dabei über die Mängel aufgeklärt worden sein. Es fehlt hier zwar an einer Organisation, doch ist die Wissensaufspaltung auf die Nutzung einer arbeitsteiligen Struktur zurückzufiihren. Ein Merkmal "organisationsbedingte Wissensaufspaltung" kann jedoch sinnvollerweise nichts anderes bedeuten als arbeitsteilig bedingte Wissensaufspaltung. Organisationen an sich bedingen keine Wissensaufspaltung. Zur Wissensaufspaltung kommt es durch Arbeitsteilung. Arbeitsteilung wiederum ist nicht an feste Strukturen gebunden, auch die gewöhnliche Stellvertretung ist bereits Arbeitsteilung. Nicht beantwortet ist daher die Frage eines möglichen Widerspruchs zwischen der von Canaris vorgeschlagenen Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter und§ 166 ll BGB.
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Teil I!: Zurechnung von Wissen
Gleichstellungsargument für einen wesentlichen Teilbereich, die Fälle, in denen die arbeitsteilige Struktur eine arbeitsteilige Leistung erbringt, typischerweise nicht gilt. 591 Aber auch wenn man von diesem Einwand absieht, verhilft das Gleichstellungsargument nicht zur Lösung. In der arbeitsteiligen Struktur kommt es nicht nur, wie Canaris anzunehmen scheint, organisationsbedingt zur Wissensaufspaltung, sondern auch zur organisationsbedingten Wissensvermehrung. Zunächst gilt dies natürlich für das private Wissen der Hilfspersonen, das hier daher außer Betracht bleiben soll. In der arbeitsteiligen Struktur gibt es darüber hinaus eine absolut größere Menge an dienstlichem Wissen. In der Literatur wird vereinzelt argumentiert, daß die Vielzahl an Wahrnehmungsmöglichkeiten und damit das Mehr an Wissen nur die Vielzahl an Angelegenheiten ausgleicht, mit denen sich eine große Organisation zu beschäftigen hat. 592 An einem Beispiel soll die Problematik dieser Argumentation verdeutlicht werden. Ein Alleinunternehmer kauft und verkauft als Gebrauchtwagenhändler 100 PKW pro Jahr. Er entschließt sich zu expandieren und stellt eine Hilfsperson ein. Diese kümmert sich ausschließlich um den Einkauf, während der Geschäftsherr für den Verkauf verantwortlich ist. So können nun durch Arbeitsteilung 200 PKW pro Jahr verkauft werden. Es soll davon ausgegangen werden, daß die Eigentümer der Gebrauchtwagen, die diese an den Händler verkaufen, zur Hälfte wahrheitsgemäß über vorhandene Mängel aufklären. Durch die Arbeitsteilung kommt es dann zur Wissensaufspaltung, da der eine Hilfsperson einsetzende Geschäftsherr nicht mehr selbst das Wissen um die Mängel hat. Es kommt gleichzeitig zur Wissensvermehrung, da in der arbeitsteiligen Struktur das Wissen über die Mängel an 100 PKW statt über 50 PKW vorliegt. Das Mehr an Wissen gleicht hier tatsächlich nur das Mehr an Aufgaben aus, denn in der Organisation sind weiterhin die Mängel der Hälfte aller Fahrzeuge bekannt, nicht mehr und nicht weniger. Die Wissensvermehrung gleicht in dieser Konstellation also tatsächlich nur die Wissensaufspaltung aus. Eine kleine Abwandlung soll zeigen, daß dies nicht immer gilt. Der Geschäftsherr entschließt sich, weiter zu expandieren und dem Gebrauchtwagenhandel eine Reparaturwerkstatt anzuschließen, um sich gegen die Schwankungen im Gebrauchtwagengeschäft abzusichern. Zu diesem Zweck stellt er eine zweite Hilfsperson ein, die ausschließlich mit den Reparaturen beschäftigt ist. Der Geschäftsherr ist weiter für den Verkauf, die erste Hilfsperson für den Einkauf von Gebrauchtwagen zuständig. Die zweite Hilfsperson weiß natürlich, welche Fahrzeuge sie repariert hat. Wird nun eines der von ihr nach einem Unfall reparierten Fahrzeuge später an den Gebrauchtwagenhändler verkauft, vom
591
s. 0. s. 186 ff.
592 Medicus,
Karlsruher Forum 1994,4, 13.
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Voreigentümer aber nicht über den Mangel 593 aufgeklärt, so stellt sich die Frage, ob die Mangelkenntnis der zweiten Hilfsperson dem Händler für Einkauf und Verkauf zugerechnet werden kann. Zwar läßt sich auch hier argumentieren, daß ein Alleinunternehmer ebenfalls reparieren und mit Gebrauchtwagen handeln könnte, dann also das bei der Reparatur erworbene Wissen selbst hätte. Doch erhöht sich bei einer arbeitsteiligen Struktur die Wahrscheinlichkeit, daß ein ursprünglich repariertes Fahrzeug als Gebrauchtwagen erworben wird, und zwar sowohl durch die Zunahme der Zahl der Reparaturen als auch die Zunahme der Zahl der gehandelten Autos. Die absolut größere Menge an Wissen realisiert sich also mit höherer Wahrscheinlichkeit in Wissenssynergien. Es kommt zu einer organisationsbedingten Wissensvermehrung über die organisationsbedingte Wissensaufspaltung hinaus. In einer Stadt, in der es nur einen Gebrauchtwagenhändler gibt, der gleichzeitig auch die einzige Reparaturwerkstatt betreibt, wüßte dieser bei Zusammenrechnung des Wissens all seiner Hilfspersonen organisationsbedingt stets um alle durch Unfälle ausgelösten Mängel. Bei Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter käme es daher zu einer Besserstellung des jeweiligen Vertragspartners der arbeitsteiligen Struktur, da eine Einzelperson, die mit Gebrauchtwagen handelt und Wagen repariert, jedenfalls nicht immer wüßte. Diese Erwägung gilt generell. Sie gilt, wie schon aus dem Beispiel deutlich wird, in den Fällen arbeitsteiliger Leistungserbringung, in denen das Gleichstellungsargument gilt, und für den Fall, daß der Dritte Leistender ist. Ebenso würde für den Fall des Gutglaubenserwerbs nach § 892 BGB eine Zusammenrechnung des gesamten dienstlich erlangten Wissens in der arbeitsteiligen Struktur den Dritten wieder besser stellen, da sich auch hier die absolut größere Menge an Wissen realisieren kann. Auch im Fall des § 852 BGB würde der Dritte bei Zusammenrechnung des Wissens aller Hilfspersonen besser stehen, da sich durch die größere Zahl an "Wissensanspülstationen" bei einer arbeitsteiligen Struktur die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens relevanten Wissens erhöht. Mit einer Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter wird daher keine Gleichstellung erreicht, die Zusammenrechnung würde vielmehr zu einer Besserstellung des Dritten führen. Die von Canaris vorgeschlagene Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter kann daher, auch soweit das Gleichstellungsargument gilt, nicht überzeugen.
593 Bereits der durch einen Unfall begründete merkantile Minderwert ist ein Fehler, vgl. Palandt!Putzo, § 459 Rdnr. 27.
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Teil ll: Zurechnung von Wissen
c) Die praktische Unmöglichkeit, mit dem Gleichstellungsargument die Gleichstellung zu erreichen Da die beiden auf dem Gleichstellungsargument aufbauenden Lösungsvorschläge nicht überzeugen können, spricht manches dafiir, daß es unmöglich ist, tatsächlich mit dem Gleichstellungsargument eine Gleichstellung zu erreichen. Dies mag folgende, bereits bei der Lückenfeststellung angestellte Überlegung verdeutlichen: Eine Einzelperson verfUgt über das Wissen hinaus, das sie bei Durchfiihrung eines bestinunten Geschäfts erlangt, über weiteres, sonstiges Wissen. Dieses Wissen ist bei jeder Einzelperson verschieden. Es läßt sich daher nicht sagen, ob sich eine bestinunte Information, die eine arbeitsteilig eingesetzte HUfsperson erworben hat594, auch bei einer Einzelperson fmden würde. In der Regel läßt sich aber auch nicht ausschließen, daß eine Einzelperson die relevante Information hätte. Das Fehlen der Information bei der handelnden Hilfsperson mag daher durchaus organisationsbedingt sein. Dies genügte fiir die Lückenfeststellung. Für die Lückenausfiillung läßt sich mit Sicherheit lediglich sagen, daß in einer arbeitsteiligen Struktur quantitativ mehr Wissen ist als bei einer Einzelperson. Aus diesem Grund ist die Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter keine Gleichstellung. Die Überlegung zeigt auch, daß Medicus' Suche nach einem Vergleichsobjekt müßig ist. Wie gesehen, ist das richtige Vergleichsobjekt nicht die einzelne, fiir die arbeitsteilige Struktur handelnde Hilfsperson. Es ist aber auch nicht die Gesamtheit aller Hilfspersonen. Vielmehr liegt die Wahrheit in einer nicht definierbaren Mitte, in der sich organisationsbedingte Wissensaufspaltung und organisationsbedingte Wissensvermehrung ausgleichen.
5. Ergebnis Mit dem Gleichstellungsargument Jassen sich daher selbst in den Bereichen, in denen es gilt, keine klaren Zurechnungskriterien entwickeln. Es kann jedoch, wie üblich bei Prinzipien, einer Konkretisierung die Richtung weisen. 595 6. Zusammenfassung
In Rechtsprechung und Literatur wird das sog. Gleichstellungsargument, das verfassungsrechtlich begründete Gleichstellungsgebot, als Begründung fiir eine
594 Eine Zurechnung des privaten Wissens der Hilfspersonen scheidet auf der Grundlage des Gleichstellungsarguments jedenfalls aus, da die Zurechnung des privaten Wissens in jedem Fall zu einer Wissensvermehrung und nicht zum Ausgleich der Wissensaufspaltung führen würde. 595 Grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Gleichstellungsargument bei Koller, JZ 1998, 75, 77 ff.; ablehnend auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 123 ff.
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handlungsunabhängige Wissenszurechnung angeführt. Im einzelnen bestehen erhebliche Unterschiede in den Formulierungen des Gleichstellungsarguments. Der BGH formuliert, daß, wer es mit einer juristischen Person zu tun hat, nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen soll, als der, der es mit einer natürlichen Person zu tun hat. Zunächst ergibt sich aus dem Gesetz nicht die Gleichstellung der juristischen Person mit der natürlichen Person, sondern - insoweit auch sachlich überzeugend - die Gl_eichstellung der juristischen Person mit der natürlichen Person mit Hilfspersonen. Bei beiden handelt es sich um arbeitsteilige Strukturen. Das Gleichstellungsargument des BGH wäre also nur dann richtig, wenn es sich bei arbeitsteiliger Struktur und natürlicher Person um wertungsmäßig gleiche Tatbestände handelte. Soweit es um die Leistungserbringung geht, gilt das Gleichstellungsargumentjedoch nicht. Arbeitsteilige Leistungserbringung kann nämlich etwas anderes sein als Leistungserbringung durch eine natürliche Person, es fehlt dann an zwei wertungsmäßig gleichen Tatbeständen. Eine generelle Lösung über den Gleichheitssatz in der Form der Gleichstellung der arbeitsteiligen Struktur mit der natürlichen Person scheidet daher aus; das vom BGH suggestiv postulierte Gleichstellungsargument ist deshalb jedenfalls nicht allgemein gültig. Das Gleichstellungsargument in der Form der Gleichstellung der arbeitsteiligen Struktur mit der Einzelperson gilt aber im außerrechtsgeschäftliehen Bereich und im rechtsgeschäftliehen Bereich, sofern es nicht um die Fälle der Leistungserbringung geht. In diesen Fällen läßt sich mit dem Gleichstellungsargument auch eine Lücke fiir eine weitergehende handlungsunabhängige Wissenszurechnung feststellen. In der Literatur wird gelegentlich versucht, die Lücke direkt mit dem Gleichstellungsargument zu schließen. So will Medicus dem Geschäftsherrn neben dem dienstlich erworbenen Wissen der handelnden Hilfsperson das Wissen anderer Personen zurechnen, sofern ein Anlaß fiir den Handelnden besteht, es abzurufen. Auch bei der Einzelperson sei Gegenstand der Feststellung, daß Wissen vorliege, nicht die innere Tatsache realen Wissens, sondern dessen wahrscheinliches Vorliegen unter typischen Verhältnissen. Er sieht also eine Auflösung des Kennens hin zum Kennenmüssen. Eben dies sei auf Organisationen anzuwenden. Dies kann jedoch aus zwei Gründen nicht überzeugen. Zum einen ist der Wissenbegriff von Medicus fiir die Einzelperson nicht richtig. Eine Analyse verschiedener Kenntnisnormen ergibt vielmehr, daß es keinen einheitlichen Begriff der Kenntnis bei der Einzelperson gibt. Insbesondere ist auch keine generelle Auflösung des Kenntnisbegriffs in Richtung auf ein Kennenmüssen auf materiellem oder prozessualem Weg zu beobachten. Die Übertragung eines falschen Kenntnisbegriffs kann dann natürlich nicht zu richtigen Ergebnissen fiihren. Zum anderen wählt Medicus bei seiner Gleichstellung das falsche Ver14 Baum
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Teil II: Zurechnung von Wissen
gleichsobjekt. Er überträgt nämlich seinen Wissensbegriff für die Einzelperson nicht, wie eigentlich erforderlich, auf die arbeitsteilige Struktur, sondern auf den jeweils für die arbeitsteilige Struktur Handelnden. Auch Canaris sucht eine Lösung über das Gleichstellungsargument Es sei ein Gerechtigkeitsgebot, das arbeitsteilige Unternehmen nicht gegenüber dem Einzelunternehmer zu privilegieren. Daher müsse das Wissen aller Wissensvertreter zusammengerechnet werden. Canaris verkennt jedoch, daß es durch Arbeitsteilung nicht nur zur Wissensaufspaltung, sondern auch zur Wissensvermehrung kommt. Mit einer Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter wird also keine Gleichstellung erreicht, die Zusammenrechnung würde vielmehr zu einer Besserstellung des Dritten, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, führen. Wegen dieser arbeitsteilig bedingten gleichzeitigen Wissensvermehrung und Wissensaufspaltung, die sich im Einzelfall nicht trennen Jassen, scheidet schließlich generell eine Lösung über das Gleichstellungsargument aus.
IV. Wissenszurechnung als Vertrauenshaftung Über den Vertrauensschutz wollen Grunewald596, Taupitz597 und auch W. Schultz598 das Problem der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung lösen.599 Im "Altlastenfall" 600 hat sich der V. Zivilsenat des BGH jüngst Taupitz
596 FS Beusch, S. 301 ff. 597 Karlsruher Forum, 16 ff. In seinem Beitrag in der FS E. Lorenz, S. 673, 688 f. beruft sich Taupilz für das Kriterium der ordnungsgemäß organisierten Organisation bzw. Kommunikation auch auf eine Organisationspflicht aus § 242 BGB wegen Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereiches. 598 BGH NJW 1996, 1392 ff; vgl. auch NJW 1997, 2093 f. 599 Grunewald, FS Beusch, S. 301 ff. und Taupitz, Karlsruher Forum, 16 ff. fragen, worauf der Dritte "vertraut" bzw. was seine "berechtigten Erwartungen" sind; letzteres ist nur eine andere Formulierung für das Vertrauen (vgl. Larenz, AT, S. 43 f., der als Test des Vertrauens ebenfalls danach fragt, was die berechtigten Erwartungen sind). Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26 und Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, 1393 f. führen auch noch § 166 II BGB an. Doch dient der Vertrauensgedanke der Erweiterung des § 166 II BGB auf die angeblich einer Weisung vergleichbaren Fälle des Unterlassens der Verschaffung von Information (vgl. Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26; Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, 1393). § 166 II BGB hat also nur die Funktion, die Lösung im Gesetz zu verankern. 600BGHNJW 1996,1339,1341.
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in Ergebnis und Begründung angeschlossen. 601 Der Dritte, der es mit einer Organisation zu tun habe, vertraue darauf, daß das Wissen der für die Organisation handelnden Hilfsperson jener zugerechnet werde. 602 Nach Grunewald und Taupitz vertraut er darüber hinaus darauf, daß die Informationen präsent sind, die in einer ordnungsgemäß organisierten Organisation des gegebenen Zuschnitts für die handelnde Hilfsperson verfügbar sind. 603 Er vertraue also auf eine ordnungsgemäße Organisation.604 Der Organisation sei daher auch das Wissen zuzurechnen, das in einer ordnungsgemäß organisierten Organisation für die handelnde Hilfsperson verfiigbar gewesen wäre.605 Nach W. Schultz darf der Geschäftspartner darauf vertrauen, daß der Vertreter, mit dem er verhandeln und abschließen soll, voll informiert ist. 606 Der Vertretene sei daher dafür verantwortlich, daß dem Vertreter die Wissensspeicher des Unternehmens zur Verfügung stehen und die erforderlichen Daten im konkreten Fall auch abgerufen werden. 607 Auch W. Schultz geht also vom Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Organisation aus. Unter Organisation versteht Grunewald jede arbeitsteilige Struktur, also auch eine Einzelperson mit mehreren Vertretern. 608 Taupitz möchte das Prinzip der ordnungsgemäß organisierten Organisation zumindest nicht auf die Einzelperson mit mehreren Vertretern anwenden. 609 W. Schultz will seine Zurechnungskonzeption auf Unternehmen anwenden. 610 Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist die Ansicht Grunewalds vorzugswürdig, da es sich bei der Frage einer möglichen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung um ein allgemeines Problem des arbeitsteiligen Einsatzes von HUfspersonen Die Zurechnungskonzeption des "Altlastenfalls" wird in BGH NJW 1997, 1917 ff. vom XI. Zivilsenat bestätigt. 602 Grunewald, FS Beusch, S. 301 , 311, 313, dies ist ein Problem der handlungsabhängigen Wissenszurechnung, vgl. zu dieser S. 49 ff. 603 Grunewa/d, FS Beusch, S. 301, 311 (für Vertreter), 313 (für Hilfspersonen, die keine Vertreter sind); Taupitz, Karlsruher Forum, 16, 26. 604 Taupitz, Karlsruher Forum, 16, 26. 605 Grunewa/d, FS Beusch, S. 301, 320; Taupitz, Karlsruher Forum, 16, 25 f. Dafür, daß ein Dritter sich darauf verlassen kann, daß vorhandene Kenntnisse in einer ordnungsgemäßen Organisation verfügbar und abrufbar gehalten werden, auch Scheuch (Anm. zu BGH LM § 166 Nr. 35 BI. 4). Den Vertrauensgedanken hält auch Pfeiffer für ein entscheidendes Kriterium der Wissenszurechnung (BGH EWiR § 166 1/96, 635, 636 (Pfeiffer). 606 NJW 1996, 1392, 1393. 607 Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, 1394 und NJW 1997, 2093, 2094. 608 FS Beusch, S. 301, 313 Fn. 43; vgl. auch ihre Anmerkung zu BGH LM § 463 Nr. 62. 609 Karlsruher Forum, 16, 26. 610 BGH NJW 1996, 1392, 1393. 601
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Teil li: Zurechnung von Wissen
handelt. Es wird sich jedoch zeigen, daß es auf eine Entscheidung zwischen den Auffassungen Grunewalds, Taupitz' und W. Schultz' nicht ankommt. Das Vertrauensprinzip ist eines der Kernprinzipien des Privatrechts. 611 In der Allgemeinheit des Prinzips liegt die Gefahr, daß es undifferenziert zur Begründung eines gewünschten Ergebnisses verwendet wird. Canaris hat in seiner grundlegenden Monographie "Die Vertrauenshafumg im deutschen Privatrecht" ein System für einen wesentlichen Teil der Vertrauenshafumg, die Fälle der "Vertrauensentsprechung", entwickelt.612 Um "Vertrauensentsprechung" im Gegensatz zu bloßem Ersatz des Vertrauensschadens613 geht es auch hier, da Grunewald614, Taupitz615 und W. Schultz616 den Dritten so stellen wollen, als sei die Organisation ordnungsgemäß organisiert und eine entsprechende Information daher verfügbar, d. h. bekannt, gewesen. Canaris unterscheidet zwei Gruppen der Vertrauenshafumg durch "Vertrauensentsprechung", die Rechtsscheinhaftung617 und die Vertrauenshafumg kraft rechtsethischer Notwendigkeit gemäß § 242 BGB618 . Die Rechtsscheinhaftung setzt voraus, daß sich der Vertrauenstatbestand auf eine Rechtslage bezieht.619 Bei dem Umstand, ob eine ordnungsgemäße Organisation vorliegt, handelt es sich um eine Tatsache. Die Rechtsscheinhaftung kann daher im folgenden außer Betracht bleiben. Bei der Vertrauenshaftung gemäß § 242 BGB kann sich das Vertrauen hingegen auch auf einen tatsächlichen Umstand beziehen.620 Von dieser ist deshalb hier auszugehen. Die Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit beruht auf den traditionellen Ausprägungen der Gebote von Treu und Glauben, insbesondere auf dem Rechtsgedanken über den dolus praeteritus - Haftung für "vergangene Arglist"- und dem Verbot des venire contrafactum proprium621 •622 Anders als
611 Vgl. Larenz, AT, S. 43 ff.; grundlegend v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens, passim und Canaris, Vertrauenshaftung, passim. 612 An dem von Canaris erarbeiteten System orientiert sich die folgende Darstellung. 613 Vgl. fiir diese Unterscheidung nach der Rechtsfolge des Vertrauens Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5 f. 614 FS Beusch, S. 301 ff. 6IS Karlsruher Forum 1994, 16 ff. 616 NJW 1996, 1392 ff. 617 Vertrauenshaftung, S. 9 ff. 6l8 Vertrauenshaftung, S. 273 ff. 619 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 496. 620 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 326 Fn. 65. 621 Vgl. zu diesemjüngst Singer, Widersprüchliches Verhalten, passim. 622 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 529.
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bei der Rechtsscheinhaftung hält Canaris die Bildung eines abschließenden Tatbestandes und die Entwicklung eines festen Systems bei der Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit grundsätzlich nicht für möglich. Über die Bildung offener Tatbestände und eines beweglichen Systems sei nicht hinauszugehen.623 Es spielen aber auch hier die allgemeinen Merkmale der Vernauenshaftung eine Rolle. Diese ermöglichen insbesondere ohne weiteres die negative Entscheidung, daß in einem bestimmten Fall ein Anspruch aus Vertrauenshaftung nicht gegeben ist, weil eine der unerläßlichen Mindestvoraussetzungen nicht erfilllt ist. 624 Es soll daher zunächst geprüft werden, ob diese allgemeinen Merkmale der Vertrauenshaftung vorliegen. Allgemeine Voraussetzungen sind ein Vertrauenstatbestand, d. h. ein Sachverhalt, der geeignet ist, Vertrauen in eine bestimmte Richtung zu erwecken, ein schutzwürdiges Vertrauen, die Zurechenbarkeit des Vertrauenstatbestandes und eine Vertrauensinvestition. 625 Erforderlich ist auch die Kausalität zwischen Vertrauen und Vertrauensdisposition. 626
1. Vertrauenstatbestand: ordnungsgemäße, ideale Organisation Als Vertrauenstatbestand kommt grundsätzlich jeder Sachverhalt in Betracht, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu erwecken.627 Vertrauenstatbestand kann daher auch eine natürliche Tatsache628 sein, so z. B., daß eine arbeitsteilige Struktur ordnungsgemäß organisiert ist. 629 Der Vertrauenstatbestand kann von unterschiedlicher Stärke sein. Um einen definierbaren Tatbestand muß es sich jedoch in jedem Fall handeln. Es stellt sich daher die Frage, ob es so etwas wie die ordnungsgemäße Organisation überhaupt gibt. Grunewald selbst räumt ein, daß es nicht einfach sein wird festzustellen, wie eine ordnungsgemäße Organisation aussieht. 630 Über die ordnungsgemäße Organisation hinaus ist in der Literatur, wenngleich nicht im Zusammenhang mit
623 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 529; vgl. aber fiir die Haftung wegen do/us praeteritus S. 530. 624 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 530. 625 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 490 ff., 491. 626 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 514. 627 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 491. 628 Bei der Rechtsscheinhaftung muß sich hingegen das Vertrauen auf das Bestehen einer bestimmten Rechtslage beziehen (siehe gerade). 629 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 496; vgl. auch S. 325, 326 Fn. 65 ausdrücklich dafiir, daß sich das Vertrauen auch darauf beziehen kann, daß ein Geschäftsbereich ordnungsgemäß organisiert ist. 63 0 Grunewald, FS Beusch, S. 301,311.
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Teil TI: Zurechnung von Wissen
dem Vertrauensgedanken, sogar von einer idealen Organisation, die zu gewährleisten sei, die Rede.63t Die betriebliche Organisationslehre ist eines der Hauptgebiete der Betriebswirtschaftslehre. Die dort gewonnenen Erkenntnisse mögen daher bei der Definition dessen, was die ordnungsgemäße oder ideale Organisation ist, von Nutzen sein. Bei der Organisation einer arbeitsteiligen Struktur handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung, einen Gestaltungsakt.632 Ob und inwieweit eine arbeitsteilige Struktur und deren interner Informationsaustausch organisiert wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Es lassen sich hier Gestaltungsbedingungen und Gestaltungsziele unterscheiden. 633 Jene gliedern sich in externe und interne Bedingungen. Als externe Bedingungen werden die Rechtsnormen634 und die herrschenden Marktbedingungen genannt. 635 Unter dem Stichwort "Marktbedingungen" verbirgt sich ein Bündel von Faktoren, insbesondere aber geht es um die Stabilität des Marktes.636 Je dynamischer ein Markt ist, um so größer wird die Delegation von Kompetenzen und um so ungebundener die Kommunikation. 637 So erfordert ein dynamischer Markt wie der der Softwareentwicklung einen hohen Grad an Flexibilität der Mitarbeiter, eine möglichst dezentrale Organisation und entsprechend eine umfassende Versorgung auch unterer Hierarchieebenen mit Information. Ein statischer Markt wie der der Erbringung von Leistungen durch den Staat erfordert weniger Flexibiltät, dafür möglicherweise mehr hierarchische Kontrolle zur Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsvergabe. Als interne Bedingungen werden die Mitarbeiterqualifikation und die Technologie genannt. 638 Höher qualifizierte Mitarbeiter ermöglichen und erfordern den Abbau detaillierter Organisationsvorschriften, die Kompetenzverlagerung auf untere Hierarchieebenen und eine entsprechende Informationsstruktur, während
631 Canaris, Karlsruher Forum 1994, 34. 632 Vgl. Frese, Organisation, S. 273. 633 Vgl. z. B. Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 6 f. 634 Ein Beispiel fiir den Einfluß der Rechtsordnung auf die Organisationsstrukur findet sich bei Warnecke, in: Mehrwert Information, S. 227, 232. Es bestehe eine abnehmende Toleranz des Gesetzgebers gegenüber Fehlern bei der Produktherstellung. Daher müsse der Informationsfluß bei der Entwicklung und Herstellung des Produkts verbessert werden. 635 Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 6 f. 636 Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 6. 637 Frese!v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 6. 638 Vgl. Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 6.
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schlechter qualifizierte Mitarbeiter ein größeres Maß an Leitung nötig machen. 639 Davon unabhängig mag eine Begrenzung des Informationsflusses angezeigt sein, um einen Mißbrauch von Informationen durch Mitarbeiter zu vermeiden.640 Die Rolle der Technologie hat sich durch die Fortschritte in der Informationstechnologie gewandelt. Es ist zwischenzeitlich beinahe jede organisatorische Gestaltung möglich. Die Informationstechnologie ist daher keine eigentliche Bedingung mehr, sie eröffnet vielmehr Gestaltungsoptionen. 641 Unternehmerische Gestaltung erfolgt mit Blick auf angestrebte Ziele.642 Es hat sich ergeben, daß die Bewertung unterschiedlicher Gestaltungsalternativen nach Maßgabe des allgemeinen Unternehmensziels, etwa der Steigerung des Gewinns, nicht möglich ist. 643 Es werden daher Subziele eingeführt. Die eigentliche Problematik der Subziele wird darin gesehen, daß sie sich nicht logisch aus dem unternehmerischen Gesamtziel ableiten lassen. Ihre Einfiihrung beruhe daher auf der Erfahrung des Beurteilenden oder auf der unternehmenspolitischen Fixierung bestimmter Subziele.644 Als Subziele werden genannt: (1) die möglichst vollkommene Nutzung der vorhandenen Ressourcen ("Wirtschaftlichkeit''); (2) die Berücksichtigung kritischer Interdependenzen ("Bereichsabstimmung"); (3) die schnelle Reaktion auf Veränderungen im Entscheidungsfeld ("Dispositionsfähigkeit"); (4) die Sicherung zielkonformer Verhaltensweisen ("Motivation"). 645 Als strategische Zielsetzung wird darüber hinaus zunehmend die Kundennähe erkannt.646 Dahinter steht die Idee, entscheidende Wettbewerbsvorteile durch Kundenorientierung zu gewinnen. Die Nachfrage der Kunden soll durch ein kundennahes Absatzprogramm möglichst individuell, umfassend und kompetent befriedigt werden. Kundennahe Unternehmensprozesse kommen dadurch zum Ausdruck, daß die Deckung des Kundenbedarfs möglichst schnell, preiswert und bei Bedarfsänderung flexibel erfolgt.647 Die Kun-
639 Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 7. 640 Dieses Problem wird sich v. a. bei wissensintensiven Produkten wie z. B. Beratungsdienstleistungen stellen. Die praktische Bedeutung dieses Problems belegte eindrücklich die Auseinandersetzung zwischen Volkswagen und General Motors um die Umstände des Wechsels von Lopez. 641 Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 7. 642 Vgl. Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 7. 643 Frese!v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 7. 644 Frese!v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 7. 645 Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 8. 646 Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. I, 8; vgl. auch die Unternehmensberichte im Sonderheft 25, 1989 der ZfbF zum Thema "Kundennähe durch moderne Informationstechnologien". 647 Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 19.
Teil II: Zurechnung von Wissen
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dennähe dient im Rahmen der Gestaltwlgsziele einerseits der relativen Gewichtwl.g der konfliktären Subziele und ist andererseits auch selbst Subziel.648 Trotz Festlegung der Subziele bestehen aber erhebliche Gestaltw1gsalternativen.649 In der Betriebswirtschaftslehre wird immer wieder die Schwierigkeit von Organisationsentscheidungen aufgrund der skizzierten Komplexität der Entscheidung betont. 650 In mehrdeutigen Problemsituationen könne die Organisationsentscheidung den Charakter der Beliebigkeit haben. 651 Bisweilen ist gar die Rationalität der praktischen Organisationsentscheidung überhaupt bezweifelt worden. 652 Die modernen Informationstechnologien haben die Schwierigkeit der Organisationsentscheidung noch erhöht und eine lebhafte Diskussion über die unternehmensinternen Auswirkungen und den Einsatz der Technologie zur Realisierung der Unternehmensziele ausgelöst. 653 Die schon revolutionären Auswirkungen werden unter Stichworten wie "business process reengineering", "Geschäftsprozeßorientierung", "Kerngeschäftspositionierung", "Verfiigbarkeit aus einer Hand", "Vorgangsorientierung", "Aufgabenintegration", "Abflachung der Hierarchie", "lean production", "lean management" und "total quality management" diskutiert. 654 Unter dem Gesichtspunkt der Realisierung der Unternehmensziele werden die Möglichkeiten der Rationalisierung operativer Prozesse und die Frage der Informationstechnologie als "strategischer Waffe", die entscheidende Wettbewerbsvorteile verspricht, erörtert. 655 Betont wird, daß die Lösung, möglichst großzügig mit der Informationsverarbeitwl.g und -Speicherung umzugehen, in die falsche Richtwlg führe. Erforderlich sei es, Abläufe und Systeme so zu gestalten, daß sie möglichst wenig Informationsverarbeitwlg erforderten, Information also als eine Kostenart wie Lohn und Material zu erfassen. 656 Auch sei es ein Trugschluß, zu meinen, daß mit dem Einsatz rechnergestützter Informationssysteme die Organisationsstruktur und die betrieblichen Abläufe automatisch verbessert werden könnten. Die vorhandenen Abläufe und Strukturen würden dadurch eher zementiert als verbessert. Eine Neuanpassung
648 Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. l, 8. 649 Für den Fall der Kundenorientierung Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 18 ff. 65 Frese, Organisation, S. 275. 651 Frese, Organisation, S. 275. 652 Zaleznik in: Dalton/Barnes/Zaleznik, Authority, S. 1 ff. 653 Vgl. die Nachweise bei Freselv. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 2. 654 Vgl. z. B. Szyperski/Pulst, Der Erfolg, passim; Picot/Reichwald, Zffi 64 (1994),
°
547 ff.
655 Vgl. den Sammelband zum Kongreß "Mehrwert Information", Hrsg. Organisationsforum Wirtschaftskongress (OFW). 656 Warnecke, in: Mehrwert Information, S. 227,235.
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oder kontinuierliche Verbesserung der Abläufe werde so auf lange Sicht unbezahlbar.657 Schon die Wahl der Begriffe "ideale" oder "ordnungsgemäße" Organisation ist daher verfehlt. Selbst wenn man die Wahl der Struktur der Organisation ausschließlich entsprechend den Interessen des Vertragspartners trifft (Kundenorientierung), gibt es keine ideale oder ordnungsgemäße Organisation. So kann ein Mehr an Informationsaustausch die Erbringung der Leistung teurer oder schlechter, inflexibler oder gar unmöglich machen. Da es die ordnungsgemäße Organisation nicht gibt, ist sie aber kein geeigneter Vertrauenstatbestand. Darüber hinausgehend stellt sich die Frage, was die ordnungsgemäße oder ideale Organisation ist, weder der Rechtsanwendung noch der Rechtswissenschaft. Bei der Wahl der Organisationsstruktur handelt es sich, wie vom BGH658 und der Literatur659 betont wurde, um eine Entscheidung, die in das Belieben dessen gestellt ist, der sich organisiert. Die Rechtsordnung kann lediglich Mindestanforderungen an die Gestaltung der Kommunikation stellen. Diese beeinflussen dann als externe Gestaltungsbedingungen i. S. der Betriebswirtschaftslehre die Wahl der Organisationsform. 660 Auch Grunewald scheint unter der Ordnungsmäßigkeit der Organisation möglicherweise lediglich die Einhaltung eines Mindestmaßes an Organisation zu verstehen. So meint sie, daß eine Definition dessen, was bei einer ordnungsgemäßen Organisation an Kenntnissen vorhanden und verfügbar sein muß, stets dann geleistet werden muß, wenn eine Norm dem Kennen das Kennenmüssen gleichstellt. 661 Es geht dann um die Frage, welcher Grad von Nichtorganisation als fahrlässig zu betrachten ist. Für die Beantwortung dieser Frage bietet der Vertrauensgesichtspunkt keinen Anhaltspunkt, da er in dieser Anwendungsform voraussetzt, daß ein bestimmtes Mindestmaß an Organisation gefordert ist. Insofern ist das Kriterium der ordnungsgemäß organisierten Organisation gestützt auf den Vertrauensgedanken zirkulär. Es setzt die Antwort auf die Frage, die es stellt, bereits voraus. Der Vertrauensgedanke soll begründen, daß Wissen zugerechnet wird, das in einer ordnungsgemäß organisierten Organisation verfügbar wäre, er setzt aber voraus, daß aus anderen Gründen bereits feststeht, daß die Organisation in bestimmter 657 Warnecke, in: Mehrwert Information, S. 227, 237.
658 So ausdrücklich in BGH NJW 1992, 1754 bei der Frage der Verjährung von Baumängeln (vgl. fiir BGH NJW 1992, 1754 ausfuhrlieh unten S. 240 ff.). 659 Hersehe/, Anm. AR-Blattei, Kündigung VIII Entsch. 31. 660 Trotz der Festlegung von Mindestanforderungen bleibt die tatsächliche Ausgestaltung der Organisation weiterhin in das Belieben dessen gestellt, der sich ihrer bedient. Er muß bei Nichterfiillen der Mindestanforderungen nur ggf. die Konsequenzen tragen, sich also als wissend behandeln lassen, obwohl tatsächlich keine Kenntnis besteht. 661 Grunewald, FS Beusch, S. 301, 311.
218
Teil II: Zurechnung von Wissen
Weise organisiert sein muß. Bezieht sich das Vertrauen auf die Mindestorganisation, so bedarf man des Vertrauensgedankens nicht, um die Zurechnung zu begründen. Die Einhaltung des Mindeststandards wird bereits durch die Kriterien gefordert, die den Mindeststandard festlegen. Ein selbständiger Anwendungsbereich für die Vertrauenshaftung bei der Zurechnungsbegründung bleibt wohl nur, wenn man daran anknüpft, daß arbeitsteilige Strukturen gewöhnlich in irgendeiner Form den Informationsaustausch organisiert haben und diese Organisation auch funktioniert. Hierauf wird der Dritte vertrauen. Angesichts der Vielfalt der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Positionen zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung werden die Vorstellungen reichlich diffus sein. Nach alldem handelt es sich nur um einen schwachen Vertrauenstatbestand. 2. Schutzwürdiges Vertrauen
Als zweite allgemeine Voraussetzung wurde das Vorliegen schutzwürdigen Vertrauens genannt.662 Angesichts der zahlreichen, erheblich voneinander abweichenden Konzeptionen zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung in Rechtsprechung und Literatur kann man fragen, ob zumindest ein juristisch vorgebildeter Dritter überhaupt noch auf irgend etwas vertrauen darf. Entscheidend ist jedoch nicht das Vertrauen auf die Rechtslage, sondern auf die tatsächliche Organisation der Information bei einer arbeitsteiligen Struktur. Man wird zumindest typisierend davon ausgehen können, daß der Dritte, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, hinsichtlich einer Organisation der Kommunikation gutgläubig663 ist, also nicht weiß, daß die Struktur Information nicht organisiert hat. Der gute Glaube wird in diesen Fällen vermutet. 664 Es soll dahingestellt bleiben, ob in einem Fall, in dem der Dritte weiß, daß in einer Organisation keinerlei Maßnahmen zur Sicherstellung eines Informationsaustauschs getroffen wurden, auch der Vertrauensschutz entfallen, d. h. die arbeitsteilige Informationsaufspaltung nicht kompensiert würde.
662 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 503 fi. Canaris (S. 503 f.) hält es fiir möglich, auf eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung zu verzichten und typisierend zu verfahren. Da das Vertrauen hier nur innerhalb eines spezifisch juristischen Zusammenhangs relevant ist, seien nicht allein psychische, sondern auch juristisch normative Kriterien maßgeblich. 663 Der gute Glaube ist der erste Bestandteil des schutzwürdigen Vertrauens, vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 504 fi. 664 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 506 f.
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Zusätzlich zum guten Glauben ist positiv die Kenntnis des Vertrauenstatbestandes erforderlich.665 Man wird typisierend auch davon ausgehen können, daß derjenige, der es mit einer Organisation zu tun hat, weiß, daß diese Kommunikation organisiert. Der Dritte, der es mit einer Organisation zu tun hat, vertraut demnach darauf, daß diese einen Informationsaustausch organisiert. Es soll davon ausgegangen werden, daß dieses Vertrauen schutzwürdig ist. Auch das Vertrauen ist also schwach, da es lediglich typisierend festgestellt werden kann. Weil sowohl Vertrauenstatbestand als auch Vertrauen schwach sind, kommt den beiden anderen Voraussetzungen, der Zurechenbarkeit des Vertrauenstatbestands und der Vertauensinvestition, erhebliche Bedeutung zu.666
3. Zurechenbarkeit
Der Vertrauenstatbestand muß dem mit der Hafumg Belasteten zurechenbar sein. 667 In Betracht kommt eine Zurechenbarkeit nach dem Verschuldens- oder dem Risikoprinzip. 668 Bei der Vertrauenshafumg kraftrechtsethischer Notwendigkeit gemäß § 242 BGB steht das Verschuldensprinzip im Vordergrund. 669 a) Dolus praeteritus Eine erhöhte Zurechenbarkeit liegt im Fall des dolus praeteritus, der "vergangenen" Arglist, vor. 670 An die übrigen Anforderungen des Vertrauenstatbestandes, insbesondere die Vertrauensinvestition, sind dann keine besonderen Anforderungen mehr zu stellen. 671 Fraglich ist also, ob in der Schaffung einer Organisation mit weniger als dem in der Regel erwarteten Informationsaustausch oder im Versagen einer Organisation mit der Folge, daß eine Information nicht verfiigbar ist,672 ein vorangegangenes arglistiges Verhalten gesehen werden kann. Die Annahme von do/us praeteritus scheidet im Fall des Versagens der Organisation mit der Folge, daß eine Information nicht verfügbar ist, bereits
Canaris, Vertrauenshaftung, S. 507 ff. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung S. 530. 667 Zur Zurechenbarkeit allgemein und besonders mit Blick auf die Vertrauenshaftung, Canaris, Vertrauenshaftung, S. 467 ff. 668 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 476 ff.; zum Verbot widersprüchlichen Verhaltens, Singer, Widersprüchliches Verhalten, S. 358. 669 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 476,517. 670 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 277. 671 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 278, 530. 672 Vgl. für letztere Konstellation den "PKW-Fall", BGH NJW 1996, 1205 (vgl. S. 110 ff.), und den "Versicherungsanstaltsfall", BGH BJW 1992, 1755 (vgl. S. 100 ff.). 66 5
666
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auf den ersten Blick zweier Gründe wegen aus. Zum einen hat der Geschäftsherr bei Versagen der Organisation in einem konkreten Fall den Dritten nicht durch vorangegangene arglistige Täuschung zur Aufnahme von Beziehungen bewegt; die Organisation an sich erfiillt ja die Mindestanforderungen. Das Verschulden ist daher zumindest nicht praeteritus. Darüber hinaus kann man auch nicht von dolus sprechen. Trotz der Auflösung des Begriffs der Arglist hin zum bedingten Vorsatz und zur bewußten Fahrlässigkeit673 durch Figuren wie die "Behauptung ins Blaue hinein" oder das Verschweigen auf gut Glück" genügt jedenfalls einfache Fahrlässigkeit nicht fiir die Arglist. Das Verhalten der Hilfspersonen bei Versagen der Organisation begründet aber in der Regel keinen schweren Fahrlässigkeitsvorwurf. So waren im "PKW-Fall" 674 das verspätete Ausfiillen der "Gebrauchtwagenvereinbarung" und im "Versicherungsanstaltsfall" 675 die verspätete Information der Rechtsabteilung höchstens fahrlässig. 676 Aber auch fiir den ersten Fall, die von vornherein einen weniger als den erwarteten Informationsfluß sicherstellende Organisation, ist das Vorliegen von Arglist zweifelhaft. Wie gesehen, organisiert sich eine arbeitsteilige Struktur primär aus eigenem Interesse und aufgrund einer untemehmerischen Entscheidung. Wird weniger an Informationsstruktur geschaffen, als zu erwarten ist, so wird man in der Regel nur einen Fahrlässigkeitsvorwurf erheben können. Nur in Ausnahmefällen wird sich die geringe Informationsorganisation auf ein arglistiges Verhalten zurückfUhren lassen, so ggf. in dem Fall, daß überhaupt keine Organisation erfolgt. Diese Ausnahmefälle können aber nicht die generelle Geltung des vorgeschlagenen Prinzips der Wissenszurechnung über den dolus praeteritus begründen. Über dolus praeteritus läßt sich mithin die Zurechenbarkeit nur in seltenen Ausnahmefällen begründen. b) Risikozurechnung Für die Vertrauenshaftung kraft widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB genügt u. U. auch die Zurechnung des Vertrauenstatbestandeskraft Risikozurechnung. 677 Wie gesehen kann man auf die Nichtschaffung der erwarteten Organisation und das Versagen der geschaffenen Organisation möglicherweise einen Fahrlässigkeitsvorwurf stützen. Jedenfalls greift das Risikoprinzip.678 Wer eine Organisation arbeitsteilig einsetzt, schaffi den Vertrauenstatbestand, daß die arbeitsteilige Struktur den Informationsaustausch sicherstellt. Mit 673 Vgl. oben S. 197. 674 BGH NJW 1996, 1205. 675 BGHNJW 1992, 1755. 676 Dieses Verhalten wäre dem Geschäftsherrn wohl über§ 278 BGB zuzurechnen. 677 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 481,517,529. 678 Vgl. zur Risikoschaffung ausfiihrlich sogleich S. 225 ff.
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Einsatz der arbeitsteiligen Organisation schafft er gleichzeitig die Gefahr von Informationssickenmgsverlusten und beherrscht diese auch, jedenfalls soweit es um die Sicherstellung eines Mindestmaßes an organisationsinternem Wissensausgleich geht. Wer eine Organisation schafft, muß sich daher das Risiko zuzurechnen lassen, daß die Organisation keinen Informationsaustausch garantiert, jedenfalls dieser nicht funktioniert. Der Vertrauenstatbestand ist daher zurechenbar. Es handelt sich allerdings um einen schwachen Zurechnungsgnmd.
4. Vertrauensinvestition Um eine Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit wegen widersprüchlichen Verhaltens zu bejahen, fordert Canaris in Fällen mit einem nur geringen Grad an Zurechenbarkeit eine Vertrauensinvestition ganz ungewöhnlichen Umfangs. Der Vertrauende müsse sich in seiner ganzen Lebensführung auf die vermeintliche Lage "eingerichtet" haben. 679 Der bloße Abschluß eines Vertrages soll niemals genügen. 680 In den vom BGH entschiedenen Fällen, in denen ein Dritter mit einer Organisation zu tun hatte und möglicherweise auf eine Informationsstruktur der Organisation vertraute, ging es regelmäßig nur um den Abschluß eines Vertrages, so im "Knollenmergelfall" 681 , in den "kanadischen Betrugsfällen" 682, im "PKW-Fal1" 683 und im "Altlastenfal1" 684• In keinem der Fälle ist von sozialen Fakten die Rede, die dafür sprechen würden, daß der Dritte sich in seiner ganzen Existenz685 auf die angebliche Sachlage, die Organisation des Informationsaustausches, eingelassen hätte. Die Wissenszurechnung kraft Vertrauenshaftung soll gerade nicht nur für extreme Fälle, sondern allgemein für die Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung herangezogen werden.
5. Kausalzusammenhang zwischen Vertrauen und Disposition Voraussetzung ist auch ein Kausalzusammenhang zwischen Vertrauen und Disposition.686 Das Vertrauen muß condicio sine qua non für die Disposition gewesen sein. Daran wird man in den Fällen einer möglichen handlungsunab-
679
Vertrauenshaftung, S. 511 f., 531; vgl. im einzelnen§§ 27-32 passim.
°Canaris, Vertrauenshaftung, S. 295, 511 f., 530 f.
68
BGH NJW 1992, 1099 (vgl. S. 107 ff.). BGH NJW 1989, 2879 (vgl. S. 103 ff.). 683 BGH NJW 1996, 1205 (vgl. S. 110 ff.). 684 BGH NJW 1996, 1339 (vgl. S. 328 ff.). 685 Vgl. hierfür Canaris, Vertrauenshaftung, S. 531 dort m. w. N. 686 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 514 ff. 681
682
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Teil li: Zurechnung von Wissen
hängigen Wissenszurechnung oft zweifeln können. Der Vertrauensschutz soll jedoch nicht an der als innerer Tatsache regelmäßig nur schwer beweisbaren Kausalität scheitern. Dem Vertrauenden wird daher mit einer Beweislastumkehr geholfen,687 die ihm auch fiir das Vertrauen auf die Organisation des Informationsaustausches zugute kommt. 6. Gesamtbewertung: Venire contrafactum proprium?
Auch bei Vorliegen der allgemeinen Merkmale ist nicht notwendig eine Vertrauenshaftung kraftrechtsethischer Notwendigkeit zu bejahen. Wie Canaris betont hat, läßt sich aufgrund der mangelnden Durchformung des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens vielmehr nur induktiv von Fallgruppe zu Fallgruppe voranschreiten. 688 Über das venire contra factum proprium werden nur extreme Fälle des Selbstwiderspruches erfaßt. 689 Entscheidend ist letztlich jeweils das Urteil über die Widersprüchlichkeit des Verhaltens. 690 Singer hat gefordert, daß die beiden Verhaltensweisen in einem negatorischen Verhältnis zueinander stehen müssen. 691 In den Fällen handlungsunabhängiger Wissenszurechnung besteht ein lediglich schwacher Vertrauenstatbestand, das Vertrauen ist nicht stark, auch besteht kein hoher Grad an Zurechenbarkeit, schließlich ist die Vertrauensinvestitionnur gering. Es besteht dann kein formaler Widerspruch i. S. eines negatorischen Verhältnisses zwischen der Teilnahme am Rechtsverkehr und der Nichtorganisation eines Informationsaustausches. In einem solchen Fall läßt sich nicht von einer rechtsethischen Notwendigkeit der Vertrauenshaftung sprechen. Die Vertrauenshaftung kann daher nicht die Zurechnung des Wissens begründen, das bei Bestehen der zu erwartenden Organisation der Kommunikation zur Verfiigung gestanden hätte.
7. Reichweite des Vertrauensgedankens Selbst wenn man schließlich die Begründung einer Wissenszurechnung über die Vertrauenshaftung fiir möglich hält, stellt sich die Frage, welche Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung von der Vertrauenshaftung erfaßt werden. Ein Problem scheinen Grunewald und Taupitz hierin nicht zu sehen. 692 Grunewald erklärt lapidar, die Grundsätze über die ordnungsgemäße OrganisaCanaris, Vertrauenshaftung, S. 516. Vertrauenshaftung, Zweiter Abschnitt, S. 288. 689 Für die Fälle des venire contra factum proprium als Grundlage der Vertrauenshaftung, Canaris, Vertrauenshaftung, §§ 27-30, passim. 690 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 531. 69 1 Widersprüchliches Verhalten, S. 49. 692 Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392 ff. scheint nur vom rechtsgeschäftliehen Bereich auszugehen. 687 688
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tion und Wissenszurechnung fänden auch im außerrechtsgeschäftliehen Bereich Anwendung.693 Taupitz beschränkt sich in der Formulierung seiner These auf die Wissenszurechnung bei Rechtsgeschäften. 694 Auf diese Beschränkung weist er jedoch nicht hin. Er diskutiert vielmehr die gesamte Rechtsprechung und Literatur. Der Gedanke der Vertrauenshaftung würde aber, selbst wenn er richtig wäre, nur eine Wissenszurechnung im rechtsgeschäftliehen Bereich begriinden können.695 Die Vertrauenshaftung ist Haftungkraft Teilnahme am rechtsgeschäftliehen Verkelir~ Das Problem der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung ist jedoch nicht auf den rechtsgeschäftliehen Verkehr beschränkt. Ein Großteil der Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung läßt sich daher prinzipiell nicht über die Vertrauenshaftung lösen. Für die Frage, ob ein Scheckaussteller einen Anspruch gegen eine Bank aus §§ 990, 989 BGB i.V. mit Art. 21 ScheckG hat, weil der Bank das Wissen eines nicht an der Hereinnahme des Schecks beteiligten Mitarbeiters zuzurechnen ist, hilft der Vertrauensgedanke nicht. Der Scheckaussteller vertraut beim Ausstellen des Schecks nur darauf, daß dieser nicht abhanden kommt. Ebensowenig vertraut der wahre Berechtigte auf den Informationsaustausch innerhalb der arbeitsteiligen Struktur, wenn eine arbeitsteilige Struktur vom Buchberechtigten ein dingliches Recht erwirbt und es nach § 892 BGB darauf ankommt, ob der arbeitsteiligen Struktur das Wissen einer am Erwerbsvorgang unbeteiligten Hilfsperson zugerechnet werden kann. Der wahre Berechtigte weiß zur Zeit des Erwerbs oft gar nicht um diesen. Schließlich vertraut der Schädiger im Moment der schädigenden Handlung697 nicht darauf, daß die fiir die Geltendmachung des Schadensersatzan-
693 FS Beusch, S. 301,317. 694 Vgl. These 3 "Einer eine rechtliche Einheit darstellenden Organisation ... sind ferner Kenntnisse von Personen, die an dem fraglichen Rechtsgeschäft, für das die Kenntnis relevant ist, nicht beteiligt sind ... ", Karlsruher Forum 1994, 16, 25. 695 Insofern konsequent Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, der nur eine Zurechnung von Wissen zum Vertretenen erörtert, ohne andere Fälle einer möglichen handIungsunabhängigen Wissenszurechnung auch nur zu erwähnen. 696 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 443; vgl. auch Martinek, JZ 1996,470,472. 697 Für einen möglichen Vertrauensschutz bei § 852 BGB läßt sich neben dem Moment der schädigenden Handlung auch auf den Zeitpunkt abstellen, in dem einem Mitarbeiter der arbeitsteiligen Struktur die relevante Information bekannt wird. Dann besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Schädiger und geschädigter arbeitsteiliger Struktur. Der Schädiger kann nun darauf vertrauen, daß die Informationen umgehend an die zuständige Stelle in der arbeitsteiligen Struktur weitergeleitet werden. Seine Vertrauensinvestition wäre z. B. die Auflösung von Rückstellungen, die er für den Ausgleich des Schadens gebildet hat, nach Ablauf von drei Jahren. Dieses Vertrauen
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Teil II: Zurechnung von Wissen
spruchs relevanten Informationen wegen einer internen Organisation des Informationsflusses umgehend an die richtige Stelle weitergeleitet werden, so daß der Anspruch in drei Jahren(§ 852 BGB) verjährt. Eine generell geltende, schlüssige Konzeption der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung kann daher nicht auf den Vertrauensgedanken gestützt werden. 698 Die fehlende Überzeugungskraft des Vertrauensgedankens fiir den außerrechtsgeschäftlichen Bereich sieht auch Grunewald. Ihrer Ansicht nach sei es aber nicht sachgerecht, daß die Organisation aus einer nicht ordnungsgemäßen Organisation Vorteile ziehe. 699 Stützt man die handlungsunabhängige Wissenszurechnung aber wie Grunewald auf den Vertrauensgedanken und greift dieser nicht ein, so scheint es eher sachgerecht, nicht zuzurechnen. 8. Zusammenfassung
Einige Stimmen in der Literatur stützen eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung auf den Vertrauensgedanken. Dem hat sich hat sich der V. Zivilsenat des BGH angeschlossen. Mit Abweichungen im Detail wird formuliert, daß der Geschäftspartner darauf vertraue, daß die Informationen präsent seien, die in einer ordnungsgemäß organisierten Organisation fiir die handelnde Hilfsperson verfiigbar seien. Zur Überprüfung dieses Vorschlags ist das System der Vertrauenshaftung, das Canaris erarbeitet hat, heranzuziehen. Da der Dritte so gestellt werden soll, als sei Wissen verfiigbar, handelt es sich um einen Fall der Vertrauensentsprechung im Gegensatz zum bloßen Ersatz des Vertrauensschadens. Weil es nicht um Rechtsscheinhaftung geht - das Vertrauen bezieht sich nicht auf eine Rechtslage, sondern lediglich auf eine Tatsache, nämlich das Vorliegen der ordnungsgemäßen Organisation - kommt nur eine Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit in Betracht. Allgemeine Voraussetzungen der Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit sind ein Vertrauenstatbestand, d. h. ein Sachverhalt, der geeignet ist, Vertrauen in eine bestimmte Richtung zu erwecken, ein schutzwürdiges Vertrauen, die Zurechenbarkeit des Vertrauenstatbestandes und eine Vertrauensdisposition.
kann sich auch dann aufbauen, wenn ein Schädiger nach Erwerb der regreßrelevanten Infonnationen durch eine Hilfsperson der arbeitsteiligen Struktur erfährt, daß es sich bei der Geschädigten um eine arbeitsteilige Struktur handelt. 698 Gegen eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Vertrauensgedanken auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 132 ff. 699 Grunewald, FS Beusch, S. 301, 317.
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Problematisch ist bereits das Vorliegen eines Vertrauensbestandes. Die Suche nach der ordnungsgemäßen oder idealen Organisation ist eines der Hauptgebiete der Betriebswirtschaftslehre. Insbesondere unter dem Einfluß der modernen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung gibt es aber die ordnungsgemäße oder ideale Organisation nicht. Bei der Organisation einer arbeitsteiligen Struktur handelt es sich um eine unternehmensehe Entscheidung, einen Gestaltungsakt. Diese wird von zahlreichen angestrebten Zielen und Subzielen geprägt und hängt letztendlich von der relativen Gewichtung dieser Ziele und Subziele ab. Da es die ordnungsgemäße Organisation nicht gibt, ist sie auch kein geeigneter Vertrauenstatbestand. Man kann lediglich von dem schwachen Vertrauenstatbestand ausgehen, daß in einer arbeitsteiligen Struktur der Informationsaustausch in irgendeiner Form organisiert wird. Es läßt sich typisierend von einem, wenn auch schwachen schutzwürdigen Vertrauen auf diese Organisation der Information ausgehen. Der Vertrauenstatbestand läßt sich in der Regel nicht über das stärkere Verschuldensprinzip, sondern nur über das schwächere Risikoprinzip zurechnen. Zweifelhaft ist regelmäßig, ob eine hinreichende Vertrauensinvestition vorliegt. Problematisch ist typischerweise auch das Vorliegen des notwendigen Kausalzusammenhanges zwischen Vertrauen und Disposition. Bejaht mantrotzvielfältiger Bedenken das Vorliegen der allgemeinen Merkmale der Vertrauenshaftung, so scheitert eine Begründung der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung über die Vertrauenshaftung dochjedenfalls daran, daß es an einem widersprüchlichen Verhalten fehlt, wenn in einer arbeitsteiligen Struktur der Austausch der Information nicht organisiert ist. Über die Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit werden aber nur extreme Fälle des Selbstwiderspruchs erfaßt. Im übrigen scheitert die Begründung einer generellen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung über den Vertrauensgedanken auch daran, daß dieser nur im rechtsgeschäftliehen Bereich gilt. V. Wissenszurechnung aufgrund Risikoschaffung
Für die Entwicklung einer weiteren Form der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung soll im folgenden an einen Grundsatz der Verantwortung fiir die Schaffung von Risiken angeknüpft werden.
15 Baum
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1. Wissensaufspaltung als Risikoschaffung durch Arbeitsteilung Der arbeitsteilige Einsatz von Hilfspersonen führt zur Wissensaufspaltung. Er führt allerdings auch zur Wissensvermehrung. 700 Liegt ein Fall der Wissensauf-
spaltung vor, so verschlechtert sich die Rechtsstellung eines Dritten, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat. Dies kann in ganz unterschiedlicher Weise geschehen. Kauft ein Dritter von einer arbeitsteiligen Struktur, so wird er bei arbeitsteilig bedingter Wissensaufspaltung relevanter Informationen - insoweit ist der Nachteil tatsächlich - nicht aufgeklärt und erhält trotz fehlender Aufklärung - als rechtlichen Nachteil - keinen Schadensersatzanspruch. Verkauft er an eine arbeitsteilige Struktur, so behält diese, sofern relevantes Wissen aufgespalten ist, Ansprüche wegen Rechts- oder Sachmängeln, obwohl sie andernfalls ausgeschlossen wären(§§ 439, 460 BGB). Der Leistende sieht sich also diesen Ansprüchen ausgesetzt. Beim gutgläubigen Erwerb von Grundstücken ist durch Arbeitsteilung aufgespaltene, relevante Kenntnis nicht über die bereits erarbeiteten Zurechnungsregeln zuzurechnen. Die arbeitsteilige Struktur erwirbt dann nach § 892 BGB gutgläubig. Der Dritte verliert sein Eigentwn. Durch Arbeitsteilung kann die für den Regreß zuständige Stelle701 nicht die Kenntnis von den den Schadensersatzanspruch auslösenden Umständen erhalten(§ 852 BGB) und sich der Schädiger daher wesentlich länger als bei einer geschädigten Einzelperson dem Anspruch ausgesetzt sehen. Wie bei den Erörterungen zum Gleichstellungsargument herausgearbeitet, läßt sich nun aber oft nicht für den Einzelfall feststellen, ob ein Fall der Wissensaufspaltung oder ein Fall der Wissensvermehrung durch Arbeitsteilung vorliegt, so daß selbst für die Fälle, in denen es gilt, eine Lösung allein über das Gleichstellungsargument nicht möglich ist. 702 Es läßt sich dann auch nicht beweisen, ob die Rechtsstellung des Dritten durch Wissensaufspaltung verschlechtert ist. Feststellen läßt sich jedoch, daß durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen - falls kein Fall eindeutig der Wissensvermehrung vorliegt- das Risiko der Wissensaufspaltung geschaffen wird. An dieses Risiko der Wissensaufspaltung wird im folgenden für die Wissenszurechnung angeknüpft. 703
Vgl. S. 205 ff. kommt es nach Ansicht des BGH an, vgl. den "Landesversorgungsamtsfall" , BGH NJW 1986, 2315 (vgl. S. 98 ff.), den "Versicherungsanstaltsfall", BGH NJW 1992, 1755 (vgl. S. 100 ff.) und den "Betriebsprüferfall", BGHNJW 1994, 1150 (vgl. S. 102 f.). Vgl. dazu, daß dies im Ergebnis (die Zurechnung erfolgt über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken) richtig ist, oben S. 192. 702 V gl. S. 205 ff. 703 Der Risikobegriff umfaßt also die Fälle der nachweislichen Wissensaufspaltung und die Fälle der Nicht-Beweisbarkeit, ob ein Fall der Wissensaufspaltung oder der 700
70 1 Auf diese
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2. Rechtsprechung und Literatur
Der Gedanke der Schaffimg des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung findet sich in vielfacher Form als Anknüpfungspunkt einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung in Rechtsprechung und Literatur. Vom Ergebnis her lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. a) Strikte, vollständige Zurechnung des Wissens als Ausgleich des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung So lassen sich in einer ersten Gruppe Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur zusammenfassen, die als Ausgleich fiir das durch Arbeitsteilung geschaffene Risiko der Wissensaufspaltung eine strikte, vollständige handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens der arbeitsteilig eingesetzten Hilfspersonen fordern. aa) Der "Nachtwachefall"
Eine strikte Zurechnung des dienstlich erlangten Wissens einer Hilfsperson hat das RG in RGZ 101, 402704 auf die Grundsätze von Treu und Glauben, § 242 BGB, gestützt. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin betrieb ein Nachtwacheunternehmen. In einigen von ihr zu bewachenden Finnen kam es zu Einbruchdiebstählen. Die Klägerin wurde wegen der dabei entstandenen Schäden in Anspruch genommen, da die Bewachung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Sie beantragte daher die Feststellung, daß die Beklagte, bei der sie betriebshaftpflichtversichert war, verpflichtet sei, für die Schäden zu haften, die ihr durch die Inanspruchnahme für die Einbruchdiebstähle drohten. Nach § 1 III 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, die für den Vertrag galten, unterlagen Ansprüche, die durch Mangelhaftigkeit der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Arbeit begründet waren, nicht dem Versicherungsschutz, sofern dem Versicherungsnehmer die Mangelhaftigkeit bekannt war. Das Berufungsgericht hatte hierfür allein auf die Kenntnis des Direktors der Klägerin abgestellt. Das RG erklärte:
Wissensvermehrung vorliegt. Er umfaßt nicht die Fälle der nachweislichen Wissensvermehrung. Daß durch Arbeitsteilung das Risiko der Wissensaufspaltung entsteht, verkennt Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 120 ff., der die Wissenszurechnung lediglich unter dem Gesichtspunkt der Kompensation für die Vorteile der Arbeitsteilung diskutiert und ablehnt. 704 Auf die Entscheidung wird im folgenden als "Nachtwachefall" Bezug genommen. 15*
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Teil li: Zurechnung von Wissen "Der Revision muß zugegeben werden, daß es auf die Kenntnis des Direktors nicht ankommt, sondern daß nach der Lage der Sache die Kenntnis eines Angestellten von dem Mangel der Bewachung im Einzelfall genügt, wenn einem solchen die Entgegennahme der Meldungen, daß ein Bezirk manges Personals unbewacht bleiben müsse, und die formularmäßige Benachrichtigung der davon betroffenen Kunden allgemein aufgetragen worden ist. Wenn der verantwortliche Leiter eines geschäftlichen Unternehmens dessen Innenbetrieb in der Weise regelt, daß Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit ist, nicht von ihm selbst, sondern von einem bestimmten Angestellten zur Kenntnis genommen werden, so muß er sich im Verhältnis zu einem Dritten, der aus der Tatsachenkenntnis Rechte herleitet, die Kenntnis des Angestellten wie eine eigene anrechnen lassen. Wenn auch der Angestellte nicht sein Stellvertreter im Willen ist, eine Willenserklärung überhaupt nicht in Betracht kommt, so ist er doch zum Wissensvertreter bestellt, und der Leiter des Unternehmens würde in einem solchen Falle gegen Treu und Glauben im geschäftlichen Verkehr verstoßen, wenn er aus der inneren Geschäftsverteilung dem Dritten gegenüber den Einwand der Unkenntnis herleiten wollte." 705
Auf dienstlichem Weg erlangtes Wissen der Hilfsperson wird dem Geschäftsherrn also automatisch zugerechnet, es infiziert ihn. Dies wird als Konsequenz des arbeitsteiligen Einsatzes einer Hilfsperson und des so entstehenden Risikos der Wissensaufspaltung betrachtet.
bb) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Möller Die Entscheidung im "Nachtwachefall" 706 begrüßt Möller in seiner grundlegenden Abhandlung "Wissenszurechnung und Wissenserklärungsvertretung im Versicherungsvertragsrecht" 707. Der "Nachtwachefall" 708 ist für ihn ein Anwendungsfall der Wissenszurechnung (Wissensvertretung). 709 Wissenszurechnung erfolge dann, wenn jene Kenntnisse, die an und für sich der Versicherungsnehmer erlangen würde, deshalb von einem Dritten erlangt werden, weil der Versicherungsnehmer - nicht nur für ganz kurze Zeit- abwesend ist oder weil der Versicherungsnehmer seinen Betrieb derart geregelt hat, daß Tatsachen nicht von ihm selbst, sondern nur von den Angestellten zur Kenntnis genommen werden. Oft kämen beide Gesichtpunkte gleichzeitig zum Zuge.710 Den Grund der Zurechnung sieht Möller
RGZ 101,402,403. RGZ 101, 402. 707 WuR 1938,5, 13. 708 RGZ 101, 402. 709 Möller, WuR 1938, 5, 11. 710 WuR 1938, 5, 13. 705
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also im Ausgleich des durch Arbeitsteilung entstandenen Risikos der Wissensaufspaltung. Die Frage der Wissenszurechnung sei im Grunde keine Frage des Einstehens fiir Dritte. Wenn ein Dritter Wissensvertreter sei, so ergebe sich daraus nur, daß in der Person des Versicherungnehmers, also nicht des Dritten, ein rechtserheblicher Tatbestand als gegeben gelte. 711 Möller spricht von einer Fiktion.712 Die Wissenszurechnung erfolge unabhängig von dem Willen des Versicherungsnehmers bei Gegebensein einer gewissen objektiven Lage. 713 Auch Möller befUrwortet also eine Totalzurechnung des Wissens der arbeitsteilig eingesetzten Hilfsperson über die Grundsätze von Treu und Glauben714_715 cc) Repräsentantenstellung
Im Versicherungsrecht hat der BGH den Gedanken aus dem Nachtwachefall716, Wissen zum Ausgleich des durch den arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson geschaffenen Risikos der Wissensaufspaltung zuzurechnen, fortentwickelt. In ständiger Rechtsprechung717 rechnet er über die Figur des Repräsentanten dem Versicherungsnehmer Wissen einer Hilfsperson zu. In einer neueren Entscheidung hat der IV. Zivilsenat den Repräsentantenbegriff, wenngleich leicht modifizierend718, bestätigt. (1) Der "Pferdestallfall" In BGH VersR 1993, 828719 machte der klagende Versicherungsnehmer Entschädigungsleistungen aus einer Feuerversicherung fiir einen Pferdestall geltend. Dem Versicherungsvertrag lagen die AFB zugrunde. Nach § 13 Nr. 1 c AFB hat der Versicherungsnehmer dem Versicherer alle zur Bestimmung der Höhe des Schadens und des Umfangs der Ersatzpflicht dienenden Auskünfte zu erteilen. Enthält die auf Nachfrage erteilte Auskunft insoweit bewußt falsche Angaben und war der Versicherungsnehmer über die Rechtsfolgen einer Aus711 Möller, WuR 1938,5, 12. 712 WuR 1938, 5, 12 Fn. 20. 713 WuR 1939, 5, 15. 714 WuR 1938, 5, 11. 715 Vgl. andererseits Bruck/Möller, VVG, § 16 Anm. 37. Dort propagiert Möller keine Totalzurechnung, sondern verlangt lediglich, daß der Betrieb so organisiert sein müsse, daß wesentliche Tatsachen, die ein unzuständiger Mitarbeiter erfährt, dem zuständigen Mitarbeiter bekannt werden. 716 RGZ 101, 402. 717 Vgl. z. B. BGHZ 109, 229, 230 f. 718 Vgl. zu der Modifizierung sogleich unter cc (2) bei der Besprechung der Literatur zur Repräsentantenrechtsprechung. 719 Auf diese Entscheidung wird im folgenden als "Pferdestallfall" Bezug genommen.
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kunftspflichtverletzung belehrt worden, ist der Versicherer nach§ 13 Nr. 2 AFB von seiner Leistungspflicht befreit. Der Kläger wies in seiner Schadensanzeige mit keinem Wort darauf hin, daß vor dem Brand eine behördliche AbbruchverfUgung fiir den Pferdestall ergangen war. Der BGH nahm an, daß insofern eine Auskunftspflicht bestanden hätte, da die AbbruchverfUgung den Wert des Pferdestalles erheblich minderte. Auf ein Wissen oder Wissenmüssen720 des Klägers um die AbbruchverfUgung kam es nach Ansicht des BGH nicht an, wenn dem Kläger das Wissen seiner EItern um die AbbruchverfUgung zuzurechnen war. Dies sei der Fall, wenn die Eltern des Klägers dessen Repräsentanten gewesen seien. "Gemäß der RechtsprechWig des BGH (BGHZ 107, 229 [230 f.]) ist Repräsentant, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines VertretWlgs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des VersicherWigsnehmers getreten ist. Die bloße ÜberlassWig der Obhut über die versicherte Sache reicht hierbei nicht aus. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz Wibedeutenden Umfang fiir den VersicherWigsnehmer zu handeln (RisikoverwaltWlg). Soweit darauf abgestellt wird, der Dritte müsse auch die Rechte Wld Pflichten als VersicherWigsnehmer wahrnehmen können, ist das nicht so zu verstehen, daß er nur dann Repräsentant ist, wenn zu der Übernahme der RisikoverwaltWlg zusätzlich die Berechtigung zur Verwaltung des VersicherWigsvertrags hinzutritt. ... Wer in vollem Umfang die BetreuWig der versicherten Sache übernimmt, tritt damit an die Stelle des VersicherWigsnehmers ... Liegen diese VoraussetzWigen vor, braucht fiir die HaftWlg des VersicherWigsnehmers nicht noch hinzuzutreten, daß der Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem VersicherWigsvertrag wahrzWiehmen hat, etwa den Vertrag kündigen Wld die VersicherWigssumme einnehmen darf. In der Übergabe eines Fahrzeugs an einen berechtigten Fahrer liegt im allgemeinen keine solche ÜbertragWig der RisikoverwaltWig. In diesen Wld anderen Fällen kann es allerdings fiir die Repräsentantenstellung eines Dritten sprechen, wenn er es Wiabhängig von einer etwaigen Übergabe der versicherten Sache aufgrWid eines VertretWigs- oder ähnlichen Verhältnisses übernommen hat, die VerwaltWig des VersicherWigsvertrags eigenverantwortlich auszuüben."721
720 Bei der AufklärWigspflicht nach § 13 Nr. 1 c AFB besteht eine Nachforschungspflicht, vgl. BGH VersR 1993, 828, 829. 721 BGH VersR 1993, 828, 829 f.
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Der BGH hielt die Eltern des Klägers im "Pferdestallfall" unter beiden Gesichtspunkten, der Ausübung der Risikoverwaltung und der eigenverantwortlichen Verwaltung des Versicherungsvertrages, filr dessen Repräsentanten. 722 Die Eltern hätten die alleinige Obhut über den Reitstall gehabt, vieles spreche dafilr, daß sie die Reitanlage insgesamt betreuten und die Risikoverwaltung auf Dauer übernommen hatten. Auch die Befugnis der Eltern, Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers wahrzunehmen - die Eltern fiihrten im wesentlichen die Schadensabwicklung mit der Versicherung durch -, deute daraufhin, daß sie seine Repräsentanten nach dem Versicherungsfall waren. Dem Kläger sei daher das Verhalten seiner Eltern bei der Schadensabwicklung und ihre Kenntnis von der AbbruchverfUgung zuzurechnen. Das Wissen der Eltern um die AbbruchverfUgung wird also zugerechnet, weil diese die Verwaltung des Versicherungsvertrages eigenverantwortlich ausübten und an der Schadensabwicklung beteiligt waren. Insofern handelt es sich um eine Anwendung des Rechtsgedankens des§ 166 I BGB, da die Eltern an der Abgabe der Schadensanzeige beteiligt waren, der Rückgriff auf die Repräsentantenstellung wäre nicht nötig gewesen. Das Wissen der Eltern wäre aber auch zugerechnet worden, wenn diese nicht an der Schadensabwicklung beteiligt gewesen wären. Ausreichende Grundlage wäre die Repräsentantenstellung der Eltern bei der Verwaltung des Pferdestalls gewesen. Da sie dort die Stellung des Versicherungsnehmers einnahmen, mußte sich der Versicherungsnehmer das Wissen seiner Eltern um die AbbruchverfUgung zurechnen lassen. Dies ist der Gedanke der Wissenszurechnung zum Ausgleich des durch arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson geschaffenen Risikos der Wissensaufspaltung. Aufgrund einer Repräsentantenstellung einer Hilfsperson wird jedenfalls das dienstliche 723 Wissen des Repräsentanten handlungsunabhängig zugerechnet, ohne daß irgendwelche weiteren Anforderungen gestellt würden. (2) Der Repräsentant in der Literatur Die vom BGH in ständiger Rechtsprechung entwickelte versicherungsrechtliche Repräsentantenhaftung findet in der Literatur breite Zustimmung und wird
Vgl. fiir die beiden, möglichetweise eine Repräsentatenstellung begründenden Alternativen auch jüngst OLG Hamm NJW-RR 1995, 482, zur Repräsentantenstellung wegen Risikovetwaltung: OLG Oldenburg VersR 1996, 746; OLG Frankfurt VersR 1996, 838; OLG Köln VersR 1996, 839; OLG Oldenburg VersR 1996, 840; VersR 1996, 841. 723 Es wird nicht deutlich, ob nur dienstliches oder auch privates Wissen des Repräsentanten zuzurechnen ist. 722
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auch dort als eine eigenständige Zurechnungsfigur betrachtet. 724 Sie sei mittlerweile zu Gewohnheitsrecht erstarkt.725 Gewisse Bewegung hat der BGH durch den "Pferdestallfall" 726 in die Diskussion gebracht. 727 So werden die Voraussetzungen, die an den Repräsentanten zu stellen sind, lebhaft erörtert.728 Die Vertragsverwaltung ist nach dem "Pferdestallfall" 729 nunmehr keine notwendige Bedingung mehr fiir die Annahme einer Repräsentantenstellung. Für wesentlich werden die Risikoverwaltung durch den Repräsentanten und die Obhutsüberlassung gehalten,730 also der Gedanke der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung. Risikoverwaltung umschreibe das Umgehen mit und die Fürsorge fiir Gefahr [sie!] und Versicherungsobjekt Dazu reiche, wenn die versicherte Sache nicht ständiger Betreuung bedürfe, nicht die Übertragung der Obhut allein. Daraus folge, daß eine Repräsentantenstellung des jeweiligen Nutzers und Besitzers entfalle, soweit sich der Versicherungsnehmer noch Einwirkungsrechte und -möglichkeiten vorbehalte, die nicht völlig unbedeutend seien. 731 Der Repräsentantenrechtsprechung stimmt auch Reimer Schmidt in seiner Schrift "Die Obliegenheiten" zu. 732 Er betrachtet die Repräsentanten als funktionsbedingte Erfiillungsgehilfen im Rahmen der versicherungsrechtlichen Obliegenheitstatbestände.733 Abgegrenzt wird vom Repräsentanten der Wissenserklärungsvertreter. 734 Bisweilen wird auch der Wissensvertreter unterschieden. 735 Wissensvertreter
Vgl. aus dem modernen Schrifttum nur Schimikowski, Versicherungswirtschaft, 1996, 626 ff.; Kampmann, VersR 1994, 277 ff.; Knappmann, NJW 1994, 3147 ff.; ders., VersR 1997,261 ff.; Lücke, VersR 1993, 1098 ff. Auch in der Literatur wird nicht deutlich, ob nur dienstliches oder auch privates Wissen zuzurechen ist. 725 Bruck/Möller, § 61 Anm. 74. 726 BGH, VersR 1993, 828. 727 Vgl. die Anmerkungen von Lücke, VersR 1993, 1098 ff. und Kampmann, VersR 1994,277 ff. Der BGH wird insbesondere methodisch kritisiert, da er die Änderung seiner Rechtsprechung nicht deutlich gemacht habe. 72 8 Vgl. z.B. Knappmann, VersR 1997,261 ff. 729 BGH VersR 1993, 828. 730 Kampmann, VersR 1994,277,280. 731 Knappmann, NJW 1994,3147, 3148; ders., VersR 1997,261,262. 732 s. 283 ff, 290. 733 Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 290. 734 Vgl. z. B. Knappmann, NJW 1994, 3147, 3148; ders. , VersR 1997, 261, 265; Schimikowski, Versicherungswirtschaft, 1996, 626. Das Wissen des Wissenserklärungsvertreters kann über den Rechtsgedanken des§ 166 I BGB zugerechnet werden, da Wis724
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sei, wer vom Versichenmgsnehmer damit betraut sei, Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit ist, fiir diesen wahrzunehmen. 736 Im Unterschied zum Repräsentanten könne dem Wissensvertreter durchaus ein beschränkter Aufgabenbereich zugeordnet sein. Es bedürfe keiner umfassenden Übertragung der Risikoverwaltung. Andererseits müsse der Wissensvertreter schon eine gewisse herausgehobene Stellung haben.737 Für den Wissensvertreter wird an die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung bei§ 852 BGB738 angeknüpft. 739 dd) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Hoffmann
Für eine strikte, vollständige Zurechnung des dienstlich erlangten Wissens von Hilfspersonen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben spricht sich Hoffmann in seinem Aufsatz "Arglist des Unternehmers aus der Sicht fiir ihn tätiger Personen" aus. 740 Hoffmann geht es um die Zurechnung des Wissens als Bestandteil der Arglist bei Kauf- und Werkverträgen. Nach seiner Ansicht ist die Kenntnis einesjeden Arbeitnehmers von einem Mangel dem Unternehmer zuzurechnen. Hätte diese Kenntnis bei dem Unternehmer Arglist zur Folge gehabt, so sei er den daraus folgenden Nachteilen zu unterwerfen. 741 In größeren Betrieben werde andernfalls dem Unternehmer, auch über die Zurechnung der Kenntnis von Vertretern und Vermittlern, nur selten der Vorwurf der Arglist gemacht werden können. Die Größe der Organisation und der Grad der Arbeitsteilung würden dem Unternehmer in wachsendem Maße haftungsrechtliche Vorteile bringen. Das vertrage sich nicht mit dem etwa in §§ 123, 166, 278 BGB ausgedrückten gesetzgebensehen Gedanken, daß die Vergrößenmg des eigenen Wirkungskreises nicht zu einer verschlechterten Lage des Ver-
sen einer Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, an der sie selbst beteiligt war, zugerechnet wird. 735 Knappmann, NJW 1994, 3147, 3148 f; Schimikowski, Versicherungswirtschaft 1996, 626. 736 Knappmann, NJW 1994, 3147, 3148. 737 Knappmann, NJW 1994, 3147, 3149; ders., VersR 1997,261,266. 738 Vgl. den "Landesversorgungsamtsfa11", BGH NJW 1986, 2315 (vgl. S. 98 ff.), den "Versicherungsanstaltsfall", BGH NJW 1992, 1755 (vgl. S. 100 ff.), und den "Betriebsprüferfall", BGH NJW 1994, 1150 (vgl. S. 102 f.). 739 Insofern gelten die Bedenken zur Begründung dieser Wissenszurechnung über § 166 I BGB analog, vgl. oben S. 122 ff. 740 JR 1969, 372 ff. 741 Ho.ffmann, JR 1969, 372, 374.
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tragspartners führen dürfe. 742 Auch hier findet sich also wieder der Gedanke der Wissenszurechnung als Ausgleich des durch die Arbeitsteilung geschaffenen Risikos der Wissensaufspaltung. Eine dogmatisch einwandfreie Begründung für die Zurechnung der Vorstellungen von Personen, die der Unternehmer mit der Herstellung seiner Produkte, der Erbringung seiner Vertragsleistung betraut habe, sei schwierig. 743 Eine erweiterte Anwendung einer einzelnen Vorschrift sei nicht möglich. Gangbar sei nur eine Rechtsanalogie unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, § 242 BGB. Prinzipiell sei es das Risiko des Unternehmers, daß Wissen in der Organisation aufgespalten sei. 744
ee) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung beiM Schultz Eine strikte, vollständige Wissenszurechnung befürwortet auch M. Schultz in seinem Beitrag "Zur Vertretung im Wissen". 745 Grundgedanke der Vertretung im Wissen sei die Arbeitsteilung746. Zuzurechnen ist dem Geschäftsherrn nach Schultz' Ansicht das Wissen derjenigen Hilfspersonen, die nach der betrieblichen Organisation zur Entgegennahme der Information zuständig sind.'47 M. Schultz sieht das Gerechtigkeitsgebot der Zurechnung also ebenfalls in der Verantwortlichkeit für die Konsequenzen der Arbeitsteilung. b) Anforderungen an die Organisation des Wissens als Ausgleich des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung Von der ersten, gerade unter a) dargestellten Gruppe von Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die, ausgehend von der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung, eine strenge, vollständige Zurechnung des Wissens der arbeitsteilig eingesetzten Hilfspersonen befürwortet, läßt sich eine zweite Gruppe unterscheiden, die ebenfalls von der Schaffimg des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung zur Begründung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung ausgeht. Im Ergebnis wird von dieser keine strikte Zurechnung gefordert, sondern, in unterschiedlicher Form, eine Organisation des Wissens verlangt oder deren Fehlen durch Zurechnung kompensiert.
Hoffmann, JR 1969, 372, 374. Hoffmann, JR 1969, 372, 374. 744 Hoffmann, JR 1969, 372, 374. 745 NJW 1990,477 ff. 746 Michael Schultz, NJW 1990,477,481. 747 Michael Schultz, NJW 1990, 477, 479. 742
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aa) Die Rechtsprechung zur Arglist
So findet sich der Gedanke der Wissenszurechmmg wegen Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung auch in der Rechtsprechung zum Merkmal der Arglist des Bauunternehmers bei § 638 BGB. Die Rechtsprechung rechnet nicht nur Wissen zu, das bei einer Hilfsperson der arbeitsteiligen Struktur tatsächlich vorlag und bei ordnungsgemäßer Organisation einer anderen Hilfsperson verfiigbar gewesen wäre, sondern fingiert Wissen, das bei ordnungsgemäßer Organisation vorhanden gewesen wäre, obwohl keine Hilfsperson dieses Wissen tatsächlich besaß. Allerdings hat sich der BGH an dieses Ergebnis langsam herangetastet. (1) Der "Kolonnenfiihrerfall" Ausgangspunkt war die Entscheidung des VII. Zivilsenats in BGHZ 62, 63.748 Die RechtsvorgängeTin der Klägerin hatte in den Jahren 1956 bis 1960 von den Beklagten zwei Lagerhäuser errichten lassen und diese bis 1960 vollständig abgenommen. Seit Herbst 1967 platzte an Betonstützen und -querbalken der Gebäude der Beton zunehmend ab. Ferner zeigten sich Wand- und Fugenrisse. Die Mängel waren auf schwere Fehler bei den Arbeiten der Beklagten zurückzufiihren, die zu unzureichender Betondeckung der Stahleinlagen und dadurch zu deren Korrosion sowie Betonabsprengungen gefiihrt hatten. Die Klägerin verlangte Schadensersatz gemäߧ 635 BGB. Nach Ansicht des BGH lagen die Voraussetzungen fiir einen solchen Anspruch im Prinzip vor. 749 Der Anspruch war jedoch verjährt, sofern die Beklagten die Mängel nicht arglistig verschwiegen hatten (§ 638 BGB). Die Beklagten selbst hatten die Mängel nicht gekannt, daher auch nicht arglistig verschwiegen. Die Kolonnenfiihrer (Poliere) der Beklagten aber hatten die offensichtlich fehlerhafte Arbeit ihrer Kolonnen erkannt und geduldet, um den Arbeitern die von diesen erstrebten höheren Akkordlöhne zu ermöglichen. Der BGH erklärte, daß die Voraussetzungen arglistigen Verschweigens auch bei einer Hilfsperson vorliegen könnten und sich der Werkunternehmer dann so behandeln lassen müsse, als hätte er den Mangel selbst arglistig verschwiegen (§ 278 BGB).750 Dies treffe vor allem dann zu, wenn sich der Unternehmer des Gehilfen gerade zur Erfiillung seiner Offenbarungspflicht gegenüber dem Vertragspartner bedient habe. Andererseits könne einem Werkunternehmer nicht schon die Kenntnis und das Verheimlichen von Fertigungsmängeln eines jeden bei der Herstellung des Auf die Entscheidung wird in Zukunft als "Kolonnenfiihrerfall" Bezug genommen. BGHZ 62, 63, 65. 750 BGHZ 62, 63, 66. 748
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Werks mitwirkenden Beschäftigten als "arglistiges Verschweigen" der Mängel gegenüber dem Besteller angerechnet werden. Solche Personen seien zwar Erfiillungsgehilfen des Unternehmers bei der Herstellung des Werks, aber nicht seine Erfiillungsgehilfen in bezug auf Offenbarungspflichten gegenüber dem Besteller. 751 Im Schrifttum werde zwar zum Teil die Ansicht vertreten, der Werkunternehmer müsse sich die Kenntnisse einer jeden bei der Herstellung des Werks mitwirkenden Hilfsperson von einem Werkmangel so anrechnen lassen, als hätte er diese mit der Erfiillung der Offenbarungspflicht betraut.752 Der BGH lehnte dies jedoch ab: "Eine derart weitgehende Haftung des Schuldners fiir Personen, die er nicht mit der Aufgabe betraut hat, an seiner Stelle etwaige fiir den Besteller erhebliche Mängel zu offenbaren, erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Sie ist mit dem in § 278 BGB zum Ausdruck gekommenen Gedanken nicht vereinbar, wonach der Schuldner fiir das Verschulden Dritter deswegen einzustehen hat, weil er ihnen die Erfiillung bestimmter Vertragspflichten anvertraut hat." 753
In der Regel könne daher nur der als "Erfiillungsgehilfe des Unternehmers bei der Offenbarungspflicht" und daher als "Erfiillungsgehilfe beim arglistigen Verschweigen" angesehen werden, der mit der Ablieferung des Werks an den Besteller betraut sei oder dabei mitwirke. Erst die Ablieferung sei der Zeitpunkt, in 751 Der BGH bezog sich in BGHZ 62, 63, 66 auf zwei Entscheidungen. In BGH LM § 463 BGB Nr. 13 hatte es der Vlll. Zivilsenat abgelehnt, bei einem Werklieferungsvertrag über vertretbare Sachen, auf den über § 651 I S. 2 1. Hs. BGB die Vorschrift des § 477 I BGB Anwendung fand, Wissen/Arglist einer jeden an der Herstellung beteiligten Hilfsperson zuzurechnen. Bei einem Kaufvertrag komme es nicht zur Zurechnung des Wissens jeder an der Herstellung beteiligten Hilfsperson. Es könne aber keinen Unterschied machen, ob ein Fabrikant Waren herstelle, um diese später zu verkaufen, oder ob die Herstellung solcher Waren erst nach Vorliegen entsprechender Anträge vorgenommen werde. Eine Zurechnung erfolge nur, wenn sich der Werkunternehmer der Hilfsperson bei der ihn treffenden Offenbarungspflicht bediene. In KG, BauR 1970, 242 erklärte das Kammergericht, daß in Fortsetzung des Gedankens aus BGH LM § 463 BGB Nr. 13 der Werkuntemehmer, der aufgrund eines sonstigen Werkvertrages eine mangelhafte Leistung bewirke, nicht anders als ein Fabrikant zu behandeln sei, der aufgrundeines Werklieferungsvertrages eine mangelhafte Sache geliefert habe. Auch in ersterem Fall scheide daher die Zurechnung des Wissens/der Arglist einer jeden an der Herstellung beteiligten Hilfsperson aus. Die Hilfsperson müsse als Erfiillungsgehilfe hinsichtlich der Offenbarungspflicht eingesetzt worden sein (S. 243). 752 Der BGH zitiert Hoffmann JR 1969, 372 und Jagenburg NJW 1971, 1425, 1427, der aber sowohl eine Lösung über ein Organisationsverschulden des Geschäftsherrn als auch eine strikte Zurechnung des Wissens aller Hilfspersonen fiir sachgerecht hält. 753 BGHZ 62, 63, 67 f.
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welchem sich das "arglistige Verschweigen" des Unternehmers endgültig verwirkliche. 754 Der BGH ging dann einen Schritt weiter: "Diese Regel gilt jedoch nicht ausnahmslos. Es gibt Fälle - und der vorliegende gehört nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt dazu-, in denen eine mit der Prüfung des Werks auf Mangelfreiheit befaßte Hilfsperson des Unternehmers, auch ohne daß sie mit der Ablieferung des Werks befaßt ist, als "Erfiillungsgehilfe des Unternehmers bei der Offenbarungspflicht" anzusehen ist, weil allein ihr Wissen und ihre Mitteilung an den Unternehmer diesen überhaupt instand setzen, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfüllen. In solchen Fällen kann es unter Umständen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) untragbar erscheinen, ein "arglistiges Verschweigen" z. B. nur deswegen zu verneinen, weil - angesichts der stark arbeitsteiligen Organisation eines Großbetriebs - die eine Hilfsperson, welche prüft, den Mangel entdeckt und verschweigt, mit der Ablieferung nichts zu tun hat, während die andere Hilfsperson, welche bei der Ablieferung des Werks mitwirkt, nicht mit der Prüfung befaßt war und daher den Mangel nicht kennt. In solchen Fällen kann sich der Unternehmer nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, die von ihm als "Prüfer" eingesetzte Hilfsperson sei mit der Ablieferung nicht befaßt, und er brauche sich daher deren Kenntnis nicht gemäß § 278 BGB als "arglistiges Verschweigen" anrechnen lassen." 755
Die Entscheidung, ob dem Unternehmer das Verhalten einer Hilfsperson als arglistiges Verschweigen anzurechnen sei, könne insoweit nur nach den Umständen des Einzelfalls getroffen werden und obliege daher dem Tatrichter. 756 Für den "Kolonnenführerfall" sah der BGH die Voraussetzungen als gegeben an. 757 Die Bezeichnung "Polier" besage für sich allein nichts für die zu entscheidende Frage. Es komme immer auf den Aufgabenbereich des Poliers im Einzelfall an. Im Großbetrieb werde es vielfach mehrere einander über- und untergeordnete Prüfer geben. Nicht schon jeder "kleine" Prüfer sei Erfüllungsgehilfe des Unternehmers in bezug auf arglistiges Verschweigen. Auf der Baustelle eines Großbauunternehmers z. B., werde in der Regel der vom Unternehmer dort eingesetzte "örtliche Bauleiter" als der an dieser Baustelle oberste verantwortliche Mann des Unternehmers anzusehen sein. Sein arglistiges Verschweigen werde sich der Unternehmer in der Regel nach § 278 BGB anrechnen lassen müssen. Dagegen werde arglistiges Verschweigen von unter dem örtlichen Bauleiter arbeitenden, für einen kleineren Bereich mit Prüfungsaufgaben betrauten Perso-
BGHZ 62, 63, 68. BGHZ 62, 63, 68. 756 BGHZ 62, 63, 68 f. 757 BGHZ 62, 63, 69 f.
754 755
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nen vielfach nicht ausreichen, um es über § 278 BGB dem Unternehmer anzulasten.758 Im "Kolonnenfiihrerfall" war kein örtlicher Bauleiter eingesetzt worden. Von Bedeutung sei weiter, ob ein Mangelleicht oder nur schwer zu entdekken sei sowie ob er nur kurze oder längere Zeit wahrnehmbar sei. Je schwieriger und je kürzer ein Mangel zu entdecken sei, desto eher werde es zu rechtfertigen sein, die Kenntnis einer an diesem Arbeitsabschnitt als "Prüfer" beteiligten Hilfsperson des Unternehmers diesem als arglistiges Verschweigen zuzurechnen. Dies zeige gerade der "Kolonnenfiihrerfall".759 "Ob hier die in die Schalung eingelegten Drahtmatten mit Abstandhaltern versehen waren oder nicht, ließ sich nur ganz kurze Zeit feststellen. Nach dem Eingießen des Betons war das Mattengeflecht verdeckt und der Fehler nicht mehr sichtbar. Die einzigen, die - bei Fehlen eines örtlichen Bauleiters- im Betrieb der Beklagten die Aufgabe hatten und praktisch allein in der Lage waren, das Vorhandensein von Abstandhaltem zu überprüfen und ihr Fehlen zu entdecken, waren die Kolonnenfiihrer der Verschaler- und Drahtflechterkolonnen. Zu ihren speziellen Aufgaben gehörte es gerade, darauf zu achten, daß solche Abstandhalter ordnungsgemäß angebracht wurden. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht hier den Beklagten das "arglistige Verschweigen" ihrer Kolonnenfiihrer gemäß § 278 BGB zurechnet."760 Auch die übrigen Voraussetzungen "arglistigen Verschweigens durch Erfiillungsgehilfen" hätten vorgelegen.761 Insbesondere seien sich die Kolonnenilihrer bewußt gewesen, daß die von ihnen geduldete "Pfuscharbeit", die später zu den Betonabsprengungen führte, fiir die Entschließung der Klägerin bei der Abnahme des Werks erheblich war, ferner, daß sie ohne Rücksicht aufnachlässige Bauaufsicht durch den Architekten der Klägerin zur Mitteilung der Herstellungsmängel gegenüber den Beklagten verpflichtet waren, um auf diese Weise die Unterrichtung der Klägerin zu ermöglichen, und daß sie diese Pflicht verletzten. Zugerechnet wird also nicht lediglich die Mangelkenntnis der bei der Offenbarungspflicht unbeteiligten Hilfsperson, sondern der gesamte Tatbestand der Arglist. In der Person der Kolonnenführer liegen alle Wissens- und W ollenselemente der Arglist vor. Der Sache nach handelt es sich um einen klaren Fall des§ 278 BGB. Es scheint kaum vertretbar, Hilfspersonen, die prüfen, nicht als Erfüllungsgehilfen bei der Offenbarungspflicht anzusehen. Interessant ist den-
758 BGHZ 62, 63, 69. 759 BGHZ 62, 63, 69. 760 BGHZ 62, 63, 70. 761 BGHZ 62, 63, 70.
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noch die Argumentationslinie des BGH, da es dem BGH lll1l die rechtliche Behandlung von Wissensaufspalhmg bei arbeitsteiligen Strukturen geht. Die zur Zurechnung führende Argumentationslinie läßt sich in drei Schritten zusammenfassen. Erstens: Zugerechnet wird dem Werkunternehmer die Arglist/das Wissen der Mitarbeiter, die "Erfüllungsgehilfen bei der Offenbarungspflicht" sind. Diese Mitarbeiter müssen mit der Ablieferung des Werks betraut sein oder an ihr mitwirken, dann sind sie "Erfüllungsgehilfen beim arglistigen Verschweigen." Zweitens: Das Wissen/die Arglist aller Mitarbeiter, die bei der Herstellung des Werkes mitwirken, ist dem Werkunternehmer nicht über§ 278 BGB zuzurechnen. Diese seien eben nicht alle Erfüllungsgehilfen in bezug auf die Aufklärungspflicht § 278 BGB enthalte den Gedanken, wonach der Schuldner für das Verschulden Dritter deswegen einzustehen habe, weil er ihnen die Erfüllung bestimmter Vertragspflichten anvertraut hat. Drittens: Die bloße Anwendung von § 278 BGB führt jedoch nach Ansicht des BGH zu bisweilen untragbaren Ergebnissen. Diese müßten nach Treu und Glauben korrigiert werden(§ 242 BGB) und dem Werkunternehmer unter Umständen auch das Wissen von Mitarbeitern zugerechnet werden, die nicht mit der Ablieferung des Werks an den Besteller betraut sind oder dabei mitwirken. Eine mit der Prüfung befaßte Hilfsperson könne als "Erfüllungsgehilfe des Unternehmers bei der Offenbarungspflicht" anzusehen sein, weil allein ihr Wissen und ihre Mitteilung an den Unternehmer diesen überhaupt instand setzten, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfüllen. Es wird deutlich, daß die Auswirkungen der Arbeitsteilung kompensiert werden sollen. Basis der Zurechnung sind also §§ 278, 242 BGB. Der BGH will die Entscheidung, das Wissen/die Arglist welcher Hilfspersonen dem Werkunternehmer zuzurechnen ist, dem Tatrichter überlassen. Die Anleihmg des BGH für den Tatrichter ist recht vage. Voraussetzung für die Zurechnung ist jedenfalls, daß es sich lll1l eine mit der Prüfung befaßte Hilfsperson handelt. Es soll jedoch nicht das Wissen jeden Prüfers zugerechnet werden. So ist bei einer Baustelle in der Regel nur auf den örtlichen Bauleiter abzustellen. Je schwerer und kürzer ein Mangel zu erkennen ist, lll1l so eher ist es nach Ansicht des BGH gerechtfertigt, auch die Kenntnis eines untergeordneten Prüfers zuzurechnen. Zugerechnet wird das Wissen auch solcher Prüfer, deren sich der Unternehmer nicht zur Erfüllung seiner Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller bedient, die aber allein in der Lage sind, etwaige Mängel zu erkennen.762 Es ist also nicht allein die Organisation, die Bestimmung durch den Werkunternehmer entscheidend, das Wissen/die Arglist welcher Person sich der 762 Vgl. OLG Köln, Schäfer/Finnem/Hochstein, § 278 Nr. 5.
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Werkunternehmer zurechnen lassen muß. 763 Kompensiert werden sollen aber nicht die Konsequenzen der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung schlechthin, sondern die Konsequenzen der Arbeitsteilung bei der Prüfung. (2) Der "Dachpfettenfall" In BGH NJW 1992, 1754764 ist der VII. Zivilsenat einen Schritt weiter gegangen als im "Kolonnenfiihrerfall" 765 und hat unter bestimmten Umständen die Fiktion von Wissen befiirwortet. So hat er erklärt, daß ein Werkunternehmer ggf. um einen Mangel weiß, ohne daß es dem Senat darauf ankam, ob dem Werkunternehmer selbst oder einem seiner Mitarbeiter der Mangel bekannt war. Das beklagte Unternehmen hatte 1968 für den Kläger eine Scheune errichtet. 1988 stürzte ein Teil des Daches ein. Ursache des Einsturzes war die mangel-
hafte Auflage und Verankerung der Dachpfetten. Dem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 635 BGB hielt das beklagte Unternehmen die Einrede der Verjährung entgegen(§ 638 I BGB). Die Klage konnte daher nur Erfolg haben, sofern der Mangel arglistig verschwiegen worden war(§ 638 I BGB). Der BGH referierte zunächst die drei Stufen aus dem "Kolonnenfiihrerfall"766, also: 1. Zurechnung des Wissens/der Arglist von Erfilllungsgehilfen bei der Offenbarungspflicht, 2. keine generelle Zurechnung des Wissens/der Arglist aller an der Herstellung des Werks mitwirkenden Mitarbeiter, 3. Zurechnung des Wissens/der Arglist solcher Mitarbeiter, die mit der Prüfung des Werks betraut sind und allein deren Wissen und deren Mitteilung den Unternehmer in den Stand setzen, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfiillen. Dann erläuterte er767: "Damit wird aber der Anwendungsbereich des§ 638 I 1 BGB bezüglich des arglistigen Verschweigens nicht vollständig erfaßt. Wie der Senat bereits früher dargelegt hat, kann sich der Unternehmer seiner vertraglichen Offenbarungspflicht nicht dadurch entziehen, daß er sich unwissend hält oder sich keiner Gehilfen bei der Pflicht bedient, Mängel zu offenbaren (BGHZ 66,43 [46 f.] ...). Sorgt er bei der Herstellung des Werkes nicht für eine den Umständen nach angemessene Überwachung und Prüfung der Leistung und damit auch nicht dafür, daß er oder seine insoweit einge-
763 Vgl. OLG Köln, Schäfer/Finnern!Hochstein, § 278 Nr. 5. 764 Auf diese Entscheidung soll im folgenden als "Dachpfettenfall" Bezug genommen werden. 765 BGHZ 62, 63. 766 BGHZ 62, 63. 767 BGH NJW 1992, 1754 f.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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setzten Erfüllungsgehilfen etwaige Mängel erkennen können, so handelt er vertragswidrig. Er ist gehalten, den Herstellungsprozeß angemessen zu überwachen und das Werk vor Abnahme zu überprüfen. Denn der Unternehmer muß fehlerfrei leisten. Er muß daher jedenfalls die Voraussetzungen schaffen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das fertiggestellte Werk bei Ablieferung keinen Fehler aufweist. Es ist zwar allein Sache des Unternehmers, wie er seinen Betrieb organisiert. Der Besteller darf jedoch nicht dadurch haftungsrechtlich benachteiligt werden, daß er anstelle eines Alleinunternehmers ein Unternehmen beauftragt, das arbeitsteilig organisiert ist ... Dies führt zwar entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht ... nicht zur Zurechnung der Kenntnisse einer jeden bei der Herstellung des Werkes mitwirkenden Hilfsperson. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil BGHZ 62, 63 (67 f.? 68 •.. im einzelnen dargelegt. Daran ist festzuhalten. Der Unternehmer hat jedoch dann einzustehen, wenn er die Überwachung und Prüfung des Werkes nicht oder nicht richtig organisiert hat und der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre. Der Besteller ist dann so zu stellen, als wäre der Mangel dem Unternehmer bei Ablieferung des Werkes bekannt gewesen. In diesem Fall verjähren seine Gewährleistungsansprüche erst nach dreißig Jahren, so daß die auf§ 63 8 BGB gestützte Verjährungseinrede nicht begründet ist ... u769
Der BGH verwies zur weiteren Aufklärung über die Organisation des Betriebes zurück. Interessant sind jedoch seine gnmdsätzlichen Ausfiihnmgen. Um Kenntnis des Unternehmers vom Mangel anzunehmen, ist es nach Ansicht des BGH daher weder notwendig noch hinreichend, daß ein Mitarbeiter des Unternehmers, eine natürliche Person weiß, denn weder wird das Wissen eines jeden Mitarbeiters wn den Mangel zugerechnet, noch muß notwendig irgendein Mitarbeiter wissen. Den drei Stufen des "Kolonnenfiihrerfalls" 770 fügte der BGH mithin eine weitere Stufe hinzu. Den Unternehmer trifft, nach Ansicht des BGH, die Pflicht, bei der Herstellung des Werkes für eine den Umständen nach angemessene Überwachung und Prüfung der Leistung zu sorgen. Eine Verletzung dieser Pflicht hat die Konsequenz, daß der Unternehmer so behandelt wird, als hätte er sie erfüllt. Wäre der Mangel bei "richtiger" Organisation entdeckt worden, dann sei der Besteller so zu stellen, als wäre der Mangel dem Unternehmer bekannt gewesen. Wissen wird hier also fingiert. Ausgeglichen wird demnach, wie schon im "Kolonnenfiihrerfal1" 771 gesehen, nicht die Wissensaufspaltung durch den arbeitsteiligen Einsatz einer HilfsperDies ist der "Kolonnenfiihrerfall". 1992, 1754, 1755. 770 BGHZ 62, 63. 771 BGHZ 62, 63 . 768
769 BGH NJW
16 Baum
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son schlechthin, sondern die Wissensaufspaltung bei der Kontrolle (im "Kolonnenfübrerfall" 772) bzw. das Fehlen von Kontrolle in der Organisation (im "Dachpfettenfall" 773 ). Anknüpfungspunkt ist jedoch die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung. Die Entscheidung im "Dachpfettenfall" kann im übrigen nicht überzeugen. Der BGH versucht das Problem der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung über eine Pflicht der arbeitsteiligen Struktur, sich auch solches Wissen zu verschaffen, das bei keiner Hilfsperson vorliegt, zu lösen. Dies sind jedoch zwei vollkommen verschiedene Fragen. 774 Mit einer Pflicht der arbeitsteiligen Struktur, sich Wissen zu verschaffen, wird das Risiko der arbeitsteilig bedingten Wissensaufspaltung überkompensiert. Man kommt über eine solche Pflicht gelegentlich zur Annahme von Arglist, obwohl das Nichtvorliegen von Arglist nicht auf eine Wissensaufspaltung zurückzuführen ist. So wäre es z. B. im "Dachpfettenfall", wenn keine Hilfsperson gewußt hätte. Eine Pflicht, sich bei der Erfiillung von Bauleistungen, Wissen über Mängel zu verschaffen, müßte, wenn sie besteht, eine Einzelperson genauso treffen wie eine arbeitsteilige Struktur. Eine solche Pflicht hat nichts mit dem auf die arbeitsteilige Struktur beschränkten Problem der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung zu tun. Sie kann daher auch nicht zu seiner Lösung beitragen.775 bb) Die Arglistrechtsprechung in der Literatur
In der Literatur haben die Entscheidungen des BGH im "Kolonnenfiihrerfall"776 und im "Dachpfettenfall" 777 große Beachtung gefunden. 778 Zu-
772 BGHZ 62, 63. 773
BGHNJW 1992, 1754.
774 So auch Flume AcP 197 (1997), 441,452. 775 Sehr kritisch gegenüber der Entscheidung im "Dachpfettenfall" auch Flume, AcP 197 (1997), 441,452 f. und Koller, JZ 1998, 75, 83. 776 BGHZ 62, 63. 777 BGH NJW 1992, 1754. 778 Vgl. Schuber/, JR 1974, 282 f.; Jagenburg, NJW 1993, 102, 110; Der/eder, JZ 1992, 1021 ff.; Knifjka, ZfBR 1993, 255 ff.; Rutkowsky, NJW 1993, 1748 f.; Wirth, BauR 1994, 33 ff.; Koeb/e, Anm. zu BGH LM § 638 Nr. 77; Sch/echtriem, FS Heiermann, S. 281 ff.; Wa/ther, BauR 1996, 455 ff.; Meyer, BauR 1996, 461 ff.; Lang, FS Odersky, S. 583 ff.; sehr kritisch /ngenstau/Korbion, VOB, § 13 Rdnm. 267 ff. Dem BGH, insbesondere dessen Unterscheidung zwischen Erfüllungsgehilfen bei der Offenbarungspflicht und solchen bei der Herstellung zustimmend: Nick/isch!Weick, VOB B, § 13 Rdnr. 83, Werner!Pastor, Der Bauprozess, Rdnm. 2325 f.; Siegburg, Gewährleistung beim Bauvertrag, Rdnm. 339 ff.; Locher, Baurecht, Rdnr. 49; Witten, ZSW 1981, 194, 195 f.; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rdnr. 179 hat
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stimmungund Ablehnung halten sich dabei ungefahr die Waage. Einig ist man sich jedoch weitgehend darin, daß die gesetzliche Verjährungsregel für verdeckte Bawnängel unbefriedigend ist. Im einzelnen ist man sich uneins darüber, ob mit den Prinzipien des "Kolonnenführerfalls" 779 und des "Dachpfettenfalls" 780 ein fairer Interessenausgleich erreicht wird oder nicht.
(1) Schubert Als Grundlage des Urteils im "Kolonnenftihrerfall" 781 sieht Schubert die nicht ganz unproblematische Unterscheidung zwischen Erfüllungsgehilfen bei der Herstellung des Werkes und Erfüllungsgehilfen in bezugauf die Offenbarungspflicht.782 Er hält die Unterscheidung jedoch an sich für gerechtfertigt, da die Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller eine zusätzliche Verpflichtung darstelle und nur bei Ablieferung des Werkes relevant werde. 783 Verfehlt sei die Unterscheidung aber dann, wenn sie zu einer Einschränkung der Haftung des Unternehmers für "Pfuscharbeit" führe. Nach Ansicht Schuberts geht der BGH stillschweigend von einer Prüfungspflicht als Obliegenheit des Unternehmers aus. Die Annahme einer solchen aus den §§ 638, 278, 242 BGB ableitbaren Pflicht sei gerechtfertigt, da sie allein der Verantwortlichkeit des Unternehmers für seine Erfüllungsgehilfen Rechnung trage und angesichts der weitgehend arbeitsteiligen Organisation eines Großbetriebes unbefriedigende Ergebnisse vermeide. 784
(2) Derleder Derleder hält den "Dachpfettenfall" 785 im Ergebnis für unbefriedigend. 786 Auch nach dem Urteil blieben noch Schutzlücken. Andererseits schieße das Urteil über das Ziel hinaus, das in der rechtspolitischen Diskussion gesetzt wurde. 787 Eine Lösung sieht Derleder in der Aufgabe der Unterscheidung zwischen Erfüllungsgehilfen bei der Herstellung und solchen bei der Ablieferung und einer Übernahme der für die Wissenszurechnung im Kaufrecht befürwortedie vom BGH im "Dachpfettenfall", BGH NJW 1992, 1754 entwickelte vierte Stufe, Fiktion von Kenntnis aufgrund Organisationsverschuldens, bereits früher gefordert. 779 BGHZ 62, 63. 780 BGH NJW 1992, 1754. 781 BGHZ 62, 63. 782 JR 1974, 282,283. 783 JR 1974, 282, 283. 784 Schuber!, JR 1974, 282, 283. 785 BGH NJW 1992, 1754. 786 JZ 1992, 1021 ff. 787 Derleder, JZ 1992, 1021, 1022 f. 16*
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ten Kriterien. Auch dort werde jedoch keineswegs das Wissen sämtlicher Angestellter der Organisation zugerechnet, um einen Arglisttatbestand zu konstruieren, sondern auf die praktische Möglichkeit der lnfonnationsvernetzung abgestellt. 788 (3) Kniflka Für interessengerecht hält Kniftka das Urteil im "Dachpfettenfall" 789, weil es ungerechtfertigte Vorteile einer arbeitsteiligen Organisation zumindest teilweise abbaue. 790 Die Diskussion darüber, ob die dogmatische Rechtfertigung allein aus § 242 BGB abzuleiten sei oder das Rechtsinstitut der positiven Vertragsverletzung bemüht werden müsse, sei müßig, da das Urteil interessengerecht sei. 791 Der arbeitsteilig organisierte Unternehmer werde durch die eigenartige Zweiteilung von Erfüllungsgehilfen bei der Herstellung und Erfüllungsgehilfen bei der Abnahme haftungsrechtlich gegenüber demjenigen privilegiert, der das Werk allein herstellt. Er könne durch eine entsprechende Organisation die ihm ohne Arbeitsteilung zwangsläufig zufallende Kenntnis des Mangels "wegorganisieren". Es könne gar keinen Zweifel geben, daß der Unternehmer den Betrieb nicht sanktionslos so organisieren dürfe, daß ihm Fehlleistungen seiner Mitarbeiter unbekannt blieben. Es habe daher nahegelegen, die Sanktion an das Organisationsverschulden anzuknüpfen. 792 Kniftka erklärt, daß der VII. Zivilsenat im Zuge neuerer Entscheidungen anderer Senate des BGH - er bezieht sich auf die "Wissensvertreterrechtsprechung"793- auch eine Abkehr von der fremdartig wirkenden Unterscheidung zwischen Erfüllungsgehilfen bei der Herstellung und bei der Abnahme hätte vornehmen können. Der Senat habe sich der "Wissensvertreterrechtsprechung" nicht angeschlossen, dann sei es nur konsequent - sozusagen zum interessengerechten Ausgleich - höchste Sorgfaltsanforderungen an die übrigen Pflichten zu stellen. 794 Dieser hohe Sorgfaltsmaßstab bei der Erfüllung von Organisationspflichten liege ganz und gar in der deutschen Rechtstradition. Kniflka führt als Beispiele die hohen Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der deliktischen Ver788 Derleder, JZ 1992, 1021, 1023; unter Bezug auf den "Knollenmergelfall", BGHNJW 1992, 1099 (vgl. S. 107 ff.). 789 BGH NJW 1992, 1754. 790 ZfBR 1993,255, 256. 791 Kniffka, ZfBR 1993,255, 256. 792 Kniffka, ZfBR 1993,255, 256. 793 Er zitiert den "Darlehensfall", BGHZ 83, 293 (vgl. S. 53 f.), den "Supermarktfall", BGH NJW 1984, 1953 (vgl. S. 96 ff.), und die "kanadischen Betrugsfälle", BGH NJW 1989,2879 und 2881 (vgl. S. 103 ff.). 794 Kniflka, ZfBR 1993, 255, 256.
§ 4 Handhmgsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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kehrssicherungspflicht, die Rechtsprechoog zwn Organisationsverschulden wegen mangelhafter Überwachoog im Versicherungsrecht ood das Organisationsverschulden des Anwalts im Zusammenhang mit der Fristenkontrolle an. 795 Das Urteil fmde seine Rechtfertigoog in dem Grundsatz: "Wer sich im Rechtsverkehr fremder Hilfe bedient ood die Wirkilllg fremden Verhaltens für sich in Anspruch nimmt, muß auch die Nachteile daraus in Kauf nehmen ood darf sich nicht der eigenen sauberen Hände rühmen" 796.797 (4) Rutkowsky Kritisch betrachtet Rutkowsky in seinem Beitrag "Organisationsverschulden des Bauootemehmers als Arglist i.S. von § 638 BGB?" 798 den "Dachpfettenfall"799. Für die GleichsetZWlg von Organisationsverschulden mit Arglist fehle es an einer überzeugenden dogmatischen Begründoog. 800 Die Gewährleistilllgsregeln im BGB ooterschieden noo einmal klar zwischen einerseits schuldlos verursachten Mängeln sowie fahrlässigem Verhalten gemäß § 635 BGB, deren Rechtsfolgen eindeutig der kurzen VerjährWlgsfrist ooterliegen, ood andererseits einem arglistigen Verhalten, welches aufgrundseines besonders verwerflichen Verschuldensgrades alleine eine Verlängerung der VerjährWlg auf 30 Jahre rechtfertige. Die "nicht richtige Überwachoog ood Prüfung eines Werkes" könne noo nicht einfach mit einem arglistigen Verhalten gleichgesetzt werden. Die GleichsetZWlg zweier völlig ooterschiedlicher Verschuldenstatbestände dadurch, daß jedes Organisationsverschulden mit Arglist gleichgesetzt werde, stelle nicht mehr eine noch zulässige Gesetzesauslegoog dar, sondern enthalte eine nur dem Gesetzgeber vorbehaltene Erweiterung der gesetzlichen HaftWlg. Die Rechtsprechoog verstoße daher gegen Art. 20 III GG. 801 (5) Schiechtriern Die Entscheidoog im "Dachpfettenfall" 802 begrüßt Schlechtriem. 803 Mit ihr habe der BGH im Bereich der Wissenszurechnoog nur nachvollzogen, was mit dem Begriff des "Organisationsverschuldens" für die Zurechnoog fremden
795 ZfBR 1993,255,256. 796 BGHZ 40, 42, 45. 797 Knifjka, ZfBR 1993, 255, 256. 798 NJW 1993, 1748. 799 BGH NJW 1992, 1755. 80°
Rutkowsky, NJW 1993, 1748.
801 Rutkowsky, NJW 1993, 1748, 1748 f. 802 BGH NJW 1992, 1754. 803 FS Heiermann, S. 281 ff.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Fehlverhaltens längst ständige und akzeptierte Rechtsprechung sei. 804 Im Gesetz finde sich nur die Vorschrift des§ 166 BGB, diese ermögliche nur die Zurechnung des Wissens des in Außenkontakte eingeschalteten Vertreters. Es sei aber schwer erträglich, wenn der Unternehmensträger sich bei vorhandenem Wissen im Unternehmen darauf zurückziehen könne, daß der jeweilige Wissensträger fiir Außenkontakte nicht zuständig war. Der Unternehmensträger bzw. die fiir ihn handelnden Leitungsorgane müßten vielmehr die Verfügbarkeit des fiir Außenkontakte relevanten Wissens so organisieren, daß es bei Entscheidungen den fiir Außenkontakte zuständigen und vertretungsberechtigten Mitarbeitern präsent sei und von ihnen berücksichtigt werden könne. Stehe das relevante Wissen nicht zur Verfügung, müsse der Betriebsinhaber bzw. das Leitungsorgan des Unternehmensträgers sich dieses Verschulden in der Organisation des Wissensflusses so zurechnen lassen, als habe es bei dem Außenkontakt dem jeweiligen Mitarbeiter zur Verfügung gestanden, sei dann jedoch unterdrückt worden. Wissenszurechnung sei deshalb eine dogmatisch konsequente Fortentwicklung des Organisationsverschuldens als Kategorie der Zurechnung von fremdem Fehlverhalten.805 806 cc) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Meyer-Reim und Testorf Nur einen Teilaspekt der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung, nämlich die Frage der Zurechnung der Kenntnis von Hilfspersonen, sofern eine Rechtsnorm Rechtsfolgen bei Kenntnis an sich auslöst, behandeln Meyer-Reim und Testorf in ihrem Beitrag "Wissenszurechnung im Versicherungsunternehmen"807. Auch dieses Problem betrachten sie ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, wie der Versicherungsnehmer sicherstellen kann, daß er durch Mitteilung an eine bestimmte Hilfsperson des Versicherers seine Anzeigepflicht auch tatsächlich erfüllt. 808 Meyer-Reim und Testorf referieren zunächst, daß Wissenszurechnung immer über die organschaftliehen Vertreter des Versicherungsunternehmens stattfinde.809 Ferner finde Wissenszurechnung über jene Personen, fiir die dies rechtsgeschäftlich oder gesetzlich bestimmt sei, statt. Letzteres gelte nach 804 Schlechtriem, FS Heiermann, S. 281,291. 805 Schlechtriem, FS Heiermann, S. 281,291. 806 Zumindest die Entscheidung des BGH im "Dachpfettenfall" (BGH NJW 1992, 1754) läßt sich so nicht rationalisieren. Dort rechnete der BGH nicht nur Wissen zu, sondern war auch bereit, Wissen zu fingieren. 807 VersR 1994, 1137 ff. 808 Meyer-Reim/Testorj, VersR 1994, 1137, 1138 ff. 809 Meyer-Reim/Testorf, VersR 1994, 1137, 1140; vgl. zum Problem des Organwissens S. 317 ff.
§ 4 HandlWigsWiabhängige ZurechnWig des Wissens einer Hilfsperson
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§ 43 Nr. 1 VVG für alle Abschluß- und Vermittlungsagenten des Versicherers. 810 Darüber hinaus sei Wissenszurechnung ausgeschlossen. Durch andere Hilfspersonen erlangte Kenntnis sei dem Versicherer grundsätzlich nicht zuzurechnen. 811 Mit diesem Zwischenergebnis sei aber kein gerechter Interessensausgleich geschaffen.812 Das Versicherungsunternehmen müsse sich entgegenhalten lassen, daß es sich durch Rechtsformwahl als juristische Person und durch die arbeitsteilige Organisation insoweit ungerechtfertigte Vorteile verschaffen würde. Es liege daher nahe, dem Versicherer die Kenntniserlangung durch jede seiner Hilfspersonen zuzurechnen. Doch auch der Versicherungsnehmer habe Vorteile durch die arbeitsteilige Struktur des Versicherers. Es sei heutzutage nahezu undenkbar, die Dienstleistung Versicherung als wettbewerbsfähiges Produkt ohne eine stark arbeitsteilige Organisationsstruktur anzubieten. 813 Mangels anderer Normen wollen Meyer-Reim und Testorf zur Lösung des Problems an § 242 BGB und das Institut des Organisationsverschuldeos anknüpfen,814 um den aufgezeigten Konflikt zu lösen. Gehe man davon aus, daß der Versicherer aus seiner arbeitsteiligen Organisation keine Vorteile ziehen solle, so müsse der Kreis so weit gezogen werden, daß es dem Versicherungsnehmer zurnutbar möglich sei, den Versicherer Kenntnis erlangen zu lassen. Das Versicherungsunternehmen brauche Augen und Ohren, um zu hören und sehen. Es müsse also einen Kreis von Personen bestimmt haben, die für die Kenntniserlangung zuständig seien. Habe es dies nicht, könne man analog dem Rechtsinstitut des Organisationsverschuldeos das Versicherungsunternehmen aus eigenem Verschulden zur Verantwortung ziehen und ihm nach Treu und Glauben (venire contra factum proprium) die Berufung darauf verweigern, wegen fehlender Kontaktpersonen keine Kenntnis erlangt zu haben. Könne der Versicherer dagegen nachweisen, daß er derartige Kontaktpersonen für den Versicherungsnehmer erkennbar bestimmt habe, so könne man nur sagen, daß er wußte, wenn tatsächlich das Wissen vorlag. 815 Auch hier dient daher der Grundgedanke der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung zur Begründung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung.
810 Meyer-Reim/Testorf, VersR 1994, 1137, 1140. 811 Meyer-Reim!Testorj, VersR 1994,1137,1140. 812 Meyer-Reim/Testorf, VersR 1994, 1137, 1140. 813 Meyer-Reim/Testorf, VersR 1994, 1137, 1140 f. 81 4 Meyer-Reim!Testorf, VersR 1994, 1137, 1141. 81 5 Meyer-Reim!Testorf, VersR 1994, 1137, 1141.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
dd) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Kohte
Die Frage einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung bei § 814 BGB behandelt Kohte. 816 § 814 l.Alt. BGB stelle nur ein Beispiel widersprüchlichen Verhaltens dar, daher könnten weitere nicht-rechtsgeschäftliche Kondiktionssperren aus § 242 BGB entwickelt werden. 817 Diesen Weg verfolge auch die Rechtsprechung. Widersprüchliches Verhalten könne vorliegen, wenn der Empfänger annehmen durfte, daß der Leistende nach seinem Verhalten die Leistung auch bei fehlendem Rechtsgrund gegen sich gelten lassen wolle. In diesen Sachverhalten sei eine offene Interessenahwägung erforderlich, in der das Verhalten des Gläubigers und die Möglichkeit zurnutbaren Alternativverhaltens sowie die Schutzwürdigkeit des Empfängervertrauens gegeneinander abgewogen werden.818 Als eine weitere Kondiktionssperre könne widersprüchliches Verhalten infolge einer kenntnisverhindernden oder -erschwerenden Organisation angenommen werden, sofern die Zusammenfassung eines unerläßlichen Informationsminimums an einer Stelle nicht gewährleistet sei. Die auf individuelle Kenntnis und persönliches Wissen aufbauenden Normen des Privatrechts würden ins Leere gehen, wenn durch den Aufbau einer arbeitsteiligen Organisation mit ausgeprägter Informationsaufspaltung das Entstehen der notwendigen Kenntnis von der fehlenden Leistungspflicht bei einzelnen Personen nicht oder kaum entstehen kann. Durch die Forderung der Zusammenfassung eines unerläßlichen Informationsminimums lasse sich der Abwälzung von Organisationsrisiken entgegensteuern. 8 19 ee) Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Hersehe!
Den Teilbereich der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung in den Fällen, in denen Wissen an sich relevant ist, ohne daß gehandelt werden müßte, hat Hersehe) erörtert. In einer Anmerkung zu einer HAG-Entscheidung über die bei § 626 II BGB dem Arbeitgeber Wissen vermittelnden Personen weist er auf das Problem der Wissenszersplitterung in der Organisation hin. 820 Müsse sich der Arbeitgeber nur das Wissen desjenigen zurechnen lassen, der ihm zur Feststellung und Meldung verpflichtet sei, so sei der Fristbeginn je nach Gestaltung der Betriebsorganisation verschieden. Der Arbeitgeber hätte es also in der Hand, den Fristbeginn hinauszuschieben. Hersehe) möchte das nicht so verstehen, daß dem Arbeitgeber ein Verschulden angelastet werden solle. Es sei grundsätzlich sein freies Ermessen, wie er seinen Betrieb organisiere. Wenn er ihn aber - ge-
BB 1988, 633 ff. Kohle, BB 1988, 633, 637. 8 18 Kohle, BB 1988, 633, 637. 819 Kohle, BB 1988, 633, 638. 820 Anm. AR-Blattei, Kündigung VIII Entsch. 31. 816 817
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wollt oder ungewollt - so einrichte, daß hieraus eine Verzögerung des Fristbeginns entstehen könne, obwohl eine andere Ordnung sachgemäß und zurnutbar sei, so setze er sich mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch(§ 242 BGB), sofern er dennoch den so verursachten späteren Fristbeginn zu seinen Gunsten in Anspruch nehme. Es könne nicht rechtens sein, daß der Unternehmer Hersehe! bezieht sich auf die Parallele bei § 831 BGB - dann dem Arbeitnehmer als Kündigungsempfänger ein "spezifisches Organisationsrisiko" überbürde. Das Zurechnungserfordernis der "ähnlich selbständigen Stellung wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Stellvertreter" 821 sei wenig präzis. Daß es auf Selbständigkeit ankomme, leuchte wenigstens dann nicht ein, wenn der Dritte selbst einen Entschluß zur Kündigung weder fassen noch aussprechen solle. Eher könne eine tatsächliche Stellung innerhalb des Betriebes, die bei verständiger Würdigung des Sachverhaltes oder des Anscheins eine Unterrichtung des Arbeitgebers erwarten lasse, bedeutsam sein. 822 c) Zusammenfassung Der Gedanke, daß die Begründung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung an die Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson anzuknüpfen habe, fmdet sich vielfach in Rechtsprechung und Literatur. Im einzelnen weichen die Vorschläge jedoch sowohl hinsichtlich Begründung als auch Rechtsfolge erheblich voneinander ab.
3. Lückenfeststellung Im folgenden soll untersucht werden, ob sich eine Lücke für eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung über ein allgemeines Rechtsprinzip der Verantwortung für Risikoschaffung feststellen läßt. Zunächst ist daher zu fragen, ob es ein solches allgemeines Rechtsprinzip gibt. a) Rechtliche Verantwortung für die Schaffung von Risiken Im Haftungsrecht findet sich der Gedanke der Verantwortung für Risikoschaffung bei der Gefährdungshaftung und den Verkehrspflichten.
aa) Gefährdungshaftung Die Gefährdungshaftung beruht zuvörderst auf der Schaffung einer Gefahr, d. h. eines Risikos. 823 Die Schaffung der Gefahr, des Risikos ist dabei er-
Anm. AR-Blattei, Kündigwtg VIll Entsch. 31. Hersehe/, Anm. AR-Blattei, Kündigwtg VIII Entsch. 31. 823 Darüber, daß die Gefahrschaffung wtd Beherrschwtg Hauptgründe der Haftung sind, besteht weitgehend Einigkeit: vgl. mit wtterschiedlichen Nuancen Larenz/Canaris, 821
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laubt. 824 Ein erlaubtes Risiko, das sich allerdings nicht notwendig in der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes realisiert,825 ist auch die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung. Arbeitsteilung ist in einer Verkehrswirtschaft nicht nur erlaubt, sondern sogar die Regel. Aus methodischen Gründen ist es jedoch fragwürdig, für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung der Wissenszurechnung an die Gefahrdungshaftung anzuknüpfen. 826 Die Rechtsprechung827 hat stets erklärt, daß die Fortentwicklung der Gefährdungshaftung in die Kompetenz des Gesetzgebers falle. 828 Wird die Gefährdungshaftung also nicht einmal im Weg des klassischen Analogieschlusses fortgebildet, so kann sie um so weniger Basis eines grundlegenden Prinzips im Rahmen der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung sein. 829
bb) Haftungfor die Verletzung von Verkehrspflichten Der Gedanke der rechtlichen Verantwortung für die Schaffi.mg eines Risikos ist auch der tragende Grundgedanke der Verkehrspflichten.830 Voraussetzung und Inhalt der Verkehrspflichten umschreibt die Rechtsprechung mit der generalklauselartigen Formulierung, daß derjenige, der Gefahrenquellen schafft oder andauern läßt, alle nach der Lage der Verhältnisse erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer Personen zu treffen hat. 831 Bei der Ausbil-
SehR Il/2, S. 605; Esser, Gefährdungshaftung, S. 94 f., 97 ff.; Larenz, VersR 1963, 593, 597; Kötz, AcP 170, 1, 20 f.; Deutsch, Unerlaubte Handlung, Rdnr. 355; anders Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 53 ff., 65 ff., 70 ff. 824 Vgl. Esser, Gefährdungshaftung, S. 90 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 408; kritisch Larenz!Canaris, SehR Il/2, S. 606: der Ausdruck "erlaubt" sei irrefiihrend, er insinuiere, daß das Risiko an sich von Rechts wegen verboten gehöre, außerdem werde das Mißverständnis gefördert, der Gesetzgeber habe insofern keine Wahl zwischen Verschuldensund Gefährdungshaftung. 825 Zu dieser Einschränkung der Gefährdungshaftung, Larenz/Canaris, SehR Il/2, s. 602 f. 826 Gegen eine Gefährdungshaftung für Wissen auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 129 ff., allerdings mit anderer Begründung. 827 BGHZ 54, 332, 336 f.; BGHZ 55, 229, 233 f. 828 Vgl. auch MünchKomm/Mertens, Vor§§ 823- 853 Rdnr. 23. 829 So ausdrücklich für die Gefährdungshaftung auch Canaris, Feststellung von Lükken, S. 95 f. 830 Vgl. Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 407; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 113 spricht von Verantwortlichkeit für eine Gefahr. 831 BGHZ 5, 378, 380 f.; 14, 83, 85; 34, 296, 209; 65, 221, 224; BGH NJW 1990, 1236; Palandt/Thomas, § 823 Rdnr. 58; Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 400; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 43 ff., zusammenfassend S. 82.
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dung von Verkehrspflichten hat sich die Rechtsprechung, anders als bei der Fortentwicklung der Gefährdungshaftung, keine Zuriickhaltung auferlegt. Dies zeigt schon ein Blick auf die wild wuchernden einschlägigen Kommentarstellen. So knüpft die Rechtsprechung an die Gefährdungen des Rechtsverkehrs durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen832 Verkehrspflichten zur Überwachung und Organisation des eigenen Bereiches. 833 Erfüllt der Geschäftsherr diese Pflichten nicht, so haftet er bei Verschulden (Organisationsverschulden) aus § 823 BGB834 fiir den Schaden. cc) Auffindung eines allgemeinen Prinzips mittels Induktion
Es liegt nahe, für die Feststellung einer Lücke hinsichtlich einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei den Verkehrspflichten, insbesondere den Verkehrspflichten aufgrund arbeitsteiligen Einsatzes von Hilfspersonen, anzuknüpfen. Die die Auferlegung von Verkehrspflichten begründenden Erwägungen mill3ten dazu über den Bereich der Verkehrspflichten hinaus als ein allgemeines Prinzip Gültigkeit beanspruchen. 835 Als Mittel der Auftindung eines solchen Prinzips dient in erster Linie die Induktion, also der Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine. 836 In der Literatur werden die Verkehrspflichten zum Teil auf eine generalklauselartige allgemeine Rechtspflicht zuriickgeführt, sein Verhalten so einzustellen, daß dadurch die Rechte und Rechtsgüter anderer, die in§ 823 I BGB aufgezählt sind, "nicht mehr, als im menschlichen Zusammenleben unvermeidlich, gefährdet werden". 837 Bei Anerkennung einer solchen Rechtspflicht wird Gefahrschaffung negativ belegt. In Abgrenzung zu dieser Ansicht wird betont, daß es eine allgemeine Pflicht, andere durch positives Tun vor Gefahren zu bewahren, nicht gibt. Nur unter bestimmten Voraussetzungen verdichte sich aber das allgemeine 832 MünchKomm/Mertens, § 831 Rdnr. 3 sieht den Hintergrund in der Sicherung des Verkehrs vor den Gefahren arbeitsteiliger Aktivität. Schlechtriem, FS Heiennann, S. 281, 289 meint, es gehe um den Schutz vor Gefahren, die im Zusammenhang mit einer arbeitsteiligen Organisation entstehen. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 241 sieht den Schutz vor den Gefährdungen durch Menschen als Ursache. 833 Vgl. oben S. 161 f. 834 Es ist umstritten, ob die Verkehrspflichten in § 823 I oder II BGB zu verorten sind. Für § 823 II BGB insbesondere v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff., für § 823 I BGB vgl. z. B. Larenz/Canaris, SehR 1112, S. 405. Die Rechtsprechung verortet die Verkehrspflichten primär in§ 823 I BGB; vgl. BGH NJW 1987, 2671, 2672. 835 Vgl. zur Lückenfeststellung aufgrundallgemeiner Rechtsprinzipien Canaris, Feststellung von Lücken, S. 93 ff; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240 ff. 836 Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 97 f. 837 Larenz, SehR II, S. 607 ff., 611.
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Rücksichtnahmegebot zu einer deliktischen Verantwortlichkeit für die Bewahrung der Rechtsgüter anderer. 838 Richtig ist es, mit Teilen der Literatur839 nicht den Gedanken, daß Gefahrschaffimg an sich schlecht ist, sondern den Gedanken der Verantwortlichkeit für den Gefahrenherd als tragendes Prinzip zu betonen. Grundgedanke der Verkehrspflichten ist dann nicht, das Schaffen von Gefahrenquellen zu verbieten, sondern die Auferlegung der Rechtspflicht, die Realisierung der Gefahr mit angemessenen Mitteln und zurnutbarem Aufwand zu verhindern. Ein solches Verständnis ist einer modernen Industriegesellschaft am besten angemessen. Das Schaffen von Gefahrenquellen ist regelmäßig die Konsequenz von Aktivität. Die moderne Industriegesellschaft lebt aber von Aktivität, ja setzt diese voraus. Dann sollte dem Schaffen von Risiken rechtlich nichts Odioses anhaften. Die Anerkennung der Verkehrspflichten ist also Ausdruck eines allgemeinen Prinzips der Verantwortung für die Schaffimg von Risiken. Diese müssen mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand kontrolliert werden. Für die Allgemeinheit des Prinzips spricht auch, daß für die Verkehrspflichten mittlerweile grundsätzlich anerkannt ist, daß sie Pflichten zum Schutz des Vermögens sein können. 840 Der Gedanke der Verantwortlichkeit für Risiken findet also nicht etwa eine Grenze darin, daß nur absolut geschützte Rechtsgüter als Schutzobjekte in Betracht kommen. Für die deliktischen Verkehrspflichten ist die Zulässigkeit der Entwicklung von Verkehrspflichten zum Schutz des Vermögens im einzelnen heftig umstritten. So wird gefordert, Verkehrspflichten zum Schutz des Vermögens nur im Rahmen der vermögensschützenden Deliktsnormen zuzulassen.841 Weitergehend wird in der Literatur bisweilen die Entwicklung freier, nicht in die Tatbestände der § § 823 II, 824, 826, 831 BGB integrierter Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens befürwortet. 842 v. Bar hat gezeigt, daß die Rechtsprechung der Sache nach, wenn auch nicht in der Begründung freie Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens anerkennt. 843 Es sei dann konsequent, die so entwickelten Verkehrspflichten auch als solche zu
838 MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 178. 839 Vgl. Larenz/Canaris, SehR W2, S. 407 sieht den maßgeblichen Gerechtigkeitsgrund im Gedanken der Verantwortlichkeit für die Setzung eines Risikos; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 113 betont die Verantwortlichkeit für außergewöhnliche Gefahr. 840 Larenz/Canaris, SehR W2, S. 406; Canaris, 2. FS Larenz, S. 29, 81 ff.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 204 ff.; MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 469. 841 Canaris, 2. FS Larenz, S. 29, 81 ff.; Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 406. 842 Huber, FS Caemmerer, S. 359 ff; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 204 ff.; auch MünchKomm/Mertens, § 823 Rndr. 469. 843 Verkehrspflichten, S. 206 ff.
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bezeichnen. 844 Hier braucht nicht über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Entwicklung von freien Verkehrspflichten zwn Schutz fremden Vermögens angesichts der Absage des BGB an einen generellen deliktsrechtlichen Vermögensschutz entschieden zu werden. Aus der, zumindest in der Sache, nicht zu verleugnenden Entwicklung von freien Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens845 wird deutlich, daß es ein allgemeines Prinzip der Verantwortung für die Schaffi.mg von Risiken gibt. Im Bereich der deliktischen Verkehrspflichten gerät dieses Prinzip in Konflikt mit der Grundentscheidung des BOB-Gesetzgebers gegen eine deliktsrechtliche GeneralklauseL Daß es sich sogar dort der Sache nach durchsetzt, beweist die Stärke des Prinzips. Wer Risiken schafft, muß Dritte mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand vor deren Realisierung schützen: das ist also das den Verkehrspflichten zugrundeliegende allgemeine Prinzip. 846 Für die Entwicklung einer Form handlungsunabhängiger Wissenszurechnung könnte auch an das umfassende System von Pflichten zum Schutz des Partners des rechtsgeschäftliehen Kontakts angeknüpft werden, das Rechtsprechung und Literatur über die Figuren der culpa in contrahendo und der positven Forderungsverletzung entwickelt haben. Diese Pflichten dienen dem Schutz der Partner vor Schäden, die ihnen aus der Durchfiihrung des Schuldverhältnisses an ihren Rechtsgütern erwachsen können. 847 Die Partner haben sich gegenüber einander so zu verhalten, wie es ein jeder mit Rücksicht auf den konkreten Vertragszweck, die besondere Art der Leistung und die Erfordernisse eines loyalen Zusarnmenwirkens, von dem anderen erwarten darf.848 Es liegt nahe, hieran auch die Pflicht zu knüpfen, bestimmtes Wissen verfügbar zu machen. Im folgenden soll gleichwohl für die zu entwickelnde Figur der Wissenszurechnung von dem in den Verkehrspflichten zwn Ausdruck kommenden Prinzip der Veranwortung für die Schaffung von Risiken ausgegangen werden. 849 Die v. Bar, Verkehrspflichten, S. 233 ff. Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 206 ff. 846 Man kann in der Entwickhmg dieses Prinzips eine interessante Wechselwirkung zwischen zwei an sich gegenläufigen Tendenzen erkennen. Zum einen erhöhen sich in der modernen Gesellschaft beständig die Risiken einer Gefährdung durch Zunahme an komplexer Aktivität. Zum anderen ist die Rechtsentwicklung seit Schaffung des BGB geprägt von einem aus einem steigenden Sekuritätsbedürfnis geborenen Trend zu Fürsorge und Pflichtigkeit (so v. Bar, Verkehrspflichten, S. 39). Die Risiken erhöhen sich also fortwährend, gleichzeitig wird die Bereitschaft, diese zu tragen, immer geringer. 847 Larenz, SehR I, S. 10. 848 Larenz, SehR I, S. 10. 849 Im übrigen lassen sich die Schutzpflichten zumindest auch als Verwirklichung des Gedankens der Verantwortung für die Schaffung eines Risikos begreifen. Auch dort 844
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Verkehrspflichten gelten nämlich selbstverständlich auch fiir den Fall, daß eine Sonderverbindung zwischen den Parteien besteht, also im rechtsgeschäftliehen wie im außerrechtsgeschäftliehen Bereich. 850 Es geht hier aber um die Entwicklung eines allgemeinen Prinzips der Wissenszurechnung im rechtsgeschäftliehen wie im außerrechtsgeschäftliehen Bereich. Die Tatsache, daß im rechtsgeschäftliehen Bereich zu den allgemeinen Verkehrspflichten gegenüber dem Partner des rechtsgeschäftliehen Kontakts intensivere und weitere Schutzpflichten hinzukommen, kann sich natürlich auch im Rahmen der Wissenszurechnung niederschlagen. Auch dort können sich gegenüber dem Partner des rechtsgeschäftliehen Kontakts nämlich im Einzelfall zusätzliche oder intensivere Pflichten ergeben. 851 b) Lückenfeststellung aufgrund des allgemeinen Prinzips und methodische Zulässigkeit aa) Lückenfeststellung aufgrunddes allgemeinen Prinzips
Durch arbeitsteilige Aktivität entsteht nun nicht nur das Risiko der Schädigung Dritter an absoluten Rechtsgütern und Vermögen, sondern zusätzlich das Risiko der Wissensaufspaltung, das, so es sich realisiert, eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Dritten zur Folge hat. Auch fiir dieses Risiko ist derjenige, der es durch arbeitsteilige Aktivität schafft, verantwortlich. Der allgemeine Gedanke des den Verkehrspflichten zugrundeliegenden Prinzips greift al-
geht es um den angemessenen Schutz eines Dritten, des Partners des rechtsgeschäftliehen Kontakts, vor möglichen Schäden, die aus einem Risiko, dem rechtsgeschäftliehen Kontakt, erwachsen. Ein Vorteil der Anknüpfung an die Verkehrspflichten ist darüber hinaus, daß deren Entstehung und Inhalt insbesondere durch v. Bar, Verkehrspflichten, passim, vgl. auch Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 399 ff. eine gewisse Struktur erhalten haben. Die Schutzpflichten wuchern wild aus § 242 BGB. 850 Es kann hier dahinstehen, ob de lege ferenda eine Rückgliederung der Schutzpflichten in das Deliktsrecht und dort eine Einstellung unter die Verkehrspflichten zu befürworten ist, so z. B. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 220 ff.; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 423; dagegen z. B. Soergel/Wiedemann, Vor§ 275 Rdnr. 361. De lege lata handelt es sich um zwei verschiedene, aber kumulativ anwendbare Haftungssysteme. 851 Die hier zu entwickelnde Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung beruht auf einer Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten. Der Inhalt dieser Pflicht bestimmt sich über die Kriterien zweier beweglicher Systeme. In diese beweglichen Systeme ist auch das Kriterium einzustellen, daß die Parteien in rechtsgeschäftlichem Kontakt stehen (vgl. d aa (6) und e aa). Auch haftet bei Bestehen einer Sonderverbindung der Geschäftsherr für Gehilfenversagen im Rahmen der Wissenszurechnung über § 278 BGB (vgl. unter h).
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so ebenfalls für die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung ein. Mit einer Wissenszurechnung nur über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB und die Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, wird das Risiko der Wissensaufspaltung nicht erfaßt. Soweit das Gleichstellungsargument gilt, kann hier auf die Ausführungen zur Lückenfeststellung mit dem Gleichstellungsargument verwiesen werden. 852 Aber auch soweit es nicht gilt, schafft der Geschäftsherr durch die arbeitsteilige Struktur das Risiko, daß dienstlich erworbenes Wissen aufgespalten ist. Dieses Risiko wird nicht über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB kompensiert, da dieser nur die Zurechnung des Wissens der handelnden Hilfsperson rechtfertigt, und nicht über die Figur des "Wissensempfangsvertreters", basierend auf dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, da die Bestellung von "Wissensempfangsvertretern" freie Entscheidung des Geschäftsherrn ist. Mit dem Gedanken der Verantwortung für die Schaffung von Risiken läßt sich im Prinzip eine Lücke hinsichtlich einer Regelung der rechtlichen Verantwortung für die Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung feststellen. Die die Auferlegung einer Verkehrspflicht rechtfertigenden Umstände sind von der Wissenschaft über den allgemeinen Grundgedanken hinaus systematisiert worden. 853 Damit von einer Lücke für die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung ausgegangen werden kann, müßten diese Umstände auch für den Fall der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung vorliegen. Erst das Vorliegen der Entstehungsgründe rechtfertigt nämlich konkret die Auferlegung der Verkehrspflicht. Als Hauptgründe für die Annahme einer Gefahrabwendungspflicht werden die Einstandspflicht für die Sicherheit eines Bereiches und die Übernahme einer Aufgabe genannt. 854 Die Begründung der Verantwortung durch Übernahme einer Aufgabe scheidet hier, mangels Übernahme einer Aufgabe durch den Geschäftsherm, aus. Es kommt somit einzig die Bereichshaftung in Betracht. Die unterschiedlichen Entstehungsgründe der Verkehrspflichten bilden ein offenes oder bewegliches System i. S. Wilburgs. 855 Die einzelnen Gerechtigkeitskriterien wirken "kombinatorisch" zusammen und ergänzen sich wechselseitig.
Vgl. S. 186 ff. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 112 ff.; ders., in: Das Bewegliche System, S. 63 ff.; Larenz/Canaris, SehR ID2, S. 406 ff. 854 Für diese Einteilung Larenz/Canaris, SehR IV2, S. 406 ff. Diese Einteilung findet sich nicht bei der Behandlung der Entstehungsgründe der Verkehrspflichten bei v. Bar, S. 112 ff. Sie macht in der Sache keinen Unterschied, ist terminologisch aber sinnvoll. 855 Vgl. v. Bar, in: Das Bewegliche System, S. 63, 69 f.; Larenz/Canaris, SehR IV2, s. 412. 852
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Zuvörderst wird als Gerechtigkeitskriterium für die Auferlegung von Verkehrspflichten die Setzung eines Risikos, die Schaffung oder Unterhaltung einer Gefahr genannt. 856 Durch die Wissensaufspaltung wegen arbeitsteiligen Gehilfeneinsatzes entsteht zwar keine Gefahr im Sinn einer "objektiven Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses" 857 , aber ein Risiko, das sich in der Verschlechterung der Rechtsposition eines Dritten realisiert. Als weiteres Gerechtigkeitskriterium gilt die Beherrschung der Gefahr. 858 Die Gefahrbeherrschung spielt eine doppelte Rolle. Sie dient der Ermittlung des Pflichtenträgers und der Feststellung des Pflichtenumfangs.859 Hier genügt es zunächst festzuhalten, daß die Gefahrenquelle in der Verfügungsgewalt des Geschäftsherrn ist und dieser deshalb in der Lage ist, die zur Sicherung des Verkehrs erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 860 Auf die Schwierigkeit der Beherrschbarkeit der Gefahr kommt es vorerst nicht an. Ein weiteres Kriterium ist der Gedanke der Zusammengehörigkeit von Risikotragung und Vorteilsziehung,861 also des "ex qua persona quis tuerum capit, eius factum praestare debet" . Der Geschäftsherr zieht Vorteile aus der arbeitsteiligen Struktur. Andernfalls würde er sie gar nicht erst einsetzen. Darauf, daß der Ernpfauger einer Leistung durch eine arbeitsteilige Struktur ebenfalls Vorteile aus dieser zieht, kommt es insofern nicht an. Der Geschäftsherr zieht jedenfalls einen Vorteil. Als vierte Säule862 des beweglichen Systems wird das Vertrauensschutzprinzip genannt. 863 Wie erörtert, nimmt der Geschäftsherr einer arbeitsteiligen Struktur lediglich das eher schwache Vertrauen in Anspruch, daß eine Organisation des Wissens besteht. 864 Wenngleich dieses Vertrauen nicht besonders stark ist, so ist es doch gegeben. Im übrigen hat der Vertrauensgedanke seinen Anwendungsbereich eher bei Begründung
Larenz/Canaris, SehR ll/2, S. 407 f.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 113 ff. Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 113m. w. N. für die Definition im Anschluß an die Rechtsprechung. 858 Auf die Beherrschbarkeit des Organisationsrisikos stellt auch Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 27, bei der Begründung der Wissenszurechnung über den Maßstab der ordnungsgemäß organisierten Kommunikation ab. 859 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 122; auch bei Larenz/Canaris, SehR ll/2, S. 406 ff. findet sich der Gedanke der Gefahrbeherrschung als Gerechtigkeitsgrund für die Zurechnung des Risikos (S. 408, 41 0) und bei der Erörterung der Gefahrverhinderungspflicht (S. 414). 860 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 122 unter Bezug auf die Rechtsprechung für dieses Verständnis der Beherrschbarkeit der Gefahr. 861 Larenz/Canaris, SehR ll/2, S. 408, 410; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 123 ff. 862 Für den Ausdruck vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 69. 863 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 117 ff.; Larenz/Canaris, SehR ll/2, S. 410, 412. 864 Vgl. S. 218 f. 856 857
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von Verkehrspflichten aus der Übernahme einer Aufgabe. 865 Seine Schwäche wird durch die Stärke der drei übrigen Säulen ausgeglichen. Es sind also alle V oraussetZWlgen des Zurechnungsgrunds der Einstandspflicht für die Sicherheit eines bestimmten Bereiches gegeben. Für den Fall der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung gilt daher das allgemeine Prinzip der Verantwortung für die Schaffung von Risiken. 866 Wer Hilfspersonen arbeitsteilig einsetzt, hat mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand für die Sicherheit seines Bereiches einzustehen. Der Gedanke, an die Haftung für VerkehrspflichtverletZWlgen anzuknüpfen, findet sich auch in der modernen Literatur und Rechtsprechung. 867 Taupitz stützt die von ihm befürwortete Wissenszurechnung über die Grundsätze der ordnungsgemäß organisierten Kommunikation neben dem Vertrauensgedanken868 auf eine aus Treu und Glauben zu stützende Rechtspflicht (Organisationspflicht) aufgrundder Beherrschung eines selbsteröffueten Verkehrsbereiches. 869 Dem hat sich der V. Zivilsenat des BGH im "Altlastenfall" 870 angeschlossen. 871 Auch Schiechtriern stützt die von ihm angenomme Pflicht, Wissen zu organisieren, auf den Gedanken, daß den Gefahren, die durch das Zusammenwirken vieler Personen in komplexen Organisationen entstehen können, durch eine entsprechende Ausprägung der Verkehrssicherungspflicht entsprochen werden müsse. Es bestehe eine Pflicht, sich so zu organisieren, daß Gefahren vermieden werden.872
bb) Methodische Zulässigkeif Im Rahmen der Lückenfeststellung stellt sich bereits das Problem der methodischen Zulässigkeit der Rechtsfortbildung. Die hier aus der Gesamtrechtsord865 Nur dort wird er denn auch bei Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 410 genannt. 866 Dies übersieht Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, passim, der deshalb nur zu einer handlungsabhängigen Wissenszurechnung kommt, um dieses Ergebnis dann aber durch Beweiserleichterungen fiir den Kenntnisnachweis zu korrigieren (vgl. Innerbetriebliches Wissen, S. 202 ff., 223 ff.). 867 Grundsätzlich ablehnend aber Koller, JZ 1998, 75, 80. 868 Vgl. oben S. 210 ff. 869 FS E. Lorenz, S. 673, 688 f. Auch Larenz!Wo/f, AT, S. 887 f. stützt eine entsprechende Organisationspflicht auf Treu und Glauben. 870 BGH NJW 1996, 1339, 1340 f. 871 Vgl. auch den Beitrag von Hagen, DRiZ 97, 157 ff. Der Vorsitzende des V. Zivilsenats hebt dort hervor, daß die Grundlage der Wissenszurechnung in einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation liegt (DRiZ 1997, 157, 163). Dem "Altlastenfall" folgt der XI. Zivilsenat in BGH NJW 1997, 1917 ff. 872 FS Heiermann, S. 281, 289. 17 Baum
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nung zu entwickelnde Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung wäre methodisch unzulässig, wenn es sich um eine Rechtsfortbildung contra legem handeln würde, sie also nicht mit dem Gesetz vereinbar wäre. 873 Es würde dann schon keine Lücke bestehen. Um zu entscheiden, ob die hier zu entwickelnde Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung874 methodisch unzulässig ist, soll diese zunächst knapp skizziert werden. Über die hier vorzuschlagende Figur der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung kann handlungsunabhängig - also für den Fall der Handlung einer anderen Hilfsperson oder des Geschäftsherrn selbst oder aber bei Relevanz von Wissen an sich - das dienstlich erlangte Wissen einer unbeteiligten Hilfsperson zugerechnet werden, sofern für den Geschäftsherrn wegen der Risikoschaffung durch Arbeitsteilung eine Pflicht besteht, dieses Wissen der handelnden oder zuständigen Hilfsperson oder sich selbst verfügbar zu machen und noch verfügbar zu halten, und diese Pflicht schuldhaft verletzt ist. Ist das Wissen verfügbar zu machen und zu halten, so kommt es auch nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 166 II BGB direkt oder analog an. (1) Entgegenstehende gleich- oder höherrangige Prinzipien
Bei Prinziplücken - hier geht es um eine Rechtsfortbildung auf der Grundlage des Prinzips der Verantwortung für Risikoschaffung - stellt sich zunächst die Frage, ob das Prinzip mit einem gleich- oder höherrangigen Prinzip in Widerspruch steht. 875 Ein solches entgegenstehendes gleich- oder höherrangiges Prinzip ist nicht ersichtlich. (2) Die Literatur In der Literatur wird von einigen Stinunen mit unterschiedlicher Begründung eine allgerneine handlungsunabhängige Wissenszurechnung, wie sie hier vorgeschlagen wird, als methodisch unzulässig abgelehnt. 876 So lehnt Wetzel eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung ab, da die Wissenszurechnung aufgabenakzessorisch sei. 877 Eine Organisationspflicht sicherzustellen, daß vorhandenes Wissen zusammenkomme, treffe den Geschäftsherrn nur dann, wenn
873 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246; Canaris, Feststellung von Lücken, S. 40 ff.; vgl. auch Neuner, Rechtsfindungcontra Iegern, passim. 874 Vgl. ausführlich sogleich unter "4. Lückenausfüllung". 875 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 96. 876 Einige behandeln lediglich die handlungsabhängige Wissenszurechnung, ohne eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung überhaupt zu erörtern (so Rabe, Bösgläubigkeit, passim; Häsemeyer, JuS 1984, 176, 179 f.; Raiser, JZ 1961, 26 f.). 877 Zurechnung, S. 79.
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auch grobfahrlässige Unkenntnis genüge878, nicht aber, wenn ihm lediglich positive Kenntnis schade. 879 Auch Lorenz lehnt eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung für den Fall der späteren Kenntnis eines bei Besitzerwerb unbeteiligten Besitzdieners im Rahmen von § 990 I 2 BGB 880 ab,881 da der Geschäftsherr sich hier nicht durch Einsatz einer Hilfsperson von Kenntnis fernhalte. 882 Aus der lediglich beschränkten Anordnung der Wissenszurechnung in § 166 I BGB folgert Waltermann883, daß die Fälle handlungsunabhängiger Wissenszurechnung sich nicht in methodisch und verfassungsrechtlich zulässiger Weise durch den Rechtsanwender lösen lassen und deshalb der Gesetzgeber gefordert ist. Gursky verlangt für die Wissenszurechnung bei § 990 BGB stets eine vertretergleiche Stellung der Hilfsperson. 884 Die Ablehnung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung durch Wetzet, Lorenz, Waltermann und Gursky kann aber schon deshalb nicht überzeugen, weil die Möglichkeit einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung extra Iegern - so z. B. aufgrund eines Prinzips der Verantwortung für Risikoschaffung - überhaupt nicht diskutiert wird. (3) Das beredte Schweigen des Gesetzes Zu fragen ist jedoch, ob die Entwicklung einer Figur der Wissenszurechnung über ein Prinzip der Verantwortung für die Schaffung von Risiken wegen Schweigens des Gesetzes über diese ausgeschlossen ist. 885 Dies wäre der Fall, wenn insofern das Schweigen des Gesetzes ein beredtes Schweigen886 wäre. Das Schweigen des Gesetzes kann in zweifachem Sinn beredt sein. 887 Entweder soll das fragliche Problem überhaupt nicht rechtlich geregelt werden, die Frage fällt dann in den rechtsfreien Raum, oder aber das Gesetz zeigt durch die Verknüpfung einer Rechtsfolge mit einem bestimmten Tatbestand, daß es für einen anderen, nicht ausdrücklich geregelten Fall diese Rechtsfolge nicht will. In letz-
878 Zurechnung, S. 78 f. 879 So ausdrücklich: Zurechnung, S. 88. 880 Bei § 990 I 2 BGB schadet Kenntnis ohne Handlung. 881 JZ 1994, 549, 553 f. 882 JZ 1994, 549, 554. Dies ist schon tatsächlich falsch. Bei Einschaltung eines Besitzdieners in die Besitzerhaltung verlagert der Besitzer die Möglichkeit der Erlangung von Kenntnis zumindest zum Teil auf diesen, da der Besitzdiener faktisch mit der Sache umgeht. 883 AcP 192 (1992), 181,213 f. 884 Staudinger/Gursky, § 990 Rdnr. 44. 885 Vgl. zum Schweigen des Gesetzes Canaris, Feststellung von Lücken, S. 40 ff. 886 Vgl. fiir den Ausdruck z. B. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 39m. w. N. 887 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 39 f. 17*
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terem Fall handelt es sich um ein argurnenturn e contrario. Da die Frage einer möglichen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung nicht in den rechtsfreien Raum fällt, 888 ist im folgenden nur zu erörtern, ob die Rechtsfortbildung wegen eines argurnenturn e contrario ausgeschlossen ist. Anknüpfungspunkt ist die gesetzliche Vorschrift über die Zurechnung von Wissen, also § 166 BGB. Da § 166 II BGB nach hier vertretener Ansicht bei der Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung nicht zur Anwendung kommt889 die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung also auch dann erfolgt, wenn die Voraussetzungen des § 166 II nicht direkt oder analog gegeben sind - müssen § 166 I und II BGB als möglicherweise entgegenstehende Vorschriften betrachtet werden. (a) Argurnenturne contrarioaus § 166 I BGB? Verhältnismäßig einfach ist die Frage, ob sich ein argurnenturn e contrario aus§ 166 I BGB ergibt. Beim argurnenturne contrariohandelt es sich- wie bei der Analogie - nicht um ein formallogisches Schlußverfahren, sondern um eine normativ-teleologische Beweisführung. 890 Es erfolgt ein Schluß von der Verschiedenheit der Voraussetzungen auf die Verschiedenheit der Rechtsfolgen. 891 Dieser beruht auf dem Gebot der Gerechtigkeitsidee, Ungleiches ungleich zu behandeln. 892 Das argurnenturn e contrario schließt also die Übertragung der Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen Tatbestand aus. Die hier zu entwickelnde Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung hat eine andere Rechtsfolge als die Wissenszurechnung aufgrund des Rechtsgedankens des § 166 I BGB. Bei dieser wird dem Geschäftsherrn das gesamte dienstliche und private Wissen einer Hilfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer konkreten Handlung zugerechnet. Bei jener geht es um die Verpflichtung des Geschäftsherrn, dienstlich erlangtes Wissen einer Hilfsperson verfügbar zu machen und zu halten. Es geht also nicht um die Übertragung der Rechtsfolge des § 166 I BGB auf einen anderen Tatbestand, sondern um die Anordnung einer anderen Rechtsfolge. Da die Rechtsfolgen unterschiedlich sind, ist die hier vorgeschlagene Rechtsfortbildung nicht wegen eines argurnenturn e contrario aus § 166 I BGB als contra Iegern zu betrachten.
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Vgl. S. 93.
§ 166 II BGB zur Anwendung (vgl. S. 147), ein argurnenturne contrariodaher insofern nicht in Betracht. 89 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 45. 891 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 45. 892 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 45. 889 Auf den "Wissensempfangsvertreter" kommt
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(b) Argwnentum e contrarioaus § 166 II BGB? Problematischer ist die Vorschrift des § 166 II BGB. Aus ihr scheint abzuleiten, daß es wegen § 166 I BGB prinzipiell nur auf das Wissen der handelnden Hilfsperson und nur unter den engen Voraussetzungen des § 166 II BGB 893, nämlich bei Handeln auf Weisung, auch auf das Wissen einer anderen Person, in der Regel des Geschäftsherrn, ankommt. So sieht Canaris einen gewissen Gegensatz seiner Konzeption der Zusammenrechnung des Wissens aller Wissensvertreter zu§ 166 II BGB.894 Diesen will er entschärfen, indem er seine Grundsätze der Wissenszurechnung nicht auf alle Arten der Stellvertretung ausdehnt, sondern aufUnternehmen beschränkt. 895 Bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung geht es aber nicht um ein Problem des Unternehmens, sondern der arbeitsteiligen Tätigkeit. Diese setzt nicht die Organisation einer arbeitsteiligen Struktur als Unternehmen voraus. 896 Im übrigen ist § 166 II BGB auch auf Vertretungsverhältnisse in Unternehmen anwendbar. Ziel muß es daher sein, den Konflikt zu lösen, nicht ihn lediglich zu entschärfen. Auch Taupitz897 sieht einen möglichen Konflikt zwischen § 166 II BGB und einer weitergehenden Wissenszurechnung. Zumindest dann, wenn es sich bei der fraglichen Organisation um eine juristische Person handele, entfalte § 166 II BGB aber keine Sperrwirkung. § 166 II BGB sei nämlich bei juristischen Personen nicht unmittelbar anwendbar. Ein Vertretener, der eigene Kenntnisse habe und direkte Weisungen erteilen könnte, sei bei einer juristischen Person nicht vorhanden. Vielmehr existierten lediglich mehrere Vertreter. Umgekehrt lasse sich aber sagen, daß dies ganz typischerweise der Fall sei, so daß ein Dritter, der mit einer juristischen Person in Kontakt trete, auch im Normalfall erwarten könne, daß in dieser rechtlichen Einheit tatsächlich mehrere Vertreter vorhanden und untereinander durch Informationspflichten verbunden seien. Der Dritte erwarte zu Recht eine ordnungsgemäß organisierte Kommunikation. Aus diesem Blickwinkel mache es aus Sicht des Dritten auch keinen Unterschied, ob der Vertreter tatsächlich fiir eine juristische Person oder eine Ge-
893 Bei Erweiterung des § 166 I BGB wird selbstverständlich auch § 166 II BGB erweitert, vgl. oben S. 127 ff. zum allgemeinen Rechtsgedanken des§ 166 II BGB. 894 Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a. 895 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a. 896 Vgl. zu dieser Überlegung schon oben bei der Erörterung des Gleichstellungsarguments S. 184 f.; vgl. fiir die Argumentation von Canaris schon S. 205 Fn. 590. 897 Karlsruher Forum 1994, 16, 26.
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samthandsgesellschaft auftrete, zu denken sei im Anschluß an Canaris898 an eine Ausdehnung auf "Unternehmen" generell. 899 Die Problematik der Begründung einer Wissenszurechnung über den Vertrauensgedanken wurde bereits an anderer Stelle erörtert.900 Selbst wenn man Taupitz insoweit folgen würde, bliebe doch das Problem eines möglichen Widerspruchs zu§ 166 II BGB. § 166 II BGB ist nämlich entgegen Taupitz unmittelbar auf die juristische Person anwendbar. Vertretener ist die juristische Person, die über ihren Vorstand handlungsfähig ist und Weisungen erteilen kann. Die Tatsache, daß der Vorstand ggf. aus mehreren Mitgliedern besteht (vgl. § 26 I 2 BGB) ändert nichts daran, daß es eine Vertretene, die juristische Person gibt, für die Weisungen erteilt werden können. Es muß daher untersucht werden, ob der Umkehrschluß aus§ 166 II BGB direkt oder analog - Zurechnung des Wissens einer anderen als der handelnden Person nur bei Weisung des Geschäftsherrn- tatsächlich im Widerspruch zu einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung steht. Beim argurnenturn e contrario handelt es sich, wie gesehen, um eine normativ-teleologische Beweisführung. Von der Verschiedenheit der Voraussetzungen wird auf die Verschiedenheit der Rechtsfolgen geschlossen. § 166 II BGB gebietet die Zurechnung des Wissens des Geschäftsherm. Bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung geht es nun aber nicht um die Zurechnung des Wissens des Geschäftsherm, sondern seine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten. Wie bei § 166 I BGB kommt daher auch ein Umkehrschluß aus § 166 II BGB nicht in Betracht, weil es nicht um die Übertragung derselben Rechtsfolge geht. Eine weitere Überlegung mag verdeutlichen, daß die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffimg gegenüber § 166 II BGB keine Rechtsfortbildung contra Iegern ist. Ratio /egis des § 166 II BGB ist es, zu verhindern, daß die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsaktes durch die Bevollmächtigung eines arglosen Dritten umgangen wird. 901 § 166 I, II BGB verwirklichen den Grundgedanken, daß es im Einzelfall auf die Person und Bewußtseinslage desjenigen ankommt, auf dessen Interessenbewertung und Entschließung der Abschluß des Vertretergeschäftes beruht.902 Die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg läßt diese Gedanken unberührt. Sie beruht auf einem anderen Zurechnungsgedanken, nämlich der Risikoschaffung durch Arbeitsteilung. Es wird
Bankvertragsrecht, Rdnr. 800 a. Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26. 900 Vgl. S. 210 ff. 901 RG JW 1916,317, 318; BGHZ 38, 65, 67. 902 BGHZ 51, 141, 146 f. 898
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nicht auf die Bewußtseinslage einer bestimmten Person abgestellt, sondern dem Geschäftsherrn auferlegt, der handelnden bzw. zuständigen Person bestimmtes Wissen zur Verfügung zu stellen. Zugerechnet wird also neben dem Wissen, das tatsächlich bei der Person vorliegt, auf deren Entschluß die Willenserklärung oder allgemeiner die Handlung zurückgeht, das Wissen, das bei ihr hätte vorliegen müssen. Die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung tritt als selbständiger Zurechnungsgrund neben § 166 II BGB. Sie verdrängt die Vorschrift nicht. So verbleibt für die Vorschrift des § 166 II BGB ein eigenständiger Anwendungsbereich. Die Vorschrift greift kürzer als die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung, da nur Wissen einer die Weisung erteilenden Person zuzurechnen ist. Sie greift aber auch weiter, da bei Weisung auch dienstliches Wissen, das nicht verfügbar gemacht werden mußte, und privates Wissen zurechenbar ist. Schließlich ist noch zu einem Einwand Wilhelms gegen die handlungsunabhängige Wissenszurechnung Stellung zu nehmen. Dieser betrachtet das Schweigen des Gesetzes über eine Wissenszurechnung als beredtes Schweigen.9°3 Er lehnt eine Wissenszusammenrechnung innerhalb einer Organisation, also die Zurechnung des Wissens an der konkreten Handlung unbeteiligter Mitarbeiter, auf die die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung hinausläuft, ab, da das Gesetz gar keine Gedanken über die Wissenszurechnung enthalte.904 Es werde aber nicht nur dasjenige Recht, was sich im Gesetz finde. Das BGB sei nicht so töricht, eine Konzeption zu verfolgen, nach der Vertragschließende Einzelpersonen seien, bei denen sich das maßgebliche Wissen nicht aufspalte, und deshalb gehe es nicht um die Verhinderung der Besserstellung desjenigen, der die Vorteile arbeitsteiligen Wirtschafrens nutze. Jeder dürfe sich organisieren, das gelte für natürliche und juristische Personen gleichermaßen. Eine Wissenszusammenrechnung sei mit dem Recht, sich unternehmerisch in welchem Umfang auch immer zu betätigen, unvereinbar. 905 Wilhelm zieht also keinen Umkehrschluß aus § 166 BGB, da er schon diesen nicht für eine Wissenszurechnungsregel hält,906 sondern deutet das seiner Ansicht nach vollständige Schweigen des Gesetzes als eine positive Aussage. Auch dies kann nicht überzeugen. Die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ist eine Rechtsfortbildung extra Iegern; sie ist Ausdruck eines allgemeinen Prinzips, das Bestandteil der Rechtsordnung ist, und wird von dieser gefordert. Wilhelms Ansicht, daß unternehmerische Betätigung und Wissenszu903 WuB I D 3.- 3.95, S. 374. 904 WuB I D 3.- 3.95, S. 374. 905 WuB I D 3.- 3.95, S. 374. 906 Vgl. zu diesem Verständnis des§ 166 I BGB, Wi/helm, AcP 183 (1983), 1, 19 und ausführlich oben S. 74 ff.
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sammenrechnung unvereinbar seien, ist eine bloß tatsächliche, und wie die bereits ergangene Judikatur des BGH zur Wissenszurechnung belegt, auch noch falsche Behauptung. Methodisch läßt sich Wilhehns These, daß das Schweigen des Gesetzes über eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung diese ausschließe, nur auf der Grundlage von Zitelmanns907 Lehre des allgemeinen negativen Satzes rechtfertigen. Danach ist das Fehlen einer positiven Regelung gleichbedeutend mit einer negativen Regelung. Die Lehre vom allgemeinen negativen Satz gilt heute jedoch mit Recht als nicht mehr haltbar. 908 Rechtsfortbildung extra legem ist zulässig, wenn sie dem Gesetz nicht widerspricht und durch spezifisch rechtliche Kriterien gefordert wird.9°9 Das ist bei der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffi.mg der Fall. (4) Ergebnis Die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung ist eine methodisch zulässige Rechtsfortbildung. Es besteht daher eine Lücke, die im folgenden geschlossen werden kann.
4. Lückenausfüllung a) Grundlagen Während bei der Feststellung einer Gesetzeslücke, einer Lücke i. e. S., durch Analogieschluß mit der Lückenfeststellung in der Regel die Lückenfüllung feststeht,910 fallen Lückenfeststellung und Lückenschließung- wie bereits gesehenbei Prinziplücken regelmäßig auseinander, da die Prinzipien wesensmäßig dadurch bestimmt sind, daß sie keinen rechtssatzmäßigen Charakter haben. 911 Das Prinzip weist gewöhnlich nur die Richtung fiir eine Lückenausfüllung durch Konkretisierung. 912 So ist es auch hier. Aus dem allgemeinen Prinzip der Verantwortung fiir die Schaffung von Risiken ergibt sich, daß derjenige, der Hilfspersonen arbeitsteilig einsetzt, fiir die Sicherheit seines Bereiches einzustehen hat. Er hat daher mit zurnutbarem Aufwand auch dafiir Sorge zu tragen, daß sich das Risiko der Wissensaufspaltung nicht zu Lasten Dritter realisiert, d. h. also, er hat Wissen verfiigbar zu machen und zu halten. Ihn trifft die Pflicht, die
907 Lücken im Recht, S. 17 ff. 90S Vgl. die Begründung bei Canaris, Feststellung von Lücken, S. 49 f. 909 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246. 910 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 148. 911 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161. 912 Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161 ff.
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Realisierung der von ihm geschaffenen Gefahren mit angemessenem Aufwand zu verhindem. 913
In arbeitsteiligen Strukturen trifft den Geschäftsherrn dann aber eine Organisationspflicht, d. h. er muß seinen Bereich mit zurnutbarem Aufwand so organisieren, daß Wissen nicht aufgespalten wird, und diese Organisation überwachen.914 Erfiillt er diese Pflicht nicht, so hat er dafiir einzustehen. 915
913 Vgl. dafür, daß die Verkehrspflichten Gefahrverhinderungspflichten sind z. B. Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 413 f. Den Pflichtigen trifft nur die Pflicht, die Realisierung der von ihm geschaffenen Gefahren mit angemessenem Aufwand zu verhindern, also keine Einstandspflicht oder Gefahrverhinderungspflicht für allgemeine Lebensrisiken. Diese müssen für die Haftung für deliktische Verkehrspflichtverletzungen von den durch den Pflichtigen geschaffenen Gefahren abgegrenzt werden. Das Risiko der Wissensaufspaltung ist ausschließlich durch die arbeitsteilige Struktur geschaffen. Insofern entfällt eine Abgrenzung zu den allgemeinen Lebensrisiken. Der Pflichtige muß - mit angemessenem Aufwand - voll für das Risiko einstehen. 914 Ähnlich Schlechtriem, FS Heiermann, S. 281, 291 f., der ausgehend von der Figur des Organisationsverschuldens - allerdings sehr pauschal - fordert, der Unternehmensträger müsse die Verfügbarkeil des für Außenkontakte relevanten Wissens so organisieren, daß es bei Entscheidungen den für Außenkontakte zuständigen und vertretungsberechigten Mitarbeiteren präsent ist und von ihnen berücksichtigt werden kann. Ähnlich auch Taupilz (FS E. Lorenz, S. 673, 688 f.) und der V. Zivilsenat des BGH im "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339, 1340 f., die eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation befürworten (vgl. oben S. 213 ff. dafür, daß es die ordnungsgemäße Organisation der Kommunikation nicht gibt, das Kriterium für sich genommen daher nicht weiter hilft). Diese Pflicht stützen sie, ähnlich wie eine Verkehrspflicht, auf die Beherrschung eines selbsteröffueten Verkehrsbereiches. Dem V. Zivilsenat hat sich in BGHNJW 1997, 1917 ff. der XI. Zivilsenat angeschlossen, dort ist allerdings von sachgerechter Organisation die Rede. Der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung stimmt insoweit auch Flume zu (vgl. AcP 197 (1997), 411, 451). Eine Organisationspflicht befürwortet schließlich auch Larenz!Wolj, AT, S. 886 f. Von einer Wissensverantwortung geht Bohrer, DNotZ 1991, 124 ff. aus. Er will eine Organisation dann als wissend betrachten, wenn das relevante Wissen "typischerweise aktenmäßig festgehalten" wird (DNotZ 1991, 124, 129). Zwar sieht auch Bohrer die Parallele zur Haftung für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, doch meint er, die Wissensverantwortung beruhe auf dem Prinzip, daß die Teilnehmer am Rechtsgeschäftsverkehr zu dessen Schutz nicht nur für ihre tatsächliche Kenntnis einzustehen haben, sondern schon bei der Informationsentgegennahrne, -dokumentation und -nutzung Dritt-Belange berücksichtigen müssen. Bohrer meint, daß dieses Prinzip weiterer Konkretisierungen hinsichtlich Voraussetzungen und Wertungen bedürfe (DNotZ 1991, 124, 129). Die hier vorgeschlagene Wissensverantwortung beruht nicht auf der Teilnahme am
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Genaueres läßt sich aus dem allgemeinen Prinzip weder über die Voraussetzungen noch über die Rechtsfolge der Verletzung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, ableiten. Voraussetzungen und Rechtsfolge der Verletzung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, müssen konkretisiert916 werden. Dabei wird auch dem Gleichstellungsargument, soweit es gilt, Rechnung zu tragen sein. Das Prinzip der Verantwortung für einen Risikobereich und das Gleichstellungsargument konkretisieren sich also wechselseitig. Festzustellen ist, wann eine Pflicht besteht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, und welche Rechtsfolgen deren Nichterfüllung hat. Im folgenden sollen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, soweit möglich abstrakt konkretisiert werden. Die so entwickelten Kriterien sollen sodann zur Verdeutlichung und weiteren Konkretisierung an den diskutierten Entscheidungen des BGH exemplifiziert werden.917 b) Tätigkeit mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn Da es um Verantwortung für die Schaffung eines Risikos geht, kann eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, nur bestehen, wenn die wissende Hilfsperson vom Geschäftsherrn arbeitsteilig eingesetzt wurde, d. h. mit dessen Wissen und Wollen tätig wurde.9 18 c) Wissenserwerb in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit Voraussetzung für eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, ist auch, daß das Wissen von der Hilfsperson in einem inneren Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit erworben wurde. 919 Da es um Wissenszurechnungkraft Risi-
Rechtsgeschäftsverkehr, sondern auf dem Prinzip der Verantwortung für die Schaffung von Risiken. 915 Zur Rolle des eigenen und fremden Verschuldeos bei der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, vgl. unten S. 294 f., 302 ff. 916 Vgl. für diesen Prozeß bei der Ausfiillung von Prinziplücken Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161 ff. 917 Vgl. Teil m, s. 379 ff. 918 Dies ist eine allgemeine Voraussetzung der Zurechenbarkeit von Gehilfenverhalten, vgl. §§ 164,278, 831 BGB. 919 Auch dies ist eine allgemeine Voraussetzung der Zurechenbarkeit von Gehilfenverhalten, vgl. § 164 BGB (hier ergibt sich diese Voraussetzung ausdrücklich aus dem Wortlaut: "innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht"), § 278 BGB (der Erfüllungsgehilfe muß bei Erfiillung, d. h. in innerem sachlichen Zusammenhang mit und nicht nur gelegentlich der von ihm ausgeübten Tätigkeit gehandelt haben; dies ist wohl noch h. M. vgl. z. B. BGHZ 23, 319, 232; Palandt/Heinrichs, § 278 Rdnm. 18 f., anders
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koschaffung geht, kann die Wissenszurechnung nur soweit reichen, wie das Risiko besteht. Durch Arbeitsteilung wird nur das Risiko geschaffen, daß in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit erworbenes, dienstliches Wissen aufgespalten wird. An diesen inneren Zusammenhang sollten keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. 920 Jedenfalls bedeutet die Voraussetzung des inneren Zusammenhanges, daß außerhalb der Dienstzeit, privat erworbenes Wissen nicht zugerechnet werden kann. Außerhalb der Arbeitszeit ist die Hilfsperson nicht Teil der arbeitsteiligen Struktur. d) Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen Die entscheidende Frage ist, wann den Geschäftsherrn eine Pflicht trifft, Wissen verfügbar zu machen, das Hilfspersonen, die mit seinem Wissen und Wollen für ihn tätig sind, bei Ausfiihrung ihrer Tätigkeit erworben haben. 921 aa) Das bewegliche System
Für die Konkretisierung der Pflicht wird man erneut bei den Verkehrspflichten ansetzen. Liegt dort ein Zurechnungsgrund vor, so wird die konkrete Gefahrverhinderungspflicht einzelfallbezogen aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von Kriterien entwickelt. Als deren wichtigste werden genannt der Grad der Gefahr, d. h. die Größe des Risikos, die Höhe und Art des (mutmaßlichen) Eike Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 505 ff., wonach bloße Kausalität genügt.) und § 831 BGB (der Verrichtungsgehilfe muß in Ausführung und nicht nur gelegentlich der Verrichtung dem Dritten widerrechtlich einen Schaden zugefügt haben, vgl. z. B. Palandt/Thomas, § 831 Rdnr. 10). 920 So neigt auch die h. M. bei § 278 BGB zwischenzeitlich einer extensiven Auslegung des inneren Zusammenhanges zu, vgl. Palandt!Heinrichs, § 278 Rdnr. 19. 921 Diese Pflicht wirkt sich in beiden Fällen der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung aus (vgl. hierzu ausführlich S. 290 ff.). Dienstlich erlangtes Wissen einer HUfsperson kann für die Bestimmung der rechtlichen Folgen der Handlung einer anderen Hilfsperson oder des Geschäftsherrn selbst relevant sein. Es stellt sich also die Frage, ob das Wissen für eine solche Handlung verfiigbar zu machen ist. Wissen kann auch an sich relevant sein, so im Fall des § 852 BGB. Auch hier wird man fragen, ob der Geschäftsherr der zuständigen Hilfsperson oder sich selbst das Wissen verfiigbar machen mußte. Der BGH möchte das Wissen der zuständigen Hilfsperson über § 166 I BGB analog zurechnen. Dies ist zwar methodisch falsch. § 166 I BGB regelt eine handlungsabhängige Wissenszurechnung (vgl. oben S. 49 ff.). Im Ergebnis ist dem BGH aber gleichwohl zuzustimmen. Das Wissen der zuständigen Hilfsperson ist dem Geschäftsherr über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnen, da diese "Wissensempfangsvertreter" ist. Die Hilfsperson ist zuständig, soll also gerade diese Informationen aufnehmen (vgl. dazu schon oben S. 192).
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Schadens und der zur Vermeidung des Eintritts erforderliche Aufwand. 922 Auch insofern handelt es sich wieder wn ein bewegliches System. So werden die Sicherungspflichten je nach dem Grad der Gefahr und der Schadensneigung intensiviert.923 Beim Aufwand der Gefahrbeseitigung kommt es sowohl auf die technischen Möglichkeiten und Schwierigkeiten, als auch die Kosten der Gefahrbeseitigung an. 924 Es kommt hier also erneut der Gedanke der Gefahrbeherrschung zur Anwendung. 925 All dies soll nun auf die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, übertragen werden. (1) Typisierende Betrachtungsweise vom Zeitpunkt der Gefahrschaffung aus
Wie bei den Verkehrspflichten kommt es fiir die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, nicht auf den Zeitpunkt der Realisierung der Gefahr, sondern den ihrer Entstehung an, d. h. fiir die Wissensaufspaltung auf den Zeitpunkt der Erlangung der Information durch die Hilfsperson. 926 So formuliert der BGH fiir die Verkehrspflichten: "Haftungsbegründend wird demgemäß die Nichtabwendung der Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend fiir ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. "927 Für die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, ist gleichwohl nicht von der konkreten Information auszugehen. Es ist nicht zu fragen, mußte diese Information verfiigbar gemacht werden. Es ist vielmehr das Risiko der Wissensaufspaltung zur Zeit der Kenntniserlangung abstrakt zu bewerten und festzustellen, ob fiir diese Art Information eine Pflicht bestand, sie verfiigbar zu machen, und wie diese Pflicht aussah. Es wird also eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde gelegt.
(2) Technische Beherrschbarkeit Weitgehend außer Betracht bleiben kann bei der Bewertung das Kriteriwn der technischen Beherrschbarkeit des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung, da dieses heute technisch beherrschbar ist. 928 Die moderne Datenverarbeitung ermöglicht einen wnfassenden Datenahgleich innerhalb einer ar-
922
So Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 414.
923 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 114 mit umfangreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung. 924 Larenz/Canaris, SehR Il/2, S. 414; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 127 f. 925 Vgl. schon oben bei der Lückenfeststellung (S. 256 f.) fiir diesen Aspekt. 926 Für die Verkehrspflichten BGH NJW 1990, 1236, 1237 m. w. N. 927 BGH NJW 1990, 1236, 1237. 928 S. o. (S. 213 ff.) bei der Erörterung der Frage, ob es aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre eine ordnungsgemäße oder ideale Organisation gibt.
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beitsteiligen Struktur. Die Technologie ist keine GestaltungsbedingWlg mehr, sondern eröffuet Gestaltungsoptionen. 929 Eine Rolle spielt das Kriterium der technischen Beherrschbarkeit allerdings insofern, als bei der BestimmWlg des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über dieses Kriterium der Tatsache RechnWlg getragen werden kann, daß die VerfiigbarmachWlg eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. So kann die arbeitsteilige Struktur nicht verpflichtet sein, Wissen, das von einer Hilfsperson in Harnburg erlangt wird, eine SekWlde später einer Hilfsperson in München verfiigbar zu machen. (3) Kosten der BeherrschWlg Für eine abstrakte KonkretisierWlg eignen sich auch die Kostengründe wenig, diese gehen vielmehr typischerweise im Einzelfall in die Abwägoog ein.930 Als Kosten sind dabei nicht nur die in Geld bezifferbaren Kosten der Hard- Wld Software von Informationsverarbeitungssystemen in die Abwägoog einzustellen. Es ist vielmehr auch eine zweite Kostenart zu berücksichtigen. In der Betriebswirtschaftslehre wird neben den positiven Möglichkeiten, durch Informationsverarbeitung KostensenkWlgspotentiale auszuschöpfen, ProduktivitätssteigerWlgen zu erreichen Wld strategische Wettbewerbsvorteile zu gewinnen,931 ZWlehmend die negative Seite der Informationsverarbeitung betont. Es wird gefordert, Information an sich als Kostenart wie Material Wld Lohn zu erfassen. 932 Durch den Einsatz rechnergestützter Informationssysteme werden die Organisationsstruktur Wld die betrieblichen Abläufe nicht automatisch verbessert. 933 Vorhandene Abläufe werden eher zementiert als verbessert. Auch fiihrt zu viel Information zu Inflexibilität oder sogar ÜberforderWlg der Hilfspersonen (information overload). Dies gilt sowohl für das Einspeichern wie fiir das Abrufen. Es wird daher gefordert, grillldsätzlich den Informationsaufwand zu minimieren.934 Möglichkeiten Wld Probleme neuer informations- Wld kommunikationstechnischer AnwendWlgen werden in der Betriebswirtschaftslehre im einzelnen heftig diskutiert. 935 So lassen sich auch keine festen Regeln angeben. Wichtig Wld möglich aber ist es, den Gesichtspunkt, daß Information an sich ei-
929 Frese/v. Werder, Sonderheft 25, 1989 der ZfbF, S. 1, 7. 930 Vgl. fiir die Verkehrspflichten, v. Bar, Verkehrspflichten, S. 127 f. 931 Vgl. die euphorische Einschätzung bei Janssens/Cuyvers, LRP 24 (1991), 46 ff.; vgl. auch den Überblick bei Nagel, Nutzen der Informationsverarbeitung, passim. 932 Vgl. z. B. Warnecke, in: Mehrwert Information, S. 227,235. 933 Warnecke, in: Mehrwert Information, S. 227, 237. 934 Warnecke, in: Mehrwert Information, S. 227, 235. 93 5 Vgl. z. B. Benjamin, SMR 25 (1984), 3 ff.; Cash, HBR 63 (1985), 134 ff.; Davenport, MR 31 (1990), 41 ff.; Johnston/Vitale, MISQ 12 (1988), 153 ff.
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ne Kostenart ist, im Einzelfall in das bewegliche System zur Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, einzustellen. (4) Größe und Art des möglichen Nachteils für den Dritten Zur Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, kommt es wesentlich auch auf die Größe und Art des mutmaßlichen Nachteils des Dritten an. Diese sind typischerweise im Einzelfall zu ermitteln. (5) Größe des Risikos der Wissensaufspaltung Entscheidend ist auch die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung. Hier ist zunächst grundlegend danach zu unterscheiden, ob auch eine Einzelperson ein Geschäft hätte durchführen oder in einer bestimmten Rechtsbeziehung hätte stehen können936 oder ob dies nicht der Fall ist. In der Sache geht es darum festzustellen, ob die Arbeitsteilung ausschließlich zu einer Wissensaufspaltung, ob sie ausschließlich zu einer Wissensvermehrung937 oder ob sie - wie typischerweise - gleichzeitig zu Wissensvermehrung und Wissensaufspaltung führt. (a) Eine Einzelperson hätte das Geschäft durchführen oder in der Rechtsbeziehung stehen können Für den Fall, daß auch eine Einzelperson ein Geschäft hätte durchführen oder in einer bestimmten Rechtsbeziehung hätte stehen können, lassen sich drei Unterfälle unterscheiden. (aa) Ausschließlich Wissensaufspaltung Ausschließlich zur Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung kommt es, wenn eine Einzelperson, die das Geschäft durchgeführt oder in der Rechtsbeziehung gestanden hätte, notwendig über ein bestimmtes Wissen verfügt hätte. Sofern Wissen an sich relevant ist, ist lediglich zu fragen, ob eine Einzelperson notwendig über das entsprechende Wissen verfügt hätte. Dann sind extrem strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, zu stellen, da die Arbeitsteilung im konkreten Einzelfall ausschließlich zur Wissenaufspaltung führt, sich die Wissensvermehrung durch Arbeitsteilung hingegen nicht auswirkt. Sofern Wissen in Verbindung mit einer Handlung relevant ist, ist für das 936 Es geht also weitgehend um Fälle, in denen das Gleichstellungsargument gilt. Allerdings sind die Gruppen nicht deckungsgleich, da das Gleichstellungsargument z. B. dann nicht gilt, wenn eine arbeitsteilige Struktur dieselbe Leistung billiger erbringt als eine Einzelperson. 93? Dann entsteht schon nicht das Risiko der Wissensaufspaltung, siehe auch schon s. 226.
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notwendige Wissen zu differenzieren. Bei diesem handelt es sich dann zunächst um solches, das bei der konkreten Handlung, um die Bestimmung von deren Rechtsfolgen es geht, erworben wurde. Dieses kann hier außer Betracht bleiben, da es nur um die handlungsunabhängige Wissenszurechnung geht. 938 Die Einzelpersonkann aber auch notwendig über sogenanntes sonstiges Wissen939, also solches, das nicht bei der konkreten Handlung erworben wurde, verfügen. Für letzteres sind wiederum extrem strenge Anforderungen an die Pflicht zu stellen, Wissen verfügbar zu machen, da die Arbeitsteilung bezüglich dieses notwendigen sonstigen Wissens im konkreten Einzelfall ausschließlich zur Wissensaufspaltung führt, sich die Wissensvermehrung durch Arbeitsteilung hingegen nicht auswirkt. Ausschließlich zur Wissensaufspaltung führte im obigen Beispiel des Gebrauchtwagenhändlers das Einstellen einer Hilfsperson für den Einkauf. 940 Kümmert sich der Geschäftsherr nurmehr um den Verkauf, so steht das beim Einkauf erworbene Wissen nicht mehr für den Verkauf zur Verfügung, obwohl eine Einzelperson, die ein- und verkauft, notwendig über das Wissen verfügt hätte. Hier sind daher besonders strenge Anforderungen an die Pflicht, beim Einkauf erworbenes, d. h. sonstiges Wissen für den Verkauf verfiigbar zu machen, zu stellen. Die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung realisiert sich hier in jedem Fall der arbeitsteiligen Aktivität. Das Mehr an Wissen in der arbeitsteiligen Struktur gleicht in solchen Fällen lediglich das Mehr an Aufgaben aus. (bb) Ausschließlich Wissensvermehrung Hätte eine Einzelperson ein bestimmtes Geschäft durchführen oder in einer bestimmten Rechtsbeziehung stehen, das Wissen aber mit Sicherheit nicht haben können, so führt die Arbeitsteilung ausschließlich zur Wissensvermehrung. Es besteht dann keine Pflicht, dieses Wissen verfiigbar zu machen, da sich das Risiko der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung nie realisiert. 941 Dies wird
938 Das bei einer konkreten Handlung erworbene Wissen ist für die Bestimmung von deren Rechtsfolgen handlungsabhängig zurechenbar. Sofern die HUfsperson über eine gewisse Eigenverantwortlichkeit verfiigt, ist es über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB zurechenbar, sofern dies nicht der Fall ist, ist es über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzurechnen, vgl. hierzu S. 308 ff. 939 Vgl. fiir den AusdruckS. 193. 940 Vgl. oben S. 206 f. 941 An sich fehlt es hier bereits an der Grundvoraussetzung der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung, nämlich der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung (vgl. schon oben S. 226).
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Teil II: Zurechnung von Wissen
nur selten der Fall sein, so ggf. bei räumlicher oder zeitlicher Distanz zwischen Wissenserwerb und Relevanz des Wissens. (cc) Eher Wissensaufspaltung, eher Wissensvermehrung Typischerweise wird keiner dieser Fälle vorliegen, sondern die Arbeitsteilung gleichzeitig zur Wissensaufspaltung und zur Wissensvermehrung führen. Eine Einzelperson, die das konkrete Geschäft durchgeführt oder in einer entsprechenden Rechtsbeziehung gestanden hätte, hätte das entsprechende Wissen nicht notwendig, aber möglicherweise gehabt. In diesen Fällen lassen sich nicht schon unter dem Gesichtspunkt, daß es nur zu Wissensaufspaltung kommt, besonders strenge Anforderungen stellen. Es läßt sich andererseits eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, auch nicht verneinen, weil es nur zur Wissensvermehrung kommt. Es kann jedoch festgestellt werden, ob ein Fall eher der Wissensvermehrung oder ein Fall eher der Wissensaufspaltung vorliegt. So liegt ein Fall eher der Wissensvermehrung vor, wenn das relevante Wissen durch eine extra und ggf. ausschließlich942 hierfür eingesetzte Hilfsperson erworben wurde. Die Einzelperson hätte dieses Wissen dann zwar auch erwerben können, es ist aber doch unwahrscheinlich, daß sie unter damit verbundener Vernachlässigung ihrer anderen Aktivitäten extra oder sogar ausschließlich zum Wissenserwerb tätig geworden wäre. Im übrigen wird man fragen, wie wahrscheinlich es ist, daß eine Einzelperson über das Wissen verfügt hätte. Je nach Grad der Wahrscheinlichkeit handelt es sich dann eher um einen Fall der Wissensaufspaltung- bei relativ großer Wahrscheinlichkeit - oder eher um einen Fall der Wissensvermehrung - bei relativ geringer Wahrscheinlichkeit. Zur Verdeutlichung kann erneut an das Beispiel des Gebrauchtwagenhändlers mit Hilfsperson(en) angeknüpft werden. 943 Ist der Geschäftsherr für den Verkauf und eine Hilfsperson für den Einkauf zuständig, so kommt es zwischen Einkauf- und Verkaufsabteilung, wie gesehen, zu reiner Wissensaufspaltung. Wird eine weitere Hilfsperson eingestellt und diese in einer neu eröffueten Reparaturwerkstatt tätig944, so kommt es zu Wissenssynergien zwischen Reparaturwerkstatt einerseits sowie Ein- und Verkauf andererseits, da Wissen, das bei der Reparatur erworben wird, für den Ein- und Verkauf relevant werden kann. 945 Zwar könnte auch ein Alleinunternehmer mit Gebrauchtwagen handeln und reparieren, also das bei der Reparatur erworbene Wissen 942 Im Fall eines ausschließlichen Einsatzes zum Wissenserwerb handelt es sich umso eher um Wissensvermehrung. 943 Vgl. oben S. 206 f. 944 In der Reparaturwerksatt werden natürlich nicht nur Fahrzeuge repariert, die angekauft und wieder verkauft werden, sondernjegliches Fahrzeug. 945 Vgl. schon oben S. 206 f.
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ebenfalls haben. Die Wahrscheinlichkeit einer Wissenssynergie zwischen Reparatur Wld Ein- Wld Verkauf erhöht sich jedoch sowohl durch die ZWtahme der Zahl der Reparaturen als auch durch die ZWlahme der Zahl der gehandelten Fahrzeuge. Je größer aber die Wahrscheinlichkeit von Wissenssynergien, 946 wn so eher handelt es sich wn einen Fall der WissensvermehrWlg durch ArbeitsteilWlg. Würde der Geschäftsherr je zehn Hilfspersonen fiir Einkauf, VerkaufWld Reparaturbetrieb beschäftigen, so wäre die Wahrscheinlichkeit von Wissenssynergien deutlich höher als bei einer Einzelperson, die Gebrauchtwagen repariert Wld mit diesen handelt. Es läge dann ein Fall vor, der deutlich der WissensvermehrWlg zuzuordnen wäre. Bei lediglich zwei Hilfspersonen wird man hingegen eher von WissensaufspaltWlg sprechen können. Je nachdem ob ein Fall eher der WissensaufspaltW1g oder eher der WissensvermehrWlg vorliegt, sind dann strengere oder weniger strenge Anforderungen an den Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. (b) Eine Einzelperson hätte das Geschäft nicht durchfiihren oder in der RechtsbeziehWlg nicht stehen können In den bisher diskutierten Varianten hätte eine Einzelperson ebenfalls das Geschäft durchfiihren oder in einer bestimmten RechtsbeziehWlg stehen können. Ist dies nicht der Fall, so handelt es sich ZWtächst nicht wn einen Fall der reinen WissenaufspaltW1g oder der reinen WissensvermehrWlg. Da eine Einzelperson das Geschäft nicht hätte durchfiihren oder in der konkreten RechtsbeziehWlg nicht hätte stehen können, scheidet eine solche FeststellWlg aus. Auch hier läßt sich jedoch beurteilen, ob ein Fall eher der WissensaufspaltW1g oder eher der WissensvermehrWlg vorliegt. Um einen Fall eher der WissensaufspaltW1g handelt es sich, wenn eine arbeitsteilige Struktur, die ein bestimmtes Geschäft durchfiihrt oder in einer bestimmten RechtsbeziehWlg steht, notwendig über bestimmtes Wissen verfiigt. Es handelt sich dann zwar nicht wn einen Fall reiner WissensaufspaltW1g, weil eine Einzelperson das Geschäft nicht hätte durchfiihren oder in der RechtsbeziehWlg nicht hätte stehen können, doch fiihrt die arbeitsteilige Aktivität hier eben notwendig zwn Erwerb bestimmten, wenn auch aufgespaltenen Wissens. Diese Fälle sind also eher der WissensaufspaltWlg zuzuordnen. Somit sind strengere Anforderungen an den Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. Um einen Fall eher der WissensvermehrWlg handelt es sich erneut, wenn Wissen durch eine extra Wld ggf. ausschließlich hierfiir eingesetzte Hilfsperson
Damit nimmt parallel die Wahrscheinlichkeit ab, daß eine Einzelperson über das Wissen verfiigt hätte. 946
IM Baum
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erworben wird. Es sind dann weniger strenge Anforderungen an den Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. Problematischer sind die Fälle, in denen eine arbeitsteilige Struktur über bestimmtes Wissen zwar verfugen kann, dies aber nicht notwendig der Fall ist. Es handelt sich um Fälle, bei denen sich Wissenssynergien zwischen verschiedenen Aufgaben auswirken. Hier ist - mangels anderer Kriterien - zu fragen, wie wahrscheinlich es zur Zeit der Kenntniserlangung war, daß eine solche Information an einer anderen Stelle der arbeitsteiligen Struktur relevant wird. Dies ist typisierend von der Art der Information und nicht konkret von der spezifischen Information her zu bewerten. 947 War es zur Zeit des Erwerbs der Information relativ wahrscheinlich, daß die Information an einer anderen Stelle der arbeitsteiligen Struktur relevant wird, handelt es sich um einen Fall eher der Wissensaufspaltung. War es zur Zeit des Erwerbs der Information eher unwahrscheinlich, daß eine Information an einer anderen Stelle der arbeitsteiligen Struktur relevant wird, so handelt es sich um einen Fall eher der Wissensvermehrung.948 Je nachdem ob ein Fall eher der Wissensaufspaltung oder eher der Wissensvermehrung vorliegt, sind dann wieder strengere oder weniger strenge Anforderungen an den Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. (6) Rechtsgeschäftlicher Kontakt Als weiteres Kriterium ist in das bewegliche System einzustellen, ob zwischen dem Geschäftsherrn und dem Dritten zur Zeit der Risikoschaffung, also der Kenntniserlangung, ein rechtsgeschäftlicher Kontakt - regelmäßig das gesetzliche Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen oder ein Vertrag - bestand, oder ob sich zu dieser Zeit, vorausschauend fiir ein sachkundiges Urteil, die naheliegende Möglichkeit des Entstehens eines solchen ergab. Ist dies der Fall, so ist der Geschäftsherr regelmäßig zu größeren Anstrengungen verpflichtet, Wissen verfiigbar zu machen, d. h. ein solcher Kontakt spricht fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, oder aber strengere Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Dies ist Konsequenz des umfassenden Systems von Pflichten zum Schutz des Partners des rechtsgeschäftliehen Kontakts, das Rechtsprechung und Literatur über die Figuren der cu/pa in contrahendo und der positiven Forderungsverletzung entwickelt haben, der Tatsache also, daß im Vgl. für diese typisierende Betrachtungsweise bereits oben unter (1). Für die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, kommt es, wie gesehen, auf eine ex ante Perspektive an. Es geht also auch bei der Bemessung des Risikos der Wissenaufspaltung darum, ob zur Zeit der Gefahrschaffung, also der Kenntniserlangung durch die Hilfsperson, erkennbar war, daß ein Fall der Wissenaufspaltung, der Wissensvermehrung, eher der Wissenaufspaltung oder eher der Wissensvermehrung vorlag. 947
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rechtsgeschäftliehen Bereich zu den allgemeinen Verkehrspflichten intensivere Wld weitere Schutzpflichten hinzukommen. 949 Umgekehrt schließen das Nichtbestehen oder die Nichtabsehbarkeit rechtsgeschäftliehen Kontakts zur Zeit der Risikoschaffung nicht schon die Annahme einer Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, aus, da das Bestehen lediglich ein Kriterium im Rahmen des beweglichen Systems ist. (7) Datenschutz Ein gleichsam negatives Kriterium ist der Datenschutz.950 Sofern dieser verbietet, daß eine Information an einer Stelle verfiigbar gemacht wird, kann keine Pflicht bestehen, sie dort verfiigbar zu machen. 951 bb) Der Einfluß der Einzelnorm aufdas bewegliche System
Zu erörtern bleibt, ob es fiir die BestimmWlg des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, auch auf die jeweilige Norm ankommt, fiir die es festzustellen gilt, ob eine arbeitsteilige Struktur weiß. So findet sich in Literatur952 Wld RechtsprechWlg953 vielfach die AuffassWlg, daß fiir die WissenszurechnWlg nach denjeweiligen Normen zu differenzieren sei. 954 In der Literatur bleibt esauffälligerweise -bei der FeststellWlg, daß an die konkrete Norm anzuknüpfen sei. Im übrigen werden jedoch allgemeine Regeln entwickelt.955 Die RechtsprechWlg hat mit der DifferenziefWlg nach Normen Ernst gemacht. So hat sie in Vgl. schon oben S. 253 f. Vgl. für den Aspekt bankrechtlicher Verschwiegenheitspflichten Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 274 ff. 951 Die Funktionsweise des beweglichen Systems soll in Teil ill, S. 379 ff., an Hand der Besprechung der vorgestellten EntscheidWlgen der Rechtsprechung konkretisiert werden. 952 Wa/termann, AcP 192 (1992), 181, 191 ff.; Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 14; Kohle, BB 1988, 633, 635; vgl. nun auch Koller, JZ 1998, 75, 81 ff. mit speziellensehr restriktiven - Zurechnungsregeln für einzelne Normen. 953 Vgl. den "Landesversorgungsamtsfall", BGHNJW 1986,2315 (vgl. S. 98 ff.), den "Versicherungsanstaltsfall", BGHNJW1992, 1755 (vgl. S.100ff.), sowie den "Supermarktfall", BGH NJW 1984, 1953 (vgl. S. 96 ff.), und die "kanadischen Betrugsfälle", BGH NJW 1989, 2879 und 2881 (vgl. S. 103 ff.). Vgl. auch BGH NJW 1996, 2508,2510. 954 Es fehlt dabei natürlich der Bezug auf das bewegliche System. 955 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 14 Fn. 89 scheint diesen Widerspruch zu sehen. Er stellt zunächst fest, daß nach den auf das Wissen abstellenden Normen zu unterscheiden sei, betont aber gleichwohl, daß für die Wissenszurechnung eine Regel formuliert werden müsse. Wie sich diese beiden Aussagen zueinander verhalten, bleibt unklar. 949
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den "kanadischen Betrugsfallen" 956 betont, daß die Überlegungen zur WissenszurechnWlg bei § 852 BGB aus dem "Landesversorgungsamtsfall" 957 nicht auf die WissenszurechnWlg bei § 142 II BGB übertragbar seien. 958 Bei der EntscheidWlg, ob Kenntnis i. S. des § 852 BGB vorliegt, hat die RechtsprechWlg eine mögliche WissenszurechnWlg in das Belieben der arbeitsteiligen Struktur gestellt, also deren OrganisationsentscheidWlg akzeptiert Wld weitergehend nicht einmal das Versagen der frei gewählten Organisation sanktioniert. 959 Im "Supermarktfall" 960 Wld in den "kanadischen Betrugsfallen" 961 wurden hingegen AnforderW1gen an die Organisation von Wissen gestellt. Die jeweiligen GrWldsätze über die WissenszurechnWlg scheint der BGH aus der ratio legis der Norm ableiten zu wollen. So begründet er die AblehnWlg einer Pflicht, Wissen zu organisieren, d. h. verfiigbar zu machen, bei § 852 BGB mit einem mangelnden Schutzbedürfnis des Schädigers962 bzw. dem Vorrang des Schutzbedürfnisses des Geschädigten. 963 Methodisch sind zwei, einander ähnliche Wege der Ableitung von GrW1dsätzen über die WissenszurechnWlg aus Einzelnormen denkbar. Der erste Weg ist der des BGH, den prononciert auch die englische Rechtsprechm1g geht. 964 Die
BGH NJW 1989, 2879 und 2881. BGH NJW 1986, 2315. 958 BGH NJW 1989, 2879, 2880. Unterschiedliche Maßstäbe je nach Wissensnorm befürworten auch BGH NJW 1996, 2508,2510 und BGH NJW 1997, 1584 ff. Vgl. auch die insoweit zustimmende Anmerkung von Schiemann in LM § 852 Nr. 139 Blatt 5; ablehnend aber Voit, Anmerkung zu WuB IV A § 852 1.97, 671, 673 f. 959 Vgl. oben, S. 98 ff., die Darstellungen des "Landesversorgungsamtsfalls", BGHNJW 1986, 2315, des "Versicherungsanstaltsfalls", BGHNJW 1992, 1755, und des "Betriebsprüferfalls", BGH NJW 1994, 1150. Da § 814 BGB eine Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben darstelle, lehnt OLG Hamm, VersR 1996, 878, 879, eine Zurechnung des Wissens der Vertragsabteilung bei Leistung durch die Leistungsabteilung ab. 960 BGH NJW 1984, 1953. 961 BGH NW 1989,2879 und 2881. 962 In diese Richtung geht die Argumentation des BGH im "Landesversorgungsamtsfall", BGH NJW 1986,2315,2316. 963 Vgl. den "Versicherungsanstaltsfall" BGHNJW 1992,1755,1756. 964 Vgl. bereits Sir Robert Megarry V.-C. in Stanfield Properfies Ltd. v. National Westminster Bank P. L. C. [1983] 1 W.L.R. 568; dies hat nun Lord Hoffmann aufgenommen, vgl. EI Ajou v Dollar Land Holdings plc and another [1994] 1 BCLC 464, 478 ff. und Meridian Global Funds Management Asia Limited v. The Securities Commission vom 26. 6. 1995, Privy Council Appeal No. 48 of 1994 (noch unveröffent956
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jeweilige Norm wird ausgelegt und festgestellt, das Wissen welcher Mitarbeiter zuzureclmen ist. Auf einem zweiten Weg, der in der Literatur965 anklingt, ließe sich an die unterschiedlichen Anforderungen, die die jeweilige Wissensnorm an die Sicherheit des Wissens, die Erheblichkeit des Rechts- und Tatsachenirrtums, eine mögliche Wissensnachforschungspflicht und das Vergessen bzw. Sich-Erinnern stellt, anknüpfen und hieraus versuchen abzuleiten, das Wissen welcher Hilfspersonen zuzureclmen ist. Gegen einen Einfluß der konkreten Norm auf die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, im Rahmen des beweglichen Systems scheint zunächst zu sprechen, daß der Inhalt der Pflicht vom Zeitpunkt der Schaffung des Risikos her bestimmt wird. 966 Zu dieser Zeit steht noch nicht fest, welche Wissensnorm später zur Anwendung kommt. Die Festlegung des Inhalts der Pflicht hängt aber, da es lediglich um die Abschätzung eines Risikos geht, von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen ab. Es läßt sich zum Zeitpunkt der Informationserlangung durch die Hilfsperson, also der Gefahrschaffung, durchaus sagen, im Rahmen welcher Wissensnormen das dienstlich erlangte Wissen relevant werden kann. Wird eine Hilfsperson zum Einkauf von Gebrauchtwagen eingesetzt, so ist bereits zum Zeitpunkt der Informationserlangung ersichtlich, daß ihr dienstlich erlangtes Wissen fiir den Verkauf relevant werden werden kann. Juristisch gefaßt ist es also wahrscheinlich, daß die §§ 463, 477 BGB zur Anwendung kommen werden. Die juristische Kenntnis der konkreten Wissensnorm ist auch bei Anwendung der Wissensnorm auf eine Einzelperson keine Anwendungsvoraussetzung. Es genügt, daß die entsprechende tatsächliche Situation vorliegt. Diese tatsächliche Situation ist bei einer arbeitsteiligen Struktur bereits im Zeitpunkt der Risikoschaffung absehbar. Werden daher bei §§ 463, 477 BGB bestimmte Anforderungen an das Wissen gestellt, so könnten diese bereits in die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, einfließen. Setzt eine Bank wie im "Supermarktfall" 967 einen Kassierer ein, so ist im Zeitpunkt der Risikoschaffung, der Kenntniserlangung, ersichtlich, daß die Information über die Zahlungseinstellung eines Kunden möglicherweise fiir weitere Geschäfte mit diesem relevant wird. Die Anforderungen des § 30 KO könnten also in die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, dieses Wissen verfiigbar zu machen, einfließen. Im einzelnen ist hier zu unterscheiden.
licht). In letzterer erklärt Lord Hoffmann (Advance Copy, S. 6) " ... the court must fashion a special rule of attribution for the particular substantive rule." 9 6 5 Vgl. insbesondere Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 14 zumindest für das Vergessen; Wa/termann, AcP 192 (1992), 181, 191 f. 966 S. gerade S. 268. 967 BGH NJW 1984, 1953.
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(1) Enthält die (durch Auslegung zu ermittelnde) ratio legis der Norm eine Anordnung hinsichtlich der Wissenszurechnung, so ist diese selbstverständlich als Iex specialis vorrangig. 968 So mag der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht haben, daß eine Wissenszurechnung ausgeschlossen ist, es also nur auf das persönliche Wissen des Geschäftsherrn ankommen soll. 969 Er mag andererseits zum Ausdruck gebracht haben, daß uneingeschränkt das Wissen aller Hilfspersonen oder aber das Wissen nur bestimmter Hilfspersonen zugerechnet werden soll. (2) In der Regel hat der Gesetzgeber aber die jeweilige Wissensnorm mit ihrer ratio legis wie das Regelwerk des BGB im allgemeinen nur auf die Einzelperson zugeschnitten970, das Problem der Wissenszurechnung also überhaupt nicht bedacht. Dann ist die konkrete Wissensnorm auch nicht in das bewegliche System zur Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, einzubeziehen. Soweit das Gleichstellungsargument gilt - also auch fiir § 852 BGB971 - kann dann nämlich zunächst der Weg der deutschen und englischen Rechtsprechung nicht überzeugen. Bei den Wissensnormen handelt es sich um Anordnungen eines Interessenausgleiches zwischen Wissendem und Drittem oder der Allgemeinheit.972 Dieser Interessenausgleich hat in der jeweiligen Norm seinen Ausdruck gefunden. Trägt eine Norm wie § 852 BGB dem Schutz des Geschädigten Rechnung973, so trägt sie diesem Schutz nur soweit Rechnung, wie er in ihr In einem solchen Fall erübrigt sich die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung, die Wissensnorm trifft dann eben eine Spezialregelung. 969 Dies wird unter Hinweis auf den höchstpersönlichen Charakter des Erbvertrages für § 2283 li S. 1 BGB angenommen. Es komme allein auf die Bewußtseinslage des Erblassers an (vgl. Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 186m. w. N. 970 s. 0. s. 180. 971 S.o. S. 189 f. Dieratio legis des§ 852 BGB enthält keine Regelung über die Wissenszurechnung, sie ist vielmehr nur auf die geschädigte Einzelperson zugeschnitten. 972 S.o. S. 188 ff. für Beispiele. 973 Daߧ 852 BGB dem Schutz des Geschädigten den Vorrang einräumt, erklärt der BGH im "Versorgungsamtsfall", BGHNJW 1992, 1755, 1756. § 852 stellt in der Kenntnisvariante eine für den Geschädigten deutlich ungünstige Abweichung zur regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB dar. Dennoch wird man dem BGH darin zustimmen können, daß die Regelung des § 852 BGB dem Schutz des Geschädigten den Vorrang einräumt. Vergleicht man die Vorschrift nicht mit § 195 BGB sondern mit anderen Verjährungsfristen (z. B. §§ 477, 638 BGB), so ist sie insbesondere im Fall fahrlässiger Schädigung für den Geschädigten sehr günstig. Im übrigen ist auch die allgemeine dreißigjährige Verjährung nach § 852 BGB u. U. eine im Vergleich zu § 195 BGB ungünstige Regelung. Bei § 195 BGB kommt es nach § 198 BGB auf die 968
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Ausdruck gefunden hat. Soweit das Gleichstellungsargument gilt, also z. B. im Fall des § 852 BGB, geht es nicht darum, den Schutz des Geschädigten, nur weil es sich um eine arbeitsteilige Strukur handelt, weiter zu verstärken. Es geht darum, die Interessenregelung für den Konflikt geschädigte Einzelperson und Schädiger974 auf den Konflikt geschädigte arbeitsteilige Struktur und Schädiger anzuwenden. Hierfür hilft es nichts, daß ratio legis der Norm der Schutz des Geschädigten ist, die ratio ist bereits verbraucht. Es geht vielmehr darum, die Konsequenzen der arbeitsteilig bedingten Wissensaufspaltung auszugleichen. Auch soweit das Gleichstellungsargument nicht gilt, ist es, sofern die ratio legis nichts für die Wissenszurechnung enthält, falsch, an die jeweilige Norm anzuknüpfen. Nach Ansicht der Rechtsprechung soll durch Auslegung der Norm ermittelt werden, ob Kenntnis vorliegt. Es ist aber müßig und methodisch unzulässig, aus der Norm ableiten zu wollen, das Wissen welcher Hilfspersonen zugerechnet werden kann, wenn die Norm hierfür nichts enthält. Hat der Normgeber nichts hineingelegt, dann kann aus der Norm auch nichts herausgelesen werden. Gegen den zweiten, in der Literatur anklingenden Weg spricht, daß die Fragen der Sicherheit des Wissens, des Rechts- und Tatsachenirrtums, der Wissensverschaffungspflicht und des Vergessens nichts mit dem Problem der Wissensaufspaltung zu tun haben. Es lassen sich für dieses keine Erkenntnisse aus jenen ableiten. Die konkrete Wissensnorm ist also nicht in das bewegliche System zur Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, einzustellen. Wenn sich aber ausnahmsweise aus der ratio legis der Norm eine Spezialregelung über die Wissenszurechnung ergibt, dann gilt diese vorrangig, ohne daß es noch auf das bewegliche System ankäme. e) Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten aa) Das bewegliche System
Schon bei der Erörterung der Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken wurde das Problem des Vergessens behandelt und auf die nun folgenden Ausführungen verwiesen. 975 Eine Einzelperson darf Informationen Entstehung des Anspruchs an. Bei § 852 BGB muß der Anspruch nicht entstanden sein, um die Verjährungfrist auszulösen. Die Frist läuft mit Begehung der unerlaubten Handlung. 974 Der Schädiger kann eine arbeitsteilige Struktur oder eine Einzelperson sein. 975 Vgl. S. 147 ff.
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vergessen. Ist dies der Fall, so kennt sie diese nicht mehr. Oben wurde festgestellt, daß die Rechtsprechung sich bei der Einzelperson bemüht, das individuelle Vergessen zu ermitteln. Allerdings werden bei einzelnen Normen unterschiedliche Anforderungen an die Gedächtnisanspannung gestellt. 976 Es ist evident, daß auch die arbeitsteilige Struktur nicht die Pflicht treffen kann, Wissen gleichsam ewig verfiigbar zu halten. Soweit das Gleichstellungsargument gilt, fordert bereits dieses die Anerkennung eines Vergessens im Rahmen der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen. Da derjenige, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen soll, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tun hätte, muß auch die arbeitsteilige Struktur vergessen können. Für die arbeitsteilige Leistungserbringung, fiir die das Gleichstellungsargument nicht gilt, folgt die Anerkennung des Vergessens aus einem "Erst-recht"-Schluß. Das Gleichstellungsargument galt nicht, weil der Empfanger einer arbeitsteilig erbrachten Leistung ggf. anders, nämlich besser, als der Empfanger einer Leistung von einer Einzelperson steht.977 Dann darfman den Empfanger der Leistung einer arbeitsteiligen Struktur aber nicht noch besser stellen, indem man die arbeitsteilige Struktur mit der Pflicht belastet, Wissen endlos verfiigbar zu halten. Auch bei Begründung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über den Gedanken der Verantwortung fiir die durch Arbeitsteilung bedingte Wissensaufspaltung bleibt Raum fiir ein Vergessen. Die arbeitsteilige Struktur soll durch die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, der Wissensaufspaltung Rechnung tragen, nicht aber endlos mit der Verantwortung fiir Wissen belastet werden. Vergessen ist kein Risiko, das auf die Arbeitsteilung zurückgeht. Erstaunlicherweise hat die Rechtsprechung das Problem des Vergessens lange nicht gesehen. Sie hat vielmehr den Geschäftsherrn mit dem Wissen der arbeitsteiligen Struktur gleichsam fiir immer und ewig infiziert.978 In der neueren Siehe S. 201 f. Vgl. S. 186 ff. 978 Das Problem liegt bereits in dem aus§ 166 I BGB im "Darlehensfall", BGHZ 83, 293, 296 (vgl. S. 53 ff.), entnommenen Rechtsgedanken begründet, nach dem "derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, [sich] das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muß." Wie lange dieses Wissen zuzurechnen ist, wird nicht festgestellt. Im "Supermarktfall" (BGH NJW 1984, 1953, vgl. S. 96 ff.) wurde das Wissen des Kassierers um die Zahlungseinstellung erst einen Tag, nachdem dieser von der Zahlungseinstellung erfahren hatte, relevant. Die Möglichkeit, daß das Wissen hätte vergessen sein können, wurde nicht erörtert. Das Problem der zeitlichen Distanz überging der BGH auch in den "kanadischen Betrugsfällen" (BGHNJW 1989, 2879 und 2881 , vgl. S. 103 ff.). Aus dem Sachverhalt wird nicht einmal deutlich, wieviel Zeit zwischen der 976
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Rechtsprechung wird nun aber das Problem des Vergessens erkannt. Der VIII. Zivilsenat des BGH macht die Fortdauer der Wissenszurechnung davon abhängig, ob das Wissen "typischerweise aktenmäßig" festgehalten wird. 979 Der V. Zivilsenat hat sich jüngst im "Altlastenfall" 980 der Auffassung von Medicus981 zwn Vergessen in Begründung und Ergebnis angeschlossen, ohne hierin einen Widerspruch zur Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats im "Omnibusfall" 982 und im "PKW-Fall" 983 zu sehen. In der Entscheidung ging es um die Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes. Der Senat erklärte jedoch, daß es darauf für die Wissenszurechnung nicht ankomme. 984 Die Entscheidung beansprucht also auch Gültigkeit für die Fortdauer der Zurechnung des Wissens einer unterorganschaftliehen Hilfsperson. Im Anschluß an Medicus985 will der V. Zivilsenat hinsichtlich der Dauer der Speicherung von Informationen unterscheiden: Je erkennbar wichtiger ein Umstand sei, um so Kenntniserlangung in der Filiale B. und dem Abschluß des Darlehensvertrages in der Filiale M. lag. Besonders deutlich ist die Mißachtung der Frage des Vergessens im "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975, der allerdings das Problem des Organwissens betraf (dazu unten S. 320 ff.). Der BGH rechnete das Wissen eines inzwischen ausgeschiedenen Bürgermeisters zu, das dieser 17 Jahre zuvor eiWorben hatte. 979 So der BGH zunächst in BGH NJW 1995, 2159 ("Ornnibusfall", vgl. S. 323 ff.) fiir das Wissen des Geschäftsführers, also des Organs, der Kompelementär-GmbH einer GmbH & Co. KG. Im "PKW-Fall", BGHNJW 1996, 1205, 1206 (vgl. S. 110 ff.), hat der BGH diese Rechtsprechung auch auf das Wissen unterorganschaftlieber Hilfspersonen angewandt. Allerdings ist die Entscheidung kaum nachvollziehbar. Das Wissen der Hilfsperson wird zunächst als Wissen des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG betrachtet. Auf diese Weise kommt der Senat zur Anwendung seiner Grundsätze über die Fortdauer der Zurechnung des Wissens des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG aus dem "Ornnibusfall" (BGH NJW 1995, 2159). Wissen sei zuzurechnen, wenn es typischeiWeise aktenmäßigerfaßt werde. Im Ergebnis ließ der BGH es dann jedoch genügen, daß der Geschäftsherr organisatorische Vorkehrungen getroffen hatte, Wissen aktenmäßig festzuhalten. Daß die Hilfsperson die relevante Information verspätet niederlegt und zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits vergessen hatte, sollte nicht zu Lasten des Geschäftsherrn gehen. 980 BGH NJW 1996, 1339, 1340 f, vgl. S. 328 ff. Vgl. nun auch BGH NJW 1997, 1917 ff. 981 Karlsruher Forum 1994, 4, 12, 15 f. Diese beruht konsequent auch fiir das Vergessen auf der hier nicht fiir überzeugend gehaltenen Übertragung des Wissensbegriffs der Einzelperson auf die arbeitsteilige Struktur (s.o. S. 194 ff.). 982 BGHNJW 1995,2159. 983 BGH NJW 1996, 1205. 984 BGH NJW 1996, 1339, 1341. 985 Der BGH übernimmt Medicus' Ausführungen fast wörtlich.
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länger müsse er gespeichert bleiben. Werde die Speicherung zu früh aufgehoben, so beende das die Wissenszurechnung nicht. 986 Weiter sei entscheidend, daß sich auch das Erinnerungsvermögen des Menschen typischerweise nach der erkennbaren Wichtigkeit der Wahrnehmung und danach bestimme, wie lange diese zurückliege. Als Wissen könne man den Inhalt von Speichern daher nur zurechnen, soweit ein besonderer Anlaß bestehe, sich seiner in einer konkreten Situation noch zu vergewissern. Auch das richte sich maßgeblich nach der Bedeutung des Anlasses und der Schwierigkeit der Suche.987 Unter dem Mangel, das Problem des Vergessens gar nicht anzusprechen, leiden auch einige Vorschläge in der Literatur.988 Andererseits ist in der Literatur mehrfach gefordert worden, die zeitliche Dimension des Wissens zu thematisieren. Neben Medicus können das Problem des Vergessens auch Grunewald989 und Taupitz990 mit der von ihnen über den Vertrauensgedanken begründeten Zurechnung desjenigen Wissens, das bei ordnungsgemäßer Organisation der Kommunikation verfügbar wäre, erfassen. Auch Bohrer991 kann über sein Prinzip der Wissensverantwortung dem Problem des Vergessens Rechnung tragen. Wissen sei zuzurechnen, sofern es zur Zeit, zu der es relevant wird, noch "typischerweise aktenmäßig festgehalten" wird. 992 Dies richte sich nach normativen (Verkehrsschutz-) Anforderungen. 993 Oldenbourg994 möchte ebenfalls dem Vergessen im Rahmen der Wissenszurechnung Genüge tun. Zuzurechnen sei auch das Entschwinden einer Information, das Vergessen. 99 5 Steht, wie ausgeführt, prinzipiell fest, daß es ein Vergessen auch im Rahmen der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, geben muß, so verbleiben drei Möglichkeiten: Erstens, es kommt für das Vergessen auf die Person des Geschäftsherrn an. Zweitens, es kommt auf die wissende Hilfsperson an. Drittens, es wird, wie von der Mehrheit in Rechtsprechung und Literatur befürwortet, nach einem normativen Maßstab bestimmt, ob eine Information noch bekannt ist. 986 BGH NJW
1996, 1339, 1341. BGHNJW 1996, 1339, 1341. 988 Vgl. z. B. Richardi, AcP 169 (1969), 385 ff., auf den die Formel des BGH im "Darlehensfall", BGHZ 83, 293, zurückgeht. Das Problem des Vergessens scheint Michael Schultz, NJW 1990, 477 ff. nicht zu sehen. Auch Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnm. 106, 499, 800 a erwähnt das Problem nicht. 989 FS Beusch, S. 301 ff. 990 Karlsruher Forum 1994, 16 ff. 991 DNotZ 1991, 124, 129. 992 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129. 993 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129. 994 Wissenszurechnung, S. 16. 995 Wissenszurechnung, S. 16. 987
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Auf die Person des Geschäftsherrn kann es fiir die Frage des Vergessens schon deshalb nicht ankommen, weil dieser von der relevanten Information regelmäßig nicht erfahren hat. Was er nicht weiß, kann er auch nicht vergessen. 996 Auf die Person der wissenden Hilfsperson abzustellen, liegt nahe, da diese das Wissen tatsächlich hat und es daher auch tatsächlich wieder vergessen wird. Auch kommt es bei der handlungsabhängigen Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB auf den aktuellen Wissensstand der handelnden Hilfsperson an. 997 Soweit das Gleichstellungsargwnent gilt, scheidet der Bezug auf die wissende Hilfsperson aber aus. Wer es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, soll nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen, als hätte er es mit einer Einzelperson zu tun. Bei Abstellen auf die jeweilige Hilfsperson wäre es rein zufällig, wann die arbeitsteilige Struktur vergißt Es käme ausschließlich auf die individuelle Gedächtnisstärke der Hilfspersonen an. 998 Der Geschäftsherr hätte es gar in der Hand, durch Einstellen besonders vergeßlicher Hilfspersonen oder aber besondere Belastung der Hilfspersonen fiir ein möglichst rasches Vergessen zu sorgen. Auch aus dem der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, zugrundeliegenden Prinzip der Verantwortung fiir die Schaffimg eines Risikos ergibt sich, daß es nicht auf die wissende Hilfsperson ankommen kann. Da der Geschäftsherr durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen das Risiko einer Wissensaufspaltung schafft, hat er die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen. Der Geschäftsherr schafft ebenso das Risiko, daß Wissen zu einem späteren Zeitpunkt nicht verfügbar ist. Konsequenz der Arbeitsteilung ist nämlich nicht nur, daß Wissen im Moment seiner Erlangung nicht verfügbar ist, sondern auch, daß es möglicherweise zeitlich später nicht verfilgbar ist, obwohl es relevant ist. Dieses Risiko ist dem Geschäftsherrn als Teil des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung zuzurechnen.999 Er hat Wissen also mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand auch fiir eine bestimmte Zeit verfilgbar zu halten. Adressat der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, ist der Geschäftsherr, da er die Gefahr der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung schafft. Wissen, das verfilgbar zu halten
996 Insofern konunt es auch nicht darauf an, auf welche natürliche Person man abstellen müßte, wenn der Geschäftsherr eine juristische Person ist. 997 s. 78 ff. 998 Auf diese wollen wohl der VIII. Zivilsenat im "PKW-Fall", BGH NJW 1996, 1205, und 0/denbourg, Wissenszurechnung, S. 16 abstellen. 999 Insofern gelten ebenfalls die obigen Erwägungen (S. 254 ff.) zur Zurechnung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung.
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ist, ist also juristisch nicht mehr der Hilfsperson zugeordnet. Es wird von dieser abgelöst Wld dem Geschäftsherrn zugeordnet. Den Nutzer einer arbeitsteiligen Struktur trifft also auch die Pflicht, Wissen zeitlich verfügbar zu halten. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ist erneut einzelfallbezogen aus dem Zusammenspiel verschiedener Kriterien zu entwickeln. Insofern handelt es sich wieder um ein bewegliches System. Ist über ein erstes bewegliches System festgestellt, daß bestimmtes Wissen an einer bestimmten Stelle innerhalb einer arbeitsteiligen Struktur verfügbar zu machen ist, ist in einem nächsten Schritt über ein weiteres bewegliches System festzustellen, ob eine relevante Information auch noch zu einer bestimmten Zeit verfügbar zu halten war. Kriterien dieses zweiten beweglichen Systems sind wiederum die Beherrschbarkeit des Risikos, die Kosten der BeherrschWlg, die Größe Wld Art des dem Dritten drohenden Nachteils Wld die Größe des Risikos, d. h. hier je offensichtlich wichtiger eine Information ist, um so länger muß die arbeitsteilige Struktur sie verfügbar halten. 1000 Scheint die Information zur Zeit der Gefahrschaffung, der InformationserlangWlg, lUlwichtig, so sind an die zeitliche Verfiigbarkeit keine allzu hohen AnfordeflU1gen zu stellen. Bedeutsam ist erneut auch, ob zwischen Geschäftsherrn Wld Dritten zur Zeit der KenntniserlangWlg rechtsgeschäftlicher Kontakt - regelmäßig in Form des gesetzlichen Schuldverhältnisses der VertragsverhandllUlgen oder eines Vertrages - bestand oder dessen Entstehen, vorausschauend für ein sachklUldiges Urteil, naheliegend war. 1001 Sofern dies der Fall ist, spricht es für eine Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, oder für strengere AnfordeflU1gen an den Inhalt dieser Pflicht. 1002 1003 Auch dies soll noch an Hand der Diskussion der vorgestellten EntscheidliDgen in Teil III konkretisiert werden. Eine wichtige Rolle kommt bei der FestlegWlg des Inhalts der Pflicht auch dem GleichstelllUlgsargument zu. Soweit es gilt, soll der Dritte, der es mit einer Organisation zu tlUl hat, nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tlUl hätte. Auch soweit es nicht gilt, kommt ihm eine Wichtige Funktion als BegreDZWlgsfaktor zu: Der Dritte soll nicht bes-
1000 Darauf, ob ein Fall bloßer Wissensaufspaltung oder bloßer Wissensvermehrung oder eine Mischform vorliegt, kommt es nicht an. Dies spielt nur eine Rolle bei der Frage, ob Wissen verfügbar zu machen ist, nicht aber fiir die weitere Frage, wie lange Wissen verfügbar zu halten ist. 1001 Vgl. schon bei S. 274 f., dort auch für die Wurzel der erhöhten Pflichtenintensität bei rechtsgeschäftlichem Kontakt. 1002 Das Nichtbestehen oder die Nichtvorhersehbarkeit rechtsgeschäftliehen Kontakts schließen die Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, natürlich nicht aus. 1003 Auch dies soll noch an Hand der Diskussion der vorgestellten Entscheidungen in Teil III, S. 379 ff., konkretisiert werden.
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ser stehen. Allerdings kann mit dem GleichstellWlgsargument nicht mit gleichsam mathematischer Sicherheit festgelegt werden, ob eine arbeitsteilige Struktur eine Pflicht trifft, das Wissen noch verfiigbar zu halten. Das Vergleichsobjekt läßt sich insofern nicht klar festlegen. Jeder Mensch verfUgt über eine individuelle Gedächtnisstärke, die auch von der RechtsprechWlg in ihren EntscheidWlgen anerkannt wird. 1004 Die konkrete GedächtnisleistWlg wird darüberhinaus von der Anzahl der abgelegten Informationen, den Umständen, Wlter denen sie abgelegt wurden, auch von dem Zeitpunkt, zu dem sich erinnert werden soll, abhängen. Feststellen läßt sich aber, daß der Mensch sich erinnert, Wld daß er sich an wichtige Tatsachen eher erinnert als an Wlwichtige. Es treffen sich hier also das GleichstellWlgsargument Wld der Gedanke der Verantwortilllg für ein Risiko. Je wichtiger eine Information ist, um so eher wird sich die Einzelperson an sie erinnern, um so größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß die Information erneut von BedeutWlg ist.
bb) Der Einfluß der Einzelnorm aufdas bewegliche System Um zu bestimmen, wie lange Wissen zeitlich verfiigbar zu halten ist, ließe sich auch an die Wlterschiedlichen Normen anknüpfen. 1005 Die Wlterschiedlichen Anforderungen, die Wissensnormen an das Vergessen bzw. Sich-Erinnern stellen, wären dann ebenfalls in das bewegliche System einzustellen. Wie oben bei der Erörterung eines möglichen Einflusses der Einzelnorm auf die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, herausgearbeitet, 1006 scheidet eine EinbeziehWlg der konkreten Norm in das bewegliche System nicht schon deshalb aus, weil die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, vom Zeitpunkt der Risikoschaffung her zu bestimmen ist, es zu dieser Zeit aber noch nicht feststeht, im Rahmen welcher Norm das Vorliegen von Kenntnis relevant wird. Es genügt, da es lediglich um die FeststellWlg eines Risikos geht, ein WahrscheinlichkeitsurteiL Kauft eine arbeitsteilige Organisation eine Ware mit der Absicht, diese wieder zu verkaufen, so ist es wahrscheinlich, daß Wissen über etwaige Mängel im Zusammenhang mit dem späteren Verkauf relevant wird. Es könnten daher Wlter diesem Gesichtspunkt in das bewegliche System zur FeststellWlg des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, die Anforderungen der §§ 463, 477 BGB an das "Sich-Erinnern" einfließen.
10°4 Vgl.
OLG Oldenburg, NJW-RR 1991, 1185, 1186; BGH WM 1987, 1285, 1286. Einbeziehung der konkreten Wissensnorm zur Bestimmung, ob eine Information einer arbeitsteiligen Struktur noch bekannt ist, befürwortet auch Medicus, KarlsruherForum 1994,4, 14. 1006 Siehe S. 277. 1005 Eine
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Gegen eine solche Einstellung der Einzelnorm in das bewegliche System für die Frage des Vergessens sprechen hier auch nicht die Erwägungen, die im Zusammenhang mit der Erörterung der Pflicht, ob Wissen wegen Wissensaufspaltung verfiigbar zu machen ist, gegen eine generelle Einbeziehung angefiihrt wurden. 1007 Beim Vergessen der Einzelperson und der Festlegung, wie lange die Pflicht besteht, Wissen verfügbar zu halten, geht es um dasselbe Problem, nämlich die Anforderungen, die die Rechtsordnung an die zeitliche Verfiigbarkeit des Wissens stellt. Stellt die Rechtsordnung höhere Anforderungen an die Einzelperson, so müssen diese auch für die arbeitsteilige Struktur gelten. Im Unterschied zur Einzelperson sind die Anforderungen der Einzelnorm bei der arbeitsteiligen Struktur im Rahmen des beweglichen Systems zur Festlegung, wie lange Wissen verfiigbar zu halten ist, nur eine Säule. Dies hat seinen Grund darin, daß sich die Einzelperson von sich aus erinnert und von sich aus vergißt Für die arbeitsteilige Struktur, die wegen Wissensaufspaltung Wissen verfügbar zu halten hat, fehlt es wegen der Ablösung des Wissens von einer Einzelperson an einem natürlichen Wissensträger, der sich erinnert und vergißt Dieser Mangel wird dadurch ausgeglichen, daß der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, auch nach der Beherrschbarkeit des Risikos der zeitlichen Nichtverfiigbarkeit, den Kosten der Beherrschung, der Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und Drittem ein rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, Größe und Art des dem Dritten drohenden Nachteils und der Größe des Risikos der Nichtverfiigbarkeit, d. h. der Art und Wichtigkeit der Information, festlegt wird. Zusätzlich wird die Pflicht durch die normspezifischen Anforderungen bestimmt.
cc) Der Tod Ein möglicher Einwand gegen die vorstehenden Ausruhrungen ist, daß mit der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, dem einschneidensten Fall des Vergessens bei der Einzelperson, nämlich deren Tod nicht Rechnung getragen wird. Stirbt die Einzelperson, so geht ihr Wissen nicht auf den Erben über. 1008 Auch dem Tod läßt sich hier aber Genüge tun. Für die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, ist nämlich auf den Geschäftsherrn abzustellen. Solange dieser lebt, besteht die Pflicht fort. Ist der Geschäftsherr eine natürliche Person, so kommt es auf deren Tod an. 1009 Ist Geschäftsherr eine
1007 Siehe
S. 278 f. allg. Meinung erwirbt aber der Erbe den Besitz so, wie ihn der Erblasser hatte, vgl. MünchKomm/Joost, § 857 Rdnr. 131. Der Erbe muß sich daher ggf. wie ein unredlicher Besitzer behandeln lassen, ohne selbst unredlich zu sein. 1009 Auch der Tod der einzigen Hilfsperson fiihrt insofern nicht zur Auflösung der arbeitsteiligen Struktur. Vielmehr kann den Geschäftsherrn weiterhin die Pflicht treffen, sich arbeitsteilig erworbenes Wissen der verstorbenen Hilfsperson verfügbar zu halten. 1008 Nach
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sonstige Rechtspersönlichkeit 1010, so kommt es darauf an, ob diese liquidiert wurde. Solange sie nicht liquidiert wurde, "lebt" sie weiter. Wer lebt, kann aber nicht in den Genuß der Frucht des Todes kommen. dd) Ergebnis
Der Geschäftsherr ist verpflichtet, Wissen, das er wegen der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung verfügbar machen muß, auch zeitlich verfügbar zu halten. Der Inhalt dieser Pflicht wird im Einzelfall durch ein bewegliches System bestimmt. Im Ergebnis ist daher der vorherrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung zuzustimmen, daß sich die Frage des Vergessens bei der arbeitsteiligen Struktur nach einem normativen Maßstab bestimmt.
t) Die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, die Rechtsprechung und die Literatur, insbesondere die Bedeutung des Zeitpunkts der lnformationserlangung Sowohl ob als auch wie lange eine arbeitsteilige Struktur Wissen verfügbar zu machen und zu halten hat, bestimmt sich also nach den Kriterien eines beweglichen Systems. Die einzelnen Parameter und erst recht ihre Abwägung untereinander sind so gut wie niemals einer exakten Quantifizierung zugänglich. 1011 So wird insbesondere auch die relative Wichtigkeit der einzelnen Parameter fiir die Abwägung jeweils unterschiedlich sein. Sie wird im Einzelfall von der Stärke der Ausprägung des einen Kriteriums und der relativen Schwäche der Ausgeprägtheit der anderen Wertungsgesichtspunkte abhängen. Abstrakt läßt sich daher nicht viel mehr als eine allgemeine Faustregel geben. Je größer das Risiko der Wissensaufspaltung -je größer also der Anteil der Wissensaufspaltung und je kleiner der Anteil der Wissensvermehrung und je größer die Wahrscheinlichkeit der Erheblichkeit des Wissens an anderer Stelle -,je größer der mögliche Nachteil fiir den Dritten und je kleiner der Vermeideaufwand, insbesondere die Kosten, um so strengere Anforderungen sind an die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, zu stellen.10I2 Entscheidende Bedeutung kommt, wie gesehen, jeweils, neben den anderen Kriterien des beweglichen Systems, der Bewertung der Größe des Riskos zu, daß die Information in einem anderen Teil der arbeitsteiligen Struktur bzw. zeitlich später relevant wird. Dann besteht aber im Ergebnis eine gewisse, schon
1010 Z. B. eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft, die Ausfiihrwtgen gelten entsprechend auch für eine BOB-Gesellschaft. 1011 Vgl. so für die Verkehrspflichten Larenz!Canaris, SehR Il/2, S. 414. 1012 Die einzelnen Parameter sollen in Teil III, S. 379 ff., bei der Besprechwtg der vorgestellten Entscheidwtgen exemplifiziert werden.
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im Rahmen der Lückenfeststelhmg 1013 Wld zu Beginn der Lückenausfill1Wlg 1014 konstatierte Ähnlichkeit zu den Stimmen in RechtsprechWlg Wld Literatur, die sich am Kriteriwn der ordnWlgsgemäßen Organisation orientieren. So erklärt der BGH im "Altlastenfal1" 1015, ob eine Information zu speichern sei, hänge davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie später rechtserheblich werden könne. Für die Dauer der SpeicherWlg von Informationen müsse danach Wlterschieden werden, wie erkennbar wichtig ein Umstand war. 1016 Diese PräzisierWlg des Kriteriwns der ordnWlgsgemäßen Organisation hat Taupitz begrüßt.1017 Auch Medicus 1018 differenziert nach der Wahrscheinlichkeit, mit der die Information später relevant wird (für die Frage, ob gespeichert werden muß) Wld ihrer erkennbaren Wichtigkeit (für die Frage, wie lange gespeichert werden muß). Im "Altlastenfa11" 1019 stellt der BGH fest, daß sich die Frage, ob Wld wie lange eine Information zu speichern sei, ausschließlich nach dem Zeitpunkt der WahrnehmWlg Wld nicht einem späteren Wissensstand beurteile. Dies stimmt mit der hier vertretenen Ansicht überein, nach der es auf den Zeitpunkt der EntstehWlg der Gefahr, also der Informationsaufnahme, ankommt. 1020 Gegen den BGH wendet sich Taupitz. 1021 Erkenne derjenige, der eine Information erlangt hat, später selbst, daß die Information für eine andere Person innerhalb der Organisation von BedeutWlg sei oder sein werde, dann entstehe in diesem Moment die Pflicht zur Weitergabe der Information bzw. zur SpeicherWlg. 1022 Taupitz Wltermauert seine These mit einem Beispiel. 1023 Für die Zeit, in der Asbest als harmlos galt, habe man eine Pflicht zur SpeicherWlg der Information über das Vergraben derartiger Stoffe abzulehnen. Wisse aber heute noch jemand in einem Unternehmen, daß entsprechende Stoffe vergraben seien, dann habe er für die Weitergabe dieser Information an jene Personen zu sorgen, für deren Handeln diese Information von BedeutWlg sei.
1013 Vgl. S. 257. 1014 Vgl. S. 265 f. Fn. 914. l0 15 BGHNJW 1996, 1339, 1341 (vgl. S. 328 ff.). 1016 BGH NJW 1996, 1339, 1341. Die Bedeutung der Information sieht auch BGH NJW 1997, 1917 als wichtigen Faktor an. IOI7 JZ 1996, 734, 736 und EWiR, § 463 BGB 1196, 585, 586. 10 18 Karlsruher Forum 1994,4, 12. 1019BGHNJW 1996,1339,1341. 1020 Vgl. S. 268 f. 1021 JZ 1996, 734, 736 und EWiR § 463 BGB 1/96, 585, 586. 1°22 JZ 1996, 734, 736 und EWiR § 463 BGB 1/96, 585,586. 1023 JZ 1996, 734, 736 und EWiR § 463 BGB 1/96, 585, 586.
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Man wird hier im einzelnen differenzieren. Auszugehen ist davon, daß sowohl die Tatsache, daß Asbest vergraben wurde, wie auch die Tatsache, daß Asbest gefährlich ist, je fiir sich verfiigbar zu machen und zu halten sein können. Erfährt eine Hilfsperson, daß Asbest gefährlich ist, weiß oder erinnert sie sich aber nicht mehr daran, daß die arbeitsteilige Struktur Asbest vergraben hat, und besteht auch keine Pflicht der arbeitsteiligen Struktur, das Wissen um das Vergraben zu dem relevanten Zeitpunkt verfiigbar zu halten, so entsteht eine solche Pflicht nun auch nicht von neuem. Es mag höchstens die Pflicht entstehen, die Information, daß Asbest generell gefährlich ist, verfiigbar zu machen und zu halten. 1024 Erfährt eine Hilfsperson, daß Asbest gefährlich ist, und erfährt sie ebenfalls (von neuem), daß die arbeitsteilige Struktur Asbest vergraben hat, so kann hieraus natürlich die Pflicht entstehen, das Wissen um den gefährlichen und vergrabenen Asbest verfiigbar zu machen und zu halten. Erfährt eine Hilfsperson, daß Asbest gefährlich ist, und trifft die arbeitsteilige Struktur noch die Pflicht, das Wissen um vergrabenen Asbest verfiigbar zu halten, so ist im Einzelfall festzustellen, ob fiir ein bestimmtes Rechtsverhältnis sowohl die Information, daß Asbest vergraben wurde, als auch die Information, daß er gefährlich ist, verfiigbar zu machen und zu halten ist. Es handelt sich ggf. um zwei verschiedene Pflichten. Erfährt schließlich eine Hilfsperson, daß Asbest gefährlich ist, und erinnert sie sich sodann daran, daß Asbest in der Vergangenheit vergraben wurde, ohne daß insofern noch eine Pflicht der Organisation bestand, dieses Wissen verfiigbar zu halten, so stellt sich die Frage, ob nun nur die Pflicht entstehen kann, das Wissen, daß Asbest gefährlich ist, verfiigbar zu machen und zu halten, oder auch (erneut) die Pflicht entstehen kann, das Wissen, daß die Organisation Asbest vergraben hat, verfiigbar zu machen und zu halten. Taupitz würde letzteres bejahen, der BGH verneinen. Im Ergebnis ist dem BGH zuzustimmen. Die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, knüpft jeweils an das Risiko der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung an. Durch das zufällige, individuelle Sich-Erinnern einer Hilfsperson entsteht dieses Risiko aber nicht von neuem. Der hier erörterte Fall ist im übrigen nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen zunächst eine Verkehrssicherungspflicht zu verneinen ist, weil sie mit unzumutbarem Aufwand verbunden ist, später aber, nach Absinkendes Gefahrverminderungsaufwandes, die Pflicht doch noch entsteht. In diesen Fällen dauert die Gefahr fort, sie entsteht in jedem Augenblick wieder neu, kann daher auch stets Auslöser einer Verkehrssicherungspflicht sein. Hier entsteht die Gefahr, die arbeitsteilige Wissensaufspaltung, nur in dem Moment, in dem erst1°24 Dies hängt 19 Baum
im einzelnen von den allgemeinen Kriterien ab.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
mals die Information erlangt wird, daß Asbest vergraben ist. Nur an diesen Zeitpunkt kann daher angeknüpft werden.102s Zur Bestiirummg des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, ist also stets auf den Zeitpunkt der Gefahrschaffimg abzustellen. g) Rechtsfolge Besteht eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, so ist hiermit noch nicht beantwortet, welche Rechtsfolgen sich an diese Pflicht knüpfen. aa) Bei Erfollung der Pflicht Ist die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, erfüllt, weiß also die handelnde Hilfsperson, so kann dieses Wissen der arbeitsteiligen Struktur über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB zugerechnet werden. Ist dem handelnden Geschäftsherrn in Erfüllung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, Wissen verfügbar, so ist dieses Wissen natürlich ebenfalls fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen seiner Handlung erheblich. Ist Wissen an sich relevant, so ist dieses der arbeitsteiligen Struktur ebenfalls zuzurechnen, wenn es dem Geschäftsherrn1026 oder der zuständigen Hilfsperson zur Verfügung stand.t027 bb) Bei Nichterfollung der Pflicht Schwieriger ist die Festlegung der Rechtsfolge, wenn die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, verletzt ist. Auch insofern wird man sich zunächst wieder an der Haftung filr Verkehrspflichtverletzungen orientieren. Verletzt der Verkehrssicherungspflichtige seine Verkehrssicherungspflicht, so haf-
1025 Es kann natürlich auch über das bewegliche System eine Pflicht der arbeitsteiligen Struktur bestehen, Wissen über zur Zeit der Informationserlangung für ungefahrlich gehaltene Stoffe für eine gewisse Zeit verfügbar zu halten. 1026 In diesem Fall handelt es sich eigentlich nicht um Zurechnung. 1027 Der BGH will auch in den Fällen, in denen Wissen an sich relevant ist, dieses über § 166 I BGB analog zurechnen, sofern die zuständige Hilfsperson darüber verfügt (vgl. "Landesversorgungsamtsfall", BGHNJW 1986, 2315 (vgl. S. 98 ff.); "Versicherungsanstaltsfall", BGH NJW 1992, 1755 (vgl. S. 100 ff.); "Betriebsprüferfall", BGH NJW 1994, 1150 (vgl. S. 102 f.). Wie bereits festgehalten, ist dies methodisch falsch, der Sache nach aber richtig, da die zuständige Hilfsperson als "Wissensempfangsvertreter", basierend auf dem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, anzusehen ist, vgl. S. 192.
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tet er dem Geschädigten auf Schadensersatz. 1028 Dieser Anspruch geht nicht nur auf das negative Interesse, der Geschädigte soll vielmehr so gestellt werden, wie er ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis stehen würde, 1029 bei Verletzung der Verkehrssicherungspflicht also so, als ob der Verkehrssicherungspflichtige seine Pflicht nicht verletzt hätte. Übertragen auf die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, würde dies bedeuten, daß der Dritte, dessen Rechtsstellung sich durch die Verletzung der Pflicht verschlechtert, 1030 eine Art Schadensersatzanspruch erhält und über diesen so zu stellen wäre, als wäre die Pflicht nicht verletzt worden. Im Fall des gutgläubigen Erwerbs eines Grundstücks durch einen Erwerber, der seine Pflicht, sich Wissen verfügbar zu machen, nicht erfüllt hat, hätte der wahre Berechtigte, der Dritte, dann gegen diesen einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückübereignung im Wege der Naturalrestitution. Mag dieser Anspruch auch im allgemeinen den wahren Berechtigten schützen, so versagt er doch in den Fällen der Insolvenz des Erwerbers oder der Weiterveräußerung. Der Rückübereignungsanspruch gibt als Verschaffungsanspruch kein Aussonderungsrecht, im Fall der Weiterveräußerung erwirbt der zweite Erwerber vom Berechtigten. Bei Verletzung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, ist jedoch einen Schritt weiter zu gehen. Die Anordnung einer Schadensersatzverpflichtung beruht zuvörderst auf dem Ausgleichsgedanken. 1031 Der Geschädigte soll, wie gesehen, so gestellt werden, wie er ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis stehen würde. 1032 Dem Gesetz geht es also bei der Anordnung einer Schadensersatzpflicht um das Interesse des Geschädigten an der Erhaltung seiner Güter. 1033 Im Fall der Verkehrspflichtverletzung kann diesem Interesse nur durch die Anordnung einer Schadensersatzverpflichtung Rechnung getragen 1028 Wie gesehen (vgl. S. 252 f.), ist es bei den Verkehrspflichten umstritten, inwieweit freie, d. h. nicht in die gesetzlich anerkannten Deliktsnormen zum Schutz fremden Vermögens (§§ 823 li, 824, 826, 831 BGB) integrierte Schutzpflichten anzuerkennen sind. Es wurde jedoch festgestellt, daß eine entsprechende Beschränkwtg jedenfalls nicht für das allgemeine Prinzip, Dritte vor der Realisierung geschaffener Gefahren zu schützen, gilt. Insofern kommt es auf diese auch nicht bei der Bestimmung der Rechtsfolgen der Pflichtverletzung an. 1029 Larenz, SehR I, S. 424; Lange, Schadensersatz, S. 9. 1030 Es kann insofern dahinstehen, ob diese Verschlechterung der Rechtsstellung stets als Schaden anzusehen ist. 1031 Larenz, SehR I, S. 424; Lange, Schadensersatz, S. 9; vgl. auch Larenz, SehR I, S. 422 ff. und Lange, Schadensersatz, S. 9 ff. für weitere tragende Gedanken. 1032 Larenz, SehR I, S. 424. 103 3 Larenz, SehR I, S. 424. 19*
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Teil 11: Zurechnung von Wissen
werden. Die Rechtsgutsverletzung ist nämlich irreparabel eingetreten und kann nurmehr ex post durch Ersatzanspruche ausgeglichen werden. Im Fall der Verletzung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, ist die Rechtsstellung des Dritten noch nicht irreparabel verschlechtert. Es wird ex post im Prozeß mit Wirkung ex ante entschieden, ob der, der Wissen verfiigbar machen und halten mußte, wußte. Dem Interesse des Dritten an der Erhaltung seiner Güter und seines Vermögens, läßt sich daher hier nicht nur durch Ersatzanspruche Genüge tun. Diesem Interesse läßt sich vielmehr wirkungsvoller1034 dadurch Rechnung tragen, daß das Wissen, das verfiigbar sein sollte, einfach zugerechnet wird. 1035 Dann nämlich verschlechtert sich die Rechtsstellung des Dritten schon nicht, und die Güter und das Vermögen des Dritten bleiben erhalten. Rechtsfolge der Verletzung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, ist demnach die Zurechnung gerade dieses Wissens. Bei Verletzung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, wird dieses dem Geschäftsherrn daher handlungsunabhängig zugerechnet. 1036 Für den obigen Fall des gutgläubigen Erwerbs durch einen Erwerber, der seine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, nicht erfiillt hat, bedeutet dies, daß der wahre Berechtigte Eigentümer bleibt. Er hat daher gegen den dritten Erwerber einen Grundbuchberichtigungsanspruch nach§ 894 BGB. Im Fall der Insolvenz steht ihm ein Aussonderungsrecht zu. Lediglich fiir den Fall der Weiterveräußerung an einen gutgläubigen zweiten Erwerber ist er auf Sekundäranspruche verwiesen. Insofern handelt es sich aber um das allgemeine Risiko eines nicht eingetragenen wahren Berechtigten. Im einzelnen bedeutet dies folgendes: Löst Wissen an sich Rechtsfolgen aus, so ist es dem Geschäftsherrn zuzurechnen, wenn die Pflicht, es der zuständigen Hilfsperson oder dem insofern selbst zuständigen Geschäftsherrn1037 verfiigbar zu machen und zu halten, nicht erfiillt wurde. Dogmatisch läßt sich dies erneut mit der Überlegung begründen, die die Zurechnung des der zuständigen Hilfsperson verfiigbaren Wissens in den Fällen rechtfertigt, in denen Wissen an sich relevant ist. Die zuständige Hilfsperson ist als "Wissensempfangsvertreter" analog § 164 III BGB anzusehen, ihr Wissen daher Wissen des Geschäftsherrn.
1034 Vgl.
sogleich für den Fall der Insolvenz. Richtung zielt wohl auch Hagen, DRiZ 1997, 157, 163. 1036 Der Sache nach handelt es sich um das Problem das Canaris im Zusammenhang mit der Vertrauenshaftung diskutiert hat. Dort waren die Alternativen ein Schadensersatzanspruch auf Ersatz des negativen Vertrauensschadens und der Anspruch auf Vertrauensentsprechung gemäß § 242 BGB (vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5 f., 518 ff.). 1037 Ist keine zuständige Hilfsperson bestimmt, so ist im Zweifel der Geschäftsherr zuständig. I035 In diese
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Soll nun bei Verletzung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, der Dritte so gestellt werden, als hätte der Geschäftsherr diese Pflicht erfüllt, so muß fingiert werden, daß das Wissen der zuständigen Hilfsperson verfügbar war. Wenn Wissen an sich relevant ist und so getan wird, also ob es dem zuständigen Geschäftsherrn zur Verfügung stand, so ist dieser eben als wissend anzusehen. Handelt der Geschäftsherr selbst, so ist ihm das Wissen, das ihm hätte verfügbar sein müssen, für die Bestimmung der Rechtsfolgen seiner Handlung zuzurechnen. Handelt eine andere Hilfsperson, so ist das Wissen, das dieser hätte verfügbar sein müssen, ebenfalls für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung zuzurechnen. 1038 Problematisch ist insofern, ob in dieser Fallgestaltung die Zurechnung des Wissens vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 166 II BGB abhängt. § 166 II BGB paßt aber nicht. Die Vorschrift regelt, unter welchen Umständen Wissen des nichthandelnden Geschäftsherrn zuzurechnen ist. Bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung geht es nicht um die Zurechnung von Wissen des Geschäftsherrn, sondern solchen Wissens, das der Geschäftsherr hätte verfügbar machen müssen.1039
1038 Oben (S. 287 f.) ist die Näh~ der hier vertretenen Konzeption einer Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zur Wissenszurechnung über das Kriterium der ordnungsgemäß organisierten Organisation und dem Vorschlag von Medicus betont worden. Es besteht allerdings ein erheblicher Unterschied. Für die Zurechnung von Wissen soll es nach diesen Ansichten in einem konkreten Fall immer darauf ankommen, ob die handelnde Hilfsperson Anlaß gehabt hätte, dieses abzurufen, sich seiner in einer konkreten Situation zu vergewissem (vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 12; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 17 f. [für die Unterscheidung von Wissen und Wissenszurechnung]; ders., JZ 1996, 734, 736 [dafür, daß die konkreten Anforderungen an die ordnungsgemäße Organisation aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln zu bestimmen seien, nämlich einerseits aus dem Blickwinkel dessen, der eine Information weiterzugeben hat, und andererseits aus dem Blickwinkel dessen, der auf eine Information angewiesen ist und deshalb ggf. nach ihr zu suchen hat); vgl. auch ders. EWiR § 463 BGB 1/96, 585, 586; zwischen der Pflicht, Wissen zu speichern, und dem Anlaß, dieses abzurufen, unterscheidet auch der BGH im "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339, 1341 (vgl. S. 328 ff.); zustimmend v. Reinersdorff, WiB 1996, 495, 496). Darauf kommt es nach der hier vertretenen Ansicht nicht an. Ist Wissen verfiigbar zu machen und zu halten und wird diese Pflicht verletzt, so ist das Wissen ohne weiteres zuzurechnen. Es ergibt sich ein konstruktiver Wissensstand der arbeitsteiligen Struktur. 1039 § 166 II BGB steht einer Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung auch nicht aus methodischen Gründen entgegen (vgl. S. 261 ff.).
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Fraglich ist auch, ob Voraussetzwlg dieser so skizzierten Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei Nichterfüllung der Pflicht, Wissen verfi.igbar zu machen und zu halten, ein Verschulden des Geschäftsherrn bei der Nichterfüllung der Pflicht ist. Auch fi.ir diese Frage soll wieder an die Haftung fi.ir Verkehrspflichtverletzungen angeknüpft werden. Bereits die dogmatische Einordnung der Haftung wegen Verkehrspflichtverletzungen als Verschuldens- oder Gefährdungshaftung ist umstritten. Unbestreitbar sind die Verkehrspflichten bei§ 823 BGB zu verorten. 1040 Sie sind also im Ausgangspunkt eine Haftung fi.ir Verschulden. 1041 Unbestreitbar ist auch, daß die Rechtsprechung durch die Überspannung der Anforderungen an die Verkehrspflichten heimlich Tatbestände der Gefährdungshaftung eingefi.ihrt hat. 1042 In der Literatur wird dies mit der Unmöglichkeit der Trennung von Fahrlässigkeits- und Gefährdungshaftung begründet. 1043 Die Übergänge zwischen Verschulden und Gefährdung seien fließend. 1044 Mit der Größe der Gefahr nelune das Moment der Erfolgseinstandspflicht zu. 1045 Gefährdungshaftung sei dann die Haftung fi.ir eine entsprechend dem Grad der Gefahr vollständig objektivierte Unsorgfalt. 1046 Mit Canaris ist dies jedoch entschieden abzulehnen.1047 Die Fortentwicklung der Gefährdungshaftung fällt nach geltendem Recht in die ausschließliche Kompetenz des Gesetzgebers. 1048 Die heimliche Entwicklung von Gefährdungshaftungstatbeständen ist daher eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem.1049 Richtig ist, daß äußerst scharfe Anforderungen an die Verkehrspflichten bei sehr hoher Gefahr mit dem Verschuldensprinzip zu vereinbaren sind. 1050 Insofern nimmt tatsächlich mit der Gefahr das Moment der Erfolgseinstandspflicht zu. Es bleibt jedoch auch in Fällen extremer Anforderungen bei einer Verschuldenshaftung.
1040 Es kann insofern dahinstehen, ob die Verkehrspflichten bei § 823 I BGB oder § 823 II BGB zu verorten sind, vgl. dazu schon oben S. 251 Fn. 834. 1041 So auch MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 180. 1042 Vgl. schon Esser, JZ 1953, 129 ff.; Larenz/Canaris, SehR II/2 S. 427 ff. 1043 Dies betont insbesondere v. Bar, Verkehrspflichten, S. 128 ff. 1044 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 144. 1045 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 128 ff., 144. 1046 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 144. Auch MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 180 ist bereit, unter bestinunten Umständen Garantiepflichten zu akzeptieren. 1°47 Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 427 f. 1°48 Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 601 f.; MünchKomm!Mertens, Vor §§ 823 - 853 Rdnr. 23; siehe auch schon oben S. 249 f. 1049 Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 428. I050 So auch Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 427 f.
§ 4 HandhmgsWlabhängige ZurechnWlg des Wissens einer Hilfsperson
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Die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung beruht nun aber auf dem durch Induktion aus der Haftung für Verkehrspflichten gewonnenen Prinzip der Verantwortlichkeit für die Schaffung von Risiken. Dieses Prinzip beinhaltet auch, daß der Pflichtige nur bei schuldhafter Verletzung seiner Pflichten für deren Verletzung einzustehen hat. Die Gefährdungshaftung war kein zulässiger Ansatzpunkt zur Entwicklung eines allgemeinen Prinzips. Auch die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung als Verwirklichung des durch Induktion gewonnenen Prinzips setzt daher eine schuldhafte Pflichtverletzung durch den Geschäftsherm voraus. Wie bei den Verkehrspflichten besteht über das bewegliche System die Möglichkeit, bei besonders großem Risiko besonders strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, zu stellen. Garantiepflichten mit dem Inhalt, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, sind hingegen mit dem dogmatischen Ursprung der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung nicht vereinbar.
cc) Sonderproblem Arglist Im "Knollenrnergelfall" 1051 und im "PKW-Fall" 1052 ging es nicht eigentlich um die Frage, ob eine arbeitsteilige Struktur wußte, sondern darum, ob ihr Verhalten als arglistig zu werten war. 1053 So berief sich der Kläger im "PKW-Fall" auf§§ 476, 477 I BGB, weil ein vertraglicher Gewährleistungsausschluß vereinbart und die Sechs-Monatsfristdes § 477 I BGB bereits abgelaufen war. Im "Knollenrnergelfall" verlangten die Kläger Schadensersatz nach § 463 S. 2 BGB. Die Annahme von Arglist schied dort schon deshalb aus, weil die Kenntnis des Sachbearbeiters nicht zurechenbar war. Im "PKW-Fall" verwies der BGH an das Berufungsgericht zurück, um zu klären, ob der Mitarbeiter der Einkaufsabteilung bei Ausfiillen des Formblattes die erhöhte Laufleistung vergessen hatte. Bei zurechenbarer Kenntnis, so scheint es, 1054 hätte der BGH dann aber ohne weiteres auf Arglist geschlossen. 1055 Im folgenden soll untersucht
1051 BGH NJW 1992, 1099, vgl. S. 107 ff. I052BGHNJW 1996,1205, vgl. S.llOff. 1053 Vgl. auch die EntscheidWlgen zum Organwissen, den "Schlachthausfall", NJW 1990, 975, den "Onmibusfall", BGH NJW 1995, 2159, Wld den "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339, vgl. fiir dieseS. 320 ff. 1054 Vgl. insbesondere den "PKW-Fall", BGH NJW 1996, 1205, wo es dem BGH fiir die Arglist nur darauf ankam, ob beim VerkaufKenntnis zurechenbar war. 1055 v. Reinersdorff, WiB 1996, 395, 396 meint, es sei dem BGH im "PKW-Fall" (BGH NJW 1996, 1205) darum gegangen, ob jedenfalls bei einer fiir die GmbH & Co. KG handelnden Person Arglist vorgelegen habe. Dies ergibt sich aber gerade nicht aus der EntscheidWlg.
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Teil ll: Zurechnung von Wissen
werden, ob sich auf der Grundlage der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung auch eine Arglisthaftung ergeben kann. (1) Arglist bei der Einzelperson Zunächst sollen Voraussetzungen und Nachweis der Arglist bei der Einzelperson referiert werden. Arglist erfordert nach allgemeiner Ansicht Vorsatz, wobei auch bedingter genügen soll. 1056 Der subjektive Tatbestand der Arglist setzt sich daher aus einem kognitiven (Wissens-) und einem voluntativen (Wollens-) Element zusammen. 1057 Das Wissen des arglistig Handelnden muß sich auf drei Elemente beziehen. 1058 So muß ein arglistig einen Mangel verschweigender Verkäufer den Mangel kennen oder für möglich halten. Er muß wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Mangel nicht kennt. Schließlich muß der Verkäufer wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Vertrag bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes nicht oder nicht zu den konkreten Bedingungen abschließen würde. Zu diesem Wissen muß auch noch das Wollen der Täuschung treten. Für das Zivilrecht läßt die Rechtsprechung im Gegensatz zum Strafrecht den Schluß vom Wissens- auf das Wollenselement großzügig zu. 1059 Die Rechtsprechung verlangt nur, daß der Verkäufer die Wissenselemente billigend in Kauf genommen hat. 1060 (2) Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur nach der Rechtsprechung Die grundlegende Entscheidung des BGH zum Problem der Arglist bei einer arbeitsteiligen Struktur fmdet sich in BGH NJW 1990, 975. Auf diese wird hier als "Schlachthausfall" Bezug genommen. 1061 Einer Gemeinde wurde das Wissen eines ausgeschiedenen Bürgermeisters und des nicht am Verkauf beteiligten
1056 Für die Rechtsprechung: BGH LM § 463 BGB Nr. 1; WM 1971, 749, 751; fiir die Literatur: Soergei!Huber, § 476 Rdnr. 24; einschränkend MünchKomm/Westermann, § 463 Rdnr. 8; Erman/Grunewald, § 463 Rdnr. 6. I057 Die im folgenden referierte Arglistdefinition ist ständige Rechtsprechung, vgl. BGH WM 1983, 990; NJW 1987, 2511, 2512; NJW 1990, 42,42 f. 1058 Im folgenden wird der Deutlichkeit halber von einem arglistig einen Mangel verschweigenden Verkäufer ausgegangen. Sachlich bestehen keine Unterschiede zu den anderen Fällen der Relevanz von Arglist. 1059 So Reinking/Eggert, Autokauf, Rdnr. 1861. 1060 Vgl. die ständige Rechtsprechung BGH WM 1983, 990; NJW 1987, 2511 , 2512; NJW 1990,42,42 f. 1061 In der Entscheidung ging es um das Problem des Organwissens, vgl. dazu ausfUhrlieh S. 320 ff. Die Überlegungen zur Arglist sind jedoch allgemein gültig.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Stellvertreters des amtierenden Bürgermeisters um Mängel fiir die Veräußerung eines Grundstückes zugerechnet.l 062 Das Gericht filhrte sodann aus 1063: "Zwar ist, wie das Ber.Ger. zutreffend ausführt, weitere Voraussetzung der Haftung, daß der Verkäufer zugleich weiß oder doch mit der Möglichkeit rechnet und billigend in Kauf nimmt, daß der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte ... Soll aber der mit einer Gemeinde privatrechtlich kontrahierende Bürger, wie ausgeführt, in seinem Vertrauen geschützt werden und aus der Eigenart der gemeindlichen Organisation keinen Nachteil erfahren, so erscheint es interessengerecht, die Gemeinde auch hinsichtlich der weiteren Elemente des bedingten Vorsatzes nicht besser als eine natürliche Person zu stellen. Bei einer solchen könnte nach der Lebenserfahrung von der Kenntnis eines schwerwiegenden verborgenen Mangels der vorliegenden Art auf die Einsicht und die Billigung geschlossen werden, daß der Vertragspartner (Kl.) den Mangel vielleicht nicht kennt und andernfalls den Vertrag nicht oder nicht so wie geschehen abgeschlossen hätte ... Eine solche Gleichstellung rechtfertigt sich um so eher, als damit kein moralisches Unwerturteil verbunden ist. Ein moralisch vorwertbares Verhalten ist bei dem - auf bedingten Vorsatz reduzierten- Tatbestandsmerkmal der "Arglist" i. S. des § 463 S. 2 schon allgemein nicht erforderlich ... Erst recht verflüchtigt sich ein etwa verbleibender Vorwurf gegenüber einer juristischen Person (Gemeinde) in dem Maße, in dem ihr- wie hier- Einzelwissen verschiedener natürlicher Personen (Organvertreter) kumulativ, gleichsam mosaikartig, zugerechnet wird. Dabei geht es nicht um eine Sanktion fiir moralisch vorwertbares Verhalten, sondern um eine angemessene Risikoverteilung zwischen Bürger und Gemeinde."
Über den ausgeschiedenen Bürgermeister und den Stellvertreter des amtierenden Bügenneisters wurde der Gemeinde das Wissen um den Mangel zugerechnet. Insofern war dieser Bewußtseinsinhalt, diese Kenntnis, tatsächlich vorhanden. Es gab jedoch keine natürliche Person, die die Kenntnis hatte oder damit rechnete, daß dem Käufer- diesem Käufer- der Mangel unbekannt war, und keine natürliche Person, die wußte oder damit rechnete, daß der Käufer den Vertrag bei Kenntnis nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Ebensowenig gab es eine natürliche Person, bei der das Wollen, fiir die Arglist zumindest das bedingte Inkaufnehmen, vorlag. Das zweite und dritte Wissenselement der Arglist und das Wollenselement konnten der Gemeinde daher nicht über natürliche Personen zugerechnet werden. Der BGH rechnete daher auch nicht, entgegen seiner Aussage, Einzelwissen verschiedener natürlicher Personen zusammen. Es wurde vielmehr der Vergleich mit einer Einzelperson gezogen, die um einen versteckten Mangel weiß und die mangelbehaftete Sache I 062 Vgl.
hierzu ausführlich unten S. 320 ff. 1990, 975,976.
1063 BGH NJW,
Teil II: Zurechnung von Wissen
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veräußert. Bei dieser wird, so der BGH, von der Kenntnis des versteckten Mangels auf die beiden übrigen Wissenselemente und das Wollenselement geschlossen. Der BGH ging deshalb von Arglist auch fiir die juristische Person aus. Es kam daher zu einer Addition von Wissen und Handlung. Ergebnis dieser Addition ist jedoch nicht das bloße Zusammenzählen der realen Kenntnis und der Handlung, sondern zusätzlich eine Fiktion weiterer subjektiver Merkmale, nämlich zwei er Wissenselemente und des W ollenselements. Anders als bei der Einzelperson, die um einen versteckten Mangel weiß und die mangelbehaftete Sache veräußert, läßt sich bei der arbeitsteiligen Struktur die Annahme der beiden fehlenden Wissenselemente und des W ollenselements auch nicht auf die allgemeine Lebenserfahrung gründen. Der Schluß aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung ist ein Anscheinsbeweis. 1064 Ein solcher muß geeignet sein, die volle Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit einer Tatsache zu begründen.1065 Er ist also lediglich prozessualer Beweis tatsächlicher Willenselemente und tatsächlichen Wollens. Bei der Gemeinde war dieses Wissen und Wollen jedoch nicht vorhanden, es mußte daher - tatsächlich - fingiert werden. (3) Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur nach der Literatur In der Literatur ist dieser Weg auf Widerspruch gestoßen. Waltermann1066 meint, daß das Problem der Arglist in den Fällen, in denen die wissende Hilfsperson nicht handele und die handelnde Hilfsperson nicht wisse, nicht befriedigend über § 166 I BGB lösbar sei. Er fordert eine Lösung durch den Gesetzgeber, die die mit der arbeitsteiligen Aufgabenwahrnehmung verbundenen Risiken gerecht verteile. 1067 Auch Flume 1068 hält den Weg, den der BGH im "Schlachthausfall" 1069 zur Begründung von Arglist geht, fiir falsch. Zum arglistigen Verschweigen gehöre unredliches Verhalten, und unredliches Verhalten habe nicht vorgelegen.101o
1064 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 661. 1065Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 661 m. w. N. 1066 NJW 1993, 889, 894 f. 1067 Waltermann, NJW 1993, 889, 894. 1068 JZ 1990, 550, 551; vgl. nun auch ders., AcP 197 (1997), 441,442 ff. 1069 BGHNJW 1990,975. 107 Flume, JZ 1990, 550, 551. Im Ergebnis möchte auch Flume (JZ 1990, 550, 551 f.) der Gemeinde die Berufung auf den vertraglich vereinbarten Ausschluß der Gewährleistung versagen und den Anspruch aus § 463 S. 2 BGB bejahen. Bei Kenntnis des Mangels könne sich der Verkäufer jedenfalls nicht auf den Gewährleistungsausschluß berufen, da dies treuwidrig sei. Folge man der Einsicht, daß der Kaufvertrag auf Leistung der Kaufsache im fehlerfreien Zustand gerichtet sei, so sei bei Kenntnis des Verkäufers vom Mangel bzw. Wissenszurechnung auch der Anspruch auf das Erfiillungsin-
°
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Reinking/Kippeis fordern für die Annahme von Arglist, daß das Motivationselement, d. h. das Wissen um die Relevanz der Aussage im Zusammenhang mit einem konkreten Vertragsschluß, immer bei einer der Hilfspersonen vorhanden sein müsse. 1071 Die Person, die um den Mangel wisse, müsse auch um den Vertrag wissen, für den dieser Mangel erheblich werde. Darüber hinausgehend könne man eine Organisation nicht für arglistig halten. 1072 Lebmann sieht die Lösung des Problems der "gespaltenen Arglist" 1073 in einer entsprechenden Anwendung von§ 166 II 1 BGB. Der Begriff der Weisung sei bekanntlich weit auszulegen. Insbesondere solle es der Weisung gleichstehen, wenn der Vertretene trotz Kenntnis nicht eingreife, obwohl er es könne. Organisiere der Geschäftsherr den Zugang des ihm zurechenbaren Wissens so, daß die für ihn Handelnden das in seiner Sphäre vorhandene Wissen nicht verfügbar haben, nehme er zumindest billigend in Kauf, daß dem Geschäftspartner für seine Kaufentscheidung relevante Tatsachen, bzgl. derer eine Aufklärungspflicht besteht, nicht bekannt werden. 1074 Diese Arglist sei dann entsprechend
teresse begriindet. Nunmehr scheint Flume (AcP 197 (1997), 441, 451) allerdings lediglich eine Haftung auf das negative Interesse zu befürworten. Statt an die Arglisthaftung anzuknüpfen, solle die Rechtsprechungaufgrund der Änderung des Verständnisses der Sachmängelhaftung gegenüber dem Konzept, das der Gesetzgebung des BGB zur Sachmängelhaftung beim Kauf zugrunde gelegen habe, wie diese Änderung in dem subjektiven Fehlerbegriff ihren Ausdruck fmde, in Ergänzung der gesetzlichen Regelung allgemein eine Haftung auf Schadensersatz für Fahrlässigkeit beim Verkauf einer fehlerhaften Sache armehmen. Diese Haftung soll neben etwaigen Gewährleistungsansprüchen stehen. 1071 ZIP 1988, 892, 895. 1072 Reinking/Kippe/s, ZIP 1988, 892, 895. Auch Reinking/Kippeis (ZIP 1988, 892, 896) halten dies im Ergebnis für unbefriedigend. Je größer der Betrieb und je mehr Personen für die Verkäuferfirma tätig seien, um so schwerer sei der Nachweis der Voraussetzungen der Arglisthaftung. ReinkingfKippeis schlagen als Ersatzlösung eine Haftung aus culpa in contrahendo vor. Diese ergebe sich schon bei fahrlässiger Verletzung der Pflicht, in der Organisation einen Informationsaustausch herzustellen. Als Nachteil dieser Lösung betrachten Reinking/Kippeis selbst die Notwendigkeit, einige rechtliche Hürden zu überspringen, so die Sperrwirkung der zulässigerweise ausgeschlossenen Sachmängelhaftung, welche eingreife, wenn die Arglist einen gewährleistungsrechtlich relevanten Mangel betreffe, und die Erstreckung des Gewährleistungsausschlusses auf einen etwaigen konkurrierenden Anspruch aus Verschulden bei Vertragsabschluß. Wie sogleich zu zeigen sein wird, müssen diese Hürden nicht übersprungen werden, da von Arglist auszugehen ist. 107 3 Vgl. fiir den Ausdruck DStR 1995, 1027, 1029. 1074 Lehmann, DStR 1995, 1027, 1030.
300
Teil II: Zurechnung von Wissen
§ 166 II BGB erheblich für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung der Hilfsperson. Schon früh ist allerdings Hoffinann den Weg der Rechtsprechung gegangen.1075 Er befiirwortet nicht nur die strikte, vollständige Zurechnung des dienstlich erlangten Wissens sämtlicher Hilfspersonen, 1076 sondern schließt von zurechenbarer Kenntnis auch auf Arglist.l 077 (4) Arglist bei der arbeitsteiligen Struktur nach dem eigenen Standpunkt (a) Bei Geltung des Gleichstellungsarguments Der BGH begründet den Schluß von bloßer Kenntnis auf die Arglist mit dem Gleichstellungsargument Soweit dieses gilt, 1078 ist der Schluß überzeugend. Weiß eine Einzelperson um einen Mangel und offenbart sie ihn nicht, so wird man sie, wie der BGH ausführt, 1079 nach der Lebenserfahrung für arglistig halten. Soll ein Dritter, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, nicht schlechter stehen, als wenn er es mit einer Einzelperson zu tun hätte, so ist, wenn einer solchen Struktur die Kenntnis bestimmter Umstände über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffi.mg für ein Geschäft zuzurechnen ist, auch arglistiges Handeln anzunehmen.1080 (b) Sofern das Gleichstellungsargument nicht gilt Gerade im Bereich der arbeitsteiligen Leistungserbringung, also den Fällen, in denen es in der Regel um Arglist geht, gilt das Gleichstellungsargument jedoch typischerweise nicht. 1081 Auch hier hilft aber der Gedanke der Verantwortung für Risikoschaffung. Durch den arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson schafft der Geschäftsherr das Risiko der Wissensaufspaltung. Da er für dieses
1075 JR 1969, 372 ff. 1076Vgl. oben s. 233 f. 1°77 JR 1969, 372, 374. 1078 Vgl. im einzelnen S. 186 ff. 1°79 So der BGH im "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975, 976. 1080 Vgl. zu den Konsequenzen für den Arglistbegriff sogleich unter (4.3). 1081 Vgl. oben S. 186 ff. Der Empfanger einer arbeitsteilig erbrachten Leistung steht typischeiWeise anders, nämlich besser, als der Empfanger einer Leistung durch eine Einzelperson. Im "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975, gilt im übrigen das Gleichstellungsargument, da der Dritte bei Kauf eines Grundstücks von einer Gemeinde keine andere Leistung erhält als bei Kauf von einer Einzelperson, er also so steht, als hätte er es mit einer Einzelperson zu tun.
§ 4 Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens einer Hilfsperson
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Risiko rechtlich verantwortlich ist, trifft ihn eine Pflicht, mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand Wissen verfiigbar zu machen und zu halten. 1082 Erfiillt der Geschäftsherr seine Pflicht, der fiir die arbeitsteilige Struktur handelnden Hilfsperson oder sich selbst das Wissen verfiigbar zu machen, so sind auch die tatsächlichen Voraussetzungen der Arglist gegeben. Es handelt dann eine um einen Mangel wissende Hilfsperson. Bei Handeln der Hilfsperson in Kenntnis ist nach der Lebenserfahrung auf ihre Arglist zu schließen. 1083 Diese Arglist ist dann über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken dem Geschäftsherrn zurechenbar. Ebenso ist von Arglist auszugehen, wenn er selbst in Kenntnis handelt. 1084 Problematisch ist daher nur der Fall, daß der Geschäftsherr seine Pflicht schuldhaft nicht erfiillt hat. Über die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung soll der Dritte so stehen, als hätte der Geschäftsherr seine Pflicht erfiillt, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten. 1085 Konsequenz der schuldhaften Nichterfiillung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, ist dann aber nicht nur, daß der arbeitsteiligen Struktur Wissen fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung zugerechnet wird, sondern auch, daß sie als arglistig betrachtet wird. Hätte der Geschäftsherr seine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, nämlich nicht schuldhaft verletzt, so hätte, wie gesehen, die Hilfsperson, der Wissen verfiigbar zu machen war, oder er selbst gewußt, und sofern die Hilfsperson oder er dennoch gehandelt hätte, wäre nach der Lebenserfahrung auf Arglist zu schließen gewesen. Das Nichtvorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Arglist ist bei Bestehen einer Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, also ebenfalls Folge der Risikoschaffimg durch Arbeitsteilung. Für dieses Risiko muß der Geschäftsherr bei schuldhafter Pflichtverletzung einstehen. (c) Die Auflösung des Arglistbegriffs Diese Lösung setzt zunächst voraus, daß die Arglisthaftung bei der Einzelperson keine Sanktion fiir moralisch vorwertbares Verhalten ist. Davon geht der BGH aus. 1086 Dieser Auffassung wird hier gefolgt, da es um die Konkretisierung eines Prinzips - der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg - an Hand der Wertungen der Gesamtrechtsordnung geht, und 1082 Vgl. S. 267 ff. 1083 Vgl. den BGH im "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975, 976. 1084 Auf Arglist ist auch zu schließen, falls Geschäftsherr oder die Hilfsperson in Kenntnis anweisen. 1085 Vgl. S. 290 ff. 1086Vgl. im "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975. Prononciert anders Flume, AcP 197 (1997), 441,443.
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Teil Il: Zurechnung von Wissen
nicht um die Richtigkeit des Arglistbegriffs der Rechtsprechung für die Einzelperson. t 087 Allerdings besteht bei der arbeitsteiligen Struktur das zusätzliche Problem, daß mit dem hier erarbeiteten Vorschlag auf das W ollenselement der Arglist für die Einzelperson wird immerhin ein bedingtes Wollen gefordert - gänzlich verzichtet wird. Der Arglistbegriff wird so über den Verzieht auf einen moralisehen VoiWUrf hinaus weiter aufgelöst, und die Arglisthaftung zur Sanktion bloßen wissenden Handelns. Auf ein Wollen kann nämlich, wie gesehen, bei Handeln mit lediglich fingierter Kenntnis nicht nach der Lebenserfahrung geschlossen werden. Wenngleich der BGH dies nicht ausdrücklich erklärt hat, so hat er doch im "Schlachthausfall" gerade diesen Schritt für die arbeitsteilige Struktur vollzogen. Da es hier lediglich um die Konkretisierung eines Prinzips geht, soll auch diese Wertung mitvollzogen werden. 1088 h) Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung und Gehilfenversagen Die Wissenszurechung wegen Risikoschaffung setzt eine schuldhafte Verletzung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, voraus. Problematisch ist daher, ob dem Geschäftsherrn auch ein Schuldhaftes Gehilfenversagen zur Begründung der Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung zugerechnet werden kann. Die Frage stellt sich, wenn der Geschäftsherr zwar Maßnahmen getroffen hat, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, das Wissen wegen des schuldhaften Versagens eines Gehilfen aber gleichwohl nicht verfügbar ist. Auch hier wird man sich zunächst wieder an der Diskussion zur Einstandspflicht für Gehilfenversagen im Rahmen der Verkehrspflichten orientieren. Soweit Verkehrspflichten als Garantiepflichten verstanden werden, ist die Frage, warum die Pflicht nicht erfüllt wurde, unerheblich. Aber auch soweit die Verkehrspflichten keine Garantiepflichten sind, wird mit unterschiedlicher Begründung der Sache nach eine Einstandspflicht des Geschäftsherrn für seine Hilfspersonen befiirwortet. 1089 Bisweilen wird argumentiert, die Verkehrspflichten seien Pflichten des Geschäftsherrn und als solche nicht "haftungsbefreiend über-
1087 Die Frage, was Arglist ist und welche Anforderungen an sie zu stellen sind, wäre Gegenstand einer eigenen Arbeit. 1088 Insbesondere die Bedeutung des Wollenselementes fiir die Arglist bedarf jedoch in einer etwaigen Arbeit eingehender Untersuchung. Den Weg des BGH lehnt Flume, AcP 197 (1997), 441,443 ff. ab. I089Vgl. Vollmer, JZ 1977, 371 ff.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 270 und 274; Baums, FS Lukes, S. 623, 637 f.; differenzierend MünchKomm!Mertens, § 823 Rdnm. 179 und 197.
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tragbar", also auch nicht "haftungsbefreiend delegierbar". 109° Für ein Verschulden von Verrichtungsgehilfen bei der Erfiillung von Aufgaben des Geschäftsherrn habe dieser daher wie fiir eigenes Fehlverhalten einzustehen. 1091 Dies ist jedoch der falsche Ansatzpunkt. Mit Recht ist hiergegen angefiihrt worden, daß derjenige, der Dritte zu Gefahrabwendungsmaßnahmen einsetzt, diese nicht delegiert, sondern zu erfiillen sucht.I092 Eine unbedingte Einstandspflicht des Geschäftsherrn fiir seine HUfspersonen nach§ 278 BGB scheidet bei der Haftung fiir Verkebrspflichtverletzwlg aus, da es an einer Verbindlichkeit zwischen Geschäftsherrn und Drittem fehlt. 1093 Die h. M. hält daher grundsätzlich bei der Haftung fiir Verkehrspflichtverletzungen lediglich § 831 BGB fiir anwendbar. 1094 Allerdings wird die Möglichkeit des Enlastungsbeweises auch hier durch vieWiltige Konstruktionen stark beschränkt.1095 Besondere Bedeutung kommt der Aufsichtspflicht des verkehrssicherungspflichtigen Geschäftsherrn über die mit der Erfiillung der Pflicht betraute Hilfsperson zu. I096 Da die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung dogmatisch an der Haftung fiir Verkehrspflichten anknüpft, sind auch die Grundsätze über die Zurechnung des Gehilfenversagens zu übertragen. Im Prinzip haftet der Geschäftsherr für Versagen seiner Hilfspersonen daher nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 831 BGB analog. Anders als bei der Haftung fiir Verkehrspflichten besteht bei der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung jedoch in zahlreichen Fällen eine Sonderverbindung zwischen dem Geschäftsherrn und dem Dritten, die die Anwendung des § 278 BGB und somit eine strikte Zurechnung ermöglicht. So besteht eine Sonderverbindung zwischen dem Verkäufer und dem Käufer, die, soweit es um Kenntnis des Verkäufers (bei §§ 463, 477 BGB als Teil der Arglist) oder des Käufers (§§ 439, 460 BGB) geht, im Rahmen der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung die Zurechnung schuldhaften Gehilfenversagens über § 278 BGB ermöglicht. Eine Sonderverbindung, ein gesetzliches Schuldverhältnis, besteht auch zwischen Schädiger und Geschädigtem, so daß § 278 BGB fiir die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei § 852 BGB zur Anwendung kommt. Eine Sonderverbindung besteht ebenfalls in den prak1°90 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 270 und 274. 1091 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 274. I092 Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 420. 1093 Medicus, BR, Rdnr. 656; Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 419 f. 1094 BGHZ 4, 1, 3; Palandt/Thomas, § 823 Rdnr. 62; Soergel!Zeuner, § 823 Rdnr. 181; Erman!Schiemann, § 823 Rdnr. 86. I095 Vgl. dazu im einzelnen schon oben bei der Diskussion des § 831 BGB, S. 160 fi. 1°96 Medicus, BR, Rdnr. 656; Palandt/Thomas, § 823 Rdnr. 60; ausführlich mit umfangreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung v. Bar, Verkehrspflichten, S. 240 fi.
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Teil li: Zurechnung von Wissen
tisch wichtigen Fällen der versichenmgsrechtlichen Obliegenheiten zwischen Versicherer und Versichenmgsnehmer1097, so daß auch hier über § 278 BGB Schuldhaftes Gehilfenversagen im Rahmen der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zugerechnet werden kann. Eine Sonderverbindung besteht jedoch nicht in den Fällen der §§ 819 und 990 BGB. Hier kommt durch Kenntnis erst eine solche zustande. Im Rahmen der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung kann daher bei diesen § 278 BGB nicht zur Anwendung kommen. An einer Sonderverbindung fehlt es auch zwischen Erwerber und ursprünglich Berechtigtem bei § 892 BGB sowie zwischen dem Anfechtungsgegner und dem Konkursverwalter bzw. den anderen Konkursgläubigem bei § 30 KO. In diesen Fällen kommt eine Zurechnung des Verhaltens der Hilfsperson nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 831 BGB analog in Betracht. Hat also der Geschäftsherr seine Organisationspflicht erfiillt, und ist Wissen aufgnmd des Versagens einer Hilfsperson nicht verfiigbar, dann muß der Geschäftsherr fiir dieses Versagen nur einstehen, wenn ihn bei der Auswahl der Hilfsperson ein Verschulden traf oder er die Pflicht zur Aufsicht über die Hilfsperson schuldhaft verletzt hat (§ 831 BGB analog). Das Risiko des schuldhaften Versagens der Hilfsperson bei ihrer Tätigkeit fallt ihm hingegen nicht zur Last. Diese Unterscheidung ist vom Ergebnis her äußerst unbefriedigend. Sie ist jedoch zwingende Folge der im Gesetz durch §§ 278, 831 BGB zum Ausdruck kommenden und fiir die Konkretisienmg der Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung bindenden Regelung, daß nur innerhalb von Sonderverbindungen eine strikte Einstandspflicht fiir schuldhaftes Gehilfenverhalten besteht. Wie bei den Verkehrspflichten besteht auch fiir die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung die Möglichkeit, über die Handhabung des Entlastungsbeweises grobe Unbilligkeiten zu vermeiden. Es ergibt sich somit: Bei Bestehen einer Sonderverbindung muß der Geschäftsherr im Rahmen der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung fiir schuldhaftes Gehilfenversagen strikt über § 278 BGB (analog) einstehen. Außerhalb bestehender Sonderverbindungen hat er fiir Versagen seiner Hilfspersonen nur einzustehen, wenn ihn bei der Auswahl der Hilfsperson ein Verschulden traf oder er die Pflicht zur Aufsicht über die Hilfsperson schuldhaft verletzt hat. Dies ergibt sich über § 831 BGB analog.
1097 Dies ist auch schon vor Abschluß des Versicherungsvertrages der Fall, da durch Aufnahme der Vertragsverhandlungen ein gesetzliches Schuldverhältnis entsteht, vgl. Larenz, SehR AT, S. 106.
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i) Beweislast Abschließend sind noch Fragen der Beweislast zu erörtern. Grundsätzlich muß der Dritte, der es mit einer arbeitsteiligen Struktur zu tun hat, die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Wissenszurechnungkraft Risikoschaffung tragen, da er in der Regel die Kenntnis bei den einschlägigen Kenntnisnormen nachzuweisen hat. 1098 Dies ergibt sich auch daraus, daß es sich bei der Wissenszurechnung um eine für ihn günstige Tatsache handelt. 1099 Daß eine Pflicht besteht, hat der Dritte darzutun. Unproblematisch wird regelmäßig der Nachweis der Verletzung der Pflicht sein, Wissen verfügbar zu machen und zu halten. Besteht materiell die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, und beruft sich der Geschäftsherr gleichwohl auf Unwissen - nur dann kommt es ja zur Prozeßsituation -, so ist die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, verletzt. Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Realisierung des Risikos, also der Wissensaufspaltung, gilt der Anscheinsbeweis, da sich, wenn Wissen in einem bestimmten Teil der arbeitsteiligen Struktur fehlt, gerade diejenige Gefahr verwirklicht, der durch die Auferlegung der konkreten Pflicht begegnet werden sollte. 1100 Den Anscheinsbeweis wird man auch für das Verschulden zulassen. Bei Verletzung der "äußeren Sorgfalt", d. h. dem objektiven Pflichtverstoß, spricht nach Ansicht der Rechtsprechung ein Anscheinsbeweis für die Verletzung auch der inneren Sorgfalt, d. h. des Verschuldens. 1101 Der Anscheinsbeweis ist auch deshalb sachgerecht, da die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung an Umstände im Gefahrbereich, in der Sphäre, des eine arbeitsteilige Struktur Nutzenden anknüpft. Umstände in der Sphäre eines anderen lassen sich aber regelmäßig nur schwer beweisen.11o2
5. Zusammenfassung Durch arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen entsteht das Risiko der Wissensaufspaltung. An die Schaffung dieses Risikos wird in Rechtsprechung und Literatur vielfach zur Begründung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung angeknüpft. Es lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Die Vertreter 1098 Vgl. fiir Beispiele oben S. 196 ff. 1099 Rosenberg/Schwab/Gottwa/d, Zivilprozeßrecht, S. 671. 1100 Vgl. BGH NJW 1994, 945, 946 fiir die Begründung der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises fiir den Nachweis der Kausalität bei der Verkehrspflichtverletzung. 1101 Vgl. BGH NJW 1986, 765, 766 fiir den Verschuldensnachweis bei Verkehrspflichtverletzung. 1102 Grundlegend fiir die Verteilung der Beweislast nach Sphären: Prölss, Beweiserleichterungen, S. 65 ff.; Thomas!Putzo, ZPO, Vorbem § 284 Rdnr. 25 ff. m. w. N. 20 Baum
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Teil li: Zurechnung von Wissen
der ersten Gruppe befürworten eine strikte, vollständige handlWlgsWlabhängige ZurechnWlg des Wissens der arbeitsteilig eingesetzten Hilfspersonen. Die Vertreter der zweiten Gruppe stellen hingegen - mit großen Unterschieden im einzelnen - lediglich die Anfordenmg, daß das Wissen organisiert werden soll. Aus der Auferlegoog von Verkehrspflichten läßt sich per Induktion das allgemeine Prinzip ableiten, daß, wer Risiken schafft, Dritte mit angemessenem, zurnutbaren Aufwand vor deren Realisienmg schützen muß. Mit diesem Prinzip läßt sich eine Lücke hinsichtlich einer RegelWlg der rechtlichen VerantwortWlg fiir die Schaffung des Risikos der WissensaufspaltWlg durch ArbeitsteilWlg feststellen. Diese Lücke kann durch Konkretisienmg ausgefiillt werden. Wegen der VerantwortWlg fiir Risikoschaffung ergibt sich eine V erpflichtWlg des Geschäftsherrn, Wissen, das eine Hilfsperson bei arbeitsteiliger Tätigkeit fiir ihn erworben hat, mit angemessenem, zurnutbaren Aufwand sich selbst Wld anderen handelnden oder zuständigen Hilfspersonen verfiigbar zu machen Wld zu halten. Läßt sich aus der ratio legis der jeweiligen Wissensnorm keine spezielle RegelWlg über das "ob" der WissenszurechnWlg ableiten, so bestimmt sich sowohl ob als auch wie lange der Geschäftsherr Wissen verfiigbar zu machen Wld zu halten hat, jeweils über die Kriterien eines beweglichen Systems. Diese Kriterien wirken jeweils im Einzelfall kombinatorisch zusammen. Für die BestimmWlg des Inhalts der Pflicht kommt es auf den ZeitpWlkt der Gefahrschaffung, die KenntiserlangWlg durch die Hilfsperson, an. Für die Frage, ob eine Pflicht besteht, Wissen verfiigbar zu machen, sind Kriterien des beweglichen Systems die technische Beherrschbarkeit des Risikos der WissensaufspaltWlg, die Kosten der BeherrschWlg im doppelten Sinn der Kosten der Hard- Wld Software Wld der BelastWlg der arbeitsteiligen Struktur durch eine Organisation der Information (Kosten der Information an sich), die Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn Wld Drittem ein rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, die Größe Wld Art des mutmaßlichen Nachteils fiir den Dritten, sofern sich das Risiko der WissenaufspaltWlg realisiert, Wld die Größe des Risikos der WissensaufspaltWlg, ob nämlich ein Fall der reinen WissensaufspaltWlg, eher der WissensaufspaltWlg, eher der WissensvermehrWlg oder der reinen WissensvermehrWlg vorliegt. Ein weiteres gleichsam negatives Kriterium ist der Datenschutz. Für die Frage, wie lange Wissen verfiigbar zu halten ist, sind die Kriterien des beweglichen Systems dieselben wie bei der BestimmWlg des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen. Um die Größe des Risikos zu ermessen, ist hier zu fragen, wie offensichtlich wichtig eine Information zur Zeit der Informationserlangoog war. Je offensichtlich wichtiger sie ist, um so länger ist sie verfügbar zu halten. In das bewegliche System zur BestimmWlg des Inhalts der
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Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, sind auch stets die Anforderungen der konkreten Einzelnorm einzustellen. Ist die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, erfiillt, so steht das Wissen der handelnden oder zuständigen Hilfsperson oder dem handelnden oder zuständigen Geschäftsherrn zur VerfUgung und ist daher zuzurechnen. Auf die zuständige Person kommt es an, sofern Wissen an sich rechtsfolgebegründend ist. Ist die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, schuldhaft verletzt und Wissen deshalb nicht verfiigbar, so muß sich der Geschäftsherr so behandeln lassen, als hätte er seine Pflicht erfiillt. Es ist ihm daher fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen seiner Hilfspersonen und seiner eigenen Handlungen zuzurechnen. Es ist ihm auch zuzurechnen, sofern Wissen an sich rechtsfolgebegründend ist, wenn es der zuständigen Hilfsperson oder, sofern er selbst zuständig ist, ihm selbst schuldhaft nicht verfiigbar ist. Sofern bei Verfiigbarkeit des Wissens auf Arglist der handelnden Hilfsperson oder des handelnden Geschäftsherrn zu schließen wäre, ist bei schuldhafter Nichtverfiigbarkeit ebenfalls auf Arglist zu schließen. Für die Zurechnung schuldhaften Gehilfenversagens im Rahmen der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, ist zu unterscheiden. Besteht zwischen Geschäftsherrn und Drittem eine Sonderverbindung, so ist das Gehilfenverschulden dem Geschäftsherrn über § 278 BGB zuzurechnen. Außerhalb bestehender Sonderverbindungen hat der Geschäftsherr fiir das Versagen seiner Hilfsperson nur einzustehen, wenn ihn bei der Auswahl oder Überwachung der Hilfsperson ein Verschulden traf ( § 831 BGB analog). Den Dritten trifft die Beweislast dafiir, daß eine Pflicht besteht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, und daß diese verletzt ist. Im übrigen hilft ihm fiir Kausalität und Verschulden der Anscheinsbeweis. Mit der hier entwickelten Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung läßt sich also in zahlreichen Fällen eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung begründen.
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§ 5 Die Erweiterung der handlungsabhängigen Wissenszurechnung über die Verantwortung für Risikoschaffung In § 3 ist ausgehend von dem Rechtsgedanken des § 166 I BGB eine allgemeine handlungsabhängige Wissenszurechnung entwickelt worden. Einem Geschäftsherrn, der eine Hilfsperson zur Erledigung einer Handlung einsetzt, ist das gesamte dienstliche und private Wissen dieser Hilfsperson für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung zuzurechnen, sofern der Hilfsperson eine eigenverantwortliche Stellung eingeräumt ist. 1 So ist einem Käufer über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB die Mangelkenntnis seines Vertreters im Rahmen des§ 464 BGB zurechenbar2, mit der Folge, daß jenem keine Gewährleistungsansprüche zustehen. Erwirbt der Besitzer durch eine Hilfsperson den Besitz, weiß diese um die Nichtberechtigung zum Besitz und verfügt sie über die nötige Selbständigkeit beim Besitzerwerb, so haftet der Besitzer dem Eigentümer über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB verschärft nach §§ 990, 989 BGB. In beiden Fällen kann der Geschäftsherr aber auch eine unselbständige Hilfsperson einsetzen. Diese mag bei Entgegennahme der Sache vom Mangel der Kaufsache oder der Nichtberechtigung zum Besitz erfahren. Dieses dienstlich, bei Erledigung einer bestimmten Handlung erworbene Wissen, das der Geschäftsherr bei Eigenvomahme der Handlung selbst erlangt hätte, kann ihm dann - mangels Selbständigkeit der Hilfsperson - nicht über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB zugerechnet werden. Da es um eine handlungsabhängige Wissenszurechnung geht, kommt auch keine Zurechnung über die Formen der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung - die Figur des "Wissensempfangsvertreters"3 und die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung4 - in Betracht. Im folgenden soll untersucht werden, ob sich auf den Gedanken der Verantwortung für die Schaffung eines Risikos eine weitere Form handlungsabhängiger Wissenszurechnung, nämlich die Zurechnung des Vgl. S. 85 ff. speziell für die Eigenverantwortlichkeit Auch wenn die Hilfsperson Vertreter ist, kommt § 166 I BGB nicht direkt zur Anwendung, da die Annahme als Erfüllung kein Rechtsgeschäft, sondern nach der Theorie der realen Leistungsbewirkung ein tatsächlicher Akt ist (vgl. Staudinger/ Honsell, § 464 Rdnr. 3). 3 Vgl. S. 140 ff. 4 Vgl. S. 225 ff. 1
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Wissens unselbständiger Hilfspersonen stützen läßt, die dann eine Zurechnung in den beiden Beispielsfällen auch bei Einsatz unselbständiger Hilfspersonen ermöglichen würde.
A. Lückenfeststellung und methodische Zulässigkeif Zunächst ist zu erörtern, ob sich mit dem Prinzip der Verantwortung fiir Risikoschaffung auch eine Lücke fiir eine handlungsabhängige Wissenszurechnung feststellen läßt. Dies ist verhältnismäßig unproblematisch. Durch Arbeitsteilung entsteht - wie bereits ausfUhrlieh erörtert - das Risiko der Wissensaufspaltung; der Geschäftsherr erlangt Wissen nicht selbst, das er bei Eigenvomahme einer Handlung erlangt hätte. 5 So wird bei einer Handlung oftmals Wissen erworben, daß fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung relevant ist. 6 Hat die Hilfsperson nun aber keine eigenverantwortliche Stellung, so ist ihr Wissen auch nicht ihr dienstliches, bei Erledigung der konkreten Handlung erworbenes - über keinen der bisher entwickelten Zurechnungsgründe fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, bei der es erworben wurde, zurechenbar. Erlangt daher eine unselbständige Hilfsperson bei Erledigung der Handlung, fiir die sie eingesetzt wurde, Informationen, die fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung erheblich sind, so realisiert sich das Risiko der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung, ohne daß der Geschäftsherr dafiir einstehen müßte. Es läßt sich dann aber mit dem Gedanken der Verantwortung fiir die Schaffung von Risiken im Prinzip eine Lücke auch hinsichtlich einer handlungsabhängigen Wissenszurechnung - nämlich der Zurechnung des Wissens unselbständiger HUfspersonen - feststellen. Das Prinzip der Verantwortung fiir die Schaffung von Risiken wurde mittels Induktion aus der Haftung fiir Verkehrspflichtverletzungen abgeleitet. 7 Die die Auferlegung einer Verkehrspflicht rechtfertigenden Umstände sind von der Wissenschaft über den allgemeinen Grundgedanken hinaus systematisiert worden. 8 Damit von einer Lücke fiir die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung ausgegangen werden kann, müßten diese Umstände auch im Fall der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung vorliegen. Wie bereits im Rahmen der EntVgl. auch schon S. 226. Vgl. nur gerade die beiden Beispielsfälle. Bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung (S. 225 ff.) ging es um die Fälle der Relevanz dienstlich erlangten Wissens fUr die Bestimmung der Rechtsfolgen anderer Handlungen oder als Wissen an sich. 7 Vgl S. 251 ff. 8 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 112 ff.; ders., in: Das Bewegliche System, S. 63 ff.; Larenz/Canaris, SehR II/2, S. 406 ff. 5
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Teil II: Zurechnung von Wissen
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wicklung der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung gesehen, liegen die Zurechnungsgründe der Einstandspflicht fiir die Sicherheit eines bestimmten Bereiches im Fall der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung vor. 9 Durch den arbeitsteiligen Einsatz wird das Risiko der Wissensaufspaltung auch fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten Handlung, bei der das Wissen erworben wurde, geschaffen. Der Geschäftsherr kann diese Gefahr beherrschen, da sie in seinem Bereich liegt. Der Geschäftsherr zieht jedenfalls auch einen Vorteil aus dem Einsatz der Hilfsperson, andernfalls würde er sie nicht einsetzen. Er nimmt schließlich das schwache Vertrauen in Anspruch, daß eine Organisation des Wissens besteht. 10 Für den Fall der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung gilt also das allgemeine Prinzip der Verantwortung fiir die Schaffung von Risiken. Es gilt ebenfalls fiir den Fall, daß dienstlich erlangtes Wissen fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, bei der es erworben wurde, relevant wird. Im Rahmen der Lückenfeststellung stellt sich bereits das Problem der methodischen Zulässigkeit der Rechtsfortbildung. Die hier aus der Gesamtrechtsordnung zu entwickelnde handlungsabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung wäre methodisch unzulässig, wenn es sich um eine Rechtsfortbildung contra legem handeln würde, sie also nicht mit dem Gesetz vereinbar wäre. 11 Dann würde schon keine Lücke bestehen. Um zu entscheiden, ob die hier zu entwickelnde handlungsabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung contra legem ist, soll diese zunächst knapp skizziert werden. Mit dieser handlungsabhängigen Wissenszurechnung soll das Wissen unselbständiger Hilfspersonen dem Geschäftsherrn zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, bei der es erworben wurde, zugerechnet werden, sofern den Geschäftsherrn eine Pflicht trifft, das dienstlich erworbene Wissen der unselbständigen Hilfsperson derjenigen Person verfügbar zu machen, auf die es fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, bei der es erworben wurde, ankommt und der Geschäftsherr die Pflicht schuldhaft verletzt. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 166 II BGB direkt oder analog kommt es dann nicht an. Für die methodische Zulässigkeit läßt sich ebenfalls an die Ausführungen zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung anknüpfen.12 Gegen die hier zu entwickelnde Rechtsfortbildung sprechende gleich-
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Vgl. S. 255 ff.
10 Vgl. ausfiihrlicher S. 2556 f.
II Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246; Canaris, Feststellung von Lücken, S. 40 ff.; vgl. auch Neuner, Rechtsfindungcontra Iegern, passim. 12 Vgl. S. 257 ff.
§ 5 Die Erweiterung der handlungsabhängigen Wissenszurechnung
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oder höherrangige Prinzipien 13 sind nicht ersichtlich. Das Schweigen des Gesetzes über eine handhmgsabhängige Wissenszureclmung wegen Risikoschaffung ist kein beredtes Schweigen. 14 So scheidet ein argurnenturn e contrario aus § 166 I BGB ebenfalls bei der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus. § 166 I BGB hat eine andere Rechtsfolge als die Verletzung der Pflicht, dienstlich erlangtes Wissen verfiigbar zu machen. Bei § 166 I BGB geht es um die Zurechnung des dienstlichen und privaten Wissens einer handelnden Hilfsperson, bei der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung um eine Pflicht des Geschäftsherrn, Wissen verfiigbar zu machen, und die Rechtsfolgen der Ver1etzung dieser Pflicht. Das argurnenturn e contrarioschließt aber nur die Übertragung der Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen aus. 15 Deshalb ist die hier zu entwickelnde handlungsabhängige Wissenszureclmung wegen Risikoschaffung nicht wegen eines argurnenturn e contrario aus § 166 II BGB ausgeschlossen. Hier geht es um eine Pflicht des Geschäftsherrn, Wissen verfiigbar zu machen, und die Rechtsfolgen der Verletzung dieser Pflicht, dort um die Zureclmung eigenen Wissens des Geschäftsherrn. Es läßt sich also mit dem Prinzip der Verantwortung fiir Risikoschaffung eine Lücke auch hinsichtlich einer handlungsabhängigen Wissenszureclmung wegen Risikoschaffung feststellen.
B. Lückenausfüllung I. Grundlagen Während bei der Feststellung einer Gesetzeslücke, einer Lücke i. e. S., durch Analogieschluß mit der Lückenfeststellung in der Regel die Lückenfiillung feststeht16, fallen- wie bereits gesehen- Lückenfeststellung und Lückenschließung bei Prinziplücken regelmäßig auseinander, da die Prinzipien wesensmäßig dadurch bestimmt sind, daß sie keinen rechtssatzmäßigen Charakter haben. 17 Das Prinzip weist gewöhnlich nur die Richtung fiir eine Lückenausfiillung durch Konkretisierung. 18 So liegt es hier. Aus dem allgemeinen Prinzip der Verant-
13
14 15 16 17 18
Vgl. hierfür Canaris, Feststellung von Lücken, S. 96. Vgl fiir dieses ausfiihrlich Canaris, Feststellung von Lücken, S. 39 ff. Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 40 ff. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 148. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 161 ff.
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Teil li: Zurechnung von Wissen
wortung für die Schaffimg von Risiken ergibt sich, daß derjenige, der Hilfspersonen arbeitsteilig einsetzt, mit angemessenem, zwnutbarem Aufwand für die Sicherheit seines Bereiches einzustehen hat. Er hat daher dafür Sorge zu tragen, daß sich das Risiko der Wissensaufspaltung nicht zu Lasten Dritter realisiert, d. h. also, er hat Wissen verfiigbar zu machen. 19 Dies bedeutet hier, daß der Geschäftsherr - sofern dies zwnutbar ist - das dienstlich erworbene Wissen einer unselbständigen Hilfsperson derjenigen Person verfiigbar zu machen hat, auf die es für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, bei der es erworben wurde, ankommt. Dies kann entweder eine andere Hilfsperson sein oder der Geschäftsherr selbst. VerfUgt die das Wissen erwerbende Hilfsperson nicht über eine gewisse Eigenverantwortlichkeit, so stellt sich die Handlung nicht als ihre eigene dar. Die Zurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB scheidet gerade deshalb aus. Es muß dann aber logisch eine andere Person geben, deren eigene Handlung die konkrete Handlung ist. Dieser ist deshalb das Wissen verfiigbar zu machen. Ist es dieser verfiigbar, so ist es handlungsabhängig zurechenbar und das Risiko der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung realisiert sich nicht. Die Frage, wie lange das Wissen verfiigbar zu halten ist, stellt sich hier im Gegensatz zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung nicht. 20 Das Wissen muß lediglich einmal der Person, auf die es für die Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten Handlung, bei der es erworben wurde, ankommt, verfiigbar gemacht werden. D. Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, und Rechtsfolgen ihrer Verletzung
Auch hier ist die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über diese abstrakten Grundlagen hinaus zu konkretisieren. Dies kann in Anlehnung an die Ausruhrungen zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg geschehen. 21 Sofern sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm - wie regelmäßig -22 keine spezielle Regel über die Wissenszurechnung ergibt, gilt daher folgendes:
Vgl. schon S. 264 ff. Vgl. hierzu bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung S. 279 ff. 21 Vgl. S. 266 ff. 22 Vgl. hierfiir S. 275 ff. 19
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§ 5 Die Erweiterung der handhmgsabhängigen Wissenszurechnung
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1. Tätigkeit mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn
Da es wn Verantwortung fiir die Sicherheit eines Bereiches geht, kann eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, wieder nur bestehen, wenn die wissende Hilfsperson mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn tätig wurde. 23 Auf eine eigenverantwortliche Stellung kommt es hingegen gerade nicht an. 2. Wissenserwerb in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit
Das Wissen muß auch hier in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit der Hilfsperson, also dienstlich erworben worden sein. 24 3. Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfogbar zu machen, im einzelnen
Die entscheidende Frage ist wiederwn, wann den Geschäftsherrn eine Pflicht trifft, das Wissen verfiigbar zu machen.25 Dies bestimmt sich erneut nach den Kriterien eines beweglichen Systems. In dieses sind dieselben Parameter wie bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung einzustellen, also die Beherrschbarkeit der Gefahr, die Kosten der Beherrschung, Größe und Art des dem Dritten drohenden Nachteils, die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung, die Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und Drittem ein rechtsgeschäftlieber Kontakt besteht, schließlich als gleichsam negatives Kriteriwn der Datenschutz.26 Das Risiko der Wissensaufspaltung zwischen unselbständiger Hilfsperson und der Person, auf die es fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung ankommt, ist regelmäßig technisch unproblematisch durch Weitergabe der Information beherrschbar. Die Kosten dieser Übermittlung sind gering. Anders verhält es sich ggf. mit den Kosten der Information an sich. Diese können je nach Größe und Art der Organisation erheblich sein. Der drohende Nachteil fiir den Dritten ist im Einzelfall zu bestimmen. Abstrakt läßt sich hingegen das Risiko der Wissensaufspaltung bemessen. Der Einsatz einer unselbständigen Hilfsperson führt notwendig fiir die konkrete Handlung zur Wissensaufspaltung zwischen der Hilfsperson und der Person, auf die es fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten Handlung ankommt. Die Person deren eigene Handlung die konkrete Handlung ist, hätte sie ja auch tatsächlich alleine durchfUhren können. Es sind daher unter diesem Gesichtspunkt
23 24 25 26
Vgl. S. 266. Vgl. S. 266 f. Vgl. S. 267 ff. Vgl. S. 267 ff.
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Teil ll: Zurechnung von Wissen
sehr strenge Anforderungen an den Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. Für strengere Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, spricht ggf. auch die Tatsache, daß zur Zeit der Risikoschaffung, also der Kenntniserlangung, rechtsgeschäftlicher Kontakt zwischen dem Geschäftsherrn und dem Dritten bestand, oder aber sich zu dieser Zeit vorausschauend fiir ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit des Entstehens eines solchen ergab. Im Einzelfall mag schließlich der Datenschutz Einfluß auf die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, haben. Sofern dieser verbietet, daß eine Information an einer Stelle verfiigbar gemacht wird, kann keine Pflicht bestehen, sie dort verfiigbar zu machen. 4. Rechtsfolge
Erfiillt der Geschäftsherr die Pflicht, so ist das Wissen ihm oder der Hilfsperson, auf die es zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung ankommt, bekannt und daher fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung direkt oder über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB zuzurechnen. Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, ist, wie im Rahmen der Überlegungen bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung gesehen, die Zurechnung gerade dieses Wissens. 27 Wäre bei Verfiigbarkeit des Wissens fiir den Geschäftsherrn oder die Hilfsperson, auf die es zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung ankommt, auf Arglist zu schließen, so ist bei schuldhafter Nichtverfiigbarkeit des Wissens gleichwohl von Arglist auszugehen. 28 Ist das Wissen wegen des Verschuldens einer Hilfsperson29 nicht verfiigbar, so ist es dem Geschäftsherrn nur zuzurechnen, wenn zwischen Geschäftsherrn und Drittem eine Sonderbeziehung besteht (§ 278 BGB direkt oder analog). Außerhalb bestehender Sonderverbindungen hat der Geschäftsherr fiir das Versagen seiner Hilfspersonen nur einzustehen, wenn ihn bei der Auswahl der Hilfsperson ein Verschulden getroffen oder er die Pflicht zur Überwachung der Hilfsperson schuldhaft verletzt hat. Dies folgt aus § 831 BGB analog.
Vgl. S. 290 ff. Vgl. S. 295 ff. 29 Vgl. für die Zurechnung schuldhaften Gehilfenverhaltens im Rahmen der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, S. 302 ff. 27 28
§ 5 Die Erweiterung der handlungsabhängigen Wissenszurechnung
315
5. Beweislast
Auch fiir die Fragen der Beweislast kann an die Ausführungen zur handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung angeknüpft werden. 30 Daß eine Pflicht besteht, hat der Dritte darzutun. Unproblematisch ist regelmäßig der Nachweis der Verletzung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen. Ist Wissen verfügbar zu machen, beruft sich der Geschäftsherr aber gleichwohl auf Unwissen - nur dann kommt es ja zur Prozeßsituation - so ist die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, verletzt. Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Realisierung des Risikos, also der Wissensaufspaltung, gilt der Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis gilt auch fiir das Verschulden.
C. Zusammenfassung Mit dem Gedanken der Verantwortung fiir die Schaffung eines Risikos ergibt sich eine Lücke fiir die handlungsabhängige Zurechnung des Wissens unselbständiger Hilfspersonen. Aus der Verantwortung fiir Risikoschaffung folgt eine Verpflichtung des Geschäftsherrn mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand Wissen, das eine unselbständige Hilfsperson bei arbeitsteiliger Tätigkeit fiir ihn erworben hat, der Person, auf die es fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung ankommt, sei diese eine andere Hilfsperson oder aber er selbst, verfügbar zu machen. Sofern sich, wie regelmäßig, aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm keine Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich die Frage, ob eine Pflicht besteht im Einzelfall über die Kriterien eines beweglichen Systems. Kriterien dieses Systems sind wie bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung die Beherrschbarkeit der Gefahr, die Kosten der Beherrschung, Größe und Art des dem Dritten drohenden Nachteils, die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung, die Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und Drittem ein rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, schließlich als gleichsam negatives Kriterium der Datenschutz. Da der Einsatz einer unselbständigen Hilfsperson notwendig bzgl. der konkreten Handlung zur Wissensaufspaltung führt, sind unter diesem Gesichtspunkt sehr strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, zu stellen. Ist die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, erfüllt, so ist das Wissen dem Geschäftsherrn oder der Hilfsperson, auf die es fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung ankommt, bekannt und daher fiir die Rechtsfolgen der Handlung zuzurechnen.
30
Vgl. S. 305.
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Teil li: Zurechnung von Wissen
Ist die Pflicht nicht erfüllt, so ist das Wissen bei schuldhafter Nichterfüllung der Pflicht dem Geschäftsherrn für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung gleichwohl zuzurechnen. Wäre bei Verfügbarkeit des Wissens auf Arglist zu schließen, so ist auch bei schuldhafter Nichtverfügbarkeit von Arglist auszugehen.
§ 6 Organwissen Für die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern werden wegen der besonderen Beziehung zwischen den Organmitgliedern und der juristischen Person gewölmlich spezielle Regeln fiir die Wissenszurechnung angegeben. Im folgenden werden zunächst die Vorschläge in Rechtsprechung und Literatur vorgestellt und erörtert, sodann wird ein eigener Lösungsvorschlag entwickelt, der sich eng an die Grundsätze zur Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen anlehnt.
A. Rechtsprechung I. Überkommene Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat lange Zeit plakativ formuliert, daß das Wissen eines jeden vertretungsberechtigten I Organmitgliedes Wissen der juristischen Person sei. Die Rechtsprechung leitete diese Zurechnung aus der Organstellung an sich ab2, berief sich bisweilen aber auch auf § 28 II BGB 3• Unklar war stets die Reichweite des Anwendungsbereiches dieser Zurechnung, so, ob sie lediglich auf juristische Personen oder ebenfalls auf die Fälle der organschaftliehen Vertretung bei Personenhandelsgesellschaften Anwendung finden sollte. 4 Aber selbst die Anwendung der plakativen Formel in ihrem Kernbereich auf juristische Personen ist nicht unproblematisch. Sicher ist Wissen eines fiir die juristische Person handelnden Organmitgliedes als Wissen der juristischen Person fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der konkreten, von dem Organmitglied vorgenommenen Handlung anzusehen. Dies ist ein klarer Fall handlungs-
Es kommt dem BGH nicht darauf an, ob das wissende Organmitglied Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht hat, vgl. BGHZ 20, 149, 153. 2 In BGH WM 1955, 81, 84 und RG JW 1935, 2044 heißt es, die Zurechnung liege in der Natur der Sache. 3 Vgl. BGHZ 20, 149, 153. 4 Für die Anwendung auf Personenhandelsgesellschaften BGHZ 34, 293, 297. Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die Anwendung der Rechtsprechung zum Organwissen, soweit ersichtlich, nicht diskutiert worden. 1
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Teil II: Zurechnung von Wissen
abhängiger Wissenszurechnung, der sich ebenfalls auf den Rechtsgedanken des § 166 I BGB 5 stützen läßt, und bereitet daher keine Schwierigkeiten. Wissen eines Orgarunitgliedes soll aber auch als Wissen der juristischen Person angesehen werden, wenn das Orgarunitglied an der konkreten Handlung, um die Bestimmung von deren Rechtsfolgen es geht, nicht mitgewirkt,6 ja nicht einmal von dieser gewußt hat. 7 Selbst nach Ausscheiden des Organvertreters gilt dessen Wissen weiterhin als Wissen der juristischen Person. 8 Zugerechnet wird in diesen Fällen dienstliches und privates Wissen der Organvertreter. 9 Bei Zurechnung des Wissens eines unbeteiligten und um die konkrete Handlung nicht wissenden oder gar ausgeschiedenen Organvertreters handelt es sich nach der hier verwendeten Terminologie um Fälle der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung.10 Unklar ist, ob diese handlungsunabhängige Zurechnung in den Fällen, in denen Wissen fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung zugerechnet wird, an der das wissende Orgarunitglied nicht beteiligt war, nur gilt, sofern ein anderes Orgarunitglied handelte, oder ob sie auch bei Handlung einer unterorganschaftliehen HUfsperson gilt. Die Formel der Rechtsprechung gibt auf diese Frage keine ausdrückliche Antwort, 11 die Formulierung spricht aber eher fiir eine handlungsunabhängige Zurechnung von Organwissen auch bei Handeln einer unterorganschaftliehen Hilfsperson. Das BayObLG 12 erkannte zwar das Problem, ließ die Frage aber im Ergebnis dahingestellt sein. Selbst wenn man der Rechtsprechung in der Gleichsetzung des Wissens eines Orgarunitgliedes mit dem Wissen der juristischen Person folgt, kann die handlungsunabhängige Zurechnung von Organwissen aber nur fiir die Fälle gelten, in denen ein anderes Orgarunitglied handelt. Handelt ein Organmitglied, so ist dies
Vgl. zu diesem S. 49 ff. Vgl. RG JW 1935,2044. 7 Vgl. BGH NJW 1984, 1953, 1954 (der "Supermarktfall", vgl. S. 96 ff.); BGH NJW 1990, 975, 976 (der "Schlachthausfall", vgl. sogleich unter II). 8 Vgl. BGH WM 1959, 81, 84. 9 Vgl. BGH WM 1955,830,832. 10 Vgl. S. 36. 11 Zwar hat der BGH in BGH WM 1959, 81, 84 erklärt: "Hat eine Rechtsperson einmal von einem Sachverhalt Kenntnis erlangt, so bleibt sie wissend, auch wenn das wissende Organmitglied ausgeschieden ist, neue Organmitglieder bestellt worden sind und diese für die juristische Person gehandelt haben, ohne ihrerseits von jenem Sachverhalt erfahren zu haben." Es wird also nur auf das Handeln anderer Organmitglieder Bezug genommen. Doch ging es in der Entscheidung eben auch nur um die Zurechnung bei Handeln eines anderen Organmitgliedes. 12 NJW-RR 1989, 907, 910. 5
6
§ 6 Organwissen
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nach der h. M. als eigenes Handeln der juristischen Person zu werten. 13 In diesen Fällen liegt also - folgt man der Gleichsetzung des Organwissens mit dem Wissen der juristischen Person - Wissen der juristischen Person (Organwissen) urtd Handeln der juristischen Person (Organhandeln) vor. Handelt hingegen eine urtterorganschaftliche Hilfsperson urtd weiß die juristische Person - vermittelt durch einen Organvertreter -, so besteht, sofern es sich bei der Handlurtg der Hilfsperson um die Abgabe einer Willenserklärurtg handelt, genau die Situation des § 166 I, II BGB. Der Stellvertreter handelt urtd der Geschäftsherr, die juristische Person, weiß. Eine Zurechnurtg des Wissens des Geschäftsherrn kommt dann nur bei einer Weisurtg in Betracht. Dies muß auch gelten, wenn es sich bei dem Vertretenen um eine juristische Person handelt. Handelt die urtterorganschaftliche Hilfsperson tatsächlich oder geschäftsähnlich, so kommt man über die Anwendurtg der Rechtsgedanken14 von § 166 I, II BGB ebenfalls zu dem Ergebnis, daß Wissen des Geschäftsherm, der juristischen Person, nur bei einer Weisung erheblich ist. Wenngleich lediglich in einem obiter dictum, dehnte der BGH im "Knollenmergelfall" 15 die Rechtsprechung zum Organwissen auch auf die anderen verfassurtgsmäßig berufenen Vertreter i. S. des § 31 BGB aus. Bis vor wenigen Jahren war diese Rechtsprechurtg gefestigt urtd eindeutig, nunmehr hat der Bundesgerichtshof mit drei grundlegenden Entscheidungen Bewegurtg in seine gefestigte Rechtsprechung gebracht. Im ersten Urteil vom 8. 12. 1989 16 hat der V. Zivilsenat des BGH diese Rechtsprechung noch bestätigt, gleichzeitig aber den Boden bereitet, sie aufzugeben. In einem Urteil vom 17. 5. 1995 ist der VIII. Zivilsenat einen Schritt weitergegangen urtd hat die Rechtsprechung in wesentlichen Teilen uminterpretiert bzw. aufgegeben. 17 Das Urteil des V. Zivilsenats vom 2. 2. 1996 stellt die Zurechnung von Organwissen schließlich auf eine gänzlich neue Basis. 18
Vgl. z. B. BGHZ 98, 148, 151; Larenz, AT, S. 137; Soergei/Hadding, § 26 Rdnr. 2 und § 31 Rdnr. 1; Palandt/Heinrichs, § 26 Rdnr. 1 und § 31 Rdnr. 1; anders Flume, AT I/2, S. 377, der davon ausgeht, daß auch Handeln der Organe der juristischen Person als fremdes angerechnet wird. Dies kann für den Augenblick dahinstehen, da es zunächst nur darum geht, auf der Basis der h. M. zu konsequenten Ergebnissen zu kommen. 14 Vgl. zu diesen S. 49 ff., 127 ff. 15 BGH NJW 1992, 1099, 1100, vgl. S. 107 ff. 16 BGH NJW 1990, 975, der "Schlachthausfall"; vgl. sogleich ausführlich unter II. 17 BGH NJW 1995, 2159, der "Omnibusfall"; vgl. sogleich ausführlich unter III. 18 BGH NJW 1996, 1339, der "Altlastenfall", vgl. sogleich ausführlich unter IV. 13
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Teil II: Zurechnung von Wissen
II. Der "Schlachthausfall" 1. Der Sachverhalt
Die erste dieser EntscheidliDgen war der "Schlachthausfall" 19• Diesem lag folgender Sachverhalt zugrlUlde. Eine Gemeinde hatte im Februar 1982, vertreten durch ihren Bürgermeister, ein SchlachthausgrlUldstück mit Aufbauten an die Klägerin verkauft. Der Verkauf erfolgte lU1ter Ausschluß der Gewährleistung. Im Januar 1984 verfügte das Landratsamt, die Nutzung des Schlachthofanbaus wegen Einsturzgefahr der Decken zu unterlassen, wenn nicht bis zum Mai bestimmte Sanierungsmaßnahmen durchgeführt würden. Die Klägerin verlangte von der beklagten Gemeinde Ersatz des Schadens, der ihr durch das Auswechseln der Decken entstehen würde. Wegen des Haftungsausschlusses (§ 476 BGB) ließ sich nach Ansicht des BGH der Anspruch nur auf § 463 S. 2 BGB als Schadensersatz wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels stützen. Bereits im Jahr 1965 hatte das Landratsamt die Beklagte auf die Einsturzgefahr hingewiesen und für den Fall, daß die in der Verfügung angeordneten baulichen Maßnahmen nicht durchgeführt würden, die Sperrung des Anbaus angedroht. Die Gemeinde kam den Anordnungen jedoch nicht nach. Im Mai 1981 hatte eine weitere Ortsbesichtigung stattgefunden. Die Mitteilung über diese Besichtigung war während eines Urlaubs des amtierenden Bürgermeisters von dessen Stellvertreter zur Kenntnis genommen und abgelegt worden. Der V. Zivilsenat stellte fest, daß im Grundsatz eine Aufklärungspflicht über die Einsturzgefahr, die einen erheblichen Mangel darstelle, wie auch die Androhung der Nutzungsuntersagung bestand. 20 Sodann führte das Gericht aus, daß bei keinem der Organvertreter alle Voraussetzungen der "Arglist" i. S. des § 463 S. 2 BGB vorgelegen hätten. 21 Ein arglistig den Mangel verschweigender Verkäufer müsse nämlich den Mangel kennen bzw. für möglich halten. Er müsse wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Mangel nicht kennt. Er müsse außerdem wissen oder damit rechnen, daß der Käufer bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes den Vertrag nicht oder nicht zu den konkreten Bedingungen abschließen würde.22 Der beim Verkauf die Gemeinde vertretende Bürgermeister wußte nichts von dem Mangel. Sein im Jahr 1965 amtierender Vorgänger war zwischenzeitlich aus dem Amt ausgeschieden und sein Stellvertreter am
BGH NJW 1990, 975; kritisch nunmehr Hagen, DRiZ 97, 157, 161. BGH NJW 1990, 975,975. 21 BGHNJW 1990,975,976. 22 Vgl. fiir die an das Vorliegen von Arglist beim Verkäufer zu stellenden Anforderungen BGH NJW 1978, 2240; WM 1983, 990; NJW 1987,2511, 2512; NJW 1990, 42. 19
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§ 6 Organwissen
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Verkauf an die Klägerin wohl nicht beteiligt. Der BGH tmtersuchte daraufhin getrennt das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen. 23 2. Bestätigung der überkommenen Rechtsprechung zum Organwissen
Der BGH entschied, daß sich die Gemeinde fiir den Verkauf sowohl das Wissen des im Jahre 1965 amtierenden Bürgermeisters als auch das Wissen des Stellvertreters des jetzigen Bürgermeisters um den Mangel zurechnen lassen müsse. Das Gericht referierte die überkommene Rechtsprechtmg zum Organwissen: "Das Wissen auch nur eines in der Angelegenheit vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BGHZ 20, 149 [153] ... ; BGHZ 41, 28 [287] ... ; BAG, Betr 1985, 237 f.). Dies gilt auch dann, wenn das Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft nicht selbst mitgewirkt hat (RG, JW 1935, 2044; Steffen, in: RGRK, 12. Aufl., § 166 Rdnr. 5). Die Wissenszurechnung kommt selbst dann in Betracht, wenn der Organvertreter von dem zu beurteilenden Rechtsgeschäft nichts gewußt hat (vgl. BGH, NJW 1984 [1953] - Kenntnis des unterbevollmächtigten Kassierers einer Bankfiliale). Auch das Ausscheiden des Organvertreters aus dem Amt steht dem Fortdauern der Wissenszurechnung nicht entgegen (BGH, WM 1959, 81 [84]; h. M. vgl. etwa Ste.ffen, in RGRK, 12. Aufl., § 166 Rdnr. 5; Soergel-Leptien, BGB, 12. Aufl., § 166 Rdnr. 5)."24
Für tmproblematisch hielt der BGH die Zurechntmg des Wissens des stellvertretenden Bürgermeisters, der wohl zur Zeit des Verkaufs noch im Amt war. Da davon auszugehen ist, daß der Stellvertreter an dem Verkaufnicht beteiligt war, ist die Zurechntmg des Wissens des Stellvertreters also Zurechntmg des Wissens eines tmbeteiligten Organmitgliedes zur Bestimmtmg der Rechtsfolgen der Handltmg eines anderen Organmitgliedes, obwohl das tmbeteiligte Organmitglied möglicherweise nicht einmal von dem zu beurteilenden Rechtsgeschäft wußte. 3. Die Absetzungsbewegung von der überkommenen Rechtsprechung
Bei der Begründtmg der Zurechntmg des Wissens auch des ausgeschiedenen Bürgermeisters leitete der BGH die Absetzbewegtmg von der überkommenen Rechtsprechtmg ein. Das Gericht hob hervor, daß sich, anders als das RG in RG SA Band 77 Nr. 65 meinte, die Frage der Zurechntmg des Wissens von Or23 Hier soll es zunächst nur um die Mangelkenntnis gehen, zur Frage der Arglist bei arbeitsteiligen Strukturen, vgl. im einzelnen bei der Entwicklung der einzelnen Zurechnungsgründe unten S. 349 ff. 24 BGH NJW 1990, 975, 976. 21 Baum
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Teil li: Zurechnung von Wissen
ganvertretem nicht mit "logisch-begrifflicher Stringenz" entscheiden lasse. Das Problem lasse sich nur durch wertende Beurteilung lösen. 25 Der BGH ließ es offen, ob die Frage der Zurechnung von Wissen ausgeschiedener Organmitglieder grundsätzlich im Sinne einer starren Einheitslösung entschieden werden müsse. "Jedenfalls für die Frage der Risikoverteilung bei Grundstücksgeschäften der vorliegenden Art erscheint es dem Senat im Interesse des Verkehrsschutzes geboten, der Gemeinde das ihr durch Organvertreter einmal vermittelte, typischerweise aktenmässig festgehaltene Wissen auch weiterhin (hier bis zum Abschluß des zu beurteilenden Vertrages) zuzurechnen. Nur so läßt sich die strukturelle Besonderheit der organisatorischen Aufspaltung gemeindlicher Funktionen in personaler und zeitlicher Hinsicht (Wechsel der Amtsträger) ausgleichen. Der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließt und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringt, darf im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte. "26
4. Die Auswertung
Bedeutsam scheint bei der Entscheidung viererlei. Zunächst: der V. Zivilsenat bestätigt die Rechtsprechung zmn Organwissen. Wissen der Organe und Organvertreter ist Wissen der juristischen Person. Handelt daher ein - unwissenderOrganvertreter und weiß ein - möglicherweise ausgeschiedener - anderer Organvertreter, so weiß die juristische Person fiir die Handlung. 27 Die Zurechnung erfolgt, und dies ist der zweite Punkt, jedoch nicht auf der Grundlage metaphysischer Überlegungen zur Natur der juristischen Person und ihrer Organe und Organvertreter, sondern als Ergebnis einer "wertenden Beurteilung". Nicht "logisch-begriffliche Stringenz" führt zur Zurechnung des Wissens von Organvertretern, die Zurechnung ist vielmehr lediglich ein Mittel, "strukturelle Besonderheiten" auszugleichen. Das Gericht stellt fest, daß die fortgesetzte Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organvertreter kein Dogma ist. Es gibt zu erkennen, daß diese Frage, aber wohl ebenfalls die Frage der Zurechnung des Wissens unbeteiligter Organvertreter, auch anders entschieden werden könnte. Punkt drei und vier betreffen die Erwägungen, mit denen das Gericht die Zurechnung begtiindete. Zum einen stellt es fest, daß es sich bei dem relevanten Wissen um solches handele, das "typischerweise aktenmäßig festgehalten" wird. Zum anderen wird der Gedanke formuliert, daß der Bürger, der mit einer Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließt, nicht schlechter ste-
BGH NJW 1990, 975, 976. BGH NJW 1990,975,976. 27 Vgl. für die Beschränkung der Zurechnung auf die Handlungen von Organmitgliedern oben S. 318 f. 25
26
§ 6 Organwissen
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hen soll, als wenn er es mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte. Dies ist das schon ausführlich diskutierte Gleichstellungsargurnent.28 111. Der "Omnibusfall"
1. Die Entscheidung Nicht abschließend geklärt ist, wie bereits festgehalten2 9, die Frage, inwieweit die für die Zurechnung von Wissen von Organmitgliedern bei juristischen Personen entwickelten Grundsätze auch auf Personenhandelsgesellschaften Anwendung finden. Der VIII. Zivilsenat des BGH beschäftigte sich mit dieser Frage für eine Kommanditgesellschaft in einer Entscheidung vom 17. 5. 1995 30. Die Entscheidung verdient auch aus anderen Gründen Beachtung. Fraglich war, ob das Wissen eines zwischenzeitlich verstorbenen Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer KG, das dieser beim Ankauf eines Omnibusses erworben hatte, der KG beim vom Nachfolger des Geschäftsführers durchgeführten Weiterverkauf zuzurechnen war. Die beklagte GmbH & Co. KG, ein Omnibus- und Reiseunternehmen, verkaufte, vertreten durch den Geschäftsführer S der Komplementär-GmbH, mit Vertrag vom 16. 10. 1989 einen Omnibus an den Kläger. Die GmbH & Co. KG hatte den Omnibus im Jahr 1988 von der Herstellerfirma erworben. Dem damaligen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, dem inzwischen verstorbenen M, war mitgeteilt worden, daß das Fahrzeug bereits 1981 nach Saudi-Arabien gebracht, dort probegefahren worden war und dann fünf Jahre dort gestanden hatte. S hatte dem Kläger mitgeteilt, daß das Fahrzeug bereits mehrere Jahre vor der Erstzulassung am 6. 2. 1989 gebaut und nach Saudi-Arabien gebracht worden sei. Er hatte jedoch keine Angaben über das tatsächliche Baujahr, Probefahrt und Standzeit gemacht. Der BGH prüfte, ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch aus § 463 S. 2 BGB oder aus dem Gesichtspunkt des Verschuldeos bei Vertragsschluß zustand. Der VIII. Zivilsenat erklärte, daß die Beklagte trotz der Angaben des S das Vorhandensein einer tatsächlich nicht vorhandenen Eigenschaft, nämlich ein jüngeres Baujahr, in arglistiger Absicht vorgespiegelt haben könne. Auch könne sich aus vorsätzlich falschen Angaben des Verkäufers ein Ersatzanspruch wegen Verschuldeos bei Vertragsschluß ergeben. Der S hatte jedoch sein gesamtes Wissen über die Vorgeschichte des Omnibusses mitgeteilt. Ein
Vgl. oben S. 176 ff. Vgi.S. 317. 30 BGH NJW 1995, 2159; auf die Entscheidwtg wird hier als "Omnibusfall" Bezug genommen. 28
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Schadensersatzanspruch des Klägers kam daher nur in Betracht, wenn der beklagten Kommanditgesellschaft für den V ertragsschluß auch das Wissen des zur Zeit des Vertragsschlusses bereits verstorbenen ehemaligen Geschäftsführers der Komplementär-GmbH M über die Vorgeschichte des Omnibusses zuzurechnen war. 31 Im Ergebnis rechnete der BGH das Wissen des M nicht zu. Der Senat bestätigte zunächst die Rechtsprechung zum Organwissen. 32 Die Beklagte sei aber keine juristische Person. Für sie handele lediglich eine solche in Form der Komplementär-GmbH (§§ 161 II, 125 HGB). Die Frage, ob bei organschaftlieber Vertretung von Personengesellschaften die Kenntnis eines Gesellschafters über die die Arglist begründenden Umstände ausreiche oder ob es auf die Kenntnis und das Kennenmüssen derjenigen vertretungsberechtigten Gesellschafter ankomme, die am konkreten Geschäft mitgewirkt hätten, ließ das Gericht offen. 33 Der BGH nahm zwar Bezug auf BGHZ 34, 293, 297. Dort hatte der III. Zivilsenat in einem obiter dieturn erklärt, bei Personenhandelsgesellschaften genüge, soweit es für die Rechtswirksamkeit von Geschäften der Gesellschaft auf die Kenntnis bestimmter Umstände ankomme, die Kenntnis in der Person eines einzelnen Gesellschafters. Es schien dem III. Zivilsenat damals nicht darauf anzukommen, ob der Gesellschafter an dem Geschäft beteiligt war. Ob dies richtig ist, ließ der BGH im "Omnibusfall" aber dahinstehen. Er führte dann weiter aus: "Die Zurechnung von Wissen eines ausgeschiedenen oder gar verstorbenen Organmitgliedes kommt bei Personengesellschaften nicht in Betracht, da sie in ihrem Bestand nicht in dem Maße von den jeweils handelnden Gesellschaftern unabhängig sind wie juristische Personen von ihren Organvertretem. Trotz einer sehr weitgehenden Verselbständigung, welche die OHG und KG in die Nähe der juristischen Person rückt und die Anwendung zahlreicher Regeln rechtfertigt, sind OHG und KG hinsichtlich ihrer Rechtspersönlichkeit nicht anders zu behandeln als die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (vgl. Schilken, S. 117 f.)."34
Der BGH diskutierte sodann die Frage, ob auf eine GmbH & Co. KG bezüglich der Wissenszurechnung möglicherweise deshalb die für die juristische Person geltenden Grundsätze Anwendung fänden, weil die Komplementär-GmbH als vertretungsberechtigtes Organ eine juristische Person sei. Der BGH ließ die Frage jedoch offen:
31 Auch hier geht es zunächst nur um die Zurechnung der Mangelkenntnis, zur Arglist vgl. bei den einzelnen Zurechnungsgründen S. 349 ff. 32 BGHNJW1995,2159,2160. 33 Vgl. BGH NJW 1995, 2159,2160 mit Nachweisen über den Streitstand. 34 BGH NJW 1995, 2159, 2160.
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"Dies35 führte zu keiner ZurechnWlg des Wissens, das der verstorbene frühere Geschäftsführer M erlangt, dem handelnden Geschäftsführer S aber nicht weitergegeben hat. Die Fortdauer der Wissenszurechnung über das Ausscheiden eines Organvertreters hinaus wird wesentlich davon abhängig gemacht, ob es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handelt (BGHZ 109, 327 [332] = NJW 1990, 975 ... ;Bohrer, DNotZ 1991, 124 [127, 129])."36
Bei der Beklagten handele es sich um ein Omnibusunternehmen und Reisebüro, nicht um ein KFZ-Handelsunternehmen. Altfahrzeuge gebe es bei Neuanschaffungen dem Hersteller gewöhnlich in Zahlung. Für ein Busunternehmen könne es nicht als typisch gelten, die über den Omnibus erhaltenen Informationen schriftlich festzuhalten und aufzubewahren. 37 Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn zwischen der Beklagten und der Herstellerfirma ein schriftlicher Kaufvertrag geschlossen worden sei, der Angaben zum Baujahr oder einer "Erstzulassung 1982" enthielt, ließ das Gericht ebenfalls offen, da der Kläger insoweit nichts vorgetragen habe. Schließlich diskutierte der BGH noch das Gleichstellungsargument Der Kläger dürfe nämlich nicht schlechter stehen, als wenn er es mit einer einzigen natürlichen Person zu tun gehabt hätte. Auch dies verhelfe dem Kläger hier jedoch nicht zum Erfolg. "Das Wissen, das der Bekl. zugerechnet werden soll, lag in der Person des verstorbenen Geschäftsführers. Hätte der Kl. mit einer natürlichen Person kontrahiert, würde das Wissen eines Verstorbenen seinem Rechtsnachfolger auch nicht zugerechnet."38
2. Die Auswertung Sechs Punkte scheinen bemerkenswert. Erstens: Selbst wenn man den Feststellungen des BGH über die für die Zurechnung bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften maßgeblichen Prinzipien zu folgen bereit ist, kann die Entscheidung doch keinesfalls befriedigen. Es scheint nämlich, daß sich der BGH im Gewirr der GmbH & Co. KG verloren hat. Bei der GmbH & Co. KG ist Organ der KG die GmbH. Organe dieser waren die Geschäftsfiihrer M und S. Es ging im "Omnibusfall" dann nicht, wie der BGH meinte, um die Frage, ob einer Personenhandelsgesellschaft das Wissen eines ausgeschiedenen oder unbeteiligten Organmitgliedes für ein Geschäft zuzurech35 Gemeint ist die Anwendung der Grundsätze über die Zurechnung von Organwissen bei juristischen Personen. 36 BGH NJW 1995,2159,2160. 37 BGH NJW 1995,2159, 2160 f. 38 BGH NJW 1995,2159,2161.
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Teil II: ZurechnWig von Wissen
nen ist. Organ der GmbH & Co. KG war die Komplementär-GmbH, und diese war nicht ausgeschieden. Anders als der BGH meinte, war es auch nicht problematisch, ob die Grundsätze über die Wissenszurechnung bei der juristischen Person zur Anwendung kommen konnten. Diese waren vielmehr zweifellos zur Bestimmung des Wissensstandes der Komplementär-GmbH anzuwenden. Etwaiges Wissen der Komplementär-GmbH wäre dann aber ohne Probleme der GmbH & Co. KG zur Bestimmung der Rechtsfolgen der von der Komplementär-GmbH vorgenommenen Handlung zuzurechnen gewesen. 39 Es handelt sich insofern um eine simple handlungsabhängige Wissenszurechnung, die sich auch auf den Rechtsgedanken des § 166 I BGB stützen läßt. 40 Zweitens: Der BGH beschränkt die Grundsätze seiner Rechtsprechung zur Zurechnung des Wissens von Organvertretern eindeutig auf juristische Personen. Ob das Wissen derjenigen vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Personengesellschaft, die am konkreten Rechtsgeschäft nicht mitgewirkt haben, zugerechnet werden kann, läßt er offen. Für die Personengesellschaft kommt nach Ansicht des Gerichts jedenfalls die Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder nicht in Betracht. Der BGH begriindet dies mit strukturellen Überlegungen zur Personengesellschaft. Diese sei in ihrem Bestand nicht in dem Maße von den handelnden Gesellschaftern unabhängig wie die juristische Person von ihren Organvertretern. Die Behandlung von Organwissen bei Personenhandelsgesellschaften und Gesellschaften bürgerlichen Rechts ist nach dieser Entscheidung weitgehend unklar. Drittens: Obwohl der BGH die Rechtsprechung zum Organwissen im "Schlachthausfall" 41 bestätigt hatte, war dort doch deutlich geworden, daß er sich in den Urteilsgriinden die Möglichkeit offengehalten oder besser eröffuet hatte, die Frage der Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder und allgemein die Frage der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern anders zu entscheiden. Mit der Entscheidung im "Omnibusfall" hat der VIII. Zivilsenat diese Hintertür ein Stück weiter aufgestoßen. Auch bzgl. der Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder bei juristischen Personen scheint der BGH nämlich vorsichtiger als im "Schlachthausfall" 42 • Während im "Schlachthausfall" 43 das Kriterium des "typischerweise aktenmäßigen Festhaltens" von Wissen als zusätzliches Argument fiir die Wissenszurechnung Vgl. ähnlich v. Reinersdorjf, WiB 1995, 836; Scheuch, FS Brandner, S. 121, 128. Möglichetweise war diese Vetwimmg aber die einzige Möglichkeit für den VIII. Zivilsenat vorzugeben, an der OrganrechtsprechWig, wenngleich in modifizierter Form, festzuhalten, Wld diese gleichwohl nicht anzuwenden. 41 BGHNJW 1990,975. 42 BGH NJW 1990, 975. 43 BGHNJW 1990,975. 39
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diente, spielt es im "Omnibusfall" eher die Rolle eines Testkriteriwns, dessen Bejahung VoraussetZWlg fiir eine Zurechnung ist. 44 Wissen ausgeschiedener Organmitglieder scheint nur dann zuzurechnen zu sein, wenn es "typischerweise aktenmäßig festgehalten" wird. Die Hintertür steht damit offen. Viertens: Die Entscheidung definiert das Kriteriwn "typischerweise aktenmäßig festgehalten" genauer. Es geht danun, ob die Information in einem Busunternehmen "typischerweise aktenmäßig festgehalten" würde. Es wird wie bei der zivilrechtliehen Fahrlässigkeit ein objektiver Sorgfaltsmaßstab, der sich nach dem jeweiligen Verkehrskreis, nach der Gruppe des Verkehrsteilnehmers, bestimmt, zugrunde gelegt.45 Fünftens: Die Entscheidung macht auch die Schwierigkeiten beim Gebrauch des Kriteriwns "typischerweise aktenmäßig festgehalten" deutlich. Das OLG Braunschweig als Berufungsgericht hatte gerade anders als der BGH entschieden, daß das hier relevante Wissen in Busunternehmen typischerweise aktenmäßig festgehalten werde. 46 Sechstens: Der BGH ließ es offen, ob, wenn zwischen Beklagter und Herstellerfrrma ein schriftlicher Kaufvertrag geschlossen worden wäre und dieser genauere Angaben über die Vorgeschichte des Omnibus enthielte, anders zu entscheiden gewesen wäre. Das Gericht entscheidet also nicht, ob einem Unternehmen, das in seinen Akten mehr Informationen hat, als "typischerweise aktenmäßig festgehalten" werden, dieses mehr an Informationen zugerechnet wird. 47 Anders betrachtet schließt es der BGH nicht aus, daß ein Unternehmen als unwissend angesehen wird, obwohl es eine Information besitzt.
44 Diesen Bedeutungswandel des "typischerweise aktenmäßig festgehalten" sieht
auch v. Reinersdorff, WiB 1995, 836. 45 Vgl. fiir den Begriff der zivilrechtliehen Fahrlässigkeit: Larenz, SehR AT, S. 285 f. 46 Vgl. BGH NJW 1995,2159,2160. 47 Die Zurechnung des Mehr an Information ist mit der Anlehnung an einen Fahrlässigkeitsmaßstab vereinbar. Bei der Bestimmung von Fahrlässigkeit werden besondere Fähigkeiten und Kenntnisse zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt, vgl. Larenz, SehR AT, S. 285 f.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
IV. Der "Aitlastenfall"
1. Die Entscheidung
Auf die Entscheidung des BGH in NJW 1996, 1339 ist bereits mehrfach als "Altlastenfall" Bezug genommen worden. Der Sachverhalt betraf an sich ein Problem des Organwissens, doch entwickelte der V. Zivilsenat des BGH unter Aufgabe der Organrechtsprechung allgemeine Regeln über die Wissenszurechnung flir organschaftliehe und unterorganschaftliehe Hilfspersonen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, hatte der Beklagten 1985 eine Teilfläche eines Betriebsgrundstückes verkauft. Auf dem Betriebsgelände hatte die Klägerin ein Sägeund lmprägnierwerk betrieben. Die Gewährleistung flir "Bodenbeschaffenheit, Flächengröße und Ausnutzungsmöglichkeit und flir Sachmängel aller Art" wurde ausgeschlossen. Zusätzlich pachtete die Beklagte einen weiteren Teil des Betriebsgeländes von der Klägerin. Die Beklagte beantragte 1986 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Basaltwollefertigung auf dem Gelände. 48 Bei einer Untersuchung des Bodens des Grundstückes zeigten sich erhebliche Bodenverunreinigungen. Der Genehmigungsbescheid des Landratsamtes wurde deshalb mit zahlreichen Auflagen zur Beseitigung bzw. Eindämmung der Verunreinigungen versehen. 1990 kaufte die Beklagte in Ausübung eines Optionsrechts zusätzlich die zunächst angepachtete Fläche. Gegenüber der Klage auf Zahlung des Kaufpreises flir den zweiten Grundstücksteil rechnete die Beklagte mit angeblichen Schadensersatzanprüchen nach § 463 S. 2 BGB wegen der Kontaminierung des 1985 erworbenen Grundstückteils auf. Sie behauptete, die Klägerin habe ihr die Verunreinigung arglistig verschwiegen. Im einzelnen war tatsächlich manches unklar, so daß der BGH zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwies. 49 Neben gewöhnlichen Bodenverunreinigungen, die beim Betrieb eines Säge- und Imprägnierwerkes entstehen, fanden sich auf dem Grundstück zielgerichtet vergrabene Abfälle aus dem Betrieb des Säge- und Imprägnierwerkes. Unklar war, ob die Abfälle bereits durch die Klägerin oder erst durch die Beklagte vergraben worden waren, insoweit also bei Vertragsschluß kein Mangel vorgelegen hätte. Bezüglich der unstreitig vorhandenen produktionsbedingten Verunreinigungen des Grundstük-
48 Die Beklagte hatte die beiden Flächen ihrerseits an eine GmbH verpachtet, deren Anteile sie zu 100% hielt. Da dies fiir die hier interessierenden Fragen keinen Unterschied macht, soll der Einfachheit halber davon ausgegangen werden, daß die Beklagte die Flächen selbst nutzte. 49 BGH NJW 1996, 1339, 1340.
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kes war unklar, inwieweit die Klägerin überhaupt eine Aufklärungspflicht traf und ob die Beklagte von der Klägerin aufgeklärt worden war. Gleichwohl gab der V. Zivilsenat weitergehende Hinweise zur Wissenszurechnung bei der klagenden GmbH & Co. KG. 50 Der Senat referierte zunächst seine Entscheidungen im "Schlachthausfal1" 51 und im "Knollenmergelfal1"52. 53 Er erwähnte auch die Wissenszurechnungskonzeption Bohrers54, nach der es für die Wissenszurechnung auf die Verfiigbarkeit derjenigen Informationen ankommt, die typischerweise "aktenmäßig" festgehalten werden. 55 Der Senat bestätigte als Ausgangspunkt der Wissenszurechnung schließlich das Gleichstellungsargument, wonach der Vertragspartner einer Gemeinde (oder einer sonstigen juristischen Person) nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt sein soll als derjenige einer natürlichen Person. 56 Er schloß sich daraufhin in Begründung und Ergebnis der Wissenszurechungskonzeption Taupitz' an.57 Die Wissenszurechnung gründe nicht in der Organstellung oder einer vergleichbaren Position des Wissensvermittlers (Organtheorie), sondern im Gedanken des Verkehrsschutzes und der daran geknüpften Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der gesellschaftlichen Kommunikation. 58 Das Problem der arbeitsteiligen "Wissensaufspaltung" stelle sich in gleicher Weise wie bei juristischen Personen auch bei allen sonstigen Organisationsformen, die zu einer Wissenszersplitterung fiihren können, z. B. bei sonstigen Unternehmen und bei Gesamthandsgesellschaften, und es sei deshalb dort im gleichen Sinne zu lösen. 59 Der BGH60 erörterte dann noch im Anschluß an Medicus die Frage des Vergessens von Wissen bei arbeitsteiligen Strukturen.61 2. Die Auswertung
Der V. Zivilsenat gibt im "Altlastenfall" die Rechtsprechung zum Organwissen bei der juristischen Person auf. Er fiihrt damit eine Entwicklung zu Ende,
50 BGH NJW 1996, 1339, 1340 f. 51 52 53
54 55
56 57 58 59
60 61
BGH NJW 1990, 975. BGH NJW 1992, 1099; vgl. S. 107 ff. BGH NJW 1996, 1339, 1340. DNotZ 1991, 124 ff.; vgl. auch S. 265 f. Fn 914. BGH NJW 1996, 1339, 1340. BGH NJW 1996, 1339, 1340. BGH NJW 1996, 1339, 1340 f. BGH NJW 1996, 1339, 1341; vgl. nunmehr auch BGH NJW 1997, 1917 ff. BGHNJW 1996, 1339, 1341. BGH NJW 1996, 1339, 1341. Vgl. dazu schon S. 279 ff.
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die er im "Schlachthausfall" 62 begonnen hat. Die Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen, gleichgültig ob sie organschaftlieh oder unterorganschaftlieh sind, soll nicht mehr von ihrer Stellung abhängen. Entscheidend fiir die Wissenszurechnung ist, ob im konkreten Fall bei ordnungsgemäß organisierter Kommunikation das Wissen verfügbar gewesen wäre. Auf die Probleme der Zurechnungskonzeption Taupitz', der sich der BGH im "Aitlastenfall" anschließt, ist bereits hingewiesen worden. 63 Ob eine selbständige Zurechnungskategorie "Organwissen" tatsächlich abzulehnen ist, soll im folgenden untersucht werden. Der V. Zivilsenat64 sah sich im "Altlastenfall" nicht in entscheidungserheblichen Widerspruch zur Entscheidung des VIII. Zivilsenats im "Omnibusfall" 65 dort wurde die Organrechtsprechung fiir juristische Personen ausdrücklich bestätigt-, so daß diese Auffassung nur schwer nachvollziehbar ist. Zuzustimmen ist dem BGH darin, daß es sich bei dem Problem der "arbeitsteiligen" Wissensaufspaltung nicht um ein spezifisches Problem juristischer Personen handelt. Anders als der BGH anzunehmen scheint, ist das Problem darüber hinaus auch nicht an das Bestehen einer in einer gewissen Weise verfaßten Organisation geknüpft. Es handelt sich um ein allgemeines Problem des arbeitsteiligen Einsatzes von Hilfspersonen. 66
B. Die Literatur I. Zustimmende Stimmen zur überkommenen Rechtsprechung Die bürgerlich-rechtliche Kommentarliteratur befürwortet in weiten Teilen die überkommene Rechtsprechung zum Organwissen bei juristischen Personen.67 Im Palandt knüpft Heinrichs hierfiir an § 28 II BGB an. 68 Wissen oder Kennenmüssen von Organmitgliedern sei Wissen oder Kennenmüssen des Vereins. Der Verein müsse sich das Verhalten des Vorstandsmitgliedes auch dann anrechnen lassen, wenn dieses sein Wissen absichtlich unterdrücke oder an dem konkreten Geschäft nicht beteiligt war. Dies gelte auch, wenn es die Kenntnis 62 63 64 65 66 67
BGH NJW 1990, 975. Vgl. S. 210 ff. Vgl. BGH NJW 1996, 1339, 1341. BGHNJW 1995,2159. Vgl. S. 184 f. Steffen beschränkt sich in RGRK, § 26 Rdnr. 3 auf eine Zusammenfassung der Rechtsprechung, die er als Bestätigung der Organtheorie ansieht. 68 Vgl. Palandt/Heinrichs, § 28 Rdnr. 2.
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privat erlangt habe oder inzwischen ausgeschieden sei. Zulässig sei auch die Zusammenrechnung des Wissens mehrerer Vorstandsmitglieder.69 Thiele befiirwortet ebenfalls eine strikte Zurechnung des Wissens aller Organmitglieder.70 Das Wissen und Wissenmüssen desjenigen (Organ-) Vertreters, der die Willenserklärung, um deren Folgen es gehe, abgebe oder empfange, sei jedenfalls nach § 166 I BGB beachtlich. Einer juristischen Person sei darüber hinaus die Kenntnis oder das Kennenmüssen jedes anderen Organmitgliedes zuzurechnen. 71 Dies ergebe sich nicht aus § 166 I BGB, sondern aus der Organstellung selbst, da jedes Organmitglied die juristische Person selbst repräsentiere. Die dogmatische Anknüpfung an § 166 BGB oder § 31 BGB sei insofern ohne Belang. Auch ein Ausscheiden des Organmitgliedes ändere an der Zurechnung nichts. Die Zurechnung ist wohl nicht auf den Fall des Handeins anderer Organmitglieder und nicht auf den rechtsgeschäftliehen Bereich beschränkt. Schramm hat Thieles Kommentierung übernommen, relativiert allerdings in Anschluß an den "Schlachthausfall" 72, daß das durch Organvertreter vermittelte, gewöhnlich auch aktenmäßig festgehaltene Wissen weiterhin zuzurechnen sei. 73 Für die organschaftliehe Vertretung von Personengesellschaften soll es hingegen nach Ansicht von Thiele und Schramm neben der Kenntnis derjenigen vertretungsberechtigten Gesellschafter, die an dem konkreten Rechtsgeschäft mitgewirkt haben, auf die Kenntnis anderer vertretungsberechtigter Gesellschafter nur nach § 166 II BGB ankommen. 74 Die strikte Wissenszurechnung bei Organen juristischer Personen begrüßt auch Leptien. 75 Allerdings müsse sich die Rechtsprechung vor einer Übersteigerung des Prinzips besonders beim Anhaften des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder hüten. Für die organschaftliehe Vertretung von Personengesellschaften soll die strikte Zurechnung nicht gelten. Leptien befiirwortet hier also die Wissenszurechnung über § 166 I, II BGB. Auch im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum hat die strikte Organrechtsprechung Befiirworter. Karsten Schmidt will die Zurechnung- auch privaten- or-
Palandt/Heinrichs, § 28 Rdnr. 2. In MünchKomm, § 166, Rdnr. 19. 71 Bei MünchKomm/Thie/e, § 166 Rdnr. 19 heißt es einmal, daß es um die Zurechnung des Wissens einzelvertretungsberechtigter Hilfspersonen gehe. Es heißt andererseits, daß es nicht darauf ankomme, ob die Organmitglieder Einzel-oder Gesamtvertretungsmacht haben. 72 BGH NJW 1990, 975. 73 MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 19. 74 MünchKomm/Thiele und MünchKomm/Schramm, § 166 Rdnr. 20. 75 In der Kommentierung im Soergel, § 166 Rdnr. 5. 69
70
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ganschaftlichen Wissens ggf. sogar ausgeschiedener Organmitglieder nicht aus § 166 I BGB, sondern aus dem in § 31 BGB ztnn Ausdruck gelangten allgemeinen Rechtsgedanken herleiten.76 Zuzurechnen ist nach Karsten Schmidt das Wissen der Organmitglieder nicht nur für den Fall, daß ein Geschäft von einem anderen Organvertreter durchgefiihrt wird, sondern für jedes von einer Hilfsperson vorgenommene Rechtsgeschäft.77 Eine strikte Zurechnung über das Ausscheiden eines wissenden Organmitgliedes hinaus befürwortet auch Meyer-Landrut im Großkommentar zwn Aktiengesetz. 78 Nicht ganz deutlich wird jedoch, ob dies nur gelten soll, falls ein anderes Organmitglied handelt. Auch sind die Erörterungen auf den rechtsgeschäftliehen Bereich beschränkt. Hefermehl hält in Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff ebenso Kennen und Kennenmüssen eines (ausgeschiedenen) Gesamtvertreters für Kennen und Kennenmüssen der Gesellschaft. 79 Auch er diskutiert nur die Wissenszurechnung im rechtsgeschäftichen Bereich. Undeutlich bleibt, ob die Zurechnung nur beim Handeln anderer Organmitglieder gilt. Für eine strikte Zurechnung des Wissens der Organmitglieder spricht sich auch Koppeosteiner aus. 80 Soweit es darauf ankomme, ob die Gesellschaft eine Tatsache kennt oder kennen muß, sei danach zu fragen, ob dieser Umstand in der Person auch nur eines ihrer (ausgeschiedenen) Geschäftsführer vorliege. Vorausgesetzt werde nur, daß die Geschäftsführer für die in Frage kommende Angelegenheit zuständig seien. Nicht entscheidend seien hingegen die Vertretungsverhältnisse im Einzelfall. Einzelvertretungsbefugnis werde nicht vorausgesetzt.81 Der Geschäftsführer, in dessen Person Kenntnis oder Kennenmüssen vorliege, müsse auch nicht an dem Rechtsakt beteiligt gewesen sein, dessen Beurteilung von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen abhänge. 82 Koppeosteiner scheint also davon auszugehen, daß die Prinzipien im rechtsgeschäftliehen wie im außerrechtsgeschäftliehen Bereich gelten, soweit Kenntnis im Zusammenhang mit ei-
76 Gesellschaftsrecht, S. 249. Unklar bleibt ob dieser Grundsatz nur im rechtsgeschäftliehen Bereich gelten soll. Nur dieser wird von Karsten Schmidt behandelt. 77 Vgl. die Erörterung des "Supermarktfalls", BGH NJW 1984, 1953, in Gesellschaftsrecht, S. 249. Es erfolgt eine Zurechnung des Wissens des Filialleiters, eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters (diesem wurde das Wissen des Kassierers zugerechnet), für ein von einer unterorganschaftliehen Hilfsperson vorgenommenes Rechtsgeschäft. 78 § 78 Anm. 21. 79 Aktiengesetz, § 78 Rdnr. 69. 80 Rowedder/Koppensteiner, § 35 GmbHG Rdnr. 50 f. 81 Rowedder/Koppensteiner, § 35 GmbHG Rdnr. 50. 82 Rowedder/Koppensteiner, § 35 GmbHG Rdnr. 51.
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ner Handlung, aber auch soweit sie ohne einen solchen Zusammenhang relevant wird. Für die Genossenschaft erklärt Paulick, daß diese sich die Kenntnis jedes einzelnen Organmitgliedes entgegenhalten lassen müsse, "da das Wissen eines Organmitglieds gleich dem Wissen der Rechtsperson ist, unabhängig davon, ob das wissende Organmitglied ausgeschieden ist und die neuen Organmitglieder von dem Sachverhalt etwas erfahren haben". 83 Dies beruhe auf der im Vereinsrecht herrschenden Organtheorie. 84 Auch in der allgemeinen zivilrechtliehen Literatur hat die überkommene Rechtsprechung Unterstützung gefunden. Das Problem des Organwissens hält Schilken nicht für über § 166 BGB lösbar. 85 Er vertritt die Ansicht, daß kraft wertender Zurechnung86 der Kenntnisstand jedes vertretungsberechtigten Organmitgliedes der juristischen Person zuzurechnen sei. Es komme nicht darauf an, ob das betreffende Organmitglied sein Wissen privat erworben oder in seiner Eigenschaft als Geschäftsherr erlangt habe. Ebensowenig komme es darauf an, ob das wissende Organmitglied gerade an dem Rechtsgeschäft mitgewirkt oder auch nur von dem Geschäft Kenntnis gehabt habe. 87 Schilken will das Organwissen wohl nur zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung eines anderen Organmitgliedes zurechnen, nicht aber bei Handeln einer unterorganschaftlichen Hilfsperson. 88 Den Kenntnisstand ausgeschiedener Organmitglieder möchte Schilken hingegen nur berücksichtigen, wenn auch die amtierenden Organmitglieder wußten oder doch hätten wissen müssen. 89 Es wird insofern nicht deutlich, ob bei positiver Kenntnis des ausgeschiedenen Organs und Kennenmüssen der entsprechenden Umstände durch die amtierenden Organe von positiver Kenntnis oder lediglich von Kennenmüssen ausgegangen werden kann. Seine Konzeption begründet Schilken mit folgender Überlegung: Auch wenn der Gesetzgeber den Theorienstreit über das Wesen der juristischen Person und damit die Stellung des Vorstandes nicht entschieden habe90, so habe sich in der
ZGenW 1959, 320, 322. ZGenW 1959,320,322. 85 Wissenszurechnung, S. 132 ff. 86 Wissenszurechnung, S. 138. 87 Wissenszurechnung, S. 138. 88 Dies erklärt er zwar nie ausdrücklich, doch ergibt es sich aus dem Zusammenhang, vgl. Wissenszurechnung, S. 135 f., 138. 89 Wissenszurechnung, S. 138 f. 90 Wissenszurechnung, S. 130. 83
84
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Teil li: Zurechnung von Wissen
Rechtsentwicklung doch die Organtheorie durchgesetzt91 . Im Bereich des § 31 BGB sei anerkannt, daß in Angleichung der Stellung der juristischen und natürlichen Person hafumgsbegründendes Verhalten bestimmter, die juristische Person repräsentierender natürlicher Personen, der Organe, jener wie eigenes Verhalten zugerechnet werden müsse. Erst durch die in § 31 BGB aufgeführten Personen werde die juristische Person handlungsfähig, insbesondere wissensund willensfähig.92 Westerhoff schließt sich Schilken in Ergebnis und Begründung an.93 Lediglich für die Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder will er von Schilken abweichen. So sei grundsätzlich auch das Wissen ausgeschiedener Organmitglieder zuzurechnen. Allerdings sei diese Zurechnung durch wertende Kriterien zu begrenzen.94 Auch Richardi sucht die Lösung der Frage des Organwissens bei juristischen Personen über die Organtheorie. 95 Eine juristische Person könne nur durch ihre Organe handeln. Deren Wille sei ihr Wille, daher sei auch deren Wissen Wissen der juristischen Person. Die Wissensvertretung als Zurechnungsprinzip trete daher bei Organen nicht in Erscheinung. Sie könne nur dort ihre Bedeutung entfalten, wo der Dritte die Persönlichkeit im arbeitsteiligen Verkehr nicht ersetzen, sondern erweitern solle. Kohte befürwortet ebenfalls die strikte Zurechnung des dienstlich erlangten96 Organwissens. 97 Er stützt dies auf§ 28 II BGB, der ein Strukturprinzip juristischer Personen enthalte.98 Für den Fall, daß Kenntnis an sich relevant ist, befürwortet Wiesner die Zurechnung des Wissens jedes Mitgliedes des gesetzlichen Vertretungsorgans einer juristischen Person als Wissen der juristischen Person über eine analoge Anwendung von §§ 28 II BGB, 78 II S. 2 AktG, 35 II S. 3 GmbHG, 25 I S. 3 GenG. 99 Dies soll aber nicht bei Kenntniserlangung durch ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied gelten, auch nicht wenn die Tatsachenkenntnis in den Kompe-
91 Wissenszurechnung, S. 132. 92
Wissenszurechnung, S. 133.
93 Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 75 ff. 94 Westerhoff, Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 76 und 80. 95 AcP 169 (1969), 385, 388 f. 96 Die Frage, ob auch privates Organwissen zurechenbar ist, läßt er offen (vgl. Kohte, BB 1988, 633,636 Fn. 45). 97 BB 1988, 633, 635 f. 98 BB 1988, 633, 636. 99 BB 1981, 1533, 1536.
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tenzbereich des Aufsichtsrats fällt. 100 Lüders will ebenfalls aus den Regelungen der Passivvertretung in den verschiedenen Organisationsgesetzen (§§ 125 II S. 3 HGB, 28 II BGB, 78 II S. 2 AktG, 35 II S. 3 GmbHG und 25 I S. 3 GenG) ableiten, daß die Kenntnis eines Mitgliedes des im konkreten Fall vertretungsberechtigten Kollegialorgans die Kenntnis der juristischen Person begründet.101 Dies soll auch dann gelten, wenn der Aufsichtsrat das zuständige Vertretungsorgan ist. 102 In einer Arunerkung zum "Omnibusfa11" 103 begrüßt Wolf die Bestätigung der Rechtsprechung zur strikten Zurechnung von Organwissen bei juristischen Personen. Wolf will, entgegen der Ansicht des BGH im "Omnibusfall", die Grundsätze für die organschaftliehe Wissenszurechnung auch auf die Personenhandelsgesellschaften, also OHG und KG, erstrecken. Auch in diesen Fällen liege ein organschaftliebes Handeln für ein Zurechnungsobjekt vor. 104 Nach Treu und Glauben bestehe in all diesen Fällen eine Pflicht zur Organisation des Informationsaustausches zwischen den Organmitgliedem. 105 Im Ergebnis neigt schließlich auch Waltermann der Rechtsprechung zum Organwissen zu. 106 Er hat jedoch methodische und verfassungsrechtliche Bedenken und fordert eine gesetzliche Regelung der Zurechnung von Organwissen auf der Grundlage der mit der Organtheorie gewonnenen Ergebnisse. 107
II. Ablehnende Stimmen zur überkommenen Rechtsprechung bzw. die strikte Zurechnung des Organwissens ablehnende Stimmen 1. Baumann Eine grundlegende Kritik an der überkommenen Rechtsprechung des BGH findet sich in Baumanns Aufsatz "Die Kenntnis juristischer Personen des Privatrechts von rechtserheblichen Umständen" 108• Die strikte Zurechnung des Organwissens, die auf der Organtheorie beruhe 109, lehnt Baumann ab. Die Beru100 BB 1981, 1533, 1537. 101 BB 1990, 790, 793 f. 102 Lüders, BB 1990, 790, 795. 103 BGH NJW 1995,2159. 104 Anm. zu BGH LM § 166 BGB Nr. 34 BI. 4. 105 Wolf, Anm. zu BGH LM § 166 BGB Nr. 34 BI. 4 f. 106 AcP 192 (1992), 181,216 ff. 107 AcP 192 (1992), 181,225. tos ZGR 1973,284 ff. Baumann, ZGR 1973, 284,288.
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fung auf den Organismus "juristische Person" täusche darüber hinweg, daß es sich beim Problem des Wissens juristischer Personen, des Organwissens, um ein Zurechnungsproblem handele, nämlich um die Wertungsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es gerechtfertigt erscheine, der juristischen Person den Kenntnisstand von Organmitgliedern zuzurechnen. 110 Baumann hebt hervor, daß v. Gierkes Hinweise auf den menschlichen Organismus der Veranschaulichung dienlich sein mögen, daß aber auch v. Gierke selbst das Problem des Organwissens durchaus als Zurechnungsproblem erkannt habe.111 Mit der üblichen Berufung auf die "Natur der Sache" 112 werde übersehen, daß die juristische Person aus rechtstheoretischer Sicht nur eines Vorstandsmitgliedes bedürfe, um am Rechtsverkehr teilzunehmen. Bereits dann sei sie "wissens-und handlungsfähig". Genieße sie diesen Vorteil, so sei es in der Tat regelmäßig gerechtfertigt, ihr das mit nachteiligen Rechtswirkungen verbundene Wissen dieses einzelnen Organwalters ohne weiteres zuzurechnen. 113 Existierten aber mehrere Vorstandsmitglieder, so sei das unter dem Aspekt der "Willens- und Handlungsfähigkeit" der juristischen Person Erforderliche überschritten.114 Ansatzpunkt für die Lösung des Zurechnungsproblems müsse die in § 166 I BGB enthaltene gesetzliche Wertung sein. Das BGB habe die Frage nach dem "Wesen" der juristischen Person offengelassen. 115 Mit § 26 II 1 2. HS. BGB sei bewußt die prinzipielle Anwendbarkeit des Vertretungsrechts dekretiert worden, die Gesetzesmaterialien ergäben, daß dies speziell hinsichtlich§ 166 I BGB gelten sollte. 116 Wenn auch seither gewisse Unterschiede zwischen der reinen Vertretung und der Organschaft herausgearbeitet worden seien und sich der Organbegriff inzwischen allgemein eingebürgert habe, so berechtigte allein das noch nicht, die im Gesetz verankerten Wertentscheidungen einfach zu übergehen.117 Bevor das Recht außergesetzlich fortgebildet werde, müsse daher zunächst der Gehalt des § 166 I BGB ausgeschöpft werden. 118
110 Baumann, ZGR 1973, 284, 289. 111 Baumann, ZGR 1973, 284, 289. 112 Auf
diese gründete das Reichgericht in RG JW 1935, 2044 die Zurechnung des Wissens eines an einem Erwerbsgeschäft unbeteiligten Organmitgliedes und verneinte deshalb die Voraussetzungen des§ 892 BGB. 113 Baumann, ZGR 1973, 284, 289 f. 11 4 Baumann, ZGR 1973, 284, 290. 11s Baumann, ZGR 1973, 284, 291. 116 Baumann, ZGR 1973, 284, 291. 117 Baumann, ZGR 1973, 284, 291. 118 Baumann, ZGR 1973,284, 291.
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Der Grundgedanke der Vorschrift des § 166 I BGB sei, daß es prinzipiell ausschließlich auf den Kenntnisstand derjenigen Person ankomme, die den rechtsgeschäftliehen Tatbestand verwirkliche. Zuzurechnen sei daher das Wissen des handelnden Vorstandsmitgliedes. 119 § 166 II BGB enthalte den Grundgedanken, daß immer nur der Kenntnisstand derjenigen natürlichen Person beachtlich sei, die den konkreten Geschäftsabschluß, die maßgebliche Willenserklärung zumindest aktiv beeinflußt habe. 120 Die juristische Person müsse sich darüber hinausgehend den Kenntnisstand des Vorstandsmitgliedes, das den maßgeblichen Rechtsakt zwar nicht vorgenommen, aber doch einen Kollegen zur Vomahme veranlaßt habe, ebenso zurechnen lassen wie dessen Handlung. Die Zurechnung dieser Handlung und des damit korrespondierenden Wissens ergebe sich aus der direkten bzw. entsprechenden Anwendung von § 166 II BGB. 121 Zwar beziehe sich die Vorschrift des§ 166 II BGB unmittelbar nur auf den Fall der rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht, doch sei sie ihrem Grundgedanken nach hier entsprechend anzuwenden. Dieser sei lediglich durch eine Fehlleistung der Redaktoren des BGB nur unvollständig im Gesetz zum Ausdruck gekommen. Es komme eben nicht auf eine "Weisung" an. Vielmehr genüge eine aktive Einflußnahme. 122 Seine Ergebnisse faßt Baumann wie folgt zusammen: a) Bei Schutzbedürftigkeit der anderen Seite sei es gerechtfertigt, die Kenntnis eines Vorstandsmitgliedes nicht nur dann zuzurechnen, wenn es seinen Kollegen zur Geschäftsvomahme willentlich veranlaßt habe, sondern auch dann, falls es wußte oder damit rechnete, daß der fragliche Geschäftsabschluß bevorstand, und es gleichwohl unterließ einzugreifen.123
119 Baumann, ZGR 1973, 284, 292 f. 120 Michael Schultz (NJW 1990, S. 477, 480 Fn. 37) hat aus dieser Formulierung geschlossen, daß Baumann sein verfehltes Verständnis des Zusanunenspiels von § 166 I, II BGB teile, nämlich vertrete, daß § 166 II BGB die Kenntnis des Vertretenen für maßgeblich, die Kenntnis des Vertreters aber für unbeachtlich erklärt. Die Ausführungen Baumanns mögen etwas mißverständlich sein, doch ist, in dubio pro reo, nicht davon auszugehen, daß er die Norm ebenso grundlegend mißversteht wie Schultz. § 166 II BGB erklärt das Wissen des Vertretenen neben dem Wissen des Vertreters für erheblich. 121 Baumann, ZGR 1973, 284, 292. Es wird nicht deutlich, warum Baumann zwischen direkter und analoger Anwendung von§ 166 II BGB unterscheidet. 122 Baumann, ZGR 1973, 284, 293 f. 123 Baumann, ZGR 1973, 284, 294. 22 Baum
Teil II: ZurechnWig von Wissen
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b) Nicht zu befiirworten sei hingegen eine weitergehende ZurechnWlg des Wissens aller Vorstandsmitglieder. Gegen diesen Weg sprächen die GrWldgedanken der Vorschriften, auf denen die WissenszurechnWlg beruhe.124 c) Modifizierende Lösm1gen gestatte schließlich die AnwendWlg des Vertrauensschutzprinizips. Insgesamt gesehen stellten die RegelWlg des § 166 II BGB Wld die angedeuteten Möglichkeiten der RechtsfortbildWlg (gemeint ist die analoge AnwendWlg des § 166 II BGB in Fällen des Nichteingreifens bei Kenntnis eines bevorstehenden Geschäftsabschlusses) eine spezielle Ausprägoog des Verbots eines gegensätzlichen Verhaltens, des venire contra factum proprium, dar. 125 So sei über die ZurechnWlg des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder je im Einzelfall zu entscheiden. Auch die Zurechnung privaten Wissens sei prinzipiell möglich, jedoch Wlter Vertrauensschutzgesichtspunkten zu beschränken. 126 Baumann fordert eine "Abkehr von einer starren EinheitslöSW1g"I27.
Nicht ganz deutlich wird, inwieweit Baumann seine GrWldsätze auch im Bereich außerrechtsgeschäftliehen Handeins anwenden möchte. In seiner ErörterWlg beschränkt er sich auf Fälle rechtsgeschäftliehen Handelns. In bezug auf die Fälle nichtrechtsgeschäftlicher Relevanz von Wissen (TathandlWlgen Wld Relevanz von Wissen an sich) sprechen gewisse Anzeichen dafür, daß Baumann eine strenge ZurechnWlg des Wissens aller Organmitglieder befiirwortet. 128 Letztendlich ist jedoch davon auszugehen, daß Baumann bei präziser Analyse zumindest die Fälle nichtrechtsgeschäftlicher HandlWlg ebenfalls seinem aus § 166 I, II BGB entwickelten GrWldmodell Wlterworfen hätte, denn seine Erwägoogen gelten Wlabhängig davon, ob es um rechtsgeschäftliche, geschäftsähnliche oder tatsächliche HandlWlgen geht. Die BehandlWlg der Fälle von Relevanz bloßen Wissens bleibt hingegen unklar. 2. Gesellschajisrechtliche Kommentarliteratur Die Erwägoogen Baumanns haben Teile der gesellschaftsrechtlichen Kommentarliteratur beeinflußt. So lehnt Schneider in ScholzJSchneider die strikte ZurechnWlg des Organwissens bei Abgabe rechtsgeschäftlicher ErklärWlgen ab, da diese nicht der Wertung des § 166 BGB entspreche. 129 Es sei der Gesellschaft nur die Kenntnis des erklärenden Geschäftsführers zuzurechnen. Nur bei
124
Baumann, ZGR 1973,284,294.
125 Baumann, ZGR 1973, 284,295. 126 Baumann, ZGR 1973, 284,295. 12? Baumann, ZGR 1973, 284, 295. 128 Baumann, ZGR 1973, 284,285 Wld 290. 129 GmbHG, § 35 Rdnr. 82.
§ 6 Organwissen
339
Vorliegen einer W eisW1g sei auch das Wissen eines W1beteiligten Organmitgliedes zuzurechnen. Soweit an die Kenntnis oder das Kennenmüssen jedoch sonstige Rechtsfolgen geknüpft seien - gemeint sind die Fälle geschäftsähnlichen W1d tatsächlichen Handeins sowie die Fälle der Relevanz von Wissen an sich-, werde die Kenntnis eines Geschäftsführers in entsprechender AnwendW1g von § 31 BGB der Gesellschaft zugerechnet, W1d zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Geschäftsführer im Innenverhältnis zuständig sei W1d ob die Kenntnis bei der Tätigkeit fiir die Gesellschaft oder im privaten Umfeld erworben wurde. 130 Die ZurechnW1g dauere auch nach dem Ausscheiden des Organmitgliedes an. 131 Im Ergebnis entspricht dies der Ansicht Mertens' im Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. 132 Dieser lehnt zwar die ZurechnW1g von Organwissen über § 166 BGB ab, da die Vorschrift auf Organe einer Gesellschaft keine AnwendW1g finde. 133 Den einschränkenden AuffassW1gen sei allerdings insoweit zu folgen, als die ZurechnW1g von Wissen oder Wissenmüssen eines Vorstandsmitgliedes in bezug auf die Rechtsfolgen einer Willenserklärung dann nicht gerechtfertigt sei, wenn das Vorstandsmitglied weder als Vertreter auftrete noch WeisW1gen erteile, vom Inhalt der Erklärung keine Kenntnis habe W1d auch W1ter der Voraussetzung ordnW1gsgemäßer Organisation der Gesellschaft nicht haben müsse. 134 Außerhalb der BeurteilW1g der rechtlichen Folgen einer Willenserklärung - gemeint sind die Fälle der Relevanz von Wissen W1d Wissenmüssen bei tatsächlichem W1d geschäftsähnlichem Verhalten W1d der Relevanz von Wissen an sich - begründe - vorbehaltlich eines spezifischen Zwecks der jeweils in Betracht kommenden ZurechnW1gsnorm - das Wissen oder Wissenmüssen eines beliebigen Vorstandsmitglieds die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Gesellschaft, ohne daß es im einzelnen auf die sachliche Zuständigkeit dieses Vorstandsmitgliedes ankomme. 135 Zuzurechnen sei auch private Kenntnis eines Vorstandsmitgliedes. 136 Die Kenntnis werde schließlich auch über das Ausscheiden des betreffenden Vorstandsmitgliedes hinaus zugerechnet.137
130 Schneider in Scholz!Schneider, GmbHG, § 35 Rdnr. 86. 131 Scholz/Schneider, GmbHG, § 35 Rdnr. 86. 132 KK., § 76 Rdnr. 63 ff. 133 Mertens in KK., § 76 Rdnr. 64. 134 Mertens in KK., § 76 Rdnr. 64. 135 Mertens in KK., § 76 Rdnr. 65. 136 Mertens in KK., § 76 Rdnr. 67. 13? Mertens in KK., § 76 Rdnr. 68. 22*
340
Teil II: Zurechnung von Wissen
Älmlich argumentiert Zöllner in Baumbach/Hueck. 138 Für die Bestimmung der rechtlichen Folgen einer Willenserklärung sei grundsätzlich die Person des vertretenden Geschäftsfiihrers erheblich. Lediglich über § 166 II BGB direkt oder analog komme die Zurechnung des Wissens unbeteiligter Geschäftsfiihrer in Betracht. Allerdings meint Zöllner, daß im Ergebnis sehr viel fiir die (überkommene) Rechtsprechung des BGH spreche, weil durch die Aufteilung des Wissens in größeren Organisationen der Rechtsverkehr nicht belastet werden dürfe. 139 Die Wissenszurechnung in anderen Beziehungen beurteile sich hingegen nicht nach § 166 BGB, sondern nach den fiir die jeweils konkrete Rechtsfrage maßgebenden Grundsätzen. 140 So könne es fiir die Wirkung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens nur auf dessen Zugang ankommen. Maßgebend seien daher die Grundsätze über den Empfang von Willenserklärungen, d. h. es genüge der Zugang auch beim nicht beteiligten Gesamtgeschäftsfiihrer. Älmliches gelte auch fiir Wissen von der Einstellung und Tätigkeit eines Angestellten aufgrund fehlerhaften Anstellungsvertrages, von der Einziehung einer Forderung im Kontokorrentverhältnis oder von der Sittenwidrigkeit einer Abtretung. In allen diesen Fällen genüge die Kenntnis irgendeines Geschäftsfiihrers. Nicht genügen könne die Kenntnis irgendeines Geschäftsfiihrers fiir den Beginn der Kündigungserklärungsfrist des § 626 II BGB, weil ein sachlich unzuständiges Geschäftsfiihrungsmitglied weder ausreichende eigene Beurteilungsmöglichkeiten habe, noch ihm grundsätzlich die Weitergabe jeder einschlägigen Information zurnutbar sei.1 41 3. Flume
Flume sieht in der "absoluten Theorie der Wissenszurechnung" einen Ausfluß der von ihm als Mystifikation abgelehnten Organtheorie. 142 Er will das Problem auf der Grundlage der gesetzlichen Zurechnungsvorschriften der §§ 166 BGB und 28 II BGB lösen.143 Das Wissen oder Kennenmüssen des Vertretungsorgans einer juristischen Person, gleich ob es sich um eine Person mit Einzelvertretungsmacht oder Kollektivvertretungsmacht handele, sei hinsichtlich der Rechtsfolgen seines Han138 GmbHG, § 35 Rdnr. 85. Anders als Schneider in Scholz/Schneider, GmbHG, § 35 Rdnr. 86 will er auf § 122 II BGB die aus § 166 BGB folgenden Zurechnungsgrundsätze anwenden. 139 GmbHG, § 35 Rdnr. 85. 140 Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 35 Rdnr. 88. Vgl. für eine Kritik an der "künstlichen" Unterscheidung Zöllners, Grunewa/d, FS Beusch, S. 301, 302 f. Fn. 6. 141 Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 35 Rdnr. 88. 142 AT Bd 112, S. 404; JZ 1990, 550. 143 Flume, AT Bd 112, S. 398 ff.
§ 6 Organwissen
341
delns für die juristische Person dieser zuzurechnen. 144 Diesen Fällen seien solche gleichzuachten, in denen ein wissendes Mitglied eines Vertretungsorgans ein anderes zwn Handeln für die juristische Person veranlasse oder bewußt das Handeln geschehen lasse. 145 Es handelt sich hier also wn die Fälle des§ 166 I, li BGB direkt oder analog. Es sei hingegen selbstverständlich, daß das Wissen eines ausgeschiedenen Organmitgliedes, das mit einem konkreten Geschäft nichts zu tun hatte, ja nicht einmal davon wußte, der juristischen Person nicht dauerhaft zugerechnet werden könne. 146 Dies sei schon deshalb abwegig, weil die juristische Person dann solches Wissen nie vergessen könne. Auch das Wissen eines unbeteiligten Organmitgliedes sei nicht zuzurechnen. 147 Hiergegen spreche auch nicht das Argwnent, daß dies zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Rechtslage zwischen Dritten und juristischer Person führe, je nachdem, ob der Vorstand ein oder mehrere Mitglieder habe, und dies nicht zu rechtfertigen sei. Bestehe das Vertretungsorgan aus mehreren Mitgliedern, so ergebe sich keine andere Rechtslage, als wenn sonst mehrere Personen nebeneinander Handlungsvollmacht hätten, sei es das Nebeneinander von Vollmachtgeber und Bevollmächtigten oder das Nebeneinander mehrerer Gesellschafter einer OHG oder mehrerer Prokuristen. Sei für ein Rechtsverhältnis der juristischen Person die Kenntnis oder das Kennenmüssen eines Umstandes relevant, so sei die bei der Vertretung der juristischen Person betreffs dieses Rechtsverhältnisses durch ein Mitglied des Vertretungsorgans erlangte Kenntnis der juristischen Person für dieses Rechtsverhältnis zuzurechnen. 148 Werde bezüglich eines Rechtsverhältnisses durch das Mitglied eines Vertretungsorgans die Kenntnis der juristischen Person einmal begründet, so bleibe sie für dieses Rechtsverhältnis bestehen, ohne daß es auf das fragliche Mitglied des Vertretungsorgans weiter ankomme. Dies ergibt sich nach Ansicht Flwnes aus § 28 II BGB. Dieser sei nicht nur auf Willenserklärungen anwendbar, sondern darüber hinaus auf Wissenserklärungen und darüber hinaus allgemein bei Erlangen von Wissen beim Handeln für die juristische Person.149 Die Zurechnung beschränke sich dann jedoch auf das konkrete Rechtsverhältnis. Allerdings scheint Flwne zwischenzeitlich eine weitergehende Wissenszurechnung - über das konkrete Rechtsverhältnis hinaus - zu befürworten.
144 Flume, AT Bd I/2, S. 403. 14 5
Flume, AT Bd I/2, S. 403.
146 Flume, AT Bd I/2, S. 403. 147 Flume, AT Bd I/2, S. 403. 148 Flume, AT Bd I/2, S. 404. 149 Flume, AT Bd I/2, S. 404 f.
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Teilll: Zurechnung von Wissen
So fordert er nunmehr in Übereinstimmung mit dem "Altlastenfall" 150 eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftlichen Kommunikation.151
4. Tintelnot In Anlehnung an Bawnann und Flwne will Tintelnot zwnindest im rechtsgeschäftliehen Bereich auch innerhalb eines mehrköpfigen Vertretungsorgans einer juristischen Person Kenntnisse nur entsprechend § 166 II BGB zurechnen.152 Habe der Wissende selbst keine Erklärung abgegeben, schade seine Kenntnis nur, wenn er von der bevorstehenden Rechtshandlung wußte oder sie hätte verhindem können. Nur dann hätte er den an die Unkenntnis des Handelnden anknüpfenden Vorteilsschutz durch dessen Aufklärung entbehrlich machen können. 153
5. Reuter Kritisch steht auch Reuter der strikten Zurechnung des Wissens aller Organmitglieder gegenüber. 154 So lehnt er die Zurechnung des Wissens eines an einer konkreten Rechtshandlung unbeteiligten, zwnindest nicht von dieser wissenden Organmitgliedes ab. Wenn ein Vorstandsmitglied überhaupt nichts mit der maßgeblichen Rechtshandlung des Vereins zu tun habe, greife das entscheidende Argwnent, der Verein müsse zusammen mit den Vorteilen auch die Nachteile der privaten Kenntnisse, Einstellungen usw. des Vorstandes tragen, nicht. 155 Außerdem stehe die strikte Zurechnung des Organwissens in einem nicht legitimierbaren Widerspruch zur ganz überwiegenden Beurteilung der Vereinshaftung fiir schadenstiftendes Organhandeln (§§ 30, 31 BGB). Genauso wie dort fiir die Haftung ein innerer Zusammenhang der Schädigung mit den Aufgaben des Vorstandsmitgliedes gefordert werde, sei zu verlangen, daß der Verein sich die Kenntnisse, Einstellungen usw. der Vorstandsmitglieder nicht ohne Rücksicht auf einen solchen Zusammenhang zurechnen lassen braucht. 156 Lediglich soweit das Recht zur Vomahme einer Rechtshandlung vom Wissensstand des Vereins (der Körperschaft) abhänge - Reuter nennt beispielhaft § 407 BGB -, sei das Wissen eines Vorstandsmitgliedes Wissen des Vereins und bleibe es auch nach seinem Ausscheiden. Denn insoweit trage der Gedanke, 150 BGH NJW 1996, 1339. 151 Flume, AcP 197 (1997), 441, 451. 152 Tintelnot, JZ 1987, 795, 800. 153 Tintelnot, JZ 1987, 795, 800. 154 MünchKomm/Reuter, § 28 Rdnr. 6 f. 155 MünchKomm/Reuter, § 28 Rdnr. 6. 156 MünchKomm/Reuter, § 28 Rdnr. 6.
§ 6 Organwissen
343
der Verein dürfe nicht von der Mehrgliedrigkeit seiner Handlungsorganisation profitieren. 157 6. Lösung über den Vertrauensgedanken
a) Grunewald, Taupitz und W. Schultz Die über den Gedanken des Vertrauensschutzes entwickelten Grundsätze zur Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen wenden Grunewald1 58, Taupitz159 und W. Schultz160 auch auf das Problem der Zurechnung von Organwissen an. 161 Der VertragspartDer orientiere sich zunächst an den Aussagen des ihm gegenüber auftretenden Organmitgliedes. Er erwarte, daß diese Person die ihr bekannten, dienstlich und privat erlangten Fakten offenbare.162 Das Wissen des handelnden Organmitglieds sei daher zuzurechnen. 163 Er erwarte auch, daß sein Verhandlungspartner die Fakten kenne und ggf. mitteile, die bei einer juristischen Person dieses Zuschnitts üblicherweise abrufbar seien und abgerufen würden. Sofern also (auch private) Kenntnisse bei einem anderen Organmitglied vorhanden waren und an das handelnde Organmitglied nicht weitergereicht wurden, finde eine Wissenszurechnung statt, wenn bei einer ordnungsgemäß organisierten juristischen Person die Weitergabe erfolgt wäre.164 Das Wissen ausgeschiedener Organmitglieder sei dann nur zuzurechnen,
157
MünchKomm/Reuter, § 28 Rdnr. 6.
158 FS Beusch, S. 301, 302 ff. Den Vorschlag Grunewalds haben Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 36 Rdnr. 4 f. übernommen. 159 Karlsruher Forum 1994, 16, 26; vgl. auch ders., JZ 1996, 734 ff.; ders., BGH EWiR § 463 BGB 1196, 585 f. 16° NJW 1996, 1392, 1393 fund NJW 1997,2093, 2094. 161 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26 und Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, 1393 führen auch § 166 li BGB an. Doch dient, wie bei der Diskussion der Wissenszurechnung als Vertrauenshaftung bei unterorganschaftliehen HUfspersonen gesehen (vgl. S. 210 Fn. 599), der Vertrauensgedanke der Erweiterung des § 166 II BGB auf die angeblich einer Weisung vergleichbaren Fälle des Unterlassens der Verschaffung von Information.§ 166 II BGB hat nur die Funktion, die Lösung im Gesetz zu verankern. 162 Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304. 163 Grunewald, FS Beusch, S. 301, 302 f.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 25; Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, 1394. 164 Grunewald, FS Beusch, S. 301, 304. Für die Zurechnung über die ordnungsgemäß organisierte Kommunikation auch Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26 f.; ders. , JZ 1996, 734 ff.; ders., BGH EWiR § 463 BGB, 585 f. In der Sache auch Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392, 1393 f. Vgl. auch die zustimmende Anmerkung zum "Altlastenfall", BGH NJW 1996, 1339, von v. Reinersdorff, WiB 1996,495 f.
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Teil ll: Zurechnung von Wissen
sofern es bei einer ordnungsgemäß organisierten juristischen Person vorhanden und damit für den Handelnden zugänglich gewesen wäre. 165 Auf die vorgeschlagene Weise werde sichergestellt, daß der juristischen Person aus einer nicht sachgerechten Organisation keine Vorteile erwüchsen. 166 Diese Grundsätze sollen nach Grunewald auch in den Fällen geschäftsähnlichen und tatsächlichen Handeins und bei der Relevanz von Wissen an sich Anwendung finden. 167 b) Sieger Auch in der Züricher Dissertation Siegers findet sich der Vertrauensgedanke zur Begründung der Zurechnung des Wissens unbeteiligter Organmitglieder. Grundsätzlich will Sieger bei Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes auch dessen privates Wissen zurechnen, da beim Wissen, im Gegensatz zum Wollen, privates und dienstliches Wissen nicht zu trennen sei. 168 Sieger will zunächst das Wissen jedes in irgendeiner Form an einer Handlung beteiligten einzel- oder kollektivvertretungsberechtigten Organmitgliedes zur Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung, sei sie rechtsgeschäftlich oder tatsächlicher Natur, 169 zurechnen, gleichgültig ob das Organmitglied die Handlung tatsächlich durchgefiihrt 170, sie genehmigt, ihr zugestimmt171 oder schließlich sie vorbereitet oder veranlaßt hat 172 . Zuzurechnen sei auch die Kenntnis eines nur um die Handlung wissenden Organmitgliedes. Die Situation sei dann mit dem Vorschieben eines unwissenden Organmitgliedes vergleichbar. 173 Nicht zuzurechnen sei im Prinzip die Kenntnis eines in keiner Weise an einer Handlung beteiligten Organmitgliedes. 174 Die juristische Person sei erst dann wissend, wenn zumindest zwischen dem Wissen eines Organmitgliedes
Grunewald, FS Beusch, S. 301,307. Grunewald, FS Beusch, S. 301, 305. 167 FS Beusch, S. 301, 317 f. Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 25, beschränkt die Formulierung seiner These auf die Wissenszurechnung bei Rechtsgeschäften. Auf diese Beschränkung weist er jedoch nicht hin. Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392 ff. scheint nur vom rechtsgeschäftliehen Bereich auszugehen. 168 Wissen der juristischen Person, S. 62 ff. 169 Wissen der juristischen Person, S. 79. 17 Für die Einzelvertretungsberechtigung, vgl., Wissen der juristischen Person, S. 77 ff. und 81; für die Kollektivvertretungsberechtigung, S. 81 ff. 17 1 Wissen der juristischen Person, S. 85 ff. 172 Wissen der juristischen Person, S. 99 f. 173 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 101 f. 174 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 95 ff., 102 ff. 16 5 166
°
§ 6 Organwissen
345
(Kenntnis von maßgeblichen Umständen) und dem Handeln eines anderen Organmitgliedes (Abschluß des Rechtsgeschäfts) eine Beziehung bestehe, die es dem wissenden Organmitglied ermögliche, seinen Kollegen über den wahren Sachverhalt aufzuklären und gegensteuernd auf dessen Handeln einzuwirken. Dies setze Kenntnis des wissenden Organmitgliedes vom Geschäftsabschluß des Kollegen voraus. 175 Gegen die strikte Zurechnung des Organwissens führt Sieger zwei Argumente an. Die Unhaltbarkeit der auf der Grundlage der Theorie der absoluten Wissenszurechnung176 erzielten Resultate habe Reichwein 177 gezeigt. 178 Die bedingungslose Anwendung der absoluten Wissensvertretung würde voraussetzen, daß die Kenntnis eines Organmitgliedes - neben der Zurechnung zur juristischen Person als solcher- gleichzeitig quasi telepathisch auf alle anderen Organmitglieder übertragen würde, denn nur so wäre es möglich, daß jedes Wissen immer gerade dort vorhanden wäre, wo es bei dem jeweiligen Geschäftsabschluß verwendet werden mill3te. Somit würde nicht nur die Verbandsperson die Kenntnis aller ihrer Organpersonen "in sich tragen", sondern auch jedes Organmitglied die gesamte Kenntnis der Verbandsperson, was bekanntlich nichts anderes sei, als die Kenntnis aller Organpersonen zusammen. Gehöre nun ein Verwaltungsratsmitglied X der Firma A auch dem Verwaltungsrat der Firma B an, so würde dies bei konsequenter Durchfiihrung der Theorie der absoluten Wissensvertretung bedeuten, daß sich sein im Rahmen seiner Tätigkeit als Verwaltungsrat der Firma A erworbenes Wissen auch auf die Firma B und damit deren weitere Organmitglieder übertragen würde. Es entstünde eine wahre Kettenreaktion, und die Firma B mill3te sich u. U. die Kenntnis einer natürlichen Person anrechnen lassen, die überhaupt keine Beziehung zu ihr habe. Dieses "bazillusartige" Ausbreiten des Wissens bei juristischen Personen würde sich aber nicht nur auf den privatwirtschaftliehen Bereich beschränken. Auf dem Weg über gemischtwirtschaftliche Unternehmen, bei denen Vertreter von Körperschaften des öffentlichen Rechts im Verwaltungsrat säßen, käme noch der Kenntnisstand von Verwaltung und Regierung hinzu. Diese Folgerungen würden selbstverständlich nicht gezogen, aber es zeige sich die Unhaltbarkeit der logisch konsequenten Anwendung der Organtheorie. 179 Auch sei das Schlagwort "Das Wissen eines Organmitgliedes ist das Wissen der juristischen Person" bei näherem Hinsehen ungenau, im Grunde genommen
175 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 103. Gemeint ist die strikte Zurechnung von Organwissen. SJZ 66 (1970) 1, 3 ff. 178 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 97. 179 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 97 f. 17 6
177
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Teil II: Zurechnung von Wissen
nichtssagend. 180 Die Kenntnislagen der verschiedenen Organmitglieder der juristischen Person seien nämlich nicht einheitlich. Rechne man mm diese verschiedenen Kenntnislagen zu, so besitze die juristische Person so viele unterschiedliche Kenntnislagen, wie sie Wissensträger habe. So sei die Korporation zum Beispiel bösgläubig wegen der Kenntnis eines Organmitgliedes von bestimmten Umständen, sie sei gutgläubig, weil ein anderes Organmitglied die spezifischen Umstände nicht kenne. Man stünde vor einer eigentümlichen Pattsituation. Das Rechtsleben verlange jedoch eine eindeutige Lösung. 181 Die beiden von Sieger gegen die strikte Zurechnung des Wissens aller Organvertreter angefiihrten Argumente können nicht überzeugen. Zunächst trifft es entgegen Sieger nicht zu, daß eine konsequente Anwendung der strikten Zurechnung des Wissens aller Organvertreter zu einer gleichsam "bazillusartigen" Ausbreitung fiihren muß. Selbst bei strikter Zurechnung des Wissens aller Organvertreter kommt nur die Zurechnung des Wissens der Organvertreter einer bestimmten juristischen Person in Betracht. Handelt das Organmitglied B fiir die juristische Person X, so ist bei strikter Zurechnung das gesamte Wissen auch des Organmitgliedes A der juristischen Person X zuzurechnen. Es kann dann also auch das Wissen zuzurechnen sein, das dieser als Organmitglied fiir die juristische Person Y erworben hat. A trägt aber nicht das Wissen aller anderen Organmitglieder der juristischen Person Y in sich. Deren Wissen ist daher auch nicht bei einer Handlung des B fiir X zuzurechnen. Auch das zweite Argument Siegers überzeugt nicht. Die von ihm angenommene Pattsituation besteht nämlich nicht. Bei Bösgläubigkeit eines und Gutgläubigkeit eines anderen Organmitgliedes ist die juristische Person bei strikter Wissenszurechnung als bösgläubig anzusehen. Sie ist bösgläubig, weil sie sich das Wissen eines jeden Organmitgliedes als eigenes zurechnen lassen muß. Genau dasselbe gilt fiir die Frage, ob eine Aufklärungspflicht besteht. Weiß ein Organmitglied um aufklärungspflichtigte Tatsachen, so entsteht die Aufklärungspflicht, auch wenn die anderen Organmitglieder nicht um die Tatsache wissen. Auch Sieger will schließlich in Einzelfällen der juristischen Person die Kenntnis eines Organmitgliedes, das tatsächlich keine Kenntnis von dem Geschäftsabschluß hat, zurechnen.l 82 Dies sei der Fall, wenn das nicht handelnde Organmitglied lediglich wegen mangelnder Sorgfalt oder wegen offensichtlich ungenügender betrieblicher Organisation und Koordination vom Geschäftsabschluß nichts wisse. Unter Umständen müsse hier das berechtigte Vertrauen -
180 Sieger,
Wissen der juristischen Person, S. 98.
Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 98 f. 182 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 104. 181
§ 6 Organwissen
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zum Beispiel des Vertragspartners - geschützt werden. Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Gegenkontrahent damit rechnen durfte, daß ein Organmitglied seine Kenntnis von maßgeblichen Umständen seinem Geschäftskollegen übermittle, mit anderen Worten, daß die Kenntnis des einen Organmitgliedes beim Geschäftsabschluß des anderen berücksichtigt werde. Sieger führt hierfür das Vertrauensprinzip an.183 In den Fällen, in denen Wissen an sich eine Rechtsfolge auslöst, will Sieger hingegen Wissen eines jeden Organmitgliedes als Wissen der juristischen Person ansehen. 184
7. Scheuch Die Konzeption der Wissenszurechnung über eine ordnungsgemäße Organisation185 findet sich auch in Scheuchs Beitrag "Die Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Gesellschafter von Personen-Handelsgesellschaften". 186 Im Anschluß an die traditionelle Gesamtbandslehre will Scheuch bei Personenhandelsgesellschaften das Wissen eines vertretungsberechtigten Gesellschafters über § 166 I BGB zurechnen. 187 Das Wissen eines nichtbeteiligten oder ausgeschiedenen Gesellschafters sei dann nach § 166 II BGB zuzurechnen. Das Wissen ausgeschiedener Gesellschafter werde so jedoch regelmäßig nicht erfaßt, da der Gesellschafter für § 166 II BGB das Geschäft vor seinem Ausscheiden veranlaßt haben müsse. 188 Die grundsätzliche Nichtberücksichtigung des Wissens ausgeschiedener Gesellschafter einer Personen-Handelsgesellschaft wie auch die grundsätzliche Berücksichtigung des Wissens ausgeschiedener Organe der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG189 fiihre nicht zu befriedigenden Ergebnissen. 190 Unter
183 Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 104. 184 Wissen der juristischen Person, S. 80 f. 185 Vgl. hierfür Grunewald, FS Beusch, S. 301 ff.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 ff.; Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1392 ff.; zusammenfassend gerade unter 6 a. 186 FS Brandner, S. 121 ff. Vgl. auch Scheuch, GmbHR 1996, 828 ff. 187 FS Brandner, S. 121, 123 ff FS Brandner, S. 121 , 127. Scheuch, FS Brandner, S. 121, 128, teilt insofern die hier gegen die Entscheidung im "Ornnibusfall", BGH NJW 1995, 2159 (vgl. S. 325 f.) erhobene Kritik. Das Wissen des ausgeschiedenen Gesellschafters der Komplementär-GmbH war dieser nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung bei juristischen Personen zuzurechnen. Das Wissen der handelnden und nicht ausgeschiedenen Komplementär-GmbH war dann der GmbH & Co. KG zurechenbar. l 90 Scheuch, FS Brandner, S. 121, 129. 188
189
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Beachtung der heute weit verzweigten Aufteilung von Zuständigkeiten sei es nicht hinnehmbar, wenn das Wissen des ausgeschiedenen Gesellschafters in aller Regel nicht erfaßt werde. Andererseits erscheine es nicht billig, einer Kommanditgesellschaft, deren alleinige Komplementärin eine GmbH ist, das Wissen der Organe der GmbH auf Dauer zuzurechnen, auch wenn diese ausgeschieden sind. 191 Scheuch will fiir die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses an das Organisationsverschulden anknüpfen.192 Wenn ein ausgeschiedenes Organmitglied Kenntnisse erlangt und nicht weitergeleitet habe, obwohl es erkannt habe oder erkennen mußte, daß die Kenntnisse zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise relevant werden könnten, sei eine Pflichtverletzung auch Außenstehenden gegenüber annzunehmen. Diese könne zu einer Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo, bei Vorliegen vorsätzlichen oder arglistigen Verhaltens auch zu einer Haftung nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung, ggf. auch zu Schadensersatzansprüchen nach § 463 S. 2 BGB fUhren. Gleiches gelte, soweit der Handelnde sich nicht darwn kümmere, ob bestimmte Kenntnisse vorhanden sind, und ohne Rücksicht darauf, daß möglicherweise relevante Kenntnisse eines nicht-beteiligten, auch ausgeschiedenen Organmitgliedes verfiigbar sind, tätig werde. 193 Es handele sich bei der Zurechenbarkeit des Wissens nicht beteiligter oder ausgeschiedener Organe also nicht ausschließlich um ein Problem der Wissenszurechnung; vielmehr begründe das Verhalten des ausgeschiedenen und/oder des handelnden Organs unter den dargelegten Voraussetzungen eine Haftung nach§ 31 BGB. Dies gelte sowohl fiir die juristische Person194 als auch fiir die Personen-Handelsgesellschaft, auf welche § 31 BGB nach allgemeiner Auffassung entsprechende Anwendung finde. Soweit Kenntnis im Sinn des § 123 BGB oder§ 138 BGB von Bedeutung sei- Fälle, die von§ 31 BGB nicht erfaßt würden - habe maßgeblich der Gedanke zu sein, daß jemand, der die Verwaltung des fiir ihn als rechtserheblich angesehenen Wissens auf Dritte übertrage oder dieses Wissen im Wege der Arbeitsteilung getrennt verwalten lasse, arglistig oder sittenwidrig handele, wenn er sich auf eigene Unkenntnis oder die Unkenntnis des Handelnden berufe, obwohl das vorhandene Wissen nicht ordnungsgemäß verfiigbar gehalten oder abgerufen wurde.l95
191 Scheuch, FS Brandner, S. 121, 129. 192 FS Brandner, S. 121, 130 f. 193 FS Brandner, S. 121, 130 f. 194 Es wird nicht deutlich, ob Scheuch die strikte Zurechnung des Organwissens bei juristischen Personen generell ablehnt. 195 Scheuch, FS Brandner, S. 121, 131 f.
§ 6 Organwissen
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Wissen und Wissenmüssen nichtbeteiligter oder ausgeschiedener Gesellschafter sei dann ohne weiteres zuzurechnen, wenn dieses Wissen bereits fiir sich rechtliche Relevanz entfalte. 196 Werde Kenntnis bezüglich eines Rechtsverhältnisses einmal fiir die Gesellschaft begründet, bleibe diese Kenntnis fiir das Rechtsverhältnis auch nach Ausscheiden des wissenden Gesellschafters bestehen.197 8. Medicus
Auch Medicus wendet fiir die Zurechnung des Organwissens dieselben Prinzipien an wie bei der Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen. Er will wohl das dienstliche und private Wissen des handelnden Organs zurechnen. 198 Wissen anderer Personen, seien es Organe oder sonstige Hilfspersonen, sei nur zuzurechnen, wenn fiir den Handelnden ein Anlaß bestehe, es heranzuziehen. 199 Dies stützt Medicus auf das Gleichstellungsargument 200 Auch komme bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Zurechnung über § 166 li BGB in Betracht.20I 9. Bohrer Bohrer geht ebenfalls von einem einheitlichen Zurechnungsprinzip aus. Eine Organisation sei dann als wissend zu betrachten, wenn das relevante Wissen "typischerweise aktenmäßig festgehalten" werde. 202 Es bedürfe keiner konstruktiven Zurechnung tatsächlichen Wissens einzelner Organmitglieder; die Kenntnis juristischer Personen ergebe sich vielmehr aus der Verfiigbarkeit der Information, deren Erfassung und Nutzung nicht im Belieben stehe, sondern normativen Verkehrsschutzanforderungen unterliege. 203
C. Die Ansatzpunkte in Rechtsprechung und Literatur und der eigene Lösungsvorschlag Im folgenden wird, ausgehend von den in dieser Arbeit bereits gewonnenen Erkenntnissen über die Wissenszurechnung, in Abgrenzung zu den Vorschlägen
196 Scheuch, FS Brandner, S. 121, 122 f. 197 Scheuch, FS Brandner, S. 121, 123. 198 Kar1sruher Forum 1994,4, 15. 199 Karlsruher Forum 1994,4, 11 ff. 200 Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 11 ff.; vgl. auch schon oben S. 194 ff. 20 1 Karlsruher Forum 1994, 8, 11 und 15. 202 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129. 203 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129.
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Teil II: Zurechnung von Wissen
in Rechtsprechllllg lUld Literatur ein LöslUlgsvorschlag für die ZurechnlUlg des Organwissens bei der juristischen Person - Gnmdmodell ist der Verein - entwickelt. Dieses LöslUlgsmodell wird sodann auf andere arbeitsteilige Strukturen übertragen. Unproblematisch ist ztmächst die Zurechnllllg von Organwissen über die allgemeinen Rechtsgedanken des § 166 I, II BGB. 204
I. Handlungsabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB Handelt ein Organmitglied rechtsgeschäftlich, tatsächlich oder geschäftsähnlich für eine juristische Person, so ist das dienstliche lUld private Wissen dieses Organmitgliedes für die BestimmlUlg der Rechtsfolgen seiner HandllUlg zuzurechnen. Hierüber besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit in Rechtsprechllllg lUld Literatur. 205 Es kann insofern dahinstehen, ob sich dies aus § 166 I BGB lUld dem allgemeinen Rechtsgedanken dieser Vorschrift oder aus der Organstellllllg selbst ergibt. Zuzurechnen ist das Wissen des handelnden Organmitgliedes, gleichgültig, ob es für die konkrete HandllUlg über Einzel- oder Kollektivvertretllllgsmacht verfügte. Wie bei der Diskussion des Rechtsgedankens des § 166 I BGB gesehen, 206 greifen die die Zurechnllllg rechtfertigenden Wertllllgsgesichtspunkte nämlich auch bei bloßer Beteilig1lllg einer wissenden Person an einer HandllUlg ein. Eine handllUlgsabhängige Zurechnllllg des Wissens von Organen wegen Risikoschaffimg207 kommt nicht in Betracht, da die handelnden Organmitglieder stets über die für eine Zurechnllllg über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB notwendige Eigenverantwortlichkeit verfügen, es insofern also bereits an einer Lücke fehlt. 204 Es ist bereits darauf hingewiesen worden (vgl. S. 39 Fn. 1), daß die Einordnung des § 166 I BGB als Zurechnungsvorschrift nicht unproblematisch ist, da Wissen des Vertreters nicht zum Wissen des Vertretenen hinzugerechnet wird - dessen Wissen ist ja üblicherweise gerade nicht relevant - , es wird vielmehr klargestellt, daß es, sofern die Rechtsfolgen des Vertreterhandeins von der Kenntnis bestimmter Umstände abhängen, auf die Kenntnis des Vertreters ankommt. Gleichwohl wird hier der ganz vorherrschenden Auffassung folgend § 166 I BGB als Zurechnungsvorschrift bezeichnet. Jedenfalls würde sich auch bei einer anderen Bezeichnung an den hier entwickelten Ergebnissen nichts ändern. 205 Vgl. im einzelnen die Nachweise unter A, B. 206 Vgl. S. 71. 207 Vgl. für diese Figur S. 308 ff.
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II. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 II BGB Weist ein Organmitglied eine unterorganschaftliehe Hilfsperson oder ein anderes Organmitglied an - letzteres wird freilich selten der Fall sein -, so ist das Wissen des anweisenden Organmitgliedes zur Bestimmung der Rechtsfolgen der rechtsgeschäftlichen, tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Handlung der angewiesenen Person über § 166 II BGB oder den allgemeinen Rechtsgedanken dieser Vorschrift208 zuzurechnen. 111. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf der Organtheorie Problematisch ist auch bei Organmitgliedern die Frage einer weitergehenden handlungsunabhängigen Wissenszurechnung, also der Zurechnung des Wissens eines unbeteiligten Organmitgliedes zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung eines anderen Organmitgliedes oder einer unterorganschaftliehen Hilfsperson und die Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes in den Fällen, in denen Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst. Wie gesehen, wird in Rechtsprechung209 und Literatur210 vielfach die Organtheorie selbst, die auf der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit Otto v. Gierkes beruht,211 zur Begründung einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung herangezogen. Nach der vorherrschenden Organtheorie wird das Handeln der die juristische Person repräsentierenden Organe als Eigenhandeln der juristischen Person bewertet. 212 Es liegt dann nahe, das Wissen der Organmitglieder als Wissen der juristischen Person zu betrachten. Mit dieser Berufung auf die Organtheorie wird aber vernebelt, daß es sich bei der Frage der Zurechnung des Organwissens um ein Zurechnungsproblem handelt, das wertend
Vgl. S. 127 ff. Vgl. BGH WM 1955, 81, 84; RG JW 1935, 2044. 210 MünchKomm/Thiele, § 166 Rdnr. 19; ähnlich MünchKomm!Schramm, § 166 Rdnr. 19; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388 f.; eine Kodifizierung der Organtheorie fordert Waltermann, AcP 192 (1992), 181,225. 211 Vgl. zu dieser BeziehWlg z. B. Baumann, ZGR 1973,284,288 f. 212 Vgl. Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 219. Für die Organtheorie Soergel/Hadding, § 31 Rdnr. 2; Palandt/Heinrichs, § 31 Rdnr. 1; BGHZ 98, 148, 151. 208
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zu entscheiden ist. 213 Auch bei der Einordnung der juristischen Person als wirklicher Person mit eigener Rechts- und Handlungsfähigkeit können die Bewußtseinsvorgänge der Organmitglieder nämlich nur über eine normative Zurechnung solche der juristischen Person selbst sein. 214 Die juristische Person selbst ist eben wissensunfähig, sie weiß nur vermittelt. 215 Die juristische Person wird zwar auf der Basis der Organtheorie durch ihre Organe repräsentiert, aber diese Repräsentation ist selbstverständlich auch Zurechnung. 216 Es ist daher wertend zu ermitteln, ob der juristischen Person das Wissen ihrer Organe stets als eigenes zuzurechnen ist.217 Deduziert man aus dem Wesen der juristischen Person, daß Organwissen eigenes Wissen der juristischen Person ist, so wird die Wertungsfrage, was eine juristische Person weiß, durch Metaphysik beantwortet. Einem solchen Fehlschluß ist Lord Hoffmann in einer grundlegenden englischen Entscheidung im Jahr 1995 unter Rückgriff auf den deutschen Idealismus entschieden entgegengetreten: " There is in fact no such thing as the company as such, no ding an sich, only the applicable rules."2 18 Die Organtheorie an sich kann dann auch nicht für die Rechtsfortbildung nutzbar gemacht werden, sie kann aber ggf. der Beschreibung der Zurechnung des Organwissens dienen. Es ist zur Beantwortung des Zurechnungsproblems Organwissen vielmehr an die Vorschriften im Gesetz über die Zurechnung von Organhandeln anzuknüpfen, die möglicherweise verallgemeinerungsfähige Wertungen enthalten. 219
213 Grundlegend Baumann, ZGR 1973, 284, 289, der darauf verweist, daß auch v. Gierke das Problem als Zurechnungsfrage erkannt hat. Dies sieht mittlerweile auch die Rechtsprechung so, vgl. den "Schlachthausfall", BGH NJW 1990, 975, 976. Dort wird festgehalten, daß die Frage des Organwissens nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz, sondern in wertender Beurteilung zu entscheiden sei. 214 Vgl. Schilken, Wissenszurechnung, S. 129. 215 Vgl. so auch Schi/ken, Wissenszurechnung, S. 135. 216 Vgl. Schilken, Wissenszurechnung, S. 135. 21 7 Zu einer solchen Wertung kommt Schilken, S. 127 ff. 218 Meridian Global Funds Management Asia Limited v. The Securities Commission, Privy Council Appeal No. 48 of 1994, Entscheidung vom 26. 6. 1996 (noch unveröffentlicht), Advance Copy, S. 5. Der Ausdruck "Ding an sich" stammt von Kant. Kant verneint die Existenz eines Ding an sich in seinen "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissensschaft wird auftreten können",§ 13 Anm 2. 219 So knüpft auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 248, als Hauptverfechter der Organtheorie für die Wissenszurechnung an den in § 31 BGB zum Ausdruck gelangten Rechtsgedanken an; vgl. dazu sogleich unter IV.
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IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf§ 31 BGB So knüpfen Karsten Sclunidt220 und Schil.ken221 für die von ihnen befiirwortete handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern an § 31 BGB an. Damit auf die Vorschrift eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung gestützt werden kann, müßte § 31 BGB in seinem direkten Anwendungsbereich eine handlungsunabhängige Zurechnung anordnen. Andernfalls gäbe man der Norm bei analoger Anwendung oder bei Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens eine Rechtsfolge, die sie bei direkter Anwendung nicht hat. Dies ist fiir die Analogie ausgeschlossen, da bei dieser die Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen übertragen wird.222 Aber auch bei Ableitung eines Rechtsgedankens aus einer Vorschrift läßt er sich dieser nur so weit entnehmen, wie er in ihr zum Ausdruck kommt. 223 Es kann hier dahinstehen, ob § 31 BGB lediglich die Haftung der juristischen Person fiir Organmitglieder im deliktischen oder aber auch im vertraglichen Bereich regelt. 224 § 31 BGB regelt wie § 278 BGB225 nämlich lediglich eine handlungsabhängige Zurechnung. Zugerechnet wird die schuldhafte Handlung eines Organmitgliedes. 226 Da sich das schuldhafte Handeln sofort realisiert, besteht keine Veranlassung für eine - handlungsunabhängige - Zurechnung dieses schuldhaften Handeins für die Bestimmung der Rechtsfolgen von zeitlich späteren Handlungen anderer Personen. Eine handlungsunabhängige Zurechnung ist aber auch nicht angeordnet, so daß sie sich aus § 31 BGB auch nicht entnehmen läßt. Es läßt sich daher aus der Norm nichts für eine handlungsunabhängige Zurechnung ableiten. 227 Insofern hilft es auch nichts, daß § 31 BGB den Gedanken einer unbedingten Einstandspflicht der juristischen Person für ihre Organmitglieder zum Ausdruck bringt. Die unbedingte Einstandspflicht gilt eben nur handlungsabhängig. Soweit Karsten Schmidt und Schil.ken eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung über § 31 BGB rechtfertigen wollen, kann dies daher nicht überzeugen.
Gesellschaftsrecht, S. 249. Wissenszurechnung, S. 132 f. Diesem schließt sich Westerho/f, Organ und gesetzlicher Vertreter, S. 75 ff. an. 222 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. 223 Vgl. hierfür schon S. 123. 224 Vgl. dafür schon S. 182 f. 225 Vgl. für diesen S. 135 ff. 22 6 Es kann insofern dahinstehen, ob die Handlungsabhängigkeit nicht auch Zurechnungsvoraussetzung ist, jedenfalls ist sie auch Rechtsfolge. 227 Vgl. auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen, S. 106. 220
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V. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf§ 28 II BGB Die handlungstmabhängige Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern wird in Rechtsprechung228 und Literatur229 auch auf§ 28 II BGB gestützt. Nach dieser Vorschrift genügt es, wenn eine Willenserklärung gegenüber einem Verein abzugeben ist, daß sie gegenüber einem Mitglied des Vorstandes abgegeben wird. Es handelt sich also um einen gesetzlich angeordneten Fall von Einzelempfangsvertretungsmacht. 230 § 28 II BGB ist mit den parallelen Vorschriften der §§ 125 II S. 3 HGB, 78 II S. 2 AktG, 35 II S. 3 GmbHG sowie 25 I S. 3 GenG Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, daß zur Passivertretung jeder Gesamtvertreter allein berechtigt ist. 231 Ob sich die Vorschrift in analoger Anwendung oder durch Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens ftir eine handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern nutzbar machen läßt, soll im folgenden untersucht werden.
1. Lückenfeststellung Für die Lückenfeststellung durch Analogie wie auch ftir die Lückenfeststellung durch Ableitung eines allgemeinen Rechtsprinzips aus einer Vorschrift ist auf die Wertungen des Gesetzes, die ratio legis, der Bestimmung zurückzugehen, die analog angewendet oder aus der ein allgemeines Rechtsprinzip abgeleitet werden soii.232
Ratio legis des § 28 II BGB ist der Verkehrsschutz. Es soll dem Dritten, der dem Verein gegenüber eine Willenserklärung abgeben möchte, nicht zugemutet werden, den Zugang der Erklärung bei allen Vorstandsmitgliedern sicherzustellen.233 Dieratio legis greift also nur ein, wenn das Vertretungsorgan aus mehreren Mitgliedern besteht. Bei einem einköpfigen Vertretungsorgan läuft die Regelung leer, da sich die Empfangsvertretungsmacht dann schon aus§ 26 II BGB ergibt. 234
228 BGHZ 20, 149, 153. 229 Palandt/Heinrichs, § 28 Rdnr. 2; Kohle, BB 1988, 633, 635 f.; Wiesner, BB 1981, 1533, 1536; Lüders, BB 1990, 790, 793 f.; Flume, AT I/2, S. 398 ff. 230 So auch Lüders, BB 1990, 790, 793. 23 1 Palandt!Heinrichs, § 167 Rdnr. 14. 232 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202 und 207. 233 Vgl. Staudinger/Weick, § 28 Rdnr. 13. 234 Vgl. zur Wissenszurechnung bei einem einköpfigen Vertretungsorgan einer juristischen Person unten S. 358 ff.
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Die Feststellung einer Lücke durch analoge Anwendung des § 28 II BGB oder Ableitung eines Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift setzt voraus,235 daß zumindest einige Fälle der Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern mit dem Empfang einer Willenserklärung durch ein Organmitglied in den fiir die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Gesichtspunkten gleichzubewerten sind. Eine solche Ähnlichkeit besteht, wenn ein Dritter gegenüber einer juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan eine Wissenserklärung236 abgeben möchte. In diesem Fallliegt genau dieselbe Situation wie bei der Abgabe einer Willenserklärung gegenüber einer juristischen Person vor. Es ist erneut nicht zumutbar, daß der Dritte die Wissenserklärung gegenüber allen Vorstandsmitgliedern eines Vereins, allen Organmitgliedern der juristischen Person, abgeben muß.
2. Lückenausfüllung Im Rahmen der Lückenausftillung ist die Rechtsfolge zu konkretisieren. Besondere Bedeutung kommt dabei der ratio legis der jeweiligen Vorschrift zu. Rechtsfolge der gesetzlich angeordneten passiven Einzelvertretungsmacht des § 28 II BGB ist, daß die Willenserklärung fiir und gegen die juristische Person wirkt. Es wirkt daher auch die gegenüber einem Organmitglied abgegebene Wissenserklärung fiir und gegen die juristische Person. Damit ist aber noch nicht hinreichend geklärt, was dies im einzelnen bedeutet. Ohne Schwierigkeiten läßt sich zunächst folgendes festhalten: Wollte der die Wissenserklärung gegenüber einer juristischen Person Abgebende eine Obliegenheit, z. B. eine versicherungsrechtliche Auskunftsobliegenheit, erfüllen, so hat er diese durch Abgabe gegenüber einem Organmitglied erfüllt, die juristische Person gilt insofern als wissend. Fraglich ist, ob sich die juristische Person den Inhalt der Wissenserklärung auch darüber hinaus als eigenes Wissen zurechnen lassen muß, so wie sich der Geschäftsherr, also auch die juristische Person, von seinen "Wissensempfangsvertretern" erworbenes Wissen als eigenes, d. h. fiir seine eigenen Handlungen und sofern Wissen an sich relevant ist, zurechnen lassen muß (aus § 164 III BGB zu entnehmender Rechtsgedanke). 237 Eine solche Zurechnungsanordnung läßt sich jedoch nicht auf § 28 II BGB stützen. Ratio legis des 235 Die folgenden Ausführungen geltend entsprechend fiir die parallelen Vorschriften der§§ 125 II S. 3 HGB, 78 II S. 2 AktG, 35 II S. 3 GmbHG und 25 I S. 3 GenG. 236 Bei den Wissenserklärungen geht es z. B. um Auskünfte in Erfiillung bestimmter (meist) versicherungsrechtlicher Obliegenheiten, vgl. Schilken, Wissenszurechnung, s. 155. 237 Vgl. S. 140 ff. 23*
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§ 28 II BGB ist, wie gesehen, der Verkehrsschutz. Derjenige, der eine Wissenserklärung gegenüber einer juristischen Person abgeben möchte, soll geschützt werden. Es geht jedoch nicht mehr um Verkehrsschutz, wenn der Inhalt der Wissenserklärung der juristischen Person auch gegenüber anderen Dritten als dem Erklärenden zugerechnet wird. Diese bedürfen gegenüber der juristischen Person keines besonderen Schutzes. Insofern führen die unterschiedlichen rationes legis der §§ 28 II, 164 III BGB also im Rahmen der Lückenausfiillung zu jeweils anderen Rechtsfolgen. Während bei dem aus § 164 III BGB zu entnehmendem Rechtsgedanken die Zurechnung auf dem eigenen Willen, der privatautonomem Selbstbestimmung des Geschäftsherrn beruht, und auch nur dann erfolgt, wenn ein solcher Wille festzustellen ist, rechtfertigt die ratio legis des § 28 II BGB, der Verkehrsschutz, nur die Zurechnung des Wissens gegenüber dem Erklärenden. Methodisch handelt es sich hier um eine analoge Anwendung des § 28 II BGB und nicht die Entwicklung eines Rechtsgedankens aus der Vorschrift, da die exakte Rechtsfolge der Vorschrift, die Wirksamkeit einer Willenserklärung gegenüber einer juristischen Person, übertragen wird. Die Wissenserklärung wirkt fiir und gegen die juristische Person. 3. Ergebnis
Über § 28 II BGB analog wirken Wissenserklärungen, die gegenüber einem von mehreren Organmitgliedern abgegeben werden, fiir und gegen·die juristische Person. Eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung läßt sich jedoch entgegen zahlreicher Stimmen in Rechtsprechung und Literatur nicht auf § 28 II BGB stützen.
VI. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Vertrauensgedanken
Die handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern wird auch auf den Vertrauensgedanken gestützt. 238 Gegen die Begründung einer handlungsunabhängigen Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern über den Vertrauensgedanken sprechen jedoch die Gesichtspunkte, die bereits gegen eine handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber
238 Vgl. Grunewald, FS Beusch, S. 301,302 ff.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26; ders., JZ 1996, 734 ff.; ders., BGH EWiR § 463 BGB 1/96, 585 f.; Sieger, Wissen der juristischen Person, S. 104.
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HUfspersonen über den Vertrauensgedanken sprachen. 239 Es fehlt auch bei Nichtorganisation des Austausches von Organwissen jedenfalls an einem venire contra factum proprium, einem extremen Selbstwiderspruch der juristischen Person. 240 Dies ist aber entscheidende Voraussetzung fiir die Vertrauenshaftung kraftrechtsethischer Notwendigkeit.241
VII. Die Lösung über das Gleichstellungsargument Unter IV wurden die Vorschläge in der Literatur verworfen, die die handlungsunabhängige Zurechnung von Organwissen auf § 31 BGB stützen. In anderer Form läßt sich gleichwohl fiir die Frage der Zurechnung des Organwissens an die Vorschrift des § 31 BGB anknüpfen. Wie bei der Erörterung des Gleichstellungsarguments im Rahmen der Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher HUfspersonen gesehen, 242 liegt § 31 BGB nämlich der Gedanke der Gleichstellung der juristischen Person mit der natürlichen Person mit HUfspersonen zugrunde. 243 Dieser Gleichstellung dient auch die Ausgestaltung der Vertretungsordnung bei der juristischen Person. 244 Die Gleichstellung wurde schließlich als sachlich überzeugend erkannt. 245 Von diesem Gleichstellungsargument ist daher fiir die Ausgestaltung der Zurechnung des Organwissens auszugehen.246 Auf seiner Basis soll im folgenden ein Zurechnungsmodell fiir das Organwissen entwickelt werden; zunächst fiir die juristische Person mit einem einköpfigen Vertretungsorgan247, sodann für die juristische Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan248. Das Gleichstellungsargument in der Form der Gleichstellung der juristischen Person mit der Einzelperson mit HUfspersonen gilt dabei in allen Bereichen, also auch bei der arbeitsteiligen Leistungserbringung, 249 denn auch bei der Leistungserbringung durch eine juristische Per239 Vgl. daher S. 210 ff. 240 Vgl. hierzu ausführlich bei der Erörterung der Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher Hilfspersonen über den Vertrauensgedanken, S. 222. 241 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 531. 242 Vgl. S. 183. 243 Vgl. dazu auch Staudinger/Coing, § 31 Rdnr. 33; Nitschke, NJW 1969, 1737, 1739; Martinek, Repräsentantenhaftung, S. 32 ff., 179. 244 Vgl. S. 182. 245 Vgl. S. 184 f. 246 Vgl. schon S. 185 f. 247 Vgl. unter 1. 248 Vgl. unter 2. 249 Das Gleichstellungsargument in der Form der Gleichstellung der Einzelperson mit Hilfsperson mit der einzigen Einzelperson galt nicht für die Leistungserbringung, da ar-
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son ood durch eine Einzelperson mit Hilfspersonen handelt es sich wertWlgsmäßig gleiche Tatbestände -nämlich gerade um arbeitsteilige LeistWlgserbrin-
goog.
1. Juristische Person mit einköpfigem Vertretungsorgan und Einzelperson mit Hilfspersonen Ausgehend von der Gleichstelloog der juristischen Person mit der natürlichen Person mit Hilfspersonen soll noo ZWlächst ein Zurechnoogssystem für das Organwissen bei der juristischen Person mit einköpfigem VertretWlgsorgan entwickelt werden. Wegen der Gleichstelloog kommen fiir das Organwissen bei der juristischen Person mit einköpfigem VertretWlgsorgan genau dieselben Zurechnoogsregeln wie fiir das Wissen der Einzelperson als Geschäftsherr bei der Einzelperson mit Hilfspersonen zur Anwendoog. In beiden Fällen wird nämlich die zentrale Geschäftsherrnposition von einer einzigen natürlichen Person wahrgenommen. 250 Im folgenden soll ZWlächst stets die Zurechnoogsregel fiir die Einzelperson mit Hilfspersonen - als Geschäftsherr - erarbeitet werden, die einzelnen Zurechnoogsregeln sollen sodann auf die juristische Person mit einköpfigem VertretWlgsorgan übertragen werden. Es ergeben sich fiir die Einzelperson mit Hilfspersonen wie fiir die juristische Person mit einköpfigem VertretWlgsorgan folgende Zurechnoogsregeln: a) Zurechnoog des Wissens der selbst handelnden Einzelperson ood des selbst handelnden Organmitgliedes Handelt die Einzelperson selbst oder ist sie an einer Handloog beteiligt, so ist ihr Wissen fiir die Bestimmoog der Rechtsfolgen dieser Handloogen zuzurechnen. Insofern handelt es sich um einen Fall handloogsabhängiger Wissenszurechnoog. Das Wissen des einzigen Organs wird daher fiir seine eigenen Handloogen ood solche, an denen es beteiligt war, zugerechnet. 251 Es kann dahinstehen, ob sich dies bereits aus der Organstelloog selbst ergibt oder über den
beitsteilige Leistwtgserbringwtg typischerweise etwas wertwtgsmäßig anderes als Leistwtgserbringwtg durch eine Einzelperson ist, vgl. S. 186 ff. 250 So mag es oftmals - aus der Sicht der Wissenszurechnwtg - vom Zufall abhängen, ob eine Einzelperson sich als juristische Person (GmbH) organisiert. Die nachfolgenden Überlegwtgen gelten auch fiir den Fall, daß die juristische Person lediglich über ein einköpfiges Vertretwtgsorgan verfUgt, dieses aber nicht alleine die Anteile an der juristischen Person hält. Auch insofern handelt es sich um dieselbe tatsächliche Situation. 251 Vgl. auch schon S. 350.
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Rechtsgedanken des § 166 I BGB zu begründen ist. 252 Jedenfalls wird es durch das Gleichstellungsargument gefordert. b) Zurechnung des Wissens der anweisenden Einzelperson und des anweisenden Organmitgliedes Weist eine Einzelperson eine Hilfsperson an, so ist über § 166 II BGB oder den Rechtsgedanken des § 166 II BGB das Wissen der Einzelperson zur Bestimmung der Rechtsfolgen der HandlWlg der Hilfsperson zuzurechnen. Dies gilt entsprechend auch fiir das anweisende einzige Organmitglied.253 c) Wissen der Einzelperson Wld der juristischen Person an sich Ist Wissen an sich relevant, so ist das Wissen der Einzelperson mit HUfspersonen natürlich ihr Wissen. Der juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan ist wegen der GleichstellWlg das Wissen ihres einzigen Organmitgliedes ebenfalls stets als eigenes zuzurechnen. Für eine Zurechnung des Wissens des einzigen Organmitgliedes über den § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken (Zurechnm1g des Wissens eines "Wissensempfangsvertreters") besteht dann darüber hinaus kein Bedürfuis, da der juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan das Wissen des einzigen Organmitgliedes wegen des Gleichstellungsarguments stets als eigenes Wissen zuzurechnen ist, der aus § 164 III BGB zu entnehmende. Rechtsgedanken aber auch nur die ZurechnWlg von Wissen als eigenem Wissen des Geschäftsherrn, der juristischen Person, anordnet. Grundsätzlich gilt, daß sich die Frage, ob die Einzelperson ihr tatsächliches Wissen vergessen hat, individuell danach bestimmt, ob es tatsächlich vergessen ist. Dies gilt dann wegen des Gleichstellm1gsarguments auch fiir das tatsächliche Wissen des einzigen Organmitgliedes. Eine Besonderheit ergibt sich fiir die juristische Person, wenn das wissende einzige Organmitglied ausscheidet. Der Fall des Ausscheidens des einzigen Organmitgliedes ist nicht mit dem Tod der Einzelperson vergleichbar - dieser führt zwn Vergessen aller Informationen. Die juristische Person besteht aber fort, "lebt" weiter. In diesen Fällen ist über ein bewegliches System mit den üblichen Kriterien zu bestimmen, ob sich eine juristische Person von ihrem einzigen, aber ausgeschiedenen Organmitglied tatsächlich erworbenes Wissen weiter als eigenes Wissen verfügbar zu halten Wld bei schuldharter Nichtverfügbarkeit zu252 Eine handlungsabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung (vgl. S. 308 ff.) scheidet aus, da das einzige Organmitglied stets über eine hinreichende Eigenständigkeit verfügt. 253 Vgl. schon S. 351.
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rechnen zu lassen hat. 254 Die juristische Person schafft das Risiko des vorzeitigen Organwechsels, für dieses muß sie dann nach den allgemeinen Regeln einstehen. d) Handlungsw1abhängige Zurechnung des Wissens der Einzelperson und des Organmitgliedes wegen Risikoschaffung In § 4 C V wurde ausgehend von der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch den arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson und dem Prinzip der Verantwortung für die Schaffung eines Risikos eine Pflicht entwickelt, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten. Das Risiko der Aufspaltung dienstlich erlangten Wissens entsteht bei Einsatz von Hilfspersonen jedoch nicht nur hinsichtlich des Wissens der Hilfspersonen, sondern auch hinsichtlich des Wissens des Geschäftsherm. So kann auch dieser Wissen erwerben, das wegen der Arbeitsteilung dann im folgenden einer Hilfsperson, die für ihn tätig wird, tatsächlich nicht verfiigbar ist. Dies ist immer dann möglich, wenn der Geschäftsherr nicht lediglich Leitungsaufgaben übernimmt, sondern selbst arbeitsteilig tätig ist.
Allerdings entsteht hinsichtlich des dienstlich erlangten Wissens der Einzelperson mit Hilfspersonen oder des einzigen Organmitgliedes, das bei der juristischen Person die Geschäftsherrnposition innehat, nur das gerade beschriebene Risiko, daß Wissen wegen der Arbeitsteilung nicht einer handelnden Hilfsperson verfiigbar ist. Da Wissen der Einzelperson stets ihr Wissen und Wissen des einzigen Organmitgliedes stets Wissen der juristischen Person ist,255 besteht in den Fällen der Relevanz von Wissen an sich hingegen nicht das Risiko der Wissensaufspaltung. Insofern fehlt es also bereits an einer Lücke für die Rechtsfortbildung aufgrund des Prinzips der Verantwortung für die Schaffung eines Risikos. Da es sich im übrigen um das allgemeine Risiko der Wissensaufspaltung bei Arbeitsteilung handelt, gelten die oben angestellten Überlegungen zur Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen wegen Risikoschaffung entsprechend. 256 Sofern sich aus der konkreten Wissensnorm daher - wie regelmäßig257 - keine speziellen Zurechnungsregeln ergeben, trifft die Einzelperson mit Hilfspersonen und die juristische Person mit einem einköpfigen Vertretungsorgan daher ggf.
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Vgl. grundlegend für das bewegliche System S. 279 ff.; für das Verschulden
s. 294 f.
Vgl. gerade unter c. Vgl. S. 264 ff. 257 Vgl. S. 278 f. 255
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die Pflicht, arbeitsteilig erworbenes Wissen der Einzelperson oder des einzigen Organs der juristischen Person (Wlterorganschaftlichen) Hilfspersonen verfügbar zu machen Wld zu halten. Ob eine Pflicht besteht, Wissen verfügbar zu machen, Wld wie lange das Wissen verfügbar zu halten ist, bestimmt sich jeweils über die Kriterien eines beweglichen Systems.258 Ist die Pflichtschuldhaft verletzt, so ist das Wissen gleichwohl zur BestimmWlg der Rechtsfolgen der HandlWlg der Hilfsperson zuzurechnen. 259 Sofern bei ErfüllWlg der Pflicht die Hilfsperson arglistig gehandelt hätte, ist bei schuldhafter Verletzung der Pflicht auch von Arglist auszugehen. 260 Eine Besonderheit ergibt sich für das Verschulden. Verschulden der Einzelperson kommt in zweifacher Form in Betracht. Sie kann zum einen trotz hinreichender organisatorischer Maßnahmen schuldhaft die Weitergabe einer Information versäumt haben. Schuldhaft handelt sie zum anderen auch dann, wenn sie keine organisatorischen Maßnahmen zur WeiterleitWlg von Informationen trifft. So ist auch einer juristischen Person wegen des GleichstellWlgsarguments über § 31 BGB oder §§ 31, 278 BGB261 das Verschulden ihres einzigen Organmitgliedes in den beiden genannten Fällen zuzurechnen. Das Organverschulden wird also strikt im rechtsgeschäftliehen wie im nicht-rechtsgeschäftliehen Bereich zugerechnet. e) Das ZurechnWlgsmodell für das Wissen der Einzelperson mit Hilfspersonen Wld das Wissen des einzigen Organs einer juristischen Person Das Wissen der Einzelperson mit Hilfspersonen Wld das Wissen des einzigen Organmitglieds einer juristischen Person ist also stets zur BestimmWlg der Rechtsfolgen der HandlWlgen Wld WeisWlgen der Einzelperson oder des Organs zuzurechnen. 262 Es ist zudem stets Wissen der Einzelperson oder der juristischen Person, sofern Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst. Darüber hinaus kommt eine ZurechnWlg des Wissens der Einzelperson oder des einzigen Organmitgliedes nur in Betracht, wenn die Einzelperson oder das Organmitglied Wissen bei einer arbeitsteiligen Tätigkeit erworben hat, deshalb eine Pflicht besteht, dieses Wissen (Wlterorganschaftlichen) Hilfspersonen verfügbar zu machen Wld zu halten, Wld diese Pflicht schuldhaft verletzt wurde. Letzteres setzt voraus, daß sich aus der konkreten Wissensnorm keine speziellen ZurechnWlgsregeln ergeben.
Vgl. S. 267 ff., 279 ff. Vgl. S. 290 ff. 260 Vgl. S. 300 f. 261 Vgl. fiir diesen Streit, auf den es hier im Ergebnis nicht ankommt, S. 182 f. 262 Bei der Einzelperson handelt es sich natürlich nicht eigentlich um Zurechnung. 258
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Teil II: Zurechnung von Wissen
t) Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" bei der Einzelperson mit HUfspersonen Wld der juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan
Zugerechnet wird für die Handlungen und Weisungen der Einzelperson mit HUfspersonen Wld des einzigen Organmitgliedes einer juristischen Person auch das der Einzelperson mit Hilfspersonen Wld der juristischen Person über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zu einer bestimmten Zeit263 als eigenes zuzurechnende Wissen von "Wissensempfangsvertretern". Es geht also nicht um die Zurechnung von Wissen der Einzelperson und des einzigen Organs, sondern um die Zurechnung des Wissens Dritter zur Bestimmung der Rechtsfolgen von Handlm1gen und Weism1gen von Einzelperson mit Hilfspersonen Wld einzigem Organ. Für die Einzelperson folgt die Zurechnung unproblematisch daraus, daß diese Geschäftsherr ist, diesem aber das ihm über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB als eigenes zuzurechnende Wissen zur Bestinunung der Rechtsfolgen seiner Handlungen und Weism1gen zuzurechnen ist. 264 Die Zurechnung für die Handlungen und Weisungen des einzigen Organs folgt dann aus dem Gleichstellungsargument. Sofern der Einzelperson aufgrund schuldhaften Verhaltens für ihre Handlungen und Weism1gen das ihr als eigenes zurechenbare Wissen nicht verfiigbar ist, bei Verfiigbarkeit aber auf Arglist zu schließen wäre, ist für diese Handlungen und Weisungen von Arglist auszugehen. 265 Dies gilt entsprechend für die juristische Person mit einköpfigem Vertretungsorgan. Das der Einzelperson mit Hilfspersonen und der juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan als eigenes zurechenbare Wissen unterorganschaftlicher "Wissensempfangsvertreter" ist diesen schließlich zuzurechnen, sofern es aufWissen an sich ankommt.266 Ob das über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken der Einzelperson mit Hilfspersonen oder der juristischen Person als eigenes zuzurechnende Wissen juristisch vergessen ist, bestinunt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems. Über dieses ergibt sich, wie lange das Wissen ver263 Damit Wissen zeitlich nach Kenntniserwerb zuzurechnen ist, muß die Nichtverfiigbarkeit zu dieser Zeit verschuldet sein, vgl. für das Vergessen von Wissen der "Wissensempfangsvertreter" S. 147 ff. 264 Vgl. bei der Entwicklung des aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedankens, S. 146. 265 Für die Sonderfrage der Arglist gelten natürlich auch hier die allgemeinen Ausführungen bei der Entwicklung der Figur des "Wissensempfangsvertreters", vgl. S. 150 ff. 266 Vgl. hierfür ebenfalls schon bei der Entwicklung des aus § 164 III BGB zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens, S. 146 f.
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fiigbar zu halten und bei verschuldeter Nichtverfiigbarkeit zuzurechnen ist. 267 Anders ist es, wenn das über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken der Einzelperson als eigenes zuzurechnende Wissen der Einzelperson von ihrem "Wissensempfangsvertreter" tatsächlich mitgeteilt wurde. Dann kommt es wieder auf das individuelle Vergessen an. 268 Wegen des Gleichstellungsarguments kommt es auch auf das individuelle Vergessen des einzigen Organmitgliedes an, wenn diesem von dem "Wissensempfangsvertreter" der juristischen Person über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnendes Wissen mitgeteilt wird. 269 2. Juristische Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan Läßt sich also mit dem Gleichstellungsargument ohne größere Probleme eine Zurechnungskonzeption fiir das Organwissen bei einer juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan entwickeln, so ist fiir die juristische Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan die Gleichstellung mit der Einzelperson mit HUfspersonen problematischer. Hier ist das Organwissen gegenüber dem Wissensstand einer Einzelperson mit HUfspersonen zugleich aufgespalten und vermehrt. Gemeinsam verfiigen die Organmitglieder nämlich typischerweise über mehr Wissen als eine Einzelperson. Dieses Mehr an Wissen ist aber natürlich auch aufgespalten.270 Gleichwohl läßt sich fiir die Lösung des Problems der Zurechnung des Organwissens bei einem mehrköpfigen Vertretungsorgan an das Gleichstellungsargument anknüpfen. Die Gleichstellung wird auch hier nicht durch die Entwicklung spezifischer Zurechnungsregeln fiir das Organwissen erreicht; sondern 267 Vgl. S. 147 ff. 268 Vgl. S. 148 f. 269 Vgl. für den Sonderfall des vorzeitigen Ausscheidens des wissenden einzigen Organmitgliedes oben unter c. 270 Der Vergleich gestaltet sich schwieriger als der Vergleich der Einzelperson mit einer Einzelperson, die dann eine Hilfsperson einsetzt (vgl. S. 186 ff.). Solange die Einzelperson für sich handelt, weiß sie alles, was sie bei ihren Handlungen erfahrt. Es ist dann unproblematisch festzustellen, daß es durch arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson zur Wissensaufspaltung und Wissensvermehrung kommt. Die Problematik bei einem mehrköpfigen Vertretungsorgan liegt darin, daß auch bei einer Einzelperson mit Hilfspersonen das Wissen der Einzelperson wesentlich von der organisatorischen Gestaltung abhängt, also anders als beim Vergleich der Lage einer Einzelperson mit Hilfsperson mit der Lage einer einzigen Einzelperson beim Vergleich einer juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan mit einer Einzelperson mit Hilfsperson ein festes Vergleichsobjekt fehlt. Es ist dennoch möglich, eine Aussage darüber zu treffen, was typischerweise der Fall ist.
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Teil TI: Zurechnung von Wissen
dw-ch die Anwendung der allgemeinen Regeln, wenngleich bezogen auf den spezifischen Sachverhalt. a) Zw-echnung des Wissens des handelnden Organmitgliedes Auch bei einem mehrköpfigen Organvorstand ist das Wissen des handelnden Organmitgliedes zw- Bestimmung der Rechtsfolgen seiner Handlungen zuzurechnen.271 Dies ergibt sich entweder schon aus der Organstellung an sich oder aber aus § 166 I BGB.272 Darauf ob das handelnde Organmitglied Allein- oder Gesamtvertretungsmacht hat, kommt es nicht. Die die Zw-echnung des Wissens einer handelnden Person rechtfertigenden Gesichtspunkte greifen bereits ein, wenn diese an der Handlung mit anderen beteiligt ist. 273 b) Zw-echnung des Wissens des anweisenden Organmitgliedes Das Wissen eines Organmitgliedes ist der jw-istischen Person zw- Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung einer von dem Organmitglied angewiesenen Person zuzurechnen, sei diese eine unterorganschaftliehe Hilfsperson oder ein anderes Organmitglied274 (vgl. § 166 II BGB und den Rechtsgedanken des § 166 II BGB). c) Handlungsunabhängige Zw-echnung des Wissens eines Organmitgliedes über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Organmitglieder einer juristischen Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan können - anders als das einzige Organmitglied einer jw-istischen Person mit einem einköpfigen Vertretungsorgan - "Wissensempfangsvertreter" der juristischen Person sein. 275 Im Unterschied zw- Lage bei einer juristischen Person mit einem einköpfigen Vertretungsorgan ist nämlich nicht jedes Wissen der Organmitglieder als eigenes Wissen der juristischen Person anzusehen. Andernfalls würde es zw- Besserstellung eines Dritten, der es mit der jw-istischen Person zu tun hat, kommen, da die absolute Menge an Wissen in der Geschäftsherrnebene bei einer jw-istischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan größer ist als bei einer Einzelperson mit Hilfspersonen. Es ist also Raum fiir den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. Ein Organmitglied ist fiir eine bestimmte Information als "Wissensempfangsvertreter" einer jw-istischen
271
Vgl. schon oben S. 350.
272 Eine handlungsabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung scheidet
aus, da die Organmitglieder stets über eine hinreichende Eigenständigkeit verfUgen. 273 Vgl. S. 71. 274 Dies wird freilich selten der Fall sein. 275 Vgl. für den Wissensempfangsvertreter grundlegend S. 140 ff.
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Person eingesetzt, wenn die juristische Person sie gerade über das Organmitglied erlangen will. Es ist in der Regel davon auszugehen, daß die Organmitglieder für die Aufgaben als "Wissensempfangsvertreter" eingesetzt sind, für die sie speziell zuständig sind. Der juristischen Person als Geschäftsherrn ist dann das betreffende Wissen ihres organschaftliehen "Wissensempfangsvertreter" als eigenes zuzurechnen. 276 Dieses Wissen des Organs ist der juristischen Person also zunächst zuzurechnen, sofern Wissen an sich relevant ist. Es ist dieser dariiber hinaus für Handlungen und Weisungen des Geschäftsherrn zuzurechnen. Bei der juristischen Person bedeutet dies, daß dieses Wissen zur Bestimmung der Rechtsfolgen von Handlungen und Weisungen eines jeden Organmitgliedes zuzurechnen ist. Zu diesem Ergebnis kommt man, gleichgültig wie man das Handeln eines Organmitgliedes für die juristische Person einordnet. Die h. L. steht mehr oder weniger der Organtheorie anhängend auf dem Standpunkt, daß das Handeln der Organmitglieder Eigenhandeln der juristischen Person ist. 277 Handelt dann ein unwissendes Organmitglied und liegen die Voraussetzungen der Zurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken vor, so handelt doch die wissende juristische Person. Die juristische Person weiß nämlich selbst (über den Rechtsgedanken des § 164 III BGB) und sie handelt selbst (über das Organmitglied). Insbesondere von Flume wird jedoch vertreten, daß das Handeln der Organmitglieder der juristischen Person nur als fremdes angerechnet wird. 278 Gleichwohl meint auch er, daß die juristische Person ihre Handlungsfähigkeit durch ihre Organe erlangt. 279 Auch von diesem Standpunkt aus, kommt man deshalb hier zur Zurechnung. Dies zeigt folgende Überlegung: Über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken weiß die juristische Person selbst. Geht man nun davon aus, daß die juristische Person nicht selbst handlungsfahig ist, sondern die Handlungsfahigkeit durch ihre Organe erlangt, so muß sich die juristische Person auch ihr eigenes Wissen für die Handlung ihrer Organe zurechnen lassen. Andernfalls würde sie den Vorteil eigener, wenn auch vermittelter eigener Handlungsfahigkeit nutzen, ohne den an sich notwendigen Nachteil eigener Handlungsfahigkeit, nämlich die Zurechnung eigenen Wissens für die eigenen Handlungen hinnehmen zu müssen. Die Zurechnung ist dann zwar keine logische Konsequenz aus dem Wesen der Organstellung, aber gleichwohl die einzig sachgemäße Wertung.
Vgl. S. 146. Vgl. z. B. BGHZ 98, 148, 151; Larenz, AT, S. 134 f.; Soerge//Hadding, § 26 Rdnr. 2 und§ 31 Rdnr. 1; Palandt/Heinrichs, § 26 Rdnr. 1 und§ 31 Rdnr. 1. 278 AT I/2, S. 377. 279 AT I/2, S. 377. 276
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Die Dauer der Zurechnung ist unabhängig vom Vergessen des konkreten Organmitgliedes und bestimmt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems.280 Ist die Pflicht, das Wissen zu einer bestimmten Zeit verftigbar zu halten, schuldhaft verletzt, so ist es gleichwohl zuzurechnen. 281 Wäre bei tatsächlicher Verftigbarkeit des der juristischen Person als eigenes zurechenbaren Wissens ftir das handelnde oder anweisende Organmitglied auf Arglist zu schließen, so ist bei schuldhafter Nichtverftigbarkeit des Wissens ftir das handelnde oder anweisende Organmitglied ebenfalls von Arglist auszugehen. 282 d) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes wegen Risikoschaffung Schließlich ist auch das Wissen der Mitglieder mehrköpfiger Vertretungsorgane einer juristischen Person ggf. über eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzurechnen. Bei einer juristischen Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan stellt sich das Problem der arbeitsteilig bedingten Wissensaufspaltung und Wissensvermehrung in doppelter Form. Soweit die Organmitglieder am allgemeinen arbeitsteiligen Prozeß beteiligt sind, also keine spezifischen Leitungsaufgaben wahrnehmen, entsteht zunächst das allgemeine Risiko, daß dienstlich erworbenes Wissen aufgespalten wird. 283 Zusätzlich kommt es bei einem mehrköpfigen Vertretungsorgan zur Wissensaufspaltung und Wissensvermehrung in der Leitungsebene. Durch ein mehrköpfiges Leitungsorgan wird also speziell das Risiko der Wissensaufspaltung in der Leitungsebene geschaffen. Praktisch lassen sich die Fälle der allgemeinen Wissensaufspaltung wegen Arbeitsteilung und der Wissensaufspaltung in der Leitungsebene jedoch nur schwer trennen, weil Leitung und allgemeine arbeitsteilige Aktivität regelmäßig ineinander übergehen. Da in beiden Fällen das allgemeine Prinzip der Verantwortung ftir die Schaffung eines Risikos gilt, kann hier auf eine Abgrenzung verzichtet werden. Aus dem allgemeinen Prinzip der Verantwortung ftir die Schaffung eines Risikos ergibt sich ftir beide Fälle, daß die juristische Person, die über ein mehrköpfiges Vertretungsorgan verfUgt, mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand daftir Sorge zu tragen hat, daß sich das Risiko der Wissensaufspaltung nicht zu
280 Vgl. insofern die Ausführungen über das Vergessen bei Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechsgedanken S. 147 ff. Die juristische Person vergißt durch Tod erst, wenn sie liquidiert ist. 281 Vgl. S. 150. 282 Vgl. S. 150 ff. 283 Nur dieses Risiko besteht bei einem einzigen Organmitglied, vgl. S. 360 f.; vgl. allgemein fiir dieses Risiko S. 254 ff.
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Lasten Dritter realisiert. Sie hat also Wissen verfiigbar zu machen Wld zu halten. Die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen Wld zu halten, ist hier erneut - anders als bei der Einzelperson mit Hilfspersonen und der juristischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan - fiir die Fälle der Relevanz von Wissen an sich284 und der Relevanz von Wissen in Verbindung mit einer Handlung von Bedeutung. Es besteht bei der juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan wiederum eine Lücke in beiden Fällen, da Wissen der Organmitglieder nicht stets Wissen der juristischen Person ist. Es kann daher an die allgemeinen AusfiihrWlgen zur Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung angeknüpft werden. 285 Sofern sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm - wie regelmäßig286 - keine speziellen Zurechnungsregeln ergeben, bestimmt sich, ob eine Pflicht besteht, Wissen verfügbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems.287 Über das bewegliche System ergibt sich dann auch, ob das Wissen lediglich einem anderen handelnden oder zuständigen Organmitglied288 oder auch einer anderen handelnden oder zuständigen unterorganschaftlichen Hilfsperson289 verfiigbar zu machen ist. 290
284 In den Fällen der Relevanz von Wissen an sich ist fraglich, ob eine Pflicht besteht, daß Wissen der zuständigen Person, sei es ein Organmitglied oder eine unterorganschaftliche Hilfsperson, verfügbar zu machen. Das Wissen des zuständigen Organmitgliedes oder der zuständigen unterorganschaftliehen Hilfsperson ist der juristischen Person als eigenes zuzurechnen, weil die zuständige Person als "Wissensempfangsvertreter" - aus § 164 ill BGB zu entnehmender Rechtsgedanke - anzusehen ist; vgl. fiir die Konstruktion schon S. 192. 285 Vgl. S. 264 ff. 286 Vgl. S. 278 ff. 287 Vgl. S. 267 ff. 288 Dies kann der Fall sein, sofern es sich um das Risiko der Wissensaufspaltung in der Leitungsebene und das allgemeine Risiko der Wissensaufspaltung wegen Beteiligung am arbeitsteiligen Prozeß handelt. 289 Dies ist nur der Fall, wenn es sich um das allgemeine Risiko der Wissensaufspaltung wegen Beteiligung am arbeitsteiligen Prozeß handelt. 290 Die jeweils zuständige Person ist als "Wissensempfangsvertreter" der juristischen Person anzusehen, ihr Wissen daher Wissen der juristischen Person auch in den Fällen der Relevanz von Wissen an sich.
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Teil li: Zurechnung von Wissen
Auch wie lange, das Wissen verfiigbar zu halten ist, bestimmt sich wieder über die Kriterien eines beweglichen Systems.291 Ist die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, schuldhaft verletzt, so muß sich die juristische Person das relevante Wissen gleichwohl fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen oder als Wissen an sich zurechnen lassen. 292 Wäre bei Verfiigbarkeit des Wissens fiir die handelnde Person auf Arglist zu schließen, so ist bei schuldhafter Verletzung der Pflicht, das Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, von Arglist auszugehen.293 Eine Besonderheit ergibt sich hinsichtlich des Verschuldens. War das Verschulden unterorganschaftlieber Hilfspersonen nur im vertraglichen und quasivertraglichen Bereich über§ 278 BGB zurechenbar, so ist das Verschulden der Organmitglieder der juristischen Person stets strikt über § 31 BGB oder §§ 31, 278 BGB294 zuzurechnen. Das Verschulden der Organmitglieder kann dabei in zweifacher Form der juristischen Person zugerechnet werden. Sind organisatorische Maßnahmen getroffen, um Wissen verfiigbar zu machen, versagen diese aber wegen schuldhaften Verhaltens eines Organmitgliedes im Einzelfall, so ist dieses schuldhafte Verhalten zuzurechnen. Das Verschulden der Organmitglieder ist der juristischen Person aber auch fiir den Fall zuzurechnen, daß keine organisatorischen Maßnahmen getroffen wurden, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten. Adressat der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, ist nämlich die juristische Person. Die juristische Person erlangt zwnindest ihre Handlungsfahigkeit durch ihr Vertretungsorgan. 295 Dieses erfiillt daher auch die Pflichten fiir die juristische Person. Treffen die Organmitglieder daher schuldhaft keine oder nur ungenügende organisatorische Maßnahmen, so ist dieses Verschulden der juristischen Person ebenfalls über § 31 BGB oder §§ 278, 31 BGB zuzurechnen. e) Zusammenfassung Einer juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan ist das Wissen der handelnden Organmitglieder fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen dieser Organmitglieder zuzurechnen. Ihr ist ebenso das Wissen der Organmitglieder zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen von durch die Organmitglieder angewiesenen Handlungen zuzurechnen. 291 Vgl. S. 279 ff. Die juristische Person vergißt - wie bereits gesehen - durch Tod erst, wenn sie liquidiert ist, vgl. S. 286 f. 292 Vgl. S. 290 ff. 293 Vgl. S. 295 ff. 294 Vgl. S. 182 f. für die streitige Frage, ob Organverschulden stets über § 31 BGB oder über§§ 31,278 BGB zuzurechnen ist. 295 Siehe gerade unter c.
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Der juristischen Person ist Wissen der Organmitglieder, die von ihr gerade zum Erwerb bestimmter Infomationen, also als "Wissensempfangsvertreter", eingesetzt wurden, als eigenes zuzurechnen (aus § 164 III BGB zu entnehmender Rechtsgedanke). Das ihr so als eigenes zuzurechnende Wissen muß sich die juristische Person in den Fällen der Relevanz von Wissen an sich und für Handlungen und Weisungen ihrer Organmitglieder zurechnen lassen. Wie lange das der juristischen Person als eigenes zuzurechnende Wissen verfiigbar zu halten ist, bestimmt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems. Bei schuldhafter Nichtverfilgbarkeit ist es gleichwohl zuzurechnen. Sofern sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm - wie regelmäßig keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, trifft die juristische Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan wegen der Verantwortung für Risikoschaffung darüber hinaus die Pflicht, mit angemessenem, zuroutbarem Aufwand arbeitsteilig erworbenes Wissen ihrer Organmitglieder anderen handelnden oder zuständigen Organmitgliedern oder anderen handelnden oder zuständigen unterorganschaftliehen HUfspersonen verfiigbar zu machen und zu halten (handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffi.mg). Ist diese Pflicht schuldhaft verletzt, so ist das Wissen gleichwohl zuzurechnen. f) Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" bei der juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan Zugerechnet wird für die Handlungen und Weisungen der Organmitglieder der juristischen Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan das der juristischen Person über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zu einer bestimmten Zeit296 als eigenes zuzurechnende Wissen von unterorganschaftlichen "Wissensempfangsvertretern". Insofern macht es keinen Unterschied, ob der "Wissensempfangsvertreter" eine unterorganschaftliehe HUfsperson oder ein Organmitglied ist. 297 Es geht also nicht um die Zurechnung von Wissen der Organmitglieder, sondern um die Zurechnung des Wissens Dritter zur Bestimmung der Rechtsfolgen von Handlungen und Weisungen der Organmitglieder. Sofern dem handelnden oder anweisenden Organmitglied wegen schuldhaften Verhaltens das der juristischen Person als eigenes zurechenbare
296 Damit Wissen zeitlich nach Kenntniserwerb zuzurechnen ist, muß die Nichtverfügbarkeit zu dieser Zeit verschuldet sein, vgl. für das Vergessen von Wissen der "Wissensempfangsvertreter" S. 147 ff. 297 Vgl. gerade unter c für die Zurechnung des Wissens organschafUicher "Wissensempfangsvertreter". 24 Baum
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Teil II: Zurechnung von Wissen
Wissen nicht verfügbar ist und bei Verfiigbarkeit von Arglist auszugehen wäre, ist für die Handlung und Weisung auch von Arglist auszugehen. 298 Das der juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan als eigenes zurechenbare Wissen unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" ist dieser schließlich zuzurechnen, sofern es aufWissen an sich ankommt.299 3. Ergebnis
Mit der modernen Rechtsprechung und großen Teilen der modernen Literatur werden hier also im wesentlichen einheitliche Grundsätze für die Zurechnung des Wissens organschaftlieber und unterorganschaftlieber Hilfspersonen befürwortet. 300 Das Problem des Organwissens ist auch ohne die Entwicklung spezieller Zurechnungsvorschriften für dieses sachgerecht lösbar. Vlll. Zurechnung des Wissens anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter
Für die Zurechnung des Wissens anderer verfassungsmäßiger Vertreter gelten wegen der Gleichstellung mit Mitgliedern des Vertretungsorgans in § 31 BGB ebenfalls die Regeln über die Zurechnung des Organwissens bei einer juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan301 , also im wesentlichen dieselben Regeln wie bei unterorganschaftliehen Hilfspersonen.
298 Für die Sonderfrage der Arglist gelten natürlich auch hier die allgemeinen Ausfiihrungen bei der Entwicklung der Figur des "Wissensempfangsvertreters", vgl. S. 150 ff. 299 Vgl. hierfür ebenfalls schon bei der Entwicklung des aus § 164 III BGB zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens S. 146. 300 Ein wichtiger Unterschied ist die Verschuldenszurechnung im Rahmen der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten. Das Verschulden unterorganschaftlieber Hilfspersonen ist über § 278 BGB nur bei Bestehen einer Sonderverbindung zuzurechnen, im deliktischen Bereich ist Versagen einer Hilfsperson hingegen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 831 BGB analog erheblich (vgl. S. 302 ff.). Die juristische Person hat für das Versagen ihrer Organe über§ 31 BGB oder§§ 31, 278 BGB hingegen stets einzustehen (vgl. S. 361, 368). 301 Auch bei lediglich einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter gelten für diesen die Regeln über die Zurechnung des Organwissens bei einer juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan, da dieser nicht alleine die zentrale Geschäftsherrnposition innehat.
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IX. Zurechnung des Wissens der Mitglieder von Aufsichtsorganen Ob und in welchem Umfang das Wissen der Mitglieder von Aufsichtsorganen zuzurechnen ist, ist in der Literatur umstritten. 302 Nach dem hier befiirworteten Zurechnungsmodell, das an die Art der Information und die Art ihrer Erlangung anknüpft, ist die Streitfrage jedoch nicht sonderlich problematisch. Das Wissen einzelner Aufsichtsratsmitglieder oder einzelner Mitglieder der Gesellschafterversammlung oder der Hauptversammlung ist der juristischen Person zuzurechnen, wenn einer der Zurechnungsgründe, der die Zurechnung von Organwissen bei juristischen Personen mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan rechtfertigt, vorliegt. Problematisch wird in der Regel sein, ob die wissende Person fiir den Geschäftsherrn, die juristische Person, gehandelt oder angewiesen hat303 oder ihr Wissen bei Handeln fiir die juristische Person erworben hat304. Das Verschulden der Mitglieder der Aufsichtsorgane ist über § 31 BGB analog oder §§ 31 BGB analog, 278 BGB3°5 zuzurechnen. 306 Grundsätzlich ergeben sich jedoch keine Besonderheiten.
X. Der Anwendungsbereich der Zurechnungsmodelle 1. Geltung für alle juristischen Personen Die so erarbeiteten Zurechnungsmodelle fiir juristische Personen mit einbzw. mehrköpfigem Vertretungsorgan kommen, wie bereits deutlich wurde, nicht nur bei Vereinen, sondern bei jeder Art juristischer Person, also auch Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften zur Anwendung. Im Regelfall verfUgen juristische Personen über mehrköpfige Vertretungsorgane.307
302 Vgl. z. B. Wiesner, BB 1981, 1533, 1537; Lüders, BB 1990, 790, 795. 303 So für die Zurechnung über die aus § 166 I, II BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. 304 So für die Zurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken und die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung; es müssen natürlich auch die übrigen Voraussetzungen des jeweiligen Zurechnungsgrundes vorliegen. 305 Auf den Streit über die Reichweite des § 31 BGB kommt es hier nicht an, vgl. für diesen S. 182 f. 306 Vgl. Palandt/Heinrichs, § 31 Rdnr. 5 dafür, daß § 31 BGB auf Mitglieder des Aufsichtsorgans entsprechende Anwendung findet. 307 Eine verbreitete Ausnahme stellt die Einmann-GmbH dar. 24*
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Teil li: Zurechnung von Wissen
2. Geltungfor alle Organisationsformen
Die hier erarbeiteten Zurechnungsmodelle für juristische Personen mit einoder mehrköpfigem Vertretungsorgan beruhen nicht auf metaphysischen Überlegungen zur Organstellung, sondern gründen auf allgemein bei ein- oder mehrköpfigen Vertretungs- oder Leitungsorganen gültigen Wertungen. Sie kommen daher in gleicher Weise auf andere Organisationsformen mit einem ein- oder mehrköpfigen Vertretungs- oder Leitungsorgan zur Anwendung, so auf Personenhandelsgesellschaften und 8GB-Gesellschaften. a) Geltung bei einköpfigem Vertretungsorgan Hat eine Gesellschaft lediglich ein einköpfiges Vertretungsorgan, so eine Kommanditgesellschaft lediglich einen vertretungsberechtigten Komplementär, dann richtet sich die Zurechnung des Wissens dieses Gesellschafters nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung bei einer juristischen Person mit einem einzigen Organmitglied bzw. bei einer Einzelperson mit Hilfspersonen. Für jede Organisationsform mit einköpfigem Vertretungsorgan gilt nämlich die Gleichstellung mit der Einzelperson mit Hilfspersonen. Es kann daher auf die oben erarbeiteten Zurechnungsgrundsätze verwiesen werden. 308 Zuzurechnen ist das Wissen des einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters also in folgenden Fällen. aa) Zurechnung des Wissens des selbst handelnden Gesellschafters
Handelt der einzige vertretungsberechtigte Gesellschafter selbst, so ist sein Wissen handlungsabhängig zuzurechnen.309 Dies läßt sich jedenfalls auf den Rechtsgedanken des § 166 I BGB stützen. 310 bb) Zurechnung des Wissens des anweisenden Gesellschafters
Weist der einzige vertretungsberechtigte Gesellschafter eine unterorganschaftliche Hilfsperson an, so ist sein Wissen über § 166 li BGB oder den Rechtsgedanken dieser Vorschrift zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung der Hilfsperson zuzurechnen. 3 11
Vgl. S. 358 ff. Vgl. S. 358 f. 310 Es kann dahinstehen, ob wegen der organähnlichen Stellung des einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters die Zurechnung auch auf den Organgedanken gestützt werden kann. 311 Vgl. S. 359. 308
309
§ 6 Organwissen
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cc) Wissen der Gesellschaft an sich
Ist Wissen an sich relevant, so ist Wissen des einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters Wissen der Gesellschaft.31 2 dd) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens des Gesellschafters wegen Risikoschaffung
Eine Zurechnung des Wissens des einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters kommt darüber hinaus in Betracht, wenn dieser Wissen bei einer arbeitsteiligen Tätigkeit erworben hat, deshalb eine Pflicht besteht, dieses Wissen (unterorganschaftlichen) Hilfspersonen der Gesellschaft verfiigbar zu machen und zu halten, und diese Pflicht schuldhaft verletzt wurde. 313 ee) Zurechnung des der Gesellschaft zurechenbaren Wissens unterorganschaftlicher "Wissensempfangsvertreter"
Das der Gesellschaft über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechenbare Wissen von unterorganschaftliehen "Wissensempfangsvertretem" ist fiir die Handlungen und Weisungen des einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters und bei Relevanz von Wissen an sich zuzurechnen.314 Es geht hier also nicht um die Zurechnung des Wissens des einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters, sondern um die Zurechnung des Wissens Dritter zur Bestimmung der Rechtsfolgen seiner Handlungen und Weisungen. b) Geltung bei mehrköpfigem Vertretungsorgan Der Regelfall ist aber auch bei Personenhandelsgesellschaften und anderen Organisationen ein mehrköpfiges Vertretungsorgan. Es kommen dann die Regeln über die Wissenszurechnung bei juristischen Personen mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan zur Anwendung. 315 Im einzelnen bedeutet dies folgendes:
Vgl. S. 359 f. Vgl. S. 360 f., vgl. dort auch zum Problem des Vergessensund der Arglist. 314 Vgl. S. 362 f. 315 Vgl. S. 363 ff. 312 313
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Teil 11: Zurechnung von Wissen
aa) Zurechnung des Wissens des handelnden Gesellschafters Handelt ein allein- oder gesamtvertretungsberechtigter Gesellschafter für eine Personenhandelsgesellschaft oder eine BGB-Gesellschaft316, so ist handlungsabhängig dessen Wissen zur Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung zuzurechnen.317 Dies läßt sich jedenfalls auf den Rechtsgedanken des § 166 I BGB stützen. 318 bb) Zurechnung des Wissens des anweisenden Gesellschafters Weist ein allein- oder gesamtvertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft oder einer BGB-Gesellschaft eine Hilfsperson an, so ist sein Wissen zur Bestimmung der Rechtsfolgen der angewiesenen Handlung zuzurechnen(§ 166 II BGB oder Rechtsgedanke des§ 166 II BGB).31 9 cc) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Gesellschafters über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Einer Personenhandelsgesellschaft und einer BGB-Gesellschaft kann das Wissen eines vertretungsberechtigten Gesellschafters über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnen sein. Dies ist der Fall, wenn die Personenhandelsgesellschaft oder die BGB-Gesellschaft bestimmtes Wissen gerade über einen vertretungsberechtigten Gesellschafter erlangen will, dieser also ihr "Wissensempfangsvertreter" für die Information ist. Auch dieses Wissen ist dann für Handlungen und Weisungen aller vertretungsberechtigten Gesellschafter und in den Fällen der Relevanz von Wissen an sich zuzurechnen. 320 dd) Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Gesellschafters wegen Risikoschaffung Eine Zurechnung des Wissens der vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft oder einer BGB-Gesellschaft kommt darüber 316 Die Gesellschafter der 8GB-Gesellschaft sind nicht deren Vertretungsorgan, da gemeinschaftliches Handeln der Gesellschafter Eigenhandeln der Gesamthand ist (vgl. z. B. Palandt/Thomas, § 714 Rdnr. 1), sachlich handelt es sich aber um dasselbe Problem wie bei einem mehrköpfigen Vertretungsorgan. 317 Vgl. S. 364. 318 Es kann dann dahinstehen, ob wegen der organähnlichen Position der geschäftsführenden Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften deren Wissen über den Organgedanken handlungsabhängig zuzurechnen ist. 319 Vgl. S. 364. 320 Vgl. im einzelnen, insbesondere auch ftir das Vergessen und die Arglist S. 364 ff.
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hinaus in Betracht, wenn diese Wissen bei einer arbeitsteiligen Tätigkeit für die Gesellschaft erworben haben, deshalb eine Pflicht besteht, dieses Wissen anderen handelnden oder zuständigen Gesellschaftern oder handelnden oder zuständigen (unterorganschaftlichen) Hilfspersonen der Gesellschaft verfiigbar zu machen und zu halten, und diese Pflichtschuldhaft verletzt wurde. 321
ee) Zurechnung des der Gesellschaft zurechenbaren Wissens unterorganschaftlicher "Wissensempfangsvertreter" Das der Personenhandelsgesellschaft oder der BGB-Gesellschaft über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechenbare Wissen unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter" ist für die Handlungen und Weisungen der vertretungsberechtigten Gesellschafter und bei Relevanz von Wissen an sich zuzurechnen. 322 Es geht also hier nicht um die Zurechnung des Wissens der vertretungsberechtigten Gesellschafters, sondern um die Zurechnung des Wissens Dritter zur Bestimmung der Rechtsfolgen ihrer Handlungen und Weisungen.
D. Zusammenfassung Als ein selbständiges Problem wird die Zurechnung von Organwissen diskutiert. Nachdem die Rechtsprechung lange Zeit Organwissen mit Wissen der juristischen Person gleichsetzte, hat der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren Bewegung in die Diskussion gebracht, ohne jedoch bisher zu einer einheitlichen Linie gefunden zu haben. Die Diskussion in der Literatur ist ebenfalls lebhaft und vielfältig. Die noch vorherrschende Rechtsprechung und Literatur krankt daran, daß sie die Zurechnung des Organwissens nicht als Wertungsfrage begreift, sondern metaphysische Erwägungen zum Wesen der juristischen Person und ihrer Organe anstellt. Erkennt man, daß es auch bei der Zurechnung des Organwissens um ein Wertungsproblem geht und legt man zusätzlich zugrunde, daß es sich bei der Einzelperson mit Hilfspersonen und der juristischen Person um wertungsmäßig gleiche Tatbestände, nämlich arbeitsteilige Strukturen handelt, so kommt man mit Hilfe der für die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen angestellten Überlegungen verhältnismäßig unproblematisch zu einer Lösung des Problems des Organwissens.
321
322
Vgl. S. 366 ff., dort auch für das Vergessen und die Arglist. Vgl. S. 369 f.
376
Teil li: Zurechnung von Wissen
Für die Wissenszurechnung bei jwistischen Personen ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob die jwistische Person über ein ein- oder mehrköpfiges Vertretungsorgan verfUgt. Bei einer jwistischen Person mit einem einköpfigen Vertretungsorgan wird das Organwissen nach denselben Regeln zugerechnet wie das Wissen einer Einzelperson mit Hilfspersonen. Bei der jwistischen Person mit einköpfigem Vertretungsorgan und der Einzelperson mit Hilfspersonen handelt es sich nämlich wn wertungsmäßig gleiche Tatbestände. Das Wissen der Einzelperson ist fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen ihrer Handlungen relevant, daher ist auch das Wissen des einzigen Organmitgliedes zur Bestimmung der Rechtsfolgen seiner Handlungen zuzurechnen. Weist eine Einzelperson eine Hilfsperson an, so ist über § 166 II BGB oder den aus dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedanken das Wissen der Einzelperson zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung der Hilfsperson zuzurechnen. Dies gilt entsprechend fiir das anweisende einzige Organmitglied. Wissen der Einzelperson ist natürlich ihr tatsächliches Wissen. Wissen des einzigen Organmitgliedes ist daher Wissen der juristischen Person. Sofern sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm - wie regelmäßig - keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, trifft die Einzelperson oder die jwistische Person darüber hinaus die Pflicht, mit angemessenem, zurnutbarem Aufwand bei arbeitsteiliger Aktivität der Einzelperson oder des einzigen Organmitgliedes erworbenes Wissen unterorganschaftliehen Hilfspersonen verfiigbar zu machen und zu halten (handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg). Ist diese Pflicht schuldhaft verletzt, so muß sich die Einzelperson das Wissen gleichwohl fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung ihrer Hilfsperson zurechnen lassen. Das Wissen der Organmitglieder einer jwistischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan ist zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen der Organmitglieder und der von ihnen angewiesenen Handlungen zuzurechnen. Der jwistischen Person ist darüber hinaus Wissen der Organmitglieder als eigenes zuzurechnen, die von ihr gerade zum Erwerb bestimmter Infomationen, also als "Wissensempfangsvertreter", eingesetzt wurden (aus § 164 III BGB zu entnehmender Rechtsgedanke). Das ihr als eigenes zuzurechnende Wissen muß sich die jwistische Person in den Fällen der Relevanz von Wissen an sich und fiir Handlungen und Weisungen ihrer Organmitglieder zurechnen lassen. Wie lange das der jwistischen Person als eigenes zuzurechnende Wissen verfiigbar zu halten ist, bestimmt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems. Bei schuldharter Nichtverfiigbarkeit ist es gleichwohl zuzurechnen. Sofern sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm - wie regelmäßig keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, trifft die jwisti-
§ 6 Organwissen
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sehe Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan wegen der Verantwortung für Risikoschaffung darüber hinaus die Pflicht, mit angemessenem, zwnutbarem Aufwand arbeitsteilig erworbenes Wissen ihrer Organmitglieder anderen handelnden oder zuständigen Organmitgliedern oder anderen handelnden oder zuständigen unterorganschaftliehen Hilfspersonen verfügbar zu machen und zu halten (handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung). Ist diese Pflicht schuldhaft verletzt, so ist das Wissen gleichwohl für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen oder als Wissen an sich zuzurechnen. Es gelten also für die Zurechnunß des Organwissens im wesentlichen dieselben Regeln wie für die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen. Das Wissen der anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter i. S. des § 31 BGB wird der juristischen Person nach den Regeln über die Zurechnung des Wissens von Organmitgliedern bei juristischen Personen mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan zugerechnet. Das Wissen der Mitglieder von Aufsichtsorganen ist zuzurechnen, wenn einer der in dieser Arbeit entwickelten Zurechnungsgründe vorliegt. Die Modelle für die Zurechnung des Organwissens bei juristischen Personen mit ein- oder mehrköpfigem Vertretungsorgan gelten entsprechend für alle Organisationsformen mit ein- oder mehrköpfigem Leitungsorgan.
§ 7 Die Einzelnorm Ist über die verschiedenen Zurechmmgsgründe konstruktiv festgestellt worden, welches Wissen der arbeitsteiligen Struktur in einer konkreten Rechtsbeziehllllg zuzurechnen ist, so kommt nllll die einzelne Wissensnorm mit ihren spezifischen AnforderlUlgen zur Anwendllllg. Unterschiedliche AnforderlUlgen können, wie gesehen, 1 hinsichtlich der Sicherheit des Wissens, der Fragen des Rechts- wtd Tatsachenirrturns Wld des Vergessens, möglicherweise auch einer Wissensverschaffimgspflicht gestellt werden. Die AnforderlUlgen der einzelnen Norm hinsichtlich des Vergessens bzw. Sich-Erinnerns gehen bereits in die Festleglillg der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, ein. 2 Steht daher fest, daß bestimmtes Wissen zu bestimmter Zeit für eine konkrete Rechtsbeziehllllg zuzurechnen ist, so kommen nllll die Wlterschiedlichen AnforderlUlgen an die Sicherheit des Wissens, den Rechts- Wld Tatsachenirrtum Wld die Wissensverschaffimgspflicht zur Geltwtg, um festzustellen, ob das erforderliche Wissen vorliegt, um den Tatbestand einer bestimmten Wissensnorm zu bejahen. Die Norm wird dann also auf die arbeitsteilige Struktur angewendet. Es ist zu fragen: Erreicht das konstruktiv ermittelte Wissen den notwendigen Grad der Sicherheit? Muß aus dem konstruktiv ermittelten Wissen auf bestimmte tatsächliche oder rechtliche Umstände geschlossen werden, wird also ein Irrtum nicht geschützt? Besteht eine Pflicht, sich weiteres Wissen zu verschaffen?
Vgl. S. 196 ff. Vgl. fiir den "Wissensempfangsvertreter" S. 150; fiir die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung S. 285 f. 1
2
Teil 111
Beispiele zur Wissenszurechnung § 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells an Hand der Entscheidungen der Rechtsprechung
Im folgenden soll das hier vorgeschlagene Zurechmmgsmodell, insbesondere das Zusammenspiel der verschiedenen Zurechnungsgründe, an einigen Beispielen erläutert und weiter konkretisiert werden. Um Gemeinsamkeiten mit und Abweichungen von der Rechtsprechung deutlich zu machen, wird an die in der Arbeit vorgestellten Entscheidungen angeknüpft. I
A. "Der Grundschuldfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Problematisch war im "Grundschuldfall", ob die Voraussetzungen fiir die Anfechtung einer Grundschuldbestellung nach § 30 Nr. 1 2. Alt. KO vorlagen. Der BGH stellte zunächst fest, daß bei Anfechtung einer Grundschuldbestellung eine etwaige Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung zum Zeitpunkt der Eintragung maßgebend sei.2 Es komme insofern nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Eintragungsantrags beim Grundbuchamt an. Im November 1959 hatten sich die E. GmbH, die spätere Gemeinschuldnerin, und der Beklagte auf die Bestellung einer Grundschuld fiir den Beklagten an einem Grundstück der E. GmbH geeinigt. Im November ging auch der Eintragungsantrag beim Grundbuchamt ein. Die Eintragung erfolgte am 15. Januar 1960. Die E. GmbH hatte zu dieser Zeit die Zahlungen eingestellt., und ihr Geschäftsführer
I Zunächst werden jeweils zur Erinnerung der Sachverhalt und die wesentlichen Entscheidungsgründe wiederholt. Zusätzlich zu den bereits in der Arbeit vorgestellten Entscheidungen wird unterS. eine weitere Entscheidung (BGH VersR 1993, 1089) zum Problem des Aktenwissens erörtert. 2 BGHZ 41, 17, 19 f., vgl. schon S. 94 f.
380
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Sch. wußte hierwn. Fraglich war, ob sich der Beklagte das Wissen des Sch. zurechnen lassen mußte. Dem Beklagten war bei den VerhandlWlgen mit der E. GmbH im November 1959 bekannt geworden, daß die Lage der E. GmbH angespannt war. AufVeranlassWlg des Beklagten wurde am 5. Dezember 1959 der Sch. zum alleinigen Geschäftsfiihrer der E. GmbH bestellt. Sch. war seit vielen Jahren geschäftlicher Mitarbeiter des Beklagten in dessen Firma gewesen. Der Beklagte wünschte, bei der DurchfiihrWlg einer StütZWlgsaktion einen Vertrauensmann in der GeschäftsleitWlg der E. GmbH zu haben. Durch Sch. kontrollierte er die gesamte Geschäftsleitoog der E. GmbH. Der Beklagte brachte vor, daß er von Weihnachten 1959 bis zum 17. Januar 1960 in Urlaub gewesen Wld erst nach seiner Rückkehr von Sch. über die Lage der E. GmbH Wlterrichtet worden war. Er habe also zum Zeitpunkt der Eintragoog keine Kenntnis von der ZahlWlgseinstellWlg gehabt, so daß eine Anfechtbarkeit nach § 30 KO ausscheide. Da mit der Einigoog im November 1959 die rechtsgeschäftliehen VoraussetZWlgen für die VollendWlg des Rechtsgeschäftes geschaffen worden waren, kam eine ZurechnWlg über § 166 I BGB direkt selbst dann nicht in Betracht, wenn Sch. Vertreter des Beklagten gewesen sein sollte.3 Das Gericht rechnete dem Beklagten das Wissen des Sch. jedoch analog § 166 I BGB zu, da dieser das "andere Ich" des Beklagten in der Geschäftsleitoog der E. gewesen sei. Der Beklagte habe den Vorteil gehabt, über seinen Vertrauensmann ständig über die EntwicklWlg der E. auf dem laufenden gehalten zu werden, dann sei es auch nicht Wlbillig, daß ihm im Anfechtoogsprozeß die Kenntnis des von ihm eingesetzten Beobachters zum Nachteil gereiche. 4 Die Richtigkeit der EntscheidWlg des BGH soll nWl an dem hier entwickelten ZurechnWlgsmodell gemessen werden. 5
Vgl. BGHZ 41, 17, 21. BGHZ 41, 17, 22. 5 Für die Wissenszurechnung kann im folgenden außer Betracht bleiben, daß der Geschäftsführer und Vertrauensmann Sch. gar nicht dazu berechtigt war, die hier relevanten Informationen an den Beklagten weiterzugeben. Die Geschäftsführer einer GmbH sind nämlich - nach § 85 GmbHG ist dies sogar strafbewehrt - verpflichtet, die Geheimnisse der GmbH zu wahren. Als Geheimnisse kommen vor allem solche Tatsachen in Betracht, deren Bekanntwerden der GmbH einen materiellen oder immateriellen Schaden zufiigen, insbesondere ihre Wettbewerbsfähigkeit bedrohen würden (vgl. Lutter/Hommelhojf, GmbHG, § 85 Rdnr. 3), dazu zählt deshalb auch die Tatsache der Zahlungseinstellung. Das Verbot der Weitergabe der Information kann die Wissenszurechnung aber zumindest hier nicht ausschließen, da die Bestellung eines Gläubigers bzw. dessen Vertrauensmannes als einzigen Geschäftsfiihrers der GmbH als sittenwid3
4
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechmmgsmodells
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II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken wird dem Geschäftsherm das dienstlich erlangte und private Wissen einer Hilfsperson6 zur Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung zugerechnet, zu der der Geschäftsherr die Hilfsperson eingesetzt hat.? Im "Grundschuldfall" ging es aber nicht um die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung der Hilfsperson für den Geschäftsherm. Problematisch war vielmehr, ob Wissen der Hilfsperson dem Geschäftsherrn an sich, d. h. handlungsunabhängig, zugerechnet werden konnte. Eine Zurechnung über einen aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken schied daher aus. Die Entscheidung des BGH, das Wissen des Vertrauensmannes über § 166 I BGB analog zuzurechnen, ist insoweit falsch. 8 Da es um eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung ging, schied auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus. 9
m. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 111 BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Möglicherweise hätte der BGH dem Beklagten das Wissen seines Vertrauensmannes über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zurechnen können, weil dieser "Wissensempfangsvertreter" jenes war. 10 Der Beklagte müßte dann seinen Vertrauensmann eingesetzt haben, um gerade die entrige Knebelung des Schuldners anzusehen ist (vgl. zur Frage zu weitgehender Eingriffsund Kontrollbefugnisse des Gläubigers im einzelnen Staudinger!Sack, § 138 Rdnr. 260). Der Beklagte kann sich aber nicht tatsächlich einen sogar sittenwidrigen Vorteil verschaffen, nämlich die Bestellung eines Vertrauensmannes als alleinigen Geschäftsführers, und dann die allgemeinen zivilrechtliehen Konsequenzen einer solchen Bestellung negieren. 6 Für Sch. gelten, obwohl er Geschäftsführer der E. GmbH war, die Regeln über die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher Hilfspersonen, da er unterorganschaftliehe Hilfsperson des Beklagten war. 7 Vgl. S. 49 ff. In Teil III wird der Übersicht halber fiir die einzelnen Zurechnungsgründe nur je einmal auf die entsprechenden Erörterungen in Teil ll verwiesen. 8 Insofern macht es keinen Unterschied, ob die Zurechnung auf einen aus § 166 I BGB abzuleitenden Rechtsgedanken gestützt wird oder auf § 166 I BGB analog, sachlich geht es um dasselbe Problem; vgl. S. 77. 9 Vgl. S. 308 ff. 10 Vgl. für die Anforderungen an den "Wissensempfangsvertreter" grundsätzlich s. 145 ff.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
sprechenden Informationen zu erwerben. Der Vertrauensmann dürfte das Wissen nicht nur gelegentlich seiner Tätigkeit fiir den Beklagten erlangt haben. Der Beklagte hatte den Vertrauensmann zwn Geschäftsführer der E. bestellen lassen, um über die Entwicklung der E. auf dem laufenden gehalten zu werden. 11 Der Vertrauensmann sollte also gerade Informationen über den wirtschaftlichen Zustand der E. fiir den Beklagten sammeln. Der Vertrauensmann verfUgte als Geschäftsführer auch über eine ausreichende Selbständigkeit. Dann muß sich der Beklagte das Wissen seines Vertrauensmannes über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechnen lassen, weil dieser sein "Wissensempfangsvertreter" war. Da das Wissen des Vertrauensmannes die Anforderungen der Wissensnorm des § 30 Nr. 1 2. Alt. KO erfiillt, ist im Ergebnis der Entscheidung des BGH zuzustimmen. 12
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Zusätzlich soll erörtert werden, ob das Wissen des Vertrauensmannes dem Geschäftsherrn auch über die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffi.mg 13 zuzurechnen ist. Durch den arbeitsteiligen Einsatz einer Hilfsperson schafft der Geschäftsherr grundsätzlich das Risiko der Wissensaufspaltung. Der Vertrauensmann Sch. wurde hier mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn tätig. 14 Weitere Voraussetzung ist ein innerer Zusammenhang zwischen Wissenserwerb und Tätigkeit.15 Dieser lag im "Grundschuldfall" vor. Der Vertrauensmann erwarb sein Wissen in Ausübung seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der E., also dienstlich. Da sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm, des § 30 KO, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, über eine Vielzahl von Kriterien, die ein bewegliches System bilden. 16 Das Risiko der Wissensaufspaltung zwischen Vertrauensmann und Geschäftsherrn war technisch unproblematisch beherrschbar. Die Kosten der Beherrschung sind zu vernachlässigen. Dies gilt gleichermaßen fiir die Kosten des Informationsaustausches - hier genügt ein Brief oder das Telefon - wie fiir die Kostenart Information an sich. Die Weitergabe nur derart wichtiger Informationen wie der der 11 So wörtlich der BGH, BGHZ 41, 17, 22. 12
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Ablehnend Koller, JZ 1998, 75, 82. Vgl. für dieseS. 225 ff. Vgl. zu diesem Erfordernis S. 266. Vgl. zu diesem Erfordernis S. 266 f. Vgl. S. 267 ff.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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Zahlungseinstellung führt nicht zu einer großen Belastung des Geschäftherrn durch Information an sich. Für die Bestimmung der Pflicht kommt es daher wesentlich auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung und die Größe und Art des mutmaßlichen Nachteils fiir den Dritten an. Der mögliche Nachteil fiir die Dritten, die anderen Gläubiger der E. GmbH ist erheblich, da bei wirksamer und nicht anfechtbarer Grundschuldbestellung ein wesentlicher Vermögenswert der Gemeinschuldnenn nicht zur Befriedigung der Gläubigerforderungen zur Verfiigung steht. Für die Bestimmung der Größe des Risikos der Wissensaufspaltung ist zunächst danach zu unterscheiden, ob auch eine Einzelperson in der konkreten Rechtsbeziehung hätte stehen oder das konkrete Geschäft hätte durchführen können. Hier geht es um die einfachste Form einer arbeitsteiligen Struktur, den Geschäftherrn mit einer Hilfsperson. Selbstverständlich hätte auch eine einzige Einzelperson sich eine Grundschuld an einem Grundstück der E. GmbH bestellen lassen und damit Anfechtungsgegner sein können. Eine Einzelperson hätte jedoch nicht notwendig um die Zahlungseinstellung gewußt. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß die Einzelperson über die Information verfügt hätte. Es handelt sich also weder um einen Fall reiner Wissensaufspaltung noch um einen Fall reiner Wissensvermehrung. Fraglich ist also, ob ein Fall eher der Wissensvermehrung oder eher der Wissensaufspaltung vorliegt. Hier ist die Hilfsperson -jedenfalls auch 17 - extra zum Wissenserwerb fiir den Geschäftsherrn tätig geworden. Es handelt sich also um einen Fall eher der Wissensvermehrung, da es unwahrscheinlich ist, daß eine Einzelperson sich unter Vernachlässigung ihrer sonstigen Aktivitäten hätte zum Geschäftsführer der E.-GmbH bestellen lassen. Das Risiko der Wissensaufspaltung ist also verhältnismäßig klein. So stellte sich die Situation auch zur Zeit der Gefahrschaffung, der Kenntniserlangung, dar. Schließlich besteht auch kein rechtsgeschäftlicher Kontakt zwischen dem Beklagten und dem Konkursverwalter und den übrigen Konkursgläubigern, d. h. ein solcher spricht hier nicht besonders fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. nicht fiir besonders strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Gleichwohl wird man davon ausgehen, daß fiir eine derart wichtige Information wie die Zahlungseinstellung der E.-GmbH eine Pflicht bestand, diese dem
17 Der Vertrauensmann soll natürlich auch für die vorrangige Befriedigung der Forderungen seines Geschäftsherrn sorgen und über eine "bessere" Geschäftsfiihrung die Insolvenz abwenden.
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Teil ID: Beispiele zur Wissenszurechnung
Geschäftsherrn umgehend verfiigbar zu machen. 18 Dies rechtfertigt sich trotz des geringen Risikos der Wissensaufspaltung durch die niedrigen Kosten der Information und den drohenden großen Nachteil fiir die übrigen Konkursgläubiger. Darauf wie lange die Pflicht bestand, das Wissen verfiigbar zu halten, kommt es hier nicht an, da das Wissen sogleich nach lnformationswerb dem Geschäftsherrn, dem Beklagten, hätte verfiigbar gemacht werden müssen. Die Feststellung der Pflichtverletzung ist unproblematisch, da die Zahlungseinstellung dem Beklagten erst nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub mitgeteilt wurde. Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Realisierung des Risikos der Wissensaufspaltung gilt der Anscheinsbeweis. 19 Die Verletzung der Pflicht muß auch schuldhaftgewesen sein. 20 Da es bei § 30 KO an einer Sonderverbindung zwischen dem Anfechtungsgegner und dem Konkursverwalter und den übrigen Konkursgläubigern fehlt, kommt eine Haftung des Beklagten nur bei eigenem Verschulden(§ 831 BGB analog) in Betracht.21 Hier ist nicht ersichtlich, daß der Beklagte irgendwelche Vorkehrungen, z. B. in Form einer Anweisung ihn über wichtige Vorkommnisse zu informieren, getroffen hätte, um seine Pflicht zu erfiillen. Insofern gilt fiir sein Verschulden ebenfalls der Anscheinsbeweis. 22 Dem Beklagten ist daher das Wissen seines Vertrauensmannes um die Zahlungseinstellung auch über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg zuzurechnen. Da das Wissen des Vertrauensmannes die Anforderungen der konkreten Wissensnorm, des § 30 Nr. l 2. Alt. KO, erfiillt, ist der Entscheidung des BGH auch unter dem Gesichtspunkt der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzustimmen. 23
18 Gegen die Annahme dieser Pflicht spricht auch nicht, wie gesehen, daß der Vertrauensmann nicht zur Weitergabe der Information berechtigt war, da diese ein Geheinmis der GmbH war. Der Beklagte hat sich dadurch, daß er den Sch. als Geschäftsführer bestellen ließ, sittenwidrig einen Vorteil verschaffi:, nämlich daß ihm oder seinen Hilfspersonen solche Informationen bekannt wurden. Diese sittenwidrige Bestellung wird durch die Anwendung der allgemeinen Regeln sanktioniert. 19 Vgl. S. 305. 20 Vgl. S. 294 f. 21 Vgl. S. 302 ff. 22 Vgl. S 305. 23 Ablehnend Koller, JZ 1998, 75, 82.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnwtgsmodells
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B. Der "Darlehensfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der Entscheidung im "Darlehensfall" 24 lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die - inzwischen verstorbene - Ehefrau des Beklagten hatte bei der Klägerin, einem Kreditvermittlungsbüro, ein Darlehen beantragt. Den Antrag hatte sie in ihrem Namen und, ohne bevollmächtigt zu sein, im Namen des Beklagten unterschrieben. Die Auszahlung erfolgte auf das Konto des Beklagten. Dieser hatte seiner Ehefrau Kontovollmacht eingeräumt, da sich letztere um die finanziellen Angelegenheiten der Eheleute kümmerte. Die Ehefrau hob das Geld von dem Konto ab und gab es für sich aus. Der Beklagte wußte weder vom Abschluß des Darlehensvertrages, noch waren ihm die Auszahlung oder das Abheben des Geldes bekannt geworden. Der Nachlaß der Ehefrau war überschuldet. Die Klägerin verlangte daher vom Beklagten Rückzahlung des überwiesenen Betrages. Da der Darlehensvertrag wegen des hohen Zinssatzes nach § 138 BGB nichtig war, stützte sie das Begehren auf § 812 I 1 1. Alt. BGB. Der Beklagte sei rechtsgrundlos bereichert. Der Beklagte wandte ein, die Bereicherung sei weggefallen, als seine Frau aufgrund ihrer Kontovollmacht das Geld abgehoben und für sich verwandt habe. Dies akzeptierte der BGH. Ein Anspruch der Klägerin bestand daher nur, falls der Beklagte verschärft nach§§ 819 I, 818 IV BGB haftete. 25 Da dem Beklagten die Darlehensaufnahme nicht bekannt gewesen war, kam eine verschärfte Haftung nur bei Zurechnung des Wissens seiner Ehefrau in Betracht. Diese wußte, auch wenn ihr die Nichtigkeit des Darlehensvertrages unbekannt geblieben war, zumindest, daß sie das Darlehen nicht dauerhaft behalten durfte. Dieses Wissen genügte nach Ansicht des BGH für Kenntnis i. S. des § 819 I BGB.26 § 166 I BGB griff nicht direkt ein. Mangels Vertretungsmacht war die Ehefrau des Beklagten nämlich nicht seine Vertreterio beim Abschluß des Darlehensvertrages gewesen, der zur Auszahlung des Geldes fiihrte. 27
BGHZ 83, 293; vgl. S. 53 ff. Der BGH entschied im "Darlehensfall" (BGHZ 83, 293, 296), daß der nach §§ 819 I, 818 IV BGB verschärft haftende Bereicherungsschuldner nach§ 279 stets für seine finanzielle Leistungsfahigkeit einzustehen habe. 26 BGHZ 83, 293, 295. 27 Auch wenn die Ehefrau Vertretungsmacht gehabt hätte, wäre ihrem Ehemann ihr Wissen nicht direkt über§ 166 I BGB zuzurechnen gewesen. Bei§ 819 I BGB ist Wis24
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25 Baum
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Teil ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
Der BGH hielt § 166 I BGB aber fiir analog anwendbar und rechnete dem Beklagten die Kenntnis seiner Ehefrau zu. 28 Aufgrund des der Vorschrift des § 166 I BGB zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens müsse sich - unabhängig von einem Vertretungsverhältnis - derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen.29 In dem zu entscheidenden Fall waren nach Ansicht des Gerichts die Voraussetzungen, die die Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens rechtfertigen, erfüllt. Die Ehefrau habe - über die bestehende Bankvollmacht hinaus - eine vertreterähnliche Stellung gehabt. Der Ehemann habe sich von seiner Ehefrau bewußt in ähnlicher Weise wie durch einen Stellvertreter repräsentieren lassen. 30 Der BGH rechnete ihm daher das Wissen seiner Ehefrau über § 166 I BGB analog fiir §§ 819 I, 818 IV BGB zu. II. Bewertung In der Tat wurde das Wissen der Ehefrau ihrem Ehemann hier zur Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung, des Empfangs des Geldes, an der sie beteiligt war, zugerechnet. Die Ehefrau hatte das Geld zwar nicht persönlich in Empfang genommen. Es wurde vielmehr auf das Konto des Ehemanns überwiesen. Die Ehefrau war jedoch insofern am Empfang des Geldes beteiligt, als sie Kontovollmacht hatte und tatsächlich allein die Kontogeschäfte fiihrte. Auch die weiteren Voraussetzungen einer Zurechnung über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken lagen vor. 31 Die Ehefrau war zu der Handlung, der Kontoverwaltung, eingesetzt. Sie hatte dabei eine eigenverantwortliche Stellung. Da das Wissen also über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnen ist, besteht keine Lücke fiir eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaf-
fung.
sen nicht relevant für die Bestimmung der unmittelbaren rechtlichen Folgen einer Willenserklärung. Es geht darum, ob Kenntnis bei Vornahme einer tatsächlichen Handlung, hier dem Empfang des Geldes, vorlag. Auch bei Bestehen eines Vertretungsverhältnisses kommt§ 166 I BGB daher nur analog auf§ 819 I BGB zur Anwendung, zumindest der sachliche Anwendungsbereich muß also erweitert werden. 28 BGHZ 83, 293, 296. 29 BGHZ 83, 293, 296. 30 BGHZ 83, 293, 296. 31 Vgl. S. 84 ff.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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Weil im "Darlehensfall" das Wissen bereits handhmgsabhängig zuzurechnen war, können die Möglichkeiten handlungsunabhängiger Wissenszurechnung außer Betracht bleiben. 32
C. Der "Supermarktfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Der Entscheidung im "Supermarktfall" 33 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Konkursverwalter eines Supermarktes - der Gemeinschuldnerin - begehrte von der beklagten Großbank nach§ 37 KO die Rückgewähr von 64721,56 DM. Der Betrag setzte sich zusammen aus 55865,00 DM Bareinzahlung, den Tageseinnahmen, einer Überweisung von 1321,74 DM und den Beträgenzweier Schecks in Höhe von gemeinsam 7534,82 DM. Diese Beträge waren am 26. September 1980 dem Debetkonto der Beklagten gutgeschrieben worden. Die Beträge, so der Konkursverwalter, seien der Bank erst nach Zahlungseinstellung durch die Gemeinschuldnenn zugeflossen, und die Zahlungseinstellung sei der Bank auch bekarmt gewesen (§ 30 Nr. 1 2. Alt KO), da sie sich direkt nach bzw. entsprechend § 166 I BGB die Kenntnis ihres bevollmächtigten Kassierers von der Zahlungseinstellung zurechnen lassen müsse. Nach Ansicht des Gerichts war es am 25. September 1980 um 16.45 Uhr, als der Geschäftsfiihrer des Supermarktes diesen schloß, zur Zahlungseinstellung gekommen. Um 17.30 Uhr brachten Angestellte der Gemeinschuldnenn die Tageseinnahmen zu einer Filiale der beklagten Großbank. Einer der Überbringer erklärte dem Kassierer, der das Geld entgegennahm: "Wir haben zu, wir machen Konkurs." Der BGH ging 32 Die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung scheidet hier schon deshalb aus, weil die handelnde Hilfsperson wußte, ihr also das relevante Wissen verfügbar und demzufolge nicht schuldhaft nicht verfügbar war. Die Zurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken i. V. mit dem Rechtsgedanken des § 166 II BGB scheidet in diesem Fall bereits logisch aus. Das relevante Wissen wurde bei der Handlung, für die es zugerechnet werden soll, also dienstlich, erlangt. Selbst wenn die Ehefrau als "Wissensempfangsvertreterin" anzusehen wäre, wäre das dienstlich, bei der Handlung erlangte Wissen dem Ehemann daher erst während der Handlung als eigenes zuzurechnen gewesen, dann hätte aber die Handlung nicht mehr bevorgestanden. Letzteres ist eine der Voraussetzungen der Zurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 li BGB (vgl. für die einzelnen Voraussetzungen der Weisung S. 131). Abgesehen davon hatte der Ehemann seine Ehefrau hier natürlich überhaupt nicht angewiesen. 33 BGH NJW 1984, 1953, vgl. S. 96 ff. 25*
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Teil lll: Beispiele zur Wissenszurechnung
davon aus, daß der Kassierer daraus auf die Zahlungseinstellung geschlossen hatte. Obwohl die Bareinzahlung erst am nächsten Tag dem Debetkonto gutgeschrieben worden sei, seien bereits am 25. September durch ein Rechtsgeschäft der Gemeinschuldnerin, die Übertragung des Eigentums an den Bareinnahmen auf die Beklagte, die Konkursgläubiger unmittelbar benachteiligt worden. Zudem habe die Beklagte als Konkursgläubigerin durch den Erwerb des Bargeldes von der späteren Gemeinschuldnenn entweder eine Teilbefriedigung ihrer Forderung aus dem Girokonto oder mit der Verrechnungsmöglichkeit eine Teilsicherung der Forderung erreicht. Gemäߧ 166 I BOB sei der Bank die Kenntnis des Kassierers zuzurechnen. 34 Die zum Erwerb des Bargeldes fUhrende Rechtshandlung war daher anfechtbar. Problematischer war die Frage, ob der Bank das Wissen des Kassierers um die Zahlungseinstellung auch fiir die Gutschrift der überwiesenen Beträge und der beiden Schecksam 26. September zugerechnet werden konnte, mit der Folge daß diese Rechtshandlungen ebenfalls anfechtbar waren. Die Gutschrift der überwiesenen Beträge und des Gegenwertes der beiden Schecks war nicht vom Kassierer, sondern von anderen Angestellten der Beklagten durchgefiihrt worden. Jedenfalls mit den Überweisungen hatte der Kassierer nichts zu tun gehabt. Ob die Schecks dem Kassierer gemeinsam mit den Tageseinnahmen von den Angestellten der Gemeinschuldnenn übergeben wurden, ergibt sich nicht aus der Sachverhaltsschilderung. Der BGH rechnete der Bank auch fiir die Gutschrift der überwiesenen Beträge und des Gegenwertes der Schecks das Wissen des Kassierers zu, da § 166 I BOB über seinen Wortlaut hinaus anzuwenden sei. Bei Anwendung des § 30 Nr. 1 KO könne die Kenntnis, die der Vertreter in Wahrnehmung seiner Befugnisse erlangt habe, dem Vertretenen nicht nur, soweit es sich um die Folgen der Willenserklärungen und Rechtshandlungen des Bevollmächtigten handele, sondern auch dann zugerechnet werden, wenn der Vertretene selbst oder andere von ihm Ermächtigte Rechtsgeschäfte mit dem Gemeinschuldner abschließen (§ 30 Nr. 1 1. Alt. KO) oder an Rechtshandlungen im Sinn des § 30 Nr. 1 2. Alt. KO teilnehmen. Dies halte sich im Rahmen des allgemeinen Rechtsgedankens, daß derjenige, der sich bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten eines Vertreters bedient, die in diesem Rahmen vom Vertreter erlangte Kenntnis als eigene gelten lassen muß, sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen kann. 35 Die Kenntnis des Kassierers war nach Ansicht des BGH somit den Repräsentanten, die die Beklagte bestellt hatte, und letztlich ihr selbst zuzurechnen. Die Beklagte, ihr Filialleiter und dessen Vertreter konnten sich nach Auffassung des
34 35
BGH NJW 1984, 1953, 1954. BGH NJW 1984, 1953, 1954.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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BGH daher entsprechend § 166 II BGB36 nicht darauf berufen, daß die Angestellten, die arn 26. September die Scheck- Wld ÜberweisWlgsbeträge dem Debetkonto der Gemeinschuldnenn gutschrieben hätten, nichts von der ZahlWlgseinstellWlg wußten. Auch die Richtigkeit dieser EntscheidWlg soll wieder an dem hier entwickelten ZurechnWlgsmodell überprüft werden. II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Sofern der Kassierer die Schecks mit den Tageseinnahmen in Empfang genonunen hatte, konnte der BGH auch insoweit die ZurechnWlg des Wissens des Kassierers um die ZahlWlgseinstellWlg auf den aus § 166 I BGB abzuleitenden Rechtsgedanken stützen. Der Kassierer war dann nämlich an der HandlWlg, dem Erwerb der Schecks, zur BestinunWlg von deren Rechtsfolgen sein Wissen zugerechnet wurde, beteiligt gewesen. Diese Beteiligung genügt. Es ist nicht erforderlich, daß er die Schecks auch gutschreibt. Er war zu der HandlWlg, zur BestinunWlg von deren Rechtsfolgen sein Wissen zugerechnet wurde, auch eingesetzt gewesen Wld hatte dabei eine gewisse eigenverantwortliche StellWlg. Wegen der eigenverantwortlichen StellWlg des Kassierers besteht keine Lücke fiir eine ZurechnWlg über die Grundsätze der handlWlgsabhängigen WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung. Sofern der Kassierer die Schecks nicht entgegennahm Wld jedenfalls fiir die Gutschrift der beiden ÜberweisWlgsbeträge konunt eine Zurechnung des Wissens des Kassierers über den aus § 166 I BGB abzuleitenden Rechtsgedanken nicht in Betracht. Das Wissen des Kassierers würde dann zur Bestimmung von Rechtsfolgen von HandlWlgen, hier Rechtsgeschäften mit dem Gemeinschuldner, zugerechnet, an denen der Kassierer nicht beteiligt war. Dies ist über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken nicht möglich. Es ist daher insofern falsch, daß der BGH seine EntscheidWlg auf einen aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken stützte. Eine ZurechnWlg über die GrWldsätze der handlWlgsabhängigen WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung scheidet hier ebenfalls aus, da das Wissen handlWlgsunabhängig zugerechnet werden soll.
36 Vgl. zu dieser extensiven Auslegung von§ 166 II BGB S. 129 ff.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechmmg
ill. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 111 BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Möglicherweise hätte der BGH der Bank das Wissen des Kassierers aber über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zurechnen können, weil dieser ihr "Wissensempfangsvertreter" war. In einem zweiten Schritt wäre dann zu erörtern, ob dieses Wissen analog oder direkt nach § 166 II BGB zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Gutschrift der überwiesenen Beträge oder der Gutschrift der Schecks zuzurechnen ist. "Wissensempfangsvertreter" ist, wer gerade zur Erlangung bestimmter Informationen oder der Entgegennahme von Wissenserklärungen eingesetzt wurde. Ein Bankkassierer ist jedoch nicht gerade dazu eingesetzt, für den Geschäftsherrn Informationen über die Zahlungseinstellung eines Kunden zu erlangen. Er mag zwar typischerweise solche Informationen erhalten, doch will die Bank sie nicht gerade über ihn erlangen. Er soll die gewöhnlichen Schaltergeschäfte durchfiihren; dazu zählen nicht Meldungen über die Zahlungseinstellungen von Kunden. Der Tatbestand der "Wissensempfangsvertretung" liegt aber nicht schon bei jeder dienstlichen Kenntniserlangung vor. Das Wissen des Kassierers kann der Bank daher auch nicht über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zugerechnet werden. IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Es bleibt damit nur noch die Möglichkeit, daß sich die Bank das Wissen ihres Kassierers um die Zahlungseinstellung über die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung für die Gutschrift der überwiesenen Beträge und ggf. der beiden Schecks37 zurechnen lassen muß. Durch den arbeitsteiligen Einsatz einer HUfsperson schafft der Geschäftsherr, die Bank, das Risiko der Wissensaufspaltung. Der Kassierer wurde mit Wissen und Wollen der Bank für sie tätig. Zwischen Wissenserwerb und Tätigkeit bestand ein innerer Zusammenhang. Das Wissen um die Zahlungseinstellung ist nämlich solches, das ein Kassierer typischerweise erwerben kann. Es handelt sich bei dem Wissen um die Zahlungseinstellung also um dienstlich erworbenes Wissen.
37 Ist das Wissen des Kassierers für diese bereits handlungsabhängig über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB zuzurechnen, so kommt eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung insofern nicht in Betracht, da das Wissen der handelnden Hilfsperson, dem Kassierer, verfügbar und mithin nicht schuldhaftnicht verfügbar war.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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Da sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm, des § 30 KO, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich hier das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, aus einer Vielzahl von Kriterien, die ein bewegliches System bilden. Das Risiko der Wissensaufspaltung in einer Filiale ist technisch durch moderne Informationssysteme unproblematisch beherrschbar. Die Anschaffungskosten für die entsprechende Hard- und Software dürften nicht allzu groß sein. Erfaßt man Information an sich als Kostenart, so würde eine Pflicht, jegliche dienstlich erlangte Information von Mitarbeitern den anderen Mitarbeitern verfügbar zu machen, exorbitante Kosten verursachen. Letztlich hätte die Erfüllung einer solchen Pflicht zur Folge, daß nicht länger sinnvoll gearbeitet werden könnte, da alle Mitarbeiter untern einem Berg von Information verschüttet würden. Auch Austausch lediglich wichtiger Informationen verursacht diese Art von Kosten, wenn auch in weniger dramatischem Umfang. Die Kosten der Information an sich sind daher bei der Festlegung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, zu berücksichtigen. Zwischen der Bank als Geschäftsherrn und den Dritten, dem Konkursverwalter und den übrigen Konkursgläubigern, bestand auch kein rechtsgeschäftlcher Kontakt, so daß dieser Gesichtspunkt hier nicht besonders für eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, bzw. für strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht spricht. Wesentlich kommt es für die Bestimmung der Pflicht auch auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung und die Größe und Art des mutmaßlichen Nachteils des Dritten an. Für die Bewertung der Größe des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es zunächst darauf an, ob auch eine Einzelperson ein Geschäft hätte durchführen oder in einer bestimmten Rechtsbeziehung hätte stehen können. Bankgeschäfte wie die Gutschrift von Überweisungen und Schecks werden nicht von Einzelpersonen durchgefiihrt. Es handelt sich also weder um einen Fall reiner Wissensaufspaltung noch um einen Fall reiner Wissensvermehrung. Bei der Gutschrift der Überweisung und der beiden Schecks auf dem Girokonto der Gemeinschuldnerin erwarb die Bank auch nicht notwendig das Wissen um die Zahlungseinstellung. 3B Es handelt sich also nicht schon unter diesem Gesichtspunkt um einen Fall eher der Wissensaufspaltung. Entscheidend dafür, ob ein Fall eher der Wissensaufspaltung oder eher der Wissensvermeh38 Für die Schecks gilt dies nur, wenn diese nicht gemeinsam mit den Tageseinnahmen entgegengenommen wurden. War dies der Fall, so ist das Wissen um die Zahlungseinstellung für die Gutschrift der Schecks bereits über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung zurechenbar und mangels schuldhafter Nichtverfügbarkeit nicht über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung.
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Teil ID: Beispiele zur Wissenszurechnung
rung vorliegt, ist daher, wie wahrscheinlich es zur Zeit der Kenntniserlangtmg durch den Kassierer, dem Zeitpunkt der Risikoschaffi.mg, war, daß von diesem erworbene Informationen fiir Handltmgen anderer HUfspersonen in derselben Bankfiliale von Bedeuttmg würden. Zur Zeit der Informationserlangtmg durch den Kassierer war ersichtlich, daß dieser regelmäßig Wissen erwerben würde, das fiir andere Bankgeschäfte in derselben Filiale von Bedeuttmg ist, daß also Wissen regelmäßig filialintern aufgespalten wird. Der Kassierer ist einer der Hauptkontaktpunkte zwischen Bank tmd Kunden. Es handelt sich daher vorliegend um einen Fall eher der Wissensaufspalttmg. Bei so wichtigen Informationen wie der über die Zahltmgseinstelltmg ist die Realisierung des Risikos der Wissensaufspalttmg darüber hinaus mit großen Nachteilen fiir Dritte, nämlich die übrigen Gläubiger, verbtmden. Es bestand daher eine Pflicht der Bank, dafiir zu sorgen, daß zumindest wichtige Informationen, die der Kassierer erwarb, filialintern auch den anderen Mitarbeitern zur Verfiigtmg standen. Bei Beschränktmg der Pflicht auf wichtige Informationen fällt auch der Faktor Kosten der Information nicht so erheblich ins Gewicht, tmd es scheint zurnutbar, daß die Bank diese trägt. Wie die Bank diese Pflicht erfiillt, ist ihre Sache. Die Feststelltmg der Verletzung der Pflicht ist unproblematisch. Die Information war bei den handelnden Mitarbeitern nicht verfiigbar, die Pflicht daher verletzt. 39 Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung tmd Realisierung des Risikos der Wissensaufspalttmg gilt der Anscheinsbeweis. Die Pflichtverletzung muß schließlich schuldhaft gewesen sein. Auch fiir das (Organisations-) Verschulden der Bank gilt der Anscheinsbeweis. Der Bank ist daher das Wissen ihres Kassierers um die Zahltmgseinstelltmg auch fiir die Gutschrift der überwiesenen Beträge tmd der Schecks40 über die Grundsätze der Wissenszurechntmg kraft Risikoschaffi.mg zuzurechnen. Da das Wissen des Kassierers die Anforderungen der konkreten Wissensnorm, des § 30 KO, erfiillt, ist dem BGH im Ergebnis zuzustimmen.
39 Der Gesichtspunkt der zeitlichen Verfügbarkeit der Information kann hier außer Betracht bleiben, da die Information nur am nächten Tag, also unmittelbar, verfügbar sein mußte. 40 Sofern der Kassierer die beiden Schecks nicht gemeinsam mit den Tageseinnahmen entgegennahm.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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D. Der "Landesversorgungsamtsfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der Entscheidung im "Landesversorgungsamtsfall" 41 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte hatte Frau P am 21. 1. 1979 eine schwere Körperverletzung zugefügt. Frau P stellte bei dem Versorgungsamt M Antrag auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz. Das klagende Land nahm den Beklagten wegen Leistungen in Anspruch, die es nach dem Opferentschädigungsgesetz an Frau P erbracht hatte und in Zukunft erbringen würde. Da von Anfang an die Möglichkeit von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz bestand, vollzog sich der Anspruchsübergang nach § 5 OEG, § 81 a BVG, § 823 BGB auf das klagende Land bereits im Augenblick der Verletzungshandlung. Für die den Lauf der Verjährung nach§ 852 BGB auslösende Kenntnis von Schaden und Schädiger kam es daher auf die Kenntnis des Landes als Anspruchsträger an. Dem Land, so das Gericht, werde diese Kenntnis durch seine Bediensteten vermittelt. 42 Am 18. 1. 1980 traf das Versorgungsamt M eine Aktenentscheidung, in der es sich unter Schilderung des Sachverhaltes für die Erteilung eines endgültigen positiven Bescheides aussprach. Eine Durchschrift dieser Aktenentscheidung übersandte es der Abteilung IV des zuständigen Landesversorgungsamtes. Am 23. 10. 1980 setzte das Versorgungsamt die Rente für Frau P fest. Mit Schreiben vom 12. 8. 1981 legte das Versorgungsaint M dem zuständigen Landesversorgungsamt die Regreßakte vor. Erst ab Mai 1983 forderte das Landesversorgungsamt den Beklagten zur Erstattung verschiedener Einzelposten auf. Der Beklagte berief sich unter anderem auf die Einrede der Verjährung ( § 852 I BGB). Das zuständige Landesversorgungsamt habe nämlich bereits mit dem Schreiben vom 18. 1. 1980 von dem maßgeblichen Sachverhalt Kenntnis erlangt. Das Schreiben enthielt alle für den Verjährungsbeginn erforderlichen Angaben. Das klagende Land trug vor, daß das Landesversorgungsamt Kenntnis erst mit der Vorlage der Regreßakte am 12. 8. 1981 erhalten habe. Das Schreiben vom 18. 1. 1980 habe - obwohl es die für den Verjährungsbeginn erforderlichen Angaben enthielt - dem Landesversorgungsamt nicht die erforderliche Kenntnis vermittelt, da die Abteilung IV als Grundsatzabteilung für die Bearbeitung von Regreßangelegenheiten nicht zuständig sei. Mit dem Schreiben vom 18. 1. 1980 war das Versorgungsamt M einer Verfügung des Landesversorgungsamtes nachgekommen, nach der die für die Durch-
4! 42
BGH NJW 1986, 2315; vgl. S. 98 ff. BGH NJW 1986,2315.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
fiihrung der Opferentschädigung zuständigen Versorgungsämter eine Durchschrift ihrer Aktenentscheidung über die Leistungsgewährung dem Landesversorgungsamt vorzulegen hatten. Die Vorlage diente dem Zweck, eine einheitliche Handhabe bei der Gewährung von Leistungen zu gewährleisten. Der BGH erklärte, daß sich das klagende Land die Kenntnis der fiir die Verfolgung der Regreßansprüche nicht zuständigen Bediensteten der Abteilung IV des Landesversorgungsamtes nicht zurechnen lassen müsse. 43 Diese Beamten seien nicht "Wissensvertreter" des klagenden Landes. Zwar habe der BGH44 unter Heranziehung des in § 166 I BGB enthaltenen Rechtsgedankens anerkannt, daß das nach § 852 I BGB fiir die Verjährung erforderliche Wissen eines "Wissensvertreters" von Schaden und Schädiger dem Rechtsträger zuzurechnen sei. Zugleich habe der BGH aber die strengen Voraussetzungen deutlich gemacht, die fiir die Annahme eines "Wissensvertreters" vorliegen müßten. Erforderlich sei, daß der Rechtsträger den "Wissensvertreter" mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung betraut habe. Voraussetzung fiir die Annahme eines "Wissensvertreters" sei also dessen Sachzuständigkeit und Eigenverantwortlichkeit Den Bediensteten der Grundsatzabteilung des Landesversorgungsamtes hätten beide Voraussetzungen gefehlt. Nicht sie, sondern die Bediensteten der Regreßabteilung seien fiir die Verfolgung der geltend gemachten Regreßansprüche zuständig und verantwortlich gewesen. 45 Das Gericht erörterte sodann, ob sich das Land die Kenntnis der Bediensteten der Grundsatzabteilung von Schaden und Schädiger deshalb zurechnen lassen müsse, weil diese verpflichtet gewesen wären, den zuständigen Bediensteten der Regreßabteilung die Aktenentscheidung zur Kenntnis zu bringen. Der BGH stellte fest, daß die Organisationsvorschriften des Landesversorgungsamtes eine solche Informationspflicht nicht begründeten. Von diesen Vorschriften sei aber auszugehen, selbst wenn sich diese organisatorische Regelung als unzweckmäßig oder gar als vorwertbarer Organisationsfehler erweisen sollte. 46 Der Schädiger habe keinen Anspruch darauf, daß die Behörden - etwa unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes - eine Organisationsform schüfen, die die Kenntnis i. S. des § 852 I BGB zum frühestmöglichen Zeitpunkt eintreten läßt.47 Eine Zurechnung des Wissens der Bediensteten der Grundsatzabteilung schied daher nach Ansicht des BGH aus.
BGHNJW1986,2315,2316. Der VI. Zivilsenat bezog sich auf seine Entscheidung BGH NJW 1985, 2583, die ebenfalls das Problem der Wissenszurechnung bei § 852 BGB betraf. 45 BGH NJW 1986, 2315,2316. 46 BGH NJW 1986,2315,2316. 47 BGH NJW 1986,2315,2316. 43
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II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung In der Tat kam die Zurechnung über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken nicht in Betracht. Dieser Rechtsgedanke hilft nur bei einer handlungsabhängigen Wissenszurechnung. Bei § 852 I BGB geht es um eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung, da Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst. Deshalb scheidet auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
111. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Einen Fall der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung stellt die Figur des "Wissensempfangsvertreters" dar, dessen Wissen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken dem Geschäftsherrn als eigenes zugerechnet wird. Damit sie als "Wissensempfangsvertreter" angesehen werden können, hätten die Mitarbeiter der Grundsatzabteilung gerade dazu eingesetzt sein müssen, Informationen über den Regreßanspruch zu sammeln. Die Bediensteten der Grundsatzabteilung erlangten das Wissen aber nur "bei Gelegenheit" der Erfüllung ihrer Aufgabe, der Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsvergabe. Sie waren nicht gerade dazu eingesetzt, regreßrelevante Informationen zu erlangen. IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Eine Zurechnung des Wissens der Mitarbeiter der Grundsatzabteilung im Rahmen des § 852 I BGB kommt aber möglicherweise über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung in Betracht. Über diese kann Wissen auch in Fällen zugerechnet werden, in denen Kenntnis an sich Rechtsfolgen auslöst. Durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen schafft das Landesversorgungsamt das Risiko der Wissensaufspaltung. Die allgemeinen Voraussetzungen der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung liegen vor. Die Mitarbeiter der Grundsatzabteilung wurden mit Wissen und Wollen des Landesversorgungsamts tätig. Sie erlangten ihr Wissen in innerem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit bei der Überwachung der Leistungsvergabe, also dienstlich. Da sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 852 BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu ma-
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
eben, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung auch innerhalb eines großen Amtes ist mittels moderner Informationssysteme technisch beherrschbar. Die Kosten fiir Hard- und Software eines Informationssystems dürften vertretbar sein. Die Kosten der Information an sich wären bei einem auf ausschließlich regreßrelevante Informationen beschränkten Abgleich zwischen Grundsatz- und Regreßabteilung verhältnismäßig gering. Die Regreßabteilung hat regreßrelevante Informationen ohnehin zu bearbeiten. In der Grundsatzabteilung würde ein gewisser Mehraufwand fiir die Weiterleitung der regreßrelevanten Information entstehen. Zwischen dem Landesversorgungsamt und dem Beklagten bestand ein gesetzliches Schuldverhältnis in Form des kraft Gesetzes übergegangenen Schadensersatzanspruches. Zumindest den Gläubiger dieses Anspruches, das Landesversorgungsamt, trifft jedoch keine spezifische Schutzpflicht gegenüber dem Schädiger, so daß das Bestehen des Schuldverhältnisses hier dennoch nicht besonders fiir eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, bzw. besonders strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht spricht. 48 Wesentlich kommt es daher fiir die Bestimmung des Inhalts der Pflicht auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung und die Art des mutmaßlichen Nachteils fiir den Dritten an. Für die Bewertung des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es zunächst darauf an, ob auch eine Einzelperson in der konkreten Rechtsbeziehung hätte stehen können. Dies ist nicht der Fall, da Einzelpersonen nicht Schuldner öffentlich-rechtlicher Versorgungsansprüche sind. Es handelt sich daher nicht um einen Fall reiner Wissensaufspaltung oder reiner Wissensvermehrung. Die Funktion des Landes als Versorgungsschuldner und Gläubiger des Regreßanspruches bringt es aber mit sich, daß Bedienstete des Landes notwendig bei der Festlegung der Versorgungsleistung von Schaden und Schädiger Kenntnis erhalten. Führt die Arbeitsteilung notwendig zwn Erwerb gewisser Kenntnisse, so liegt ein Fall eher der Wissensaufspaltung vor. Unter diesen Umständen käme es sogar in Betracht das Wissen der Mitarbeiter im Versorgungsamt M dem Landesversorgungsamt über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg zuzurechnen. Da das Landesversorgungsamt die Leistungsgewährung nicht selbst durchführte, erhielt die Grundsatzabteilung Durchschriften der Akten der Versorgungsämter, um eine einheitliche Leistungsvergabe sicherzustellen. Man wird insofern von einem notwendigen Wissenserwerb der Grundsatzabteilung ausgehen, da die Vorlage der Ak-
48 Es scheint jedoch nicht prinzipiell ausgeschlossen, daß auch die Parteien gesetzlicher, nicht durch rechtsgeschäftliehen Kontakt begründeter Schuldverhältnisse aus diesen besondere Pflichten treffen, die sich dann ebenfalls im Rahmen des beweglichen Systems zur Bestimmung des ob und des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, auswirken können.
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ten der Versorgungsämter den an sich notwendigen Wissenserwerb bei der Leistungsgewährung ausglich. Es handelt sich daher wn einen Fall eher der Wissensaufspaltung. Dies war auch zur Zeit der Gefahrschaffimg erkennbar. Unter diesem Gesichtspunkt sind daher strengere Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. Der Nachteil fiir den Dritten, den Schädiger, bei fehlender Weitergabe des Wissens wn Schaden und Schädiger an die Regreßabteilung ist erheblich, da es dann vom Zufäll abhängt, wie lange er einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt ist. Nach alldem, insbesondere sind auch die Kosten vertretbar, ist von einer Pflicht des Landesversorgungsamtes auszugehen, Wissen aus der Grundsatzabteilung in der Regreßabteilung verfiigbar zu machen. Als Ausfluß des Kriteriwns der technischen Beherrschbarkeit ist dem Landesversorgungsamt allerdings eine knappe Zeit fiir die Übermittlung der Information von der Grundsatzabteilung an die Regreßabteilung einzuräwnen. Diese Frist beträgt jedoch keinesfalls mehr als eine Woche. Es soll angenommen werden, daß gegen eine solche Pflicht auch keine Erwägungen des Datenschutzes sprechen. Gegen die Annahme einer solchen Pflicht spricht- jedenfalls aus zivilrechtlieber Sicht - auch nicht der vom BGH diskutierte Gedanke, daß es im Ermessen der Behörde liegen muß, wie sie ihre Verwaltungsverfahren organisiert. Zwar liegt es nahe, wie im "Landesversorgungsamtsfall" tatsächlich geschehen, zunächst das Verwaltungsverfahren der Leistungsvergabe abzuschließen und sodann das nächste Verwaltungsverfahren, nämlich die mögliche Geltendmachung des Regreßanspruchs, zu beginnen. Doch geht es hier wn einen zivilrechtliehen Schadensersatzanspruch, der vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden muß. Sofern der Gesetzgeber keine besondere Regelung getroffen hat, finden dann aber die allgemeinen zivilrechtliehen Regeln, damit auch die Regeln über die Wissenszurechnung Anwendung. Aus diesen allgemeinen Regeln ergibt sichjedoch kein Behördenprivileg. Die Pflicht ist verletzt, da keine entsprechenden Vorkehrungen getroffen wurden. So genügte es zur Erfiillung der Pflicht, Wissen aus der Grundsatzabteilung in der Regreßabteilung verfiigbar zu machen und zu halten, nicht, daß Vorkehrungen getroffen wurden, daß die Regreßabteilung die Regreßakte vom Versorgungsamt M erhielt. Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Realisierung des Risikos der Wissensaufspaltung gilt der Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis gilt auch fiir das (Organisations-) Verschulden des Landesversorgungsamtes. Da das Wissen der Mitarbeiter in der Grundsatzabteilung den An-
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
forderungen des § 852 BGB genügte und dieses Wissen spätestens eine Woche nach Eingang des Schreibens vom 18. 1. 198049 bei der Grundsatzabteilung in der Regreßabteilung hätte verrugbar sein müssen, hätte der BGH die erst ab Mai 1983 gerichtlich geltend gemachte Regreßforderung fiir verjährt erklären müssen. 50
E. Der "Versicherungsanstaltsfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Im "Versicherungsanstaltsfall" 51 ging es erneut um die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen im Rahmen des § 852 I BGB. Eine Landesversicherungsanstalt hatte Leistungen an einen Geschädigten erbracht und machte mit einer am 7. 2. 1990 eingereichten Klage Regreßansprüche gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer geltend. 52 Die Beklagten erhoben die Einrede der Verjährung. Die LVA habe bereits seit August 1981 Kenntnis von Schaden und Schädiger gehabt; sie habe jedenfalls - was unstreitig war- bereits am 19. 2. 1982 aus Anlaß dieses Unfalls einen Rentenbescheid erlassen. Die LVA hielt dem entgegen, daß ihre Rechtsabteilung, die fiir die Geltendmachung von Regreßansprüchen allein zuständig sei, erst am 10. 2. 1987 von dem Regreßfall Kenntnis erlangt habe. Die mit dem Schadensfall befaßte Leistungsabteilung hatte es zunächst unter Verletzung der einschlägigen Organisationsvorschriften versäumt, die Rechtsabteilung von dem Regreßfall zu unterrichten. Ein fiir die Benachrichtigung der Rechtsabteilung vorgesehenes Formblatt war versehentlich in die Akte eingeheftet worden, so daß diese in der Leistungsabteilung verblieben war, bis der Sachbearbeiterin bei der Bearbeitung des dritten Rentenantrages des Verletzten am 10. 2. 1987 aufgefallen war, daß die gebotene Unterrichtung der Rechtsabteilung unterblieben war. Entscheidend war, ob die Klägerin schon vor dem 7. 2. 1987 Kenntnis von Schaden, Schädiger und dem Unfallhergang erlangt hatte. Der VI. Zivilsenat
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gen.
Das Schreiben war spätestens arn 20. 1. 1980 in der Grundsatzabteilung eingegan-
Ablehnend Koller, JZ 1998, 75, 84. BGH NJW 1992, 1755; vgl. S. 100 ff. 52 Der Ersatzanspruch des Geschädigten aus § 823 I BGB war nach § 1542 RVO a. F. übergegangen. 50
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erklärte, daß es nach den von ihm im "Landesversorgungsamtsfall" 53 entwickelten Grundsätzen auf das Wissen der Bediensteten der Rechtsabteilung ankomme, die fil.r die Geltendmachung der Regreßansprüche allein zuständig sei. Es mache insofern keinen Unterschied, daß in dem vorliegenden Fall die Landesversicherungsanstalt auch fil.r die Gewährung der Leistungen zuständig war. Seien innerhalb der regreßbefugten Behörde mehrere Stellen fil.r die Bearbeitung des Schadensfalles zuständig, dann komme es auf den Kenntnisstand der Bediensteten der fil.r Regresse zuständigen Stelle an, im "Versicherungsanstaltsfall" also auf das Wissen der Rechtsabteilung. 54 Eine Zurechnung der Kenntnis eines "Wissensvertreters" setze nämlich voraus, daß er von dem Anspruchsträger mit der Erledigung der in Rede stehenden Angelegenheit in eigener Verantwortung betraut worden sei. Die Leistungsabteilung sei zwar mit dem Schadensfall verantwortlich befaßt gewesen, nach dem hier zugrunde zu legenden Organisationsplan der Klägerin indes nicht in Richtung auf die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die allein Aufgabe der Rechtsabteilung gewesen sei. 55 Der BGH lehnte daher die Zurechnung des Wissens der Mitarbeiter der Leistungsabteilung ab. Darauf, daß eine Organisationsvorschrift verletzt worden und deshalb Kenntnis erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten war, ging das Gericht nicht ein. Es hielt dies also für unerheblich.
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Wie im "Landesversorgungsamtsfal1" 56 läßt sich eine Wissenszurechnung nicht auf den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken oder die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung stützen, da es erneut nicht wn eine handlungsabhängige Wissenszurechnung geht.
111. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Zu erörtern ist eine Zurechnung des Wissens der Mitarbeiter der Leistungsabteilung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eige-
BGH NJW 1986, 2315; vgl. gerade unter D. BGHNJW 1992,1755,1756. 55 BGH NJW 1992, 1755, 1756. 56 BGH NJW 1986, 2315; vgl. gerade unter D.
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nes Wissen des Geschäftsherrn. Die Mitarbeiter verfügten über eine gewisse Selbständigkeit. Sie hatten die Infonnationen während der Vorbereinmg des Leisnmgsbescheides erlangt. Entscheidend ist, ob die Infonnationen nur "bei Gelegenheit" der Vorbereinmg des Leisnmgsbescheides erlangt wurden oder die Bediensteten der Leisnmgsabteilung zum Erwerb dieser Kenntnisse an sich eingesetzt waren. Wäre die Leisnmgsabteilung lediglich für die Leisnmgserbringung zuständig gewesen, so käme eine Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken nicht in Betracht. Die Bediensteten hätten dann die entsprechende Kenntnis nur bei Gelegenheit der Erfüllung ihrer Aufgabe, nämlich der Leisnmgserbringung, erlangt. Im "Versicherungsanstaltsfall" sollte aber die Leisnmgsabteilung nach den internen Organisationsvorschriften die für den Regreß zuständige Rechtsabteilung infonnieren. Die Bediensteten der Leisnmgsabteilung waren daher vom Geschäftsherrn gerade dazu eingesetzt, die relevanten Kenntnisse zu erwerben. Im Ergebnis sind die Kenntnisse der Bediensteten der Versicherungsanstalt dieser also entgegen der Entscheidung des BGH im Rahmen des § 852 BGB über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnen57 • Der Regreßanspruch war daher verjährt. 58 Gegen diese Zurechnung kann nicht eingewandt werden, daß die Wissenszurechnung über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken somit von der frei gewählten Organisation durch den Geschäftsherrn abhängt. Die Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken beruht gerade auf der Selbstbestimmung, dem Willen des Geschäftsherrn, also kann auch die von ihm frei gewählte Organisation als Indiz für diesen Willen herangezogen werden.
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Obwohl also feststeht, daß das Wissen hätte zugerechnet werden müssen, soll noch auf die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung eingegangen werden. Durch den arbeitsteiligen Einsatz von HUfspersonen schafft die Versicherungsanstalt das Risiko der Wissensaufspalnmg. Die Mitarbeiter der Leisnmgsabteilung wurden mit Wissen und Wollen der Versicherungsanstalt tätig. Die Erlangung von Kenntnissen über den Regreßfall steht in innerem Zusammenhang mit der Leisnmgsvergabe. Das entsprechende Wissen wurde daher auch dienstlich erworben.
57 Die Kenntnis der Mitarbeiter genügte den Anforderungen der konkreten Wissensnorm, des § 852 BGB. 58 Ablehnend Koller, JZ 1998, 75, 84.
§ 8 Die Konkretisienmg des Zurechnungsmodells
401
Da sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 852 BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, ist das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die ein bewegliches System bilden. Das Risiko der Wissensaufspaltung zwischen Leistungs- und Rechtsabteilung ist technisch beherrschbar, z. B. durch den von der Versicherungsanstalt vorgesehenen Weg über ein Formblatt. Dies ist nur mit geringen Kosten verbunden. Auch bewirkt die Weitergabe nur regreßrelevanter Informationen keine hohen Kosten der Information an sich, da die Rechtsabteilung ja gerade zu ihrer Bearbeitung zuständig ist Wld das Ausfüllen des Formblatts die Mitarbeiter der Leistungsabteilung nicht sehr belastet. Zwischen der Versicherungsanstalt und den Beklagten bestand zwar ein gesetzliches Schuldverhältnis in Form des kraft Gesetzes übergegangenen Schadensersatzanspruchs, doch traf zumindest die Gläubigerin dieses Anspruchs, die Versicherungsanstalt, keine spezifische Schutzpflicht gegenüber den Beklagten, so daß dieser Gesichtspunkt hier nicht besonders fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. fiir besonders strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht spricht. Wesentlich kommt es fiir die Bestimmung der Pflicht auf die Größe des Risikos und die Art des mutmaßlichen Nachteils des Dritten an. Für die Bewertung des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es zunächst darauf an, ob auch eine Einzelperson in der konkreten Rechtsbeziehung hätte stehen können. Wie im "Landesversorgungsamtsfall" 59 ist dies nicht der Fall, da Einzelpersonen nicht Schuldner von Versorgungsansprüchen sind. Es handelt sich also weder um einen Fall reiner Wissensaufspaltung noch um einen Fall reiner Wissenvermehrung. Die Funktion der Landesversicherungsanstalt als Versorgungsschuldner und Gläubiger des Regreßanspruchs bringt es aber mit sich, daß bei der Leistungsgewährung notwendig Informationen über den Schaden und den Schädiger erlangt werden. Es handelt sich also um einen Fall eher der Wissensaufspaltung. Dies war auch zur Zeit der Gefahrschaffung erkennbar. Der drohende Nachteil fiir den Dritten ist erheblich, da es, falls die Weiterleitung von Informationen aus der Leistungsabteilung an die Rechtsabteilung unterbleibt, vom Zufall abhängt, wie lange der Schädiger dem Regreßanspruch ausgesetzt ist. Selbst wenn die Versicherungsanstalt die Bediensteten der Leistungsabteilung nicht als "Wissensempfangsvertreter" eingesetzt hätte, hätte daher eine Pflicht fiir die Versicherungsanstalt bestanden, das Wissen der Mitarbeiter der Leistungsabteilung in der Rechtsabteilung verfiigbar zu machen, da auch die Ko-
59
BGH NJW 1986, 2315; vgl. gerade unter D.
26 Baum
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Teil ill: Beispiele zur WissenszurechnWlg
sten der Erfüllung dieser Pflicht, wie gesehen, vertretbar sind. Als Ausfluß des Kriteriwns der technischen Beherrschbarkeit ist der Versicherungsanstalt allerdings eine knappe Zeit für die Übermittlung der Information von der Leistungsabteilung an die Rechtsabteilung einzuräwnen. Diese Frist beträgt jedoch keinesfalls mehr als eine Woche. Es ist davon auszugehen, daß gegen eine solche Pflicht auch keine Erwägungen des Datenschutzes sprechen. Die Landesversicherungsanstalt hat durch einschlägige Informationsvorschriften angeordnet, daß die Rechtsabteilung zu informieren sei. Die Verletzung dieser Vorschriften durch das versehentliche Einheften des Formblatts in die Akte ist kausal für die Realisierung des Risikos der Wissensaufspaltung. Das fahrlässige Versagen der Hilfsperson ist dem Versorgungsamt hier strikt über § 278 BGB zuzurechnen, da zwischen Schädiger und Geschädigtem bzw. hier der Versicherungsanstalt als Anspruchsinhaberin eine Sonderverbindung, ein gesetzliches Schuldverhältnis in Form eines Schadensersatzanspruchs aus § 823 I BGB, bestand. Auch über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Riskioschaffung ist daher dem Landesversorgungsamts das Wissen der Mitarbeiter der Leistungsabteilung zuzurechnen.60 Auch über diesen Zurechnungsgrund kann daher von der Entscheidung des BGH abgewichen werden.
F. Der "Betriebsprüferfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Schließlich ging es auch im "Betriebsprüferfall" 61 wn die Zurechnung des Wissens einer unterorganschaftliehen Hilfsperson im Rahmen des§ 852 I BGB. Die Klägerin nahm den Beklagten mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch, daß dieser als Geschäftsführer der Komplementärin der inzwischen in Konkurs geratenen W -GmbH & Co. KG zahlreiche Arbeitnehmer als nicht sozialversicherungspflichtige sogenannte "Geringverdiener" geführt habe, obwohl diese über die Geringverdiener-Grenze hinaus beschäftigt und bezahlt worden seien. Der Antrag aufErlaß eines Mahnbescheides war beim Gericht am 23. 2. 1990 eingegangen. Der BGH entschied, daß ein etwaiger Anspruch jedenfalls verjährt sei. Für die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche war die Rückstandssachbearbeitung zuständig. Wäre es allein auf die Kenntnis der Mitarbeiter die-
60 Wie gesehen, genügte die Kenntnis der Mitarbeiter den AnforderWJgen der konkreten Wissensnorm. 61 BGH NJW 1994, 1150, vgl. S. 102 f.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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ser Abteilung angekommen, so wäre der Anspruch nicht verjährt gewesen. Der BGH rechnete der Klägerin jedoch auch die Kenntnis ihres Betriebsprüfers M zu. Dieser hatte bei einer Betriebsprüfung die Hinterziehungen aufgedeckt. Die Klägerin hatte am 11. 2. 1987 - also mehr als drei Jahre vor Eingang des Antrags auf Erlaß des Mahnbescheides - den undatierten Prüfbericht des M an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wußte M daher um den wesentlichen Umfang des angeblichen Schadens und die Person des vermeintlich Ersatzpflichtigen. Das Gericht fiihrte aus, daß dem "Versicherungsanstaltsfall"62 nicht entnommen werden könne, daß die Zuständigkeit für die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung der Regreß- bzw. Schadensersatzansprüche allein maßgeblich sein solle. Vielmehr komme es darauf an, ob die Abteilung, welcher der betreffende Bedienstete angehört, mit der Vorbereitung und Verfolgung von Regreßansprüchen betraut sei. M sei damit betraut gewesen, Beitragsverkürzungen zu ermitteln und der Klägerin darüber Bericht zu erstatten. Unter diesen Umständen könne von einer ausschließlichen Zuständigkeit der Abteilung Rückstandssachbearbeitung für Nachforderungsund Schadensersatzansprüche nicht die Rede sein. Vielmehr sei daneben die Abteilung Betriebsprüfung ebenfalls mit dem Anspruch befaßt gewesen. M sei daher "Wissensvertreter" der Klägerin, sein Wissen in Bezug auf die für § 852 BGB maßgebenden Umstände daher über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnen.63
ll. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Dies kann nicht überzeugen, da der Rechtsgedanke des § 166 I BGB nur eine handlungsabhängige Wissenszurechnung trägt. Bei § 852 I BGB geht es aber um eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung. Daher scheidet auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
m. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 lll BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Das Wissen des Betriebsprüfers ist der Klägerin jedoch über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnen. Dieser wurde von der Klägerin gerade dazu eingesetzt, Informationen über die Beitragsverkürzungen zu ermitteln. Dies war offenkundig und der Betriebsprüfer
62
63 26*
BGH NJW 1992, 1755, 1755; vgl. gerade unterE. BGHNJW 1994, 1150,1151.
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eigenverantwortlich tätig. Er war daher ihr "Wissensempfangsvertreter". Da das Wissen des Betriebsprüfers auch den Anforderungen der konkreten Wissensnorm genügte, ist dem BGH daher im Ergebnis zuzustimmen. IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung
Fraglich ist, ob auch eine Zurechnung über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung in Betracht kommt. Durch den arbeitsteiligen Einsatz des Betriebsprüfers hat die Klägerin das Risiko einer Wissensaufspaltung geschaffen. Der Betriebsprüfer wurde mit Wissen und Wollen der Klägerin für sie tätig. Der Wissenserwerb stand in einem inneren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit, er erfolgte dienstlich. Da sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 852 BGB, keine spezielle Regelung der Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung zwischen Betriebsprüfer und Rückstandsachbearbeitung ist technisch unproblematisch beherrschbar, z. B. durch Weiterleitung des Prüfberichts an die Rückstandssachbearbeitung. Dies ist nur mit geringen Kosten verbunden. Auch bewirkt die Weitergabe der Prüfberichte nur geringe Kosten an sich. Der Betriebsprüfer muß den Bogen nur einreichen. Die Rückstandssachbearbeitung ist gerade zur Bearbeitung solcher Informationen zuständig. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestand zwar ein gesetzliches Schuldverhältnis in Form des Ersatzanspruchs nach § 823 I, doch traf zumindest die Klägerin als Gläubigerin dieses Anspruches keine Schutzpflicht gegenüber dem Beklagten, so daß dieser Gesichtspunkt nicht besonders für eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, oder besonders strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht spricht. Es kommt für die Bestimmung einer möglichen Pflicht erneut wesentlich auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung und die Art des möglichen Nachteils des Dritten an. Für die Bewertung des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es zunächst darauf an, ob auch eine Einzelperson in der konkreten Rechtsbeziehung hätte stehen können. Eine Einzelperson hätte nicht in der konkreten Rechtsbeziehung stehen können, da sie nicht Gläubigerin von Sozialversicherungsansprüchen sein kann. Es handelt sich insofern jedenfalls nicht um einen Fall reiner Wissensaufspaltung oder reiner Wissensvermehrung. Da hier eine Hilfsperson extra und ausschließlich zum Informationserwerb tätig wurde, handelt es sich um einen Fall eher der Wissensvermehrung. Dies war auch zur Zeit der Risikoschaffung erkennbar.
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Der mutmaßliche Nachteil für den Dritten, hier den Beklagten, ist erheblich, da er ohne Weiterleitung der Information an die Rechtsabteilung ggf. für viele Jahre mit drohenden Schadensersatzansprüchen leben muß. Obwohl also der Gesichtspunkt, daß es durch den Einsatz des Betriebsprüfers eher zur Wissensvermehrung kommt, dafür spricht, mit der Annahme einer Pflicht zurliekhaltend zu sein, wird man wegen der sehr geringen Kosten und des drohenden erheblichen Nachteils für den Dritten gleichwohl von einer Pflicht ausgehen, das Wissen des Betriebsprüfers der Rückstandssachbearbeitung verfiigbar zu machen. Der Klägerin ist als Ausfluß des Kriteriums der technischen Beherrschbarkeil des Risikos lediglich eine knappe Übermittlungszeit zuzugestehen. Diese Pflicht ist verletzt, da das Wissen des Betriebsprüfers der Rückstandssachbearbeitung nicht zur VerfUgung stand. Es fehlt insofern an Angaben, ob und wie die Klägerin die Informationsweiterleitung organisiert hat, 64 doch ist die Pflicht jedenfalls deshalb verletzt, weil das Wissen nicht zur VerfUgung stand. Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Realisierung des Risikos der Wissensaufspaltung gilt der Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis gilt auch für das (Organisations-) Verschulden der Klägerin. Da das Wissen des Betriebsprüfers den Anforderungen des § 852 BGB genügt, läßt sich die Entscheidung des BGH auch auf die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung stützen.
G. Die "kanadischen Betrugsf"älle"
I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe In den "kanadischen Betrugsfällen" 65 rechnete der BGH einer Bank aufgrund des allgemeinen Rechtsgedankens des § 166 I BGB handlungsunabhängig das Wissen ihres Filialleiters in B. auch für ein Kreditgeschäft in der Filiale in M. zu. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Betrüger erwarb ein Mietwohnungsgrundstück in Kanada. Dieses teilte er in Eigentumswohnungen auf, um es an deutsche Käufer zu veräußern. Er garantierte eine 1OO%ige Finanzierung über die Mieteinnahmen und versprach, die Wohnungen nach fiinf Jahren zu 120% des Einstandspreises zurückzukaufen. Der Beklagte unterschrieb am 25. 3. 1983 eine Erwerbsverpflichtung für eine Wohnung. Teil des
64 Dies ist ein typisches Problem in Teil III, da die Instanzgerichte - zwangsläufig die für die hier vorgeschlagenen Zurechnungsgrundsätze relevanten Tatsachen nicht
ermittelt haben. 65 BGH NJW 1989, 2879 und 2881; vgl. S. 103 ff.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Vertragswerkes war auch ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Rechtsanwalt U, einem Bruder des Betrügers; danach sollte der U die Abwicklung der Kauf- und Finanzierungsverträge übernehmen. Am 21 . 4. 1983 bevollmächtigte der Beklagte den U entsprechend. Den Kautpreis kreditierten dem Beklagten zu je 30% die Filiale der Klägerin in B. und zwei weitere Kreditinstitute. Die übrigen 10% kreditierte die Filiale der Klägerin in M. Die Auszahlung der Darlehensvaluta erfolgte im März 1984 auf Anweisung des U auf das Konto einer Firma des Betrügers. In Wahrheit waren die in den Werbeunterlagen genannten Mieteinnahmen weit überhöht. Im Januar 1985 fiel der Betrüger mit seinen Firmen in Konkurs. Die Unrichtigkeit der Werbeunterlagen und das Ausmaß der Unterdeckung waren dem Filialleiter der Klägerin in B. ebenso wie dem U von Anfang an bekannt gewesen. Im Mai 1985 erklärte der Beklagte gegenüber dem U die Anfechtung der ihm erteilten Vollmacht wegen arglistiger Täuschung und teilte das der M.-Filiale der Klägerin mit. Die Klägerin kündigte daraufhin das Darlehen und verlangte Rückzahlung des Darlehenskapitals samt Zinsen. Der Beklagte berief sich darauf, daß die vom U geschlossenen Darlehensverträge unwirksam seien, da die Anfechtung der zugrundeliegenden Vollmacht wegen arglistiger Täuschung durchdringe, und hielt auch einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht fiir begründet. Die durch die Anfechtung der Vollmacht rückwirkend herbeigefiihrte Nichtigkeit der Vollmacht brauchte die Klägerin nur gegen sich gelten zu lassen, wenn sie bei Abschluß der Darlehensverträge die Anfechtbarkeit der ihr vom dem U vorgelegten Vollmacht des Beklagten gekannt hatte oder hätte kennen müssen. Das ergibt sich aus§§ 142 II, 173, 172 i. V. mit§ 171 BGB. Für den in der Filiale B. abgeschlossenen Darlehensvertrag war der Klägerin nach Ansicht des BGH das Wissen des dortigen Filialleiters F, der die Kreditverhandlungen persönlich gefiihrt hatte, aufgrund des allgemeinen Rechtsgedankens des § 166 I BGB zuzurechnen. 66 F, der um die unsolide Finanzierung wußte, habe die Täuschung des Beklagten zumindest aus Fahrlässigkeit nicht gekannt. Dies genüge nach §§ 14211, 173 BGB. Der in der Filiale in B. abgeschlossene Darlehensvertrag sei daher unwirksam. Mit der Klage wurde jedoch die Rückzahlung des Von der Filiale in M. ausbezahlten Darlehens gefordert. An der Gewährung dieses Darlehens hatte F nicht mitgewirkt. Da die Bediensteten der Klägerin in M. nicht um den wahren Sachverhalt wußten, hatte der BGH zu entscheiden, ob sich die Bank auch fiir
66 Es wird nicht recht deutlich, ob der BGH § 166 I BGB direkt oder analog anwendet. Analog wäre die Bestimmung nur dann anzuwenden, wenn der Filialleiter F den Kreditvertrag in der Filiale B. nicht selbst abgeschlossen hätte.
§ 8 Die Konkretisierung des ZurechnWlgsmodells
407
das in M. geschlossene, spätere Geschäft die Kenntnis bzw. die fahrlässige Unkenntnis des F zurechnen lassen mußte. Der Filialleiter F, so der BGH, habe sein rechtserhebliches Wissen im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin als deren Vertreter erworben. Die Frage, ob eine Großbank sich das derartig erworbene Wissen eines Filialleiters für spätere Geschäfte, auch wenn diese durch andere Mitarbeiter abgeschlossen wurden, zurechnen lassen muß, brauchte nach Ansicht des III. Zivilsenats in den "kanadischen Betrugsfällen" nicht umfassend entschieden zu werden. 67 Die Zurechnung der Kenntnisse des F fiir das später in M. gewährte Darlehen über den allgemeinen Rechtsgedanken des § 166 I BGB sei jedenfalls gerechtfertigt, weil dieses Darlehen der Finanzierung desselben Wohnungskaufs wie das vorher in B. gewährte gedient habe und dieser enge Zusammenhang vor Abschluß des Kreditvertrages in M. bekannt, ein Informationsaustausch daher möglich und naheliegend gewesen sei. Es komme nicht darauf an, ob sich die M.-Vertreter der Kl. tatsächlich mit der B.-Filiale in Verbindung gesetzt und welche Auskünfte sie erbeten und erhalten hätten. In derartigen Fällen erscheine es gerechtfertigt und geboten, einer Bank durch eine umfassende Wissenszurechnung die Möglichkeit zu nehmen, den Informationsaustausch zwischen ihren - rechtlich unselbständigen - Filialen im eigenen Interesse auf bestimmte Fragen zu beschränken, andere Punkte aber dabei auszuklammern, obwohl deren Aufklärung im Interesse des Verhandlungspartners geboten sein könne. 68 Die klagende Bank konnte ihren Anspruch daher nicht auf den Darlehensvertrag stützen. Auch ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung des Darlehens stand der Bank nach Ansicht des BGH gegen den Beklagten nicht zu. Das Risiko der Durchsetzung des Rückgewähranspruchs gegen den Betrüger müsse billigerweise nicht der arglistig getäuschte Beklagte, sondern die Klägerin tragen, weil sie bei der Darlehensgewährung die Täuschung kennen mußte, deren Folge die Anfechtung und damit die Nichtigkeit der Kausalbeziehung war.69 II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung
Zumindest die Begründung der Zurechnung mit dem aus§ 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken kann nicht überzeugen. Mit diesem kann Wissen einer Hilfsperson nur fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung zu-
67 BGH NJW 1989,2879,2880. 68 69
BGH NJW 1989, 2879,2881. BGH NJW 1989, 2879, 2881.
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gereclmet werden, an der diese selbst beteiligt war. Der Filialleiter in B. war aber nicht am Abschluß des Darlehensvertrages in der Filiale in M. beteiligt. Daher scheidet auch eine Zureclmung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszureclmung wegen Risikoschaffung aus. ill. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Möglicherweise war der Filialleiter in B. jedoch "Wissensempfangsvertreter" der Bank, so daß sein Wissen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken der Bank als eigenes Wissen zuzureclmen ist. In einem zweiten Schritt wäre dann zu erörtern, ob dieses Wissen analog oder direkt nach § 166 II BGB fiir den Darlehensvertrag in der Filiale in M. zuzureclmen ist. Damit der Filialleiter als "Wissensempfangsvertreter" anzusehen ist, müßte er gerade zur Entgegenahme von Informationen über die Unrichtigkeit der Werbeunterlagen und der Unterdeckung eines Geschäfts eingesetzt worden sein. Dies ist ein Filialleiter jedoch nicht. Er mag solche Informationen typischerweise erlangen, doch liegt der Zureclmungsgrund der "Wissensempfangsvertretung" nicht schon bei jeder dienstlichen Kenntniserlangung vor. Der Filialleiter soll in der Regel wichtige Geschäfte durchführen. Die Bank will jedoch nicht gerade das hier relevante Wissen über ilm erlangen. Er ist nicht als "Wissensempfangsvertreter" fiir diese Art Information eingesetzt.
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Möglicherweise kommt aber eine Zureclmung über die handlungsunabhängige Wissenszureclmung kraft Risikoschaffung in Betracht. Durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen schafft die Bank das Risiko der Wissensaufspaltung. Der Filialleiter wurde mit Wissen und Wollen der Bank beim Abschluß des Kreditvertrages in B. tätig. Zwischen Kenntniserlangung und Tätigkeit bestand auch ein innerer Zusammenhang, der Wissenserwerb erfolgte dienstlich. Da sich aus den rationes legum der konkreten Wissensnormen, der§§ 142 II, 173 BGB, keine speziellen Vorschriften über die Wissenszurechung ergeben, bestimmt sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Durch den Einsatz moderner Datenverarbeitung ist das Risiko einer Wissensaufspaltung zwischen verschiedenen Bankfilialen beherrschbar. Hierbei entstehen erhebliche Kosten fiir die Anschaffung von Hard- und Software. Darüber hinaus können die Kosten fiir Information an sich exorbitante Ausmaße annehmen, da die Gefahr besteht,
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daß durch einen wnfassenden Informationsaustausch die Hilfspersonen von Information verschüttet werden. Bei der Festlegung einer Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, ist insbesondere diesem Gesichtspunkt Rechmmg zu tragen. Zwischen der Bank Wld dem Beklagten bestand zur Zeit der Informationserlangung das gesetzliche Schuldverhältnis der VertragsverhandlWlgen. Die Bank war daher zu erhöhter Sorgfalt Wld Loyalität gegenüber dem Beklagten sowie zu Anstrengungen zu dessen Schutz verpflichtet. Dies spricht fiir eine Pflicht der Bank, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. strengere AnforderW1gen an den Inhalt dieser Pflicht. Hieran ändert sich nichts dadurch, daß der Rechtsanwalt U, ein Bruder des Betrügers, die Abwicklung der Finanzierung übernahm. Wesentlich kommt es auch hier wieder auf die Größe des Risikos der WissensaufspaltWlg Wld die Art des mutmaßlichen Nachteils des Dritten an. Für die BewertWlg der Größe des Risikos der WissensaufspaltWlg kommt es ZW1ächst darauf an, ob auch eine Einzelperson das konkrete Geschäft hätte durchfUhren können. Die Finanzierung eines großen Kreditgeschäfts über mehrere Filialen hätte eine Einzelperson jedoch nicht durchfUhren können. Es handelt sich also erneut wn einen Fall der weder eindeutig der WissensaufspaltWlg noch der WissensvermehrWlg zuzuordnen ist. Es geht bei dem hier relevanten Wissen jedoch wn Wissen, das die Bank notwendig bei der DurchfiihrWlg des Kreditgeschäfts erworben hat, da es bei der Finanzierung in der Filiale in B. erworben wurde. Der Fall ist also ein Fall eher der WissensaufspaltWlg. Bei der Beteiligung verschiedener Bankfilialen an der Finanzierung eines größeren Projekts ist das Risiko der WissensaufspaltWlg darüber hinaus sehr groß. Dies war zur Zeit der Risikoschaffung, der Kenntniserlangung durch den Filialleiter in B., ersichtlich, da vorhersehbar war, daß verschiedene Filialen an der FinanziefW1g größerer Projekte beteiligt sein werden Wld daß in einer Filiale Wissen erworben werden kann, das in einer anderen, ebenfalls an der Finanzierung eines größeren Projekts beteiligten Filiale von BedeutWlg ist. Auch sind die Nachteile, die sich für Dritte aus dem Risiko der WissensaufspaltWlg ergeben, groß. Größere fmanzielle Projekte sind mit bisweilen existentiellen Risiken verbWlden. Zwnindest sehr wichtige Informationen, die erkennbar in einer anderen Filiale von BedeutWlg sein können, muß der Geschäftsherr wegen des großen Risikos der WissensaufspaltWlg Wld seiner besonderen Pflichten gegenüber den Partnern der VertragsverhandlWlgen daher dort verfiigbar machen. So liegt es hier. Bleibt diese Pflicht auf die VerfiigbarmachWlg sehr wichtiger Informationen beschränkt, sind auch die entstehenden Kosten vertretbar. Eine überregional tätige Bank wird aus eigenem Interesse über ein Informationssystem verfUgen, das den Austausch zwischen verschiedenen Filialen ermöglicht. Es fallen also nicht die vollen Anschaffungskosten an. Bei sehr wichtigen Informationen ist auch der Kostenfaktor Information an sich noch vertretbar, da die Menge sehr wichtiger Informationen, die ausgetauscht werden muß, nicht übergroß ist.
410
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Allerdings wurde das Wissen vermutlich erst zeitlich später relevant. Es stellt sich also auch die Frage, wie lange Wissen verfügbar zu halten ist. 70 Dies bestimmt sich ebenfalls über ein bewegliches System mit im wesentlichen denselben Kriterien wie bei der Festlegung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen. Das Risiko, daß Wissen zeitlich später relevant wird, ist mit einem Informationssystem technisch beherrschbar. Die Kosten für Hard- und Software fallen für die zeitliche Verfügbarkeit nicht ins Gewicht. Sofern Wissen verfügbar zu machen ist, ist es nicht sehr teuer, es in Akten oder Dateien aufzubewahren. Allerdings führt die dauerhafte Lagerung unter Umständen wieder zu einer für die einzelnen Hilfspersonen kaum mehr zu beherrschenden Menge an Information. Dem ist bei der Ausgestaltung der Pflicht Rechnung zu tragen. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Bank wegen des bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses der Vertragsverhandhmgen besondere Pflichten gegenüber dem Beklagten hatte. Dies spricht für eine Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, bzw. strengere Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. W esentlkh sind wieder die Größe des Risikos und Art und Umfang des möglichen Nachteils für den Dritten. Für die Größe des Risikos kommt es darauf an, wie wichtig eine Information ist. Je offensichtlich wichtiger eine Information, um so länger muß die arbeitsteilige Struktur über diese verfügen. Eine Information über betrügerische Machenschaften ist von großer Bedeutung. Es ist wahrscheinlich, daß diese zeitlich später für andere Geschäfte relevant wird. Der mögliche Nachteil für Dritte ist bei Finanzierungsprojekten erheblich. Schließlich lag zwischen dem Zeitpunkt des Erlangens der relevanten Kenntnis in der Filiale in B. und dem Abschluß des Darlehensvertrages in M. kein langer Zeitraum. Zur Konkretisierung der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, sind im Prinzip auch die Anforderungen der Einzelnorm heranzuziehen.7 1 Soweit ersichtlich werden bei §§ 142 II, 173 BGB aber keine besonderen Anforderungen an das Sich-Erinnern gestellt. Die Information mußte wegen ihrer Bedeutung und der fortdauernden Vertragsanbahnungsbeziehung jedenfalls zur Zeit des Abschlusses des Darlehensvertrages in der Filiale in M. noch verfügbar gehalten werden. Dies führt auch nicht zu einer übermäßigen Belastung der Bank mit Information an sich. Da die Information nicht verfügbar war, war die Pflicht verletzt. Für den Nachweis der Kausalität der Pflichtverletzung für die Wissensaufspaltung gilt der Anscheinsbeweis. Für das (Organisations-) Verschulden der Bank gilt dieser ebenfalls. Da das Wissen des Filialleiters den Anforderungen der konkreten
70
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Vgl. S. 279 ff. Vgl. S. 285 f.
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Wissensnorm, der §§ 142 II, 173 BGB, genügte, ist dem BGH im Ergebnis zuzustimmen.
H. Der "Knollenmergelfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Im "Knollenmergelfall" 72 rechnete der BGH das Wissen eines Sachbearbeiters im Baurechtsamt der beklagten Gemeinde fiir ein Grundstücksgeschäft im Ergebnis nicht über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zu. Gegenstand des Rechtsstreits war der Verkauf eines mangelbehafteten Grundstücks durch eine Gemeinde. Die beklagte Gemeinde hatte, vertreten durch einen Stadtamtsrat beim Liegenschaftsamt, den Klägern ein Baugrundstück unter Ausschluß der Gewährleistung verkauft. In dem Vertrag versicherte die Stadt, daß ihr von verborgenen Sachmängeln nichts bekannt sei. Der Baugrund bestand jedoch teilweise aus Knollenmergeln. Dies machte zusätzliche Baumaßnahmen erforderlich. Die Kläger verlangten von der Gemeinde nach § 463 S. 2 BGB wegen arglistigen Verschweigens des Mangels als Schadensersatz die Erstattung der Mehrkosten. Einem Sachbearbeiter im Baurechtsamt war der Mangel bekannt gewesen. Der BGH ging davon aus, daß im Prinzip eine Aufklärungspflicht über die Knollenmergel bestanden hätte. Die Aufklärungspflicht setze jedoch Wissen der Gemeinde um den Mangel voraus. 73 Das Gericht stellte zunächst fest, daß entsprechendes Wissen weder bei einem Organmitglied der Beklagten noch bei einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter vorgelegen habe. Insbesondere sei auch der Sachbearbeiter im Baurechtsamt kein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten. Eine Haftung der Beklagten wegen Organwissen komme daher nicht in Betracht.74 Das Gericht erwog dann, ob sich die Gemeinde das Wissen des Sachbearbeiters über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zurechnen lassen mußte. "Wissensvertreter" sei jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen sei, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls wei-
72 73 74
BGH NJW 1992, 1099, vgl. S. 107 ff. BGH NJW 1992, 1099, 1100. BGH NJW 1992, 1099, 1100.
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terzuleiten. Er brauche weder zwn rechtsgeschäftliehen Vertreter noch zwn "Wissensvertreter" ausdtücklich bestellt zu sein. Der Geschäftsherr müsse sich aber seiner im rechtsgeschäftliehen Verkehr wie eines Vertreters bedienen. Habe der Wissensträger den Geschäftsherrn nur intern beraten, scheide eine sinngemäße Anwendung von § 166 I BGB aus. 75 Nach diesen Grundsätzen müsse sich die Beklagte das Wissen ihres Sachbearbeiters im Baurechtsamt nicht zurechnen lassen. Denn es sei weder festgestellt, noch behauptet worden, daß sie ihn mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Aufgaben im privatrechtliehen Geschäftsverkehr betraut habe. Dies sei der Unterschied zwn "Supermarktfall" 76 und den "kanadischen Betrugsfallen"77.78
ß. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Eine Wissenszurechnung über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken scheidet in der Tat aus, da der Sachbearbeiter im Baurechtsamt an dem Grundstücksgeschäft nicht beteiligt war. Daher scheidet auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
m. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Der Sachbearbeiter wäre "Wissensempfangsvertreter", wenn er gerade damit betraut gewesen wäre, für die Gemeinde Informationen über Bodenmängel zu erwerben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ein Sachbeamter im Baurechtsamt mag typischerweise Informationen über die Bodenbeschaffenheit von Grundstücken erwerben. Er ist aber nicht dazu eingesetzt, für die Gemeinde solche Informationen zu erwerben. Insofern fehlt es an einem entsprechenden Willen des Geschäftsherrn. Der Sachbearbeiter erwirbt die Information vielmehr nur bei Gelegenheit der Ausübung seiner Tätigkeit. Der Geschäftsherr muß sich aber nicht jegliches dienstlich erlangte Wissen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zurechnen lassen.
BGH NJW 1992, 1099, 1100. BGH NJW 1984, 1953; vgl. gerade unter C. 77 BGH NJW 1989,2879 und 2881; vgl. gerade unter G. 78 BGH NJW 1992, 1099, 1100. 75
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§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung
Es verbleibt als weiterer möglicher Zurechnungsgrund die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. Durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen schafft die Gemeinde das Risiko der Wissensaufspaltung. Der Sachbearbeiter wurde mit Wissen und Wollen der Gemeinde tätig. Der Erwerb des Wissens um die Knollenmergel stand in einem inneren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit. Er erfolgte dienstlich. Da sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm, des § 463 S. 2 BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissenaufspaltung zwischen verschiedenen Ämtern einer Gemeinde ist durch den Einsatz moderner Datenverarbeitung technisch beherrschbar. Die Kosten fiir die Anschaffung von Hardund Software sind erheblich. Erheblich sind auch die möglicherweise entstehenden Kosten von Information an sich. Ein genereller Austausch von Information zwischen verschiedenen Ämtern einer Gemeinde würde zu einer großen Belastung der einzelnen Mitarbeiter mit Informationseingabe und -Verarbeitung fiihren. Man wird aus diesem Grund bei der Annahme einer Pflicht, Informationen auszutauschen, jedenfalls zurückhaltend sein müssen. Zwar bestand zwischen den Parteien zur Zeit des Vertragsschlusses das gesetzliche Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen, doch war dies bei Risikoschaffung, nämlich der Kenntniserlangung durch den Sachbearbeiter im Baurechtsamt, nicht vorhersehbar. Unter diesen Umständen, spricht der bestehende rechtsgeschäftliche Kontakt nicht besonders fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. besonders strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Wichtig sind auch die Größe des Risikos und die Art des mutmaßlichen Nachteils fiir den Dritten. Die Realisierung des Risikos der Wissensaufspaltung ist hier fiir den Dritten, die Erwerber, mit einem erheblichen Nachteil verbunden. Sie erhalten ein fiir Baumaßnahmen nur unter zusätzlichen Aufwendungen taugliches Grundstück, ohne fiir diese Aufwendungen Regreß nehmen zu können. Für die Bewertung des Risikos der Wissensaufspaltung ist zunächst danach zu unterscheiden, ob das konkrete Geschäft auch von einer Einzelperson hätte durchgefiihrt werden können. Das Geschäft, den Verkauf eines Grundstücks, hätte auch eine Einzelperson durchfUhren können. Vorliegend handelt es sich aber nicht um einen Fall ausschließlicher Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung, da eine Einzelperson nicht notwendig über das Wissen um den Mangel verfiigt hätte. Andererseits läßt sich das Wissen um den Bodenmangel nicht ausschließlich auf eine arbeitsteilig bedingte Wissensvermehrung zurückfUhren.
414
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Die Gemeinde hat das Wissen zwar im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit erlangt, doch hätte auch eine Einzelperson solches Wissen, z. B. vom Baurechtsarnt, erhalten können. Daß das Wissen bei Ausführung einer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit erlangt wurde, weist jedenfalls darauf hin, daß es sich um einen Fall eher der Wissensvermehrung handelt. Auch ist es unwahrscheinlich, daß eine Einzelperson über das Wissen verfugt hätte. So stellt sich zum Zeitpunkt der Risikoschaffung, nämlich der Kenntniserlangung durch den Sachbearbeiter im Baurechtsarnt, das Risiko einer Wissensaufspaltung zwischen dem Baurechtsamt und dem fiir den Verkauf von Grundstücken zuständigen Liegenschafharnt gewöhnlich als klein dar. Dies gilt zumindest, sofern die Veräußerung gemeindlicher Grundstücke nicht planmäßig erfolgt. Man wird eine Gemeinde, angesichts des geringen Risikos der Wissensaufspaltungund der hohen Kosten, trotz des drohenden großen Nachteils fiir den Dritten daher nicht fiir verpflichtet halten, einen Informationsaustausch zwischen Baurechtsamt und Liegenschaftsamt sicherzustellen. Der Entscheidung des BGH ist daher im Ergebnis zuzustimmen.
I. Der "Kreditabteilungsfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Um die Zurechnung des Wissens einer unbeteiligten Hilfsperson fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer von einer anderen Hilfsperson vorgenommenen Handlung ging es auch im "Kreditabteilungsfall" 79• Ein fiiiherer Angestellter der Klägerin hatte Schecks unterschlagen und zur Gutschrift auf sein Konto bei der Beklagten eingereicht. Der Kreditabteilung war bekannt, daß der Angestellte Mitarbeiter der Klägerin gewesen war. Diese Kenntnis hätte nach Ansicht des OLG Karlsruhe ausgereicht, um einen Schadensersatzanspruch nach §§ 990 I, 989 BGB i.V.rnit Art. 21 ScheckG zu begründen. Das Gericht erklärte jedoch, daß sich die Beklagte das Wissen der Kreditabteilung fiir die Hereinnahme der Schecks nicht zurechnen lassen müsse. Maßgebend sei nach dem Gedanken des § 166 I BGB das Wissen der Person, welche die Bank bei der Hereinnahme von Schecks im Rahmen des Geschäftsganges vertrete oder von ihr mit Aufgaben zur Abwicklung des Scheckeinzugs in eigener Verantwortung betraut worden sei. Das seien neben dem Angestellten, der den Scheck arn Annahmeschalter entgegennehme, auch die Angestellten, die in der Scheck- und Belegabteilung fiir die Bearbeitung und Überprüfung des
79
WM 1995, 378 ff.; vgl. S. 109 f.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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Schecks zuständig seien und denen der Scheck von dem Bankschalter oder der Postöffnungsstelle vorgelegt werde. Umstände, die zwar anderen, jedoch mit dem Scheckerwerb und seiner Prüfung nicht befaßten Angestellten bekannt seien, könnten den zuständigen Angestellten und dem Kreditinstitut grundsätzlich nicht zugerechnet werden. 80 Eine Zurechnung des Wissens komme auch nicht nach den Grundsätzen der "filialübergreifenden Wissenszusammenrechnung", ausgehend vom Rechtsgedanken des § 166 I BGB, in Betracht. Die Angestellten der Kreditabteilung seien mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Aufgaben in dem Bereich des Scheckeinzugs nicht betraut gewesen. Darin unterscheide sich der vorliegende Fall vom "Supermarktfall" 81 und den "kanadischen Betrugsfällen" 82 • Dort hätten die Personen (Kassierer und Leiter einer Bankfiliale) ihr Wissen, das der Bank zugerechnet wurde, gerade in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in dem speziell in Rede stehenden Geschäftskreis erlangt. 83 Nur wenn ein sachlicher Zusammenhang der in den verschiedenen Abteilungen der Beklagten angefallenen Vorgänge naheliege, könne es in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des BGH zur Wissenszusammenrechnung im Verhältnis verschiedener Bankfilialen geboten sein, das Aktenwissen einer an dem Prüfungsvorgang nicht beteiligten Abteilung der Beklagten zuzurechnen.84 Das OLG Karlsruhe lehnte daher im "Kreditabteilungsfal1" 85 die Zurechnung des Wissens der Kreditabteilung für die Gutschrift eines Schecks ab.
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Die Zurechnung über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken scheidet in der Tat aus, da die Mitarbeiter der Scheckabteilung nicht an Entgegennahme und Gutschrift des Schecks beteiligt waren. Daher scheidet auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
80
OLG Karlsruhe, WM 1995, 378, 379 f.
81 BGH NJW 1984, 1953; vgl. gerade unter C. BGH NJW 1989,2879 und 2881 ; vgl. gerade unter G. OLG Karlsruhe, WM 1995, 378, 380. 84 OLG Karlsruhe, WM 1995, 378, 380. 85 WM 1995,372,380. 82 83
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
111. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Die Mitarbeiter der Kreditabteilung waren auch nicht "Wisssensempfangsvertreter" der Bank fiir die Information, daß der Scheckeinreicher ein früherer Angestellter der Klägerin war. Die Mitarbeiter der Kreditabteilung wurden nicht gerade von der Bank eingesetzt, solche Informationen fiir sie zu erlangen. Sie erlangten die Information vielmehr "bei Gelegenheit" der Erfüllung ihrer Aufgaben.
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Eine Zurechnung kommt also wieder nur über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung in Betracht. Die Bank schafft durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen das Risiko der Wissensaufspaltung. Die Mitarbeiter der Kreditabteilung wurden mit Wissen und Wollen der Bank tätig. Zwischen Kenntniserwerb und Tätigkeit bestand ein innerer Zusammenhang, der Kenntniserwerb erfolgte dienstlich. Da sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm, des § 990 BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmen sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung ist filialintern zwischen verschiedenen Abteilungen technisch durch ein umfassendes Computersystem beherrschbar. Da filialintern mittlerweile gewöhnlich ein Computersystem besteht, dürften die Anschaffungskosten fiir Hard- und Software nicht erheblich ins Gewicht fallen. Erheblich wären bei einem generellen Informationsahgleich aber die Kosten von Information an sich. So würde es zu einer starken Belastung der Hilfspersonen mit Kundenkontakt kommen, wenn ihnen alle Daten aus allen Abteilungen bei jedem Geschäft zur Verfügung ständen und sie diese stets zur Kenntnis zu nehmen hätten. Die Arbeit würde erschwert, ggf. sogar unmöglich. Auch könnten Gesichtspunkte des Datenschutzes dagegen sprechen, die zahlreichen persönlichen Daten, die bei Beantragung eines Kredits angegeben werden müssen, jedem Schalterbeamten zur Verfügung zu stellen. Zwischen Klägerin als Scheckbegünstigter und der Beklagten bestand kein86 rechtsgeschäftlicher Kontakt, so daß dieser Gesichtspunkt nicht besonders fiir
Jedenfalls bestand kein hier relevanter rechtsgeschäftlicher Kontakt, der aus den Sachverhaltsangaben hervorginge. 86
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
417
eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, bzw. besonders strenge Anfordenmgen an den Inhalt der Pflicht spricht. Es kommt für die Frage, ob eine Pflicht besteht, Wissen verfügbar zu machen, auch auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung und das Ausmaß des möglichen Nachteils für den Dritten an. Abhandengekommene Schecks bedeuten einen erheblichen Nachteil für Dritte, hier die Klägerin. Gleichzeitig läßt sich aber sagen, daß das Risiko des Abhandenkommeng notwendig mit dem Gebrauch des flexiblen Zahlungsmittels Scheck verbunden ist. Für die Bewertung des Risikos der Wissensaufspaltung ist zunächst danach zu unterscheiden, ob auch eine Einzelperson ein bestimmtes Geschäft hätte durchführen können. Das konkrete Geschäft, die Hereinnahme eines Inhaberschecks zur Einziehung wird nicht von einer Einzelperson durchgeführt. Es handelt sich daher weder um einen Fall ausschließlich der Wissensaufspaltung, noch um einen Fall ausschließlich der Wissensvermehrung. Die Bank hat bei Hereinnahme des Schecks auch nicht notwendig das hier relevante Wissen erworben. Es handelt sich daher nicht unter diesem Gesichtspunkt um einen Fall eher der Wissensaufspaltung. Um festzulegen, ob ein Fall eher der Wissensaufspaltung oder eher der Wissensvermehrung vorliegt, ist daher danach zu fragen, wie wahrscheinlich es bei Risikoschaffi.mg, also zur Zeit der Kenntniserlangung, war, daß Wissen aus der Kreditabteilung für Schaltergeschäfte relevant werden konnte. Bei Risikoschaffung war nun ersichtlich, daß Wissen aus der Kreditabteilung für Schaltergeschäfte relevant werden konnte, allerdings gilt dies nur für einen kleinen Teil des Wissens und einen noch kleineren Teil der Schaltergeschäfte. Betrachtet man nur den möglichen Nachteil für den Dritten und die Größe des Risikos, so handelt es sich um einen Grenzfall. Entscheidend gegen die Annahme einer Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, sprechen hier die erheblichen Kosten der Information an sich bei einem umfassenden Datenabgleich zwischen verschiedenen Abteilungen einer Filiale und der Aspekt des Datenschutzes. Der Entscheidung des OLG Karlsruhe ist daher im Ergebnis zuzustimmen.
27 Baum
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Teil ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
J. Der "PKW-Fall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Im "PKW-Fall'' 87 ging es ebenfalls um die ZurechnWlg des Wissens einer an einer konkreten HandlWlg Wlbeteiligten Wlterorganschaftlichen Hilfsperson. Im Ergebnis ließ der BGH offen, ob zuzurechnen war. Der Kläger verlangte die WandlWlg eines Kaufvertrags über einen gebrauchten PKW. Diesen hatte er von der Beklagten, einer GmbH & Co. KG, erworben. Der Vertrag war mit dem Inhalt zustande gekommen, daß als Sollbeschaffenheit des Fahrzeugs eine dem Stand des km-Zählers entsprechende Laufleistung von 37000 km vereinbart wurde. In Wahrheit war die Gesamtlaufleistung des KfZ höher. Diese erhöhte Gesamtlaufleistung stellte nach Ansicht des BGH einen Mangel dar. Zum ZeitpWlkt des WandlWlgsbegehrens war die Sechs-Monatsfrist des § 477 BGB bereits abgelaufen. Darüber hinaus hatten die Parteien einen Gewährleistungsausschluß vereinbart. Der Kläger konnte daher nur Erfolg haben, wenn die Beklagte bei Abschluß des Vertrages arglistig gewesen war (§§ 476, 477 I BGB). Die VerhandlWlgen mit dem Kläger fiihrte der Mitarbeiter R der Beklagten, der in der GebrauchtwagenabteilWlg tätig war. Dieser wußte nicht um die erhöhte GesamtlaufleistWlg. Den PKW hatte die Beklagte von dem Voreigentümer G in Zahlung genommen. Der G hatte dem fiir die Beklagte handelnden, nicht zum Vertragsschluß bevollmächtigten Angestellten K mitgeteilt, daß die Gesamtlaufleistung höher war als der Tachostand. Diese Angabe hatte der Angestellte K an die DispositionsabteilWlg der Beklagten weitergegeben. Dort wurde die Information in einem Computer gespeichert. Für die GebrauchtwagenabteilWlg der Beklagten hatte der Angestellte K entgegen sonstigen Gepflogenheiten im Betrieb der Beklagten nicht Wlmittelbar bei Hereinnahme des Fahrzeugs, sondern erst zu einem späteren ZeitpWlkt zum Zwecke des Verkaufs eine "Gebrauchtwagen-Vereinbaroog" ausgefiillt. Zu diesem Zeitpunkt sei, so die Beklagte, dem K die MitteilWlg über den wahren Kilometerstand nicht mehr erinnerlich gewesen, deshalb habe er den Kilometerzählerstand von 37000 km in die "Vereinbaroog" eingetragen. Von dieser Angabe war dann der R ausgegangen. Der BGH hielt zunächst fest, daß es sich bei der Beklagten um eine GmbH & Co. KG handelte, nicht um eine juristische Person; fiir sie handele
87
BGH NJW 1996, 1205, vgl. S. 110 ff.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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lediglich eine solche(§§ 161 II, 125 HGB). Für die Frage, ob bei der beklagten KG das fiir eine Arglist erforderliche Tatbestandsmerkmal der Kenntnis des Saclunangels vorliege, sei auf die Kenntnis ihres einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafters abzustellen, also auf die Komplementär-GmbH. 88 Ein insoweit in Betracht kommendes Wissen des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH, die dieses Wissen der Kommanditgesellschaft vermitteln würde, habe das Berufungsgericht nicht festgestellt. 89 Zuzurechnen sei der GmbH allerdings das Wissen des Angestellten K in der Einkaufsabteilung des Untemelunens. Diesem sei die Divergenz zwischen Kilometerzählerangabe und der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs, somit der Saclunangel, bekannt gewesen. Auf denK als sogenannten "Wissensvertreter" finde die Vorschrift des § 166 BGB entsprechende Anwendung. Er sei ermächtigt gewesen, fiir die Beklagte im Rahmen der vorgegebenen Preiskalkulation selbständig bei der Inzahlungnalune von Gebrauchtwagen tätig zu werden. Er sei demnach damit betraut gewesen, nach außen eigenständig Aufgaben zu erledigen, Informationen zur Kenntnis zu nelunen und sie weiterzuleiten. Folge der Zurechnung sei, daß das Wissen als Wissen der GmbH, nämlich ihres Geschäftsführers, zu betrachten sei. Hierbei sei es unschädlich, daß der Angestellte in der Einkaufsabteilung der Beklagten beschäftigt und somit mit dem Verkauf an den Beklagten nicht befaßt war. Zum einen sollte, so der BGH, der Einkauf des mängelbehafteten Fahrzeugs ausschließlich zum Zweck des Wiederverkaufs erfolgen; zum anderen sei es gerade Aufgabe des Angestellten K gewesen, Informationen über das Fahrzeug entgegenzunelunen und an die Verkaufsabteil•mg weiterzuleiten.9° Das Berufungsgericht habe aber unberücksichtigt gelassen, daß der Angestellte K - nach dem nicht widerlegten Vortrag der Beklagten - zu dem Zeitpunkt, als er die "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" anfertigte, die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs bereits vergessen hatte. Die Fortdauer der Wissenszurechnung hänge davon, ob es sich bei den fraglichen Tatsachen um "typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen" handele. Danach könne aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts eine Arglist der Beklagten nicht bejaht werden. Im Ausgangspunkt sei zwar eine Verpflichtung der Beklagten zu bejahen, die Abweichung zwischen der auf dem Kilometerzähler ausgewiesenen und der tatsächlichen, wesentlich höheren Fahrleistung des Fahrzeugs so zu dokumentieren, daß auch bei der Aufspaltung der innerbetrieblichen Organisation zwischen 88 BGH NJW 1996, 1205. 89 90 27•
BGHNJW 1996, 1205. BGH NJW 1996, 1205, 1205 f.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Einkaufs- und Verkaufsabteilung die Information über diesen Umstand nicht "verlorengeht". Dies liege angesichts der besonderen Bedeutung, die der Käufer eines Gebrauchtwagens gerade dessen Kilometer-Leistung zumesse, auf der Hand. 91 Die Dokumentationspflicht habe die Beklagte indessen dadurch hinreichend erfüllt, daß sie in Gestalt der "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" organisatorische Vorkehrungen getroffen habe, um für einen etwaigen Käufer relevante Informationen schon beim Einkauf eines Gebrauchtwagens schriftlich festzuhalten und an die Verkaufsabteilung weiterzuleiten. Daß der Angestellte K pflichtwidrig diese schriftliche "Vereinbarung" nicht sogleich bei der Hereinnahme des Fahrzeugs ausgefüllt und bei der Nachholung eine unzutreffende Laufleistung eingetragen habe, weil er - nach dem Vortrag der Beklagten - die richtige Zahl vergessen hatte, begründe lediglich den Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber dem Angestellten K und somit der Beklagten, nicht aber den Kenntnis voraussetzenden Arglistvorwurf. Es verhalte sich nicht anders als bei dem Vergessen relevanter Tatsachen durch eine natürliche Person oder als in dem Fall, daß der Angestellte K nicht nur bei der Hereinnahme des Fahrzeugs in der Neuwagenabteilung der Beklagten tätig geworden, ihm der fragliche Umstand aber zwischenzeitlich entfallen wäre. 92 Auf die Speicherung der Fahrzeugdaten einschließlich der richtigen Gesamtlaufleistung im Computer der Dispositionsabteilung und den Umstand, daß die Geschäftsleitung der Beklagten von dieser Informationsmöglichkeit offenbar keinen Gebrauch gemacht habe, komme es nicht an. Die Speicherung im Computer der Dispositionsabteilung sei offenbar nur zu "hausintemem" Gebrauch, insbesondere zur Erstellung der abschließenden Rechnung gedacht. Für die Zwecke des Verkaufs sei hingegen der andere Dokumentationsweg, nämlich die Erstellung der sogenannten "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" geschaffen worden. Daß die Beklagte mit der computermäßigen Erfassung der Daten eine zusätzliche Informationsquelle geschaffen habe, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie - aus hier nicht näher aufgeklärten Gründen - von dieser Quelle keinen Gebrauch mache. 93 Der BGH verwies daher an das Berufungsgericht zurück, um festzustellen, ob der K bei Ausfüllen der "Vereinbarung" die Abweichung der Laufleistung vergessen hatte. Habe der K die "Gebrauchtwagen-Vereinbarung" wissentlich falsch ausgefüllt, so sei Arglistaufseiten der Beklagten gegeben.94
91
92
93 94
BGH NJW 1996, BGH NJW 1996, BGH NJW 1996, BGH NJW 1996,
1205, 1205, 1205, 1205,
1206. 1206. 1206. 1206.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Im "PKW-Fall" 95 scheidet die Zurechnung des Wissens des Angestellten K über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken aus, da dieser am Verkauf des PKW nicht beteiligt war. Daher scheidet auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
m. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Das Wissen des K wäre der Komplementär-GmbH als Geschäftsherrn über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechenbar, wenn der K "Wissensempfangsvertreter" gewesen wäre. Dies klingt in der Entscheidung des BGH an. Der K sei damit betraut gewesen, nach außen eigenständig Aufgaben zu erledigen, Informationen zur Kenntnis zu nehmen und sie weiterzuleiten.96 Bei der Annahme einer "Wissensempfangsvertreter"-Stellung ist Zurückhaltung geboten. Der Geschäftsherr muß die Hilfsperson gerade eingesetzt haben, um bestimmte Informationen fiir ihn zu erwerben. Der K sollte hier die Informationen über das Fahrzeug fiir den Geschäftsherrn entgegennehmen. Dies belegen nicht zuletzt die Organisationsvorschriften. So sollte der K die Informationen an die Dispostionsabteilung und die Verkaufsabteilung weitergeben. Er hatte auch eine ausreichend selbständige Stellung, um als "Wissensempfangsvertreter" angesehen zu werden. Er war zwar nicht zum Vertragsschluß bevollmächtigt, führte aber wohl die Verhandlungen. Seine selbständige Stellung war dann auch offenkundig. Das Wissen des K über den Mangel ist also als eigenes Wissens der Komplementär-GmbH anzusehen. Dieses Wissen wäre nur dann fiir den Verkauf zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen einer Weisung nach § 166 II BGB vorlagen. Insofern ist fraglich, ob im Einsetzen des R zum Verkauf desPKWseine Weisung gesehen werden kann. 97 Hier wären genauere Angaben über die Organisation der GmbH & Co. KG und die Selbständigkeit des R erforderlich. Ist von einer Weisung auszugehen, so muß sich die GmbH & Co. KG das Wissen um die erhöhte
BGHNJW 1996,1205. BGHNJW 1996,1205. 9? Vgl. schon oben S. 129 ff. für das Problem, ob in solchen Fällen von einer Weisung auszugehen ist. 95
96
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Teil ID: Beispiele zur Wissenszurechnung
Fahrleistung fiir den Verkauf des PKW zurechnen lassen, falls dieses Wissen zur Zeit des Verkaufs nicht "vergessen" war. 98
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Möglicherweise läßt sich das Wissen des K auch über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung fiir den Verkauf zurechnen. Durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen schafft die Komplementär-GmbH das Risiko der Wissensaufspaltung. Der K wurde mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn tätig. Das Wissen um die erhöhte Gesamtlaufleistung steht in einem inneren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit. Der Wissenserwerb erfolgte dienstlich. Da sich aus den rationes /egum der konkreten Wissensnormen, der §§ 476, 477 I BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmen sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung zwischen Einkaufs- und Verkaufsabteilung ist technisch unproblematisch beherrschbar. Es muß lediglich ein Datenahgleich zwischen Einkaufsund Verkaufsabteilung sichergestellt werden. Die Kosten fiir den Informationsaustausch sind nicht besonders groß. Es genügt die Weitergabe eines Formblatts wie hier die Gebrauchtwagenvereinbarung. Auch die Kosten der Information an sich sind nicht sehr groß. Die Mitarbeiter in der Gebrauchtwagenabteilung müssen sich zwangsläufig über den zu verkaufenden PKW kundig machen, sie werden also nicht durch zusätzliche Information belastet. Die Belastung der Mitarbeiter in der Einkaufsabteilung durch Ausfiillen eines Formblatts hält sich in Grenzen. Daß die Kosten fiir die Information an sich nicht übergroß sind, belegt auch die Tatsache, daß die GmbH & Co. KG einen Informationsaustausch zwischen der Einkaufs- und der Verkaufsabteilung vorgesehen hatte. Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand zwar zur Zeit der Kenntniserlangung bei Ankauf des PKW in Einkaufsabteilung kein rechtsgeschäftlieber Kontakt, doch war bereits ersichtlich, daß ein solcher entstehen würde, die Beklagte also erhöhte Loyalitäts- und Schutzpflichten gegenüber einem Dritten -wenngleich dieser noch nicht individualisiert war- treffen würden. Der PKW war nämlich von Anfang an fiir den Weiterverkauf bestimmt. Dieser Gesichtspunkt spricht daher fiir die Annahme einer Pflicht, das hier relevante Wissen
98 Auf den Gesichtspunkt des Vergessens soll sogleich bei der Erörterung einer möglichen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffimg eingegangen werden.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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verfiigbar zu machen, bzw. fiir strengere Anforderungen an den Inhalt einer etwaigen Pflicht. Entscheidend kommt es auf die Größe des Risikos und das Ausmaß des möglichen Nachteils fiir den Dritten an. Dieser ist hier erheblich, da der Dritte möglicherweise ein Fahrzeug mit wesentlich erhöhter Laufleistung erwirbt und zugleich ohne Gewährleistungsansprüche dasteht. Für die Bewertung des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es zunächst darauf an, ob auch eine Einzelperson das konkrete Geschäft hätte durchfUhren können. Das konkrete Geschäft, den Ein- und Verkauf eines PKW, hätte hier auch eine Einzelperson durchfUhren können. Die Arbeitsteilung fiihrt hier ausschließlich zur Wissensaufspaltung, da einer Einzelperson notwendig mögliche Informationen des ursprünglichen Eigentümers über Mängel auch beim Verkauf bekannt gewesen wären. 99 Auch war zur Zeit der Risikoschaffung, nämlich der Kenntniserlangung durch K, ersichtlich, daß das Wissen des K an einer anderen Stelle der arbeitsteiligen Struktur beim Wiederverkauf relevant werden würde. An die Pflicht des Geschäftsherrn, Wissen in der Verkaufsabteilung verfiigbar zu machen, sind daher, auch angesichts der geringen Kosten, sehr strenge Anforderungen zu stellen. Zu beachten ist im "PKW-Fall" allerdings auch, daß das Wissen erst zeitlich später relevant wurde. Die zeitliche Dimension sprach auch der BGH an. Einerseits kam er mit einer komplizierten Begründung zu dem Ergebnis, daß das Wissen um die erhöhte Gesamtlaufleistung zuzurechnen wäre, wenn es "typischerweise aktenmäßig festgehalten" würde 100, andererseits stellte er dann doch auf das individuelle Vergessen des K ab.' 01 Letzteres kann, wie oben dargelegt102, nicht überzeugen. Wenn eine Pflicht besteht, Wissen verfiigbar zu machen, oder Wissen über den aus § 164 III BGB zu entriehmenden Rechtsgedanken dem Geschäftsherrn als eigenes zuzurechnen ist, kommt es nicht mehr auf das individuelle Vergessen der Hilfsperson an. Es geht um eine Pflicht des Geschäftsherrn bzw. um sein Wissen. Diesen trifft dann auch die Pflicht, Wissen zeitlich verfiigbar zu halten. Dies gilt sowohl fiir das Wissen, das ihm über den aus § 164 III BGB zu enmehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurech-
99
Vom Vergessen soll für den Augenblick abgesehen werden; vgl dazu sogleich.
100 Vgl. BGH NJW 1996, 1205, 1206. Der K sei Wissensvertreter, sein Wissen daher
über § 166 BGB analog als Wissen der GmbH, nämlich ihres Geschäftsführers zu betrachten. Es komme deshalb die Rechtsprechung über die Zurechnung des Organwissens einer Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG aus dem "Omnibusfall" (BGH NJW 1995, 2159; vgl. S. 323 ff.) zur Anwendung. 101 BGH NJW 1996, 1205, 1206. 102 Vgl. S. 283 f.
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Teil Ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
nen ist, als auch für das Wissen, das er wegen Risikoschaffung verfiigbar zu machen verpflichtet ist. Im einzelnen richtet sich der Inhalt dieser Pflicht nach verschiedenen Kriterien, die ein bewegliches System bilden. Im wesentlichen handelt es sich um die Kriterien, die auch bei der Bestimmung der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, eine Rolle spielen. Kriterien sind also zunächst die Beherrschbarkeit des Risikos und die Kosten der Beherrschung. Auch die zeitliche Verfiigbarmachung der Information macht hier technisch keine Probleme. Die Kosten der Lagerung fallen nicht erheblich ins Gewicht. Akten bzw. Dateien sind günstig. Werden die Informationen nur bis zum Wiederverkauf gelagert, fallen auch die Kosten der Information an sich nicht erheblich ins Gewicht. Das bereits bei Kenntniserlangung vorhersehbare Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen spricht für eine Verpflichtung, das Wissen zeitlich verfiigbar zu halten, bzw. strengere Anforderungen an den Inhalt einer solchen Pflicht. Wesentlich sind auch hier die Größe des Risikos und die Art und Größe des möglichen Nachteils für den Dritten. Für die Größe des Risikos kommt es darauf an, wie offensichtlich wichtig eine Information ist. Je offensichtlich wichtiger eine Information, um so länger nämlich muß die arbeitsteilige Struktur über sie verfUgen. Im "PKW-Fall" wurde der Wagen mit der Absicht gekauft, ihn wieder zu verkaufen. Hier ist bei Informationserwerb ersichtlich, daß die Information eine gewisse Zeit später wieder relevant wird, die Information ist daher offensichtlich wichtig. Der mögliche Nachteile für den Dritten ist erheblich, da er ggf. mit einem mangelhaften Auto und ohne Gewährleistungsansprüche dasteht. Für die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen zeitlich verfiigbar zu halten, kommt es auch auf die konkrete Wissensnorm an. Hier war bei Informationserwerb ersichtlich, daß die Information fiir den Verkauf relevant wird. Es lassen sich also auch die Anforderungen der kaufrechtlichen Arglistvorschriften über das Sich-Erinnern zur Konkretisierung der Pflicht heranziehen. Bei diesen Normen werden allerdings keine besonderen Anforderungen an das Sich-Erinnern gestellt, 103 insofern wirken sie sich nicht besonders aus. Entscheidend sind vielmehr die erkennbar große Wichtigkeit der Information fiir den Verkauf und die drohenden Nachteile für den Dritten. Hieraus ergibt sich, angesichts der geringen Kosten, die Pflicht, das Wissen bis zum Zeitpunkt des Verkaufs verfiigbar zu halten. Dies gilt sowohl fiir die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, als auch fiir die Zurechnung des Wissens über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. Die Beklagte hatte in der Form der "Gebrauchtwagenvereinbarung" organisatorische Maßnahmen getroffen, um fiir den Verkauf relevante Informationen an
103
Vgl. oben S. 201.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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die VerkaufsabteilWlg weiterzuleiten Wld dort fiir den Verkauf verfiigbar zu machen. Man wird dies im Prinzip fiir eine taugliche Maßnahme halten. Allerdings fllilte der K dieses Formular erst verspätet Wld dann falsch aus. Da daher die Information nicht verfügbar war, war die Pflicht, das Wissen fiir den Verkauf verfügbar zu machen Wld zu halten, verletzt. Für die Kausalität der Pflichtverletzung fiir die WissensaufspaltWlg gilt der Anscheinsbeweis. Ein eigenes Verschulden der Beklagten liegt wegen der hinreichenden organisatorischen Maßnahmen nicht vor. Da zwischen Käufer Wld Verkäufer eine SonderverbindWlg besteht, ist aber das Verschulden des K - das verspätete Wld falsche Ausfüllen des Formulars durch denK war fahrlässig- dem Geschäftsherrn strikt über§ 278 BGB zuzurechnen. Das Wissen um die erhöhte LaufleistWlg kann der Komplementär-GmbH daher fiir den Verkauf des Wagens zurechnet werden. 104 Zuzustimmen ist dem BGH darin, daß sich nicht schon aus der Tatsache, daß die richtige LaufleistWlg im Computer der DispositionsabteilWlg gespeichert war, ergibt, daß die Information fiir den Verkauf zuzurechnen war. Aktenwissen, Speicherwissen ist nur zuzurechnen, wenn einer der ZurechnWlgsgründe vorlag. Daß Wissen in Akten abgelegt ist, rechtfertigt nicht schon an sich die ZurechnW1g. 105
V. Arglist Unproblematisch ist dann die Annahme von Arglist. Das Wissen des K war als Mangelkenntnis hinreichend. Über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken wird dieses Wissen dem Geschäftsherrn, hier der GmbH & Co. KG als eigenes zugerechnet. Da der Geschäftsherr nur rechtlich, aber nicht tatsächlich weiß, schiede selbst bei AnweisWlg des verkaufenden R durch den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Schluß von der W eisWlg in Kenntnis auf eine arglistige W eisWlg aufgrWld allgemeiner LebenserfahrWlg aus. Die GmbH & Co. KG schafft aber das Risiko, daß ihr eigenes Wissen Wld ihre eigenen HandiWlgen bzw. WeisWlgen auseinanderfallen. Für dieses Risiko muß sie wegen der schuldhafen Nichtverfügbarkeil des Wissens einstehen, d. h. der Dritte wird so gestellt als wäre bei der WeisWlg auch der Mangel bekannt gewesen. Sofern derRangewiesen wurde, ist daher von einer arglistigen Wei-
104 Weil auch das über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnende Wissen verfügbar zu halten war, kann auch dieses, sofern eine Weisung für den Verkauf vorlag, zugerechnet werden. 105 Vgl. ausführlich den "Knie-Fall" unterS. 463 ff.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
sung auszugehen, diese Arglist dann über § 166 II BGB fiir den Verkauf zuzurechnen. 106 Außerdem mußte die GmbH & Co. KG dem R als handelnder Hilfsperson das Wissen um die erhöhte Laufleistung verfügbar machen. Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung dieser Pflicht ist, da der Dritte so stehen soll, als hätte der Geschäftsherr seine Pflicht erfüllt, die Annahme von Arglist. Bei Erfüllung der Pflicht und Handeln in Kenntnis wäre nämlich nach allgemeiner Lebenserfahrung auf die Arglist zu schließen gewesen. 107 Der BGH hätte daher dem Klagebegehren stattgeben müssen.
K. Der "Aufrechnungsfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Im "Aufrechnungsfall" 108 ging es um die Frage, ob eine Bank befugt war, einen ihr zustehenden Schadensersatzanspruch gegen einen Festgeldanspruch aufzurechnen. Die Bank klagte auf Feststellung, daß dem Beklagten ihr gegenüber keine Ansprüche aus einem Festgeldkonto zustünden. Das Konto war von E., dem Bruder des Beklagten, eröffuet worden. E. war langjähriger Mitarbeiter der Klägerin. Das einbezahlte Geld hatte E. treuhänderisch fiir den Beklagten angelegt. Der E. hatte sich in strafbarer Weise am Vermögen der Klägerin bereichert. Diese rechnete mit dem ihr deswegen gegen den E. zustehenden Schadensersatzanspruch gegen den Festgeldanspruch auf. Nach Ansicht des BGH wäre eine solche Aufrechnung ausgeschlossen gewesen, wenn es sich bei dem Treuhandkonto um eine sogenannte offene Treuhand gehandelt hätte. Das Konto sei "offen", wenn seine Treuhandnatur der Bank im Zeitpunkt der Kontoerrichtung offengelegt und ihr deutlich gemacht werde, daß darauf ausschließlich Werte gelangen sollten, die dem Kontoinhaber nur als Treuhänder zustehen. 109 Eine solche offene Treuhand war anzunelunen, wenn die Kenntnis des E. bei Eröffuung des Kontos, daß es sich bei dem Guthaben um wirtschaftlich zum Vermögen des Beklagten gehörendes Treuhandgut handelte, der Bank zuzurechnen war. Der BGH verneinte eine solche Zurechnung. Die Regelung des § 166 I BGB finde- jedenfalls soweit es sich um die rechtsgeschäftlich erteilte Vgl. im einzelnen S. 150 ff. Vgl. im einzelnen S. 300 f. tos BGHNJW 1987, 3250; vgl S. 114 f. 109 BGH NJW 1987, 3250, 3251. 106 I07
§ 8 Die Konkretisienmg des Zurechnungsmodells
427
Vertretungsmacht handele - ihre Rechtfertigung in dem Gedanken der Zurechenbarkeit. Wer sich im rechtsgeschäftliehen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklänmgen eines Vertreters bediene, müsse es im schutzwürdigen Interessse des Adressaten hinnehmen, daß ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet werde. Danach setze die unmittelbare Anwendung des § 166 I BGB einen Vertretungsfall voraus. Für eine entsprechende Anwendung zu Lasten des "Vertretenen" sei nach dem Gesagten nur dort Raum, wo ein dieser Interessenlage vergleichbarer Sa~_b.verhalt vorliege. Das sei der Fall, wenn sich der Vertretene eines anderen wie eines Vertreters bedient. 110 An diesen Voraussetzungen fehle es im "Aufrechnungsfall". Der Bruder des Beklagten habe den Kontoeröffnungsantrag nicht als Repräsentant der Klägerin, sondern als ihr Kunde gestellt. Als solcher sei er weder Vertreter der Klägerin gewesen, noch sei er zu dieser in einem vertretungsähnlichen Verhältnis gestanden. Er habe vielmehr ausschließlich seine eigenen Interessen bzw. diejenigen des Beklagten als Treugebers verfolgt. Das schließe es aus, seine Kenntnis vom Treuhandverhältnis nach § 166 I BGB der Klägerin zuzurechnen. III
ß. Zurechnung nach dem hier vertretenen Zurechnungsmodell Die Entscheidung überzeugt. Die Zurechnung über den aus § 166 I BGB zu entrlehmenden Rechtsgedanken setzt voraus, daß die Hilfsperson fiir den Geschäftsherm handelte. Der Mitarbeiter trat der Bank aber als Kunde gegenüber. Daß die Hilfsperson fiir den Geschäftsherrn handelte ist auch Voraussetzung einer Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. Über § 164 III BGB analog kommt nur die Zurechnung dienstlich erlangten Wissens des "Wissensempfangsvertreters" in Betracht. Schon daran fehlte es. Auch bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung geht es um die Zurechnung dienstlich erlangten Wissens. Dem BGH ist daher zuzustimmen, daß eine Zurechnung ausscheidet.
110 BGH NJW III
1987, 3250,3251 . BGH NJW 1987, 3250, 3251 .
428
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
L. Der "Nachtwachefall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Im "Nachtwachefall" 112 rechnete das RG dem Geschäftsherrn das Wissen eines Angestellten, also einer unterorganschaftliehen Hilfsperson, wn die mangelhafte Bewachung bestimmter Firmen nach Treu und Glauben zu. Wissen des Versicherungsnehmers an sich löste hier die Rechtsfolge aus, daß kein Versicherungsschutz bestand. Die Klägerin betrieb ein Nachtwacheunternehmen. In einigen von ihr zu bewachenden Firmen kam es zu Einbruchdiebstählen. Die Klägerin wurde wegen der dabei entstandenen Schäden in Anspruch genommen, da die Bewachung nicht ordnungsgemäß durchgefiihrt worden sei. Sie beantragte daher die Feststellung, daß die Beklagte, bei der sie betriebshaftpflichtversichert war, verpflichtet sei, fiir die Schäden zu haften, die ihr durch die Inanspruchnahme für die Einbruchdiebstähle drohten. Nach § 1 III S. 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, die fiir den Vertrag galten, unterlagen Ansprüche, die durch Mangelbartigkeit der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Arbeit begriindet waren, nicht dem V ersicherungsschutz, sofern dem Versicherungsnehmer die Mangelbartigkeit bekannt war. Das Berufungsgericht hatte hierfiir allein auf die Kenntnis des Direktors der Klägerin abgestellt. Das RG erklärte, daß es auf die Kenntnis des Direktors nicht ankomme, sondern daß nach der Lage der Sache die Kenntnis eines Angestellten von dem Mangel der Bewachung genüge, wenn einem solchen die Entgegennahme der Meldungen, daß ein Bezirk manges Personals unbewacht bleiben müsse, und die formularmäßige Benachrichtigung der davon betroffenen Kunden allgemein aufgetragen worden sei. Wenn der verantwortliche Leiter eines geschäftlichen Unternehmens dessen Innenbetrieb in der Weise regele, daß Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit ist, nicht von ihm selbst, sondern von einem bestimmten Angestellten zur Kenntnis genommen werden, so müsse er sich im Verhältnis zu einem Dritten, der aus der Tatsachenkenntnis Rechte herleite, die Kenntnis des Angestellten wie eine eigene anrechnen lassen. Wenn auch der Angestellte nicht sein Stellvertreter im Willen sei, eine Willenserklärung überhaupt nicht in Betracht komme, so sei er doch zum Wissensvertreter bestellt, und der Leiter des Unternehmens, so das RG, würde in einem solchen Falle gegen Treu und Glauben im geschäftlichen Verkehr versto-
112 RGZ
101,402, vgl. S. 227 f.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
429
ßen, wenn er aus der inneren Geschäftsverteilung dem Dritten gegenüber den Einwand der Unkenntnis herleiten wollte. 11 3
ll. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Da Wissen an sich eine Rechtsfolge auslöst, kommt eine Zurechnung über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken nicht in Betracht. Ebenso scheidet eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
ID. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Möglicherweise war der wissende Angestellte "Wissensempfangsvertreter" des Geschäftsherrn, so daß sein Wissen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken dem Geschäftsherrn als eigenes zuzurechnen wäre. Der "Wissensempfangsvertreter" muß vom Geschäftsherrn gerade eingesetzt sein, um für diesen bestimmte Informationen zu erwerben. Hier war der Angestellte zur Entgegennahme der Meldungen eingesetzt, daß gewisse Bezirke unbewacht waren. Er war also vom Geschäftsherrn gerade zur Aufnahme dieser Informationen eingesetzt. Er hatte auch eine gewisse, nach außen erkennbare Selbständigkeit, da die ihm die Entgegennahme der Meldungen, daß ein Bezirk mangels Personal unbewacht bleiben müsse, allgemein aufgetragen war. Sein Wissen ist daher über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken dem Geschäftsherrn als eigenes zuzurechnen.
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Als Zurechnungsgrund kommt zusätzlich die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung in Betracht. Durch den arbeitsteiligen Einsatz der Hilfsperson schafft der Geschäftsherr, das Nachtwacheuntemehmen, das Risiko der Wissensaufspaltung. Die Hilfsperson wurde mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn tätig. Es bestand ein innerer Zusammenhang zwischen Wissenserwerb und Tätigkeit, der Wissenserwerb erfolgte dienstlich. Da sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 1 III S. 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, keine spezielle Rege-
I 13
RGZ 101,402, 403.
430
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
lung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmt sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung war technisch beherrschbar, nämlich durch die Vorschrift, das Wissen an den Direktor weiterzugeben.114 Die Kosten für die Übermittlung waren nicht sehr hoch. Ein Formblatt hätte genügt. Die Kosten der Information an sich sind ggf. erheblich, da der Geschäftsherr selbst bei Weiterleitung nur wichtiger Informationen einer großen Menge an Information ausgesetzt ist. Allerdings bestand zwischen den Parteien bereits zur Zeit der lnformationserlangung ein Schuldverhältnis mit Aufklärungspflichten des Nachtwacheuntemehmens. Dies spricht für eine Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, bzw. strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Für die Bewertung der Größe des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es darauf an, ob auch eine Einzelperson das konkrete Geschäft hätte durchführen können. Den Abschluß eines Versicherungsvertrages und die Verwaltung der versicherten Sache hätte auch eine Einzelperson durchführen können. Die Einzelperson hätte dann notwendig alle für den Versicherungsvertrag relevanten, jedenfalls aber die hier relevanten 115 Informationen erlangt. Die Arbeitsteilung führte im "Nachtwachefall" daher ausschließlich zur Wissensaufspaltung. Daß eine arbeitsteilige Struktur typischerweise mehr Versicherungsverträge abschließt als eine Einzelperson und über mehr Wissen verfügt als diese, ändert nichts an dieser Feststellung. Das Mehr an Wissen gleicht dann lediglich das Mehr an Aufgaben aus. Unter diesem Gesichtspunkt sind besonders strenge Anforderungen an die Pflicht zu stellen, dem Direktor das Wissen verfügbar zu machen. Auch war bei Informationsaufnahme ersichtlich, daß die Information an einer anderen Stelle der arbeitsteiligen Struktur relevant würde. Die Realisierung des Risikos der Wissensaufspaltung führt im "Nachtwachefall" dazu, daß der Versicherer die Versicherungssumme bezahlen müßte. Dies ist ein erhebliches finanzielles Risiko. Trotz der erheblichen Kosten der Information an sich, bestand daher eine Pflicht des Geschäftsherm, dafür zu sorgen, daß ihm selbst bzw. dem Direktor als seinem Organ Wissen, das für den Versicherungsvertrag erheblich war, zur Verfügung stand. Der Geschäftsherr mußte sicherstellen, daß er selbst wußte.
11 4 Dieser war wohl zuständig, daher "Wissensempfangsvertreter" fiir das Wissen. 11 5 Hier waren fiir den Erwerb des Wissens keine speziellen Fähigkeiten erforderlich.
Erwirbt die Hilfsperson Wissen, weil sie über spezielle Fähigkeiten verfiigt, die eine durchschnittliche Einzelperson nicht hat, so spricht dies, insbesondere wenn die Hilfsperson extra fiir den Erwerb eingesetzt wurde, fiir Wissensvermehrung.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
431
Diese Pflicht war verletzt, da der Direktor nicht wußte. Für Kausalität Wld Verschulden gilt der Anscheinsbeweis. Da das Wissen des wissenden Angestellten die Anforderilllgen der konkreten Wissensnorm, § 1 III S. 1 der allgemeinen Versicherilllgsbedingungen, erfiillt, ist der EntscheidWlg des RG im Ergebnis zuzustimmen.
M. Der "Pferdestallfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Im "Pferdestallfall" 116 machte der klagende Versicherilllgsnehmer Entschädigungsleistilllgen aus einer Feuerversicherung fiir einen Pferdestall geltend. Dem Versicherilllgsvertrag lagen die AFB zugnmde. Nach§ 13 Nr. 1 c AFB hat der Versicherilllgsnehmer dem Versicherer alle zur Bestimmilllg der Höhe des Schadens Wld des Umfanges der Ersatzpflicht dienenden Auskünfte zu erteilen. Enthält die auf Nachfrage erteilte Auskunft insoweit falsche Angaben Wld war der Versicherilllgsnehmer über die Rechtsfolgen einer Auskunftspflichtverletzung belehrt worden, ist der Versicherer nach§ 13 Nr. 2 AFB von seiner Leistilllgspflicht befreit. Der Kläger wies in seiner Schadensanzeige mit keinem Wort darauf hin, daß vor dem Brand eine behördliche AbbruchverfUgung fiir den Pferdestall ergangen war. Der BGH nahm an, daß insofern eine Auskunftspflicht bestanden hätte, da die AbbruchverfUgung den Wert des Pferdestalls erheblich minderte. Auf ein Wissen oder Wissenmüssen117 des Klägers um die AbbruchverfUgung kam es nach Ansicht des BGH nicht an, wenn dem Kläger das Wissen seiner Eltern um die Abbruchverfiigilllg zuzurechnen war. Dies sei der Fall, wenn die Eltern des Klägers dessen Repräsentanten gewesen seien. Repräsentant sei, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgfWld eines Vertretilllgs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherilllgsnehmers getreten ist. Die bloße Überlassilllg der Obhut über die versicherte Sache reiche hierbei nicht aus. Repräsentant könne nur sein, wer befugt sei, selbständig in einem gewissen, nicht ganz Wlbedeutenden Umfang fiir den Versicherilllgsnehmer zu handeln (Risikoverwaltilllg). Soweit darauf abgestellt werde, der Dritte müsse auch die Rechte Wld Pflichten als Versiehe-
BGH VersR 1993, 828; vgl. S. 229 ff. der Aufklärungspflicht nach § 13 Nr. 1 c AFB besteht eine Nachforschungspflicht, vgl. BGH VersR 1993, 828, 829. 116
117 Bei
432
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
nmgsnehmer wahrnehmen können, sei das nicht so zu verstehen, daß er nur dann Repräsentant sei, wenn zu der Übernahme der Risikoverwaltung zusätzlich die Berechtigung zur Verwaltung des Versichenmgsvertrages hinzutrete. Wer in vollem Umfang die Betremmg der versicherten Sache übernehme, trete damit an die Stelle des Versichenmgsnehmers.11s Lägen diese Voraussetzungen vor, brauche für die Haftung des Versichenmgsnehmers nicht noch hinzuzutreten, daß der Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem Versichenmgsvertrag wahrzunehmen habe, etwa den Vertrag kündigen und die Versichenmgssumme einnehmen dürfe. In diesen und anderen Fällen könne es allerdings für die Repräsentantenstellung eines Dritten sprechen, wenn er es unabhängig von einer etwaigen Übergabe der versicherten Sache aufgrundeines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses übernommen habe, die Verwaltung des Versichenmgsvertrages eigenverantwortlich auszuüben.119 Der BGH hielt die Eltern des Klägers im "Pferdestallfall" unter beiden Gesichtspunkten, der Ausübung der Risikoverwaltung und der eigenverantwortlichen Verwaltung des Versichenmgsvertrages, für dessen Repräsentanten. Die Eltern hätten die alleinige Obhut über den Reitstall gehabt, vieles spreche dafür, daß sie die Reitanlage insgesamt betreuten und die Risikoverwaltung auf Dauer übernommen hatten. Auch die Befugnis der Eltern - sie fiihrten im wesentlichen die Schadensabwicklung mit der Versichenmg durch -, Rechte und Pflichten des Versichenmgsnehmers wahrzunehmen, deute daraufhin, daß sie seine Repräsentanten nach dem Versichenmgsfall waren. Dem Kläger sei daher das Verhalten seiner Eltern bei der Schadensabwicklung und ihre Kenntnis von der AbbruchverfUgung zuzurechnen.
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Die Repräsentantenstellung einer Hilfsperson gründet der BGH also zum einen darauf, daß diese die eigenverantwortliche Vertragsverwaltung übernommen hat. 120 Im "Pferdestallfall" 121 waren die Eltern des Versichenmgsnehmers an der Schadensabwicklung beteiligt. Dies allein genügt, um ihr Wissen über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken dem Versichenmgsnehmer, ihrem Sohn, zuzurechnen. Für die Zurechnung über den Rechtsgedan-
118 BGH VersR 1993, 828, 829. 119 BGH VersR 1993, 828, 830. 12o BGH VersR 1993, 828, 830. 121 BGH VersR 1993, 828.
§ 8 Die Konkretisierw1g des Zurechnungsmodells
433
ken des § 166 I BGB kommt es auf die eigenverantwortliche Vertragsverwaltung nicht an. Es genügt die - eigenverantwortliche - Beteiligung an einer Handlung, der Schadensanzeige. Da die Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB eingreift, besteht keine Lücke fiir eine handlungsabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung.
ill. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Die Repräsentantenstellung stützt der BGH auch auf die Tatsache, daß die Eltern des Versicherungsnehmers die alleinige Obhut über den Reitstall hatten, die Reitanlage insgesamt betreuten und die Risikoverwaltung auf Dauer übernommen hatten. 122 Dies ist ein weiterer möglicher Zurechnungsgesichtspunkt, der auch vorgelegen hätte, wenn die Eltern des Versicherungsnehmers nicht an der Schadensanzeige beteiligt gewesen wären, eine handlungsabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB also nicht in Betracht käme. Möglicherweise waren die Eltern des Versicherungsnehmers wegen der alleinigen Obhut über die Reitanlage seine "Wissensempfangsvertreter". Dann hätten sie gerade dafiir eingesetzt sein müssen, fiir den Versicherungsnehmer bestimmte Informationen zu erlangen. Davon wird man nicht schon inuner dann ausgehen können, wenn ein Bereich zur eigenverantwortlichen Verwaltung übertragen wurde. Über die Übertragung der Verwaltung hinaus hat der Versicherungsnehmer seine Eltern nicht gerade dazu eingesetzt, bestimmte Informationen fiir ihn zu erlangen. Sie waren daher nicht seine "Wissensempfangsvertreter". IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung
Zu prüfen bleibt die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. Durch die Übertragung der Verwaltung der Reitanlage auf seine Eltern, d. h. deren arbeitsteiligen Einsatz, hat der Versicherungsnehmer das Risiko der Wissensaufspaltung geschaffen. Die Eltern wurden mit seinem Wissen und Wollen tätig. Sie erlangten die Kenntnis über die AbbruchverfUgung in innerem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit, also dienstlich. Da sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 13 Nr. 1 c AFB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt,
122 2~
BGH VersR 1993, 828, 829.
Baum
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
bestimmen sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung war im "Pferdestallfall" unproblematisch beherrschbar, da die Eltern nur ihre fiir den Versicherungsvertrag wesentlichen Informationen - zum Beispiel in einem Gespräch - hätten weitergeben müssen. Die Kosten dieser Übermittlung fallen nicht ins Gewicht. Die Kosten fiir die Information an sich könnten hingegen erheblich sein, da der Versicherungsnehmer möglicherweise sehr belastet ist. Zwischen den Parteien bestand zur Zeit der lnformationserlangung ein Schuldverhältnis mit strengen Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers. Dies spricht fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Es kommt auch wesentlich auf die Größe des Risikos und die Art und Größe des möglichen Nachteils an. Wie schon im "Nachtwachefall" 123 fiihrt die Arbeitsteilung im "Pferdestallfall" ausschließlich zu einer Wissensaufspaltung, da das Mehr an Wissen nur das Mehr .an Aufgaben ausgleicht. Es sind deshalb strenge Anforderungen an die Pflicht des Versicherungsnehmers zu stellen, sich das fiir den Vertrag erhebliche Wissen verfiigbar zu machen. Auch bestand als möglicher Nachteil ein großes finanzielles Risiko fiir den Versicherer. Den Versicherungsnehmer traf daher, trotzder ggf. hohen Kosten, die Pflicht, sich das fiir den Versicherungsvertrag erhebliche Wissen verfiigbar zu machen. Im "Pferdestallfall" lag eine gewisse Zeit zwischen dem Wissenserwerb durch die Eltern, nämlich der Kenntnisnahme von der Abbruchverfiigung, und der Relevanz des Wissens bei Erteilung der Schadensanzeige. Es stellt sich also auch das Problem der zeitlichen Verfiigbarkeit. Der Inhalt der Pflicht des Geschäftsherm, Wissen zeitlich verfiigbar zu halten, bestimmt sich ebenfalls über die im wesentlichen gleichen Kriterien eines beweglichen Systems. Die Beherrschbarkeit des Risikos und die Kosten der Aufbewahrung fallen hier, wie schon bei der Frage, ob eine Pflicht bestand, das Wissen verfiigbar zu machen, nicht entscheidend ins Gewicht. Erheblich können erneut die Kosten der Information an sich sein. Auch hier spricht das bestehende Schuldverhältnis wieder fiir die Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, bzw. strengere Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Wesentlich sind auch wiederum die Größe des Risikos und Art und Umfang des möglichen Nachteils des Dritten. Für die Bestimmung der Größe des Risikos kommt es darauf an, wie offensichtlich wichtig eine Information ist. Je offensichtlich wichtiger eine Information ist, um so länger muß eine arbeitsteilige Struktur nämlich über sie verfiigen. Im Rahmen der Verwaltung eines Pferdestalls ist eine AbbruchverfUgung eine besonders wichtige Information. Auch besteht als möglicher Nachteil ein erhebliches finanzielles Risiko des Versicherers. Für die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen zeit-
123
RGZ 101, 402; vgl. gerade unter L.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
435
lieh verfügbar zu halten, kommt es auch auf die Anforderungen der konkreten Wissensnonn an. An die Gedächtnisanstrengungen des Versicherungsnehmers werden gewölmlich strengere Anforderungen gestellt. 124 Zumindest bis die Gefahr des Abbruchs beseitigt ist, ist daher, trotz der Kosten, eine lnfonnation über eine Abbruchverfügung daher verfügbar zu halten. Den Versicherungsnehmer traf also die Pflicht, sich das Wissen wn die Abbruchverfügung zwn Zeitpunkt der Erstattung der Schadensanzeige verfügbar zu machen und zu halten. Diese Pflicht war im "Pferdestallfall" verletzt. Für Kausalität und (Organisations-) Verschulden gilt der Anscheinsbeweis. Da das Wissen der Eltern den Anforderungen der konkreten Wissensnonn, § 13 Nr. 1 c AFB genügte, ist der Entscheidung des BGH im Ergebnis zuzustimmen. V. Die Repräsentantenstellung und das Zurechnungsmodell
Die versicherungsrechtliche Figur des Repräsentanten läßt sich also problemlos in das hier vorgeschlagene Zurechnungsmodell einordnen. Bei der Repräsentantenstellung wegen Vertragsverwaltung handelt es sich in der Regel wn eine Wissenszurechnung über den ersten Zurechnungsgrund, den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. Allerdings liegt der Zurechnungsgrund nicht eigentlich in der Vertragsverwaltung, sondern in der eigenverantwortlichen Beteiligung an der Abgabe einer Erklärung. Die Repräsentantenstellung wegen Risikoverwaltung geht in der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung auf. Überträgt der Versicherungsnehmer dem Repräsentanten die Risikoverwaltung, so schafft er damit das Risiko der Wissensaufspaltung. Eine Infonnation, die ihn an sich selbst erreichen würde, gelangt nur bis zur Hilfsperson. Da die Arbeitsteilung ausschließlich zur Wissensaufspaltung führt, sind besonders strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, zu stellen. Diese werden zur Bejahung der Pflicht auch bei hohen Kosten der lnfonnation an sich führen. Über die Kriterien des beweglichen Systems ist schließlich hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Verpflichtung, Wissen verfügbar zu halten, zu differenzieren. Die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung geht aber weiter als die Repräsentantenstellung wegen Risikoverwaltung. Für
124 Vgl. 28*
oben S. 201.
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Teil ID: Beispiele zur Wissenszurechnung
die Zurechnung wegen Risikoschaffung ist nämlich keine Selbständigkeit der wissenden Hilfsperson erforderlich. 125
N. Der "Kolonnenführerfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Im "Kolonnenfiihrerfall" 126 rechnete der BGH den Beklagten das arglistige
Verschweigen eines Baumangels durch ihre Kolonnenfiihrer zu, weil diese nach Treu und Glauben als "Erfiillungsgehilfen des Unternehmers" bei der Offenbarungspflicht anzusehen seien. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte in den Jahren 1956 bis 1960 von den Beklagten zwei Lagerhäuser errichten lassen und diese bis 1960 vollständig abgenommen. Seit Herbst 1967 platzte an Betonstützen und -querbalken der Gebäude der Beton zunehmend ab. Ferner zeigten sich Wand- und Fugenrisse. Die Mängel waren auf schwere Fehler bei den Arbeiten der Beklagten zurückzuführen, die zu unzureichender Betondeckung der Stahleinlagen und dadurch zu deren Korrosion sowie Betonabsprengungen geführt hatten. Die Klägerin verlangte Schadensersatz gemäߧ 635 BGB. Nach Ansicht des BGH lagen die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch im Prinzip vor. 127 Der Anspruch war jedoch verjährt, sofern die Beklagten die Mängel nicht arglistig verschwiegen hatten(§ 638 BGB). Die Beklagten selbst hatten die Mängel nicht gekannt, daher auch nicht arglistig verschwiegen. Die Kolonnenfiihrer (Poliere) der Beklagten aber hatten die offensichtlich fehlerhafte Arbeit ihrer Kolonnen erkannt und geduldet, um den Arbeitern die von diesen erstrebten höheren Akkordlöhne zu ermöglichen. Der BGH erklärte, daß die Voraussetzungen arglistigen Verschweigens auch bei einer Hilfsperson vorliegen könnten und sich der Werkunternehmer dann so behandeln lassen müsse, als hätte er den Mangel selbst arglistig verschwiegen (§ 278 BGB). 128 Dies treffe vor allem dann zu, wenn sich der Unternehmer des Gehilfen gerade zur Erfüllung seiner Offenbarungspflicht gegenüber dem Vertragspartner bedient habe.
125 Anders ist das Ergebnis in den Versicherungsfällen natürlich dann, wenn das Risiko, daß die Hilfsperson ihre Information nicht weitergibt, von dem Versicherungsschutz mitumfaßt ist. 126 BGHZ 62, 63; vgl. S. 235 ff. 127 BGHZ 62, 63, 65. 128 BGHZ 62, 63, 66.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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Andererseits könne einem Werkunternehmer nicht schon die Kenntnis und das Verheimlichen von Fertigungsmängeln eines jeden bei der Herstellung des Werkes mitwirkenden Beschäftigten als "arglistiges Verschweigen" der Mängel gegenüber dem Besteller angerechnet werden. Solche Personen seien zwar Erfiillungsgehilfen des Unternehmers bei der Herstellung des Werkes, aber nicht seine Erfiillungsgehilfen in bezug auf Offenbarungspflichten gegenüber dem Besteller. Im Schrifttwn werde zwar zum Teil die Ansicht vertreten, der Werkunternehmer müsse sich die Kenntnisse einer jeden bei der Herstellung des Werkes mitwirkenden Hilfsperson von einem Werkmangel so anrechnen lassen, als hätte er diese mit der Erfiillung der Offenbarungspflicht betraut. 129 Der BGH lehnte dies jedoch ab. Eine derart weitgehende Haftung des Schuldners fiir Personen, die er nicht mit der Aufgabe betraut habe, an seiner Stelle etwaige fiir den Besteller erhebliche Mängel zu offenbaren, sei mit dem in§ 278 BGB zum Ausdruck kommenden Gedanken nicht vereinbar, wonach der Schuldner fiir das Verschulden Dritter deswegen einzustehen hat, weil er ihnen die Erfiillung bestimmter Vertragspflichten anvertraut hat. 130 In der Regel könne daher nur der als "Erfiillungsgehilfe des Unternehmers bei der Offenbarungspflicht" und daher als "Erfiillungsgehilfe beim arglistigen Verschweigen" angesehen werden, der mit der Ablieferung des Werkes an den Besteller betraut sei oder dabei mitwirke. Erst die Ablieferung sei der Zeitpunkt, in welchem sich das "arglistige Verschweigen" des Unternehmers endgültig verwirkliche.131 Der BGH ging dann einen Schritt weiter.
Diese Regel gelte jedoch nicht ausnahmslos. Es gebe Fälle - und der vorliegende "Kolonnenfiihrerfall" gehöre dazu -, in denen eine mit der Prüfimg des Werkes auf Mangelfreiheit befaßte HUfsperson des Unternehmers, auch ohne daß sie mit der Ablieferung des Werkes befaßt sei, als "Erfiillungsgehilfe des Unternehmers bei der Offenbarungspficht" anzusehen sei, weil allein ihr Wissen und ihre Mitteilung an den Unternehmer diesen überhaupt instand setzten, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfiillen. In solchen Fällen könne es unter Umständen nach Treu und Glauben(§ 242 BGB) untragbar erscheinen, ein "arglistiges Verschweigen" z. B. nur deswegen zu verneinen, weil - angesichts der stark arbeitsteiligen Organisation eines Großbetriebs - die eine Hilfsperson, welche prüft, den Mangel entdeckt und verschweigt, mit der Ablieferung nichts zu tun hat, während die andere Hilfsperson, welche bei der Ablieferung des Werkes mitwirkt, nicht mit der Prüfung befaßt war und daher den Mangel nicht kennt. In solchen Fällen könne sich der Unternehmer daher nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, die von ihm als "Prüfer" eingesetzte 129 Der BGH zitiert Hoffmann JR 1969, 372 und Jagenburg NJW 1971, 1425. 130
BGHZ 62, 63, 67 f.
131 BGHZ 62, 63, 68.
438
Teil Ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
Hilfsperson sei mit der Abliefenmg nicht befaßt, und er brauche sich daher deren Kenntnis nicht gemäߧ 278 BGB als "arglistiges Verschweigen" anrechnen lassen. 132 Für den "Kolonnenilihrerfall" sah der BGH die Voraussetzungen der Zurechnung als gegeben an. 133 Die Bezeichnung "Polier" besage fiir sich allein nichts fiir die zu entscheidende Frage. Es komme immer auf den Aufgabenbereich des Poliers im Einzelfall an. Im Großbetrieb werde es vielfach mehrere einander über- und untergeordnete Prüfer geben. Nicht schon jeder "kleine" Prüfer sei Erfüllungsgehilfe des Unternehmers in bezug auf arglistiges Verschweigen. Auf der Baustelle eines Großbauunternehmers z. B. werde in der Regel der vom Unternehmer dort eingesetzte "örtliche Bauleiter" als der an dieser Baustelle oberste verantwortliche Mann des Unternehmers anzusehen sein. Sein arglistiges Verschweigen werde sich der Unternehmer in der Regel nach§ 278 BGB anrechnen lassen müssen. Dagegen werde arglistiges Verschweigen von unter dem örtlichen Bauleiter arbeitenden, fiir einen kleineren Bereich mit Prüfungsaufgaben betrauten Personen vielfach nicht ausreichen, um es über § 278 BGB dem Unternehmer anzulasten.134 Im "Kolonnenilihrerfall" war kein örtlicher Bauleiter eingesetzt worden. Von Bedeutung sei weiter, ob ein Mangel leicht oder nur schwer zu entdekken sei sowie ob er nur kurze oder längere Zeit wahrnehmbar sei. Je schwieriger und je kürzer ein Mangel zu entdecken sei, desto eher werde es zu rechtfertigen sein, die Kenntnis einer an diesem Arbeitsabschnitt als "Prüfer" beteiligten Hilfsperson des Unternehmers diesem als arglistiges Verschweigen zuzurechnen. Dies zeige gerade der "Kolonnenilihrerfall". Der Mangel sei dort nämlich nur ganz kurz und deshalb nur von den Kolonnenilihrem erkennbar gewesen, die Mangelkenntnis der Kolonnenilihrer daher zuzurechnen. Auch die übrigen Voraussetzungen "arglistigen Verschweigens durch Erfiillungsgehilfen" hätten vorgelegen.135 Insbesondere seien sich die Kolonnenführer bewußt gewesen, daß die von ihnen geduldete "Pfuscharbeit", die später zu den Betanahsprengungen führte, fiir die Entschließung der Klägerin bei der Abnahme des Werkes erheblich war, ferner, daß sie ohne Rücksicht auf nachlässige Bauaufsicht durch den Architekten der Klägerin zur Mitteilung der Herstellungsmängel gegenüber den Beklagten verpflichtet waren, um auf diese Weise
132 BGHZ 62, 63, 68. 133
BGHZ 62, 63, 69 f.
134 BGHZ 62, 63, 69. 135 BGHZ 62, 63, 70.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnwtgsmodells
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die Unterrichtung der Klägerin zu ermöglichen, Wld daß sie diese Pflicht verletzten. Der BGH rechnete daher den Beklagten das arglistige Verschweigen des Baumangels durch ihre Kolonnenführern zu. Ob dies richtig ist, soll nWl erörtert werden.
ß. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Eine ZurechnWlg über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken scheidet aus, da die Kolonnenführer nicht an der AblieferWlg des Werkes beteiligt waren. Daher scheidet auch eine ZurechnWlg über die GrWldsätze der handlWlgsabhängigen WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung aus.
m. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Fraglich ist, ob die Kolonnenführer als "Wissensempfangsvertreter" des Geschäftsherrn angesehen werden können. Dann hätte sie der Geschäftsherr gerade dazu einsetzen müssen, Informationen über Baumängel fiir ihn zu erlangen. Im "Kolonnenführerfall" hatte der Geschäftsherr die Kolonnenführer als seine Prüfer eingesetzt, diese sollten gerade Wissen über Mängel fiir ihn erlangen. Sie verfügten hierbei auch über ein gewisses Maß an Eigenständigkeit. Dann muß er sich aber auch das bei Prüfung erlangte Wissen analog § 164 III BGB als eigenes zurechnen lassen. Sofern den Beklagten das Wissen auch zur Zeit der AblieferWlg noch als eigenes zuzurechen war, 136 Wld sie das Werk selbst ablieferten, war ihnen das Wissen der Kolonnenführer fiir die AblieferWlg Wlproblematisch zuzurechnen. Sofern andere Hilfspersonen das Werk ablieferten, käme eine WissenszurechnWlg nur über § 166 II BGB (analog) in Frage. 137 Insofern ist der Sachverhalt nicht eindeutig.
136 Auf das Problem des Vergessens soll sogleich bei der Erörterung der Wissenszurechnwtg wegen Risikoschaffung eingegangen werden. 137 Für die Annahme einer Weiswtg genügt es, daß der Geschäftsherr weiß, daß die Ablieferung bevorsteht.
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Teil ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung
Die Zurechnung des Wissens der Kolonnenftihrer kommt, auch ohne daß die Voraussetzungen des § 166 li BGB (analog) vorliegen müssen, 138 über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffi.mg in Betracht. Durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen schafft der Geschäftsherr das Risiko der Wissensaufspaltung. Die Kolonnenführer wurden mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn tätig. Der Wissenserwerb erfolgte in innerem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit, d. h. er erfolgte dienstlich. Da sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm, des § 638 BGB, keine speziellen Regelung für die Wissenszurechnung ergibt, bestimmen sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung ist ohne größere Probleme technisch beherrschbar. Die Prüfer könnten ihr Wissen z. B. in einem Prüfbericht niederlegen. Die Kosten hierfiir sind nicht sehr hoch. Es entstehen allerdings gewisse, nicht übergroße Kosten der Information an sich, weil die Prüfer den Bericht verfassen und die abliefemden Hilfspersonen oder der Geschäftsherr diesen lesen müssen. Für eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. strengere Anforderungen an diese spricht die Tatsache, daß zwischen Bauunternehmer und Bauherrn zur Zeit der lnformationserlangung durch die Prüfer ein Schuldverhältnis mit strengen Anforderungen hinsichtlich der Aufklärung über Mängel, also mit Schutz- und Loyalitätspflichten, bestand. Wesentlich sind auch die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung und die Art und Größe des möglichen Nachteils für den Dritten. Für die Bewertung der Größe des Risikos der Wissensaufspaltung kommt es zunächst darauf an, ob das konkrete Geschäft auch von einer Einzelperson hätte durchgefiihrt werden können. Hier kann das konkrete Geschäft, ein größeres Bauprojekt, nicht von einer Einzelperson durchgefiihrt werden. Es handelt sich also weder um einen Fall ausschließlich der Wissensaufspaltung noch um einen Fall ausschließlich der Wissensvermehrung. Bei dem Wissen der Prüfer handelt es sich auch nicht um solches, das notwendig bei Durchfiihrung eines großen Bauvorhabens erlangt wird, weil der Geschäftsherr auch auf den Einsatz von Prüfern verzichten kann.1 39 Es handelt sich also nicht unter diesem Gesichtspunkt um einen Fall eher der Wissensaufspaltung. Regelmäßig liegt vielmehr ein Fall eher der Wissensvermehrung vor, wenn der Geschäftsherr eine Hilfsperson extra und ausschließlich zum Wissenserwerb einsetzt. Allerdings werden bei größeren Bau138 § 166 II BGB konunt bei der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung nicht zur Anwendung; vgl. S. 293. 139 So war es im "Dachpfettenfall" BGH NJW 1992, 1754; vgl. sogleich unter 0.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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projekten typischerweise Hilfspersonen als Prüfer eingesetzt. So war bei Risikoschaffung, nämlich der Kenntnisnahme durch die Kolonnenführer, auch erkennbar, daß Wissen der als Prüfer eingesetzten Kolonnenführer bei der Ablieferung des Werkes mit großer Wahrscheinlichkeit relevant würde. Bei einem größeren Bauprojekt erfahren die Prüfer natürlich regelmäßig Informationen, die bei der Ablieferung relevant werden. Es ist daher hier von einem Fall eher der Wissensaufspaltung auszugehen. Unter diesem Gesichtspunkt sind strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, zu stellen. Der dem Dritten drohende Nachteil ist groß, da er ggf. ohne Gewährleistungsansprüche dasteht. Es besteht daher, angesichts der vertretbaren Kosten, eine Pflicht fiir den Geschäftsherrn, Wissen der Prüfer über Baumängel den das Werk abliefemden Hilfspersonen oder, falls er selbst abliefert, sich selbst verfügbar zu machen. Zusätzlich zum Problem der Wissensaufspaltung stellt sich fiir die Pflicht, Wissen verfügbar zu machen, und die Zurechnung des Wissens als eigenes über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken hier auch die Frage der zeitlichen V erfügbarkeit von Wissen. Die Prüfer nehmen Baumängel unter Umständen lange vor Ablieferung des Werkes zur Kenntnis. Der Inhalt der Pflicht, Wissen zeitlich verfügbar zu halten, bestimmt sich ebenfalls einzelfallbezogen fiir beide Zurechnungsgründe über die Kriterien eines beweglichen Systems. Die Kriterien sind weitgehend dieselben wie bei der Bestimmung der Pflicht, Wissen verfügbar zu machen. Das Risiko der zeitlichen Verfügbarkeil ist technisch durch Ablage des Prüfberichts Akten oder Speicherung der Informationen in einem Computer beherrschbar. Die Kosten dieser Lagerung sind gering. Die Belastung durch Information an sich ist, sofern die Informationen nur bis zum Ende des Bauprojekts gelagert werden müssen, nicht besonders groß. Es stellt keinen übergroßen Aufwand fiir den Abliefemden dar, sich die Informationen vor Ablieferung durch Lektüre entsprechender Unterlagen zu verschaffen. Das bestehende Schuldverhältnis spricht fiir eine Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, bzw. fiir strengere Anforderungen an diese Pflicht. Entscheidend sind auch hier wieder die Größe des Risikos und Art und Umfang des möglichen Nachteils fiir den Dritten. Die Bestimmung der Größe des Risikos hängt entscheidend von der Wichtigkeit einer Information ab. Je wichtiger eine Information ist, um so länger muß sie verfügbar sein. Bei Kenntniserlangung durch die Prüfer ist ersichtlich, daß die Information bei Ablieferung des Werkes relevant sein wird. Es handelt sich bei den Baumängeln um wichtige Tatsachen. Es sind daher strenge Anforderungen zu stellen. Auch droht dem Besteller der erhebliche Nachteil, ein mangelhaftes Werk zu erhalten und ohne Gewährleistungsansprüche dazustehen. 140 Den Geschäftsherrn traf daher die Pflicht, das Wissen um die Baumängel bis zur Ablieferung verfügbar zu halten.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Die Pflicht das Wissen bei der Ablieferung verfiigbar zu machen und zu halten, war im "Kolonnenfi.ihrerfall" verletzt. 141 Für die Kausalität der Pflichtverletzung und das (Organisations-) Verschulden gelten der Anscheinsbeweis. Das Wissen um die Baumängel ist daher fiir die Ablieferung des Werkes durch den Geschäftsherrn selbst oder seine Hilfspersonen über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung zuzurechnen.
V. Arglist Unproblematisch ist erneut der Nachweis der Arglist. Der BGH rechnete dem Geschäftsherrn im "Kolonnenfi.ihrerfall" die Arglist der Kolonnenführer zu. Besser erscheint es, lediglich an die Pflicht anzuknüpfen, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten142. Da der Geschäftsherr diese schuldhaft nicht erfiillt hatte, lag trotz Handeins und zurechenbarer Kenntnis tatsächlich keine Arglist vor. Rechtsfolge der Verletzung dieser Pflicht ist aber dann die Annahme von Arglist.l43 Zur Arglist kommt man ggf. auch über die Zurechnung des Wissens über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken. Auch hier ist bei schuldhafter Nichtverfiigbarkeit des Wissens fiir den Geschäftsherrn, sofern dieser bei Verfiigbarkeit arglistig gehandelt oder angewiesen hätte, von einer arglistigen Handlung oder Weisung auszugehen. 144 Lieferte der Geschäftsherr selbst ab, so ist daher von Arglist auszugehen. Bei Ablieferung durch eine Hilfsperson und einer Weisung wäre die fingierte Arglist des Geschäftsherrn über § 166 II BGB zuzurechnen. Im Ergebnis ist dem BGH also zuzustimmen.
140 In die Bestimmung des Inhalts der Pflicht gehen auch die Anforderungen der Einzelnarm an das Sich-Erinnern ein- hier § 638 BGB -, doch stellen die Arglistvorschriften insofern keine besonderen Anforderungen (vgl. S. 201.). 141 Verletzt war daher auch die Pflicht, das über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zuzurechnende Wissen verfügbar zu halten. 142 Die Mangelkenntnis der Prüfer genügt als Kenntnis bei § 638 BGB. 143 Vgl. S. 300 f. 144 Vgl. S. 150 ff.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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0. Der "Dachpfettenfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Auch im "Dachpfettenfall" 145 ging es um die Frage, ob der Geschäftsherr arglistig Baumängel verschwiegen hatte. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das beklagte Unternehmen hatte 1968 für den Kläger eine Scheune errichtet. 1988 stürzte ein Teil des Daches ein. Ursache des Einsturzes war die mangelhafte Auflage und Verankerung der Dachpfetten. Dem Schadensersatzanspruch des Klägers aus§ 635 BGB hielt das beklagte Unternehmen die Einrede der Verjährung entgegen(§ 638 I BGB). Die Klage konnte daher nur Erfolg haben, sofern der Mangel arglistig verschwiegen worden war(§ 638 I BGB). Der BGH referierte zunächst die drei Stufen aus dem "Kolonnenfiihrerfall", also: 1. Zurechnung des Wissens/der Arglist von Erfiillungsgehilfen bei der Offenbarungspflicht, 2. Keine generelle Zurechnung des Wissens/der Arglist aller an der Herstellung des Werkes mitwirkenden Mitarbeiter, 3. Zurechnung des Wissens/der Arglist solcher Mitarbeiter, die mit der Prüfung des Werkes betraut sind und allein deren Wissen und deren Mitteilung den Unternehmer in den Stand setzen, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfiillen. 146 Er erläuterte dann, daß damit der Anwendungsbereich des § 638 I 1 BGB bezüglich des arglistigen Verschweigens nicht·vollständig erfaßt sei. Der Unternehmer könne sich seiner vertraglichen Offenbarungspflicht nicht dadurch entziehen, daß er sich unwissend halte oder sich keiner Gehilfen bei der Pflicht bediene, Mängel zu offenbaren. Sorge er bei der Herstellung des Werkes nicht für eine den Umständen nach angemessene Überwachung und Prüfung der Leistung und damit auch nicht dafür, daß er oder seine insoweit eingesetzten Erfiillungsgehilfen etwaige Mängel erkennen könnten, so handele er vertragswidrig. Er sei gehalten, den Herstellungsprozeß angemessen zu überwachen und das Werk vor Abnahme zu überprüfen. Denn der Unternehmer müsse fehlerfrei leisten. Er müsse daher jedenfalls die Voraussetzungen schaffen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das fertiggestellte Werk bei Ablieferung keinen Fehler aufweise. 147
145 BGH NJW 1992, 1754; vgl. S. 240 ff. 146BGHNJW1992, 1754,1754. 147 BGHNJW 1992,1754, 1754.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Es sei zwar allein Sache des Unternehmers, wie er seinen Betrieb organisiere. Der Besteller dürfe jedoch nicht dadurch haftungsrechtlich benachteiligt werden, daß er anstelle eines Alleinunternehmers ein Unternehmen beauftrage, das arbeitsteilig organisiert sei. Dies führe zwar entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht nicht zur Zurechnung der Kenntnisse einer jeden bei der Herstellung des Werkes mitwirkenden Hilfsperson. Der Unternehmer habe jedoch dann einzustehen, wenn er die Überwachung und Prüfung des Werkes nicht oder nicht richtig organisiert habe und der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre. Der Besteller sei dann so zu stellen, als wäre der Mangel dem Unternehmer bei Ablieferung des Werkes bekannt gewesen. In diesem Fall verjährten seine Gewährleistungsansprüche erst nach dreißig Jahren, so daß die auf§ 638 BGB gestützte Verjährungseinrede nicht begründet sei.148 Im Ergebnis verwies der BGH zur weiteren Aufklärung über die Organisation des Betriebes zurück.l 49 ll. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Eine Zurechnung über den aus § 166 I BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken kommt nicht in Betracht, da jedenfalls keine wissende Hilfsperson an der Ablieferung mitgewirkt hat. Daher scheidet auch eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung aus.
m. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 ID BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Auch eine Zurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken scheidet aus. Der Geschäftsherr hatte hier keine Hilfspersonen als Prüfer und damit als "Wissensempfangsvertreter" bestellt. IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Möglicherweise muß sich der Geschäftsherr aber Wissen über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zurechnen lassen. Aus dem Sachverhalt des "Dachpfettenfalls" wird nicht deutlich, ob irgendeine Hilfsper-
148 BGH NJW 1992, 1754, 1754 f. 149 BGH NJW 1992, 1754, 1755.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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son des Geschäftsherrn um die Baumängel gewußt hat. Der BGH betont vielmehr, daß die Zurechnung des Wissens jeder an der Herstellung des Werkes beteiligten Hilfsperson ausscheide. 150 Es ist typischerweise davon auszugehen, daß ein Baumangel der mangelhaft arbeitenden Hilfsperson bekannt ist. 151 An das Wissen einer jeden beliebigen Hilfsperson läßt sich aber :fiir die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung anknüpfen.Durch den Einsatz der Hilfspersonen entsteht das Risiko der Wissensaufspaltung. Die Hilfsperson ist mit Wissen und Wollen :fiir den Geschäftsherrn tätig. Der Wissenserwerb steht in einem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit, d. h. er erfolgt dienstlich. Wußte eine Hilfsperson im "Dachpfettenfall" um den Baumangel, so gelten :fiir die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung dieselben Erwägungen wie im "Kolonnenführerfall" 152. Das Risiko der Wissensaufspaltung zwischen bauenden Hilfspersonen und den das Werk abliefemden Hilfspersonen ist sehr groß, daher sind strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfilgbar zu machen, zu stellen. Groß ist auch der dem Dritten drohende Nachteil. Die Kosten fallen nicht erheblich ins Gewicht. Es bestand zur Zeit der Informationserlangung ein Schuldverhältnis zwischen Bauunternehmer und Bauherrn mit Schutz- und Loyalitätspflichen. Der Geschäftsherr hat daher das Wissen der bauenden Hilfspersonen :fiir die Ablieferung verfilgbar zu machen. Zeitlich gilt dies bis zur Ablieferung. Diese Pflicht war im "Dachpfettenfall" verletzt. Für Kausalität und Verschulden gilt der Anscheinsbeweis. Die Arglist ergibt sich wie im "Kolonnenführerfal1"153. Problematischer ist es, wenn keine Hilfsperson um den Baumangel weiß. Mit dem hier befürworteten Zurechnungsmodell kommt man dann nicht zur Annahme von Arglist, da jeder der Zurechnungsgründe die Kenntniserlangung durch eine, wenn auch beliebige Hilfsperson voraussetzt. In einem solchen Fall kommt man zur Arglist nur über die vom BGH im "Dachpfettenfall" angenommene Pflicht, das Werk ordnungsgemäß zu prüfen und die Arbeit zu überwachen. Es handelt sich bei dieser Pflicht also um eine Pflicht, sich Wissen zu verschaffen. Dies erscheint zunächst nicht ungewöhnlich, da die Rechtsprechung gelegentlich bei der Arglist von einer Pflicht, sich Wissen zu verschaffen, ausgegangen ist. 154 Problematisch ist, daß die Pflicht, sich Wissen zu verschaffen, aus dem "Dachpfettenfall" nicht eine Pflicht ist, die auch :fiir die Einzelperson gilt. Sie wurde vielmehr speziell entwickelt, um das Risiko der Wissensaufspal150BGHNJW 1992,1754,1755. 151 Für den BGH kam es nicht darauf an, ob eine Hilfsperson wußte, da dies nach seiner Ansicht nicht Voraussetzung für die Annahme von Arglist war. 152 BGHZ 62, 63; vgl. gerade unterN. 153 BGHZ 62, 63, vgl. gerade unter N. 154 Vgl. S. 200 f.
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tung beim arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen auszugleichen. 155 Das Risiko der Wissensaufspaltung ist aber der falsche Anknüpfungspunkt fiir eine Pflicht der arbeitsteiligen Struktur, sich Wissen zu verschaffen. Mit einer Pflicht der arbeitsteiligen Struktur, sich Wissen zu verschaffen, wird das Risiko der arbeitsteilig bedingten Wissensaufspaltung nämlich überkompensiert. Man kommt über eine solche Pflicht gelegentlich zur Annahme von Arglist, obwohl das Nichtvorliegen von Arglist nicht auf eine Wissensaufspaltung zurückzufiihren ist. 156 Richtig ist es daher, wie hier vertreten, Wissen nur dann wegen Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung zuzurechnen und Arglist zu fingieren, wenn Wissen auch tatsächlich aufgespalten ist, d. h. bei irgendeiner Hilfsperson vorliegt.
P. Der "Schlachthausfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die erste zum Organwissen diskutierte Entscheidung war der "Schlachthausfall" 157 . Eine Gemeinde hatte im Februar 1982, vertreten durch ihren Bürgermeister, ein Schlachthausgrundstück mit Aufbauten an den Kläger verkauft. Der Verkauf erfolgte unter Ausschluß der Gewährleistung. Im Januar 1984 verfügte das Landratsamt, die Nutzung des Schlachthofanbaus wegen Einsturzgefahr der Decken zu unterlassen, wenn nicht bis zum Mai bestimmte Sanierungsmaßnahmen durchgeführt würden. Die Klägerin verlangte von der beklagten Gemeinde Ersatz des Schadens, der ihr durch das Auswechseln der Decken entstehen würde. Wegen des Haftungsausschlusses (§ 476 BGB) ließ sich nach Ansicht des BGH der Anspruch nur auf § 463 S. 2 BGB als Schadensersatz wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels stützen. Bereits im Jahr 1965 hatte das Landratsamt die Beklagte auf die Einsturzgefahr hingewiesen und fiir den Fall, daß die in der Verfügung angeordneten baulichen Maßnahmen nicht durchgeführt würden, die Sperrung des Anbaus angedroht. Die Gemeinde kam den Anordnungen jedoch nicht nach. Im Mai 1981 hatte eine weitere Ortsbesichtigung stattgefunden. Die Mitteilung über diese Besichtigung war während eines Urlaubs des amtierenden Bürgermeisters von dessen Stellvertreter zur Kenntnis genommen und abgelegt worden.
Vgl. BGHNJW 1992, 1754, 1755. So wäre es z. B. im "Dachpfettenfall", BGH NJW 1992, 1754 wenn keine Hilfsperson gewußt hätte. 157 BGH NJW 1990, 915; vgl. S. 320 ff. 155 156
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Der V. Zivilsenat stellte fest, daß im Grundsatz eine Aufklänmgspflicht auch über die Einsturzgefahr, die einen erheblichen Mangel darstelle, wie auch die Androhung der Nutzungsuntersagung bestanden habe. 158 Sodann führte das Gericht aus, daß bei keinem der Organvertreter alle Voraussetzungen der "Arglist" i. S. des § 463 S. 2 BGB vorgelegen hätten. 159 Ein arglistig den Mangel verschweigender Verkäufer müsse nämlich den Mangel kennen bzw. fiir möglich halten. Er müsse wissen oder damit rechnen, daß der Käufer den Mangel nicht kennt. Er müsse außerdem wissen oder damit rechnen, daß der Käufer bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes den Vertrag nicht oder nicht zu den konkreten Bedingungen abschließen würde. 160 Der beim Verkauf die Gemeinde vertretende Bürgermeister wußte nichts von dem Mangel. Sein im Jahr 1965 amtierender Vorgänger war zwischenzeitlich aus dem Amt ausgeschieden und sein Stellvertreter am Verkauf an die Klägerin wohl nicht beteiligt. Der BGH entschied, daß sich die Gemeinde fiir den Verkauf sowohl das Wissen des im Jahre 1965 amtierenden Bürgermeisters als auch das Wissen des Stellvertreters des jetzigen Bürgermeisters um den Mangel fiir den Verkauf zurechnen lassen müsse. Das Wissen des Stellvertreters war als Wissen eines unbeteiligten amtierenden Orgarunitgliedes zuzurechnen. 161 Der BGH ließ offen, ob das Wissen ausgeschiedener Orgarunitglieder - hier des ausgeschiedenen Bürgermeisters - stets zuzurechnen sei. Diese Frage lasse sich nur in wertender Beurteilung entscheiden. 162 Jedenfalls fiir die konkrete Situation wollte der BGH auch das typischerweise aktenmäßig festgehaltene Wissen des ausgeschiedenen Bürgermeisters zurechnen. Nur so lasse sich die strukturelle Besonderheit der organisatorischen Aufspaltung gemeindlicher Funktionen in personaler und zeitlicher Hinsicht (Wechsel der Amtsträger) ausgleichen. Der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließe und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringe, dürfe im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte.163 Von der fiir den Verkauf zurechenbaren Kenntnis schloß der BGH sodann auf die Arglist. Handele eine natürliche Person in Mangelkenntnis, so sei nach der Lebenserfahrung auf Arglist zu schließen. Da der mit einer Gemeinde kontrahierende Bürger nicht schlechter stehen solle, sei auch bei der Gemeinde von 158 BGH NJW 1990, 975, 975. 159 BGH NJW 1990, 975, 976. 160 Vgl. für die an das Vorliegen von Arglist beim Verkäufer zu stellenden Anfordenmgen BGH NJW 1978, 2240; WM 1983, 990; NJW 1987,2511, 2512; NJW 1990, 42. 16 1 BGH NJW 1990, 975, 976. 162 BGH NJW 1990, 975, 976. 163 BGH NJW 1990,975,976.
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Arglist auszugehen. 164 Der BGH sah die Gemeinde daher als arglistig i. S. des § 463 S. 2 BGB an. Dieses Ergebnis soll an Hand des hier entwickelten Zurechnungsmodells überpriift werden. Da die Gemeinde zumindest über einen Bürgermeister und einen stellvertretenden Bürgermeister verfügte, kommen hier die Zurechnungsregeln für eine juristische Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan zur Anwendung. 165 Würde man, da die Gemeinde nur über einen Bürgermeister verfügte, die Zurechnungskriterien für eine juristische Person mit einköpfigem Vertretungsorgan heranziehen, so ergäbe sich kein anderes Ergebnis. II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung
Eine handlungsabhängige Wissenszurechnung scheidet aus, da das handelnde Organmitglied, der amtierende Bürgermeister, nicht wußte, das wissende Organmitglied, der Stellvertreter, hingegen nicht handelte. Der ausgeschiedene Bürgermeister handelte selbstverständlich ebenfalls nicht.
m. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens eines Organmitgliedes über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Die Zurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken setzt voraus, daß der im Jahr 1965 amtierende Bürgermeister und der stellvertretende Bürgermeister als "Wissensempfangsvertreter" der juristischen Person für die Information um die Mängel und die Abrißverfügung anzusehen sind. Die Entgegennahme von Verfügungen gehört gerade zum Aufgabenbereich des Bürgermeisters und seines Stellvertreters. Sie waren zum Empfang solcher wichtiger Informationen eingesetzt. Die Gemeinde wollte diese über sie erlangen. Sie erlangten die Informationen also nicht nur bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit. Beide sind daher für die Information um die Mängel und die drohende Nutzungsuntersagungsverfügung als "Wissensempfangsvertreter" der juristischen Person anzusehen. Rechtsfolge ist, daß dieses Wissen der juristischen Person als eigenes zuzurechnen ist. Es ist ihr dann bei Handeln eines Organ-
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BGH NJW 1990, 975, 976. Vgl. S. 363 ff.
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mitgliedes zuzurechnen, sofern es zur Zeit der Handlung noch verfiigbar zu halten war. 166 IV. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung
In Betracht kommt auch eine Zurechnung über die Gnmdsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. Sowohl der im Jahr 1965 amtierende Bürgermeister als auch der Stellvertreter des Bürgermeisters im Jahr 1981 wurden mit Wissen und Wollen der juristischen Person, der Gemeinde, tätig. 167 Insbesondere hielten sie sich in ihrem Kompetenzbereich. Der Wissenserwerb stand auch in innerem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit. Da sich aus der ratio /egis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 463 S. 2 BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmen sich das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen des im Jahr
1982 amtierenden Bürgermeisters verfiigbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. 168 Das Risiko der Wissensaufspaltung war hier, durch Ablage der Information in einem entsprechenden Ordner, technisch unproblematisch beherrschbar. Die Kosten fiir diese Ablagen fallen nicht erheblich ins Gewicht. Problematischer sind die Kosten der Information an sich, da der Bürgermeister nicht sämtliche, fiir die Gemeinde bedeutsamen Informationen zur Kenntrris nehmen kann. Zur Zeit der Informationserlangung bestand kein Schuldverhältrris zwischen Käufer und Gemeinde. Auch war der Abschluß eines solchen nicht ersichtlich. Der Gesichtspunkt bestehenden rechtsgeschäftliehen Kontakts spricht hier also nicht besonders fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. besonders strenge Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Der drohende Nachteil fiir den Dritten, der ein Gnmdstück kauft und mangels Gewährleistungsansprüchen erhebliche Kosten zu tragen hat, ist groß. Entscheidend kommt es auch hier wieder auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung an, also die Frage, ob ein Fall ausschließlich der Wissensaufspaltung, ausschließlich der Wissensvermehrung, eher der Wissensaufspaltung oder eher der Wissensvermehrung vorliegt. Das konkrete Geschäft, den Verkauf eines Gnmdstücks, hätte auch eine Einzelperson durchfUhren können. Diese hätte dann notwendig um eine Verfügung, die auf Mängel hinweist und den Abriß androht,
166 Vgl. zum Problem des "Vergessens" sogleich bei der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. 167 Vgl. für die Voraussetzungen im einzelnen S. 366 ff. 168 Zunächst stellt sich das allgemeine Problem der Wissensaufspaltung, sodann die Frage, ob das Wissen auch noch verfügbar zu halten war. 29 Baum
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gewußt. 169 Es handelt sich also wn einen Fall ausschließlich der Wissensaufspaltung. Es sind daher, trotz der erheblichen Kosten der Information an sich, besonders strenge Anforderungen an die Pflicht zu stellen, dem amtierenden Bürgermeister das Wissen wn die Mängel verfiigbar zu machen. Allerdings wurde das Wissen erst im Jahr 1982 relevant. Ob das Wissen auch noch im Jahr 1982 verfiigbar zu halten war, bestimmt sich ebenfalls über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko, daß Wissen über den Schlachthofanbau zeitlich später relevant wird, war bereits im Jahr 1965 technisch beherrschbar. Die Information mußte nur entsprechend abgelegt werden. Die tatsächlichen Kosten fiir die zeitliche Verfiigbarmachung fallen nicht erheblich ins Gewicht, da die Lagerung von Akten günstig ist. Höher sind die Kosten der Information an sich. Wird jegliche einmal erworbene Information aufbewahrt und dem amtierenden Bürgermeister verfiigbar gemacht, so droht dieser, unter einem Berg von Information verschüttet zu werden. Zwischen der Gemeinde und dem Käufer bestand zur Zeit der Informationserlangung noch kein Schuldverhältnis, der Abschluß eines solchen war auch nicht ersichtlich. Der Gesichtspunkt rechtsgeschäftliehen Kontakts spricht hier also nicht besonders fiir eine eine etwaige Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, bzw. strengere Anforderungen an den Inhalt dieser Pflicht. Wesentlich sind die Größe des Risikos, daß die Information erneut relevant wird, und der mögliche Nachteil fiir den Dritten. Hier droht dem Dritten, der Klägerin, der Verlust von Gewährleistungsansprüchen und somit eine erhebliche zusätzliche Kostenbelastung. Für die Bewertung der Größe des Risikos kommt es darauf an, wie offensichtlich wichtig eine Information bei Kenntniserlangung war. Bei einer Verfiigung, die die Untersagung der Nutzung eines Bauwerkes fiir den Fall anordnet, daß bestimmte Mängel nicht behoben werden, handelt es sich wn eine sehr wichtige Information. Diese ist nicht nur fiir einen möglichen, 1965 vermutlich noch nicht absehbaren Verkauf von Bedeutung, sondern auch fiir den Eigentümer des Grundstückse, die Gemeinde selbst. Andererseits liegt zwischen dem Erlaß der VerfUgung im Jahr 1965 und dem Verkauf des Grundstücks im Jahr 1982 eine erhebliche Zeitspanne. Wäre zwischenzeitlich von Seiten des Landratsamtes nichts mehr unternommen worden, so hätte die Gemeinde die Sache als erledigt betrachten und die Information "vergessen" können. Hier hat das Landratsamt die Angelegenheit aber zwnindest im Jahr 1981 nochmals aufgegriffen. Die Sperrung des Anbaus drohte also noch immer. Die Information über die Mängel und die drohende VerfUgung war
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dannjedenfalls im Jahr 1982- ein Jahr nach der Wiederholung der Androhungverfiigbar zu halten.170 Die Pflicht, dem im Jahr 1982 amtierenden Bürgermeister das hier relevante Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, war verletzt, da dieser beim Verkauf nicht wußte. Für den Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Wissensaufspaltung gilt der Anscheinsbeweis. Dieser gilt auch fiir das (Organisations-) Verschulden der Gemeinde. Dieser ist daher das Wissen um die Mängel und die drohende Nutzungsuntersagungsverfiigung auch über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzurechnen. 171
V. Arglist Unproblematisch ist dann die Annahme von Arglist. Das Wissen des 1965 amtierenden Bürgermeisters und seines Stellvertreters war als Mangelkenntnis i. S. des § 463 S. 2 BGB hinreichend. Über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken wird das Wissen der juristischen Person fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung des 1982 amtierenden Bürgermeisters zugerechnet. Da die juristische Person nur rechtlich, aber nicht tatsächlich weiß und ein an sich unwissendes Organmitglied handelt, scheidet der Schluß von Handeln in Kenntnis auf arglistiges Handeln aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung aus. Die juristische Person schafft aber das Risiko, daß ihr eigenes Wissen und Handeln auseinanderfallen. Da das Wissen hier schuldhaft nicht dem handelnden Organmitglied verfiigbar war, muß die juristische Person fiir dieses Risiko einstehen, d. h. der Dritte wird so gestellt, als hätte das handelnde Organmitglied tatsächlich gewußt. Es ist daher von Arglist auszugehen. Außerdem mußte die juristische Person ihrem amtierenden Bürgermeister 1982 das Wissen um den Mangel verfiigbar machen und halten. Da sie dies nicht tat, lag tatsächlich keine Arglist vor. Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung dieser Pflicht ist, da der Dritte so stehen soll, als sei die Pflicht erfiillt worden, daß die Gemeinde als arglistig anzusehen ist. Im Ergebnis ist dem 170 In die Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, fließen auch die Anforderungen der konkreten Einzelnorm an das Sich-Erinnern ein. Bei den kaufrechtlichen Arglistnormen werden jedoch keine besonderen Anforderungen gestellt (vgl. S. 201), so daß sie sich auch nicht im Rahmen der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, auswirken. 171 Da das Wissen schuldhaft nicht verfügbar gehalten wurde, ist es der juristischen Person auch 1982 über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zuzurechnen gewesen. 29*
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BGH, der die Gemeinde als arglistig i. S. des§ 463 S. 2 BGB ansah, also zuzustimmen.
Q. Der "Omnibusfall" I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Im "Omnibusfall" 172 ging es ebenfalls um die Zurechnung des Wissens eines ausgeschiedenen Organmitgliedes. Fraglich war, ob das Wissen eines zwischenzeitlich verstorbenen Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer KG, das dieser beim Ankauf eines Omnibusses erworben hatte, der KG beim vom Nachfolger des Geschäftsführers durchgeführten Weiterverkauf zuzurechnen war. Die beklagte GmbH & Co. KG, ein Omnibus- und Reiseuntemehmen, verkaufte, vertreten durch den Geschäftsführer S der Komplementär-GmbH, mit Vertrag vom 16. l 0. 1989 einen Omnibus an den Kläger. Die GmbH & Co. KG hatte den Omnibus im Jahr 1988 von der Herstellerfirma erworben. Dem damaligen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, dem inzwischen verstorbenen M, war mitgeteilt worden, daß das Fahrzeug bereits 1981 nach Saudi-Arabien gebracht, dort probegefahren worden war und dann fiinf Jahre dort gestanden hatte. Der S hatte dem Kläger mitgeteilt, daß das Fahrzeug bereits mehrere Jahre vor der Erstzulassung am 6. 2. 1989 gebaut und nach Saudi-Arabien gebracht worden sei. Er hatte jedoch keine Angaben über das tatsächliche Baujahr, Probefahrt und Standzeit gemacht. Der BGH prüfte, ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch aus § 463 S. 2 BGB oder aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß zustand. Der VIII. Zivilsenat erklärte, daß die Beklagte trotz der Angaben des S das Vorhandensein einer tatsächlich nicht vorhandenen Eigenschaft, nämlich ein jüngeres Baujahr, in arglistiger Absicht vorgespiegelt haben könne. Auch könne sich aus vorsätzlich falschen Angaben des Verkäufers ein Ersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß ergeben. Der S hatte jedoch sein gesamtes Wissen über die Vorgeschichte des Omnibusses mitgeteilt. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers kam daher nur in Betracht, wenn der beklagten Kommanditgesellschaft für den Vertragsschluß auch das Wissen des zur Zeit des Vertragsschlusses bereits verstorbenen, ehemaligen Geschäftsführers der Komplementär-GmbH M über die Vorgeschichte des Omnibusses zuzurechnen war.
172
BGH NJW 1995, 2159; vgl. S. 323 ff.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
453
Im Ergebnis rechnete der BGH das Wissen des M nicht zu. Der Senat bestätigte zunächst die Rechtsprechung zum Organwissen. 173 Die Beklagte sei aber keine juristische Person. Für sie handele lediglich eine solche in Form der Komplementär-GmbH (§§ 161 II, 125 HGB). Die Frage, ob bei organschaftHeher Vertretung von Personengesellschaften die Kenntnis eines Gesellschafters über die die Arglist begründenden Umstände ausreiche, oder ob es auf die Kenntnis und das Kennenmüssen derjenigen vertretungsberechtigten Gesellschafter ankomme, die am konkreten Geschäft mitgewirkt hätten, ließ das Gericht offen. 174 i:>er BGH nahm zwar Bezug aufBGHZ 34, 293, 297. Dort hatte der dritte Zivilsenat in einem obiter dieturn erklärt, bei Personenhandelsgesellschaften genüge, soweit es fiir die Rechtswirksamkeit von Geschäften der Gesellschaft auf die Kenntnis bestimmter Umstände ankomme, die Kenntnis in der Person eines einzelnen Gesellschafters. Es schien dem III. Zivilsenat damals nicht darauf anzukommen, ob der Gesellschafter an dem Geschäft beteiligt war. Ob dies richtig ist, ließ der BGH im "Omnibusfall" aber dahinstehen. Er führte dann weiter aus, daß die Zurechnung von Wissen eines ausgeschiedenen oder gar verstorbenen Organmitgliedes jedenfalls bei Personengesellschaften nicht in Betracht komme, da sie in ihrem Bestand nicht in dem Maße von den jeweils handelnden Gesellschaftern unabhängig seien wie juristische Personen von ihren Organvertretem. Trotz einer sehr weitgehenden Verselbständigung, welche die OHG und KG in die Nähe der juristischen Person rücke und die Anwendung zahlreicher Regeln rechtfertige, seien OHG und KG hinsichtlich ihrer Rechtspersönlichkeit nicht anders zu behandeln als die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. 175 Der BGH diskutierte sodann die Frage, ob auf eine GmbH & Co. KG bezüglich der Wissenszurechnung möglicherweise deshalb die fiir die juristische Person geltenden Grundsätze Anwendung flinden, weil die Komplementär-GmbH als vertretungsberechtigtes Organ eine juristische Person sei. Der BGH ließ die Frage jedoch offen. Auch die Anwendung der Grundsätze über die Zurechnung des Organwissens führe nämlich nicht zur Zurechnung des Wissens, das der verstorbene frühere Geschäftsführer M erlangt, dem handelnden Geschäftsführer S aber nicht weitergegeben habe. Die Fortdauer der Wissenszurechnung über das Ausscheiden eines Organvertreters hinaus werde wesentlich davon abhängig gemacht, ob es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handele. 176
BGH NJW 1995, 2159, 2160. Vgl. BGH NJW 1995, 2159, 2160 mit Nachweisen über den Streitstand. 175 BGHNJW 1995,2159,2160. 176 BGH NJW 1995,2159,2160.
173
174
454
Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Bei der Beklagten handele es sich um ein Omnibusunternehmen und Reisebüro, nicht um ein KFZ-Handelsunternehmen. Altfahrzeuge gebe sie bei Neuanschaffungen dem Hersteller gewöhnlich in Zahlung. Für ein Busunternehmen könne es nicht als typisch gelten, die über den Omnibus erhaltenen Informationen schriftlich festzuhalten und aufzubewahren. 177 Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn zwischen der Beklagten und der Herstellerfirma ein schriftlicher Kaufvertrag geschlossen worden wäre, der Angaben zum Baujahr oder einer "Erstzulassung 1982" enthielt, ließ das Gericht ebenfalls offen, da der Kläger insoweit nichts vorgetragen habe. Es ist bereits an anderer Stelle festgestellt worden, daß die vom BGH vorgenommene Strukturanalyse der GmbH & Co. KG nicht befriedigen kann. 178 Geht man Schritt für Schritt vor, so ist hier die Wissenszurechnung bei einer Kommanditgesellschaft problematisch. Da diese lediglich über einen geschäftsführenden Gesellschafter, nämlich die Komplementär-GmbH verfUgt, richtet sich die Zurechnung für die Kommanditgesellschaft nach dem Zurechnungsmodell für eine Gesellschaft mit einköpfigem Vertretungsorgan. II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG Da die Komplementär-GmbH gehandelt hat, kommt zunächst eine handlungsabhängige Wissenszurechnung in Betracht. Fraglich ist daher, ob der Komplentär-GmbH das Wissen ihres ausgeschiedenen Geschäftsführers für ihre Handlung, den Verkauf des Omnibusses, zuzurechnen ist. Da die KomplementärGmbH ebenfalls lediglich über ein einköpfiges Vertretungsorgan verfugt - sie hat nur einen Geschäftsführer - bestimmt sich das ihr zuzurechnende Wissen ebenfalls über das Zurechnungsmodell für eine juristische Person mit einköpfigem Vertretungsorgan.
1. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der Komplementär-GmbH Der wissende Geschäftsführer M war zur Zeit des Verkaufs des Omnibusses bereits gestorben. Sein Wissen kann daher nicht handlungsabhängig der Komplementär-GmbH zugerechnet werden. Der handelnde Geschäftsfiihrer S wußte hingegen nicht um die Vorgeschichte. Eine handlungsabhängige Zurechnung scheidet für die Komplementär-GmbH daher aus.
1995,2159, 2160 f. Vgl. S. 325 f.
177 BGH NJW 178
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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2. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens des verstorbenen Geschäftsfohrers als Wissen der Komplementär-GmbH an sich Bei einer juristischen Person mit einem einköpfigen Vertretungsorgan ist Wissen des einzigen Organmitgliedes Wissen der juristischen Person an sich. 179 Regelmäßig ist dies nur in den Fällen der Relevanz von Wissen an sich von Bedeutung. Eine Ausnahme besteht dann, wenn das wissende einzige Organmitglied ausscheidet. In diesem Fall vergißt die juristische Person nicht automatisch, vielmehr ist über ein bewegliches System zu bestimmen, ob sich die juristische Person das Wissen des ausgeschiedenen Organmitgliedes weiterhin als eigenes zurechnen lassen muß. 180 So wird verhindert, daß die juristische Person aus dem Organwechsel einen V orteil gegenüber der Einzelperson mit Hilfspersonen zieht. Es ist daher über die Kriterien eines beweglichen Systems zu ermitteln, ob sich die Komplementär-GmbH das Wissen ihres ausgeschiedenen Geschäftsfiihrers um den Mangel zur Zeit des Verkaufs weiterhin zurechnen lassen mußte. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, daß der Geschäftsfiihrer M durch Tod ausgeschieden ist. Zwar vergißt die Einzelperson bei ihrem Tod und ihr Wissen geht nicht auf ihren Erben über, doch ist hier nicht die juristische Person "gestorben", nicht aufgelöst worden. Diese hat vielmehr lediglich ein neues Vertretungsorgan. Da die juristische Person weiter existiert, kann sie aber auch nicht in den Genuß der Frucht des Todes, des Vergessens, kommen. Das Ausscheiden des einzigen Organmitgliedes durch Tod ist vielmehr wie ein gewöhnliches Ausscheiden zu behandeln. Ob die K-GmbH sich das Wissen ihres ausgeschiedenen Geschäftsfiihrers M weiter zurechnen lassen muß, bestimmt sich, wie bereits festgestellt, über die Kriterien des bekannten beweglichen Systems. Das Risiko, daß Wissen des Geschäftsfiihrers M zeitlich später relevant wurde, war zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung technisch durch Anlegen einer Akte oder Anfertigung eines Berichtes _über die Vorgeschichte des Omnibusses und Abheften dieses Berichtes in der Akte unproblematisch beherrschbar. Die Kosten des Verfassens dieses Berichtes und der Ablage sind gering. Höher sind die Kosten der Information an sich. Doch ist die Speicherung von Informationen über die einzelnen Fahrzeuge für ein Omnibusunternehmen nicht mit übergroßen Kosten der Information an sich verbunden. Zur Zeit der Informationserlangung bestand kein Schuldverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger. Auch war der Abschluß eines solchen nicht ersichtlich, da der Verkauf wohl nicht geplant war. Es spricht daher nicht besonders der Gesichtspunkt bestehenden rechtsgeschäftliehen Kontakts für eine
179 Vgl.
180
S. 359. Vgl. S. 359 f.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, bzw. fiir strenge Anforderungen an den Inhalt einer solchen Pflicht. Der mögliche Nachteil bei unterbliebener Speicherung fiir einen Dritten ist erheblich, da dieser mit einem mangelhaften Omnibus ohne Gewährleistungsansprüche dastehen kann. Erheblich ist auch die Größe des Risikos, daß das in Rede stehende Wissen zeitlich später relevant wird. Je offensichtlich wichtiger eine Information, um so länger muß eine arbeitsteilige Struktur über sie verfUgen. Die Information über die ungewöhnliche Vorgeschichte des Omnibusses ist fiir einen Weiterverkauf aber auch mögliche Reparaturmaßnahmen sehr wichtig. Angesichts der Bedeutung der Information und der verhältnismäßig geringen Kosten mußte sich die Komplementär-GmbH die Information auch nach dem Ausscheiden des Geschäftsfiihrers M verfiigbar halten. 181 Das Wissen war jedoch nicht verfiigbar, die Pflicht daher verletzt. Für Kausalität und Verschulden gelten der Anscheinsbeweis. Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung der Pflicht ist, daß sich die Kompelementär-GmbH das Wissen gleichwohl zurechnen lassen muß. Die Komplementär-GmbH wußte also zur Zeit des Verkaufs um die Vorgeschichte. Dieses eigene Wissen ist ihr dann fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung ihres einzigen Organmitgliedes zuzurechnen. 182
3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei der Komplementär-GmbH Bei einer juristischen Person, hier der Kompelentär-GmbH, mit einem einzigen Organmitglied, hier dem jeweiligen Geschäftsfiihrer, erfaßt die handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens des einzigen Organmitgliedes wegen Risikoschaffung nur das Risiko, daß Wissen, das das einzige Organmitglied arbeitsteilig erworben hat, einer unterorganschaftliehen Hilfsperson nicht zur VerfUgung steht. 183 Um dieses Risiko geht es hier nicht, es geht um die Verfiigbarkeit bei einer organschaftliehen Hilfsperson. Eine Zurechnung über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung scheidet daher hier aus.
181 In das bewegliche System zur Feststellung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, sind auch die Anforderungen der konkreten Wissensnorm an das SichErinnern einzustellen. Bei den kaufrechtlichen Arglistvorschriften werden jedoch keine besonderen Anforderungen an das Sich-Erinnern gestellt (vgl. S. 201), insofern wirken sie sich auch nicht besonders im Rahmen der Pflicht, Wissen verfügbar zu halten, aus. 182 Vgl. S. 359 f.
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4. Arglist Wissen - das eigene Wissen der Kompelentär-GmbH - und Handlung - die Handlung des Geschäftsfiihrers S - fallen hier auseinander, so daß nicht aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung vom Handeln in Kenntnis auf die Arglist geschlossen werden kann. Das Auseinanderfallen von Wissen und Handlung ist jedoch das Risiko der juristischen Person, der Komplementär-GmbH. Für dieses Risiko muß sie einstehen, da sie schuldhaft keine Maßnahmen getroffen hat, das Wissen dem handelnden Geschäftsfiihrer verfügbar zu machen. Der Dritte ist daher so zu stellen, als hätte die Kompelementär-GmbH gewußt und gehandelt. Es ist somit von einem arglistigen Vorspiegeln einer nichtvorhandenden Eigenschaft durch die Komplementär-GmbH auszugehen.184
5. Ergebnis Das arglistige Vorspiegeln der nichtvorhandenen Eigenschaft durch die Komplementär-GmbH ist der GmbH & Co. KG, da die Komplementär-GmbH beim Verkauf für sie handelte, handlungsabhängig zuzurechnen. Weil bereits die handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG zur Zurechnung des arglistigen Handeins führt, kann hier auf die Prüfung der Formen handlungsunabhängiger Wissenszurechnung verzichtet werden. 185 Die Entscheidung des BGH ist daher im Ergebnis abzulehnen. Die Klägerin hatte einen Schadensersatzanspruch nach § 463 S. 2 BGB.
183 Vgl. S. 360 f. 184 Das Wissen des Geschäftsfilhrers M genügt den Anforderungen des § 463 S. 2BGB. 185 Eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung scheidet fiir die GmbH & Co. KG jedenfalls deshalb aus, weil fiir diese ein wissendes - wenn auch nur juristisch wissendes - Organ, die Komplemantär-GmbH, gehandelt hat, somit dem handelnden Organ Wissen nicht schuldhaft nicht verfiigbar war. Auch die Kommanditgesellschaft ist eine Gesellschaft mit einköpfigem Vertretungsorgan, das Wissen ihres einzigen Organs, der Komplementär-GmbH, ist daher stets ihr Wissen. Dieser Zurechnungsgnmd wirkt sich aber nur bei Relevanz von Wissen an sich aus, sofern nicht das einzige Organmitglied ausgeschieden ist. Die Komplementär-GmbH ist jedoch nicht ausgeschieden.
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R. Der 11 Altlastenfall 11 I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Im "Altlastenfall" 186 verwies der BGH wegen zahlreicher tatsächlicher Unklarheiten die Sache zur weiteren Aufklänmg an das Berufimgsgericht zurück. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, hatte der Beklagten 1985 eine Teilfläche eines Betriebsgrundstückes verkauft. Auf dem Betriebsgelände hatte die Klägerin ein Sägeund lmprägnierwerk betrieben. Die Gewährleistung fiir "Bodenbeschaffenheit, Flächengröße und Ausnutzungsmöglichkeit und fiir Sachmängel aller Art" wurde ausgeschlossen. Zusätzlich pachtete die Beklagte einen weiteren Teil des Betriebsgeländes von der Klägerin. Die Beklagte beantragte 1986 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Basaltwollefertigung auf dem Gelände. 187 Bei einer Untersuchung des Bodens des Grundstückes zeigten sich erhebliche Bodenverunreinigungen. Der Genehmigungsbescheid des Landratsamtes wurde deshalb mit zahlreichen Auflagen zur Beseitigung bzw. Eindämmung der Verunreinigungen versehen. 1990 kaufte die Beklagte in Ausübung eines Optionsrechts zusätzlich die zunächst angepachtete Fläche. Gegenüber der Klage auf Zahlung des Kaufpreises fiir den zweiten Grundstücksteil rechnete die Beklagte mit angeblichen Schadensersatzansprüchen nach § 463 S. 2 BOB wegen der Kontaminierung des 1985 erworbenen Grundstückteils auf Sie behauptete, die Klägerin habe ihr die Verunreinigung arglistig verschwiegen. Im einzelnen war tatsächlich manches unklar, so daß der BGH zur weiteren Aufklänmg an das Berufimgsgericht zurückverwies. 188 Neben gewöhnlichen Bodenverunreinigungen, die beim Betrieb eines Säge- und Imprägnierwerkes entstehen, fanden sich auf dem Grundstück zielgerichtet vergrabene Abfalle aus dem Betrieb des Säge- und lmprägnierwerkes. Unklar war, ob die Abfalle bereits durch die Klägerin oder erst durch die Beklagte vergraben worden waren, insoweit kein Mangel bei Vertragsschluß vorgelegen hätte. Bezüglich der unstreitig vorhandenen produktionsbedingten Verunreinigungen des Grundstückes
BGH NJW 1996, 1339; vgl. S. 328 ff. Die Beklagte hatte die beiden Flächen ihrerseits an eine GmbH verpachtet, deren Anteile sie zu 100% hielt. Da dies fiir die hier interessierenden Fragen keinen Unterschied macht, soll der Einfachheit halber davon ausgegangen werden, daß die Beklagte die Flächen selbst nutzte. 188 BGH NJW 1996, 1339, 1340. 186 187
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war unklar, inwieweit die Klägerin überhaupt eine Aufklärungspflicht traf, und ob die Beklagte von der Klägerin aufgeklärt worden war. Gleichwohl gab der fiinfte Zivilsenat weitergehende Hinweise zur Wissenszurechnung bei der klagenden GmbH & Co. KG. 189 Der Senat bestätigte als Ausgangspunkt der Wissenszurechnung das Gleichstellungsargument, wonach der Vertragspartner einer Gemeinde (oder einer sonstigenjuristischen Person) nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt sein soll als derjenige einer natürlichen Person. 190 Er schloß sich daraufhin in Begründung und Ergebnis der Wissenszurechungskonzeption Taupitz' an. 191 Die Wissenszurechnung gründe nicht in der Organstellung oder einer vergleichbaren Position des Wissensvermittlers (Organtheorie), sondern im Gedanken des Verkehrsschutzes und der daran geknüpften Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der gesellschaftlichen Kommunikation. 192 Das Problem der arbeitsteiligen "Wissensaufspaltung" stelle sich in gleicher Weise wie bei juristischen Personen auch bei allen sonstigen Organisationsformen, die zu einer Wissenszersplitterung führen können, z. B. bei sonstigen Unternehmen und bei Gesamthandsgesellschaften, und es sei deshalb dort im gleichen Sinne zu lösen.193 Hinsichtlich der unstreitig vorhandenen produktionsbedingten Verunreinigungen war - wie gesehen - unklar, ob überhaupt eine Aufklärungspflicht bestand, da die Verunreinigungen ggf. von der Beklagten bei einer Besichtigung selbst hätten wahrgenommen werden können. Es war außerdem unklar, ob die Klägerin nicht sogar aufgeklärt hatte. Da es insofern nicht um Probleme der Wissenszurechnung geht, können diese Punkte hier außer Betracht bleiben. Tatsächlich unklar war auch, ob die Klägerin vor oder die Beklagte nach der Veräußerung zielgerichtet Abfälle auf dem Grundstück vergraben hatte. Möglich war, daß bereits vor 1955 mit Wissen früherer vertretungsberechtigter Mitarbeiter der Klägerin Abfälle vergraben worden waren. Hiervon soll im folgenden ausgegangen werden, da sich natürlich nur bei Vergraben der Abfälle durch Hilfspersonen der Klägerin das Problem der Wissenszurechnung fiir einen Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen diese nach § 463 S. 2 BGB stellt. Bei der Klägerin handelte es sich um eine GmbH & Co. KG. Da diese lediglich über einen geschäftsführenden Gesellschafter, nämlich die KomplementärGmbH verfUgt, kommt fiir die GmbH & Co. KG das Zurechnungsmodell fiir die Gesellschaft mit einköpfigem Vertretungsorgan zur Anwendung.
189 BGH NJW 1996, 1339, 1340 f. 190 BGH NJW 1996, 1339, 1340. 191 BGH NJW 1996, 1339, 1340 f. 192 BGH NJW 1996, 1339, 1341. 193 BGHNJW 1996, 1339, 1341.
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Teil ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG Da die Komplementär-GmbH beim Verkauf fiir die GmbH & Co. KG gehandelt hat, kommt zunächst eine handlungsabhängige Wissenszurechnung in Betracht. Fraglich ist daher, ob sich die Komplementär-GmbH das Wissen ausgeschiedener Organmitglieder oder ausgeschiedener unterorganschaftlieber Hilfspersonen fiir ihre Handlung, die Veräußerung der Teilfläche des Betriebsgrundstückes im Jahr 1985, zurechnen lassen muß. Ist dies der Fall, dann kann das wissende, ggf. arglistige Handeln der Komplementär-GmbH der GmbH & Co. KG handlungsabhängig zugerechnet werden. Aus den Sachverhaltsangaben wird nicht ganz deutlich, ob die Komplementär-GmbH über ein ein- oder mehrköpfiges Vertretungsorgan verfügte, doch klingt an, daß es ein mehrköpfiges Vertretungsorgan war. Hiervon soll im folgenden ausgegangen werden. 1. Handlungsabhängige Wissenszurechnung bei der Komplementär-GmbH Beim Verkauf haben keine wissenden Organmitglieder und keine wissenden unterorganschaftliehen Hilfspersonen fiir die Komplementär-GmbH gehandelt. Eine handlungsabhängige Wissenszurechnung scheidet daher aus. 2. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens ausgeschiedener Organmitglieder oder ausgeschiedener unterorganschaftlicher Hilftpersonen über den aus § 164 111 BGGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Die Zurechnung des möglichen Wissens der Organmitglieder über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken scheidet hier aus. Sofern die Organmitglieder wußten, waren sie doch nicht gerade dazu eingesetzt, Informationen über vergrabene Abfälle zu erwerben. Sie erwarben die Informationen vielmehr nur gelegentlich ihrer Leitungstätigkeit oder der Teilnahme an allgemeiner arbeitsteiliger Aktivität. Aus diesem Grund scheidet auch eine Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher Hilfspersonen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken aus. Auch sie waren beim Vergraben nicht gerade dazu eingesetzt, die Informationen über das Vergraben zu erwerben. 3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung bei der Komplementär-GmbH Möglicherweise läßt sich Wissen über vor 1955 vergrabene Abfälle aber über die Grundsätze der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zurechnen. Die vor 1955 tätigen Organmitglieder wurden mit Wissen und Wollen der Komplementär-GmbH tätig. Auch bei der Anordnung des Vergrabens von Abfällen
§ 8 Die Konkretisienmg des Zurechnungsmodells
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hielten sie sich in ihrem Kompetenzbereich. Der Wissenserwerb stand auch in innerem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit. Da sich aus der ratio legis der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 463 S. 2 BGB, keine spezielle Regelung über die Wissenszurechnung ergibt, bestimmen sich, das "ob" und ggf. der Inhalt der Pflicht, Wissen über die vergrabenen Abfälle den 1985 fiir die juristische Person handelnden Hilfspersonen verfiigbar zu machen, über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko der Wissensaufspaltung war durch Ablage der Information in einem entsprechenden Ordner technisch unproblematisch beherrschbar. Die Kosten fiir diese Ablage fallen nicht erheblich ins Gewicht. Auch die Kosten fiir die Information an sich sind, soweit es um die Verfiigbarmachung von Organwissen geht, nicht allzu hoch. Organe erfahren in der Regel nur die wichtigeren Tatsachen. Allerdings bestand zur Zeit der Informationserlangung vor 1955 kein Schuldverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter, auch war der Abschluß eines solchen nicht ersichtlich. Es spricht also nicht der Gesichtspunkt des Bestehens eines Schuldverhältnisses mit Schutz- und Fürsorgepflichten fiir eine Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, bzw. besonders strenge Anforderungen an den Inhalt einer solchen Pflicht. Der drohende Nachteil fiir den Dritten, der Erwerb eines kontaminierten Grundstücks, das nur eingeschränkt und bei Erfiillung strenger Auflagen als Betriebsgrundstück nutzbar ist, und die Gefahr, gleichwohl ohne Gewährleistungsansprüche dazustehen, ist erheblich. Entscheidend kommt es auch hier wieder auf die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung an. Das konkrete Geschäft, den Verkauf eines kontaminierten Grundstücks, hätte auch eine Einzelperson durchfUhren können. Diese hätte dann notwendig um von ihr vergrabene Abfälle gewußt. 194 Es handelt sich also um einen Fall ausschließlich der Wissensaufspaltung. Hier sind besonders strenge Anforderungen an die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, zu stellen. Das Wissen von Organmitgliedern um vergrabene Abfälle war daher - unter dem Gesichtspunkt der Wissensaufspaltung den fiir die Komplementär-GmbH beim Verkauf handelnden Hilfspersonen verfiigbar zu machen. Allerdings wurde das Wissen, das bereits vor 1955 erworben wurde, erst 1985 relevant. Voraussetzung fiir die Zurechnung des Wissens fiir den Verkauf ist daher, daß die Komplementär-GmbH es auch noch zu dieser Zeit verfiigbar halten mußte. Ob dies der Fall war, bestimmt sich wieder über die Kriterien eines beweglichen Systems. Das Risiko, daß Wissen über das Grundstück später relevant würde, war bereits im Jahr 1955 technisch beherrschbar. Die Information mußte nur entsprechend abgelegt werden. Die tatsächlichen Kosten fiir die
194
Vom Problem des Vergessens soll für den Augenblick abgesehen werden.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
zeitliche Lagenmg fallen nicht erheblich ins Gewicht, da die Lagenmg von Akten günstig ist. Höher sind die Kosten der Information an sich. Wird jegliche eirunal erworbene Information - auch wenn es nur die von Orgarunitgliedern sind - aufbewahrt, so führt dies zu einem Kollaps der Organisation. Da bei Informationserlangung kein Schuldverhältnis zwischen den Parteien bestand und der Abschluß eines solchen auch nicht ersichtlich war, spricht zumindest dieser Gesichtspunkt nicht besonders fiir eine etwaige Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, bzw. nicht besonders fiir strenge Anfordenmgen an den Inhalt dieser Pflicht. Wesentlich sind die Größe des Risikos, daß die Information erneut relevant würde, und der mögliche Nachteil fiir Dritte. Hier drohen dem Dritten, der Beklagten, der Verlust von Gewährleistungsrechten, und somit erhebliche zusätzliche Kosten. Allerdings war es im Jahr 1955 nicht sehr wahrscheinlich, daß die Information noch einmal relevant würde. Das Vergraben auch von kontaminierten Abfällen erfolgte damals gedankenlos und war allgemein üblich. Die Information, daß Abfälle vergraben waren, galt daher damals als unwichtig. Da sich auch aus der konkreten Wissensnorm, der Vorschrift des § 463 S. 2 BGB, 195 keine speziellen Anfordenmgen an das Sich-Erinnern ergeben, können keine hohen Anfordenmgen an die Pflicht, das Wissen verfiigbar zu halten, gestellt werden. Insbesondere konnte nicht verlangt werden, daß die KomplementärGmbH 1955 dafiir sorgte, daß die Information über das Vergraben der Abfälle 1985 verfiigbar war. Mit diesen Erwägungen scheidet auch eine handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen wegen Risikoschaffung aus. Auch Wissen unterorganschaftlieber Hilfspersonen, das diese 1955 beim oder über das Vergraben erlangten, war nicht 1985 verfiigbar zu halten. 4. Teilergebnis
Der Komplementär-GmbH ist also über keinen Zurechnungsgrund das vor 1955 erworbene Wissen ihrer Orgarunitglieder fiir den Verkauf im Jahr 1985 zuzurechnen.
m. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei der GmbH & Co. KG Da die Komplementär-GmbH beim Verkauf nicht wußte, scheidet also fiir die GmbH & Co. KG eine handlungsabhängige Wissenszurechnung aus. In Betracht kommt dann fiir die Kommanditgesellschaft nur noch eine Zurechnung
195
Vgl. S. 201.
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über die Formen handlungsunabhängiger Wissenszurechnung. Auch fiir die GmbH & Co. KG scheidet aber eine Wissenszurechnung über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken aus. Die KomplementärGmbH war nicht von der GmbH & Co. KG dazu eingesetzt, als "Wissensempfangsvertreter" gerade Informationen über vergrabene Abfälle fiir sie zu erlangen. Eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung scheidet auch fiir die GmbH & Co. KG aus, da auch diese nicht eine 1955 fiir unwichtig erachtete Information über dreißig Jahre verfiigbar zu halten hatte. Im Ergebnis scheidet also eine Zurechnung des vor 1955 erlangten Wissens ausgeschiedener Organmitglieder oder unterorganschaftlieber Hilfspersonen um vergrabene Abfälle.
S. Der "Knie-Fall" Von zunehmender Bedeutung ist die Frage, ob Wissen in Wissensspeichern zugerechnet werden kann. Abschließend soll daher auf dieses Problem an Hand einer grundlegenden Entscheidung des IV. Zivilsenats 196 kurz eingegangen werden. Auf der Grundlage des hier befiirworteten Zurechnungsmodells ist die rechtliche Behandlung von Wissen in Wissensspeichern verhältnismäßig einfach. Es kommen nämlich die allgemeinen Regeln zur Anwendung. I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe des "Knie-Falls"
Im "Knie-Fall" hatte die beklagte Y-Versicherung den Versicherungsvertrag mit dem Kläger 197 wegen arglistiger Täuschung angefochten, da dieser eine Knieoperation verschwiegen habe. In der Tat hatte der Kläger im Antragsformular nicht auf die Knieoperation hingewiesen. Diese war auch nicht in einem Zeugnis des Hausarztes, auf das im Antragsformular hingewiesen worden war, erwähnt. Der Kläger hatte die Knieoperation aber in zwei im Vorjahr an die X.Versicherung gerichteten Anträgen angegeben.
196 BGH VersR 1993, 1089; auf die Entscheidung wird hier als "Knie-Fall" Bezug genommen. 197 Tatsächlich gab es zwei Kläger, den ursprünglichen Versicherungsnehmer (K 1) und dessen Arbeitgeber (K 2), der nachträglich Versicherungsnehmer wurde, während der ursprüngliche Versicherungsnehmer versicherte Person im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung seines Arbeitgebers wurde; doch ändert dies nichts fiir das hier interessierende Problem. Der Klarheit wegen soll daher von einem einzigen Kläger und Versicherungsnehmer ausgegangen werden.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
Der BGH erklärte, daß es nicht darauf ankomme, was der Versicherungsnehmer zu dem Agenten oder dem Arzt, deren Kenntnisse dem Versicherer zuzurechnen seien, gesagt habe, wenn der Beklagten die Angaben des Klägers in den an die X.-Versicherung gerichteten Versicherungsanträgen der Y-Versicherung bekannt gewesen seien. 198 Die Beklagte war mit der X-Versicherung im Konzern verburtden. Der vom Kläger urtterschriebene Versicherungsantrag enthielt die vorgedruckte Erklärung, der Antragsteller willige in die Führung gemeinsamer Datensammlurtgen durch die X.-Versicherung urtd die Beklagte sowie darin ein, daß Daten aus den Antragsurtterlagen an andere Versicherer übermittelt werden. Bei der Frage nach Vorerkrankurigen hatte der Kläger neben dem Hinweis auf das Gesurtdheitszeugnis des Arztes die Angabe "X-Lebensversicherung" gemacht. Das Gericht fiihrte aus:l99 "Mit dem Hinweis auf Daten in einer Datensammlung eines anderen Versicherers genügt der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit, wenn sich der Versicherer im Antragsformular die Möglichkeit hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sammeln. So liegt es hier. Hinzu kommt folgendes: Was ein Versicherer aufgrund eigener oder mit anderen Unternehmen gemeinsam gefilhrter elektronischer Datensammlungen oder herkömmlicher Akten wissen kann, wird aktuelles, von ihm zu berücksichtigendes Wissen, soweit sich der Versicherungsnehmer darauf mit hinreichender Deutlichkeit zur Beantwortung ihm gestellter Fragen bezieht. Das ist hier mit der Angabe "X.-Lebensversicherung" geschehen. Die Angaben des K.l. zu 1200 über die Knieoperation sind nur dann nicht als der Bekl. bekannt zu betrachten, wenn sie beweist, daß ihre Sachbearbeiter bei der Bearbeitung des Versicherungsantrags des K.l. zu 1 vom 20. 9. 1989 tatsächlich nicht die Möglichkeit hatten, die Lebensversicherungsunterlagen der X.-Versicherung einzusehen."
Bekannt seien die Angaben über die Knieoperationjedenfalls dann,2° 1 "... wenn darauf zur Beantwortung einer Frage im Antragsformular verwiesen wird und die so in Bezug genommenen anderweitigen Angaben den Sachbearbeitern der Beklagten entweder unmittelbar mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Datenverarbeitungsanlage zugänglich waren oder sie die betreffende Akte der X.-Ver-
BGH VersR 1993, 1089, 1090. 1993, 1089, 1090. 200 Des Versicherungsnehmers. 201 BGH VersR 1993, 1089, 1090. 198
199 BGH VersR
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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sicherung, die nach dem Vorbringen des Kl. in demselben Gebäude geführt wurde, anhand der auf dem Bildschirm erscheinenden Versicherungsnummer beiziehen und sich daraus unterrichten konnten."
Aus der Entscheidung ergibt sich zusammenfassend folgendes: Der Inhalt eigener Akten ist nach Ansicht des BGH einem Versicherer bereits bekannt, sofern ein Anlaß besteht, diese abzurufen. 202 Der BGH bietet keine allgemeine Regel für die Frage, wann Anlaß besteht. Ein Anlaß besteht jedenfalls dann, wenn der Antragsteller deutlich auf das Vorhandensein von Akten hinweist. 203 Läßt sich der Versicherer die Einwilligung erteilen, Daten mit anderen Versicherungen gemeinsam zu sammeln, so erweitert sich das ihm, bei entsprechendem Hinweis des Antragstellers, bekannte Aktenwissen um die von den anderen Versicherungen gespeicherten Informationen. 204 Die in den Akten anderer Versicherer gespeicherten Daten sind jedoch dann nicht bekannt, wenn nicht die tatsächliche Möglichkeit bestand, diese einzusehen. Die Möglichkeit der Einsichtnahme wird auch durch die Organisation der Versicherungen mitbeeinflußt sein. Es scheint mithin in das Belieben der Versicherungen gestellt, ob sie wissen oder nicht. 205 Allerdings soll die Beweislast
202 Vgl. Leitsatz Nr. 1 der amtlichen Leitsätze: "Dem Versicherer sind alle Daten über einen VN bekannt, die er in Datenbanken gesammelt hat, soweit Anlaß besteht, diese abzurufen." So jetzt auch im "Altlastenfall", BGHNJW 1996, 1339, 1341 (vgl. gerade unter R). Ähnlich entschied schon das LG Frankfurt NJW 1986, 1085, 1086, das es mit einem Fall der Wissensaufspaltung zwischen verschiedenen Filialen eines Versicherungsunternehmens zu tun hatte. Die mit Hilfe automatischer Informationsverarbeitung zu erlangenden Kenntisse seien dem jeweiligen eine Leistung veranlassenden Sachbearbeiter als dessen Kenntnis zuzurechnen. 203 Vgl. Leitsatz Nr. 2: "Anlaß, sie abzurufen, besteht, wenn der Antragsteller im Antrag auf Abschluß oder Änderung eines Versicherungsvertrags hinreichend deutlich auf das Vorhandensein der Daten in der Datensammlung des Versicherers hinweist." Anders entscheidet der BGH im "PKW-Fall", BGHNJW 1996, 1205, 1206 (vgl. gerade unter J). Wissen aus dem Computer der Dispostionsabteilung wird nicht für den Verkauf des PKW zugerechnet. Der BGH erörtert dort nicht einmal, ob ein Anlaß bestanden hätte, dieses heranzuziehen. Die Speicherung sei zu hausinternem Gebrauch erfolgt. 204 Vgl. Leitsatz Nr. 3: "Mit dem Hinweis auf Daten in einer Datensammlung eines anderen Versicherers genügt der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit, wenn sich der Versicherer im Antragsformular die Einwilligung des Antragstellers hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sammeln." 205 Diesen Aspekt der Entscheidung kritisiert Schmidt-Salzer (Anm. zu BGH LM § 16 VVG Nr. 17 BI. 4), der das Urteil im Prinzip begrüßt. Ob und in welchem Umfang 30 Baum
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnwtg
für den Nachweis der Unmöglichkeit der Versicherer tragen. Offen bleibt, ob die Unmöglichkeit der Einsichtnahme auch die Zurechnung innerhalb der Versicherung ausschließen würde.
II. Die Literatur zum "Knie-Fall" In der Literatur wird die Entscheidung des BGH im "Knie-Fall" begrüßt. So will Medicus einer Einzelperson Speicherwissen zurechnen, sofern ein Anlaß besteht, dieses heranzuziehen. 206 Einer arbeitsteiligen Struktur sei Aktenwissen zuzurechnen, soweit Anlaß für die handelnde Hilfsperson bestehe, dieses heranzuziehen.207 Der Entscheidung im "Knie-Fall" stimmen auch Taupitz208, W. Schultz209, Scheuch210 und grundsätzlich ebenfalls Schmidt-Salzer211 zu.2 12
m. Aktenwissen im hier befürworteten Zurechnungsmodell Auf der Grundlage des hier befürworteten Zurechnungsmodells ist die rechtliche Behandlung des Wissens in Wissensspeichern verhältnismäßig unproblematisch. Man wird sinnvollerweise wie folgt unterscheiden.
die Möglichkeit der tatsächlichen Einsichtnahme bestehe, könne der Antragsteller nicht beurteilen. Dies sei daher das Risiko des Versicherers, der sich die Einwilligwtg erteilen lasse (Schmidt-Sa/zer, Anm. zu BGH LM § 16 VVG Nr. 17 BI. 4 ). 206 Karlsruher Forum 1994,4, 7. 207 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 16. Darauf, daß dies auf einer falschen Anwendwtg des Gleichstellwtgsarguments beruht, ist bereits oben (S. 204) hingewiesen worden. 2°8 Karlsruher Forum 1996, 16, 29; ders. JZ 1996, 734, 736. 209 NJW 1996, 1393, 1394 wtd NJW 1997,2093,2094. 210 Anm. zu BGH LM § 166 BGB Nr. 35 BI. 4. 211 Anm. zu BGHLM § 16 VVGNr. 17; vgl. zurEinschränkwtggerade Fn. 205. 212 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129 f. will auf der Grwtdlage eines Prinzips der WissensverantwortWlg, Wissen zurechnen, soweit es "typischerweise aktenmäßig festgehalten" wird. Es geht ihm also nicht um die Zurechnwtg realen Aktenwissens, sondern solchen Wissens, das "typischerweise aktenmäßig festgehalten" wird, gleichgültig, ob es im Einzelfall auch tatsächlich festgehalten wurde oder nicht. Insofern handelt es sich bei Bohrers Vorschlag um eine allgemeine Regel über die handlwtgswtabhängige Wissenszurechnwtg, vgl. daher auch schon oben S. 265 Fn. 914.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
467
1. Aktenwissen bei der Einzelperson
Ob einer Einzelperson im Rahmen des "Sich-Erinnerns" Akten- oder Computerwissen zuzurechnen ist, richtet sich nach der Auslegung der jeweiligen Wissensnorm durch die Rechtsprechung. Insbesondere im Versicherungsrecht scheint die Rechtsprechung der Einzelperson auch in Akten abgelegtes Wissen zurechnen zu wollen. 213 Eine darüber hinausgehende Pflicht, sich Wissen aus Akten zu verschaffen21 4, sofern ein Anlaß dazu besteht, oder eine Wissensverantwortung triffi die Einzelperson nach der hier vertretenen Ansicht hingegen nicht. 2. Aktenwissen bei der arbeits/eiligen Struktur
a) Im allgemeinen Aktenwissen ist einer arbeitsteiligen Struktur hingegen nur zuzurechnen, wenn einer der in dieser Arbeit entwickelten Zurechnungsgründe vorliegt. Es ist daher wie folgt zu differenzieren: Handelt eine Hilfsperson, so muß sich die arbeitsteilige Struktur das Wissen der fiir sie handelnden Hilfsperson über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB215 und die Grundsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung, das Wissen des Geschäftsherrn und einer anderen Hilfsperson, sofern die Voraussetzungen des § 166 II BGB (analog) vorliegen, das Wissen der "Wissensempfangsvertreter" über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken, § 166 II BGB (analog) und weiteres dienstlich erlangtes Wissen, sofern eine Pflicht besteht, dieses verfiigbar zu machen und zu halten, und diese schuldhaft verletzt ist (handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung), zurechnen lassen. Handelt der Geschäftsherr selbst, so kommt es auf sein eigenes Wissen und das ihm über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechenbare Wissen seiner "Wissensempfangsvertreter" an. 216 Handelt ein Mitglied eines mehrköpfigen Vertretungsorgans, so kommt es auf das Wissen dieses Organmitgliedes, das Wissen anderer Organmitglieder, sofern die Voraussetzungen des § 166 II BGB vorliegen, das der Organisation
Vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1991, 1185, 1186. So aber Medicus, Karlsruher Forum 1994,4, 7. 215 Zuzurechnen ist das gesamte Wissen der handelnden Hilfsperson, also auch solches, das sie sich ggf. aus Wissensspeichern verschafft hat. 216 Dies gilt analog für den Fall, daß das einzige Mitglied eines Vertretungsorgans handelt. 213
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Teil ill: Beispiele zur Wissenszurechnung
über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken als eigenes zurechenbare Wissen Wld das über die GrW1dsätze der handlWlgsWlabhängigen WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung zurechenbare Wissen an. Ist Wissen an sich relevant, so ist der Einzelperson mit Hilfspersonen Wld der Organisation mit einköpfigem VertretWlgsorgan das Wissen der Einzelperson oder des einzigen Organmitgliedes, über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken zurechenbares Wissen Wlterorganschaftlicher "Wissensempfangsvertreter" Wld das über die GrWldsätze der WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung zurechenbare Wissen zuzurechnen. Einer Organisation mit mehrköpfigem VertretWlgsorgan ist, sofern Wissen an sich relevant ist, das Wissen ihrer organschaftliehen Wld Wlterorganschaftlichen "Wissensempfangsvertreter" sowie das über die GrW1dsätze der WissenszurechnWlg wegen Risikoschaffung zurechenbare Wissen zuzurechnen. Darüber hinausgehend trifft die arbeitsteilige Struktur keine Einstandspflicht fiir Wissensspeicher. Es ist insofern kein ZurechnWlgSgrWld ersichtlich. Speichert die arbeitsteilige Struktur mehr Wissen, als ihr über die handlWlgsWlabhängige WissenszurechnWlg zuzurechnen ist, so ist ihr dieses Mehr nur zuzurechnen, wenn es der handelnden Hilfsperson tatsächlich zur VerfiigWlg steht Wld von dieser auch tatsächlich genutzt wird. 217 Die Ansicht des BGH218 Wld einiger Stimmen in der Literatur219, daß Speicherwissen zuzurechnen ist, sofern ein Anlaß besteht, dieses heranzuziehen, geht also zu weit.220
Ist Wissen an sich relevant, wie im Fall des § 852 BGB, so ist Aktenwissen nur bekannt, wenn es der zuständigen Hilfsperson, die "Wissensempfangsvertreter" über den aus § 164 m BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken ist, tatsächlich bekannt ist. Zusätzlich wird natürlich das Wissen über die Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zugerechnet. 218 BGH VersR 1993, 1089, 1090. 219 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 16; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 29; ders., JZ 1996, 734, 736; Wolfgang Schultz, NJW 1996, 1393, 1394; Scheuch, Anm. zu BGH LM § 166 Nr. 35, BI. 4. 220 Anders ist es, wenn sich wie im "Knie-Fall" der Versicherer die Einwilligung hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sammeln, und der Versicherungsnehmer sodann auf Daten in der Datensammlung des anderen Versicherers hinweist. Es geht dann aber nicht mehr um Probleme der Wissenszurechnung, sondern um eine Erleichterung der Erfüllung der Anzeigepflicht, vgl. dazu unten unter IV 4. Ob es zur Erfüllung der Anzeigepflicht genügt, daß der Versicherungsnehmer auf beim Versicherer selbst vorhandenes Speicherwissen hinweist, kann hier dahinstehen. Es handelt sich insofern nicht um ein Problem der Wissenszurech217
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
469
b) Arbeitsteilig eingesetzte Wissensspeicher Anders ist es, wenn die Wissensspeicher nicht lediglich der Speicherung von dienstlich erlangtem - Wissen dienen, sondern vom Geschäftsherrn arbeitsteilig eingesetzt werden, also über sie dienstlich Wissen erworben wird. So werden im Bankgeschäft mehr und mehr Kundengeschäfte nicht länger am Schalter, sondern über den Computer im Wege des Direkt- oder sogar Homebankings abgewickelt. Der Computer dient dann nicht nur zur Wissensspeicherung. Der Geschäftsherr nutzt ihn vielmehr für arbeitsteilige Aktivität. Der Computer tritt also an die Stelle des Geschäftsherrn oder einer Hilfsperson und erwirbt so dienstlich Wissen. Für das so erworbene dienstliche Wissen gelten die zum Wissenserwerb durch Hilfspersonen entwickelten Regeln. Wurde der Computer als "Wissensempfangsvertreter" eingesetzt, so ist dem Geschäftsherrn über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken das so erworbene Wissen als eigenes zuzurechnen. 221 Sonstiges dienstliches Wissen ist zuzurechnen, sofern den Geschäftsherrn eine Pflicht trifft, die Verfiigbarkeit dieses Wissens zu organisieren, und diese Pflicht schuldhaft verletzt wurde. 222 Ob eine solche Pflicht besteht und wie ihr Inhalt aussieht, bestimmt sich über die Kriterien des beweglichen Systems.
IV. Die Lösung des "Knie-Falls" Die Datenbanken dienten im "Knie-Fall" lediglich als Wissensspeicher. Ihr Inhalt ist dann nach der hier vertretenen Ansicht nur zuzurechnen, wenn einer der erarbeiteten Zurechnungsgründe einschlägig ist. 223
1. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB wäre dem Versicherer das Wissen aus den Datenbanken nur zuzurechnen, wenn sich die mit dem Versicherungsantrag befaßten Mitarbeiter das Wissen tatsächlich verfiigbar gemacht hät-
nung, sondern um die Frage, welche Anforderungen an den Inhalt der Anzeige zu stellen sind. Mit der hier für die Wissenszurechnung vertretenen Ansicht stimmt die Entscheidung im "PKW-Fall" (BGH NJW 1996, 1205, vgl. gerade unter J) überein, der GmbH & Co. KG nicht das Wissen im Computer der Dispositionsabteilung zuzurechnen. 221 Vgl. für den Wissensempfangsvertreter S. 140 ff. 222 Vgl. für die handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung s. 225 ff. 223 Da jedenfalls kein Organmitglied weiß, können die Vorschriften über die Zurechnung des Organwissens außer Betracht bleiben.
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Teil III: Beispiele zur Wissenszurechnung
ten. Dies scheint gerade nicht der Fall gewesen zu sein. Eine Zurechnung über die Gnmdsätze der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung scheidet hier ebenfalls aus, da über diese nur dienstliches, bei Erledigung der konkreten Handlung erlangtes Wissen zugerechnet werden kann. 2. Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus § 164 I// BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken
Damit das Wissen über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken dem Versicherer als ihm selbst bekannt und dann über § 166 II BGB möglicherweise für den Versicherungsvertrag zuzurechnen gewesen wäre, müßte ein "Wissensempfangsvertreter" des Versicherers das Wissen für ihn erlangt haben. Das relevante Wissen hatten Mitarbeiter der X.-Versicherung bei Abschluß anderer Versicherungsverträge erlangt. Bei Abschluß dieser Versicherungsverträge waren sie aber nicht gerade von der Y-Versicherung eingesetzt, bestinunte Informationen für sie zu erlangen, sie waren ja nicht einmal für sie tätig. 3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung
Eine Zurechnung kommt daher nur noch über die Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung in Betracht. Die Mitarbeiter der X.-Versicherung wurden jedoch nicht von der Y-Versicherung arbeitsteilig eingesetzt. Sie waren für eine andere Gesellschaft tätig. 224 Auch eine Wissenszurechnung kraft Risikoschaffung scheidet daher aus. 4. Zurechnung wegen Erleichterung der Anzeigepflicht
Im Ergebnis ist der Entscheidung des BGH gleichwohl zuzustinunen. Die Entscheidung läßt sich auf den dritten Leitsatz stützen: "Mit dem Hinweis auf Daten in einer Datensanunlung eines anderen Versicherers genügt der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit, wenn sich der Versicherer im Antragsformular die Einwilligung des Antragstellers hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sanuneln. "225 Es geht der Sache nach um eine Erleichterung der Erfilllung der Anzeigepflicht. Auf die tat-
224 Ob sich daraus, daß sich der Versicherer und die X.-Versicherung im Konzernverbund befanden, etwas anderes ergibt, soll hier dahinstehen. Die Grundsätze der Wissenszurechnung machen es aber möglich, danach zu fragen, wer tatsächlich Geschäftsherr war. Das kann auch die Konzernmutter sein. Vgl. zu den besonderen Problemen der Wissenszurechnung im Konzern Bork, ZGR 1994, 237, 255 f.; Drexl, ZHR 161 (1997), 491 ff. 22 5 BGH VersR 1993, 1099.
§ 8 Die Konkretisierung des Zurechnungsmodells
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sächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme kommt es entgegen dem BGH nicht an. Der Versicherer muß sich an dem festhalten lassen, was er will, nämlich dem Datenabgleich. Dieser ist sein Risiko.226
226 So auch Schmidt-Sa/zer, Anm. zu BGH LM § 16 VVG Nr. 17 BI. 4 und 5.
Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse In der Arbeit wird ein einheitliches Zurechnungsmodell fiir die Zurechnung des Wissens organschaftlieber und unterorganschaftlieber Hilfspersonen entwickelt. Über die verschiedenen Zurechnungsgründe ergibt sich konstruktiv jeweils im Einzelfall, welches Wissen einer arbeitsteiligen Struktur, sei diese eine juristische Person, eine sonstige Organisation oder aber eine Einzelperson mit Hilfspersonen, in einer konkreten Rechtsbeziehung zuzurechnen ist.
A. Für die Arbeit wurden die Wissensnormen neu systematisiert. 1 So lassen sie sich danach unterscheiden, ob Wissen in Verbindung mit einem rechtsgeschäftliehen Verhalten2 (Gruppe eins), in Verbindung mit einem tatsächlichen oder geschäftsähnlichen Verhalten (Gruppe zwei) oder an sich (Gruppe drei) rechtsfolgebegründend ist. Diese Systematisierung verdeutlicht, daß es fiir die Wissenszurechnung entscheidend darauf ankommt, ob Wissen einer Person dem Geschäftsherrn fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung dieser Person - also handlungsabhängig - zugerechnet wird oder ob Wissen einer Person dem Geschäftsherrn fiir die Fälle, daß Wissen an sich rechtsfolgebegründend ist, oder fiir Handlungen des Geschäftsherrn selbst oder anderer seiner Hilfspersonen, an denen die wissende Hilfsperson nicht beteiligt ist, zugerechnet werden soll. Letztere Fälle werden hier als Fälle handlungsunabhängiger Wissenszurechnung bezeichnet. B. Im Verlauf der Untersuchung hat sich ergeben, daß die bisherigen Vorschläge in Rechtsprechung und Literatur zur Lösung der Probleme der Wissenszurechnung nicht überzeugen können. I. So läßt sich entgegen der h. M. in Rechtsprechung und Literatur eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung nicht mit methodisch zulässigen Mitteln auf die Vorschrift des § 166 I BGB und die aus dieser entwickelte Figur des "Wissensvertreters" stützen. § 166 I BGB regelt in seinem direkten Anwendungsbereich lediglich eine handlungsabhängige Wissenszurechnung, dann ist
Vgl. S. 32 ff. Verhalten ist Tun und Unterlassen; soweit im folgenden von Handlung die Rede ist, steht dieser das Unterlassung gleich, sofern eine Rechtspflicht zum Handeln besteht. 1
2
Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse
473
es aber methodisch unzulässig, auf die Vorschrift eine handhmgsunabhängige Wissenszurechnung zu stützen.3 II. Deshalb scheidet auch die in der Literatur befürwortete Lösung über eine Analogie zu § 278 BGB oder die Ableitung eines Rechtsgedankens aus dieser Vorschrift aus. Die Vorschrift ordnet in ihrem direkten Anwendungsbereich lediglich eine handlungsabhängige Wissenszurechnung an, dann ist es methodisch unzulässig, auf sie eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung zu stützen. 4 III. Entgegen vieler Stilrunen in der modernen Rechtsprechung und Literatur lassen sich die Probleme der Wissenszurechnung auch nicht über das sog. Gleichstellungsargument lösen. 5 Nach diesem soll derjenige, der es mit einer juristischen Person zu tun hat, nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen als der, der es mit einer natürlichen Person, einer Einzelperson zu tun hat. Dieses Gleichstellungsargument ist jedoch, soweit es um die Leistungserbringung durch eine juristische Person und eine natürliche Person geht, falsch. Leistungserbringung durch eine juristische Person ist arbeitsteilige Leistungserbringung und als solche typischerweise wertungsmäßig etwas anderes als Leistungserbringung durch eine Einzelperson. Es fehlt daher an zwei vergleichbaren Tatbeständen. Für den wichtigen Bereich der arbeitsteiligen Leistungserbringung scheidet daher eine Lösung über das Gleichstellungsargument von vornherein aus. 6 Aber auch fiir die übrigen Fälle, den außerrechtsgeschäftliehen Bereich und den rechtsgeschäftliehen Bereich, sofern es nicht um Leistungserbringung geht, scheidet eine Lösung über das Gleichstellungsargument aus. Zwar gilt dort das Gleichstellungsargument; durch Arbeitsteilung kommt es aber gleichzeitg zur Wissensaufspaltung und Wissensvermehrung. Diese lassen sich im Einzelfall nicht trennen, eine Lösung über das Gleichstellungsargument ist dann aber unmöglich, da sie nicht durchführbar ist.7 Für eine Lösung läßt sich auch nicht insofern an das Gleichstellungsargument anknüpfen, als der allgemeine Wissensbegriff bei der Einzelperson auf die arbeitsteilige Struktur übertragen wird. Einen solchen allgemeinen Wissensbegriff gibt es nämlich nicht. Die einzelnen Wissensnormen stellen vielmehr durchaus unterschiedliche Anforderungen. 8
3 4 5 6 7
8
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
S. 94 ff. S. 132 ff. S. 176 ff. S. 186 ff. S. 205 ff. S. 194 ff.
474
Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse
IV. Die Probleme der Wissenszurechnung lassen sich auch nicht über den Vertrauensgedanken lösen. Bereits hinsichtlich des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen der Vertrauenshaftung bestehen vielfältige Bedenken. Es fehlt jedoch jedenfalls an dem fiir die einzig in Betracht kommende Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit erforderlichen widersprüchlichen Verhalten, wenn eine Organisation von Wissen unterbleibt. 9 C. Die der rechtlichen Behandlung arbeitsteiliger Aktivität im Gesetz zugrundeliegenden Prinzipien scheinen eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung weitgehend auszuschließen. Diese Prinzipien, die Privilegierung arbeitsteiliger unternehmenscher Aktvität und die individualistische, zurechnungsfeindliche Grundeinstellung des historischen Gesetzgebers, haben jedoch heute keine Gültigkeit mehr. Sie stehen daher einer Rechtsfortbildung nicht im Wege.IO
D. Für die Zurechnung zunächst des Wissens unterorganschaftlieber Hilfspersonen ergibt sich unter Ausnutzung der Möglichkeiten gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung ein fünfstufiges Zurechnungsmodell: I. Handlungsabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB
Hat der Geschäftsherr eine Hilfsperson zur Vornahme einer Handlung eingesetzt, so wird dem Geschäftsherrn fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen dieser Handlung - also handlungsabhängig - das gesamte dienstliche und private Wissen der Hilfsperson zugerechnet, sofern dieser eine eigenverantwortliche Stellung bei der Handlung eingeräumt ist. Nicht erforderlich ist, daß die Hilfsperson die Handlung alleine durchfUhrt. Diese Zurechnung ergibt sich über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB.11 II. Handlungsabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Wegen der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung triffi den Geschäftsherrn ggf. die Pflicht, dienstlich erlangtes Wissen unselbständiger Hilfspersonen der Person - sei diese er selbst oder eine andere Hilfsperson -, auf die es fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung,
9 10
II
Vgl. S. 210 ff. Vgl. S. 165 ff. Vgl. S. 49 ff.
SchlußzusanunenfassWlg Wld wesentliche Ergebnisse
475
bei der das Wissen erworben wurde, ankommt, verfiigbar zu machen. 12 Ob diese Pflicht besteht, bestimmt sich im Einzelfall über die Kriterien eines beweglichen Systems. Kriterien dieses Systems sind die Beherrschbarkeit des Risikos der Wissensaufspaltung, die Kosten der Beherrschung, Größe und Art des dem Dritten drohenden Nachteils, die stets erhebliche Größe des Risikos der Wissensaufspaltung, die Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und Drittem ein rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, schließlich als gleichsam negatives Kriteriwn der Datenschutz. Ist die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen, schuldhaft verletzt, so ist es dem Geschäftsherrn gleichwohl fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung, bei der es erworben wurde, - also handlungsabhängig - zuzurechnen. Die Verantwortung fiir die Schaffung des Risikos der Arbeitsteilung beruht auf dem durch Induktion aus der Auferlegung von Verkehrspflichten gewonnenen allgemeinen Prinzip, daß, wer Risiken schafft, Dritte mit angemessenem, zwnutbarem Aufwand vor deren Realisierung schützen muß. 13 III. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Weisung Weist eine Hilfsperson eine andere Hilfsperson an, so ist das Wissen der anweisenden Hilfsperson über § 166 II BGB oder den Rechtsgedanken dieser Vorschrift zur Bestimmung der Rechtsfolgen der angewiesenen Handlung - also handlungsunabhängig - zuzurechnen. 14 IV. Handlungsunabhängige Zurechnung des Wissens des "Wissensempfangsvertreters" über den aus§ 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Hat der Geschäftsherr eine Hilfsperson mit einer gewissen Selbständigkeit, einen "Wissensempfangsvertreter", gerade zwn Erwerb einer bestimmten Information eingesetzt, so ist ihm diese Information - handlungsunabhängig - als eigenes Wissen zuzurechnen. 15 Es ist ihm daher zuzurechnen, sofern Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst; es ist ihm auch fiir die Bestimmung der Rechtsfolgen seiner eigenen Handlungen und, sofern er diese angewiesen hat, zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen anderer Hilfspersonen zuzurechnen
12
13 14 15
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
S. 308 ff. S. 249 ff. S. 127 ff. S. 140 ff.
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Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse
(§ 166 II BGB oder Rechtsgedanke des § 166 II BGB). Diese Zurecluumg beruht auf einem aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken.
Wie lange sich der Geschäftsherr dieses ihm als eigenes zuzurechnende Wissen verfiigbar zu halten hat, bestimmt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems. Kriterien dieses Systems sind die Beherrschbarkeil des Risikos der Nichtverfiigbarkeit, die Kosten der Beherrschung, die Größe und Art des dem Dritten drohenden Nachteils, die Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und Drittem rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, schließlich die Größe des Risikos, d. h. hier, je wichtiger eine Information ist, um so länger muß sie verfiigbar gehalten werden. Wie lange Wissen verfiigbar zu halten ist, richtet sich auch nach den Anforderungen der konkreten Wissensnorm. Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung der Pflicht, das Wissen verfiigbar zu halten, ist, daß es gleichwohl zuzurechnen ist. V. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Dienstlich erlangtes Wissen einer Hilfsperson kann dem Geschäftsherrn schließlich über die Grundsätze einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzurechnen sein. 16 Wegen der Schaffung des Risikos der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung kann den Geschäftsherrn nämlich die Pflicht treffen, arbeitsteilig erworbenes Wissen seiner Hilfspersonen sich selbst oder anderen handelnden oder zuständigen Hilfspersonen verfiigbar zu machen und zu halten. Ob und wie lange diese Pflicht besteht, bestimmt sich jeweils über die Kriterien eines beweglichen Systems. Ob das Wissen verfiigbar zu machen ist, ergibt sich wie bei der handlungsabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung über die Kriterien der technischen Beherrschbarkeit des Risikos der Wissensaufspaltung, der Kosten der Beherrschung, der Tatsache, ob zwischen Geschäftsherrn und Drittem ein rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, der Größe und Art des mutmaßlichen Nachteils des Dritten, der Größe des Risikos der Wissensaufspaltung sowie als gleichsam negativem Kriterium dem Datenschutz. Wie lange das Wissen verfiigbar zu halten ist, bestimmt sich über die weitgehend identischen Kriterien eines weiteren beweglichen Systems. Für die Größe des Risikos ist hier danach zu fragen, wie offensichtlich wichtig eine Information zur Zeit der Informationserlangung war. In das bewegliche System zur Bestimmung des Inhalts der Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten, sind auch stets die Anforderungen der konkreten Wissensnorm einzustellen.
16
Vgl. S. 225 ff.
Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse
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Ist die Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, schuldhaft verletzt, so ist das Wissen gleichwohl zuzurechnen. Es ist dem Geschäftsherm dann handlungsunabhängig - fUr die Bestimmung der Rechtsfolgen seiner eigenen Handlungen und der Handlungen seiner Hilfspersonen sowie fiir den Fall, daß Wissen an sich relevant ist, zuzurechnen. E. Als selbständiges Problem wird die Zurechnung des Organwissens diskutiert. 17 Die noch vorherrschende Rechtsprechung und Literatur krankt daran, daß sie die Zurechnung des Organwissens nicht als Wertungsfrage begreift, sondern metaphysische Erwägungen zum Wesen der juristischen Person und ihrer Organe anstellt. Erkennt man, daß es auch bei der Zurechnung des Organwissens um ein Wertungsproblem geht, legt man zusätzlich zugrunde, daß es sich bei der Einzelperson mit Hilfspersonen und der juristischen Person um wertungsmäßig gleiche Tatbestände, nämlich arbeitsteilige Strukturen, handelt, 18 so kommt man mit Hilfe der fUr die Zurechnung des Wissens unterorganschaftlicher Hilfspersonen angestellten Überlegungen verhältnismäßig unproblematisch zu einer Lösung des Problems des Organwissens. Es ist dann, wie folgt, zu unterscheiden: I. Wissen des einzigen Organmitgliedes einer juristischen Person ist wie das Wissen einer Einzelperson mit Hilfspersonen zuzurechnen. Es ergibt sich insofern folgendes Zurechnungsmodell19:
1. Handlungsabhängige Wissenszurechnung Das Wissen der Einzelperson mit Hilfspersonen und das Wissen des einzigen Organmitgliedes einer juristischen Person ist stets zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen der Einzelperson oder des Organs zuzurechnen. 2. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung bei Weisung Weisen eine Einzelperson mit Hilfspersonen oder das einzige Organmitglied an, so ist ihr Wissen über § 166 II BGB oder den Rechtsgedanken dieser Vorschrift zur Bestimmung der Rechtsfolgen der angewiesenen Handlung zuzurechnen.
17 Vgl.S.317ff. 18 Vgl. S. 178 ff. 19 Vgl. S. 358 ff.
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Schlußzusanunenfassung und wesentliche Ergebnisse
3. Handlungsunabhängige Zureclmung als Wissen an sich Wissen der Einzelperson mit Hilfspersonen und des einzigen Organmitgliedes ist zudem stets Wissen der Einzelperson oder der juristischen Person, sofern Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst. 4. Handlungsunabhängige Wissenszureclmung wegen Risikoschaffung Darüber hinaus kommt eine Zureclmung des Wissens der Einzelperson mit Hilfspersonen oder des einzigen Organmitgliedes nur in Betracht, wenn die Einzelperson oder das einzige Organmitglied Wissen bei einer arbeitsteiligen Tätigkeit erworben hat, deshalb wegen der Risikoschaffung durch Arbeitsteilung eine Pflicht besteht, dieses Wissen (unterorganschaftlichen) Hilfspersonen verfiigbar zu machen und zu halten, und diese Pflicht schuldhaft verletzt wurde. Dann ist das Wissen gleichwohl - handlungsunabhängig - zuzureclmen. Ob und wie lange die Pflicht besteht, Wissen verfiigbar zu machen und zu halten, bestimmt sich wiederum über die Kriterien zweier beweglicher Systeme. Insofern gilt dasselbe wie bei der allgemeinen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. 20 II. Für die juristische Person mit einem mehrköpfigen Vertretungsorgan ergibt sich folgendes Zureclmungsmodell21 : 1. Handlungsabhängige Wissenszureclmung Auch bei einem mehrköpfigen Vertretungsorgan ist das Wissen des handelnden Organmitgliedes zur Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlung zuzureclmen. 2. Handlungsunabhängige Wissenszureclmung bei Weisung Das Wissen eines Organmitgliedes ist der juristischen Person auch zur Bestimmung der Rechtsfolgen einer von dem Organmitglied angewiesenen Handlung zuzureclmen (§ 166 II BGB oder Rechtsgedanke dieser Vorschrift).
20 21
Vgl. hier unter D V. Vgl. S. 363 ff.
Schlußzusammenfassung und wesentliche Ergebnisse
479
3. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung des Wissens eines Organmitgliedes über den aus § 164 III BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken Bei einer juristischen Person mit mehrköpfigem Vertretungsorgan können, da nicht alles Wissen der Organmitglieder automatisch Wissen der juristischen Person ist, auch Organmitglieder als "Wissensempfangsvertreter" gerade zum Erwerb einer Information für die juristische Person eingesetzt sein. Dieses Wissen ist der juristischen Person dann als eigenes zuzurechnen. Es ist ihr daher zuzurechnen, sofern Wissen an sich Rechtsfolgen auslöst. Es ist ihr darüber hinaus auch für die Handlungen und Weisungen ihrer Organmitglieder zuzurechnen. Wie lange sich die juristische Person dieses eigene Wissen verfügbar zu halten hat, bestimmt sich über die Kriterien eines beweglichen Systems. Sofern es schuldhaft nicht verfügbar ist, ist es gleichwohl zuzurechnen. Insofern gilt dasselbe wie bei der Zurechnung des Wissens unterorganschaftlieber "Wissensempfangsvertreter". 22 4. Handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung Schließlich ist auch das Wissen der Mitglieder mehrköpfiger Vertretungorgane über die Grundsätze der handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung zuzurechnen. Voraussetzung ist, daß die juristische Person wegen der Risikoschaffung durch Arbeitsteilung die Pflicht trifft, Wissen ihrer Organmitglieder anderen handelnden oder zuständigen Organmitgliedern oder anderen handelnden oder zuständigen unterorganschaftliehen Hilfspersonen verfügbar zu machen und zu halten, und diese Pflicht schuldhaft verletzt ist. Dann ist das Wissen gleichwohl - handlungsunabhängig - für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Handlungen oder als Wissen an sich zuzurechnen. Ob und wie lange die Pflicht besteht, Wissen verfügbar zu machen und zu halten, bestimmt sich wiederum über die Kriterien zweier beweglicher Systeme. Insofern gilt dasselbe wie bei der allgemeinen handlungsunabhängigen Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung. 23 III. Die Modelle für die Zurechnung des Organwissens bei juristischen Personen mit ein- und mehrköpfigem Vertretungsorgan gelten entsprechend für alle Organisationsformen mit ein- oder mehrköpfigem Leitungsorgan. 24 F. Auf das so jeweils konstruktiv zu ermittelnde Wissen der arbeitsteiligen Struktur in einer konkreten Rechtsbeziehung kommen dann die Anforderungen
22 Vgl. hier unter D IV. 23 Vgl. hier unter D V. 24
Vgl. S. 371 ff.
480
SchlußzusanunenfassWlg Wld wesentliche Ergebnisse
der jeweiligen Wissensnorm zur AnwendWlg. 25 Diesen muß das konkret ermittelte Wissen dann im Einzelfall genügen. G. Sofern Wissen über einen ZurechnWlgsgTWld fiir eine HandlWlg zugerechnet wird, es der handelnden Person aber nicht tatsächlich verfiigbar ist, so ist, sofern bei tatsächlicher Verfiigbarkeit des Wissens vom Handeln in Kenntnis nach der LebenserfahrWlg auf Arglist geschlossen werden könnte, auch bei Nichtverfiigbarkeit von Arglist auszugehen, wenn die Nichtverfiigbarkeit verschuldet ist. 26 Dies ergibt sich ebenfalls über die VerantwortWlg fiir Risikoschaffimg.
25
26
Vgl. S. 378. Vgl. S. 150 ff. und S. 295 ff.
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Sachwortregister Aktenwissen 194, 204,463 ff. - bei der arbeitsteiligen Struktur 467 f. - bei der Einzelperson 467 - lUld handlllllgsabhängige Wissenszurechnllllg 469 f. - lUld Zurechnllllg über den aus § 164 Ill BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken 4 70 - lUld Zurechnllllg wegen Erleichtefllllg der Anzeigepflicht 470 f. - lUld Zurechnllllg wegen Risikoschaffung 470 "Altlastenfall" 119 f., 210 f., 281, 288, 328 ff., 458 ff. arbeitsteilige Struktur Defmition 30 Arbeitsteilllllg - gesetzliche Konzeption 158 ff. - individualistische Konzeption 167 ff., 175 f. - wirtschaftspolitisches Motiv 165 ff. - ZUgflllldeliegende WertliDgen 165 ff., 171 ff. Arglist 150 ff., 295 ff., 314, 360, 366, 368 - bei der arbeitsteiligen Struktur 296 ff. - bei der Einzelperson 296 - bei Geltllllg des Gleichstellllllgsarguments 300 - Rechtsprechllllg 235 ff., 296 ff. - sofern das GleichstelllUlgsargument nicht gilt 300 f. "Aufrechnllllgsfall" 114 f., 426 f. Aufsichtsorgane 371 BereichshaftlUlg 138 f.
Besitzerwerb 73 ff. "Betriebsprüferfall" 102 f., 115, 402 ff. bewegliches System 149 f., 255 ff., 267 ff., 279 ff., 313 f., 361, 366 ff. Beweislast 305, 315 "Dachpfettenfall" 240 ff., 443 ff. "Darlehensfall" 53 ff., 95 f., 115 f., 385 ff. Datenschutz 275 dienstliches Wissen 78 ff., 146, 266 f., 313, 350, 360,364 ff. Einzelnorm Einfluß auf das bewegliche System 150, 275 ff., 285 f., 378 GeflihrdllllgshaftlUlg 249 f. Gehilfenversagen 302 ff., 314 gesetzliche Zurechnllllgsvorschriften 39 ff. Gleichstellllllgsargument 176 ff. - andere rechtsgeschäftliche BeziehliDgen 188 - arbeitsteilige Leistllllgserbringllllg 186 ff., 191 - außerrechtsgeschäftlicher Bereich 189 f., 192 - gesetzliche Zurechnllllgsvorschriften 181 ff. - Personbegriff des BGB 179 ff. Größe des Risikos der Wissensaufspaltllllg 270 ff. Größe lUld Art des möglichen Nachteils für den Dritten 270 "GrlUldschuldfall" 94 f., 115, 379 ff.
Sachwortregister
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handlungsabhängige Wissenszurechnung - Auftreten nach außen 90 - ausgehend von§ 166 I BGB 42,49 ff., 358 f., 364, 372, 374 - Definition 35 - dienstliches Wissen 78 ff., 313 - Eigenverantwortlichkeit 85 ff., 89, 313 - privates Wissen 78 ff., 83 - wegen Risikoschaffung 308 ff. handlungsunabhängige Wissenszurechnung - ausgehend von§ 164 III BGB 140 ff., 362 f., 364 ff., 369 f., 373, 374, 375 - ausgehend von§ 166 I BGB 94 ff., 122 ff. - ausgehend von§ 166 II BGB 43, 127 ff., 131, 359, 364, 372, 374 - ausgehend von § 278 BGB 132 ff. - Definition 36 - wegen Risikoschaffung 225 ff., 360 f., 366 ff., 373, 374 f.
- bei einköpfigem Vertretungsorgan 358 ff. - bei mehrköpfigem Vertretungsorgan 363 ff.
"kanadische Betrugsfalle" 103 ff., 116 f., 276,405 ff. "Knie-Fall" 463 ff. "Knollenrnergelfall" 107 ff., 117 f., 150f., 177,295,319,411 ff. "Kolonnenfiihrerfall" 235 ff., 436 ff. Kosten der Beherrschung 269 f. "Kreditabteilungsfall" 109f., 117,414 ff.
"Scheckbetrugsfall I" 124 ff. "Scheckbetrugsfall II" 126 "Schlachthausfall" 177, 296 ff., 320 ff., 446 ff. "Superrnarkfall" 96 ff., 115 f., 129 f., 276,387 ff.
"Landesversorgungsamtsfall" 98 ff., 115 f., 276, 393 ff.
Unterlassung 30
"Nachtwachefall" 227 f., 428 ff. "Omnibusfall" 177,281,323 ff., 452 ff. Organisationsentscheidung 214 ff. Organtheorie 351 f. Organwissen 31 7 ff. - Anwendungsbereich 371 ff.
32 Baum
Passivvertretung 354 ff. "Pferdestallfall" 229 ff., 431 ff. Pflicht, Wissen verfiigbar zu halten 149, 279 ff., 287 f., 359 f., 361, 362 f., 366 f., 373, 374 f. Pflicht, Wissen verfiigbar zu machen 267 ff., 287 ff., 312 ff., 361' 366 f., 373,374 f. "PKW-Fall" 110 ff., 118 f., 150 f., 281, 295,418 ff. privates Wissen 78 ff., 350 Rechtsfolge 290 ff., 314 rechtsgeschäftlicher Kontakt 274 f. Repräsentantenhaftung 229 ff., 435 f. Risikoschaffung 226, 252 f., 309 f.
technische Beherrschbarkeit 268 f.
Verantwortung für Risikoschaffung 252 f. verfassungsmäßig berufene Vertreter 319,370 Vergessen 147 ff., 279 ff., 287, 359 f., 361, 362 f., 366 f., 373, 374 f. Verkehrspflichten 250 f.
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Sachwortregister
Verschulden bei der Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung 294 f., 314, 361,368 "Versicherungsanstaltsfall" 100 ff., 115, 398 ff. Vertretungsorgan - handlungsabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 I BGB 350, 359 f., 364, 372, 374 - handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf der Organtheorie 351 f. - handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf § 28 II BGB 354 ff. - handlungsunabhängige Wissenszurechnung basierend auf§ 31 BGB 353 - handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den aus§ 164 II1 BGB zu entnehmenden Rechtsgedanken 364 ff., 373, 374 - handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Rechtsgedanken des § 166 II BGB 351, 359, 364, 372, 374 - handlungsunabhängige Wissenszurechnung über den Vertrauensgedanken 356 f. - handlungsunabhängige Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung 360 f., 366 ff., 373, 374 f. - überkommene Rechtsprechung 317 ff. - und Gleichstellungsargument 357 ff. Vertrauenshaftung 210 ff., 343 ff., 356 f. Weisung 127 ff. Wissensaufspaltung 205 ff., 226,254 f., 270 f., 272 f., 310, 360, 366 Wissensbegriff 194 ff. Wissensempfangsbote 145 f. Wissensempfangsvertreter 142 ff. - dienstliches Wissen 146
- Einsatz zur Wissenserlangung 145 - und Arglist 150 ff. - undderBGH 153 f. - Vergessen 147 ff. - Zurechnung als eigenes Wissen 146 f. Wissenmüssen 195 f., 203 Wissensnormen 32 ff. Wissensvermehrung 205 ff., 226, 271 ff. Wissensvertreter 50 ff., 95 ff., 115 ff., 119 Wissenszurechnung Begriff 30 Wissenszurechnung wegen Risikoschaffung 225 ff., 308 ff., 360 f., 366 ff., 373, 374 f. - bewegliches System 149 f., 255 ff., 267 ff., 279 ff., 313, 359 f., 361, 362, 366,367 f. - Beweislast 305, 315 - Datenschutz 275, 313 - Gehilfenversagen 302 ff., 314 - Größe des Risikos der Wissensaufspaltung 270,313 - Größe und Art des möglichen Nachteils für den Dritten 270, 313 - Kosten der Beherrschung .269 f., 313 - Pflicht, Wissen verfügbar zu halten 279 ff., 287, 367, 375 - Pflicht, Wissen verfügbar zu machen 267 ff., 287 f., 312 ff., 367, 375 - rechtliche Verantwortung fiir Risikoschaffung 252 f., 309 f. - Rechtsfolgen 290 ff., 314 - rechtsgeschäftlicher Kontakt 274 f., 313 - Tätigkeit mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn 266, 313 - technische Beherrschbarkeit 268 f., 313 - Verschulden 294 f., 314 - Wissensaufspaltung 226, 309 - Wissenserwerb in innerem Zusammenhang mit der Tätigkeit 266 f., 313
Sachwortregister - Zeitpunkt der Gefahrschaffung 268, 288 ff. Wissenszusammenrechnung Begriff 30
Zeitpunkt der Informationserlangung 268, 2&& ff. Zurechnungsmodell 35 ff., 474 ff.
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