Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR [1 ed.] 9783428580989, 9783428180981

Die Untersuchung befasst sich mit der Wissenszurechnung im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsve

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German Pages 286 Year 2020

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Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR [1 ed.]
 9783428580989, 9783428180981

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 167

Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR Von

Laura Sophie Neumann

Duncker & Humblot · Berlin

LAURA SOPHIE NEUMANN

Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 167

Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR Von

Laura Sophie Neumann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18098-1 (Print) ISBN 978-3-428-58098-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern und Helma Rehm

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau im Sommersemester 2020 als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum konnten bis Juni 2020 berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago), bin ich für die Betreuung der Dissertation, seine wertvolle Unterstützung und die zügige Korrektur meiner Arbeit zu tiefstem Dank verpflichtet. Dankbar bin ich ihm insbesondere auch dafür, dass er mir ermöglicht hat, während der Promotionszeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, Abt. II, interessante und vielfältige Aufgaben zu übernehmen. Herrn Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard), danke ich herzlich für die sehr zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“ danke ich meinem Doktorvater sowie Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), und Herrn Prof. Dr. Gerald Spindler. Dem Evangelischen Studienwerk Villigst danke ich für die großzügige ideelle und materielle Förderung meiner Promotion durch ein Promotionsstipendium. Die Förderung hat es mir ermöglicht, mich auf die Promotion zu konzentrieren und immer wieder spannenden und anregenden Gedankenimpulsen abseits der rechtswissenschaftlichen Pfade zu folgen. Dr. Christian Osbahr, Ines Lung, Dr. Jennifer Zimmermann, Lara Rehbein und Dr. Vincent Winkler haben das Manuskript durchgesehen und mir wertvolle Hinweise gegeben. Ihnen sowie meinen Kollegen Fabian Kehrer, Lauritz Rump, Philipp Pordzik und Raphael Hilser danke ich für die schöne gemeinsame Zeit in Freiburg, ihre Unterstützung und die mitunter notwendige Ablenkung von der Arbeit an der Dissertation. Meinen Eltern Dr. Renate und Dr. Jürgen Neumann sowie meiner Oma Helma Rehm widme ich diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit für ihre stetige bedingungslose und liebevolle Unterstützung während meines gesamten bisherigen Lebensweges.

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Vorwort

Mein ganz besonderer Dank gilt Florian Titz, M. Jur. (Oxon). Sein steter Rückhalt, sein Verständnis und seine ermutigenden Worte haben ganz wesentlich zum erfolgreichen Abschluss meiner Promotion beigetragen. Frankfurt, im Juli 2020

Laura Sophie Neumann

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Eingrenzung des Themas und Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots . . . . . . 25 I. Genese und Regelungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Insiderrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Marktmissbrauchsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Marktmissbrauchsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Rechtsökonomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Insiderhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Verhältnis und Funktionen von Ad-hoc-Publizitätspflicht und Insiderhandelsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Verhältnis von Ad-hoc-Publizitätspflicht und Insiderhandelsverbot . . . . . . . . 34 a) Prävention und Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Anknüpfungspunkt „Insiderinformationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Markt- und Institutionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Institutioneller Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Individueller Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Anlegerschutzkonzept der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 c) Weitere Ziele der Kapitalmarktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Fairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Europäischer Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Wissenszurechnung im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Normative Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Stellvertreterwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) § 166 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) § 31 BGB und § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

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Inhaltsverzeichnis 2. Hilfspersonenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) § 166 BGB analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) § 278 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Organtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Verkehrs- und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Risikoprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Gleichstellungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europäischer Ebene . . . . . . 67 1. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. EuGH zum Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Lando-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

D. Bedeutung des Wissens für die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Insiderhandelsverbot vor Inkrafttreten der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Ad-hoc-Publizität, § 15 Abs. 1 WpHG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Berücksichtigung von Wissen(müssen) in § 15 Abs. 1 WpHG a.F. . . . . . . . . 77 a) Kennen(müssen) als Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht . . . . . . . 78 b) Objektive Bestimmung der Veröffentlichungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Unverzügliche Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Kritik am Verständnis der Unverzüglichkeit i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Verhältnis zum Verschuldenserfordernis der §§ 37b, 39 WpHG a.F.

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2. Informationsorganisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Insiderhandel, § 14 WpHG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Zweites Finanzmarktförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Ausnutzung i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. als Vorteilserzielungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsider . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Anlegerschutzverbesserungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Kausalzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Insidergeschäft

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c) Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsider . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Inhaltsverzeichnis

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III. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Grøngaard und Bang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Georgakis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Spector Photo Group . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Auseinandersetzung der Literatur mit der Spector-Vermutung . . . . . . . . . . 101 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Geltl/Daimler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5. Lafonta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 E. Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Harmonisierungswirkung der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR . . . . . . . . . . . 110 1. Überblick zum Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Kenntnis oder Kennenmüssen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal 111 b) Keine Veröffentlichungspflicht bei schuldloser Unkenntnis . . . . . . . . . . . . 112 c) Kenntnisunabhängige Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Art. 17 MAR als Norm der Wissenszurechnung oder des Wissensmanagements? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) „Bekannt geben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) „Unverzüglich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (1) Sofortige Veröffentlichung oder zeitlicher Spielraum? . . . . . . . . . 118 (2) Informationsmanagement als Grundlage einer objektiven Bestimmung des Handlungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (a) Kein Verschuldenselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (b) Kenntnisunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) „Unmittelbar betreffen“, Art. 17 Abs. 1 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Aufschub der Offenlegung, Art. 17 Abs. 4 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Kein Erfordernis positiver Kenntnis des Vorstands . . . . . . . . . . . . 127 (2) Aufschubmöglichkeit als Ergebnis ordnungsgemäßen Informationsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Gegensatz zu Art. 8 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 dd) Gesetzliche Compliance-Anforderungen im Insiderrecht . . . . . . . . . . . 132 ee) Keine Parallele zur Meldepflicht, Art. 12 Abs. 2 der Transparenzrichtlinie II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

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Inhaltsverzeichnis c) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Abbau von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Informationsmanagement als übermäßige Belastung des Emittenten? 140 cc) Telos von Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 d) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 e) Kein Verstoß gegen den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz . . . . . . . . . 144 f) Aufsichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Behördliche Auslegungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Technische Durchführungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Informationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Dogmatische Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Maßstab der Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Grenzen bei der Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Dimensionen der Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Vorliegen von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Informationsspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Informationssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Interne Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (2) Externe Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Unverzügliche Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Informationsbündelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Nemo tenetur-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (2) Vertraulichkeitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Persönlichkeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Informationsverifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Informationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 dd) Informationsbekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Harmonisierungswirkung und Verordnungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Effet utile-Grundsatz und Äquivalenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. § 97 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Tatbestandsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Kenntnis als anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung? . . . . . 186

Inhaltsverzeichnis

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bb) Zurechenbarer Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht . . . . . . . . . 188 b) Einwendung fehlenden Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. § 98 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5. § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime . . . . . . . 201 1. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 F. Insiderhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Kenntnis als Tatbestandsvoraussetzung eines Insidergeschäfts . . . . . . . . . . . . 208 a) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Sekundärinsider, Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Am Beschluss Beteiligte, Art. 8 Abs. 5 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Weitere wissensbezogene Voraussetzungen der Insidergeschäfte . . . . . . . . . . 215 a) Erwerbs- oder Veräußerungsverbot, Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MAR 215 aa) Kausalzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Insidergeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Keine Gewinnerzielungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Empfehlungs- oder Verleitungsverbot, Art. 14 lit. b i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen, Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 3 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 d) Legitime Handlungen, Art. 9 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Juristische Personen, Art. 9 Abs. 1 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Natürliche Personen, Art. 9 Abs. 2, 3, 4 und 5 MAR . . . . . . . . . . . . . . 222 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Zurechnungsgrund Kapitalmarktintegrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Zurechnungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Positive Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 aa) Wissenszusammenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (1) Auseinanderfallen von Wissensträger und Handelndem . . . . . . . . . 229 (2) Aufteilung des Insiderwissens auf eine Personenmehrheit . . . . . . . 231

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Inhaltsverzeichnis bb) Teilinformationen in Speichermedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Privates Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Kennenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Maßgebliche natürliche Person bei juristischer Person als Insider . . . 238 3. In die Wissenszurechnung einzubeziehende Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Bedeutungslosigkeit von individueller Erkenntnisfähigkeit und Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Verschwiegenheitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 c) Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Zeitliche Dimension der Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Informationsmanagement i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MAR als Korrektur der Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Organisatorische Vorkehrungen, Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Keine Beeinflussung, Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen das Insiderhandelsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 14 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime . . . . . . . 254 1. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

G. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. AC AcP AEUV a.F. AG AktG Am. Econ. Rev. AnSVG App Cas Art. Aufl. BaFin BB BCC Bd. BeckRS Begr. BegrRegE Beschl. BGB BGBl. BGH BKR BörsG BR-Drucks. BSG bspw. BT-Drucks. Bull. crim. Bus LR BVerfG bzgl. bzw. CA Cap. Mark. Law J. Cass. crim. Cato J. CCZ

anderer Ansicht Amtsblatt Absatz Law Reports, Appeal Cases (Third Series) Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz American Economic Review Anlegerschutzverbesserungsgesetz Law Reports, Appeal Cases (Second Series) Artikel Auflage Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Betriebs-Berater British Company Law Cases Band Beck-Rechtsprechung Begründer; Begründung Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Börsengesetz Drucksachen des Deutschen Bundesrates Bundessozialgericht beispielsweise Drucksachen des Deutschen Bundestages Bulletin criminel de la Cour de cassation The Business Law Reports Bundesverfassungsgericht bezüglich beziehungsweise Cour d’appel Capital Markets Law Journal Cour de cassation, Chambre criminelle Cato Journal Corporate Compliance Zeitschrift

16 CESR DB ders. d. h. dies. Diss. DK DNotZ DStR Duke L. J. EBOR Econ. Policy ed. éd. EG ESMA EU EuGH EuR Eur. Econ. Rev. EUV EuZW EWG EWHC EWiR f./ff. FAQs FFG FiMaNoG Fin. Anal. J. Fin. Rev. Fn. FS GA Ga. St. L. Rev. GmbH GmbHG GmbHR GRCh GWR Har. J. L. & Pub.Policy Harv. L. Rev. HdB h.M. Hrsg. insb. Int. Rev. L. & Econ.

Abkürzungsverzeichnis Committee of European Securities Regulators Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe Dissertation Der Konzern Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Duke Law Journal European Business Organization Law Review Economic Policy edition édition Europäische Gemeinschaften European Securities and Markets Authority Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift) European Economic Review Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft High Court of Justice of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende/fortfolgende Frequently Asked Questions Finanzmarktförderungsgesetz Finanzmarktnovellierungsgesetz Financial Analysts Journal Financial Review Fußnote Festschrift Generalanwalt Georgia State University Law Review Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Harvard Journal of Law & Public Policy Harvard Law Review Handbuch herrschende Meinung Herausgeber; herausgegeben insbesondere International Review of Law and Economics

Abkürzungsverzeichnis i.S.d. i.V.m. J. Acct. Res. J. Bus. Ethics J. Corp. L. J. Fin. JURA JZ KapMuG KB KMRK KOM Komm. krit. LG lit. LMRR Ltd MaComp MAR MAR-KOM Mich. L. Rev. MiFID m.w.N. N.C.J. Int’l L. & Com. Reg NJOZ NJW Nr. NZA NZG obs. OLG OWiG PECL Q&A QB Q. J. Econ. RabelsZ Rdn. RdW Rev. Fin. Stud. RIW RL Rs.

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im Sinne des; im Sinne der in Verbindung mit Journal of Accounting Research Journal of Business Ethics Journal of Corporation Law Journal of Finance Juristische Ausbildung Juristenzeitung Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Law Reports, King’s Bench Kapitalmarkrechts-Kommentar Europäische Kommission Kommentar kritisch Landgericht littera Lebensmittelrecht Rechtsprechung Limited Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten Market Abuse Regulation (Marktmissbrauchsverordnung) Vorschlag der Europäischen Kommission für die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation Michigan Law Review Markets in Financial Instruments Directive mit weiteren Nachweisen North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht observations Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Principles of European Contract Law Questions and Answers Law Reports, Queen’s Bench Quarterly Journal of Economics Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Randnummer(n) Österreichisches Recht der Wirtschaft (Zeitschrift) Review of Financial Studies Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Rechtssache

18 RTD com. s(s) S. SA sch SJZ StGB Str. Sup. Ct. Rev. T corr. TGI Theoretical Inq. L. u. a. UKSC Unterabs. Urt. U.S. v v. Va. L. Rev. Vand. L. Rev. Verf. VersR vgl. VO wistra WM WpAIV WpAV WpHG Yale L. J. z. z. B. ZBB ZEuP ZfBR ZGR ZHR Ziff. ZIP zit. ZPO ZRP ZVersR

Abkürzungsverzeichnis Revue trimestrielle de droit commercial section(s) Seite; Seiten société anonyme schedule Schweizerische Juristen-Zeitung Strafgesetzbuch Strittig Supreme Court Review Tribunal correctionnel Tribunal de Grande Instance Theorectical Inquiries in Law und andere United Kingdom Supreme Court Unterabsatz Urteil United States (of America) versus vom Virginia Law Review Vanderbilt Law Review Verfasser Versicherungsrecht vergleiche Verordnung Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierhandelsanzeigeverordnung Gesetz über den Wertpapierhandel Yale Law Journal zum zum Beispiel Zeitschrift für Bank- und Börsenrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Fachzeitschrift für Versicherungsrecht

Darüber hinaus wird auf Kirchner/Böttcher, Das Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Auflage, Berlin/Boston 2018, verweisen.

A. Einführung I. Einleitung Mit der Thematik des Wissens und seiner Zurechnung beschäftigen sich Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Literatur angesichts der zahlreichen Normen, für welche die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmter Umstände erheblich ist, zu Recht intensiv.1 Bei juristischen Personen stellen sich Fragen der Wissenszurechnung zwangsläufig, da arbeitsteiligen Organisationen die Fähigkeit fehlt, sich gewisser Umstände bewusst zu sein. Sind sie Adressaten einer Norm, die ein wissensbezogenes Tatbestandsmerkmal enthält, muss das Zusammenspiel von mindestens zwei Rechtssubjekten – der natürlichen Person als Wissensträger, die über Wissen verfügt und danach handeln kann, und der infolge einer Zurechnung über rechtserhebliche Kenntnis verfügenden juristischen Person – erfasst werden. Welche Tragweite dieses Zusammenspiel insbesondere im Kapitalmarktrecht haben kann, zeigte sich zuletzt in verschiedenen Verfahren gegen die Volkswagen AG und die Porsche Holding SE wegen Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Kontext des sogenannten Diesel-Abgasskandals2: Das OLG Celle befasste sich anlässlich eines Anfechtungsklageverfahrens gegen die Entlastung der Organwalter der Volkswagen AG mit der Frage, ob die Volkswagen AG wegen des vertraulichen Wissens eines Organmitglieds nach § 15 WpHG a.F. verpflichtet war, eine Ad-hocMitteilung zu veröffentlichen.3 Nach Auffassung des LG Stuttgart, das im DieselAbgasskandal dem OLG Stuttgart verschiedene Feststellungsziele im Rahmen eines Musterverfahrens zur Entscheidung vorlegte,4 entstand die Veröffentlichungspflicht „nicht erst mit Kenntniserlangung, sondern bereits mit Eintritt der Insiderinformation in den Tätigkeitsbereich“ des Emittenten.5 Gleichwohl wurden die Kenntnis des Emittenten und die Problematik der Wissenszurechnung in dem Beschluss des LG Stuttgart für die Haftung der Volkswagen AG wegen Verletzung der Ad-hoc-Pu1

Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 ff. Siehe dazu aus der rechtswissenschaftlichen Literatur Schirmer, AG 2015, 666; Verse, AG 2015, 413; Weller, ZGR 2016, 384, 387. 3 OLG Celle, Urt. v. 24. 08. 2011 – 9 U 41/11, BeckRS 2011, 141384 Rdn. 28. 4 Das mit dem Vorlagebeschluss vorgelegte Musterverfahren war unzulässig, weil infolge des beim OLG Braunschweig unter 3 Kap 1/16 anhängigen Musterverfahrens die Sperrwirkung nach § 7 Satz 1 KapMuG eingriff, OLG Stuttgart, Beschl. v. 27. 03. 2019 – 20 Kap 2/17, BeckRS 2019, 8148 Rdn. 33. 5 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17, WM 2017, 1451, 1461 Rdn. 158. 2

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A. Einführung

blizitätspflicht virulent.6 In einem weiteren Verfahren im Zusammenhang mit dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeuge wurde auch die Holdinggesellschaft Porsche SE wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten vor dem LG Stuttgart in Anspruch genommen.7 Hier musste sich die Beklagte das Wissenmüssen ihres Vorstands um bestandsgefährdende Risiken bei der Volkswagen AG zurechnen lassen.8 Die Thematik, inwiefern die Pflichten und die Haftung der Gesellschaften von der Zurechenbarkeit des Wissens ihrer Mitarbeiter abhängen, war so in allen Verfahren von entscheidender Bedeutung. Die Rechtsfragen in den genannten Verfahren waren nach der Rechtslage zu beurteilen, die vor der Geltung der Marktmissbrauchsverordnung9 (MAR) bestand. Anlass für die eingehende Betrachtung der rechtlichen Aspekte der Wissenszurechnung besteht nunmehr im Hinblick auf die erheblichen Neuerungen, welche die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Verbot von Insidergeschäften durch die MAR erfahren haben. Waren diese ursprünglich in den §§ 14 und 15 des WpHG a.F. geregelt, trat im Juli 2014 die MAR mit unmittelbarer Geltung in allen EU-Mitgliedstaaten in Kraft. Sie normiert mit Wirkung ab dem 03. Juli 201610 die Ad-hocVeröffentlichungspflicht in Art. 17 MAR und das Verbot von Insidergeschäften in Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR. Das Marktmissbrauchsrecht als „Herzstück des Kapitalmarktrechts“11 ist somit nun weitgehend unionsrechtlich geregelt, ohne dass sich jedoch bislang eine eindeutige Lösung der Problematik der Wissenszurechnung für die europarechtlichen Normen herausgebildet hat. Welche Relevanz das Wissen im neuen Recht der Ad-hoc-Publizität hat, ob also Emittentenwissen überhaupt eine Rolle in Art. 17 MAR spielt, gilt es daher zu analysieren. Ebenso drängend stellt sich für das reformierte Verbot von Insidergeschäften die Frage, welche Bedeutung dem Wissen zukommt. Ob eine Wissenszurechnung bei einer juristischen Person, deren Mitarbeiter Insidergeschäfte tätigen, für das Insiderhandelsverbot nach der MAR erforderlich ist und wie eine Wissenszurechnung im Kontext des Insiderhandels gegebenenfalls ausgestaltet ist, soll daher weiterer Gegenstand dieser Untersuchung sein. 6 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17, WM 2017, 1451, 1464 ff. Rdn. 176 ff. 7 LG Stuttgart, Urt. v. 24. 10. 2018 – 22 O 101/16, WM 2019, 463. 8 LG Stuttgart, Urt. v. 24. 10. 2018 – 22 O 101/16, juris Rdn. 260 ff., 384 ff. Das OLG Stuttgart entschied als Berufungsinstanz, das Verfahren bis zur Entscheidung des OLG Braunschweig, 3 Kap 1/16, und des OLG Stuttgart, 20 Kap 2/17, auszusetzen, OLG Stuttgart, Beschl. v. 29. 10. 2019 – 1 U 204/18, BeckRS 2019, 26186 Rdn. 23. 9 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 3003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 1. 10 Siehe Art. 39 Abs. 2 MAR. 11 So Veil, ZGR 2016, 305, 308.

II. Eingrenzung des Themas und Begriffsbestimmungen

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Klärungsbedarf besteht nach der Reform der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Verbots von Insidergeschäften durch die MAR auch hinsichtlich der kapitalmarktrechtlichen Compliance-Anforderungen in Bezug auf die Wissensorganisation, die an juristische Personen zu stellen sind. Ein Interesse der juristischen Personen in der Rolle des nach Art. 17 MAR ad-hocpflichtigen Emittenten und des Normadressaten des Verbots von Insidergeschäften nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR an der Erfüllung von Wissensorganisationspflichten besteht nicht zuletzt in Anbetracht der empfindlichen zivilrechtlichen Sanktionen, die bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Insiderhandelsverbot drohen. Auch bezüglich der Schadensersatzhaftung sollen daher das Wissen und seine Zurechnung Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein.

II. Eingrenzung des Themas und Begriffsbestimmungen Ziel der Arbeit ist, die Bedeutung von Wissen und Wissenszurechnung im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Verbots von Insidergeschäften nach der Reform durch die MAR zu bestimmen und so das dargelegte Erkenntnisdefizit zu beheben. Ein Schwerpunkt liegt auf der umfassenden und differenzierten Untersuchung, ob die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 MAR) und zum Verbot von Insidergeschäften (Art. 8, 9, 14 MAR) als Wissensnormen, also als Regelungen, bei denen das Wissen oder Wissenmüssen bestimmter Umstände rechtlich relevant ist,12 einzuordnen sind. Zu analysieren ist damit die Bedeutung der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens von Insiderinformationen für juristische Personen im Rahmen dieser Tatbestände. Damit zusammenhängend erstreckt sich die Untersuchung mit Blick auf die hohe praktische Relevanz auf die sich aus der MAR ergebenden Anforderungen an das Informationsmanagement juristischer Personen als ad-hoc-veröffentlichungspflichtige Emittenten und Adressaten des Insiderhandelsverbots. Schwerpunkt der Untersuchung stellt nicht die Wissenszurechnung an natürliche Personen, sondern an juristische Personen dar. Zwar verfolgt die Analyse wissensbezogener Tatbestandsmerkmale im reformierten Insiderrecht einen grundsätzlichen Ansatz und beansprucht Geltung für alle Adressaten der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Verbots von Insidergeschäften. Die zu entwickelnden Grundsätze der Wissenszurechnung und Wissensorganisationspflichten beziehen sich gleichwohl nur auf Gesellschaften und – genauer – juristische Personen des Privatrechts. Diese Eingrenzung ist nicht zwingend. So ergibt sich aus den in Art. 8 Abs. 1 bis 4 MAR genannten Adressaten („Person“) des Insiderhandelsverbots gem. Art. 14 lit. a und b MAR und aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Nr. 13 MAR, nach dem unter einer „Person“ sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person zu verstehen ist, dass das Verbot von Insidergeschäften auch natürliche Personen erfasst. Für die 12

Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 2; Taupitz, FS Lorenz, 1994, S. 673, 680.

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A. Einführung

Regelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 Abs. 1 MAR) kann Adressat gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts sein. Sowohl für Insidergeschäfte als auch für die Ad-hoc-Publizitätspflicht stellt sich die Frage der Einbeziehung von Personengesellschaften. Der Wortlaut der deutschen Sprachfassungen von Art. 8 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Nr. 13 MAR und Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR lässt nicht auf eine Erstreckung auf Personengesellschaften schließen. In teleologischer Hinsicht sind jedoch keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb das Verbot von Insidergeschäften, die Ad-hoc-Publizitätspflicht und andere Vorschriften der MAR13 für Personengesellschaften keine Geltung entfalten sollten.14 Im Übrigen umfasst der in der französischen Sprachfassung der MAR verwendete Begriff der personne morale alle rechtlichen Gebilde, die Träger von Rechten und Pflichten sein können, und damit auch die im deutschen Recht als Personengesellschaft bezeichneten Rechtsformen.15 Die ausdrückliche Erwähnung der Personengesellschaft in Art. 13 Abs. 1 Nr. 26 lit. d MAR erfordert auch nicht einen Umkehrschluss, nach dem Personengesellschaften im Übrigen nicht von den Regelungen der MAR erfasst sein sollen, sondern lässt sich mit der höheren Relevanz der Personengesellschaften in der Rolle einer eng verbundenen Person im Sinne der MAR erklären.16 Systematische Stimmigkeit der MAR ist angesichts der Einflussnahme zahlreicher europäischer Institutionen und Arbeitsgruppen auf die Gestaltung des Normtextes nicht vollumfänglich zu erwarten.17 Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Verbot von Insidergeschäften und die Ad-hoc-Publizitätspflicht der MAR auf Personengesellschaften erstrecken.18 Dennoch beschränkt sich die Untersuchung auf juristische Personen und speziell auf organisationsmäßig große Gesellschaften. Ihnen kommt in der Rolle des Emittenten und grundsätzlich als Finanzmarktteilnehmern die größte Bedeutung zu. Gleichzeitig haftet ihnen die Problematik der Wissensaufspaltung und der Wissensorganisation besonders an. Beispielhaft und ohne dass damit in der Sache eine

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Personen i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 13 MAR sind bspw. ebenso die in Art. 10 Abs. 1 MAR und Art. 12 Abs. 1 lit. a MAR genannten Adressaten des insiderrechtlichen Offenlegungsverbots gem. Art. 14 lit. c MAR und des Verbots der Marktmanipulation gem. Art. 15 MAR. 14 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 9 VO Nr. 596/2014 Rdn. 9; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 14; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 17, 52; a.A. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 122. 15 Bachmann/Fleischer, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012, S. 113; Thomale, AG 2015, 641, 645. 16 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 13. 17 Klöhn, AG 2016, 422, 525 mit weiteren Beispielen zur systematischen Inkohärenz der MAR. 18 Dafür auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 58, Art. 8 Rdn. 12 ff.; a.A. für die Ad-hoc-Publizitätspflicht Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 19; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 10 Rdn. 29; Kumpan, DB 2016, 2039.

II. Eingrenzung des Themas und Begriffsbestimmungen

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weitere Einschränkung auf solche Gesellschaften verbunden sein soll, wird stets von der AG und von ihrem Vorstand als Geschäftsführungsorgan die Rede sein. Gegenstand dieser Arbeit sollen neben den Vorschriften der MAR und der alten Fassung des WpHG zur Ad-hoc-Publizität und zum Verbot von Insidergeschäften die damit zusammenhängenden zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche des WpHG und des BGB sein. Rechtsvergleichend werden mögliche Schadensersatzansprüche wegen Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Insiderhandelsverbot in der französischen und englischen Rechtsordnung in die Betrachtung einbezogen. Zur Vorbereitung dieser Betrachtung konzentriert sich die Darstellung des Instituts der Wissenszurechnung bei juristischen Personen im deutschen, englischen und französischen Recht im Grundlagenteil auf die Grundsätze im Zivilrecht. Die Wissenszurechnungsgrundsätze der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften sollen ausgeblendet bleiben. In dieser Arbeit beziehen sich die Begriffe des Insiderhandels und des Insiderhandelsverbots grundsätzlich auf alle Tatbestände von Insidergeschäften des Art. 8 MAR und deren Verbot nach Art. 14 lit. a und b MAR. Aus der Verbotstrias des Art. 14 MAR ist das Offenlegungsverbot gem. Art. 14 lit. c MAR hingegen nicht Untersuchungsgegenstand. Grundsätzlich wird der Plural „Insiderinformationen“ verwendet, der sich auch in Art. 7 MAR19 sowie in sonstigen Vorschriften der MAR überwiegend findet,20 weil dies zeigt, dass der europäische Gesetzgeber in der Regel nicht von einer einzelnen Information, sondern von einer Informationslage ausgeht.21 Die Begriffe des Wissens bzw. der Kenntnis stimmen nach einhelliger Meinung in ihrem Sinngehalt überein und sind daher rechtlich gleich zu behandeln.22 Auch für diese Arbeit werden „Wissen und Wissenmüssen“ und „Kenntnis und Kennenmüssen“ synonym verwendet. Da die Ad-hoc-Publizitätspflicht stets einzelne Emittenten trifft, sind in Konzernstrukturen mitunter mehrere selbstständige Gesellschaften Adressaten des Art. 17 MAR. Vor diesem Hintergrund ist wohl davon auszugehen, dass in den auf „Unternehmen“ bezogenen Darstellungen zum Informationsmanagement und der Wissenszurechnung in der Literatur in der Sache einzelne Gesellschaften gemeint sind und nicht etwa ein Gesamtkonzern. Um dieser Unterscheidung terminologisch Rechnung zu tragen, soll in der vorliegenden Arbeit der Begriff des Unternehmens 19

Anders Art. 7 Abs. 3 MAR. Von „Insiderinformation“ ist lediglich in den Erwägungsgründen 16, 20, 31 der MAR und Art. 9 Abs. 4, Art. 11 Abs. 6, Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 MAR die Rede. 21 So auch Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 7 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 1. Auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 7 Rdn. 51 weist darauf hin, dass der Begriff der Insiderinformation im Singular missverständlich ist. 22 Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S. 34 Fn. 43; Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S. 43, 48; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640; Sajnovits, WM 2016, 765, 766. 20

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A. Einführung

bei der Darstellung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots (§ 4, § 5, § 6) Konzernsachverhalten vorbehalten sein.

III. Gang der Darstellung Die Arbeit gliedert sich in sieben Teile. Nach der Einführung (A.) werden zunächst die Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots geklärt (B.). Ausgangspunkt der Untersuchung bilden eine Betrachtung der Genese der Regelungen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Verbots von Insidergeschäften, ein Regelungsüberblick, die Darstellung der rechtsökonomischen Grundlagen des Insiderrechts sowie die Darlegung der Bedeutung und Funktionen der Regelungsinstrumente. Anschließend werden die normative Anknüpfung und die auf Rechtsfortbildung basierenden Prinzipien der Wissenszurechnung im Zivilrecht untersucht (C.). Vor deren Hintergrund wird sodann bestimmt, welche Rolle dem Wissen für die Tatbestände der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots in den §§ 14 und 15 WpHG a.F. vor Inkrafttreten der MAR zukam (D.). Die aus der Untersuchung der §§ 14 und 15 WpHG a.F. sowie der Rechtsprechung des EuGH zur Ad-hoc-Publizität und zum Insiderhandel gewonnenen Erkenntnisse bilden die Basis für die folgende Analyse der Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität (E.) und des Verbots von Insidergeschäften (F.) durch die MAR. Die nunmehr in Art. 17 MAR geregelte Ad-hocPublizitätspflicht und das in Art. 14 lit. a und b i.V.m. 8 MAR normierte Verbot von Insidergeschäften werden auf ihre Qualität als Wissensnormen untersucht und es werden, soweit erforderlich, Grundsätze der Wissenszurechnung entwickelt. Sowohl im Recht der Ad-hoc-Publizität als auch des Insiderhandels werden darüber hinaus die sich aus den jeweiligen Vorschriften der MAR ergebenden Anforderungen an das Informationsmanagement einer juristischen Person herausgearbeitet. Abschließend wird jeweils die Rolle von Wissen im Rahmen der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche im Falle eines Verstoßes gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht bzw. das Verbot von Insidergeschäften analysiert. Den Schluss der Arbeit bildet eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse (G.).

B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots Für die Auslegung europäischen Insiderrechts unverzichtbar ist die Berücksichtigung der historischen Entwicklung und ihr ökonomischer Hintergrund. Das Hauptaugenmerk der folgenden Untersuchung gilt der Einordnung der Vorschriften zur Ad-hoc-Publizität und zum Insiderhandelsverbot in das Regelungsgefüge, dem rechtsökonomischen Modell, auf dem die einschlägigen Vorschriften beruhen, und den grundlegenden Funktionen des Insiderrechts.

I. Genese und Regelungsüberblick Anstoß für die Entwicklung des europäischen Kapitalmarktrechts gab der SegréBericht aus dem Jahr 1966. Die von der Kommission der EWG beauftrage Gruppe unabhängiger Sachverständiger forderte das Ergreifen von Maßnahmen für eine umfassende „ständige“ Information des Publikums.1 Es sollten aber auch Umstände, welche die Verhältnisse oder Rentabilität des Emittenten beeinflussen konnten, alsbald veröffentlicht werden.2 Ziel war damit eine anlassbezogene Kapitalmarktinformation zusätzlich zur Veröffentlichung der Jahresabschluss- und Zwischenberichte. Zum Insiderhandel zeigte der Segré-Bericht lediglich Grundsätze auf.3 Die im Rahmen des Vorschlags über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft von 1970 erwogene europäische Insiderregel4 wurde schließlich verworfen. In Deutschland begegnete man dem Insiderhandel zunächst mit dem Prinzip der Selbstregulierung.5 Es wurde kein Gesetz erlassen, sondern der Bundesminister für Wirtschaft bestellte eine Börsensachverständigenkommission, die am 13. November 1970 die Insiderhandelsrichtlinien sowie die Händler- und Beraterregeln vorlegte. Die Durchsetzung dieser als solchen unverbindlichen Richtlinien oblag im We1 Kommission der EWG, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts (Segré-Bericht), 1966, S. 240 f. 2 Kommission der EWG, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts (Segré-Bericht), 1966, S. 241. 3 Kommission der EWG, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts (Segré-Bericht), 1966, S. 263 f. 4 Art. 82 des Vorschlags eines Statuts für Europäische Aktiengesellschaften 1970 der Kommission der EG, abgedruckt bei Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. M-118 f. 5 Vgl. Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. 111 ff.

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

sentlichen den beteiligten fünf Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft.6 Im Jahr 1977 verabschiedete die Kommission der EG die Europäischen Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen.7 Zum Insiderhandel enthielten sie allgemeine (Ziffer 2) und ergänzende (Ziffer 12) Informationspflichten gegenüber dem Publikum. Es handelte sich allerdings um an die Mitgliedstaaten gerichtete, rechtlich unverbindliche Empfehlungen.8 Ungeachtet des Fehlens verbindlicher, gemeinschaftsweiter Regelungen des Insiderrechts veranlasste die Neuregelung der Börsenzulassungsrichtlinie9 den deutschen Gesetzgeber, in § 44a BörsG a.F.10 eine anlassbezogene Publizitätspflicht für Emittenten einzuführen. Sie wurde allerdings in der Praxis kaum beachtet, weil sich die Emittenten der Konsequenzen nicht bewusst waren.11 Ein Insiderhandelsverbot war in Deutschland hingegen weiterhin nicht kodifiziert. 1. Insiderrichtlinie Das Verbot von Insidergeschäften wurde in der EG mit der Insiderrichtlinie vom 13. November 198912 erstmalig normiert. Im Zuge der Umsetzung verabschiedete der deutsche Gesetzgeber in Art. 1 des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes (2. FFG) vom 26. Juli 199413 das WpHG. Es enthielt in den §§ 12 ff. WpHG a.F. Regelungen zu Insidergeschäften. Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. war es entsprechend dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 der Insiderrichtlinie einem Insider verboten, unter Ausnutzung seiner Kenntnis von einer Insidertatsache Insiderpapiere zu erwerben oder zu veräußern. Auf Art. 3 der Insiderrichtlinie beruhten die Verbote der unbefugten Weitergabe einer Insidertatsache (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F.) und der 6 Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. 115, M-105 ff. mit abgedruckter Verfahrensordnung zu den Richtlinien. 7 Empfehlung der Kommission vom 25. 07. 1977 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen (77/534/EWG), ABl. L 212 vom 20. 08. 1977, S. 37. 8 Vgl. Ziffer 13 der Wohlverhaltensregeln 77/534/EWG. 9 Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 05. 03. 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABl. L 66 vom 16. 03. 1979, S. 21, zur Ad-hoc-Publizität Anhang Schema C 5.A. 10 Eingeführt durch das Gesetz zur Einführung eines neuen Marktabschnitts an den Wertpapierbörsen und zur Durchführung der Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 05. 03. 1979, vom 17. 03. 1980 und vom 15. 02. 1982 zur Koordinierung börsenrechtlicher Vorschriften (Börsenzulassungs-Gesetz) vom 16. 12. 1986, BGBl. I 1986, S. 2478. 11 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 15 Rdn. 21; Hopt, ZGR 1991, 17, 50. 12 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 13 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) vom 26. 07. 1994, BGBl. I 1994, S. 1749.

I. Genese und Regelungsüberblick

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Empfehlung eines Erwerbs oder einer Veräußerung von Insiderpapieren (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG). Vorgaben zur Ad-hoc-Publizität finden sich in der Insiderrichtlinie nicht. Gleichwohl kodifizierte der deutsche Gesetzgeber den Tatbestand der Ad-hoc-Publizitätspflicht in § 15 Abs. 1 WpHG a.F. Dieser sah für einen Inlandsemittenten die Pflicht vor, Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen, wenn sie in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten sind und Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten haben. Trotz ähnlichen Wortlauts fand die Veröffentlichungspflicht im Gegensatz zur Vorgängernorm, § 44a BörsG a.F., große Beachtung. Dafür waren die erhöhten Bußgeldbeträge14 und die Schaffung des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel, das die Einhaltung dieser Pflicht überwachte, verantwortlich.15 Die Novellierungen des WpHG in den Folgejahren beschränkten sich auf eine Verbesserung der Insiderüberwachung. Materiell veränderten sich die §§ 12 bis 14 WpHG a.F. nicht.

2. Marktmissbrauchsrichtlinie Die Marktmissbrauchsrichtlinie vom 28. Januar 200316 löste die Insiderrichtlinie ab und wurde in Deutschland mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) vom 28. Oktober 200417 umgesetzt. Die Ad-hoc-Publizität wurde erstmalig auf europäischer Ebene geregelt. Nach Art. 6 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie sollten Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass „alle Emittenten von Finanzinstrumenten Insider-Informationen, die sie unmittelbar betreffen, so bald als möglich der Öffentlichkeit bekannt geben“. In Deutschland hat die Ad-hoc-Publizitätspflicht in der Folge eine bedeutende Ausweitung erfahren, weil sie seit Inkrafttreten des AnSVG nicht mehr voraussetzte, dass die Insiderinformationen im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind, sondern alle Insiderinformationen i.S.d. § 13 WpHG a.F. erfasste, sofern sie den Emittenten unmittelbar betrafen. Dies war nach § 15 Abs. 1 Satz 2 WpHG a.F. nunmehr lediglich insbesondere der Fall, wenn sich die Insiderinformationen auf Umstände beziehen, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind. Zum Insiderhandelsverbot enthält die Marktmissbrauchsrichtlinie in Art. 2 Abs. 1 die Vorgabe, die Mitgliedstaaten haben zu untersagen, dass „Personen […], die über 14

Von 100.000 DM (§ 90 Abs. 4 BörsG a.F.) auf 3.000.000 DM (§ 39 Abs. 3 WpHG a.F.). Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 15 Rdn. 22; Versteegen, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 15 Rdn. 19. 16 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 17 Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) vom 28. 10. 2004, BGBl. I 2004, S. 2630. 15

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

eine Insider-Information verfügen, unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, […] erwerben oder […] veräußern“. Im Tatbestand des Insiderhandelsverbots nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. wurde das Merkmal der Ausnutzung der Kenntnis von einer Insidertatsache durch das Verwenden einer Insiderinformation ersetzt. Ursprünglich galt das Verbot nicht nur für Primärinsider, die typischerweise aufgrund ihrer Stellung einen besonderen Zugang zu Insiderinformationen hatten,18 sondern nach § 14 Abs. 2 WpHG a.F. auch für Sekundärinsider, die diese besondere Stellung nicht aufwiesen. In Umsetzung von Art. 4 der Marktmissbrauchsrichtlinie wurde diese Unterscheidung in § 14 WpHG a.F. aufgegeben und war nunmehr lediglich für die in §§ 38, 39 WpHG a.F. geregelten Sanktionen relevant. Die Änderung des Begriffs „Insidertatsache“ in „Insiderinformation“ ging auf Art. 1 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie zurück. Die Definition entspricht weitgehend derjenigen in Art. 1 Nr. 1 der Insiderrichtlinie und so blieb auch § 13 Abs. 1 WpHG nach der Neufassung durch das AnSVG hinsichtlich der Definition der Insiderinformation nahezu unverändert. Nach dem AnSVG wurde § 14 WpHG a.F. ausschließlich redaktionell geändert. 3. Marktmissbrauchsverordnung An die Stelle der Marktmissbrauchsrichtlinie trat im Juli 2014 die vom europäischen Gesetzgeber erlassene MAR. Die gem. Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten geltende Verordnung führte zu einer Umgestaltung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots ab dem 03. Juli 2016.19 Die MAR bildet mit der Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation20 den Rechtsrahmen auf Level 1 des Lamfalussy-Verfahrens. Die notwendigen Anpassungen des WpHG wurden mit dem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FiMaNoG) vom 30. Juni 201621 vorgenommen. Die Ad-hoc-Mitteilung von Insiderinformationen ist nunmehr in Art. 17 MAR geregelt. Dessen Abs. 1 statuiert die an den Emittenten gerichtete Handlungspflicht22, „der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar diesen Emittenten betreffen, unverzüglich bekannt [zu geben]“. Diesen Wortlaut erhielt die

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Vgl. § 13 Abs. 1 WpHG in der Fassung des 2. FFG. Siehe Art. 39 Abs. 2 MAR. 20 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 179. 21 Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) vom 30. 06. 2016, BGBl. I 2016, S. 1514. 22 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 382 unter Verweis auf die weniger deskriptive und daher eindeutigere englische Sprachfassung: „An issuer shall inform […]“. 19

II. Rechtsökonomische Grundlagen

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Vorschrift erst durch die Berichtigung vom 21. Dezember 2016.23 Ursprünglich war die Veröffentlichung „so bald wie möglich“ vorgesehen. Überdies wurde der Satz grammatikalisch daran angepasst, dass von dem Emittenten seit der Änderung im unbestimmten Singular gesprochen wird. In diesem Zuge ist auch der Fehler der Doppelung „den diesen“ behoben worden.24 Das Verbot von Insidergeschäften ist in Art. 14 lit. a und b MAR geregelt. Die Tatbestände der Insidergeschäfte sind in Art. 8 MAR konkretisiert, während Art. 9 MAR beschreibt, in welchen Fällen keine verbotenen Geschäfte vorliegen, sondern legitime Handlungen. Die Verordnung differenziert zwischen Primär- und Sekundärinsidern, wobei letztere gem. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR zur Erfüllung des Tatbestands wissen oder wissen müssen, dass es sich bei den Informationen, die sie besitzen, um Insiderinformationen handelt.

II. Rechtsökonomische Grundlagen Die Rechtfertigung des Insiderrechts wird teilweise auf originär juristische Theorien gestützt.25 Die Regulierung des Insiderrechts durch die MAR beruht jedoch auch auf ökonomischen Überlegungen. Erwägungsgrund 2 der MAR erhebt ausdrücklich die Effizienz des Kapitalmarkts zum Regelungsziel der Verordnung. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit der Effektivität, die umschreibt, ob eine Maßnahme geeignet ist, ein vorgegebenes Ziel zu erreichen.26 Effizienz beschreibt hingegen den Grad der Wirtschaftlichkeit bei der Zielerreichung.27 Es ist daher das rechtsökonomische Modell, auf dem die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizität und zum Insiderhandel beruhen, für die Auslegung der Art. 8, 9 und 17 MAR zu berücksichtigen.28 Auf funktionierenden Kapitalmärkten enthalten die Preise zu jeder Zeit jede öffentlich bekannte Information, sodass Anleger nur aufgrund privater Informatio23

Berichtigung der VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der RL 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 348 vom 21. 12. 2016, S. 83, 84 f. 24 Ursprünglich lautete Art. 17 Abs. 1 MAR „Emittenten geben der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar den diesen Emittenten betreffen, so bald wie möglich bekannt.“, vgl. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der RL 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 34. 25 Siehe hierzu sogleich B. III. 2. 26 Vgl. Schütt, Europäische Marktmissbrauchsverordnung und Individualschutz, 2019, S. 166 f. 27 Vgl. Engländer, in: Paal/Poelzig, Effizienz durch Verständigung, 2015, S. 28; Schütt, Europäische Marktmissbrauchsverordnung und Individualschutz, 2019, S. 166 f. 28 So auch Fn. 5 bei Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 64.

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

nen einen überdurchschnittlichen Profit erzielen können (sogenannte halbstrenge Form der Efficient Capital Market Hypothesis).29 Die Effizienz ist dabei Gradmesser der Funktionsfähigkeit des Marktes. Es wird zwischen unterschiedlichen Arten der Kapitalmarkteffizienz differenziert, wobei im Zusammenhang mit der Insiderthematik der Fokus auf der Informationseffizienz liegt. Ein informationseffizienter Markt wird andauernd durch aktuelle Informationen gespeist, die Händler mit der Folge nutzen, dass die Marktpreise immer wieder den wahren Werten, den sogenannten Fundamentalwerten, entsprechen.30 Die informelle Effizienz ist daher notwendige Voraussetzung für einen allokativ effizienten Kapitalmarkt31, der sich dadurch auszeichnet, dass das Marktgeschehen Gesetzmäßigkeiten folgt, die zur fundamental richtigen Bewertung von Finanzinstrumenten und börsennotierten Unternehmen durch den Markt führen und das anlagefähige Kapital volkswirtschaftlich möglichst sinnvoll genutzt wird, weil es dorthin fließt, wo der dringendste Investitionsbedarf besteht.32 Ebenso charakteristisch für einen funktionsfähigen Markt sind weiter die operationale und institutionelle Effizienz33, die sich in ungehindertem Marktzugang, standardisierten Anlageprodukten, Liquidität des Marktes bzw. geringen Transaktionskosten äußern.34 Dem Einfluss von Transparenzvorschriften und Insiderhandel bzw. dessen Verbot auf die Effizienzkriterien wird im Folgenden nachgegangen.

1. Ad-hoc-Publizität Um die Verbindung von Publizität und Kapitalmarkt zu untersuchen, ist die Heranziehung des Effizienzgedankens, soweit ersichtlich, einhellig anerkannt.35 Die Ad-hoc-Veröffentlichung von kursrelevanten Neuigkeiten stellt eine umfassende Information der Marktteilnehmer durch den Emittenten sicher, trägt also in erster Linie zur Informationseffizienz bei. Dabei weist sie mittelbar eine Allokationsfunktion auf, weil bei preiseffizienten Märkten, auf denen Anleger zutreffende 29 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 76 f. Vgl. die differenzierende Darstellung bei Fama, 25 J. Fin. 383 (1970), der als einer der Urheber ursprünglich von der strengen Effizienz ausging, nach der sich alle existierenden Informationen in den Kursen widerspiegeln. 30 Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 102; hierzu bereits Gilson/Kraakman, 70 Va. L. Rev. 549 (1984). 31 Dieser wird als Fundamentalziel beschrieben bei Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 106. 32 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 16, 18. 33 Diese gängige Unterscheidung zwischen den vier Effizienzkriterien (vgl. statt vieler Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 101) soll auch dieser Arbeit zugrunde gelegt werden. 34 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 8 f. 35 Siehe statt aller Brinckmann, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 16 Rdn. 4.

II. Rechtsökonomische Grundlagen

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Schlüsse aus Informationen ziehen, das angebotene Kapital an die Stellen gelenkt wird, an denen es optimale Verwendung findet.36 Eine hinreichende Informationsversorgung ist überdies Voraussetzung für die institutionelle Effizienz, weil sie verhindert, dass Anleger in andere Märkte ausweichen.37 Die Gegner zwingender Offenlegungsvorschriften stellen nicht die Notwendigkeit in Frage, den Kapitalmarkt mit Informationen zu versorgen. Ihre Kritik an der Publizitätspflicht ist grundlegender Natur. Es wird bemängelt, dass Einheitsregelungen vorteilhaft für große Emittenten und letztlich Ausdruck ihres Lobbyeinflusses seien.38 Zudem halten die Kritiker die Vorschriften für überflüssig, weil Emittenten bereits einen hinreichenden Anreiz hätten, Informationen zu veröffentlichen39 und selbst am besten beurteilen könnten, ob die Veröffentlichung nützlich ist.40 Die gesetzliche Normierung der Ad-hoc-Publizität führt allerdings zu einer standardisierten Darstellung und erleichtert signifikant die Verwertung der Informationen.41 Hierdurch sinken die Informationskosten, die Kapitalanbieter aufwenden, um ihre Anlageentscheidung zu treffen.42 Konkret werden die Akquisitions-, Verwertungsund Verifizierungskosten43 reduziert. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Publizitätspflicht einen positiven Einfluss auf die operationale Effizienz. Allerdings sieht sich der Emittent auch damit konfrontiert, dass Gläubiger, Arbeitnehmer und Konkurrenten die veröffentlichten Informationen zu ihrem Vorteil nutzen,44 was nicht zuletzt zum Verlust von Geschäftschancen und Wettbewerbsnachteilen führen kann.45 Außerdem ist die Offenlegungspflicht auch mit einem finanziellen Aufwand für den Emittenten verbunden, weil Kosten aufzuwenden sind, um ad-hoc-pflichtige Informationen zu erkennen, zu analysieren und schließlich zu veröffentlichen.46 Die Belastung des Emittenten kann damit gerechtfertigt werden, dass sich die Infor36 So auch Steinrück, Das Interesse des Kapitalmarkts am Aufschub der Ad-hoc-Publizität, 2018, S. 25 f.; zustimmend, angesichts unterschiedlichen subjektiven Wissens und kognitiven Beschränkungen allerdings kritisch Fülbier, Regulierung der Ad-hoc-Publizität, 1998, S. 144, 150; R. Krause, ZGR 2002, 799, 811 f., a.A. Kleinmann, Ausgestaltung der Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG, 1998, S. 191 f., 194. 37 Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 307. 38 Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 278. 39 Romano, 2 Theoretical Inq. L. 387, 458, 485 ff. (2001). 40 Romano, 107 Yale L. J. 2359, 2378 ff. (1998). 41 Fülbier, Regulierung der Ad-hoc-Publizität, 1998, S. 192; Meier-Schatz, Wirtschaftsrecht und Unternehmenspublizität, 1989, S. 214; Vokuhl, Kapitalmarktrechtlicher Anlegerschutz und Kapitalerhaltung in der Aktiengesellschaft, 2007, S. 172; Georgakopoulos, 16 Int. Rev. L. & Econ. (1996), 417, 424. 42 Veil, ZHR 167 (2003), 365, 379 f. 43 Gilson/Kraakman, 70 Va. L. Rev. 549, 594 (1984). 44 Admati/Pfleiderer, 13 Rev. Fin. Stud. 479, 480 (2000); Leuz/Wysocki, 54 J. Acct. Res. 525, 552 (2016). 45 Easterbrook, 1981 Sup. Ct. Rev. 309, 331 (1981); Fox, 95 Mich. L. Rev. 2498, 2550 f. (1997). 46 Fox, 95 Mich. L. Rev. 2498, 2550 (1997).

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

mationsakquisition, -verarbeitung und -verbreitung am kostengünstigsten durch den Informationserzeuger selbst als least cost information provider vornehmen lässt.47 Der Einfluss der Kosten, die beim Emittenten aufgrund von gesetzlichen Veröffentlichungspflichten entstehen, auf das Gesamtkostenniveau am Markt wird überwiegend als gering eingestuft.48 Um die operationale Effizienz zu wahren, ist bei der Auslegung des Art. 17 MAR jedoch zu berücksichtigen, dass die finanzielle Belastung des Emittenten in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen der Ad-hoc-Publizität für andere Kapitalmarktteilnehmer steht. Insbesondere im Zusammenhang mit den Anforderungen, die an den Emittenten bezüglich der Wissensorganisation, also der Strukturierung der internen Informationsflüsse und der Informationsbeschaffung gestellt werden, spielen diese ökonomischen Erwägungen eine tragende Rolle. 2. Insiderhandel In Bezug auf den Insiderhandel besteht hinsichtlich der Effizienzgesichtspunkte Uneinigkeit. So argumentiert Manne als Befürworter der Deregulierung, dass Insider neue Informationen besonders schnell und genau einarbeiten würden und Insiderhandel die Informationseffizienz des Marktes damit gerade steigere.49 Dagegen wird angeführt, dass Insider ihre Monopolstellung lange nutzen möchten und daher möglichst unmerklich handeln würden.50 Außerdem seien sie strukturell den anderen Händlern überlegen, die kursrelevante Informationen suchen, um ihre Investitionsentscheidung hierauf zu stützen (sogenannte Informationshändler).51 Angesichts ihrer reduzierten Profitmöglichkeiten hätten diese weniger Anreize zur Informationssuche und zögen sich gegebenenfalls sogar aus dem Markt zurück.52 Da die empirische Kapitalmarktforschung belegen konnte, dass die Durchsetzung von Insiderverboten hingegen die Informationseffizienz auf dem Markt erhöht,53 ist davon auszugehen, dass Informationshändler neue Informationen besser in die Preise 47

Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Bd. 2, 3. Aufl., 2015, Bank- und Börsenrecht, Rdn. VI 28; Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 307; Steinrück, Das Interesse des Kapitalmarkts am Aufschub der Ad-hoc-Publizität, 2018, S. 30; Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 738 (2006). 48 Brinckmann, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 16 Rdn. 13; Steinrück, Das Interesse des Kapitalmarkts am Aufschub der Ad-hoc-Publizität, 2018, S. 30; Fox, 85 Va. L. Rev. 1335, 1345 f. (1999); Gilotta, 13 EBOR 45, 61 (2012); a.A. Kleinmann, Ausgestaltung der Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG, 1998, S. 193, der insgesamt von einer Steigerung der Transaktionskosten und damit einer verminderten operationalen Effizienz der Börse ausgeht. 49 Manne, Insider Trading and the Stock Market, 1966, S. 80 ff. 50 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 109. 51 Zu den Gruppen von Händlern Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 354 f. 52 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 110. 53 Fernandes/Ferreira, 22 Rev. Fin. Stud. 1845, 1847 (2009).

II. Rechtsökonomische Grundlagen

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einarbeiten als Insider und damit essenziell für die Marktpreisbildung sind. Wenn Informationshändler den Markt verlassen, findet kein lebhafter Wettbewerb um Informationsbeschaffung und -auswertung statt,54 weshalb in der Konsequenz die Informationseffizienz sinkt. Die höhere Informationseffizienz und die einen institutionell effizienten Markt auszeichnende Liquidität, für die hingegen ihre Teilnahme am Finanzmarkt sorgt, kommen wiederum allen Marktteilnehmern zugute.55 Hinzu kommt, dass ein Verbot des als unfair empfundenen Insiderhandels das Vertrauen aller Marktteilnehmer stärkt und ihr Engagement am Primär- und Sekundärmarkt erhält bzw. erhöht.56 Dieses Phänomen beruht auf der Überzeugung der Mehrheit der Anleger57 und tritt daher unabhängig davon auf, ob das Fairnessargument juristisch überzeugend oder ökonomisch fundiert ist, der einzelne Anleger aufgrund von Insiderhandel also tatsächlich einen finanziellen Nachteil erleidet.58 Zwar vermittelt die empirische Forschung, soweit ersichtlich, kein einheitliches Bild zur Wechselwirkung von Insiderhandelsverboten und Liquidität, also der Thematik, ob zu jeder Zeit und in jeder Größenordnung Geschäfte getätigt werden können, ohne dass dies einen wesentlichen Effekt auf den Preis hat,59 gemessen an den Kriterien Handelsvolumen, Geld/Brief-Spanne und Markttiefe.60 Jedenfalls konnte speziell für den europäischen Kapitalmarkt nachgewiesen werden, dass die Marktliquidität mit der Durchsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie61 und der Transparenzrichtlinie II62 um 10 % gestiegen ist.63 54

Drukarczyk, Theorie und Politik der Finanzierung, 2. Aufl., 1993, S. 84. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 40. 56 Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973, S. 50; K.-P. Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, 1999, S. 30. 57 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 29; vgl. die empirischen Untersuchungen von Abdolmohammadi/Sultan, 37 J. Bus. Ethics, 165 ff. (2002); Statman, 63 Fin. Anal. J. 32 ff. (2007). 58 Siehe zur Fairness als Regulierungsziel B. III. 2. c) aa). 59 Klöhn, in: Langenbucher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2017, § 6 Rdn. 9 m.w.N. 60 Einen Rückgang des Handelsvolumens bei der Einführung eines Insiderhandelsverbots an der Amsterdamer Börse stellen Kabir/Vermaelen, 40 Eur. Econ. Rev. 1591, 1601 (1996) fest; keine Auswirkung des Insiderhandels auf die Geld/Brief-Spanne, sondern eine Steigerung der Liquidität durch Insiderhandel ermitteln Cornell/Sirri, 47 J. Fin. 1031, 1032, 1054 (1992); dagegen belegt Beny, 32 J. Corp. L. 237, 277 (2007) eine positive Korrelation zwischen der Strenge der Insiderregulierung und der Liquidität; bzgl der Geld/Brief-Spanne wurde von Chung/Charoenwong, 33 Fin. Rev. 1, 17 (1998) eine Erhöhung durch Insiderhandel nachgewiesen. 61 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 62 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38. 63 Christensen/Hail/Leuz, 29 Rev. Fin. Stud. 2885, 2887 (2016). 55

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

Unter Berücksichtigung dieser ökonomischen Erwägungen sind die Reglungen des Art. 8 und 9 MAR auch in der Frage der Wissenszurechnung dahingehend auszulegen, dass Insiderhandel möglichst umfassend verhindert und das Vertrauen der Anleger auf einen fairen Kapitalmarkt gewährleistet wird.

III. Verhältnis und Funktionen von Ad-hoc-Publizitätspflicht und Insiderhandelsverbot Die Regulierungsinstrumente mit Bezug zu Insiderinformationen sind nach der Reform durch die MAR vielfältig. Im Folgenden soll das Verhältnis der Ad-hocOffenlegungsvorschrift zum Verbot von Insidergeschäften untersucht werden, bevor die Regelungsziele des MAR-Gesetzgebers anhand ihrer Funktionen herausgearbeitet werden. Diese sind für eine sinnvolle Auslegung der insiderrechtlichen Regelungen zwingend zu berücksichtigen. 1. Verhältnis von Ad-hoc-Publizitätspflicht und Insiderhandelsverbot Die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Verbot von Insidergeschäften knüpfen beide an Insiderinformationen an. Dies wirft insbesondere die Frage auf, ob den Tatbeständen der gleiche Begriff der Insiderinformationen zugrunde gelegt werden kann. Entscheidend ist hierfür das Verhältnis von Veröffentlichungspflicht und Insiderhandel. Es ist daher zu ermitteln, ob der Fokus der Veröffentlichungspflicht auf der Prävention von Insidergeschäften liegt oder aber, unabhängig vom Insiderhandel, der Transparenzgedanke im Vordergrund steht. a) Prävention und Transparenz Die Ad-hoc-Publizitätspflicht ist als anlassbezogene Veröffentlichungspflicht ein zentraler Bestandteil des Publizitätsregimes im europäischen Kapitalmarktrecht. Sie ist nach allgemeiner Meinung das beste Präventionsmittel gegen Insiderhandel, denn durch die unverzügliche Veröffentlichung kursrelevanter Unternehmensinformationen verringern sich der Kreis potenzieller Insider und das Zeitfenster potenziellen Insiderhandels.64 In der Literatur wird allerdings auch dafür plädiert, transparenzrechtlichen Erwägungen ein stärkeres Gewicht einzuräumen.65 Es besteht die Befürchtung, das Regime werde als Transparenzinstrument bei einer allzu frühen

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Vgl. statt aller Meyer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2019, Rdn. 12.336. 65 Vgl. Koch, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 19 Rdn. 61; Veil/ Koch, WM 2011, 2297, 2302.

III. Verhältnis von Ad-hoc-Publizitätspflicht u. Insiderhandelsverbot

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Veröffentlichung von Informationen bezüglich zukünftiger Umstände, denen die Gefahr anhaftet, unpräzise zu sein, entwertet.66 Der EuGH betonte in seinem Geltl/Daimler-Urteil, das Vertrauen der Anleger sei zu stärken, das darauf beruhe, dass sie vor der unrechtmäßigen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden.67 Damit nahm er Bezug auf die Formulierung im Spector-Urteil, das Auslegungsfragen zu Insidergeschäften zum Gegenstand hatte.68 Zwar argumentierte der EuGH nicht einseitig mit dem Ziel der Prävention von Insiderhandel, sondern darüber hinaus mit Rechtssicherheit und der Systematik der Richtlinie.69 Transparenzrechtliche Überlegungen stellte er jedoch nicht an, weshalb bei der Auslegung der Norm der insiderrechtlichen Perspektive Vorrang einzuräumen sein sollte.70 Zwar wurde angemerkt, die Ad-hoc-Publizitätspflicht wäre, zumindest der Übersichtlichkeit halber, besser wie die periodischen Informationspflichten in der Transparenzrichtlinie geregelt worden71 – so wie es auch bei der Schaffung der Marktmissbrauchsrichtlinie erwogen wurde.72 Der europäische Gesetzgeber hat sich jedoch letztlich dagegen entschieden und stattdessen den systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften zu Insidergeschäften vorgezogen. Er hebt hervor, dass die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen durch die Emittenten von wesentlicher Bedeutung für die Vorbeugung von Insidergeschäften und der Irreführung von Anlegern sei.73 Es bleibt damit festzuhalten, dass eine trennscharfe Abgrenzung und eine von Insidergeschäften unabhängige Betrachtung der Ad-hoc-Publizitätspflicht schon deshalb nicht möglich ist, da letztere nicht nur einen Kapitalmarktinformationscharakter aufweist, sondern nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers Insidergeschäften vorbeugen soll. Damit stellt sie zwar ein Mittel zur Verhinderung von Fehlverteilungen durch Kapitalmarktinformation dar, ist aber vorrangig eine insiderrechtliche Präventivmaßnahme. Die Veröffentlichungspflicht dient dem übergeordneten Zweck der Verordnung, die Finanzmarktintegrität und das Vertrauen der 66

Koch, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 19 Rdn. 61; Veil/Koch, WM 2011, 2297, 2302. 67 EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2788 Rdn. 33, 36. Siehe hierzu noch D. III. 4. 68 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 47. Siehe hierzu noch D. III. 3. 69 EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2789 Rdn. 48, 52 f. 70 Schall, ZIP 2012, 1286, 1287; zustimmend Wilsing/Goslar, DStR 2012, 1709, 1711. 71 Brellochs, Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des europäischen Kapitalmarktrechts, 2005, S. 38; für einen eigenen Abschnitt über Transparenz in Kapitalmarktgesetzen plädiert auch Veil, ZHR 177 (2013), 427, 446. 72 EG-Kommission, Generaldirektion Binnenmarkt: Auf dem Weg zu einer EU-weiten Regelung der Informationspflichten von Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, Konsultationspapier vom 11. 07. 2011, S. 7, 13 f. 73 Erwägungsgrund 49 der MAR.

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

Investoren hierauf zu stärken,74 indem sie durch eine möglichst frühzeitige Information der Anleger, die Gelegenheit, Insidergeschäfte zu schließen, einschränkt. b) Anknüpfungspunkt „Insiderinformationen“ Ob die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität als ergänzende, aber eigenständige Transparenzvorschrift oder vorrangig als Präventionsmaßnahme gegen Insidergeschäfte angesehen wird, hat Auswirkungen auf die Frage, ob die anlassbezogene Veröffentlichungspflicht und die Insiderverbote gleichzeitig einsetzen oder an unterschiedliche Auslösetatbestände anknüpfen. Dass die relevanten Zeitpunkte für das Verbot von Insidergeschäften und die Publizitätspflicht nicht zwangsläufig zusammenfallen müssen, zeigt etwa das vor Inkrafttreten der MAR dahingehend praktizierte zweistufige Modell im Vereinigten Königreich, das eine ausdrückliche Vorverlagerung des Insiderhandelsverbots vorsah.75 Der Präventionsgedanke legt hingegen nahe, einen Gleichlauf der gemeinsamen Voraussetzungen von Insiderverboten und Ad-hoc-Publizität anzustreben und damit den gleichen Begriff der Insiderinformationen zugrunde zu legen. In Deutschland wird erst seit dem Inkrafttreten der Marktmissbrauchsrichtlinie76 im Sinne eines einstufigen Modells nicht mehr zwischen einer ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsache i.S.d. § 15 WpHG a.F. einerseits sowie einer Insidertatsache i.S.d. § 13 Abs. 1 WpHG a.F. andererseits differenziert. Der deutsche Gesetzgeber sah in der Ad-hoc-Publizität daher das „Spiegelbild“ bzw. die „zweite Seite einer Medaille gegenüber dem Insiderrecht“.77 Im Zusammenhang mit der MAR wurde eine Differenzierung allerdings wieder in Betracht gezogen. In ihrem Vorschlag für die MAR vom 20. Oktober 2011 hat die Kommission in Art. 12 Abs. 3 MAR-KOM eine der in Art. 6 Abs. 1 lit. e MAR-KOM genannten Kategorien von Insiderinformationen von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen. In Erwägungsgrund 14 MAR-KOM stellte sie klar, dass es Informationen gebe, für die das Verbot von Insidergeschäften gelten solle, die aber nicht ausreichend präzise seien, um für den Emittenten eine Offenlegungspflicht zu be-

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Erwägungsgrund 24 der MAR. S 118 (4) des Financial Services and Markets Act 2000 sollte die Verwendung von Informationen entgegen der gängigen Marktpraxis unterbinden, ohne zugleich die Ad-hoc-Publizitätspflicht auszulösen, vgl. Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 318, 333 zum sogenannten RINGA-Konzept. 76 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 77 So Kuthe, ZIP 2004, 883, 884 f. und Möllers, ZBB 2003, 390, 391 unter Bezugnahme auf die BegrRegE zum 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679 vom 27. 01. 1994, S. 35, 48. 75

III. Verhältnis von Ad-hoc-Publizitätspflicht u. Insiderhandelsverbot

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gründen.78 Die teilweise Entkoppelung von Insiderverboten und Ad-hoc-Publizitätspflicht wird vielfach befürwortet, soll sie doch die Kapitalmärkte vor einer Informationsflut und einer Überreaktion durch eine allzu früh einsetzende Veröffentlichungspflicht schützen, die negative Auswirkungen auf die allokative Effizienz des Kapitalmarkts habe.79 Es bestünde überdies die Gefahr von Verhandlungsabbrüchen und Kursmanipulationen wegen irreführender Information des Marktes, falls die später nicht eintretenden Umstände angekündigt werden.80 Die Vernachlässigung des Schutzzwecks der „Insiderprävention“, der für eine frühzeitige Adhoc-Publizität spricht,81 und Abgrenzungsschwierigkeiten82 werden dafür in Kauf genommen. Letztlich ist die Formulierung aber nicht in die endgültige Fassung übernommen worden. Art. 7 Abs. 1 MAR enthält die für die gesamte Verordnung zugrunde zu legende Definition der Insiderinformationen. Die Artikel und Erwägungsgründe, die sich auf Insidergeschäfte einerseits beziehen,83 verwenden diesen Begriff ebenso wie dies für die Ad-hoc-Publizität andererseits84 der Fall ist. Eine Differenzierung findet sich nur scheinbar bei dem in Art. 17 Abs. 5 lit. a MAR geregelten Aufschub der Adhoc-Publizität. Dieser soll möglich sein, sofern eine Offenlegung der Insiderinformationen das Risiko birgt, dass die finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems untergraben wird. Typischerweise wird dies Konstellationen mit Insiderinformationen erfassen, die im Zusammenhang mit zeitweiligen Liquiditätsproblemen stehen, bei denen Zentralbankkredite erforderlich sind. Wenngleich in Erwägungsgrund 52 der MAR von der Offenlegung speziell „systemrelevanter Insiderinformationen“ die Rede ist, wird klargestellt, dass es sich lediglich um systemische Auswirkungen von Insiderinformationen handelt. Damit wird die Folge einer Veröffentlichung der betreffenden Insiderinformationen charakterisiert und weniger eine Abweichung von der allgemeingültigen Definition in Art. 7 Abs. 1 MAR intendiert. Insgesamt ist für die Auslegung der MAR daher festzuhalten, dass sowohl für die Ad-hoc-Publizitätspflicht als auch für das Verbot von Insidergeschäften als einzig in Betracht kommender Bezugspunkt von Kenntnis und Kennenmüssen der gleiche 78 In der Literatur vielfach als „Insiderinformationen light“ bezeichnet, vgl. Merkner/ Sustmann, AG 2012, 315, 320; Mock, ZBB 2012, 286, 290; Möllers/Seidenschwann, NJW 2012, 2762, 2765; Teigelack, BB 2012, 1361, 1362 f. 79 Gunßer, ZBB 2011, 76, 80; Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321; Möllers/Seidenschwann, NJW 2012, 2762, 2765; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 168. Bereits vor dem Vorschlag der Kommission plädierten für die Entkoppelung Assmann, ZHR 172 (2008), 635, 650 und Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 613 f.; a.A. Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 412, 417. 80 Kalss, EuZW 2011, 449, 450. 81 So – gleichwohl die Entkoppelung befürwortend – Bachmann, DB 2012, 2206, 2210. 82 Veil/Koch, WM 2011, 2297, 2301 f. 83 Vgl. Art. 8, 9 MAR und Erwägungsgründe 23, 24, 25, 26, 28, 30, 31, 54 der MAR. 84 Art. 17 MAR und Erwägungsgründe 49, 50, 51, 52, 55 der MAR.

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

Begriff der Insiderinformationen zugrunde zu legen ist. Die Pflicht aus Art. 17 Abs. 1 MAR beschränkt sich lediglich auf solche Insiderinformationen, die den Emittenten unmittelbar betreffen. Ergebnis der Auslegung von den für diese Arbeit relevanten Art. 8, 9, 14 und 17 MAR muss damit das gleichzeitige Einsetzen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots sein. Mit diesem zeitlichen Gleichlauf der Ad-hoc-Publizitätspflicht und der Insiderverbote hat sich der europäische Gesetzgeber dafür entschieden, der informationellen Gleichbehandlung ein starkes Gewicht zu verleihen und ein Informationsgefälle möglichst zu verhindern. 2. Funktionen Um die Funktionen und Ziele des Insiderrechts zu bestimmen, sind neben den dahinterstehenden ökonomischen auch die juristischen Wertungen der Regelungen zu würdigen. Es werden im Wesentlichen drei Theorien vertreten. Der Ansatzpunkt der Treuepflichttheorie (Fiduciary Duty Theory) ist eine Vertrauensbeziehung zwischen Insidern und nicht informierten Anlegern, weshalb Insider untreu handeln, wenn sie Informationen ausnutzen, die ihnen kraft ihrer herausgehobenen Stellung zugänglich sind.85 Das europäische Insiderrecht knüpft allerdings nicht an ein fiduziarisches Pflichtverhältnis an. Als Primärinsider sind Adressaten des Insiderhandelsverbots vielmehr auch Personen, die nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d MAR an kriminellen Handlungen beteiligt sind und nicht in einer Treuepflichtbeziehung stehen. Der europäische Gesetzgeber erachtete nicht einmal das Vorliegen von Vertragsbeziehungen als notwendige Voraussetzung für die Eigenschaft als Insider.86 Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass er sich bei der Schaffung der MAR an der Treuepflichttheorie orientiert hat. Das Insiderrecht wird auch auf die Aneignungs- bzw. Veruntreuungstheorie (Misappropriation Theory) gestützt, der zufolge Insiderinformationen einer juristischen Person zugeordnet sind und deshalb nicht von Dritten zu ihrem privaten Vorteil genutzt werden dürfen.87 Zwar ist keine Treuepflichtbeziehung mit der Gesellschaft erforderlich. Es kommt jedoch letztlich auch hier auf die Verletzung einer Pflicht aus einer Sonderbeziehung an. Diese muss gegenüber der Person, auf die sich die Informationen beziehen und der sie zugeordnet sind, bestehen. In der Regel wird dies 85 Mit dieser Theorie setzte sich der U.S. Supreme Court im Jahr 1980 erstmals auseinander Chiarella v. United States, 445 U.S. 222 (1980). Es folgte die bestätigende Entscheidung Dirks v. S. E.C., 463 U.S. 646 (1983). Vgl. die Ausführungen hierzu bei K.-P. Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, 1999, S. 74 ff.; Hopt, ZGR 1991, 17, 28. 86 So bereits unter Geltung der Insiderrichtlinie (Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30) Hopt, ZGR 1991, 17, 28. 87 So Klöhn laut Diskussionsbericht von Bochmann, ZHR 177 (2013), 447, 447. Ihren Ursprung hat die Veruntreuungstheorie ebenfalls in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung, United States v. Newman, 464 U.S. 863 (1983); ausdrücklich anerkannt in United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642 (1997).

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die juristische Person sein. Zufällig erlangte Insiderinformationen wären damit allerdings nicht von einem Insiderverbot erfasst, wenngleich die Integrität des Kapitalmarkts beeinträchtigt wäre.88 Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR knüpft zudem auch nicht daran an, wie die Informationen in den Besitz der Person gelangt sind, sondern erfasst alle nicht unter Unterabs. 1 fallenden „anderen Umstände“. Für Zufallsfunde kann daher nichts anderes gelten. Ebenso wie bei der Veruntreuungstheorie kann auch auf die in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d MAR genannten Primärinsider verwiesen werden, die nicht in einer organschaftlichen oder tätigkeitsbedingten Sonderbeziehung mit dem Emittenten stehen.89 Vieles spricht dafür, dass bei der Schaffung der MAR die Informationsgleichheitstheorie (Equal Access Theory) dem Leitbild des europäischen Gesetzgebers entsprach. Aufgabe des Insiderrechts ist es nach dieser Theorie, Informationsungleichgewichte durch Offenlegung oder Transaktionsverzicht auszugleichen.90 In Erwägungsgrund 24 der MAR wird im Kontext des Insiderhandelsverbots betont, dass der Zweck der Verordnung darin besteht, das Vertrauen der Investoren zu stärken, das auf der Gewissheit beruht, dass sie gleichbehandelt werden. Dieser Gedanke stellt keine Neuerung im europäischen Insiderrecht dar.91 Hinsichtlich der Offenlegungspflicht muss daher gelten, dass möglichst viele Informationen am Markt bekannt gemacht werden, um informationelle Chancengleichheit, also gleichberechtigten Zugang zu Informationen, herzustellen. Unter Zugrundelegung dieser Wertung lässt sich bestimmen welche Institutionen die Regelungen der MAR zur Ad-hoc-Publizitätspflicht und zum Verbot von Insidergeschäften schützen sollen.

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Lenenbach/Lohrmann, RiW 1998, 115, 122. Die Insiderrichtlinie sah dagegen vor, dass Sekundärinsider ihr Wissen von Primärinsidern erhielten, weshalb eine abgeleitete Treuepflicht in Betracht kam. Insofern wies die Richtlinie Bezüge zur Veruntreuungstheorie auf, vgl. K.-P. Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, 1999, S. 156; Hopt, ZGR 1991, 17, 28. 90 Vgl. die kritische Auseinandersetzung mit einer „disclose or refrain“-Regelung Brudney, 93 Harv. L. Rev. 322 (1979); zur Schädlichkeit von Informationsasymmetrien, Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488, 490 (1970). 91 Schon die Insiderrichtlinie geht auf die Gleichstellung der Anleger in der fünften Begründungserwägung ein, worauf der EuGH in seinem Urteil Grøngaard und Bang (EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005, Rs. C-384/02, EU:C:2005:708, WM 2006, 612, 615 Rdn. 33) hinweist. Diese Rechtsprechung wird in seinen Urteilen Spector Photo Group (EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009, Rs. C-45/08, EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 47) und IMC Securities (EuGH, Urt. v. 07. 07. 2011, Rs. C-445/09, EU:C:2011:459, BKR 2011, 422, 425 Rdn. 27) sowie im Geltl/ Daimler-Urteil (EuGH, Urt. v. 28. 06. 2012, Rs. C-19/11, NJW 2012, 2787, 2788 Rdn. 33) und dem Lafonta-Urteil (EuGH, Urt. v. 11. 03. 2015, Rs. C-628/13, EU:C:2015:162, NJW 2015, 1663, 1663 Rdn. 21) dann unter Verweis auf die Erwägungsgründe 2 und 12 der Marktmissbrauchsrichtlinie (Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16) fortgeführt. Zur Insiderrichtlinie ging Hopt, ZGR 1991, 17, 28 allerdings trotz der für die Informationsgleichheitstheorie sprechenden Präambel davon aus, das Insiderhandelsverbot wolle keine über das Insiderproblem hinausgehende, allgemeine Einebnung von Informationsungleichgewichten am Kapitalmarkt herbeiführen. 89

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

a) Markt- und Institutionsschutz Die kapitalmarktrechtlichen Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers haben die Errichtung funktionsfähiger Finanzmärkte zum Ziel.92 Der Funktionsschutz bezeichnet mit der Funktions- und Leistungsfähigkeit von Einrichtungen und Ablaufmechanismen ein überindividuelles Rechtsgut.93 Die möglichen Marktwirkungen des Insiderhandels sind Gegenstand zahlreicher ökonomischer Untersuchungen, weshalb die Funktionsschutzargumente letztlich auch weitgehend ökonomischer Natur sind. Bezugspunkte des Marktschutzes sind die institutionelle Funktionsfähigkeit durch Bereitstellung rechtlicher Institutionen, die operationale Funktionsfähigkeit zur Minimierung von Transaktionskosten sowie die allokative Dimension zur Sicherstellung, dass das Kapital dorthin gelangt, wo es für die Beteiligten von größtem Nutzen ist.94 Wie bereits festgestellt, „denkt“ der europäische Gesetzgeber ebenfalls in den Kategorien der informationellen, allokativen, operationalen und institutionellen Effizienz.95 Insofern kann an dieser Stelle auf die Erläuterungen zu den rechtsökonomischen Grundlagen des Insiderrechts verwiesen werden.96 Hinzu kommt ein grundlegendes Ziel, das typischerweise in der Bankenregulierung eine tragende Rolle spielt97 und Voraussetzung dafür ist, dass Investoren ihre Geldmittel dem Markt zur Verfügung stellen: Die Stabilität der Finanzmärkte soll gewahrt bzw. nicht gefährdet werden.98 Dieses Grundprinzip findet auch im Wortlaut der Ad-hocPublizitätspflicht in Art. 17 Abs. 5 MAR Niederschlag. b) Anlegerschutz Das zweite maßgebliche Ziel der Kapitalmarktregulierung ist der Schutz der Anleger.99 Für diesen Geltungsgrund des Insiderrechts muss zwischen dem allgemeinen Anlegerschutzgedanken und dem Individualschutz unterschieden werden.

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Vgl. für die MAR die Erwägungsgründe 2 und 4; allgemein: Bumke, in: Hopt/Veil/ Kämmerer, Kapitalmarktgesetzgebung im europäischen Binnenmarkt, 2008, S. 107, 118; Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 2 Rdn. 3 f. 93 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 180. 94 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 7 ff. 95 Dies kommt deutlich zum Ausdruck in Erwägungsgrund 1 der Transparenzrichtlinie II (Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38). 96 Siehe B. II. 97 Vgl. Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 115. 98 Vgl. Erwägungsgründe 52 und 73 der MAR. 99 Bumke, in: Hopt/Veil/Kämmerer, Kapitalmarktgesetzgebung im europäischen Binnenmarkt, 2008, S. 107, 118.

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aa) Institutioneller Anlegerschutz Hintergrund des allgemeinen institutionellen Anlegerschutzes ist, dass die Funktionsfähigkeit der Märkte das Vertrauen des Anlegerpublikums in die Integrität und Stabilität der Märkte voraussetzt.100 Zwischen den vom europäischen Gesetzgeber ausdrücklich erwünschten Aspekten eines reibungslosen Funktionierens der Wertpapiermärkte101 und des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Märkte102 besteht eine enge Verknüpfung. Das Regelungsziel der Sicherung von Anlegervertrauen ist Grundlage dafür, dass den Unternehmen das gesamtwirtschaftlich erforderliche und gewünschte Investitionskapital zur Verfügung gestellt wird.103 Als Folge des Vertrauens auf gleichberechtigten Zugang nach der Equal Access Theory und des Informationsgleichgewichts der Finanzmarktteilnehmer, das besteht, wenn keine nicht öffentlichen Informationen genutzt werden, also keine Insidergeschäfte getätigt werden, bleiben die Anreize für Informationshändler zur Informationssuche erhalten.104 Versteht man unter dem reibungslosen Funktionieren ganzheitlich die Funktionsfähigkeit, gemessen an den Kriterien der informationellen, allokativen, operationalen und institutionellen Effizienz, trägt die Integrität der Märkte hierzu bei. Insofern kann der Funktionsschutz als primäres Regelungsziel und der Vertrauensschutz als Teilaspekt der Funktionsfähigkeit betrachtet werden. bb) Individueller Anlegerschutz Ist der Anlegerschutz nicht lediglich im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit, sondern individuell konzipiert, hat dies haftungsrechtliche Folgen. Die Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen, setzt allerdings voraus, dass der Anleger durch die Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bzw. den Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot einen konkreten Vermögensschaden erleiden kann. Um einen solchen festzustellen, muss genau differenziert werden, welche Gruppe von Anlegern von der fehlenden Veröffentlichung von Insiderinformationen betroffen ist und welche von einem konkreten Insidergeschäft geschädigt wird. So hätten die meisten Anleger, die mit einem Insider ein Geschäft abschließen, dieses wohl auch ohne den Insider zum selben Preis getätigt.105 Die Schädigung ergibt sich hier aus der fehlenden Offenlegung der Insiderinformationen.106 Fehlendes Wissen um Insiderinformationen hält Anleger auch davon ab, Handel zu treiben und veranlasst sie zu früherem Verkauf 100

Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 13. Erwägungsgrund 2 der MAR. 102 Vertrauen und Marktintegrität finden Erwähnung in den Erwägungsgründen 2, 23, 24, 31, 32, 44, 47, 55, 57, 58, 63 der MAR und in Art. 1 MAR. 103 Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl., 2006, § 32 II 2. 104 Siehe B. II. 2. 105 Horn, ZHR 136 (1972), 369, 390 f.; Mertens, ZHR 138 (1974), 269, 271; Pfister, ZGR 1981, 318, 341. 106 Hierauf schon hinweisend Manne, 23 Vand. L. Rev. 547, 552 (1970). 101

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oder späterem Kauf.107 Insiderhandel wird dagegen teilweise als ein „Verbrechen ohne Opfer“ (victimless crime) bezeichnet.108 Allerdings nehmen von einem konkreten Insidergeschäft diejenigen Anleger Schaden, die als Informationshändler über keinen privilegierten Zugang zu Informationen eines Emittenten verfügen. Ihre Anund Verkäufe beruhen auf der Kursbewegung, die durch den Insiderhandel erst ausgelöst wird und als „Rauschen im Markt“ (noise) fehlinterpretiert wird.109 Ebenso erleiden Liquiditätsanbieter Nachteile, die mit informierten Händlern kontrahieren, ohne den Preis der Finanzinstrumente vorher angepasst zu haben.110 Utilitätshändler hingegen suchen nicht nach Informationen, da sie nicht auf Grundlage deren Interpretation investieren. Sie werden keine Opfer von Insiderhandel, wenn man davon ausgeht, dass sie ebenso häufig von Insiderhandel profitieren wie sie durch ihn Geld verlieren.111 Insofern kann von einer Schädlichkeit, jedenfalls für das Vermögen der Informationshändler, ausgegangen werden. Ob die grundsätzliche Anlegerschutzkonzeption des Insiderrechts das Anlegervermögen primär zum Gegenstand hat, wird jedoch uneinheitlich beurteilt.112 Es wird vertreten, der individuelle Anlegerschutz gehöre nicht zu den Zielen des Wertpapierhandelsrechts.113 Auch das BVerfG verweist auf die Gesetzesmaterialen zum 2. FFG,114 die klarstellen, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht dem Schutz der Individualinteressen der Anleger, sondern ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes diene.115 Der BGH schreibt hingegen der Ad-hoc-Publizitätspflicht des § 15 WpHG in der Fassung nach dem 2. FFG eine den individuellen Anleger schützende Wirkung zu, wohingegen vorher lediglich die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes bezweckt worden sei.116 Hinsichtlich des Insiderhandels sieht der EuGH den Normzweck des Verbots darin, durch die Ausnutzung von Insiderwissen einen ungerechtfertigten Sondervorteil einerseits und einen Nachteil der uninformierten Anleger andererseits zu verhin107 Buck-Heeb, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb, HdB des Kapitalanlagerechts, 5. Aufl., 2020, § 8 Rdn. 18. 108 So Manne, 4 Cato J. 933, 933 f. (1985); zustimmend Eichner, Insiderrecht und Ad-hocPublizität nach dem AnSVG, 2009, S. 43; Ausubel, 80 Am. Econ. Rev. 1022, 1025 (1990); dagegen Klock, 10 Ga. St. L. Rev. 297, 304 ff. (1994). 109 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 371 ff., 377. 110 Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, Vor §§ 12 – 14 Rdn. 91. 111 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 372 f. 112 Dafür Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 13. 113 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 358. 114 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918 vom 15. 06. 1994, S. 102. 115 BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2002 – 2 BvR 742/02, NJW 2002, 501, 502. 116 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10, WM 2012, 303, 310 unter Verweis auf BTDrucks. 14/8017, S. 87 und BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34; anders noch BGH, Urt. v. 19. 07. 2004 – II ZR 402/02, WM 2004, 1721, 1722.

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dern.117 Bei diesem Nachteil kann es sich um einen konkreten Vermögensverlust eines Anlegers handeln, vor dem dieser individuell geschützt werden soll. cc) Anlegerschutzkonzept der MAR In der MAR findet das Regelungsziel des Anlegerschutzes in den Erwägungsgründen 8, 31 und 55 sowie in Art. 1 im Zusammenhang mit der Marktintegrität Erwähnung. Die Nennung von Anlegerschutz und Vertrauen der Anleger in einer Aufzählung legt nahe, die Begriffe nicht gleichzusetzen, sondern zwischen dem Schutz des Anlegervermögens und dem Schutz des Anlegervertrauens zu differenzieren.118 Auch der Erwägungsgrund 23 Satz 1 der MAR beschreibt als wesentliches Merkmal von Insidergeschäften, dass ein ungerechtfertigter Vorteil mittels Insiderinformationen zum Nachteil Dritter erzielt werde. Hinsichtlich der Ad-hoc-Publizitätspflicht deutet Erwägungsgrund 49 der MAR, nach dem die Bekanntgabe von Insiderinformationen die Irreführung von Anlegern verhindern soll, auf die Gewährung von Individualschutz hin.119 Gleichwohl besteht der Zweck der MAR im Grundsatz darin, „die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden.“120 Der so verstandene Anlegerschutz bezweckt also, auch unabhängig von einem konkreten Schaden, vor einer Übervorteilung zu bewahren, die sich aus der strukturellen Unterlegenheit der Anleger ergibt, welche ihre Investitionsentscheidung nicht anhand vorab erhaltener Informationen treffen können.121 Sind die Informationen dagegen allgemein verfügbar, kann kein Marktteilnehmer dauerhaft Überrenditen erzielen.122 Um dies zu gewährleisten, interveniert die Kapitalmarktregulierung mit der Pflicht zur Ad-hoc-Veröffentlichung von kursrelevanten Informationen. Auch hinsichtlich der Insiderverbote ist die Frage, ob ein einzelner Anleger eine Kompensation des Vertragsinteresses durch Naturalrestitution zu erhalten hat, nicht zielführend. Selbst wenn ein solcher Ausgleich zu einer Restitution des betreffenden Anlegers führt, gibt es für die Entfernung des Marktes von den 117 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 111 Rdn. 52; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 163; zuvor schon Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 23; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2004, Rdn. 16.163; Cahn, DK 2005, 5, 8. 118 Vgl. K.-P. Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, 1999, S. 28 f. 119 Mit dieser Begründung die Schutzgesetzeigenschaft von Art. 17 MAR bejahend Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 168. 120 Erwägungsgrund 24 der MAR. 121 Heinze, Europäisches Kapitalmarktrecht, 1999, S. 9. 122 Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 102.

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fundamentalen Werten, also auf der Ebene des Gesamtmarktes, keine Kompensation.123 Diese wäre erst dann erreicht, wenn fundamentaleffiziente Verhältnisse wiederhergestellt sind.124 Im Wege des Schadensersatzes kann das Ideal eines allokationseffizienten Marktes nicht wieder erreicht werden.125 Ebenso wenig ausgleichbar sind die durch Insidergeschäfte erhöhten Transaktionskosten. Reagieren Market-Maker auf mögliche Verlustrisiken mit vergrößerten An- und Verkaufsspannen, werden die Kosten letztlich von allen Marktteilnehmern getragen.126 Die beste Absicherung der Rechtsposition eines Anlegers nutzt ihm nicht, wenn die für den Handel mit seinen Wertpapieren erforderliche Einrichtung nicht reibungslos funktioniert.127 Unter diesem Aspekt ist der Anlegerschutz wiederum eng mit dem Funktionsschutz verknüpft und dieser wird daher auch als Teil eines umfassend verstandenen Anlegerschutzes angesehen.128 Die Regelungsgedanken zum Anleger- und Funktionsschutz, die der MAR zugrunde liegen, wirken sich jeweils zugunsten des anderen aus129 und stützen sich gegenseitig.130 Die Anlegerschutzkonzeption der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Verbots von Insidergeschäften kann dabei nicht auf die Komponente des Schutzes von Anlegervermögen reduziert werden, sondern ist vor dem Hintergrund des übergeordneten Ziels eines funktionsfähigen Kapitalmarkts zu sehen. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass mit den Regelungen als Rechtsreflex mittelbar eine individualschützende Wirkung erreicht wird.131 Der Schutz einzelner Anleger stellt gleichwohl nicht das primäre Regelungsziel der MAR dar. c) Weitere Ziele der Kapitalmarktregulierung Vielfach wird vertreten, dem europäischen Kapitalmarktrecht lägen neben dem Funktions- und Anlegerschutz weitere Regulierungskonzepte zugrunde. Genannt werden etwa die Herstellung einer Ausgewogenheit der Marktseiten,132 die Ge123

Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 197. Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 197 f. 125 Ebenso kritisch gegenüber der Argumentation gegen Insiderregelungen anhand den Anlegern individuell entstehender Schäden steht Hopt, ZGR 1991, 17, 26. 126 Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 13 Rdn. 3. 127 Bröcker, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, 5. Aufl., 2014, § 6 Rdn. 116. 128 Bröcker, in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, 5. Aufl., 2014, § 6 Rdn. 116. 129 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 4. 130 Bumke, in: Hopt/Veil/Kämmerer, Kapitalmarktgesetzgebung im europäischen Binnenmarkt, 2008, S. 107, 119. 131 So zur Ad-hoc-Publizitätspflicht BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2002 – 2 BvR 742/02, NJW 2002, 501, 502; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 15 WpHG Rdn. 135; Reichert/Weller, ZRP 2002, 49, 53; zum Verbot von Insidergeschäften Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 444; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 5; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 456. 132 S. Weber, Kapitalmarktrecht, 1999, S. 371 f. 124

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währleistung von Chancengleichheit unter Anlegern und die Gewährleistung der internationalen Konkurrenzfähigkeit.133 Hierbei handelt es sich jedoch um Teilaspekte des Funktions- bzw. Anlegerschutzes, die bereits Eingang in die vorangegangen Überlegungen gefunden haben, und nicht um eigenständige Regelungsziele. Unberücksichtigt geblieben ist bislang der Gedanke des Verbraucherschutzes, der in neueren kapitalmarktrechtlichen Rechtsakten der EU als Regelungsziel genannt wird.134 Die grundlegenden kapitalmarktrechtlichen Richtlinien enthalten diese Zielbestimmung jedoch nicht.135 Dies erscheint insofern begrüßenswert, als „uninformierte“ Anleger eines gesonderten Schutzes nicht bedürfen, wenn Ad-hoc-Meldungen Eingang in die Preisbildung auf effizienten Märkten finden. Da der Verbraucherbegriff in der MAR keine Erwähnung findet, kann die Frage, inwiefern der Verbraucherschutzgedanke eine Modifikation der Zweckbestimmung des Anlegerschutzes nach sich zieht, jedenfalls für diese Arbeit dahinstehen. Ebenso wenig überzeugt als „drittes Ziel“ des Kapitalmarktrechts die Corporate Governance, weil dies die Grenzen zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht aufzuheben drohen würde,136 oder der Schutz der Vertraulichkeitssphäre von Un-

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Eichner, Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität nach dem AnSVG, 2009, S. 38, 43 m.w.N. Vgl. Art. 1 Abs. 5 lit. f ESMA-VO (Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84) und Erwägungsgrund 2 der Leerverkaufs-VO (Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 03. 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. L 86 vom 24. 03. 2012, S. 1). 135 Der Verbraucherbegriff findet keine Erwähnung in der Übernahmerichtlinie (Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 04. 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. L 142 vom 30. 04. 2004, S. 12), und CRIM-MAD (Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 179). Die MiFID II (Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 05. 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 349) enthält lediglich Sonderregeln in Art. 24 Abs. 6, Art. 25 Abs. 7, Art. 74 und Art. 75 bzgl. Verbrauchern. Der Erwägungsgrund 41 der Prospektrichtlinie (Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. 11. 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/ EG, ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 64) und der Erwägungsgrund 36 der Transparenzrichtlinie II (Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38) geben der Kommission bei der Wahrnehmung ihrer Durchführungsbefugnisse auf, mit Rücksicht auf den Verbraucherschutz Kohärenz mit anderen einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften sicherzustellen. 136 K. Werner, Ein Publizitätskonzept, 2011, S. 59 f. 134

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

ternehmen, da Insiderverbote auch dann anwendbar sind, wenn eine Verletzung der Interessen eines Unternehmens nicht ersichtlich ist.137 Besonderer Betrachtung bedürfen neben dem Markt- und Anlegerschutz jedoch zwei, die Insiderdiskussion prägende Aspekte: Zum einen wird Insiderhandel, wie bereits angeklungen, als „ungerecht“ empfunden.138 Zum anderen haftet der MAR das Spezifikum an, ein europäischer Rechtsakt zu sein. Als weitere Regelungsziele der MAR kommen daher die Gewährleistung von Fairness und die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes in Betracht. aa) Fairness In ökonomischen Stellungnahmen wird ausdrücklich eingeräumt, dass rechtsethische Gründe für ein Insiderrecht sprechen könnten.139 Insofern stellt sich die Frage, ob das Fairnessargument juristisch überzeugt. Es hat jedenfalls Eingang in die Diskussion der Rechtsprechung und Literatur gefunden. Der EuGH spricht von dem Vorteil eines Anlegers, den dieser zum Nachteil eines anderen ziehe,140 und unter Verweis auf die Kommission von einer mittelbar oder unmittelbar unangemessenen Benachteiligung.141 Ausgehend von einem Informationshändler, der einen Schaden aufgrund eines konkreten Insidergeschäfts erleidet und damit gegenüber dem informierten Händler unfair behandelt wird, bzw. von von allen Marktteilnehmern getragenen steigenden Transaktionskosten, ist diese Benachteiligung vor dem rechtsökonomischen Hintergrund nachvollziehbar. Sie erschöpft sich damit jedoch in dem zum Anlegerschutz bereits Erläuterten.142 Auch in der deutschen juristischen Literatur wird die Insiderregulierung auf grundlegende Gerechtigkeitsüberlegungen gestützt, die auf der Annahme basieren, dass Insider die Chancengleichheit verletzen und das Vertrauen bzw. die Erwartungen der Anleger erschüttern.143 Das Verbot von Insidergeschäften sei daher das „Paradebeispiel für eine auf Fairness gerichtete Regelung“.144 Zugleich sei Transparenz unverzichtbare Voraussetzung zur Vertrauensbildung und somit ein Merkmal 137

Eichner, Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität nach dem AnSVG, 2009, S. 38. Siehe B. II. 2. 139 So bereits King/Roell, 6 Econ. Policy 163, 187 (1988); Lawson, 11 Harv. J. L. & Pub. Policy 727 (1988). 140 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2007 – Rs. C-391/04 (Georgakis), EU:C:2007:272, ZIP 2007, 1207, 1209 Rdn. 38; EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 49. 141 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 49. 142 Siehe B. III. 2. b) bb) und cc). 143 Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, Vor §§ 12 ff. WpHG, Rdn. 12. 144 Caspari, NZG 2005, 98, 101 [Hervorhebung durch die Verf.]. 138

III. Verhältnis von Ad-hoc-Publizitätspflicht u. Insiderhandelsverbot

47

des fairen Marktes.145 Der Preis, der in einem solchen korrekten und gerechten Marktverfahren erzielt wird, sei der „wahre“ Preis und führe automatisch zu einer effizienten Verteilung.146 Es ist festzustellen, dass der Gerechtigkeitsgedanke im Insiderrecht überwiegend im Zusammenhang mit allgemeinen Erwägungen zum Anlegerschutz147 oder den Vorstellungen des Anlegerpublikums von gut geordneten Kapitalmärkten148 thematisiert wird. Als eigenständiger Geltungsgrund für das Insiderverbot überzeugt das Argument der Fairness schon deshalb nicht, weil es, soweit ersichtlich, als Synonym für den Anlegerschutzgedanken verwendet wird. Finden ökonomische Aspekte keine Erwähnung, muss sich die an den Fairnessbegriff anknüpfende Argumentation vorwerfen lassen, unkonturiert und daher ungeeignet zu sein, Grenzen der Insiderregulierung aufzuzeigen.149 Bei sorgfältiger ökonomischer Analyse hingegen kann durchaus die Ungleichbehandlung von Anlegern durch fehlende Transparenz und Insiderhandel festgestellt werden.150 Soll der angestrebten Fairness ein darüber hinausgehender Aussagegehalt zukommen, ist dieser gerade nicht ökonomisch fundiert und vermag eine unfaire Benachteiligung der uninformierten Anleger nicht zu begründen. Mit dem bloßen Verweis darauf, Insiderhandel müsse verboten sein, weil er unfair sei, wird letztlich lediglich die Auseinandersetzung mit der in dieser Untersuchung bereits ausgeführten Frage vermieden, wer Schutzadressat der Insiderregelung ist.151 Da unabhängig von dem rechtsökonomischen Hintergrund gleichwohl verbreitet das Gefühl besteht, unfair behandelt zu werden, und diese Überzeugung angesichts sinkenden Engagements der Marktteilnehmer negative Auswirkungen auf die Kapitalmarkteffizienz hat, ist das Vertrauen der Anleger in informationelle Chancengleichheit und Integrität in jedem Fall zu stärken. Auch diese Überlegung zeigt jedoch, dass die pauschale Forderung, Fairness herzustellen, entkoppelt von einer ökonomischen Debatte nicht zielführend ist und der Fairnessgedanke im Regelungsziel des institutionellen Anlegerschutzes ausreichend Berücksichtigung findet. bb) Europäischer Binnenmarkt Eine Besonderheit des europäischen Kapitalmarktrechts ist der verfolgte Zweck, den Binnenmarkt zu verwirklichen. Hierauf wies die Kommission ausdrücklich

145

Caspari, NZG 2005, 98, 99. S. Weber, Kapitalmarktrecht, 1999, S. 385. 147 Siehe etwa Caspari, NZG 2005, 98, 103. 148 Meyer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2019, Rdn. 12.136. 149 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 29. 150 Siehe B. II. und III. 2. b). 151 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Vor Art. 7 Rdn. 27. 146

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B. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht u. des Insiderhandelsverbots

bereits im Jahre 1985 hin.152 Die MAR erklärt als ersten Erwägungsgrund die Existenz des Binnenmarkts als entscheidend „für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen“. Das Regelwerk der MAR soll insbesondere einheitliche Bedingungen für die Marktteilnehmer in der Union gewährleisten.153 Zur Herstellung dieser einheitlichen Bedingungen in den Mitgliedstaaten der EU trägt schon die Wahl einer europäischen Verordnung als gem. Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV unmittelbar anwendbarem Rechtsakt zur Regulierung des Kapitalmarkts bei. Nur wenn ausländische Anlagen ähnliche Standards bieten wie inländische werden Anleger in diese investieren, sodass letztlich die erwünschte Verflechtung der mitgliedstaatlichen Finanzmärkte entsteht.154 Neben der allgemeinen Bedeutung des Binnenmarkts ist sein reibungsloses Funktionieren explizit als Ziel der Verordnung genannt.155 Dieses wird jedoch nicht weiter konkretisiert. Sein Aussagegehalt erschöpft sich weitgehend in der Verfolgung der bereits erläuterten grundsätzlichen kapitalmarktspezifischen Zweckrichtung des Marktschutzes – hier bezogen auf den europäischen Kapitalmarkt.156 Die Vorteile eines integrierten Kapitalmarkts in Europa mit „ebenem Spielfeld“ und ohne zwischenstaatliche Handelsbeschränkungen157 liegen auf der Hand: Verbesserungen im Bereich von Allokationseffizienz, Liquidität, Wettbewerb, Rentabilität und Finanzstabilität.158 Festzuhalten ist damit, dass die Schaffung eines einheitlichen Kapitalmarkts für die vollständige Verwirklichung des Binnenmarkts nicht als Selbstzweck verfolgt werden darf, sondern das Ziel darin besteht, die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte in den einzelnen Mitgliedstaaten sicherzustellen.159 Die Stärkung des europäischen Binnenmarkts ist damit weniger ein eigenständiges Regelungsziel, sondern vielmehr das Ergebnis eines effektiven Funktionsschutzes.

152 Kommission der EWG, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, 1985, KOM(1985) 310, S. 27 Rdn. 101; vgl. auch Kommission der EWG, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts (Segré-Bericht) Brüssel, November 1966, S. 11 f. 153 Vgl. zu dieser Funktion der MAR, unabhängig von speziellen Vorschriften der Verordnung, die Erwägungsgründe 3, 4, 5 der MAR. 154 Thieme, Wertpapierdienstleistungen im Binnenmarkt, 2008, S. 35. 155 Erwägungsgrund 4 der MAR. 156 Siehe B. III. 2. a). 157 Klöhn, in: Langenbucher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., 2017, § 6 Rdn. 11. 158 Vgl. Weißbuch der Kommission zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005 – 2010, vom 01. 12. 2005, KOM(2005) 629, S. 5. 159 So auch Eichner, Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität nach dem AnSVG, 2009, 32 f., 39 ff.

III. Verhältnis von Ad-hoc-Publizitätspflicht u. Insiderhandelsverbot

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d) Zwischenergebnis In Anlehnung an die Grundsätze der Equal Access Theory besteht das übergeordnete Ziel des europäischen Insiderrechts darin, eine informationelle Chancengleichheit durch Transparenz herzustellen, sodass keine Informationsasymmetrien bestehen, die von einzelnen Marktteilnehmern ausgenutzt werden können. Hierfür wurden vom europäischen Gesetzgeber Regelungen für funktionsfähige und damit effiziente Kapitalmärkte geschaffen. Diese primär auf Funktionsschutz abzielenden Maßnahmen wirken sich notwendigerweise zugleich zugunsten des Anlegerschutzes aus, wobei zwischen den beiden Aspekten Zielkonflikte im Insiderrecht der MAR keine Rolle spielen.160 Das Wertpapierhandelsrecht bewirkt zunächst kollektiven Anlegerschutz durch Marktschutz,161 wobei zumindest mittelbar eine individualschützende Wirkung erreicht wird, die durchaus erwünscht ist. Das Vertrauen der Anleger, das wiederum essenzielle Voraussetzung eines funktionsfähigen Kapitalmarkts ist, stellt gewissermaßen das Bindeglied zwischen Institutions- und Individualschutz dar.162 Es basiert zwar auf der Annahme der Gesamtheit der Anleger, fair behandelt zu werden. Fairness an sich stellt jedoch kein eigenständiges Regelungsziel dar, sondern ergibt sich, ebenso wie die Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts, reflexartig als Konsequenz des funktionsfähigen Marktes. Weitere dem Insiderrecht zugrunde liegende Prinzipien und Ziele betreffen Einzelaspekte von Funktions- und Anlegerschutz und dienen letztlich ihrer Konkretisierung.163

160 So Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 4, die Funktions- und Anlegerschutz als zwei Seiten derselben Medaille beschreiben; ebenso Meyer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2019, Rdn. 12.138. Sie werden auch als zwei miteinander „kommunizierende […] Röhren“ bezeichnet, Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 52. 161 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 358. 162 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, Vor § 12 bis § 14 Rdn. 137. 163 So auch K. Werner, Ein Publizitätskonzept, 2011, S. 59.

C. Wissenszurechnung im Zivilrecht Die Würdigung der in Deutschland entwickelten Prinzipien der Wissenszurechnung dient dazu, die Thematik mit ihren Voraussetzungen, Grenzen und dogmatischen Grundlagen zu veranschaulichen. Bevor mittels autonom unionsrechtlicher Auslegung der MAR die Wissenszurechnung im europäischen Kapitalmarktrecht untersucht werden kann, sind insbesondere die bereits nach nationalem Recht problematischen Konstellationen zu identifizieren, die später auch auf europäischer Ebene einer konsistenten Lösung bedürfen. Wissensnormen sind in der deutschen Rechtsordnung zahlreich vorhanden.1 Sie finden sich nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im Strafrecht2 und im öffentlichen Recht.3 Da die Normen, die Wissen für erheblich erklären, jeweils unterschiedliche Regelungsziele aufweisen, sind auch die Aspekte der Wissenszurechnung normspezifisch zu entwickeln.4 Auf welche Umstände sich das Wissen(müssen) bezieht und zu welchem Zeitpunkt es vorhanden sein muss, richtet sich daher nach der jeweiligen Wissensnorm. Während das Wissen bzw. die Kenntnis Bewusstseinszustände in der Vorstellungswelt der betroffenen Person darstellen,5 ist im Fall des Wissen- bzw. Kennenmüssens ein Umstand nicht in das Bewusstsein einer Person gelangt. Wird in Wissensnormen der Kenntnis ein Kennenmüssen gleichgestellt, bedeutet dies nach der Legaldefinition des § 122 Abs. 2 BGB die fahrlässige Unkenntnis der rechtlich relevanten Umstände. Der Adressat der Vorschrift hätte also bei pflichtgemäßer Sorgfalt (vgl. § 276 Abs. 2 BGB) positive Kenntnis erlangen können.6 Von der jeweiligen Wissensnorm ist abhängig, welcher Grad an Fahrlässigkeit dafür verantwortlich ist, dass einer Person die positive Kenntnis fehlt, ihr jedoch Wissen- bzw. Kennenmüssen vorzuwerfen ist.7 1 Etwa zum Fristenlauf (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB), Nichterwerb von Rechten (§ 932 Abs. 2 BGB, § 640 Abs. 3 BGB), Verschlechterung der Rechtsstellung (§ 818 Abs. 1 BGB, § 990 Abs. 1 BGB), Deliktsrecht im Rahmen des Vorsatzes (§ 826 BGB), vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 f. mit weiteren Beispielen. 2 Vgl. hierzu bspw. die Diskussion um das subjektive Rechtfertigungselement der Notwehr (§ 32 StGB), Erb, in: MüKo StGB, Bd. 1, 3. Aufl., 2017, § 32 Rdn. 241. 3 Z. B. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. 4 Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 191; zustimmend Taupitz, FS Lorenz, 1994, S. 673, 680. 5 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 54. 6 Im Unterschied hierzu ist für fehlende Gutgläubigkeit nach der Definition in § 932 BGB neben positiver Kenntnis auch grob fahrlässige Unkenntnis ausreichend. 7 Vgl. für fahrlässige Nichtkenntnis § 122 Abs. 2 BGB und grob fahrlässige Unkenntnis § 932 Abs. 2 BGB.

C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

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Die Wissensnormen knüpfen grundsätzlich an die im eigenen Namen handelnde Einzelperson an. Erheblich ist grundsätzlich ihre Kenntnis. Die Definitionen dieses Begriffs in der Literatur sind vielfältig, setzen jedoch gemeinsam die Vorstellung bestimmter Umstände aus der Umwelt oder der eigenen Person zuzüglich der inneren Überzeugung voraus, dass die Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimmt.8 Fragen der Zurechnung, also der „Anknüpfung bestimmter Tatsachen an ein Rechtssubjekt mit der möglichen Folge rechtlicher Verantwortung“9, stellen sich zunächst nicht, geht es doch um das Wissen einer auf ihr Gedächtnis angewiesenen natürlichen Person. Vergisst sie die Informationen, hat sie diese aber in künstlichen Speichermedien elektronisch oder in Papierform festgehalten, kommt die Zurechnung dieses Aktenwissens in Betracht. Dass in diesem Fall auf das dem Kenntnisbegriff innewohnende subjektiv-individuelle Element verzichtet wird,10 kann durch eine Beschränkung auf Fälle der bewussten Auslagerung von Wissen überwunden werden.11 Kein Wissen liegt daher vor, wenn die Information in einem Speichermedium festgehalten wird, ohne dass sie zunächst in das Bewusstsein der Person gelangt ist.12 Als weitere Einschränkungen werden ein konkreter Anlass, Aktenwissen abzurufen,13 sowie die Begrenzung auf im Herrschaftsbereich befindliche Datenspeicher14 vorgeschlagen.15 Neben der Zurechenbarkeit von Aktenwissen stellen sich Fragen der Wissenszurechnung, wenn die natürliche Person, auf deren Wissen es nach der Wissensnorm ankommt, Stellvertreter oder andere Hilfspersonen einsetzt. Im Folgenden liegt der Fokus auf juristischen Personen des Privatrechts, die zu den Normadressaten von Wissensnormen gehören, wenngleich diese regelmäßig auf Einzelpersonen zugeschnitten sind. Da arbeitsteilige Organisationen kein Bewusstsein haben, kommt zwangsläufig nur die Zurechnung von Wissen in Betracht. Potenzielle Wissensträger sind neben rechtsgeschäftlichen Stellvertretern sowie anderen Hilfspersonen auch Organmitglieder und Gesellschafter.

8

Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S. 34. 9 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 4. 10 Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 57. 11 Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S. 43, 49; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2641 f.; ders., NJW 2011, 29. 12 So etwa, wenn die Person einen Datenträger mit darauf gespeicherten Informationen erwirbt, Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S. 43, 49. 13 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 7, 14. 14 Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2641 f.; ders., NJW 2011, 29 f. 15 Gegen die Begründung der Zurechnung von Aktenwissen mithilfe dieser Merkmale Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 56 f.; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S. 51 ff.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

I. Normative Anknüpfung Gesetzlich fixierte allgemeine Wissenszurechnungsgrundsätze enthält die deutsche Rechtsordnung nicht. Im Bereich der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung findet sich mit § 166 BGB die einzige Wissenszurechnungsnorm im BGB.16 Die rechtliche Verankerung der Wissenszurechnung von ebenfalls mit Vertretungsmacht ausgestatteten Organmitgliedern juristischer Personen einerseits und Hilfspersonen, denen keine Vertreterstellung zukommt, sowie Gesellschaftern andererseits wird mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in verschiedenen Vorschriften gesehen. 1. Stellvertreterwissen a) § 166 Abs. 1 BGB In seinem unmittelbaren Anwendungsbereich ist § 166 Abs. 1 BGB auf rechtsgeschäftliche Handlungen eines Vertreters sowohl mit gewillkürter als auch gesetzlicher Vertretungsmacht anwendbar.17 Werden die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmter Umstände beeinflusst, kommt gem. § 166 Abs. 1 BGB nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht, weil allein letzterer am Abschluss des Rechtsgeschäfts beteiligt ist und Kenntnisse in Bezug auf dieses erlangen kann.18 Bei der Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen kommt es auf die Bewusstseinslage der Person an, auf deren Geschäftswillen die Willenserklärung des Vertreters tatsächlich basiert.19 Handeln mehrere Vertreter, wird daher lediglich das Wissen des am Abschluss des Rechtsgeschäfts beteiligten Vertreters zugerechnet.20 Eine Einschränkung erfährt die Wissenszurechnung in § 166 Abs. 2 BGB, demzufolge das Bewusstsein des Vertretenen neben dem des Vertreters relevant bleibt, sofern der Vertreter, dem die Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft erteilt wurde, nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt hat. In dieser Kon-

16

Spezielle gesetzliche Zurechnungsnormen im Versicherungsvertragsrecht (§§ 2 Abs. 3 und 70 VVG) sollen hier außer Betracht bleiben. 17 Ganz h.M. BGH, Urt. v. 10. 10. 1962 – VIII ZR 3/62, NJW 1962, 2251; BGH, Urt. v. 24. 04. 2012 – VI ZR 329/10, NJW 2012, 3629, 3642; Ellenberger, in: Palandt, 79. Aufl., 2020, § 166 Rdn. 2; Schäfer, in: BeckOK BGB, 54. Ed., Stand: 01. 05. 2020, § 166 Rdn. 4; Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 7. Handelt ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, hängt die Anwendbarkeit von § 166 Abs. 1 BGB davon ab, ob der Vertretene das Rechtsgeschäft genehmigt (§ 177 BGB), Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 17 m.w.N. 18 Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 1 f. 19 BGH, Urt. v. 24. 10. 1968 – II ZR 214/66, NJW 1969, 925, 927. 20 Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 16.

I. Normative Anknüpfung

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stellation nimmt der Vertretene derart Einfluss auf das Vertretergeschäft, dass für die Kenntnis ausnahmsweise ebenfalls auf seine Bewusstseinslage abzustellen ist.21 Die in § 166 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wertung wird darin gesehen, dass der Geschäftsherr sich das Wissen(müssen) des eingeschalteten Stellvertreters zurechnen lassen muss, weil er selbst das Risiko eines Wissensdefizits durch arbeitsteilige Handlung schaffe.22 Wer die Vorteile der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, müsse auch die hieraus resultierenden Nachteile in Kauf nehmen.23 Als nicht tragfähig erweisen sich diese Ansätze zur Rechtfertigung der Zurechnung im Rahmen der gesetzlichen Vertretung, bei der gerade keine Arbeitsteilung vorgenommen wird. Sowohl in Fällen der rechtsgeschäftlichen als auch der gesetzlichen Vertretungsmacht wird allerdings verhindert, dass der Geschäftspartner schlechter gestellt wird, wenn Gestaltungsrechte oder Haftungstatbestände die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Vertragspartners voraussetzen.24 Einer juristischen Person ist unterhalb der Organwalterebene das Wissen von Stellvertretern der juristischen Person unmittelbar nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.25 Es gelten insofern die Grundsätze der Wissenszurechnung bei natürlichen Personen, die sich eines Vertreters bedienen, denn aus der Sicht des Geschäftspartners hängt es bloß vom Zufall ab, ob der Geschäftsherr als natürliche Person handelt oder als juristische Person organisiert ist.26 Auch die Zurechnung von Kenntnis der Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder von rechtserheblichen Umständen wird auf § 166 Abs. 1 BGB gestützt.27 Dagegen wird eingewendet, § 166 Abs. 1 BGB sei auf die Personenverschiedenheit von Vertreter und Vertretenem zugeschnitten und passe schon deshalb nicht, weil der Vorstand die vertretene Gesellschaft als ihr Willens- bzw. Wissensorgan repräsentiert.28 b) § 31 BGB und § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB Bei juristischen Personen wird vielfach vertreten, die Besonderheit der organschaftlichen Vertretung rechtfertige eine Zurechnung des über ein Organ erlangten

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Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 101. Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197 f. 23 M. Schultz, NJW 1990, 477, 479; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197; in Bezug auf die Empfangsvertretung Richardi, AcP 169 (1969), 385, 402. 24 Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 1 f. 25 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 01. 03. 1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953, 1954. 26 Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S. 250. 27 Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 63; Buck-Heeb, in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 4. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 61; Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 8 ff. 28 Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 94. 22

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

Wissens nach § 31 BGB (analog).29 Andere wenden den Rechtsgedanken der Passivvertretung aus § 28 Abs. 2 BGB a.F., die nunmehr in § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelt ist, auf die Kenntniserlangung durch ein Organmitglied an30 und verweisen auf die jeweiligen Rechtsnormen der juristischen Personen (§ 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG, § 25 Abs. 1 Satz 3 GenG).31 2. Hilfspersonenwissen § 166 Abs. 1 BGB setzt eindeutig die Stellung des Wissensträgers als Vertreter i.S.d. §§ 164 ff. BGB voraus, kann also unmittelbar nicht für die Zurechnung von Wissen sonstiger Hilfspersonen herangezogen werden. In Betracht kommt allerdings die analoge Anwendung des § 166 BGB sowie die Heranziehung von § 278 BGB.32 a) § 166 BGB analog Richardi entnimmt § 166 Abs. 1 BGB den Rechtsgedanken, dass eine Kenntniszurechnung überall dort anerkannt werden muss, wo Dritte bei der Erledigung ihnen übertragener Aufgaben im rechtsgeschäftlichen Verkehr eine stellvertretungsähnliche Stellung innehaben.33 Er bildet anhand dieses Gedankens die Rechtsfigur des Wissensvertreters fort,34 dessen Wissen zuzurechnen sei, wenn er es als stellvertretungsähnlicher Repräsentant im Rahmen seines ihm zugewiesenen Aufgabenkreises erlange.35 Die Wissensvertretung stelle ein selbstständiges Zu29 BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 124; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, 4. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 53; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 24; Weber, in: Hölters, AktG, 3. Aufl., 2017, § 78 Rdn. 15. 30 BGH, Urt. v. 03. 03. 1956 – IV ZR 314/55, WM 1956, 565, 566; BAG, Urt. v. 20. 09. 1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237, 238 unter Verweis auf die früher herrschende Meinung; Flume, Die juristische Person, 1983, § 11 IV, S. 402; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2. Aufl., 2011, S. 626 f. 31 BAG, Urt. v. 20. 09. 1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237, 238; Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 94 zieht für die AG § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG in richterlicher Rechtsfortbildung heran. 32 Vereinzelt geblieben ist die Auffassung, § 164 Abs. 3 BGB als dogmatische Grundlage für die Zurechnung heranzuziehen, weil die Norm kein aktives Verhalten des Willenserklärungsempfängers voraussetze und im Gegensatz zu § 166 BGB, der lediglich eine Rechtsfolge anordne, den „inneren Zusammenhalt“ liefere, vgl. Bruns, ZVersWiss 2007, 485, 493; soweit es um die Entgegennahme von Wissenserklärungen geht siehe noch Looschelders, in: Beckmann/ Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-HdB, 3. Aufl., 2015, § 17 Rdn. 127. 33 Richardi, AcP 169 (1969), 385, 395. 34 Im Versicherungsvertragsrecht wird die Rechtsfigur bereits in RG, Urt. 08. 03. 1921 – VII 330/20, RGZ 101, 402 f. verwendet. 35 Zu unterscheiden sei dieser Vertreter in der Kenntniserlangung vom Vertreter in der Kenntnisweitergabe, dem Wissenserklärungsvertreter, Richardi, AcP 169 (1969), 385, 386 unter Verweis auf Möller, Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter, 1939, S. 28 zum Versicherungsrecht.

I. Normative Anknüpfung

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rechnungsprinzip dar, wovon § 166 Abs. 1 BGB lediglich eine Ausformung sei.36 Der Wissensvertreter müsse mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn die rechtserhebliche Kenntnis haben oder erlangen können und mit einer selbstständigen Tätigkeit betraut sein, auch wenn der Geschäftsherr ihn nicht zum Wissensvertreter bestelle und keine Zurechnung wolle.37 Die Zurechenbarkeit des Wissens von Hilfspersonen findet Zustimmung, wenngleich teilweise dafür plädiert wird, auf das Merkmal der Repräsentation zu verzichten und auch das Wissen lediglich intern handelnder Personen, die nicht gegenüber dem Geschäftsgegner auftreten, zuzurechnen.38 Die überwiegende Literatur und die Rechtsprechung wenden für die Rechtsfigur des Wissensvertreters § 166 Abs. 1 BGB entsprechend an und leiten aus dem ihm innewohnenden allgemeinen Rechtsgedanken her, dass sich derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraue, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen müsse.39 b) § 278 BGB Nicht auf die Funktion und Stellung der Hilfsperson, sondern auf sein Verhalten legt eine Strömung in der Literatur das Hauptaugenmerk. Den Zurechnungsvorschriften §§ 31, 164, 278 BGB sei gemeinsam, dass sie ein Verhalten in Form einer schädigenden Handlung, der Abgabe einer Willenserklärung bzw. einer Pflichtverletzung in den Vordergrund stellen.40 Daher sei eine Wissenszurechnung geboten, wenn eine Person ein Verhalten verwirkliche, das die jeweilige Wissensnorm für rechtlich erheblich erklärt.41 Zwar würden Wissensnormen existieren, die scheinbar ohne ein mit dem Wissen zusammenhängendes Verhalten eine Rechtswirkung hervorrufen, wie etwa § 990 BGB.42 Diesen lasse sich jedoch immer ein Normbefehl 36 Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388, 395, 403. Die Wissensvertretung trete daher bei der gesetzlichen Vertretung nicht geschäftsfähiger Personen nicht in Erscheinung, da der gesetzliche Vertreter den Mangel der Fähigkeit, am Rechtsverkehr teilzunehmen, ersetzt und nicht erweitert, ders., AcP 169 (1969), 385, 388. 37 Richardi, AcP 169 (1969), 385, 398. 38 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 226; zustimmend Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 28; a.A. BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/ 90, NJW 1992, 1099, 1100; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 196, 199, 201. 39 BGH, Urt. v. 25. 03. 1982 – VII ZR 60/81, NJW 1982, 1585, 1586; BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100; BGH, Urt. v. 30. 03. 2011 – VIII ZR 94/10, NJW 2011, 2874, 2877; BGH, Urt. v. 23. 01. 2015 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294; Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 28; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 226 f. betont die Notwendigkeit einer selbstständigen Stellung des Geschäftsgehilfen, während Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 198 ff. klarstellt, die Hilfsperson bedürfe nicht grundsätzlich der Selbstständigkeit oder Eigenverantwortung, sondern müsse nur in einer bestimmten Funktion eingesetzt werden. 40 Faßbender, Die Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, 1998, S. 150. 41 Faßbender, Die Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens, 1998, S. 155. 42 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 6.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

entnehmen.43 Auch im Fall des § 990 BGB löse der bösgläubige Besitz noch keine Haftung aus, sondern erst das hinzukommende zerstörerische Verhalten.44 Die verhaltensakzessorische Wissenszurechnung könne dogmatisch auch im außerrechtsgeschäftlichen Bereich auf die unmittelbar an das Verhalten anknüpfenden Zurechnungsvorschriften § 278 BGB oder § 166 BGB analog gestützt werden.45 Das Zurechnungsmodell wird als „kleinster gemeinsamer Nenner“ des Meinungsstandes gesehen, weil der Wissensträger neben der Kenntnis die übrigen Voraussetzungen der Wissensnorm verwirklichen müsse und somit keine verhaltensunabhängige Wissenszurechnung denkbar sei.46 Überwiegend lehnt die Literatur eine (analoge) Anwendung von § 278 BGB mit dem Argument ab, die Vorschrift beziehe sich auf fremdes Verhalten und führe zu einem Einstehen für Dritte, indes nicht zu einer Zurechnung von Wissen.47 Da sich für die Wissenszurechnung weder die Voraussetzungen noch Rechtsfolgen des § 278 BGB eignen würden, sei die Norm allenfalls relevant, sofern das Wissen(müssen) ein Element des Verschuldens darstellt.48 Auch in der Rechtsprechung haben, soweit ersichtlich, weder die Zurechnung eines wissensgetragenen rechtserheblichen Verhaltens noch die Bezugnahme auf § 278 BGB als Wissenszurechnungsnorm Anerkennung gefunden.

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Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1254. Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1254. 45 Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258; Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 55 f. will § 278 BGB bei der Bestimmung über die Verschuldenshaftung und verwandten Regelungen, § 166 BGB dagegen bei Wissensnormen, „deren Rechtsfolgenanordnung eher einer Willenserklärung ähnelt“, heranziehen, während für das Deliktsrecht § 278 BGB analog oder § 31 BGB heranzuziehen seien, ders., S. 87 ff., 92. 46 Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1255. Harke nimmt dagegen an, das Wirken der gesamten Arbeitsorganisation des Schuldners sei so zu werten, als falle es in einer einzelnen natürlichen Person zusammen, sodass über § 278 BGB als „Zu- und Zusammenrechnungsnorm“ das Wissen jeglicher Hilfspersonen dem Schuldner zuzurechnen sei. Dies geschehe unabhängig davon, ob sie mit der konkreten Aufgabe betraut waren. Der weite Umfang der Wissenszurechnung wird durch die Forderung begrenzt, es müsse ein Bezug zu der Verpflichtung bestehen, deren Verletzung dem Schuldner vorgeworfen wird, Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 61, 73. 47 So die wohl h.M. zu § 278 BGB, vgl. Grundmann, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl., 2019, § 278 Rdn. 9; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 188 f.; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 387; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 188. Für die Anwendung des § 278 BGB, soweit der Beginn der Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BGB davon abhängt, Caspers, in: Staudinger, 2014, § 278 Rdn. 51. Mit der gleichen Begründung wird § 831 BGB als Zurechnungsnorm abgelehnt, Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 192; Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 188. Die Anwendbarkeit des § 831 BGB wird teilweise im nichtrechtsgeschäftlichen Bereich als Zurechnungsgrundlage, bspw. angesichts der deliktähnlichen Natur des § 990 BGB, herangezogen, vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl., 2009, § 5 Rdn. 15; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., 2016, Rdn. 903; Petersen, Jura 2002, 255, 258; Wilhelm, AcP 183 (1983), 1, 24 ff.; dagegen Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 186; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 189. 48 Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 172 ff., 183. 44

I. Normative Anknüpfung

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3. Gesellschafter In der Literatur finden sich nur vereinzelt Stimmen, die eine Zurechnung des Wissens einzelner Gesellschafter, denen keine Vertretungsmacht zukommt, kraft Mitgliedschaft49 oder über die Durchgriffslehren in Missbrauchsfällen,50 befürworten. Überwiegend wird die Ausdehnung der Wissenszurechnung auf Gesellschafter im Grundsatz abgelehnt und nur bei einem Handeln auf Weisung über § 166 Abs. 2 BGB in Betracht gezogen.51 Da der Gesellschaft kein Auskunftsanspruch gegen ihre Gesellschafter zustehe, habe die Gesellschaft ihr Nichtwissen nicht zu vertreten.52 Die Benachteiligung, die sich aus der Zurechnung von Gesellschafterwissen für juristische Personen mit einer Vielzahl von Gesellschaftern gegenüber einer Einmann-Gesellschaft ergebe, sei auch nicht mit der Möglichkeit des arbeitsteiligen Handelns zu rechtfertigen, weil sich diese nicht aus der großen Anzahl der Gesellschafter, sondern der Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder ergebe.53

4. Zwischenergebnis Die Kenntnis eines Stellvertreters ist dem Vertretenen nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Ist der Wissensträger Organwalter einer juristischen Person, wird vielfach eine Zurechnung nach § 31 BGB befürwortet. In Rechtsprechung und Literatur besteht darüber hinaus weitgehend Einigkeit, dass auch das Wissen von Hilfspersonen, denen keine Vertreterstellung zukommt, zugerechnet werden kann. Die Kenntnis des Wissensvertreters ist in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB zurechenbar. Dem liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass sich derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muss. Für die Zurechnung von Wissen von Gesellschaftern bleibt 49

Dafür Flume, Die juristische Person, 1983, § 3 II, S. 74. Dafür Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 144; ebenso Baumann, ZGR 1973, 289, 298; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 123. 51 Ellers, GmbHR 2004, 934, 936; Stephan/Tieves, in: MüKo GmbHG, Bd. 2, 3. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 223; Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 65. Nach Wilhelm ist die Kenntnis des Alleingesellschafters nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen, wenn er über den konkreten Geschäftsabschluss bestimmt. Darüber hinaus soll § 166 Abs. 2 BGB einschlägig sein, wenn er ein Geschäft des Geschäftsführers dirigiert, Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 47 f. Gegen die Zurechnung des Gesellschafterwissens über § 166 Abs. 2 BGB wird eingewendet, die Einflussnahme der Gesellschafter auf die Geschäftsführung sei für die GmbH über § 46 Nr. 6 GmbHG, für die AG jedoch auf die Fälle des § 199 Abs. 2 AktG beschränkt und die Weisungsgebundenheit reiche ebenso wenig wie bei der mittelbaren Stellvertretung als Begründung der Wissenszurechnung aus, Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S. 257 f. Außerdem gehe § 166 BGB nach seinem Wortlaut und Rechtsgedanken davon aus, der Weisungsgeber werde selbst Vertragspartner, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 123. 52 Stephan/Tieves, in: MüKo GmbHG, Bd. 2, 3. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 223. 53 Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S. 255, 258. 50

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

nur Raum, sofern sie eine Organstellung aufweisen, rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht innehaben oder als Wissensvertreter auftreten.

II. Begründungsansätze Das Fehlen einer positivrechtlichen Lösung der Wissenszurechnung außerhalb des Stellvertretungsrechts und einer eindeutigen Begründung für die Zurechnung bei juristischen Personen hat in der Diskussion um die Tatbestandsmerkmale des Wissens und Wissenmüssens zur Entwicklung zahlreicher Prinzipien und Rechtsgrundsätze geführt.54 Als maßgebliches Kriterium der Zurechnung kommt eine besondere Stellung des Wissensträgers als Organmitglied in Betracht. Daneben sind weitere Zurechnungsgründe, wie etwa der Verkehrsschutz und die Risikoverteilung sowie das Gleichstellungsprinzip, als allgemeine Rechtfertigungsgründe der Wissenszurechnung zu nennen.55 1. Organtheorie Nach der auf von Gierke zurückgehenden Organtheorie ist das Wissen einer in der Angelegenheit als vertretungsberechtigtes Organmitglied fungierenden Person zugleich als Wissen des Organs anzusehen.56 Eine Zurechnung von Wissen einfacher Mitarbeiter soll hingegen nicht stattfinden.57 Dieser auch als Theorie der absoluten Wissenszurechnung bzw. Wissensgleichstellung58 bezeichneten und in Rechtsprechung und Literatur früher herrschenden Auffassung59 liegt die Vorstellung zugrunde, eine juristische Person könne nur durch ihre Organe handeln, weshalb deren Wille ihr Wille sei und folglich auch deren Wissen ihr Wissen.60 Die pauschale Gleichstellung des Organwissens mit dem Wissen der juristischen Person führt zu 54

Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 168; Sajnovits, WM 2016, 765, 768. Diese und weitere Zurechnungsgründe nennt Sajnovits, WM 2016, 765, 768. 56 von Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 625. 57 In Betracht kommt lediglich eine Zurechnung nach § 831 BGB, Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 207. 58 Vgl. Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 97; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S. 216. 59 BGH, Urt. v. 03. 03. 1956 – IV ZR 314/55, WM 1956, 565, 566; BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 123; Steffen, in: RGRK, 12. Aufl., 1982, § 28 Rdn. 6; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 127 ff.; Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 102; Aden, NJW 1999, 3098, 3099; Bork, DB 2012, 33, 34. 60 Aden, NJW 1999, 3098, 3099; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388 f., der betont, der Figur der Wissensvertretung bedürfe es nicht, weil das Organ die Persönlichkeit im Rechtsverkehr nicht arbeitsteilig erweitere, sondern ersetze; a.A. Flume, Die juristische Person, 1983, § 11 IV, S. 404 f., der vertritt, bei juristischen Personen gebe es kein Eigenwissen, weshalb das Wissen des Vertreters nicht ihres sei. Die Theorie der absoluten Wissenszurechnung bezeichnet er dagegen als „Mystifikation der Organtheorie“, siehe auch Flume, JZ 1990, 550. 55

II. Begründungsansätze

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einer Zurechnung unabhängig von der Mitwirkung des Organmitglieds an dem betreffenden Rechtsgeschäft oder auch nur seiner Kenntnis von dem Geschäft und dies selbst über seine Amtsdauer hinaus.61 Nach der Organtheorie wird auch privat erlangtes Wissen zugerechnet, weil es nicht darauf ankomme, in welcher Eigenschaft das Organmitglied sein Wissen erlangt habe.62 Die Theorie der absoluten Gleichstellung des Wissens eines Organs und des Wissens der juristischen Person muss sich vorhalten lassen, dass sie Vorsatz und Fahrlässigkeit vermenge und zu einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung führe, da auch Wissen ausgeschiedener Organmitglieder zugerechnet werde und unberücksichtigt bleibe, ob eine Weiterleitung des Wissens an die anderen Organmitglieder möglich ist.63 Das der juristischen Person dauerhaft anhaftende, über ein Organ erlangte Wissen wird mit einer wertenden Beurteilung begründet.64 Die Wissenszurechnung wird so letztlich unmittelbar auf die Organtheorie selbst gestützt,65 wobei sich ihre Vertreter zumindest teilweise in § 31 BGB gesetzlich bestätigt sehen66 bzw. die Vorschrift ausdrücklich als Rechtsgrundlage einer absoluten Wissenszurechnung heranziehen.67 Dagegen wird eingewandt, § 31 BGB erkläre lediglich den Verein verantwortlich für zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen seiner Organe, weshalb jedenfalls eine handlungsunabhängige Wissenszurechnung von Organen nach dieser Vorschrift ausscheide.68

61 BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 123, wobei die „starre Einheitslösung“ infrage gestellt wird. 62 BGH, Urt. v. 30. 04. 1955 – II ZR 5/54, WM 1955, 830, 832. 63 Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S. 217, 222 f. 64 Ohne Begründung BGH, Urt. v. 23. 10. 1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81, 84; mit wertender Beurteilung BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 123. 65 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 132 f., 145; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388. 66 Ellenberger, in: Palandt, 79. Aufl., 2020, § 31 Rdn. 1; Lehmann/Hübner, Allgemeiner Teil, 16. Aufl.,1966, S. 441. 67 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 10 V 2 b; anders Flume, Die juristische Person, 1983, § 11 IV, S. 402, der seine Argumentation an die Vorschrift zur Passivvertretung § 28 Abs. 2 BGB a.F. anknüpft, die nunmehr in § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelt ist. Ebenso auf § 28 Abs. 2 BGB a.F. in Bezug auf die Wissenserlangung abstellend BGH, Urt. v. 03. 03. 1956 – IV ZR 314/55, WM 1956, 565, 566; BAG, Urt. v. 20. 09. 1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237, 238 unter Verweis auf die früher herrschende Meinung und ausdrückliche Rechtsnormen für andere juristische Personen (§ 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG, § 25 Abs. 1 Satz 3 GenG). 68 Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

2. Verkehrs- und Vertrauensschutz Die Rechtsprechung69 hat sich schließlich mit breiter Zustimmung in der Literatur70 insoweit von der Organtheorie abgewandt, als sie die Wissenszurechnung nicht mehr mit der Organstellung oder einer vergleichbaren Position des Wissensträgers begründet, sondern mit dem Gedanken des Verkehrsschutzes und der daran anknüpfenden Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation. Das Prinzip der Wissensverantwortung geht auf Bohrer zurück, der zum Schutz des Rechtsverkehrs nicht nur ein Einstehen für tatsächliche Kenntnis für notwendig erachtet, sondern verlangt, dass schon bei der Informationsentgegennahme, -dokumentation und -nutzung die Belange Dritter Berücksichtigung finden müssen.71 Der Geschäftspartner dürfe darauf vertrauen, dass der Vertreter, mit dem er verhandeln und abschließen soll, voll informiert ist.72 Juristische Personen hätten die Erfassung und Verfügbarkeit relevanter Informationen, aus denen sich ihre Kenntnis ergibt, zu organisieren.73 Zurechenbar sei das Wissen, das in einer ordnungsgemäß organisierten Gesellschaft für die handelnde Hilfsperson verfügbar gewesen wäre.74 Hierdurch wird die Wissenszurechnung auf solche Informationen beschränkt, deren Speicherung und Nutzung erwartet werden kann.75 Auch das Wissen ausgeschiedener Unternehmensangehöriger könne zugerechnet werden, sofern es typischerweise aktenmäßig festgehalten wird.76 Da das Gebot der Wissensspeicherung unabhängig von der internen Aufgabenzuweisung sei, könne nach dem Prinzip der Wissensverantwortung auch das Wissen einer natürlichen Person zugerechnet werden, die weder Organmitglied, noch Stellvertreter oder, mangels eigenverantwortlicher Wahrnehmung einer Aufgabe, Wissensvertreter sei.77

69 BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100; BGH, Urt. v. 02. 02. 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339, 1340; BGH, Urt. v. 12. 11. 1998 – IX ZR 145 – 98, NJW 1999, 284, 286; BGH, Urt. v. 13. 10. 2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359, 360. 70 Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 67; Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 11; Stephan/Tieves, in: MüKo GmbHG, Bd. 2, 3. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 218, 220; Grunewald, FS Beusch, 1993, S. 301, 306. 71 Bohrer, DNotZ 1991,124, 129. 72 W. Schultz, NJW 1996, 1392, 1393. 73 Bohrer, DNotZ 1991,124, 130. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann ein ämterübergreifender Informationsaustausch geboten sein, BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100. 74 Grunewald, FS Beusch, 1993, S. 301, 307, 320; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 25 f.; als Vertreter der Organtheorie, Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 139. 75 Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 64, 73 f. 76 BGH, Urt. v. 17. 05. 1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159, 2160; BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 123; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 25; Stephan/Tieves, in: MüKo GmbHG, Bd. 2, 3. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 220; a.A. Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 120 f. 77 Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 38.

II. Begründungsansätze

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Der Gedanke des Verkehrs- bzw. Vertrauensschutzes wird auch als Lösungsansatz für die Frage herangezogen, ob privat erlangtes Wissen einer juristischen Person zugerechnet werden kann. Nach der Abkehr von der Organtheorie hat der BGH zunächst die Zurechnung privater Kenntnis pauschal verneint78 und später bejaht, soweit es „für den Erfolg des Gesellschaftsunternehmens von ganz wesentlicher Bedeutung“ war.79 In der Literatur wird für eine Zurechnung privat erlangten Wissens uneingeschränkt80 bzw. nur bei einer Beteiligung des Wissensträgers am Geschäft81 plädiert oder eine Zurechnung befürwortet, sofern das Wissen einen eindeutig dienstlichen Inhalt, ausreichende Unternehmensrelevanz und keinen Bezug zur Privatsphäre des Wissensträgers aufweist.82 Nach dem Verkehrs- und Vertrauensschutzprinzip ist die Möglichkeit der juristischen Person maßgeblich, auf die Informationsweitergabe Einfluss auszuüben. Privat erlangtes Wissen sei dementsprechend zurechenbar, wenn der Angehörige der arbeitsteiligen Organisation verpflichtet war, es ihr zu offenbaren.83 So unterliege privat erworbenes Wissen im Rahmen dienstlicher Aufgaben in der Regel keiner Weiterleitungspflicht und sei mithin nicht zurechenbar,84 denn der Rechtsverkehr vertraue auch nicht auf die Speicherung privat erlangter Informationen.85 Unter Umständen könne jedoch auch die Weiterleitung privat erlangten Wissens zur ordnungsgemäßen Organisation der juristischen Person gehören.86 So vertraue der rechtsgeschäftliche Verkehr durchaus darauf, dass private Erkenntnisse in die Arbeit eingebracht werden, wenn der Wis-

78 BGH, Urt. v. 09. 04. 1990 – II ZR 1/8, NJW 1990, 2544, 2545; dafür auch Reuter, in: MüKo BGB, Bd. 1, 4. Aufl., 2001, § 28 Rdn. 9. 79 BGH, Urt. v. 09. 07. 2013 – II ZR 193/11, BeckRS 2013, 14004 Rdn. 31. 80 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 81 ff. (Zurechnung über § 166 Abs. 1 BGB (analog)); Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 244 f.; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 190; Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1256; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 176, 179; eine Aufspaltung von privatem und geschäftlichem Wissen liefe auf „eine Art Schizophrenie“ hinaus, Reichwein, SJZ 1970, 1, 7. 81 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 56; ders., NJW 2006, 3239, 3243; wohl auch Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119, die auf die Bedeutung des Wissens für das konkrete Rechtsgeschäft abstellen. Bei einer Beteiligung des wissenden Organmitglieds gebiete schon die Wertung des § 166 Abs. 1 BGB die Zurechnung privaten Wissens, Sajnovits, WM 2016, 765, 771. 82 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 26; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 397 f.; Thomale, AG 2015, 641, 649. 83 Kort, in: Großkomm. AktG, Bd. 4, 5. Aufl., 2015, § 76 Rdn. 205; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, Bd. 2, 3. Aufl., 2009, § 76 Rdn. 88; Sajnovits, WM 2016, 765, 770. 84 Sajnovits, WM 2016, 765, 770. 85 Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 191. 86 Grunewald, FS Beusch, 1993, S. 301, 306; Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 102; ders., ZHR 181 (2017), 311, 326 geht von einer grundsätzlichen Offenbarungspflicht von Organmitgliedern und einer abgeschwächten für Mitarbeiter aus, die sich aus der Treuepflicht ergibt.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

sensträger eine entsprechend verantwortungsvolle Position im Unternehmen, wie etwa eine Organstellung, innehat.87 Infrage gestellt wird allerdings, dass die Verletzung einer Wissensorganisationspflicht nach dem Verkehrs- und Vertrauensschutzprinzip nicht zu einer Haftung, sondern zu einer Wissensfiktion führe.88 Dagegen wird angeführt, dass es sich nicht um eine Pflicht, sondern um eine Obliegenheit89 bzw. um ein „Hybrid“ zwischen echter Pflicht und unbedingter Zurechnung90 handle. Andere sehen nur eine Ähnlichkeit zur Verkehrspflicht91, sodass sich als Rechtsfolge nicht unbedingt eine Haftung ergeben müsse.92 Eine Fiktion soll vermieden werden, indem nicht von einer Pflicht zur Wissensorganisation ausgegangen wird, sondern nur das Fehlen einer internen Organisation nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausschließt, dass sich die juristische Person auf Unkenntnis beruft.93 Jedoch überzeugt der Verweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben nur, wenn es sich um eine Rechtspflicht handelt.94 Die Ansicht muss sich im Übrigen den Vorwurf der Zirkelschlüssigkeit entgegenhalten lassen: Wenn die rechtlich erheblichen Informationen die Organisationspflicht begründen, die Grundlage der Wissenszurechnung sein soll, folge die Zurechnung aus der rechtlichen Erheblichkeit der Kenntnis, auf deren Vorliegen es aber gerade ankommt.95 Dass eine Zurechnung gleichermaßen bei vorsätzlichen wie auch fahrlässigen Organisationspflichtverletzungen möglich sein soll, stellt einen weiteren Anknüpfungspunkt für Kritik an der relativen Wissenszurechnung dar. Ihr wird entgegenhalten, sich nicht für die Zurechnung bei Wissensnormen, die positive Kenntnis voraussetzen, zu eignen, da die Kenntnis über die Verantwortlichkeit für die Wissensorganisation konstruiert werde, bei der entscheidungsberechtigten Person oder dem Gremium jedoch gerade nicht existiere.96 Auch im außerrechtsgeschäft-

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Buck-Heeb, WM 2008, 281, 284. Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 49. 89 BGH, Urt. v. 30. 06. 2011 – IX ZR 155/08, NJW 2011, 2791, 2792; LG Saarbrücken, Urt. v. 17. 12. 2015 – 4 O 82/15, ZInsO 2016, 280, 285; von einer Organisationspflicht ist hingegen im Urteil der Nachinstanz die Rede, OLG Saarbrücken, Urt. v. 21. 12. 2016 – 2 U 8/16, ZInsO 2017, 164, 168; sowohl von einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation als auch einer Organisationsobliegenheit spricht das LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1465. 90 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 320 zur Organisationspflicht im Rahmen des Risikoprinzips. 91 BGH, Urt. v. 02. 02. 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339, 1241; LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1465. 92 Buck-Heeb, ZHR 182 (2018), 96, 97. 93 Dafür Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 448 ff. 94 Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 53 f. 95 Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisationsverschulden, 1998, S. 178 f. 96 Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 97; ders., ZHR 181 (2017), 311, 318 f. 88

II. Begründungsansätze

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lichen Kontakt scheitere das Vertrauensschutzargument, denn etwa ein Schädiger könne kein Vertrauen in eine bestimmte Organisation haben.97 Wenngleich die Begründung für die Wissenszurechnung aller Mitarbeiter auf den Gedanken des Verkehrsschutzes gestützt wird, soll es hinsichtlich der Rückführung auf gesetzliche Vorschriften bei der Unterscheidung zwischen der Organmitgliederebene, sonstigen Vertretern und den unterhalb der Organwalter- oder Vertreterebene agierenden Wissensvertretern bleiben.98 An der Heranziehung des § 166 BGB wird allerdings kritisiert, dass die Norm einen aktiven Handlungsbeitrag in Form eines Vertretergeschäfts (Abs. 1) oder einer Weisung (Abs. 2) voraussetze und daher für Wissensorganisationspflichten keine Rechtsgrundlage darstellen könne.99 3. Risikoprinzip Im Fokus des Risikoprinzips steht die allgemeine Gerechtigkeitsvorstellung einer ausgeglichenen Risikoverteilung unter Berücksichtigung der Risikobeherrschung.100 Da juristische Personen naturgemäß nicht über Eigenwissen verfügen und nicht selbst handeln können, treten für sie im Rechtsverkehr eine Vielzahl an Vertretern und sonstigen Hilfspersonen auf. Dies kann dazu führen, dass eine Person, die Kenntnis von rechtserheblichen Umständen hat, nicht über den Rechtsakt informiert ist, für den diese Kenntnis relevant ist und andererseits die handelnde Person nicht über die Kenntnis der rechtserheblichen Umstände verfügt. Das durch den arbeitsteiligen Einsatz von Hilfspersonen geschaffene Risiko einer Wissensaufspaltung wird als Begründung für die Wissenszurechnung an den Geschäftsherrn angeführt.101 Begibt sich die zu ihrem Vorteil arbeitsteilig handelnde Person der Möglichkeit, selbst Kenntnis von rechtserheblichen Umständen erlangen zu können, trage sie das hierdurch entstehende Risiko, weil sie es veranlasst habe und durch eine zweckmäßige Organisation beherrschen könne.102 Das Risiko der Wissensaufspaltung sei nicht zwangsläufig mit einer unbedingten Zurechnung auszugleichen, sondern könne mit Anforderungen an die interne Organisation kompensiert werden.103 Dritte seien mit angemessenem und zumutbarem Aufwand vor der Realisierung des Risikos zu schützen.104 Eine juristische Person müsse daher organisatorische Voraussetzungen schaffen, um den Vertragspartner nicht dadurch zu benachteiligen, dass er mit einer 97

Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 97. Siehe C. I. 99 Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258. 100 Seidel, AG 2019, 492, 495. 101 Spindler, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 78 Rdn. 97; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 226, 305 ff.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197 ist der Auffassung, diese Wertung liege § 166 Abs. 1 BGB zugrunde. 102 BGH, Urt. v. 02. 02. 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339, 1341; Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 11; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197 ff. 103 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 319. 104 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 306. 98

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

arbeitsteiligen Organisation anstelle einer natürlichen Person kontrahiert.105 Zurechenbar sei das Wissen, welches bei optimaler Organisation bei einer konkret handelnden Person vorhanden oder verfügbar ist.106 Das Risikoprinzip rechtfertige hingegen nicht die Zurechnung privat erworbener Kenntnis, da eine aus dem Organisationsrisiko resultierende Wissenszurechnung nicht über die Sphäre der juristischen Person hinausgehen dürfe.107 Die Wissenszurechnung solle auch nur das Risiko ausgleichen, das durch die Arbeitsteilung geschaffen wird. Erlangt niemand in einer arbeitsteiligen Struktur Kenntnis von einem Umstand, liege dies nicht an der Arbeitsteilung selbst, weshalb eine Pflicht, sich Wissen zu verschaffen, das Risiko der arbeitsteilig bedingten Wissensaufspaltung letztlich überkompensiere.108 Ist das Wissen hingegen bei einem einzelnen Mitarbeiter vorhanden, sei nach Kriterien eines beweglichen Systems zu ermitteln, ob und wie lange es in der arbeitsteiligen Struktur verfügbar zu machen und zu halten ist.109 Zu berücksichtigen seien die technische Beherrschbarkeit und die Größe des Risikos der Wissensaufspaltung sowie das Ausmaß des mutmaßlichen Nachteils für einen Dritten, sofern sich das Risiko realisiert.110 Ebenso wie bei dem Gedanken des Verkehrs- und Vertrauensschutzes handelt es sich bei den organisatorischen Anforderungen nicht um eine echte Rechtspflicht und es droht als Konsequenz des Risikoprinzips eine Wissensfiktion bei fahrlässiger Organisationspflichtverletzung. Nach Ansicht des BGH konnten eine fehlende oder unsorgfältige Überwachung und Prüfung eines Werkes dazu führen, dass ein Unternehmer so gestellt wird, als wäre ihm ein Mangel bekannt gewesen, wäre dieser bei richtiger Organisation entdeckt worden.111 Dass Wissen in diesem Fall fingiert wurde, fand Zustimmung, weil derjenige, der sich im Rechtsverkehr fremder Hilfe bedient und die Wirkung fremden Verhaltens für sich in Anspruch nimmt, auch die Nachteile hieraus in Kauf nehmen müsse.112 Vorgeschlagen wurde hingegen auch, die Wissenszurechnung bei Wissensnormen, die Rechtsfolgen nur an positive Kenntnis anknüpfen, in der Form einzuschränken, dass der juristischen Person nur die Kenntnis eines als Wissensrepräsentanten eingeschalteten Mitarbeiters zuzurechnen ist, unabhängig davon, ob er noch im Unternehmen tätig ist oder sein Wissen weitergeleitet wurde, weil das Haftungsrisiko so gesteuert werden könne.113 105

BGH, Urt. v. 12. 03. 1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754, 1754 f. So Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 27, der die „optimale“ Organisation unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten, der angemessenen Übermittlungszeit sowie des Datenschutzes ermittelt. 107 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 27. 108 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 242. 109 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 279 ff.; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 319 f. 110 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 306. 111 BGH, Urt. v. 12. 03. 1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754, 1755. 112 Kniffka, ZfBR 1993, 255, 256 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 26. 06. 1963 – VIII ZR 61/ 51, NJW 1961, 1922, 1923; krit. hingegen Rutkowsky, NJW 1993, 1748. 113 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 318 f. 106

II. Begründungsansätze

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4. Gleichstellungsprinzip Einen weiteren Begründungsansatz der Wissenszurechnung bei juristischen Personen stellt der Grundsatz der Gleichstellung dar. Der Vertragspartner einer juristischen Person dürfe nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt sein als derjenige einer einzigen natürlichen Person.114 Die organisationsbedingte Wissensaufspaltung dürfe sich nicht zu Lasten des Geschäftspartners auswirken.115 Nur weil natürliche Personen, die für ihre Angelegenheiten keine Hilfspersonen einschalten, stets über ihr gesamtes Wissen verfügen, sind sie nach dem Gleichstellungsprinzip Rechtsnachteilen, die auf Wissen beruhen, nicht stärker auszusetzen als arbeitsteilige Organisationen.116 Das Argument der Gleichstellung könne allerdings nicht als Begründung dafür herangezogen werden, den arbeitsteilig handelnden Geschäftsherrn so zu behandeln, als habe er anstelle seiner Hilfspersonen gehandelt und verfüge über deren gesamtes Wissen.117 Dies hätte nämlich zur Konsequenz, dass eine juristische Person mit vielen Wissensträgern zwangsläufig mehr rechtserhebliche Umstände kenne als eine einzelne natürliche Person.118 Die juristische Person stünde im Ergebnis schlechter als eine natürliche, weil letztere niemals über die Fülle des Wissens aller Organpersonen und sonstigen Hilfspersonen eines Mehrpersonenunternehmens verfügen könne.119 Des Weiteren kämen dem Geschäftspartner die Vorteile einer arbeitsteiligen Organisation mit spezialisierten Mitarbeitern in Form einer kostengünstigeren und dabei qualitativ hochwertigeren Leistung zugute, die eine einzelne natürliche Person zu diesen Konditionen nicht erbringen könne.120 Eine pauschale Zurechnung des Wissens aller Mitarbeiter entspricht folglich nicht Sinn und Zweck des Gleichstellungsarguments. Es dient vielmehr als Grundlage, der juristischen Person die Pflicht zur Wissensorganisation aufzuerlegen und eine Zurechnung typischerweise aktenmäßig festgehaltenen Wissens zu rechtfertigen.121 Ob 114 BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 123 f.; BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100; BGH, Urt. v. 02. 02. 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339, 1340. 115 BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100. 116 So Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 190, welcher der Gleichstellungsthese gleichwohl kritisch gegenübersteht. 117 So aber Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., 1988, Rdn. 106, 800 f.; zustimmend Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 208. 118 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 27. 119 BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100. 120 Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 44; Koller, JZ 1998, 75, 77. 121 BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90 NJW 1992, 1099, 1100. Krit., weil im Gegensatz zu Einmannunternehmen die Informationssysteme, die eine Wissensaufspaltung vermeiden sollen, und die Rückstellungen für Fälle etwaigen Versagens dieser Systeme bei großen arbeitsteiligen Organisationen enorme Kosten verursachen, Koller, JZ 1998, 75, 80. Insgesamt krit., weil die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation nach dem Gleichstellungsgedanken auf alle arbeitsteiligen Organisationen auszudehnen wäre, die eine Wissensaufspaltung veranlassen, also bspw. auch auf Einzelpersonen mit Bevollmächtigten und dies im Widerspruch zu § 166 BGB stehe, der außer dem Wissen des konkreten Stellvertreters keine darüber hinaus-

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

das Wissen der Mitarbeiter privat erlangt ist, habe grundsätzlich keine Relevanz, da bei einer natürlichen Person eine Aufspaltung von privat und beruflich erlangtem Wissen künstlich sei und daher das gesamte Wissen, unabhängig von dessen Herkunft, zurechenbar sein müsse.122 Aus der bloßen Existenz archivierter Unterlagen könne nicht auf die Kenntnis der juristischen Person geschlossen werden, weil sie ansonsten erheblich schlechter stehe als eine natürliche Person.123 Insbesondere im Fall mehrerer vernetzter Speicher sei der Umfang der Suche nach Informationen derart groß, dass er mit der Situation einer einzelnen natürlichen Person, die ihr Gedächtnis anstrengt, nicht vergleichbar sei.124 Da sich das Erinnerungsvermögen eines Menschen typischerweise nach der Wichtigkeit seiner Wahrnehmung und danach bestimme, wie lange diese zurückliegt, lasse sich in Anlehnung hieran eine Einschränkung der Zurechenbarkeit dahingehend vornehmen, dass der Inhalt von Speichern nur zuzurechnen sei, sofern ein besonderer Anlass besteht, sich seiner in der konkreten Situation zu vergewissern.125 Da bei Einzelpersonen anerkannt sei, dass gewisse, einmal bekannte rechtserhebliche Umstände in Vergessenheit geraten, müsse diese Möglichkeit auch bei arbeitsteiligen Organisationen bestehen. Die Zurechnung von Wissen, die beispielsweise den Tod des ausgeschiedenen Wissensträgers überdauert, werde dem Gleichstellungsargument nicht gerecht.126 Die Gleichbehandlung von arbeitsteiligen Organisationen, Einpersonenunternehmen und Einzelpersonen wird überwiegend auf den Aspekt des Verkehrsschutzes zurückgeführt.127 Das Abstellen auf die Erwartungen im rechtsgeschäftlichen Verkehr offenbart eine Schwäche des Gleichstellungsarguments, die darin liegt, dass derjenige, der mit einer juristischen Person zu tun hat, dies in der Regel weiß und dementsprechend nicht davon ausgeht, dass sein Geschäftspartner eine natürlichen Person ist.128 Ebenso wird dem Gleichstellungsargument vorgeworfen, es vermische die Zurechnungs- mit der Wissensebene.129 Bei der Forderung, die juristische Person müsse sich so behandeln lassen, als habe sie selbst Kenntnis, wenn aktenmäßig festgehaltenes Wissen verfügbar ist, weil eine natürliche Person sich an die Umstände erinnern würde,130 geht es um die Frage der Fremdzurechnung, während die Thegehende Zurechnung an den Vertretenen vorsehe, Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 322. 122 Buck-Heeb, WM 2008, 281, 284. 123 BGH, Urt. v. 13. 01. 2015 – XI ZR 303/12, NJW 2015, 1948, 1949. 124 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 7. 125 BGH, Urt. v. 02. 02. 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339, 1341. 126 Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S. 236. 127 BGH, Urt. v. 15. 04. 1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997, 1917, 1918; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 319 m.w.N. 128 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 27; zustimmend Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 370; Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S. 43. 129 Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 322. 130 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 12.

III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europ. Ebene

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matik des Aktenwissens im Fall der Einzelperson die Frage der Reduktion des Wissensbegriffs aufwirft.131 5. Zusammenfassung Die Organtheorie, welche die Bewusstseinslage einer natürlichen Person kraft Organstellung als Wissen der juristischen Person berücksichtigt, kann in ihrer Pauschalität nicht alleiniger Maßstab der Wissenszurechnung sein. Es ist nicht uneingeschränkt das Wissen eines Organmitglieds als Wissen der juristischen Person anzusehen, obwohl das Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft gegebenenfalls unbeteiligt ist, von ihm nichts gewusst hat oder bereits ausgeschieden ist. Im letzten Fall ist etwa die Zurechnung auf das Wissen zu begrenzen, das typischerweise aktenmäßig festgehalten wird. Insgesamt lässt sich feststellen, dass in der Praxis keines der dargestellten Prinzipien strikt angewendet wird, sondern eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung von Aspekten mehrerer Prinzipien stattfindet.132 In der Konsequenz führt neben dem Wissen des gesetzlichen Vertretungsorgans auch eine mangelhafte Wissensorganisation zu einem Kennenmüssen der juristischen Person. Diese soll die Verantwortung für die Wissensorganisation tragen, weil sich die durch ihr arbeitsteiliges Handeln verursachte Wissensaufspaltung nicht zu Lasten des Vertragspartners auswirken darf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftspartner von der Arbeitsteilung und von der hierdurch entstehenden Wissensmehrung und den Wissenssynergien profitiert. Die Pflicht zur Eindämmung der Wissensaufspaltung durch Informationserkennung und -weiterleitung darf die arbeitsteilige Organisation daher nicht über Gebühr belasten. Ausgehend von dem Gedanken des Verkehrsschutzes wird damit der juristischen Person das Risiko zugewiesen, das sich aus ihrem arbeitsteiligen Handeln ergibt, wobei anhand des Gleichstellungsprinzips sichergestellt sein soll, dass der Vertragspartner einer arbeitsteiligen Organisation nicht besser, aber auch nicht schlechter steht, als würde er einer einzelnen natürlichen Person gegenüberstehen. Der konkrete Umfang und die Grenzen der Wissenszurechnung ergeben sich aus der Auslegung der jeweiligen Wissensnormen.

III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europäischer Ebene In Deutschland ist die Wissenszurechnung eine in Rechtsprechung und Literatur viel diskutierte Thematik. Vor dem Hintergrund, dass das Insiderrecht seit seiner erstmaligen Kodifizierung in Deutschland auf der Umsetzung europäischer Richtlinien basiert, ist auch ein Blick in die Rechtsordnungen anderer EU-Mitgliedstaaten 131 132

Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 322. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 08. 12. 1989 – V ZR 246/87, DNotZ 1991, 122, 123 f.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

von Interesse. Selbst wenn vergleichende Betrachtungen keine Bindungswirkung entfalten können, erfüllen sie zumindest eine Inspirations-133 sowie Kontroll- und Absicherungsfunktion134, indem sie dem Rechtsanwender Auslegungsvarianten vor Augen führen und einen Rahmen bieten, die eigenen Erwägungen zu überprüfen. Bevor die Ausführungen im Kontext der Kapitalmarktregulierung wieder aufgegriffen werden,135 bedarf es der Klärung, ob Fallgestaltungen, in denen nach deutschem Recht die Grundsätze der Wissenszurechnung Anwendung finden, in diesem Sinne auch in anderen Mitgliedstaaten der EU gelöst werden. Exemplarisch werden angesichts ihrer besonderen Bedeutung für den Finanzplatz Europa die Rechtsordnungen der großen Volkswirtschaften Frankreich und England herangezogen.136 Rückschlüsse auf Grundsätze der Wissenszurechnung auf europäischer Ebene könnten sich auch aus EuGH-Urteilen und aus dem Lando-Entwurf ergeben. 1. Frankreich In Frankreich wird, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur keine Debatte über eine Wissenszurechnung geführt.137 Im französischen Stellvertretungsrecht findet sich keine mit § 166 BGB vergleichbare Vorschrift zu Willensmängeln oder zur Kenntnis bestimmter Umstände. Lediglich Art. 1138 Abs. 1 Code civil stellt klar, dass eine arglistige Täuschung auch dann zur Nichtigkeit des Vertrags gem. Art. 1132 Code civil führt, wenn ein Repräsentant die Täuschung verübt. Zurechnungsgegenstand ist nicht das Wissen, sondern das Verhalten. Entstehen Schäden, die ein Verrichtungsgehilfe schuldhaft in Ausführung der Funktion verursacht, in der er eingesetzt wird, begründet Art. 1242 Abs. 5 Code civil die Haftung des Geschäftsherrn. Ebenso, dogmatisch vom deutschen Recht abweichend, wird der juristischen Person im Strafrecht nach Art. 121 – 2 Abs. 1 Code pénal das Verhalten ihrer Organe und Repräsentanten als eigenes zugerechnet. Unternehmensträger unterliegen also selbst einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Sie haften aber für das Verhalten anderer, nicht für eigenes Verhalten, und stehen insofern für die Risiken ein, die das Unternehmen durch seine Aktivitäten verursacht.138 Fragen der Wissenszurechnung spielen hier keine Rolle.

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Basedow, in: Zimmermann, Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 96. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl., 1991, S. 461 f. 135 Siehe E. V. und F. V. 136 Dass Großbritannien die EU verlassen hat, steht dem nicht entgegen, da der Finanzplatz London bislang eine zentrale Rolle auf den Kapitalmärkten der EU eingenommen hat. 137 Ebenso ohne Befund Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 210 f. Zur Zurechnung von von Organen verwirklichter Unrechtstatbestände statt bloßen Wissens im französischen Unternehmensstrafrecht Thomale, AG 2015, 641, 642 ff. 138 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 4. éd., 2013, Rdn. 813. 134

III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europ. Ebene

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2. England Im englischen Recht werden einem Prinzipal, wie im französischen Recht, Delikte anderer Personen zugerechnet, die diese bei der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben begehen.139 Bei der außervertraglichen Haftung gilt für die Zurechnung sämtlicher Handlungen von Mitarbeitern der Grundsatz respondeat superior, der zur verschuldensunabhängigen Haftung des masters für eine unerlaubte Handlung des servants führt.140 Neben der vicarious liability, bei der Verantwortlichkeit für fremde Delikte begründet wird, kann der Geschäftsherr auch einer Haftung für eigenes Tun und Unterlassen durch Wissenszurechnung ausgesetzt sein.141 Die Zurechnung des Wissens einer Person an eine andere ist unter dem Begriff „imputed knowledge“ in der Diskussion.142 Im Recht der Stellvertretung (Agency Law) ist das Kriterium für die Wissenszurechnung die authority, die im Sinne des deutschen Rechts sowohl die Vertretungsmacht als auch eine sonstige Rechtsmacht zur Abgabe und Entgegennahme von Willensbekundungen, Auskünften, Mitteilungen und sonstigen Informationen umfasst.143 Dem Geschäftsherrn wird das Wissen einer Person zugerechnet, das diese im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Geschäftsherrn, in Ausübung ihrer authority, erworben hat, wenn sie für den Geschäftsherrn aufgetreten ist, das Wissen für das betreute Geschäft von Bedeutung ist und davon auszugehen ist, dass die Information pflichtgemäß an den Geschäftsherrn weitergegeben wird.144 Diese Pflicht des Handlungsbefugten gegenüber dem Geschäftsherrn zur Weitergabe der entsprechenden Information als Voraussetzung der Wissenszurechnung lässt den Gedanken der ordnungsgemäßen Wissensorganisation erkennen, der in der deutschen Rechtsprechung und Literatur große Zustimmung erhalten hat.145 Einerseits wird im englischen Recht auf die Erwartung des Rechtsverkehrs an die Informationsweitergabe abgestellt, weil Wissen zugerechnet wird, bei dem davon auszugehen ist, dass es weitergeleitet wird. Andererseits orientiert sich die englische Rechtsprechung im Hinblick auf die Kommunikationspflicht eng 139

French, Mayson, French & Ryan on Company Law, 35. ed., 2018, S. 643. Einzelheiten zur vicarious liability von Agenten und Gehilfen, Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 214 ff. 140 Renner, Die deliktische Haftung für Hilfspersonen in Europa, 2002, S. 135 ff.; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 214. 141 Jetivia SA v Bilta Ltd (in liquidation) [2015] UKSC 23 Rdn. 70 (Lord Sumption SCJ); Atiyah, Vicarious Liability in the Law of Torts, 1967, S. 188. 142 Newsholme Brothers v Road Transport and General Insurance Company Ltd [1929] 2 KB 356; Atiyah, Vicarious Liability in the Law of Torts, 1967, S. 188. 143 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, 10. ed., 2016, Rdn. 7 – 24; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 19; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 214. 144 Blackburn, Low & Co v Thomas Vigors (1887) 12 App Cas 531, 541 (Lord Watson); siehe auch Ayrey v British Legal and United Provident Assurance Company Ltd [1918] 1 KB 136, 140 (Lawrence J.). Im Einzelnen zu den Voraussetzungen vgl. Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 20 ff. 145 Vgl. C. II. 2., 3. und 4.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

an der dem Wissensträger eingeräumten Handlungsbefugnis und damit am konkreten Innenverhältnis zwischen Handelndem und Geschäftsherrn.146 Letztlich sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend dafür, ob sich die Erwartung des Rechtsverkehrs darauf beziehen darf, dass der Geschäftsherr Kenntnis erlangt hat.147 Die Pflicht des Wissensträgers kann daher durchaus – abgesehen von privaten Informationen, auf deren Offenlegung sich der Rechtsverkehr grundsätzlich nicht verlässt – die Weiterleitung aller Informationen umfassen, gleichgültig zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zusammenhang sie erlangt werden.148 Wird darauf verwiesen, dass das Wissen der directors einer Gesellschaft grundsätzlich das Wissen der Gesellschaft sei,149 erweckt dies den Anschein, das Wissen dieser natürlichen Personen sei zugleich als Wissen der juristischen Person zu betrachten, es finde also eine absolute Wissenszurechnung bzw. Wissensgleichstellung statt. Gleichwohl beschreibt diese Aussage vielmehr eine umfassende Wissenszurechnung, die Folge von weiten Geschäftskreisen mit entsprechend umfangreichen Handlungsbefugnissen und weiten Informationsweitergabepflichten ist.150 Eine automatische Wissenszurechnung kraft Organstellung, wie sie in Deutschland früher befürwortet wurde, findet nicht statt. Auch bei Organmitgliedern und Personen, denen Geschäftsführungsaufgaben ganz oder teilweise übertragen werden und die faktisch the directing mind and will der juristischen Person sind, ist die authority entscheidend151 und die Wissenszurechnung ist entsprechend der Aufgaben begrenzt.152 Verlässt die natürliche Person die Gesellschaft, bewerten die Gerichte die Frage, ob die Wissenszurechnung mit diesem Zeitpunkt endet, uneinheitlich.153 Bei Mitarbeitern, denen lediglich begrenzte Kompetenzen zukommen, ist von Fall zu Fall die Interpretation des anwendbaren Gesetzes oder richterrechtlichen Tatbestands 146

Fridman, The Law of Agency, 4. Aufl., 1976, S. 271; Powell, The Law of Agency, 2. Aufl., 1961, S. 240 f. 147 Powell, The Law of Agency, 2. Aufl., 1961, S. 240. 148 Blackburn, Low & Co Thomas Vigors (1887) 12 App Cas 531, 541 (Lord Watson); Mary Gale, Executrix of John Ware v Lewis (1846) 9 QB 730. 149 Houghton & Company v Nothard, Lowe & Wills Ltd [1928] AC 1, 18 f.; Evans v Employers Mutual Insurance Association Ltd [1936] 1 KB 505, 522 (Roche LJ); wenngleich in der vorstehenden Entscheidung explizit ausgeschlossen wird, dass das Wissen der „directors“ pauschal der Gesellschaft zugerechnet werden kann, 517 (Siesser LJ). 150 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 22. 151 Evans v Employers Mutual Insurance Association Ltd [1936] 1 KB 505, 515 (Greer LJ); Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 19. 152 El Ajou v Dollar Land Holdings plc & Anor [1994] BCC 143, 150 f.; Jetivia SA v Bilta Ltd (in liquidation) [2015] UKSC 23 Rdn. 67 (Lord Sumption SCJ); Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 220 f., 248, der darauf hinweist, dass in der modernen Rechtsprechung der englischen Gerichte maßgeblich ist, ob die natürliche Person an der Geschäftsführungsmaßnahme teilnimmt oder in der entscheidenden Situation „Kopf“ der juristischen Person ist. 153 Für die Aufrechterhaltung El Ajou v Dollar Land Holdings plc & Anor [1994] BCC 143, 152; Real Estate Opportunities Ltd v Aberdeen Asset Managers Jersey Ltd and others [2007] Bus LR 971 Rdn. 50; dagegen Crossco No. 4 Unlimited v Jolan Ltd [2011] EWHC 803 Rdn. 172.

III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europ. Ebene

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entscheidend.154 Insgesamt führt die Bezugnahme der Zurechnungsregeln auf die Aufgaben des Wissensträgers dazu, dass allein die Stellung der natürlichen Person als Organmitglied oder einfacher Mitarbeiter keinen Rückschluss auf die Wissenszurechnung zulässt.155 Eine Ausnahme der Wissenszurechnung gilt für Schadensersatzansprüche der juristischen Person gegen ein deliktisch zum Schaden der eigenen Gesellschaft handelndes Organmitglied oder gegen einen solchen Mitarbeiter.156 Diese fraudexception führt dazu, dass über die Wissenszurechnung das rechtswidrige Handeln eines Unternehmensangehörigen nicht gegen die juristische Person gekehrt wird,157 weil nicht davon auszugehen ist, dass der Wissensträger seine Kenntnis weitergibt.158 3. EuGH zum Wettbewerbsrecht Auf europäischer Ebene ist die Zurechnung von Verhalten und Wissen nicht normiert. Die wenigen Urteile des EuGH, welche diese Thematik berühren, lassen jedoch Rückschlüsse auf die Konzeption der Zurechnung im europäischen Wettbewerbsrecht zu. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang zur bußgeldrechtlichen Sanktion von Unternehmen für vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen Wettbewerbsrecht Stellung genommen.159 Er entschied, dass „keine Handlung und nicht einmal Kenntnisse der Inhaber oder Geschäftsführer des betreffenden Unternehmens [vorausgesetzt würden], sondern es genüg[e] die Handlung einer Person, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden“.160 Die Unternehmen konnten sich demnach nicht mit der Tatsache entlasten, dass ihre satzungsmäßigen Vertreter an der vorgeworfenen Handlung nicht beteiligt waren und keine Kenntnis von ihr hatten. Für die Ahndung des Unternehmens für Verstöße gegen Wettbewerbsrecht reichte eine wettbewerbswidrige Handlung eines Mitarbeiters. Es wurde demnach Verhalten Unternehmensangehöriger, unabhängig von ihrer Stellung innerhalb der arbeitsteiligen Organisation, zugerechnet und auf ihren Vorsatz oder ihre 154

Meridian Global Funds Management Asia Ltd v Securities Commission [1995] 2 AC 500, 506 ff.; Stone & Rolls Ltd (in liquidation) v Moore Stephens [2009] 1 AC 1391 Rdn. 28; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 221. 155 Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 248. 156 Jetivia SA v Bilta Ltd (in liquidation) [2015] UKSC 23 Rdn. 7 (Lord Neuberger P), Rdn. 71 ff. (Lord Sumption SCJ); Reynolds, Bowstead & Reynolds on Agency, 20. ed., 2014, Rdn. 8 – 208. 157 Jetivia SA v Bilta Ltd (in liquidation) [2015] UKSC 23 Rdn. 7 (Lord Neuberger P), Rdn. 71 ff. (Lord Sumption SCJ). 158 Reynolds, Bowstead & Reynolds on Agency, 20. ed., 2014, Rdn. 8 – 208. 159 In Rede stand ein Verstoß gegen Art. 15 der Verordnung Nr. 17: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. Nr. 13 vom 21. 02. 1962, S. 204. 160 EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983 – Rs. C-100/80 (S.A. Musique Diffusion française/Kommission), EU:C:1983:158, BeckRS 2004, 70610 Rdn. 97; im Anschluss daran EuGH, Urt. v. 07. 02. 2013 – Rs. C-68/12 (Slovenská sporitel’nˇ a), EU:C:2013:71, EuZW 2013, 438, 439.

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

Fahrlässigkeit Bezug genommen, um den Verstoß des Unternehmens zu begründen. Der EuGH betonte dabei, dass im konkreten Fall nicht dargelegt worden sei, dass die Abteilungsleiter ihre „Befugnisse überschritten hätten, die ihnen von den Gesellschaftern im Rahmen [der] betrieblichen Aufgaben übertragen worden waren“.161 Ebenso habe der örtliche Vertreter „immer nach den unmittelbaren Weisungen dieser Abteilungsleiter gehandelt“.162 Es kam dem EuGH demnach darauf an, dass der Mitarbeiter, gleich welcher Hierarchiestufe er angehörte, innerhalb der ihm eingeräumten Handlungsbefugnis tätig war. Dies steht mit der Auffassung in Einklang, dass ein Angestellter seine Aufgaben zugunsten und unter Leitung des Unternehmens, für das er arbeitet, erfülle und daher als „Teil der wirtschaftlichen Einheit“ anzusehen sei, die dieses Unternehmen bildet.163 Die Beziehung zwischen einem Unternehmen und seinen Angestellten sei hingegen nicht mit derjenigen zwischen dem Unternehmen und den von ihm beauftragten Dienstleistern vergleichbar.164 Sie seien, sofern sie nicht der Leitung oder Kontrolle eines Unternehmens unterliegen, das die Dienste in Anspruch nimmt, selbstständige Wirtschaftsteilnehmer165 und haften damit wiederum für wettbewerbswidriges Verhalten ihrer eigenen Mitarbeiter. 4. Lando-Entwurf Eine ausdrückliche Regelung der Wissenszurechnung sieht der erste Teil der von der Commission on European Contract Law erarbeiteten „Principles of European Contract Law“ vor, der im Jahr 1995 erschien: „Art. 1.109: Zurechnung von Kenntnis und Vorsatz (1) Eine Partei wird behandelt, als hätte sie einen Umstand gekannt oder vorhergesehen oder als hätte sie die Möglichkeit gehabt, ihn zu kennen oder vorherzusehen, wenn eine Person, für die sie verantwortlich war, den Umstand gekannt oder vorhergesehen hat oder ihn hätte kennen oder vorhersehen müssen, es sei denn, diese Person war nicht am Abschluß oder an der Erfüllung des Vertrages beteiligt.“166

Nach der Überarbeitung im Jahr 1998 lautete die nunmehr in Art. 1:305 PECL enthaltene Regelung: 161 EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983 – Rs. C-100/80 (S.A. Musique Diffusion française/Kommission), EU:C:1983:158, BeckRS 2004, 70610 Rdn. 98. 162 EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983 – Rs. C-100/80 (S.A. Musique Diffusion française/Kommission), EU:C:1983:158, BeckRS 2004, 70610 Rdn. 98. 163 So später EuGH, Urt. v. 16. 09. 1999 – Rs. C-22/98 (Becu u. a.), EU:C:1999:419, BeckRS 2004, 75186 Rdn. 26; EuGH, Urt. v. 21. 07. 2016 – Rs. C-542/14 (VM Remonts u. a.), EU:C:2016:578, EuZW 2016, 737, 738 Rdn. 23. 164 EuGH, Urt. v. 21. 07. 2016 – Rs. C-542/14 (VM Remonts u. a.), EU:C:2016:578, EuZW 2016, 737, 738 Rdn. 26. 165 EuGH, Urt. v. 21. 07. 2016 – Rs. C-542/14 (VM Remonts u. a.), EU:C:2016:578, EuZW 2016, 737, 738 Rdn. 27; EuGH, Urt. v. 04. 12. 2014 – Rs. C-413/13 (FNV Kunsten Informatie en Media), EU:C:2014:2411, NZA 2015, 55, 56 Rdn. 27. 166 Übersetzt von Drobnig/Zimmermann, ZEuP 1995, 864, 865.

III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europ. Ebene

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„Wenn eine Person, die mit Zustimmung einer Partei in den Abschluss eines Vertrages eingeschaltet war oder die von einer Partei mit der Erfüllung betraut war oder mit deren Zustimmung geleistet hat: (a) einen Umstand gekannt oder vorhergesehen hat oder ihn hätte kennen oder vorhersehen müssen; oder (b) vorsätzlich oder grob fahrlässig oder entgegen den Geboten von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs gehandelt hat, wird dieses Wissen, diese Voraussicht oder dieses Verhalten der Partei selbst zugerechnet.“167

Die als Lando-Kommission bekannte Gruppe von Wissenschaftlern setzte sich aufgrund einer privaten Initiative zusammen, wurde aber von der EG-Kommission finanziell unterstützt und übernahm faktisch die Funktionen eines vom Europäischen Parlament eingesetzten Wissenschaftlerausschusses.168 Die in rechtsvergleichender Arbeit gewonnenen Erkenntnisse können in den EU-Mitgliedstaaten als Orientierung für die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft dienen. Der in den Vorschriften genannte Begriff der „Partei“ erfasst sowohl natürliche als auch juristische Personen als Geschäftsherren.169 Der Geschäftsherr muss für den Wissensträger, also die Person, die einen Umstand kannte oder vorgesehen hat bzw. ihn hätte kennen oder vorhersehen müssen, verantwortlich sein. Als Wissensträger kommen daher alle Personen in Betracht, welche die ihnen von dem Geschäftsherrn übertragenen Aufgaben im rechtsgeschäftlichen Verkehr erledigen. Sie müssen keine Vertretungsmacht besitzen. Zurechenbar ist vielmehr das Wissen sämtlicher Hilfspersonen einer Partei.170 Der Entwurf sieht allerdings eine Beschränkung der Wissenszurechnung auf Personen vor, die an dem Vertragsschluss oder der Vertragserfüllung beteiligt waren.171 Dies soll aus Sicht des Rechtsverkehrs zu beurteilen sein, sodass eine scheinbare Beteiligung ausreicht.172 Ausgangspunkt ist der Repräsentationsgedanke, der ein Auftreten gegenüber dem Geschäftsgegner erfordert, wohingegen das Wissen intern handelnder Personen nicht zurechenbar ist. Dabei sollte es nach Art. 1.109 PECL a.F. dem Geschäftsherrn obliegen, zu beweisen, dass die Person ersichtlich weder mit dem Abschluss noch der Durchführung des Vertrags

167 Übersetzt von Drobnig/Zimmermann/Wicke, in: Schulze/Zimmermann, Europäisches Privatrecht, Basistexte, 6. Aufl., 2020, III.10, S. 625. 168 Tilmann, ZEuP 1995, 534, 535; Zimmermann, ZEuP 1995, 731. 169 Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 215 (zu Art. 1.109 PECL a.F.). 170 Lando/Bale, The Principles of European Contract Law, 1995, S. 64 (zu Art. 1.109 PECL a.F.). 171 Analog soll Art. 1:305 PECL bei der Vertragsänderung oder –beendigung gelten, Rademacher, in: Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, 2018, Art. 1:305 Rdn. 5. 172 Lando/Bale, The Principles of European Contract Law, 1995, S. 64 (zu Art. 1.109 PECL a.F.).

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C. Wissenszurechnung im Zivilrecht

befasst war, sodass eine Wissenszurechnung unterbleiben muss.173 Eine solche Beweislastverteilung geht aus dem überarbeiteten Art. 1:305 PECL nicht mehr hervor. Der Vertrauensgrundsatz, der als Begründung einer Wissenszurechnung herangezogen werden könnte, ist als solcher nicht explizit dem Wortlaut der Vorschriften zu entnehmen, er steht jedoch in enger Verbindung mit dem Repräsentationsgedanken. Gegenüber dem Geschäftspartner tritt zwar unter Umständen tatsächlich nur eine einzelne natürliche Person auf, es wird allerdings argumentiert, dass der Rechtsverkehr die juristische Person als Einheit verstehe, in deren innere Organisation er keinen Einblick hat.174 5. Bewertung In der französischen und englischen Rechtsordnung werden juristischen Personen sämtliche Delikte ihrer Organe und Mitarbeiter zugerechnet. Sowohl für die zivilrechtliche Haftung als auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit einer juristischen Person ist deliktisches Verhalten zuzurechnen, weshalb der Wissenszurechnung keine mit der Rechtslage in Deutschland vergleichbare Bedeutung zukommt.175 Während das französische Recht keine Wissenszurechnung kennt, hat sich in England trotz geringer Notwendigkeit der Wissenszurechnung durch eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen, die einer Generalisierung nicht zugänglich sind, eine unübersichtliche Dogmatik gebildet.176 Jedenfalls kommt dem Innenverhältnis zwischen juristischer Person und Wissensträger und der Frage, ob der Rechtsverkehr sich hieraus ergebende Kommunikationspflichten erwarten darf, maßgebende Bedeutung zu. Die Stellung des Wissensträgers in der Gesellschaft ist für eine Zurechnung nicht entscheidend. Anderes gilt für die ihm übertragenen Aufgaben. Der EuGH geht im europäischen Wettbewerbsrecht von der Zurechnung von Handlungen aus, die für einen Verstoß im Falle des Vorsatzes in Kenntnis und ansonsten fahrlässig vorgenommen werden müssen. Auf die Hierarchieebene des handelnden Mitarbeiters kommt es nicht an. Die Tätigkeit muss jedoch innerhalb des ihm übertragenen betrieblichen Aufgabenkreises liegen. Eine Wissenszurechnung ist damit obsolet, weil es auf die rechtswidrige Handlung einer natürlichen Person ankommt, um die Haftung der Gesellschaft zu begründen. Da der EuGH diese grundsätzliche Wertung lediglich für den Bereich des Wettbewerbsrechts getroffen hat, kann nicht von allgemeingültigen Grundsätzen im Europarecht gesprochen werden. 173

a.F.). 174

Lando/Bale, The Principles of European Contract Law, 1995, S. 64 (zu Art. 1.109 PECL

So auch Rademacher, in: Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, 2018, Art. 1:305 Rdn. 4, 16; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 88 (zu Art. 1.109 PECL a.F.). 175 So auch Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 210, 219, 248, 270. 176 Vgl. Reynolds, Bowstead & Reynolds on Agency, 20. ed., 2014, Rdn. 8 – 208.

III. Wissenszurechnung in Frankreich, England und auf europ. Ebene

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Die im Lando-Entwurf vorgesehene Regelung der Wissenszurechnung entspricht dem § 166 Abs. 1 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken.177 Es muss sich derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen der anderen Person zurechnen lassen.178 Zugegebenermaßen überspitzt bezeichnet Wagner die Wissenszurechnung angesichts der geringen Bedeutung in der französischen und englischen Rechtsordnung als „Problem des deutschen Rechts – und nur des deutschen Rechts“.179 Dem ist insofern zuzustimmen, als die Anwendungsfelder der Wissenszurechnung im deutschen Recht weitaus zahlreicher sind. Dies spiegelt sich in der umfangreichen Auseinandersetzung mit der Thematik in Rechtsprechung und juristischen Publikationen wider. Der Aussage, Wissenszurechnung bei juristischen Personen stelle kein „deutsches Provinzialproblem, sondern […] ein globales Fundamentalproblem des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts“ dar,180 ist gleichwohl entgegenzuhalten, dass andere Rechtsordnungen, die sich mit Konstellationen konfrontiert sehen, in denen die Eigenhaftung einer juristischen Person zu begründen ist, schlicht funktional äquivalente Ansätze verfolgen. Als ein solcher ist etwa die Zurechnung rechtswidrigen Verhaltens Unternehmensangehöriger zu sehen.

177 178 179 180

Lando/Bale, The Principles of European Contract Law, 1995, S. 65. Vgl. C. I. 2. a). Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 205. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 109.

D. Bedeutung des Wissens für die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Insiderhandelsverbot vor Inkrafttreten der MAR Bereits vor der Regelung des Marktmissbrauchsrechts durch die MAR war die Bedeutung des Wissens(müssen)s für die Ad-hoc-Publizitätspflicht und das Insiderhandelsverbot Diskussionsgegenstand. Die vormals eingreifenden Tatbestände als Wissensnormen zu behandeln und die Zurechnungsprinzipien des nationalen Rechts zugrunde zu legen, war nicht ohne weitere Begründung möglich, weil das Insiderrecht von Beginn der Kodifizierung an nicht allein aus der eigenen nationalen Rechtsordnung heraus, sondern vor dem Hintergrund des Europarechts richtlinienkonform auszulegen war. Da die kapitalmarktrechtlichen Vorschriften des WpHG und der Insider-1 und Marktmissbrauchsrichtlinie2 keine ausdrücklichen Regelungen zur Wissenszurechnung enthalten, bedarf die Bedeutung des Wissens und Wissenmüssens für die Tatbestände der §§ 14 und 15 WpHG a.F. gesonderter Betrachtung.

I. Ad-hoc-Publizität, § 15 Abs. 1 WpHG a.F. Der Tatbestand der Ad-hoc-Publizitätspflicht, der anlässlich der Umsetzung der Insiderrichtlinie geschaffen wurde, obwohl diese zur anlassbezogenen Veröffentlichungspflicht keine Vorgaben macht, hat sich mehrfach geändert.3 Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. blieb allerdings insofern unverändert, als er die Pflicht vorsah, Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen. Adressat der Veröffentlichungspflicht ist nach der alten Rechtslage der Inlandsemittent als selbstständiges Rechtssubjekt und nicht ein Mitglied des Vorstands.4 Indessen ist der aus einer oder mehreren Personen bestehende Vorstand nach § 76 Abs. 1 AktG für die Erfüllung der Publizitätspflicht verantwortlich5 und haftet ordnungswidrigkeiten-

1

Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 2 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 3 Siehe B. I. 4 Ganz h.M., vgl. Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 52; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 59; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 15 WpHG Rdn. 9. 5 Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 333.

I. Ad-hoc-Publizität, § 15 Abs. 1 WpHG a.F.

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rechtlich (vgl. §§ 9, 130 OWiG), gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 AktG und gegenüber den Anlegern gem. § 826 BGB.6 1. Berücksichtigung von Wissen(müssen) in § 15 Abs. 1 WpHG a.F. Wenngleich § 15 WpHG a.F. dem Wortlaut nach kein Kennen oder Kennenmüssen erfordert, ist die Relevanz des Wissens um die Insiderinformationen umstritten. Die Spannweite der Diskussion, ob die Ad-hoc-Publizitätspflicht Kenntnis des Emittenten voraussetzt, zeigt sich, wenn man sich die Konsequenzen der gegensätzlichen Extrempositionen im Meinungsspektrum vor Augen führt. Ein möglicher Standpunkt ist die völlige Irrelevanz von Kenntnis oder Kennenmüssen für das Entstehen der Veröffentlichungspflicht. Diese entstünde mit dem objektiven Vorliegen der Insiderinformationen, obwohl niemand von ihnen Kenntnis hat. Entwickelte etwa der Emittent ein Arzneimittel, das eine Nebenwirkung aufweist, die der Zulassung zum Vertrieb entgegensteht, so wäre er bereits ad-hoc-publizitätspflichtig7 noch bevor die Nebenwirkung von der Entwicklungsabteilung erkannt wurde oder auch nur erkennbar war. Gleichfalls wäre eine dem Emittenten noch nicht mitgeteilte Entscheidung einer zuständigen Behörde über die Versagung der Zulassung veröffentlichungspflichtig. Im letzten Fall bestünde die Ad-hoc-Publizitätspflicht, wenn zwar irgendjemand von den Informationen weiß, nicht jedoch der Emittent, und dieser sie auch nicht kennen konnte. Wäre das Wissen(müssen) des Emittenten hingegen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs. 1 WpHG a.F. anzusehen, griffe die Offenlegungspflicht zu einem mitunter weitaus späteren Zeitpunkt. Insiderinformationen wären erst zu veröffentlichen, wenn die für ad-hocMitteilungen zuständige Stelle von den Tatsachen positive Kenntnis hat oder hätte erlangen können. Neben einer objektiven Bestimmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und dem Kennen(müssen) als Tatbestandsvoraussetzung kommt die Berücksichtigung des Wissenselements im Rahmen des Merkmals der Unverzüglichkeit in Betracht, sodass der Zeitraum zur Umsetzung der Veröffentlichung von der Kenntnis oder Kenntnisnahmemöglichkeit abhinge. Die Frage, inwieweit § 15 Abs. 1 WpHG a.F. die Kenntnis oder das Kennenmüssen von insiderrelevanten Umständen voraussetzt, zeigt sich demnach an den möglichen Entstehungs- und Umsetzungszeitpunkten der Veröffentlichungspflicht, die weit voneinander abweichen können.

6

Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 52; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 15 WpHG Rdn. 19; Dirigo, Haftung für fehlerhafte Ad-hoc-Publizität, 2011, S. 207 ff. (zu § 826 BGB). 7 Die weiteren Anforderungen des § 15 WpHG an veröffentlichungspflichtige Informationen, wie die Kursrelevanz und die fehlende Möglichkeit eines Aufschubs der Veröffentlichung sind zu unterstellen.

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

a) Kennen(müssen) als Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht Teilweise wird grundsätzlich die Kenntnis des Emittenten von den zu veröffentlichenden Insiderinformationen verlangt.8 Gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht verstößt nach dieser Auffassung ein Emittent, der umfassend Kenntnis von Informationen hat und dementsprechend weiß, dass sie nicht öffentlich bekannt sowie kursrelevant sind und ihn selbst unmittelbar i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. betreffen, diese Informationen jedoch nicht veröffentlicht. Zur Begründung wird angeführt, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht die juristische Person nur treffen könne, wenn sie Kenntnis von den Insiderinformationen habe, weil sie ihre Handlungspflicht nur verletzen könne, wenn sie weiß, was zu melden sei.9 Dafür spreche auch, dass die Meldepflicht nicht an den Informationsträger, sondern seit dem AnSVG ausdrücklich an den Emittenten adressiert sei, den die Insiderinformationen betreffen. Ist der Emittent nicht Informationsträger, könne von einem „Betreffen“ nur kraft Zurechnung von Kenntnis ausgegangen werden.10 Die Zurechnungskriterien seien gesellschaftsrechtlich zu entwickeln, weil § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. hierzu keine Aussage zu entnehmen sei.11 Rechtsgeschäftliche Lösungsansätze, die sich etwa im Vertretungsrecht an § 166 BGB orientieren, sollen nicht herangezogen werden, da es sich bei der Ad-hoc-Publizität um eine öffentlich-rechtliche Inpflichtnahme juristischer Personen handle. In Betracht kämen hingegen die Organtheorie oder eine wertende Beurteilung anhand der Frage, ob und in welchem Umfang der juristischen Person eine Pflicht zur Organisation des internen Informationsflusses obliege.12 Da der Vorstand für die Erfüllung der Adhoc-Publizitätspflicht verantwortlich sei, sollen andere Organe wie der Aufsichtsrat bzw. seine Mitglieder als Wissens- und Zurechnungsträger nicht in Betracht kommen.13 Nach einer anderen Auffassung spielt die Kenntnis des Emittenten schon für den Begriff der Insiderinformationen eine Rolle. Es sei zwischen kognitiven und voluntativen Informationen zu unterscheiden.14 Erstere seien gesellschaftsbezogene Ereignisse, die im Geschäftsverlauf des Emittenten unabhängig von willensbedingten Handlungen von Mitarbeitern der Gesellschaft, also entscheidungsfrei eintreten.15 Diese seien von den zuständigen Stellen des Emittenten zur Kenntnis zu nehmen, wobei gegebenenfalls eine Wissenszurechnung nach den allgemeinen 8 Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 10 Rdn. 24; Ekkenga, NZG 2013, 1081, 1085; Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72, 76. 9 Ekkenga, NZG 2013, 1081, 1085. 10 Ekkenga, NZG 2013, 1081, 1085. 11 Ekkenga, NZG 2013, 1081, 1085. 12 Ekkenga, NZG 2013, 1081, 1085. 13 Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72, 76. 14 Happ/Semler ZGR 1998, 116, 125. 15 Happ/Semler ZGR 1998, 116, 125.

I. Ad-hoc-Publizität, § 15 Abs. 1 WpHG a.F.

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Grundsätzen (§ 166 Abs. 1 BGB oder § 31 BGB) vorzunehmen sei, damit nach § 15 Abs. 1 WpHG a.F. publizitätspflichtige Informationen vorliegen.16 Interne Vorgänge dagegen, die von Mitarbeitern oder Organen eingeleitet oder angeregt werden, zeichnen sich dadurch aus, dass der Emittent durch Willensakte der handelnden Personen selbst über den Eintritt der Ereignisse entscheide. Diese voluntativen Informationen würden publizitätspflichtig, wenn sie durch die Entscheidung des zuständigen Organs endgültig sind.17 Die Meldepflichtigkeit der Informationen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG hängt damit nur bei kognitiven Insiderinformationen vom Wissen der in der juristischen Person für die Ad-hoc-Publizitätspflicht zuständigen Stelle, bei voluntativen hingegen von einer willensbedingten Handlung ab. b) Objektive Bestimmung der Veröffentlichungspflicht Überwiegend wird dafür plädiert, die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität vor Inkrafttreten der MAR im Grundsatz objektiv zu bestimmen. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. setze nicht voraus, dass der Emittent die Insiderinformationen kennt.18 Bereits das Entstehen der Insiderinformationen löse die Pflicht aus, sofern die rein objektive Möglichkeit zur Veröffentlichung bestehe.19 Als Begründung werden der Wortlaut des Art. 6 der Marktmissbrauchsrichtlinie und des § 15 Abs. 1 WpHG in der Fassung des 2. FFG und des AnSVG angeführt, welche die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Emittenten nicht explizit fordern.20 Hieran habe auch § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG a.F.21 nichts geändert, demzufolge im Falle einer unwissentlichen Mitteilung von Insiderinformationen an Dritte die Veröffentlichungspflicht nachzuholen ist. Erfasst seien insbesondere die Fälle, in denen sich der Informationsüberlassende über den Umstand der Weitergabe nicht bewusst ist oder er über die Verschwiegenheitspflicht des Dritten oder den Charakter der Informationen als Insiderinformationen irrt,22 sodass § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG a.F. nur eine zusätzliche Veröffentlichungspflicht statuiere, nicht jedoch die grundsätzlich bereits aufgrund von § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. bestehende einschränke.23 Da die Ad-hoc-Publizitätspflicht keine Kenntnis des Emittenten voraussetze, seien nicht nur in der Gesellschaft bekannte Umstände zu veröffentlichen, sondern es bestehe eine Verpflichtung, sich der Umstände zu versichern, um sie dann veröf16

Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 125. Happ, JZ 1994, 240, 242 f., ders./Semler ZGR 1998, 116, 125. 18 S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 56; Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 98. 19 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1466 f.; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 2. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 28. 20 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 42. 21 Neufassung nach dem AnSVG vom 28. 10. 2004. 22 Leuering, NZG 2005, 12, 17. 23 Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 2. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 28. 17

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

fentlichen zu können.24 Eine Wissenszurechnung sei demnach im Ausgangspunkt obsolet.25 Die Norm setze vielmehr eine Gesellschaftsorganisation voraus, die unabhängig von der Person des beteiligten Mitarbeiters eine Veröffentlichung garantiere.26 Im Zusammenhang mit den Schadensersatzansprüchen wegen unterbliebener bzw. verspäteter Veröffentlichung könnten sich jedoch für das Verschulden gem. § 37b Abs. 2 WpHG a.F. durchaus Zurechnungsprobleme ergeben.27 c) Unverzügliche Veröffentlichung Soweit man die Frage des Wissens bzw. des Wissenmüssens des Emittenten nicht schon auf der Ebene des objektiven Tatbestands verortet, bildet das Merkmal der Unverzüglichkeit Anknüpfungspunkt für das Wissen bzw. Wissenmüssen des Emittenten von den Insiderinformationen. In europäischen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften wird der Begriff „unverzüglich“ nicht definiert, aber vielfach28 und synonym zu „so bald als möglich“29 verwendet. Die von § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. verlangte unverzügliche Information des Kapitalmarkts entspricht nach herrschender Auffassung einer Handlung ohne schuldhaftes Zögern im Sinne der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB.30 Ein solches schuldhaftes Zögern liege vor, wenn der Emittent nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen trifft, die Insiderinformationen vollständig zu erfassen, gegebenenfalls weiterzuleiten, zu bewerten und letztlich zu veröffentlichen.31 Die Pflicht des 24

Hellgardt, DB 2012, 673, 675. Versteegen, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 115 Rdn. 110. 26 Spindler/Speier, BB 2005, 2031, 2032. 27 Ziemons, NZG 2004, 537, 542; Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 70. 28 Vgl. Börsenzulassungsrichtlinie (Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 05. 03. 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABl. Nr. L 066 vom 16. 03. 1979, S. 21); Art. 68 der Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie (Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 05. 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABl. Nr. L 184 vom 06. 07. 2001, S. 1). 29 Vgl. Erwägungsgrund 24 und Art. 6 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie und Art. 2 Abs. 2 und 3 der Durchführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. 12. 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, ABl. Nr. L 339 vom 24. 12. 2003, S. 70). 30 Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.6.3.; Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 103; Kümpel/Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 15 Rdn. 217; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 15 WpHG Rdn. 49; Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 10 Rdn. 128; Buck-Heeb, NZG 2016, 1125, 1131. 31 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1467; Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 103; Kümpel/Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 15 Rdn. 217. 25

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§ 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. verletze der Emittent dagegen nicht, wenn er – trotz organisatorischer Vorkehrungen hinsichtlich des internen Informationsflusses – keine Kenntnis von den relevanten Insiderinformationen hat und diese damit schuldlos nicht veröffentliche.32 Somit müsse der Emittent, um dem Verschuldensvorwurf zu entgehen, organisatorische Vorkehrungen treffen, die es ihm ermöglichen würden, die Veröffentlichung von Insiderinformationen unverzüglich durchzuführen.33 Diese objektivierte Organisationspflicht der juristischen Person ist Anknüpfungspunkt für eine Wissenszurechnung,34 die den auf Pflichtverletzungen basierenden Zurechnungsprinzipien entspricht.35 Angesichts der Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der internen Kommunikation, führe das Unterlassen der gebotenen Weitergabe von Wissen an den Emittenten dazu, dass dieser sich so behandeln lassen müsse, als habe er Kenntnis von den Umständen gehabt.36 Es herrscht für die bisherige Rechtslage somit weitgehend Einigkeit darüber, dass die Meldepflicht entsteht, sobald die Tatbestandsmerkmale der Insiderinformation i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. ohne Berücksichtigung eines kognitiven Elements vorliegen, und dass diese Pflicht unverzüglich zu erfüllen ist.37 Dem Erfordernis der Unverzüglichkeit entspricht der Emittent nicht, wenn er über alle Umstände informiert ist, die Veröffentlichung aber nicht in die Wege leitet oder wenn er fahrlässig Wissensorganisationspflichten verletzt. Seine Kenntnis ist insofern für die Erfüllung des Tatbestands des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. nicht notwendig, weil ihm letztlich auch ein Wissenmüssen und damit ein unwissentlicher Verstoß gegen eine Wissensorganisationspflicht angelastet werden kann. Andererseits ist das Wissen 32 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1467; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 15 WpHG Rdn. 50; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2015, § 17 Rdn. 30; Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 20; a.A. S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 65, der davon ausgeht, ein objektiver Verstoß liege auch beim einzelnen Versagen eines ansonsten ordnungsgemäßen Informationssystems vor. 33 OLG München, Musterentscheid v. 15. 12. 2014 – Kap 3/10, BeckRS 2015, 4649 Rdn. 434. 34 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1465; Spindler/Speier, BB 2005, 2031, 2032. 35 Siehe C. II. 2., 3. und 4. 36 Der Veröffentlichungspflicht sei zu entnehmen, dass der Emittent einerseits berechtigt ist, Insiderinformationen übermittelt zu verlangen, wenn diese sich in einem verbundenen Unternehmen ereignet haben, den Emittenten aber unmittelbar betreffen. Andererseits sei das verbundene Unternehmen verpflichtet, die Informationen ohne Aufforderung an den Emittenten weiterzuleiten. Den hierfür erforderlichen durchsetzbaren Informationsanspruch des Emittenten gegen ein verbundenes Unternehmen leitete das Gericht in dem zugrunde liegenden konzernrechtlichen Sachverhalt aus der richtlinienkonformen Auslegung des § 15 WpHG a.F. ab, LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1466 Rdn. 195 ff. 37 Vgl. LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1461 Rdn. 158, 1466 Rdn. 197, 1467 Rdn. 200, das von „Entstehen“ und „Einsetzen“ der Adhoc-Publizität zu diesem Zeitpunkt ausgeht, aber danach einen gewissen Veröffentlichungszeitraum zubilligt.

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eine hinreichende Bedingung, da es den Beginn des Zeitraums determiniert, in welchem der Emittent prüfen darf, ob die Informationen veröffentlicht werden müssen.38 Das Wissen bestimmt den zeitlichen Umfang der Beurteilungsphase, da ein Emittent in Kenntnis aller Umstände die Schwelle der Unverzüglichkeit deutlich schneller überschreitet als derjenige, der keine Kenntnis hat.39 Bei Insiderinformationen, die vorhersehbar sind, verdichtet sich die unverzügliche Publizitätspflicht faktisch zu einer sofortigen.40 aa) Kritik am Verständnis der Unverzüglichkeit i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB Vereinzelt wird der Rückgriff auf § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Ad-hoc-Publizitätspflicht des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG kritisiert, weil es sich um eine Pflicht handle, die sich erga omnes richte, ohne Zugangserfordernis bei der anderen Seite.41 Sie trete unabhängig vom Willen des Handelnden ein und mangels rechtsgeschäftlicher Wirkung bestehe keine Wertungsparallele zum Regelungsinhalt des § 121 BGB, weshalb das Argument der Einheit der Rechtsordnung nicht überzeuge.42 Die Frage nach dem vorwerfbaren Organisationsverschulden sei mithilfe einer autonomen richtlinienkonformen Auslegung der Unverzüglichkeit zu beantworten, statt den Begriff aus § 121 BGB abzuleiten.43 Einer vereinzelt gebliebenen Ansicht nach wird „unverzüglich“ als Synonym zu „sofort“ angesehen.44 Dieses Verständnis der Ad-hoc-Publizitätspflicht, die auch im Rahmen der Unverzüglichkeit weder Kenntnis noch fahrlässige Unkenntnis beim Emittenten voraussetzt, hat Konsequenzen für die Möglichkeit der BaFin, gegen den Emittenten einzuschreiten. Die Aufsichtsbehörde überwacht gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 WpHG a.F. „die Einhaltung der Verbote und Gebote“ des WpHG und „kann Anordnungen treffen, die zu ihrer Durchsetzung geeignet und erforderlich sind“. Die Anordnungen kann die BaFin bei der streng objektiven Publizitätspflicht bereits treffen, wenn der Emittent von seiner Versäumnis keine Kenntnis hat oder auch nur haben kann. Diese Konsequenz sei zu begrüßen, weil auch bei der objektiven Versäumnis eine konkrete Gefahr des Insiderhandels bestehe, der abgeholfen werden müsse.45 Es handle sich damit um eine präventive Beseitigung und nicht um die

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Sajnovits, WM 2016, 765, 766. Klöhn, NZG 2017, 1285, 1285 f. 40 OLG München, Musterentscheid vom 15. 12. 2014 – Kap 3/10, BeckRS 2015, 4649 Rdn. 434; Möllers, FS Horn, 2006, S. 473, 480. 41 Möllers, FS Horn, 2006, S. 473, 477. 42 Möllers, FS Horn, 2006, S. 473, 477 f. 43 Möllers, FS Horn, 2006, S. 473, 479, 482 ff. 44 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 42 f. 45 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 45. 39

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repressive Sanktionierung eines rechtswidrigen Zustands.46 Das Verständnis der Pflicht zur unverzüglichen im Sinne einer sofortigen Veröffentlichung wird mit den Begriffen in anderen Sprachfassungen des Erwägungsgrundes 24 und des Art. 6 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie begründet. Die Wortwahl „prompt“, „rapide“ und „rápida“ anstelle von „as soon as possible“, „dès que possible“ und „cuanto antes“ lege eine sofortige Publikation nahe und lasse keinen Spielraum für subjektive Abweichungen.47 In den englischsprachigen Vorentwürfen werden die Begriffe „without delay“, „promptly“ und „as soon as possible“ allerdings synonym benutzt und damit ohne Umschreibung einer unterschiedlichen Zeitspanne.48 Der textliche Befund lässt die Folgerung einer Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung daher nicht zu. bb) Verhältnis zum Verschuldenserfordernis der §§ 37b, 39 WpHG a.F. Wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen ist der Emittent nach § 37b Abs. 1 WpHG a.F. zum Schadensersatz verpflichtet, sofern er nicht gem. § 37 Abs. 2 WpHG a.F. nachweisen kann, dass die Unterlassung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Unklar ist für die Schadensersatzregelung des § 37b WpHG a.F., ob das Merkmal der Unverzüglichkeit zum haftungsbegründenden Tatbestand gehört. Die herrschende Ansicht verneint dies und sieht die Unverzüglichkeit als Verschuldenselement an, das bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs und auch bei der Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 39 Abs. 2 Nr. 5 lit. a WpHG a.F. anhand der Verschuldensmaßstäbe des § 37b Abs. 2 WpHG a.F. und des § 39 Abs. 2 WpHG a.F. modifiziert wird.49 Im Kontext der Schadensersatzhaftung wird der Emittent durch die Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz in materiell-rechtlicher Hinsicht besser gestellt, in beweisrechtlicher Hinsicht mit der Beweislastumkehr hingegen schlechter. Diese soll sich auch auf das schuldhafte Zögern erstrecken.50 In der Sache geht es zwar um die Begründung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs, die an dieser Stelle vorgebrachten Überlegungen weisen aber eine Parallele zur Wissenszurechnung auf, weil dem Emittenten mangelhafte Organisation eines Informationssystems vorgeworfen wird. Der Emittent hat sich hinsichtlich der für die Verzögerung maßgeblichen Umstände

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Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 42 f. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 42 f. 48 Möllers, FS Horn, 2006, S. 473, 487. 49 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02.2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1467; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 327; Zimmer/Grotheer, in: Schwark/ Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 37c WpHG Rdn. 53; a.A. Rössner/Bolkart, ZIP 2002, 1471, 1474. 50 Zimmer/Grotheer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 37c WpHG Rdn. 63; a.A. Möllers/Leisch, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, §§ 37b, c Rdn. 192 ff. 47

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zu entlasten, indem er das Bestehen eines ordnungsgemäßen internen Informationsflusses belegt.51 Nach anderer Auffassung stellt das Merkmal der Unverzüglichkeit kein Verschuldenselement dar, sondern ihm ist eine Konkretisierung des Pflichteninhalts zu entnehmen.52 Unter Zugrundelegung eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs ergebe sich dies schon aus § 121 BGB.53 Die Unverzüglichkeit müsse unabhängig von individuellen Besonderheiten einzelner Emittenten beurteilt werden.54 Um dem Ziel, die Primärpflicht und das Verschulden nicht zu vermischen, gerecht zu werden, wird die Frage des vorwerfbaren Verhaltens nach dieser Ansicht erst im Schadensersatz relevant.55 Auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Emittenten kommt es hingegen nicht erst im Rahmen des Verschuldenselements in der Sanktionsnorm an, sondern das Wissenselement ist bereits bei der Frage der Verletzung der Ad-hocPublizitätspflicht relevant. Wenngleich sie unabhängig von der Kenntnis des Emittenten entstehen könne, soll für den Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. notwendig sein, dass die Ad-hoc-Veröffentlichung „nicht rechtzeitig“ vorgenommen wird.56 Haftungsvoraussetzung sei das Überschreiten eines im Einzelfall abstrakt zu bestimmenden Zeitraums für die Veröffentlichung.57 2. Informationsorganisationspflichten Für die Ad-hoc-Publizitätspflicht des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Veröffentlichung möglich gewesen wäre, hätte der Emittent alle organisatorischen Vorkehrungen getroffen. Unabhängig davon, ob die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Emittenten von den Insiderinformationen für die Entstehung der Publizitätspflicht, bei ihrer unverzüglichen Erfüllung oder der Haftung nach § 37b WpHG a.F. als berücksichtigungsfähig angesehen wird, besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit hinsichtlich der vom Emittenten geforderten Pflicht, organisatorische Vorkehrungen zur Insiderinformationserkennung, gegebenenfalls -weiterleitung, -bewertung und zur Veröffentlichung zu treffen.58 Da die Veranlassung der 51 S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 62, 67. 52 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 258; zustimmend Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 100. Unklar bleibt, warum Klöhn eine Konkretisierung des Pflichteninhalts annimmt, aber dennoch eine Veröffentlichung „ohne schuldhaftes Zögern“ verlangt, vgl. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 42 Fn. 64. 53 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 42 Fn. 64. 54 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 258. 55 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 258; wohl auch Sajnovits, WM 2016, 765, 766. 56 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 258. 57 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 258 f., 351. 58 OLG München, Musterentscheid vom 15. 12. 2014 – Kap 3/10, BeckRS 2015, 4649 Rdn. 434; LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451,

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Ad-hoc-Mitteilung zum Kernbereich der Leitungsfunktion des Vorstands gehört, den er nicht auf untere Führungsebenen übertragen kann,59 obliegt ihm nach alter Rechtslage auch die Pflicht, ein effizientes System zum Wissensmanagement zu organisieren. Wenngleich dem Gesetz das „Ob“ einer Wissensorganisation entnommen wurde, lassen sich keine Hinweise dazu finden, wie ein effizientes Informationsorganisationssystem beschaffen sein muss. Angesichts der Vielgestaltigkeit der juristischen Personen, etwa im Hinblick auf ihre Größe, Anzahl der Mitarbeiter und eingehenden Informationen, war eine gesetzliche Festschreibung wohl auch nicht zielführend. Zur Wahrung von Rechtssicherheit soll gleichwohl die Rechtsfortbildung zur Wissenszurechnung bzw. -organisation Berücksichtigung finden.60 Zur Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. muss der Emittent zunächst organisatorische Vorkehrungen treffen, um Sachverhalte, die potenziell veröffentlichungspflichtig sind, zu erkennen und aufzuklären.61 Da Insiderinformationen in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft entstehen können, und damit auch in solchen, die nicht zur Entscheidung über die Veröffentlichung berechtigt sind, trifft den Emittenten eine Pflicht zur Informationsweiterleitung. Insbesondere dem Vorstand obliegt eine Informationsabfragepflicht, die darin besteht, nach Informationen zu fragen, die erkennbar in einem anderen Bereich innerhalb der juristischen Person vorhanden sind.62 Gleichzeitig ist zu gewährleisten, dass relevante Informationen einer entscheidungsberechtigten Person oder einem Gremium zugeleitet werden.63 Fraglich ist, ob die Weiterleitungspflicht an ein Vorstandsmitglied ausreicht, um von einem effizienten Informationsweiterleitungssystem auszugehen. In Anlehnung an die relative Wissenszurechnung nach wertender Betrachtung kann hier der Gedanke der Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder für die Leitung der Gesellschaft fruchtbar gemacht werden. Aus der Verantwortung resultiert die Kontrollpflicht, die einzelne Mitglieder verpflichtet, ihre Vorstandskollegen über die Angelegenheiten zu informieren, sofern sie bedeutsam sind.64 Einem einzelnen Organmitglied ist es demnach grundsätzlich zumutbar, den Gesamtvorstand von der eigenen Kenntnis von Insi1467; Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 103; Kümpel/Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 15 Rdn. 217; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 329 f.; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 15 WpHG Rdn. 49. 59 Möllers/Leisch, WM 2001, 1648, 1652. 60 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 23. 61 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI Z 51/10, NJW 2012, 1800, 1803 f.; Hellgardt, DB 2012, 673, 675 f. 62 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 24; Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 70; zur Informationsabfrage innerhalb juristischer Personen im allgemeinen Zivilrecht Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 12; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 29. 63 OLG München, Musterentscheid vom 15. 12. 2014 – Kap 3/10, BeckRS 2015, 4649 Rdn. 434; Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.6.3. 64 Wiesner, in: Hoffmann-Becking, HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 4. Aufl., 2015, § 22 Rdn. 25; Fleischer, DB 2019, 472, 472 f.

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derinformationen zu unterrichten.65 Es bedarf daher keines Rückgriffs auf die Organtheorie, um der juristischen Person das Wissen eines einzelnen Organmitglieds dem gesamten Organ zuzurechnen.66 Nicht unüblich ist jedoch eine Ressortaufteilung zwischen den Vorstandsmitgliedern. Es lassen sich die Situationen unterscheiden, dass das informierte Vorstandsmitglied die Verantwortung für Ad-hocVeröffentlichungen übernommen hat, oder dass gerade dieses Vorstandsmitglied nicht über das relevante Wissen verfügt. Es bestehen jedoch Zweifel daran, ob der im Grundsatz nur intern wirkenden Geschäftsverteilung eine derartige Außenwirkung zukommen kann, die einer gegenseitigen Zurechnung von Organwissen entgegensteht.67 Richtigerweise kann die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. nicht von der Kompetenzverteilung innerhalb der juristischen Person abhängen, denn es soll gerade verhindert werden, Anreize für eine Segmentierung von Wissen zu setzen. Die Überwachungs-, bzw. Kontrollpflicht aller Vorstandsmitglieder bezieht sich auch auf die ihnen nicht zugewiesenen Ressorts,68 weshalb das Berichterstattungssystem sicherstellen muss, dass in Vorstandssitzungen oder durch ein Kontrollressort der Gesamtvorstand Kenntnis von der Ressorttätigkeit einzelner Organmitglieder erlangt.69 Die Aufteilung ändert daher nichts an der grundsätzlichen Pflicht zu Weiterleitung an die entscheidungsberechtigte Person und der Zurechnung von Wissen einer für die Ad-hoc-Publizität unzuständigen Person. Eine Zurechnung von Informationen „am Vorstand vorbei“ sollte jedoch ausgeschlossen sein.70 Konstellationen, in denen Insiderinformationen weder im Kenntnisbereich des Vorstands, noch in dem ihm zugewiesenen Organisationsbereich entstehen, sondern, wie etwa die Bestellung und Abberufung des Vorstands nach § 84 AktG, in den originären sachlichen Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats fallen,71 zeichnet aus, dass der Vorstand gerade keine Kenntnis erlangen soll, und diese daher nicht fingiert werden könne.72 Eine Zurechnung von Wissen des Aufsichtsrats wird lediglich in Betracht gezogen, sofern der Aufsichtsrat in das Informationssystem eingebunden ist.73

65 Wiesner, in: Hoffmann-Becking, HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 4. Aufl., 2015, § 22 Rdn. 25. 66 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 324 f.; a.A. wohl Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, 26, sofern auf diesem Weg das Einzelwissen aller Organmitglieder modifikationslos zusammengerechnet wird. 67 Skeptisch daher Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 324. 68 Wiesner, in: Hoffmann-Becking, HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 4. Aufl., 2015, § 22 Rdn. 24; Fleischer, DB 2019, 472, 475. 69 Wiesner, in: Hoffmann-Becking, HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 4. Aufl., 2015, § 22 Rdn. 25. 70 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 329. 71 Fuchs, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 333. 72 Fuchs, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 333. 73 Krit. angesichts möglicher Kompetenzüberschreitungen des Aufsichtsrats im Falle einer Kommunikationsüberwachung Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 329.

I. Ad-hoc-Publizität, § 15 Abs. 1 WpHG a.F.

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Neben der Informationserkennungs- und -weiterleitungspflicht, muss der Emittent eine Pflicht zur Informationsbewertung innerhalb einer Prüffrist wahrnehmen, um festzustellen, ob eine Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. besteht.74 Werden die Informationen von der zuständigen Stelle als ad-hocpflichtig bewertet, sind die Vorabmitteilung nach § 15 Abs. 4 WpHG a.F. und die Veröffentlichung durchzuführen. Um eine unverzügliche Ad-hoc-Mitteilung sicherzustellen, hat der Emittent nach alter Rechtslage die hierfür notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. 3. Bewertung Vor Inkrafttreten der MAR war die positive Kenntnis des Emittenten von den adhoc zu veröffentlichenden Insiderinformationen weder vollständig bedeutungslos noch Voraussetzung für das Entstehen der Publizitätspflicht. Positive Kenntnis ist jedoch zumindest hinreichende Bedingung für die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F., denn veröffentlicht der Emittent trotz seines Wissens um die Insiderinformationen diese nicht, verstößt er gegen die Veröffentlichungspflicht. Das Wissen und Wissenmüssen ist für den einzuhaltenden Erfüllungszeitpunkt der Offenlegungsverpflichtung entscheidend und spielt daher im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Unverzüglichkeit eine Rolle. Nicht unverzüglich handelt ein Emittent, wenn die Veröffentlichung nach dem Zeitpunkt stattfindet, an welchem er bei ordnungsgemäßer Organisation von den Insiderinformationen hätte Kenntnis erlangen und sie hätte publizieren können. Der Emittent verstößt somit gegen die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F., sofern ihm vorzuwerfen ist, dass er die Insiderinformationen hätte kennen müssen und (früher) hätte veröffentlichen können, wenn er dies anhand eines effizientes System der Wissensorganisation hätte sicherstellen können. Das Informationsmanagement ist auch im Rahmen der Schadensersatzhaftung wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 37 Abs. 1 WpHG a.F. zu berücksichtigen. Der Grad des vorwerfbaren Organisationsverschuldens wird durch den Verschuldensmaßstab in § 37b Abs. 2 WpHG a.F. erhöht. Ein Versagen des ansonsten ordnungsgemäßen Wissensorganisationssystems kann damit zur Vermeidung der Haftung führen. Gleiches gilt für die Bußgeldvorschrift § 39 Abs. 2 WpHG a.F. Für den Vorstand besteht damit nach alter Rechtslage faktisch ein Zwang, Mechanismen zur Informationsspeicherung, -erkennung, -aufklärung, und -bewertung einzurichten.75 Den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Informationsorganisation in Bezug auf die kapitalmarktrechtliche Publizitätspflicht zu stellen sind, liegen die in der deutschen Rechtsprechung und Literatur entwickelten

74 75

BGH, Urt.v. 13. 12. 2011 – XI Z 51/10, NJW 2012, 1800, 1805. Tollkühn, ZIP 2004, 2215, 2216.

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

Grundsätze zur Wissenszurechnung bzw. -organisation zugrunde.76 Der Rückgriff auf diese Prinzipien ist mit den Vorgaben der Art. 1 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie vereinbar, weil die Richtlinie nur Mindestvorgaben enthält.77 Die Zurechnung anhand der Grundsätze des nationalen Rechts führt allenfalls zu einer Erweiterung der in § 15 WpHG a.F. geregelten Ad-hoc-Publizitätspflicht gegenüber der Marktmissbrauchsrichtlinie, weshalb kein Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben vorliegt.78

II. Insiderhandel, § 14 WpHG a.F. Der subjektive Tatbestand des Insiderhandelsverbots und damit die Bedeutung des Wissens von Insidern ist bereits seit der erstmaligen Normierung in Deutschland Gegenstand des Diskurses in Rechtsprechung und Literatur. § 14 WpHG a.F. enthält mehrere wissensbezogene Tatbestandsmerkmale und bietet daher Anknüpfungspunkte für die Wissenszurechnung bei juristischen Personen. 1. Zweites Finanzmarktförderungsgesetz In seiner ursprünglichen Fassung regelt § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG das Verbot für einen Insider, „unter Ausnutzung seiner Kenntnis von einer Insidertatsache Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung oder für einen anderen zu erwerben oder zu veräußern“. Adressaten sind nach § 13 Abs. 1 WpHG a.F. und Art. 2 Abs. 1 der Insiderrichtlinie79 Personen, die Organmitglied des Emittenten sind, eine Beteiligung am Emittenten halten oder aufgrund ihrer Beschäftigung beim Emittenten Zugang zu Insiderinformationen haben. Weisen juristische Personen die in § 13 Abs. 1 WpHG a.F. genannten Eigenschaften auf, können sie ebenfalls Insider sein. Allerdings soll das Verbot gem. Art. 2 Abs. 2 der Insiderrichtlinie „für die natürlichen Personen, die an dem Beschluss beteiligt sind, das Geschäft für Rechnung der betreffenden juristischen Person zu tätigen“, gelten. Diese Bestimmung ist vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Verantwortung zu sehen, die nicht in allen EGMitgliedstaaten die juristischen Personen tragen.80 Sind hingegen – wie etwa in 76 A.A. wohl S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 56, 62, der davon ausgeht, auf die Grundsätze der Wissenszurechnung käme es „oft“ nicht an, sie aber für vergleichbar mit der Begründung der Fahrlässigkeit im Rahmen der Haftung für Verstöße hält. 77 Dafür Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 15; dagegen von einer Vollharmonisierung ausgehend Möllers, NZG 2008, 330, 332; Büche, Die Pflicht zur Adhoc-Publizität als Baustein eines integeren Finanzmarkts, 2005, S. 85. 78 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1286. 79 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 80 Hopt, ZGR 1991, 17, 43; Singhof, ZGR 2001, 146, 150.

II. Insiderhandel, § 14 WpHG a.F.

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Deutschland – ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen gegen solche möglich, hat Art. 2 Abs. 2 der Insiderrichtlinie lediglich eine klarstellende Funktion.81 Die Organe der juristischen Person unterliegen einerseits selbst Insiderverhaltensgeboten, weil ihnen Insidergeschäfte nicht nur für eigene Rechnung, sondern auch in Stellvertretung für die juristische Person untersagt waren. Andererseits erfüllen sie Verhaltensgebote der juristischen Person.82 Die Verletzung dieser Organpflichten kann Konsequenzen für die juristische Person nach § 30 OWiG zur Folge haben. Die „doppelte Erstreckung der Verbotstatbestände“83 ist notwendig, um zu erreichen, dass die Organe Verantwortung für die Verhinderung von Insiderverstößen tragen, die ihnen nicht allein aufgrund ihrer höchstpersönlichen Stellung als Insider gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. zukommt.84 Ihr Pflichtenkreis erweitert sich dahingehend, dass sie durch organisatorische Vorkehrungen die unbefugte Weitergabe von Insidertatsachen durch Mitarbeiter in Ausübung von deren Tätigkeit für die Gesellschaft verhindern85 und den Kreis der Wissensträger insgesamt klein halten sollen, um dem Missbrauch der Insidertatsachen außerhalb der Gesellschaftsstruktur vorzubeugen.86 a) Vorsatz Der Insider muss mit Vorsatz handeln und somit wissen, dass ein Wertpapiergeschäft i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. und eine Insidertatsache vorliegen. Zudem muss er den Erwerbs- oder Veräußerungsvorgang wollen,87 den er ohne Kenntnis von den vertraulichen Informationen nicht vornehmen würde.88 Umstritten ist, ob bezüglich der Qualität einer Tatsache als Insidertatsache Eventualvorsatz ausreicht. Aus dem Wortlaut „unter Ausnutzung“ wird geschlossen, dass sicheres Wissen erforderlich sei.89 Während sich die Kenntnis im Rahmen der Definition der Insidertatsache in § 13 Abs. 1 WpHG a.F. darauf beziehe, dass die Tatsache noch nicht öffentlich bekannt ist, beziehe sich die in § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. vorausgesetzte Kenntnis auf das Kursbeeinflussungspotenzial, weshalb letztlich für

81 So Dier/Fürhoff, AG 2002, 604, 607 zum gleichlautenden Art. 2 Abs. 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie. 82 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 13 Rdn. 4a. 83 Singhof, ZGR 2001, 146, 150. 84 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 13 Rdn. 4a; ders., AG 1997, 50, 52. 85 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 13 Rdn. 4a; ders., AG 1997, 50, 52; Singhof, ZGR 2001, 146, 151. 86 Singhof, ZGR 2001, 146, 151. 87 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 17; Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 11. 88 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 24. 89 Schröder, NJW 1994, 2879, 2880.

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

beide Merkmale der Insidertatsache sicheres Wissen notwendig sei.90 Für die Praxis ergebe sich das Problem, dass insbesondere bei Personen, die keine besonderen Kenntnisse des Börsenhandels haben, sicheres Wissen, etwa bezüglich der zukünftigen Kursbeeinflussung als Merkmal der Insidertatsache, nur schwer festgestellt werden könne.91 Als Begründung wird auch auf die ähnliche Formulierung in § 283c StGB hingewiesen, der hinsichtlich der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bedingten Vorsatz ausreichen lasse.92 Diese Argumentation ist allerdings methodisch zweifelhaft, weil zur Auslegung der auf einer europäischen Richtlinie basierenden Norm nicht auf mitgliedstaatliches Recht zurückgegriffen werden kann. Überwiegend wird daher zutreffend davon ausgegangen, dass ein Insider nicht sicher wissen muss, ob die Tatsache schon öffentlich bekannt ist oder ob sie bei Bekanntwerden geeignet ist, den Kurs erheblich zu beeinflussen, weshalb er auch eine nur für möglich gehaltene Insidertatsache ausnutzen kann.93 Wer dagegen infolge fahrlässigen Verhaltens nicht erkannt hat, dass es sich bei seinem Wissen um eine Insidertatsache handelt, erfüllt den Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. nicht.94 Hinsichtlich der in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. normierten Weitergabe und Zugänglichmachung von Insidertatsachen wird Vorsatz bzw. die bewusste und willentliche Kenntnisverschaffung und damit die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Unbefugtheit der Mitteilung ergibt, verlangt.95 Das in § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a.F. geregelte Empfehlungsverbot setzt voraus, dass der Empfehlende den Vorsatz hat, den Willen des Adressaten zu beeinflussen.96 b) Ausnutzung i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. als Vorteilserzielungsabsicht Der Insider muss das Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. „unter Ausnutzung seiner Kenntnis von der Insidertatsache“ vornehmen. Das im Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens enthaltene Absichtsmoment bezieht

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Schröder, NJW 1994, 2879, 2880. Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 18; Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 11; dies sieht auch Schröder, NJW 1994, 2879, 2880. 92 Schröder, NJW 1994, 2879, 2880 Fn. 15. Zu § 283c StGB Heine/Schuster, in: Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., 2019, § 283c Rdn. 16. 93 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 18; Hilgendorf, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Handkomm., 2004, §§ 38 I Nr. 1 – 3, 12, 13, 14 WpHG Rdn. 114; Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 11; Kohlmann, FS Vieregge, 1995, S. 443, 451 f. 94 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 22; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2004, Rdn. 16.177. 95 Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 48 f. 96 Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 51. 91

II. Insiderhandel, § 14 WpHG a.F.

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sich nicht auf die Insidertatsache selbst.97 Das Insidergeschäft setzt keine tatsächliche Gewinnerzielung voraus,98 sondern lediglich, dass ein Insider die Tatsache zu dem Zweck verwertet, einen wirtschaftlichen Sondervorteil zu erzielen, und dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Wertpapiergeschäft und der Kenntnis von der Insidertatsache besteht.99 Wäre das Wertpapiergeschäft auch ohne die Kenntnis von der Insidertatsache getätigt worden, läge kein Ausnutzen vor. Ebenso wenig ist das Merkmal erfüllt, wenn die Tatsache vor dem Geschäft öffentlich bekannt wird oder jedenfalls der konkrete Vertragspartner ebenfalls Kenntnis hat.100 Wer aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit Kenntnis von Insidertatsachen erlangt und diese rechtskonform verwendet, nutzt sie auch nicht i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. aus.101 Während die Voraussetzung des Ursachenzusammenhangs, soweit ersichtlich, unbestritten ist, wird am Erfordernis einer Vorteilserzielungsabsicht gezweifelt. Der Vorsatz soll nur auf das Ausnutzen der Insidertatsache zielen, nicht hingegen auf die Erwirtschaftung eines eigenen Vorteils.102 Schließlich seien auch Umgehungsgeschäfte über Strohmänner nicht nur verboten, wenn sie zum Vorteil des Insiders getätigt werden.103 Hiergegen wendet die überwiegende Ansicht ein, dass das Insiderrecht gerade das Gebrauchen eines Wissensvorsprungs zum Nachteil anderer Anleger verhindern soll, das nur vorliege, wenn der Insider einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen möchte, den die anderen Marktteilnehmer mangels Kenntnis von der Insidertatsache nicht erreichen können.104 Ein Vergleich mit § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a.F. zeige auch, dass der Insider nicht nur „auf der Grundlage seiner Kenntnis“ handeln muss, sondern im Rahmen des Erwerbs- und Veräußerungsverbots seine Motivation für das Wertpapiergeschäft relevant ist.105 In der Praxis hatte die Interpretation der Ausnutzung i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. als zweckgerichtetes Handeln Beweisschwierigkeiten zur Konsequenz.106 Da es als Alleinstellungs-

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Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 11. BGH, Beschl. v. 27. 01. 2010 – 5 StR 224/09, ZIP 2019, 426, 428; Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 25. 99 BGH, Beschl. v. 27. 01. 2010 – 5 StR 224/09, ZIP 2019, 426, 428; Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 24; Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 13; Hopt, ZGR 1991, 17, 42. 100 Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 21, 23. 101 BGH, Beschl. v. 27. 01. 2010 – 5 StR 224/09, ZIP 2019, 426, 428; BegrRegE zum 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679 vom 27. 01. 1994, S. 1, 47. 102 Claussen, ZBB 1992, 267, 281, ders., DB 1994, 27, 31. Siebold, Das neue Insiderrecht, 1994, S. 240 verlangt das Vorliegen entweder eines tatsächlich erlangten wirtschaftlichen Vorteils oder einer Gewinnerzielungsabsicht. 103 Claussen, ZBB 1992, 267, 281, ders., DB 1994, 27, 31. 104 Schäfer, in: Schäfer, WpHG, 1999, § 14 WpHG Rdnr. 11; Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 12; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2004, Rdn. 16.163; Caspari, ZGR 1994, 530, 542. 105 Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 12. 106 BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34. 98

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

merkmal angesehen wird, führte es regelmäßig zur Straflosigkeit, sobald weitere, kaum widerlegbare Motive des Insiders hinzutraten.107 c) Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsider Das zentrale Erwerbs- und Veräußerungsverbot für Primärinsider gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. gilt nach dessen Abs. 2 nicht nur für Insider nach § 13 Abs. 2 WpHG a.F., sondern ebenso für Dritte, die Kenntnis von einer Insidertatsache haben und damit Sekundärinsider sind.108 Der Unterschied zum Primärinsider liegt darin, dass es für Sekundärinsider unerheblich ist, auf welche Weise die Person das Insiderwissen erlangt, also von einem Primär- oder Sekundärinsider, zufällig, aufgedrängt oder selbst verschafft.109 Insofern ist § 14 Abs. 2 WpHG a.F. weiter gefasst als Art. 4 der Insiderrichtlinie, deren Umsetzung er diente, weil die Richtlinie vorsieht, dass der Sekundärinsider Kenntnis von Insiderinformationen haben muss, die unmittelbar oder mittelbar von einem Primärinsider stammen. 2. Anlegerschutzverbesserungsgesetz In Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie110 durch das AnSVG erfuhr der Tatbestand des weiterhin in § 14 WpHG a.F. geregelten Insiderhandelsverbots dahingehend eine Änderung, dass das bisherige Merkmal des Ausnutzens der Kenntnis von einer Insidertatsache in § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. durch das Tatbestandsmerkmal des Verwendens von Insiderinformationen ersetzt wurde. In subjektiver Hinsicht von § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. erfasst ist jeder, der, wie das Merkmal des Verwendens von Insiderinformationen implizit voraussetzt, Kenntnis von den betreffenden Insiderinformationen hat.111 Dies legt auch Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie nahe, der das Erwerbs- oder Veräußerungsverbot an diejenigen adressiert, die über Insiderinformationen „verfügen“. Der Tatbestand des in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. geregelten Weitergabeverbots blieb, bis auf die für alle Vorschriften des Insiderrechts vorgenommene Ersetzung der „Insidertatsache“ durch „Insiderinformation“, unverändert und entspricht damit der 107

BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die in § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG geregelten Tatbestände des Verwertens auf Sekundärinsider zu erstrecken, obwohl dies wegen Art. 6 Satz 2 der Insiderrichtlinie möglich gewesen wäre, Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918 vom 15. 06. 1994, S. 95. 109 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 14 Rdn. 75; Schäfer, in: Schäfer, WpHG, 1999, § 14 WpHG Rdn. 29; Schwark, in: Schwark, KMRK, 3. Aufl., 2004, § 14 WpHG Rdn. 68 f. 110 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. Nr. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 111 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 18. 108

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Vorgängernorm. Das Empfehlungsverbot wurde in § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a.F. um die Handlung „Verleiten“ ergänzt. Das Verbot, den Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren zu empfehlen, blieb bestehen, wenngleich es nur noch einen speziellen Unterfall des Verleitens darstellt.112 Im Gegensatz zur vorherigen Rechtslage richten sich das Weitergabe- und das Empfehlungsverbot an alle Personen, die Kenntnis von Insiderinformationen haben, mithin neben Primärinsidern von diesem Zeitpunkt an auch Sekundärinsider.113 Juristische Personen sind weiterhin Normadressaten des Insiderhandelsverbots.114 Da Art. 2 Abs. 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie inhaltsgleich mit Art. 2 Abs. 2 der Insiderrichtlinie115 vorsieht, dass das Insiderhandelsverbot auf die natürlichen Personen zu erstrecken ist, die am Beschluss beteiligt sind, das Geschäft für die juristische Person zu tätigen, kommt es wiederum zur „doppelten Erstreckung der Verbotstatbestände“ für Organe und ihre besondere Verantwortung für die Verhinderung von Insiderverstößen.116 a) Vorsatz Wird zu § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG in der Fassung des 2. FFG noch teilweise vertreten, dolus eventualis reiche nicht für einen Verstoß aus, wird der Auffassung mit der neuen Formulierung die Grundlage entzogen,117 denn der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. „unter Ausnutzung [der] Kenntnis von einer Insidertatsache“ wurde durch „unter Verwendung einer Insiderinformation“ ersetzt und kann daher als Begründung nicht mehr angeführt werden. Die bloße Kenntnis von Insiderinformationen genügt demnach zwar nicht, ausreichend ist jedoch, dass der Insider für möglich erachtet und billigt, dass die Tatsache bei ihrem Bekanntwerden den Börsenoder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich beeinflusst und damit eine Insiderinformation i.S.d. § 13 Abs. 1 WpHG a.F. darstellt.118

112

BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34. Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 182, 361. 114 Hiervon geht die Kommission bereits in der Begründung ihres Richtlinienentwurfs aus, vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über InsiderGeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), KOM(2001) 281 vom 30. 05. 2001, ABl. Nr. C 240 E vom 28. 08. 2001, Begründung S. 7. Die Formulierung „natürliche und juristische[…] Personen“ in Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 wurde lediglich aus Gründen der Kohärenz mit der Definition des Begriffs „Person“ in Art. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie nicht aufgenommen, vgl. Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Richtlinienentwurf der Kommission vom 27.02. 2002, A5 – 0069/2002 (endg.) S. 25. 115 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 116 Vgl. D. II. 1. 117 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 174; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 36. 118 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 174 f. 113

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

Nach der Neufassung des Insiderrechts durch das AnSVG ist nicht mehr nur der vorsätzliche Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. strafbar. Nach § 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 WpHG a.F. reicht Leichtfertigkeit, die der zivilrechtlichen groben Fahrlässigkeit entspricht.119 Die BaFin sieht insbesondere den Fall erfasst, dass der Vorstand beim Handel davon ausgeht, die Insiderinformationen seien bereits veröffentlicht, weil ein dahingehender Auftrag erteilt wurde, ohne dies angemessen zu überprüfen, obwohl ihm bekannt sei, dass es regelmäßig zu einer Verzögerung bei der Veröffentlichung komme.120 Die Abgrenzung zwischen vorsätzlichem und leichtfertigem Handeln ist für das Höchstmaß der Strafandrohung entscheidend, das sich für die Alternativen unterscheidet. Sanktionen für die Tatbestände der in § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG a.F. geregelten Weitergabe- und Verleitungsverbote sind ebenfalls bei vorsätzlichem und leichtfertigem Handeln vorgesehen (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F., § 39 Abs. 2 Nr. 3, 4 WpHG a.F.). b) Kausalzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Insidergeschäft Das Merkmal der Vorteilerzielungsabsicht, das für den Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. nach vorheriger Rechtslage vorliegen musste, entfiel.121 Ausweislich der Regierungsbegründung des AnSVG versprach sich der Gesetzgeber von der Änderung der „Ausnutzung“ zum „Verwenden“ den erleichterten Nachweis eines Insidergeschäfts.122 Der Begriff der Verwendung mache deutlich, dass ein subjektiv zweckgerichtetes Handeln im Hinblick auf einen Sondervorteil, der aus dem Informationsgefälle aufgrund der Kenntnis von Insidertatsachen resultierte, nicht mehr vorausgesetzt werde.123 Dies führte zu erheblichen Zweifeln und Kritik. Vermeintlich kommt es zu einer Ausdehnung des Verbotsumfangs, die zur Folge haben kann, dass jeder Erwerb oder jede Veräußerung von Insiderpapieren durch eine Person, die von Insiderinformationen weiß, ein verbotenes Insidergeschäft darstellt.124 Zentraler Diskussionsgegenstand war daher die Frage, ob die bloße Kenntnis von Insiderinformationen ausreiche125 oder ob ein „aktives“ Gebrauchmachen126 von Insiderinformationen, die damit ursächlich für das Geschäft werden, notwendig sei. 119 Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., 2019, § 15 Rdn. 106, 205 m.w.N. 120 Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 15. 07. 2005, III.2.3.4, S. 35. 121 Cahn, DK 2005, 5, 8; Fromm-Russenschuck/Banerjea, BB 2004, 2425, 2426. 122 BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34. 123 Eine Berücksichtigung bei der Straf- und Bußgeldbemessung bleibe möglich, BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34. 124 Gegen ein solches Verständnis Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 25; Cahn, DK 2005, 5, 9. 125 Dafür Pawlik, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 14 Rdn. 25 ff.; Ziemons, NZG 2004, 537, 539.

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Auf europäischer Ebene werden für das Verständnis der „Nutzung“ der Insiderinformationen in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie als „jedes Handeln im Besitz der Insiderinformation“ Art. 2 Abs. 3 sowie Erwägungsgrund 30 der Marktmissbrauchsrichtlinie angeführt.127 Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie spreche dafür, dass der europäische Gesetzgeber befürwortete, die bloße Verwendung von Insiderinformationen zwar nicht als Straftat oder Ordnungswidrigkeit, wohl aber durch Verwaltungsmaßnahmen zu sanktionieren: Das Europäische Parlament strebte deshalb die Ersetzung von „Ausnutzen“ durch „Verwendung“ an, um die auf einen Zweck oder Vorsatz weisende Komponente entfallen zu lassen.128 Schließlich habe die Umsetzung des Begriffs „Ausnutzung in Kenntnis der Sache“ in manchen nationalen Rechten der Mitgliedstaaten zu abweichenden Auslegungen geführt, da nicht alle Mitgliedstaaten die Formulierung als ein subjektives Tatbestandsmerkmal ansehen.129 Keine andere Folgerung lasse die Formulierung „using“ in der englischen Fassung der Marktmissbrauchsrichtlinie anstelle von „taking advantage of that information“ in Art. 2 Abs. 1 der Insiderrichtlinie zu.130 Dagegen wird angeführt, dass die Wahl der Begriffe „Nutzung“, „using“ und „utiliser“ in der deutschen, englischen und französischen Sprachfassung des Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie verdeutliche, dass aktiv von Insiderinformationen Gebrauch gemacht werden müsse.131 Andernfalls hätte der Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal der „Ausnutzung“ schlicht entfallen lassen können, ohne es durch „Verwendung“ bzw. „Nutzung“ zu ersetzen.132 Wenn das Merkmal eine eigenständige Bedeutung haben soll, müsse es sich um mehr handeln als das Erfordernis bloßer Kenntnis, das sich schon dem „Verfügen“ in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie entnehmen lasse.133 Weder die Materialien zur Richtlinie noch zum AnSVG würden Anhaltspunkte dafür enthalten, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen den Informationen und der Transaktion für § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG nicht erforderlich sei.134 Die Regierungsbegründung geht hingegen davon aus, dass die reine Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in gleicher Weise auch ohne Kenntnis der Insiderinformationen vorgenommen worden wäre, nicht ausrei-

126

So ausdrücklich Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 25. Ziemons, NZG 2004, 537, 539. 128 Ziemons, NZG 2004, 537, 539 unter Verweis auf den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Richtlinienentwurf der Kommission vom 27. 2. 2002 A5 – 0069/2002 (endg.) S. 25; Dier/Fürhoff, AG 2002, 604, 607. 129 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 108, 109 Rdn. 33. 130 Dier/Fürhoff, AG 2002, 604, 607. 131 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 25. 132 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 51. 133 Cahn, DK 2005, 5, 9. 134 Cahn, DK 2005, 5, 9. 127

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che.135 Es besteht daher überwiegend Einigkeit hinsichtlich der nach wie vor erforderlichen (Mit-)Ursächlichkeit der Insiderinformationen für den Erwerb oder die Veräußerung.136 Die Insiderinformationen müssen in das Handeln des Täters (mit) einfließen, wohingegen dieser nicht beabsichtigen muss, mit der Verwendung einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen.137 Interpretiert man das Merkmal „Verwenden“ als ein solches Kausalitätserfordernis zwischen der Kenntnis der Insiderinformationen und der Insiderhandlung, stellt es ein objektives Tatbestandsmerkmal dar.138 c) Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsider Die Marktmissbrauchsrichtlinie differenziert bezüglich des subjektiven Tatbestands bei den Insiderverboten explizit zwischen Primär- und Sekundärinsidern. Im Gegensatz zu Personen, die einem Organ des Emittenten angehören, sowie beteiligungs- oder aufgabenbedingten Primärinsidern, erfordert Art. 4 der Marktmissbrauchsrichtlinie für die nicht in Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie genannten Personen, die Sekundärinsider, dass sie „wussten oder hätten wissen müssen“, dass es sich um Insiderinformationen handelt. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich, Primär- und Sekundärinsider gleichzustellen, weshalb die in § 14 Nr. 1 bis 3 WpHG a.F. geregelten Verbote unterschiedslos für beide Personengruppen Geltung beanspruchten.139 Mit dem Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal des Wissens bzw. Wissenmüssens beim Sekundärinsider entsteht der Eindruck, der deutsche Gesetzgeber sei damit über die Anforderungen der Richtlinie hinausgegangen und habe durch die überschießende Umsetzung das Insiderhandelsverbot für Sekundärinsider verschärft. Es besteht scheinbar ein Wertungswiderspruch, da bei Sekundärinsidern im Vergleich zu Primärinsidern bereits die fahrlässige Unkenntnis der Insidertatsacheneigenschaft auszureichen scheint, um den Tatbestand zu verwirklichen. Allerdings ergibt sich aus der Begründung des Kommissionsentwurfs vom 30. Mai 2001 zu Art. 2, dass man davon ausging, Primärinsider hätten „zwangsläufig täglich Zugang“ zu Insiderinformationen und seien

135 BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34; vgl. auch Art. 2 Abs. 3 der Marktmissbrauchsrichtlinie. 136 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 25; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2009, Vor §§ 12 bis 14 Rdn. 52, § 14 Rdn. 52; Frisch, in: Derleder/Knops/ Bamberger, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2017, § 54 Rdn. 87; Cahn, DK 2005, 5, 9; Fromm-Russenschuck/Banerjea, BB 2004, 2425, 2426 f.; a.A. Pawlik, Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 14 Rdn. 16. 137 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 26; Fromm-Russenschuck/Banerjea, BB 2004, 2425, 2426 f. 138 Schulz, ZIP 2010, 609, 610 a.A. Altenhain, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 38 Rdn. 42; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 55 f.; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 162, die annehmen, es handle sich um ein subjektives Tatbestandsmerkmal, da die Ursächlichkeit der Information für das Handeln ein innerpsychischer Vorgang sei. 139 BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34.

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sich deren „vertraulichen Charakters“ bewusst.140 Das Wissen um die Eigenschaft der Informationen als Insiderinformationen wird daher vorausgesetzt und „quasi als gesetzlich vermutet angesehen“.141 Dies entspricht dem deutschen Rechtsverständnis, nach dem bei allen Insiderdelikten die rechtliche Einordnung der Umstände als Insiderinformationen zwingende Voraussetzung des subjektiven Tatbestands ist.142 Schließlich war mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale und damit auch die Vorstellung des Insiders über die Qualität der Informationen als Insiderinformationen erforderlich.143 Eine ausdrückliche Erwähnung wie in Art. 4 der Marktmissbrauchsrichtlinie kann insoweit lediglich als deklaratorisch angesehen werden.144 Wenngleich die Verbote der in § 14 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 WpHG a.F. genannten Insidergeschäfte in gleichem Umfang für Primärinsider wie auch Sekundärinsider gelten, nutzte der deutsche Gesetzgeber die den Mitgliedstaaten gem. Art. 14 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie eröffnete Möglichkeit, Verwaltungsmaßnahmen bei Verstößen gegen die Vorschriften der Richtlinie auszugestalten, für eine Differenzierung. Ein vorsätzlicher oder leichtfertiger Verstoß gegen das Erwerbs- und Veräußerungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. hat sowohl für Primär-, als auch Sekundärinsider strafrechtliche Konsequenzen gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 WpHG a.F. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Weitergabe- oder Verleitungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 WpHG a.F. ist für den Primärinsider eine Straftat (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 WpHG a.F.), für den Sekundärinsider hingegen nur eine Ordnungswidrigkeit (§ 39 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 WpHG a.F.). Ein leichtfertiger Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 WpHG a.F. stellt sowohl für den Primärinsider als auch den Sekundärinsider eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 39 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 WpHG a.F.). 3. Wissenszurechnung Das Verbot von Insidergeschäften setzt seit der erstmaligen Normierung das Wissen um die Insiderinformationen voraus. Adressaten des Insiderhandelsverbots der ursprünglichen Fassung sind Primär- und Sekundärinsider, die nach § 13 Abs. 1 WpHG a.F. bzw. § 14 Abs. 2 WpHG a.F. positive Kenntnis von einer Insidertatsache haben. Einem Insider müssen zumindest die Umstände bekannt sein, die zwingend den Schluss auf das Vorliegen der Insidertatsache zulassen und er muss diesen Schluss tatsächlich gezogen haben, weil andernfalls lediglich ein Wissenmüssen 140 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über InsiderGeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), KOM(2001) 281 vom 30. 05. 2001, ABl. Nr. C 240 E vom 28. 08. 2001, Begründung S. 7. 141 Dier/Fürhoff, AG 2002, 604, 607. 142 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 57, 115; Dier/ Fürhoff, AG 2002, 604, 607; anders noch Assmann, AG 1994, 237, 240. 143 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 173 f. 144 Dier/Fürhoff, AG 2002, 604, 607.

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vorliegt.145 Eine Insiderstellung kraft Zurechnung des Wissens Dritter scheidet bei natürlichen Personen aus.146 Juristische Personen hingegen können über positive Kenntnis naturgemäß lediglich verfügen, wenn ihnen das Wissen natürlicher Personen zurechenbar ist. Gerade wegen der Möglichkeit der Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, können sie selbst Primärinsider und damit Normadressaten des Insiderhandelsverbots sein.147 Im Rahmen der wissensbezogenen Tatbestandsmerkmale des § 14 WpHG a.F. werden die für das allgemeine Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung bei juristischen Personen herangezogen.148 Es ergeben sich für die juristischen Personen wie im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. WpHG a.F. Wissensorganisationspflichten, die im Kontext des Insiderhandelsverbots darauf ausgerichtet sind, eine unbefugte Weitergabe der Insidertatsachen zu verhindern sowie den Kreis der Wissensträger klein zu halten. Nicht nur § 33 WpHG a.F. verpflichtet Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu Compliance-Maßnahmen, sondern die Organe müssen für juristische Personen als Normadressaten des Insiderhandelsverbots ein effizientes Informationsmanagement betreiben. Das Verbot von Insidergeschäften in der Fassung des § 14 WpHG a.F. nach dem AnSVG setzt wie die Vorgängerregelung Kenntnis des Insiders voraus. Wenngleich dies nicht mehr aus dem Wortlaut des § 14 WpHG a.F. nach der Änderung durch das AnSVG ersichtlich ist, so folgt es doch jedenfalls als logische Konsequenz aus dem Sinn und Zweck des Insiderhandelsverbots, die Integrität der Finanzmärkte149 zu stärken, indem die Erzielung eines Sondervorteils einzelner Markteilnehmer durch einen Informations- und damit Wissensvorsprung verhindert wird.150 Juristische Personen sind weiterhin ebenso Normadressaten wie natürliche Personen, wobei ersteren die Kenntnis der Insiderinformationen ihrer Organe, rechtsgeschäftlichen Vertreter und sonstiger Hilfspersonen nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung des allgemeinen nationalen Zivilrechts zugerechnet wird.151 Aus diesem Grund werden Fragen der Wissenszurechnung im Zusammenhang mit dem Verbot von Insidergeschäften vor Inkrafttreten der MAR in Rechtsprechung und Literatur nicht gesondert diskutiert.

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Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 13 Rdn. 72a. Eisele, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 2. Aufl., 2001, § 109 Rdn. 42; zustimmend Schäfer, in: Schäfer, WpHG, 1999, § 3 Rdn. 36. 147 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 13 Rdn. 4a; Schäfer, in: Schäfer, WpHG, 1999, § 13 Rdn. 26; Caspari, ZGR 1994, 530, 541 f.; Singhof, ZGR 2001, 146, 150. 148 Schäfer, in: Schäfer, WpHG, 1999, § 14 WpHG Rdn. 26 verweist auf die §§ 28 Abs. 2, 31, 166 BGB. 149 Erwägungsgrund 12 der Marktmissbrauchsrichtlinie. 150 So schon BegrRegE zum 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679 vom 27.01.94, S. 47. 151 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 14 Rdn. 58; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 7. 146

III. Rechtsprechung des EuGH

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III. Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat in einigen Entscheidungen direkt oder indirekt Stellung zu subjektiven Tatbestandsmerkmalen und speziell zur Kenntnis und zum Kennenmüssen von Insidern im Rahmen des Insiderhandelsverbots sowie zu Wissensorganisationspflichten im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht Stellung genommen. 1. Grøngaard und Bang Das Urteil Grøngaard und Bang erging am 22. November 2005.152 Das Vorabentscheidungsersuchen betraf die Auslegung des Verbots der Weitergabe von Insiderinformationen gem. Art. 3 lit. a der Insiderrichtlinie.153 Da der die Insiderinformationen weitergebende Primärinsider in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreit eine natürliche Person war und diese Informationen unstreitig erhalten hatte, war der subjektive Tatbestand nicht Gegenstand des Urteils. Der EuGH verwendete die den Tatbestand objektiv beschreibende Formulierung, dass ein Insider über eine Information „verfügt“ bzw. der Insider „in den Besitz einer solchen Information gelangt“ synonym.154 2. Georgakis Das Urteil Georgakis wurde am 10. Mai 2007 verkündet.155 Das Gericht beschäftigte sich mit der Frage, ob Personen, die Börsengeschäfte mit dem Ziel abgesprochen haben, den Kurs künstlich zu stützen, über eine Insiderinformation verfügen, die sie in Kenntnis der Sache ausnutzen. In diesem Fall würden sie unter das Verbot der Ausnutzung von Insiderinformationen des Art. 2 Abs. 1 der Insiderrichtlinie fallen. Der Gerichtshof entschied, dass „[d]ie Kenntnis vom Vorliegen [der] Entscheidung und ihres Inhalts [, bestimmte Börsengeschäfte vorzunehmen,] für diejenigen, die an der Entscheidung beteiligt waren, eine Insider-Information i.S.d. Art. 1 Abs. 1 [der Insiderrichtlinie] darstellt“.156 Die Kenntnis der Insiderin152

EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02 (Grøngaard und Bang), EU:C:2005:708, WM 2006, 612. 153 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. Nr. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 154 Vgl. EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02 (Grøngaard und Bang), EU:C:2005:708, WM 2006, 612, 613. 155 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2007 – Rs. C-391/04 (Georgakis), EU:C:2007:272, ZIP 2007, 1207. 156 „Verfügen“ wird in EuGH, Urt. v. 10. 05. 2007 – Rs. C-391/04 (Georgakis), EU:C:2007:272, ZIP 2007, 1207, 1209 Rdn. 33 tätigkeitsbezogen als „having disclosed“ bzw. „en ont disposé“ verwendet, während in Rdn. 39 das Verb „détenir“ genutzt wird, das in Rdn. 36 die deutsche Entsprechung „besitzen“ findet.

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formation ergab sich im entschiedenen Fall bereits daraus, dass die natürlichen Personen die Insiderinformation selbst erzeugt und als Hauptaktionäre und Vorstandsmitglieder über sie verfügten. Den Begriff „verfügen“, nutzte der EuGH wiederum synonym mit dem Wort „besitzen“, was der Vergleich mit der französischen und englischen Fassung des Urteils zeigt.157 Beide Begriffe lassen keine Rückschlüsse auf den subjektiven Tatbestand zu. Sie waren jedenfalls nicht gleichzusetzen mit dem Tatbestandsmerkmal des Ausnutzes.158

3. Spector Photo Group In der Entscheidung vom 23. Dezember 2009 (Spector Photo Group)159 hatte sich der EuGH mit der Bedeutung des Begriffs der Nutzung in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie160 zu beschäftigen. Das vorlegende Gericht begehrte eine Antwort auf die Frage, ob die bloße Tatsache, dass ein Primärinsider über Insiderinformationen verfügt und ein Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft i.S.d. Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie vornimmt, gleichzeitig bedeutet, dass die Person die Insiderinformationen nutzt.161 Des Weiteren war klärungsbedürftig, ob der Nachweis zu führen ist, dass ein Primärinsider in Kenntnis der Informationen gehandelt hat, sie also bewusst genutzt hat. Der EuGH stellte fest, dass das Insiderhandelsverbot der Marktmissbrauchsrichtlinie keine Bestimmung hinsichtlich der subjektiven Voraussetzung enthalte und damit nicht festgeschrieben werde, ob spekulative oder betrügerische Absicht oder auch nur Vorsatz oder Fahrlässigkeit gefordert wird.162 Er stellte eine Vermutung auf, nach der sich das Tatbestandsmerkmal der Nutzung aus der Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale ergibt.163 Diese Vermutung soll der Sanktionierung von Insidergeschäften insofern zu größerer Wirksamkeit verhelfen, als sie nicht von der Ermittlung eines subjektiven Elements abhängen.164 Ein Verstoß gegen den in Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegten 157 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2007 – Rs. C-391/04 (Georgakis), EU:C:2007:272, ZIP 2007, 1207, 1209 Rdn. 36, 39. 158 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2007 – Rs. C-391/04 (Georgakis), EU:C:2007:272, ZIP 2007, 1207, 1209 Rdn. 35 f. 159 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107. 160 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. Nr. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 161 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 108, 109 Rdn. 30. 162 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 108, 109 Rdn. 32. 163 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 36, 111 Rdn. 54, 62. 164 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 37.

III. Rechtsprechung des EuGH

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Grundsatz der Unschuldsvermutung liege nicht vor, vorausgesetzt die Vermutung ist widerlegbar und die Verteidigungsrechte sind gewahrt.165 Beispiele, in denen die Vermutung nicht greife, entnimmt der EuGH den Erwägungsgründen 18, 29, 30 der Marktmissbrauchsrichtlinie, wo solche explizit dargestellt sind.166 Zwar betont der Europäische Gerichtshof, das verbotene Geschäft sei nicht als ein solches zu definieren, das in Kenntnis der Sache getätigt worden sein muss.167 Es sei jedoch grundsätzlich auszuschließen, dass ein Primärinsider ein Geschäft vornimmt, „ohne sich seines Handelns bewusst zu sein.“168 Der EuGH legte dabei das Verständnis von einem Primärinsider zugrunde, der naturgemäß eine Insiderinformation besitzt oder über sie verfügt und damit von ihr Kenntnis hat. Dies unterscheide ihn von „allen anderen Marktteilnehmern, denen [die] Information unbekannt ist.“169 a) Auseinandersetzung der Literatur mit der Spector-Vermutung In der Literatur wurde das Urteil dahingehend verstanden, dass der Besitz von Informationen zum Zeitpunkt des Geschäfts die Vermutung begründe, dass sie für dieses verwendet wurden.170 Weniger eindeutig als die Spector-Vermutung an sich ist deren dogmatische Einbettung. Überwiegend ging die Literatur davon aus, dass hinsichtlich einer Kausalität der Kenntnis für das Erwerbs- bzw. Veräußerungsgeschäft bei Primärinsidern eine widerlegliche Vermutung bestehe.171 Die Feststellung des EuGH, dass Art. 2 Abs. 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie nicht ausdrücklich besage, „dass der Nachweis erforderlich ist, dass die Insider-Information für die Entscheidung, das fragliche Geschäft auf dem Markt zu tätigen, bestimmend war“,172 sei ein Hinweis auf das fehlende ausdrückliche Kausalitätserfordernis, nicht jedoch

165 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 39 ff.; a.A. Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 16a. 166 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 56 ff. 167 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 31. 168 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 36. 169 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 49, 111 Rdn. 52. 170 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.156. 171 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 53; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 20; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 162; a.A. Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 14 Rdn. 26. 172 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 32.

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

darauf, dass der EuGH auf ein solches gänzlich verzichte.173 Dass er die SpectorVermutung im Wesentlichen darauf stütze, dass die Insiderinformationen aufgrund ihrer Eigenschaft als präzise, nicht öffentlich bekannte und kursrelevante Informationen regelmäßig „integraler Bestandteil [des] Entscheidungsprozesses“ seien, der den Insider zum Geschäftsabschluss bringe,174 lasse den Schluss auf die Notwendigkeit einer kausalen Verknüpfung zu.175 Im Grundsatz gehe es dem EuGH um den Zusammenhang zwischen dem Wissen um die Insiderinformationen und der Insiderhandlung, nur dass die Frage „weniger unter dem Stichwort „Kausalität“ als vielmehr unter dem Merkmal „Vorsatz“ behandelt werde.176 Der Tatbestand des Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie erlaube es, „zu vermuten, dass der Urheber [des Insiderhandelsgeschäfts] mit Vorsatz gehandelt hat“177. Diese ausdrückliche Vermutung des subjektiven Merkmals lasse darauf schließen, dass neben der objektiven Kausalität auch ein solches Voraussetzung des Insiderhandels sei. Dies überrasche angesichts des in Frage stehenden kriminellen Verhaltens nicht.178 Tatsächlich führt die Formulierung des EuGH zu der Annahme, das Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale löse die Vermutung aus, dass der Primärinsider mit Vorsatz gehandelt hat.179 Der Begriff der Nutzung in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie ordnete der EuGH folglich anscheinend als subjektives Tatbestandsmerkmal ein, dessen Erfüllung mit dem Vorliegen der anderen Merkmale „impliziert“180 sei.181 Allerdings unterscheidet das Gericht trotz dieser vermeintlich eindeutigen Feststellung, nicht klar zwischen dem Ursachenzusammenhang und dem sich hierauf beziehenden Vorsatz, weil es die Kausalität als subjektives Tatbestandsmerkmal ansieht, dessen Erfüllung vermutet wird.182

173 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 52b; dagegen meinen Schwark/ Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 16a, der EuGH fordere keinen Ursachenzusammenhang, gerade weil dieser vermutet werde. 174 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 36. 175 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 52b. 176 Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 162. 177 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 38. 178 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.157. 179 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 14 Rdn. 26 ist der Ansicht, dass die Entscheidung ausschließlich das Vorsatzelement, nicht hingegen das Kausalitätselement betreffe. 180 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 111 Rdn. 54, 62 f. 181 Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 16a; a.A. Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 51a, die der Ansicht ist, der EuGH ordne das Merkmal als objektives Tatbestandsmerkmal ein, das keine subjektiven Elemente aufweise. 182 Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 16a.

III. Rechtsprechung des EuGH

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Die Entscheidung wurde von der Literatur in Deutschland stark kritisiert, weil die widerlegliche Vermutung faktisch auf eine Beweislastumkehr hinauslaufe und mit dem deutschen Strafrecht, insbesondere der Unschuldsvermutung und der freien richterlichen Beweiswürdigung unvereinbar sei.183 Die Auffassung des EuGH, die Erfüllung des objektiven Tatbestands des Insiderhandelsverbots erlaube den Schluss auf das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen, ist nach dieser Ansicht nicht mit den Vorschriften des WpHG vereinbar, da § 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 WpHG a.F. zeige, dass objektiver und subjektiver Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. getrennter Betrachtung bedürften.184 Eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts sei zwar zu Gunsten,185 nicht aber in Form einer ausgeweiteten Strafbarkeit entgegen dem Wortlaut zu Lasten des Beschuldigten möglich.186 Dass der Vorsatz des Insiders für den Straftatbestand des § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. notwendig ist, ergibt sich aus § 15 StGB. Allerdings müssen im deutschen Strafverfahren alle die Schuldfrage betreffenden Umstände, gem. §§ 261, 263 StPO dem Angeklagten bewiesen werden, womit die Vermutungslösung des EuGH unvereinbar sei.187 Die Kausalität der Kenntnis für die Transaktion sei in jedem Fall nachzuweisen.188 Möglich bleibe es lediglich, von einer Regelvermutung bzw. von Erfahrungssätzen auszugehen, dass die Kenntnis von Insiderinformationen in der Regel mitursächlich für eine Entscheidung zum Handel mit Insiderpapieren ist189 und der Insider einen entsprechenden Nutzungswillen hat.190 Da die strafrechtlichen Beschränkungen jedoch im Zivilrecht keine Anwendung finden, bleibe dort Raum für die Vermutungslösung des EuGH in Form einer Beweislastumkehr.191

183 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 14 Rdn. 26; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 53; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 16a; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 163. 184 Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 16a. 185 So unter Verweis auf das Spector-Urteil BGH, Beschl. v. 27. 01. 2010 – 5 StR 224/09, ZIP 2010, 426, 428. 186 Schulz, ZIP 2010, 609, 611. 187 Schulz, ZIP 2010, 609, 611. Die richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Gesetze hat ihre Grenze, wo dies „dazu führt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Bestimmungen der Richtlinie verstoßen, auf der Grundlage der Richtlinie und unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften zu begründen oder zu verschärfen, EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996 – Rs. C-74/95 und C-129/95 (X), EU:C:1996:491, EWS 1997, 63, 64 Rdn. 24. 188 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 53. 189 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 53; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 163; Widder, WM 2010, 1882, 1886. 190 Widder/Bedkowski, GWR 2010, 35. 191 Schulz, ZIP 2010, 609, 611. Auch als richtlinienkonforme Auslegung des § 20 a Abs. 2 WpHG a.F. wird zwischen Straf-, bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht und anderen Rechtsgebieten differenziert, vgl. Mock/Stoll/Eufinger, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2007, § 20a Rdn. 241 ff.; Vogel, in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., 2009, § 20a Rdn. 172.

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

b) Bewertung Die Einordnung der „Nutzung“ in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie als subjektives oder objektives Tatbestandsmerkmal stellt der EuGH in seinem Urteil nicht eindeutig klar. In der Kategorie der Kausalität der deutschen Rechtsordnung wäre der Ursachenzusammenhang zwischen der Kenntnis der Insiderinformationen und der Insiderhandlung ein objektives Merkmal.192 Dass das Fehlen eines ausdrücklichen subjektiven Elements keinen Anhaltspunkt dafür darstellt, dass ein solches nicht erforderlich ist, und der EuGH betont, dass sich der Vorsatz „implizit aus den objektiven Tatbestandsmerkmalen des Verstoßes ergibt“193, spricht dafür, dass der Nutzungswille des Insiders als subjektives Merkmal Voraussetzung eines Insidergeschäfts ist. Dieser Wille stellt mit der objektiven Nutzung der Insiderinformationen den Kausalzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Insidergeschäft dar. Vielfach wird daher von „psychischer Kausalität“ gesprochen.194 Indem der EuGH darauf hinweist, dass der Kommissionsentwurf und die Vorarbeiten zur Marktmissbrauchsrichtlinie zeigen würden, der Definition der Insidergeschäfte solle „kein Element der Finalität oder Vorsätzlichkeit“195 belassen werden, bringt er allerdings zum Ausdruck, dass bei einem Geschäft in Kenntnis von Insiderinformationen die Verwendung der Insiderinformationen für dieses konkrete Geschäft und der diesbezügliche Wille widerlegbar vermutet werden sollen. Lediglich die Finalität ist nicht mehr in der Intensität einer Gewinnerzielungsabsicht zu verlangen, wie sie für das Merkmal „Ausnutzen“ des Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 der Insiderrichtlinie erforderlich war. Eine Vorsatzvermutung ist mit den Beweisgrundsätzen des deutschen Strafverfahrens unvereinbar. Die Spector-Vermutung kann sich im Zivilrecht jedoch als Beweislastumkehr darstellen. Für die Auslegung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. ergibt sich daher, dass der Tatbestand erfüllt ist, wenn in Kenntnis von Insiderinformationen ein Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft vorgenommen wird, wobei die Insiderinformationen objektiv mitursächlich sein müssen und Vorsatz bezüglich aller Tatbestandsmerkmale vorliegen muss. Die Kenntnis von Insiderinformationen ist der Partei nachzuweisen, nicht jedoch, dass sie die Insiderinformationen bewusst verwendet hat und sie damit ursächlich für das Insidergeschäft waren.

192

Schulz, ZIP 2010, 609, 610. EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 Rdn. 44. 194 Diversy/Köpferl, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, WpHG, § 38 Rdn. 170; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 55 f.; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 162. 195 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 35. 193

III. Rechtsprechung des EuGH

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4. Geltl/Daimler In seinem Geltl/Daimler-Urteil196 bejahte der EuGH die vom BGH vorgelegte Frage, ob der Begriff der Insiderinformation in Art. 1 Nr. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie bei zeitlich gestreckten Vorgängen nicht nur einen zu verwirklichenden bestimmten Umstand oder ein bestimmtes Ereignis, sondern bereits die existierenden oder eingetretenen Zwischenschritte dieses Vorgangs umfasst.197 Das Gericht nahm in diesem Zusammenhang Bezug auf die Pflicht des Emittenten, organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um Sachverhalte zu erkennen, die potenziell veröffentlichungspflichtig sind. Bei zeitlich gestreckten Vorgängen werden an die Informationserkennung hohe Anforderungen gestellt, da zu ermitteln ist, ob es sich bei einem Zwischenschritt selbst bereits um eine Insiderinformation handelt. Ebenso wird erwartet, „künftige Umstände oder Ereignisse [zu identifizieren], bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden“.198 5. Lafonta Die Auslegung des Begriffs der präzisen Insiderinformation i.S.d. Art. 1 Nr. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie war Gegenstand des Lafonta-Urteils vom 11. März 2015.199 Der EuGH entschied, dass Informationen auch dann hinreichend konkret oder spezifisch sein können, wenn sich ihnen nicht entnehmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente verändern wird.200 In dem Urteil wird mehrfach die Umschreibung der Person, welche die Kursspezifität beurteilt bzw. der dies gerade nicht möglich ist, als „Besitzer“ verwendet.201 Die Kenntnis findet lediglich insofern Erwähnung, als der EuGH das Spector-Urteil zitiert und damit erneut darauf hinweist, dass ein Insider, der Informationen besitzt,

196 EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787. 197 EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2788 Rdn. 40. 198 Das Ausmaß der Auswirkung der Reihe von Umständen oder des Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente muss hingegen nicht berücksichtigt werden, EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2790 Rdn. 56. 199 EuGH, Urt. v. 11. 03. 2015 – Rs. C-628/13 (Lafonta), EU:C:2015:162, NJW 2015, 1663. 200 EuGH, Urt. v. 11. 03. 2015 – Rs. C-628/13 (Lafonta), EU:C:2015:162, NJW 2015, 1663, 1664 Rdn. 30 ff. 201 EuGH, Urt. v. 11. 03. 2015 – Rs. C-628/13 (Lafonta), EU:C:2015:162, NJW 2015, 1663, 1664 Rdn. 33, 1665 Rdn. 36.

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D. Bedeutung des Wissens vor Inkrafttreten der MAR

sich von anderen Marktteilnehmern unterscheidet, denen sie unbekannt sind.202 Die Formulierung „Besitzer von Informationen“ im Lafonta-Urteil203 ist folglich mit den Begriffen des Besitzens und Verfügens des Spector-Urteils identisch und meint Kenntnis der Insiderinformationen.204 In der englischen Fassung ist von „holder of that information“ und in der französischen Fassung von „détenteur“ die Rede. Ob hiermit die (potenziell) veröffentlichungspflichtige société anonyme (SA), die mit der deutschen AG vergleichbar ist,205 oder Herr Lafonta als deren Vorstandsvorsitzender gemeint ist, wird nicht deutlich. Etwaige Organisationspflichten, die der Vorstand für die SA treffen muss und welche die Ermittlung zum Ziel haben, in welche Richtung sich der Kurs des betreffenden Finanzinstruments verändert, finden keine Erwähnung. Dies verwundert allerdings nicht, da der EuGH eine feststellbare Kursspezifität gerade nicht für erforderlich hielt. 6. Bewertung Die Urteile Grøngaard und Bang sowie Georgakis gaben dem EuGH keine Gelegenheit, zum subjektiven Tatbestand des Insiderhandelsverbots ausdrücklich Stellung zu beziehen. Den vorgelegten Fragen war gemeinsam, dass davon ausgegangen wurde, der Insider habe Kenntnis von Insiderinformationen. Der EuGH umschrieb dies objektiv, indem er entsprechend dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 der Insiderrichtlinie von „verfügen“ über Insiderinformationen oder vom „Besitz“ derselben sprach. Fragen der Wissenszurechnung stellten sich auch im Spector-Urteil nicht. Die Urteilsgründe legen jedoch die Einordnung der „Nutzung“ in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie als Kausalitätskriterium nahe, das den Nutzungswillen des Insiders voraussetzt. Der EuGH stellte die widerlegliche Vermutung auf, dass bei einem Erwerb bzw. bei einer Veräußerung von Insiderpapieren in Kenntnis von Insiderinformationen ein Ursachenzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Geschäft bestehe und das Tatbestandsmerkmal der Nutzung erfüllt sei. Das zur Ad-hoc-Publizitätspflicht ergangene Geltl/Daimler-Urteil konkretisiert die Wissensorganisationspflicht des Emittenten. Die Informationserkennungspflicht ist auch bei zeitlich gestreckten Vorgängen zu wahren. Es stellt eine besondere Herausforderung dar, jeden Zwischenschritt auf seine Eigenschaft als präzise Insiderinformation zu überprüfen. Der EuGH erwartet umfassende organisatorische Vorkehrungen des Emittenten, um auch bei zeitlich gestreckten Vorgängen Zwi202 EuGH, Urt. v. 11. 03. 2015 – Rs. C-628/13 (Lafonta), EU:C:2015:162, NJW 2015, 1663, 1664 Rdn. 25 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 111 Rdn. 52. 203 EuGH, Urt. v. 11. 03. 2015 – Rs. C-628/13 (Lafonta), EU:C:2015:162, NJW 2015, 1663, 1665 Rdn. 36. 204 Siehe D. III. 3. 205 Zimmermann, in: Beck’sches Notar-HdB, 7. Aufl., 2019, § 28 Rdn. 323.

III. Rechtsprechung des EuGH

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schenschritte zu erkennen, die veröffentlichungspflichtig sind, um das Risiko von Insidergeschäften zu verringern. Dass eine veröffentlichungspflichtige, präzise Insiderinformation i.S.d. Art. 1 Nr. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie auch vorliegt, wenn sich nicht bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente verändern wird, steht seit dem Lafonta-Urteil fest. Kenntnis von den Insiderinformationen hatte Herr Lafonta als Vorstandsvorsitzender der veröffentlichungspflichtigen Emittentin. Rückschlüsse zu der Frage, wann davon auszugehen ist, dass die Gesellschaft im Besitz von Insiderinformationen ist, bzw. wann ihr Vorstandsvorsitzender Insiderinformationen kennt und ob er diese für die Gesellschaft besitzt, lässt das Urteil nicht zu. Der EuGH befasste sich bisher nicht mit der Kenntnis oder dem Kennenmüssen einer juristischen Person von Insiderinformationen. Die den Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalte gaben hierzu wohl keinen Anlass, da die Insiderinformationen dem geschäftsführenden Organ bzw. dem Insider als natürlicher Personen bekannt waren. Gleichsam erkannte der EuGH Wissensorganisationspflichten des Emittenten im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht an und konkretisierte diese. Für die Untersuchung, welche Bedeutung das Wissen in der MAR hat, wird auf die SpectorVermutung und darauf zurückzukommen sein, welches Verständnis der EuGH dem „Besitz“ von bzw. „Verfügen“ über Insiderinformationen zugrunde legt.

E. Ad-hoc-Publizität Seit dem 03. Juli 2016 gilt die in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 MAR geregelte Ad-hocVeröffentlichungspflicht (Art. 39 Abs. 2 MAR). Sie ist die an den Emittenten als juristische Person1 adressierte Pflicht, der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich bekannt zu geben. An die Vorstandsmitglieder persönlich richtet sich die Veröffentlichungspflicht – wie vor Inkrafttreten der MAR2 – nicht. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 19, 30 Abs. 1 und 2 lit. e, f, g MAR und den Erwägungsgründen 58, 59, 61, 71, 81 der MAR, die in Abgrenzung zu Art. 17 Abs. 1 Satz 1 MAR Personen benennen, die innerhalb des Emittenten Führungsaufgaben i.S.d. Begriffsbestimmung in Art. 3 Abs. 1 Nr. 25 MAR wahrnehmen, und sich somit an natürliche Personen richten, die der Leitungsebene angehören. Der Vorstand hat als Gesamtorgan gem. §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 AktG die Veröffentlichungspflicht für den Emittenten wahrzunehmen. Die Vorstandsmitglieder können über § 9 OWiG bzw. subsidiär gem. § 130 OWiG bußgeldrechtlich sowie nach § 93 Abs. 2 AktG zivilrechtlich verantwortlich gemacht werden.3

I. Harmonisierungswirkung der MAR Zur Klärung, welche Bedeutung dem Emittentenwissen zukommt, stellt sich methodisch die Vorfrage, ob dafür allein der Pflichtentatbestand von Art. 17 MAR entscheidend ist oder ob eine Ergänzung durch das Recht der Mitgliedstaaten in Betracht kommt. Hierzu muss der Harmonisierungsrahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht bestimmt werden. Bereits für die Marktmissbrauchsrichtlinie4, der europarechtlichen Grundlage des § 15 WpHG a.F., ist umstritten, ob sie im Bereich der Ad-hoc-Publizitätspflicht eine vollharmonisierende Wirkung aufweist oder lediglich Mindestvorgaben macht.5 Wird die überwiegende Auffassung zugrunde gelegt, die Marktmissbrauchsrichtlinie 1

Zur Eingrenzung der Untersuchung auf juristische Personen siehe A. II. Siehe D. I. 3 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 60; Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 304, 312. 4 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 5 Für eine Mindestharmonisierung plädiert Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 15 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 2

I. Harmonisierungswirkung der MAR

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enthalte zur Ad-hoc-Publizitätspflicht nur Mindestvorgaben, können für die Wissenszurechnung im Rahmen des § 15 WpHG a.F. die nationalen Normen und Grundsätze herangezogen werden. Es liegt kein Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben vor, wenn diese Grundsätze angewendet werden, da sie allenfalls zu einer Erweiterung der in § 15 WpHG a.F. geregelten Veröffentlichungspflicht gegenüber der Richtlinie führen.6 Kommt dem neuen Marktmissbrauchsrecht eine vollharmonisierende Wirkung zu, können die von der deutschen Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze insbesondere zur Wissenszurechnung und –organisation hingegen nicht herangezogen werden, um zu bestimmen, ob die Veröffentlichungspflicht im konkreten Fall besteht, wenn hiermit eine Einschränkung oder Erweiterung der Ad-hocPflicht gem. Art. 17 Abs. 1 MAR einhergehen würde. Die vollständige Harmonisierung verwehrt den Mitgliedstaaten den Erlass jeglicher Regelungen, die von den unionsrechtlichen Vorgaben abweichen, sofern nicht das Verfahren des Art. 114 Abs. 4 – 6 AEUV eingehalten wird.7 Dabei können bestimmte Bereiche eines Rechtsakts abschließend geregelt sein, während für andere lediglich eine Mindestoder Teilharmonisierung vorgesehen ist8, also nur Minimalanforderungen statuiert werden, welche die Mitgliedstaaten zwar nicht unter-, jedoch überschreiten dürfen.9 Es stellt sich die Frage, ob Art. 17 MAR eine solche abschließende Regelung darstellt oder weiterhin die Heranziehung des nationalen Rechts zur Wissenszurechnung denkbar bleibt. Die Harmonisierungswirkung der MAR ist für die Pflichtentatbestände nicht ausdrücklich geregelt. Hinsichtlich der Aufsichts- und Ermittlungsbefugnisse der zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden (Art. 23 Abs. 2 MAR) und den verwaltungsrechtlichen Sanktionen und Maßnahmen (Art. 30 Abs. 1 und 2 MAR) sind weitergehende nationale Regelungen explizit erlaubt. Dies spricht im Umkehrschluss für eine angestrebte Vollharmonisierung in den übrigen Bereichen, die nicht ausdrücklich formulieren, dass die betreffenden Regelungen der MAR lediglich Mindestanforderungen festlegen. In den Erwägungsgründen werden überdies die Ziele einheitlicher Regeln, eines einheitlichen Regelwerks, eines einheitlichen Rahmens und einheitlicher (Markt)Bedingungen betont.10 Ebenso wurde bereits im Entwurf der Kommission bemängelt, die Wirksamkeit der Marktmissbrauchsrichtlinie werde „dadurch untergraben, dass sie zahlreiche Optionen und Ermessens-

6

Siehe D. I. 3. Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., 2018, Art. 114 AEUV Rdn. 46. 8 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., 2018, Art. 114 AEUV Rdn. 46. 9 Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 4 Rdn. 29. 10 Erwägungsgründe 3, 4, 5, 37, 45, 65, 82, 83 der MAR; Seibt nimmt auf die ähnlich lautende Formulierung im Verordnungsentwurf der Kommission, KOM(2011) 651 vom 20. 10. 2011, Begründung, S. 3, Bezug und sieht darin „zumindest mittelbar ein Bekenntnis zur Vollharmonisierung“, Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 411. 7

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E. Ad-hoc-Publizität

spielräume“ eröffne.11 Dies legt nahe, dass die Kommission eine Vollharmonisierung anstrebte.12 Schließlich ist in den Erwägungsgründen der MAR davon die Rede, der Rechtsrahmen der EU werde mit der Verordnung vervollständigt,13 was ebenfalls für eine Vollharmonisierungstendenz spricht. Im deutschen Schrifttum wird aus diesen Gründen, soweit ersichtlich, einhellig angenommen, dass die Vorschriften der MAR, abgesehen von den ausdrücklichen Ausnahmen wie etwa in Art. 23 Abs. 2 und Art. 30 Abs. 1 und 2 MAR, vollharmonisierend sind.14 Insbesondere der Regelungsbereich der Ad-hoc-Publizität ist das zentrale Element eines Kapitalmarkts, der sich durch die mit der Verordnung angestrebte Integrität auszeichnet, weshalb er in den vollharmonisierten Bereich einbezogen sein muss.15 Die Mitgliedstaaten der EU dürfen die Voraussetzungen des Art. 17 MAR daher weder unter- noch überschreiten. Die Vollharmonisierung steht einer Wissenszurechnung nach den in Deutschland entwickelten Grundsätzen – wie vor Inkrafttreten der MAR – entgegen, da keine weitere als die sich aus der Verordnung ergebende Auslegung der Ad-hoc-Publizitätspflicht zulässig ist. Es bedarf daher der Untersuchung, ob Art. 17 MAR selbst ein Kenntnis- und damit Wissenszurechnungserfordernis zu entnehmen ist oder ob lediglich objektive Anforderungen an den Emittenten gestellt werden und wie diese ausgestaltet sind.

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR Die Neuregelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht in Art. 17 MAR hat die Debatte darüber neu entfacht, welche Bedeutung es für die Ad-hoc-Publizitätspflicht hat, ob der Emittent Kenntnis von Insiderinformationen hat oder schuldhaft nicht von ihnen weiß, weil er kein ordnungsgemäßes Wissensmanagement betrieben hat. 1. Überblick zum Meinungsstand In der deutschen Literatur wurde zu der Thematik erstmals ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen Insiderrechts ausführlich Stellung genommen.16 Seitdem hat 11

S. 3. 12

Verordnungsentwurf der Kommission, KOM(2011) 651 vom 20. 10. 2011, Begründung

So auch Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 411. Erwägungsgrund 3 der MAR. 14 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1286; ders., AG 2016, 423, 425; Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1425; Poelzig, NZG 2016, 528, 529; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 600; Veil, ZBB 2014, 85, 92. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 20 nennen Art. 19 Abs. 2 MAR als Ausnahme. 15 Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1425. 16 Angestoßen wurde die Diskussion durch einen Aufsatz von Ihrig, ZHR 181 (2017), 381. 13

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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diese Grundfrage des Marktmissbrauchsrechts vermehrt Aufmerksamkeit erhalten. Ein einheitliches Meinungsbild hat sich dabei bislang nicht abgezeichnet. a) Kenntnis oder Kennenmüssen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Die deutsche Literatur setzt die Kenntnis überwiegend als ungeschriebenes pflichtbegründendes Tatbestandsmerkmal der Ad-hoc-Publizitätspflicht voraus und ordnet Art. 17 Abs. 1 MAR damit als Wissensnorm ein.17 Der Tatbestand setze zwei Merkmale voraus: Es müssen zum einen objektiv Insiderinformationen vorliegen, die den Emittenten unmittelbar betreffen, und zum anderen sei Kenntnis oder Kennenmüssen des Emittenten von den die Insiderinformationen begründenden Umständen erforderlich.18 Das Pflichtenprogramm der unverzüglichen Veröffentlichung stelle die Rechtsfolge dar19 und umschreibe den Prüfungszeitraum, den der Emittent für die Veröffentlichung ihm bekannter Informationen in Anspruch nehmen dürfe.20 Fragen der Kenntnis sind nach dieser Auffassung nicht für die Unverzüglichkeit als Rechtsfolge zu klären, weil diese bereits voraussetzt, dass die Ad-hocPflicht entstanden ist, der Emittent also von den Insiderinformationen wusste. Das Merkmal der Unverzüglichkeit beziehe sich nur auf die Rechtzeitigkeit der Erfüllung.21 Das pflichtbegründende kognitive Element liege nicht ausschließlich mit positiver Kenntnis des Emittenten von den Insiderinformationen vor, sondern auch bezüglich aller die Insiderinformationen begründenden Umstände, die dem Emittenten bei Ausschöpfung der ihm aufgrund seiner Organisationsherrschaft zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen bekannt sein müssten.22 Damit wird das Nichtwissen, das auf Fahrlässigkeit beruht, der positiven Kenntnis gleichgestellt. Zur Frage, wie die Kenntnis bzw. die fahrlässige Unkenntnis zu bestimmen ist, finden sich in der deutschen Literatur die Hinweise, es gälten „die allgemeinen Grundsätze“ der Wissenszurechnung bei juristischen Personen23 oder die Zurechnung richte sich nach verbandsrechtlichen Grundsätzen.24 Nur vereinzelt wird vor 17 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 50; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 30; ders., AG 2019, 273, 276; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 17 MAR Rdn. 85; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385. 18 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 383. 19 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 383. 20 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 30. 21 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 50. 22 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 391. 23 Franke/Schulenburg, in: Umnuß, Corporate Compliance Checklisten, 4. Aufl., 2020, Kap. 3 Rdn. 90. 24 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 51.

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E. Ad-hoc-Publizität

einem vorschnellen Wertungstransfer aus dem nationalen Vertragsrecht gewarnt, der lediglich eine Verlegenheitslösung in Ermangelung europarechtlicher Grundsätze darstelle.25 Eine Information sei einem Emittenten zuzurechnen, wenn diejenige Person, die nach der internen Zuständigkeitsordnung für die Angelegenheit verantwortlich ist, Kenntnis von der Information erlangt oder aufgrund von Organisationsmängeln keine Kenntnis erlangt.26 Art. 17 MAR wird insofern eine Pflicht zur Organisation von Wissen entnommen, nach der sich die Zurechenbarkeit der Kenntnis von Insiderinformationen richtet. Nach anderer Ansicht ist die Pflicht zur Einrichtung eines Informationsmanagementsystems mit der Veröffentlichungspflicht nicht verbunden.27 Stattdessen wird dafür plädiert, im Kontext der Ad-hocPublizitätspflicht die Zurechnung auf das tatsächlich vorhandene Wissen des Vorstands als handlungsverantwortliches Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan zu beschränken.28 b) Keine Veröffentlichungspflicht bei schuldloser Unkenntnis Eine andere Ansicht geht davon aus, die Kenntnis des Emittenten von der Verwirklichung des veröffentlichungspflichtigen Umstands sei für das Entstehen der Veröffentlichungspflicht „im Ausgangspunkt unerheblich“.29 Habe der Emittent jedoch schuldlos keine Kenntnis von den Insiderinformationen, verletze er die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR nicht.30 Die Ad-hoc-Publizitätspflicht entstehe beispielsweise erst, wenn der Vorstand des Emittenten das Verlangen eines Hauptaktionärs nach einem Squeeze-out als Insiderinformation kenne, der Emittent auf andere Weise Kenntnis erlangt habe oder schuldhaft in Unkenntnis sei.31 Nach dieser Auffassung sind grundsätzlich weder die Kenntnis noch das Kennenmüssen Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht, der schuldlos Unwissende verletzt die Pflicht allerdings deshalb nicht, weil er nicht schuldhaft zögert. Die Wissenszurechnung wird auf Rechtsfolgenseite der Pflicht zur unverzüglichen Offenlegung von Insiderinformationen relevant, denn jedenfalls durch dieses Erfordernis der Unverzüglichkeit sei ein Kenntniselement vorgesehen.32 Es 25

Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 31. Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 17 MAR Rdn. 88. 27 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 33. 28 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 33; ders., AG 2019, 273, 279. Pauschal auf die Kenntnis eines Organmitglieds und damit wohl auch auf Wissen eines Aufsichtsratsmitglieds verweist für § 15 WpHG a.F. Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 10 Rdn. 24. 29 Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., 2018, § 17 Rdn. 30. 30 Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., 2018, § 17 Rdn. 30. 31 Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., 2018, § 17 Rdn. 31 unter Verweis auf den Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.2.2.15. zu § 15 WpHG a.F. 32 Sajnovits, WM 2016, 765 f. geht davon aus, dass dies auch nach der Ablösung des § 15 WpHG a.F. durch Art. 17 MAR gelte und verweist daher in Fn. 9 auf Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 20. 26

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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wird explizit auf die nationalen Wissenszurechnungsregeln zurückgegriffen und offengelassen, ob deren dogmatische Grundlage in § 31 BGB analog oder § 166 Abs. 1 und 2 BGB zu sehen ist.33 „Unverzüglich“ wird damit ebenso wie nach der wohl herrschenden Ansicht zur Rechtslage vor Inkrafttreten der MAR als schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB verstanden.34 Letztlich ist nach dieser Ansicht die Kenntnis des Emittenten für die Entstehung der Veröffentlichungspflicht unerheblich, nicht jedoch für die rechtzeitige Erfüllung. Die Nichtveröffentlichung trotz Kenntnis oder mindestens schuldhafter Unkenntnis des Emittenten stellt im Ergebnis einen Verstoß gegen die Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht dar. c) Kenntnisunabhängige Ad-hoc-Publizitätspflicht Nach einer weiteren Ansicht setzt Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis des Emittenten von den Insiderinformationen nicht voraus. Es handle sich nicht um eine Wissensnorm, sondern eine rein verobjektivierte Pflichtennorm, die für das Entstehen der Bekanntgabepflicht das bloße Vorliegen der Insiderinformationen verlange.35 Ein Emittent könne damit zur Ad-hoc-Mitteilung verpflichtet sein, ohne Kenntnis von den zu veröffentlichenden Insiderinformationen zu haben.36 Die Wissenszurechnung wird als irrelevant für das neue Recht der Ad-hoc-Publizität bezeichnet.37 Anforderungen an die Wissensorganisation des Emittenten seien nicht den in Deutschland entwickelten allgemeinen Grundsätzen zur Wissenszurechnung, sondern nur Art. 17 MAR selbst zu entnehmen.38 Bei dem Merkmal der Unverzüglichkeit handle es sich nicht um ein Verschuldenselement, sondern um die Konkretisierung des Pflichteninhalts.39 Teilweise wird es dennoch als „ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden, das ab dem Zeitpunkt vorliege, ab dem der Emittent die Insiderinformationen hätte veröffentlichen können, hätte er „alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen, um seiner Adhoc-Publizitätspflicht nachzukommen“.40 Unerheblich ist demnach, ob der Emittent diese Vorkehrungen tatsächlich getroffen hat. Andere legen das Merkmal der Un-

33

Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 17 Rdn. 486. Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 17 Rdn. 478, 486. 35 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 76; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289; Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1427. 36 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 105; ders., NZG 2017, 1285, 1292; Thomale, NZG 2018, 1007, 1009. 37 Klöhn, NZG 2017, 1285. 38 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 115; ders., NZG 2017, 1285, 1287 f. 39 Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rdn. 15.21; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287. 40 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1288. 34

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verzüglichkeit im Sinne von „so bald als möglich“ objektiv aus.41 Es werde sofortiges Tätigwerden verlangt, das keinen Abweichungsspielraum bei subjektiver Unkenntnis eines Emittenten eröffne.42 Die unionsrechtlich bestimmte Ad-hoc-Publizitätspflicht bestehe damit zwar kenntnisunabhängig.43 Subjektive Anforderungen auf Seiten des Emittenten seien jedoch im Rahmen der auf Art. 17 MAR aufbauenden Sanktionsnormen berücksichtigungsfähig.44 Fragen der Kenntnis und des Kennenmüssens verlagern sich damit in mitgliedstaatliche Vorschriften. In Deutschland ist das Wissen und Wissenmüssen des Emittenten nach dieser Auffassung folglich für die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht nach §§ 97, 98 WpHG von Bedeutung.45 d) Zwischenergebnis Die Meinungen in der Literatur zur Bedeutung von Wissen für die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Inkrafttreten der MAR sind uneinheitlich. Nach der wohl herrschenden Ansicht46 ist Wissen ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal und damit Voraussetzung für die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR. Dem Emittenten muss das Wissen um die ad-hoc-pflichtigen Umstände erst zurechenbar sein, damit sich die Pflicht anschließt, die Insiderinformationen unverzüglich bekannt zu geben. Während vereinzelt positive Kenntnis des Vorstands verlangt wird, erkennt die überwiegende Auffassung auch ein Wissenmüssen als ausreichend für die Entstehung der Veröffentlichungspflicht an. Welche Voraussetzungen für eine Wissenszurechnung im Kontext der Ad-hoc-Publizität vorliegen müssen, wird uneinheitlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, sie richte sich nach den Grundsätzen des nationalen Vertragsrechts. Kennenmüssen läge demnach bei mangelhafter Organisation der Gesellschaft vor.47 Die zweite Ansicht48 verlangt für einen Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR bei Unkenntnis des Emittenten von den die Ad-hoc-Mitteilungspflicht begründenden Umständen, dass er das fehlende Wissen verschuldet hat. Im Ergebnis besteht kein Unterschied zu der wohl herrschenden Auffassung, die bei schuldhafter Unkenntnis des Emittenten von einem Wissenmüssen ausgeht. Die Frage des Wissens und Wissenmüssens stellt sich allerdings nach der ersten Ansicht im Zusammenhang mit

41 Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rdn. 15.21; Thomale, NZG 2018, 1007, 1009. 42 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 43 f., 77. 43 Thomale, NZG 2018, 1007, 1008 f. 44 Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1427 f.; Thomale, NZG 2018, 1007, 1009. 45 Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1428; Thomale, NZG 2018, 1007, 1009 ff. 46 Siehe E. II. 1. a). 47 Vgl. C. II. 5. 48 Siehe E. II. 1. b).

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal, während sie nach der zweiten Ansicht für das Merkmal der Unverzüglichkeit der Bekanntgabe von Bedeutung ist. Die Gegenauffassung49 lässt allein das Vorliegen von ad-hoc-pflichtigen Informationen beim Emittenten für die Begründung der Veröffentlichungspflicht ausreichen. Art. 17 Abs. 1 MAR werden Anforderungen an die Wissensorganisation entnommen. Welche Informationen der Emittent zu welchem Zeitpunkt veröffentlichen muss, richte sich danach, was ihm bei ordnungsgemäßem Informationsmanagement möglich ist. „Unverzüglich“ sei im Sinne von „sofort“ oder „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verstehen. Trotz dieser Unterschiede bei der Einordnung des Wissens im Recht der Ad-hocPublizität gibt es einen gemeinsamen Nenner: Entscheidend für einen Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR ist die Vernachlässigung des Informationsmanagements durch den Emittenten. Dahingehend besteht ganz überwiegend Einigkeit in der deutschen Literatur. Unklar ist, ob sich die Voraussetzungen der Wissensorganisation unmittelbar als Compliance-Dimension des Art. 17 MAR darstellen oder im Kontext einer Wissenszurechnung mittelbar Berücksichtigung finden. Daher darf die in den verschiedenen dargestellten Literaturansichten zum Ausdruck kommende Frage nicht unbeantwortet bleiben, ob die Veröffentlichungspflicht des Art. 17 MAR positive Kenntnis oder Kennenmüssen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraussetzt, ein Wissenmüssen für die Unverzüglichkeit der Bekanntgabe der Insiderinformationen relevant ist oder ob die Norm dem Emittenten nur eine Wissensorganisation abverlangt und subjektive Elemente erst auf Ebene der mitgliedstaatlichen Sanktionsnorm von Bedeutung sind. 2. Art. 17 MAR als Norm der Wissenszurechnung oder des Wissensmanagements? Die Beantwortung dieser Fragen ergibt sich durch eine Auslegung des Art. 17 MAR. Der Verordnungscharakter der MAR verbietet aufgrund der gem. Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV unmittelbaren Geltung und des damit verbundenen fehlenden Umsetzungserfordernisses der MAR in jedem Fall die unreflektierte Übertragung des Diskussionsstandes zu § 15 WpHG a.F. auf Art. 17 MAR. Es bedarf vielmehr unter Zugrundelegung der für das Europarecht anerkannten Auslegungsgrundsätze der Klärung, ob Art. 17 MAR dogmatisch als Regelung eingeordnet werden kann, die im Zivilrecht in Deutschland als Wissensnorm bezeichnet würde.50 Enthält die Vorschrift selbst ein Wissenserfordernis, verbietet es sich, die Grundsätze aus dem nationalen Vertragsrecht zur Wissenszurechnung auf die Ad-hoc-Publizitätspflicht anzuwenden.51 Ebenso wenig kann eine übermäßig scharfe Rechtsfolge der §§ 97, 98 WpHG als Begründung herangezogen werden, die Wissenszurechnung im Rahmen 49 50 51

Siehe E. II. 1. c). Vgl. A. II. Siehe E. I.

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des Art. 17 Abs. 1 MAR restriktiv auszugestalten oder gar am Verschuldensmaßstab der nationalen Vorschriften zu orientieren.52 Die Sanktionsnormen der Mitgliedstaaten bestimmen nicht die Auslegung der europarechtlichen Vorschriften, auf die sie verweisen.53 Mitgliedstaatliche Gerichte und Aufsichtsbehörden müssen, wenn sie die Vorschriften der Verordnung anwenden, diese auslegen. Auf die zum einzelstaatlichen Recht entwickelten Auslegungsmethoden dürfen sie dabei nicht zurückgreifen, sondern müssen die Begriffe des europäischen Rechts autonom unionsrechtlich auslegen.54 Unter Beachtung der vom nationalen Recht abweichenden Bedeutung und Gewichtung der unterschiedlichen Interpretationsmittel55 ist zu ermitteln, ob Art. 17 MAR positive Kenntnis voraussetzt und ob gegebenenfalls Nichtwissen durch Wissenmüssen kompensiert werden kann. Weist die Norm keinen subjektiven Anknüpfungspunkt auf, ist eine Wissenszurechnung bereits im Ausgangspunkt obsolet. Zu beantworten ist in diesem Fall die Frage, ob der Veröffentlichungspflicht Anforderungen an Emittenten zu entnehmen sind, (potenzielle) Insiderinformationen zu organisieren. a) Wortlaut Für die Auslegung europarechtlicher Normen ist der Wortlaut der Ausgangspunkt.56 Im europarechtlichen Kontext kommt ihm eine besondere Bedeutung zu, weil er die einheitliche Anwendung einer Norm ermöglicht und die Wortlautauslegung die quantitativ häufigste sowie qualitativ wichtigste Auslegungsmethode des EuGH darstellt.57 Neben der deutschen Sprachfassung sind die weiteren Textfassungen der MAR zu berücksichtigen, aus denen sich Hinweise für die Auslegung einzelner Wörter ergeben können, weil die verschiedenen Sprachfassungen unionsrechtlicher Texte gleichwertig sind.58 Gem. Art. 17 Abs. 1 MAR gibt ein Emittent der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar diesen Emittenten betreffen, unverzüglich bekannt. Diesen endgültigen Wortlaut erhielt die Vorschrift nach der Berichtigung vom 21. Dezember 52

So aber Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 32. Langheld, Vielsprachige Normenverbindlichkeit im Europäischen Strafrecht, 2016, S. 95 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 9. Aufl., 2020, § 9 Rdn. 73; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287. 54 EuGH, Urt. v. 17. 12. 1980 – Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), EU:C:1980:297, BeckRS 2004, 71711 Rdn. 12, 19; BVerfG, Beschl. v. 01. 01. 2001 – 1 BvR 1036/99, NJW 2001, 1267, 1268; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rdn. 13. 55 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rdn. 13; siehe im Einzelnen E. II. 2. a), b), c) und d). 56 Schön, 2. FS Canaris, 2017, S. 147, 151. 57 Dederichs, EuR 2004, 345, 349 ff.; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1286; a.A. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rdn. 13. 58 Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 41; Schön, 2. FS Canaris, 2017, S. 147, 151. 53

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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2016.59 Ursprünglich war die Bekanntgabe „so bald wie möglich“ vorgesehen.60 Da der Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR für die Begriffe „bekannt geben“ und „unverzüglich“ ein tieferes Verständnis erlaubt, wird im Folgenden eine ausführliche Wortlautauslegung für diese vorgenommen. aa) „Bekannt geben“ Trotz der deskriptiven Formulierung der deutschen Sprachfassung statuiert Art. 17 Abs. 1 MAR eine Handlungspflicht für den Emittenten.61 Die vom Emittenten verlangte Bekanntgabe kann denklogisch nur erfüllt werden, sofern der Emittent selbst Kenntnis von dem zu veröffentlichenden Umstand hat. Schließlich kann eine Person nur etwas bekannt geben, was ihr selbst bekannt ist. Daraus wird teilweise gefolgert, dass Art. 17 Abs. 1 MAR zwingend das Wissen von Insiderinformationen bzw. der sie begründenden Umständen erfordere.62 Nicht ausreichend wäre es in diesem Fall, dass der Emittent die Insiderinformationen hätte kennen können, weil sie dann gerade nicht – in der Terminologie für natürliche Personen gesprochen – in sein Bewusstsein gedrungen sind. Die Bekanntgabe von Informationen, die dem Emittenten hätten bekannt sein müssen, könnte konsequenterweise nicht verlangt werden. Art. 17 MAR wäre nach diesem Verständnis als Wissensnorm zu qualifizieren, welche die positive Kenntnis des Emittenten voraussetzt.63 Zu klären bliebe, wann von dieser Kenntnis des Emittenten auszugehen ist. Nicht zwingend erforderlich wäre das Wissen des Vorstands, da dieser bewusst abgeschirmt werden könnte. In Betracht käme dagegen, es als ausreichend zu erachten, dass Mitarbeiter unterer Hierarchieebenen über positive Kenntnis verfügen und die für Ad-hoc-Veröffentlichungen zuständige Stelle bloß von den Insiderinformationen hätte wissen müssen, um letztlich von positiver Kenntnis des Emittenten auszugehen. Diese Ausgestaltungsfragen können allerdings letztlich dahinstehen, denn so deutlich wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, lässt sich der verlangten Handlung ein Wissenserfordernis nicht entnehmen. Im Gegensatz zur deutschen Sprachfassung enthält weder die englische noch die französische oder spanische Textfassung ein Verb, das begrifflich mit Kenntnis in Zusammenhang steht. Der Emittent informiert („shall inform“) bzw. veröffentlicht („rend publiques“, „hará 59 Berichtigung der VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 348 vom 21. 12. 2016, S. 83. 60 Siehe B. I. 3. 61 Siehe B. I. 3. 62 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 34, 50; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 17 Rdn. 85. 63 Anders Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 17 Rdn. 85, 88, die gleichwohl ein Kennenmüssen aufgrund von Organisationsmängeln genügen lassen.

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pública“). Die Voraussetzung positiver Kenntnis mag daher logische Konsequenz daraus sein, dass jede Handlungspflicht, die sich auf ein Objekt bezieht, notwendigerweise Kenntnis von der Existenz dieses Objekts voraussetzt. Sie ergibt sich jedoch nicht bereits aus den für das deutsche „bekannt geben“ verwendeten Verben der anderen Sprachfassungen. Die Pflicht des Emittenten, Informationen bekannt zu geben, spricht auf Grundlage der in den anderen Sprachfassungen des Art. 17 Abs. 1 MAR zum Ausdruck kommenden Pflichteninhalte nicht dagegen, Art. 17 MAR als objektive Pflichtennorm zu verstehen und dementsprechend vom Emittenten zu verlangen, dafür zu sorgen, dass Insiderinformationen, auf die er Zugriff hat, durch die Organisation der internen Kommunikationsflüsse zu der für die Veröffentlichung zuständigen Stelle in der Gesellschaft geleitet werden, welche die Ad-hoc-Meldung vornimmt. bb) „Unverzüglich“ Der Emittent gibt gem. Art. 17 Abs. 1 MAR die Insiderinformationen „unverzüglich“ bekannt. Die unverzügliche Bekanntgabe ist das Pflichtenprogramm, das den Emittenten als Rechtsfolge trifft, gehört also nicht zum pflichtbegründenden Tatbestand.64 Dass die Publizitätspflicht unverzüglich erfüllt werden soll, setzt nämlich voraus, dass die Pflicht schon entstanden ist. Schon § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. verlangte, dass die Informationen unverzüglich veröffentlicht werden. Das Wissen des Emittenten wurde unter Geltung der alten Fassung des WpHG überwiegend im Rahmen der Unverzüglichkeit für beachtlich gehalten.65 Die im nationalen Recht anerkannten Grundsätze zur Wissenszurechnung wurden vor Inkrafttreten der MAR herangezogen, um zu begründen, dass eine Ad-hoc-Mitteilung nicht unverzüglich erfolgt ist, wenn dem Emittenten die Insiderinformationen bekannt waren und er sie gleichwohl nicht veröffentlichte. Die Interpretation des Merkmals fußte allerdings auf der Annahme, „unverzüglich“ sei entsprechend der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als Handlung ohne schuldhaftes Zögern zu sehen, die somit ein subjektives Element enthält. Diese Definition konnte nach alter Rechtslage herangezogen werden, da lediglich eine richtlinienkonforme Auslegung der in § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. geregelten Adhoc-Publizitätspflicht, d. h. die Auslegung einer nationalen Norm, geboten war. Zur Auslegung des Tatbestands in der MAR als europäischer Verordnung kann auf die nationale Vorschrift dagegen nicht mehr rekurriert werden. (1) Sofortige Veröffentlichung oder zeitlicher Spielraum? Unabhängig vom Verständnis der Unverzüglichkeit im nationalen Zivilrecht, kann der Begriff nach einem allgemeinen Begriffsverständnis zu einer Handlung, ohne Zeit zu verlieren, auffordern. Das Merkmal könnte also auch sofortiges Tä64 65

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 383. Siehe D. I. 1. c).

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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tigwerden implizieren.66 Der Emittent hätte die Insiderinformationen so schnell zu veröffentlichen, wie ihm dies nach objektiven Maßstäben67 möglich ist. Der Kenntnis oder dem Kennenmüssen käme keine Relevanz zu. Eine Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung hat der europäische Gesetzgeber aber gerade nicht in den Wortlaut der deutschen Sprachfassung der MAR aufgenommen. Dort ist vielmehr sowohl in Erwägungsgrund 55 der MAR als auch in Art. 17 Abs. 1 MAR eben von der „unverzüglichen“ Offenlegung die Rede. Das Verständnis der unverzüglichen Pflicht zur Veröffentlichung als Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung wurde bereits für die Marktmissbrauchsrichtlinie mit den entsprechenden Begriffen in der englischen, französischen und spanischen Sprachfassung zu begründen versucht.68 Für die MAR weichen diese Sprachfassungen – anders als die deutsche Sprachfassung – hinsichtlich der Formulierung des Bekanntgabezeitpunkts in den Erwägungsgründen von der Formulierung in Art. 17 Abs. 1 MAR ab. Anders als in Art. 17 Abs. 1 MAR („as soon as possible“, „dès que possible“ und „tan pronto como sea posible“) finden sich in der englischen, französischen und spanischen Textfassung in Erwägungsgrund 55 der MAR die Worte „prompt“, „rapide“ und „rápida“. Die Formulierungen legen nahe, dass eine Handlung grundsätzlich zügig vorgenommen werden soll. Dass überhaupt kein Zeitraum eingeräumt wird, lässt sich aus den Formulierungen nicht schließen. Die Betonung des Möglichen im Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR in den drei Sprachfassungen zeigt jedoch eine Grenze auf, nämlich diejenige, dass vom Emittenten nichts Unmögliches verlangt werden darf.69 Eine Interpretation als Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung im Sinne einer gleichzeitigen oder augenblicklichen Publikation mit Vorliegen der Insiderinformationen widerspräche diesem einschränkenden Element, denn es ist schlichtweg nicht denkbar, die Veröffentlichung ohne eine auch nur minimale Zeitverzögerung durchzuführen, etwa um einen Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR in Erwägung zu ziehen. Versteht man „sofort“ jedoch ebenfalls als Erfordernis eines so schnell wie möglichen Handelns, läge dies aber auf einer Linie mit der englischen, französischen und spanischen Sprachfassung der MAR. Entscheidend wäre dann der Gesichtspunkt der Handlungsmöglichkeit. Dem Emittenten ist eine Zeitspanne zuzubilligen, um den Umfang und die Komplexität der Informationen sowie die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.70 In Betracht kommt, den Zeitraum rein objektiv zu bestimmen oder subjektive Umstände zu berücksichtigen.

66 Vgl. Synonyme zu unverzüglich auf Duden online, https://www.duden.de/synonyme/un verzueglich, zuletzt abgerufen am 19. 08. 2020. 67 Zu einem solchen Verständnis des Begriffs „sofort“ in anderem Zusammenhang siehe Krüger, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl., 2019, § 271 Rdn. 33. 68 Siehe D I. 1. c) aa). 69 Hierzu näher E. II. 2. e). 70 Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rdn. 15.21; von der Linden, DStR 2016, 1036, 1038.

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(2) Informationsmanagement als Grundlage einer objektiven Bestimmung des Handlungszeitraums Die Auslegung von „unverzüglich“ als Handlung ohne schuldhaftes Zögern erlaubt die Berücksichtigung subjektiver Elemente und damit der Kenntnis des Emittenten. Mit Blick auf die englische, französische und spanische Sprachfassung des Art. 17 Abs. 1 MAR, die das Mögliche betonen, ließe sich jedoch eine objektive Bestimmung des Handlungszeitraums begründen. Es stellt sich damit die Frage, welches Verständnis Art. 17 Abs. 1 MAR zugrunde liegt. (a) Kein Verschuldenselement Ein Verständnis des Merkmals der Unverzüglichkeit als Verschuldenselement71 impliziert, dem nicht unverzüglich handelnden Emittenten werde bei einem Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR vorgeworfen, er veröffentliche Insiderinformationen trotz Kenntnis derselben nicht bzw. er habe sie kennen und veröffentlichen müssen. Bei dieser Interpretation wird in der deutschen Literatur teilweise explizit darauf verwiesen, es ergebe sich für die Praxis kein Unterschied zum früher geltenden Begriff.72 Während nach alter Rechtslage „unverzüglich“ in § 15 WpHG a.F. noch im Sinne der Definition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als „ ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden werden konnte, kann dem Unionsgesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe sich für die MAR als europäischer Verordnung eine Wortbedeutung, die spezifisch dem nationalen Zivilrecht entstammt, zu eigen machen wollen.73 Dafür, das unverzügliche Tätigwerden in der deutschen Sprachfassung hingegen als verschuldensunabhängige Handlung „so schnell wie möglich“ zu interpretieren, spricht, dass sich diese Wendung in Art. 17 Abs. 7 MAR findet. Wurde die Veröffentlichung von Insiderinformationen gem. Art. 17 Abs. 4 oder 5 MAR aufgeschoben und ist die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet, muss der Emittent gem. Art. 17 Abs. 7 MAR die Öffentlichkeit „so schnell wie möglich“ über die Insiderinformationen informieren. Dass der europäische Gesetzgeber ein Verschuldenselement, das im Falle der Nichthandlung trotz Kenntnis des Emittenten vorläge, in die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR, nicht aber nach Art. 17 Abs. 7 MAR aufnehmen wollte, ist nicht anzunehmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Veröffentlichung sowohl nach Art. 17 Abs. 1 MAR als auch nach Art. 17 Abs. 7 MAR so früh, wie dies nach objektiven Maßstäben möglich ist, vorgenommen werden soll. Dies stützt auch der Wortlaut der englischen und französischen Sprachfassung, die in beiden Absätzen die gleiche objektive Formulierung verwenden. Dem spanischen Ausdruck „lo antes posible“ in Art. 17 Abs. 7 MAR 71

Dafür Koch, AG 2019, 273, 276. Es wird insofern auf den Unverzüglichkeitsmaßstab des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. verwiesen, Franke/Schulenburg, in: Unmuß, Corporate Compliance Checklisten, 4. Aufl., 2020, Kap. 3 Rdn. 90, 92; Klöhn, AG 2016, 423, 430; Kumpan, DB 2016, 2039, 2042 f.; von der Linden, DStR 2016, 1036, 1038; Poelzig, NZG 2016, 761, 766. 73 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 77; ders., NZG 2018, 1007, 1009. 72

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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kommt die gleiche Bedeutung wie „tan pronto como sea“ in Art. 17 Abs. 1 MAR zu. Wortgetreu übersetzt entspricht dies der deutschen Wendung „so bald wie möglich“. Dagegen lässt sich nicht einwenden, die Berichtigung des Art. 17 Abs. 1 MAR vom 21. Dezember 201674 zeuge vom Gegenteil, weil der europäische Gesetzgeber sich offensichtlich für den Begriff der Unverzüglichkeit im Sinne der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB entschieden habe. Ursprünglich war die Bekanntgabe „so bald wie möglich“ vorgesehen, während nunmehr die „unverzügliche“ Bekanntgabe verlangt wird. Diese Umformulierung wirft die Frage auf, ob die Berichtigung mit einer inhaltlichen Änderung verbunden war. In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, es handle sich um eine rein redaktionelle Berichtigung, die nicht mit einer Änderung des Wortsinns verbunden sei.75 Die Berichtigung ist in Bezug auf den Wortlaut des Art. 17 MAR allerdings nur teilweise eindeutig rein sprachlicher Natur. Der Grund für die Umformulierung hinsichtlich der Bekanntgabe ist weniger offensichtlich. Auf Anfrage der Verfasserin vom 16. Mai 2019 teilte die Generaldirektion der Kommission für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion am 23. Mai 2019 mit, die Berichtigung sei, wie es bei allen Rechtsakten des Europäischen Parlaments und des Rates der Fall sei, vom Team für Qualität der Gesetzgebung im Rat vorbereitet worden. Der Legal Service dieses Teams führte am 07. Juni 2019 auf Anfrage der Verfasserin vom 23. Mai 2019 aus, dass die Berichtigung auf der Grundlage einer objektiven rechtlichen Bewertung vorgenommen worden sei. Er teilte mit, Ziel des Korrigendums sei es gewesen, die vollständige Übereinstimmung zwischen allen Sprachfassungen des Rechtsakts zu gewährleisten. Die Berichtigung sollte folglich gerade nicht dazu führen, dass „unverzüglich“ nunmehr im Sinne des nationalen § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Handlung „ohne schuldhaftes Zögern“ meint, sondern sie sollte vielmehr eine einheitliche Auslegung in den Mitgliedsstaaten gewährleisten. Folglich weist das Erfordernis „unverzüglich“ keinen Unterschied zur früher geltenden Formulierung „so bald wie möglich“ auf, die gleichwohl näher am Wortlaut der anderen Sprachfassungen war. Beide Formulierungen stellen auf unionsrechtlicher Ebene keine Neuheiten dar. So enthielten Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie die Pflicht zur Bekanntgabe „so bald als möglich“ bzw. zur „unverzüglichen“ Unterrichtung. Auch in anderen europäischen Rechtsakten des Kapitalmarktrechts fanden sich diese 74 Berichtigung der VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 348 vom 21. 12. 2016, S. 83; vgl. B. I. 3. 75 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 77; ders., NZG 2018, 1007, 1009; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1288. Überwiegend wurde davon ausgegangen, schon die ursprüngliche Fassung entspreche der unverzüglichen Veröffentlichung gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F., Klöhn, AG 2016, 423, 430; Kumpan, DB 2016, 2039, 2042 f.; von der Linden, DStR 2016, 1036, 1038; Poelzig, NZG 2016, 761, 766.

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beiden Formulierungen und wurden synonym verwendet.76 Das Erfordernis einer Handlung „ohne schuldhaftes Zögern“ wäre in Europa hingegen, soweit ersichtlich, singulär. Es kann daher nicht angenommen werden, dass „unverzüglich“ im Gegensatz zu „so bald wie möglich“ auf europäischer Ebene die Besonderheit eines Verschuldenselements zukommen soll und damit § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB entspricht.77 Es handelt sich hingegen um ein Merkmal, das objektiv den Pflichteninhalt konkretisiert.78 (b) Kenntnisunabhängigkeit Damit geht jedoch nicht zwangsläufig einher, dass das Pflichtenprogramm kenntnisunabhängig ist. Wird „unverzüglich“ nicht als Verschuldensregelung angesehen, sondern als objektive Pflicht zur rechtzeitigen Bekanntgabe der Informationen, geht damit nicht notwendigerweise einher, dass das Pflichtenprogramm kenntnisunabhängig ist. Ein Wissenselement kann entscheidend für den dem Emittenten zuzubilligenden Zeitraum sein. Nach dieser Interpretation ist relevant, ab welchem Zeitpunkt der Emittent Kenntnis von den Insiderinformationen hat oder hätte haben können, denn ab diesem Moment ist es ihm möglich, die Informationen zu veröffentlichen, es sei denn die Umstände des Einzelfalls rechtfertigen eine Verzögerung.79 Dem Merkmal der Unverzüglichkeit lässt sich bei dieser Auslegung nicht die Voraussetzung der Wissenszurechnung entnehmen.80 Es beschreibt hingegen die objektive Pflicht zur sofortigen Bekanntgabe, die beginnt, wenn die – soweit man dies für erforderlich hält – tatbestandsbegründende Kenntnis vorliegt.81 Abgesehen von der dogmatischen Einordnung der Unverzüglichkeit als Merkmal zur Konkretisierung einer objektiven Bekanntgabepflicht statt als Verschuldenselement ergeben sich für die Praxis nach dieser Auffassung keine Unterschiede. Die Unverzüglichkeit umschreibt allerdings nicht nur dann sinnvoll einen zeitlichen Spielraum, wenn sie an ein Kenntniselement anknüpft. Unverzüglich kann der Emittent nicht lediglich Insiderinformationen veröffentlichen, die er kennt, sondern auch solche, die objektiv in seinem Verantwortungsbereich liegen. Auf diese hat er nach einem objektiven Maßstab ebenfalls Zugriff und kann sie veröffentlichen. Der Wortlaut lässt folglich ebenso die Auslegung zu, dass „unverzüglich“ den Zeitraum 76

Siehe D. I. 1. c). Dafür auch Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rdn. 15.21. 78 So Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 64; Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 107. 79 Zu den Umständen, die eine Verzögerung rechtfertigen, sollen die notwendige Sachverhaltsaufklärung und die Prüfung des Befreiungstatbestands gehören, Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 65. 80 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 64. 81 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 64 f. 77

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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umfasst, den ein im Hinblick auf sein Informationsmanagement hinreichend organisierter Emittent benötigt, um ihn unmittelbar betreffende Insiderinformationen zu veröffentlichen. Zwar enthält die Formulierung des Art. 17 Abs. 1 MAR keinen expliziten Hinweis auf Wissensorganisationspflichten, die der Emittent zu erfüllen hat. Die Vorschrift knüpft jedoch ihrem Wortlaut nach an das bloße Vorliegen von den Emittenten betreffenden Insiderinformationen an, ist also rein objektiv formuliert. Dies ist kein Charakteristikum der deutschen Sprachfassung, sondern trifft ebenso auf die englische, französische und spanische Textfassung zu. Auch diese seit Inkrafttreten der MAR unveränderten Textfassungen setzen kein Kennen(müssen) voraus, sondern verlangen von dem Emittenten eine objektiv schnellstmögliche Bekanntgabe. Der rein objektiv formulierte Wortlaut deutet nicht darauf hin, dass ein ungeschriebenes subjektives Wissenserfordernis besteht, sondern legt nahe, dass der Emittent die Bekanntgabe der Insiderinformationen, die ihm ohne weiteres zur Verfügung stehen, vornimmt. Von einer „ausgesprochen kryptische[n] Art“, die der europäische Gesetzgeber gewählt hat, um seine Pflichtenkataloge zu formulieren,82 ist nicht auszugehen. Der Emittent wird aus dem fehlenden Wissenserfordernis nicht den Schluss ziehen, darauf warten zu dürfen, dass die sich im Bereich seiner Organisationsherrschaft befindlichen Informationen an ihn herangetragen werden. Vielmehr legt die objektive Formulierung nahe, dass er selbst Maßnahmen ergreifen muss, um sicherzustellen, dass ihm in seinem Bereich befindliche, einer Veröffentlichungspflicht unterliegende Informationen zur Kenntnis gebracht werden. Maßstab für die frühestmögliche Veröffentlichung ist das Informationsmanagement eines ideal organisierten Emittenten. Die Bekanntgabe „so bald wie möglich“ umschreibt sinnvoll dessen Pflichtenprogramm.83 Es kann von einem Emittenten verlangt werden, diejenigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um zu erreichen, dass die bei ihm vorliegenden Insiderinformationen veröffentlicht werden, sobald es die objektiv mögliche Gestaltung der internen Kommunikationsflüsse erlaubt. cc) Zwischenergebnis Das Merkmal der Unverzüglichkeit ist im Sinne der wortgetreuen Übersetzung der englischen, französischen bzw. spanischen Sprachfassung des Art. 17 Abs. 1 MAR als „so bald wie möglich“ zu verstehen. Dieses Verständnis billigt dem Emittenten bei der Umsetzung der Handlungspflicht einen zeitlichen Spielraum zu. Würde Kennen oder Kennenmüssen als Teil des pflichtbegründenden Tatbestands aufgefasst, verbliebe dem Emittenten ein Zeitraum, um über die Veröffentlichung zu 82

So Koch, AG 2019, 273, 277. So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 107, der „unverzüglich“ dennoch als ohne schuldhaftes Zögern versteht, siehe ders., MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 105. 83

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entscheiden, der jedoch erst mit dem Kennen oder Kennenmüssen von Insiderinformationen beginnt. Würde dagegen das Wissenselement im Merkmal der Unverzüglichkeit verortet, würde der Zeitraum mit dem objektiven Vorliegen von Insiderinformationen beginnen, aber nicht vor der (potenziellen) Kenntniserlangung enden und ebenfalls den Zeitraum umfassen, um die Bekanntgabe durchzuführen, abzulehnen oder aufzuschieben. Vom Kennen oder Kennenmüssen hinge in beiden Fällen ab, ob die Insiderinformationen auch unverzüglich bekannt gegeben werden. Aus dem Wortlaut des Art. 17 MAR lässt sich allerdings nicht folgern, dass der zeitliche Spielraum von der Kenntnis des Emittenten abhängt. Dem Wortlaut der MAR lassen sich subjektive Elemente weder aus der geforderten Bekanntgabe noch dem Erfordernis unverzüglicher Veröffentlichung entnehmen. Beide Begriffe setzen nicht voraus, dass der Emittent die Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, kennen muss, und lassen sich daher als Begründung für ein notwendigerweise vorauszusetzendes Wissenselement nicht anführen. Für den Zeitraum, der dem Emittenten zur Veröffentlichung zur Verfügung steht, ist daher nicht auf die Kenntniserlangung abzustellen, sondern festzustellen, bis wann die Veröffentlichung nach objektiven Grundsätzen vorgenommen werden muss und ab wann die Veröffentlichung nach diesem Maßstab vorgenommen werden kann. Der dem Emittenten zugebilligte Zeitraum ist so lange als nicht überschritten anzusehen, wie es dem Emittenten unmöglich ist, trotz umfassender Wissensorganisation die Insiderinformationen bekannt zu geben. Wie weit die Verantwortungssphäre des Emittenten reicht, ergibt sich aus Art. 17 MAR selbst. b) Systematik Die systematische Interpretation des Unionsrechts weicht methodisch nicht von der nationalen ab.84 Das europäische Kapitalmarktrecht hat durch das mittlerweile verdichtete Netz an Verordnungsvorschriften und (vollharmonisierenden) Richtlinien seinen fragmentarischen Charakter weitgehend verloren, sodass die systematische Auslegung von Sekundärrechtsakten an Bedeutung gewonnen hat.85 Sowohl die innere Logik der Norm selbst als auch der Zusammenhang mit der Regelung der Insidergeschäfte (Art. 8 MAR) und mit Insidervorschriften, denen ComplianceAnforderungen zu entnehmen sind, lassen Rückschlüsse auf die Bedeutung von Kenntnis und Wissensorganisation im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu.

84

Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rdn. 15. Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 43; vgl. das Ziel der ESMA, ein „single rulebook“ im Sinne einer umfänglichen Kodifikation des europäischen Kapitalmarktrechts zu erreichen, ESMA, 2013 work programme, ESMA/2012/631, S. 4. 85

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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aa) „Unmittelbar betreffen“, Art. 17 Abs. 1 MAR Neben dem Vorliegen von Insiderinformationen enthält der Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR die zusätzliche objektive Voraussetzung, dass die Insiderinformationen nur veröffentlichungspflichtig sind, sofern sie den Emittenten unmittelbar betreffen. Die Insiderinformationen müssen sich durch einen direkten Bezug zum Emittenten selbst auszeichnen.86 Sie betreffen nicht den gesamten Markt oder den Emittenten bloß als Teil einer Gruppe.87 Entsprechend der Rechtslage unter Geltung von § 15 Abs. 1 WpHG a.F. erfüllen das Merkmal neben den internen Umständen, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eintreten, auch externe Umstände, sofern sie einen unmittelbaren Bezug zum Emittenten haben.88 Beispiele für von außen kommende, ad-hoc-pflichtige Umstände sind die Abgabe eines Übernahmeangebots gegenüber der Zielgesellschaft oder die Mitteilung eines Aktionärs an den Emittenten, ein Squeeze-out durchzuführen, während etwa die Veränderung von Zinssätzen den Emittenten nur mittelbar betrifft.89 Die notwendige unmittelbare Betroffenheit führt mithin zu einer Eingrenzung der ad-hoc zu veröffentlichenden Insiderinformationen. Bei der Ad-hoc-Publizität wird das – Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringende – Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit vereinzelt nur als sinnvoll erachtet, wenn man nicht davon ausgeht, dass der Emittent die Insiderinformationen ohnehin kennt.90 Das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit behält jedoch auch dann eine eigenständige Funktion, wenn die Kenntnis des Emittenten als Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht anerkannt wird. So sind Fallgestaltungen möglich, in denen der Emittent Kenntnis von Insiderinformationen hat, diese aber nur einen mittelbaren Emittentenbezug aufweisen und deshalb nicht veröffentlichungspflichtig sind.91 Zu denken ist beispielsweise an allgemeine Marktentwicklungen oder Leitzinsentscheidungen. Außerdem filtert das Merkmal der Unmittelbarkeit diejenigen Insiderinformationen heraus, die einen anderen Emittenten betreffen. Hat der für die Ad-hoc-Publizität zuständige Vorstand Kenntnis von Insiderinformationen, die eine andere Gesellschaft betreffen, muss der Emittent sie trotz der Kenntnis nicht veröffentlichen, weil die Ad-hoc-Pflicht eine andere Gesellschaft trifft. Das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit stellt somit auch ein Zuord86

Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 17 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 4. Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., 2018, § 17 Rdn. 24. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 81 verlangt, dass die Insiderinformation nicht nur emittentenspezifisch, sondern auch unmittelbar fundamentalwertrelevant ist, siehe Rdn. 72 ff. 88 Siehe Franke/Schulenburg, in: Unmuß, Corporate Compliance Checklisten, 4. Aufl., 2020, Kap. 3 Rdn. 85, 89 mit zahlreichen Beispielen; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 17 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 4; Pfüller, in: Fuchs, WpHG 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 170 f.; Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 17 Rdn. 475. 89 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 140 mit zahlreichen weiteren Beispielen. 90 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1286. 91 Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, HdB der AG, 3. Aufl., 2018, § 22 Rdn. 36. 87

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nungskriterium dar, sodass die Funktion des Tatbestandsmerkmals selbst dann nicht ins Leere führen würde, wenn ein Kenntniserfordernis bestünde.92 Dem Kenntniserfordernis verbliebe allerdings neben dem Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit kaum eine eigenständige Bedeutung. Bei unmittelbar den Emittenten betreffenden Insiderinformationen, die grundsätzlich von der Ad-hocPublizitätspflicht erfasst wären, wird die Situation, dass den Emittenten die Veröffentlichungspflicht nicht trifft, weil er nicht vom Vorliegen der Insiderinformationen weiß oder wissen kann, die Ausnahme sein. Dies gilt zumindest für die innerhalb des Tätigkeitsbereichs des Emittenten eintretenden Ereignisse. Für die in den Empfehlungen des CESR beispielhaft genannten operativen Geschäftsentwicklungen, personellen Veränderungen in Schlüsselpositionen, Umstrukturierungen, die sich auf die Geschäftstätigkeit, Vermögens- Finanz- oder Ertragslage auswirken, Veräußerungen von Beteiligungen und für andere interne Umstände93 wäre in der Regel von der Kenntnis des Emittenten von diesen Umständen auszugehen. Doch auch hinsichtlich unmittelbarer externer Informationen, wie dem Erhalt von Übernahmeangeboten sowie relevanter Aufträge von Kunden oder deren Stornierung,94 könnte von einem Emittenten zumindest ein Kennenmüssen verlangt werden. Würde das Kennenmüssen sich in diesem Fall danach bemessen, ob die außerhalb seines Tätigkeitsbereichs eingetretenen Umstände den Emittenten unmittelbar betreffen, weil er alles wissen muss, was objektiv veröffentlichungspflichtig ist, wäre das subjektive Element völlig ausgehebelt. Geht es andererseits nur darum, diejenigen unmittelbar den Emittenten betreffenden Informationen von der Veröffentlichungspflicht auszuschließen, die er gar nicht kennen konnte, wird das Wissenselement nur dazu verwendet, den Emittenten davor zu schützen, dass ihn eine für ihn unmöglich zu erfüllende Pflicht trifft. Zu konstatieren ist damit, dass ein Wissenselement nur bei unmittelbar den Emittenten betreffenden Informationen, die der Emittent weder kennt noch kennen muss, eine eigenständige Bedeutung aufweisen würde. Dem Wissenselement käme damit praktisch ein geringer Stellenwert zu, weil bei unmittelbar den Emittenten betreffenden Insiderinformationen regelmäßig davon auszugehen wäre, dass er sie zumindest hätte kennen müssen. Das Wissenselement würde in diesem Zusammenhang lediglich weitere Abgrenzungsschwierigkeiten begründen, weil unklar ist, wann ein Kennenmüssen vom Emittenten nicht gefordert wird. Richtet sich das Kennenmüssen nach der unmittelbaren Betroffenheit, setzt sich die im Rahmen dieses Erfordernisses auftretende Abgrenzungsproblematik beim Wissenselement fort, ohne dass damit eine weitere Eingrenzung der Veröffentlichungspflicht gewonnen wäre. Zwar könnte nach dem Vorbild der Wissenszurechnung im Zivilrecht 92

Koch, AG 2019, 273, 277. Siehe CESR, Market Abuse Directive, Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market, CESR/06/562, Ziff. 1.15. 94 CESR, Market Abuse Directive, Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market, CESR/06/562, Ziff. 1.15. 93

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hierfür ermittelt werden, welches Maß an Wissensorganisation vom Emittenten zu erwarten ist. Dieses „Umwegs“ bedarf es jedoch nicht. Sind der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR direkt Anforderungen an das Informationsmanagement zu entnehmen, grenzt bereits das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit das den Emittenten treffende Pflichtenprogramm hinsichtlich seines Informationsmanagements in jedem Fall sinnvoll ein. Es nimmt diejenigen Insiderinformationen von der Veröffentlichungspflicht aus, nach denen der Emittent suchen muss.95 Für solche Informationen, die den Emittenten nur mittelbar betreffen, sind keine organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Der Verzicht auf ein Wissenserfordernis stellt zudem sicher, dass die oben festgestellte objektive Festlegung des aus dem Merkmal der „unverzüglichen Bekanntgabe“ entspringenden Pflichtenprogramms hinsichtlich des Informationsmanagements nicht durch eine subjektive Bestimmung der unmittelbaren Betroffenheit unterlaufen wird. Das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit fügt sich in das Konzept des Informationsmanagements unproblematisch ein. Es stellt eine Grenze für die Insiderinformationen dar, auf die sich das Informationsmanagement zu erstrecken hat. Dabei erfüllt es den Zweck, aus allen Insiderinformationen diejenigen auszumachen, zu deren Erkennung, Analyse und schließlich Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist.96 bb) Aufschub der Offenlegung, Art. 17 Abs. 4 MAR Rückschlüsse auf die Bedeutung des Emittentenwissens in Art. 17 Abs. 1 MAR können sich aus der in Art. 17 Abs. 4 MAR und schon in § 15 Abs. 3 WpHG a.F. vorgesehenen Möglichkeit zum Aufschub der Ad-hoc-Publizität ergeben. Diese besteht, wenn die Veröffentlichung geeignet ist, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen, die Aufschiebung die Öffentlichkeit nicht irreführen würde und der Emittent die Geheimhaltung der Informationen sicherstellen kann. Setzt die Befreiungsmöglichkeit nach Art. 17 Abs. 4 MAR ein Kennen(müssen) von Insiderinformationen voraus, spricht ein einheitliches Verständnis der Ad-hocPublizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR und des Aufschubs für das gleiche Erfordernis bei der Verpflichtung nach Art. 17 Abs. 1 MAR. Jedenfalls sind sich aus der Befreiungsmöglichkeit von der Veröffentlichung ergebende Informationsorganisationspflichten zu ermitteln, welche gegebenenfalls die Compliance-Dimension des Art. 17 Abs. 1 MAR beeinflussen. (1) Kein Erfordernis positiver Kenntnis des Vorstands Über den Aufschub entscheidet der Emittent gem. Art. 17 Abs. 4 MAR „auf eigene Verantwortung“. Nach den Leitlinien der ESMA sollen hierfür Personen 95 96

Klöhn, NZG 2017, 1285, 1286 f. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 68.

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zuständig sein, die über die erforderliche Entscheidungsbefugnis verfügen, wie dies bei Vorstandsmitgliedern der Fall ist.97 Die Aufsichtsbehörde geht indessen anscheinend nicht zwingend von einer Vorstandszuständigkeit aus, sondern von der Möglichkeit einer Entscheidung durch entsprechend ermächtigte Personen. Sie präzisiert angesichts der Vielfalt an Organisationsstrukturen bewusst nicht, welche Position die Person innehaben muss.98 Sofern in der juristischen Person keine gesonderte Stelle für Ad-hoc-Meldungen eingerichtet ist, ist es jedenfalls Aufgabe des geschäftsführenden Organs, die Selbstbefreiungsmöglichkeit zu prüfen. Logische Konsequenz scheint nun, dass die Kenntnis des Vorstands von den Insiderinformationen notwendige Voraussetzung für die Selbstbefreiung ist, denn der Vorstand kann die Veröffentlichung von Insiderinformationen nicht für den Emittenten aufschieben, wenn er sie nicht selbst kennt. Entsteht die Veröffentlichungspflicht bereits bei der Kenntnis „einfacher Mitarbeiter“, besteht die Gefahr, die Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR zu entwerten. Der Vorstand, der von den potenziell ad-hocpflichtigen Umstände keine Kenntnis hat, kann die Aufschubmöglichkeit nicht prüfen, sodass die Vorschrift zwangsläufig ins Leere führt, wenn das Wissen von Mitarbeitern unterer Hierarchieebenen für die Ad-hoc-Pflicht ausreicht.99 In Erwägung gezogen wird daher, eine Zurechnung auf positive Kenntnis des zuständigen Geschäftsleitungsorgans zu beschränken.100 Zwar käme es nach den von Rechtsprechung und Literatur in Deutschland entwickelten Grundsätzen zur Wissenszurechnung auf die Funktion und (Organ)Stellung des Wissensträgers nicht (mehr) maßgeblich an, sodass eine Wissenszurechnung auch bei Wissensträgern unterhalb der Führungsebene möglich wäre.101 Angesichts des europäischen Normursprungs darf jedoch methodisch nicht auf die nationalen Wissenszurechnungsgrundsätze zurückgegriffen werden. Sie stehen der Forderung positiver Kenntnis des Vorstands von den Insiderinformationen als Voraussetzung der Publizitätspflicht nicht entgegen, sodass diese, um die Möglichkeit des Aufschubs in Art. 17 Abs. 4 MAR nicht auszuhöhlen, in diesem Zusammenhang gefordert werden kann. Ungeachtet dessen überzeugt der Einwand, die Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR stehe dem Emittenten dann nicht zur Verfügung, wenn ihm die Insiderinformationen nicht bekannt sind, denn sie könnten in diesem Fall nicht Gegenstand einer Entscheidung des Emittenten über den Aufschub sein,102 nicht.103 In 97

ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Ziff. 7.3.1 Rdn. 239. 98 Die BaFin verlangt hingegen die Beteiligung mindestens eines Mitglieds der Geschäftsführung, BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 29. 05. 2019, III.1; BaFin-Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Stand: 01. 07. 2019, I.3.3.1.1; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 17 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 9 verlangt einen Beschluss des geschäftsführenden Organs. 99 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 32; ders., AG 2019, 273, 279. 100 Koch, AG 2019, 273, 279. 101 Zur früher herrschenden Organtheorie vgl. C. II. 1. 102 Koch, AG 2019, 273; 279; Nietsch, ZIP 2018, 1421 f.

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diesem Fall bliebe unberücksichtigt, dass für den Emittenten allgemein kein Anreiz bestünde, dem Vorstand Insiderinformationen schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen, weil bis zu diesem Zeitpunkt mangels positiver Kenntnis jedenfalls keine Adhoc-Publizitätspflicht bestünde. Gleiches gilt bereits für die Bewertung, ob Informationen die Voraussetzungen des Art. 7 MAR erfüllen, also etwa als präzise i.S.d. Art. 7 Abs. 2 MAR anzusehen sind, oder ob gem. Art. 7 Abs. 3 MAR der Zwischenschritt eines gestreckten Vorgangs eine Insiderinformation darstellt. Mit der Annahme, eine umfassende Würdigung könne nur der Vorstand vornehmen,104 geht nicht einher, dass der Emittent nicht dafür zu sorgen hat, dass die potenziell ad-hocpflichtigen Umstände der entscheidungsberechtigten Stelle zugeleitet werden. Keine Kenntnis von den Insiderinformationen hat der Vorstand jedenfalls in den Fällen der originären sachlichen Aufsichtsratszuständigkeit bezüglich der Selbstbefreiungsentscheidung. Die Annexkompetenz des Aufsichtsrats ist abschließend, wenn aufgrund der Vertraulichkeit der betreffenden Umstände kein Vorstandsmitglied in die Entscheidung über den Aufschub eingebunden werden kann.105 (2) Aufschubmöglichkeit als Ergebnis ordnungsgemäßen Informationsmanagements Die Entwertung der Aufschubmöglichkeit droht nicht, wenn die Frage, ob dem Emittenten dieses Privileg zugestanden wird, nicht von der Kenntnis des Vorstands, sondern von der Erfüllung seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation abhängig gemacht wird.106 Schafft der Emittent ein effektives Informationsmanagement, das Weiterleitungsmechanismen umfasst, gelangt das Wissen zum Vorstand, der die Voraussetzungen der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR anschließend prüfen kann. Wenn die Insiderinformationen dagegen trotz organisatorischer Vorkehrungen nicht an den Vorstand gelangen können, besteht hingegen schon keine Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach Art. 17 Abs. 1 MAR. Ein Kennenmüssen der 103

Dies gilt insbesondere, wenn davon ausgegangen wird, eine Entscheidung über den Aufschub sei für die Berücksichtigung des Privilegs nicht erforderlich, dafür Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 184; ders., AG 2016, 423, 431; a.A. ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/ 1455, Ziff. 7.3.1 Rdn. 239; BaFin-Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Stand: 01. 07. 2019, I.3.3.1.1; Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1422; Teigelack, BB 2016, 1604, 1607; Vaupel/Oppenauer, AG 2019, 502, 510. Vor Inkrafttreten der MAR dafür BGH, Beschl. v. 23. 04. 2013 – II ZB 7/09, NJW 2013, 2114, 2118 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. 04. 2009 – 20 Kap 1/08, NZG 2009, 624, 635; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 15 Rdn. 165a ff.; Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten versus Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 126; Ihrig/Kranz, BB 2013, 451, 453; a.A. Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.3. 104 So Koch, AG 2019, 273, 280. 105 BaFin-Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Stand: 01. 07. 2019, I.3.3.1.1; Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621, 632 stellen auf das Wissen des Aufsichtsrats ab; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 95 bezweifeln hingegen, ob in diesen Fällen eine Pflicht des Emittenten zur Ad-hoc-Publizität besteht. 106 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 43.

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E. Ad-hoc-Publizität

Insiderinformationen – hält man dies für erforderlich – wäre bei organisatorischen Vorkehrungen nicht gegeben und auch eine objektiv begründete Ad-hoc-Publizitätspflicht bestünde bei ausreichender Wissensorganisation nicht. Auf die Möglichkeit des Aufschubs kommt es in diesem Fall nicht mehr an. Das Selbstbefreiungsprivileg muss der Emittent sich gewissermaßen durch eine gute interne Wissensorganisation verdienen.107 Die Aufschubmöglichkeit soll demjenigen Emittenten zugutekommen, der sich über die Insiderinformationen in Kenntnis setzt, während sie demjenigen verwehrt ist, der nicht für eine hinreichende Selbstorganisation sorgt.108 Die Anforderungen an das Informationsmanagement des Emittenten, die der Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR mit sich bringt, betreffen alle Phasen der Selbstbefreiung. Zu Beginn steht, unabhängig davon, ob sie als notwendig erachtet wird, im Regelfall die Entscheidung über den Aufschub. Die ESMA erwartet ein Mindestmaß an Organisation und die Einrichtung interner Verfahren, um bewerten zu können, ob die Veröffentlichung von Insiderinformationen aufgeschoben werden kann und wie lange der Aufschub vorzunehmen ist.109 Auch die europäische Aufsichtsbehörde geht folglich davon aus, dass die Prüfung, ob ein Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR möglich ist, ein Prozess ist, der zwar möglichst schnell durchzuführen ist, aber dennoch eine gewisse Zeitverzögerung mit sich bringt. Eine augenblickliche Pflicht zur Veröffentlichung mit Vorliegen der Insiderinformationen ist neben den bereits erläuterten Gründen110 auch deshalb abzulehnen, weil andernfalls die Möglichkeit der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR leerliefe. Welcher konkrete Zeitraum dem Emittenten für die Entscheidung über den Aufschub zuzubilligen ist, hängt dann wieder davon ab, welche Zeit die Insiderinformationen bei einem ordnungsgemäßen Informationsmanagement benötigen, um den entscheidungsbefugten Vorstand zu erreichen. Nach der Entscheidung für einen Aufschub trifft den Emittenten die Pflicht, während die Veröffentlichung der Insiderinformationen nach Art. 17 Abs. 4 MAR aufgeschoben ist, fortlaufend die Voraussetzungen des Befreiungstatbestands zu prüfen. Insbesondere ist die Vertraulichkeit der Insiderinformationen zu gewährleisten, da, wenn dies nicht mehr der Fall ist, gem. Art. 17 Abs. 7 MAR die Öffentlichkeit zu informieren ist. Zum Aufschub der Offenlegung ist daher gem. Art. 4 Abs. 1 lit. c Ziff. i der Durchführungsverordnung111 der Nachweis zu führen, dass 107

Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 43. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 43. 109 ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Ziff. 7.3.1 Rdn. 239. 110 Siehe E. II. 2. a) bb) (1). 111 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission vom 29. 06. 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der technischen Mittel für die angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen und für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 173 vom 30. 06. 2016, S. 47. 108

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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„intern und gegenüber Dritten herbeigeführte Informationshindernisse“ bestehen, die den Zugang zu Insiderinformationen „durch andere Personen als diejenigen […] verhindern, die sie für die normale Ausübung ihrer Arbeit, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben beim Emittenten […] benötigen“. Des Weiteren sind gem. Art. 4 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 der Durchführungsverordnung Vorkehrungen nachzuweisen, um die Insiderinformationen gem. Art. 17 Abs. 7 MAR schnellstmöglich bekannt zu geben, wenn keine Vertraulichkeit mehr gewährleistet ist. Die speziell im Rahmen des Art. 17 Abs. 4 MAR relevanten Wissensorganisationsanforderungen lassen Rückschlüsse für die grundsätzliche Compliance-Dimension der Ad-hoc-Pflicht zu. So verlangt die ESMA im Zusammenhang mit dem Aufschub, dass interne Organisationsstrukturen auch gewährleisten müssen, dass die Prüfung vorgenommen werden kann, ob es sich bei den Informationen um Insiderinformationen handelt.112 Die Frage der Qualifizierung von Informationen als Insiderinformationen stellt sich jedoch bereits auf Ebene des Art. 17 Abs. 1 MAR. Die Prüfung, ob es sich um Insiderinformationen handelt und grundsätzlich eine Veröffentlichungspflicht besteht, ist denklogisch vorzunehmen, bevor ein Aufschub in Erwägung gezogen wird. Der Emittent hat damit auf jeden Fall Vorkehrungen zu treffen und eindeutige Zuständigkeiten festzulegen, um diese Prüfung durchführen zu können. Auch der in Art. 4 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 der Durchführungsverordnung explizit geforderte Nachweis in Bezug auf Vorkehrungen zur schnellstmöglichen Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 7 MAR, wenn die Vertraulichkeit der Insiderinformationen nicht mehr gewährleistet wird, lässt Rückschlüsse auf die Compliance-Dimension der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu. Die geforderten organisatorischen Maßnahmen beziehen sich nicht auf die rechtliche Qualifizierung als Insiderinformationen, da der Qualifizierungsvorgang selbst vor der Aufschiebung abgeschlossen sein muss. Die Informationen liegen auch bereits dem Vorstand vor, da sie Gegenstand der Aufschiebungsentscheidung sind. Kein Unterschied zu Art. 17 Abs. 1 MAR hinsichtlich der Anforderung an das Wissensmanagement des Emittenten besteht dagegen, wenn die Insiderinformationen als solche erkannt wurden und dem Vorstand zur Verfügung stehen. Das Informationsmanagement betrifft hier die Durchführung der Veröffentlichung selbst. Diese Vorkehrungen zur schnellstmöglichen Publikation sind für den Grundfall des Art. 17 Abs. 1 MAR ebenso zu treffen wie bei der Veröffentlichung nach Wegfall der Voraussetzungen des Aufschubs gem. Art. 17 Abs. 7 MAR. cc) Gegensatz zu Art. 8 MAR Besonders deutlich fällt die unterschiedliche Relevanz subjektiver Elemente bei einem Vergleich der Wortlaute der insiderrechtlichen Vorschriften in Art. 17 MAR und in Art. 8 MAR auf. Während in Art. 17 Abs. 1 MAR auf ein Wissenselement 112 ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Ziff. 7.3.1 Rdn. 239.

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E. Ad-hoc-Publizität

vollständig verzichtet wird, setzt der Tatbestand des Insiderhandelsverbots (Art. 8 Abs. 1 MAR) voraus, dass Personen Insiderinformationen „besitzen“ bzw. über sie „verfügen“. Die Formulierung lässt auf den ersten Blick ebenfalls eine objektive Auslegung zu. Nach dem Wortlaut der Norm kann als Voraussetzung verlangt werden, dass sich die Insiderinformationen im Machtbereich des Insiders befinden müssen. Art. 8 Abs. 4 MAR stellt allerdings zumindest für einen Sekundärinsider klar, dass er „weiß oder wissen müsste, dass es sich […] um Insiderinformationen handelt“. Das Wissenselement ist so als Tatbestandsvoraussetzung ausdrücklich erwähnt. Die Regelung des Insiderhandelsverbots steht damit offensichtlich im Gegensatz zur Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR. Es kann nicht eingewendet werden, dieser Unterschied liege darin begründet, dass die Veröffentlichungspflicht sich nur an juristische Personen richte. Neben Art. 3 Abs. 1 Nr. 13 MAR, der klarstellt, dass eine „Person“ auch i.S.d. Art. 8 MAR natürliche und juristische Personen meint, ergibt sich auch aus Art. 8 Abs. 5 MAR eindeutig, dass juristische Personen Insidergeschäfte i.S.d. Art. 8 MAR tätigen können. Es kommt dementsprechend in Art. 8 Abs. 4 MAR auch auf ihr Wissen oder Wissenmüssen an. Der europäische Gesetzgeber geht folglich davon aus, dass nicht nur bei natürlichen, sondern auch bei juristischen Personen das Kenntniselement erfüllt sein kann. Dennoch verlangt er dieses Tatbestandsmerkmal in Art. 17 MAR nicht, sodass sich auch aus der systematischen Zusammenschau von Art. 17 MAR und Art. 8 MAR ergibt, dass der Tatbestand des Art. 17 Abs. 1 MAR ein subjektives Element nicht enthält. dd) Gesetzliche Compliance-Anforderungen im Insiderrecht Der Informationsmanagement-Dimension des Art. 17 Abs. 1 MAR wird entgegengehalten, die Diskussion um Compliance sei in den vergangenen Jahren „aus dem Ruder [gelaufen]“ und die Anforderungen an die Organisation des Emittenten hätten sich derart erhöht, dass eine solche Entwicklung für die Ad-hoc-Publizität unbedingt zu vermeiden sei.113 Exemplarisch können in diesem Zusammenhang die Pflichten zur Einrichtung von Verfahren zur Verhinderung und Aufdeckung von Insidergeschäften nach Art. 16 MAR sowie zur Führung von Insiderlisten nach Art. 18 MAR genannt werden. Eine gesetzliche Compliance-Vorgabe findet sich auch in Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR, dessen vorgesehene Verfahren dem Emittenten eine Möglichkeit zur Widerlegung der Spector-Vermutung bieten.114 Der Regelung zufolge werden Geschäfte von juristischen Personen, die im Besitz von Insiderinformationen sind, nicht als Insidergeschäfte angesehen, sofern „angemessene und wirksame interne Regelungen und Verfahren“ existieren, die sicherstellen, dass die am Geschäft beteiligte natürliche Person nicht im Besitz der Insiderinformationen gewesen ist. Die Vermutung für die Nutzung der Insiderinformationen gilt in diesem Fall als widerlegt. Es handelt sich nicht um eine Pflicht, sondern um einen Anreiz, gewisse or113 114

Koch, AG 2019, 273, 282. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 9 Rdn. 11; siehe hierzu noch F. III.

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

133

ganisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um Insiderhandel zu unterbinden.115 Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR formuliert somit abstrakte Anforderungen an die ComplianceOrganisation, regelt dabei aber nur einen Ausschnitt der organisatorischen Vorschriften, die juristische Personen treffen müssen, um Insidergeschäften vorzubeugen.116 Speziell die Compliance-Maßnahmen des Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR dienen der Kontrolle des Informationsflusses innerhalb der Gesellschaft. Die Vorschrift stellt klar, dass Insiderinformationen nicht zu den Personen gelangen dürfen, die für die juristische Person den Beschluss fasst, ein Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft zu tätigen oder die diesen Beschluss beeinflusst. Es sind eindeutige Vorgaben formuliert, um das für den Emittenten im Grunde offensichtliche Ziel zu erreichen, eine unkontrollierte Insiderinformationsverbreitung innerhalb der juristischen Person zu vermeiden. Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR erfordert somit eine Strukturierung der Kommunikationsflüsse innerhalb des Emittenten. Nichts anderes ergibt sich letztlich aus Art. 17 Abs. 1 MAR. Während für die Widerlegung der Spector-Vermutung die Strukturierung der Informationsflüsse sicherzustellen hat, dass eine Verbreitung von Insiderinformationen – beispielsweise mithilfe von Informationsbarrieren – begrenzt wird, muss der Emittent im Rahmen der Ad-hoc-Pflicht Informationsstrukturen schaffen, die dafür sorgen, dass die Insiderinformationen nur zum Zwecke der öffentlichen Bekanntgabe weitergeleitet werden. Um Insiderinformationen, die sich im Verantwortungsbereich des Emittenten befinden, der Öffentlichkeit bekannt zu geben, sind die hierfür erforderlichen Verfahren in die Wege zu leiten. Ziel ist die systematische Weiterleitung an die für Ad-hoc-Mitteilungen zuständige Stelle. Für den Emittenten ist es angesichts der sich auch aus anderen Normen ergebenden Compliance-Pflichten in Bezug auf Insiderinformationen keinesfalls überraschend, ein effektives Informationsmanagement auch zur Erfüllung der Ad-hocPublizitätspflicht betreiben zu müssen. Angesichts des somit ohnehin erforderlichen Informationsmanagements ergeben sich aus der Ad-hoc-Publizitätspflicht auch keine zu weitgehenden zusätzlichen Anforderungen an die Organisation des Emittenten. Dass sich die konkreten Anforderungen an das Informationsmanagement nicht aus dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR ergeben, steht dieser Annahme nicht entgegen, schließlich sind in der MAR nicht alle organisatorischen Vorkehrungen, die Emittenten zu treffen haben, um Insiderhandel zu unterbinden, ausdrücklich geregelt. Nicht angesprochen sind etwa vorbeugende Maßnahmen, zur Kontrolle des Informationsflusses zu denjenigen Personen, die für die juristische Person Empfehlungen aussprechen (Art. 8 Abs. 2 MAR).117

115 116 117

Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 9 Rdn. 7. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 9 Rdn. 12 f. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 9 Rdn. 13.

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E. Ad-hoc-Publizität

ee) Keine Parallele zur Meldepflicht, Art. 12 Abs. 2 der Transparenzrichtlinie II Für das Wissen als Voraussetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht wird auch eine Parallele zur Meldepflicht bei Über- oder Unterschreitung von Stimmrechtsquoten nach § 33 WpHG angeführt.118 Die Vorschrift des WpHG zur Meldepflicht von Beteiligungen beruht auf Art. 12 der Transparenzrichtlinie II,119 der damit Relevanz für die Auslegung der nationalen Norm zukommt. Die Frist für die Meldung eines veränderten Stimmrechtsanteils beginnt nach § 33 Abs. 1 Satz 3 WpHG mit dem Zeitpunkt, zu dem der Meldepflichtige, bei dem es sich auch um eine juristische Person handeln kann, Kenntnis von der Schwellenberührung hat oder nach den Umständen haben müsste. Dafür, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht Wissen als ungeschriebenes, pflichtbegründendes Tatbestandsmerkmal aufweisen müsse, spreche, dass die Mitteilungspflichten strukturell und funktional der Ad-hoc-Publizität entsprächen und ihrerseits „Ausprägungen kapitalmarktrechtlicher Ad-hocPublizitätspflichten“120 seien.121 Sowohl die Ad-hoc-Publizitätspflicht als auch die Beteiligungstransparenz würden der optimalen Informationsversorgung des Marktes dienen und „richtige“ Marktpreise zustande bringen.122 Diese Parallele zeigt sich jedoch nicht in der Fassung der Vorschriften. Zwar fordert § 33 Abs. 1 Satz 1 WpHG, dass die Meldung unverzüglich, also entsprechend der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern,123 vorgenommen werden muss. Die Relevanz des Wissens ergibt sich jedoch nicht aus dem Merkmal der Unverzüglichkeit, wie es für § 15 Abs. 1 WpHG a.F. vertreten wird.124 Dass die Frist zur Meldung von Veränderungen des Stimmrechtsanteils mit der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Meldepflichtigen beginnt, regelt vielmehr Art. 12 Abs. 2 lit. a der Transparenzrichtlinie II, auf den die Vorschrift des WpHG zurückgeht, ausdrücklich. Für die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR sieht die MAR ein entsprechendes Kenntniserfordernis hingegen gerade nicht vor. Beide Vorschriften des WpHG verlangen eine unverzügliche Handlung des Emittenten. Die Mitteilung an den Emittenten wegen Berührung einer Stimm118

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385 zu § 21 WpHG, an dessen Stelle § 33 WpHG getreten ist, seit die Nummerierung der Vorschriften des WpHG zu den Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten durch das 2. FiMaNoG mit Wirkung zum 03. 01. 2018 geändert wurde. 119 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38. 120 Habersack, DB 2016, 1551, 1556. 121 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385. 122 Habersack, DB 2016, 1551, 1556. 123 Bayer, in: MüKo AktG, Bd. 1, 5. Aufl., 2019, § 33 Rdn. 44. 124 Siehe D. I. 1. c).

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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rechtsquote sollte nach Art. 12 Abs. 2 der Transparenzrichtlinie II noch „so rasch wie möglich“ vorgenommen werden. Der Wortlaut der europarechtlichen Grundlage der Mitteilungspflicht wurde im Jahr 2013 jedoch verändert. Die Formulierung wurde durch die Transparenzrichtlinie III125 durch „unverzüglich“ ersetzt. Sie entspricht daher dem Wortlaut, den der europäische Gesetzgeber, für Art. 17 Abs. 1 MAR wählte, der seit einer Berichtigung126 eine unverzügliche Bekanntgabe verlangt. Es blieb aber auch nach der Änderung durch die Transparenzrichtlinie III dabei, dass die Mitteilung der Schwellenberührung gem. dem neu gefassten Art. 12 Abs. 2 lit. a der Transparenzrichtlinie II ausdrücklich „unverzüglich“ ab Kenntnis oder Kennenmüssen vorzunehmen ist. Aus dem Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit ergibt sich das Kenntniserfordernis demnach nicht. Der Fristbeginn mit Kenntnis oder Kennenmüssen musste ausdrücklich geregelt werden. Lässt man die Unverzüglichkeit allein als Anknüpfungspunkt für ein Kenntniselement nicht ausreichen, spricht dies insgesamt gegen ein solches im Ad-hoc-Publizitätstatbestand, da die Regelung für die Veröffentlichung in Art. 17 Abs. 1 MAR auch keine Frist vorsieht, die ausdrücklich an ein Wissenselement des Emittenten anknüpft. Hingegen steht selbst ein explizit im Tatbestand vorausgesetztes Kennen(müssen) nicht der Annahme entgegen, eine Regelung wie Art. 12 der Transparenzrichtlinie II enthalte Compliance-Anforderungen. Um der Mitteilung innerhalb der Frist nachzukommen, musste der potenziell gem. § 33 Abs. 1 WpHG Meldepflichtige auch unter Geltung des Art. 12 Abs. 2 der Transparenzrichtlinie II seine internen Informations- und Berichtssysteme derart ausgestalten, dass er über die relevanten Informationen verfügte.127 Da ein Kennenmüssen ausreichte, um die Mitteilungsfrist in Gang zu setzen, mussten organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, um sich 125 Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG, ABl. Nr. L 294 vom 06. 11. 2013, S. 13. 126 Berichtigung der VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der RL 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/ EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 348 vom 21. 12. 2016, S. 83. 127 Bayer, in: MüKo AktG, Bd. 1, 5. Aufl., 2019, § 33 Rdn. 46; U. H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 21 Rdn. 143; Brellochs, AG 2016, 157, 159 geht bei „komplexen Konzernverhältnissen“ sogar von einem tatsächlichen Zwang des Meldepflichtigen aus, weil in § 33 Abs. 1 Satz 4 WpHG, dem Art. 9 der Durchführungsrichtlinie (Richtlinie 2007/14/EG der Kommission vom 08. 03. 2007 mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, ABl. Nr. L 69 vom 09. 03. 2007, S. 27) zugrunde liegt, die Kenntnis des Meldepflichtigen zwei Tage nach der Schwellenberührung unwiderleglich vermutet wird.

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E. Ad-hoc-Publizität

Kenntnis von der Schwellenberührung zu verschaffen. Der Meldepflicht wurden damit mittelbar Wissensorganisationsanforderungen entnommen, denn Verstöße gegen die Anforderungen an das Informationsmanagement waren für die Frage relevant, ob der Meldepflichtige über die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis hätte verfügen müssen. Da der europäische Gesetzgeber für die Ad-hoc-Publizitätspflicht weder Kenntnis noch Kennenmüssen voraussetzt, wird das Informationsmanagement nicht dafür herangezogen, die Erfüllung dieses subjektiven Tatbestandselements zu ermitteln. Die Wissensorganisationsanforderungen beantworten die Frage, welchen Aufwand der Emittent betreiben muss, um die Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu erfüllen. ff) Zwischenergebnis Die Systematik der kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zeigt, dass die den Emittenten treffende Pflicht zur Veröffentlichung der bei ihm vorliegenden Insiderinformationen nicht von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der ad-hocpflichtigen Umstände abhängt. Neben dem Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit in Art. 17 Abs. 1 MAR bliebe einem Kenntniserfordernis kaum eine eigenständige Bedeutung. Dieses Tatbestandsmerkmal grenzt das den Emittenten treffende Pflichtenprogramm hinsichtlich seines Informationsmanagements sinnvoll ein. Einer weitergehenden Einschränkung durch ein Wissenselement bedarf es darüber hinaus nicht. Dass der Vorstand die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR prüfen können muss, um den Aufschub der Offenlegung in die Wege zu leiten, führt nicht zu der Annahme, positive Kenntnis des Vorstands sei Voraussetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR. Das Selbstbefreiungsprivileg schafft einen Anreiz, das Informationsmanagement darauf auszurichten, dem Vorstand potenziell ad-hoc-pflichtige Informationen zukommen zu lassen, und kommt dem Emittenten lediglich zugute, sofern ihm dies gelingt. Die im Zusammenhang mit dem Aufschub anerkannten Wissensorganisationspflichten lassen Rückschlüsse auf das für die Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu erwartende Informationsmanagement zu. Der Vergleich mit Art. 8 MAR zeigt, dass der europäische Gesetzgeber im Gegensatz zu dieser Norm im Wortlaut des Art. 17 MAR auf ein Wissenselement verzichtet hat. Er war sich, wie Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR zeigt, der internen Kommunikationsflüsse bei juristischen Personen bewusst und fordert daher im Insiderrecht ausdrücklich eine Wissensorganisation. Schließlich lässt sich auch keine Parallele zur Meldepflicht bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils nach § 33 WpHG erkennen. Der der Vorschrift zugrunde liegende Art. 12 Abs. 2 lit. a der Transparenzrichtlinie II gibt seit der Änderung durch die Transparenzrichtlinie III vor, dass die Frist für die unverzügliche Mittei-

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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lung mit der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Meldepflichtigen beginnt. Diese Regelung steht im Gegensatz zur Ad-hoc-Publizität, für die der europäische Gesetzgeber gerade kein Kenntniselement vorgesehen hat. c) Zweck Herausragende Bedeutung kommt im Unionsrecht der teleologischen Auslegung zu.128 Sinn und Zweck der Verordnung können anhand der Erwägungsgründe ermittelt werden, in denen die Regelungsziele formuliert sind.129 Bei der teleologischen Auslegung muss den Vorschriften nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV verankerten effet utile-Grundsatz zu einer möglichst großen praktischen Wirksamkeit bzw. dem größtmöglichen Nutzen verholfen werden.130 Es wurde bereits festgestellt, dass nach den Grundsätze der Equal Access Theory das Ziel des Insiderrechts darin besteht, informationelle Chancengleichheit durch Transparenz herzustellen, sodass keine Informationsasymmetrien bestehen, die von einzelnen Marktteilnehmern ausgenutzt werden können.131 Die Ad-hoc-Publizität dient dazu, Informationen in die Marktpreise einfließen zu lassen und den Kreis potenzieller Insider sowie das Zeitfenster potenziellen Insiderhandels gering zu halten. Im Hinblick auf diese Zielsetzungen werden die beiden Ansätze bezüglich des Wissens als Voraussetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Informationsmanagements untersucht. aa) Abbau von Informationsasymmetrien Idealerweise wird die Veröffentlichung der Insiderinformationen vorgenommen, sobald eine Informationsasymmetrie entsteht. Wenn innerhalb des Marktes bestimmte Informationen nicht allen, sondern nur einzelnen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen, droht die Gefahr von Insiderhandel. Wird das Wissen des Emittenten um die Insiderinformationen als ungeschriebenes pflichtbegründendes Tatbestandsmerkmal von Art. 17 Abs. 1 MAR vorausgesetzt, entsteht die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht mit dem objektiven Vorliegen der Informationen, d. h. sobald die Informationen in der Welt sind und von Personen wahrgenommen werden können, sondern erst mit dem Hinzutreten des Wissenselements. Ob die Gefahr von Insidergeschäften erst besteht, wenn der Emittent Kenntnis von den Insiderinformationen hat, oder ob Insidergeschäfte auch schon zu einem früheren Zeitpunkt möglich sind, hängt davon ab, welche Anforderungen an das Vorliegen des subjektiven Merkmals auf Seiten des Emittenten gestellt werden. Die Gefahr eines Insiderge128

Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rdn. 16. Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 52. 130 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001 – Rs. C-453/99 (Courage und Crehan), EU:C:2001:465, EuZW 2001, 715, 716 Rdn. 26; Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 57; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 180 ff. 131 Siehe B. III. 2. 129

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E. Ad-hoc-Publizität

schäfts entsteht grundsätzlich dann, wenn ein Marktteilnehmer Insiderinformationen nutzen kann, um eine Handelsentscheidung zu treffen. Geht man davon aus, dass die Kenntnis des Emittenten bereits anzunehmen ist, wenn ein Mitarbeiter, gleich welcher Hierarchieebene er angehört, von den Insiderinformationen weiß, läge ab dem Zeitpunkt von dessen Kenntniserlangung ein ausnutzbarer Wissensvorsprung des Mitarbeiters selbst und des Emittenten gegenüber anderen Marktteilnehmern vor. Die Veröffentlichungspflicht entstünde zum denkbar frühesten Zeitpunkt, nämlich sobald ein Mitarbeiter zum Insider würde. Wäre im Gegensatz hierzu die Wissenszurechnung auf die positive Kenntnis des Vorstands beschränkt, würde die Voraussetzung des Wissens folglich erst erfüllt, wenn der Vorstand über die Insiderinformationen verfügt.132 Vorher bestünde keine Ad-hoc-Mitteilungspflicht, obwohl unter Umständen eine Vielzahl von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene Kenntnis von den Informationen hätte und diese gegebenenfalls für Marktentscheidungen nutzen könnte. Wenngleich kursrelevante Informationen dem Vorstand größtenteils bekannt sind,133 ist das Organ nicht die einzige Quelle für das Entstehen unmittelbar emittentenbezogener Insiderinformationen und nicht die einzige Eingangsstelle für solche Informationen. Vielmehr können unmittelbar emittentenbezogene Insiderinformationen auch bei Mitarbeitern unterer Hierarchieebenen entstehen oder diese von außen erreichen. Der Kreis potenzieller Insider und der Zeitraum, bis Informationen zum Vorstand gelangen, ist mitunter groß, während auf der anderen Seite keine Ad-hoc-Mitteilungspflicht des Emittenten besteht. Die Gefahr, dass Mitarbeiter verbotene Insidergeschäfte tätigen, besteht also durchaus, wenn positive Kenntnis des Vorstands als Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht angesehen wird. Folglich entstehen je nach den Anforderungen, die an das Vorliegen der Kenntnis beim Emittenten gestellt werden, bis zum Zeitpunkt der Ad-hoc-Veröffentlichung unerwünschte Informationsasymmetrien in unterschiedlichem Maße. Dies widerspräche der Entscheidung des europäischen Gesetzgebers für ein gleichzeitiges Einsetzen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots, die er mit der Anknüpfung an den gleichen Begriff der Insiderinformationen in beiden Reglungen erreichen wollte.134 Ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal der Kenntnis darf nicht zu einer faktischen Vorverlagerung des Insiderhandelsverbot im Verhältnis zur Ad-hocPublizitätspflicht führen. Keine Differenz ergibt sich in den vorstehenden Konstellationen selbstverständlich, wenn nicht die positive Kenntnis des Vorstands für die Entstehung der Veröffentlichungspflicht verlangt wird, sondern ein Kennenmüssen ausreicht, das vorliegt, sobald ein Mitarbeiter der Gesellschaft über Insiderinformationen verfügt und diese über die interne Kommunikation an den Vorstand weitergeleitet werden können. Dem von der MAR verfolgten Ziel, die Integrität des 132

So Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, Rdn. 33. Hiervon zeugen zahlreiche beispielhafte Fallkonstellationen der BaFin, Emittentenleitfaden, Stand: 28. 04. 2009, IV.2.2.4. 134 Siehe B. III. 1. b). 133

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

139

Finanzmarktes durch Vorbeugung gegen Insiderhandel zu schützen, wird jedenfalls kaum genüge getan, wenn die Ad-hoc-Publizitätspflicht positive Kenntnis des Vorstands voraussetzt. In diesem Fall ist der Personenkreis, der potenziell Kenntnis von Informationen hat, ohne dass die Insiderinformationen veröffentlichungspflichtig sind, zu groß. Ein ausnutzbarer Wissensvorsprung besteht jedoch auch, wenn gesellschaftsfremde Marktteilnehmer von Insiderinformationen Kenntnis erlangen. Auch externe emittentenbezogene Vorgänge können Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR darstellen.135 Im Falle der Entscheidung eines Bieters für ein Übernahmeangebot oder der bevorstehenden Insolvenz wichtiger Schuldner136 besteht eine Informationsasymmetrie, auch wenn kein Mitarbeiter der Gesellschaft Kenntnis von den Insiderinformationen hat. Im Beispiel sind etwa Personen aus der Sphäre des Bieters bzw. des insolventen Schuldners in der Lage, verbotene Insiderhandelsgeschäfte zu tätigen. Steht das Wissen außerhalb der Gesellschaft, wäre ein Tatbestandsmerkmal der Kenntnis nicht erfüllt. Der grundsätzlich ad-hoc-publizitätspflichtige Emittent könnte sich in diesen Fällen auf seinem Nichtwissen gewissermaßen ausruhen. Die pauschal enge Betrachtung der Ad-hoc-Pflicht als nur durch gesellschaftsinternes Wissen auslösbare Veröffentlichungspflicht ist mit dem Ziel, Insidergeschäften vorzubeugen und eine größtmögliche Transparenz des Finanzmarkts durch umfassende Information der Wirtschaftsakteure anzustreben, nicht vereinbar. Aufgefangen werden könnte dieses Ergebnis lediglich, indem das Kennenmüssen entsprechend weit verstanden wird. Bezieht es sich auch auf externe Umstände kann letztlich auch Wissen außerhalb der Gesellschaft als das für Art. 17 Abs. 1 MAR notwendige Wissen des Emittenten verstanden werden und eine Adhoc-Mitteilungspflicht begründen. Mit einem derart weiten Verständnis des Kennenmüssens würde das Wissen des Emittenten jedoch letztlich einem objektiven Merkmal angenähert und verlöre dementsprechend eine eigenständige Funktion. Der Korrektur bedürfte es dagegen nicht, wenn auf das Kenntniselement bereits im Ausgangspunkt verzichtet wird. Im Hinblick auf den Zweck der Ad-hoc-Publizitätspflicht, Informationsasymmetrien abzubauen, ist somit festzustellen, dass diesem eine objektive Pflicht ohne subjektives Kenntniserfordernis am besten gerecht wird.

135 Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, HdB der AG, 3. Aufl., 2018, § 22 Rdn. 14. Siehe hierzu bereits E. II. 2. b) aa). 136 Vgl. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 384 Fn. 13 und CESR, Market Abuse Directive, Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market, CESR/06/562, Ziff. 1.15. mit weiteren Beispielen.

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E. Ad-hoc-Publizität

bb) Informationsmanagement als übermäßige Belastung des Emittenten? Wird Art. 17 Abs. 1 MAR als objektivierter Offenlegungstatbestand aufgefasst, genügt für das Entstehen der Ad-hoc-Mitteilungspflicht grundsätzlich auch das Vorliegen externer Insiderinformationen. Die Veröffentlichungspflicht ist damit auf den ersten Blick in erheblichem Maße weiter, da sie alle durch ein effizientes Informationsmanagement „beschaffbaren“ Insiderinformationen umfasst. Der effet utile-Grundsatz zwingt allerdings nicht zur Schaffung einer „Kapitalmarkttransparenz um jeden Preis“, sondern erfordert die Berücksichtigung gegenläufiger Zielsetzungen.137 Die Anforderungen an den Emittenten dürfen nicht höher sein als der Nutzen für das Informationsinteresse des Marktes.138 Bei der Auslegung des Art. 17 MAR ist daher die mit Wissensorganisationspflichten einhergehende Belastung des Emittenten zu berücksichtigen. So kann der effet utile-Grundsatz gerade keine grenzenlose Informationsbeschaffungspflicht des Emittenten begründen. Vielmehr lassen sich auch bei einer Auslegung des Art. 17 Abs. 1 MAR als objektiver Offenlegungstatbestand bereits aus dessen Tatbestandsmerkmalen Einschränkungen hinsichtlich der Informationsbeschaffung ableiten. Diese kann nur so weit reichen, wie der Emittent zur Ad-hoc-Mitteilung verpflichtet ist. Somit lassen sich aus den Tatbestandsmerkmalen, welche die Ad-hoc-Mitteilungspflicht beschränken, auch Grenzen der erforderlichen Informationsbeschaffung ableiten. Der Unterschied zur Einordnung des Art. 17 Abs. 1 MAR als Wissensnorm, für welche die Anforderungen an die Informationsbeschaffung anhand eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des Kennenmüssens zu ermitteln wären, besteht darin, dass sich diese Einschränkungen nicht aus einem ungeschriebenen Merkmal, sondern aus den geschriebenen Voraussetzungen und der Rechtsfolge des Art. 17 Abs. 1 MAR sowie dem Telos der Veröffentlichungspflicht selbst ergeben. Eine Grenze der Ad-hoc-Mitteilungspflicht ist das Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Betroffenheit. Die Gefahr von Insiderhandel durch gesellschaftsfremde Marktteilnehmer wird hier teilweise bewusst hingenommen. Das einschränkende Charakteristikum des unmittelbaren Betreffens weisen Informationen, über die Externe verfügen, teilweise nicht auf, sodass sie von der Ad-hoc-Pflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR bereits aus diesem Grund ausgeschlossen sind. Marktinformationen bzw. Marktdaten als Insiderinformationen, über die externe Personen verfügen, beziehen sich nur mittelbar auf einen Emittenten. Trotz eines Wissensvorsprungs, der potenziell ausgenutzt werden kann, besteht für den Emittenten in diesem Fall ohnehin keine Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung. Mittelbar den Emittenten betreffende Informationen müssen nicht durch ein Kenntniserfordernis herausgefiltert werden und es besteht keine Pflicht, sie zu beschaffen, um sie zu veröffentlichen.

137 138

Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 33. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 116.

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

141

Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus der angeordneten Rechtsfolge der unverzüglichen Bekanntgabe. Der Zeitraum, der dem Emittenten für die Erfüllung der Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zugebilligt wird, ist objektiv zu bestimmen. Er beginnt mit dem Vorliegen der Insiderinformationen und endet, sobald es einem hinsichtlich der internen Informationsflüsse ideal organisierten Emittent möglich ist, die Veröffentlichung durchzuführen. In Bezug auf externe Umstände ergibt sich für den Emittenten in zeitlicher Hinsicht ein Vorteil, weil berücksichtigt werden muss, wie viel zeitintensiver Aufwand für die Informationsbeschaffung erforderlich ist. Neben diesem zeitlichen Aspekt der Wissensorganisation ergeben sich für den Umfang der Informationsbeschaffungspflicht aus dem Merkmal der Unverzüglichkeit nicht unmittelbar Anhaltpunkte. Allerdings könnte man eine Grenze bezüglich der Informationsbeschaffung dahingehend sehen, dass Informationen nur in dem Maße erhoben werden müssen, in dem sie in einem ideal organisierten internen Kommunikationssystem noch verarbeitet werden könnten. Würde hingegen darauf abgestellt, was von dem konkreten Emittenten erwartet werden kann, würde sich eine schlechte Wissensorganisation zu seinen Gunsten auswirken, weil ihm mehr Zeit für die Veröffentlichung von weniger Informationen eingeräumt würde. Neben den geschriebenen einschränkenden Tatbestandsmerkmalen liegt der Belastung des Emittenten mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht, wie anfangs dargestellt, der Gedanke zugrunde, er sei als Informationserzeuger der least cost information provider.139 Potenziell mitteilungspflichtige juristische Personen sind in der Regel die ersten, die von Insiderinformationen erfahren. Sie können, sofern besondere Nachforschungen notwendig sind, die Informationen am kostengünstigsten beschaffen.140 Dies trifft vor allem auf Informationen zu, die im Rahmen des operativen Geschäfts und sonstiger Tätigkeiten des Emittenten anfallen und die er typischerweise während seiner Geschäftstätigkeit erlangt.141 Auch den externen Umstand der Insolvenz eines wichtigen Schuldners wird der Emittent aufgrund seiner „natürlichen Nähe zum relevanten Geschehen“142 nahezu mühelos und frühzeitig feststellen. Der komparative Kostenvorteil ergibt sich folglich nicht erst bei der Veröffentlichung, sondern insbesondere bereits bei der Suche und Analyse der Insiderinformationen, also bevor der Emittent Kenntnis von den Insiderinformationen hat.143 Hinsichtlich der Anforderungen an die Informationsbeschaffung, die an den Emittenten gestellt werden, kann aus diesem Grund gefolgert werden, dass er all diejenigen Informationen zu beschaffen hat, für die sich ein Kostenvorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern ergibt. Umgekehrt könnte man eine Grenze dort ziehen, wo ein anderer ad-hoc-pflichtiger Marktteilnehmer die Informationen kostengünstiger beschaffen 139

Siehe B. II. 1. Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 281 f. 141 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 69; Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. (2006), 711, 738. 142 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 281. 143 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287. 140

142

E. Ad-hoc-Publizität

kann und ohnehin selbst veröffentlichen muss. Hinsichtlich der Frage nach einem Wissenselement ergibt sich daraus jedoch, dass Art. 17 Abs. 1 MAR nicht die Pflicht zur Ermittlung potenziell ad-hoc-pflichtiger Tatsachen entnommen werden und gleichzeitig verlangt werden kann, die Veröffentlichungspflicht setze Kenntnis der Informationen voraus.144 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Ad-hoc-Publizität den Emittenten nicht übermäßig belastet, wenn Art. 17 MAR als objektive Pflichtennorm verstanden wird. Ein Kenntniselement ist nicht erforderlich, um die Anforderungen an den Emittenten zu begrenzen. Diese Funktion erfüllen die geschriebenen Tatbestandsmerkmale und der Telos der Veröffentlichungspflicht, die den Emittenten als least cost information provider trifft, sodass der Nutzen der Ad-hoc-Publizität in einem angemessenen Verhältnis zu seiner Belastung steht. cc) Telos von Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR Einem Wissenselement steht überdies der Telos von Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR entgegen. Die Norm erlaubt dem Emittenten den Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung nur, solange er die Geheimhaltung der Insiderinformationen sicherstellen kann. Zweck der Pflicht, die Informationen vertraulich zu halten, ist der Schutz des Marktes vor Insiderhandel aufgrund der geheim gehaltenen Insiderinformationen.145 Die Informationshändler haben ein Interesse daran, während die Veröffentlichung der Insiderinformationen aufgeschoben ist, nicht Opfer von Insiderhandel zu werden.146 Unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich der Frage, ob den Emittenten Geheimhaltungspflichten treffen, lassen sich für Konstellationen feststellen, in denen der Emittent keine Aufschubentscheidung getroffen hat, die Voraussetzungen für einen Aufschub allerdings vorlagen. Auch in diesem Fall kann dem Emittenten das Selbstbefreiungsprivileg zugutekommen.147 Ist Wissen(müssen) kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal und besteht daher die Veröffentlichungspflicht, ist das Selbstbefreiungsprivileg zu berücksichtigen, sofern neben dem Vorliegen eines berechtigten Interesses und der fehlenden Eignung, die Öffentlichkeit irrezuführen, der Emittent gem. Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR ihre Geheimhaltung sichergestellt hat. Der Emittent hat damit einen weiteren Anreiz, Vorkehrungen zu treffen, um die Pflicht zur Eindämmung des Informationszugangs, die bereits in einem Stadium beginnt, in dem noch keine Insiderinformationen existieren,148 zu erfüllen. Ist Wissen hingegen Tatbestandsvoraussetzung, bestünde mangels Kenntnis oder Kennenmüssens bereits keine Ad-hoc-Pflicht. Ein Aufschub wäre nicht notwendig und 144

Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287. Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten versus Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 126. 146 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 267. 147 Str., siehe Nachweise in E. II. 2. b) bb) (1) Fn. 103. 148 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 274. 145

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

143

ebenso wenig die Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit. Kann sich der Emittent also durch Unkenntnis von der Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR befreien, fehlt ihm gleichzeitig der Anreiz, die Geheimhaltung der Insiderinformationen sicherzustellen, die ein Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR voraussetzen würde.149 Der Schutz der Informationshändler vor Insiderhandel während des Zeitraums, in dem die Insiderinformationen beim Emittenten vorliegen, letzterer sie jedoch noch nicht kennt, wäre damit nicht gewährleistet. Dem entgegenstehenden Zweck des Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR wird daher eine Auslegung des Art. 17 Abs. 1 MAR gerecht, nach der ein Wissenselement im Tatbestand der Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht erforderlich ist. dd) Zwischenergebnis Verstünde man Art. 17 MAR als Wissensnorm, würde dies die Veröffentlichungspflicht beschränken, indem Art. 17 Abs. 1 MAR den Emittenten lediglich dazu verpflichtete, dem Finanzmarkt die Informationen mitzuteilen, die ihm bekannt sind. Ausgeschlossen wäre nach dieser Lesart, dass die Kenntnis von Insiderinformationen außerhalb des Emittenten zum Entstehen der Ad-hoc-Pflicht führt. Die Compliance-Dimension des Art. 17 Abs. 1 MAR lässt die Berücksichtigung von äußeren Entwicklungen, die keinem Mitarbeiter des Emittenten bekannt sind, dagegen zu. Der Zielsetzung der größtmöglichen Transparenz und des Abbaus von Informationsasymmetrien wird sie besser gerecht, da Insiderinformationen bei Wissensträgern außerhalb der juristischen Person nicht grundsätzlich von der Veröffentlichungspflicht ausgeschlossen sind. Der Anwendungsbereich der Ad-hocPflicht ist ohne Wissenselement weiter, aber nicht grenzenlos. Sachverhaltskonstellationen, welche die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 MAR nicht erfüllen oder mit der Zielsetzung, einen informationseffizienten Finanzmarkt zu schaffen, nicht vereinbar sind, werden „herausgefiltert“. Insiderinformationen, die den Emittenten nicht unmittelbar betreffen, die nicht unverzüglich veröffentlicht werden können oder deren Beschaffung durch den Emittenten nicht gerechtfertigt ist, weil sie für ihn nicht kostengünstiger als für andere Marktteilnehmer zu beschaffen sind bzw. die Belastung das Informationsinteresse übersteigt, sind nicht gem. Art. 17 Abs. 1 MAR zu veröffentlichen. Um eine ausufernde, tatsächlich unmöglich zu erfüllende Veröffentlichungspflicht zu verhindern, bedarf es folglich keines Wissenselements. Die Schaffung eines einschränkenden Kriteriums in Form der Kenntnis, das letztlich durch eine weitreichende Wissenszurechnung erweitert wird, um etwa die Obliegenheit des Emittenten zur Ermittlung potenziell ad-hoc-pflichtiger Umstände zu begründen, ist inkonsequent. Anstatt Kenntnis vorauszusetzen und gleichzeitig Kenntnisverschaffung zu verlangen, ist es stringenter, auf ein Wissenselement zu verzichten und stattdessen Art. 17 MAR unmittelbar Wissensorganisationspflichten zu entnehmen. Die Ad-hoc-Pflicht ist ein adäquates Mittel, um den Emittenten zu einer ordnungsgemäßen Wissensorganisation zu veranlassen. 149

Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 43 zu § 15 WpHG a.F.

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E. Ad-hoc-Publizität

Im Hinblick auf Art. 17 Abs. 4 MAR besteht damit auch ein weiterer Anreiz, die Vertraulichkeit von Insiderinformationen und Umständen, die sich zu Insiderinformationen entwickeln, zu gewährleisten. Der Normzweck von Art. 17 MAR legt ein Verständnis der Norm nahe, das über die Statuierung einer Veröffentlichungspflicht lediglich bezüglich dem Emittenten bekannter Umstände hinausgeht. d) Entstehungsgeschichte Der Kompromiss- und Verhandlungscharakter des europäischen Rechtssetzungsprozesses führt zu einer geringeren Bedeutung der historischen, auf den Willen der Normgeber abstellenden Auslegung.150 Gleichwohl hat sich der EuGH der Entstehungsgeschichte bereits als Auslegungshilfe bedient.151 Für die historische Auslegung sind die Regelungsvorstellungen der am Rechtsetzungsprozess beteiligten Organe zu ermitteln. Diese sind den Erwägungsgründen sowie Entwürfen und Working Papers der Kommission und den Stellungnahmen des Europäischen Parlaments zu entnehmen.152 Die Erwägungsgründe der MAR zur Ad-hoc-Publizitätspflicht enthalten keine Hinweise auf ein Kenntniserfordernis. Soweit ersichtlich, war diese Frage nicht Diskussionsgegenstand im Gesetzgebungsverfahren.153 Eine Erklärung dafür könnte darin zu sehen sein, dass die Wissenszurechnung, wie bereits festgestellt, ein in Frankreich unbekanntes Phänomen ist und in England lediglich eine geringe Rolle spielt.154 Auch mit der Berichtigung des Art. 17 Abs. 1 MAR vom 21. Dezember 2016155 ging keine inhaltliche Änderung einher,156 sodass auf Grundlage der Entstehungsgeschichte des Art. 17 Abs. 1 MAR nicht davon ausgegangen werden kann, der europäische Gesetzgeber habe in die Veröffentlichungspflicht die Kenntnis des Emittenten als Voraussetzung implementieren wollen. e) Kein Verstoß gegen den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz Als Argument für das Erfordernis von Kenntnis des Emittenten wird ein ohne ein solches Erfordernis drohender Verstoß gegen den Grundsatz des ultra posse nemo obligatur angeführt.157 Dieser Grundsatz besagt, dass niemand jenseits seiner Fä150

Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 19 EUV Rdn. 14. Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 07. 1979 – Rs. 244/78 (Union latière normande/French Dairy Farmers), EU:C:1979:198, BeckRS 2004, 72583 Rdn. 10 f. 152 Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 41. 153 Ebenso ohne Befund Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287. 154 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287; vgl. C. III. 1 und 2. 155 Berichtigung der VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der RL 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/ EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 348 vom 21. 12. 2016, S. 83. 156 Siehe E. II. 2. a) bb) (2) (a). 157 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385. 151

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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higkeiten verpflichtet werden kann.158 Der EuGH hat das Prinzip, keine rechtliche Verpflichtung zu einer Leistung zu begründen, die unmöglich ist, auch bei der Anwendung von Verordnungsrecht berücksichtigt.159 Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass der Grundsatz auch im Unionsrecht Geltung entfaltet.160 Die Ad-hoc-Publizitätspflicht verstieße gegen den ultra posse nemo obligaturGrundsatz, sofern von dem Emittenten eine Veröffentlichung verlangt wird, deren Durchführung ihm praktisch nicht möglich ist. Als Beispiel kann hier an den Fall gedacht werden, dass ein langjähriger Geschäftspartner des Emittenten entscheidet, einen Rahmenvertrag, der bedeutsam für die wirtschaftliche Lage des Emittenten ist, außerordentlich zu kündigen. Diese Insiderinformation161 ist außerhalb des Verantwortungs- bzw. Einflussbereichs des Emittenten entstanden. Von dem Emittenten kann hier nicht verlangt werden, die Informationen zu veröffentlichen, bevor er über die Entscheidung bezüglich der Kündigung von seinem Geschäftspartner informiert wurde, da ihm dies schlicht unmöglich ist. Das Erfordernis eines subjektiven Elements im Tatbestand der Ad-hoc-Publizitätspflicht soll den Widerspruch gegen den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz verhindern. Dem Emittenten würde die Veröffentlichungspflicht nur auferlegt, wenn er Kenntnis von den Insiderinformationen als pflichtbegründenden Umstand hat oder sich die Kenntnis zumindest bei gehöriger Sorgfalt hätte verschaffen können.162 Da der Emittent im obigen Beispiel von den Informationen keine Kenntnis erlangen konnte, bestünde die Pflicht zur Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 1 MAR dementsprechend nicht. Für den Fall, dass man eine Ad-hoc-Publizitätspflicht auch ohne Kenntnis oder Möglichkeit zur Kenntnisverschaffung annähme, wird auf ein besonderes Legitimationsbedürfnis hingewiesen, um einen Widerspruch zum Grundsatz des ultra posse nemo obligatur zu vermeiden.163 Dies gelte umso mehr, wenn die Darlegungs- und Beweislast für die einen Schadensersatzanspruch abwendende, entlastende Einrede, es habe weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorgelegen, beim Emittenten liege.164 Deshalb sei geboten, die Kenntnis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu fordern. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass im neuen Recht der Ad-hoc-Publizität die für den Emittenten „ungünstige“ Beweislastregel des § 97 WpHG schon deshalb nicht als Argument herangezogen werden kann, weil 158

Hassemer, ZRP 2011, 192. EuGH, Urt. v. 15. 07. 2010 – Rs. C-234/09, (DSV Road), EU:C:2010:435, BeckRS 2010, 90894 Rdn. 34. 160 So auch Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385; zustimmend Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 46. 161 Die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 MAR sind für den Beispielsfall als gegeben anzunehmen. 162 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385. 163 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385. 164 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385; vor „übermäßig scharfer Rechtsfolge der §§ 97, 97 WpHG“ warnt auch Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 32 und verlangt an die Wissenszurechnung den Maßstab der § 97 Abs. 2, § 98 Abs. 2 WpHG anzulegen. 159

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E. Ad-hoc-Publizität

die Sanktionsnormen der Mitgliedstaaten nicht die Auslegung der europarechtlichen Vorschriften bestimmen, auf die sie verweisen.165 Untragbare Ergebnisse legen eine Änderung der nationalen Rechtsordnung nahe, korrigieren aber nicht die Auslegung des europäischen Rechts und damit vorliegend die des Art. 17 MAR.166 Eines Kenntniselements bedarf es jedoch nicht, um einen Verstoß gegen den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz zu vermeiden. Wie bereits die Wortlautanalyse ergeben hat, ist den englischen, französischen und spanischen Sprachfassungen gemein, das Mögliche in Art. 17 Abs. 1 MAR explizit zu betonen.167 Nach dieser Lesart ergibt sich aus der Norm selbst, dass nichts von dem Emittenten verlangt wird, das außerhalb seiner Fähigkeit liegt. Hierdurch wird die eindeutige Grenze der Adhoc-Publizitätspflicht aufgezeigt, die darin besteht, dass von dem Emittenten gerade nichts Unmögliches erwartet wird. Eine geplante Abgabe eines Übernahmeangebots liegt beispielsweise außerhalb des Einflussbereichs des Emittenten, da dieser nicht herausfinden kann, dass eine Übernahme vorbereitet wird. Er ist faktisch nicht in der Lage, die Informationen zu ermitteln und unterliegt daher nicht der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR. Insiderinformationen, die außerhalb seiner Verantwortungssphäre entstehen und auf die der Emittent keinen Zugriff hat, kann und muss der Emittent nicht publizieren, denn sofern der Emittent an rechtliche oder tatsächliche Grenzen stößt und Insiderinformationen schlicht nicht veröffentlichen kann, weil er sie sich nicht verschaffen kann, erscheint der Vorwurf einer Pflichtverletzung unangemessen. Der Grund hierfür ist nicht im Fehlen eines subjektiven Elements zu sehen, welches Art. 17 Abs. 1 MAR ungeschrieben voraussetzt, sondern darin, dass dem Emittenten lediglich eine objektiv mögliche Handlung abverlangt wird. Die Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR besteht bei Insiderinformationen, die außerhalb seines Machtbereichs liegen, schon nicht. Dafür bedarf es keines Umwegs über ein Kenntniserfordernis. Voraussetzung ist lediglich, dass der Emittent die ihn unmittelbar betreffenden Insiderinformationen objektiv bekannt geben kann, wenn er sie pflichtgemäß organisiert. Der ultra posse nemo obligaturGrundsatz ist so als Grenze der dem Emittenten zumutbaren Wissensorganisationspflicht zu sehen. f) Aufsichtspraxis Zum 01. Januar 2011 ging der CESR in der ESMA auf. Der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde obliegt es seitdem unter anderem, eine einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen, indem sie Leitlinien und Empfehlungen für die zuständigen Behörden und Finanzmarktteil165

Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287; siehe dazu bereits E. II. 2. Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287. 167 Dazu, dass trotz der in der abweichenden deutschen Version wörtlich verlangten „unverzüglichen“ Bekanntgabe ein Handeln „so bald wie möglich“ erwartet wird, siehe E. II. 2. a) bb) (1). 166

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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nehmer herausgibt (vgl. Art. 16 Abs. 1 der ESMA-Verordnung168). Anlass, Stellung zu Regelungen der MAR zu beziehen, bot der ESMA auch die Erarbeitung technischer Standards. aa) Behördliche Auslegungshinweise Die nationalen Behörden und die Finanzmarktteilnehmer unternehmen gem. Art. 16 Abs. 3 der ESMA-Verordnung nach dem comply or explain-Prinzip alle erforderlichen Anstrengungen, um den Leitlinien und Empfehlungen der ESMA nachzukommen. Die abstrakt-generellen Leitlinien und Empfehlungen sind zwar rechtlich unverbindlich.169 Sie können aber als Auslegungshilfe für das europäische Recht herangezogen werden, weil angenommen werden kann, dass das soft law der ESMA dem Willen des europäischen Gesetzgebers entspricht.170 Die ESMA deutet in ihrer Leitlinie zur Ad-hoc-Mitteilungspflicht171 nicht an, dass die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Emittenten von den Insiderinformationen voraussetzt. Sie erkennt allerdings an, dass es einige Zeit dauern kann, bis der Emittent die Situation im Falle eines unerwarteten und bedeutenden Ereignisses geklärt und die Insiderinformationen ermittelt hat.172 Vor dem Hintergrund dieser beiden Hinweise der ESMA muss geklärt werden, ob nach Auffassung der ESMA die Mitteilungspflicht entsteht, sobald die Insiderinformationen vorliegen, oder ob die Entstehung die Kenntnis des Emittenten voraussetzt und der Zeitraum für die unverzügliche Veröffentlichung sich erst hieran anschließt. Nach Ansicht der ESMA sind Informationen nicht präzise i.S.d. Art. 7 Abs. 1 und 2 MAR, wenn eine Verzögerung erforderlich wäre, damit eine Muttergesellschaft die von ihrer Tochtergesellschaft erhaltenen Rechnungslegungsinformationen überprüfen kann, weil in signifikantem Maße Informationen der Tochtergesellschaft

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Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84. 169 ESMA, FAQs, A Guide to Unterstanding ESMA, 03. 01. 2011, ESMA/2011/009, S. 5; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., 2018, § 31 Rdn. 31.12; Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 11 Rdn. 61. Dennoch werden die Auslegungshinweise von nationalen Gerichten berücksichtigt, Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 39. 170 Frank, Die Rechtwirkungen der Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, 2012, S. 191. 171 ESMA, Final Report, Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of inside information, 13. 07. 2016, ESMA/2016/1130. 172 ESMA, Consultation Paper, Draft guidelines on the Market Abuse Regulation, 28. 01. 2016, ESMA/2016/162, Rdn. 67.

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E. Ad-hoc-Publizität

fehlen.173 Zu diesem Zeitpunkt existieren daher noch keine Insiderinformationen bei der Muttergesellschaft. Liegen hingegen alle Informationen der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft vor und sind daher für letztere präzise genug, um als Insiderinformationen betrachtet zu werden, ist die Zeit, welche die Muttergesellschaft benötigt, um die von einer Tochtergesellschaft erhaltenen Buchhaltungsinformationen zu überprüfen, nach Auffassung der ESMA nicht als legitimer Grund für eine Verzögerung der Offenlegung gem. Art. 17 Abs. 4 MAR anzusehen. Die Muttergesellschaft als Emittentin unterliegt der Pflicht zur schnellstmöglichen Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 1 MAR.174 Voraussetzung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht ist damit das Vorliegen von Insiderinformationen, welche neben der direkten Betroffenheit des Emittenten alle Merkmale des Art. 7 Abs. 1 MAR erfüllen, nicht hingegen die Kenntnis des Emittenten. Die ESMA nimmt allerdings nicht an, dass die Ad-hoc-Pflicht mit Vorliegen der Insiderinformationen augenblicklich erfüllt werden muss, sondern billigt dem Emittenten einen Zeitraum zur Bewertung zu, welcher der Entscheidung über die Veröffentlichung vorausgeht. Sind im Beispielsfall der ESMA die Informationen präzise genug, ist die Informationsanalyse in Form der Überprüfung der Buchhaltungsinformationen Teil der Rechtsfolge (unverzügliche Bekanntgabe) und damit weder eine Voraussetzung für das Entstehen der Veröffentlichungspflicht noch ein Grund zum Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR.175 Diese Auffassung der ESMA zeichnet sich in weiteren Verlautbarungen der Aufsichtsbehörde ab. Sie verlangt etwa in ihren Q&A176 zur MAR, dass der Emittent, wenn er auf Ergebnisse der aufsichtsrechtlichen Überprüfung nach Art. 97 der Eigenkapitalrichtlinie177 hingewiesen wird, bewertet, ob die Informationen Insiderinformationen darstellen.178 Davon, dass den Emittenten bei diesen externen Insiderinformationen eine Informationsbeschaffungspflicht trifft, geht die europäische Aufsichtsbehörde nicht aus. Die Erklärung hierfür dürfte allerdings darin zu sehen sein, dass der Emittent schon 173 ESMA, Final Report, Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of inside information, 13. 07. 2016, ESMA/2016/1130, Annex IV, Rdn. 127. 174 ESMA, Final Report, Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of inside information, 13. 07. 2016, ESMA/2016/1130, Annex IV, Rdn. 127. 175 ESMA, Final Report, Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of inside information, 13. 07. 2016, ESMA/2016/1130, Annex IV, Rdn. 127. 176 Ebenso wie die Leitlinien und Empfehlungen der ESMA sind die Q&A unverbindlich. Wenngleich sich die nationalen Behörden zu den Q&A nicht zu erklären haben, sorgen sie für eine kohärente Aufsichtspraxis, die nationale Gerichte und Behörden wohl berücksichtigen, Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.12; Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., 2014, § 5 Rdn. 38 Fn. 49, 39. 177 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 06. 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. Nr. L 176 vom 27. 06. 2013, S. 338. 178 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation, 29. 09. 2017, ESMA70 – 145 – 111, Version 8, S. 10.

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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keinen Zugang zu den Informationen hat, bevor ihm die Mitteilung der zuständigen Behörde zugeht, und sich die Informationen daher nicht beschaffen kann. Weiter sieht die ESMA in der Verbesserung der Marktintegrität ein Hauptziel der Marktmissbrauchsverordnung, das insbesondere durch eine rasche und faire Offenlegung von Informationen gegenüber der Öffentlichkeit erreicht wird.179 Dabei wählt sie zur Darstellung der Zielsetzung den Terminus „prompt“, der kein Einfallstor für subjektive Merkmale wie die Kenntnis des Emittenten ist. Zur Umschreibung, wie zügig die Ad-hoc-Mitteilungspflicht zu erfüllen ist, bleibt in den Auslegungshinweisen der ESMA die Wendung „without undue delay“ vereinzelt.180 Zwar kann sie als „ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden werden. Einen expliziten Hinweis auf ein Verschuldenselement stellt diese Formulierung gleichwohl nicht dar, denn es soll wohl nicht auf die nationale Regelung des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB Bezug genommen werden. Näher liegt, dass zur Erstellung der Auslegungshinweise in den Q&A der ESMA die deutsche Sprachfassung des Art. 17 Abs. 1 MAR wörtlich übersetzt wurde und die Formulierung „without undue delay“ schlicht im Sinne einer unangemessenen oder übermäßigen Verzögerung zu verstehen ist. bb) Technische Durchführungsstandards Der ESMA ist es möglich, im Wege der kommissionellen exekutiven Rechtsetzungsmöglichkeiten durch technische Regulierungs- und Durchsetzungsstandards auf den Inhalt von Verordnungen Einfluss zu nehmen. Zwar stehen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde keine eigenen Rechtsetzungsbefugnisse zu, doch kommt ihren Entwürfen technischer Standards „quasi-finaler“ Charakter181 zu und es kann daher von mittelbaren Rechtsetzungskompetenzen der ESMA durch die Kommission gesprochen werden.182 Den technischen Regulierungsstandards zur MAR lassen sich keine Hinweise auf das Erfordernis von Emittentenwissen oder die Bedeutung von Informationsmanagement im Zusammenhang mit der Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 MAR entnehmen. Zur Kenntnis des Emittenten im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht äußerte sich die ESMA aber anlässlich der Erarbeitung technischer Durchführungsstandards zur MAR. Für die Durchführungsverordnung183 sieht der zugrunde liegende184 Entwurf der ESMA vor, dass zum 179 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation (MAR), 29. 09. 2017, ESMA70 – 145 – 111, Version 8, S. 9. 180 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation (MAR), 29. 09. 2017, ESMA70 – 145 – 111, Version 8, S. 11 [Hervorhebungen durch die Verf.]. 181 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., 2018, § 14 Rdn. 14.50 182 So Osbahr, Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA als Beteiligte am Lamfalussyverfahren, Diss. 2020, S. 227 f. [Manuskript liegt der Verf. vor]. 183 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission vom 29. 06. 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der technischen Mittel für die

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E. Ad-hoc-Publizität

Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen gem. Art. 17 Abs. 4 MAR technische Mittel zu nutzen sind, um Informationen dauerhaft festzuhalten.185 Zu diesen Informationen gehört gem. Art. 7 Abs. 1 lit. a des Entwurfs im Consultation Paper das Datum, an dem die Insiderinformationen entstanden sind. Zu dem vorgesehenen Artikel wurde angemerkt, der Emittent könne nicht wissen, an welchem Tag die Insiderinformationen genau entstanden seien, etwa falls ein Großkunde erwägt, einen bedeutenden Vertrag zu kündigen.186 Vorgeschlagen wurde daher, auf den Moment abzustellen, in dem der Emittent von den Insiderinformationen Kenntnis erlangt hat.187 Die ESMA entgegnete, sie sei sich bewusst, dass es Umstände gebe, unter denen die Insiderinformationen nicht innerhalb des Emittenten entstehen, weil die Quelle beispielsweise eine öffentliche Einrichtung, wie ein Aufsichtsorgan oder ein Patentamt, sein könne.188 Um solchen Situationen Rechnung zu tragen, fand eine von Art. 7 Abs. 1 lit. a des Entwurfs abweichende Formulierung Eingang in Art. 4 Abs. 1 lit. a Ziff. i der Durchführungsverordnung der Kommission. Die Vorschrift legt fest, dass der Emittent verpflichtet ist, das Datum und die Uhrzeit des erstmaligen Vorliegens der Insiderinformationen beim Emittenten zu protokollieren.189 Dem Vorschlag, den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Emittenten von den Insiderinformationen als entscheidendes Datum anzusehen, ist die ESMA damit deutlich entgegengetreten. Es kommt der europäischen Aufsichtsbehörde nicht darauf an, wann der Emittent von den Insiderinformationen Kenntnis hat, sondern wann die Informationen erstmalig beim Emittenten vorhanden sind. Es liegt damit am Emittenten, ausreichende organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um die Insiderinformationen als solche zu identifizieren und für die Zwecke des Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 3 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. a Ziff. i der Durchführungsverordnung ihr Vorliegen zu dokumentieren. Wenn für den Aufschub der Offenlegung nach Art. 17 Abs. 4 MAR verlangt wird, der Emittent habe sich durch organisatorische Maßnahmen über die Entstehung der Insiderinformationen in Kenntnis zu setzen, um sie zu dokumentieren, muss auch die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR den Emittenten treffen, sobald die Informationen erstmalig bei angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen und für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 173 vom 30. 06. 2016, S. 47. 184 Vgl. Erwägungsgrund 7 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055. 185 „ The dates when the inside information came into existence“, ESMA, Consultation Paper, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 15. 07. 2014, ESMA/2014/ 809, Annex VII, S. 7 186 ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Annex IV, Rdn. 291. 187 „[T]he issuer […] became aware of the inside information“, ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Annex IV, Rdn. 291. 188 ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Annex IV, Rdn. 300. 189 „[T]he dates and times when the inside information first existed within the issuer“.

II. Bedeutung von Wissen und Wissensorganisation in Art. 17 MAR

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ihm vorliegen, denn die Frage eines möglichen Aufschubs kann sich nicht stellen, bevor die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht entstanden ist. cc) Zwischenergebnis Aus den Leitlinien und Q&A der ESMA sowie dem Entstehungsprozess der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 ergibt sich, dass nach Ansicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde die Kenntnis des Emittenten keine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Art. 17 Abs. 1 MAR ist. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht entsteht nach Auffassung der ESMA vielmehr mit Vorliegen der Insiderinformationen beim Emittenten, dem zur Erfüllung dieser Pflicht ein Zeitraum zur Bewertung und Veröffentlichung der Informationen zugebilligt wird. Diese Bestätigung des bisherigen Befundes durch die Praxis der ESMA zeigt, dass eine objektive Auslegung nicht praxisfern ist. g) Zwischenergebnis Die Auslegung des Art. 17 MAR legt entgegen der wohl überwiegenden Auffassung in der deutschen Literatur nicht das Verständnis der Vorschrift als Wissensnorm nahe. Der Wortlaut lässt mit seiner Pflicht zur unverzüglichen Bekanntgabe keinen Rückschluss auf den Charakter von Art. 17 MAR als Wissensnorm zu. Das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit bietet zwar die Möglichkeit, subjektive Elemente wie Kenntnis oder Kennenmüssen zu berücksichtigen. Ein systematischer Vergleich mit dem Verbot von Insidergeschäften (Art. 8 MAR) und der Meldepflicht bei Veränderung der Stimmrechtsanteile (Art. 12 Abs. 2 der Transparenzrichtlinie II, § 33 Abs. 1 Satz 3 WpHG), die das Wissen(müssen) ausdrücklich voraussetzen, zeigt hingegen, dass explizit hätte geregelt werden müssen, wenn die Frist zur unverzüglichen Bekanntgabe nicht mit dem Vorliegen der Insiderinformationen im Einflussbereich des Emittenten, sondern mit dessen Kennen(müssen) der insiderrelevanten Umstände beginnen soll. Der Telos des Art. 17 MAR spricht ebenfalls für ein Verständnis als objektive Pflichtennorm. Die Präventionswirkung einer Wissensnorm in Bezug auf Insiderhandel ist nur sehr eingeschränkt, weil externe Insiderinformationen grundsätzlich von der Bekanntgabepflicht ausgeschlossen sind, sofern das Kennenmüssen nicht entsprechend weit verstanden wird. Dem Ziel, Informationsasymmetrien abzubauen, wird eine objektive Offenlegungsvorschrift besser gerecht. Ein Kenntniselement ist nicht erforderlich, um die Anforderungen an den Emittenten zu begrenzen, denn das Fehlen eines subjektiven Tatbestandselements belastet den Emittenten nicht übermäßig. Die geschriebenen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 MAR und der Telos der Veröffentlichungspflicht, die den Emittenten als least cost information provider trifft, schränken die Wissensorganisationspflichten ein, sodass der Nutzen der Ad-

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E. Ad-hoc-Publizität

hoc-Publizität in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung des Emittenten steht. Das Selbstbefreiungsprivileg des Art. 17 Abs. 4 MAR stellt einen sinnvollen Anreiz dar, ein umfassendes Informationsmanagement zu etablieren. Ein Wissenselement muss auch nicht als Tatbestandsvoraussetzung in Art. 17 Abs. 1 MAR hineingelesen werden, um einen Verstoß gegen den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz zu verhindern, denn Art. 17 Abs. 1 MAR verlangt nur eine Bekanntgabe so schnell wie möglich und setzt damit voraus, dass der Emittent die Informationen objektiv hätte bekannt geben können. Auch den Leitlinien und Q&A der ESMA sowie technischen Durchführungsstandards lassen sich keine Hinweise auf ein Kenntniselement im Tatbestand des Art. 17 Abs. 1 MAR entnehmen. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde geht vielmehr von dem Emittenten obliegenden Compliance-Pflichten im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht aus. In der Praxis ist damit zu rechnen, dass die BaFin den Begriff „unverzüglich“ in Art. 17 Abs. 1 MAR i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als Verschuldenselement interpretiert. Noch als die ursprüngliche Fassung der MAR eine Bekanntgabe „so bald wie möglich“ vorsah, stellte die BaFin klar, dass sie an ihren Ausführungen zum Merkmal der Unverzüglichkeit festhalte.190 Unter einer unverzüglichen Veröffentlichung versteht die deutsche Aufsichtsbehörde eine solche „ohne schuldhaftes Zögern“.191 Die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR ergibt allerdings, dass die Kenntnis oder das Kennenmüssen eines Emittenten von Insiderinformationen, die ein Verschulden begründen könnten, keine Voraussetzung für die Ad-hoc-Publizitätspflicht sind. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht entsteht mit dem Vorliegen der Insiderinformationen beim Emittenten. Davon ist auszugehen, wenn der Emittent auf die Informationen kraft seiner Organisationsherrschaft Zugriff hat. Der Emittent verstößt gegen Art. 17 Abs. 1 MAR, wenn er die Insiderinformationen zu dem Zeitpunkt nicht veröffentlicht, in dem ihm dies bei ordnungsgemäßem Informationsmanagement erstmals möglich gewesen wäre. Dies bietet keinen Raum, bei einer Auslegung von „unverzüglich“ das Emittentenwissen im Rahmen eines Verschuldenselements zu berücksichtigen.

III. Informationsmanagement Die Auslegung des Art. 17 Abs. 1 MAR hat ergeben, dass dieser kein Wissenselement als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal enthält, aber implizit voraussetzt, dass der Emittent Vorkehrungen zur Informationsorganisation trifft, um seiner Adhoc-Publizitätspflicht nachkommen zu können. Das Informationsmanagement ist in einer AG Teil der Pflicht des Vorstands zur Leitung der Gesellschaft nach §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 AktG. Dieser kann die Aufgabe gleichwohl an eine eigens für die 190 191

BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 19. 07. 2016, III.1. Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.6.3

III. Informationsmanagement

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Einhaltung der Ad-hoc-Publizitätspflicht eingerichtete Stelle (sogenanntes Disclosure Commitee) delegieren.192 Da Art. 17 MAR die somit den Vorstand oder die Veröffentlichungsstelle treffenden Pflichten hinsichtlich der Organisation (potenziell) veröffentlichungspflichtiger Informationen nicht ausdrücklich festlegt, bedürfen die sich aus Art. 17 MAR konkret ergebenden Anforderungen an den Emittenten näherer Untersuchung. 1. Dogmatische Qualifizierung Die in Art. 17 Abs. 1 MAR statuierte Handlungspflicht bezieht sich auf die Bekanntgabe der den Emittenten unmittelbar betreffenden Insiderinformationen. Die Informationsorganisation ist dagegen nicht als Rechtspflicht formuliert. Dennoch wird sie in der deutschen Literatur anerkannt und verbreitet als Pflicht bezeichnet.193 Missachtet der Emittent Anforderungen an das Informationsmanagement, zieht dies allerdings nicht unmittelbar eine Sanktion nach sich. Ist die juristische Person unzureichend organisiert und veröffentlicht sie gleichwohl zufällig rechtzeitig die erforderliche Ad-hoc-Mitteilung, liegt kein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR vor. Ob der Emittent tatsächlich ein umfassendes Informationsmanagement eingerichtet hat, ist in diesem Fall irrelevant, denn das Informationsmanagement erfüllt keinen Selbstzweck. Die Organisation der potenziell ad-hoc-pflichtigen Umstände und der tatsächlich den Emittenten unmittelbar betreffenden Insiderinformationen dient allein der Wahrnehmung der Kapitalmarktinformationspflicht. Beispielsweise bei der Forderung, der Emittent habe seine internen Kommunikationsflüsse zu organisieren, handelt es sich daher nicht um eine echte sanktionierbare Pflicht. Für die Einordnung als eine Rechtspflicht minderer Zwangsintensität ohne Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz, die im nationalen Vertragsrecht einer Obliegenheit entsprechen würde,194 spricht, dass der Emittent zur Wissensorganisation nicht gezwungen werden kann. Allerdings verhindert eine ordnungsgemäße Organisation der internen Kommunikationsflüsse nicht per se einen Verstoß gegen Art. 17 MAR oder vernichtet bzw. mindert ein Verstoß automatisch an sich bestehende Rechte.195 Es ergeben sich lediglich Nachteile, wenn ein mangelhaftes Wissensmanagement zu einer unterlassenen unverzüglichen Veröffentlichung führt. Anknüpfungspunkt bleibt in jedem Fall die Veröffentlichungspflicht und nicht die Wissensorganisationspflicht. 192 Gehrt, Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz, 1997, S. 213; Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121, 125. 193 Vgl. etwa Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 52 ff.; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 106; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 17 Rdn. 87; Habersack, DB 2016, 1551, 1522 f. Zu § 15 WpHG a.F., Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 330. 194 R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S. 315. 195 Zu diesen Charakteristika von Obliegenheiten R. Schmidt, Obliegenheiten, 1953, S. 315 f.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht Bd. I, 8. Aufl., 2000, § 35 II 2.

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E. Ad-hoc-Publizität

Es besteht somit bloß eine mittelbare Pflicht, für ein effektives Informationsmanagement zu sorgen, weil dieses in der Regel Voraussetzung dafür ist, dass der Emittent die unverzügliche Bekanntgabe gem. Art. 17 Abs. 1 MAR vornehmen kann. Die juristische Person profitiert gar von einer umfassenden Wissensorganisation, weil sie sich das Selbstbefreiungsprivileg nach Art. 17 Abs. 4 MAR „verdienen“ kann, indem sie dafür sorgt, dass Insiderinformationen an die zuständige Stelle weitergeleitet werden, die eine Aufschiebung in die Wege leiten kann.196 Eine eindeutige Einordnung der Verhaltensanforderungen an den Emittenten als Pflichten oder Obliegenheiten in der Bedeutung, die den Begriffen im Privatrecht zukommt, lässt sich nicht vornehmen.197 Es besteht allerdings jedenfalls mittelbar die Pflicht zur Wissensorganisation.198 Die Bezeichnung als „Pflicht“ ist für diese Arbeit daher nicht gleichbedeutend mit einer echten Rechtspflicht des Privatrechts, sondern in dem vorstehenden Sinne zu verstehen. 2. Maßstab der Ausgestaltung Die Regelung des Marktmissbrauchsrechts in Form der Verordnung soll einheitliche Bedingungen in der EU gewährleisten.199 Daher müssen europaweit auch gleiche Anforderungen hinsichtlich der Strukturierung ihres internen Informationsmanagements an die Emittenten gestellt werden. Der Maßstab ergibt sich allein aus der MAR und nicht etwa den nationalen Wissenszurechnungsgrundsätzen. Dies gilt auch, wenn die nationalen Rechtsordnungen, wie dies in Deutschland der Fall ist, auf die Wissensorganisation des Emittenten abstellen.200 Das Vereinheitlichungsziel darf in der Rechtsanwendung nicht aus dem Grund vernachlässigt werden, dass Art. 17 MAR die Compliance-Anforderungen lediglich implizit voraussetzt, jedoch nicht detailliert regelt. In einem Spannungsfeld steht das in der MAR vorgeschriebene „Ob“ einer Informationsorganisation allerdings mit der Organisationsverfassung der publizitätspflichtigen juristischen Person. Wie das Wissensmanagement konkret auszugestalten ist, hängt von der Größe der arbeitsteiligen Organisation und insbesondere von der gesellschaftsrechtlichen Verfassung des ad-hoc-pflichtigen Emittenten ab. Da in 196

Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 43. So auch zur Nachforschungspflicht Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 42. 198 So zur alten Rechtslage Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 19; zur Sicherstellung der Mitteilungspflichten des Meldepflichtigen nach § 21 WpHG a.F., U. H. Schneider, in: Assmann/ Schneider, WpHG, 3. Aufl., 2003, § 21 Rdn. 21. 199 Erwägungsgrund 5 der MAR. 200 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1288; wohl auch Habersack, DB 2016, 1551, 1555, der betont, dass die Pflicht des Emittenten, Vorkehrungen zu treffen, sich aus Art. 17 Abs. 1 MAR ergebe. Dagegen Ekkenga, NZG 2013, 1081, 1085, der dafür plädiert, die Wissenszurechnung im Rahmen des § 15 WpHG am europarechtlich unbeeinflussten Gesellschaftsrecht auszurichten; Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1425, der davon ausgeht, der mit Wissensorganisationspflichten verbundene Verhaltensmaßstab bleibe dem Recht der Mitgliedstaaten überantwortet. 197

III. Informationsmanagement

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der EU diesbezüglich keine vereinheitlichte Rechtsetzung besteht, steht der Rückgriff auf das nationale Recht im Bereich des Verbandsrechts offen.201 Für die Ausgestaltung der Wissensorganisation ist damit trotz vollharmonisierender Wirkung der MAR eine vollständige Abkehr von mitgliedstaatlichem Recht nicht zwingend.202 So spielen auch verbandsrechtliche Gegebenheiten des dualistischen Organsystems von Vorstand und Aufsichtsrat einer deutschen AG eine Rolle.203 Maßstab der konkreten, vom nationalen Rechtssystems geprägten Ausgestaltung des Informationsmanagements ist allerdings weiterhin die MAR, sodass gewährleistet ist, dass die Wissensorganisation dem Regelungszweck des europäischen Rechtsaktes entspricht. 3. Grenzen bei der Ausgestaltung Die sich aus Art. 17 MAR ergebenden Wissensorganisationspflichten beziehen sich nicht auf jegliche Insiderinformationen, sondern sind in ihrem Umfang durch verschiedentliche Faktoren eingeschränkt. Wie oben bereits gezeigt, erfordert diese Einschränkung nicht den Rückgriff auf ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Wissen(müssen)s.204 Wo die Verantwortung des Emittenten für die Wissensorganisation endet, ergibt sich vielmehr aus den geschriebenen Voraussetzungen und der teleologischen Auslegung des Art. 17 Abs. 1 MAR. Diese zeigen nicht nur, dass ein Wissenselement nicht erforderlich ist, sondern auch, welchen Einschränkungen die Wissensorganisationspflichten des Emittenten unterliegen. Dass eine umfassende Kapitalmarkttransparenz nicht vollständig erreicht werden kann, hat der europäische Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, indem er selbst Grenzen der Veröffentlichungspflicht und damit auch der Informationsorganisationspflicht normiert hat. Die Veröffentlichungspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR bezieht sich nicht auf alle Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 MAR, sondern nur solche, die den Emittenten unmittelbar betreffen. Diese „Einschränkung auf Informationsebene“205 gilt gleichermaßen für die Wissensorganisation, die sich nur auf unmittelbar den Emittenten betreffende Umstände bezieht. In die sich aufgrund dieses Merkmals ergebenden Lücken im Funktionsschutz des Finanzmarktes im Anlegervertrauen in dessen Integrität treten die Tatbestände des in Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR geregelten Verbots von Insidergeschäften. 201 So zur Berücksichtigung nationalen Rechts im Zusammenhang mit Art. 3 lit. a der Insiderrichtlinie EuGH, Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02 (Grøngaard und Bang), EU:C:2005:708, WM 2006, 612, 615 Rdn. 39 f. 202 So Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1425, der allerdings unter Verweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz grundsätzlich von einem nationalen Maßstab ausgeht. 203 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 57. 204 Siehe E. II. 2. c) bb). 205 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 108.

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E. Ad-hoc-Publizität

Ebenso gibt das Merkmal der Unverzüglichkeit als Begrenzung „auf Emittentenebene“206 Aufschluss über den Umfang der Wissensorganisation. Die Veröffentlichung ist so schnell wie möglich vorzunehmen.207 Von einer rechtzeitigen Erfüllung ist daher dann auszugehen, wenn der Emittent die Insiderinformationen zu dem Zeitpunkt bekannt gibt, an dem es ihm mit einem umfassenden Informationsmanagement frühestens möglich ist. Der Maßstab ist damit ein Emittent, der ideale organisatorische Vorkehrungen geschaffen hat, welche reibungslos funktionieren und so ermöglichen, dass er die ihn unmittelbar betreffenden Insiderinformationen schnellstmöglich bekannt gibt. Neben den sich schon aus dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR ergebenden Grenzen der Wissensorganisationspflicht ist der Telos der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu berücksichtigen. Den Emittenten treffen die Organisationspflichten als least cost information provider, weil er entweder selbst der Informationserzeuger ist, von den Insiderinformationen typischerweise im Zusammenhang mit seiner Geschäftstätigkeit erfährt, oder jedenfalls die für die Veröffentlichung aufzuwendenden zusätzlichen Kosten für ihn niedriger sind als der zusätzliche Nutzen für das Informationsinteresse des Kapitalmarktes.208 Die Belastung des Emittenten mit den Informationsorganisationspflichten ist unter rechtsökonomischen Gesichtspunkten lediglich gerechtfertigt, wenn der Emittent bei der Veröffentlichung insgesamt einen komparativen Kostenvorteil hat.209 Eine Grenze der Wissensorganisation findet sich somit in der Kosten-Nutzen-Analyse der Vorkehrungen, die der Emittent zur Wissensorganisation treffen soll. Von einem hohen Nutzen für das Informationsinteresse ist insbesondere bei hoher erwarteter Kursrelevanz, sicherer Informationsgrundlage und schwerer anderweitiger Ermittlung der Informationen als durch den Emittenten auszugehen.210 Zwar lässt sich das Informationsinteresse mathematisch nicht berechnen,211 es kann jedoch nicht darauf verwiesen werden, der normative Wert der Integrität und die Effizienz der Finanzmärkte seien stets höher zu bewerten als die Suchkosten des Emittenten,212 denn die Funktionsfähigkeit des Marktes wird unter anderem an dem Kriterium der operationalen Effizienz gemessen.213 Um insgesamt eine Steigerung der operationalen Effizienz zu erreichen, dürfen keine Kosten aufgewendet werden, die den Nutzen der Ad-hoc-Publizität übersteigen, Transparenz und Anlegervertrauen zu erhöhen. Gleichwohl kann von einem Emittenten erwartet werden, dass er nicht nur die Kosten der Wissensorganisation trägt, die er aufgrund 206

Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 108. Siehe E. II. 2. a) bb) (2) (b). 208 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 116. 209 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 109. 210 Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 104. 211 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 307; dies gibt auch der Vertreter dieser Ansicht zu, Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 117. 212 So aber Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 307. 213 Siehe B. II. 207

III. Informationsmanagement

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seiner allgemeinen Pflichten, etwa zur Buchführung, tragen muss.214 Auf die Informationskanäle und Compliance-Mechanismen, die der Emittent anlässlich anderer kapitalmarktrechtlicher Regelungen und verbandsrechtlicher Informationspflichten eingerichtet hat, kann zwar zurückgegriffen werden. Da sich aus Art. 17 MAR zusätzliche Nutzen für die Kapitalmarkttransparenz und das Anlegervertrauen ergeben, sind allerdings auch zusätzliche Compliance-Pflichten und damit Kosten für den Emittenten hinzunehmen, sofern er dennoch least cost information provider ist. Die Verantwortung des Emittenten wird darüber hinaus durch den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz begrenzt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz liegt bei einer verobjektivierten Ad-hoc-Publizitätspflicht und damit auch bei fehlender Kenntnis nicht vor, wenn der Emittent nicht zur Veröffentlichung jeder ihn unmittelbar betreffenden Insiderinformation verpflichtet ist, sondern nur zur unverzüglichen Bekanntgabe von bei ihm vorliegenden Insiderinformationen. Es wird keine Handlung verlangt, die für den Emittenten unmöglich ist, da er Insiderinformationen, die außerhalb seines Einflussbereichs entstehen und auf die der Emittent keinen Zugriff haben kann, nicht zu publizieren hat. Damit keine Verpflichtung zu einer unmöglichen Handlung besteht, sind die rechtlichen und tatsächlichen Grenzen der Organisationsherrschaft zu beachten. Wo diese endet, ist es dem Emittenten gerade nicht möglich, die Insiderinformationen zu veröffentlichen. Die Dimension des Informationsmanagements wird damit begrenzt von der Reichweite der Organisationsmacht des Emittenten, die abhängig von dessen Organisationsverfassung ist.215 Da sie mangels vereinheitlichter Rechtsetzung in der EU durch nationales Gesellschaftsecht bestimmt wird, sind die aktienrechtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen. Diese bestimmen das objektiv Mögliche, das den Maßstab des ultra posse nemo obligatur-Grundsatzes ausfüllt. Die konkrete Organisationsverfassung, welche die Kompetenzen und Grenzen der Handlungsmacht des Vorstands determiniert, kann demnach dazu führen, dass es dem Emittenten unmöglich ist, Insiderinformationen unverzüglich bekannt zu geben, weshalb ihm kein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR vorzuwerfen ist. 4. Dimensionen der Organisationspflichten Für den vom Emittenten verlangten Umgang mit Insiderinformationen lassen sich zwei Zeiträume unterscheiden. Zunächst geht es um das Entstehen und um die erstmalige Möglichkeit, die Insiderinformationen als solche zu erfassen. Die Pflichten zur Informationsspeicherung und -suche betreffen diesen Zeitraum. Anschließend wird für die erkannten Umstände geprüft, ob sie Insiderinformationen darstellen und ob sie gem. Art. 17 Abs. 1 MAR zu veröffentlichen sind oder gem.

214 215

Dafür Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 308. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 392.

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E. Ad-hoc-Publizität

Art. 17 Abs. 4 MAR die Veröffentlichung aufgeschoben werden kann. Darauf folgt je nach Entscheidung die Durchführung der Veröffentlichung oder die Aufschiebung. a) Vorliegen von Insiderinformationen Die Ad-hoc-Publizitätspflicht entsteht mit dem Vorliegen der Insiderinformationen beim Emittenten. Davon ist auszugehen, wenn der Emittent auf die Informationen kraft seiner Organisationsherrschaft Zugriff hat. Das Informationsmanagement des Emittenten ist daher darauf auszurichten, zu erkennen, dass sich Insiderinformationen in seiner Verantwortungssphäre befinden. Im Vorfeld einer möglichen Veröffentlichungsentscheidung liegen die Erfassung und die Verarbeitung der Insiderinformationen. Dieser Zeitraum, bevor die Insiderinformationen entstehen bzw. die Verantwortungssphäre des Emittenten erreichen, kann allerdings nicht sinnvoll von der Rechtsfolge der unverzüglichen Bekanntgabe erfasst werden, denn die Erhaltung und Dokumentation eines Wissensstands sowie das Bereithalten, um Insiderinformationen zu erkennen, können schlicht nicht so schnell wie möglich im Sinne von Art. 17 Abs. 1 MAR vorgenommen werden. Die Veröffentlichungspflicht entsteht frühestens mit dem Eintritt der Informationen in den Verantwortungsbereich des Emittenten, sodass die Dokumentation und das Bereithalten gewissermaßen die dauerhaft bestehenden Eingangstore für die Informationen sind, die (noch) keine Insiderrelevanz aufweisen, potenziell aber Gegenstand der Publizitätspflicht werden können. Anforderungen an den Emittenten zur Wissensorganisation bestehen bereits als Voraussetzung dafür, dass die unverzügliche Bekanntgabe von Insiderinformationen vorgenommen werden kann. Dafür spricht, dass die Pflicht, Umstände, die möglicherweise ad-hoc-pflichtig werden, geheim zu halten, beginnen muss, bevor die Insiderinformationen entstehen. Nur so kann die für einen Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR notwendige Vertraulichkeit gewährleistet werden. Der Emittent muss sicherstellen, dass er in der Lage ist, Insiderinformationen in seinem Einflussbereich festzustellen. Die Anforderungen an das Informationsmanagementsystem im Bereich der Informationsspeicherung und -erfassung im Vorfeld der unverzüglichen Bekanntgabe sind allerdings restriktiv zu betrachten. Sie weisen das Potenzial auf, dem Emittenten ausufernde Pflichten aufzuerlegen. Von einem Emittenten kann nicht verlangt werden, jegliche Informationen zu speichern oder eine massiv aufwendige, unreflektierte Suche nach möglicherweise ad-hoc-pflichtigen Umständen zu betreiben. Um Insiderlisten frühzeitig, etwa bereits bei Projektbeginn, anzulegen und den Informationszugang von vornherein einzudämmen,216 muss es sich bei dem betreffenden Informationsgegenstand daher jedenfalls um ein erkennbar insiderrelevantes Ereignis handeln. Maßgeblich für die Einordnung ist nicht die individuelle, sub-

216

So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 274 ff.

III. Informationsmanagement

159

jektive Erkenntnisfähigkeit des konkreten Mitarbeiters, sondern objektivierend diejenige eines durchschnittlichen Mitarbeiters des jeweiligen Aufgabenbereichs.217 aa) Informationsspeicherung Grundlage der Wissensorganisation ist die Dokumentation von kapitalmarktrechtlich relevanten Informationen. Insiderinformationen bestehen regelmäßig aus Erkenntnissen verschiedener Einzelbereiche in der Gesellschaft, die sich erst im Laufe der Zeit zu einem Gesamtbild fügen, das die publizitätspflichtigen Insiderinformationen darstellt. Wie bereits festgestellt, geht der europäische Gesetzgeber nicht vom Vorliegen einer einzelnen Information, sondern einer Informationslage aus.218 Im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht ermöglicht die Aufzeichnung von Informationen einen Rückgriff auf einzelne, ursprünglich nicht veröffentlichungspflichtige Informationen, die bei Hinzutreten weiterer Umstände zu einem späteren Zeitpunkt Teil einer ad-hoc-publikationspflichtigen Informationslage werden können. Die Informationserhaltung durch Dokumentation stellt sicher, dass kein Anreiz besteht, den Informationsstand in der Gesellschaft so gering wie möglich zu halten.219 Sie verhindert, dass Umstände, die in der Zukunft zur Entstehung von Insiderinformationen beitragen, etwa mit dem Ausscheiden des Wissensträgers aus der Gesellschaft, „verschwinden“. Der Verzicht auf diese Forderung würde dazu führen, dass der Emittent durch mangelhafte Archivierung von Informationen dafür sorgen kann, dass keine Ad-hoc-Publizitätspflicht entsteht, weil ihm die Insiderinformationen nicht zugänglich sind. Auf Insiderinformationen, über die beispielsweise lediglich ein ausgeschiedener Mitarbeiter verfügt, kann ein Emittent nicht mehr zugreifen, sofern er sie nicht für Nachfolger festgehalten hat. Die Informationen liegen daher nicht mehr bei dem Emittenten vor und können keine Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR auslösen. Es kann ihm jedoch nicht zugutekommen, sich der Informationen durch mangelnde Vorkehrungen zu entledigen oder sie derart in Vergessenheit geraten zu lassen, dass tatsächlich nicht mehr von einem Vorliegen der Insiderinformationen beim Emittenten auszugehen ist, weil er keinen Zugriff mehr auf sie hat. Von dem Emittenten kann dennoch nicht verlangt werden, jegliche Informationen dauerhaft zu archivieren. Es muss ein besonderer Anlass zur Speicherung gegeben sein. Die Dokumentationspflicht kann daher nur für erkennbar potenziell ad-hocpflichtige Umstände gelten. Sie ist davon abhängig, mit welcher Wahrscheinlichkeit die betreffenden Informationen zu einem späteren Zeitpunkt für den Emittenten rechtserheblich sein können.220 Insbesondere bei zeitlich gestreckten Sachverhalten 217 218 219 220

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 392. Siehe A. II. Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 24. Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 24.

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E. Ad-hoc-Publizität

ist die Informationsspeicherungspflicht von Bedeutung. In seinem Geltl/DaimlerUrteil stellte der EuGH klar, dass bereits ein Zwischenschritt eines zeitlich gestreckten Vorgangs eine präzise und kursrelevante Information darstellen kann und damit als Insiderinformation zu bewerten sein kann.221 Der damit veröffentlichungspflichtige Zwischenschritt kann selbst eine „Reihe von Umständen“ sein.222 Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber der MAR in Art. 7 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 MAR sowie in den Erwägungsgründen 16 und 17 der MAR übernommen. Um zu gewährleisten, dass die potenziell ad-hoc-pflichtigen Zwischenschritte des gestreckten Vorgangs identifizierbar sind, ist ihre Dokumentation zwingend erforderlich. Es entspricht der allgemeinen Verkehrserwartung des Kapitalmarkts, dass eine juristische Person ihre interne Wissensverwaltung systematisch gestaltet. Die Informationsorganisation ist so zu etablieren, dass die kapitalmarktrelevanten Umstände gesellschaftsintern derart dokumentiert werden, dass sie von den entsprechenden Entscheidungsträgern jederzeit abrufbar sind.223 Ist das archivierte Wissen der juristischen Person derart verfügbar, ist dies aber nicht gleichbedeutend mit dem für die Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR erforderlichen Vorliegen von Insiderinformationen beim Emittenten. Mangels natürlicher Person, die von den Insiderinformationen weiß, droht zu diesem Zeitpunkt noch kein Insidergeschäft. Allerdings ist es unter Umständen eine bloße Frage der Zeit, bis ein Mitarbeiter des Emittenten auf die Informationen aufmerksam wird und sich damit die Gefahr des Insiderhandels konkretisiert, welcher die Ad-hoc-Pflicht vorbeugen soll. Der ebenso denkbare Fall, dass möglicherweise kursrelevante Umstände gewissermaßen in der Gesellschaft „schlummern“ und gegebenenfalls nie bekannt werden, kann unter dem Gesichtspunkt der Transparenz nicht hingenommen werden. Um diesen Gefahren zu begegnen, kann von einem Emittenten zwar nicht verlangt werden, gespeichertes Wissen anlasslos abzurufen. Er ist allerdings dazu verpflichtet, potenziell kursrelevante Ereignisse zu beobachten und in Zusammenhang mit bereits vorhandenen, dokumentierten Erkenntnissen zu bringen. Nur so kann eine Veröffentlichung der Informationen und damit deren Einarbeitung in die Marktpreise sichergestellt werden und so Insiderhandel verhindert werden. Ein Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR kann sich daraus ergeben, dass ein Anlass zur Nachforschung besteht und der Emittent Aktenwissen dennoch unberücksichtigt lässt. Der komparative Kostenvorteil des Emittenten bei der Informationsspeicherung ergibt sich aus der Tatsache, dass der zu einem späteren Zeitpunkt ad-hoc-pflichtig werdende Umstand schon einmal gesellschaftsintern war. Für den Emittenten ist es 221 EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2788 Rdn. 40. Siehe D. III. 4. 222 EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2788 Rdn. 31. 223 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 127; Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 24.

III. Informationsmanagement

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weniger kostenintensiv, ihn zu speichern und zu gegebenem Zeitpunkt zu veröffentlichen, als für die Marktteilnehmer, welche die Informationen an anderer Stelle erst einmal beschaffen müssten, sofern ihnen dies überhaupt möglich ist. Für Informationen aus der internen Sphäre obliegt die Verantwortung dem Emittenten. bb) Informationssuche Der Emittent hat organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um kursrelevante Umstände in seinem Einflussbereich festzustellen.224 Der schnellstmöglichen Bekanntgabe vorgeschaltet ist daher die Suche im eigenen Dokumentationssystem nach Insiderinformationen, die veröffentlichungspflichtig sind oder bei denen dies zukünftig der Fall sein kann. Ebenso kommt eine Pflicht zur Beschaffung weiterer, gesellschaftsexterner Informationen in Betracht. (1) Interne Informationen Den besten Einblick in die gesellschaftsinternen Umstände hat der Emittent selbst. Er kann die Suche nach Informationen, die er selbst erzeugt, als least cost information provider am kostengünstigsten bekannt geben. Bei internen Umständen sind die Mechanismen zur Feststellung insiderrelevanter Tatsachen häufig mit wenig Aufwand verbunden. Regelmäßig werden veröffentlichungspflichtige Umstände den für die Ad-hoc-Publizitätspflicht zuständigen Vorstandsmitgliedern im Kontext ihrer typischen Tätigkeit bekannt oder beruhen gerade auf ihrer Entscheidung und entstehen damit auf Führungsebene. Zu denken ist etwa an Geschäftsführungsaufgaben, wie die Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15 InsO, oder an personelle Veränderungen im Vorstand und im Aufsichtsrat. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR ist allerdings nicht auf Insiderinformationen beschränkt, über die der Vorstand verfügt oder deren Entstehung der Vorstand (mit)begründet. Es ist ein Informationssystem einzurichten, mithilfe dessen innerhalb der Gesellschaftsstrukturen nach möglicherweise veröffentlichungspflichtigen Umständen gesucht wird, die nicht dem Tätigkeitsbereich des Vorstands entstammen. Dafür spricht, dass der Emittent, nicht der Vorstand, Adressat der Publizitätspflicht ist. Es kommt daher auf das Vorliegen der Insiderinformationen im gesamten Einflussbereich des Emittenten an und nicht nur auf Informationen aus der Sphäre der Vorstandsmitglieder oder solche, von denen der Vorstand im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit gewissermaßen „automatisch“ erfährt. Wenngleich dies regelmäßig auf Insiderinformationen zutrifft, können sie grundsätzlich jedem Mitarbeiter zugetragen werden und auf jeder Hierarchieebene entstehen.

224

Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 479.

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E. Ad-hoc-Publizität

Insiderrelevanz kann beispielsweise Fehlverhalten von Mitarbeitern der nachgeordneten Führungsebene225 zukommen, wenn es zu kursrelevanten Fehlinvestitionen führt. Der Emittent ist verpflichtet, eine Organisationsstruktur zu schaffen, die es ihm ermöglicht, solches Verhalten aufzudecken.226 Gleiches gilt für insiderrelevante Umstände, die innerhalb des Aufsichtsrats entstehen. Der Vorstand hat gegenüber Mitgliedern des Aufsichtsrats keine Leitungs- oder Kontrollbefugnisse, sodass er im Rahmen der Gesellschaftsorganisation lediglich darauf hinwirken kann, dass im Bereich des Aufsichtsrats aufkommende insiderrelevante Umstände möglichst umgehend an ihn herangetragen werden.227 Neben den besonders betroffenen Bereichen Vorstand, Aufsichtsrat, Rechtsabteilung, Controlling, Finanzen, Public- und Investor-Relations sowie der Compliance-Abteilung228 ist insbesondere damit zu rechnen, dass kursrelevante Umstände in Entwicklungs- und Innovationsabteilungen ihren Ursprung finden. Auch die in diesen Bereichen tätigen Personen sind daher in das Informationssystem einzubeziehen.229 Da sie der Organisationsherrschaft des Vorstands des Emittenten unterworfen sind, ist es rechtlich ohne Weiteres möglich, sie darin zu schulen, Umstände zu erkennen, die sich auf die Geschäfte auswirken und daher relevant für die Märkte sein können. Die Mitarbeiter können in der Folge veranlasst werden, die Informationen an leitende Angestellte weiterzugeben, die mit dem Vorstand in direktem Kontakt stehen.230 Der Emittent hat folglich insbesondere bei vorhersehbaren Insiderinformationen Vorkehrungen zu treffen, um die bei ihm eingetretenen oder zu erwartenden Umstände, gleich auf welcher Hierarchieebene sie aufkommen, vollumfänglich zu erfassen.231 Daneben sind turnusmäßige Kontrollen notwendig, um den Wahrnehmungsbereich des Emittenten auf unvorhersagbare, insiderrelevante Umstände zu überwachen.232 (2) Externe Informationen Einen komparativen Kostenvorteil hat der Emittent auch bei externen Informationen, sobald diese an einen Mitarbeiter der Gesellschaft herangetragen werden. Der 225 Zu Compliance-Verstößen von Personen, in deren Zuständigkeit die Ad-hoc-Pflicht fällt siehe E. III. 4. b) aa) (1). 226 So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 425; Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 69. 227 Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72, 74. 228 Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, VII.4.1.2. 229 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 480. 230 Zur Auswirkung von Vertraulichkeitspflichten siehe E. III. 4. b) aa) (2). 231 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 22; a.A. Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1427, der zwischen der Erfassung und Verarbeitung von Insiderinformationen einerseits und der Prüfung von Veröffentlichung und Aufschub sowie Durchführung der Veröffentlichung andererseits differenziert. Einer Pflicht des Emittenten, potenziell ad-hoc-pflichtige Tatsachen zu ermitteln und weiterzuleiten steht er ablehnend gegenüber. 232 Lebherz, Emittenten-Compliance, 2008, S. 103.

III. Informationsmanagement

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Emittent darf sich diesen Informationen nicht verschließen. Wenn ein Mitarbeiter bei der Ausübung seiner Tätigkeit, zum Beispiel im Zuge der Ausführung eines Auftrags oder einer Geschäftsbesorgung, beiläufig von den Emittenten unmittelbar betreffenden, kursrelevanten Tatsachen erfährt, die als gesellschaftsextern einzuordnen sind, müssen diese in das interne Informationssystem eingespeist werden.233 Infrage steht, ob dem Emittenten generell zuzubilligen ist, zu warten, bis gesellschaftsexterne Informationen an ihn herangetragen werden, oder ob er aktiv nach solchen Informationen suchen muss. Der Aufwand, aktiv nach gesellschaftsextern vorliegenden publizitätspflichtigen Umständen zu suchen, unterscheidet sich erheblich von demjenigen für die Erhebung gesellschaftsinterner Umstände notwendigen. Eine Informationseinholungspflicht, die vom Emittenten verlangt, Informationen von außerhalb zu beschaffen, könnte insbesondere abgelehnt werden, falls er keinen Kostenvorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern hat, der diese Pflicht rechtfertigen würde.234 Eingewendet wird, dass bei von außen auf den Emittenten einwirkenden Insiderinformationen in der Regel insbesondere die Insider selbst die Veröffentlichung billiger vornehmen können als der Emittent. Deshalb sollen die Compliance-Pflichten nicht über die allgemeinen Informationspflichten hinausgehen, die den Vorstand aufgrund allgemeiner, mitgliedstaatlicher Bestimmungen treffen.235 Dass Art. 17 MAR über die in juristischen Personen ergriffenen Compliance-Maßnahmen weitere Pflichten statuiert, rechtfertigt allerdings der zusätzliche Nutzen einer Ad-hoc-Publizität für den Finanzmarkt. Es bleibt daher dabei, dass über die allgemeinen Informationspflichten hinausgehende Anforderungen an die gesellschaftsinterne Wissensorganisation des Emittenten zu stellen sind. Diese Anforderungen werden aber durch den Grundsatz begrenzt, dass die Informationserhebung nur mit Kosten verbunden sein darf, die den Nutzen der Ad-hoc-Publizität nicht übersteigen. Würde die Suche nach gesellschaftsexternen Erkenntnissen pauschal abgelehnt, blieben das Informationsinteresse und die Erwartungen der Marktteilnehmer völlig unberücksichtigt. Sie rechnen damit, dass der Emittent die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausschöpft und die Veröffentlichung der auf diesem Wege erlangten Insiderinformationen gewährleistet. Dies gilt auch für externe Insiderinformationen, auf die der Emittent, wenngleich in der Regel in eingeschränktem Maße, Zugriff hat und bei welchen eine regelmäßige Abfrage zumutbar ist. Die systematische Suche des Emittenten nach potenziell ad-hoc-pflichtigen Umständen, die außerhalb seines Tätigkeitsbereichs entstehen, wird oft daran scheitern, dass es dem Emittenten schlicht unmöglich ist, die Informationen zu erlangen. Als Konsequenz des ultra posse nemo obligatur-Grundsatzes kann nicht verlangt werden, Insiderinformationen zu veröffentlichen, die außerhalb seiner Einflusssphäre ihren Ursprung haben und die er selbst bei ordnungsgemäßem In233 234 235

Dafür auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 128. So Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 108. Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 308.

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E. Ad-hoc-Publizität

formationsmanagement nicht erlangen kann. Die Informationssuche ist begrenzt auf diejenigen externen Erkenntnisse, die innerhalb seines Einflussbereichs liegen. Die Verantwortungssphäre des Emittenten kann nur umfassen, was rechtlich und tatsächlich der für die Ad-hoc-Publizität zuständigen Stelle zugänglich gemacht werden kann. Es besteht daher eine nur sehr eingeschränkte Pflicht zur aktiven Suche nach externen Informationen. Regelmäßig wird der Emittent schon nicht in der Lage sein, die ad-hoc-publizitätspflichtigen Insiderinformationen zu ermitteln,236 weil es rechtlich nicht möglich ist, den Wissensträger in die Wissensorganisation einzubeziehen. Die Organisationsherrschaft besteht, wenn er den Wissensträger zur Mitwirkung verpflichten kann. Sie endet allerdings da, wo der Emittent auf dessen freiwillige Mitwirkung angewiesen ist. Dies ist etwa der Fall bei der ad-hoc zu meldenden Vertragsbeendigung durch einen Großkunden des Emittenten. Letzterer hat keinen Einblick in die vorangehenden Erwägungen des Kunden, weshalb nicht zu verlangen ist, dass er nach derlei Informationen sucht. Im Konzernverband reicht die Wissensorganisationsherrschaft so weit, wie der Emittent die Konzerngesellschaft, bei der die ihn unmittelbar betreffenden Insiderinformationen vorliegen, in das eigene System zur Identifizierung von ad-hoc-publizitätspflichtigen Umständen einbeziehen kann.237 Anerkannt ist eine dem Vorstand obliegende Konzernüberwachungspflicht, die beinhaltet, konzernweit Informationen zu sammeln, soweit sie zur sachgerechten Geschäftsleitung des Emittenten erforderlich sind.238 Zur systematischen Suche hat der ad-hoc-publizitätspflichtige Emittent diese Erkenntnisquelle zu nutzen. Aus Art. 17 MAR ergibt sich darüber hinaus die Pflicht des Emittenten, diese regelmäßige Informationsabfrage zu nutzen, um nach ihn unmittelbar betreffenden, potenziell kursrelevanten Informationen zu suchen. Die Pflicht zur Wissensorganisation bezieht sich nur auf solche Insiderinformationen, die mithilfe konzernrechtlicher Befugnisse als solche zu identifizieren sind. Es ergibt sich aus der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR allerdings kein weitergehender Informationsanspruch.239 Die Veröffentlichungspflicht verlangt nur das Ausschöpfen der dem 236

Klöhn, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rdn. 108. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 411. 238 LG München I, Urt. v. 10. 12. 2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 574 f.; Krieger, in: Hoffmann-Becking, HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 4. Aufl., 2015, § 70 Rdn. 27; S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 51 f.; Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 312; U. H. Schneider, FS Wiedemann, 2002, S. 1255, 1266 f.; Bunting, ZIP 2012, 1542 f.; Koch, WM 2009, 1013, 1014; Singhof, ZGR 2001, 146, 147, 156; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 407 f. 239 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 133; vor Inkrafttreten der MAR Behn, Ad-hoc-Publizität und Unternehmensverbindungen, 2012, S. 167 ff.; a.A. S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 31; ders., Informationspflichten und Informationssystemeinrichtungspflichten im Aktienkonzern, 2006, S. 166 f.; U. H. Schneider/Burgard, FS Ulmer, 2003, S. 579, 597 ff., die den Anspruch zur sachgemäßen Ausübung der Konzernleitungsmacht auf die Treupflicht stützen; Singhof, ZGR 2001, 146, 164, 169 f. der für eine kapitalmarktrechtliche Informationsverschaffungspflicht des publizitätspflichtigen herrschenden Unternehmens bzw. eine ka237

III. Informationsmanagement

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Emittenten zugänglichen Informationsquellen und eröffnet keine weiteren, denn die Ad-hoc-Mitteilungspflicht entsteht mit dem Vorliegen der Insiderinformationen beim Emittenten, wovon auszugehen ist, wenn der Emittent Zugriff auf die insiderrelevanten Umstände hat. Die von dem Emittenten verlangte Wissensorganisation kann nicht über die gesellschaftsrechtlichen und konzernrechtlichen Grenzen hinausgehen, weil sie ansonsten schlicht nicht erfüllt werden kann.240 Hierin zeigt sich, dass die europarechtlich begründete Informationsorganisationspflicht auch von den nationalen Regelungen zur Gesellschaftsstruktur abhängig ist. Abgesehen von der sich aus Art. 17 MAR ergebenden Pflicht, die im Rahmen der konzernrechtlichen Informationsbeschaffungspflicht erlangten Erkenntnisse nach Insiderinformationen zu durchsuchen, muss der Emittent ohne spezifischen Anlass keine weiteren Nachforschungen anstellen. Liegen hingegen dem Emittenten erkennbar Hinweise auf insiderrelevante Ereignisse bei einem verbundenen Emittenten vor, hat er diese weiterzuverfolgen, wenn sie seine Ad-hoc-Pflicht auslösen können. Auch eine solche weitere Ermittlung wird allerdings durch die konzernrechtlichen Befugnisse begrenzt.241 Konzernsachverhalte zeichnen sich überdies dadurch aus, dass mehrere selbstständige Gesellschaften Adressaten des Art. 17 MAR sind. Daher wird die Voraussetzung eines unmittelbaren Emittentenbezugs gem. Art. 17 Abs. 1 MAR virulent. Teilweise wird vertreten, das Merkmal schließe diejenigen Insiderinformationen von der Veröffentlichung aus, „nach denen der Emittent suchen muss“.242 Diese Aussage kann nicht dahingehend verstanden werden, dass Insiderinformationen den Emittenten nicht unmittelbar betreffen, wenn er nach ihnen suchen muss. Aufgrund der Tatsache, dass sich den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformationen bei einem verbundenen Unternehmen befinden können, muss der Emittent seine konzernrechtlichen Befugnisse nutzen, um diese Insiderinformationen zu beschaffen. Allein die Tatsache, dass der Emittent nach den Informationen suchen muss, führt folglich nicht dazu, dass ihn diese Informationen nicht unmittelbar betreffen. Zutreffend ist hingegen, dass das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit von der Informationsbeschaffungspflicht diejenigen Insiderinformationen ausschließt, die den Emittenten nur mittelbar betreffen, da diese von der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR ausgenommen sind.243 Im Ergebnis führen die Voraussetzung, dass der nach Art. 17 Abs. 1 MAR zur Bekanntgabe verpflichtete Emittent unmittelbar von den Insiderinformationen betroffen sein muss, sowie der ultra posse nemo obligatur-Grundsatz dazu, dass die pitalmarktrechtliche Auskunftspflicht [Hervorhebungen durch die Verf.] plädiert; zustimmend Figiel, Die Weitergabe von Insiderinformationen in Aktienkonzernen, 2005, S. 169 f., 236. 240 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 314. 241 A.A. Figiel, Die Weitergabe von Insiderinformationen in Aktienkonzernen, 2005, S. 169, der „in jedem Fall“ dem herrschenden Unternehmen die kapitalmarktrechtliche Pflicht auferlegt, sich über Umstände, die bei Tochterunternehmen eintreten, zu informieren. 242 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1287 [Hervorhebung im Original]. 243 Siehe E. II. 2. b) aa).

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E. Ad-hoc-Publizität

vom Emittenten erwartete Informationsbeschaffungspflicht bezüglich gesellschaftsexterner Erkenntnisse nur in sehr eingeschränktem Maße besteht. Ist der Emittent nach den soeben dargelegten Grundsätzen nicht zur Suche der Informationen verpflichtet und erlangt er sie nicht zufällig, liegen sie nicht objektiv bei ihm vor und lösen dementsprechend keine Pflicht zur Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 1 MAR aus. b) Unverzügliche Bekanntgabe Das Merkmal der Unverzüglichkeit in Art. 17 Abs. 1 MAR bezieht sich auf den Umgang mit konkreten Informationen, die beim Emittenten im Sinne des vorstehenden Abschnitts vorliegen. Hat der Emittent kraft seiner Organisationsherrschaft Zugriff auf die Insiderinformationen, müssen sie rechtzeitig veröffentlicht werden. Erst wenn konkrete Umstände in der Verantwortungssphäre des Emittenten feststellbar sind, können sie schnellstmöglich veröffentlicht werden. Zur unverzüglichen Bekanntgabe als Pflichtenprogramm244 gehört die Aufklärung der potenziell ad-hocpflichtigen Umstände und die Bündelung der Informationen bei der für Ad-hocMeldungen zuständigen Stelle. Erst im Anschluss daran ist dem Emittenten ein Zeitraum zuzubilligen, in dem er prüfen kann, ob die Informationen als Insiderinformationen zu bewerten sind und veröffentlicht werden müssen oder ob die Veröffentlichung aufgeschoben werden kann. Je nach Entscheidung des Emittenten hat er daraufhin die Bekanntgabe durchzuführen oder die Aufschiebung in die Wege zu leiten. Angesichts der vollharmonisierenden Wirkung ist allein maßgeblich, ob die Unverzüglichkeitsschwelle des Art. 17 Abs. 1 MAR überschritten ist. Eine unreflektierte Übertragung der nationalen Wissenszurechnungsregeln, die vor Inkrafttreten der MAR herangezogen wurden, um zu begründen, dass die Ad-hoc-Mitteilung nicht unverzüglich vorgenommen wurde, ist nicht zulässig. Ob beim Emittenten objektiv vorliegende Insiderinformationen rechtzeitig veröffentlicht werden und damit das Pflichtenprogramm des Art. 17 Abs. 1 MAR erfüllt ist, hängt davon ab, wann der Emittent objektiv die Bekanntgabe frühestens durchführen kann. Die Möglichkeit zur Bekanntgabe hängt von verschiedenen Faktoren ab, die ihrerseits Anforderungen an den Emittenten stellen. Diese werden im Folgenden dargestellt. aa) Informationsbündelung Der Emittent hat sicherzustellen, dass die den Emittenten unmittelbar betreffenden Insiderinformationen schnellstmöglich zu der in der Gesellschaft für Ad-hocMitteilungen zuständigen Stelle geleitet werden, sodass diese über eine Veröffentlichung oder deren Aufschiebung entscheiden kann. Notwendige Voraussetzung von verpflichtenden Weiterleitungsregeln ist, dass bei einer ex-ante Betrachtung die 244

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 383 (noch zur ursprünglichen Fassung der MAR).

III. Informationsmanagement

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prinzipielle Eignung der infrage stehenden Umstände, zum Entstehen von Insiderinformationen beitragen zu können, zumindest erkennbar ist. Andernfalls müssen die betroffenen Mitarbeiter nicht davon ausgehen, dass es sich um Informationen handelt, die von der Weiterleitungsregel umfasst sind. Eine Herausforderung stellt dies insbesondere bei Insiderinformationen dar, die sich aus Erkenntnissen verschiedener Einzelbereiche in der Gesellschaft ergeben. Zu denken ist etwa an die Verfehlung von Zielen einzelner Geschäftsfelder, die in der Gesamtschau die Gewinnprognose der Gesellschaft in kursrelevantem Maß schmälern. Das Wissen bezüglich eines Lebenssachverhalts ist bei Emittenten, als typischerweise größeren Organisationseinheiten, regelmäßig auf mehrere Personen aufgespalten, die erst gemeinsam zu der Erkenntnis gelangen können, dass es sich um insiderrelevante Tatsachen handelt. Deshalb ist es Aufgabe des Emittenten, den Informationstransfer so auszugestalten, dass sich die Erkenntnisse aus Einzelbereichen zu einem Gesamtbild zusammenfügen können.245 Die Pflicht des Emittenten zur Informationsbündelung ist daher tendenziell weit zu verstehen. Mitarbeiter müssen für insiderrelevante Umstände sensibilisiert werden und haben Informationen im Zweifel weiterzugeben. Sie müssen dahingehend instruiert werden, möglicherweise kursrelevante Umstände so schnell wie möglich denjenigen Stellen zu melden, welche die Bewertung vornehmen, ob es sich überhaupt um Insiderinformationen handelt. Der Emittent muss organisatorische Strukturen einrichten, die den internen Informationsfluss sicherstellen, indem er klare Mitteilungswege in Richtung der für Ad-hoc-Meldungen zuständigen Stelle festlegt.246 Ist ein mehrköpfiger Vorstand zuständig, ist von einem Vorstandsmitglied, das von potenziell ad-hoc-pflichtigen Umständen erfährt, zu erwarten, dass es den Gesamtvorstand hierüber unterrichtet. Davon kann allerdings abzusehen sein, wenn besondere Eilbedürftigkeit besteht und der Wissensträger das Verfahren zur Veröffentlichung daher unmittelbar selbst in Gang setzt.247 Gelangen sich in der Gesellschaft befindliche Informationen nicht zu den Entscheidungsträgern, ist dies nicht mit einem Verstoß des Emittenten gegen die Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR gleichzusetzen. Voraussetzung ist, dass eine frühere Bekanntgabe rechtlich und tatsächlich möglich gewesen wäre.248 Dies ist der Fall, sobald die Organisationsherrschaft es zulässt, dass die ad-hoc-pflichtige Tatsache die Aufmerksamkeit der zuständigen Stelle erhalten kann. Es können allerdings nicht alle Mitarbeiter der Gesellschaft zur Weitergabe jeglicher Information verpflichtet werden. Vielmehr bestehen für bestimmte Informationen rechtliche Beschränkungen, die einer Weiterleitung entgegenstehen. Diese Weiterleitungshindernisse führen aus Sicht des Emittenten zur rechtlichen Unmöglichkeit der In245

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 393. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 127; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 479. 247 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 396. 248 So Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 53, der auf verbands- und kapitalmarktrechtlich anzuerkennende Gründe abstellt, die rechtfertigen können, dass die Insiderinformationen nicht weitergeleitet werden. 246

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E. Ad-hoc-Publizität

formationsbeschaffung, sodass sich diese nicht auf die betreffenden Informationen erstreckt. Dies trägt wiederum dem ultra posse nemo obligatur-Grundsatz Rechnung, der auch in dieser Hinsicht die Informationsorganisationspflichten des Emittenten einschränkt. (1) Nemo tenetur-Grundsatz Personen, deren Fehlverhalten eine Insiderinformation darstellt, müssen grundsätzlich von ihrem eigenen Compliance-Verstoß berichten. Bei strafbaren Handlungen steht diese Pflicht indes mit dem Nemo tenetur se ipsum accusare-Grundsatz in Konflikt, der auf Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 1 GRCh gestützt werden kann.249 Eine Person kann nicht zur Aufklärung eines ihr zur Last gelegten Sachverhalts verpflichtet werden, wenn sie sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt.250 Da sich der Emittent nicht zulasten eines informierten Kapitalmarkts ein etwaiges Auskunftsverweigerungsrecht einzelner Mitarbeiter zu eigen machen darf, trifft ihn, wie bereits festgestellt,251 die Pflicht, ein effektives System zur Aufdeckung von Gesetzesverstößen zu errichten. Der Etablierung eines Informationsweiterleitungssystems steht dennoch entgegen, dass der Betroffene nicht zu einer selbstbelastenden Offenbarung verpflichtet werden kann. Der Emittent ist auf freiwillige Angaben des betroffenen Mitarbeiters oder auf Details des insiderrelevanten Compliance-Verstoßes angewiesen, die er unabhängig von der Mitwirkung des Delinquenten erhalten kann. (2) Vertraulichkeitspflichten Einen Konflikt kann die Pflicht zur Weitergabe von Informationen hervorrufen, wenn ihre Befolgung gegen gesellschaftsinterne Vertraulichkeitspflichten verstoßen würde. Verfügen Aufsichtsratsmitglieder etwa über Insiderinformationen und sind verbandsrechtlich zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet, kann von ihnen nicht gleichzeitig die gesellschaftsinterne Weiterleitung verlangt werden. Die Pflicht zur Informationsbündelung findet ihre Grenze, wo der Wissensträger gegen eine organschaftliche Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen würde und daher rechtlich an der Weiterleitung von Insiderinformationen gehindert ist,252 denn die Weitergabe von Wissen liegt in diesem Fall außerhalb dessen, was die Organisationsverfassung des Emittenten zulässt. Dies betrifft insbesondere Unternehmensangehörige, die ein Doppelmandat innehaben. Ein vom Emittenten entsandtes Vorstandsmitglied, das von unmittelbar den Emittenten betreffenden Insiderinformationen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat einer anderen Gesellschaft Kenntnis erlangt, ist nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG zur vertraulichen Be249

Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, 5. Aufl., 2019, Art. 48 Rdn. 12. Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 68. 251 Siehe E. III. 4. a) bb) (1). 252 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 58. 250

III. Informationsmanagement

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handlung verpflichtet. Der Wissensträger kann nicht dazu verpflichtet werden, die Informationen weiterzugeben und sich damit über die nach § 404 AktG strafbewehrte Vertraulichkeitspflicht hinwegzusetzen.253 Dem Emittenten ist es unmöglich, die Informationen in das eigene Informationssystem einzuspeisen, weshalb die Verschwiegenheitspflicht des Doppelorganmitglieds auch im Kontext von Art. 17 Abs. 1 MAR nicht ignoriert werden kann. Diese sich aus den verbandsrechtlichen Gegebenheiten des dualistischen Organsystem ergebende Besonderheit des nationalen Rechts ist trotz vollharmonisierender Wirkung der MAR als Grenze der Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu sehen.254 Abgesehen von aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten bestehen in juristischen Personen Vertraulichkeitsbereiche, die zwingende Voraussetzung einer speziell kapitalmarktrechtlichen Compliance sind.255 Die Offenlegungsvorschrift Art. 17 MAR führt selbst dazu, dass Tatsachen, die möglicherweise ad-hoc-pflichtig werden, geheim gehalten werden müssen, denn die für einen Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR notwendige Vertraulichkeit kann nur gewährleistet werden, wenn sowohl während des Aufschubs die Geheimhaltung überprüft wird, als auch im Vorhinein der Informationszugang eingedämmt wurde. Es kann daher zu Situationen kommen, bei denen der Vorstand erst von einem insiderrelevanten Umstand erfährt, wenn die Voraussetzungen der Selbstbefreiung weggefallen sind.256 Die gesellschaftsinternen Verschwiegenheitsgebote sind in ihrer Bedeutung als Grenze der kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflicht jedoch nicht zu überschätzen, weil sich Geschäftsgeheimnisse in der Regel auf die Vorstandsebene beziehen und selten Verbote bestehen, Wissen an den für die Ad-hoc-Publizität entscheidungsberechtigten Vorstand weiterzugeben.257 Er ist für die Ausbildung der Vertraulichkeitsbereiche zuständig und hat im Einzelfall zu prüfen, ob das Emittenteninteresse an der Geheimhaltung der Informationen das Informationsinteresse der Allgemeinheit an einem funktionsfähigen Kapitalmarkt im Rahmen des Art. 17 Abs. 4 MAR überwiegt.258 253

Einen „unauflösbaren Konflikt“ sieht hierin Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 399. Siehe E. III. 2. 255 Die sogenannten Chinese Walls gehören „zu den Kernelementen einer ComplianceOrganisation“, Lösler, NZG 2005, 104, 108. 256 Mülbert, FS Stilz, 2014, S. 411, 420 f.; Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72, 75; Retsch, NZG 2016, 1201, 1206. 257 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, 25. 258 Eine solche Abwägung sieht auch § 6 Satz 1 WpAV (Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeigeverordnung – WpAV) (Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung – WpAIV) vom 13. 12. 2004, BGBl. I S. 3376, geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisordnung vom 02. 11. 2017, BGBl. I S. 3727)) vor. 254

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Die kapitalmarktrechtlichen Vertraulichkeitsbereiche begrenzen die Informationsweiterleitung dahingehend, dass die Wissensträger ihre Erkenntnisse nicht innerhalb der Gesellschaftsstruktur streuen dürfen, sondern sie gezielt an die für Adhoc-Meldungen zuständige Stelle weiterleiten müssen, damit diese über die Veröffentlichung oder Selbstbefreiung entscheiden kann. Hierfür sind Verfahrensregeln zu etablieren, die geeignet sind, die Kommunikationsflüsse derart zu steuern, dass der Kreis der Insider überschaubar bleibt. (3) Persönlichkeitsrechte Eine Pflicht zur Weiterleitung von Insiderinformationen scheidet aus, wenn sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer natürlichen Person nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG259 sowie die Rechte des Wissensträgers auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GRCh und auf den Schutz personenbezogener Daten gem. Art. 8 GRCh verletzen würde. In diesem Fall ist nicht erst ein Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht ausgeschlossen, wenn beispielsweise die schwere Erkrankung eines Vorstandsvorsitzenden den engen persönlichen Bereich des Erkrankten verlassen hat und dem Vorstand bekannt wurde,260 sondern das Persönlichkeitsrecht verhindert bereits, dass der betroffene Vorstandsvorsitzende die Informationen dem Emittenten mitteilen muss. Privates Wissen von Mitarbeitern und Organmitgliedern unterliegt demnach schon nicht der Weiterleitungspflicht, wenn mit der Veröffentlichung das Persönlichkeitsrecht verletzt würde. Weiterleitungspflichtig und letztlich im Fall der Kursrelevanz veröffentlichungspflichtig bliebe im Beispiel selbstverständlich ein auf der Erkrankung beruhendes Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden, ohne dass die persönlichkeitssensiblen Informationen bekannt gegeben werden. Dem Persönlichkeitsrecht gebührt allerdings nicht grundsätzlich der Vorrang. Ein Eingriff kann gem. Art. 52 GRCh gerechtfertigt sein. Das Informationsinteresse der Marktteilnehmer muss hierfür die persönlichkeitsrechtlichen Belange überwiegen.261 Keine Bedeutung kommt der Frage zu, ob es sich um anlässlich der Tätigkeit für den Emittenten oder privat erworbenes Wissen handelt. Die Mitarbeiter sind, sofern das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht verletzt wird, dazu zu verpflichten, auch beiläufig im Kontext eines privaten Anlasses erworbenes kursrelevantes Wissen an die für Ad-hoc-Mitteilung zuständige Stelle beim Emittenten weiterzuleiten, denn es kommt nicht darauf an, auf welchem Weg die Insiderinformationen an einen Mit-

259 Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 16. 07. 1969 – 1 BvL 19/63, NJW 1969, 1707; BVerfG, Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221; BVerfG, Urt. v. 05. 06. 1973 – 1 BvR 536/72, NJW 1973, 1226, 1229 f. 260 So aber Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/ 2014 Rdn. 74, der erst ab diesem Zeitpunkt vom Bestehen einer Insiderinformation ausgeht. 261 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 74; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 383 ff.

III. Informationsmanagement

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arbeiter der Gesellschaft herangetragen wird, sondern ob die Informationen eine private oder emittentenbezogene Angelegenheit zum Gegenstand haben.262 bb) Informationsverifizierung Die Bekanntgabepflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR setzt voraus, dass es sich bei den Informationen um solche handelt, die der Emittent als Insiderinformationen identifizieren kann. Bevor diese rechtliche Wertung vorgenommen werden kann, sind die relevanten Umstände daher aufzuklären und zu konkretisieren, sodass auf ausreichend gesicherter Informationslage die Entscheidung getroffen werden kann, ob es sich um ad-hoc-veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen handelt. In engem Zusammenhang mit der Pflicht zur Suche und Erkennung von potenziell veröffentlichungspflichtigen Informationen steht daher die Informationsverifizierungspflicht. Deren Gegenstand ist die Überprüfung der Informationen als solchen. Die für das Sammeln und vorläufige Bewerten zuständige Clearing-Stelle263 muss die prinzipielle Eignung des infrage stehenden Sachverhalts, eine Veröffentlichungspflicht auszulösen, hierfür erkennen können. Daraufhin hat sie zu entscheiden, ob es weiterer Nachforschungen bedarf, um zu ermitteln, ob es sich um Insiderinformationen (mit-)begründende Umstände handelt. Die interne Revision umfasst die Sichtung von Dokumenten, Prüfung von E-Mails und Festplatten sowie die Durchführung von Interviews. Es sind diejenigen Personen in die interne Sachverhaltsermittlung einzubeziehen, welche die relevanten Umstände betreffen. Abhängig davon, auf welcher Hierarchieebene die Informationen entstanden sind, kann es sich bei den Personen auch um solche handeln, die nicht der Führungsebene angehören. Sind etwa schwerwiegende Verzögerungen bei einer für den Emittenten bedeutenden Produktionslinie zu erwarten, liegt es an den Mitarbeitern der entsprechenden Abteilung, der zuständigen Stelle die Thematik zu erläutern. Diese ist auf die Sachkenntnis der Informationsträger angewiesen. Die Informationsträger hingegen sind selbst in der Regel nicht in der Lage, zu bewerten, ob die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 MAR sowie die unmittelbare Betroffenheit i.S.d. Art. 17 Abs. 1 MAR vorliegen, weil sie die wirtschaftliche Lage des Emittenten nicht einschätzen können und daher etwa die Kursrelevanz der Umstände nicht bestimmen können. Zwischen der für die Ad-hoc-Meldungen zuständigen Stelle und den Personen, die im Bereich der Informationsquelle tätig sind, ist daher ein effektiver Informationsfluss zu gewährleisten. Nur so können auch künftige Umstände oder Ereignisse i.S.d. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MAR identifiziert werden, bei denen eine umfassende Würdigung der

262

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 398. Lebherz, Emittenten-Compliance, 2008, S. 105; Gehrt, Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz, 1997, S. 214 hält deren Einrichtung zumindest bei diversifizierten Konzernen für notwendig. 263

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bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass erwartet werden kann, dass sie in Zukunft tatsächlich existieren oder eintreten werden.264 Dass die Informationsaufklärung zwangsläufig Zeit in Anspruch nimmt, steht der Pflicht zur unverzüglichen Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 1 MAR nicht entgegen. Die Sachverhaltsermittlung ist nicht nur Voraussetzung dafür, dass die zuständige Stelle bewerten kann, ob die Informationen, die den Emittenten unmittelbar betreffen, kursrelevant und präzise sind, sodass die Voraussetzungen von veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR vorliegen, sondern es liegt auch grundsätzlich nicht im Marktinteresse, dass der Emittent lückenhafte Meldungen und nicht erwiesene Tatsachen veröffentlicht. Die Forderung nach einer schnellstmöglichen Veröffentlichung beschränkt allerdings den Umfang der Informationsaufklärungspflicht. Der Emittent kann die Veröffentlichungspflicht nicht herauszögern, bis eine Tatsache als vollständig verlässlich angesehen werden kann, denn es ist unzweifelhaft, dass grundsätzlich auch unsichere Informationen sowie Gerüchte, also unsichere Tatsacheninformationen mit einem gewissen Verbreitungsgrad, Insiderinformationen sein können.265 Erforderlich ist, dass sie Kursrelevanz aufweisen und präzise i.S.d. Art. 7 MAR sind. Gleiches gilt für nicht abschließend feststehende Gesetzesverstöße von Mitarbeitern. Bereits anlassbezogene Compliance-Untersuchungen können veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen darstellen.266 Der zeitliche Aufwand, den die Sachverhaltsermittlung mit sich bringt, muss allerdings in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Ergebnis stehen. Eine weitere Aufklärung ist nicht abzuwarten, wenn das Interesse des Marktes an der Bekanntgabe von unvollständig untersuchten Informationen überwiegt, weil beispielsweise starke Anzeichen bestehen, dass auf ihrer Grundlage bereits Insiderhandel stattfindet.267 Andernfalls ist der Emittent für den Zeitraum der Verifizierung noch nicht zur Ad-hoc-Meldung verpflichtet. Kann sich der Emittent unter Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Informationen nicht vergewissern, hat er auf unsicherer Tatsachengrundlage über die Veröffentlichung oder deren Aufschiebung zu entscheiden. Dem Markt ist in diesem Fall mitzuteilen, dass auf Sachverhaltsebene Unsicherheiten bestehen, damit die Anleger die Ad-hocMeldung entsprechend bewerten können.268

264 So EuGH, Urt. v. 28.06. 2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), EU:C:2012:397, NJW 2012, 2787, 2789 Rdn. 49 vor Inkrafttreten des Art. 7 MAR. 265 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 50; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 7 Rdn. 56 ff.; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 7 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 4; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 13 Rdn. 52 f.; a.A. Kalss/Nicolussi, NJW 2015, 1665. 266 Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 69. 267 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 125. 268 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 311.

III. Informationsmanagement

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Dass der Emittent zur Informationsaufklärung verpflichtet ist, rechtfertigt die Marktschutzfunktion der Ad-hoc-Publizität.269 Er ist im Falle gesellschaftsinterner Umstände als Informationserzeuger zur Sachverhaltsaufklärung besser geeignet als die Informationshändler und kann die Verifizierung als least cost information provider am kostengünstigsten durchführen. Bei Insiderinformationen, die auf externen Umständen beruhen, kann die Sachverhaltsaufklärung dagegen aufwendiger und kostenintensiver sein. Insbesondere in diesen Fällen ist zu hinterfragen, ob der Emittent die Umstände tatsächlich zu geringeren Kosten ergründen kann als der Markt. Nur wenn dies zu bejahen ist, muss der Emittent den potenziell ad-hocpflichtigen Umständen weiter nachgehen. cc) Informationsanalyse Auf Grundlage der Erkenntnisse, die aus der Sachverhaltsermittlung hervorgehen, hat die für die Ad-hoc-Publizität zuständige Stelle zu bewerten, ob es sich um Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 MAR handelt, die den Emittenten unmittelbar betreffen, und ob diese nach Art. 17 Abs. 1 MAR veröffentlicht werden müssen oder gem. Art. 17 Abs. 4 MAR die Bekanntgabe aufgeschoben werden kann. Für die Analyse, ob es sich um Insiderinformationen handelt, ist dem Emittenten ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, in dem er das Vorliegen der Voraussetzungen, die Art. 7 MAR an den Begriff der Insiderinformationen knüpft, überprüfen kann. Dieser ist abhängig von der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Sachverhalts.270 Da Art. 17 Abs. 1 MAR eine unverzügliche Bekanntgabe fordert, ist der dem Emittenten für die Entscheidung über die Veröffentlichung zugebilligte Zeitraum so knapp wie möglich zu bemessen, um dem Informationsinteresse des Marktes gerecht zu werden und Insiderhandel vorzubeugen. Für die Entscheidung über die Veröffentlichung kann der Emittent zusätzlich externe Berater heranziehen, soweit dies erforderlich ist und nicht rechtsmissbräuchlich zum Zwecke der Verzögerung geschieht.271 Voraussetzung der Ad-hoc-Pflicht ist, dass bei einer ex-ante Betrachtung die prinzipielle Eignung der infrage stehenden Umstände, Insiderinformationen zu sein, zumindest erkennbar ist.272 Das Tatbestandsmerkmal „nicht öffentlich bekannt“ in Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR ist negativ abzugrenzen von solchen Informationen, die einem breiten Anlegerpublikum zugänglich sind.273 Für die Einschätzung der Kursrelevanz hat der Emittent zu prüfen, ob ein verständiger Anleger die Informationen wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen 269

Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 123. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 129; Lebherz, EmittentenCompliance, 2008, S. 107. 271 Zum alten Recht Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.3. 272 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 392. 273 BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 29. 05. 2019, III.4.c). 270

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E. Ad-hoc-Publizität

würde.274 Weiterhin hat der Emittent die Erkenntnis als ausreichend präzise einzustufen.275 Die Bewertung ist lediglich für solche Informationen vorzunehmen, die den Emittenten unmittelbar betreffen. Insbesondere in Konzernsachverhalten, die sich dadurch auszeichnen, dass mehrere selbstständige Unternehmen Adressaten des Art. 17 MAR sind, ist genau zu ermitteln, welche Konzerngesellschaft die Insiderinformationen unmittelbar betreffen. Dieser Filter gewährleistet, dass der Emittent einen Kostenvorteil bei der Informationsanalyse hat, der rechtfertigt, warum ihm diese Aufgabe obliegt, denn vor allem bei gesellschaftsspezifischen Informationen kann der Emittent am zuverlässigsten und kostengünstigsten ermitteln, ob die Informationen beispielsweise Kursrelevanz aufweisen.276 Konnte der Emittent Umstände als ad-hoc-pflichtige Insiderinformationen qualifizieren, hat er zu beurteilen, ob die Veröffentlichung aufgeschoben werden kann. Der Emittent hat dafür Vorkehrungen zu treffen, die es ihm ermöglichen, zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Befreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR oder – sofern einschlägig – Art. 17 Abs. 5 MAR vorliegen.277 In Ausnahmefällen, wie etwa bei Personalmaßnahmen hinsichtlich des Vorstands, kommt dem Aufsichtsrat die Kompetenz zu, über die Selbstbefreiung zu entscheiden.278 Er hat in der Folge allerdings den Vorstand über die aufgeschobenen Insiderinformationen in Kenntnis zu setzen, sobald die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR nicht mehr vorliegen.279 Da Adressat der Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittent ist und nicht der Vorstand, ist der Aufsichtsrat zumindest verpflichtet, dazu beizutragen, dass der Vorstand die Pflicht für den Emittenten erfüllen kann, wenn die Insiderinformationen dem Kapitalmarkt bekannt gegeben werden müssen, weil die Voraussetzungen des Aufschubs nicht mehr vorliegen.280 274

BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 29. 05. 2019, III.4.b). Die BaFin erwartet eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (50 % + x) vom Ereigniseintritt aus, BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 29. 05. 2019, III.4.a). 276 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 70. 277 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 68. 278 Habersack, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 116 Rdn. 54; Mülbert, FS Stilz, 2014, S. 411, 420 f.; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381; 407; Retsch, NZG 2016, 1201, 1206; a.A. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 95. Die BaFin verlangt weiterhin die Beteiligung mindestens eines Vorstandsmitglieds an der Entscheidung über die Selbstbefreiung, wenngleich die ESMA im Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28. 09. 2015, ESMA/2015/1455, Ziff. 7.3.1 Rdn. 239 ein Vorstandsmitglied lediglich als Beispiel für eine verantwortliche Person zur Entscheidung bzgl. der Selbstbefreiung nennt, BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 29. 05. 2019, III.1. 279 Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72, 75; Retsch, NZG 2016, 1201, 1206. 280 Ein Aufsichtsratsmitglied hat auf die Pflichterfüllung durch den Vorstand hinzuwirken, Habersack, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 116 Rdn. 54; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 408, und Vorkehrungen zur unverzüglichen Veröffentlichung zu treffen Schäfer, in: MarschBarner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rdn. 15.31. 275

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dd) Informationsbekanntgabe Lediglich der Vorstand oder eine diesem nachgeordnete Stelle, nicht hingegen der Aufsichtsrat selbst, ist dazu befugt, die Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 1 MAR vorzunehmen.281 Sind die Sachverhaltsermittlung und -bewertung abgeschlossen, ist die Pflicht unverzüglich zu erfüllen, indem der Emittent die Insiderinformationen gem. Art. 17 Abs. 1 MAR „in einer Art und Weise veröffentlicht […], die der Öffentlichkeit einen schnellen Zugang und eine vollständige, korrekte und rechtzeitige Bewertung ermöglicht“. Wie die Veröffentlichung konkret vorzunehmen ist, regelt Art. 17 MAR selbst nicht. Die Bestimmungen zum Verfahren der Offenlegung sowie zu Inhalt, Art und Form der Mitteilung finden sich in der Durchführungsverordnung282 und in den §§ 4 – 9 WpAV283. Der Emittent hat sicherzustellen, dass die zuständige Stelle permanent besetzt ist, sodass die Ad-hoc-Mitteilung auch außerhalb der Börsenzeiten, samstags oder sonntags durchgeführt werden kann.284 Soll die Veröffentlichung aufgeschoben werden, ist gem. Art. 17 Abs. 4 MAR, Art. 4 Abs. 2 der Durchführungsverordnung die zuständige Behörde schriftlich über den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen in Kenntnis zu setzen und eine Erläuterung zu übermitteln. In der Folgezeit hat der Emittent sicherzustellen, dass die Voraussetzungen des Befreiungstatbestands – insbesondere die Geheimhaltung der Informationen gem. Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR – gewährleistet sind. Um bei einem Wegfall der Voraussetzungen schnell reagieren zu können, sind Strukturen zu schaffen, die eine sofortige Veröffentlichung ermöglichen. Hierzu kann auch der Text einer Mitteilung entworfen werden, die gemäß dem jeweils aktuellen Stand rasch angepasst und freigegeben werden kann.285 281

So auch die wohl h.M. Habersack, in: MüKo AktG, Bd. 2, 5. Aufl., 2019, § 116 Rdn. 54, 65; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, HdB börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rdn. 15.31; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl., 2020, Rdn. 284 (Befugnis des Aufsichtsrats lediglich in „extremen Ausnahmesituationen“); Mülbert, FS Stilz, 2014, S. 411, 421; Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72, 75; Merkner/Sustemann/ Retsch, AG 2019, 621, 633; Retsch, NZG 2016, 1201, 1206. 282 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission vom 29. 06. 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der technischen Mittel für die angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen und für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 173 vom 30. 06. 2016, S. 47. 283 Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeigeverordnung – WpAV) (Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung – WpAIV) vom 13. 12. 2004, BGBl. I S. 3376, geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisordnung vom 02. 11. 2017, BGBl. I S. 3727). 284 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 131; zum alten Recht Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 28. 04. 2009, IV.6.3; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 17 MAR Rdn. 138. 285 BaFin, Art. 17 MAR FAQs, Stand: 29. 05. 2019, IV.10.

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E. Ad-hoc-Publizität

Ist der Gegenstand der Ad-hoc-Mitteilung eine strafbare Handlung der mit der Veröffentlichungspflicht betrauten Person, wird teilweise vertreten, der Emittent sei nicht zur Bekanntgabe dieser Erkenntnisse verpflichtet.286 Dabei wird übersehen, dass der Konflikt mit dem Nemo tenetur-Grundsatz nicht aus der Ad-hoc-Publizitätspflicht folgt, sondern aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht, welches das Organmitglied nach § 9 OWiG dazu verpflichtet, die Ad-hoc-Publizität für die Gesellschaft wahrzunehmen.287 Der Konflikt ist daher auf ordnungswidrigkeitenrechtlicher Ebene aufzulösen.288 Setzt sich die für Ad-hoc-Meldungen zuständige Person, der das Fehlverhalten vorzuwerfen ist, der Gefahr der Strafverfolgung aus, besteht für sie dennoch die Pflicht, sie für den Emittenten zu veröffentlichen,289 denn der Konflikt besteht nur für diese natürliche Person, nicht jedoch für den Emittenten als Adressaten der Ad-hoc-Publizitätspflicht. Dieser bleibt zur unverzüglichen Mitteilung nach Art. 17 Abs. 1 MAR verpflichtet. Da dem Wissensträger aber normgemäßes Verhalten nicht zumutbar ist, scheidet eine Bebußung von diesem wegen unterlassener Publizität nach § 120 Abs. 15 Nr. 6 – 11 WpHG i.V.m. § 9 OWiG aus.290 Das Verbot des Selbstbelastungszwangs steht somit nicht der Mitteilungspflicht, sondern lediglich der bußgeldbewehrten Verpflichtung des Betreffenden, sie für den Emittenten mitzuteilen, entgegen.291 5. Zwischenergebnis Die Ausgestaltung des Informationsmanagements erfasst Pflichten, die das objektive Vorliegen der Insiderinformationen beim Emittenten betreffen, und solche, denen zur darauf aufbauenden Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht unverzüglich nachgekommen werden muss. Nicht verlangt werden diejenigen Handlungen, die für einen Emittenten aufgrund seiner Organisationsverfassung, die sich aus dem mitgliedstaatlichen Recht ergibt, rechtlich oder tatsächlich nicht möglich sind. Aus dem Telos des Art. 17 MAR ergibt sich, dass auch nicht erwartet werden kann, dass der Emittent eine derart kostenintensive Wissensorganisation schafft, deren Nutzen nicht denjenigen der Ad-hoc-Mitteilung überwiegt. Konkret hat der Emittent erkennbar potenziell ad-hoc-pflichtige Umstände zu dokumentieren und abrufbereit zu halten. Es muss eine Organisationsstruktur bestehen, die es ihm ermöglicht, veröffentlichungspflichtige Tatsachen als solche zu 286 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 76 ff. 287 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 429. 288 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 429; Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 68; Sajnovits, WM 2016, 765, 772 f. 289 Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, 103; a.A. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rdn. 83. 290 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 429. Ebenso nach alter Rechtslage Sajnovits, WM 2016, 765, 773; Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, 103. 291 Altenhain, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 39 Rdn. 30.

III. Informationsmanagement

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erkennen. Für die Informationssuche sind alle dem Emittenten zugänglichen Informationsquellen zu nutzen. Hat er auf Insiderinformationen kraft seiner Organisationsherrschaft Zugriff, liegen sie objektiv bei ihm vor. Der Tatbestand des Art. 17 Abs. 1 MAR ist in diesem Fall erfüllt und das Pflichtenprogramm der Rechtsfolge greift. Um die in der Gesellschaft befindlichen Informationen unverzüglich zu veröffentlichen, muss der Emittent gewährleisten, dass die Informationen zu denjenigen Personen gelangen, die über eine Veröffentlichung oder Aufschiebung entscheiden. Die Pflicht zur Informationsbündelung umfasst die Einrichtung organisatorischer Strukturen, die den internen Informationsfluss bis hin zur für die Veröffentlichung zuständigen Stelle sicherstellen. Voraussetzung dafür sind zwingende Weiterleitungspflichten und klare Mitteilungswege. Die Clearing-Stelle hat in der Folge den Sachverhalt aufzuklären, damit auf möglichst konkreter und gesicherter Tatsachengrundlage eine Bewertung der Umstände vorgenommen werden kann. Die darauf aufbauende Pflicht zur Informationsanalyse setzt voraus, dass Vorkehrungen getroffen werden, die eine schnellstmögliche Reaktion der für Adhoc-Meldungen zuständigen Stelle auf potenziell veröffentlichungspflichtige Tatsachen garantieren. Im Anschluss an eine gewissenhafte Überprüfung auf die Qualität als Insiderinformation i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR und gegebenenfalls auf die Aufschiebbarkeit nach Art. 17 Abs. 4 MAR, sind die Insiderinformationen schnellstmöglich zu veröffentlichen. Um dies zu gewährleisten, hat der Emittent sicherzustellen, dass Strukturen mit einer permanent besetzten Stelle bestehen, die den Mitteilungstext zum Veröffentlichungszeitpunkt bekannt geben können. Diese Pflichten ergeben sich mittelbar aus Art. 17 Abs. 1 MAR. Es liegt zwar kein Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht vor, wenn der Emittent keine ordnungsgemäße Wissensorganisation vorweisen kann, die Insiderinformationen im Einzelfall aber gleichwohl unverzüglich veröffentlicht wurden. Die Veröffentlichungspflicht ist jedoch verletzt, wenn die Insiderinformationen nicht oder nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt bekannt gegeben wurden, weil keine hinreichende Wissensverwaltung bzw. keine ordnungsgemäße Gestaltung der internen Kommunikation stattgefunden hat, obwohl dies möglich gewesen wäre. Die Insiderinformationen müssen zu dem Zeitpunkt veröffentlicht werden, zu dem dies dem Emittenten erstmals möglich wäre, wenn er ein umfassendes Informationsmanagement eingerichtet hat und sich die in die Wissensorganisation einbezogenen Personen ordnungsgemäß verhalten. Auch wenn Vorstandsmitglieder oder nachgeordnete Mitarbeiter bewusst Informationen verschweigen und sie deshalb nicht veröffentlicht werden, liegt ein Verstoß des Emittenten gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht vor, weil bei pflichtgemäßem Verhalten eine unverzügliche Bekanntgabe möglich gewesen wäre. Ein Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht selbst bei Gelegenheitsversagen eines an sich angemessenen Informationsmanagements ist gerechtfertigt, weil auch das Verhalten einzelner Mitarbeiter der Herrschaftsmacht der juristischen Person unterfällt. Dem Emittenten ist es als einzigem Rechtssubjekt möglich, im Wege von Handlungsanweisungen, verpflichtenden Weiterleitungsregeln sowie der Aufklärung, Schulung und Überwachung der Mitarbeiter der ver-

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E. Ad-hoc-Publizität

zögerten oder unterlassenen Veröffentlichung vorzubeugen. Gelingt dies nicht, verstößt er gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR.

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht Die Frage der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität gem. Art. 17 Abs. 1 MAR ist von der Sanktionierung der Offenlegungspflicht zu trennen. Der deutsche Gesetzgeber hat im WpHG nach Inkrafttreten der MAR zivilrechtliche Ausgleichsmechanismen beibehalten, die sich nunmehr in §§ 97, 98 WpHG finden. Wie die Vorgängernormen §§ 37b und 37c WpHG a.F. setzen der Schadensersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen (§ 97 WpHG) und der Schadensersatz wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen (§ 98 WpHG) jeweils in Abs. 2 Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. 1. Europarechtliche Vorgaben Während Art. 17 MAR als europäischer Rechtsakt eine Handlungspflicht statuiert, hat die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung in §§ 97, 98 WpHG der deutsche Gesetzgeber eingeführt. Fest steht, dass die im WpHG geregelte Schadensersatzhaftung auf die Anwendung des EU-Verordnungsrechts, auf das sie verweist, keine Auswirkung hat. Untragbare Ergebnisse, die sich aus der Darlegungs- und Beweislast der Haftungsnormen ergeben,292 legen eine Änderung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung nahe, korrigieren aber nicht die Auslegung des europäischen Rechts und damit vorliegend des Art. 17 MAR. Weniger eindeutig ist die Frage zu beantworten, ob und inwieweit andererseits die MAR den mitgliedstaatlich geregelten Schadensersatz vorzeichnet. Maßgeblich sind hierfür die Harmonisierungswirkung der MAR im Bereich der zivilrechtlichen Haftung, der Verordnungscharakter der MAR sowie die Anforderungen, die sich aus dem effet utile-Grundsatz ergeben. a) Harmonisierungswirkung und Verordnungscharakter Das Pflichtenregime des Art. 17 MAR ist vollharmonisierend.293 Der Wortlaut der Vorschriften der MAR zur Durchsetzung der Publizitätspflicht weist hingegen eindeutig auf ihren mindestharmonisierenden Charakter hin. Art. 23 Abs. 2 MAR schreibt vor, über welche Aufsichts- und Ermittlungsbefugnisse die in den Mitgliedstaaten zuständigen Behörden „zumindest“ verfügen müssen. Den Behörden ist 292 Vor der „scharfe[n] Rechtsfolge der §§ 97, 97 WpHG“ warnt Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 32. 293 Siehe E. I.

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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überdies nach Art. 30 Abs. 1 lit. a MAR die Befugnis übertragen, angemessene verwaltungsrechtliche Sanktionen zu verhängen und andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen in Bezug auf Verstöße gegen Art. 17 Abs. 1, 2, 4, 5 MAR zu ergreifen. Zur Ausgestaltung der Maßnahmen und Sanktionen, enthält die Verordnung in Art. 30 Abs. 2 MAR allerdings nur Mindestvorgaben. Die Entscheidung, ob es weitere Befugnisse und schwerere Sanktionen geben soll, bleibt nach Abs. 3 den Mitgliedstaaten überlassen. Diese Normen weisen ebenso wie der Erwägungsgrund 71 Satz 5 der MAR, nach dem die MAR der Festsetzung „strengere[r] verwaltungsrechtliche[r] Sanktionen oder andere[r] verwaltungsrechtliche[r] Maßnahmen“ nicht entgegensteht, auf eine Mindestharmonisierung im Bereich der verwaltungsrechtlichen Sanktionierung hin.294 Zivilrechtliche Durchsetzungsmechanismen und entsprechende Regelungsaufträge sind in der MAR – im Gegensatz zur Prospektrichtlinie295 und -verordnung296, zur sogenannten Abänderungsrichtlinie zur Regelpublizität297 und zur Transparenzrichtlinie II298 – hingegen nicht enthalten. Die zivilrechtliche Haftung liegt damit außerhalb des Anwendungsbereichs der MAR. Dies schließt die Etablierung eines zivilrechtlichen Haftungsregimes in den Mitgliedstaaten allerdings nicht aus.299 Der europäische Gesetzgeber hat sich lediglich gegen eine Rechtsvereinheitlichung in diesem Bereich entschieden und akzeptiert Unterschiede bei den mitgliedstaatlichen Schadensersatzansprüchen. Für die Marktmissbrauchsrichtlinie, die auf zivilrechtliche Haftungsvorschriften auch nicht ausdrücklich Bezug nimmt, hat der EuGH entschieden, dass die Mitgliedstaaten „vorbehaltlich der Beachtung des Unions294

So auch von Buttlar, BB 2014, 451, 453; Klöhn, AG 2016, 423, 425. Art. 6, 25 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. 11. 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/ EG, ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 64. 296 Art. 11 der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 06. 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. L 168 vom 30. 06. 2017, S. 12. 297 Art. 1 Nr. 8 der Richtlinie 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 06. 2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/ 635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABl. L 224 vom 16. 08. 2006, S. 1. 298 Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38. 299 EuGH, Urt. v. 30. 05. 2013 – Rs. C-604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos), EU:C:2013:344, NZG 2013, 786, 789; Pietrancosta, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 17 Rdn. B.17.102; Poelzig, NZG 2016, 492, 501; Veil/Koch, WM 2011, 2297, 2305 sehen eine Erklärung für das Fehlen zivilrechtlicher Ausgleichsmechanismen im Entwurf der Kommission darin, dass sie ihnen keine abschreckende Wirkung beimisst. 295

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E. Ad-hoc-Publizität

rechts über einen weiten Spielraum bei der Wahl der Sanktionen für Verstöße emittierender Gesellschaften gegen ihre Verpflichtungen [verfügen]“.300 Die Wahl der zivilrechtlichen Abhilfemaßnahme bei einer Haftung des Emittenten ist somit, wie der EuGH feststellt, grundsätzlich „Sache der Mitgliedstaaten“.301 In dem entschiedenen Fall stellten nach Ansicht des Gerichtshofs die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften des österreichischen Rechts eine angemessene Abhilfe für den dem Anleger entstandenen Schaden sowie die Verletzung der Informationspflicht des Emittenten dar. Der EuGH prüfte, ob sich die Einführung der Haftungsvorschriften im Rahmen des den Mitgliedstaaten zustehenden Gestaltungsspielraums hält oder gegen das Unionsrecht verstößt.302 Insofern legte er europarechtliche Maßstäbe an eine mitgliedstaatliche zivilrechtliche Norm an.303 Da sich die Ad-hoc-Publizitätspflicht der MAR auf eine Gebotsregelung beschränkt, die nach der hier vertretenen Auffassung keine subjektiven Voraussetzungen enthält, die Etablierung einer Schadensersatzhaftung aber den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, können sich Fragen zu subjektiven Tatbestandsmerkmalen grundsätzlich auch erst ausschließlich für das mitgliedstaatliche Recht stellen. Die Vollharmonisierungswirkung des europarechtlichen Tatbestands des Art. 17 Abs. 1 MAR steht dabei einer Wissenszurechnung auf Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts nicht entgegen. Gleichwohl sind die sich aus der Anwendung der mitgliedstaatlichen Haftungsnormen ergebenden Folgen auf ihre Unionsrechtskonformität zu überprüfen.304 Durch Abweichungen auf der Sanktionsebene darf keinesfalls ein Widerspruch zum Tatbestand des europäischen Rechtssatzes entstehen.305 Die unmittelbare Geltung der MAR gem. Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV steht „der Anwendung aller – auch jüngeren – gesetzgeberischen Maßnahmen entgegen, die mit den Verordnungsbestimmungen unvereinbar sind.“306 Die Etablierung eines zivilrechtlichen Haftungsregimes bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht konfligiert jedoch als solche nicht mit dem Verordnungscharakter der MAR.

300

EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-174/12 (Hirmann), EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223, 225 Rdn. 41. 301 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-174/12 (Hirmann), EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223, 225 Rdn. 42. 302 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-174/12 (Hirmann), EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223, 225 Rdn. 44. 303 Hössl-Neumann, RdW 2019, 137, Fn. 9. 304 Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1426. 305 Nietsch, ZIP 2018, 1421, 1425. 306 EuGH, Urt.v. 14. 12. 1971 – Rs. 43/71 (Politi/Ministero delle finanze), EU:C:1971:122, juris Rdn. 9; EuGH, Urt. v. 30. 11. 1978 – Rs. 31/78 (Bussone), EU:C:1978:217, juris Rdn. 28/ 33.

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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b) Effet utile-Grundsatz und Äquivalenzprinzip Zwar statuiert die MAR selbst nicht einmal Mindestvoraussetzungen für die zivilrechtliche Haftung. Europarechtliche Vorgaben könnten sich aber aus dem allgemeinen Prinzip der effektiven Durchsetzung des Europarechts ergeben. Der Gedanke, unionsrechtlich begründete Rechtspositionen effektiv zu gewährleisten,307 führt auf den ersten Blick nicht weiter, weil die Schadensersatzansprüche wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung und wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen nicht durch die Unionsrechtsordnung verliehen sind. Dem EuGH geht es jedoch allgemein darum, die praktische Wirksamkeit von Unionsrechtsvorschriften sicherzustellen.308 Konkret haben die Mitgliedstaaten Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam und verhältnismäßig zu sanktionieren.309 Für die verwaltungsrechtlichen Sanktionen hat der MAR-Gesetzgeber diese Formulierung in Art. 31 Abs. 2 MAR aufgegriffen. Im Wege der Auslegung mitgliedstaatlicher Haftungsnormen muss der Versuch unternommen werden, einen Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben zu erreichen, um unter Beachtung des effet utileGrundsatzes der Gefahr der Rechtszersplitterung in den EU-Mitgliedstaaten entgegenzuwirken.310 Es stellt sich allerdings die Frage, ob der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz auch den zivilrechtlichen Schadensersatz beeinflusst. Dem effet utile-Grundsatz wird in den Fällen widersprochen, in denen eine zivilrechtliche Haftung nicht etabliert wird, obwohl sie zwingend notwendig ist, oder wenn eine Schadensersatznorm besteht, diese aber zu restriktiv gehandhabt wird.311 Ob ein Schadensersatzanspruch aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes geboten ist, ist somit entscheidend dafür, inwieweit die konkrete Ausgestaltung der Mitgliedstaaten wie in den §§ 97, 98 WpHG an eben diesem Grundsatz zu messen ist. Die privatrechtliche Haftung könnte aufgrund des effet utile-Grundsatzes zwingend erforderlich sein, weil die MAR in Erwägungsgrund 55 das Vertrauen der Anleger ausdrücklich zum Ziel der Ad-hoc-Publizität erhebt und daher eine haftungsrechtliche Bewährung erforderlich sein könnte.312 Selbst wenn davon ausge307

Herdegen, Europarecht, 21. Aufl., 2019, § 10 Rdn. 44. Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 09. 1989 – Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland), EU:C:1989:339, NJW 1990, 2245, 2246 Rdn. 23; EuGH, Urt. v. 08. 04. 1976 – Rs. 48/75 (Royer), EU:C:1976:57, BeckRS 2004, 73177 Rdn. 69/73; Potacs, EuR 2009, 465, 467. 309 Daneben müsse die Sanktion auch eine abschreckende Wirkung haben EuGH, Urt. v. 21. 09. 1989 – Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland), EU:C:1989:339, NJW 1990, 2245, 2246 Rdn. 24; EuGH, Urt. v. 08. 11. 1990 – Rs. C-177/88 (Dekker/Stichting Vormingscentrum voor Jong Volwassenen), EU:C:1990:383, NZA 1991, 171, 172 Rdn. 23; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), EU:C:2003:512, NJW 2003, 3331, 3332 Rdn. 62. 310 So zu strafrechtlichen Sanktionsnormen, die auf eine EU-Verordnung verweisen (Blankettstrafgesetz) Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 9. Aufl., 2020, § 9 Rdn. 73. 311 Vgl. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 49. 312 So die Argumentation zur Marktmissbrauchsrichtlinie, Hellgardt, AG 2012, 154, 157. 308

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E. Ad-hoc-Publizität

gangen würde, die zivilrechtliche Haftung wegen Verletzung von Art. 17 MAR sei im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz europarechtlich geboten,313 ergäben sich hieraus jedoch keine konkreten Modalitäten des Schadensersatzes,314 denn der effet utile-Grundsatz fordert nur ein Ergebnis, gibt aber keinen bestimmten Weg vor. Trotz der angestrebten umfassenden Kapitalmarkttransparenz zwingt der effet utileGrundsatz jedenfalls nicht zur Schaffung einer „Kapitalmarkttransparenz um jeden Preis“315. Deshalb verlangt der Effektivitätsgrundsatz keinesfalls die weitestgehende Interpretation mitgliedstaatlicher Schadensersatztatbestände.316 Andererseits dürften diese auch nicht zu eng angelegt sein. Gegen die Gebotenheit zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes spricht, dass auch verwaltungsrechtliche Maßnahmen, welche die MAR explizit in ihrem Art. 30 vorsieht, geeignet sind, dem Normziel von Art. 17 MAR zu einer möglichst großen praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Die effektive Durchsetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht hängt nicht von der Existenz zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ab, denn andernfalls wäre anzunehmen, dass der europäische Gesetzgeber eine solche Haftung in der MAR erwähnt hätte. Er hat sich aber gerade dazu entschieden, keine Mindeststandards für zivilrechtliche Sanktionen zu etablieren und sie nicht zu vereinheitlichen.317 Die Existenz öffentlichrechtlicher Sanktionen lässt jedoch nicht den Gegenschluss zu, eine zivilrechtliche Durchsetzung sei damit ausgeschlossen.318 Der europäische Gesetzgeber nimmt mit der fehlenden ausdrücklichen Regelung der privatrechtlichen Durchsetzung lediglich hin, dass die Mitgliedstaaten die Schadensersatzansprüche unterschiedlich ausgestalten oder auch gar nicht vorsehen können. Dass der Effektivitätsgrundsatz die Etablierung eines zivilrechtlichen Haftungsregimes nicht zwingend erfordert, führt nicht zu seiner Bedeutungslosigkeit für die §§ 97, 98 WpHG. Der EuGH hat für die Marktmissbrauchsrichtlinie, in der, wie nun auch in der MAR, eine privatrechtliche Kapitalmarktrechtsdurchsetzung keine Erwähnung findet, darauf hingewiesen, dass die Zuerkennung von Schadensersatz und speziell die Bestimmung der Kriterien für die Ermittlung des Schadensersatz313 Schütt, Europäische Marktmissbrauchsverordnung und Individualschutz, 2019, S. 389; Hellgardt, AG 2012, 154, 165; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 424 f.; a.A. bereits Brellochs, Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des europäischen Kapitalmarktrechts, 2005, S. 92 ff.; Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 48 f. zu § 37b WpHG a.F., aber wohl auch nach neuer Rechtslage. 314 Vgl. Hellgardt, AG 2012, 154, 165. 315 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 33. 316 A.A. Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 20 ff. 317 So auch Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 48 f. 318 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v. 13. 12. 2001 zu EuGH, Urt. v. 17. 09. 2002 – Rs. C-253/00 (Muñoz and Superior Fruiticola), EU:C:2002:497, LMRR 2002, 63 Rdn. 55; EuGH, Urt. v. 30. 05. 2013 – Rs. C-604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos), EU:C:2013:344, NZG 2013, 786, 789; Poelzig, NZG 2016, 492, 501.

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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umfangs mangels einschlägiger Unionsvorschriften Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten sei. Hierbei sei der Effektivitätsgrundsatz zu beachten.319 Das Gericht geht damit davon aus, dass auch eine mitgliedstaatliche Haftungsnorm, für die explizit kein Regelungsauftrag besteht, von Unionsrecht, dessen Durchsetzung sie dient, nicht unbeeinflusst ist.320 Der EuGH lässt nicht erkennen, dass er die privatrechtliche Haftung für die volle Wirksamkeit der Regelung voraussetzt, da er ausdrücklich anerkennt, dass die Wahl der zivilrechtlichen Kapitalmarktrechtsdurchsetzung Sache des Mietgliedstaats ist.321 Dennoch legt er europäische Maßstäbe auch an eine mitgliedstaatliche Schadensersatznorm an. Dies erscheint vor dem Hintergrund sinnvoll, dass die Haftung auf Unionsrecht basiert und nicht losgelöst von der dahinter stehenden unionsrechtlichen Konzeption betrachtet werden kann. Gleiches gilt für das Äquivalenzgebot. Der EuGH hält dieses für die zivilrechtliche Haftung relevant, die zwar kein europäischer Rechtssatz voraussetzt, der Durchsetzung eines solchen aber dienen kann.322 Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass unionsrechtlich geregelte Sachverhalte gegenüber Sachverhalten, die ausschließlich durch das mitgliedstaatliche Recht bestimmt sind, hinsichtlich des Rechtsschutzes nicht schlechter gestellt werden, das Unionsrecht also nicht diskriminierend angewendet wird.323 Dies muss auch für eine mitgliedstaatliche Haftungsnorm gelten, die das Unionsrecht nicht fordert, deren Grundlage es jedoch darstellt. Von den Mitgliedstaaten kann daher verlangt werden, dass Verstöße gegen europäisches Recht nach gleichwertigen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen mitgliedstaatliches Recht. Dies gilt auch, wenn den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl der Sanktionen verbleibt.324

319 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-174/12 (Hirmann), EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223, 225 Rdn. 40; zum Wettbewerbsrecht EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006 – Rs. C-295/04 (Manfredi), EU:C:2006:461, EuZW 2006, 529, 535 Rdn. 92; siehe auch zu vertraglichen Folgen im Kontext der Anlageberatung bei Zinsswaps EuGH, Urt. v. 30. 05. 2013 – Rs. C-604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos), EU:C:2013:344, NZG 2013, 786, 789. 320 So letztlich auch Hellgardt, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, §§ 97, 98 WpHG, Rdn. 23. 321 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-174/12 (Hirmann), EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223, 225 Rdn. 42. 322 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006 – Rs. C-295/04 (Manfredi), EU:C:2006:461, EuZW 2006, 529, 535 Rdn. 92; EuGH, Urt. v. 30. 05. 2013 – Rs. C-604/11 (Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos), EU:C:2013:344, NZG 2013, 786, 789; EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C174/12 (Hirmann), EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223, 225 Rdn. 40. 323 Potacs, EuR 2009, 465, 480. 324 EuGH, Urt. v. 21. 09. 1989 – Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland), EU:C:1989:339, NJW 1990, 2245, 2246 Rdn. 24; EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006 – Rs. C-295/04 (Manfredi), EU:C:2006:461, EuZW 2006, 529, 533 Rdn. 62; EuGH, Urt. v. 06. 06. 2013 – Rs. C-536/11 (Donau Chemie u. a.), EU:C:2013:366, EuZW 2013, 586, 587 Rdn. 27.

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E. Ad-hoc-Publizität

Für die Frage des Verschuldensmaßstabs bei Haftungsvorschriften, die europarechtlich determinierte Sachverhalte erfassen, ergibt sich daraus, dass dieser vergleichbar sein muss mit dem anderer spezialgesetzlich geregelter Kapitalmarkthaftungsvorschriften des nationalen Rechts, auch wenn die privatrechtliche Kapitalmarktdurchsetzung an sich nicht vom europäischen Gesetzgeber gefordert ist.325 c) Bewertung Zwar ist die Ausgestaltung einer zivilrechtlichen Haftung wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung den Mitgliedstaaten überlassen. Soweit die mitgliedstaatlichen Regelungen gleichwohl durch die europäische Konzeption der Adhoc-Publizität determiniert sind, ist das Europarecht bei der Auslegung der zivilrechtlichen Haftungsnormen allerdings zu berücksichtigen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für eine „Überumsetzung“ der marktmissbrauchsrechtlichen Sanktionsvorgaben entschieden. Art. 17 MAR wird zur praktischen Wirksamkeit verholfen, indem an einen Verstoß gegen diese Norm eines europäischen Rechtsaktes, unter weiteren Voraussetzungen gem. §§ 97 und 98 WpHG eine Schadensersatzfolge geknüpft wird. Ähnlich der überschießenden Umsetzung einer Richtlinie, bei der keine richtlinienkonforme Auslegung der Haftungsvorschrift erforderlich ist,326 die Richtlinie aber dennoch eine Ausstrahlungswirkung auf das richtlinienfreie Recht hat,327 spielen die europarechtlichen Vorgaben auch bei der Auslegung der §§ 97 und 98 WpHG eine Rolle. Mit der Bezugnahme auf die Verordnung hat sich der deutsche Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Haftungsregimes nämlich an das europäische Konzept der Ad-hoc-Publizität gebunden.328 Diesem liegt mit Art. 17 MAR eine verobjektivierte Pflichtennorm zugrunde. Europarechtlich ist nicht erforderlich, dass eine nach dieser Vorschrift nicht unverzügliche Bekanntgabe von Insiderinformationen zwangsläufig mit einer zivilrechtlichen Haftung des Emittenten einhergeht. Den Mitgliedstaaten bleibt auf Ebene der Sanktionsnorm Spielraum für weitere – auch subjektive – Haftungsvoraussetzungen. Den subjektiven Merkmalen kann für die Tatbestandsbegründung in den jeweiligen Abs. 1 der §§ 97, 98 WpHG oder als Einwendung fehlenden Verschuldens in den Abs. 2 Bedeutung zukommen. Da es sich bei den §§ 97, 98 WpHG nicht um Unionsrecht handelt, können im Rahmen der Schadensersatzregelung auch nationale Grundsätze der Wissenszurechnung angewendet werden. Die mitgliedstaatlichen Vorschriften müssen aber einer Prüfung 325 Dafür plädiert auch Hellgardt, AG 2012, 154, 166, der die zivilrechtliche Haftung allerdings aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes für geboten hält. 326 Mülbert/Steup, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 4. Aufl., 2019, Rdn. 41.2. 327 Canaris, FS Bydlinski, 2002, S. 47, 74. Gesprochen wird auch von einer „quasi-richtlinienkonformen“Auslegung, Hommelhoff, 50 Jahre BGH, Bd. II, 2000, S. 889, 915 f., oder von einer „richtlinienorientierten“ Auslegung, T. Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung, 2006, S. 106 f. 328 In diese Richtung wohl auch Hössl-Neumann, RdW 2019, 137; a.A. Thomale, AG 2019, 189, 191.

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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anhand europarechtlicher Maßstäbe standhalten. Dem Effektivitätsgrundsatz ist genüge getan, indem grundsätzlich eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen ist, die dem europäischen Konzept nicht entgegensteht. Unionsrecht im Wege eines Zivilprozesses durchzusetzen, verstärkt in jedem Fall die Durchsetzungskraft der Regelung.329 Eine unzulässige Einschränkung von Unionsrecht durch mitgliedstaatliches Recht droht hingegen nur, wenn die Durchsetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR insgesamt durch die Mitgliedstaaten praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dem Effektivitätsgrundsatz kommt so die Bedeutung eines Vereitelungsverbots zu.330 Wird neben den in der MAR vorgesehenen Sanktionen ein zivilrechtlicher Schadensersatz etabliert, besteht die Gefahr einer Vereitelung nicht. An die privatrechtliche Kapitalmarktrechtsdurchsetzung muss allerdings die Richtschnur des Äquivalenzgebots angelegt werden. Dies wird im Folgenden im Zusammenhang mit der Untersuchung der Haftungsvoraussetzungen und -folgen der §§ 97, 98 WpHG überprüft. 2. § 97 WpHG Anspruchsverpflichteter des Schadensersatzes wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 97 WpHG ist ein Emittent, nicht hingegen ein Organmitglied, wenngleich Abs. 5 eine zwingende Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft vorsieht. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Bezugnahme auf Art. 17 MAR die Haftung nicht mehr nur auf Inlandsemittenten beschränkt. Es kommt lediglich darauf an, dass der Emittent genehmigt oder beantragt und damit billigt, dass die Finanzinstrumente im Inland gehandelt werden können.331 Anspruchsberechtigt ist ein Anleger, der nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 WpHG die Finanzinstrumente nach der unterlassenen Veröffentlichung erwirbt und bei Bekanntwerden der Insiderinformationen noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder nach Nr. 2 die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformationen erwirbt und nach der Unterlassung veräußert. Den durch die Unterlassung entstandenen Schaden hat der Emittent zu ersetzen. a) Tatbestandsbegründung Tatbestandsbegründende Pflichtverletzung ist die Verletzung der Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1, 7 oder 8 MAR. Es müssen demnach objektiv den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformationen vorgelegen haben, die der Emittent nicht zu dem Zeitpunkt veröffentlicht hat, ab dem die Bekanntgabe möglich 329

EuGH, Urt. v. 17. 09. 2002 – Rs. C-253/00 (Muñoz and Superior Fruiticola), EU:C:2002:497, BeckRS 2004, 75459 Rdn. 30 f. 330 Potacs, EuR 2009, 465, 480. 331 BegrRegE zum 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936 vom 23. 01. 2017, S. 230, 251; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, § 97 WpHG Rdn. 2.

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E. Ad-hoc-Publizität

gewesen wäre, hätte er alle erforderlichen und organisatorischen Vorkehrungen getroffen, um der Ad-hoc-Publizitätspflicht nachzukommen. Die Verletzung der Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR ist kenntnisunabhängig. Die Schadensersatznorm ist hingegen systematisch der einschlägige Ort, um die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Emittenten berücksichtigen zu können, denn den Mitgliedstaaten bleibt ein Spielraum für subjektive Haftungsvoraussetzungen als anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung, mithin in § 97 Abs. 1 WpHG, oder im Rahmen der Einwendung fehlenden Verschuldens in § 97 Abs. 2 WpHG. aa) Kenntnis als anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung? Da die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR als kenntnisunabhängige, objektive Pflichtennorm aufzufassen ist,332 ist nach dem Wortlaut des § 97 Abs. 1 WpHG tatbestandsbegründend grundsätzlich weder Kenntnis noch Kennenmüssen des Emittenten von Insiderinformationen erforderlich. Vertreten wird allerdings, die Pflicht zum Schadensersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen setze neben einem Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht gem. Art. 17 Abs. 1 MAR als weitere anspruchsbegründende Voraussetzung auf Seiten des Emittenten positive Kenntnis von ebendiesen Informationen voraus.333 Wird das Wissen des Emittenten um die Insiderinformationen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 17 Abs. 1 MAR aufgefasst, muss es der juristischen Person auf der Ebene des objektiven, die Veröffentlichungspflicht begründenden Tatbestands zugerechnet werden können. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob dem Emittenten schuldhaftes Fehlverhalten des Wissensträgers zuzurechnen ist.334 Folge der Voraussetzung von Kenntnis des Emittenten zur Anspruchsbegründung wäre insbesondere die Belastung des geschädigten Anlegers mit der Darlegungs- und Beweislast. Da der Anleger außerhalb des für die Frage des Wissens erheblichen Geschehensablaufs steht und deshalb die maßgebenden Tatsachen im Einzelnen nicht kennt,335 wäre dem Emittenten die sekundäre Behauptungslast aufzuerlegen.336 Dafür, die Kenntnis als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung der Schadensersatznorm zu sehen, wird angeführt, dass es andernfalls am präsumptiven Handlungsunrecht fehle, welches sich nur aus der Nichtveröffentlichung trotz Wissens ergeben könne.337 Auf das Erfordernis positiver Kenntnis zur Anspruchs332

Siehe E. II. 2. g). Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1848 f.; Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 50 ff.; ders., AG 2019, 189, 195. 334 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 393. 335 Vgl. zur sekundären Behauptungslast Prütting, in: MüKo ZPO, Bd. 1, 5. Aufl., 2016, § 286 Rdn. 103. 336 So zu § 37b WpHG a.F. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 52. 337 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 53. 333

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begründung deute auch die Einwendung der Anlegerkenntnis gem. § 97 Abs. 3 WpHG hin. Genügt diese Kenntnis des Anlegers als Ausschlussgrund im Wege des hier gesetzlich gesondert geregelten Mitverschuldens,338 sei die Kenntnis des Emittenten implizit als haftungsbegründendes Merkmal vorausgesetzt, weil es sich bei der Kenntnis, von der § 97 Abs. 3 WpHG spricht, um geteilte Kenntnis von Emittent und Anleger handle.339 Das Verschulden des Emittenten ist allerdings nicht zwangsläufig in dessen Kenntnis von den Insiderinformationen zu sehen, sondern kann ebenso bei Unterlassung der Ad-hoc-Mitteilung infolge grob fahrlässiger Unkenntnis anzunehmen sein. Auch im Falle von Unkenntnis ist eine Haftung damit begründet, da dem Emittenten der Einwand fehlenden Verschuldens nach § 97 Abs. 2 WpHG verwehrt ist. Positive Kenntnis der Insiderinformationen ist somit gerade nicht Haftungsvoraussetzung. Dagegen, § 97 Abs. 1 WpHG als Wissensnorm auszulegen, spricht darüber hinaus, dass die Haftungsnorm die Kenntnis des Emittenten als tatbestandsbegründende Voraussetzung nicht nennt und auch Art. 17 MAR diese nicht implizit enthält.340 Der deutsche Gesetzgeber hat § 97 WpHG bewusst an der objektiven Pflichtennorm Art. 17 MAR orientiert. So hat dieser Wille Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden. Während für § 37b Abs. 1 WpHG a.F. zwar Tatbestandsmerkmale von § 15 WpHG a.F. übernommen wurden, sich aber kein ausdrücklicher Verweis auf diese die Marktmissbrauchsrichtlinie umsetzende Vorschrift findet, nimmt § 97 WpHG ausdrücklich auf Art. 17 MAR Bezug. Der Tatbestand der Verordnung wird nahezu wortgleich in die nationale Haftungsnorm übernommen.341 Da das inkorporierte Verweisungsobjekt materiell Europarecht ist, ist auch sein Inhalt nach unionsrechtlichen Auslegungsgrundsätzen zu bestimmen.342 Die Bezugnahme auf Art. 17 MAR zeigt, dass auch § 97 WpHG den pflichtbegründenden Tatbestand im Sinne der MAR versteht. Daher scheidet aus, ein Wissenserfordernis an die Unverzüglichkeit in § 97 Abs. 1 WpHG zu knüpfen Das Kriterium ist im Sinne der Verordnung als „so schnell wie objektiv möglich“ statt „ohne schuldhaftes Zögern“ i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verstehen und setzt weder Kennen noch Kennenmüssen des Emittenten voraus. Weiterhin spricht § 97 Abs. 2 WpHG allgemein von der Unterlassung und verweist damit auf die in Abs. 1 umschriebene Situation des Art. 17 MAR mit sämtlichen wieder aufgegriffenen Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift,343 nicht jedoch auf ein zusätzliches Kenntniselement.344 338 Zu § 37b Abs. 3 WpHG a.F. BegrRegE zum 4. FFG vom 18. 01. 2002, BT-Drucks. 14/ 8017, S. 94. 339 So Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 50 f. (zu § 37b WpHG a.F.); ders., AG 2019, 189, 193 (zu § 97 WpHG). 340 Siehe E. II. 2. g). 341 Dies sieht auch der Vertreter der Gegenauffassung Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 55 Fn. 114. 342 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 9. Aufl., 2020, § 9 Rdn. 73. 343 Habersack, DB 2016, 1551, 1554 (zu §§ 37b Abs. 2, 37c Abs. 2 WpHG a.F.).

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E. Ad-hoc-Publizität

Bei positiver Kenntnis als anspruchsbegründende Voraussetzung in § 97 Abs. 1 WpHG bliebe der Anwendungsbereich des § 97 Abs. 2 WpHG sehr beschränkt. Erfasst blieben Fälle, in denen die Bedeutung der Tatsachen als Insiderinformationen entschuldbar verkannt wurde oder die Voraussetzungen der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR leicht fahrlässig als vorliegend betrachtet wurden. Regelmäßig liefe die Einwendung fehlenden Verschuldens allerdings ins Leere, weil der Tatbestand der Haftungsnorm schon nicht erfüllt wäre. Konstellationen, in denen die anspruchsbegründende positive Kenntnis gegeben ist, dem Emittenten aber nicht Vorsatz, sondern bloß grobe Fahrlässigkeit, die gem. § 97 Abs. 2 WpHG aber grundsätzlich für eine Haftung ausreicht, vorwerfbar ist, blieben die Ausnahme. Im Ergebnis ist positive Kenntnis des Emittenten von Insiderinformationen als ungeschriebenes anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal daher abzulehnen. bb) Zurechenbarer Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht Der Emittent unterlässt die unverzügliche Veröffentlichung von ihn unmittelbar betreffenden Insiderinformationen nach Art. 17 MAR, wenn die Bekanntgabe bei ordnungsgemäßer interner Organisation zu einem früheren Zeitpunkt hätte vorgenommen werden können.345 Allein der Umstand, dass in der Gesellschaft insiderrelevantes Wissen vorhanden war und nicht veröffentlicht wurde, obwohl dies objektiv möglich war, führt indes nicht zu einer Haftung des Emittenten nach § 97 WpHG. Entscheidend hierfür ist, ob ein Fehlverhalten, nicht hingegen die Kenntnis eines Mitarbeiters der juristischen Person zuzurechnen ist. Die individuelle Verfehlung, die zur Nichterfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht führt, liegt in einem Verstoß gegen die Anforderungen, die an den einzelnen innerhalb des Informationssystems gestellt werden. Schlägt die interne Kommunikation fehl, weil beispielsweise ein Wissensträger vergisst, die Insiderinformationen an die für die Veröffentlichung zuständige Stelle weiterzuleiten, verkennt letztere, dass es sich bei einem Umstand um veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen handelt oder etabliert der Vorstand schon kein oder lediglich ein ungenügendes Informationsorganisationssystem, beruht die Unterlassung i.S.d. § 97 WpHG auf individuellem Fehlverhalten, für das der Emittent haftet. Selbst leicht fahrlässiges Organisationsverschulden kann zu einem Verstoß gegen Art. 17 MAR führen und somit die Voraussetzungen nach § 97 Abs. 1 WpHG erfüllen. Die Zurechenbarkeit des fehlerhaften Verhaltens eines Mitarbeiters ist allerdings nicht gleichzusetzen mit der Haftung des Emittenten. Aus § 97 Abs. 2 WpHG ergibt sich, dass der Emittent nicht

344

Hält man die Kenntnis des Emittenten für erforderlich, liegt bei deren Fehlen der Tatbestand des § 97 Abs. 1 WpHG schon nicht vor. Die Unterlassung i.S.d. Abs. 2 kann sich daher lediglich auf den objektiven Teil des § 97 Abs. 1 WpHG beziehen, während der ungeschriebene subjektive Teil außen vor bleiben muss, so Thomale, AG 2019, 189, 194; zu § 37b WpHG a.F. ders., Der gespaltene Emittent, 2018, S. 56. 345 Siehe E. II. 2. g).

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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in Anspruch genommen werden kann, sofern er nachweist, dass die Nichtveröffentlichung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht.346 Teilweise wird kritisiert, dass der Emittent ein umfassendes Informationsmanagementsystem etablieren müsse und dass die „ohnehin überzogenen ComplianceAnforderungen“ den Emittenten angesichts der Schadensersatzhaftung nun nicht mehr nur im Innenverhältnis, sondern auch im Außenverhältnis belasten würden.347 Es drohe die Gefahr, dass leicht fahrlässiges Verhalten zu einer Haftung nach § 97 WpHG führt, weil der Nachweis einer ordnungsgemäß aufgebauten Wissensorganisation schwer zu erbringen sei.348 Die strenge Rechtsfolge könne korrigiert werden, indem die Zurechnung zur Begründung eines Verstoßes gegen die Veröffentlichungspflicht nicht bereits bei fahrlässigem Organisationsverschulden greift, sondern erst bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, also nach dem Maßstab von § 97 Abs. 2 WpHG.349 Die Frage des Verschuldensgrades würde nicht erst im Rahmen der Einwendung virulent, sondern wäre bereits entscheidend für die Zurechenbarkeit. Hierdurch soll eine Gefahr abgewendet werden, die allerdings nur besteht, wenn Wissen oder Wissenmüssen Tatbestandsvoraussetzung einer Ad-hoc-Pflichtverletzung ist. Wissenszurechnungsgrundsätze, die bei fahrlässiger Informationsorganisationspflichtverletzung positive Kenntnis des Emittenten fingieren, haben zur Konsequenz, dass bei fahrlässigem Fehlverhalten ein vorsätzlicher Verstoß und dementsprechend eine Haftung nach § 97 WpHG vorliegen kann.350 Die Begrenzung des Schadensersatzes auf Fälle des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit würde damit umgangen, weil auch leichte oder mittlere Fahrlässigkeit die Schadensersatzpflicht auslösen könnte.351 Da allerdings nach der hier vertretenen Auffassung weder Art. 17 MAR noch § 97 Abs. 1 WpHG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Kenntnis oder Kennenmüssen des Emittenten voraussetzen, ist die Zurechnung individuellen Fehlverhaltens auch bei leichter Fahrlässigkeit unproblematisch. Die Gefahr einer Fiktion positiver Kenntnis, die automatisch eine Vorsatzhaftung nach sich zieht, besteht nicht. Da das Unverzüglichkeitsmerkmal nicht mehr im Sinne der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als „ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden wird, sondern als „so schnell wie möglich“,352 gibt 346 347

Verf.]. 348

Siehe hierzu E. IV. 2. b). Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 32 [Hervorhebung durch die

Koch, AG 2019, 273, 284. Dafür Habersack, DB 2016, 1551, 1554 f. (zu den §§ 37b, 37c WpHG a.F.). Unter Geltung von § 37b WpHG a.F. wurde die Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit vorgenommen, indem der Sorgfaltsmaßstab des Tatbestandsmerkmals der Unverzüglichkeit, also „ohne schuldhaftes Zögern“ i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB an § 37b Abs. 2 WpHG a.F. ausgerichtet wurde, Zimmer/Grotheer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 37c WpHG Rdn. 53; siehe D. I. 1. c) bb). 350 Vgl. zur Wissensfiktion C. II. 3. 351 Diese Gefahr sehen Koch, AG 2019, 273, 284; Sajnovits, WM 2016, 765, 773 (zu §§ 37b, 37c WpHG a.F.). 352 Siehe E. II. 2. a) cc). 349

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E. Ad-hoc-Publizität

es im Rahmen der Prüfung des pflichtwidrigen Unterlassens in § 97 Abs. 1 WpHG keinen Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung eines Verschuldenselements. Das Verschulden des Emittenten ist vielmehr unabhängig von der Pflichtverletzung ausschließlich für die Exkulpation gem. § 97 Abs. 2 WpHG relevant. Hier kann berücksichtigt werden, ob die Umstände, die zum Unterlassen der Ad-hoc-Mitteilung geführt haben, den Vorwurf von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit begründen. Die Bewertung ist dabei nicht bereits durch eine Wissenszurechnung und eine damit eintretende Fiktion positiver Kenntnis des Emittenten vorgezeichnet. So löst sich der vormals bestehende Widerspruch auf, dass das Verschuldenselement im Tatbestand des § 37b Abs. 1 WpHG a.F. von der Regelung des Verschuldens in § 37b Abs. 2 WpHG a.F. abweicht.353 Zu einer Haftung des Emittenten führt eine leicht fahrlässige Verfehlung dennoch nicht, weil der Emittent nach § 97 Abs. 2 WpHG einwenden kann, dass die Überschreitung der ihm zugestandenen Veröffentlichungspflicht nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Würde hingegen leicht fahrlässiges Verhalten schon nicht zugerechnet, wäre der Nachweis, dass die ihm zugestandene Veröffentlichungsfrist nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig überschritten wurde, nicht mehr zu führen, weil ihm bereits kein zurechenbarer Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR vorzuwerfen wäre. Dies widerspricht dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Konzept der Darlegungs- und Beweislast, das die Darlegung des Verschuldensgrades dem Emittenten auferlegt. Wäre bei leichter Fahrlässigkeit bereits der Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht ausgeschlossen, obläge es dem dahingehend beweisbelasteten Geschädigten, aufzuzeigen, dass die Pflichtverletzung grob fahrlässig oder vorsätzlich war. Dennoch ist nicht jegliches Fehlverhalten eines Mitarbeiters automatisch dem Emittenten zuzurechnen. Die Zurechenbarkeit individuellen Fehlverhaltens, die zur Haftung des Emittenten führt, richtet sich nach der Rechtsnatur der Vorschriften der §§ 97, 98 WpHG als Normierung von Vertrauenshaftungstatbeständen oder als deliktische Normen. Ordnet man sie als Vertrauenshaftung ein,354 kommt § 278 BGB zur Anwendung, weshalb ein Verstoß eines Mitarbeiters als Erfüllungsgehilfe gegen eine Informationsweitergabepflicht für eine Haftung des Emittenten nach § 97 WpHG ausreichen kann. Für eine solche Einordnung der §§ 97, 98 WpHG wird angeführt, dass die von dem Emittenten veröffentlichten Insiderinformationen ver-

353

Um die Beweislastumkehr des § 37 Abs. 2 WpHG a.F. nicht zu unterlaufen, wurde dafür plädiert, diese auf das Merkmal der Unverzüglichkeit in § 37 Abs. 1 WpHG und damit das schuldhafte Zögern i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erstrecken, Fuchs, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, §§ 37b, 37c Rdn. 47; Zimmer/Grotheer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 37c WpHG Rdn. 63. 354 Dafür Zimmer/Steinhaeuser, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 14; Dog˘ an, Ad-hoc-Publizitätshaftung, 2005, S. 55 f.; Longino, DStR 2008, 2068, 2071; Mülbert/Steup, WM 2005, 1633, 1638; Veil, BKR 2005, 91, 92; ders., ZHR 167 (2003), 365, 391 f.; wohl auch Casper, BKR 2005, 83, 86.

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trauensbildend seien355 und die Schadensersatzhaftung in vergleichbarer Weise wie § 311 Abs. 3 BGB typisiertes Vertrauen schütze.356 Allerdings nimmt der Emittent gegenüber einzelnen Dritten nicht in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch, sondern informiert mit den Ad-hoc-Mitteilungen den gesamten Finanzmarkt. Eine Einordnung der Schadensersatzhaftung als gesetzliche Vertrauenshaftung erscheint daher zweifelhaft. Mangels vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen dem Emittenten und dem Dritten scheidet eine Anwendung des § 278 BGB aus. Überzeugender ist es, die §§ 97, 98 WpHG als deliktsrechtliche Haftungsvorschriften zu begreifen357 und für die Zurechnung folglich § 31 BGB heranzuziehen. Das Verschulden des Vorstands, zu dessen Kernbereich die Ad-hoc-Publizitätspflicht gehört, ist dem Emittenten analog § 31 BGB zuzurechnen. Sind nach der betrieblichen Organisation andere Personen für die Erfüllung der Pflichten aus Art. 17 Abs. 1 MAR verantwortlich, ist auf sie § 31 BGB ebenfalls analog anwendbar.358 Entscheidend ist – unter Zugrundelegung des Modells einer Repräsentantenhaftung – nicht, dass sie mit Vertretungsmacht ausgestattet sind, sondern dass sie als Repräsentanten des Zurechnungsadressaten handeln, indem ihnen „bedeutsame, wesensgemäße Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind“359. Bei nachgeordneten Mitarbeitern ist auf § 831 BGB, mit der Möglichkeit der Exkulpation nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB, zurückzugreifen.360 b) Einwendung fehlenden Verschuldens Aus § 97 Abs. 2 WpHG ergibt sich, dass der Emittent nicht in Anspruch genommen werden kann, sofern er nachweist, dass die Nichtveröffentlichung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Das Verschulden des Emittenten wird folglich vermutet, er kann sich aber nach § 97 Abs. 2 WpHG entlasten. Die Emittentenhaftung ist mit dem Äquivalenzgebot vereinbar, weil auch andere spezialgesetzliche Kapitalmarktdelikte eine Haftung erst ab grober Fahrlässigkeit und mit einer Beweislastumkehr vorsehen (vgl. § 98 Abs. 2 WpHG, § 12 Abs. 1 WpPG; § 12 355

Dog˘ an, Ad-hoc-Publizitätshaftung, 2005, S. 55. Zimmer/Steinhaeuser, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 14; Veil, ZHR 167 (2003), 365, 391 f. 357 Dafür Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 51; Winter, Der nach den §§ 97 und 98 WpHG zu ersetzende Schaden, 2019, S. 47 f.; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 393 f. Vor Inkrafttreten der MAR OLG Frankfurt, Beschl. v. 05. 08. 2010 – 21 AR 50/10, AG 2010, 880; Fuchs, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, §§ 37b, 37c Rdn. 5; Möllers/Leisch, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, §§ 37b, c Rdn. 16. 358 Möllers/Leisch, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, §§ 37b, c Rdn. 171. 359 BGH, Urt. v. 15. 01. 1985 – VI ZR 8/83, NJW-RR 1986, 281, 282; BGH, Urt. v. 05. 03. 1998 – III ZR 183/96, NJW 1998, 1854, 1856. 360 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 394. 356

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E. Ad-hoc-Publizität

Abs. 2 WpÜG).361 Die Tatsache, dass ein Verstoß gegen den Haftungstatbestand Art. 17 MAR auch bei leicht fahrlässigen Organisationspflichtverletzungen in Frage kommt, weil ein ausschließlich objektiver Maßstab gilt, führt nicht zu einem Widerspruch mit § 97 WpHG, der eine Haftung nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vorsieht, denn diese Entscheidung des deutschen Gesetzgebers ist mit der Zielsetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht unvereinbar, sondern schafft lediglich weitere Voraussetzungen, an die der Schadensersatzanspruch geknüpft ist. Indessen wird die Veröffentlichungspflicht selbst nicht „ihrer Wirksamkeit beraub[t]“.362 Im Rahmen der Einwendung des § 97 Abs. 2 WpHG ist der Verschuldensgrad relevant und damit beispielsweise, ob ein Mitarbeiter der Gesellschaft Insiderinformationen nicht weitergeleitet hat, weil ihm mangels ausreichender Aufklärung nicht bewusst war, dass er dies hätte tun müssen oder ob er dies lediglich leicht fahrlässig vergessen hat. Nur im ersten Fall haftet der Emittent nach § 97 Abs. 1 WpHG. Die Beispiele zeigen, dass im Hinblick auf das Verschulden die Beweislastumkehr dem Grundsatz entspricht, die von den Beteiligten jeweils beherrschten Verantwortlichkeitsbereiche zum Ausgangspunkt für die Beweislastverteilung zu nehmen.363 Auch die Frage der Kenntnis des Emittenten von Insiderinformationen gehört nicht in den Verantwortlichkeitsbereich des Gläubigers. Der Emittent haftet wegen schuldhafter Unterlassung der unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen gem. § 97 Abs. 1 WpHG, wenn die Informationen nicht veröffentlicht wurden, obwohl der für die Ad-hoc-Pflicht zuständige Vorstand364 Kenntnis der Tatbestandsmerkmale von Art. 17 MAR hatte oder sie hätte kennen müssen. Das Wissen einzelner Mitarbeiter unterhalb der Vorstandsebene ist insofern relevant, als es ein Kennenmüssen des Organs begründen kann. Die Wissenszurechnung stellt somit zwar kein eigenständiges Haftungsinstitut dar, ist aber eine Komponente dieser Haftung im Rahmen des Verschuldens i.S.d. § 97 Abs. 2 WpHG.365 Im Kontext des Schadensersatzanspruchs ist der Schuldvorwurf Maßstab für die Wissenszurechnung.366

361

Von einem allgemeinen Grundsatz spricht daher Hellgardt, AG 2012, 154, 166. Vgl. zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts EuGH, Urt. v. 15. 07. 1964 – Rs. 6/64 (Costa/ E.N.E.L.), EU:C:1964:66, NJW 1964, 2371, 2372. 363 So zu § 37b Abs. 2 WpHG a.F. BegrRegE zum 4. FFG vom 18. 01. 2002, BT-Drucks. 14/ 8017, S. 93. 364 A.A. Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 109, der den Personenkreis weiter fasst und all diejenigen Personen einbezieht, die mit einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation oder der tatsächlichen Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen in Verbindung kommen und zu einer rechtzeitigen und zutreffenden Veröffentlichung beitragen können. 365 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 117. Von der Vergleichbarkeit der Überlegungen zur Wissenszurechnung und zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs spricht S. H. Schneider, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 3 Rdn. 62. 366 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 117. 362

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aa) Zurechnungsgrund Das Gleichstellungsargument367 ist als Grund für die Wissenszurechnung im Kontext der Haftung für Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht anwendbar.368 Auch wenn dem Gleichstellungsargument der Gedanke innewohnt, einen rechtlichen Ausgleich der Vorteile arbeitsteiligen Handelns sicherzustellen369, spielt für die Rechtsprechung eine Rolle, ob die Wissenszurechnung eine juristische Person „über jede menschliche Fähigkeit hinaus belastet“370. Es wird demnach ein Vergleich mit einer natürlichen Person gezogen, die in der Stellung des ad-hocpublizitätspflichtigen Emittenten gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR schlicht nicht denkbar ist. Gegen die Heranziehung des Vertrauensschutzarguments wird eingewandt, eine Vertrauenshaftung in dem Sinne, dass eine Partei des Rechtsgeschäfts auf die Wissensorganisation der anderen vertraue, widerspreche dem deliktsrechtlichen Charakter der Haftungsvorschrift.371 Bei der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR gehe es nicht um die Erwartungen von Vertragspartnern, sondern um das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Finanzmarktes.372 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Ausgangspunkt sind jedoch der allgemeine Verkehrsschutzgedanke und die daran geknüpfte Pflicht zu ordnungsgemäßer Wissensorganisation und nicht die berechtigten Erwartungen eines bestimmten Dritten. Aus diesem Grund sind die Ausführungen der Rechtsprechung zu Wissensorganisationspflichten im Bereich der außervertraglichen Haftung nicht von vornherein unanwendbar.373 Dem Zurechnungssubjekt muss ein Verstoß gegen eine von der Rechtsordnung bestimmten Pflicht zum Umgang mit dem Zurechnungsgegenstand – dem Wissen von Insiderinformationen – vorwerfbar sein.374 Im Rahmen des Schadensersatzes wegen Verstoßes gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht ergeben sich die Organisationspflichten, bei deren Verletzung einem tatsächlich unwissenden Organ vorgehalten werden kann, es hätte die relevanten Umstände kennen müssen, weshalb dem Emittenten ein Schuldvorwurf i.S.d. § 97 Abs. 2 WpHG gemacht werden kann, unmittelbar aus Art. 17 MAR. Von einem Wissenmüssen ist auszugehen, wenn die 367

Siehe C. II. 4. So auch Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 390 in Fn. 42; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289; a.A. Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 57 f. 369 So Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 57 f., der das Gleichstellungsprinzip im Rahmen des § 37b WpHG a.F. für anwendbar hält. 370 BGH, Urt. v. 02. 02. 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339, 1341. 371 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 58. 372 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 390; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289; Koch, AG 2019, 273, 279. Gegen eine Heranziehung des Vertrauensschutzarguments außerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs auch Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, 9; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 318. 373 Möllers/Leisch, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, §§ 37b, c Rdn. 177; a.A. Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289. 374 Sajnovits, WM 2016, 765, 768. 368

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E. Ad-hoc-Publizität

relevanten Umstände nach dieser Norm erfasst, aufgezeichnet, gebündelt, verifiziert, analysiert und letztlich bekannt gegeben hätten werden müssen. Für die Frage, ob das Wissen verschiedener Personen um Tatsachen, die erst im Gesamtbild publizitätspflichtige Insiderinformationen ergeben, „zusammengerechnet“ werden, ist maßgeblich, ob alle Wissensträger zur Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR in die gesellschaftsinterne Kommunikation hätten einbezogen werden müssen. Die sich aus der europäischen Norm ergebenden Grenzen der Wissensorganisation determinieren, wo das Kennenmüssen von Insiderinformationen und dementsprechend auch die Haftung nach § 97 Abs. 1 WpHG enden. bb) Vorsatz und Fahrlässigkeit Um die vom Gesetzgeber vorgegebene Unterscheidung zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit einerseits und mittlerer oder leichter Fahrlässigkeit, die nicht zu einer Haftung führen, andererseits nicht auszuhebeln, dürfen das Wissen und Wissenmüssen bezüglich der Tatbestandsmerkmale des Art. 17 MAR nicht automatisch mit Vorsatz und Fahrlässigkeit gleichgestellt werden. Das Wissen des Emittenten um einen ad-hoc-pflichtigen Umstand darf nicht qua Wissenszurechnung wegen leichter oder mittlerer Fahrlässigkeit fingiert werden und automatisch zu einer Vorsatzhaftung führen. Stattdessen ist der Verschuldensmaßstab des § 97 Abs. 2 WpHG auf die Wissenszurechnung zu übertragen.375 Eine vorsätzliche Unterlassung der unverzüglichen Veröffentlichung kommt in Betracht, wenn die Insiderinformationen dem Vorstand vorliegen und dieser sie bewusst nicht veröffentlicht, die Insiderinformationen also trotz Kenntnis nicht rechtzeitig veröffentlicht werden. Daneben ist die Fallgestaltung denkbar, dass vorsätzlich kein ordnungsgemäßes Informationsmanagement betrieben wird und dies zur Unterlassung einer unverzüglichen Veröffentlichung führt. Die Haftung beruht darauf, dass das Organ vorsätzlich die Augen vor den ad-hoc zu veröffentlichenden Insiderinformationen verschließt und sich daher so behandeln lassen muss, als verfüge es über das maßgebliche Wissen.376 Eine Vorsatzhaftung scheidet jedenfalls aus, wenn der Vorstand davon überzeugt ist, dass die interne Kommunikation ordnungsgemäß funktioniert und er trotz Kontrolle aus der ex-ante Perspektive keine Anhaltspunkte für das Gegenteil hat.377 Da die Wissenszurechnung lediglich als Begründung des Wissens-, nicht hingegen des voluntativen Vorsatzelements herangezogen werden kann, reicht die Anwendung der auf einer Wissensorganisationspflichtverletzung beruhenden Wissenszurechnung allein nicht für eine Vor-

375 So auch Sajnovits, WM 2016, 765, 773; Verse, AG 2015, 413, 418 Fn. 39; Wagner, ZHR 181 (2018), 203, 270. 376 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 121. 377 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 121 f.

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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satzhaftung aus.378 Hinzukommen muss das Wollenselement, das nicht auf die Wissenszurechnung gestützt werden kann. Eine Haftung wegen grober Fahrlässigkeit setzt eine objektiv schwere und „auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung [voraus], die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt“.379 Sie kommt in Betracht, wenn der Vorstand über die relevanten Umstände informiert ist, sie nicht als veröffentlichungspflichtig bewertet, obwohl die Einordnung als Insiderinformationen naheliegend war, und dementsprechend nicht bekannt gibt. Ebenso kann von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden, wenn der Vorstand kein bzw. ein offensichtlich ungenügendes System zur Wissensorganisation schafft und die Insiderinformationen aus diesem Grund nicht an die für die Veröffentlichung zuständige Stelle gelangen. Der Emittent haftet in diesem Fall wegen unterlassener (rechtzeitiger) Veröffentlichung trotz Kennenmüssens der Tatbestandsmerkmale der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 Abs. 1 MAR. Als Entlastung genügt nicht alleine, dass der Emittent beweist, dass die Insiderinformationen nicht bekannt waren, da die Kenntnis gerade keine Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht darstellt.380 Maßgeblich ist, ab wann unter Beachtung der Wissenssorgfalt im Anschluss an eine mögliche Kenntniserlangung die Insiderinformationen hätten bekannt gegeben werden können. Es kann der Nachweis eines ordnungsgemäßen internen Informationsmanagementsystems erbracht werden, denn es ist kein Schuldvorwurf zu erheben, wenn im konkreten Fall trotz angemessener Wissensorganisation die Insiderinformationen der für die Veröffentlichung zuständigen Stelle nicht zur Verfügung stehen oder der an sich geschulte Mitarbeiter die Informationen nicht als ad-hoc-publizitätspflichtig erkannt hat. Bei einem einzelnen Versagen eines ansonsten ordnungsgemäßen Informationssystems liegt zwar ein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR vor, eine Haftung wegen bloß leicht fahrlässigen Gelegenheitsversagens nach § 97 Abs. 1 WpHG besteht hingegen nicht. 3. § 98 WpHG Die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des Schadensersatzes wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen nach § 98 WpHG entsprechen denjenigen des Pendants § 97 WpHG. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Tathandlungen.381 Während § 97 WpHG die Unterlassung einer unverzüglichen Ver378

Möllers/Leisch, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, §§ 37b, c Rdn. 177. BSG, Urt. v. 20. 09. 1977 – 8/12 RKg 8/76, NJW 1978, 1175, 1176; BGH, Urt. v. 12. 07. 2005 – VI ZR 83/04, NJW 2006, 1271; BGH, Urt. v. 10. 10. 2013 – III ZR 345/12, NJW-RR 2014, 90, 92. Die Grundsätze verwendet die Rechtsprechung einheitlich für alle Normen zur groben Fahrlässigkeit, vgl. Grundmann, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl., 2019, § 276 Rdn. 95. 380 Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 112. 381 Walz, in: Schüppen/Schaub, Anwalts-HdB Aktienrecht, 3. Aufl., 2018, § 48 Rdn. 68; schon zu §§ 37b, 37c WpHG a.F. BegrRegE zum 4. FiMaNoG, BT-Drucks. 14/8017 vom 18. 01. 2002, S. 94. 379

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E. Ad-hoc-Publizität

öffentlichung sanktioniert, führt die Bekanntgabe eines falschen und damit fehlleitenden Sachverhalts zu einem Schadensersatzanspruch gem. § 98 WpHG. Sanktioniert wird ein Verstoß gegen Art. 17 MAR nur, wenn ein Anlass für eine Adhoc-Mitteilung bestand, der Sachverhalt aber unrichtig wiedergegeben wird. Wiederholt der Emittent hingegen eine unwahre Mitteilung oder erfindet er Insiderinformationen und veröffentlicht diese, ist haftungsauslösend, dass der Eindruck einer wahren Mitteilung nach Art. 17 MAR erweckt wird.382 Auch § 98 WpHG enthält in seinem Abs. 1 daher einen Verweis auf die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 MAR, nicht jedoch einen Hinweis auf ein Wissenselement. Anspruchsbegründende Voraussetzung in § 98 Abs. 1 WpHG ist damit die Mitteilung eines unzutreffenden Sachverhaltes durch einen Vorstand der Gesellschaft, dessen Verhalten analog § 31 BGB zurechenbar ist.383 Der Tatbestand ist unabhängig davon erfüllt, ob der Emittent die Unwahrheit der Informationen kennt oder kennen muss. Die Voraussetzung des Verschuldens bei § 98 WpHG ist ebenfalls wie für § 97 WpHG im jeweiligen Abs. 2 geregelt. Es kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit der Insiderinformationen nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. Auch für den Schadensersatz wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen kommt es folglich zu einer Beweislastumkehr. Eine Vorsatzhaftung ist denkbar, wenn in der Ad-hoc-Mitteilung bewusst unrichtige Insiderinformationen veröffentlicht werden. In diesem Fall kennt der Emittent die Unrichtigkeit i.S.d. § 98 Abs. 2 WpHG und eine Exkulpation kommt von vornherein nicht in Betracht. Die auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis kann sich aus der Missachtung der Wissensorganisationspflichten, insbesondere der Informationsverifizierungspflicht, ergeben. Auch auf vorgelagerter Ebene kann eine grob fahrlässig mangelhafte Informationsbündelung dazu führen, dass die Sachverhaltsaufklärung misslingt. Dies ist etwa der Fall bei einer Vielzahl von Wissensträgern, deren Kenntnisse nur zusammengeführt die Möglichkeit eröffnen, zutreffende Insiderinformationen bekannt zu geben. Als Entlastung vom Verschuldensvorwurf gem. § 98 Abs. 2 WpHG kann nachgewiesen werden, dass dem Emittenten die Unrichtigkeit der Insiderinformationen trotz ordnungsgemäßer interner Wissensorganisation unbekannt war. Die Exkulpationsmöglichkeit besteht damit bei Versagen des Systems im Einzelfall. Die von dem Emittenten zu verlangende ordnungsgemäße Wissensorganisation richtet sich nach dem objektiven Pflichtenprogramm der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 MAR. Auf diese bezieht sich die für die Entlastung zu beweisende Wissenssorgfalt.

382 383

Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 59. Zur Einordnung als deliktsrechtliche Haftungsvorschrift siehe E. IV. 2. a) bb).

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

197

4. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 MAR Neben der spezialgesetzlichen Emittentenhaftung nach den §§ 97, 98 WpHG kommt eine Schadensersatzpflicht gem. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht. Voraussetzung hierfür ist der Verstoß des Emittenten gegen ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB und damit gegen eine Norm, die zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.384 Die Schutzgesetzeigenschaft von § 15 Abs. 1 WpHG a.F., der Vorgängerregelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht aus Art. 17 Abs. 1 MAR, wurde nach herrschender Auffassung verneint.385 Der bloße Umstand, dass es sich nach der heute geltenden Regelung um eine europarechtliche Vorschrift handelt, vermag die Schutzgesetzeigenschaft weder zu begründen,386 noch steht er ihr entgegen.387 Der deutsche Gesetzgeber will die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 MAR durch § 26 Abs. 3 Satz 1 WpHG ausschließen.388 Ob Art. 17 MAR als europarechtliche Norm einen nationalen deliktsrechtlichen Schadensersatz auszulösen vermag, entscheidet allerdings nicht der nationale Gesetzgeber.389 Die Schutzgesetzeigenschaft des Art. 17 MAR kann aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 823 Abs. 2 BGB zuzuerkennen sein. Da es einer Durchsetzung des EU-Rechts mittels zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gerade nicht bedarf,390 ist Art. 17 Abs. 1 MAR allerdings nicht aufgrund des effet utile-Grundsatzes zwingend eine Schutzgesetzeigenschaft zuzuerkennen. Diese kann sich gleichwohl aus den autonom-nationalen Kriterien ergeben.391 Einer „Überumsetzung“ der marktmissbrauchsrechtlichen Sanktionsvorgaben mittels eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs steht entgegen, dass Art. 17 MAR 384 BGH, Urt. v. 27. 01. 1954 – VI ZR 309/52, NJW 1954, 675; BGH, Urt. v. 17. 07. 2008 – I ZR 219/05, NJW 2008, 3565, 3566; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 823 Rdn. 498. 385 BVerfG, Urt. v. 24. 09. 2002 – 2 BvR 742/02, ZIP 2002, 1986, 1988; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 539; R. Krause, ZGR 2002, 799, 816; Rodewald/Siems, BB 2001, 2437, 2439; Schäfer, EWiR 2002, 43, 44; Schwark, EWiR 2001, 1049 f. (zu § 88 BörsG a.F.); a.A. Möllers/Leisch, ZIP 2002, 1995 ff. (zu § 88 BörsG a.F.). 386 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 551. 387 BGH, Urt. v. 12. 05. 1998 – KZR 23/96, GRUR 1999, 276, 277; BGH, Urt. v. 10. 02. 2011 – I ZR 136/09, EuZW 2011, 440, 441; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 823 Rdn. 481; Hellgardt, AG 2012, 154, 164; Markworth, ZHR 183 (2019), 46, 56. 388 So zum gleichlautenden § 15 Abs. 6 WpHG a.F. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918 vom 15. 06. 1994, S. 102; BegrRegE zum 4. FFG, BRDrucks. 936/01 (neu) vom 14. 11. 2001, S. 245; BegrRegE zum AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 35; BGH, Urt. v. 19. 07. 2004 – II ZR 2018/03, NJW 2004, 2664; BGH, Urt. v. 09. 05. 2005 – II ZR 287/02, NJW 2005, 2450, 2451. 389 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 589; Beneke/Thelen, BKR 2017, 12, 14; Poelzig, ZGR 2015, 801, 815, jeweils unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 17. 09. 2002 – Rs. C-253/00 (Muñoz and Superior Fruiticola), EU:C:2002:497, LMRR 2002, 63 Rdn. 32; Hellgardt, AG 2012, 154, 165. 390 Siehe E. IV. 1. b). 391 Krit. gegenüber dem Einsatz der Schutznormtheorie im europäischen Kontext, Markworth, ZHR 182 (2019), 46, 59 ff.

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E. Ad-hoc-Publizität

keinen Individualschutzzweck aufweist.392 Der Anlegerschutz ist in der MAR zwar als Regelungsziel der Ad-hoc-Publizitätspflicht anerkannt, bleibt aber dem Ziel der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts untergeordnet.393 Die Ad-hoc-Publizität bezweckt den Schutz der Anlegerschaft als solcher. Dass die Regelung mittelbar eine individualschützende Wirkung aufweist, reicht nicht aus, denn es kommt nicht auf die Wirkung, sondern den Inhalt und Zweck des Gesetzes an und darauf, ob der Gesetzgeber einen Rechtsschutz zugunsten von Einzelpersonen gewollt hat.394 Mangels Schutzgesetzqualität des Art. 17 Abs.1 MAR scheidet ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 MAR daher aus.395 5. § 826 BGB Gem. § 26 Abs. 3 Satz 2 WpHG bleiben Schadensersatzansprüche, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen, unberührt. Erschöpft sich der Haftungsgrund nicht in einem Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht, sondern stellt, dieser zugleich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, soll nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers eine Haftung gem. § 826 BGB neben den §§ 97, 98 WpHG nicht ausgeschlossen sein.396 Unterschiede des § 826 BGB gegenüber den Spezialregelungen, die zu einem letztlich geringen zivilrechtlichen Haftungsschutz durch § 826 BGB führen, bestehen in der erforderlichen besonderen Verwerflichkeit und dem Nachweis der Transaktionskausalität.397 Neben einem objektiven Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR und der Sittenwidrigkeit des ursächlichen Verhaltens setzt ein Schadensersatz gem. § 826 BGB Vorsatz als Verschul-

392

Siehe B. III. 2. b) cc). Cless, Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch, 2018, S. 170. 394 BGH, Urt. v. 27. 01. 1954 – VI ZR 309/52, NJW 1954, 675. 395 Dafür auch Meyer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2019, Rdn. 12.335; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6,7. Aufl., 2017, § 823 Rdn. 510; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 551; a.A. Schütt, Europäische Marktmissbrauchsverordnung und Individualschutz, 2019, S. 372; Hellgardt, AG 2012, 154, 165; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 607. 396 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 17 Rdn. 590; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 553. 397 Cless, Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch, 2018, S. 172 f. Erstmals äußerte sich der BGH zu einem Anspruch aus § 826 BGB in den drei sogenannten Informatec-Urteilen, in denen er den Schadensersatz mangels Kausalität verneinte (BGH, Urt. v. 19. 07. 2004 – II ZR 218/03, NJW 2004, 2664, 2666 ff.), mangels Feststellungen zur Kausalität zurückverwies (BGH, Urt. v. 19. 07. 2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668) und den Schadensersatzanspruch zubilligte (BGH, Urt. v. 19. 07. 2004 – II ZR 402/02, NJW 2004, 2971). Der Anspruch scheiterte im IKB-Urteil aufgrund der fehlenden Sittenwidrigkeit (BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10, NJW 2012, 1800). Vgl. zum Beweis der Transaktionskausalität aus der Reihe von EM.TV-Judikaten zuletzt OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 26. 09. 2017 – 11 U 12/16, AG 2019, 217, 218 f. 393

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

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densgrad voraus.398 Für die Erfordernisse sowohl der Sittenwidrigkeit als auch des Vorsatzes wird in der Literatur vertreten, es seien die Kenntnisse aller mitwirkenden Mitarbeiter dem Emittenten entsprechend § 166 BGB zuzurechnen. Für das Verhalten eines Organwalters hafte eine juristische Person dagegen selbst dann gem. §§ 826, 31 BGB, wenn das Wissen um die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände lediglich in der Person eines anderen Organwalters oder jedenfalls innerhalb der Organisation verfügbar und eine Dokumentationspflicht vorhanden war.399 Der BGH hingegen lässt es für das Merkmal der Sittenwidrigkeit nicht ausreichen, dass die Kenntnis bei „namentlich nicht bekannten Mitarbeitern […] zusammen mit dem Wissen des […] Vorstandes [der juristischen Person] zugerechnet wird“.400 Der Auffassung der Vorinstanz, die das Gleichstellungsprinzip401 heranzog und eine Wissensaufspaltung mit der Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation kompensierte,402 teilte der BGH für das Deliktsrecht nicht. Eine Wissenszusammenzurechnung sei zwar zur Begründung von Arglist, nicht aber für das „moralische Unwerturteil“ der Sittenwidrigkeit möglich, sodass es nicht ausreiche, dass die „im Hause der [juristischen Person] vorhandenen kognitiven Elemente mosaikartig zusammengesetzt“ würden.403 Der Schädigungsvorsatz setze eine zumindest billigende Inkaufnahme der Schädigung und eine damit korrespondierende Kenntnis derselben natürlichen Person voraus, weil das Wollenselement des Vorsatzes andernfalls einer Fiktion gleichkomme.404 Die Haftung der juristischen Person sei nur begründet, wenn der Vorstand oder ein sonstiger verfassungsmäßiger Vertreter i.S.d. § 31 BGB persönlich sämtliche objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB verwirklicht hat.405 Die besondere Verknüpfung des kognitiven und des voluntativen Elements des Vorsatzes verbietet eine Zusammenrechnung von Teilbeträgen mehrerer Personen.406 Festzuhalten bleibt damit, dass im Unterschied zu den Schadensersatzansprüchen nach den §§ 97, 98 WpHG für einen Anspruch aus § 826 BGB dem Vorstand ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 MAR vorzuwerfen sein muss. Er muss trotz Kenntnis von den Emittenten unmittelbar betreffenden Insiderinformationen zumindest für möglich gehalten und bil398

Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 826 Rdn. 8. Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 826 Rdn. 38, 39; ders., JZ 2017, 522, 525; Teichmann, in: Jauernig BGB, 17. Aufl., 2018, § 826 Rdn. 5. 400 BGH, Urt. v. 28. 06. 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 252 f. Rdn. 23. 401 Siehe C. II. 4. 402 KG, Teilurt. v. 27. 08. 2015 – 2 U 57/09, BeckRS 2015, 15908 Rdn. 48. 403 BGH, Urt. v. 28. 06. 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 252 f. Rdn. 23; a.A. Teichmann, in: Jauernig BGB, 17. Aufl., 2018, § 826 Rdn. 5. 404 BGH, Urt. v. 28. 06. 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 253 Rdn. 26. 405 BGH, Urt. v. 28. 06. 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 253 Rdn. 27; anders Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 826 Rdn. 38, der eine „Unternehmenshaftung ohne Individualhaftung“ für möglich hält. 406 Seidel, AG 2019, 492, 501. 399

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E. Ad-hoc-Publizität

ligend in Kauf genommen haben407, dass diese nicht veröffentlicht werden, bzw. trotz der möglichen Unrichtigkeit der Informationen diese veröffentlichen, wobei sein Verhalten zugleich eine sittenwidrige Schädigung darstellen muss. 6. Zwischenergebnis Die Schadensersatznorm § 97 Abs. 1 WpHG enthält kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der positiven Kenntnis. Der Verweis auf die MAR führt zu einem Gleichlauf zwischen der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR und dem objektiven Tatbestand ihrer zivilrechtlichen Sanktionierung im WpHG. Im Ergebnis muss ein Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 MAR vorliegen und dieser muss Konsequenz des individuellen Fehlverhaltens eines Mitarbeiters sein, das dem Emittenten analog § 31 BGB zuzurechnen ist. Der Verschuldensgrad ist für die Zurechenbarkeit des Verhaltens irrelevant, weshalb auch leicht fahrlässiges Verhalten des die Gesellschaft Repräsentierenden zu der nach § 97 Abs. 1 WpHG vorausgesetzten unterlassenen unverzüglichen Veröffentlichung führen kann. Für die Anspruchsbegründung sieht § 97 WpHG keine Einschränkung auf die Zurechnung von Verhalten erst ab grober Fahrlässigkeit vor. Dem Emittenten steht nach § 97 Abs. 2 WpHG jedoch der Nachweis offen, dass die unterlassene unverzügliche Veröffentlichung von Insiderinformationen nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht, weil die Verzögerung nicht auf eine fehlende oder unzureichende Informationsorganisation zurückzuführen ist. Dem Emittenten kann für die unterlassene unverzügliche Veröffentlichung kein Schuldvorwurf gemacht werden, wenn der Vorstand als zur Wahrnehmung der Ad-hocPflicht zuständiges Organ keine Kenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen des Art. 17 MAR erlangen konnte. Der Anspruch aus § 97 WpHG besteht hingegen bei nicht unverzüglicher Bekanntgabe von Insiderinformationen trotz Kenntnis oder Kennenmüssens, also bei einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Wissensorganisation. Abgesehen von der Tathandlung entsprechen die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen von § 97 WpHG denjenigen des Schadensersatzes wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen nach § 98 WpHG. Die Unkenntnis des Emittenten von der Unrichtigkeit der Insiderinformationen beruht nicht auf grob fahrlässiger Unkenntnis, wenn nachgewiesen werden kann, dass ein ordnungsgemäßes Wissensorganisationssystem bestand und dem Vorstand der richtige Sachverhalt nur aufgrund eines leicht fahrlässigen Gelegenheitsversagens unbekannt war. Im Zusammenhang mit den Schadensersatzpflichten wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen und wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen wurde angemerkt, die Rechtsfolge der §§ 97, 98 WpHG sei als Sanktion für Versäumnisse im Bereich der Wissensorganisation 407

Vgl. zum Vorsatzbegriff Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 826 Rdn. 27.

V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime

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unangebracht.408 Eine Wissenszurechnung aufgrund der Vernachlässigung von Organisationspflichten dürfe keine unkalkulierbaren Haftungsrisiken zur Folge haben.409 Diese Sorge ist jedoch unbegründet. Art. 17 MAR statuiert Wissensorganisationspflichten und bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt eine Ad-hoc-Mitteilung objektiv als so schnell wie möglich bekannt gegeben gilt. Reine Organisationsdefizite führen dabei nicht automatisch zu einer Sanktionierung durch einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch. Hierfür müssen zu einem Verstoß gegen Art. 17 MAR die zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 97, 98 WpHG und damit zumindest auch ein grob fahrlässiges Verhalten vorliegen. Da sich die Grundsätze der Wissenszurechnung, die im Rahmen der Entlastungsbeweise der jeweiligen Abs. 2 der §§ 97 und 98 WpHG relevant sind, nicht nach vertragsrechtlichen Grundsätzen und allgemeinen Wissensorganisationsanforderungen bei arbeitsteiligem Handeln richten, sondern sich ihr Umfang und ihre Grenzen nach dem Pflichtenprogramm des Art. 17 MAR bestimmen, können die Zielsetzungen der Ad-hoc-Publizität bei der Feststellung des Verschuldens ausreichend Berücksichtigung finden. Unkalkulierbare Haftungsrisiken drohen angesichts der Planbarkeit der Pflichten nicht.

V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime Auf Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts kommt es mangels europarechtlicher Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung des private law enforcement zu erheblichen Unterschieden. 1. Frankreich Die zivilrechtliche Haftung hat in Frankreich nicht die gleiche Bedeutung erlangt wie in Deutschland.410 Die Schadensersatzpflicht bei fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen folgt in Ermangelung spezialgesetzlicher Anspruchsgrundlagen aus der allgemeinen deliktischen Generalklausel des Art. 1240 Code civil.411 Sie ermöglicht im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB auch den Ersatz reiner Vermögensschäden.412 Anspruchsberechtigt sind sowohl Neuaktionäre, die durch die fehlerhafte Information zum Erwerb von Wertpapieren veranlasst wurden, als auch Altaktionäre, die von

408

Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 33. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., 2020, § 78 Rdn. 33, ders., AG 2019, 273, 281 f. 410 Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, §§ 97, 98 WpHG Rdn. 14. 411 Ehemals Art. 1382 Code civil, vgl. Cass. crim. 15. 03. 1993, Bull. crim. 1993, n8 113, 280, 286. 412 Vgl. zu Art. 1382 Code civil Fleischer/Jänig, RIW 2002, 729, 735; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 213. 409

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E. Ad-hoc-Publizität

der Veräußerung ihrer früher erworbenen Anteile abgehalten wurden.413 Als Verschuldensgrad reicht für den Fehler, der in der Informationspflichtverletzung zu sehen ist, gem. Art. 1241 Code civil Fahrlässigkeit. In den Fällen, in denen Anlegern Schadensersatz gewährt wird, besteht für die falsche Ad-hoc-Mitteilung regelmäßig eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Verbreitung einer falschen Mitteilung (délit de fausse information414) und das Element des „Fehlers“ (faute) in Art. 1240 Code civil ist damit gleichzeitig erfüllt.415 Schadensersatzansprüche können in Frankreich auch in einem Strafverfahren gem. Art. 475-1 Code de Procédure pénale geltend gemacht werden.416 Dieses ist dem deutschen Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO ähnlich und hat für die geschädigten Anleger den Vorteil, dass die Strafverfolgungsbehörden die Beweisführung übernehmen.417 Als Konsequenz der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche im Wege des Adhäsionsverfahrens kann der Schadensersatzanspruch erst oberhalb der Strafbarkeitsschwelle zugesprochen werden.418 So ist für im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Schadensersatzansprüche zu beachten, dass das strafrechtliche Verbot der Falschinformation ein Begehungsdelikt darstellt, ein Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen folglich nicht sanktioniert wird.419 Des Weiteren wird im Adhäsionsverfahren lediglich das vorsätzliche (sciemment) Verbreiten von falschen Informationen verfolgt, das wissentliches Handeln (en toute connaissance de cause) voraussetzt.420 Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Adhäsionsverfahren ist in der Praxis üblicher als die zivilrechtliche Klage,421 obwohl die im Vergleich zu Art. 1241 Code civil engeren Voraussetzungen einer Strafbarkeit vorliegen müssen. Die Schadensersatzhaftung geht daher in Frankreich in der Regel mit der strafrechtlichen Verantwortung für die Falschinformation einher. Da der zivilrechtliche Klageweg somit seltener beschritten wird, fehlt es an einer umfassenden Rechtsprechung und mithin an einer fallgruppenmäßigen Konkretisierung der deliktischen 413 Die Anspruchsberechtigung von Altaktionären wurde noch bis 1997 von der Rechtsprechung abgelehnt, in späteren Urteilen jedoch anerkannt, vgl. T. corr. Paris, 27. 02. 1998, RTD com. 1998, 640, 643 note Rontchevsky. Zum Streitstand Fleischer/Jänig, RIW 2002, 729, 735; Puttfarken/Schrader, in: Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 615 f. zur wortgleichen Vorgängernorm Art. 1383 Code civil a.F. 414 T. corr. Paris, 27. 02. 1998, RTD com. 1998, 640, 643 note Rontchevsky. 415 Möllers, 30 N.C.J. Int’l L. & Com. Reg. 279, 302 (2004). 416 Vgl. Cass. crim. 15. 03. 1993, Bull. crim. 1993, n8 113, 280, 286. 417 Fleischer/Jänig, RIW 2002, 729, 735. 418 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 105. 419 Puttfarken/Schrader, in: Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 616. 420 CA Paris, 18. 12. 1995, Banque et droit 1996, n8 48, 34 obs. Peltier/de Vauplane; T. corr. Paris, 27. 02. 1998, RTD com. 1998, 640, 641 note Rontchevsky; Puttfarken/Schrader, in: Hopt/ Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 617. 421 Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 105; Fleischer/Jänig, RIW 2002, 729, 735.

V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime

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Generalklausel für die sekundärmarktbezogene Haftung. Einer solchen bedürfte es jedoch für ein belastbares Schadensersatzregime.422 Dies dürfte auch die zurückhaltenden Formulierungen in der deutschen Literatur beim Verweis auf die französische deliktische Generalklausel erklären.423 Die spezialgesetzlichen Regelungen in Deutschland bestimmen im Gegensatz zur französischen Generalklausel klar Anspruchsberechtigte und -verpflichtete, objektiven Tatbestand, Verschuldensmaßstab, Beweislast sowie Ausschlussgründe eines Schadensersatzanspruchs infolge einer Verletzung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht. Dass das private law enforcement auf dieser Grundlage ungleich größere Bedeutung gewonnen hat als in Frankreich, war daher keine unerwartete Entwicklung. 2. England Das englische Recht sah ursprünglich ebenso wenig wie das französische Recht eine spezialgesetzliche zivilrechtliche Emittentenhaftung für Verstöße gegen die Adhoc-Publizitätspflicht vor. Eine Ersatzpflicht für sekundärmarktbezogene Fehlinformationen folgte aus den allgemeinen deliktsrechtlichen Regeln des common law. Anspruchsverpflichtete waren die für die falsche Ad-hoc-Mitteilung verantwortlichen Organmitglieder oder Angestellten sowie der Emittent selbst424 nach den Grundsätzen der vicarious liability.425 Angesichts der engen Voraussetzungen des tort of deceit und des tort of negligence war den Anlegern jedoch kaum Schutz geboten.426 Im Zuge der Änderung des Financial Services and Markets Act 2000427, die auf Vorarbeiten von Davies428 zurückgeht, wurden im Jahr 2010 in dessen section 90 A sowie in einem detaillierten Anhang (schedule 10 A) eine umfassende Sekundärmarkthaftung bei Informationspflichtverletzungen im Vereinigten Königreich eingeführt. Haftungsadressat ist seit der Neuregelung ausschließlich der Emittent.429 Eine Organaußenhaftung wurde angesichts der Innenhaftung von Organmitgliedern

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Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 104 f. Vgl. Puttfarken/Schrader, in: Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 615 („von der Anwendbarkeit der deliktischen Generalklausel [ist] auszugehen“); zum romanischen Rechtskreis Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 104 Fn. 118 m.w.N. 424 Davies, Review of Issuer Liability, Discussion Paper, 2007, Rdn. 100. 425 Verse, RabelsZ 76 (2012), 893, 910. 426 Siehe zu den einzelnen Voraussetzungen Verse, RabelsZ 76 (2012), 893, 899. 427 Financial Services and Markets Act 2000 (Liability of Issuers) Regulations 2010, S.I. 2010/1192. 428 Davies, Review of Issuer Liability, Final Report, 2007. 429 Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A ss 3 – 5. 423

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E. Ad-hoc-Publizität

sowie der Möglichkeit, sie mit öffentlich-rechtlichen Sanktionen zu belegen, als nicht notwendig erachtet.430 Die spezialgesetzliche Haftungsgrundlage bezieht sich nicht nur auf unvollständige (omission) oder fehlerhafte (untrue or misleading) Ad-hoc-Mitteilungen, sondern auf alle Informationen, d. h. nicht nur ad-hoc-veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen, die der Emittent in einem anerkannten Kapitalmarktinformationssystem oder durch ein anderes Medium, auf das er in einem anerkannten Kapitalmarktinformationssystem hinweist, publiziert.431 Der Fehlinformation gleichgestellt ist die Veröffentlichung von Informationen mit unredlicher Verspätung (dishonest delay).432 Im Gegensatz zum deutschen Haftungsregime sieht die Regelung im Vereinigten Königreich keine Beweislastumkehr zugunsten des geschädigten Anlegers vor. Der Schadensersatz ist überdies auf Vorsatz beschränkt. Im Konsultationsprozess wurde die auf Vorsatz beschränkte Haftung unter anderem mit der für ausreichend erachteten Möglichkeit begründet, fahrlässige Pflichtverletzungen mit öffentlich-rechtlichen Sanktionen zu ahnden.433 Das Wissenselement auf Seiten des Emittenten ist ausdrücklich geregelt. Bei unterlassener Ad-hoc-Mitteilung haftet der Emittent nur, wenn ein Organmitglied434 wusste, dass die Unterlassung von anderen Marktteilnehmern als unredliche (dishonest) Unvollständigkeit einer Information angesehen würde.435 Im Gegensatz zum deutschen Recht, das eine Haftung auch bei Wissenmüssen zulässt, sieht die Regelung im Vereinigten Königreich ausdrücklich positive Kenntnis als Voraussetzung der Emittentenhaftung vor. Auch eine Haftung für eine fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilung setzt voraus, dass ein Organmitglied436 wusste, dass die Aussage unwahr oder irreführend ist, oder rücksichtlos (reckless) hinsichtlich der Unrichtigkeit war.437 Der Begriff der recklessness ist nicht im Sinne von Fahrläs430 Her Majesty’s Treasury, Extension of the statutory regime for issuer liability: a response to consultation, 2010, Ziff. 8.5 – 8.9, abrufbar unter https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/ +/http:/www.hm-treasury.gov.uk/d/consult_issuerliability_response.pdf, zuletzt abgerufen am 19. 08. 2020 (zit.: Her Majesty’s Treasury, Response to consultation, 2010); Davies, Review of Issuer Liability, Final Report, 2007, Rdn. 56 – 59; ders., 5 Cap. Mark. Law J., 443, 449 (2010). 431 Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A ss 2(1), 3(1). Es kommt nicht darauf an, ob eine Pflicht zur Offenlegung der Information bestand, sondern ob ein anerkanntes Publikationsmittel verwendet wurde, Davies, 5 Cap. Mark. Law J., 443, 448 (2010). 432 Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A ss 5, 6. 433 Her Majesty’s Treasury, Response to consultation, 2010, Ziff. 2.6. 434 In Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A s 3 (2) ist von einer Person, die Führungsaufgaben innerhalb des Emittenten wahrnimmt, die Rede, womit nicht irgendein Mitglied der Unternehmensführung, sondern laut der Legaldefinition in Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A s 8(5) in der Regel der „director“ gemeint ist; Davies, 5 Cap. Mark. Law J., 443, 448 (2010). 435 Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A ss 3(3), 5(2), 6. 436 Für Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A s 3(3) gilt wie für 3(2) die Legaldefinition in Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A s 8(5). 437 Financial Services and Markets Act 2000, sch 10 A s 3(2).

V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime

205

sigkeit zu verstehen, sondern erst gegeben, wenn dem Organmitglied gleichgültig war, ob die Erklärung wahr oder unwahr ist.438 Der gute Glaube an die Wahrheit der Mitteilung schließt die Rücksichtslosigkeit hingegen aus.439 Der im Recht des Vereinigten Königreichs verwendete Begriff der recklessness entspricht daher am ehesten demjenigen des bedingten Vorsatzes im deutschen Recht.440 Eine Haftung bei Unkenntnis von der Unrichtigkeit kommt nur in Betracht, wenn der Organwalter nicht gutgläubig hinsichtlich der Wahrheit der Erklärung war. Irrelevant ist, ob er bei ordnungsgemäßer interner Wissensorganisation die Unrichtigkeit hätte kennen müssen, denn der gute Glaube (honest oder genuine belief) muss nur tatsächlich vorhanden sein. Dass der Organwalter vernünftigerweise von der Wahrheit der Mitteilung ausgehen durfte, ist nicht erforderlich, um der Haftung zu entgehen.441 Neben der ausschließlichen Haftung für Vorsatz besteht ein weiterer Unterschied zur deutschen Regelung hinsichtlich des Anspruchsausschlusses nach den jeweiligen Abs. 3 der §§ 97, 98 WpHG. Der Schadensersatz besteht in Deutschland nicht, wenn der Dritte bei dem Erwerb oder der Veräußerung positive Kenntnis von der Insiderinformation (§ 97 Abs. 3 WpHG) bzw. ihrer Unrichtigkeit (§ 98 Abs. 3 WpHG) hatte. Schedule 10 A s 3(4)(b) des Financial Services and Markets Act 2000 hingegen führt dazu, dass eine Haftung nur besteht, wenn der Anleger die Wertpapiere im Vertrauen auf eine Insiderinformation erworben, weiterhin gehalten oder veräußert hat und dieses Vertrauen auch vernünftigerweise haben durfte. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Regelung im Vereinigten Königreich deutlich restriktiver ausgestaltet ist als die deutsche. Die bloße unterlassene, nicht unverzügliche Veröffentlichung i.S.d. § 97 WpHG wird nicht sanktioniert, sondern lediglich das Auslassen bzw. Weglassen (omission) von Informationen in einer Adhoc-Mitteilung. Sowohl bei diesem Schadensersatz wegen unvollständiger als auch bei fehlerhafter oder verspäteter Ad-hoc-Mitteilung handelt es sich um eine Vorsatzhaftung ohne Beweislastumkehr für den geschädigten Anleger. Eine Emittentenhaftung kommt ausdrücklich nur bei positiver Kenntnis eines Organwalters von den nicht veröffentlichten Insiderinformationen bzw. von der Unrichtigkeit einer Adhoc-Mitteilung, nicht hingegen bei Kenntnis eines Mitarbeiters der nachgeordneten Ebene, in Betracht. Ist aufgrund von grober Fahrlässigkeit davon auszugehen, ein Organwalter hätte von den veröffentlichungspflichtigen Umständen bzw. ihrer Unrichtigkeit wissen müssen, reicht dies für eine Haftung nach §§ 97 oder 98 WpHG, nicht aber für einen Schadensersatzanspruch im Vereinigten Königreich. Die zurückhaltende Ausgestaltung des Haftungsregimes im Vereinigten Königreich zeigt 438 „[A] statement whose maker knew it to be false or did not care whether it was true or false“, Her Majesty’s Treasury, Response to consultation, 2010, Ziff. 2.1 – 2, 2.6; Davies, Review of Issuer Liability, Final Report, 2007, Rdn. 27. 439 Davies, Review of Issuer Liability, Final Report, 2007, Rdn. 27 f. 440 Verse, RabelsZ 76 (2012), 893, 906. 441 Davies, Review of Issuer Liability, Final Report, 2007, Rdn. 27; ders., Review of Issuer Liability, Discussion Paper, 2007, Rdn. 74 – 76 unter Betonung der Unterschiede zum USamerikanischen und deutschen Recht.

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E. Ad-hoc-Publizität

sich auch darin, dass der Anspruch bereits ausgeschlossen ist, wenn der Anleger im Zeitpunkt seiner Entscheidung für eine Transaktion oder das Behalten der Wertpapiere nicht auf die Information vertrauen durfte.

F. Insiderhandel Seit dem 03. Juli 2016 verbietet Art. 14 lit. a MAR das Tätigen von Insidergeschäften und den Versuch hierzu, während lit. b untersagt, Dritten zu empfehlen oder sie dazu zu verleiten, Insidergeschäfte zu tätigen. Den Begriff der Insidergeschäfte konkretisiert Art. 8 MAR. Differenziert wird zwischen dem Erwerbs- oder Veräußerungsverbot (Abs. 1), dem Empfehlungs- oder Verleitungsverbot (Abs. 2) und der Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen (Abs. 3). Bezugspunkt der Geschäfte sind, wie für Art. 17 Abs. 1 MAR, Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 MAR. Das Verbot von Insidergeschäften greift im Gegensatz zur Ad-hoc-Publizitätspflicht auch, wenn die Informationen den Emittenten nur indirekt betreffen. Die Tatbestände des Insiderhandelsverbots verhindern damit auch, dass Insider ihren Wissensvorsprung bezüglich solcher Insiderinformationen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Emittenten haben, zum Nachteil uninformierter Marktteilnehmer ausnutzen können. Insidergeschäfte nach Art. 8 MAR nimmt jeweils „eine Person“ vor. Normadressaten des Verbots von Insidergeschäften sind damit ausweislich der Begriffsbestimmung in Art. 3 Abs. 1 Nr. 13 MAR nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen. Art. 8 Abs. 5 MAR und Art. 9 Abs. 1 MAR bestätigen dies. Damit wird dem Erwägungsgrund 5 der MAR Rechnung getragen, nach dem natürliche und juristische Personen die gleichen Regeln zu befolgen haben. Das Insiderhandelsverbot gilt sowohl für Primär- als auch für Sekundärinsider. Primärinsider sind solche, die nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 MAR dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten angehören (lit. a), am Kapital des Emittenten beteiligt sind (lit. b), aufgrund der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben Zugang zu den betreffenden Informationen haben (lit. c) oder an kriminellen Handlungen beteiligt sind (lit. d). Sekundärinsider hingegen sind solche, welche gem. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR Insiderinformationen „unter anderen Umständen“ besitzen und damit nicht dem beschriebenen Personenkreis der Primärinsider angehören.

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit den § 119 Abs. 3 und 4 WpHG dafür entschieden, nur den vorsätzlichen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot mit einer strafrechtlichen Sanktion zu belegen. Daher ist jedenfalls Voraussetzung der Strafbarkeit das Wissen und Wollen der Verwirklichung des objektiven Tatbestands, sodass eine Person zumindest mit dolus eventualis handeln und damit für möglich

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F. Insiderhandel

halten muss, Insiderinformationen zu verwenden.1 Ordnungswidrig handelt, wer gem. § 120 Abs. 14 WpHG eine in § 119 Abs. 3 WpHG bezeichnete Handlung leichtfertig begeht. Da eine Handlung nach § 119 Abs. 3 WpHG einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot der MAR voraussetzt, stellt sich im Rahmen der Leichtfertigkeit i.S.d. § 120 Abs. 14 WpHG die Frage, ob sich das Erfordernis der Kenntnis von den Insiderinformationen bereits aus Art. 8 MAR selbst ergibt. Ist dies nicht der Fall muss sich der Person aufdrängen, dass ihre Transaktion einem Geschäft entspricht, das mit Sonderwissen getätigt wurde, während sich andernfalls die Leichtfertigkeit nur auf die Einordnung der Umstände als Insiderinformationen beziehen kann, weil die positive Kenntnis von den Insiderinformationen bereits eine Voraussetzung eines Insidergeschäfts nach Art. 8 MAR und damit für ordnungswidriges Verhalten ist. Entscheidend ist damit, ob sich die subjektiven Anforderungen erst aus den jeweiligen mitgliedstaatlichen Sanktionsnormen ergeben oder ob sich das Verbot nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR grundsätzlich nur an Personen richtet, die Kenntnis von Insiderinformationen haben oder die insiderrelevanten Umstände kennen müssen. Setzen die Art. 8 und 9 MAR voraus, dass die handelnde Person positive Kenntnis von Insiderinformationen hat,2 erfüllt sie einen Tatbestand des Insiderhandelsverbots lediglich, wenn sie weiß, dass es sich bei dem von ihr getätigten Geschäft um ein solches handelt, das Finanzinstrumente betrifft, auf die sich Insiderinformationen beziehen. In Betracht kommt ebenfalls, dass die Tatbestände der Art. 8 und 9 MAR bereits im Falle des Kennenmüssens der insiderrelevanten Umstände erfüllt sein können. Eine Auslegung als objektive Verbotsnorm setzt hingegen lediglich voraus, dass Insiderinformationen zu dem Finanzinstrument, auf das sich die Handlung einer Person bezieht, vorliegen, ohne dass sie in das Bewusstsein der Person gedrungen sein müssen. 1. Kenntnis als Tatbestandsvoraussetzung eines Insidergeschäfts a) Wortlaut und Systematik Im Gegensatz zu der in Art. 17 MAR geregelten Ad-hoc-Publizitätspflicht ist das Wissen(müssen) als Tatbestandsvoraussetzung in Art. 8 Abs. 3, 4 Unterabs. 2 und Art. 9 Abs. 5 MAR ausdrücklich genannt. Die weiteren Absätze enthalten hingegen keine explizite Regelung. Art. 8 MAR setzt in den Abs. 1, 2 und 4 Unterabs. 1 lediglich voraus, dass die handelnde Person über Insiderinformationen verfügt. Es wird, soweit ersichtlich, einhellig in der deutschen Literatur angenommen, dass mit 1 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 9. 2 Dafür ausdrücklich Diversy/Köpferl, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, WpHG, § 38 Rdn. 154; Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 13 Rdn. 416; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289.

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

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dieser Formulierung Insiderwissen gemeint ist.3 Gleichwohl lässt der objektive Begriff des Verfügens die Interpretation als Zustand zu, in dem sich die betreffenden Insiderinformationen im Machtbereich der handelnden Person befinden, ihr also zugänglich sind, ohne dass sie notwendigerweise von ihnen weiß. Ausreichend wäre bei dieser Auslegung, dass die Person Kenntnis von ihr erlangen könnte. Gleiches gilt für Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 und Art. 9 Abs. 1 bis 4 MAR, die voraussetzen, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist, denn ob eine Person Insiderinformationen besitzt, sagt nichts darüber aus, ob sie sich darüber bewusst ist. Die jeweils kongruente Wortwahl in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 MAR der englischen Sprachfassung der MAR (possess) für die Merkmale des Verfügens über Insiderinformationen oder des Besitzes derselben zeigt, dass sie inhaltlich nicht voneinander abweichen. Darüber hinaus verweist Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR darauf, die Vorschrift gelte für eine Person, die „unter anderen Umständen als nach Unterabsatz 1 besitzt“4, obwohl an dieser Stelle davon die Rede ist, dass eine Person über Insiderinformationen verfügt. Für andere Sprachfassungen wählte der europäische Gesetzgeber ebenfalls objektive Formulierungen. Die Begriffe der englischen (possess), französischen (détenir, disposer, posséder) und spanischen (disponer, posear) Textfassung lassen sich wörtlich mit verfügen und besitzen übersetzen und entsprechen damit der deutschen Version der MAR. Rückschlüsse darauf, dass ein Kennen oder Kennenmüssen der Insiderinformationen Voraussetzung von Insidergeschäften ist, lassen sich den anderen Sprachfassungen daher nicht entnehmen. Ausdrücklich vorgesehen sind Wissenselemente nicht nur in der deutschen, sondern auch in den übrigen Textfassungen der MAR, in Art. 8 Abs. 3 und 4 Unterabs. 2. Das Insiderhandelsverbot gilt nur für einen Sekundärinsider, der weiß oder wissen muss, dass es sich um Insiderinformationen handelt. Das Kenntniselement bezieht sich in Abs. 4 Unterabs. 2 zwar speziell auf die Einordnung der Informationen als Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 MAR. Implizit setzt dies jedoch voraus, dass Sekundärinsider die betreffenden Informationen kennen müssen. Nur in diesem Fall können sie auch die rechtliche Einordnung der relevanten Umstände leisten. Bei Primärinsidern ist es hingegen nicht von Belang, ob sie wissen oder wissen müssen, dass es sich bei den Insiderinformationen um solche handelt. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss der ausdrücklichen Normierung dieser Voraussetzung für Sekundärinsider in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR, die bei Primärinsidern fehlt. Für letztere ist die Insiderrelevanz angesichts ihres privilegierten Zugangs zu Informa-

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Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 6; Diversy/Köpferl, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, WpHG, § 38 Rdn. 154; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 8 MAR Rdn. 51; Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 13 Rdn. 416; Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289. 4 Hervorhebung durch die Verf.

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F. Insiderhandel

tionen regelmäßig zumindest erkennbar.5 Aus diesem Grund bedarf es einer diesbezüglichen Regelung für Primärinsider nicht. In Erwägungsgrund 26 der MAR nimmt der europäische Gesetzgeber daher ohne zwischen Primär- und Sekundärinsider zu unterscheiden an, dass die Person, die Insiderinformationen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR nutzt, weiß oder wissen muss, dass die Informationen Insiderinformationen sind.6 Aus der fehlenden Regulierung bezüglich der rechtlichen Einordnung von Insiderinformationen bei Primärinsidern lässt sich folglich nicht der Schluss ziehen, bei diesen setze Art. 8 MAR grundsätzlich keine Kenntnis von den betreffenden Umständen voraus. Lediglich auf das Bewusstsein, dass es sich um Insiderinformationen handelt, kommt es nicht an. Für die Person, die gem. Art. 8 Abs. 3 MAR eine Empfehlung oder Verleitung nutzt, stellt die Verordnung ausdrücklich klar, dass ein Insidergeschäft nur vorliegt, wenn sie weiß oder wissen sollte, dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht. Dass der europäische Gesetzgeber dies lediglich für diejenige Person voraussetzt, die einer Empfehlung oder Verleitung folgt, nicht hingegen für die Person, die das Geschäft empfiehlt oder zu ihm verleitet, deutet darauf hin, dass er wie selbstverständlich davon ausgeht, die empfehlende oder verleitende Person habe Kenntnis von den Insiderinformationen. Für die das Geschäft Ausführendenden ist dies nicht zwangsläufig der Fall. Sie sind nicht per se Insider und damit erst Normadressaten des Insiderhandelsverbots, wenn sie wissen oder zumindest wissen müssen, dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht. Selbst kennen müssen sie die Insiderinformationen nicht.7 b) Zweck Für die positive Kenntnis von Insiderinformationen als zwingende Voraussetzung eines Insidergeschäfts sprechen rechtsökonomische Erwägungen sowie die Aufgabe des Insiderhandelsverbots nach der Equal Access Theory, Informationsungleichgewichte durch Offenlegung oder Transaktionsverzicht auszugleichen. Eine Person, die Insiderinformationen kennt, hat nach dieser Theorie davon Abstand zu nehmen, ihren Informationsvorsprung in der Weise zu nutzen, ein Geschäft zum Nachteil anderer Marktteilnehmer zu tätigen. Wäre positive Kenntnis der Insiderinforma5 Vgl. auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 16; Bachmann, Das Europäische Insiderhandelsverbot, 2015, S. 31. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 121 gehen davon aus, bei Primärinsidern werde diese Kenntnis unwiderleglich vermutet; Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.151 und Zetzsche, in: Enzyklopädie Europarecht, Bd. 6, 2016, § 7 C Rdn. 129 sind der Auffassung, es bestehe eine widerlegbare Vermutung, dass ein Primärinsider die Insiderqualität kennt oder kennen muss. 6 Die Kommission ging schon für die Vorgängerregelung in der Marktmissbrauchsrichtlinie davon aus, einem Primärinsider seien die Insiderinformationen zugänglich und er sei sich deren Insidercharakters bewusst, siehe D. II. 2. c). 7 Diversy/Köpferl, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, WpHG, § 38 Rdn. 154, 165.

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

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tionen hingegen keine Voraussetzung eines Insidergeschäfts, würde das Insiderhandelsverbot bereits bei einer Person greifen, der die Insiderinformationen zugänglich sind und ein Geschäft würde bereits deshalb untersagt, weil Handel auf Grundlage dieser Informationen möglich gewesen wäre. Damit würde das Verbot alle Geschäfte erfassen, die einem solchen entsprächen, das getätigt würde, hätte die handelnde Person Sonderwissen. Um den Transaktionsverzicht umzusetzen, müsste eine Person überprüfen, ob ihr nicht öffentlich bekannte Informationen zur geplanten Transaktion zugänglich sind, um sich zu vergewissern, dass sie kein verbotenes Insidergeschäft tätigt. Das Insiderhandelsverbot soll allerdings Investoren vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen schützen.8 Hierfür ist nicht erforderlich, ein Geschäft zu verbieten, bei dem lediglich eine sich letztlich nicht realisierende Gefahr besteht, dass die handelnde Person Insiderinformationen nutzt. Lediglich das Verhalten eines Insiders, der Informationen im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern tatsächlich kennt und von seinem Sonderwissen zu deren Lasten profitiert, ist zu untersagen. Über Insiderinformationen verfügt i.S.d. Art. 8 MAR, wer einen Informationsvorteil genießt.9 In Unkenntnis der Insiderinformationen ein Geschäft tätigende Personen, die zufällig so handeln, wie wenn sie Sonderwissen gehabt hätten, sind den Informationshändlern gerade nicht strukturell überlegen und mindern nicht deren Anreiz zur Informationssuche. Ihr Verhalten wird auch nicht als unfair empfunden und ist dementsprechend nicht geeignet, das Anlegervertrauen zu erschüttern und die Investitionsfreudigkeit der Kapitalmarktteilnehmer zu mindern. Das Erfordernis positiver Kenntnis von Insiderinformationen steht daher im Einklang mit dem Prinzip des gleichberechtigten Informationszugangs.10 c) Entstehungsgeschichte Der MAR-Gesetzgeber verwendet für das reformierte Insiderhandelsverbot mit dem Verfügen über Insiderinformationen denselben Terminus wie in der Marktmissbrauchsrichtlinie11. Das in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie geregelte Insiderhandelsverbot war Gegenstand des EuGH-Urteils zur Spector Photo Group12. Einiges spricht dafür, dass der europäische Gesetzgeber den Formulierungen des Verfügens über Insiderinformationen bzw. des Besitzes von Insiderinformationen das gleiche Verständnis zugrunde gelegt hat wie der EuGH seinem Urteil, denn die Rechtsprechung des EuGH fand bei der Reform des Insiderrechts 8

Erwägungsgrund 24 der MAR. Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.70. 10 So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 98; ders., NZG 2017, 1285, 1290. 11 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 12 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107. 9

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F. Insiderhandel

Berücksichtigung: In Erwägungsgrund 24 der MAR werden die vom EuGH angestellten Überlegungen zu Verteidigungsrechten wieder aufgegriffen.13 Auch Art. 9 MAR basiert ersichtlich auf der Spector-Vermutung.14 Die Rechtsprechung des EuGH kann daher allgemein für das Insiderrecht der MAR und speziell für die verwendeten Begriffe des Verfügens und des Besitzes herangezogen werden.15 In seinem Urteil beschreibt das Gericht eine Insiderinformation, die im Besitz einer Person ist, als „integrale[n] Bestandteil ihres Entscheidungsprozesses“16. Kennt der Insider die Insiderinformationen nicht, können sie hingegen kein Bestandteil seines Entscheidungsprozesses sein.17 Der EuGH legt das Verständnis von einem Primärinsider zugrunde, der naturgemäß „jederzeit Zugang zu Insider-Informationen“ habe.18 Dennoch kann für ein Insidergeschäft nicht ein objektives Zur-VerfügungStehen der Insiderinformationen mit Kenntnisnahmemöglichkeit genügen, weil das Gericht der Auffassung ist, ein Insider, der Insiderinformation besitzt, habe einen Vorteil gegenüber „allen anderen Marktteilnehmern, denen [die] Information[en] unbekannt [sind]“.19 Der EuGH geht damit davon aus, dass dem Täter des Insidergeschäfts die Insiderinformationen bekannt sein müssen. Dieses Verständnis teilte auch der europäische Gesetzgeber bei der Normierung des Insiderhandelsverbots in der MAR. d) Zwischenergebnis Sowohl aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Zweck als auch aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass ein nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR verbotenes Insidergeschäft von einer Person ausgeführt wird, die positive Kenntnis von den die Insiderinformationen begründenden Umständen hat. Die Kenntnis wird nicht vermutet, sondern der Person muss nachgewiesen werden, dass

13 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110 f. 14 Siehe hierzu noch F. I. 4. d). 15 Allgemein für die Heranziehung der Auslegungsgrundsätze des EuGH im neuen Insiderrecht Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 36; Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.65 f.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 69; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3; Veil, ZBB 2014, 85, 91. 16 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 36. 17 So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 97; ders., NZG 2017, 1285, 1290. 18 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109. 19 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 111 Rdn. 52. In Erwägungsgrund 23 der MAR wurde dieser Gedanke aufgegriffen.

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

213

sie die maßgeblichen Tatsachen oder Umstände verstanden hat.20 Die Tatbestandsmerkmale des Verfügens i.S.d. Art. 8 MAR und des Besitzens i.S.d. Art. 9 MAR sind bei natürlichen Personen erfüllt, wenn die Informationen tatsächlich in das Bewusstsein der Person gedrungen sind.21 Dies gilt sowohl für Primär- als auch für Sekundärinsider. 2. Sekundärinsider, Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR Sekundärinsider unterscheiden sich von Primärinsidern dahingehend, dass für erstere nicht von Belang ist, wie sie von den Insiderinformationen erfahren haben. Für letztere muss ihre Stellung, Eigenschaft oder Handlung nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a-d MAR kausal für die Kenntniserlangung gewesen sein, da das Insiderhandelsverbot für sie ausdrücklich gilt, „weil“ sie dem genannten Personenkreis angehören.22 Zwar setzt Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a MAR die Organstellung als Merkmal der Primärinsider voraus und ist demnach auf natürliche Personen zugeschnitten. Für juristische Personen kommt allerdings die Erfüllung der Tatbestände der lit. b und c in Betracht.23 Die Eigenschaft des Sekundärinsiders dagegen kann einer juristischen Person beispielsweise als verbundenes Unternehmen (§ 15 AktG) zukommen, das nicht schon unter Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. b MAR fällt.24 Die Einordnung der Normadressaten als Primär- oder Sekundärinsider war nach bisheriger Rechtslage für die Strafbarkeit des Verhaltens relevant. Da strafrechtliche und bußgeldrechtliche Sanktionen gegen Insidergeschäfte für Primär- und Sekundärinsidern nun jedoch gleichermaßen gelten, wird der Unterscheidung zwischen denselben in Art. 8 Abs. 4 MAR nur geringe Bedeutung zugemessen.25 Sie ist allerdings maßgeblich für die subjektiven Voraussetzungen des Tatbestands von Art. 8 20 So auch Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.144, 147 f.; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 101; a.A. Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 383; unklar, ob die Kenntnis bzgl. der Qualität der Informationen oder grundsätzlich die Kenntnis der Insiderinformationen vermutet sein soll, Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 391. 21 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.144, 147 f. 22 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.129; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 121; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 392. 23 Vgl. davon ausgehend, dass eine GmbH eine Information „bei Ausübung einer Aufgabe“ gem. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. c MAR erhalten kann Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 13 Rdn. 407. 24 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 132. 25 Sie sei „praktisch gegenstandslos“, Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 9. Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 8 Rdn. 6 misst dem Verweis des Art. 10 Abs. 1 MAR auf Art. 8 Abs. 4 MAR „keine nennenswerte Bedeutung“ zu.

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F. Insiderhandel

MAR. Wird ein Sekundärinsider tätig, müssen für das Vorliegen eines verbotenen Insidergeschäfts strengere Voraussetzungen erfüllt sein als bei dem Handeln eines Primärinsiders, denn gegen das Insiderhandelsverbot verstößt ein Sekundärinsider ausschließlich, wenn er die Insiderrelevanz der betreffenden Informationen kannte oder hätte kennen müssen. Damit muss ihm über die Kenntnis der Insiderinformationen hinaus nachgewiesen werden, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass es sich bei den betreffenden Informationen um Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 MAR handelt. Im Gegensatz zu Primärinsidern kann sich ein Sekundärinsider darauf berufen, keine Kenntnis von der Qualität der Informationen als Insiderinformationen gehabt zu haben.26 Ob der Sekundärinsider positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Insiderrelevanz hatte, ist für die Sanktionierung relevant. Wusste er nicht, dass es sich um Insiderinformationen handelte, hätte es aber wissen müssen, begeht er keine Straftat gem. § 119 Abs. 3 WpHG, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit gem. § 120 Abs. 14 WpHG. 3. Am Beschluss Beteiligte, Art. 8 Abs. 5 MAR Art. 8 Abs. 5 MAR nimmt ausdrücklich Bezug auf Insidergeschäfte juristischer Personen. Nach Maßgabe des nationalen Rechts soll Art. 8 MAR auch für „die natürlichen Personen, die an dem Beschluss, den Erwerb, die Veräußerung, die Stornierung oder Änderung eines Auftrags für Rechnung der betreffenden juristischen Person zu tätigen, beteiligt sind oder diesen beeinflussen“, gelten. Wie die Vorgängerregelungen Art. 2 Abs. 2 der Insiderrichtlinie27 und der Marktmissbrauchsrichtlinie28 hat auch Art. 8 Abs. 5 MAR eine klarstellende Funktion.29 Da das Erwerbs- oder Veräußerungsverbot nach Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MAR auch für Geschäfte für fremde Rechnung gilt, unterliegen diese natürlichen Personen bereits dem Insiderhandelsverbot. Neben der Beteiligung am Beschluss müssen die übrigen Voraussetzungen eines Insidergeschäfts vorliegen und damit auch die

26 Die Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsidern ist auch für den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 3 MAR relevant, dem lediglich Primärinsider unterliegen, siehe F. I. 4. c). 27 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 28 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 29 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 39; Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 378 spricht von „überwiegend klarstellender Natur“, weil natürliche Personen das Empfehlungs- oder Verleitungsverbot nach Art. 14 lit. b i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MAR bereits trifft, wenn sie nur einen Tatbeitrag erbringen und nicht lediglich, wenn sie die alleinige Tatherrschaft innehaben. Siehe zu den Vorgängerregelungen D. II. 1. und 2.

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

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Kenntnis der natürlichen Person von den für das Geschäft maßgeblichen Insiderinformationen.30 4. Weitere wissensbezogene Voraussetzungen der Insidergeschäfte Neben der grundsätzlichen Voraussetzung, dass der Normadressat des Insiderhandelsverbots die Insiderinformationen kennt, enthalten die einzelnen Insidergeschäfte des Art. 8 MAR weitere wissensbezogene Tatbestandsmerkmale. a) Erwerbs- oder Veräußerungsverbot, Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MAR Verboten ist gem. Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MAR, dass eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert. Einen Bezug zur Voraussetzung der positiven Kenntnis von Insiderinformationen weisen das Tatbestandsmerkmal der Kausalität und die Diskussion um eine Gewinnerzielungsabsicht auf. aa) Kausalzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Insidergeschäft Die Aufzählung „verfügt und unter Nutzung“ in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR31 deutet darauf hin, dass es sich bei der Nutzung der Insiderinformationen neben dem Verfügen über Insiderinformationen um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal handelt. Das Verfügen als Tatbestandsmerkmal der Kenntnis von Insiderinformationen ist Voraussetzung ihrer Nutzung, weil andernfalls die Informationen schon begriffslogisch nicht genutzt werden können, einer Person also nicht dienlich bzw. von ihr einsetzbar sind. Es bleibt unvorstellbar, dass eine Person, die keine Kenntnis von Informationen hat, diese nutzt oder verwendet.32 Das Tatbestandsmerkmal der Nutzung geht über die Anforderung des Verfügens hinaus, denn der bloße Informationsvorteil, den der Insider genießt, ist lediglich der Ausgangspunkt für ein verbotenes Insidergeschäft.33 Die Nutzung von Insiderinformationen beschreibt eine Handlung, die in Kenntnis der Informationen vorgenommen wird.34

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Hierzu gehört die tatsächliche Durchführung des Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäfts bzw. die Stornierung oder Änderung eines Auftrags, Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 12. 31 Hervorhebung durch die Verf. 32 Ransiek, wistra 2011, 1, 2. 33 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.70. 34 Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3.

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F. Insiderhandel

Der MAR-Gesetzgeber hat der Voraussetzung der Nutzung das gleiche Verständnis zugrunde gelegt wie der EuGH seinem Urteil zur Spector Photo Group.35 Zwar erging das Urteil zum Begriff der Nutzung in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie36. Der europäische Gesetzgeber hat allerdings bei der Reform des Insiderrechts an die Erwägungen des EuGH angeknüpft.37 Das Gericht stellte klar, dass nicht „jeder über eine Insider-Information verfügende primäre Insider, der auf dem Markt ein Geschäft tätigt, automatisch unter das Verbot von Insider-Geschäften [fällt]“38. Er müsse vielmehr von dem Vorteil, den ihm die Information verschaffe, Gebrauch machen.39 Dieser Ursachenzusammenhang zwischen der Kenntnis der Insiderinformation und dem Geschäft muss allerdings nicht bewiesen werden, da der EuGH eine Vermutungsregel aufstellte, nach der Handeln in Kenntnis von Insiderinformationen die Nutzung impliziert.40 Diese Vermutung wird in Erwägungsgrund 24 der MAR aufgegriffen. Für die Auslegung des Art. 8 Abs. 1 MAR ergibt sich daher, dass der Insider Informationen i.S.d. Vorschrift nutzt, wenn er sie in sein Handeln einfließen lässt, das Geschäft nicht auch ohne die Insiderinformationen vornehmen würde, die Informationen also mitursächlich für die Vornahme des Geschäfts werden müssen.41 Dahingehend besteht auch nach der Reform des Insiderhandels durch die MAR eine widerlegliche Vermutung, wenn der Handelnde Kenntnis von Insiderinformationen hatte, sodass nicht bewiesen werden muss, dass der Insider das Geschäft zu einem bestimmten Zweck tätigte.42 Da der Erwägungsgrund 24 der MAR nicht zwischen Primär- und Sekundärinsidern unterscheidet, ist davon auszugehen, dass die Vermutung für beide Personengruppen gilt.43 35 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 36; Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.157; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 69; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3. 36 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 37 Vgl. F. I. 1. c). 38 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 110. 39 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 111. 40 Siehe D. III. 3. 41 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 31; Diversy/Köpferl, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, WpHG, § 38 Rdn. 165; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 69; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 409; a.A. Bachmann, Das Europäische Insiderhandelsverbot, 2015, S. 49 f. (Erzielen eines aus Sicht des Marktes unverdienten Vorteils statt Kausalitätskriterium). 42 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.158. 43 So auch Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.157; Klöhn, WM 2017, 2085, 2088. Dies war nach alter Rechtslage unklar, weil der EuGH im Spector-Urteil

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

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Damit die Kenntnis der Insiderinformationen ursächlich für das Insidergeschäft werden kann, muss sie zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Person die Order erteilt bzw. die letzte Entscheidung trifft, die zum Erwerb oder zur Veräußerung führt.44 Erteilt eine Person einen Auftrag in Bezug auf ein Finanzinstrument bevor sie den Besitz an den Insiderinformationen erlangt, liegt hingegen kein Insidergeschäft vor. Weiß die Person erst beim Verfügungsgeschäft von den Insiderinformationen, handelt es sich ebenfalls nicht um ein verbotenes Insidergeschäft.45 Wird hingegen ein Auftrag storniert oder geändert bzw. dies versucht, nachdem die Person die Insiderinformationen besitzt, wird gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 MAR ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot widerleglich vermutet.46 Die Vorgehensweise, ausnahmslos alle Aufträge, auf die sich Insiderinformationen beziehen, zu stornieren, nachdem eine Person den Besitz an den Insiderinformationen erlangt hat (sogenannte „blanket order cancellation policy“), verstößt nicht per se gegen das Insiderhandelsverbot. Auch für sie gilt jedoch die Nutzungsvermutung, sodass im Einzelfall nachgewiesen werden muss, dass die Stornierung tatsächlich ohne Verwendung der Insiderinformationen durchgeführt wurde.47 Keine Nutzung stellen eine automatische Einbuchung von Finanzinstrumenten im Rahmen von Fondsparplänen oder Aktienoptionsprogrammen sowie die Ausübung einer zuvor erworbenen Option dar, wenngleich der vorgelagerte Erwerb, die vorgelagerte Erklärung, an einem Programm teilzunehmen sowie die Änderung einer Dauer-Order in Kenntnis der Insiderinformationen vom Insiderhandelsverbot erfasst werden.48 Dem Kausalzusammenhang steht nicht entgegen, dass sich die betreffende Person nicht bewusst ist, dass es sich bei den Informationen, die mitursächlich für das von ihr getätigte Geschäft werden, um Insiderinformationen handelt.49 Weder das Verfügen teilweise ausdrücklich auf Primärinsider Bezug nimmt, vgl. EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 ff. Eine Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsidern findet sich in der MAR in diesem Zusammenhang hingegen nicht. 44 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 31; Diversy/Köpferl, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, WpHG, § 38 Rdn. 165; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 71; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 99; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3. 45 Vgl. Art. 9 Abs. 3 MAR. 46 Vgl. Erwägungsgrund 25 der MAR. 47 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation, 29. 03. 2019, ESMA70 – 145 – 111, Version 14, S. 10 f. 48 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 71; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3. 49 In Deutschland wird in diesem Fall allerdings auch das Geschäft des Primärinsiders, der im Gegensatz zum Sekundärinsider die Insiderqualität nicht nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR kennen muss, nicht geahndet, weil die § 119 Abs. 3 und 4 WpHG bzw. § 120 Abs. 14 WpHG vorsätzliches bzw. leichtfertiges Handeln voraussetzen, Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 35.

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F. Insiderhandel

über Insiderinformationen noch die Nutzung von Insiderinformationen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR setzen Kenntnis von der Qualität als Insiderinformationen voraus. bb) Keine Gewinnerzielungsabsicht Erforderlich ist die objektive Eignung des Geschäfts zur Erzielung eines wirtschaftlichen Sondervorteils,50 nicht hingegen eine diesbezügliche Absicht,51 denn der europäische Gesetzgeber hat für die MAR den Begriff der Nutzung wie in Art. 2 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie52 und nicht den der Ausnutzung wie in Art. 2 Abs. 1 der Insiderrichtlinie53 gewählt. Neben der positiven Kenntnis der Insiderinformationen und ihrer Ursächlichkeit für das konkrete Geschäft enthält Art. 8 Abs. 1 MAR damit kein weiteres wissensbezogenes Tatbestandsmerkmal. b) Empfehlungs- oder Verleitungsverbot, Art. 14 lit. b i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MAR Die Empfehlung eines Insidergeschäfts i.S.d. Art. 8 Abs. 2 MAR liegt vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und auf Grundlage dieser Informationen Dritten ein Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft empfiehlt bzw. sie hierzu verleitet (lit. a) oder empfiehlt, einen Auftrag zu stornieren oder zu ändern bzw. hierzu verleitet (lit. b). Die ursprüngliche Fassung der MAR spricht in ihrem Abs. 2 noch von der „Anstiftung“ eines Dritten. Der Begriff der Anstiftung, für den in der englischen Fassung „inducing“ verwendet wird, ist gleichwohl nicht als Anstiftung i.S.d. § 26 StGB zu verstehen.54 Die Berichtigung vom 21. Oktober 201655 stellt klar, dass, wie schon in Art. 3 lit. b der Marktmissbrauchsrichtlinie und der Umsetzungsnorm § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a.F., ein Verleiten gemeint ist. Verleiten i.S.d. Art. 8 Abs. 2 MAR ist die Beeinflussung des Willens eines anderen mit dem Ziel, ihn zu einem Erwerb oder zu einer Veräußerung zu bewegen oder auch eine Stornierung 50

Ob die Person einen Kursgewinn oder gar -verlust macht, ist unerheblich, Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 71. 51 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 69; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 3. 52 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 04. 2003, S. 16. 53 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30. 54 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 17. 55 Berichtigung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 287 vom 21. 12. 2016, S. 320, 321.

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

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oder eine Änderung eines Auftrags durchzuführen.56 Der Insider empfiehlt ein bestimmtes Verhalten, wenn er es als vorteilhaft darstellt und dessen Verwirklichung anrät.57 Die Empfehlung kann, wie bereits unter Geltung der Marktmissbrauchsrichtlinie, als spezieller Unterfall des Verleitens gesehen werden.58 Dass das Verleitungsverbot voraussetzt, dass der Insider die Informationen kennt, ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 Satz 1 MAR, der verlangt, die Person müsse über Insiderinformationen verfügen.59 Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich.60 Die Voraussetzung einer Handlung „auf der Grundlage dieser Informationen“ ist nur zu bejahen, wenn die Kenntnis von den Insiderinformationen zumindest mitursächlich für das Verleiten ist.61 Wäre eine Empfehlung auch ohne Insiderwissen abgegeben worden, ist der Tatbestand nicht erfüllt.62 Da sich die Argumente des EuGH in seinem Spector-Urteil63 auf die Tatbegehungsvariante des Verleitens übertragen lassen, ist auch hier von der widerleglichen Vermutung auszugehen, dass eine Person, die Kenntnis von Insiderinformationen hatte, auf der Grundlage dieser Informationen einem Dritten das Geschäft empfohlen bzw. einen Dritten hierzu verleitet hat.64

56 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 74; vgl. zur bisherigen Rechtslage BegrRegE zum AnSVG, BT-Drs. 15/3174 vom 24. 05. 2004, S. 34; Emittentenleitfaden der BaFin, Stand: 15. 07. 2005, III.2.2.2.2; Lösler, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, HdB der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 2 Rdn. 91. 57 Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 6; zu § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a.F. Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 71. 58 Siehe D. II. 2. 59 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 230; Schelm, in: Meyer/Veil/ Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 9 Rdn. 11. Andere entnehmen diese Voraussetzung dem Merkmal „auf der Grundlage dieser Informationen“, vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 76; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 8 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 5. 60 Zum Verleiten nach bisheriger Rechtslage Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 74. 61 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 83, 92; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 236; schon zur alten Rechtslage Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 14 Rdn. 120, 127; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 375, 380; Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 71. 62 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 375. 63 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107. 64 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rdn. 83; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 76; Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 237 f.; ders., WM 2017, 2085, 2091; zur alten Rechtslage ders., in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2014, § 14 Rdn. 500 f.; a.A. Schelm, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 9 Rdn. 13, der von einem dahingehenden Erfahrungssatz ausgeht.

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F. Insiderhandel

c) Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen, Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 3 MAR Gegen das Verbot von Insidergeschäften verstößt nicht nur derjenige, der nach Art. 14 lit. b i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MAR einem Dritten ein solches Geschäft oder eine Änderung empfiehlt bzw. ihn hierzu verleitet, sondern gem. Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 3 MAR auch derjenige, welcher der Empfehlung oder Verleitung folgt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Tippempfänger weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht, d. h. kausal auf diese zurückgeht. Er muss im Gegensatz zu demjenigen, der das Geschäft empfiehlt bzw. zu ihm verleitet, die Insiderinformationen aber nicht kennen.65 Folgt er der Empfehlung oder Verleitung in Kenntnis der Insiderinformationen, liegt auch ein Verstoß gegen den Grundtatbestand des Art. 8 Abs. 1 MAR vor.66 Da Art. 8 Abs. 3 MAR nicht verlangt, dass der Tippempfänger über die Informationen verfügt, unterliegen Sekundärinsider dem Anwendungsbereich dieses Insidergeschäfts nicht. Für sie setzt Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR voraus, dass sie die Insiderinformationen rechtlich zutreffend einordnen (müssen). Voraussetzung hierfür ist, dass sie die maßgeblichen Umstände kennen. Es entspricht jedoch nicht dem Telos des Nutzungsverbots, dass ihm lediglich Personen unterliegen, welche die Informationen kennen. Vielmehr soll gerade ein erweitertes Verbot für Tippempfänger erreicht werden, indem das Wissen(müssen), dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht, bereits für ein Insidergeschäft i.S.d. Art. 8 Abs. 3 MAR ausreicht.67 Auch Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 MAR ist nicht auf das Nutzungsverbot anwendbar, da die Art und Weise der Kenntniserlangung nicht von Bedeutung sein kann, wenn schon nicht erforderlich ist, dass die Person die Insiderinformationen kennt. Da der europäische Gesetzgeber für die in Art. 10 MAR geregelte unrechtmäßige Offenlegung die Anwendung des Art. 8 Abs. 4 MAR dementsprechend in Art. 10 Abs. 1 MAR ausdrücklich auf die Weitergabe von Insiderinformationen beschränkt hat, kann es sich bei dem Fehlen einer solchen Einschränkung in Art. 8 MAR nur um ein Versehen handeln.68 Es kann nicht von der Kenntnis der Empfehlung oder Verleitung auf die Nutzung derselben geschlossen werden, wenn das entsprechende Geschäft getätigt bzw. der Auftrag storniert oder geändert wird. Da Art. 8 Abs. 3 MAR nicht voraussetzt, dass die Person die Insiderinformationen kennt, sind sie nicht „integraler Bestandteil ihres Entscheidungsprozesses“69. Diese der Spector-Vermutung zugrunde liegende Überlegung trifft auf die Nutzung einer Empfehlung oder Verleitung daher nicht zu, 65

Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 421; Klöhn, AG 2016, 423, 433. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 422; Klöhn, AG 2016, 423, 432. 67 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 17, 245 f. 68 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 17, 245 f. 69 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 109 Rdn. 36. 66

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

221

zumal ausreichend ist, dass die Person weiß oder wissen sollte, dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht.70 d) Legitime Handlungen, Art. 9 MAR Mit Art. 9 MAR hat der europäische Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert, nach der die Nutzung von Insiderinformationen zu vermuten ist, wenn der Insider über sie verfügt. In der Vorschrift sind nun Ausnahmen von dieser Spector-Vermutung aufgelistet. Die Fallgruppen sind nicht abschließend aufgezählt.71 Die in Art. 9 Abs. 1 bis 5 MAR normierten legitimen Handlungen haben tatbestandsausschließende Wirkung72 und zeichnen sich dogmatisch durch eine fehlende Kausalität zwischen dem Besitz der Insiderinformationen und der Nutzung in Form des Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäfts eines Finanzinstruments aus.73 Liegen die Voraussetzungen einer in Art. 9 Abs. 1 bis 5 MAR normierten legitimen Handlung vor, kann von der Kenntnis der Insiderinformationen nicht auf deren Nutzung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR geschlossen werden, denn in diesen Fällen ist die Vermutung der Nutzung widerlegt.74 Im Gegensatz zur Vorgängerregelung in § 14 Abs. 2 WpHG a.F. lässt sich Art. 9 MAR dogmatisch nicht als Bereichsausnahme im Sinne einer safe harbour-Regelung einordnen, da der BaFin vorbehalten ist, die Rechtswidrigkeit des betreffenden Geschäfts festzustellen, sofern gem. Art. 9 Abs. 6 MAR ein „rechtswidriger Grund“ besteht.75 Das Wissen der Insider um die Insiderinformationen setzen die legitimen Handlungen des Art. 9 MAR voraus,76 denn die Vermutung, das Wissen sei genutzt worden, bedarf nur der Widerlegung, wenn die Vermutung durch Insiderwissen ausgelöst wurde. Anstelle des Verfügens über Insiderinformationen wird in Art. 9 70

Klöhn, WM 2017, 2085, 2092. Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 9 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 1; Klöhn, ZBB 2017, 261, 262; H. Krause, CCZ 2014, 248, 253; von der Linden, DStR 2016, 1036, 1038; Poelzig, NZG 2016, 528, 533; Renz/Leibold, CCZ 2016, 157, 161; Veil, ZBB 2014, 85, 91. 72 Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 13 Rdn. 398; Szesny, DB 2016, 1420, 1424; Veil, ZBB 2014, 85, 91. 73 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 411. 74 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 9 Rdn. B.9.12; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 411; H. Krause, CCZ 2014, 248, 252; Renz/Leibold, CCZ 2016, 157, 161; Veil, ZBB 2014, 85, 92. 75 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 9 Rdn. B.9.06 ff.; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 411; Klöhn, ZBB 2017, 261, 262; H. Krause, CCZ 2014, 248, 253; Renz/Leibold, CCZ 2016, 157, 161; Veil, ZBB 2014, 85, 92; zur alten Rechtslage Ritz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 14 Rdn. 154. Dass die Behörde die Rechtswidrigkeit eines mit Art. 9 Abs. 1 bis 5 MAR übereinstimmenden Verhaltens feststellen kann, zeigt, dass der Titel „Legitime Handlungen“ streng genommen unzutreffend ist, Hansen, in: Ventoruzzo/ Mock, MAR, 2017, Art. 9 Rdn. B.9.19. 76 Zu den Art. 9 Abs. 1 MAR zu entnehmenden Rückschlüssen auf die Wissenszurechnung sogleich F. II. 71

222

F. Insiderhandel

MAR die Formulierung des Besitzes von Insiderinformationen verwendet, um positive Kenntnis von derselben zu umschreiben, bzw. in Art. 9 Abs. 5 MAR ausdrücklich das Wissen einer Person erwähnt. Ob eine legitime Handlung vorliegt, ist daher nur für solche Personen relevant, die in Kenntnis von Insiderinformationen eine Transaktion vorgenommen haben. aa) Juristische Personen, Art. 9 Abs. 1 MAR Speziell für juristische Personen normiert Art. 9 Abs. 1 MAR eine SpectorAusnahme. Von der Nutzung von Insiderinformationen ist nicht auszugehen, wenn die juristische Person interne Regelungen etabliert hat, durch die sichergestellt wird, dass weder die natürliche Person, die in ihrem Auftrag den Beschluss gefasst hat, das Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft, auf das sich die Informationen beziehen, durchzuführen, noch irgendeine andere natürliche Person, welche diesen Beschluss beeinflusst haben könnte, im Besitz der Insiderinformationen gewesen ist (lit. a). Ebenso darf die juristische Person die für sie handelnde natürliche Person nicht beeinflussen (lit. b). Wie bereits Art. 8 Abs. 1, 2 und 4 MAR für den Fall, dass eine juristische Person als Primär- oder Sekundärinsiderin ein Insidergeschäft tätigt, davon ausgeht, dass sie über Insiderinformationen verfügt, setzt auch die SpectorAusnahme nach Art. 9 Abs. 1 MAR voraus, dass eine juristische Person Insiderinformationen besitzt und damit Kenntnis von ihnen hat. Der Grund dafür, dass der Tatbestand des Insidergeschäfts entfällt, wenn die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 MAR vorliegen, ist im konkreten Fall die fehlende Auswirkung des Insiderwissens der juristischen Person auf die Aktivität der für sie handelnden natürlichen Person.77 bb) Natürliche Personen, Art. 9 Abs. 2, 3, 4 und 5 MAR Für natürliche Personen sieht Art. 9 MAR in den Abs. 2 bis 5 Ausnahmen von der Spector-Vermutung vor. Market-Maker78 oder als Gegenpartei zugelassene Personen dürfen gem. Art. 9 Abs. 2 lit. a MAR im Zuge der normalen Ausübung ihrer Funktion Insiderinformationen verwenden, ohne dass sie ein verbotenes Insidergeschäft tätigen. Bei dieser Fallgestaltung fehlt es nicht an der Kausalität zwischen dem Insiderwissen und dem konkreten Geschäft. Hintergrund der Bereichsausnahme ist die stabilisierende Wirkung auf die Kursentwicklung.79 77

Klöhn, ZBB 2017, 261, 265. Die MAR verweist in Art. 3 Abs. 1 Nr. 30 auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 7 MiFID II (Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 05. 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 349), der einen Market-Maker als Person definiert, „die an den Finanzmärkten auf kontinuierlicher Basis ihre Bereitschaft anzeigt, durch den An- und Verkauf von Finanzinstrumenten unter Einsatz des eigenen Kapitals Handel für eigene Rechnung zu von ihr gestellten Kursen zu betreiben“. 79 Klöhn, ZBB 2017, 261, 266. 78

I. Bedeutung des Wissens in Art. 8, 9 MAR

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Bereits keinen Einfluss hat dagegen das Insiderwissen der Person, die für die Ausführung von Aufträgen Dritter zugelassen ist und in diesem Rahmen ein Geschäft tätigt. Gem. Art. 9 Abs. 2 lit. a MAR ist die Durchführung solcher Kundengeschäfte daher eine legitime Handlung. Gleiches gilt gem. Art. 9 Abs. 3 MAR für Geschäfte, die lediglich der Erfüllung einer fälligen vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtung dienen, die vor Erhalt der Insiderinformationen entstanden ist. Für Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse sieht Art. 9 Abs. 4 MAR vor, dass in diesem Zusammenhang erworbene Insiderinformationen genutzt werden dürfen, um die Übernahme bzw. den Zusammenschluss weiterzuführen, sofern sie vor der Angebotsannahme bzw. der Genehmigung des Zusammenschlusses öffentlich gemacht werden oder auf andere Weise ihren Charakter als Insiderinformationen verlieren. Die Übernahme soll nicht hindern, dass Bieter im Zusammenhang mit der Transaktion Kenntnis von Insiderinformationen erhalten. Zwar kann das Insiderwissen mitursächlich für die Höhe des konkreten Angebots sein. Da die Insiderinformationen vor Abschluss der Transaktion offengelegt werden, beruhen die Konditionen letztlich allerdings nicht auf Insiderwissen, weil kein Informationsvorsprung des Bieters besteht und die Aktionäre der Zielgesellschaft daher beurteilen können, ob die Informationen angemessen im Übernahmepreis berücksichtigt wurden.80 Art. 9 Abs. 5 MAR stellt klar, dass eine natürliche Person eigene Entschlüsse umsetzen darf. Dass ein Geschäft notwendigerweise die „vorherige Entscheidung seines Urhebers“ voraussetzt, reicht für ein Insidergeschäft nicht aus,81 denn die Entscheidung über ein Geschäft ist eine selbst geschaffene Insiderinformation.82 Das Wissen vom eigenen Entschluss ist nicht ursächlich für die Umsetzung des Geschäfts. Diese fehlende Kausalität zwischen der Erlangung der Insiderinformation und der Transaktion wird in keinem Fall widerlegbar sein.83 Die in Art. 9 Abs. 2 bis 5 MAR geregelten Spector-Ausnahmen kommen natürlichen Personen zugute, die im Besitz von Insiderinformationen sind, diese also kennen. Ihnen wird in Abs. 2 lit. a die Ausübung ihrer kursstabilisierenden Funktion zugebilligt, in Abs. 4 die Weiterführung öffentlicher Übernahmen ermöglicht und in den Fällen der Abs. 2 lit. b, Abs. 3 die Last genommen, den Nachweis zu erbringen, dass ihr Insiderwissen rechtlich oder tatsächlich keinen Einfluss auf ihr Handeln hatte.

80

Klöhn, ZBB 2017, 261, 269. EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08 (Spector Photo Group), EU:C:2009:806, NZG 2010, 107, 111 Rdn. 60. 82 Erwägungsgrund 54 Satz 3 der MAR, der explizit Gegenteiliges besagt, ist lediglich aufgrund eines Redaktionsversehens nicht wieder gestrichen worden, Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 93. 83 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 598. 81

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F. Insiderhandel

5. Zwischenergebnis Die subjektiven Anforderungen der Tatbestände von Insidergeschäften ergeben sich nicht erst aus den jeweiligen mitgliedstaatlichen Sanktionsnormen, sondern aus der europäischen Verordnung selbst. Die Normadressaten des Verbots von Insidergeschäften nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 Abs. 1 und 2 MAR müssen über Insiderinformationen verfügen und damit positive Kenntnis von den insiderrelevanten Umständen haben. Haben Personen diese Kenntnis nicht zufällig, sondern aufgrund ihrer Eigenschaft oder Handlung nach Art. 8 Abs. 4 lit. a-d MAR erlangt, werden sie als Primärinsider bezeichnet. Alle übrigen Personen unterliegen als Sekundärinsider dem Insiderhandelsverbot, sofern sie wissen oder wissen müssen, dass die ihnen bekannten Informationen Insiderqualität aufweisen. Bei Primärinsidern ist diese Einordnung keine Voraussetzung eines Insidergeschäfts, weil der europäische Gesetzgeber schlicht davon ausgeht, dass sie sich der Insiderrelevanz schon wegen ihres privilegierten Zugangs zu den Informationen bewusst sein müssen. Eine Handlung in Kenntnis von Insiderinformationen begründet sowohl für Primär- als auch Sekundärinsider die widerlegliche Vermutung, dass sie die Informationen genutzt haben (Art. 8 Abs. 1 MAR), die Informationen also ursächlich für ihr Geschäft waren, oder eine Empfehlung oder Verleitung auf den Informationen beruht (Art. 8 Abs. 2 MAR). Da der Tippempfänger hingegen die Insiderinformationen nicht kennen muss, sondern gem. Art. 8 Abs. 3 MAR lediglich die Tatsache, dass die Empfehlung oder Verleitung auf solchen beruht, ist für eine Vermutung kein Raum. Aus dem gleichen Grund findet Art. 8 Abs. 4 MAR auf die Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen keine Anwendung. Die in Art. 9 MAR als Besitz bezeichnete positive Kenntnis von Insiderinformationen führt bei einem Insidergeschäft nach Art. 8 Abs. 1 MAR ausnahmsweise nicht zu dieser Vermutung, sofern die Voraussetzungen einer legitimen Handlung vorliegen. Diese gesetzlich fixierten Ausnahmen von der Spector-Vermutung kommen jeweils juristischen oder natürlichen Personen in Fällen zugute, bei denen es sich um ökonomisch sinnvolles Market Making handelt oder das Insiderwissen als Informationsvorsprung rechtlich oder tatsächlich keinen Einfluss auf das konkrete Geschäft bzw. den Geschäftsentschluss haben konnte.

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen Im Gegensatz zur Ad-hoc-Publizitätspflicht bezieht sich das Insiderhandelsverbot des Art. 14 lit. a und b MAR mit den Art. 8 und 9 MAR auf Vorschriften, welche die Kenntnis oder das Kennenmüssen von bestimmten Umständen für erheblich erklären, und damit auf Wissensnormen.84 Die Frage des Kennen(müssen)s stellt sich 84

Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 2; Taupitz, FS Lorenz, 1994, S. 673, 680.

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

225

nicht erst beim zivilrechtlichen Schadensersatz, da sich das Kenntniserfordernis aus den Art. 8 und 9 MAR und damit der europäischen Verordnung selbst ergibt. Der europäische Gesetzgeber differenziert terminologisch nicht zwischen natürlichen oder juristischen Personen, die i.S.d. Art. 8 Abs. 1, 2 und 4 MAR über Insiderinformationen „verfügen“, und geht in Art. 9 Abs. 1 bis 4 MAR davon aus, dass beide Insiderinformationen „besitzen“. Bei natürlichen Personen handelt es sich, abgesehen von der Beweisproblematik der Kenntnis, die Gerichte oft nur mithilfe von Indizien lösen können, die auf das Wissen um die Informationen schließen lassen,85 um die rein tatsächliche Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis erfüllt ist. Die natürliche Person verfügt über Insiderinformationen bzw. besitzt sie, wenn die Insiderinformationen in ihr Bewusstsein gedrungen sind und sie die relevanten Umstände verstanden hat.86 Die schwieriger zu beantwortende rechtliche Frage, wann eine juristische Person Kenntnis von Insiderinformationen hat, regelt die Verordnung nicht explizit. Auf europäischer Ebene gibt es auch außerhalb der MAR, soweit ersichtlich, keine Wissenszurechnungsvorschriften oder -grundsätze. Lediglich zu Art. 9 Abs. 1 MAR wird vertreten, er enthalte implizit eine Wissenszurechnungsregel.87 Ausdrücklich normiert sind hingegen nur die Voraussetzungen für die Widerlegung der SpectorVermutung, nach der Handeln in Kenntnis von Insiderinformationen eine Nutzung derselben darstellt. Somit ist weniger die Zurechnung an sich geregelt, sondern vielmehr nur die Abwehrmöglichkeit der Konsequenz dieser Zurechnung. Art. 9 MAR geht von einer in Kenntnis der Insiderinformationen handelnden juristischen Person aus und damit von einer solchen, der das Wissen bereits zugerechnet wurde.88 Die Norm stellt keine Wissenszurechnungsvorschrift dar, deren Regelungszweck die Beantwortung der Frage ist, auf das Wissen welcher natürlichen Person es bei einer in Kenntnis von Insiderinformationen handelnden juristischen Person ankommt.89 Gleichwohl lässt Art. 9 MAR Rückschlüsse auf die Vorstellung des europäischen Gesetzgebers von einer juristischen Person, die Kenntnis von Insiderinformationen hat, zu. Wenngleich Art. 9 Abs. 1 MAR seinem Wortlaut nach nur für das Insiderhandelsverbot gilt, nicht hingegen für die sonstigen Verbote,90 sind die Hinweise auf den Kenntnisbegriff bei juristischen Personen auch für die anderen Insidergeschäfte des Art. 8 MAR relevant, weil in den englischen, französischen und spanischen Sprachfassungen wörtlich übersetzt jeweils von dem „Besitz“ von Insiderinformationen die Rede ist. Allein das dem europäischen Insiderrecht zugrunde liegende 85 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.147; Klöhn, WM 2017, 2085, 2091. 86 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.144, B.8.147 f. 87 Klöhn, ZBB 2017, 261, 264. 88 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1290 f. 89 Von einer Wissenszurechnungsnorm bzw. -vorschrift sprechen hingegen Veil, in: Meyer/ Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 54 und Klöhn, NZG 2017, 1285, 1290. 90 Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 402.

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F. Insiderhandel

Verständnis, nicht hingegen eine nationale Wissenszurechnungsnorm91 oder ein nationaler Wissenszurechnungsgrundsatz, ist für die neue Rechtslage zum Insiderhandel maßgeblich. Mitgliedstaatliche Wissenszurechnungsgrundsätze können angesichts der vollharmonisierenden Wirkung des reformierten Marktmissbrauchsrechts nicht zu einer Einschränkung oder Erweiterung des Insiderhandelsverbots führen,92 sondern lediglich als Vorbild für die Zurechnung auf europarechtlicher Ebene dienen. Eine sorgfältige autonome Auslegung der Art. 8 und 9 MAR ist für die Ermittlung von Grund, Gegenstand, Voraussetzungen und Grenzen der Wissenszurechnung nach der Reform des Verbots von Insidergeschäften durch die MAR unerlässlich. 1. Zurechnungsgrund Kapitalmarktintegrität Die Begründung der Wissenszurechnung hängt von dem konkreten Regelungsumfeld der Wissensnorm ab. Um die Reichweite der Wissenszurechnung im Kontext des Verbots von Insidergeschäften zu ermitteln, sind die Wertungen und Prinzipien zu untersuchen, die der europäische Gesetzgeber dem Kenntnisbegriff für juristische Personen im Insiderrecht zugrunde gelegt hat. Die enge Verknüpfung der Wissenselemente mit der Widerlegung der Vermutung des Art. 9 Abs. 1 MAR durch organisatorische Vorkehrungen weist eine Parallele zur These der Wissensverantwortung auf, der die Vorstellung zugrunde liegt, die juristische Person sei verpflichtet, intern vorhandene Kenntnisse ordnungsgemäß zu organisieren.93 Die Begründung der Wissenszurechnung mit der Wertung, der Geschäftspartner dürfe darauf vertrauen, dass der Vertreter, mit dem er verhandeln und abschließen soll, voll informiert ist,94 könnte im Insiderrecht dahingehend verstanden werden, dass der Anleger darauf vertraut, die Handelsaktivität der juristischen Person sei unbeeinflusst von Insiderwissen. Auf die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Marktintegrität weisen im Zusammenhang mit Insidergeschäften die Erwägungsgründe 23 und 24 der MAR hin. Anleger sollen davon ausgehen dürfen, dass eine juristische Person ordnungsgemäß organsiert ist, sodass kein Insiderwissen in die in ihrem Namen getätigten Geschäfte einfließt. Das Verkehrs- und Vertrauensschutzargument kann zur Begründung der Wissenszurechnung dennoch nicht herangezogen werden. Dies zeigt die Konstellation eines Anlegers, der weiß, dass sein konkreter Vertragspartner keine Informationsbarrieren oder anderweitige Vorkehrungen geschaffen hat, um zu verhindern, dass der für sie Handelnde keine Insiderinformationen nutzt. In diesem Fall bestehen keine berechtigte Erwartung und kein 91 Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 9 MAR Rdn. 22. Schlichte Verweise auf die § 166 BGB, § 31 BGB analog finden sich hingegen bei Poelzig, Kapitalmarktrecht, 2018, § 13 Rdn. 398, 407. 92 Vgl. E. I. 93 In diese Richtung Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 413. 94 So W. Schultz, NJW 1996, 1392, 1393. Vgl. zum Verkehrs- und Vertrauensschutzargument C. II. 2.

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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schutzwürdiges Vertrauen des Anlegers. Dies müsste einer Wissenszurechnung an seinen Vertragspartner entgegenstehen. Es entspricht jedoch nicht dem Zweck der Verordnung, Insiderhandel unabhängig von einem konkreten Schaden des Anlegers und damit auch unabhängig von der Schutzwürdigkeit seines konkreten Vertrauens im Einzelfall zu unterbinden.95 Auch der Gedanke des Risikoprinzips96 lässt sich für das Insiderhandelsverbot nicht in seinem ursprünglichen Sinn fruchtbar machen. In arbeitsteiligen Organisationen besteht eine absolut größere Menge an Wissen, die sich grundsätzlich mit höherer Wahrscheinlichkeit in Wissenssynergien realisiert, die für den Vertragspartner vorteilhaft sind.97 Im Insiderrecht zeigt sich der spiegelbildliche Nachteil, weil die organisationsbedingte Wissensvermehrung die Gefahr von Insiderhandel signifikant erhöht. Durch die Informationsweitergabe innerhalb der juristischen Person vergrößert sich der Kreis von Insidern. Dieses Risiko der Wissensakkumulation kann die juristische Person durch Informationsbarrieren beherrschen. Die Wissensorganisation zur Verhinderung von Insidergeschäften stellt hingegen keine Kompensation für das Risiko der Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung dar. Nur dieses wird unter Zugrundelegung des Risikoprinzips als Begründung für die Wissenszurechnung angeführt.98 Die Isolierung des Wissens und die Abschottung des Handelnden von den Insiderinformationen ist im Kapitalmarktrecht gerade notwendig zur Verhinderung von Insiderhandel. Nur die Wissensakkumulation, nicht hingegen eine -aufspaltung, kann die Wissenszurechnung rechtfertigen. Grund für die Wissenszurechnung könnte die Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen hinsichtlich der zu befolgenden Regelungen sein. Sie ist laut Erwägungsgrund 5 der MAR erklärtes Ziel der Verordnung. Der Grundgedanke, der Vertragspartner einer arbeitsteiligen Organisation solle nicht besser, aber auch nicht schlechter stehen, als würde er einer einzelnen natürlichen Person gegenüberstehen, rechtfertigt keine Wissenszusammenrechnung, weil eine einzelne Person niemals über das gesamte Wissen aller Mitarbeiter der juristischen Person verfügen würde.99 Im Insiderhandel steht der Heranziehung des Gleichstellungsarguments nicht die ausschließliche Adressierung an einen Typus von Person – wie im Fall der nur an Emittenten und damit ausschließlich an juristische Personen gerichtete Ad-hocPublizitätspflicht gem. Art. 17 MAR – entgegen. Allerdings ist bereits fragwürdig, ob eine Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen erreicht werden kann, weil letztere im Gegensatz zu einzelnen Personen typischerweise umfangreicher Informationen aufnehmen.100 Die Gefahr, dass Insiderhandel überhaupt stattfinden kann, ist bei einer juristischen Person schon aus dem Grund höher, dass 95

Vgl. B. III. 2. b). Dazu C. II. 3. 97 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 207. 98 Vgl. Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 226, 270 ff. 99 Siehe C. II. 4. 100 Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 190 f. 96

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F. Insiderhandel

die Vielzahl natürlicher, der Gesellschaft angehörenden Personen absolut mehr wissen. Mangels Vergleichbarkeit scheidet die Heranziehung des Gleichstellungsarguments aus. Die Aussage des Erwägungsgrundes 5 der MAR erschöpft sich darin, dass, wie Art. 3 Abs. 3 Nr. 13 MAR ausdrücklich klarstellt, „Person“ im Sinne der Verordnung eine natürliche oder juristische sein kann, sie also gleichermaßen Normadressaten auch des Insiderhandelsverbots gem. Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR sind. Den angeführten, dem Privatrecht bekannten Begründungsansätzen ist gemein, dass sie den Schutz des Vertragspartners im Blick haben. Dieser soll bei dem konkreten Geschäft nicht benachteiligt werden.101 Diese Wertung liegt dem Verbot von Insidergeschäften jedoch nicht zugrunde. Die Regelungsziele des Insiderrechts sind der Funktions- und Anlegerschutz. Mit dem Insiderhandelsverbot wird zwar eine mittelbar individualschützende Wirkung erreicht. Der Schutz einzelner Anleger ist allerdings nicht das primäre Regelungsziel.102 Auch für die Wissenszurechnung im Insiderrecht ist die Benachteiligung des konkreten Geschäftspartners lediglich ein Reflex und determiniert nicht das Ausmaß der Zurechnung. Die Regelung der legitimen Handlungen in Art. 9 MAR zeigt, dass unabhängig von dem konkreten Fall angemessene und wirksame interne Regelungen und Verfahren eingeführt werden sollen, um generell auszuschließen, dass Entscheidungsträger über Insiderwissen verfügen oder von Wissenden beeinflusst werden. Ziel der Regelung ist es, die Gefahr von Insiderhandel zur Stärkung der Kapitalmarktintegrität allgemein zu minimieren. Der überindividuell konzipierte Anlegerschutz rechtfertigt damit eine weitreichende Wissenszurechnung, welche nicht die Verletzung einer Informationsorganisationspflicht voraussetzt. Die in Art. 9 Abs. 1 MAR gesetzlich fixierte Option zum Selbstschutz bietet der juristischen Person die Möglichkeit, mittels einer ordnungsgemäßen Wissensorganisation die Folgen der umfassenden Wissenszurechnung abzuwehren.103 Wenngleich gesetzlich nur festgehalten ist, wie durch Wissensorganisation der Tatbestand des Art. 8 Abs. 1 MAR ausgeschlossen werden kann, rechtfertigt die Möglichkeit des Informationsmanagements auch für die anderen Varianten eines Insidergeschäfts die Wissenszurechnung, denn sie ermöglicht der juristischen Person den Nachweis, dass sich Insiderwissen nicht auf die Handelsaktivität ausgewirkt hat. Die Grenze der Wissenszurechnung stellt der für die juristische Person beherrschbare Organisationsbereich dar, da sie die Folgen der Zurechnung andernfalls nicht abwehren könnte.

101 Vgl. BGH, Urt. v. 12. 03. 1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754, 1754 f.; BGH, Urt. v. 24. 01. 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100; im beweglichen System der Risikotheorie soll ein rechtsgeschäftlicher Kontakt zur Zeit der Risikoschaffung zumindest höhere Anforderungen an die Wissensorganisation der arbeitsteiligen Organisation rechtfertigen, Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 274 f. 102 Siehe B. III. 2. b) cc). 103 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 9 Rdn. 7.

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2. Zurechnungsstandards Die Art. 8 und 9 MAR enthalten mit der positiven Kenntnis und dem Kennenmüssen zwei verschiedenartige Wissensstandards. Dementsprechend unterscheiden sich die Voraussetzungen, die zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Verfügens und Besitzens i.S.d. Art. 8 Abs. 1, 2 und 4 und Art. 9 Abs. 1 MAR einerseits und diejenigen des Wissenmüssens i.S.d. Art. 8 Abs. 3 und 4 Unterabs. 2 MAR andererseits vorzuliegen haben. a) Positive Kenntnis Insider verfügen über Insiderinformationen bzw. besitzen diese i.S.d. Insidervorschriften, wenn sie ihnen bekannt sind. Wie bereits festgestellt, ist diese positive Kenntnis von Insiderinformationen nachzuweisen.104 Bezugspunkt des Wissens sind die insiderrelevanten Tatsachen selbst, nicht hingegen deren rechtliche Einordnung. Ist der Insider eine natürliche Person, setzt das Insidergeschäft voraus, dass er wissentlich handelt, das Geschäft also in einem Zustand tätigt, in dem die Insiderinformationen in sein Bewusstsein gedrungen sind. Zwar ist auch das Wissenselement für eine juristische Person letztlich streng subjektiv, weil es von der Beurteilung des psychischen Zustands einer natürlichen Person abhängt.105 Die Frage, wann von einem wissentlichen Handeln einer juristischen Person auszugehen ist, ist gleichwohl schwieriger zu beantworten, weil weitere Aspekte zu berücksichtigen sind. Entscheidend sind in diesem Kontext die Fragen, ob und in welchem Umfang eine Zusammenrechnung von Handlung und Wissen bzw. von Wissen verschiedener Wissensträger, eine Zurechnung privat erlangten Wissens und in Speichermedien festgehaltener Teilinformationen zulässig sind. aa) Wissenszusammenrechnung (1) Auseinanderfallen von Wissensträger und Handelndem Tätigt eine natürliche Person in Kenntnis von Insiderinformationen ein Insidergeschäft für eine juristische Person, verstößt letztere gegen das Verbot des Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR. In diesem Fall findet eine handlungsabhängige Wissenszurechnung, also eine Zurechnung des Wissens von derjenigen Person, die für die juristische Person eine Handlung vorgenommen hat, statt. Bei einer arbeitsteiligen Organisation ist es allerdings auch denkbar, dass eine Person für die Organisation ein Geschäft tätigt, während lediglich eine andere Person von den sich auf das Geschäft beziehenden Insiderinformationen weiß. Die Person des Wissensträgers und diejenige des Handelnden sind nicht zwingend identisch. Zu denken 104

Siehe F. I. 1. d). So allgemein zum Wissensbegriff des Art. 8 Abs. 1 MAR Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.144. 105

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F. Insiderhandel

ist beispielsweise an die Situation, dass ein Mitarbeiter A einer Bank Aktien einer AG verkauft, ohne Insiderinformationen zu kennen, und zeitgleich ein oder mehrere Mitarbeiter B einer anderen Abteilung der Bank die AG hinsichtlich eines Delistings beraten. Fraglich ist, ob der juristischen Person auch das Wissen von am Geschäft Unbeteiligten (hier B) zurechenbar ist. Ein verbotenes Insidergeschäft liegt, sofern die wissende und die für die juristische Person handelnde Person auseinanderfallen, nur vor, wenn die Wissenszurechnung in den Art. 8 und 9 MAR handlungsunabhängig konzipiert ist.106 Bildet das in einer Wissensnorm vorausgesetzte Wissen eine untrennbare Einheit mit dem hiervon gesteuerten Verhalten, spricht dies dafür, nicht das Wissen als solches, sondern das wissensgetragene rechtserhebliche Verhalten zuzurechnen. Konsequenz dieser verhaltensbezogenen Wissenszurechnung, welche die Funktion des Wissens als Ausgangspunkt nimmt, ist, dass der jeweilige Wissensträger auch die übrigen nach der Wissensnorm vorausgesetzten Merkmale erfüllen muss.107 Da das Wissen allein keine nachteiligen Rechtsfolgen rechtfertigt, kann eine Wissensnorm, die positive Kenntnis voraussetzt, im Wege der Zurechnung nur ausgefüllt werden, wenn die Handlungsverantwortung mit der Wissensträgerschaft in einer natürlichen Person zusammenfallen.108 Das Insiderhandelsverbot nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR untersagt nicht, Insiderinformationen zu kennen, sondern sie zu nutzen bzw. auf ihrer Grundlage Dritte zu einem Geschäft zu verleiten. Das Insiderwissen muss demnach die Handlung einer für die juristische Person tätigen natürlichen Person beeinflussen. Zwar legt dies eine handlungsabhängige Wissenszurechnung nahe. Eine solche leugnet allerdings, dass neben den für die Wissensnorm maßgeblichen Umständen sonstige Kriterien zur Rechtfertigung einer Wissenszurechnung herangezogen werden können.109 Um das mit dem Insiderhandelsverbot verfolgte Ziel der Kapitalmarktintegrität zu erreichen, lässt es der europäische Gesetzgeber genügen, dass die natürliche Person, die im Auftrag der juristischen Person handelt, durch Insiderwissen in der Weise beeinflusst wird, dass sie selbst die Insiderinformationen kennt oder jemand, der sie kennt, auf sie einwirkt. Wenn dies nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Vermutung, dass eine Nutzung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR vorliegt, nicht nach Art. 9 Abs. 1 MAR widerlegbar. Für die Vermutung, Insiderwissen habe sich auf die Handelsaktivität ausgewirkt, genügt, dass es in einer juristischen Person vorhanden ist, auch wenn unklar ist, ob der Entschei106 Diese weitrechende Wissenszurechnung wäre unter Zugrundelegung des Gleichstellungsarguments nicht zu rechtfertigen, weil unberücksichtigt bleibe, dass eine Einzelperson nicht mehr wüsste als ein einzelner Mitarbeiter einer größeren arbeitsteiligen Organisation und daher keine Gleichstellung erreicht, sondern eine juristische Person schlechter gestellt würde, vgl. Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 207; Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258; Koller, JZ 1998, 75, 77. 107 Faßbender, Die Berücksichtigung innerbetrieblichen Wissens am Beispiel bankrechtlicher Aufklärungspflichten, 1998, S. 150 ff.; ders./Neuhaus, WM 2002, 1253, 1254. 108 So Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 177. 109 Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1255.

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dungsträger die Insiderinformationen kannte, denn es besteht eine Vermutung für eine gesellschaftsinterne Weitergabe und den späteren Einsatz von Insiderinformationen.110 Art. 9 Abs. 1 MAR geht damit implizit von einer Wissenszusammenrechnung aus, der zufolge das gesamte Wissen ihrer an dem konkreten Geschäft beteiligten und unbeteiligten Mitarbeiter zugerechnet wird.111 Die juristische Person hat die Möglichkeit, die Folgen dieser umfassenden Wissenszurechnung zu korrigieren, indem sie im Einzelfall widerlegt, dass die für sie handelnde Person Kenntnis von den Insiderinformationen hatte oder beweist, dass sie diese Informationen zumindest nicht verwendet hat. Darüber hinaus ist die Vermutung einer Nutzung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR widerlegt, wenn das Insiderwissen die Handelsaktivität unbeeinflusst gelassen hat, weil organisatorische Vorkehrungen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 lit. a und b MAR getroffen wurden. Indessen bleibt es bei dem Grundsatz, dass das Insiderwissen selbst keine nachteiligen Rechtsfolgen verursacht. Es löst lediglich die Vermutung aus, es habe sich auf ein konkretes Geschäft ausgewirkt. Gelingt die Widerlegung nicht, liegt ein Verstoß einer juristischen Person gegen das Insiderhandelsverbot auch vor, wenn ihr dafür die Handlung einer natürlichen Person und das Wissen einer anderen zugerechnet werden müssen. (2) Aufteilung des Insiderwissens auf eine Personenmehrheit Von der Frage der Handlungsunabhängigkeit der Wissenszurechnung ist diejenige zu trennen, ob positive Kenntnis der juristischen Person vorliegt, wenn mehrere Mitarbeiter Teilinformationen besitzen, die nur zusammen Insiderinformationen darstellen. Ein gem. Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MAR verbotenes Insidergeschäft liegt beispielsweise vor, wenn das jeweilige Wissen mehrerer Mitarbeiter um unterschiedliche Krisenanzeichen, die erst in der Zusammenschau geeignet sind, den Kurs erheblich zu beeinflussen, der juristischen Person als Gesamtheit zugerechnet werden können und ein Mitarbeiter für sie Aktien der in Kürze zahlungsunfähigen Gesellschaft verkauft. Dagegen spricht, dass die Handelsaktivität in diesem Zeitpunkt nicht von Insiderinformationen beeinflusst werden konnte. Zwar ist das Insiderwissen innerhalb der juristischen Person aufgespalten vorhanden, muss aber, bevor ein Insidergeschäft überhaupt vorgenommen werden kann, zusammengetragen werden. Erst im Anschluss kann es in den Besitz einer natürlichen Person kommen, die das Geschäft für die juristische Person tätigt oder die handelnde Person beeinflusst. Art. 9 MAR geht zwar von einer gesellschaftsinternen Weitergabe von Insiderinformationen und deren späteren Einsatzes aus, nicht hingegen davon, dass Informationen verschiedener Mitarbeiter gesammelt werden und sich hieraus die Insiderrelevanz ergibt. Folglich müssen an einer Stelle innerhalb der juristischen 110

Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 402. So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 111; ders., NZG 2017, 1285, 1291; Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 9 MAR Rdn. 22; im Grundsatz auch Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 9 Rdn. B.9.24, der sogleich auf den durch Art. 9 Abs. 1 lit. a und b MAR hergestellten Bezug des Wissensträgers zum konkreten Geschäft hinweist. 111

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F. Insiderhandel

Person die vollständigen Insiderinformationen vorhanden sein. Hat keine natürliche Person positive Kenntnis der Insiderinformationen, kann dieses Tatbestandsmerkmal für die juristische Person nicht fingiert werden. Schutzlücken entstehen hierdurch nicht, da die Vermutung der Nutzung von Insiderinformationen greift, sobald eine natürliche Person von den Insiderinformationen weiß. Vor diesem Zeitpunkt besteht die Gefahr von Insiderhandel noch nicht, weil es keinem Mitarbeiter möglich ist, die Insiderinformationen für die juristische Person zu nutzen. Zur Widerlegung der Spector-Vermutung wird die juristische Person gleichwohl „automatisch“ organisatorische Maßnahmen ergreifen, damit sich Informationen, die gemeinsam Insiderrelevanz entwickeln können, nicht bei den Handelsabteilungen sammeln können. Hierfür werden die für die juristische Person handelnden Mitarbeiter von denjenigen Mitarbeitern separiert, die typischerweise Kenntnis von Insiderinformationen und solchen Informationen erlangen, die potenziell zum Entstehen von Insiderinformationen beitragen können. Derartige Vorkehrungen, verhindern, dass das Wissen der juristischen Person zugerechnet werden kann. bb) Teilinformationen in Speichermedien Einer juristischen Person ist es im Gegensatz zu einer natürlichen Person, die „vergessensfähig“ ist, möglich, nicht lediglich auf aktuelles Wissen ihrer Mitarbeiter zurückzugreifen, sondern auch auf gespeicherte Informationen. Für Insidergeschäfte der juristischen Person können Mitarbeiter daher nicht nur ihr aktuell präsentes Wissen einsetzen, sondern auch solches, das sich aus den ihnen zur Verfügung stehenden Speichermedien ergibt. Auch dieses, in Akten festgehaltene Insiderwissen, begründet die positive Kenntnis der juristischen Person.112 Es reicht hingegen nicht aus, dass sich erst aus einer Zusammenschau der in Akten enthaltenen Teilinformationen die Insiderinformationen ergeben. Insofern besteht kein Unterschied zur Rechtslage bei auf eine Personenmehrheit aufgeteiltem Insiderwissen.113 Voraussetzung für die Annahme positiver Kenntnis der juristischen Person ist das vollständige Vorliegen von Insiderinformationen innerhalb der juristischen Person. Grundsätzlich muss sich dafür ein Mitarbeiter der Insiderinformationen bewusst sein, weil andernfalls keine Möglichkeit besteht, dass sich diese auf ein Geschäft auswirken. Stehen ihm Speichermedien zur Verfügung aus denen sich Insiderinformationen, nicht hingegen bloße Teilinformationen, ergeben, reicht dies allerdings für die Vermutung, die Insiderinformationen seien i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR genutzt worden. Zur Widerlegung muss im Einzelfall nachgewiesen werden, dass der Mitarbeiter den Zugang nicht genutzt hat und sich daher der gespeicherten Informationen nicht bewusst war.

112 Zur Frage der Berücksichtigung von Wissen ausgeschiedener Mitarbeiter und gelöschten Informationen siehe F. II. 4. 113 Siehe F. II. 2. a) aa) (2).

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cc) Privates Wissen Speziell für dienstlich erlangtes Wissen stellt Art. 16 Abs. 2 der MiFID II114 i.V.m. den Art. 28, 29 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565115 klar, dass Wertpapierfirmen Compliance-Einrichtungen vorsehen müssen, um zu verhindern, dass dienstlich erlangte Informationen für persönliche Geschäfte genutzt werden. Mitarbeiter einer juristischen Person können jedoch nicht lediglich in Ausübung ihrer Tätigkeit, sondern auch privat Kenntnis von Insiderinformationen erlangen. Zu denken ist etwa an ein privates Abendessen, in dessen Verlauf der Händler einer Bank von dem Vorstandsmitglied einer AG von Personalveränderungen auf der Führungsebene erfährt. Verkauft am darauffolgenden Tag die Bank Aktien der AG, kommt ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 MAR lediglich in Betracht, wenn ihr das Wissen des Händlers zugerechnet werden kann. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass das Handeln eines Mitarbeiters ein Insiderdelikt der juristischen Person nur begründet, wenn es in dienstlicher Eigenschaft vorgenommen wird, weil Satz 3 des Erwägungsgrunds 30 der MAR, davon ausgeht, dass die natürlichen Personen, deren Handeln der juristischen Person zugerechnet wird, in ihrem Namen handeln und damit in dienstlicher und nicht in privater Eigenschaft.116 Zwar wurde für Art. 9 Abs. 1 lit. a und b MAR die Formulierung gewählt, die natürliche Person handle „im Auftrag der juristischen Person“. Deutlich ist aber die englische Sprachfassung, die sowohl in Erwägungsgrund 30 Satz 3 der MAR als auch Art. 9 Abs. 1 lit. a und b MAR die Wendung „on behalf“, also „im Namen“ der juristischen Person verwendet. Nutzt ein Mitarbeiter privat erlangtes Wissen für ein persönliches Geschäft, geschieht dies gerade nicht in ihrem Namen und begründet damit kein Insiderdelikt der juristischen Person.117 Da kein Verstoß der juristischen Person besteht, wenn ein Mitarbeiter sein privat erlangtes Wissen für ein eigenes Geschäft verwendet, könnte das Wissen der juristischen Person grundsätzlich schon nicht zurechenbar sein. Vertreten wird, es dürfe erst recht kein Insidergeschäft der juristischen Person angenommen werden, wenn ein anderer Mitarbeiter das Geschäft im Namen der Gesellschaft tätigt und dieses Geschäft nur aufgrund des privat erlangten Insiderwissens des anderen zu einem Insidergeschäft der juristischen Person wird.118 Dieses Ergebnis folgt allerdings aus der Art. 9 Abs. 1 MAR zu entnehmenden Regel, dass das Auseinanderfallen von Wissensträger und Han114 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 05. 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU, ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 349. 115 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. 04. 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl. L 87 vom 31. 03. 2017, S. 1. 116 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291. 117 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291. 118 Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291.

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delndem einem Insidergeschäft der juristischen Person nicht entgegensteht. Kommt es dem europäischen Gesetzgeber nicht auf die Herkunft des Wissens, sondern lediglich darauf an, ob ein Geschäft in dienstlicher Eigenschaft ausgeführt wird, ist hinzunehmen, dass privates Wissen eines Mitarbeiters in Verbindung mit dem dienstlichen Handeln eines anderen Mitarbeiters ein Insidergeschäft der juristischen Person darstellen kann. Die Erwägung, dass der Handelnde in dienstlicher Eigenschaft handeln muss, führt nicht zwingend zu dem Schluss, dass ein Wissensträger seine Kenntnis auch in dieser Eigenschaft erlangt haben muss, damit ein verbotenes Insiderhandelsgeschäft der juristischen Person vorliegt.119 Gegen die Zurechnung dienstlich genutzten, privat erlangten Wissens wird eingewendet, dass die Compliance-Maßnahmen, die Art. 9 Abs. 1 MAR vorsehe, um die Vermutung der Nutzung von Insiderinformationen zu erreichen, typischerweise darauf ausgerichtet seien, dienstlich erlangtes Wissen zu erfassen und zu isolieren.120 Daher sei privates Wissen, unabhängig davon, ob ein Organmitglied oder ein unterhalb dieser Hierarchieebene Beschäftigter es erlangt hat, der juristischen Person nicht zurechenbar.121 Enthält ein Compliance-Regelwerk einen beispielhaften Katalog insiderrelevanter Umstände,122 ist für einen Mitarbeiter jedoch unabhängig von der Herkunft seines Wissens die Meldepflicht zur Watch-List123 erkennbar. Für die Zurechnung privat erlangten Wissens spricht auch, dass Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR davon ausgeht, dass eine Person von Insiderinformationen nicht lediglich wie in den Fallgruppen des Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a oder c MAR als Primärinsider auf dienstlichem Wege erfahren kann, sondern auch „unter anderen Umständen“. Solche Umstände können auch private Anlässe sein. Die natürlichen Personen, deren Wissen der juristischen Person zugerechnet wird, können zwar selbst Primärinsider sein und in ihrer Funktion i.S.d. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. a oder c MAR von den Insiderinformationen erfahren haben, müssen dies hingegen nicht, sondern können auch privat Kenntnis erlangt haben. Darüber hinaus besteht im Bewusstsein eines Mitarbeiters keine Trennung zwischen privat und dienstlich erlangtem Wissen. Die Gefahr, dass er die Insiderinformationen für die juristische Person nutzt oder in ihre Informationskanäle einspeist, ist unabhängig davon gegeben, auf welchem Weg er von den Tatsachen erfahren hat. Die Wissenszurechnung setzt demnach in jedem Fall eine Handlung in dienstlicher Eigenschaft für die juristische Person voraus. Sie hängt hingegen nicht davon ab, ob das Wissen auch in dieser Eigenschaft erworben wurde. 119

Dies eingestehend Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291. Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291. 121 So im Ergebnis auch Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291, der allerdings in Fn. 82 in Erwägung zieht, für Organmitglieder immer davon auszugehen, sie seien „im Dienst“, sodass sie ihre Kenntnis stets dienstlich erlangen. 122 Vgl. Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 109 Rdn. 149. 123 Siehe F. III. 1. 120

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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Von der Situation des privat erlangten Wissens ist die Konstellation zu trennen, dass Wissen aufgrund seiner Natur der Privatsphäre eines Mitarbeiters zuzuordnen ist. Die Zurechenbarkeit muss in diesem Fall aus dem Grund ausscheiden, dass ein Mitarbeiter nur verpflichtet werden kann, private Informationen der juristischen Person gegenüber mitzuteilen, sofern diese eine Ad-hoc-Mitteilung dieser Umstände durchführen muss, weil das Informationsinteresse der Marktteilnehmer die persönlichkeitsrechtlichen Belange überwiegt.124 Andernfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass der betroffene Mitarbeiter die persönlichen Informationen der Compliance-Stelle mitteilt. Umstände, die ein Mitarbeiter für sich behalten darf, können deshalb nicht als Insiderwissen der juristischen Person angesehen werden, solange sie ihr gegenüber nicht offengelegt werden müssen und in ihr ComplianceSystem aufgenommen werden können. So wird beispielsweise die schwere Erkrankung eines Mitarbeiters X der A-AG, der in einer B-AG eine für den wirtschaftlichen Erfolg wesentliche Tätigkeit ausübt, nicht schon dann zu Insiderwissen der A-AG, wenn die Diagnose dem Mitarbeiter mitgeteilt wird. Damit wird nicht verhindert, dass ein Mitarbeiter Y für die A-AG Aktien der B-AG verkaufen kann, ohne gegen das Insiderhandelsverbot zu verstoßen, solange der Mitarbeiter X der AAG seine Erkrankung nicht mitteilt oder ein Mitarbeiter der A-AG von dem Umstand erfährt. b) Kennenmüssen Hinsichtlich der Kausalität des Insiderwissens für eine Empfehlung oder Verleitung und der Insiderrelevanz der Informationen setzen Art. 8 Abs. 3 und 4 Unterabs. 2 MAR die Kenntnis oder das Kennenmüssen voraus. Bezugspunkt sind nicht die Informationen selbst, sondern deren rechtliche Einordnung. Diese kennt ein Insider, wenn er sich der Umstände bewusst ist, die gem. Art. 7 MAR relevant sind, um zu beurteilen, dass es sich um Insiderinformationen handelt. Speziell für Art. 8 Abs. 3 MAR muss der Insider auch wissen, dass die Empfehlung oder Verleitung auf den betreffenden Insiderinformationen beruht. Für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des Wissenmüssens reicht es aus, nachzuweisen, dass eine Person innerhalb der juristischen Person die Möglichkeit hatte, positive Kenntnis zu erlangen.125 Die Frage, wann bei einer juristischen Person von Kennenmüssen auszugehen ist, stellt sich, weil das Verbot einer Empfehlung oder Verleitung i.S.d. Art. 8 Abs. 3 MAR nicht nur auf natürliche Personen, sondern auch auf juristische anwendbar ist und sie ebenfalls als Sekundärinsiderin i.S.d. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR in Betracht kommen. Bevor speziell für die juristische Person geklärt wird, welcher natürlichen Person die rechtliche Einordnung hätte gelingen müssen, sind generell die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Wissenmüssens für das Insiderhandelsverbot zu ermitteln. 124 125

Siehe E. III. 4. b) aa) (3). Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.144.

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aa) Sorgfaltsmaßstab Die fahrlässige Unkenntnis wird der positiven Kenntnis von der Insiderqualität bzw. im Falle des Art. 8 Abs. 3 MAR auch der Kausalität des Insiderwissens gleichgestellt, wenn eine Person nicht die erforderliche Sorgfalt walten lässt. Zu ermitteln ist, welcher Maßstab an die Feststellung einer Sorgfaltspflichtverletzung anzulegen ist. Teilweise wird grobe Fahrlässigkeit gefordert, weil die Freiheit des Wertpapierhandels andernfalls zu stark eingeschränkt werde.126 Wichtig sei das Vorliegen „typisierte[r] Elemente, bei denen sich eine besondere Wichtigkeit auch dem außenstehenden verständigen Anleger aufdrängt“127. Als Steigerung der leichten Fahrlässigkeit wird damit ein besonders schwerer Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt gefordert.128 Da Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR allerdings keine weiteren Kriterien vorsieht, ist das Wissenmüssen im Sinne von einfacher Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unkenntnis zu interpretieren.129 Gleiches gilt für Art. 8 Abs. 3 MAR.130 Der Maßstab grober Fahrlässigkeit für das Kennenmüssen schränkt nicht nur die praktische Wirksamkeit der Insiderverbote ein131, sondern muss auch aus dem Grund ausscheiden, dass mit ihm eine subjektive Vorwerfbarkeit einhergeht, die das gewöhnliche Maß weit übersteigt.132 Der Wissensstandard des Kennenmüssens ist jedoch rein objektiv bestimmbar, denn die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten sollen in Bezug auf das Kennenmüssen der Insiderqualität laut Erwägungsgrund 26 der MAR „von dem ausgehen, was eine normale, vernünftige Person unter den gegebenen Umständen wusste oder hätte wissen müssen“. Um festzustellen, ob eine Person i.S.d. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR wissen musste, dass die Informationen Insiderinformationen darstellen, sind die individuellen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse einer konkreten Person, die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen zu können, unerheblich.133 Ungeachtet der

126 Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 376; auch für grobe Fahrlässigkeit, aber ohne Begründung Zetzsche, in: Enzyklopädie Europarecht, Bd. 6, 2016, § 7 C Rdn. 130. 127 Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 376. 128 Vgl. allgemein zur Charakterisierung des Sorgfaltsmaßstabs bei grober Fahrlässigkeit Grundmann, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl., 2019, § 276 Rdn. 94. 129 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 34; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 22; wohl auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017; § 107 Rdn. 132. 130 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 258. 131 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 22. 132 BGH, Urt. v. 08. 07. 1992 – IV ZR 223/91, NJW 1992, 2418; BGH, Urt. v. 30. 01. 2001 – VI ZR 49/00, NJW 2001, 2092, 2093; BGH, Urt. v. 12. 07. 2005 – VI ZR 83/04, NJW 2006, 1271; BGH, Urt. v. 17. 02. 2009 – VI ZR 86/08, NJW-RR 2009, 812, 813; für eine ausnahmsweise rein objektiv zu bestimmende grobe Fahrlässigkeit bei größeren Organisationen Röhl, JZ 1974, 521, 526. 133 Vgl. zum ebenfalls objektiven Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB Grundmann, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl., 2019, § 276 Rdn. 55 m.w.N.

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Unerfahrenheit, Geschäftsungewandheit oder altersbedingten Unbeholfenheit134 des im Einzelfall in Betracht kommenden Insiders, bildet den Maßstab für die Erkennbarkeit der Insiderrelevanz stets eine „normale, vernünftige Person“. Der europäische Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, in diesem Sinne die Markterwartungen einheitlich zu bestimmen. Ob bestimmte Umstände als Insiderinformationen i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR zu qualifizieren sind, weil sie Kursbeeinflussungspotenzial aufweisen, ist nach Art. 7 Abs. 4 MAR am Maßstab des „verständigen Anlegers“ und der Frage zu beurteilen, ob dieser seine Anlageentscheidungen auf die Informationen stützen würde.135 Die Figur des „verständigen“ Anlegers wird kontrovers diskutiert, da keine gesetzliche Konkretisierung dieses Prüfungsmaßstabs besteht.136 Eine solche fehlt auch für die Erkennbarkeit der Insiderrelevanz in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR. Von welchem Verständnis einer „normalen, vernünftigen Person“ auszugehen ist, ergibt sich aus dem gesetzgeberischen Leitbild der Kapitalmarktregulierung. Mit dem Insiderhandelsverbot wird das Ziel verfolgt, das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte zu stärken.137 Der europäische Gesetzgeber hatte dabei nicht nur erfahrene und berufsmäßige Finanzmarktteilnehmer vor Augen, sondern auch solche Anleger, die weniger regelmäßig Finanzinstrumente erwerben oder veräußern. Dies zeigt sich daran, dass im Kontext des Insiderhandelsverbots von Market-Makers138, zum Auftreten als Gegenpartei Zugelassenen139, anderen Berufsträgern, die Kundenaufträge ausführen140, sowie Marktkommentatoren141 die Rede ist, aber auch allgemein von Investoren, ohne einen Bezug zu ihrem Beruf142 und in Art. 8 MAR schlicht von Personen, die Insidergeschäfte tätigen. Die Diversität der Anleger führt zu einem Spannungsfeld: Einerseits ist nicht schon bei wenigen Anhaltspunkten von der Erkennbarkeit der Insiderrelevanz auszugehen, weil unerfahrenen Anlegern dementsprechend leicht ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot vorgeworfen werden kann und sie aus diesem Grund ihre Handelsaktivität einschränken. Andererseits darf die Schwelle 134

Vgl. BGH, Urt. v. 19. 02. 1968 – II zR 12/66, VersR 1968, 385, 386 (rechtlich ungeschulter Versicherungsnehmer); BGH, Urt. v. 02. 03. 1977 – IV ZR 43/75, VersR 1977, 465, 466 (fehlende Vorbildung); RG, Urt. v. 18. 01. 1921 – VII 390/20, JW 1921, 396 und RG, Urt. v. 14. 03. 1922 – IV 384/21, JW 1924, 1430 (wirtschaftlich unbeholfener bzw. alter, geschäftsungewandter Landwirt). 135 Vgl. auch Erwägungsgrund 14 der MAR. 136 Vgl. BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10, NJW 2012, 1804 ff.; BaFin-Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Stand: 01. 07. 2019, I.2.1.4.1, die auf einen „durchschnittlich börsenkundigen Anleger“ abstellt; H. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 6 Rdn. 114 ff.; Langenbucher, AG 2016, 417 ff.; Merkner/Sustemann/Retsch, AG 2019, 621, 622. 137 Siehe B. III. 2. b). 138 Art. 9 Abs. 2 lit. a MAR, Erwägungsgrund 30 der MAR. 139 Art. 3 Abs. 1 Nr. 30 MAR, Art. 9 Abs. 2 lit. a MAR, Erwägungsgründe 29, 30 der MAR. 140 Art. 7 Abs. 1 lit. d MAR, Erwägungsgrund 30 der MAR. 141 Erwägungsgrund 28 der MAR. 142 Erwägungsgründe 23, 24 der MAR.

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F. Insiderhandel

des Kennenmüssens nicht erst überschritten sein, wenn sich die Insiderqualität auch dem Geschäftsungewandtesten aufdrängen muss. Der europäische Gesetzgeber hat sich mit der „normale[n], vernünftige[n] Person“ für einen Mittelweg entschieden. Auszugehen ist von den Erwartungen des Marktes an einen durchschnittlich erfahrenen Anleger. Es kommt darauf an, wann ein solcher die Insiderrelevanz erkannt hätte, stünde er an der Stelle der konkreten Person. Die zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls, unter denen der durchschnittliche Finanzmarktteilnehmer von der Qualität der Informationen als Insiderinformationen wüsste, sind beispielsweise die Art der Informationsquelle und die Nähe des Insiders zu ihnen, die Art der gehandelten Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, oder eine etwaige berufliche Beschäftigung mit Finanzmarkttransaktionen. Höchstpersönliche Eigenschaften der konkreten Person, wie ihr Alter, ihre persönliche Erfahrung oder ihr Sonderwissen, das den Schluss auf Insiderrelevanz zulässt, können ebenso wenig Berücksichtigung finden wie seelische Sonderlagen.143 Der Sorgfaltsmaßstab lässt sich auf das Wissenmüssen, dass i.S.d. Art. 8 Abs. 3 MAR eine Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht, übertragen. Neben den genannten Kriterien betreffen die maßgebenden Umstände die Art und Weise der Empfehlung bzw. Verleitung und den Bezug zu dem Empfehlenden bzw. Verleitenden.144 Zu berücksichtigen sind im Zusammenhang mit dem Verbot der Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen das Finanzinstrument, auf das sich die Informationen beziehen, die Informationen bzw. die Empfehlung oder Verleitung selbst und bezüglich des Tippempfängers lediglich die berufliche Nähe zum Kapitalmarkt. Auf sonstige persönliche Eigenschaften und besondere Erfahrungen bezieht sich die Markterwartung nicht, weshalb diese nicht den Maßstab einer „normale[n], vernünftige[n] Person“ i.S.d. Erwägungsgrundes 26 der MAR abbilden. bb) Maßgebliche natürliche Person bei juristischer Person als Insider Bei juristischen Personen stellt sich die Frage, auf welche natürliche Person es für das Wissenmüssen im Rahmen des Art. 8 Abs. 3 und 4 Unterabs. 2 MAR ankommt, für welche Person also erkennbar sein muss, dass eine Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht bzw. dass es sich bei Informationen um Insiderinformationen handelt. Die maßgebliche Person lässt sich auf Grundlage von Sinn und Zweck des Insiderhandelsverbots bestimmen, der darin besteht, zu verhindern, dass sich Insiderinformationen auf die Handelsaktivität auswirken. In Art. 8 Abs. 3 MAR kommt es daher auf diejenige Person an, welche die Empfehlung oder Verleitung für die juristische Person umsetzt, weil sie die Empfehlung oder Verleitung kennen muss, um erkennen zu können, dass sie auf Insiderinformationen beruht. Schwieriger 143

Anders Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 36, der neben objektiven Kriterien auch Sonderwissen des Täters berücksichtigen will. 144 Ähnliche, gleichwohl subjektive Kriterien berücksichtigend Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 259.

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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zu beantworten ist die Frage nach der maßgeblichen Person für Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR, da die natürliche Person, welche über die Insiderinformationen verfügt, nicht mit der Person identisch sein muss, die sie i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR nutzt oder i.S.d. Art. 8 Abs. 2 MAR einem Dritten empfiehlt. Auch hier ergibt sich aus dem Telos des Insiderhandelsverbots, ob in den verschiedenen Konstellationen des Auseinanderfallens von handelnden und wissenden natürlichen Personen ein Insidergeschäft der juristischen Person als Sekundärinsiderin vorliegt. Hätte der Wissensträger die Insiderqualität erkennen können und gibt er die Informationen an die handelnde Person weiter oder beeinflusst deren Handelsaktivität, wird ein verbotenes Insidergeschäft getätigt, weil die Handlung von einer Person beeinflusst wurde, welche die Insiderinformationen kannte und zumindest hätte erkennen können, dass es sich um Insiderinformationen handelt. War dem Wissensträger die Insiderqualität hingegen nicht bewusst und konnte er diese auch nicht erkennen, wird ein Insidergeschäft i.S.d. Art. 8 Abs. 1 oder 2 MAR lediglich getätigt, wenn einem Handelnden, die Informationen weitergegeben werden und er von der Insiderqualität zumindest wissen musste oder ein Handelnder von dem Wissensträger beeinflusst wurde und, hätte er die Informationen gehabt, deren Insiderrelevanz hätte kennen müssen. Im letzten Fall ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR, dass der Handelnde die Insiderinformationen selbst nicht gekannt haben muss, um ein Insidergeschäft für die juristische Person zu tätigen. Kein Insidergeschäft liegt hingegen vor, wenn weder der Wissensträger noch der Handelnde von der Insiderqualität wissen musste, sondern lediglich ein Dritter. Weiß ein Dritter, der die Insiderrelevanz erkennen könnte, nicht von den Informationen und ist er an dem konkreten Geschäft unbeteiligt, nimmt letztlich niemand, der die Insiderinformationen als solche qualifizieren kann, Einfluss auf das Geschäft. Die rechtlich nicht als Insiderinformationen eingeordneten Umstände können zwar kausal für die Handelsaktivität werden, das erforderliche Wissenmüssen kann hingegen nicht hinzugerechnet werden, denn der bloße Umstand, dass eine Person über das Können und gegebenenfalls zusätzliche Informationen verfügt, die notwendig sind, um die Insiderqualität erkennen zu können, ist nicht zurechenbar. Aus Art. 9 Abs. 1 MAR ergibt sich die Zurechenbarkeit der Kenntnis natürlicher Personen von Insiderinformationen bei einem Auseinanderfallen von Handelndem und Wissensträger, weil die Vorschrift die Weitergabe von Insiderinformationen unterstellt. Die Norm geht hingegen nicht von einem Zusammenrechnen der Kenntnis von Insiderinformationen und der Fähigkeit aus, sie als solche zu erkennen. Art. 9 Abs. 1 MAR erkennt als Entlastung von der Nutzungsvermutung eine Trennung der Handelsabteilung von Mitarbeitern an, die Insiderinformationen (typischerweise) kennen, nicht hingegen zusätzlich von solchen, welche besonders geeignet sind, Insiderinformationen als solche zu identifizieren. Dies ist auch nicht notwendig, weil ein verbotenes Insidergeschäft nur vorliegt, wenn das Wissen um die Informationen und das Wissenmüssen von der Insiderqualität derart zusammenwirken, dass der Handelnde beeinflusst wird, weil er entweder die Informationen bekommt und die Insiderrelevanz erkennen kann oder von jemandem zu einem Geschäft aufgefordert wird, der um die Informationen weiß und deren Qualität erkennen muss. Nur wenn sich die Kombination von Insiderin-

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F. Insiderhandel

formationen und Wissenmüssen im Insidergeschäft realisiert, liegt nach der Wertung des Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR ein Insidergeschäft eines Sekundärinsiders vor. 3. In die Wissenszurechnung einzubeziehende Personen In Art. 9 Abs. 1 lit. a und b MAR werden die Anforderungen an für die juristische Person Handelnde spezifiziert. Sie müssen „in ihrem Auftrag“ tätig sein. Welche natürlichen Personen Insiderinformationen kennen müssen, damit vom Besitz der juristischen Person von diesen ausgegangen werden kann, regelt die europäische Verordnung hingegen nicht ausdrücklich. Sie sind im Wege der Auslegung der Art. 8 und 9 MAR zu ermitteln. Als Wissensträger kommen grundsätzlich sowohl externe natürliche Personen als auch Organmitglieder oder nachgeordnete Mitarbeiter der juristischen Person in Betracht. Die Zurechnung von Wissen externer Personen wie Steuerberatern, Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Journalisten und Analysten würde zu weitreichenden Haftungsrisiken der juristischen Person wegen Verstoßes gegen das Insiderhandelsverbot führen. Die in Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR geforderte Einführung wirksamer interner Regelungen und Verfahren zur Widerlegung der Vermutung legt den Schluss nahe, dass hinsichtlich Externer gerade keine solche Pflicht zu etablieren ist und dass aus deren Kenntnis von Insiderinformationen der juristischen Person keine Nachteile erwachsen dürfen. Der Zurechnungsgrund der Kapitalmarktintegrität lässt zwar eine weitreichende Wissenszurechnung zu, deren Rechtfertigung sich aus Optionen zum Selbstschutz ergibt. Die Grenze der Wissenszurechnung stellt daher jedoch der für die juristische Person beherrschbare Organisationsbereich dar, da sie die Folgen der Zurechnung andernfalls nicht abwehren könnte.145 Der Gedanke der notwendigen rechtlichen Beherrschbarkeit des Informationsflusses steht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR, der es der mit der Wissenszurechnung belasteten juristischen Person mittels Wissensorganisation ermöglicht, legitime Handlungen durchzuführen.146 Externe Personen sind in diese Organisation des Informationsflusses nicht einbeziehbar, denn es besteht keine Möglichkeit, sie zu einer Mitwirkung, etwa in Form der Meldung von insiderrelevanten Umständen, zu verpflichten und so in das Compliance-System einzubinden. Da die juristische Person sich nicht vor den Folgen der Zurechnung ihres Wissens schützen kann, ist eine derart weite Wissenszurechnung nicht rechtfertigungsfähig. Der Wissensträger muss demnach eine natürliche Person innerhalb der juristischen Person sein.147 Wird die Beherrschbarkeit des Informationsflusses durch die juristische Person als Voraussetzung der Wissenszurechnung angesehen, besteht an der grundsätzlichen Zurechenbarkeit von Kenntnis und Kennenmüssen der Organmitglieder des Vor145

Siehe F. II. 1. So auch Klöhn, NZG 2017, 1285, 1291, der von Organisationshoheit bzw. -herrschaft spricht, welche die äußerste Zurechnungsgrenze bildet. 147 Dafür auch Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 413. 146

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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stands und des Aufsichtsrats kein Zweifel. Nachgeordnete Mitarbeiter können mittels Direktionsbefugnissen in die Wissensorganisation eingebunden werden.148 Dies rechtfertigt die Zurechenbarkeit ihrer Kenntnis von Insiderinformationen. Von der Wissenszurechnung unabhängig ist die Frage, ob die Organmitglieder oder nachgeordnete Mitarbeiter selbst Primärinsider sind und insofern nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a MAR ihre Tätigkeit im Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten ursächlich für die Erlangung der Kenntnis von den betreffenden Insiderinformationen war bzw. nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. c MAR ein Ursachenzusammenhang zwischen der Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufs und der Erlangung der Informationen besteht, sie also aufgrund ihrer Tätigkeit bestimmungsgemäß Zugang zu den Informationen hatten und sie nicht zufällig oder bei Gelegenheit Kenntnis erlangt haben. a) Bedeutungslosigkeit von individueller Erkenntnisfähigkeit und Zuständigkeit Eine beschränkte Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit der Wissensträger im Einzelfall ist nicht von Bedeutung. Während der Besitz einer juristischen Person von Insiderinformationen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MAR oder ihr Verfügen hierüber i.S.d. Art. 8 MAR nur vorliegt, wenn eine natürliche Person positive Kenntnis von den Insiderinformationen hat, ist für das Kennenmüssen im Rahmen des Art. 8 Abs. 3 und 4 Unterabs. 2 MAR, wie bereits festgestellt, auf die Erkenntnisfähigkeit einer „normale[n], vernünftige[n] Person“ abzustellen.149 Keine Grenze der Wissenszurechnung stellt auch die Zuständigkeit des Wissensträgers im konkreten Fall dar.150 Im Gegensatz zur Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR, bei der es darauf ankommt, ob der Vorstand als für die Adhoc-Mitteilung zuständige Stelle Zugriff auf die den Emittenten unmittelbar betreffenden Insiderinformationen hat, kann ein Insidergeschäft von Mitarbeitern jeglicher Hierarchieebene innerhalb der juristischen Person für diese vorgenommen werden. Da der für die juristische Person handelnde Mitarbeiter auch nicht mit dem Wissensträger identisch sein muss, sondern eine Wissenszusammenrechnung stattfindet, kommt es auf die Zuständigkeit des Wissensträgers nicht an.

148

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 409. Siehe F. II. 2. b) aa). 150 Diese Einschränkung wird bei der Organtheorie vorgenommen. So soll eine Wissenszurechnung nur bei Kenntnis einer verfassungsmäßig zuständigen, mithin innerhalb ihres Aufgabenkreises und nicht nur bei Gelegenheit handelnden, Person stattfinden, BGH, Urt. v. 05. 04. 1990 – IX ZR 16/89, WM 1990, 1028, 1030; BGH, Urt. v. 10. 09. 2001 – II ZR 14/00, WM 2001, 2118, 2119; BGH, Urt. v. 05. 12. 1958 – VI ZR 114/57, WM 1959, 80, 81 (zur Unterscheidung der Zuständigkeit von der bloßen Gelegenheit); Buck-Heeb, AG 2015, 801, 802. 149

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F. Insiderhandel

b) Verschwiegenheitspflichten Näherer Betrachtung bedarf der Einfluss von Verschwiegenheitspflichten auf die Wissenszurechnung. Die Zurechnung der Kenntnis eines Wissensträgers, der mit einer Verschwiegenheitspflicht belegt ist, könnte auszuschließen sein, da das Wissen gar nicht zugunsten der Gesellschaft verwendet werden darf. Hierfür wird vorgebracht, die Kenntnis des Wissensträgers könne nicht zu Lasten der juristischen Person als ihr Wissen behandelt werden, denn was nicht angewendet werden dürfe, zähle schon nicht als Wissen.151 Da angesichts der Verschwiegenheitspflicht kein Informationsfluss bestehe, sei das Wissen nicht zurechenbar.152 Auch im Kontext des Insiderhandelsverbots gem. Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR wird ein Verstoß nicht an die Kenntnis von Insiderinformationen geknüpft, sondern an die Nutzung dieses Wissens (Art. 8 Abs. 1 MAR) bzw. eine Empfehlung oder Verleitung auf ihrer Grundlage (Art. 8 Abs. 2 MAR). Gleichwohl führt der bloße Besitz von Insiderinformationen bei juristischen Personen und damit allein das Wissen eines Mitarbeiters innerhalb der juristischen Person nach der Spector-Rechtsprechung zur Vermutung, sie seien für Insidergeschäfte kausal geworden. Interne Regelungen und Verfahren, die den Informationsfluss unterbinden, sind lediglich bei der Widerlegung der Vermutung nach Art. 9 Abs. 1 MAR berücksichtigungsfähig. Demnach schließt im reformierten Insiderhandel die Etablierung von Verschwiegenheitspflichten die Wissenszurechnung nicht aus, sondern ist erst als interne Regelung zur Abwehr der Konsequenzen aus der Wissenszurechnung im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 MAR relevant. c) Konzern In den Regelungen des europäischen Insiderrechts finden die Besonderheiten verbundener Unternehmen keine Berücksichtigung. Gleichwohl wird in Konzernsachverhalten die Frage virulent, ob das Wissen einer natürlichen Person nicht nur der juristischen Person zugerechnet wird, für die sie tätig ist, sondern auch einem verbundenen Unternehmen. Als Grenze der Wissenszurechnung könnte im Konzern die Einflussnahmemöglichkeit auf die Etablierung wirksamer Regelungen und Verfahren zur Wissensorganisation im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR bestimmend sein. Voraussetzung für eine konzernweite Wissenszurechnung wäre damit grundsätzlich, dass die abhängige Gesellschaft so intensiv beherrscht wird, dass sich die Muttergesellschaft die betreffenden Informationen jederzeit beschaffen könnte.153 Eine Zurechnung zwischen Tochtergesellschaften wäre möglich, wenn die 151

Taupitz, FS Lorenz, 1994, S. 673, 680. BGH, Urt. vom 08. 01. 2015 – IX ZR 198/13, DB 2015, 301, 302 Rdn. 13; zustimmend LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28. 02. 2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451, 1469 Rdn. 223; zur Verschwiegenheitspflicht aus § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, die einer Wissenszurechnung entgegenstehen soll BGH, Urt. v. 26. 04. 2016 – XI ZR 108/15, NZG 2016, 910, 912 Rdn. 32; zustimmend Wilsing/Kleeman, BB 2016, 1425. 153 Spindler/Speier, BB 2005, 2031, 2032. 152

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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Gesellschaften rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit haben, auf das Wissen der jeweils anderen zuzugreifen.154 Die insiderrechtliche Wissenszurechnung setzt allerdings gerade keine Informationsorganisationspflichtverletzung voraus. Die abstrakte Zugriffsmöglichkeit auf Insiderinformationen eines verbundenen Unternehmens reicht für die Wissenszurechnung nicht aus. Im Besitz von Insiderinformationen ist eine juristische Person erst, wenn eine natürliche Person innerhalb ihrer eigenen arbeitsteiligen Organisation positive Kenntnis erlangt hat. Vor diesem Zeitpunkt besteht die Gefahr von Insiderhandel lediglich bei der anderen verbundenen Konzerngesellschaft. Adressat des Insiderhandelsverbots ist die einzelne juristische Person, nicht hingegen eine Konzernstruktur. Gesellschaften nach dem konzernrechtlichen Trennungsprinzip in ihrer Selbstständigkeit anzuerkennen ist fest in der deutschen Rechtsordnung etabliert.155 Den bisherigen, gescheiterten Harmonisierungsbestrebungen und punktuellen Maßnahmen der EU im Konzernrecht ist kein gegenteiliger Grundsatz zu entnehmen.156 Dies verbietet in Fragen der Wissenszurechnung eine Gesamtbetrachtung, bei der die Grenzen der Rechtspersönlichkeit der einzelnen Konzernglieder unberücksichtigt bleiben.157 Überdies muss die juristische Person die Möglichkeit haben, die Folgen der durch die Wissenszurechnung ausgelösten Nutzungsvermutung nach Art. 9 Abs. 1 MAR abzuwehren. Bei den organisatorischen Maßnahmen nach Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR soll es sich ausdrücklich nur um „interne Regelungen und Verfahren“ handeln und damit um solche, die eigene Mitarbeiter und nicht diejenigen anderer Konzerngesellschaften betreffen. 154 So allgemein zur Wissenszurechnung im Konzern Stephan/Tieves, in: MüKo GmbHG, Bd. 2, 3. Aufl., 2019, § 35 Rdn. 225. 155 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 124; vgl. zu den Regelungsansätzen in England und Frankreich Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6, 10 ff. 156 Der Entwurf der letztlich gescheiterten Konzernrechtsrichtlinie war maßgeblich vom deutschen Aktienrecht beeinflusst, Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6, 19. Die Richtlinien zur Transparenz in Unternehmensgruppen (Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L. 390 vom 31. 12. 2004, S. 38, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG, ABl. L 294 vom 06. 11. 2013, S. 13) oder zur Rechnungslegung im Konzern (Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 06. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. L 182 vom 29. 06. 2013, S. 19) differenzieren zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften. 157 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 124; Habersack, DB 2016, 1551, 1553.

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F. Insiderhandel

Eine konzernweite Wissenszusammenrechnung findet damit grundsätzlich nicht statt. Allerdings kommt eine Wissenszurechnung zwischen Konzerngesellschaften bei einem bewussten Zusammenwirken der Unternehmen in Bezug auf das konkrete Geschäft in Betracht oder wenn ein gemeinsam genutzter Datenpool besteht.158 In diesen Fällen beeinflussen Insiderinformationen, die ein Unternehmen besitzt, die Handelsaktivität des verbundenen Unternehmens. Das Wissen einer natürlichen Person wird im Insiderrecht zudem ausnahmsweise verbundenen Unternehmen zugerechnet, wenn eine Doppelmandatschaft des Wissensträgers besteht.159 Die grundsätzlichen Bedenken und Einwände, die einer Wissenszurechnung bei der personellen Verflechtung entgegenstehen, sind die Verschwiegenheitspflicht des Amtsträgers160 bzw., allgemeiner gesagt, das ihn treffende Verbot, sein Wissen gegenüber der anderen Gesellschaft zu offenbaren.161 Diese Gesichtspunkte lassen sich im Insiderrecht nicht anführen, da Verschwiegenheitspflichten der Wissenszurechnung gerade nicht entgegenstehen, sondern erst im Rahmen der Widerlegung der Nutzungsvermutung nach Art. 9 Abs. 1 MAR Berücksichtigung finden. Im europäischen Insiderrecht wird der juristischen Person das Wissen ihrer Mitarbeiter unabhängig davon zugerechnet, auf welchem Weg bzw. bei Ausübung welcher Tätigkeit sie es erlangt haben. In Konzernsachverhalten findet die Wissenszurechnung eines Doppelmandatsträgers aufgrund der Zugehörigkeit der natürlichen Person zu der betreffenden Gesellschaft, für die das Geschäft vorgenommen wurde, und trotz der konzernrechtlichen Verbundenheit der juristischen Personen, für die er auch tätig ist, statt.

4. Zeitliche Dimension der Wissenszurechnung Die Kenntnis von Insiderinformationen für den Tatbestand eines Insidergeschäfts muss zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegen. Es wurde bereits festgestellt, dass für Art. 8 Abs. 1 MAR der späteste Zeitpunkt der ist, in dem die Person die Order erteilt bzw. die letzte Entscheidung trifft, die zum Erwerb oder zur Veräußerung führt, 158 Unabhängig von einem Zusammenwirken bei dem konkret in Frage stehenden Geschäft für eine Zurechnung zumindest des Wissens von der Tochtergesellschaft an die Konzernobergesellschaft unter diesen Umständen Schubert, in: MüKo BGB, Bd. 1, 8. Aufl., 2018, § 166 Rdn. 64; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000, S. 202, 210, 274 (Veranlassungsvermutung bei regelmäßiger Einflussnahme der Obergesellschaft); a.A. Gasteyer/ Goldschmidt, AG 2016, 116, 124 (keine Wissenszurechnung bei Zusammenwirken als funktionale Einheit). 159 Allgemein für eine Wissenszurechnung bei Organidentität Marsch-Barner/Diekmann, in: Priester/Mayer/Wicke, HdB des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, 5. Aufl., 2018, § 44 Rdn. 45; U. H. Schneider/S. H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl., 2014, 35 Rdn. 132; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000, S. 200 ff.; Wilken/Hagemann, BB 2016, 67, 71; Spindler/Speier, BB 2005, 2031, 2032. 160 Koch, ZIP 2015, 1757 ff.; Verse, AG 2015, 413 ff.; R. Werner, WM 2016, 1474, 1477. 161 Liebscher, in: MüKo GmbHG, Bd. 1, 3. Aufl., 2018, § 13 Anh. Rdn. 220a; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2. Aufl., 2011, S. 972.

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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damit die Kenntnis der Insiderinformationen ursächlich für das Insidergeschäft werden kann.162 Auch bei einer juristischen Person ist, unabhängig vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung, das bei der Ordererteilung verfügbare Wissen zuzurechnen. Angesichts des Kausalitätserfordernisses sind für Art. 8 Abs. 2 und 3 MAR die Zeitpunkte der Empfehlung oder Verleitung bzw. der Nutzung die spätestmöglichen. In Betracht kommt auch die Zurechnung von Wissen, dessen sich zu den genannten Zeitpunkten kein Mitarbeiter mehr bewusst ist. Dabei ist zwischen Insiderinformationen, die in den Mitarbeitern zur Verfügung stehenden Informationsspeichern (vollständig) festgehalten sind und Insiderinformationen, bei denen dies nicht der Fall ist, zu unterscheiden. Dass erstere Insiderwissen der juristischen Person darstellen, konnte bereits festgestellt werden.163 Da auch das Wissen ausgeschiedener Mitarbeiter konserviert und abrufbar bleiben kann, ist auch dieses der juristischen Person weiter zurechenbar. Fraglich ist, ob der europäische Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Informationen tatsächlich gespeichert worden sein müssen. In diesem Fall ist das Wissen eines Mitarbeiters, das nirgendwo festgehalten wurde, der juristischen Person nicht mehr zurechenbar, sobald er aus der Gesellschaft ausscheidet. Im nationalen Vertragsrecht wird für die Zurechnung typischerweise aktenmäßig oder elektronisch festgehaltenen sowie üblicherweise zu sichernden Wissens plädiert.164 Dass Art. 8 und 9 MAR positive Kenntnis der juristischen Person voraussetzen, spricht dafür, nicht ausreichen zu lassen, dass die Insiderinformationen nur typischerweise festgehalten werden, sondern eine tatsächliche Speicherung zu verlangen. Der Schutz vor den Folgen der Wissenszurechnung in Form von Informationsbarrieren (Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR) und eine fehlende Beeinflussung (Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR) erscheint gar nur sinnvoll, sofern dem Besitz von Insiderinformationen die Bedeutung zukommt, dass irgendeine natürliche Person im Einflussbereich der juristischen Person von Insiderinformationen weiß oder diese als Aktenwissen verfügbar sind. Gleichwohl lässt es der europäische Gesetzgeber in Art. 9 Abs. 1 MAR für die Vermutung, Insiderinformationen seien genutzt worden, ausreichen, dass eine juristische Person im Besitz von Insiderinformationen „war“. Wenngleich Art. 9 Abs. 1 MAR lediglich die Nutzungsvermutung bei einem Insidergeschäft i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MAR zu widerlegen ermöglicht, ist das der Vorschrift zugrunde liegende Verständnis des Besitzes juristischer Personen von Insiderinformationen kein Spezifikum des Erwerbs- oder Veräußerungsverbots, sondern gilt insgesamt für die Problematik der Wissenszurechnung im Insiderrecht. Dass der juristischen Person auch vergangenes Wissen schadet, steht im Einklang mit dem Grundsatz einer handlungsunabhängigen Wissenszurechnung. Das Wissen eines Mitarbeiters wird, sobald er von Insiderinformationen erfährt, zu Insiderwissen der juristischen Per-

162 163 164

Siehe F. I. 4. a) aa). Siehe F. II. 2. a) bb). Siehe C. II. 2. und 4.

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F. Insiderhandel

son165 und bleibt ihr unabhängig davon, ob dieser Mitarbeiter selbst oder ein anderer nach dem Ausscheiden des Wissensträgers ein Geschäft tätigt, zurechenbar. Ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung der natürlichen Person ist anzunehmen, dass die Insiderinformationen ein späteres Geschäft der juristischen Person beeinflusst haben. Dies bedeutet letztlich eine Unterstellung, dass auch das Wissen ausgeschiedener Wissensträger anderen Mitarbeitern noch zugänglich ist. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, greift die Vermutung nach Art. 9 Abs. 1 MAR, es sei für die juristische Person genutzt worden. Juristische Personen werden damit als „vergessensunfähig“ betrachtet. Der Einfluss zurückliegenden Wissens auf eine konkrete Finanzmarkttransaktion kann allerdings mit dem Nachweis widerlegt werden, dass der Wissensträger ausgeschieden ist und die Informationen nicht aktenmäßig festgehalten oder vor der Transaktion vernichtet wurden und jedenfalls von keinem Mitarbeiter hätten verwendet werden können, denn es fehlt in diesem Fall am Einfluss der Insiderinformationen auf das konkrete Geschäft. Gleiches gilt für eine natürliche Person, die für eine juristische Person tätig ist und Insiderinformationen kennt, diese aber bei Geschäftsschluss vergessen hat. Der juristischen Person wird dieses Wissen gleichwohl zugerechnet, sodass sie im Besitz der Insiderinformationen i.S.d. Art. 8 und 9 MAR ist. Der Einwand, dass die handelnde oder eine sie beeinflussende Person die Insiderinformationen vergessen hat, ist für die Frage der Kausalität der Insiderinformationen für das betreffende Geschäft relevant.166 Ein Nachweis, dass die handelnde Person im Zeitpunkt der Transaktion nicht aufgrund der Insiderinformationen, sondern aus anderen Motiven gehandelt hat, widerlegt die Spector-Vermutung. Im Ergebnis ist damit der juristischen Person die Kenntnis von Insiderinformationen ab dem Zeitpunkt zuzurechnen, in dem ein Mitarbeiter sie erlangt. Ob der Wissensträger sie vergisst, aus der juristischen Person ausscheidet oder die Informationen aktenmäßig festgehalten werden, ist nicht von Bedeutung, da für die Vermutung des Art. 9 Abs. 1 MAR auch vergangenes Wissen ausreicht. Nach der Transaktion erworbenes Wissen schadet der juristischen Person hingegen nicht. 5. Zwischenergebnis Die im nationalen Recht als Zurechnungsgrund diskutierten Verkehrs- und Vertrauensschutz-, Risiko- sowie Gleichstellungsargumente dienten nicht als Vorbild für die Wissenszurechnung im europäischen Insiderrecht. Der überindividuell konzipierte Anlegerschutz, der neben dem Funktionsschutz die Kapitalmarktintegrität stärkt, rechtfertigt eine weitreichende Wissenszurechnung. Die in Art. 9 Abs. 1 MAR fixierte Option zum Selbstschutz mittels einer ordnungsgemäßen Wissensorgani165 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 8 Rdn. 111; ders., NZG 2017, 1285, 1291; Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 9 MAR Rdn. 22. 166 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 8 Rdn. B.8.147.

II. Wissenszurechnung bei juristischen Personen

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sation bietet der juristischen Person eine Möglichkeit, die umfassende Wissenszurechnung zu korrigieren. Es sind die Zurechnungsstandards der positiven Kenntnis und des Kennenmüssens zu unterscheiden. Das Tatbestandsmerkmal der positiven Kenntnis von Insiderinformationen ist erfüllt, wenn die für die juristische Person im konkreten Fall handelnde natürliche Person von den Insiderinformationen weiß, aber auch in der Konstellation, dass Wissensträger und Handelnder auseinanderfallen. Die Wissenszurechnung im Insiderrecht ist damit handlungsunabhängig ausgestaltet. Einer juristischen Person wird das gesamte Wissen ihrer an dem konkreten Geschäft beteiligten und unbeteiligten Mitarbeitern zugerechnet. Es ist hingegen keine Wissenszusammenrechnung derart zulässig, dass von positiver Kenntnis auszugehen ist, wenn die maßgeblichen Umstände auf eine Personenmehrheit aufgeteilt sind, deren Wissen erst zusammengetragen werden muss, damit darin Insiderinformationen zu sehen sind. Gleiches gilt für in Speichermedien festgehaltenes Wissen. Dieses ist zurechenbar, sofern vollständige Insiderinformationen einem Mitarbeiter der juristischen Person zur Verfügung stehen. Ob der Wissensträger privat oder dienstlich von den Insiderinformationen Kenntnis erlangt, ist unerheblich für die Zurechenbarkeit. Voraussetzung für ein Insidergeschäft ist lediglich, dass das Insiderwissen seiner Natur nach nicht der Privatsphäre des Wissensträgers zuzuordnen ist und der Handelnde das Insidergeschäft in dienstlicher Eigenschaft tätigt. Maßstab des Zurechnungsstandards des Kennenmüssens ist einfache Fahrlässigkeit. Es kommt darauf an, wann ein durchschnittlich erfahrener Anleger die Insiderrelevanz erkennt, stünde er an der Stelle der konkreten Person. Zu berücksichtigen sind daher die objektiven Umstände, nicht hingegen höchstpersönliche Eigenschaften der Person. Innerhalb einer juristischen Person kommt es in Art. 8 Abs. 3 MAR auf diejenige natürliche Person an, welche die Empfehlung oder Verleitung für die juristische Person umsetzt. Im Rahmen des Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR muss dem Wissensträger die Insiderqualität bewusst sein oder er muss sie erkennen können. Andernfalls liegt ein Insidergeschäft nur vor, wenn dem Handelnden die Informationen weitergegeben werden und er von der Insiderqualität zumindest wissen muss oder der Handelnde von dem Wissensträger beeinflusst wird und, hätte er die Informationen, deren Insiderrelevanz erkennen müsste. Der juristischen Person ist die Kenntnis von Organmitgliedern und nachgeordneten Mitarbeitern, nicht hingegen die Kenntnis externer Personen, ab dem Zeitpunkt zuzurechnen, in dem ein Mitarbeiter sie erlangt. Ob der Wissensträger sie vergisst, aus der juristischen Person ausscheidet oder die Informationen aktenmäßig festgehalten werden, ist nicht von Bedeutung.

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F. Insiderhandel

III. Informationsmanagement i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MAR als Korrektur der Wissenszurechnung Die weitreichende Wissenszurechnung bei juristischen Personen hat zur Konsequenz, dass regelmäßig die Spector-Vermutung zum Tragen kommt, nach der die Nutzung von Insiderinformationen angenommen wird. Die gesetzliche Regelung legitimer Handlungen zeigt juristischen Personen eine Möglichkeit auf, diese Vermutung zu widerlegen und damit wirksam den Folgen der Wissenszurechnung zu begegnen. Art. 9 Abs. 1 MAR wirkt als Korrekturmechanismus einer umfassenden Wissenszurechnung. Im Ergebnis soll der juristischen Person ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot nach Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MAR nur vorwerfbar sein, wenn die Entscheidung über den Abschluss eines Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäfts von einer natürlichen Person getroffen wurde, die Kenntnis von Insiderinformationen hatte, nicht hingegen, wenn lediglich am Geschäft unbeteiligte Personen im Besitz der Insiderinformationen waren.167 Die Vorschrift des Art. 9 Abs. 1 MAR erspart juristischen Personen im konkreten Fall den Nachweis, zugerechnetes Insiderwissen nicht genutzt zu haben, wenn allgemein angemessene organisatorische Vorkehrungen getroffen wurden, die bewirken, dass sich das Insiderwissen nicht auf die Handelsaktivität ausgewirkt hat.168 Dabei geht es in Art. 9 Abs. 1 MAR um die Situation, dass fraglich ist, ob die Kenntnis eines Mitarbeiters von Insiderinformationen kausal für das in einer anderen Abteilung der juristischen Person vorgenommene Geschäft war.169 Um die Spector-Vermutung zu widerlegen, muss die juristische Person nicht den Nachweis erbringen, dass der Umgang mit vorhandenem Insiderwissen im konkreten Fall fehlerfrei ablief,170 denn Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR verlangt lediglich, dass die interne Wissensorganisation eingeführt, umgesetzt und aufrechterhalten wird. Das Risiko, dass eine natürliche Person, die Kenntnis von Insiderinformationen hat, ein Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft für die juristische Person tätigt oder dass die natürliche Person von einem Wissensträger beeinflusst wird, soll minimiert werden.171 Diese Umstände können jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Art. 9 Abs. 1 MAR kommt dementsprechend nur in den Fällen zur Anwendung, in denen trotz organisatorischer Vorkehrungen ein Insidergeschäft getätigt wurde oder dies zumindest in Frage steht. Wird der Annahme einer Pflicht zur innerbetrieblichen Wissensorganisation im zivilrechtlichen Kontext entgegengehalten, sie entbehre einer rechtlichen Grundla167

Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 9 Rdn. B.9.24. Klöhn, ZBB 2017, 261, 265; anders Bachmann, Das Europäische Insiderhandelsverbot, 2015, S. 52 (es gehe nicht um fehlende Kausalität, sondern um Zurechnung). 169 Klöhn, ZBB 2017, 161, 265; als ungewöhnlich für Art. 9 MAR wird die Konstellation beschrieben, weil der Einsatz von Insiderinformationen nicht nachgewiesen, sondern vermutet wird, Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 401. 170 Klöhn, ZBB 2017, 261, 265, zustimmend Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 57. 171 Hansen, in: Ventoruzzo/Mock, MAR, 2017, Art. 9 Rdn. B.9.26. 168

III. Informationsmanagement i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MAR

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ge172, kann im reformierten Insiderhandel Art. 9 Abs. 1 MAR herangezogen werden, der zwar keine Pflicht vorsieht, jedoch zumindest die Möglichkeit zur Vermeidung der Konsequenz von Wissenszurechnung eröffnet.173 Die Vorschrift macht gleichwohl keine Vorgaben zur Kontrolle des Informationsflusses zu Personen, die im Namen der juristischen Person nach Art. 8 Abs. 2 MAR Transaktionen empfehlen oder zu ihnen verleiten. Das Insiderwissensmanagement ist damit nur ausschnittsweise in Art. 9 Abs. 1 MAR kodifiziert.174 Ziel der durch die juristische Person nach dieser Regelung zu etablierenden Wissensorganisation ist es, zu verhindern, dass die natürliche Person, die für die juristische Person eine Transaktion durchführt, die Insiderinformationen kennt (lit. a) und auch nicht anderweitig durch Insiderwissen beeinflusst wird (lit. b). Die Anforderungen an das Informationsmanagement sollen im Folgenden untersucht werden. 1. Organisatorische Vorkehrungen, Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR Juristische Personen können ihre Wertpapiertransaktionen ausführen, obwohl ihnen das Insiderwissen einer natürlichen Person innerhalb der Gesellschaft zuzurechnen ist, wenn sie i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MAR legitim handeln, weil sie den Wissensorganisationsanforderungen genügen. Mittels interner Regelungen und Verfahren soll erreicht werden, dass die natürliche Person, die den Beschluss zu einem Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft von Finanzinstrumenten fasst oder diesen Beschluss beeinflusst, keine Kenntnis von Insiderinformationen erlangt. Um den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR an die Einführung, Umsetzung und Aufrechterhaltung von angemessenen wirksamen internen Regelungen und Verfahren zu genügen, die sicherstellen, dass weder die ein Geschäft tätigende175 noch eine dieses anderweitig beeinflussende natürliche Person im Besitz der Insiderinformationen ist, kommen diverse Maßnahmen der Informations- und Handlungsbeschränkung in Betracht. Der Informationsbeschränkung dienen effiziente Informationsbarrieren (sogenannte Chinese Walls), die, zur Vermeidung eines Informationsaustausches, Handelsabteilungen von anderen Abteilungen, die Kenntnis von Insiderinformationen erlangen können, separieren.176 Die Trennung kann räumlich, organisatorisch nach 172

So Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1259. Von einer „compliance defense“ spricht Klöhn, ZBB 2017, 261, 264; ders., NZG 2017, 1285, 1290. 174 Vgl. Klöhn, ZBB 2017, 261, 265. 175 Trotz uneindeutiger Formulierung des Art. 9 Abs. 1 MAR ist jede natürliche Person erfasst, die innerhalb der ihr zustehenden Befugnisse für Rechnung der juristischen Person tätig wird. Sie muss nicht i.S.d. Art. 8 Abs. 5 MAR an einem Beschluss beteiligt sein, vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 9 VO Nr. 596/2014 Rdn. 7. 176 Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 406; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 80; Kumpan, in: Baumbach/Hopt, 39. Aufl., 2020, Art. 9 VO (EU) Nr. 596/2014 Rdn. 2; Zetzsche, in: Enzy173

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F. Insiderhandel

Abteilungen und Geschäftssparten oder durch technische Zugriffssperren vollzogen werden.177 Für die Fälle, dass trotz Informationsbeschränkungen Informationen an handlungsbefugte Mitarbeiter gelangen oder diese extern von Insiderinformationen Kenntnis erlangen, sind Handlungsbeschränkungen zu etablieren. Diese zielen darauf ab, die Insider innerhalb der juristischen Person an der Ausnutzung des Insiderwissens zu hindern. Hierfür sind die Wissensträger aufzuklären, um Tatbestands- oder Verbotsirrtümer zu meiden.178 Es sind präventive Handels- und Empfehlungsverbote über Sperr- oder Stopplisten (sogenannte Restricted-Lists) einzuführen.179 Da in diesen Insiderinformationen festgehalten sind, dürfen sie Mitarbeitern erst zugänglich gemacht werden, wenn die insiderrelevanten Umstände bereits „im Gespräch“ sind, weil die Liste ansonsten zur Verbreitung der Informationen beiträgt.180 Die Ausführung von Kundenordnern bleibt als legitime Handlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. b MAR selbstverständlich weiter möglich. Zur Überwachung ist eine Beobachtungsliste zu führen (sogenannte WatchList).181 Diese gesellschaftsintern geheim zu haltende Liste zählt Informationsarten auf, die der Wissensträger der Compliance-Stelle mitzuteilen hat.182 Diese Informationsbuchhaltung dient neben der Überwachung der maßgeblichen Geschäfte auch der Kontrolle der Chinese Walls auf ihre Funktionsfähigkeit.183 klopädie Europarecht, Bd. 6, 2016, § 7 C Rdn. 150. Die Schaffung von Vertraulichkeitsbereichen war bereits im Rahmen der Regelung zu Organisationspflichten gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 und 3 WpHG a.F. (heute § 80 Abs. 1 WpHG) anerkannt, vgl. Fuchs, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 33 Rdn. 106 ff.; Abegglen, Wissenszurechnung bei der juristischen Person und im Konzern, bei Banken und Versicherungen, 2004, S. 362 f. Da die für zur Vermeidung von Interessenkonflikten vorgesehenen organisatorischen Vorkehrungen auch geeignet sind, um Insiderinformationen zu isolieren, kann auf diese Strukturen des Informationsmanagements zurückgegriffen werden, Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 403; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 55. 177 BaFin, MaComp AT 6.2 Nr. 3.c (zu § 80 Abs. 1 WpHG), abrufbar unter https://www. bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/2018/rs_18_05_wa3_macomp. html#Start, zuletzt abgerufen am 02. 01. 2020; Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 109 Rdn. 141 ff. 178 Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 109 Rdn. 138. 179 Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 109 Rdn. 139; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 55. 180 Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 406. 181 Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 109 Rdn. 138, 149 ff.; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 55. 182 BaFin, MaComp AT 6.2 Nr. 3.c (zu § 80 Abs. 1 WpHG), abrufbar unter https://www. bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/2018/rs_18_05_wa3_macomp. html#Start, zuletzt abgerufen am 02. 01. 2020; Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 406. 183 Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl., 2017, § 109 Rdn. 150.

III. Informationsmanagement i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MAR

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In größeren arbeitsteiligen Organisationen strukturiert eine Compliance-Stelle das Informationsmanagement. Als einziger Abteilung dürfen bei ihr Insiderinformationen zusammengetragen werden,184 denn sie kontrolliert den Informationsfluss, bildet und beobachtet die Vertraulichkeitsbereiche, deckt Verstöße auf und ist als neutrale Stelle in einen notwendigen bereichsüberschreitenden Informationsfluss (sogenanntes Wall Crossing) einzubinden.185 Da die Ausdrücke „angemessene und wirksame interne Regelungen und Verfahren“ sowie „wirksam sichergestellt“ i.S.d. Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR unbestimmt sind, müssen keine der oben dargestellten oder andere konkrete Maßnahmen zwingend ergriffen werden.186 Das Informationsmanagement ist risikoorientiert auszugestalten. Die konkrete Dimension der Wissensorganisation richtet sich nach der Größe und Struktur der Gesellschaft einerseits und dem Ausmaß der abstrakt bestehenden Gefahr von Insiderdelikten andererseits. Letzteres hängt von der Art der gehandelten Finanzinstrumente und der Anfälligkeit der jeweiligen Branche für Insidergeschäfte ab.187 2. Keine Beeinflussung, Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR Voraussetzung für die Widerlegung der Spector-Vermutung ist nach Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR, dass die juristische Person den für sie handelnden Mitarbeiter nicht aufgefordert hat, ihm keine Empfehlungen gegeben hat und ihn nicht zu dem Geschäft verleitet hat.188 Neben den abstrakten Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR an die Wissensorganisation formuliert lit. b damit das Verbot, die für eine juristische Person ein Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft tätigende natürliche Person zu beeinflussen. Zu denken ist beispielsweise an den Mitarbeiter einer juristischen Person, der ein Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft auf Weisung oder informellen Druck der Geschäftsleitung tätigt.189 Um derartige Beeinflussungen zu verhindern, sind Maßnahmen, wie etwa ein Vergütungssystem, zu unterlassen, welche die Nutzung von Insiderinformationen fördern.190 Mit Art. 9 Abs. 1 lit. b MAR wird der juristischen Person im konkreten Fall die Last genommen, nachzuweisen, dass keine derartige Einflussnahme eines Wissensträgers auf das konkrete Geschäft stattgefunden hat.191

184

Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 405. Vgl. Schlicht, BKR 2006, 469, 471 f. (zu § 33 WpHG a.F.). 186 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 55. 187 Ähnlich Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 9 VO Nr. 596/ 2014 Rdn. 9; Klöhn, ZBB 2017, 261, 265. 188 Im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 2 und 3 MAR wurde der Begriff des „Anstiftens“ nicht zu „Verleiten“ berichtigt. Hierbei handelt es sich wohl um ein redaktionelles Versehen, vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, 7. Aufl., 2019, Art. 9 VO Nr. 596/2014 Rdn. 6. 189 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 7 Rdn. 56. 190 Grundmann, in: Staub, Bd. 11/1, 5. Aufl., 2017, 6. Teil Rdn. 404. 191 Klöhn, ZBB 2017, 261, 265. 185

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F. Insiderhandel

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen das Insiderhandelsverbot Da die Aspekte der Wissenszurechnung normspezifisch zu entwickeln sind,192 bedürfen die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften für Insidergeschäfte gesonderter Betrachtung. Im Gegensatz zur Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR, für die der deutsche Gesetzgeber Schadensersatzansprüche in den §§ 97, 98 WpHG normiert hat, sind zivilrechtliche Folgen bei Verstößen gegen das Insiderhandelsverbot des Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR nicht ausdrücklich geregelt. 1. Europarechtliche Vorgaben Weder die MAR noch die CRIM-MAD193 enthalten Vorgaben für zivilrechtliche Konsequenzen bei Verstößen gegen das Insiderhandelsverbot. Zur effektiven Durchsetzung des Insiderhandelsverbots könnte ein zivilrechtlicher Schutzmechanismus in Form einer deliktischen Haftung erforderlich sein, denn eine solche schafft zusätzliche Anreize, sich gesetzeskonform zu verhalten.194 Wie bereits für die Adhoc-Publizitätspflicht festgestellt, lässt der EuGH nicht erkennen, dass er die privatrechtliche Haftung für die volle Wirksamkeit einer Regelung voraussetzt.195 Gegen die Gebotenheit zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes spricht auch, dass die MAR in Art. 30 explizit verwaltungsrechtliche Maßnahmen vorsieht. Dem Insiderrecht liegt die Vorstellung des europäischen Gesetzgebers zugrunde, die Durchsetzung im Wege einer begrenzten Indienstnahme Privater im Rahmen eines public enforcements zu lösen.196 Diese systemimmanente Lösung im Wege anlass- bzw. verhaltensbezogener Melde- und Organisationspflichten findet in Art. 16 MAR und Art. 32 MAR ihren Niederschlag.197 Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch bei Verstößen gegen das Insiderhandelsverbot ist daher europarechtlich nicht geboten. Gleichwohl bleibt es den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern überlassen, eine Schadensersatzhaftung zu etablieren. In der deutschen Rechtsordnung findet sich zwar keine spezialgesetzliche Regelung. Als Rechtsgrundlagen eines Schadensersatzanspruchs kommen jedoch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 14 MAR und § 826 BGB in Betracht.

192

Siehe C. CRIM-MAD (Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie)), ABl. L 173 vom 12. 06. 2014, S. 179. 194 Dafür Beneke/Thelen, BKR 2017, 12, 14 ff. 195 Siehe E. IV. 1. b). 196 In diese Richtung Schmolke, NZG 2016, 721, 725, 727 (zur Marktmanipulation nach Art. 15 MAR). 197 Cless, Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch, 2018, S. 61 ff. 193

IV. Wissen im Rahmen der Schadensersatzansprüche

253

2. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 14 MAR Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB muss Art. 14 MAR ein Schutzgesetz und damit eine individualschützende Norm sein. Die Schutzgesetzeigenschaft von § 14 WpHG a.F., der Vorgängerregelung des Insiderhandelsverbots, wurde nach herrschender Auffassung verneint.198 Ob Art. 14 MAR als europäische Norm einen nationalen deliktsrechtlichen Schadensersatz auszulösen vermag, hängt, wie im Fall der Ad-hoc-Publizitätspflicht davon ab, ob es der Durchsetzung des EU-Rechts mittels zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche bedarf.199 Da eine zivilrechtliche Haftung bei Verstößen gegen das Insiderhandelsverbot gerade nicht geboten ist, ist die Schutzgesetzeigenschaft des Art. 14 MAR nicht schon aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 823 Abs. 2 BGB zuzuerkennen, kann sich aber aus den autonom-nationalen Kriterien ergeben. Es stellt sich somit die Frage, ob Art. 14 MAR auch dem Schutz von Individualinteressen dient. Das Verbot von Insidergeschäften bezweckt zwar den Schutz der Anlegerschaft, bezieht sich aber auf eine weitgehende Chancengleichheit der Investoren am Markt und dient letztlich nur dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts als öffentlichem Interesse.200 Dass der Individualschutz Rechtsreflex des Insiderhandelsverbots ist, reicht für die Qualifizierung als Schutzgesetz nicht aus.201 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 14 MAR scheidet daher aus.202 3. § 826 BGB Der bloße Verstoß gegen Art. 14 MAR vermag eine Sittenwidrigkeit zwar nicht zu begründen.203 Allerdings kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB in

198 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 444; dies., Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 623 f.; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 5; Kaiser, WM 1997, 1557, 1559 f.; a.A. Claussen, DB 1994, 27, 31; ders., AG 1997, 306, 307 (Insiderrecht verfolgt Individualschutzzweck). 199 Siehe E. IV. 4. 200 Siehe B. III. 2. b) cc). 201 Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 444; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl., 2010, § 14 WpHG Rdn. 5; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 456. 202 So auch die h.M., vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 14 Rdn. 122; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl., 2020, Art. 14 Rdn. 51; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 6, 7. Aufl., 2017, § 823 Rdn. 510, dessen Begründung, Insiderhandel sei ein „victimless crime“ überzeugt allerdings nicht, siehe B. III. 2. b) bb); Cless, Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch, 2018, S. 171 f.; a.A. Beneke/ Thelen, BKR 2017, 12 ff. 203 Klöhn, in: Klöhn, MAR, Kommentar, 2018, Art. 14 Rdn. 122; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rdn. 457; a.A. noch zum alten Recht Kaiser, WM 1997, 1557, 1560.

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F. Insiderhandel

Betracht, wenn das Insidergeschäft nicht nur wegen seines Inhalts, sondern aufgrund der Umstände seines Zustandekommens als sittenwidrig anzusehen ist.204 Die Grundsätze der Wissenszurechnung im nationalen Deliktsrecht und im europäischen Insiderrecht differieren dahingehend, dass der BGH für § 826 BGB ausdrücklich eine Wissenszusammenrechnung zur Begründung der Sittenwidrigkeit und des Schädigungsvorsatzes ausschließt,205 während die Art. 8 und 9 MAR dies zulassen. Wie im Fall der unterlassenen unverzüglichen bzw. unwahren Veröffentlichung von Insiderinformationen muss der Vorstand oder ein sonstiger verfassungsmäßiger Vertreter i.S.d. § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB verwirklichen. Dass irgendein Mitarbeiter der juristischen Person Kenntnis von Insiderinformationen hat und eine andere natürliche Person Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, veräußert oder erwirbt bzw. einen Dritten hierzu verleitet, ist ausreichend für einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR, begründet jedoch keinesfalls einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB.

V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime In Frankreich und England stellen sich Fragen zur Wissenszurechnung im Kontext von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nur, soweit die nationalen Rechtsordnungen solche bei einem Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot nach den Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR vorsehen. 1. Frankreich In Frankreich kann Insiderhandel grundsätzlich zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen. Eine spezialgesetzliche Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche wegen Insiderhandels findet sich in der französischen Rechtsordnung zwar nicht. Vor Inkrafttreten der MAR bejahten französische Gerichte den Schadensersatzanspruch eines Anlegers im Fall verbotener Insidergeschäfte jedoch nach der allgemeinen deliktischen Generalklausel des Art. 1240 Code civil dem Grunde nach.206 In einem Adhäsionsverfahren207 waren die Emittentin, die société anonyme SIDEL, und ihre Geschäftsleiter Ansprüchen der Aktionäre wegen Insidergeschäften, irreführender Kapitalmarktinformation und unrichtiger Buchführung ausgesetzt. 204

So vor Inkrafttreten der MAR Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 14 Rdn. 426 f.; Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 93 f. 205 Siehe E. IV. 5. 206 Ehemals Art. 1382 Code civil, vgl. TGI Paris v. 12. 09. 2006, n8 018992026; CA Paris v. 17. 10. 2008, n 06/09036. 207 Vgl. E. V. 1.

V. Rechtsvergleichende Betrachtung der zivilrechtlichen Haftungsregime

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Der Ersatzanspruch wegen Insiderhandels scheiterte, weil er nur 30.000 Aktien betraf, das Handelsvolumen an den maßgeblichen Stichtagen allerdings deutlich höher war, das Gericht daher eine Kursbeeinflussung ausschloss und somit keinen Schaden feststellen konnte.208 Gelegenheit, sich zu Aspekten der Wissenszurechnung zu äußern, hatte das Gericht nicht, weil es sich bei den Insidern um natürliche Personen handelte. Da auch juristische Personen in Frankreich nach Art. 121 – 2 Code pénal der Strafverfolgung ausgesetzt sind und das Insiderhandelsverbot des Art. 465 – 1 Code monétaire et financier für sie gilt,209 kommt die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs im Adhäsionsverfahren gegen sie in Betracht. Fragen der Wissenszurechnung stellen sich gleichwohl nicht, weil die juristische Person lediglich von den strafrechtlichen Rechtsfolgen eines durch Vorstandsmitglieder persönlich voll verwirklichten Unrechtstatbestands betroffen ist.210 2. England Die englische Rechtsordnung sieht keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage vor, die eine Klageberechtigung für den Ersatz eines durch Insiderhandel verursachten Schadens einräumt. In Betracht kommt gleichwohl ein Schadensersatzanspruch aus dem Deliktstatbestand des breach of statutory duty.211 Voraussetzung hierfür ist neben einem kausalen Schaden, vor dem die Norm, gegen die verstoßen wird, gerade schützen soll, dass mit dem Gesetzesverstoß nach Intention des Gesetzgebers eine zivilrechtliche Sanktion einhergehen soll.212 Letzteres muss nicht ausdrücklich geregelt sein, sondern kann sich für die Gerichte auch aus der Auslegung der jeweiligen Norm ergeben.213 Der Commercial Court hat für das in section 118 des Financial Services and Markets Act 2000214 geregelte Marktmissbrauchsverbot, das in Abs. 2 Insiderhandel als verbotene Handlung benennt, eine entsprechende Intention des Gesetzgebers verneint.215 Als Begründung der Entscheidung Hall v. Cable and

208 CA Paris v. 17. 10. 2008, n8 06/09036; zu den zivilrechtlichen Fragen bzgl. der irreführenden Kapitalmarktinformationen und der unrichtigen Buchführung im Fall SIDEL Cass. crim. v. 18. 11. 2009 n8 08 – 88078; siehe auch Veil/Koch, Französisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 72 f. 209 Alexander, Insider Dealing and Money Laundering in the EU, 2007, S. 56. 210 Thomale, AG 2015, 641, 643. 211 Weitere Anspruchsgrundlagen jeweils verneinend Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 444 ff.; Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 84 ff. 212 Buckley, in: Clerk & Lindsell on Torts, 21. ed., 2014, Chapter 9 Rdn. 2, 4. 213 Buckley, in: Clerk & Lindsell on Torts, 21. ed., 2014, Chapter 9 Rdn. 2. 214 In der Fassung des Financial Services and Markets Act 2000 (Market Abuse) Regulations 2005, S.I. 2005/381. 215 Hall v. Cable and Wireless Plc [2011] BCC 543, 549, Rdn. 23; eine zivilrechtliche Haftung hingegen in Betracht ziehend Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 393 f.

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F. Insiderhandel

Wireless Plc216 führte das Gericht an, der Gesetzgeber habe das Ziel des Gesetzes mittels aufsichtsrechtlicher Sanktionen erreichen wollen.217 Unter diesen Umständen sei das Fehlen eines ausdrücklich geregelten Klagerechts ein klarer Hinweis darauf, dass keine Absicht des Gesetzgebers bestehe, eine zivilrechtliche Sanktion zuzubilligen.218 Ein Verstoß gegen in England unmittelbar geltendes europäisches Recht kann, zumindest bis zum Zeitpunkt des Austritts Großbritanniens aus der EU, ebenfalls einen Schadensersatzanspruch aus dem breach of statutory duty begründen.219 Damit kommt grundsätzlich auch Art. 14 MAR als Anknüpfungsnorm in Betracht. Auch wenn hierzu noch keine Entscheidung erging, ist allerdings zu vermuten, dass das Gericht einen Schadensersatzanspruch verneinen würde, da auch der europäische Gesetzgeber nicht vorgesehen hat, dass mit einem Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot eine zivilrechtliche Sanktion einherzugehen hat.

216 Zuletzt bestätigt in der Entscheidung Brown v. Innovatorone Plc, [2012] EWHC 1321 (Comm). 217 Hall v. Cable and Wireless Plc [2011] BCC 543, 549, Rdn. 23. 218 Hall v. Cable and Wireless Plc [2011] BCC 543, 550, Rdn. 23. 219 Buckley, in: Clerk & Lindsell on Torts, 21. ed., 2014, Chapter 9 Rdn. 46.

G. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Die Regelung des Insiderrechts durch die MAR beruht auf der ökonomischen Überlegung, einen allokativ, informations-, operational sowie institutionell effizienten Kapitalmarkt zu gewährleisten. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR verhindert durch Kapitalmarktinformation nicht lediglich Fehlverteilungen, sondern stellt eine wesentliche Maßnahme zur Prävention von Insidergeschäften i.S.d. Art. 8 MAR dar. Daraus folgen die jeweilige Anknüpfung der Tatbestände an den gleichen, in Art. 7 Abs. 1 MAR definierten Begriff der Insiderinformationen sowie das gleichzeitige Einsetzen der Ad-hoc-Publizitätspflicht und des Insiderhandelsverbots. Im Sinne der Equal Access Theory bezwecken die Regelungen zur Beseitigung von Informationsasymmetrien primär, einen funktionsfähigen Kapitalmarkt zu gewährleisten, wirken sich jedoch mittelbar zugleich zugunsten des Anlegerschutzes aus. 2. Die Wissenszurechnung bei juristischen Personen beurteilt sich in Deutschland im Falle rechtsgeschäftlicher Stellvertretung nach § 166 BGB. Die Norm ist entsprechend für nicht vertretungsberechtigte Hilfspersonen, die sogenannten Wissensvertreter, heranzuziehen, während das Wissen von Organen nach § 31 BGB (analog) zurechenbar ist. Die als Begründung für eine Wissenszurechnung bei juristischen Personen entwickelte und früher herrschende Organtheorie, nach der Wissen der Organe zugleich als Wissen der juristischen Person anzusehen ist, wurde durch eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung von Verkehrs- und Vertrauensschutzargumenten sowie des Risiko- und Gleichstellungsprinzips abgelöst. 3. Vor Inkrafttreten der MAR spielten Wissen und Wissenmüssen für die in § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. geregelte Ad-hoc-Publizitätspflicht im Rahmen des ein Verschuldenserfordernis beinhaltenden Merkmals der Unverzüglichkeit eine Rolle. Das Emittentenwissen war entscheidend für den Erfüllungszeitpunkt der Publizitätspflicht. Der Emittent verstieß gegen die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung, handelte also nicht ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, sofern ihm vorzuwerfen war, dass er über alle veröffentlichungspflichtigen Umstände informiert war, die Veröffentlichung aber dennoch nicht in die Wege leitete, oder dass er fahrlässig Wissensorganisationspflichten verletzte und daher davon auszugehen war, dass er die betreffenden Insiderinformationen hätte kennen und veröffentlichen können. Der Kenntnis und dem Kennenmüssen des Emittenten lagen die in der deutschen Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung zugrunde. Das Verbot von Insidergeschäften setzte seit seiner erstmaligen Normierung in § 14 WpHG a.F. positive Kenntnis von den die Insiderinformationen begründenden

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G. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Umständen voraus. Für juristische Personen, die ebenso wie natürliche Personen Normadressaten waren, wurden die für das allgemeine Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung herangezogen. Der EuGH hat sich bisher nicht mit der Kenntnis oder dem Kennemüssen einer juristischen Person von Insiderinformationen befasst. Seinen Urteilen zum Insiderrecht unter Geltung der Insiderrichtlinie und der Marktmissbrauchsrichtlinie lagen Sachverhalte zugrunde, in denen natürliche Personen als Insider anzusehen waren. Dabei umschrieb der Gerichtshof die Kenntnis der Insider von Insiderinformationen objektiv, indem er von „verfügen“ über Insiderinformationen oder vom „Besitz“ derselben sprach. Die Rechtsprechung des EuGH zur Ad-hoc-Publizitätspflicht lässt darauf schließen, dass sich aus ihr Anforderungen an den Emittenten zur Wissensorganisation ergeben. 4. Dem neuen Marktmissbrauchsrecht der MAR kommt eine vollharmonisierende Wirkung zu, weshalb die von der deutschen Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze insbesondere zur Wissenszurechnung und -organisation nicht herangezogen werden können, wenn hiermit eine Einschränkung oder Erweiterung der Ad-hoc-Publizitätspflicht gem. Art. 17 Abs. 1 MAR einherginge. Mithin ist durch eine europarechtliche Auslegung der Umfang der durch die MAR begründeten Ad-hoc-Publizitätspflicht zu bestimmen. Die autonome Auslegung der MAR ergibt, dass Art. 17 Abs. 1 MAR weder die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Emittenten von den veröffentlichungspflichtigen Umständen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraussetzt noch eine schuldlose Unkenntnis der Veröffentlichungspflicht entgegensteht. Da sowohl die Bekanntgabe als auch die Unverzüglichkeit begrifflich weder ein Verschuldens- noch ein Wissenselement verlangen, legt der Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR nahe, dass der dem Emittenten zugebilligte Zeitraum für die Ad-hocMitteilung nicht mit der Kenntnis oder dem Kennenmüssen von Insiderinformationen, sondern mit deren objektiven Vorliegen in der Organisationssphäre des Emittenten beginnt und so lange nicht als überschritten anzusehen ist, wie es dem Emittenten unmöglich ist, trotz umfassenden Informationsmanagements die Insiderinformationen bekanntzugeben. Die Systematik der europarechtlichen Vorschriften zum Kapitalmarktrecht belegt, dass die den Emittenten treffende Pflicht zur Ad-hoc-Veröffentlichung kenntnisunabhängig ist. Das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit in Art. 17 Abs. 1 MAR grenzt das den Emittenten treffende Pflichtenprogramm hinsichtlich seines Informationsmanagements sinnvoll ein, sodass es eines Kenntniserfordernisses zur Beschränkung der den Emittenten treffenden Pflicht nicht bedarf. Das Selbstbefreiungsprivileg des Art. 17 Abs. 4 MAR schafft einen Anreiz, das Informationsmanagement darauf auszurichten, dem Vorstand potenziell ad-hoc-pflichtige Informationen zukommen zu lassen. Der Vergleich mit Art. 8 MAR zeigt, dass der europäische Gesetzgeber im Gegensatz zu dieser Norm im Wortlaut des Art. 17 MAR auf ein Wissenselement verzichtet hat. Art. 12 Abs. 2 lit. a der Transparenz-

G. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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richtlinie II, welcher der Meldepflicht bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils nach § 33 Abs. 1 WpHG zugrunde liegt, gibt vor, dass die Frist für die unverzügliche Mitteilung mit der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Meldepflichtigen beginnt, und steht damit im Gegensatz zur Regelung der Ad-hoc-Publizität, für die der europäische Gesetzgeber ein Kenntniselement gerade nicht ausdrücklich vorgesehen hat. Der Telos des Art. 17 MAR, größtmögliche Transparenz zu gewährleisten und Informationsasymmetrien abzubauen, legt ein Verständnis der Norm nahe, das über die Statuierung einer Veröffentlichungspflicht lediglich bezüglich dem Emittenten bekannter Umstände hinausgeht. Eine Veröffentlichungspflicht, die unmittelbar an das Bestehen eines effizienten Wissensorganisationssystems anknüpft, schafft Anreize für den Emittenten, ein solches tatsächlich aufzubauen und damit auf Transparenz im Kapitalmarkt hinzuwirken. Auch auf Grundlage der Entstehungsgeschichte des Art. 17 Abs. 1 MAR kann nicht davon ausgegangen werden, der europäische Gesetzgeber habe die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Emittenten als Voraussetzung der Veröffentlichungspflicht aufnehmen wollen. Einer an die Möglichkeit der Informationsbeschaffung anknüpfenden Ad-hocPublizitätspflicht steht auch der bei Anwendung europarechtlicher Verordnungen zu berücksichtigende ultra posse nemo obligatur-Grundsatz nicht entgegen. Art. 17 Abs. 1 MAR verlangt nur eine Bekanntgabe so schnell wie möglich und setzt damit voraus, dass der Emittent die Informationen objektiv hätte bekannt geben können. Es bedarf daher nicht eines Kenntniselements, um einen Verstoß des Art. 17 MAR gegen den ultra posse nemo obligatur-Grundsatz zu verhindern. Aus den Leitlinien und Q&A der ESMA sowie aus technischen Durchführungsstandards zur MAR geht hervor, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde statt vom Kennen(müssen) der Insiderinformationen als Voraussetzung des Art. 17 MAR von dem Emittenten obliegenden CompliancePflichten im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgeht. In der Praxis in Deutschland ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass die BaFin den Begriff „unverzüglich“ in Art. 17 Abs. 1 MAR i.S.d. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als Verschuldenselement interpretiert und das Emittentenwissen berücksichtigt. 5. Art. 17 MAR statuiert Verhaltensanforderungen an den Emittenten im Hinblick auf sein Informationsmanagement. Die Wissensorganisationspflichten bilden den objektiven Maßstab für die Frage, ob und ab welchem Zeitpunkt nicht (mehr) von einer unverzüglichen Bekanntgabe und damit von der rechtzeitigen Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgegangen werden kann. Die konkrete Ausgestaltung des Informationsmanagements ist abhängig vom mitgliedstaatlichen Verbandsrecht und von rechtsökonomischen Gesichtspunkten, denn die mit der Bekanntgabepflicht verbundenen Kosten dürfen ihren Nutzen nicht übersteigen. Eine weitere Grenze der den Emittenten treffenden Wissensorganisationspflicht stellt der ultra posse nemo

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G. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

obligatur-Grundsatz und damit die Reichweite der Organisationsmacht des Emittenten dar. 6. Im Einzelnen treffen den Emittenten Pflichten zur Feststellung des Vorliegens von Insiderinformationen und hinsichtlich ihrer unverzüglichen Bekanntgabe. Erstere entstehen, sobald sich Informationen ersichtlich innerhalb des Herrschaftsbereichs des Emittenten befinden. Die Feststellung von den Emittenten unmittelbar betreffenden Insiderinformationen erfordert, alle erkennbar potenziell insiderrelevanten Umstände zu dokumentieren. Auf das archivierte Wissen muss nur dann zurückgegriffen werden, wenn es einen Anlass zur Abfrage bzw. Nachforschung gibt. Es besteht eine allgemeine Verkehrserwartung, dass der Emittent nicht lediglich an ihn herangetragene Informationen speichert, sondern sich über ihn unmittelbar betreffende Umstände informiert, indem er die ihm zugänglichen Informationsquellen nutzt. Dies gilt auch für externe Informationen, auf die der Emittent, wenngleich in der Regel in eingeschränktem Maße, Zugriff hat und bezüglich derer eine regelmäßige Abfrage zumutbar ist. Liegen danach Insiderinformationen beim Emittenten vor, muss er auf ihre unverzügliche Veröffentlichung hinwirken. Der Emittent hat dazu organisatorische Strukturen einzurichten, die den internen Informationsfluss sicherstellen, indem er klare Mitteilungswege in Richtung der für Ad-hoc-Meldungen zuständigen Stelle festlegt. Grenzen der Informationsbündelung ergeben sich aus dem nemo teneturGrundsatz sowie aus Vertraulichkeitspflichten und Persönlichkeitsrechten, die einer Informationsweiterleitungspflicht entgegenstehen. Die Informationen sind zu verifizieren, denn es ist für die für die Ad-hoc-Publizitätspflicht zuständige Stelle unerlässlich, umfassend und inhaltlich zutreffend informiert zu sein, um anschließend die konkreten Umstände zu analysieren und zu überprüfen, ob die Informationen als unmittelbar den Emittenten betreffende Insiderinformationen einzuordnen sind. Für diese Vorgänge und die folgende Bekanntgabe der als solchen identifizierten Insiderinformationen sind Organisationsstrukturen zu schaffen, die eine schnellstmögliche Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht gewährleisten. 7. Die zivilrechtliche Haftung bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht liegt außerhalb des Anwendungsbereichs der MAR und ist nicht aufgrund des europarechtlichen effet utile geboten, weshalb den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung zivilrechtlicher Sanktionen ein weiter Ausgestaltungsspielraum zuzugestehen ist. Zwar führt die Bezugnahme des deutschen Gesetzgebers auf Art. 17 MAR in den §§ 97 Abs. 1 und 98 Abs. 1 WpHG dazu, dass die Haftung nicht losgelöst von der hinter der Norm stehenden unionsrechtlichen Konzeption betrachtet werden kann. Eine Schadensersatzregelung kann neben einem Verstoß gegen die Ad-hocPublizitätspflicht gleichwohl an weitere – auch subjektive – Tatbestandsmerkmale geknüpft werden und es können nationale Grundsätze der Wissenszurechnung angewendet werden. 8. Die in §§ 97 Abs. 1 und 98 Abs. 1 WpHG normierten Schadensersatzansprüche enthalten kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der positiven Kenntnis und

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sehen für die Anspruchsbegründung keine Einschränkung der Zurechnung nach § 31 BGB auf Verhalten erst ab grober Fahrlässigkeit vor. Die sorgfältige Wissensorganisation ist hingegen relevant für die Einwendung fehlenden Verschuldens. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit können dem Emittenten im Rahmen von § 97 Abs. 2 WpHG vorgeworfen werden, wenn die Insiderinformationen nicht veröffentlicht werden, obwohl der für die Ad-hoc-Pflicht zuständige Vorstand Kenntnis der nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu veröffentlichenden Insiderinformationen hatte oder sie hätte kennen müssen. Eine nach § 98 Abs. 2 WpHG auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis kann sich aus der Missachtung der Wissensorganisationspflichten ergeben. Die für das Verschulden in § 97 Abs. 2 und § 98 Abs. 2 WpHG relevanten Organisationspflichten folgen unmittelbar aus Art. 17 MAR. Eine Haftung der juristischen Person nach § 826 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch einen Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht setzt voraus, dass der Vorstand oder ein sonstiger verfassungsmäßiger Vertreter i.S.d. § 31 BGB persönlich sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB verwirklicht. 9. Im Gegensatz zu der in Art. 17 MAR geregelten Ad-hoc-Publizitätspflicht ist bei den Normen des Verbots von Insidergeschäften (Art. 8, 9 und 14 MAR) die Kenntnis der Insider von den insiderrelevanten Umständen erheblich. Die Auslegung der Vorschriften nach ihrem Wortlaut, der Systematik und ihrer Entstehungsgeschichte ergibt, dass der „Besitz“ von Insiderinformationen und das „Verfügen“ darüber als positive Kenntnis von Insiderinformationen zu verstehen sind. Auch dem Zweck der Regelung entspricht es, nur das Handeln einer Person, die Informationen im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern tatsächlich kennt und von ihrem Sonderwissen zu deren Lasten profitiert, zu untersagen. 10. Die Normadressaten des Verbots von Insidergeschäften nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 Abs. 1 und 2 MAR sind diejenige, die über die Insiderinformationen verfügen und damit positive Kenntnis von den insiderrelevanten Umständen haben. Personen, die diese Kenntnis nicht zufällig, sondern aufgrund ihrer Eigenschaft oder Handlung nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a-d MAR erlangt haben, werden als Primärinsider bezeichnet. Alle übrigen Personen unterliegen nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR als Sekundärinsider dem Insiderhandelsverbot, sofern sie wissen oder wissen müssen, dass die ihnen bekannten Informationen Insiderqualität aufweisen. Tippempfänger i.S.d. Art. 8 Abs. 3 MAR hingegen müssen die Insiderinformationen nicht kennen, sondern lediglich die Tatsache, dass die Empfehlung oder Verleitung auf solchen beruht. 11. Dass ein Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften nach Art. 14 lit. a und b i.V.m. Art. 8 MAR das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis und bei Sekundärinsidern bzw. Tippempfängern ein Kennenmüssen voraussetzt, erfordert für juristische Personen als Adressaten des Verbots eine Wissenszurechnung. Weder Art. 9 Abs. 1 MAR kann als Wissenszurechnungsnorm herangezogen werden, weil er sich an juristische Personen richtet, denen Wissen bereits zugerechnet wurde, noch

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existieren allgemeine europarechtliche Wissenszurechnungsgrundsätze. Grund, Gegenstand, Voraussetzungen und Grenzen der Wissenszurechnung bei juristischen Personen sind daher mittels autonomer Auslegung des europäischen Insiderrechts zu entwickeln. 12. Der überindividuell konzipierte Anlegerschutz rechtfertigt eine weitreichende Wissenszurechnung. Für eine juristische Person ist von der positiven Kenntnis von Insiderinformationen nicht nur dann auszugehen, wenn die für die juristische Person im konkreten Fall handelnde natürliche Person von den Insiderinformationen weiß, sondern auch wenn der Wissensträger nicht identisch mit der handelnden Person ist. Nicht zurechenbar hingegen ist Insiderwissen, das auf eine Personenmehrheit aufgeteilt ist, wenn das Wissen also erst zusammengetragen werden muss, damit darin eine Insiderinformation zu sehen ist. Gleichfalls ist in Speichermedien festgehaltenes Wissen nur zurechenbar, sofern einem Mitarbeiter der juristischen Person vollständige Insiderinformationen zur Verfügung stehen. Voraussetzung für ein Insidergeschäft ist, dass das privat oder dienstlich erlangte Insiderwissen seiner Natur nach nicht der Privatsphäre des Wissensträgers zuzuordnen und der Handelnde in dienstlicher Eigenschaft tätig ist. Der Maßstab des Kennenmüssens i.S.d. Art. 8 Abs. 3 und 4 Unterabs. 2 MAR ist einfache Fahrlässigkeit hinsichtlich der jeweiligen Unkenntnis und damit objektiv zu bestimmen. Aus dem gesetzgeberischen Leitbild der Kapitalmarktregulierung ergibt sich, dass sich das Kennenmüssen nach den Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlich erfahrenen Anlegers richtet. Die zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls beziehen sich auf das Finanzinstrument, die Informationen, die Stellung der Person und im Fall des Art. 8 Abs. 3 MAR auf die Empfehlung oder Verleitung. Höchstpersönliche Eigenschaften sowie seelische Sonderlagen bleiben außer Betracht. Innerhalb einer juristischen Person ist in Art. 8 Abs. 3 MAR das Wissen(müssen) derjenigen natürlichen Person zurechenbar, welche die Empfehlung oder Verleitung für die juristische Person umsetzt. Für die Konstellation des Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR muss dem Wissensträger die Insiderqualität der Informationen bewusst sein oder er muss sie erkennen können. Falls der Wissensträger nicht von der Insiderrelevanz weiß und diese auch nicht erkennen konnte, liegt ein Insidergeschäft der juristischen Person nur vor, wenn einem Handelnden die Informationen weitergegeben werden und er von der Insiderqualität zumindest wissen muss oder wenn ein Handelnder von dem Wissensträger beeinflusst wird und, hätte er die Informationen selbst gehabt, deren Insiderrelevanz kennen müsste. Die bloße Fähigkeit einer unwissenden und am Geschäft unbeteiligten Person, erkennen zu können, dass es sich bei von anderen Personen genutzten Informationen um Insiderinformationen handelt, wird der juristischen Person nicht zugerechnet. Der juristischen Person ist die Kenntnis von Organmitgliedern sowie von nachgeordneten Mitarbeitern, nicht hingegen von externen Personen, ab dem Zeitpunkt zuzurechnen, in dem sie erlangt wird. Ob der Wissensträger die Informationen vergisst, er aus der juristischen Person ausscheidet oder die Informationen akten-

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mäßig festgehalten werden, ist irrelevant, da für die Vermutung des Art. 9 Abs. 1 MAR auch vergangenes Wissen ausreicht. Nach der betreffenden Transaktion erworbenes Wissen schadet der juristischen Person dagegen nicht. 13. Die in Art. 9 Abs. 1 MAR gesetzlich fixierte Option zum Selbstschutz mittels einer ordnungsgemäßen Wissensorganisation bietet für die juristische Person eine Möglichkeit, die umfassende Wissenszurechnung im europäischen Insiderrecht zu korrigieren. Die Norm zeigt juristischen Personen die Möglichkeit eines umfassenden Informationsmanagements auf, um die durch das zugerechnete Insiderwissen ausgelöste Spector-Vermutung zu widerlegen. Interne Maßnahmen müssen hierfür mit dem Ziel ergriffen werden, dass der Einfluss von Insiderwissen auf die Geschäftstätigkeit der juristischen Person verhindert wird. 14. Hinsichtlich des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs infolge eines Verstoßes gegen das Verbot von Insidergeschäften ist im Rahmen des § 826 BGB Insiderwissen deutlich restriktiver zurechenbar als auf der Ebene des Art. 8 MAR, da keine Wissenszusammenrechnung möglich ist.

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Stichwortverzeichnis Anlegerschutz 40 ff., 198, 228 Anlegervertrauen 33 ff., 41, 43, 46 f., 193, 211, 226 f. Äquivalenzgebot 181 ff., 191 Aufschub siehe Selbstbefreiungsprivileg Aufsichtsrat 78, 86, 129, 162, 168, 174 ausgeschiedene Wissensträger 59 f., 66 f., 159, 245 f.

Informationsasymmetrie 137 ff., 143, 151 Informationsbarriere 133, 226 f., 245, 249 Informationshändler 32 f., 41 f., 46, 142 f., 173, 211 interne Informationen 125 f., 161 f., 173 interne Revision 171 ff.

Beweislast 83, 103 f., 145, 186, 190 ff., 196

least cost information provider 151, 156 f., 161, 173

Chancengleichheit 39, 45, 46 f., 49, 253 Chinese Walls 169, 249 f. Clearing-Stelle 171, 177 Compliance-Verstoß 168, 172 Datenpool 244 Doppelmandat 168 f., 244 effet utile 137, 140, 181 ff. Efficient Capital Market Hypothesis 29 f. Effizienz – allokative 30, 37, 40 f., 44, 48 – informationelle 30 ff., 40 f. – institutionelle 30 ff., 40 f. – operationale 30 ff., 40 f., 156 Equal Access Theory 39, 41, 49, 137, 210 Erkennbarkeit der Insiderrelevanz 162, 166 f., 171, 173, 237 ff. externe Informationen 125 f., 162 f., 173 Fairness

Konzern

23, 164 f., 174, 242 ff. 32, 141 f.,

Market-Maker 44, 222, 224, 237 Mindestharmonisierung siehe Harmonisierung nachgeordnete Mitarbeiter 74, 117, 128, 138, 161 f., 171, 177, 191, 205, 240 f. nemo tenetur 168, 176 Ordnungswidrigkeit 89, 108, 176 Organtheorie 58 f., 67, 78, 86 Principles of European Contract Law (PECL) 72 ff. privates Wissen 59, 61, 64, 66, 170 f., 233 ff. Repräsentant 54, 64, 68, 191 Risikoprinzip 53, 63 f., 227, 246

33 f., 46 f., 49, 211

Geltl/Daimler 35, 105, 160 Gesellschafterwissen 57 Gewinnerzielungsabsicht 90 ff., 94, 96, 104, 218 f. Gleichstellungsprinzip 65 ff., 193, 199, 227 f., 246 Harmonisierung

108 ff., 178 f.

Sachverhaltsaufklärung 87, 166, 168, 171 ff., 196 safe harbour 221 Schutzgesetz 197 f., 253 Segré-Bericht 25, 47 f. Selbstbefreiungsprivileg 129 ff., 142 f., 169, 174 Spector-Vermutung 100 ff., 132 f., 211 f., 216, 221 ff., 242, 248 ff.

Stichwortverzeichnis Speicherung von Informationen 66, 159 ff., 232, 245

51, 60 f.,

ultra posse nemo obligatur 144 ff., 157, 163 ff., 168 unmittelbares Betreffen 27, 125 ff., 165 Utilitätshändler 42 Vergessen 66, 159, 232, 246 verständiger Anleger 173, 236 f. Vertrauenshaftung 190 ff. Vertraulichkeitsbereiche 168 ff., 249 ff.

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victimless crime 42 Vollharmonisierung siehe Harmonisierung Vorteilserzielungsabsicht siehe Gewinnerzielungsabsicht Weiterleitungspflicht 61, 85, 166 ff., 170 Wissensaufspaltung 65 ff., 199, 227 Wissensfiktion 62, 64, 189 f. Wissensverantwortung 60, 226 Wissenszusammenrechnung 193, 199, 227, 229 ff., 241, 244, 254