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German Pages 197 [204] Year 1934
Die Wissenschaft von deutscher Sprache
Zum 75. Geburtstag von Konrad Vurdach (29. mai 1954)
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Ronrad Vurdach
Vie Wissenschaft von deutscher Sprache Ihr werden
Ihr Weg
Ihre Führer
vormals G. j. Göschen'sche Verlagshandlung - 3- Guttentag, Verlagsbuchhandlung
Georg Reimer — Karl 3- Trübner - Veit & Tomp.
Berlin und Leipzig 1934
Krchiv-Nr. 452434 Printed in Germany
Druck von L. G. Hoöer K.-G., Leipzig
Geleitwort Der 29. Mai bietet allen freunden, Schülern und Verehrern Kontab Burdachs erneut Gelegenheit, dem noch immer rüstigen und unermüdlich schöpferisch tätigen Jubilar zu seinem 75. Geburtstage glückwünschend zu huldigen. Germanisten und Literarhistoriker, Philosophen und Theologen, Historiker und Kunsthistoriker, überhaupt alle Vertreter geschichtlich fun dierter Geisteswissenschaft sind ihm und seinen bahnbrechenden Forschun gen in gleicher Weise verpflichtet. Denn die von Burdach immer wieder gestellte Forderung, die einzelnen Disziplinen dürften nicht gegen, sondern nur miteinander arbeiten, müßten immer voneinander lernen, sich wechselseitig anregen und fördern, hat er selbst wie kaum einer seiner Generation erfüllt. (Ein selten universales wissen gestattet ihm, stets aus dem vollen zu schöpfen und das gelehrte Rüstzeug meisterhaft zu hand haben, setzt ihn jederzeit instand, sein augenblickliches Forschungsgebiet nicht vom engen und einseitigen Standpunkt eines Nur-Fachgelehrten, sondern von einer höheren warte zu betrachten und auszuschöpfen. Seine in mehr als fünfzig Jahren rastloser Arbeitskraft geschaffenen Werke legen in der Mannigfaltigkeit ihrer Themen und Problemstellungen ein beredtes Zeugnis hierfür ab und trugen ihrem Verfasser schon vor Jahren den ehrenvollen Namen eines Humanisten ein. Allerdings verlangen sie aufmerksame Leser, die sich nicht mit einer oberflächlichen Durchsicht be gnügen, sondern in die Tiefe einzudringen suchen,- nur so lassen sich die oft an versteckter Stelle, in Anmerkungen oder Exkursen verborgenen, im Zusammenhang des Ganzen bisweilen unvermuteten Schätze wissenschaft licher Erkenntnis heben, nur so wird das Studium Burdachscher Schriften ein bleibender reicher Gewinn. Immer wieder ist Burdach der Entwicklung der deutschen Sprache und Sprachforschung nachgegangen. Für seinen weg wurde dabei die Erkenntnis richtungbestimmend und ist es seitdem geblieben, daß Sprach geschichte Bildungsgeschichte ist. Es gibt keine selbständige sprach liche Entwicklung. Die neuhochdeutsche Diphthongierung z. B. „vollzieht sich so wenig wie irgendeine andere sprachliche Wandlung als einfacher Naturvorgang. Es ist vielmehr nur der sprachliche Reflex einer bestimmten Kulturströmung. Wie die Verbreitung einer Mode, so entspringt auch das Fortschreiten einer Sprach-, vielmehr noch einer Schreibgewohnheit dem Übergewicht, der überlegenen Lebenskraft einer Kultur, einer gesell schaftlichen Macht." Noch deutlicher zeigt sich dies in dem Wandel von Sgntax und Stil.
Geleitwort
VI
Einen kleinen Ausschnitt der unter diesem Gesichtspunkt gewonnenen Ergebnisse bieten in der Hauptsache die folgenden Untersuchungen, die von Gpitz bis zur Gegenwart führen. Diese Ergebnisse müßten Gemeingut aller sein! Daher ist es sehr zu begrüßen, daß der Verlag Walter de Grugter & Lo. einem vielseitigen Wunsche Rechnung getragen und die Druck legung dieses Luches übernommen hat. Sie verfolgt vor allem den Zweck, seinen Inhalt über den engeren Bezirk der Wissenschaft hinaus weiteren Kreisen zugänglich zu machen und so den hochverehrten Jubilar durch Erfüllung eines lang gehegten Planes zu erfreuen. Naturgemäß mußte hierdurch Auswahl und Umfang der vorliegenden Schriften Burdachs entscheidend bestimmt werden. Sonst waren nur gelegentliche Um stellungen, öfter Kürzungen, bisweilen auch die Übernahme des ursprüng lichen Textes in die Anmerkungen oder umgekehrt erforderlich. Dagegen ist der Wortlaut unverändert geblieben, soweit Lurdach nicht selbst bei der Durchsicht der neuen vruckredaktion stilistische oder sachliche Ver besserungen oorgenommen hat. Möge die Zusammenstellung dieser Schriften dazu beitragen, die Resultate der Sprachwissenschaft für das Leben fruchtbar zu gestalten. „Wenn von der Verbindung zwischen Wissenschaft und Leben die Rede ist,... dann gibt es keinen unter den deutschen Philologen der Gegenwart und nahen Vergangenheit, dessen Forschungsergebnisse so unmittelbar auf das völkische Leben eingewirkt haben als Konrad Lurdach." (Josef Hobler, Subetenbeutfcf)es Jahrbuch 1931, S. 28.)
Berlin, im Mai 1934.
Hans Bors.
Dem Werk liegt ein Nachtragsblatt zur Bürbach - Bibliographie 1880-1930 bei.
Inhaltsübersicht Seite
I. von Dpitz bis Gottsched
1- 25
1. Die Blüte der schlesischen Literatursprache
1-
5
2. Meißnisch und Schlesisch im Streit um die Hegemonie der Sprache
5- 15
5. Grundsätzliche Ansichten über das Verhältnis von Schrift sprache und Mundart
4. Gottsched
und
die
mitteldeutsche
15- 18
schriftsprachliche Be
wegung von 1670-1730
19- 21
5. Die Spracheinigungsbestrebungen der Berliner Akademie und ihr Bund mit Gottsched
II. Hamann — Herder — Goethe
21 - 25
26-69
1. Die sprachschöpferische Dichtung
26- 28
2. Ulopstocks und Goethes Sieg Über das Barock
28-32
3. Hamann und Herder als IVegbahner einer neuen Dichter
sprache
32- 36
4. Goethes Gedicht „Sprache"
36- 50
5. Die grammatische Verjüngung der Sprache
50— 62
6. Die innere Form der dichterischen Sprache
62-69
HI. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und Karl Lachmann
70-102
1. Jacob Grimm und der nationale 3ug im Utiioerfalismus des 18. Jahrhunderts...............................................................
70— 82
2. Das Verhältnis der Brüder Grimm und Lachmanns zu Goethe und zur Romantik
82-102
IV. Die Fort- und Umbildung der Sprachbetrachtung Jacob Grimms 103-150 1. Sprachvergleichende und kausalgenetische Methode: die Entstehung der junggrammatischen Sprachforschung
105-112
2. Das vernersche Gesetz und das palatalgesetz
112-117
3. Der Ablaut
117—122
4. Die Lautverschiebung
122—130
VIII
Inhaltsübersicht Seite
V. Wilhelm Scherer
131 -163
L Lebensbild
131-150
2. Wilhelm Scherer in französischer Beleuchtung
150-152
3. Scherers Stellung in der Sprachforschung und in der
Wissenschaft von der poetischen Kunst VI. Rudolf Hildebrand
164-184
1. Seine Persönlichkeit
164-175
2. Seine Wirkung
175-184
Schriftenverzeichnis............................................................................................ Namenregister
152-163
185 186-191
I. von Opitz bis Gottsched 1. Vie Blüte der schlesischen Literatursprache Seitdem aus dem Schoße Schlesiens Gpitz hervorgegangen war, der Vater der neuen Kunst, der Begründer der modernen Literatursprache, hatte die ganze Landschaft den Ruhm errungen, die Wiege der großen Poeten zu sein, und das Geschick wollte es, daß wirklich die bedeutendsten Dichter des 17. Jahrhunderts Schlesier waren. Jedoch nahmen sie die Einheitsbestrebungen ihres großen Landsmannes nicht auf. Sie sahen bei ihm massenhafte schlesische Idiotismen und schlossen daraus, daß es auch ihnen freistehen müsse, ihrem Dialekte Spielraum zu lassen. Man kann ihnen daraus zwar keinen ernstlichen Vorwurf machen, denn es ist nicht die Sache der schaffenden Künstler, die Schriftsprache mit Bewußtsein und Einsicht zu regeln und zu zentralisieren. Ruch wird man sie nicht tadeln, daß ihre Schreibart nicht rein war zu einer Zeit, als man sich wie über den Begriff der reinen Sprache, so auch selbst über die Schreibung des Worts „rein" noch nicht geeinigt hatte. Allein man muß bekennen, daß die schlesischen Dichter an der Verwirklichung des von Gpitz, von Buchner, von der fruchtbringenden Gesellschaft aufgestellten und begonnenen Programms einer Einigung der deutschen Sprache nur matt mitgearbeitet haben. Im Jahre 1603 gab der Schlesier Peter Titus unter dem Titel „Ein Newes Gudragesimale" Passionsgesänge heraus und fand es bereits nötig, sich wegen seiner dialektischen Sprache beim christlichen Leser in der Vorrede zu entschuldigen: „Das aber erkennet und bekennet der Autor, daß 1. solche Lieder und Gesänge etwas zu lang, 2. die Reim zu Zeiten zu hart, und 3. etliche Wort verbrochen, sonderlich auf schlesische Art zu reden, welche vielfältig zwo Syllaben in eine einzeucht und contrahieret" (Hoffmann von Fallersleben, Spenden zur deutschen Literaturgeschichte. Leipzig 1844, 2, S. 208).
Er bittet, ihm das zugute zu halten und um der schlesischen Reime und Wortkürzungen willen nicht das Ganze verwerfen zu wollen. Und das zu einer Zeit, als noch alle Welt ohne Scheu in deutschen Versen der Sprache alle möglichen Kürzungen zumutete. Wie anders klingen die Äußerungen späterer schlesischer Dichter, die sich eigenmächtig mit einer ausgebildeten Gemeinsprache abgefunden hatten! Um die Mitte des 17. Jahrhunderts, als Gpitz schon tot war und die fruchtbringende Gesellschaft in hohem Ruhm stand, lehnte der Kanzleiund Regierungsrat des Herzogs von Lrieg Friedrich von Logau ein vurdach, Die Wissenschaft von deutscher Sprache
1
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I. von Gpih bis Gottsched
Übereinkommen mit der Gemeinsprache in stolzem Heimatgefühl ab und wollte der schlesischen Mundart folgen, da es ihm im Reim nur nötig schien, der einheimischen Aussprache sich zu bedienen: „Ich denke nur etwas weniges vom Reimenmasse; einmal, dah die Bindungen der Reime zusammenstimmen nur nach unserer Mund-Rrt, wo sie geschrieben; denn, wie es vielleicht frembden dannenher nicht füglich lauten möchte, wie wir die selblautenden Buchstaben autzsprechen, also würde es auch in unsern Dhren übel klingen, zu reden, wie die frembden reden, also daß es nur nöthig scheinet, im Reime sich des einheimischen Aus spruchs zu gebrauchen" (Logaus Sinngedichte, herausgegeben von Eitner. Stuttgart, Lit. Verein, Ld. 113 [1873], Vorrede 5.1).
Diese Meinung des Brieger Aristokraten teilte sein um dreizehn Jahre jüngerer Landsmann, der Breslauer Christian Hofmann von hofmannswaldau nicht mehr: durch Studien und Reisen im Ausland und frühzeitigen Beamtendienst im Rat des großen Gemeinwesens seiner Vaterstadt provinzieller Isolierung entrückt und zu weitem Umblick über die Bedürfnisse der Weltkultur gerüstet, hatte dieser Schüler des Salmasius, vossius, Grotius und der modernen Poeten Italiens, der auf den seinem Vater verliehenen kaiserlichen Briefadel kein Gewicht legte und mit universaler Kenntnis der europäischen Literaturen ein zu seiner Zeit einzig dastehendes Missen auf dem Seide der altdeutschen Dichtung ver band, vor der Reinheit der Sprache eine höhere Achtung; deshalb ent schuldigte er sich, daß er sich seiner schlesischen Mundart nicht gänzlich habe entschlagen können, und rechtfertigt es mit dem Beispiel anderer Dichter, die es auch nicht besser gemacht hätten: „Sollte man in einem und andern Grte der Schlesischen Mund-Rrt in denen Reimen etwas nachgegangen segn, so wird der geneigte Leser solches entschuldigen und sich er innern, daß wie Sch nebst Dpitzen und andern meinen Landesleuten mich der unsrigen, also Flemming, Rist und unzehlig mehr sich der Ihrigen nicht gänhlich entbrechen können" (Heldenbriefe, Leipzig und Breslau Zellgiebel 1696. Vorrede BL fl 7a).
Mit der Zeit stieg jedoch das literarische Selbstbewußtsein der Schlesier. In uns jetzt lächerlicher Weise regt sich der Winkelpatriotismus, auch er ein Kind des ruhmsüchtigen Humanismus. Schlesien bekam den Preis, auf dem Gebiete der Poesie den Ton anzugeben. Kein Wunder, daß all mählich auch die poetische Sprache der schlesischen Dichter für trefflich oder gar mustergültig ausgegeben wurde. Schlesien galt als Deutschlands Parnaß, die schlesischen Dichter rühmten sich dessen ungescheut. Gin Leichengedicht Mühlpforths auf den Tod des Herrn von Schroffenstein stellt dar, wie der verblichene von den berühmtesten Seeligen Teutschen Dichtern in der Ewigkeit bewillkommt wird, aber es sind alles Schlesier: Tscherning, Tzepko, Grgphius, Logau, Apelles von Löwenstern, Tolerus; ein schlesisches Elgsium nimmt ihn auf (Teutsche Gedichte 1686, 5.174ff.). Eine Strophe dieses Gedichts lautet: Rein! Schlesiens sein paradeitz, Das so viel hohe Dichter weiß, AIs Teutschland nicht kann zeigen,
1. Die Blüte der schlesischen Literatursprache
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Dieweil es keinen Ruhm begehrt Und meine Zeder es nicht werth, Heist mich auh Ehr-Zurcht stille schweigen. So erlischt der partikularismus nach der Vorstellung der Zeit selbst nicht mit dem Tode. Lohenstein brüstet sich in der Vorrede zu seinen „Blumen" mit seiner schlesischen Heimat: „Meinem Zürhaben (nämlich seiner Dichtung) wird theils mein Vaterland, theils die Zeindschaft das Wort reden. Sintemahl der Schlesische Himmel oder ich weiß nicht was für ein Geist seinen Landsleuten für (vor) andern einen Trieb zum lichten einflösset" (in den sämtlichen Gedichten Breslau 1689 Bl. 7af.). Ähnliche Gesinnung spricht sich in dem Gedichte des Aßmann von Abschah vor Lohen steins Arminius (Leipzig 1689—1690) aus. Aus dem nämlichen Hochgefühl und im Geiste des echten Krähwinklertums schrieb um die Wende des Jahrhunderts ein gewisser Joh. Christian Kunde! in mittelmäßigem Latein eine Schrift, die, von Einzelheiten abgesehen, doch auf eine Verherrlichung Schlesiens heraus geht und in der es nicht an eifersüchtigen Ausfällen gegen Dichter anderer Gegenden fehlt. So wird Morhof, der Zleming über Gpih erhoben hatte, deshalb zurechtgewiesen. Man spüre in Aemings Gedichten eine gewisse härte und holsatismen ebenso wie bei seinem Nachahmer Morhof. Zleming weder noch Morhof waren Holsteiner, der eine vielmehr aus dem Vogtlande, der andere aus Mecklenburg, beide aber standen mit Holstein in naher persönlicher Verbindung. Zleming, der seine Bildung auf der Thomasschule und Universität in Leipzig erworben hatte und dort in freundschaftlichem Umgang mit schlesischen Studenten ein Verehrer und Nachahmer Dpitzens geworden war, hatte sich mit seinem um zehn Jahre älteren Leipziger Studienfreund Adam Glearius aus Aschersleben als „Hofjunker und Truchseß" an jenen beiden Gesandtschaften beteiligt, die Herzog Friedrich III. von holsteinGottorp an den russischen und persischen Hof nach Moskau und Jspahan von Hamburg abgehen ließ (1633 und 1635), hatte sich zu diesem Zwecke vorher kurze Zeit in Hamburg bei dem ersten Gesandten, dem holsteinGottorpischen Rat Kruse (Crusius), der aus Eisleben stammte, also einem dem seinen ganz nahe verwandten Sprachgebiet angehörte, aufgehalten und auf der Heimkehr von der zweiten der über Reval führenden Ge sandtschaftsreisen sich in Reval mit einer dortigen Kaufmannstochter verlobt (April 1639). Schon im nächsten Jahr aber, bald nach der Rück kehr aus Leiden, wo er den medizinischen Doktorgrad errungen, um in Reval als Arzt zu wirken, starb er (April 1640). Durch alle diese Beziehun gen war ein wirklicher Einfluß holsteinischer Sprechweise auf sein Deutsch oder auch nur auf die Reime seiner Gedichte nicht ermöglicht. Eher konnte der Wismarer Morhof, nachdem er die Rostocker Professur mit einer solchen in Kiel vertauscht hatte, von holsteinischer Mundart etwas 1*
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l. von Gpih bis Gottsched
annehmen. Aber die völlig vage Möglichkeit, daß die beiden Männer im Verkehr mit Holsteinern irgendwie ihre Aussprache gewandelt und hol steinischer Lautbildung angepaßt haben könnten, genügte dem Schlesier Kunde!, ihnen beiden „holsteinische Rauhigkeit" und ihrem Urteil landsmännische Parteilichkeit vorzuwerfen. Aus solchen Gesichtspunkten schaute man damals noch die Literatursprache des gemeinsamen Vater landes an. Wie weit war da noch der Weg zu einer Einheit der Sprache! Natürlich zieht dieser Kunde! die sogenannte zweite schlesische Schule der Kunst Gpitzens vor. Vie Gründe der schlesischen praestantia sucht er nicht in äußeren Einflüssen, wie Wein, Musik, schöner Umgebung, auch nicht in der astrologischen Lage der Provinz (!), sondern „natura et Ingenium Silesiorum“ habe sie bewirkt, außerdem das Studium und die Nachahmung der Alten und der Ausländer heinsius, vousa, Ronsard, der Engländer und der Italiener. Eine große Bedeutung habe auch, daß die schlesischen Dichter eine reinere Schreibart gebrauchen. Mit der Blüte der Sprache pflege auch eine Blüte der Poesie aufzugehen. So rein und richtig wie Gpitz habe außer Luther Niemand vor ihm noch bei seinen Leb zeiten geschrieben, von den Späteren haben die beiden Gryphius, Lohen stein, van. Lasp. Neumann das höchste Lob verdient. Auch auf die schlesischen Provinzialismen kommt unser Lobredner zu sprechen und kann nicht völlig in Abrede stellen, daß in den Vichtungen seiner Landsleute dergleichen vorkommen, aber zum großen Teil habe man vielmehr in ihnen gute mit Unrecht verdächtigte deutsche Redensarten zu erkennen,' anderes sei hervorgerufen durch das Bemühen großer Dichter, die Dinge eigentlicher und nachdrüdlicher zu bezeichnen, als es die üblichen Worte können,' und die Eleganz in diesen Zöllen mit Bewußtsein vernach lässigt. Was übrig bleibe, seien kleinere Sieden, die so wenig das Gesamtbild entstellen, wie ein kleines Muttermal das Gesicht eines schönen Mädchens. Im Jahre 1723 konnte der auf dem Breslauer Gymnasium gebildete Gottfried Benjamin Hande aus Schweidnitz, der damals Advokat in seiner Vaterstadt, später in Dresden königlicher und kurfürstlicher AkziseSekretär war, ein Bewunderer und Nachahmer seines vom schlesischen Marinismus zur Brandenburgischen Hofpoesie Lanitzens schwenkenden Landsmannes Benjamin Neukirch und auch ein Anhänger Gottscheds, selbst unsterblich allein durch sein Lied „Auf auf auf zum fröhlichen Ja gen J"1), als bekanntes von einem Meißner gemachtes Sprüchlein anführen: Poeten welches Schlesier Sind keine Sglben-Peiniger.
Er will zwar nicht selbst untersuchen, ob das allemal zutreffe, glaubt jedoch, ohne den Vorwurf der Parteilichkeit zu befürchten, sagen zu *) vgl. Max Friedländer, Das deutsche Lied des 18. Jahrhunderts II (1902), 5.10. 522 f.; ders., Eigenleben von Volksliedmelodien (in: Bericht über den Musikwissen schaftlichen Kongreß in Basel 1924. Leipzig 1925) 5.145, Nr. 7.
2. Meißnisch und Schlesisch im Streit um die Hegemonie der Sprache
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dürfen, daß Schlesien bei -er Vollkommenheit der deutschen Poesie das meiste getan habe (Geistliche und Moralische Gedichte. Zwegte Edition Leipzig und Breslau 1723. Vorrede Bl. 7b). wenn man schon war Schlesch mit unterspricht, G mein Mädgen zürnt deswegen nicht
dichtete Daniel Stoppe aus Hirschberg 1728 (Erste Sammlung seiner Teutschen Gedichte. Zrankfurt und Leipzig 5.128). Damals waltete bereits in Leipzig als der gefürchtete Sprachdiktator Gottsched seines Amtes und schickte sich an, die Schlesier aus dem deutschen Musentempel hinauszujagen. Wie viel mehr durften die früheren schlesischen Dichter sich die Zreiheit wahren, „was Schlesch mitunter zu sprechen". Sie haben es alle miteinander redlich getan, die älteren wie die jüngeren. Sie gaben sich keine Mühe, dem gemeinen Deutsch zuliebe auf ihre Sprachgewohnheit zu verzichten, sie ließen sich weder „unter den meißnischen Dialekt" bringen noch beugten sie sich der sonst durchgesetzten Sprachregel. Umgekehrt richteten sich nun vielmehr bisweilen selbst Meißner mit ihren Reimen und auch in einzelnen Wendungen nach der schlesischen Dichtersprache. So ist es bekannt, daß der Vogtländer Sleming dialektische Reime wie sinnen: können, nimmt: kommt sich nach dem Muster von Gpitz gestattet und mit Vorliebe gebraucht hat*).
2. Meißnisch und Schlesisch im Streit um die Hegemonie der Sprache Die beiden Landschaften, Schlesien und Meißen, konnten auf die Dauer nicht nebeneinander die Führerschaft behaupten, ohne in offenen Zwist zu geraten. Der Leipziger hanmann hatte bereits in den An merkungen, welche er zu Gpitzens Poetik 1645 schrieb, seinen meißnischen Standpunkt Gpitzens schlesischen Idiotismen gegenüber zur Geltung ge bracht. Er macht zunächst an einigen seiner Reime Ausstellungen: Fuß und muß, kan und gethän reimen sich nach seiner (hanmanns) Mundart nicht (Ausgabe von 1690 Bö. 4, 5.168). Seiner stößt er sich an Gpitzens Ausführungen über die verschiedene Aussprache des e: „Die Exempel, so er giebt, sollten einem Meißner die Sache etwas dunckel machen, weil sie von seiner Red-art abweichen." Der Meißner spreche den vokal in den angeführten Worten gleich aus. „Ist derowegen hieraus zu schließen, daß Gpitz nach gewöhnlichem Ausspruch seines Vaterlands die Wort gereimet. Gb aber die Schlesische Ausrede der Meißnischen fürzuziehen, lasse ich hochdeutsche Red-erfahrne urtheilen" (ebda. 5.169). l) Friedrich Neumann, Geschichte des neuhochdeutschen Reims von Gpitz bis Wieland. Berlin 1920, § 64, S. 126f.; vgl. auch Paul Drechsler, wencel Scherrfer und die Sprache der Schlesier. Breslau 1895.
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l. von Gpitz bis Gottsched
Viesen Zweifel konnte der schlesische partikularismus nicht auf sich sitzenlassen. Auf hanmanns vorsichtige Zrage erwiderte Andreas Ts cherning aus Bunzlau, der Vaterstadt Gpihens, und recht eigentlich dessen literarischer Schüler und Nachfolger, der seine Bildung in Breslau und auf der Universität Rostock empfing und sein wirken teilte zwischen Breslau und Rostock, wo er als Inhaber von Laurembergs Professur der Dichtkunst starb. Seine Antwort ist gereizt und unüberlegt, von den ersten beiden Reimen hätte er zugeben müssen, daß sie Gpitzens eigenen Grundsätzen widersprachen. Denn Gpitz wollte nicht schlesisch, sondern hochdeutsch dichten, wie seine Vorschriften in der Poetik beweisen. Statt dessen fährt Tscherning mit der Behauptung heraus, Gpitz habe „sich jederzeit der Schlesischen Mundart gebrauchet" (Unoorgreiffliches Bedenken über etliche mitzbräuche in der deutschen Schreib- und Sprach-Runst. Lübeck 1659, 5. 76). (Es ist ganz gegen die Tendenzen Gpihens gesprochen, wenn er sagt: „wer wil doch alles unter einen gemeinen Lehrsatz bringen, wie iedwedes wort an diesem oder jenem orte ausgesprochen werde? wer wil mir auch sagen, wo die rechte Ausrede oder die reine hochteutsche Sprache vollkommen zu finden sey?" (ebda. 5. 77). Gpitz hätte doch vielleicht „solcher Zrühklüglinge Schriften" wie die hanmanns „mit einem Auge angesehen", und wenn er ehrlich war, mutzte er die Berechtigung des Tadels nach seinen eigenen Lehren zugestehen, mutz doch auch Tscher ning seinem Gegner schlietzlich im Prinzip Recht geben: „wann hingegen einer in Schlesien etwan auf solche Weise wie ein weitzner, Oberländer oder Niedersachs etc. reimen wollte, so würde er warlich mit einem gelächter ausgerauscht werden. (Es wird ein jeder bey seiner Mundart wol bleiben"; das klingt freilich sehr partikularistisch, aber er lenkt sogleich ein „jedoch nehmen sich auch die Schlesier insgemein wol in acht, insonderheit was etwan auf dem Papier zum gedächtnitz bleiben sol, datz sie wieder den Reimlaut nicht allzusehr anstotzen". An der Richtigkeit dieses Satzes durfte man gelinde zweifeln, um so besser ist Tschernings folgender Vor schlag: „Der beste iaht, so offt ich nach Weihen irgend ein geticht über sendet, hat mich dieser gebaucht zu sein datz ich gemeiniglich, soviel möglich gewesen, des Meißnischen Reimlautes mich gebrauchet, also und dergestalt, datz er doch den Schlesischen ohren auch nicht zu wieder gewesen" (ebda. S. 79). Vas ist zugleich genau der Standpunkt, den Gpitz im Prinzip diesen fragen gegenüber einnahm. Im Zähre 1720 kam dem aus der Liegniher Gegend gebürtigen, auf der Universität Leipzig gebildeten und seit 1702 in Schweidnitz als Geist licher wirkenden Benjamin Schmolck, wie er selbst erzählt, eine Leidens geschichte Jesu von einem obersächsischen Dichter in die hände^). Allein
x) Vorrede zu seinem heiligen Schauplatz der Liebe bey dem Lreuhe und Grabe Jesu. Breslau und Liegnih 1730, BL 3a (wiederabgedruckt bei Hoffmann von Sailers*
2. Meißnisch und Schlesisch im Streit um die Hegemonie der Sprache
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obwohl sie ihm nicht übel geraten dünkte, so schien es ihm, als sei das Werk nur für die Landsleute des Verfassers gemacht, denn die Verse waren alle so beschaffen, daß sie Niemand leichter aussprechen konnte als der in Meißen geboren war. Was tat nun Schmolck? Genau dasselbe, was etwa in mittelhochdeutscher Zeit ein Niederdeutscher mit einem hochdeutschen Gedicht getan hätte. Gr arbeitete das Gedicht um und brachte es, wie er sagt, „in eine reinere Form": damit es auch in anderen Gegenden veutschlands Leser und Beifall fände; in Wahrheit tilgte er zwar die meißnischen Reime, führte aber schlesische ein. Was er selbst unter „reinere Zorm" sich vorstellte, lehren diese Reime, lehren Provinzialismen verschiedener Art.------------Der Thüringer hunold glaubte, der schlesischen Überhebung ent gegentreten zu müssen, und dichtete ein Epigramm „über die Einbildung etlicher Nationen": Balb meynt’ ein dummer Kopfs, hat Frankreich mich erzogen, So bin ich auch galant: hat welschland mich gepflogen, So sind die Sinnen hoch: Und wie bas Sprichwort geht: Bin ich ein Schlesier, so bin ich ein Poet: Ach Thorheit! Menschen so wie pflantzen zu betrachten Und sie nach bet Natur der Erdreichs wollen achten.
3n seinen Theatralischen galanten und geistlichen Gedichten (Hamburg 1706) weist er, nachdem er mehrere Proben aus Postels Gper Iphigenia mitgeteilt hat, das Vorurteil zurück, daß ein Niedersachse nicht ebensogut ein Dichter sein könne als ein Schlesier: „Können Affecten wohl schöner exprimiret werden?" (als in Postels Werk)... „3a wenn auch zuweilen ein Wort nicht accurat nach der Lieblichkeit stehet, ersehen es nicht die angenehmsten Gedancken? wenn also ein Schlesier von Poeten überhaupt handelt, so mutz (darf) er nicht alle Nieder-Sachsen mit einer präterition tadeln. Es sind viele, ja die meisten darunter nicht sonderlich in der Posie zu aestimiren, allein darum folget nicht, weil uns etlicher ihre sso I] schönen Sachen unbekandt, dah das Land gleichsam nicht so gut als Schlesien gedünget sey, Poeten zu tragen. Die Sprache, die mit der hochteutschen oder Meißnischen (s. unten 5.15ff.) als der besten, zu weit unterschieden, verursachet eine große Hinderniß, aber... wenn ein Gelehrter') (in Niedersachsen) sich unter andern auf die reine Meißnische Sprache leget, weiß ich nicht, warum sich keiner drunter zu einem Poeten schicken solle" (S. 100).
Postel, den hier der in Hamburg lebende Thüringer hunold ein wenig herablassend als Beispiel dafür hinstellt, daß auch in Niedersachsen eine der schlesischen ebenbürtige Poesie möglich sei, war ein glühender Bewunderer und nur allzu getreuer Nachahmer der Sprache Hofmannswaldaus und Lohensteins. Ihm galt das „edle Schlesien" als „der Schwanen Vaterland", Lohenstein schien ihm „der Götter Sprach in Reimen angewandt" zu haben (Z. Elias, Allg. vtsch. Biogr. Bö. 26 [1888], 5. 466). Aber dieser leben, Spenden zur deutschen Literaturgeschichte. Leipzig 1844, 2, 5.84 flnm.). welches Gedicht gemeint und ob es erhalten ist, weiß ich nicht. *) Soviel als kunstverständiger, gebildeter Dichter s. Deutsch. Wb. s. v.
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I. von Vpitz bis Gottsched
aus der Nähe von Stade gebürtige, Verse schmiedende Vielschreiber, dem die Hamburger Gelehrtenschule und die Universitäten Leipzig und Rostock ungeheures wissen und seine Reise durch Holland, Flandern, England, Frankreich eine schier unfaßbare Kenntnis und Beherrschung aller euro päischen Sprachen und Literaturen verschafft hatten, der von seiner Zeit gefeierte Nachdichter der Euripideischen Iphigenie und des 14. Ilias buchs, hatte in all seinem humanistischen Universalismus und bei aller Hingabe an das große schlesische Vorbild doch den leidenschaftlichen Ehr geiz, seiner niedersächsischen Heimat selbst den Lorbeer deutscher Sprach kunst zu gewinnen. Sein Epos „Wittekind" ist der einzige ernste versuch, der heroischen Dichtung in deutscher Sprache einen großen Stoff des nationalen Altertums zu geben und sie so über die übliche Gelegenheitspaneggrik zu erheben. Eine Verherrlichung des deutschen Volkes und in diesem wieder des Stammes der Sachsen will dieses Gedicht sein. Und wie das in Hamburg zündete, lehrt das Urteil der für das Verständnis der Zeitbewegung überhaupt so aufschlußreichen Sammlung L. $. Weich manns „Poesie der Niedersachsen": von der Vollendung des Gedichts würde „Teutschland weit größern Ruhm gehabt haben als Italien von seinem Tasso und Marino zugleich". Diese Wirkung der schlesischen Poesie in Niedersachsen war wohl der Zenith ihres Siegeslaufs. Aber gerade von Hamburg aus wurde dann der Umschwung mit vorbereitet: dem Kultus der schlesischen Oichtersprache trat hier scharfe Kritik, ja völlige Verwerfung entgegen. Und gerade an die Person und Dichtung Postels knüpft sich diese Katastrophe. Es war bekanntlich der nach Elbinger und Thorner Schuljahren, Kieler Universi tätsstudien unter Morhof längere Zeit in Hamburg lebende Lhristian Wernicke, seiner Abkunft nach von väterlicher Seite ein Sachse, von mütterlicher Seite ein Engländer und der Geburt nach ein Preuße, der als Vorläufer Gottscheds und Lessings in seinen Epigrammen die deutsche Literatur und die deutsche Vichtersprache von dem Schwulst des schlesischen Barockstils zu reinigen unternahm und gegen den Marinismus Hofmanns waldaus und Lohensteins wie gegen den leeren Klingklang der Nürnberger zu Felde zog. Er suchte über der Imitation ausländischer Vorbilder und im Gegensatz zu der partikularistischen Strömung, die in Laurembergs niederdeutscher Vialektdichtung das heil suchte oder wenigstens mit Postel und Weichmann einer besonderen niedersächsischen Sprachgestaltung für die Töne und Farben der schlesischen Poesie zustrebte, eine höhere Warte, um der Entwicklung der deutschen Literatursprache den Weg zur Gesun dung zu weisen. Vieser Weg sollte nach seinem Willen sich abwenden von dem schwindelnden Pfad der Schlesier wie von der nüchternen Straße Christian Weises, sollte aus der sprachlichen Anmaßung meißnischer und schlesischer Sondersucht wegführen zu einer vornehmen, an edlen französi schen Mustern geschulten, im Geiste Boileaus gelenkten und von der
2. Meißnisch und Schlesisch im Streit um die Hegemonie der Sprache
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preußischen Hofpoesie eines Canitz befruchteten Schreibart. Cs war im Grunde der Weg, den bald auch Gottsched einschlug. Aber Wernickes Angriff auf die Hegemonie der schlesischen Literatursprache erregte zu nächst heftigen Widerspruch. Postel und hunold setzten sich zur Wehr und es kam zu weitverzweigten literarischen Zehden, die sich mit den Kämpfen der Schweizer für die neue Dichtersprache verflochten. Cs sollte noch lange währen, bis die schlesische vichtersprache bezwungen war. Die Reibereien dauerten fort. Auch den nun sich verstärkenden Zweifel an der unbedingten literarischen Hegemonie Schlesiens nahmen dessen Bewohner übel. 3n der von hunold herausgegebenen „Aller neuesten Art zur reinen und galanten Poesie zu gelangen" (Hamburg 1707) hatte Erdmann Neumeister, aus der Nähe von Weißenfels gebürtig, über den „Stylus magnificus“ geäußert, „daß die Herren Schlesier fast durch gehends darzu incliniren". Und mit deutlichem Spott setzt er hinzu: „es mag auch bey ihnen ein Vers so schlecht aussehen, als er wolle, dennoch wird allemahl was sonderliches darinnen zu finden seyn" (Kap. 9 § LXII, 1722, S. 498; s. auch unten 5. 17f.). Die Gryphius, Lohen stein, Nlühlpforth, Neukirch empfiehlt er, „doch müssen sie cum judicio et selectu gelesen werden"; hofmannswaldau rühmt er ohne Einschrän kung, Hallmann dagegen tadelt er und auch Neukirch bekommt seinen hieb: „Unter den itzo lebenden behält Neukirch den preiß, der es aber weiß, daß er ein Poet ist" (ebda.). Der schlesische Stolz muß aber be sonders gekränkt werden durch Neumeisters Urteil über ihre Sprache. Der meißnischen Mundart gibt er (S. 500) unter allen deutschen die höchste Stelle und fährt dann fort: „Unsern (d. h. den obersächsischen oder meißnischen) Nationalismum vermehren die Thüringer, Nieder sachsen, Märcker, Preußen, Lausitzer und Schlesier, welche sich mit der Zeder insgemein nach unserm Jdiomate (dem obersächsischen) zu accomodiren pflegen". Diese Behauptung muß in Schlesien tief verstimmt haben. Noch zehn Jahre nachher (1717) erschienen von einem schlesischen Adligen, Georg Wilhelm von Reibnitz, „Vindiciae poeseos Silesiorum“ in den Miscellanea Lipsiensia ad incrementum rei litterariae edita, Tom V, S. 278 ff. Die scharfe Antwort, welche hierin scheinbar verspätet auf die Urteile der „Allerneuesten Art" gegeben wurde, war wohl veranlaßt durch die in demselben Jahr veröffentlichte neue Auflage des Neumeisterschen Buchs (Hamburg 1717). Der Verfasser richtet sich an die Adresse von hunold, den er für den Autor des Buches hält. Reibnitz will nicht in den verdacht kommen, seine Landsleute zu überschätzen, und läßt es daher dahingestellt, ob mit Recht der meißnische Dialekt für den besten gehalten werde. Entschieden leugnet er, daß die Schlesier ihre Mundart nach den Meißnern richteten. Die Schlesier könnten unmöglich darin die Gbersachsen nachahmen, worin sie ihnen weit überlegen oder mindestens gleich seien. Der wirkliche Ge-
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I. Don Dpitz bis Gottsched
brauch selbst lehre, daß die Schlesier in ihrer Poesie sich dabei der bei den Sachsen üblichen Reime enthalten: sie vertauschen nicht das e apertum cum obscuriori und reimen nicht gehen (mhd. gen) mit sehen (mhd. sehen), vergehen (mhd. vergen) mit geschehen (mhd. geschehen), flehen (mhd. vlfihen) mit stehen (mhd. stSn)1); auch vermischen sie nicht lange und kurze vokale und meiden Bindungen wie Bach: nach; sie unterscheiden die harten und weichen Konsonanten und die Tenues und Spiranten, sie duldeten daher nicht Reime wie Pforten: Orden, streichen: saugen, bleichen: zeigen, sie sonderten u und o, sodaß Huld: Gold, Lust: Kost bei ihnen nicht vorkämen. Alle diese Keime entsprächen aber der Mundart der Meißner und begegneten in ihren Gedichten deshalb haufenweise. Mit einigen Beispielen befand sich Reibnih dabei sehr im Irrtum. Die Reime nach Art von Lust und Kost gehören zu den allerhäufigsten gerade auch der schlesischen Dichter; Bach: nach, an: gethan begegnet bei Dpitz und andern oft. Die übrigen Beobachtungen sind richtig, bemerkenswert namentlich die Erkenntnis der nicht-spirantischen Aussprache des in lautenden g bei den Schlesiern, die in der Tat Reime wie reichen: steigen, bleicht: zeigt nicht brauchen. Erwidert wurde auf diese geharnischte Verteidigung Schlesiens sehr rasch in einem anonymen Aufsatz der „vermischten Bibliothek oder zu länglichen Nachrichten von allerhand mehrenteils neuen Bücher", einer Zeitschrift, die zu Halle seit 1718 von hunold herausgegeben rouröe2). Der Anonymus ist offenbar dieser selbst, so sehr er sich auch versteckt. Er stellt sich auf den Standpunkt des deutschen Patrioten und eifert über Reibnitzens Geringschätzung der deutschen Poesie, die er unter die italie nische und französische gestellt hatte, bedauert, daß er nicht den Pater Bouhours, der den Deutschen den zur Poesie gehörigen bei esprit ab gesprochen, habe durch sein Zeugnis unterstützen können, und behauptet sodann den unbedingten Vorrang der deutschen Poesie und beruft sich auf die trefflichen Gedichte des Dpitz, Gryphius, hofmannswaldau, Lohenstein, Besser, Eanih usw. Mit Stolz betont er die größere formale Vollendung, welche die deutsche Dichtung vor der französischen voraus habe: „Die vielen §reyheiten der Zrantzosen in der Scansion, Elision und in den Reimen sind bey den Teutschen Zehler" (S. 728). 3m weiteren klärt hunold seinen Gegner über den Verfasser der „Allerneuesten Art" auf und wendet sich schließlich zur Hauptsache: zu der sprachlichen Streitfrage. Er glaubt, daß alle des Deutschen kundigen „Gelehrten" Neumeister darin beistimmen werden, „daß der Meißnische Dialectus... der beste und annehmlichste sey: obgleich der Herr von *) D. h. sie reimen mittelhochdeutsches e nicht mit mittelhochdeutschem e und mhd. e nicht mit dem aus eh entstandenem e; vgl. unten (5.16) und Neumann a. a. ®. 5.14f. § 11. 2) „Gedanken von der unnöthigen Rettung der schlesischen Poesie, welche Herr Georg Wilhelm von Reibnitz usw.", Jahrgang 1718. Stück 9, 5. 821 ff.
2. Meißnisch und Schlesisch im Streit um die Hegemonie der Sprache
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Reibnitz den Schlesischen vorziehet oder ihn wenigstens gleich schätzet" (S. 832). Den Satz Neumeisters, der die Vindiciae der schlesischen Poesie vornehmlich hervorgerufen hatte, daß die Schlesier sich insgemein nach dem Idiom der Meißner richteten, hält er aufrecht und erklärt ihn näher: „Nun bin ich seiner Meynung, daß dieses so leicht kein Schlesier in Schlesien thun werde, noch wohl thun könne. Allein ich glaube fest, daß wenn ein Schlesier in Meißen jemanden zu Ehren Derse schreibt, er aus Klugheit, sich nach der Meißner Mund-Art richten werden gleichwie ein Meißner vernünftig handelte, wenn er in Schlesien, so viel es möglich, nicht wider der Schlesier Gehör schriebe" (5. 832). Ein guter Rat, der an ähnliche Tschernings und Christian Weifens (s. auch unten 5.17 f.) erinnert. Er bestätigt, daß um jene Zeit, im 18. Jahrhundert, noch kein Ausgleich selbst zwischen den sprachlich sich nahestehenden und eng benachbarten beiden mitteldeutschen Landschaften in Bezug auf ihre Schriftsprache zustande gekommen war. Wäre hunolds Vorschlag genau befolgt, so wäre eine Einigung immer weiter hinausgerückt worden. Sachlich wendet der Verfasser der „Gedanken" noch gegen die An gaben Reibnitzens über die meißnischen Reime ein, daß ein Teil der Bei spiele gar nicht bei meißnischen Dichtern vorkomme. Beide Gegner irren in ihren Behauptungen deshalb, weil sie offenbar die meißnische und schlesische Aussprache gleichsetzen mit dem Reimgebrauch meißnischer und schlesischer Dichter. Aber eine genauere Prüfung zeigt, daß die Reim bindungen die wachsende Tendenz haben, stark mundartlichen Laut zu meiden. In der vermischten Bibliothek setzte hunold nun den Seldzug gegen die schlesische Sprache fort, indem er seinerseits zur Offensive überging. Im Jahre 1720 (Stück 21, 5. 762ff.) rezensierte er ein von partikularem Patriotismus strotzendes heroisches Gedicht des schlesischen Regierungs rats Sommer: „Das glückselige Schlesien, durch die unvergleichlichen helden-Thaten Kayser Earls des Viten". Der ganze für derartige Ver herrlichungen aus dem Altertum überlieferte Apparat war darin in Be wegung gesetzt mit all den altbekannten Hausmittelchen der humanistischen Hofdichtung: Musen, Zurien, allegorische Gestalten, Prosopopöien, Apostrophen, Episodia, Vision, Vorhersagungen usw. nach dem üblichen Rezept, hunold spottete mit Recht darüber.------------Seine Rezension rief natürlich auf schlesischer Seite lebhaften Wider spruch hervor. Ein Anonymus schrieb ein ganzes Buch*) dagegen, die Ehre der schlesischen Poesie zu retten, denn diese schien durch den Angriff h „Die Ehre der schlesischen Poesie und Poeten gründlich und aufrichtig gerettet, wider der Dermischten Bibliothec XXI. Theil" (1721). Der Verfasser wird wohl Sommer selbst sein oder diesem sehr nahe gestanden haben, obwohl er sich das Ansehen eines Un beteiligten gibt. — Angefügt ist ein Anhang von L.