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German Pages 553 [560] Year 1978
D I E K I R C H E N D E R W E L T • B A N D III DIE ALTKATHOLISCHE KIRCHE
DIE KIRCHEN DER WELT B A N D III
Herausgeber D. HANS H E I N R I C H H A R M S D.HANS HEINRICH WOLF D. G Ü N T E R W A G N E R D. DR. H A N F R I E D K R Ü G E R
Gesamtredaktion: Walter Schmidt
DIE ALTKATHOLISCHE KIRCHE
Ihre Geschichte, ihre Lehre, ihr Anliegen von
DR. URS KÜRY f em. Professor an der Universität Bern ehem. Bischof der Christkatholischen Kirche der Schweiz Ergänzte und mit einem Nachtrag versehene 2. Auflage herausgegeben von
DR. CHRISTIAN OEYEN Professor an der Universität Bonn
m EVANGELISCHES VERLAGSWERK STUTTGART
Meinem verehrten und lieben Freund
Mgr. Dr. Andreas Rinkel Erzbischof von Utrecht
in Dankbarkeit
I. Auflage 1966, 2. ergänzte Auflage 1978 I S B N 3 7715 0190 3 Erschienen im Evangelischen Verlagswerk GmbH, Stuttgart © Alle Rechte, einschließlich dem der Übersetzung, vorbehalten Printed in Germany Druck: J. F. Steinkopf, Stuttgart Bindearbeit: Großbuchbinderei Riethmüller, Stuttgart
INHALT
Vorwort
9 I. TEIL
DIE GESCHICHTE DER A L T K A T H O L I S C H E N
KIRCHE
Einleitung
15 A . D I E VORGESCHICHTE
I. Die Verfassung der alten Kirche a) Das Bischofsamt b) Die Synode c) Die Reichskirche und das Prinzip des selbständigen Landeskirchentums II. Das zentralistische Papsttum
17 17 18 19 21
III. Der neue Kirchenbegriff
25
IV. Die innerkatholischen Widerstandsbewegungen a) Der Konziliarismus des 15.Jahrhunderts b) Der Gallikanismus c) Der Jansenismus d) Die Kirche von Utrecht e) Der Febronianismus f) Der Josefinismus g) Die Reform J. H. von Wessenbergs h) Weitere Reformversuche im 19. Jahrhundert i) Die liberale katholische Wissenschaft
28 28 30 32 35 40 41 43 44 46
V . Das Vatikanische Konzil 1869/1870 a) Die Vorgeschichte des Konzils b) Der Verlauf des Konzils c) Inhalt und Bedeutung der Dekrete über das Papsttum
49 49 51 54
B . D I E GESCHICHTE
I. Der Ausgangspunkt des altkatholischen Widerstandes II. Die grundlegenden Entscheidungen a) Die Münchner Pfingsterklärung b) Der Katholikenkongreß in München: 22.-24. September 1871 • c) Der Altkatholikenkongreß in Köln: 20.-22. September 1872 . . d) Die Wahl eines Bischofs e) Der Altkatholikenkongreß in Konstanz: 12.-15. September 1873 III. Die altkatholische Kirche in Deutschland a) Die ersten kirchlichen Akte b) Die ersten Synoden
57 65 65 65 68 69 70 71 71 72
4
Inhalt c) Die Reformen 1. Die Ohrenbeichte 2. Das Fasten 3. Die Feiertage 4. Katechismus und Lehrbücher 5. Liturgie 6. Der Dispens vom Zölibatszwang d) Das Verhältnis zum Staat e) Weitere Entwicklung f) Heutiger Bestand
72 72 73 73 73 74 74 75 77 79
IV. Die christkatholische Kirche der Schweiz a) Der politische Kampf b) Der kirchliche Kampf c) Die Konstituierung der christkatholischen Kirche der Schweiz . d) Der innere Aufbau : e) Das Verhältnis zum Staat f) Heutiger Bestand V. Die altkatholische Kirche in Österreich
79 80 84 87 89 91 92 92
VI. Die altkatholischen Kirchen in den anderen Ländern Anhang: Die Gemeinschaft der sogenannten episcopi vagantes VII. Die gemeinsamen Grundlagen a) Die Utrechter Konvention b) Die internationalen Altkatholikenkongresse c) Die Unionsverhandlungen aa) Die Bonner Unionskonferenzen von 1874 und 1875 bb) Die Unionsverhandlungen mit den Anglikanern cc) Die Unionsverhandlungen mit den Orthodoxen Anhang: Die orthodox-anglikanischen Unionsgespräche . . . .
93 96 98 98 IOO 102 103 106 Iii 116
VIII. Die Besonderheit altkatholischer Kirchlichkeit 117 a) Das evangelisch-katholische Grundprinzip 117 b) Im Notwendigen Einheit, in Zweifelsfragen Freiheit, in allem die Liebe 118 c) Die altkatholische Kirche und der Liberalismus 119 n . TEIL
DIE LEHRE DER A L T K A T H O L I S C H E N
KIRCHE
Einleitung
125 A . D I E GRUNDLAGEN
Die Entscheidung für den Kanon der Hl. Schrift I. Offenbarung, Hl. Schrift, Tradition a) Die Offenbarung b) Die Hl. Schrift
129 130 130 131
Inhalt
c) Die Tradition d) Zusammenfassung Offenbarung Tradition Die Hl. Schrift
5
133 135 135 135 136
ü . Bekenntnis, Dogma, Lehre, Lehrmeinung a) Das Bekenntnis b) Das Dogma c) Die allgemeinkirchliche Lehre d) Die theologische Lehrmeinung
136 137 138 139 139
III. Der Glaube
140 B. DEE HEILSOFFENBAHUNG GOTTES Die trinitarische Grundentscheidung
I. Gott, der Dreieinige a) Gott in seinem Offenbarungsgeheimnis b) Gott in seinem Wesensgeheimnis c) Gott in seinem Geschehensgeheimnis Die christologische Grundentscheidung II. Jesus Christus, der gott-menschliche Erlöser a) Die Person des Erlösers b) Das Werk des Erlösers Anhang: Maria, die jungfräuliche Gottesmutter
144 146 147 148 150 150 150 153 IJJ
Die pneumatologische Grundentscheidung III. Der Heilige Geist, der Lebendigmacher C . DIE HEILS VERWIRKLICHUNG I. Der Vollzug des Heils a) Rechtfertigung und Heiligung 1. Der Stand der Frage 2. Stellungnahme b) Gnade und Freiheit c) Die Gnadenwahl Gottes (Die Lehre von der Prädestination) . . .
157 161 162 162 162 165 168 172
II. Die Vollendung des Heils (Die Lehre von den letzten Dingen) 176 Anhang: Die Verehrung der Heiligen 179 III. Die Vergegenwärtigung des Heils durch W o r t und Sakrament 180 a) Wort und Sakrament 181 b) Die einzelnen Sakramente 185 Die Taufe 185 1. Der Ursprung der Taufe 185 2. Das Wesen der Taufe 186 3. Die Wirkung und Notwendigkeit der Taufe 187
Inhalt
6
Die Firmung (Konfirmation) 1. Der Ursprung der Firmung 2. Das Zeugnis der Tradition 3. Das Wesen der Firmung 4. Die Ordnung der Firmung Das heilige Abendmahl 1. Der Ursprung des Abendmahles 2. Die altkatholische Stellungnahme 3. Das Wesen des Abendmahles 4. Zur Ordnung der Abendmahlsfeier Die Buße 1. Der Ursprung der Buße 2. Das Zeugnis der Tradition 3. Das Wesen der Buße Krankenölung 1. Der Ursprung der Krankenölung 2. Das Zeugnis der Tradition 3. Das Wesen r Die Presbyteratsweihe 1. Der Ursprung 2. Das Wesen der Presbyteratsweihe 3. Die Ordnung der Presbyteratsweihe Die Ehe 1. Der Ursprung der Ehe 2. Das Wesen des Ehesakramentes c) Über die Sakramente im allgemeinen 1. Die Siebenzahl der Sakramente 2. Die innere Ordnung der Sakramente 3. Die heilsgeschichtliche Einordnung der Sakramente a) Der Glaube b) Der heilsgeschichtliche Zusammenhang
187 187 188 189 189 190 190 193 196 199 200 201 203 205 207 207 208 208 209 209 211 211 212 212 214 214 214 216 218 218 218
M . TEIL
D A S A N L I E G E N DER A L T K A T H O L I S C H E N Die Kirche, ihr Amt und die Ökumene
KIRCHE 223
1. Abschnitt: K i r c h e und A m t A . DIE KIRCHE
I. Der Ursprung der Kirche
225
228
a) Der christologische Ursprung 228 1. Der christologische Ursprung der Kirche im Anfang 229 2. Der christologische Ursprung der Kirche in ihrem Fortgang . 236
Inhalt
7
b) Der pneumatologische Ursprung 1. Der pneumatologische Ursprung im Anfang 2. Der pneumatologische Ursprung im Fortgang
240 240 244
c) Der theologische Ursprung 1. Der theologische Ursprung im Anfang 2. Der theologische Ursprung im Fortgang
247 247 251
II. Das Wesen der Kirche a) Das Wesen der Kirche b) Die Wesensmerkmale der Kirche c) Die Natur der Kirche
254 254 260 269
B . DAS KIRCHLICHE AMT
I. Der Ursprung des Amtes a) b) c) d)
279
281
Der Ursprung des Amtes im Anfang Der Ursprung des Amtes im Fortgang A m t und Gemeinde Das Kerygma v o m A m t
II. Das Wesen des Amtes a) Das apostolische A m t b) Das dreigestufte A m t der alten Kirche c) Spätere Lehrentwicklungen d) Das altkirchliche A m t als ökumenisches A m t der Zukunft . . . .
281 283 291 299 301 301 305 323 337
Anhang: Die altkatholische Stellungnahme zu den neueren Unionsplänen
2. Abschnitt: D i e
348
Ökumene
A . DIE DREI GESTALTEN DER ÖKUMENE
I. Die altkirchliche Ökumene
358
361
II. Die Genfer Ökumene
362
III. Die vatikanische Ökumene
368
B . DAS VERHÄLTNIS DER ALTKATHOLISCHEN KIRCHE ZU DEN ANDEREN KLRCHEN
I. Das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche
378
II. Das Verhältnis zu den protestantisch-reformatorischen Kirchen
382
DI. Das Verhältnis zur orthodoxen Kirche des Ostens
388
IV. Das Verhältnis zur anglikanischen Kirchengemeinschaft
396
Inhalt
8
NACHTRAG VON CHRISTIAN O E Y E N
Die Entwicklung der Altkatholischen Kirchen der Utrechter Union in den letzten zehn Jahren I. Die innere Entwicklung II. Das Verhältnis zu den anderen Kirchen Benützte Literatur
404 4°4 410 427
ANHANG
Dokumente I. Grundsatz-Erklärungen II. Dokumente zu den Unionsverhandlungen
443 461
Bibliographie
489
Adressen der altkatholischen Kirchen
535
Verzeichnis der Dokumente
538
Register
540
VORWORT
orliegende Publikation will nicht mehr sein als eine erste Einführung in die Geschichte und das Wesen der altkatholischen Kirche. Sie ist so gehalten, daß sie auch dem kirchlich interessierten Laien verständlich sein sollte. Dem Zweck des Buches entsprechend wurde im Text - mit wenigen Ausnahmen - auf jeden Quellennachweis verzichtet. Dafür gibt das Literaturverzeichnis (S. 404) die nötigen Hinweise auf die benützte Spezialliteratur, insbesondere auf die altkatholischen Zeitschriftenaufsätze, in denen die einschlägigen Fragen ausführlicher behandelt sind. Mit Nachdruck sei betont, daß diese Publikation keinen irgendwie kirchenamtlichen Charakter trägt, sondern ein Versuch ist, die Grundlinien der altkatholischen Kirchlichkeit und Theologie aufzuzeigen, für den der Verfasser die Verantwortung persönlich trägt. Im ersten Teil - über die Geschichte - wurde bewußt darauf verzichtet, die geschilderten Vorgänge in die größeren geistesgeschichtlichen Zusammenhänge hineinzustellen. Vielmehr sollte die Darstellung möglichst elementar sein, in dem Sinne, daß im Abschnitt über die „Vorgeschichte" die wichtigsten Elemente herausgearbeitet wurden, die für die spätere altkatholische Bewegung mitbestimmend geworden sind. Im zweiten Teil über die Lehre - begnügten wir uns nicht damit, die wichtigsten Lehraussagen altkatholischer Theologie und Konferenzarbeit aneinanderzureihen, sondern es wurde der Versuch unternommen, in der Form einer zusammenhängenden „Laien-Dogmatik" die Grundintentionen altkatholischer Lehrbildung darzulegen. Der dritte und ausführlichste Teil über das altkatholische Anliegen - will ein Beitrag sein an das heutige ökumenische Gespräch, in dessen Mittelpunkt, soweit es den Bereich „Glaube und Verfassung" betrifft, das Problem der Kirche und des Amtes steht. Was dieses letztere betrifft, ist Bedacht darauf genommen worden, über die bloß exegetisch-dogmengeschichtliche Fragestellung hinauszukommen und zu einer kerygmatisch-systematischen Sicht vorzudringen. Im Kapitel über die Ökumene wird zugleich eine Standortbestimmung der altkatholischen Kirche inmitten der heutigen Christenheit im Sinne einer kurzen Unterscheidungslehre angestrebt. Es liegt in der Sache selbst begründet, daß die Darstellung nicht darauf verzichten konnte, ganz bestimmte Abgrenzungen gegen die Lehre und die Praxis anderer Kirchen zu vollziehen. Das ist nicht in polemischer Absicht geschehen, sondern um der größeren Klarheit willen, ohne die
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Vorwort
ein besseres gegenseitiges Verständnis der Kirchen und eine echte Einheit in der Wahrheit und in der Liebe nicht möglich sind. Zum Schluß habe ich allen, die mir ihren Rat und ihre Mitarbeit geliehen haben, meinen herzlichsten Dank auszusprechen: Dr. J. Waldmeier, Aarau, Prof. Dr. B. A. van Kleef f . Hilversum, Prof. Dr. W. Küppers, Bonn, Bischof Dr. St. Török, Wien, für manchen wertvollen Hinweis zum geschichtlichen Teil, Pfarrer H. Gerny, Hellikon, für die Zusammenstellung der Dokumente, Dr. J. Visser, Amersfoort und Pfarrer P. Hohler, Bern, für die Neubearbeitung und Ergänzung der altkatholischen Bibliographie, meiner Frau Emmy, geb. Vogt, für ihre verständnisvolle und tätige Mitarbeit und allen anderen, die mir die erforderlichen Schreib- und Korrekturarbeiten abgenommen haben. Besonderer Dank gebührt dem Leopold Klotz-Verlag, der uns die im Ekklesia-Band über die altkatholische Kirche (1935) erschienene Bibliographie zur Neubearbeitung überlassen hat. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Herausgeber Hauptpastor Dr. H. H. Harms, Hamburg, und Herrn F. Vorwerk vom „Evangelischen Verlagswerk" in Stuttgart, die es auf sich genommen haben, dieser Darstellung in der Bücherreihe „Die Kirchen der Welt" Gastrecht zu gewähren.
_ ,_. . Der Verfasser
V O R W O R T Z U R 2. A U F L A G E
Am 3. November 1976 verstarb in Basel nach einem kurzen Spitalaufenthalt Bischof Dr. Urs Küry, der ehemalige Oberhirte der Christkatholischen Kirche der Schweiz und emeritierte Professor der systematischen Theologie an der Universität Bern, im Alter von 75 Jahren. Da in einem von Dr. Hans Frei herausgegebenen Gedächtnisband diese außerordentliche, bis zuletzt vielseitig tätige Persönlichkeit gewürdigt wird, sei hier nur die Trauer über den Verlust des edlen Menschen, des tiefgläubigen und ökumenisch gesinnten Theologen und Bischofs zum Ausdruck gebracht. Unter den Arbeiten, von denen er abberufen wurde, befand sich die beabsichtigte 2. Ausgabe des vorliegenden Werkes. In seinem letzten Brief an den jetzigen Herausgeber hatte er am 23. Oktober 1976 geschrieben: „Hoch erfreut hat mich Ihr brüderliches Angebot, mir bei einer eventuellen Neuausgabe meines Buches über die altkatholische Kirche behilflich zu sein. Ich nehme dieses Angebot sehr gerne an. Dieses Vorhaben wird aber nicht so leicht zu verwirklichen sein . . . In Frage käme für mich nur ein Neudruck bzw. eine zweite, verbesserte Auflage, da am vorliegenden Text manches zu korrigieren und zu ergänzen wäre . . . Die Arbeit stelle ich mir so vor: 1. Ich würde gewisse Partien meiner Ausführungen über das Amt, die meine persönlichen Ansichten über eine ökumenische Einigung in der Amtsfrage enthalten, streichen oder stark reduzieren (S. 3 0 1 358).
2. Zu ergänzen wären die Berichte über die Gespräche und Unionsverhandlungen mit der orthodoxen und römisch-katholischen Kirche. 3. Es sollte - wie das schon der Herausgeber wünschte - ein Sachregister erstellt werden. 4. Da das Buch Druckfehler und Errata enthält und einzelne Formulierungen fragwürdig oder zu ungeschützt sind, habe ich daran gedacht, an einen Kreis ausgewählter Theologen eine Umfrage zu richten, damit sie mir Vorschläge machen könnten. Auch wären gewisse kritische Bemerkungen der eingegangenen Rezensionen zu berücksichtigen." Nach dem Tod des Verfassers war es aber nicht mehr möglich, die Arbeit in der so geplanten Weise zu verwirklichen. Das gilt vor allem
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Vorwort
für die Neubearbeitung oder Kürzung von ganzen Teilen des Buches sowie für die vorgesehene Umfrage, die ohne ihn nicht hätten in seinem Sinne durchgeführt bzw. ausgewertet werden können. Andererseits hatte Bischof Urs Küry einen unveränderten Nachdruck seines Buches, ohne die von ihm als notwendig angesehenen Verbesserungen und Ergänzungen, stets abgelehnt. Im Einvernehmen mit Frau Emmy Küry-Vogt wurde darum nach einem Weg gesucht, das Werk so weit wie möglich zu vervollständigen, ohne unbefugte Änderungen des ursprünglichen Textes vorzunehmen. So sind jetzt an mehr als 70 Stellen kleinere Druckfehler und Errata verbessert worden, die teilweise schon vom Verfasser selbst in seinem Exemplar notiert worden waren; statistische Angaben, Anschriften u. ä. sind auf den heutigen Stand gebracht, der Dokumententeil und die Bibliographie entsprechend ergänzt und das gewünschte Sachregister hinzugefügt worden; schließlich wurde in einem gesonderten Nachtrag die Entwicklung im inneren Leben der altkatholischen Kirche und in ihren ökumenischen Beziehungen skizziert. U m auch hier die Kontinuität des Werkes zu wahren, sind in diesen Nachtrag zahlreiche Zitate aus den inzwischen erschienenen Werken Bischofs Küry eingearbeitet worden, aus denen seine Stellungnahme zu den behandelten Fragen ersichtlich wird. Allen, die zum Zustandekommen dieser Ausgabe mitgeholfen haben, sei hier herzlich gedankt, in erster Linie Frau Emmy Küry-Vogt, der verehrten Witwe des Verfassers, für die vielfältige Unterstützung des Vorhabens. Im bibliographischen Teil haben wieder Prof. Dr. Jan Visser und Pfarrer Peter Hohler mitgewirkt; das Register ist mit der Hilfe von Diakon Erich Ickelsheimer erstellt worden. Ein besonderer Dank gilt der Christkatholischen Kirche der Schweiz für die finanzielle Sicherung der Ausgabe durch ein zinsloses Darlehen, sowie dem Evangelischen Verlagswerk für die Vervollständigung der wertvollen Reihe „Die Kirchen der Welt". Möge diese zweite Ausgabe des inzwischen zum Standardwerk gewordenen Buches weiter zur besseren Kenntnis der Geschichte, der Theologie und des Anliegens der altkatholischen Kirche beitragen! Christian Oeyen
I. Teil DIE GESCHICHTE DER ALTKATHOLISCHEN KIRCHE
EINLEITUNG
er Bruderkampf des Glaubens, der vor bald hundert Jahren den Altkatholiken auferlegt wurde, ist veranlaßt worden durch den offenen Widerspruch, den sie gegen die beiden, auf die ewige Seligkeit hin anzunehmenden Dogmen des I. Vatikanischen Konzils vom göttlichen Rechtsprimat des Papstes über die ganze Kirche und von seiner Lehrunfehl-
barkeit erhoben. Als Kampf des Glaubens reicht er aber geschichtlich viel weiter zurück und ist nicht gegen diese beiden Dogmen allein gerichtet. Er ist vielmehr so alt wie die jenen beiden Sätzen zu Grunde hegenden Rechts- und Machtansprüche des römischen Papsttums und wendet sich auf der ganzen Linie gegen ein Kirchentum, das -wie Döllinger sich scharf, aber klarsichtig ausdrückte - „in der Kirche Christi das Imperium dieser Welt aufrichten will". Ins Licht der Geschichte tritt dieser Kampf zum ersten Mal in dem schon im 3. Jahrhundert einsetzenden Ringen der alten Landeskirchen um ihre Selbständigkeit und Freiheit und nimmt große Ausmaße an, als vom 9. Jahrhundert an die morgenländischen Kirchen sich gegen die Übergriffe Roms am überlieferten Glaubensbekenntnis und an der alten Kirchenordnung zur Wehr setzten. Seinen Höhepunkt erreicht das Ringen in der Reformation des 16. Jahrhunderts und kommt im Bereiche des Katholizismus selbst zu bedeutungsvollen Auswirkungen in den zeitweise mächtigen Widerstandsbewegungen des Konziliarismus, Gallikanismus, Jansenismus, Febronianismus, Josefinismus und des katholischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts*. In diesem unaufhörlichen, durch Jahrhunderte sich hinziehenden Ringen, das vornehmlich ein solches um die Freiheit und „Entimperialisierung" der Kirche war, gibt sich eine Krise des spezifisch römischen Katholizismus kund, die, bald mehr im Verborgenen bleibend, bald mehr offen hervortretend, diesen bis auf den heutigen Tag begleitet. Dieser Krise in die alle Kirchen mittelbar oder unmittelbar miteinbezogen und von der alle betroffen sind - sucht die altkatholische Kirche durch ihre Existenz als katholische Kirche standzuhalten. Sie weiß sich insofern in die Reihe der eben erwähnten innerkatholischen Widerstandsbewegungen hineingestellt, die darum zu ihrer „Vorgeschichte" gezählt werden können. Andrerseits geht es der altkatholischen Kirche keineswegs nur
* Vgl. dazu die Einleitung von F. Siegmund-Schultze zum Ekklesiaband: Die altkatholische Kirche.
16
Einleitung
darum, das Erbe dieser Bewegungen fortzuführen, sind doch deren Grundmotive vielfach andere und z. T . auch begrenztere gewesen. Das Anliegen der altkatholischen Kirche ist es vielmehr, in enger Fühlungnahme mit den anderen „romfreien" katholischen Kirchen, mit der orthodoxen und der anglikanischen Kirchengemeinschaft, aber auch mit den Reformationskirchen und nicht zuletzt in innerer Übereinstimmung mit vielen „progressiven" Römisch-Katholiken unserer Tage, allmählich eine Klärung und Überwindung eben dieser immer wieder aufbrechenden Krise herbeizuführen. Dieses Ziel sucht sie zu erreichen durch eine entschlossene und umfassende Rückkehr zu den „Ursprüngen": zu Jesus Christus als dem alleinigen Herrn der Kirche - darum nennt sie sich in der Schweiz „christkatholisch" - und zum Glauben und den Ordnungen der alten und einen Kirche - darum nennt sie sich in allen übrigen Ländern „altkatholisch". Mit den oben genannten Kirchen zusammen möchte sich die altkatholische Kirche im Sinne ihrer Zielsetzung - nach einem Wort des gegenwärtigen Erzbischofs von Utrecht, Dr. A . Rinkel - verstanden wissen als „die katholische Kirche des Abendlandes, die auf dem Wege ist, sich zu sich selbst zurückzufinden". Soll der W e g , den sie auf dieses Ziel hin zurückzulegen sich bemüht, einsichtig werden, ist es unumgänglich, in einem ersten Teil - wenn auch nur in kurzen Skizzen - die Verfassung der alten Kirche, den besonderen W e g Roms und die sich ihm entgegenstellenden Widerstandsbewegungen und in einem zweiten Teil die Geschichte der altkatholischen Kirche selbst zur Darstellung zu bringen.
A. D I E V O R G E S C H I C H T E
I. D I E VERFASSUNG DER ALTEN KIRCHE
ie Verfassung der alten Kirche war bischöflich-synodal. In unmittelbarer Entfaltung der neutestamentlichen Gemeindeordnung, wie sie vor allem in der Apostelgeschichte und in den Pastoralbriefen bezeugt wird, setzte sich dieselbe gegen Ende des 2. Jahrhunderts (vgl. S. 305 ff.) - zuerst im Osten und dann im Westen - allgemein durch. Nur die für sie besonders charakteristischen Merkmale seien hier hervorgehoben: a) Das Bischofsamt
Das Amt des Bischofs, im Neuen Testament noch gleichbedeutend mit demjenigen der Ältesten (Presbyter), hob sich von diesem bereits um die Wende des 1. Jahrhunderts ab als das eigentliche Bruderamt der Einheit. Zur Wahrung der kirchlichen Einheit oblagen dem Bischof insbesondere der Dienst der Aufsicht (Bischof = „Aufseher") über die Lehre, die oberste Leitung des Gottesdienstes, die Einsetzung in die kirchlichen Ämter, die Kirchenzucht und gegen außen die Pflege des Verkehrs und der Gemeinschaft mit den Bruderbischöfen und ihren Gemeinden. Bischöfe, einzelne oder mehrere zusammen, standen - das war je nach Landesgegend verschieden - Einzelgemeinden oder, vor allem in den Städten, mehreren Gemeinden und deren Presbytern vor. Gewählt wurde der Bischof durch die Gemeinde, beziehungsweise durch die Synode, d. h. durch die durch Vertreter benachbarter Gemeinden und ihre Bischöfe erweiterte Gemeindeversammlung. Die Wahl hatte die Bedeutung eines Urteils (judicium), durch das die Gemeinde oder Synode den Erwählten als für sein Amt geeignet erklärte und die die Übertragung der Hirtengewalt (im späteren Sprachgebrauch der Kirche: die Jurisdiktionsgewalt) in sich schloß. Die förmliche Übertragung der Hirtengewalt und damit verbunden die Beauftragung und Bevollmächtigung zur Verkündigung des Wortes und zur Verwaltung der Sakramente (im späteren Sprachgebrauch: die Lehr- und Weihegewalt) erfolgte unmittelbar nach der Wahl unter Handauflegung durch die anwesenden Bischöfe. Weihe und Übertragung der Jurisdiktionsgewalt galten als ein einziger Akt, wie das heute noch in der Ostkirche der Fall ist.
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Die Geschichte der altkatholischen Kirche
Mit der immer weiteren Ausbreitung des Christentums traten nach dem Prinzip der Vorortsgemeinde die älteren Muttergemeinden und ihre Bischöfe zu den jüngeren Gemeinden in ein autoritatives Patriarchatsverhältnis. Insbesondere nahmen mit der Zeit die Bischöfe der Provinzund Landeshauptstädte die Stellung von Oberbischöfen, Metropoliten oder Erzbischöfen ein. Diese übten aber keine Regierungsgewalt über ihre Mitbischöfe aus. Sie hatten nur das Bestätigungsrecht bei Bischofswahlen und ein diesbezügliches Vetorecht. Erst später kam ihnen auch das Recht zur Einberufung von Provinz- oder Landessynoden zu. Ihr Dienst war und blieb ein bischöflicher, der mit einer besonderen Ehrenstellung verbunden war. Unter diesen Oberbischöfen ragten vor allem diejenigen hervor, deren Gemeinden auf die Gründung durch einen Apostel oder Apostelschüler zurückgeführt wurden. Ihnen kam der Titel „Patriarch" zu. Gemäß den Bestimmungen des 4. allgemeinen Konzils von Chalcedon (451) galten als solche die Bischöfe von Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Nach der altkirchlichen Patriarchatstheorie bildeten diese fünf Patriarchate zusammen die Eine cathedra Petri. b) Die Synode
Die Synoden, von denen die ersten zwischen 160 und 170 in Kleinasien stattfanden, waren ursprünglich Not- und Hilfsgemeinschaften, die zusammentraten, wenn es galt, Bischöfe zu wählen, beim Auftreten von Irrlehren die rechte Lehre zu bekennen oder bei Streitigkeiten über Fragen des Kultus und der Disziplin die überlieferte Gottesdienst- und Kirchenzuchtordnung zu wahren. Sie waren ursprünglich erweiterte Gemeindeversammlungen mit gottesdienstlichem Charakter, an denen Bischöfe, Älteste (Presbyter) und Diakone zusammen mit den Laien unter Anrufung des Namens Christi und des Hl. Geistes ratschlagten und die nötigen Entscheidungen trafen. Erst vom 3. Jahrhundert an wurden die Synoden reine Bischofsversammlungen, ohne daß indessen Priester, Diakone und Laien grundsätzlich von ihnen ausgeschlossen waren. Ihr Mitsprache- und Zustimmungsrecht blieb unter den verschiedensten Formen noch lange gewahrt. Jede dieser Synoden, ob klein oder groß, wußte sich als personale Repräsentation der einen und ganzen Kirche unmittelbar ihrem Herrn verantwortlich. Die Gültigkeit ihrer Beschlüsse hing weder von der Bestätigung durch eine übergeordnete Kirchenbehörde noch von der Zustimmung durch die einzelnen Gemeinden als „autonomen Körperschaften" ab, sondern allein davon, ob sie nachträglich ins Glaubensbewußtsein der einen und ganzen Kirche Aufnahme fanden. Diese Aufnahme (Rezeption) erfolgte in horizontaler Ver-
Die Vorgeschichte
19
schränkung von Gemeinde zu Gemeinde durch den Verkehr der Bischöfe untereinander, vor allem aber durch die gemeinsame Kommunion, die dadurch immer auch ein Bekenntnis zum selben Glauben war und als Zeichen der kirchlichen Einheit galt. Das schloß nicht aus, daß die Synoden durch Mitteilung ihrer Beschlüsse an die großen Patriarchatssitze sich deren Übereinstimmung vergewisserten. Das hieß aber - wie F. von Schulte für Rom nachgewiesen hat* - nicht, daß von ihnen eine förmliche „Bestätigung" der Synodebeschlüsse eingeholt wurde. Die Übereinstimmung war und blieb eine solche in der Freiheit. So wenig die Gemeinden administrative Einheiten mit autonomem Charakter im modernen staatsrechdichen Sinne waren, so wenig waren die Synoden rechtliche Körperschaften mit gesetzgeberischen Vollmachten, noch waren die Patriarchate Gerichtsbehörden mit einem durchgehenden letztinstanzlichen Entscheidungsrecht. Ein formelles, die ganze Kirche umfassendes und alles normierendes Verfassungsrecht war der alten Kirche unbekannt. Das Bewußtsein war noch lebendig, daß jede Synode, die sich unter Anrufung des dreieinigen Gottes rechtmäßig besammelt und die ihre Beschlüsse in Freiheit und nach sorgfältiger Prüfung der Hl. Schriften und der Stimme der Väter faßt, unmittelbar zu ihrem Herrn steht und ihm allein verantwortlich ist. c) Die Reichskirche und das Prinzip des selbständigen Landeskirchentums Diese Grundordnung der alten Kirche, mag sie zufolge ihres freiheitlichen und rechtlich nur lose fixierten Charakters leicht verletzlich gewesen und tatsächlich auch oft verletzt worden sein, hielt im Großen und Ganzen auch durch, als das Christentum 313-380 Staatsreligion wurde und die Zeit der großen Reichskonzilien anbrach. Die Konzilien wurden vom Kaiser einberufen, sie wurden auch vom Kaiser oder seinen Kommissaren geleitet, und ihre Beschlüsse galten als Reichsgesetz. Indessen blieb die freie Zustimmung der Kirche, die für die Annahme von verbindlichen Glaubenssätzen grundlegend war, prinzipiell gewahrt - trotz dem Druck, den der Kaiser und seine Hofbischöfe nicht selten auf die Konzilsväter ausübten. Das zeigt das Beispiel der sog. Räubersynode von 449, deren Beschlüsse zwar Reichsgesetz wurden, aber von der Kirche nicht übernommen worden sind. Unter dem Einfluß des Kaisers gab sich die Kirche auf dem Konzil von Nicäa (325) auch zum ersten Mal eine eigentliche „Verfassung". Diese beschränkte sich aber im wesentlichen darauf, die bestehende bischöflich-synodale Ordnung zu bestätigen und in Anlehnung * F. von Schulte: Die Stellung der Concilien, Päpste und Bischöfe, S. 100ff.
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Die Geschichte der altkatholischen Kirche
an die Grenzen der Reichsprovinzen die Kirche in Provinzialverbände aufzugliedern, die Bischöfe der Provinzhauptstädte auch förmlich in den Rang von „Metropoliten" zu erheben, während gleichzeitig die Rechte der Einzelgemeinden gefestigt wurden. Als oberstes Organ der Kirche galten die allgemeinen Konzilien, andererseits wurden den Provinzialsynoden, die jährlich zweimal einberufen werden sollten, weitgehende Rechte eingeräumt, vor allem bezüglich der Wahl von Bischöfen und in Fragen der Disziplin und des Kultus. Diese Provinzialverfassung drang vor allem im Osten sehr rasch durch. Als es nach dem Zerfall der Reichseinheit später zur Bildung politisch unabhängiger Volksstaaten kam, gingen aus den alten Provinzialverbänden selbständige Landeskirchen hervor, an deren Spitze in der Regel ein Oberbischof mit einer ihm zugeordneten Synode stand. Diese Ordnung hat sich im Großen und Ganzen bis heute in der orthodoxen Ostkirche erhalten. Jede orthodoxe Landeskirche steht unter der Leitung eines Oberbischofs (der heute meistens den Titel „Patriarch" trägt) und einer Synode und ist als solche selbständig (autokephal). Das die einzelnen Landeskirchen einigende Band ist die überlieferte, allen gemeinsame Lehr-, Amts- und Kultusordnung. Unter den Oberbischöfen, bzw. Patriarchen, kommt dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel der Primat zu. Aber er übt keine Jurisdiktionsgewalt über die anderen Kirchen aus. Seine Vorrangstellung ist eine solche der Autorität, des Dienstes und der Ehre. So ist die bischöflich-synodale Verfassung der orthodoxen Kirche bis heute ein nach oben grundsätzlich „offenes System", einer Kuppel vergleichbar, die dem Himmel zu offen steht (S. Bulgakoff). Auch im Westen vermochte sich diese ursprüngliche Ordnung autonomer Landeskirchen mit selbständigen Bischöfen und Synoden einige Jahrhunderte hindurch zu erhalten. So bestand in Nordafrika bis ins 5. Jahrhundert hinein eine ihrer Selbständigkeit voll bewußte, straff durchorganisierte bischöflich-synodale Landeskirche, die sich zwar mit Rom als der prima sedes im Glauben verbunden wußte, sich aber noch auf einer Synode von 427 jede jurisdiktioneile Einmischung von Seiten der Bischöfe von Rom verbat. Ebenso gab es auf der iberischen Halbinsel die spanisch-westgotische Landeskirche mit einer eigenen (der sog. „mozarabischen") Liturgie, die unter der Leitung der Könige ihre Selbständigkeit bis ins 8. Jahrhundert hinein zu wahren wußte. Auch die gallisch-fränkische Kirche, die allerdings zeitweise den Einflüssen Roms stärker unterlag, besaß ihr eigenes Synodewesen und ihren eigenen „gallikanischen" Ritus. Selbst nach dem Zerfall ihrer Selbständigkeit im 8. Jahrhundert behielt sie noch lange ihre Besonderheiten bei. Die keltische Kirche Englands, Irlands und Schottlands erlag der Romanisierung
Die Vorgeschichte
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erst im 8. Jahrhundert. Selbst in Italien erfreuten sich die Kirchen von Mailand mit ihrem eigenen „ambrosianischen" Ritus und diejenige von Aquileja Rom gegenüber lange Zeit großer Selbständigkeit. So bestand in der alten Kirche, bei aller Einheit im Wesentlichen, im Bekenntnis, in der Ämterordnung und im gottesdienstlichen Leben eine große Mannigfaltigkeit und Freiheit in den Formen und Gestalten des kirchlichen Lebens selbst. Die selbständigen Landeskirchen waren durch die Vielfalt ihrer besonderen Gaben noch ein lebendiges Zeugnis für die „Vielfarbigkeit" der einen Gnade Gottes (i. Petr. 4,10). Auch ist es eine Tatsache von allergrößter geschichtlicher und sachlicher Tragweite, daß die Einheit der Kirche - abgesehen von zeitweisen Spaltungen und Entfremdungen - in dem Maße gewahrt blieb, als die Vielfalt und Freiheit der Landeskirchen respektiert wurde.
II. D A S ZENTRALISTISCHE PAPSTTUM
Für zentralistische Primatsansprüche des Bischofs von Rom war in der Verfassung der alten Kirche kein Raum. Oberstes Organ der Gesamtkirche waren die allgemeinen Konzilien, an deren Einberufung die Päpste keinen Anteil hatten, so wenig wie die Konzilsbeschlüsse der päpstlichen Genehmigung bedurften. Wohl aber haben die Konzilien ihrerseits über die Stellung des Bischofs von Rom Bestimmungen erlassen, von denen die wichtigsten folgende sind: Das Konzil von Nicäa (325) erklärt in canon 6, daß dem (damals angefochtenen) Bischof von Alexandrien innerhalb seiner Kirchenprovinz dieselbe Vorrangstellung zukomme, „wie sie dem Bischof von Rom gewohnheitsgemäß zusteht". Die Stellung des Bischofs von Rom wird also in Analogie gesehen zu derjenigen seines Mitbruders in Ägypten. Erst das Konzil von Chalcedon (451) billigt canon 28 dem Papst eine Vorrangstellung vor den vier anderen Patriarchen zu, jedoch mit der ausdrücklichen Feststellung, daß „die Väter dem Stuhle des alten Rom wegen der Herrschaft dieser Stadt mit Recht den Vorrang eingeräumt haben". Beigefügt wird, daß dem Patriarchen von Konstantinopel als dem Bischof von Neu-Rom (der neuen Reichshauptstadt) „derselbe Vorrang", wenn auch erst nach Rom, zukomme. Wichtig ist, daß dem Bischof von Rom um „der Herrschaft dieser Stadt", also um des politischen Ranges der alten Reichshauptstadt willen, der Primat zugesprochen und daß er als ein ihm „von den Vätern eingeräumter" bezeichnet wird. Sein Primat ist in diesem Sinne ein solcher der Ehre, ein ihm von der Kirche übertragener. Es kann darum keine Rede davon sein, daß - wie noch in der Enzyklika „Sempiternus R e x " Pius XII. vom
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Jahre 1951 zu lesen stand - das Konzil seine Zustimmung gab zum „göttlichen Rechtsprimat des Bischofs von Rom". Es waren die Bischöfe von Rom selbst, die etwa vom Ende des 4. Jahrhunderts an, wenn auch zunächst nur zögernd und schrittweise, über die Konzilsbestimmungen hinausgehende Ansprüche geltend machten. Erleichtert wurde ihnen das dadurch, daß die Gemeinde der alten Reichshauptstadt schon sehr früh in der ganzen Christenheit hohes Ansehen genoß: durch ihre Liebestätigkeit, die hohe Lehrautorität einiger ihrer hervorragendsten Bischöfe und durch die Tatsache, daß die Gemeinde Rom als einzige apostolische Gründung im Westen und als Hüterin der Grabstätten der Märtyrerapostel Petrus und Paulus galt. Aber irgendwelche besondere Rechte wurden daraus in der ältesten Zeit nicht abgeleitet. So sind in den ersten vier Jahrhunderten von den Bischöfen von Rom keine für den Glauben der ganzen Kirche allgemeinverbindliche Dekrete ausgegangen. Ihre ersten Versuche, in die Streitigkeiten anderer Kirchenprovinzen einzugreifen, stießen auf Widerstand und blieben erfolglos*. Die letzte Entscheidung über Fragen des Glaubens und der Kirchenordnung war nach wie vor den Synoden vorbehalten, an die auch die Bischöfe von Rom gebunden waren. An deren Entscheidung waren sie zwar, vor allem in den großen christologischen Auseinandersetzungen des 4. und 5. Jahrhunderts, durch gewichtige Lehrbriefe maßgebend beteiligt. Aber diese Lehrbriefe erließen sie nicht in Ausübung eines ihnen in besonderer Weise zukommenden göttlichen Rechts- und Lehrprimates, sondern kraft der Autorität, die sich die Bischöfe der Reichshauptstadt als theologische Lehrer der Kirche erworben hatten. Ihr Primat war im Rahmen der bestehenden KirchenOrdnung wesentlich ein solcher der Ehre, der freien Lehrautorität und des brüderlichen Dienstes an der Kirche und ihrer Einheit. Die ersten Bischöfe von Rom, die unter Durchbrechung der alten Kirchenordnung als „Päpste" auftraten, waren: Damasus I. (f 384), der als erster seine Primatsansprüche mit dem Wort Christi an Petrus: „Du bist der Fels . . . " (Mt. 16,18) begründet und den Titel cathedra Petri für Rom allein in Anspruch nimmt; Siricius (f 399), der seine bischöfliche Jurisdiktionsgewalt, die bis jetzt nur Mittel- und Unteritalien umfaßt hatte, auf das ganze Abendland auszudehnen versucht;Innozenz I. (1417), der die oberste Entscheidung in Glaubensstreitigkeiten im Westen wie im Osten beansprucht und dabei bereits andeutet, daß seine Entscheidungen als unfehlbar zu betrachten seien; Bonifaz I. (f 422), der das paulinische Wort von Christus als dem Haupt und der Kirche als seinem Leib kurzer* I. von Döllinger: Das Papsttum, S. 2 ff.
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hand auf das Verhältnis des Bischofs von Rom zur Kirche des Erdkreises anwendet und diese systematisch zu romanisieren versucht. Können die Aussagen dieser Päpste noch immer dahin verstanden werden, daß der Primat Roms die Bedeutung eines Zeichens für die zu wahrende Einheit der Kirche hat (wie noch Cyprian und Augustin gedeutet haben), so vertritt Leo I. (f 461) eine viel weitergehende, „realistischmystische" Papsttheorie, die im wesentlichen besagt: W i e Christus die Vollmacht den Aposteln durch (nicht: in) Petrus als deren Leiter und Lenker übergeben hat, so empfangen die Bischöfe ihre kirchliche Vollmacht durch den Papst. Dieser steht mit Petrus, dem „Fürsten der Kirche", in mystischer Personalunion: W e r das W o r t des Bischofs von R o m hört, der hört den Felsenapostel selber. Als dessen (alleiniger) Nachfolger regiert er die ganze Kirche. Der Papst hat „die Fülle der G e walt" (die plenitudo potestatis, eine Bestimmung, die dann in das 1. Vatikanum Aufnahme findet), während die Bischöfe, durch die er regiert, als seine „Delegaten" nur „einen Teil der Hirtensorge" besitzen. D e m Papst sind darum alle, Bischöfe, Priester und Gläubige, unbedingten Gehorsam schuldig. Dies alles geschieht und wird gesagt, nicht ohne daß vonseiten der Landeskirchen, ihren Bischöfen und Theologen, Einspruch erhoben wird. Vielfach sind diese weitgehenden Ansprüche Roms auch einfach ignoriert worden, so vor allem im Orient. Unter den Päpsten selbst war es Gregor I. (f 604), der dieser Entwicklung entgegenzuwirken versuchte. Er nennt sich selbst „Diener der Diener Gottes" und weist den Titel „Universalbischof" als Blasphemie von sich. Auch lehnt er den Anspruch, daß der Bischof von R o m der alleinige Inhaber des Stuhles Petri sei, zurück, mit dem Hinweis darauf, daß (im Sinne der altenPatriarchatstheorie) „dem Einen Sitz Petri mit dem Bischof von R o m die Bischöfe von Alexandrien und Antiochien vorstehen". Die nachfolgenden Päpste bemühen sich hauptsächlich um die missionarische Ausbreitung der römischen Primatsansprüche in den neu zum Christentum bekehrten Völkern. Sie gehen bereits auch auf Ländergewinn aus und begründen im 8. Jahrhundert mit Hilfe einer Fälschung (der sog. konstantinischen Schenkungsurkunde) den Kirchenstaat. N i k o laus I. (f 867) führt die Zentralisierung des kirchlichen Lebens auf breiter Grundlage weiter. Nach ihm kann ohne die Zustimmung des Papstes keine Synode gehalten, kein Bischof geweiht, kein Urteil gefällt und kein theologisches W e r k von Gewicht veröffentlicht werden. Auch den weltlichen Fürsten versucht er seinen Willen aufzunötigen und belegt sie im Falle des Widerstandes mit dem Bann. Mit ihm wird der Papst zum „geistlichen Imperator" (F. Heiler).
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Diese weitgehenden Ansprüche der Päpste konnten aus dem Verfassungsrecht der alten Reichskirche nicht abgeleitet werden. Schon früh griffen die Befürworter des päpstlichen Zentralismus (ob bewußt oder ob selbst irregeführt, läßt sich im einzelnen oft nur schwer entscheiden) zum Mittel „historischer Fiktionen und literarischer Fälschungen" (Döllinger). Damit rühren wir an eines der dunkelsten Kapitel der Papstgeschichte, das indessen um der Wahrheit willen auch im Zeitalter der Ökumene nicht verschwiegen werden darf. Schon auf dem 4. allgemeinen Konzil von Chalcedon (451) mußte den römischen Legaten entgegengehalten werden, daß der canon 6 des Konzils von Nicäa (325) in der von ihnen vorgelegten römischen Handschrift erweitert worden war durch den gefälschten Zusatz: „Die römische Kirche hat stets den Primat gehabt." Die wichtigsten dieser Fälschungen, die sich bis ins 13. Jahrhundert hinein fortsetzen, sind die ins 9. Jahrhundert fallenden „Pseudo-Isidorschen Dekretalien". Diese wahrscheinlich in Frankreich entstandene Gesetzessammlung enthält neben echten etwa 100 gefälschte päpstliche Dekrete und Konzilsbeschlüsse, die in die Zeit der ersten Jahrhunderte zurückdatiert werden. In ihnen wird - entgegen der geschichtlichen Wahrheit unter anderem gesagt, daß die Beschlüsse der Synoden der Genehmigung durch den Papst bedürfen, die allgemeinen Konzilien vom Papst einzuberufen und zu leiten seien, der Papst die „Fülle der Gewalt" besitze, daß er bis zum Ende der Welt von jedem Makel des Irrtums bewahrt bleibe und persönlich heilig sei. Papst Nikolaus I. (f 867) übernimmt die Gesetzessammlung mit der Behauptung, daß sie von alters her in den römischen Archiven aufbewahrt worden sei. Zur vollen Auswirkung kommt aber das Fälschungswerk erst unter Gregor VII. (f 1085), der es in seinem „Dictatus Papae" benützt, um seine Primatsansprüche zu rechtfertigen und sie zu verbinden mit der weiteren Fiktion, daß allein die römische Kirche von Christus gegründet sei. Im 12. Jahrhundert finden die Fälschungen Aufnahme in das sog. Dekret Gracians, eine Gesetzessammlung, die für die kirchliche Gesetzgebung der kommenden Jahrhunderte bestimmend wird. Charakteristischerweise sind es aber weniger Theologen (die Theologie lag seit dem 7. Jahrhundert in Italien im argen und hatte später ihren Sitz hauptsächlich an der Universität von Paris), als vielmehr Juristen und Kanonisten, die - vornehmlich an der Universität von Bologna - im 12. und 13. Jahrhundert auf der Grundlage dieser Fälschungen die theoretische Grundlage für die Papstlehre schaffen. Als ungefähr um dieselbe Zeit mit der aufkommenden Scholastik die Theologie einen neuen Aufschwung nimmt, gehen die bekanntesten Scholastiker in ihren großen theologischen Werken auf eine Erörterung der Papstfrage gar nicht ein. Das tut in großem Maßstab erst
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T h o m a s v o n A q u i n (f 1274), der, ohne Verdacht zu schöpfen, in einer f ü r Griechen bestimmten Schrift eine ihm v o n Papst U r b a n I V . (f 1264) übergebene neue Fälschung, den „ P s e u d o - C y r i l l " , dazu benützt, u m die kuriale Papstlehre dogmatisch zu begründen. D i e Lehre des T h o m a s enthält i m wesentlichen schon alle Grundelemente der späteren V a t i k a nischen Glaubenssätze. A b e r sie ist und gilt vorläufig noch als bloße Schulmeinung, neben der bis ins 19. Jahrhundert hinein auch die gegenteilige gelehrt werden konnte und tatsächlich auch gelehrt w o r d e n ist. Es muß zweifellos f ü r jeden geschichtskundigen und wahrheitsliebenden Katholiken, ja letzterdings f ü r jeden Christen, eine schwere Belastung sein, zugeben zu müssen, daß sich der päpstliche Primatsanspruch in seiner vatikanisch-kurialen Gestalt - w i e i m m e r es i m übrigen u m seine B e gründung aus der H l . Schrift und der Urkirche (vgl. S. 3 26 ff.) stehen m a g - faktisch mit H i l f e geschichtlicher Fiktionen durchgesetzt hat. M ö g e n dabei auch viele andere, respektablere M o t i v e (so die echte S o r g e u m die Einheit der Kirche) mit i m Spiel gewesen und m a g i m einzelnen auch historisch manches strittig sein, die Tatsache bleibt bestehen, daß das kuriale Papsttum in seiner heutigen Gestalt der geschichtlichen G r u n d lage entbehrt, auf die es Anspruch erhebt. D o c h nicht darauf soll hier das Hauptgewicht gelegt werden, sondern auf den nicht genug zu bedenkenden Umstand, daß sich unter dem Einfluß dieses wesentlich ungeschichtlichen, kanonistisch-abstrakt-juristischen Denkens eine fast unmerkliche W a n d l u n g i m B e g r i f f der Kirche selbst vollzogen hat, eine W a n d lung, die in ihren Konsequenzen den völligen B r u c h mit der Verfassung der alten Kirche w i e mit derjenigen der Ostkirche nach sich ziehen mußte.
III. DER NEUE KIRCHENBEGRIFF
W o r i n das N e u e dieses seit dem Mittelalter i m Abendland sich allmählich durchsetzenden Kirchenbegriffes besteht, ist in gemeinverständlicher W e i s e nicht leicht zu sagen. W i r sind an diesem Punkt in ganz besonderer W e i s e genötigt, Sachverhalte, die einer genaueren B e g r ü n d u n g und wissenschaftlichen Erörterung bedürften, in verkürzender und darum leicht mißverständlicher Weise zur Darstellung zu bringen. Das N e u e ist, daß als Folge der päpstlichen Primatsansprüche, die wesentlich Rechtsansprüche
waren, auch die Kirche selbst grundlegend nach
rechtlichen, speziell korporativ-iechtlichcn
B e g r i f f e n und demzufolge als
eine in sich geschlossene rechtliche Einheit und nicht mehr als ein nach oben „offenes S y s t e m " verstanden wird, w i e das in der Urkirche der Fall war. D i e Kirche versteht sich nun - w i e der charakteristische, später
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Die Gcschichte der altkatholischen Kirche
v o r allem durch die jesuitische T h e o l o g i e geförderte Ausdruck lautet als societas perfecta, als „ v o l l k o m m e n e Gesellschaft". U n t e r der V o r aussetzung jenes korporativ-rechtlichen Einheitsdenkens bedeutet „ v o l l k o m m e n " , daß die Kirche das ihre Einheit begründende Prinzip in sich selbst hat und in i h m eine alles überragende und zusammenfassende Spitze mit rechtsetzender K r a f t besitzt. Diese Spitze aber kann nur der Papst oder (diese Frage bleibt vorläufig n o c h offen) das allgemeine K o n z i l sein. M a g es f ü r das juristische D e n k e n unausweichlich sein, die Kirche als Rechtseinheit zu denken, so ist es eine unzulässige Grenzüberschreitung, dieser durch das korporative Rechtsdenken bloß geforderten, also rein nur gedachten Einheit Wirklichkeit, geistliche, göttliche W i r k l i c h keit zuzuschreiben und die als rechtliche Einheit gedachte K i r c h e als die wirkliche Kirche, als die „ K i r c h e des Glaubens" (R. Sohm), als den Leib Christi auszugeben. D a s geschieht aber in der
römisch-katholischen
D o k t r i n dadurch, daß die rechtlich organisierte Kirche, mit d e m Papst als ihrem sichtbaren Oberhaupt, identifiziert w i r d mit der nicht z u organisierenden Kirche des Glaubens, die ihre Einheit allein in Jesus Christus, ihrem unsichtbaren Oberhaupt und in d e m v o n i h m ausgehenden Leben hat (vgl. dazu das S. 26off. über die Einheit der Kirche Gesagte). Ist diese Identifizierung aber einmal vollzogen, so ist die Folgerung unausweichlich, daß der Papst kraft seines rechtlich-unfehlbaren Lehrprimates auch das O r g a n w i r d , durch das der Kirche alle geistlichen Segnungen, das Heil, das Leben und v o r allem ihre äußere und innere Einheit zuteil werden. D a m i t ist die Kirche als in sich geschlossenes „ S y s t e m " , als rechtlich durchorganisierte Heilshierarchie perfekt, die K u p p e l nach o b e n g e schlossen. D i e grundlegende W a n d l u n g , die sich damit i m Inneren der Kirche v o l l z o g e n hat, läßt sich äußerlich daran ablesen, daß der Papst i m Verlaufe der E n t w i c k l u n g alle Ehrentitel, die in der alten Kirche auch anderen Patriarchen und Bischöfen zukamen und die gerade in ihrer Pluralität als Z e u g n i s ihrer Beauftragung relativ legitim waren, als Rechtstitel f ü r sich allein in Anspruch n i m m t : so den Titel Papst ( = Vater, der ursprünglich auch Bischöfen und i m Osten sogar Priestern zukam), Vicarius Christi ( = Stellvertreter Christi, w i e ursprünglich auch andere höhere A m t s träger der Kirche genannt wurden). A u c h der Titel „ S t u h l P e t r i " k a m in der alten Kirche nicht R o m allein zu (vgl. das W o r t Gregors I.). Ihre K r ö n u n g findet diese Entwicklung in der bekannten Erklärung B o n i faz VIII. ( f 1303), der den Satz Cyprians, daß „außerhalb der Kirche kein H e i l " sei, umwandelt in die sehr viel weitergehende Behauptung, daß es für alle Kreatur zur Erlangung des Heils n o t w e n d i g sei, „ d e m römischen Papste zu unterstehen". Ein auch nur oberflächlicher V e r -
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gleich dieses römisch-zentralistischen Verfassungsrechtes mit demjenigen der alten (und der orthodoxen) Kirche zeigt, daß sich hier zwei grundverschiedene, mit einander schlechterdings unvereinbare Begriffe von der Kirche seihst gegenüberstehen. Mit der Zusammenballung der ganzen kirchlichen Jurisdiktions- und Amtsgewalt in dem einen Papst, wie sie nach diesem korporativ-rechtlichen Denken unvermeidlich ist, wird die ganze alte Kirchenordnung im Prinzip aufgehoben. Das zeigt sich vor allem auch an folgenden Neuerungen: Das Recht zur Übertragung der Hirten-(Jurisdiktions-)Gewalt an die kirchlichen Amtsträger, das ursprünglich der Gemeinde, bzw. der Synode zukam und durch den Akt der Wahl ausgeübt wurde, ging diesen verloren und wurde eine Sache der päpstlichen „Zuteilung". (Nur noch in seinen Rudimenten oder in Ausnahmefällen vermochte sich das ursprüngliche Recht zu erhalten, z. B . im Vorschlags- oder Bestätigungsrecht weltlicher Behörden oder der Domkapitel bei Bischofswahlen.) Aber auch die Übertragung der Amtsgewalt (der Lehr- und Weihegewalt) durch die sakramentale Weihe, die ursprünglich zusammen mit der Wahl in der Unmittelbarkeit zum Herrn erfolgte, wurde in Abhängigkeit vom Papst gebracht. Das alte Recht der Provinzial- und Landessynoden, Fragen der Disziplin und des Kultus nach den allgemeinen Normen im Sinne der besonderen nationalen Überlieferungen selbständig zu ordnen, mußte ebenfalls dem Willen Roms nach einer durchgehenden Vereinheitlichung des liturgischen Lebens und der Kirchenzucht weichen. Der Widerstand gegen diese Entwicklung und ihre Folgen ließ nicht auf sich warten. Wie schon in den ersten Jahrhunderten Bischöfe und Synoden der Landeskirchen gegen die Eingriffe Roms Einspruch erhoben hatten, fehlte es auch im Mittelalter nicht an gelehrten und heiligen Männern, die ihre warnende Stimme gegen den zunehmenden päpstlichen Zentralismus und vor allem gegen die damit verbundenen Macht- und Herrschaftsansprüche der Päpste erhoben. Hervorzuheben sind vor allem dieWaldenser, Bernhard von Clairvaux (f 1153), Joachim von Floris (f 1202), Petrus Olivi (f 1298) und der Vorreformator John Wyclif (f 1384), der den Papst geradezu als „Antichrist" brandmarkt. Vollends haben dann die Reformatoren das kuriale Papsttum nicht nur in seinen Auswüchsen, sondern auch in seinen theologisch-rechtlichen Grundlagen mit äußerster Schärfe bekämpft. In ihrem erbitterten Kampf gegen den Papst und gegen die „unwürdigen" Bischöfe Roms ließen sich Luther und Calvin dann allerdings dazu verleiten, wenn nicht grundsätzlich, so doch faktisch nicht nur das Papsttum, sondern auch die alte, bischöflich-synodale Kirchenordnung preiszugeben. Wichtig für uns sind indessen vor allem die großen innerkatholischen
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Kirche
Widerstandsbewegungen, die sich seit dem Ausgang des Mittelalters bis in die neueste Zeit hinein dem kurialen Papalismus, der im 14. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte, entgegenstellten. Obwohl diese Bewegungen in einem ganz bestimmten geschichtlichen Zusammenhang miteinander stehen, sind sie im einzelnen von sehr verschiedener Art und vor allem von sehr ungleicher theologischer Tiefe. Insbesondere sind auch sie alle mehr oder weniger jenem korporativ-rechtlichen Denken verhaftet geblieben und vermochten daher nicht in jene Tiefe vorzudringen, in der - wie wir meinen - allein die Glaubensentscheidung für die Kirche Christi und ihre ursprünglichen Ordnungen fallen kann. Das war, wie im folgenden kurz gezeigt werden soll, mit ein Grund ihres tragischen Scheiterns.
I V . D I E INNERKATHOLISCHEN WIDERSTANDSBEWEGUNGEN
a) Der Konziliarismtis des 15. Jahrhunderts Die Wurzeln des Konziliarismus reichen zurück in die Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts. Hatte diese die Frage noch offen gelassen, ob die oberste Spitze der rechtlich in sich geschlossenen Kirche der Papst oder das Konzil sei, so gewinnt im 14. Jahrhundert unter dem Einfluß der damals neuen, revolutionär wirkenden Naturrechtslehre von der Volkssouveränität (hauptsächlich vertreten durch Marsilius von Padua [f 1342/43], Wilhelm Ockham [f 1347] und Johannes von Paris [f 1306]), die konziliare Theorie allgemein an Boden. Diese Theorie besagt: Wie der Staat auf dem freien Willen des Volkes beruht und, von unten nach oben aufgebaut, seine gesetzgeberische und vollziehende Gewalt im Auftrag und in Repräsentation des Volkes ausübt, so ist auch in der Kirche die eigentliche Trägerin aller kirchlichen Gewalt „die Versammlung der Gläubigen". Diese hat ihre Personrepräsentation im allgemeinen Konzil, das unmittelbar zu Christus steht und das darum wie allen Gliedern der Hierarchie auch dem Papst übergeordnet ist. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Autorität des Papstes auf göttlicher Anordnung und zugleich auf menschlicher Mitwirkung durch die von den kirchlichen Organen zu vollziehenden Wahl beruhe. Auf dieser Grundlage wird die Kirche als eine in sich geschlossene Korporation verstanden, bestehend aus Haupt und Gliedern, die ihre Funktionen gemeinsam auszuüben haben. Weiter entfaltet wird diese Theorie durch Pierre d'Ailly (f 1420), durch Heinrich von Langenstein (f 1397) und Johannes Gerson (f 1429). Zur praktischen Auswirkung kommt sie auf den beiden großen Reformkonzilien von
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Konstanz (1414-1418) und von Basel (1431-1449). Durch diese Konzilien sollte, wie es in einer zeitgenössischen Streitschrift heißt, „nach dem Muster der heiligen Väter, die uns vorangegangen sind, die erzwungene und angemaßte päpstliche Gewalt begrenzt und eingeschränkt werden". Das Konzil von Konstanz, an dem nach Konzilsnationen abgestimmt wurde, erklärte im Dekret „Haec sancta", daß das im Hl. Geist rechtmäßig versammelte allgemeine Konzil als Repräsentation der katholischen Kirche seine Vollmacht unmittelbar von Christus habe und daß ihm darum jede Instanz - auch der Papst - in Fragen des Glaubens, der kirchlichen Einheit und der Reform an Haupt und Gliedern verpflichtet sei. In einem zweiten Dekret („Frequens") wurde beschlossen, daß alle zehn Jahre ein allgemeines Konzil abzuhalten sei. Das Konzil von Basel bestätigte die Konstanzer Beschlüsse. Aus ihrem Wortlaut geht hervor, daß die Sätze von der Gottunmittelbarkeit des Konzils und von seiner Uberordnung über den Papst als eigentliche Glaubenssätze gelten und die periodisch zusammentretenden Konzilien dem Papst gegenüber die Funktion eines obersten Kontrollorgans ausüben sollen. Wie immer die Konzilsbestimmungen heute im einzelnen ausgelegt werden, klar muß sein, daß sie gegen den kurialen Papalismus der Zeit gerichtet waren, daß durch sie aber auch im Prinzip sowohl „die Idee der absoluten Regierungsgewalt des Papstes wie auch seine lehramtliche Unfehlbarkeit ausgeschlossen wurden" (so der katholische Forscher F. Vigener). Aber dem Papst gelang es sehr bald, die Beschlüsse der beiden Konzilien unwirksam zu machen. Durch die Gegenerklärung der 5. Lateransynode (1512/17), daß der Papst allein Autorität über die Konzilien besitze, sie einberufen, verlegen und auflösen könne, wurde dem Konziliarismus endgültig der Boden entzogen und dem kurialen Papalsystem wieder neu Auftrieb gegeben. Damit war am Vorabend der Reformation der letzte Versuch gescheitert, die altkirchliche Verfassung, so wie sie die damaligen Konzilsväter und ihre gelehrten Berater verstanden, wiederherzustellen. Das war insofern unvermeidlich, als das konziliare Denken noch ganz dem rechtlich-korporativen Kirchenbegriff" der Kanonisten des Mittelalters verhaftet geblieben und nicht radikal genug zu den biblischen Ursprüngen der Kirche zurückgekehrt war. Die erwartete Befreiung mußte darum ausbleiben. Diesem Umstand wird Döllinger nicht gerecht, wenn er urteilt, daß die Beschlüsse der beiden Reformkonzilien „das außerordentlichste Ereignis in der dogmatischen Geschichte der christlichen Kirche" gewesen seien. Gerade dogmatisch, d. h. vom Glauben her, fehlte dem Konziliarismus infolge seiner Bindung an das korporativ-rechtliche Denken des Mittelalters die nötige kirchliche Durch-
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schlagskraft. Indessen übte die Idee des Konziliarismus durch ihren nicht mehr zu übersehenden, wenn auch unzulänglich gebliebenen Hinweis auf die Verfassung der alten Kirche einen nachhaltigen Einfluß auf die Widerstandsbewegungen der kommenden Jahrhunderte aus, so vor allem auf den Gallikanismus in Frankreich, während in Deutschland der Konziliarismus und der Episkopalismus durch die Reformation vorläufig in den Hintergrund gedrängt wurden. b) Der Gallikanismus Der Gallikanismus bleibt sich in allen seinen Wandlungen darin gleich, daß er von einer bald mehr staatsrechtlich-politischen, bald mehr kirchlich-episkopalen Grundströmung her die alten Freiheitsrechte der Kirche Frankreichs gegen Rom zu verteidigen sucht. Geschichtlich in Erscheinung tritt er schon im 13. Jahrhundert unter Ludwig IX., der bei der Wahl der Bischöfe und Äbte die alten Rechte der Krone zu wahren sucht, und dann vor allem im 14. Jahrhundert, in den Auseinandersetzungen der Könige Frankreichs mit den Päpsten während und nach deren „babylonischer Gefangenschaft" in Avignon. Z u einer geistig-ideellen Bewegung von großem Ausmaß wird aber der Gallikanismus erst im 15. Jahrhundert unter dem Einfluß des Konziliarismus, der in Frankreich, hauptsächlich an der Universität von Paris, einflußreiche Befürworter hat. Im Jahre 1438 werden durch die sog. „pragmatische Sanktion" durch die versammelten Bischöfe Frankreichs die Konzilsbeschlüsse von Konstanz in aller Form übernommen. Im darauffolgenden Jahrhundert sind es hauptsächlich Gelehrte wie Pierre Pithou (f 1596) und Edmond Richer (f 1631), die in einem ausgedehnten Schrifttum die alten „gallikanischen Freiheiten" verteidigen. Ihren Höhepunkt erreicht die Bewegung unter Ludwig XIV., der im Jahre 1682 durch eine französische Nationalsynode die von Bischof J. B . Bossuet (f 1704) verfaßten „vier gallikanischen Artikel" zum Gesetz erklären läßt. Die Artikel bestimmen im wesentlichen: 1. Die Fürsten sind in zeithchen Dingen von der kirchlichen Gewalt unabhängig. 2. Die Gewalt des Papstes ist in geistlichen Dingen durch die Autorität der allgemeinen Konzilien beschränkt. 3. Die Gewalt des Papstes ist durch die Gesetze und Gewohnheiten des Königs und der Kirche Frankreichs beschränkt. 4. Das Urteil des Papstes in Glaubensfragen ist nicht unfehlbar, wenn es nicht von der Kirche bestätigt wird. Trotzdem diese Artikel von Papst Alexander VIII. im Jahre 1690 für
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null und nichtig erklärt wurden, wirkten die darin ausgesprochenen Ideen in der verschiedensten Weise fort. Während K ö n i g und Parlament die „gallikanischen Freiheiten" mehr nur als politisches Instrument i m Kampf gegen das Papsttum benützten, hielten sie in der Kirche die Erinnerung an die konziliar-bischöflichen Verfassungsrechte wach. D e r kirchlich-episkopale Gallikanismus, w i e ihn Bossuet vertrat, bekennt sich zwar z u m göttlichen Ursprung des päpstlichen Rechtsprimats, leugnet aber, daß die päpstliche Unfehlbarkeit allgemein verbindliche Lehre sei (Art. 4). W o h l k o m m t dem Bischof v o n R o m die erste Entscheidung in Fragen des Glaubens und der Sitte zu, die aber, u m unwiderruflich zu werden, der ausdrücklichen Zustimmung der Gesamtkirche und ihrer Bischöfe bedarf. Gerade in dieser gemäßigten Form (und nicht erst in seinen „Übertreibungen", w i e neuerdings behauptet wird) w u r d e der Gallikanismus v o n R o m abgelehnt und ist dann durch das 1. Vatikanum endgültig vernichtet worden. D o c h wirkte die Erklärung der „gallikanischen Freiheiten" in einem allgemeineren Sinne noch lange nach. In ihrem Schutze konnte sich an der Universität in Paris lange Z e i t eine v o n R o m unabhängige theologische Wissenschaft entfalten. D u r c h sie w u r d e auch immer wieder der Episkopalismus i m kirchlichen D e n k e n gestärkt und so auch die Selbständigkeit der Kirche v o n Utrecht begünstigt, die in ihrem Rechtsstreit mit R o m u m die Wiederbesetzung des erzbischöflichen Stuhles an den französischen und belgischen Universitäten hochangesehene Helfer fand (vgl. S. 37). Im 19. Jahrhundert w u r d e der Gallikanismus der vier Artikel mehr und mehr zu einem solchen „des vierten Artikels'' (F. Vigener). Diesem ging es - v o r allem in Deutschland - i m literarischen Kampf gegen die Unfehlbarkeitsansprüche des Papstes hauptsächlich u m die Erhaltung einer freien katholischen Wissenschaft. Bismarck hingegen und seine Berater ließen sich i m Kulturkampf mehr v o n den politisch-staatsrechtlichen Ideen des Gallikanismus leiten. A u f s ganze gesehen, war der historisch bedeutsam gewordene Gallikanismus einerseits eine episkopalistische, andererseits eine staatsgebundene Widerstandsbewegung gegen die Unterordnung der kirchlich-bischöflichen Lehr- und Weihegewalt unter die (von Rom ausschließlich beanspruchte) Jurisdiktionsgewalt. D a ß der Gallikanismus diesen Widerstand mit Hilfe der absolutistischen Staatsgewalt durchsetzen wollte, w a r seine Schranke und w a r schließlich auch seinem kirchlichen Episkopalismus abträglich. Die altkatholischen Theologen waren dem Gallikanismus gegenüber i m allgemeinen zurückhaltend, w e n n nicht geradezu ablehnend. F. v o n Schulte urteilt: „ D i e gallikanische Kirche war durch und durch eine innerlich unfreie, mit dem Staatswesen unnatürlich verquickte."
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c) Der Jansenismus Der Jansenismus ist zweifellos die bedeutendste und theologisch tiefste aller innerkatholischen Widerstandsbewegungen. Den Namen hat sie von ihrem geistigen Urheber, Cornelius Jansen, Bischof von Ypern (f 1638). Ausgangspunkt der Bewegung war ein innerkatholischer Schulstreit über das Verhältnis der göttlichen Gnade zur menschlichen Freiheit im Heilsvorgang, der sich in Kürze wie folgt umschreiben läßt: Während die jesuitischen Theologen der Willensfreiheit und der Bereitschaft des Menschen zum Empfang der Gnade allergrößte Bedeutung zumessen, legen ihre an Augustin geschulten Gegner das entscheidende Gewicht auf die frei wählende Gnade Gottes, die allein den menschlichen Willen zum Heil und zum Tun des Guten zu befreien vermag. In dem erst nach seinem Tod erschienenen, großangelegten Werk „Augustinus" (1640) verschärfte Jansenius die augustinische Lehre dahin, daß er den Akzent ganz auf die absolute, freie Gnadenwahl Gottes (Prädestination) und die Unwiderstehlichkeit ihrer Wirkung legt. Die Gnade Gottes kommt in den Erwählten immer zu ihrem Ziel. Z u ihrer Gewinnung kann der Mensch mit seinem Willen nichts beitragen, er kann sich ihr nur in völliger Glaubenshingabe unterwerfen. Diese Unterwerfung hat zu geschehen durch ein ganz dem Erlöser hingegebenes Frömmigkeitsleben und durch strengste moralische Zucht. So verbindet sich im Jansenismus eine stark individualistische Gnadenmystik und Christusfrömmigkeit mit einem ausgeprägten moralischen Rigorismus. Wie Luther und Calvin sucht Jansenius von der Prädestinations- und Gnadenlehre Augustins her eine Reform der Kirche herbeizuführen, distanziert und unterscheidet sich aber von den Reformatoren durch sein Festhalten am spezifisch katholischen „dinglichen" Gnadenbegriff und an der überlieferten katholischen Amts- und Sakramentsordnung. Der zweite große Führer des Jansenismus ist Jean Duvergier, genannt St. Cyran (f 1643), der von seinen Anhängern wie ein Heiliger verehrt wurde. Er ist es, der aus den Lehren des Jansenius die praktischen Konsequenzen für eine durchgehende Reform der Kirche zieht. In seinen Schriften tritt er - in Fortführung des alten Konziliarismus und Episkopalismus, aber unter Betonung der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat (darin antigallikanisch) - für die Stärkung des Bischofsamtes gegenüber den zentralistischen Ansprüchen Roms und für die Rechte der Gemeindegeistlichen in der Seelsorge gegenüber den Ordensgeistlichen (Jesuiten) ein. Als dem eigentlichen Organisator der Bewegung gelingt es ihm, ihr im Zisterzienserinnenkloster Port-Royal-des-Champs in der Nähe von
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Versailles, das unter der Leitung der Äbtissin Angelika Arnauld (f 1661) steht, ein Zentrum zu schaffen. U m das Kloster bildet sich eine Siedlung, in die sich „die Frommen von Port-Royal" für längere oder kürzere Zeit zurückziehen, um sich einzeln oder in kleineren Gruppen einem stillen, kontemplativen Leben und dem Studium der Hl. Schrift und der Kirchenväter (vor allem Augustins) zu widmen. Durch eine ausgedehnte schriftstellerische Tätigkeit, die Veröffentlichung von Übersetzungen der Bibel, der Messe, kirchlicher Gebete und die Herausgabe von zahlreichen Erbauungsbüchern und programmatischen Reformschriften versuchen sie, die Kirche Frankreichs innerlich zu erneuern. Dem Kreis um PortRoyal gehören eine ganze Reihe von namhaften Gelehrten und Denkern an, die die Verbindung mit der Geisteskultur der Zeit aufnehmen und den Jansenismus in den Rang der „reichsten Bildungsbewegung des französischen Katholizismus" erheben. Die Bekanntesten unter ihnen sind: de Sacy (I. L. Le Maistre, f 1684), der Beichtvater von Port-Royal und Übersetzer des Neuen Testamentes, P. Nicole (f 1695), der eine Morallehre verfaßt, L. S. Tillemont (f 1698), der eine Geschichte der alten Kirche herausgibt, der Dichter Jean Racine (f 1699), der eine Geschichte von Port-Royal schreibt und endlich der große Biaise Pascal (f 1662), der in seinen berühmten „Lettres inédites à un provincial" von einem vertieften Gnadenbegriff her die laxe und oft frivole Beichtmoral der Jesuiten schonungslos geißelt. Von größter Bedeutung für den weiteren Verlauf der Bewegung ist sodann Antoine Arnauld (f 1694), der jüngste Bruder der Äbtissin, der durch sein literarisches Werk, das 43 Bände umfaßt, und seinen unermüdlichen Kampf gegen die Jesuiten die dritte große Führergestalt des Jansenismus wird. Von größter Wirkung ist vor allem sein Buch „ D e la fréquente communion", das gleichsam eine gemeinverständliche Nutzanwendung der jansenistischen Gnadenlehre auf das sakramentale Leben der Gläubigen bringt. Entgegen der von den Jesuiten empfohlenen Praxis, zur Erlangung der Gnade Christi das hl. Abendmahl möglichst häufig zu empfangen, fordert er umgekehrt, daß der in der Gnade Christi stehende Christ aus Respekt vor dem mysterium tremendum des hl. Sakramentes dieses nur nach mehrtägigen Bußübungen in „vollkommener Reue" empfangen darf. Das sakramentale Leben des Christen soll nicht eine oberflächliche oder trübsinnige Werkerei zur Gewinnung der Gnade, sondern umgekehrt ein Leben aus der Gnade und in der Freude des Herrn sein. Durch den Ernst und die Strenge ihrer Lehre wie durch das Zeugnis ihrer makellosen Lebensführung gewannen die Jansenisten im ausgehenden 17. Jahrhundert in der Kirche Frankreichs bis hinein in die Reihen der Bischöfe, vor allem aber unter den gebildeten Laien, zunehmend an An-
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sehen und Einfluß. Allein den Jesuiten, die sich durch den Jansenismus in ihrer Theologie und Morallehre, vor allem aber in ihrer laxen Beichtpraxis, bedroht fühlten, gelang es, in Verbindung mit der päpstlichen Kurie und später mit dem König von Frankreich, in einem Jahrzehnte dauernden, erbarmungslosen Kampf die Jansenisten zu vernichten. Aus dem tragischen Kapitel der „jansenistischen Streitigkeiten" sei hier indessen nur das Wichtigste herausgegriffen. Nachdem schon 1641 der „Augustinus" des Jansenius vom Papst verboten worden war, seine Lehre aber immer zahlreichere Anhänger gewann, wurden aus seinem Werk fünf Sätze ausgezogen und als häretisch erklärt. Die Jansenisten, die mit allen Mitteln gezwungen wurden, dieselben abzuschwören, wurden nicht müde zu beteuern, daß diese Sätze nicht im „Augustinus" stünden. Sie weigerten sich, die von ihnen verlangte Verurteilung der fünf Sätze zu unterschreiben, oder sie wichen aus mit der Einwendung, daß man von ihnen nicht die Verurteilung von Sätzen verlangen könne, die Jansenius nicht geschrieben oder nicht in dem von Rom beanstandeten Sinne verstanden habe. Die Widerstrebenden wurden mit Hilfe der Staatsgewalt bis zum äußersten verfolgt, des Landes verwiesen oder eingekerkert, Port-Royal mit dem Interdikt belegt. Nach einem vorübergehenden Friedensschluß mit R o m (Pax Clementina) ordnete der König im Einverständnis mit dem Papst schließlich die Zerstörung dieses „Nestes schlimmsten Irrtums" an. 1709 wurde das Kloster aufgehoben. Die Nonnen wurden mit militärischer Gewalt vertrieben und 1 7 1 0 alle Gebäulichkeiten dem Erdboden gleichgemacht. In ein neues Stadium traten die jansenistischen Wirren durch den Kampf Roms gegen PaschasiusQuesnel (f 1719). Dieser hatte, zum ersten Mal 1671, ein großes Werk, das „Neue Testament mit moralischen Betrachtungen" erscheinen lassen, das eine von der jansenistischen Gnadenlehre und bereits auch schon vom Geist der Aufklärung geprägte Auslegung der Hl. Schrift enthielt. Gegen dieses Werk, das in kurzer Zeit mehrere Auflagen erlebte, erließ der Papst 1713 die berüchtigte Bulle „Unigenitus". Durch sie wurden 101 Sätze Quesnels verurteilt, unter ihnen solche, die wörtlich bei Augustin stehen. Gegen diese Bulle erhoben die Jansenisten unter ihnen viele Bischöfe - Protest und appellierten, als sie kein Gehör fanden, an ein allgemeines Konzil - von da an „Appellanten" genannt. Nach dem Tode des Erzbischofs von Paris, Noailles (f 1727), der zeitweise seine schützende Hand über die Jansenisten gehalten hatte, ging der König mit rücksichtsloser Gewalt vor. Viele der Verfolgten suchten Zuflucht in der Kirche von Utrecht, in der sich die alten Freiheitsrechte der niederländischen Kirche noch erhalten hatten und die ebenfalls in einem
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harten Abwehrkampf gegen die Jesuiten stand. Im Klosterhof der dortigen Marienkirche fanden sie ihre letzte Ruhestätte. Die Gegner des Jansenismus, die Jesuiten und der königliche Hof, hatten scheinbar gesiegt. In Wahrheit war durch die gewaltsame Niederwerfung des Jansenismus die alte Kirche Frankreichs ins Mark getroffen worden. Nachdem der Jansenismus in seinem letzten Stadium noch in eine hysterisch-ekstatische Volksbewegung um den Märtyrer Franz von Paris ausgeartet war, lebte er nur noch in kleinen Zirkeln, zum Teil bis ins 19. Jahrhundert hinein, fort. Seine Zeitschrift „Nouvelles ecclésiastiques" erschien bis 1823. Auf seinen geistig-theologischen Gehalt gesehen, ist der Jansenismus mehr als nur eine Episode in der Geschichte des französischen Katholizismus. Als die „grande cause perdue" (Réville) behält er bleibende B e deutung für den Katholizismus: einmal durch die von ihm mit aller Deutlichkeit aufgeworfene und heute noch offen gebliebene Frage nach Sinn und Recht der römisch-katholischen Gnaden- und Erlösungslehre, sodann durch seinen Episkopalismus und Konziliarismus (Appell an ein allgemeines Konzil) und endlich durch seinen echten und durchgreifenden Reformwillen. Vornehmlich durch die beiden letzteren Elemente wirkte der Jansenismus, der nach seiner äußeren Vernichtung in Frankreich eine Art Untergrundwanderung durch die europäischen Länder angetreten hat, nachhaltig auf die katholischen Widerstandsbewegungen des 18. Jahrhunderts ein. d) Die Kirche von Utrecht (Die altkatholische Kirche der Niederlande) Die Kirche von Utrecht, im Volksmund lange noch als „Jansenistenkirche" bezeichnet, hat in Wahrheit die jansenistischen Sonderlehren in bezug auf die Erlösungsgnade nie übernommen. So wurde auch auf dem ersten Altkatholikenkongreß in München (1871) ausdrücklich festgestellt: „Der Kirche von Utrecht wird der Vorwurf des Jansenismus grundlos gemacht." Ein Zusammenhang mit dem Jansenismus besteht zwar, aber er ist nicht dogmatischer, sondern eher kirchenpolitischer Natur, insofern beide im Jesuitismus ihren gemeinsamen Gegner hatten und in ihrem Abwehrkampf sich gegenseitig beistanden, und er ist bis zu einem gewissen Grade ein solcher der Spiritualität, insofern die vornehmlich an Augustin geschulten Theologen der Utrechter Kirche mit den Jansenisten - jedenfalls zeitweise - die strengere Auffassung in der Ausübung der Kirchenzucht und der Verwaltung der Sakramente teilten. In ihrer Lehre aber ist die Utrechter Kirche vom überlieferten Glauben nie abgewichen.
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Die Anfänge der Kirche von Utrecht gehen zurück auf den heiligen Willibrord, den angelsächsischen Mönch und Apostel der Friesen, der 695 der erste Erzbischof von Utrecht wurde. Schon im Mittelalter zeichneten sich die Bischöfe von Utrecht durch weitgehende Unabhängigkeit von R o m aus. Ihre Wahl blieb Sache des durch den einheimischen Klerus gebildeten Domkapitels, dessen Rechte im Jahre 1 1 4 5 v o m Kaiser bestätigt wurden. Auch förderten die Bischöfe - entgegen den päpstlichen Bibelverboten - die Verbreitung holländischer Bibelübersetzungen und schützten die landeseigenen Uberlieferungen im gottesdienstlichen und im Frömmigkeitsleben. In den Wirren der Reformations- und Gegenreformationszeit, in denen sich Holland in einem heldenhaften Befreiungskampf (1568-1648) die Unabhängigkeit v o m katholischen Spanien errang, wurden die holländischen Katholiken unpatriotischer Gesinnung bezichtigt. Die Kirche von Utrecht hatte darum lange Zeit stark unter dem Mißtrauen des calvinistischen Bevölkerungsteiles und der Regierung zu leiden. Ihre Gottesdienste wurden verboten oder durch strenge Dekrete eingeschränkt. Vielfach wurden die Gemeinden gezwungen, ihren Gottesdienst in sog. „Versteckkirchen" (als Scheunen usw. getarnten Kirchen) zu halten, von denen noch heute einige erhalten sind. Aber auch die römische Kurie, die 1559 als Gegengewicht gegen die Reformation das Bistum Utrecht zum Erzbistum erhob und eine neue bischöfliche Hierarchie schuf, erleichterte dem einheimischen Klerus seine Aufgabe keineswegs. Die jesuitischen Missionare, die seit 1592 auf Betreiben Spaniens nach Holland geschickt wurden, taten das ihre, um die Lage der einheimischen katholischen Kirche zu erschweren. Hinzu kam, daß der holländische Klerus seine Ausbildung hauptsächlich an belgischen und französischen Universitäten empfing und augustinisch geschult war. Von ihrem Augustinismus her nahmen die Erzbischöfe von Utrecht, unter ihnen große Gestalten wie Sasbold Vosmeer (f 1614), Philipp Rovenius (f 1651), Johannes von Neercassel (t 1686), Stellung gegen die Theologie wie gegen die Abendmahls- und Beichtpraxis der Jesuiten. Als im Verlaufe der jansenistischen Streitigkeiten viele Franzosen ihre Heimat verließen und bei den holländischen Katholiken Asyl fanden, wurden auch diese des Jansenismus verdächtigt. Dieser Vorwurf wurde vor allem gegen Erzbischof Peter Codde (f 1710) erhoben, der nach R o m gerufen und 1702 v o m Papst abgesetzt wurde. A n seine Stelle wurde von R o m gegen das bestehende Recht ein apostolischer Vikar eingesetzt und das Domkapitel als nicht mehr bestehend erklärt. Dieses hielt aber an seinem alten Bischofswahlrecht fest, um so die Kontinuität mit der angestammten katholischen Landeskirche zu wahren und zu verhindern, daß die Erzbischöfe nur noch als „apostolische Vikare" (diesen
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Titel trugen sie auf Geheiß Roms seit der Reformationszeit, damit die Protestanten nicht herausgefordert würden), d. h. als Mandatare des Papstes und Holland als Missionsgebiet galten. Das hätte das Zugeständnis bedeutet, daß in Holland die alte katholische Kirche untergegangen sei. Aus solchen Erwägungen heraus hielt das Domkapitel von Utrecht an seinem ihm geschichtlich zustehenden Rechte fest und wählte am 17. April 1723 Cornelius Steenoven (f 1725) zumErzbischof v o n Utrecht. Die Bischofsweihe empfing er durch den französischen Missionsbischof Dominique Maria Varlet (j" 1742). D u r c h die W a h l und Konsekration Steenovens, deren Rechtmäßigkeit durch Gutachten bedeutendster Kirchenrechtslehrer, unter ihnen vor allem des Löwener Kanonisten Bernhard van Espen bestätigt wurde, war die bischöfliche Sukzession und damit der Weihezusammenhang mit der allgemeinen Kirche gesichert. Der Papst, dem die W a h l angezeigt worden war, verweigerte seine Zustimmung, worauf die Kirche von Utrecht an ein allgemeines Konzil appellierte. Damit war der Bruch mit Rom, der aber nur in den Augen der päpstlichen Kurie unvermeidlich war, vollzogen. Die Kirche von Utrecht hatte lediglich ihre Rechte gewahrt, v o m überlieferten Glauben aber nichts preisgegeben. Die Trennung war aus kirchenrechtlichen, nicht aber aus dogmatischen Gründen erfolgt. Als „die römischkatholische Kirche der altbischöflichen Klerisei", unter welchem Namen sie noch heute von der Regierung offiziell anerkannt ist, wußte sie sich und weiß sie sich bis heute als die rechtmäßige Erbin und Fortsetzerin der alten, auf Willibrord zurückgehenden katholischen Landeskirche Hollands und als legitime Repräsentation der katholischen Kirche des Abendlandes. Nach dem Bruch mit R o m und der über den Erzbischof und das D o m kapitel verhängten Exkommunikation (21. Februar 1725) sah sich die Kirche von Utrecht gezwungen, ihre kirchliche Organisation selbständig auszubauen. Z u r Sicherung eines eigenen geistlichen Nachwuchses wurde 1725 in Amersfoort ein erzbischöfliches Priesterseminar gegründet. Damit kein Unterbruch in der bischöflichen Amtsnachfolge eintreten konnte, wurden die alten, seit Ende des 16. Jahrhunderts vakant gebliebenen Bischofssitze von Haarlem (1742) und Deventer (1758) neu besetzt. In ihrer weiteren, überaus wechselvollen Geschichte ging die „kleine Kirche von Utrecht" unter viel Verkennung und Bedrückung und mannigfachen äußeren und inneren Anfechtungen unentwegt den ihr vorgezeichneten W e g weiter. Auf der Provinzialsynode v o m Jahre 1763 in Utrecht erklärte sie sich - unter Berufung auf das Tridentinum ihre Rechtgläubigkeit beteuernd - zur Versöhnung mit R o m bereit. Ihre
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Rechtgläubigkeit wurde auch von manchen ihrer schärfsten theologischen Gegnern anerkannt, aber Rom blieb unerbittlich. Im Bewußtsein ihrer Verpflichtung auf den überlieferten katholischen Glauben, verwarf die Kirche von Utrecht 1854 das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Marias, wie auch die beiden Papstdogmen des Vatikanischen Konzils von 1870. Als sich in Deutschland und in der Schweiz im Kampf gegen das 1. Vatikanum selbständige katholische Kirchen bildeten, erkannte sie in ihnen sofort geistesverwandte Bundesgenossen und ließ ihnen kirchliche Hilfe zukommen. Schon 1872 unternahm Erzbischof Loos von Utrecht eine Firmreise zu den ersten altkatholischen Gemeinden, die sich in Bayern gebildet hatten. Noch wichtiger war, daß nach dem Tode des Erzbischofs Loos der Bischof von Deventer, H. Heykamp, 1873, dem ersten, von den deutschen Altkatholiken gewählten Bischof, J.H. Reinkens, in Rotterdam die Bischofsweihe erteilte und so die deutsche und durch sie später auch die schweizerische und die anderen altkatholischen Landeskirchen in die apostolische Sukzession der Bischöfe eingliederte. Allerdings legte dann in den folgenden Jahren die holländische Kirche ihren Schwesterkirchen gegenüber größere Zurückhaltung an den Tag, da ihr diese in ihrem Reformeifer allzuweit zu gehen schienen. Erst im Jahre 1889 ging die Kirche von Utrecht durch den Abschluß der sog. Utrechter Konvention (vgl. S. 98) eine engere Verbindung mit ihren Schwesterkirchen ein, mit denen sie heute in engstem Kontakt und in regem geistigen Verkehr steht. Ihr historisches Verdienst bleibt es, daß sie als „Mutterkirche" aller heute bestehenden, der Utrechter Union angehörenden aitkatholischen Kirchen diesen durch die Vermittlung der apostolischen Sukzession den konkret-geschichtlichen Zusammenhang mit der alten und der ganzen Kirche erhalten hat. In der Kirche von Utrecht sind seit ihrem Zusammenschluß mit den nach 1870 entstandenen altkatholischen Kirchen im einzelnen nicht unbedeutende Wandlungen eingetreten, ohne daß indessen von dem übernommenen Erbgut wesentliches preisgegeben wurde. Vor allem ist sie vom spezifisch tridentinischen Katholizismus, zu dem sie sich auf der Provinzialsynode von 1763 noch ausdrücklich bekannt hat, in dem Sinne abgerückt, daß sie in ihm mit den anderen altkatholischen Kirchen eine konfessionelle Verengerung erblickt und die dogmatischen Entscheidungen des Trienter Konzils nur soweit anerkennt, als diese mit dem Glauben der alten Kirche übereinstimmen. Seit 1870 hat sie auch den Namen „altkatholisch" übernommen, der indessen in Holland schon vom 16. Jahrhundert an üblich war. Auch hat sie sich mehr und mehr den schon längst geforderten Reformen aufgeschlossen gezeigt. 1909 hat sie
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die Muttersprache, die schon seit z w e i Jahrhunderten für die Taufe, Firmung, Trauung, Beerdigung usw. üblich war, auch für die Feier der hl. Messe zugelassen. 1922 wurde der Zölibatszwang für die Geistlichen aufgehoben. D u r c h die dogmatische Arbeit ihrer neueren Theologen, v o r allem des derzeitigen Erzbischofs, D r . Andreas Rinkel, erfolgte eine tiefe und umfassende theologische Neubesinnung. Die veraltete, an der Löwener Schule orientierte Polemik gegen die jesuitische Theologie und die Scholastik ist überwunden worden und hat einer an der modernen Bibel- und Dogmenkritik geschärften katholisch-ökumenischen Grundhaltung Platz gemacht. A u c h ist in den letzten Jahrzehnten eine reiche Literatur entstanden, die das Gemeindeleben stark befruchtet hat: Bibelübersetzungen und Bibelbetrachtungen, liturgische Handbücher, A n dachtsbücher, eine Glaubens- und Sittenlehre für die Gemeinde, zahlreiche geschichtliche Darstellungen usw. Heutiger Bestand: D i e altkatholische Kirche der Niederlande umfaßt heute das Erzbistum Utrecht mit 18 Gemeinden und das Bistum Haarlem mit 10 Gemeinden, während der Bischof v o n Deventer ohne Diözese ist. Seelenzahl: 12000. D i e Verwaltung der Kirche obliegt der Bischofskonferenz und der Synode, deren Beschlüsse der Genehmigung durch die Bischöfe bedürfen. D i e meisten Gemeinden stammen aus vorreformatorischer Zeit, doch sind seit 1870 eine ganze Reihe neuer Gemeinden entstanden. Sie befinden sich v o r allem in den Provinzen N o r d - und Südholland und Utrecht. A n allgemein-kirchlichen Einrichtungen und Organisationen sind hervorzuheben: das erzbischöfliche Priesterseminar in Amersfoort mit einer Bibliothek, die reiche Bestände an gallikanischer und jansenistischer Literatur aufweist, die äußerst w e r t vollen Archive des Utrechter Metropolitankapitels, ferner die „Zentrale altkatholische Bibliothek", die in der Utrechter Universitätsbibliothek untergebracht ist, ein Museum für altchristliche Kunst, ferner ein Altersheim und eine Anzahl v o n neuzeitlichen Laienverbänden. Presseorgan: D e O u d Katholiek (erscheint zweimal monatlich). D i e Kirche v o n Utrecht ist aber nicht nur für den Gesamtaltkatholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts v o n allergrößter Bedeutung g e w o r den, sondern hat auch auf den weiteren Verlauf der innerkatholischen Widerstandsbewegungen i m 18. Jahrhundert eingewirkt. Als letzter Hort des alten abendländischen Kirchengedankens und als lebendige Fortsetzerin desselben hatte sie ideell und auch durch persönliche Beziehungen einen mehr indirekten, aber nicht unwesentlichen Anteil an der Entstehung des Febronianismus in Westdeutschland und des Josefinismus in Osterreich.
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e) Der Febronianismus In Deutschland war der innerkatholische Widerstand gegen den päpstlichen Zentralismus seit der Reformation lange Zeit mehr ein bischöflichkirchenpolitischer als ein wirklich theologisch-grundsätzlicher. Insbesondere bestanden die deutschen Bischöfe Rom gegenüber auf ihren alten Dispensationsrechten in Fragen der Disziplin. Diesem praktisch orientierten Episkopalismus ist erst im 18. Jahrhundert durch den Febronianismus eine umfassende theoretische Grundlage gegeben worden. Sein Begründer ist der Weihbischof von Trier, Johannes Nikiaus von Hontheim (f 1790). Als Schüler des Löwener Kanonisten Bernhard von Espen, der für die Rechte der Kirche von Utrecht eingetreten war, nimmt Hontheim die Ideen des Konziliarismus, Gallikanismus und Jansenismus wie auch zum Teil solche des zeitgenössischen Protestantismus auf und schließt sie in seinem epochemachenden kirchenrechtlichen Werk „de statu ecclesiae deque legitima potestate Romani pontificis" zu einer großen, historisch gut begründeten Synthese zusammen. Das Buch veröffentlichte er 1763 unter dem Pseudonym Febronius. Sein Ziel ist es, die katholische Kirche zu ihrer ursprünglichen Ordnung und Verfassung zurückzuführen, um auf dieser Grundlage eine Wiedervereinigung mit der protestantischen Kirche zu ermöglichen und in Deutschland eine einheitliche Nationalkirche zu schaffen. Nach seiner Lehre besteht der päpstliche Primat zu Recht, aber er geht nicht auf eine unmittelbare Einsetzung durch Christus, sondern auf kirchliche Anordnung zurück. Dem Papst kommt weder die Gebieterstellung eines Monarchen über die Bischöfe noch Lehrunfehlbarkeit zu. Er ist als „Erster unter Gleichen" das „centrum unitatis" der Kirche. In Glaubensentscheidungen bleibt er der ganzen Kirche, die im Konzil ihre Repräsentation hat, untergeordnet, wie er auch an die Rechtssätze der Konzilien gebunden ist. Uber die übrigen Bischöfe hat er keinerlei Jurisdiktionsgewalt. Vielmehr hat jeder Bischof kraft seiner unmittelbaren göttlichen Einsetzung dieselben Rechte in seiner Diözese, wie sie der Papst als Bischof von Rom in der seinigen hat. Sein Primat ist ein solcher der Ehre, der verbunden ist mit gewissen, für die Erhaltung der Einheit der Kirche notwendigen Aufsichtsrechten. Päpstlichen Anordnungen kommt verpflichtende Kraft nur zu, wenn sie von den Bischöfen und den Landeskirchen angenommen werden. Durch den Abbau aller Sonderrechte, die sich der Papst seit den Isidorschen Fälschungen angeeignet hat, sollen den Bischöfen und den Landeskirchen ihre ursprünglichen Rechte zurückgegeben werden. Als Aufklärer fordert Febronius, daß oberster Maßstab aller kirchenrecht-
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liehen Reformen die Vernunft und das Selbstbestimmungsrecht der Gläubigen sein müsse und erwartet - darin liegt seine Schranke - die Rückkehr zur alten Kirche von einer planmäßigen, durch die Staatsgewalt zu fördernden Aufklärung des Kirchenvolkes über die ihm verlorengegangenen Rechte. Das Werk des Febronius wurde von der päpstlichen Kurie sofort auf den Index verbotener Bücher gesetzt und der Verfasser zur Unterwerfung genötigt. Aber der Siegeszug seiner Ideen konnte nicht mehr aufgehalten werden. Das Werk wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und beeinflußte in Spanien, Portugal, Belgien, Venedig, Neapel usw. für lange Zeit die staatliche Kirchengesetzgebung. Z u einer beachtlichen praktischen Auswirkung kam der Febronianismus in der sog. Emser Punktation von 1786, einer aus 23 Artikeln bestehenden Erklärung der Erzbischöfe von Köln, Mainz, Würzburg und Salzburg. In dieser wird vom Papst, dessen Primat im übrigen anerkannt wird, verlangt, daß er sich mit denjenigen Rechten begnüge, die er vor den Pseudo-Isidorschen Dekretalien besessen habe, daß er denBischöfen ihre alten Rechte zurückgebe, vor allem in bezug auf die Erteilung von Dispensationen. Ebenso beanspruchen sie für sich das Recht, Wallfahrten und Prozessionen einzuschränken, die Einführung der Landessprache im Gottesdienst zu gestatten und andere Reformen auf dem Gebiete des Kultus und der Disziplin selbständig durchzuführen. Dieser letzte Versuch, die alten Freiheitsrechte der deutschen Landeskirche wiederherzustellen, bzw. zu wahren, scheiterte indessen am Widerstand des kaiserlichen Hofes und an demjenigen der Bischöfe, die einen Machtzuwachs der Erzbischöfe befürchteten, und ging dann in den Wirren der französischen Revolution völlig unter. f ) Der Josefinismus Die josefinische Reformbewegung reicht in ihren Anfängen zurück in die Zeit der Kaiserin Maria Theresia (f 1780). Diese stand mit ihren Reformideen u. a. unter dem Einfluß ihres Leibarztes Gerhard van Swieten, der als Glied der Kirche von Utrecht in seiner Jugend die jansenistischen Streitigkeiten miterlebt hatte und nach seiner Übersiedlung nach Wien mit seiner Mutterkirche im Briefwechsel geblieben war. Zur vollen Entfaltung kam die Reformbewegung aber erst unter ihrem Sohn, Kaiser Josefll. (f 1790). Der Josefinismus unternimmt - in wenigen Worten gesagt - den groß angelegten Versuch, die jansenistischen und febronianischen Reformvorschläge im Sinne und mit den Mitteln des aufgeklärten Staatsabsolutismus
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in den österreichischen Kronländern praktisch zu verwirklichen. In der Kirche Österreichs geistig schon vorbereitet durch die katholische A u f klärung (Muratori), deren Ideen vor allem bei den Benediktinern und Piaristen Widerhall finden, durch den Jansenismus, der in Böhmen eine einflußreiche Anhängerschaft (Seibel in Prag) besitzt und durch den Febronianismus, der im Ordens- und Weltklerus zahlreiche Befürworter hat, finden die Reformvorschläge auch am kaiserlichen Hof mehr und mehr Gehör. Josef II., „der Glaubensfeger", persönlich ein überzeugter Katholik und als Habsburger auf ein gutes Verhältnis mit Rom bedacht, wie auch seine maßgebenden Berater (Fürst Kaunitz, Abt Rautenstrauch u. a.) lassen sich vom aufklärerischen Gedanken leiten, daß die Regelung aller kirchlichen Angelegenheiten, soweit sie nicht das Gewissen und den Glauben betreffen, Sache des Staates sei und daß dieser zur Sicherung der öffentlichen Wohlfahrt gegen kirchliche Mißstände einzuschreiten das Recht und die Pflicht habe. Nach diesen Grundsätzen wird die päpstliche Jurisdiktionsgewalt und der Einfluß anderer auswärtiger Kirchenoberen in den kaiserlichen Ländern eingeschränkt. Die päpstlichen Erlasse werden der Genehmigung durch den Staat unterstellt (Placetrecht), die Bulle Unigenitus wird verboten und eine Wiederherstellung der bischöflichen Rechte angestrebt. 1782 werden die Klöster, die „zum Besten der bürgerlichen Gesellschaft nichts Sichtbares leisten", d. h. die weder Schule halten noch sich der Kranken- und Armenfürsorge annehmen, aufgehoben. Aus den Klostergütern wird ein staatlicher Religionsfonds gegründet und aus seinen Erträgnissen werden neue Pfarreien und Bistümer, aber auch Kranken- und Armenhäuser errichtet. Auch werden die vielen Bruderschaften aufgehoben und in eine einzige zusammengefaßt: in die „Vereinigung aus Liebe zum Nächsten". Die Ausbildung der Geistlichen wird in den neugeschaffenen Generalseminarien unter die Aufsicht und Leitung des Staates gestellt. Selbst in das gottesdienstliche Leben greift die kaiserliche Verwaltung ein: Normen für den Bau möglichst einfacher Kirchen werden aufgestellt, Richtlinien für die Predigt ausgegeben, der Gemeindegesang wird eingeführt, einschränkende Verordnungen für Wallfahrten und Prozessionen werden erlassen, das Ablaßwesen wird unter staatliche Aufsicht gestellt, der Handel mit geweihten Gegenständen verboten usf. Durch das Toleranzedikt von 1781 wird den Protestanten wie den unierten Orthodoxen, wenn auch unter gewissen Einschränkungen, die freie Ausübung des Gottesdienstes gewährleistet. Ähnliche Reformen versucht in Oberitalien der Großherzog von Toscana, Leopold II. (f 1792), ein Bruder des Kaisers, einzuführen. Sein Berater ist der aufgeklärte Bischof Scipione Ricci. Auf der Synode zu Pistoia (1786) wird u. a. die Revision der Messe und des Breviers, die
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Stärkung der Autorität der Bischöfe, eine bessere Ausbildung der Geistlichen (auf Grund der Lehre Augustins) gefordert und dem Papst nur der Vorrang des Dienstes als dem „caput ministeriale" der Kirche zugestanden. Durch die Bulle „Auctorem fidei" von 1794 verurteilt der Papst die Sätze der Synode von Pistoia. Die Bewegung kommt ins Stocken, auch in Österreich tritt nach dem frühen Tode des Kaisers (1790) ein Rückschlag ein. Die Reformen, die durch die staatlichen Amtsstellen der Kirche in vielfach bürokratischer Weise aufgenötigt worden waren und auf die überlieferten Formen der Volksfrömmigkeit zu wenig Rücksicht genommen hatten, werden rückgängig gemacht. Auch die Generalseminarien werden aufgehoben. Hingegen wirken die staatskirchenrechtlichen Grundsätze des Josefinismus in der Gesetzgebung Österreichs und anderer Länder noch lange nach, wie auch viele der josefinischen Kirchenreformen im Kirchenvolk und im Klerus bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in wacher Erinnerung bleiben, so auch in dem bis 1801 österreichischen Fricktal (Schweiz), in welchem sich dann später eine Reihe von christkatholischen Gemeinden bilden sollte. g) Die Reform J. H. von Wessetibergs Ähnliche Reformen, wie sie Josef II. mit Hilfe der Staatsgewalt in Österreich durchsetzen wollte, versucht zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Generalvikar und spätere Bistumsverweser von Konstanz, Ignaz Heinrich von Wessenberg (f 1860), in seiner Diözese mit kirchlichen Mitteln durchzuführen. Wessenberg, ein Mann von makelloser Gesinnung, hoher Bildung und großer sozialer Aufgeschlossenheit, Freund H. Pestalozzis und J. M. Sailers, ist ein Aufklärer vornehmster Prägung. Im Gegensatz zu den radikalen Aufklärern seiner Zeit, die nicht nur die Unfehlbarkeit des Papstes, sondern überhaupt jede Lehrautorität, auch die der Hl. Schrift und der Konzilien ablehnen und den christlichen Glauben in eine abstrakte Vernunftmoral auflösen wollen, hält Wessenberg an den Grundlehren des katholischen Glaubens fest, ohne sich indessen auf dogmatische Auseinandersetzungen einzulassen. Er strebt im Geiste des Febronianismus eine Wiederherstellung der bischöflich-landeskirchlichen Kirchenordnung und in deren Rahmen eine durchgreifende Reform des geistlichen und gottesdienstlichen Lebens an. Seine Ideen vertritt er auf dem Wiener Kongreß von 1815 und befürwortet dort neben der staatsrechtlichen Gleichstellung der Konfessionen die Schaffung einer deutschen, katholischen Nationalkirche, die - ohne mit Rom zu brechen - unter der Leitung eines eigenen Primas stehen soll. Der Plan scheitert am Widerstand Roms und der deutschen
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Fürsten. Erfolgreicher ist er mit seinen kirchlichen Reformen im Bistum Konstanz. Zunächst sucht er die Ausbildung der Geistlichen an den Priesterseminarien zu heben und den Klerus durch Konferenzen, Lesevereine, Predigt- und Unterrichtskurse weiterzubilden. V o r allem aber ist er bestrebt, das gottesdienstliche Leben im Sinne seines aufgeklärten „religiösen Klassizismus" von Mißbräuchen zu reinigen und die Gemeinde aktiv an der Liturgie teilnehmen zu lassen. Er verbietet das Rosenkranzgebet während der Messe, gibt ein deutsches Gesangbuch und Rituale heraus, führt für die Spendung der Sakramente und bestimmte Teile der hl. Messe die Landessprache ein, schränkt die vielen Wallfahrten, Bittgänge, Weihungen und Segnungen ein, wendet sich gegen das allzu häufige Beichten und die übertriebene Marienverehrung. Auch stellt er seinen Geistlichen die Aufhebung des Zölibatzwanges in Aussicht und befürwortet die Abhaltung von Synoden. Mit diesen Reformen, die in weiten Kreisen des süddeutschen und schweizerischen Klerus mit lebhaftem Interesse aufgenommen wurden, stieß er naturgemäß auf den Widerstand Roms. Von Fürstbischof Dalberg zum Generalvikar ernannt, wurde er nach dessen T o d (1817) v o m Domkapitel zum Bistumsverweser gewählt, aber von R o m nicht bestätigt, wie auch später seine Wahl zum Bischof (von Freiburg) abgelehnt wurde. Nicht zuletzt um seinen Reformen den Boden zu entziehen, wurden 1 8 1 5 die schweizerischen Gebiete v o m Bistum Konstanz losgelöst und 1 8 2 1 das Bistum selbst - nach einer über 1200jährigen Geschichte! - aufgehoben. Wessenberg zog sich 1827 zurück und widmete sich bis zu seinem Lebensende gelehrten Forschungen und einer weitverzweigten Liebestätigkeit. V o n einer konfessionell befangenen Geschichtsschreibung bis heute als bloßer Aufklärer verkannt, w a r J. H. von Wessenberg in Wirklichkeit der letzte große Repräsentant des innerkatholisch-episkopalen Widerstandswillens gegen den kurialen Zentralismus und echter Träger einer umfassenden und zielbewußten katholischen Reformbewegung. h) Weitere Reformversuche im ig. Jahrhundert Wenn auch nach 1 8 1 5 in fast allen Ländern Europas die römisch-ultramontane Richtung im Katholizismus einen mächtigen Aufschwung nahm, so blieb doch der katholische Reformwille noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein rege und lebendig. Aber er ging nicht mehr sehr in die Tiefe und erstreckte sich mehr nur auf einzelne Gebiete des kirchlichen Lebens. In Deutschland war es der Erzbischof von Köln, F. A . Spiegel (f 1835), der im Rheinland für ähnliche Reformen eintrat wie Wessenberg. Er forderte
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als Freund und Beschützer des Bonner Gelehrten G. Hermes insbesondere eine bessere Ausbildung der Geistlichen und schränkte das Wallfahrt- und Ablaßwesen ein. In Württemberg wurde in Übereinstimmung mit dem Ordinariat eine Gottesdienstordnung erlassen, die ganz v o m Geiste Wessenbergs geprägt war (Einführung der Landessprache). Im Großherzogtum Baden veröffentlichte die OfFenburger Konferenz der Geistlichen ein eigentliches Reformprogramm, das sich hauptsächlich auf die Meßfeier und die Beichte bezieht und die Einberufung v o n Synoden fordert. Auch kam es in Deutschland unter den Geistlichen zu einer A r t Erhebung gegen den Zölibatszwang. Z u seiner Abschaffung wurde ein Verein und eine Zeitschrift gegründet. 1828 erschien aus der Feder des Breslauer Gelehrten J. A . Theiner (f 1860) ein Aufsehen erregendes Buch über „ D i e Einführung der erzwungenen Ehelosigkeit und ihre Folgen". Der Verfasser wurde abgesetzt und schloß sich später der von J. Ronge begründeten deutschkatholischen Bewegung an (s. S. 125). Auch in der Schweiz gewann nach 1815 die romtreue Partei stark an Einfluß. Nach ihrer Lostrennung v o m Bistum Konstanz wurden die schweizerischen Gebiete dem v o n R o m ernannten Apostolischen Vikar Göldlin von Tiefenau (f 1819) unterstellt. Dieser widerrief die bereits eingeführten Reformen und stellte die alten Zustände wieder her. Erst mit dem um 1830 erfolgten Aufbruch des weltanschaulich-politischen Liberalismus traten die Reformgeistlichen, darunter viele Schüler W e s senbergs und Sailers, unter Führung namentlich des Kapitels UznachRapperswil, mit ihren progressiven Postulaten hervor. Z u deren Durchführung wurden die Einberufung von Synoden und die Errichtung eines selbständigen schweizerischen Erzbistums verlangt. 1833 gab der Rapperswiler Geistliche Alois Fuchs eine Predigt „ O h n e Christus kein Heil" heraus, die ein ganzes Reformprogramm enthält. Unter dem Hinweis darauf, daß der Bischof von R o m im Widerspruch zur alten Ordnung zum Diktator der Kirche gemacht worden sei, verlangte er, daß den Laien und Geistlichen, den Bistümern und Nationalkirchen die alten Rechte zurückzugeben, im Kultus die Landessprache einzuführen und der Zölibatszwang aufzuheben sei. Sein Namensvetter Christoph Fuchs trat ebenfalls mit Reformvorschlägen hervor und erwog für den Notfall den Anschluß an die Kirche von Utrecht. Schon damals nannte sich die Reformpartei zur Unterscheidung von ihren romtreuen „ultramontanen" Gegnern „christkatholisch". Rückhalt fanden sie in ihrem Kampf an der „Helvetischen Gesellschaft", der zahlreiche national gesinnte Geistliche als Mitglieder angehörten und die 1834 Pfarrer Alois Fuchs zu ihrem Präsidenten wählte. Theologisch unterstützt und gefördert wurden sie von namhaften Professoren der theologischen Lehranstalt in Luzern, die
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im Sinne der Ideen Wessenbergs und Sailers wirkten. Aus diesem Luzerner Kreis ist vor allem auch Stiftsprobst Josef Burkard Leu (f 1865) zu erwähnen, der Onkel und Lehrer des späteren ersten christkatholischen Bischofs der Schweiz, Eduard Herzog. Aber auch die liberalen Kantonsregierungen der Regenerationszeit befaßten sich angesichts der seit 1831 sich vermehrenden Übergriffe der ultramontanen Partei mit kirchlichen Reformen. A m xo. Januar 1834 einigten sich ihre Vertreter auf einer Konferenz in Baden auf ein Programm, das ausdrücklich als „Erneuerung" dessen bezeichnet wird, „was unsere Vorfahren schon jahrhundertelang ausgeübt haben": Erhebung des Bistums Basel zum schweizerischen Erzbistum, Wiederherstellung der Synoden unter staatlicher Aufsicht, Wahrung der bischöflichen Rechte gegenüber Papst und Nuntius, staatliches Genehmigungsrecht für kirchliche Erlasse, Gewährleistung der gemischten Ehen, Verminderung der Feier- und Festtage, staatliche Oberaufsicht über die Priesterseminarien, Unterstellung der Klöster unter die Aufsicht der Bischöfe, staatliches Wahlrecht bezüglich geistlicher Amtspersonen. Diese von josefinischem Geist geprägten, vom politischen Radikalismus noch verschärften Religionsartikel der Badener Konferenz gingen ohne Zweifel sehr weit und wurden von den beteiligten Regierungen nur zum kleinsten Teil oder überhaupt nicht durchgeführt. Vor allem stießen sie gerade die Gemäßigten und Besonnenen unter den Reformgeistlichen, die alten Wessenberg- und Sailerschüler, zurück. Auf der andern Seite trugen sie dazu bei, daß die ultramontane Gegenpartei, die unter der Führung des Volksmannes Joseph Leu neu erstarkt war, zum Gegenschlag ausholte. Diese verlangte die Zurückziehung der Badener Artikel, die Unterstellung des Eherechtes und der Schule unter die Kirche und die Rückberufung der Jesuiten. Der Kampf wurde mehr und mehr ein politischer. Es folgt die Zeit der Klosteraufhebungen, der Freischarenzüge, des Sonderbundes und schließlich des Kulturkampfes. Der eigentliche kirchliche Widerstand erlahmte zwar nicht, aber er zog sich zurück auf die „Stillen im Lande", auf das gebildete Bürgertum und - vor allem in Deutschland - auf die Gelehrtenwelt.
i) Die liberale katholische Wissenschaft Nachdem es sich gezeigt hatte, daß der bloßen Aufklärung, die sich hauptsächlich auf die menschliche Vernunft und Moral stützte, die Kraft zu einer wirklichen Reform der Kirche fehlte, wurde deren Überwindung als dringendes Gebot empfunden. In diesem Bestreben fand die katholische Theologie einen wertvollen Bundesgenossen an der
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zeitgenössischen Philosophie, die um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert im deutschen Idealismus einen bedeutungsvollen Aufschwung nahm (Kant, Fichte, Hegel, Schelling, Jacobi u. a.). Durch die Vernunftkritik und die umwälzenden Erkenntnisse dieser Philosophen wurden nicht nur die Axiome der Aufklärungsphilosophie sondern auch die Grundlagen der scholastischen Schultheologie aufs tiefste erschüttert, andererseits aber wurde den katholischen Theologen die Möglichkeit eröffnet, das überlieferte Glaubensgut in vertiefter Weise im Geiste der Zeit neu zur Geltung zu bringen. A n erster Stelle ist in diesem Zusammenhang zu nennen der schon mehrmals erwähnte Exjesuit und spätere Bischof von Regensburg J. M. Sailer (f 1832). Selber zwar noch stark unter dem Einfluß der Aufklärung stehend, strebte Sailer deren Überwindung im Anschluß an die idealistisch-romantische Philosophie (Schelling, Jacobi) an. Als Theologe sich mit Nachdruck auf die Hl. Schrift, die Kirchenväter und die Tradition berufend, welch letztere er als „lebendige Oberlieferung" deutet, während ihm die institutionelle und objektive Seite der Kirche mehr nur ein äußeres Hilfsmittel ist, fordert er eine Vertiefung des kirchlichen Lebens im Sinne einer mystischen Erlebnisfrömmigkeit, deren Ziel die anschauende und genießende, unmittelbare Einigung mit Gott ist. Sein Hauptanliegen ist seelsorglich-erzieherisch. In einem ausgedehnten Schrifttum über Fragen der Seelsorge, durch Herausgabe von Andachtsund Gebetbüchern, durch einen regen brieflichen und persönlichen Verkehr mit Theologen beider Konfessionen (u. a. auch mit den Protestanten Lavater, Claudius, J. G. Müller) wirbt er für eine Religion der Innerlichkeit, in der das Leben aus der Gnade und die Bildung des Herzens sich harmonisch vereinigen sollen. Von den extremen Aufklärern wie von der streng nach Rom orientierten Gegenpartei (Hofbauer) bitter befehdet, wirkt er befruchtend und anregend auf weite Kreise der süddeutschen und schweizerischen Geistlichkeit, wie auch auf die Altkatholiken der ersten Generation. In noch viel tiefer greifender Weise nehmen die Gelehrtenschulen um G. Hermes und A. Günther die Erkenntnisse der idealistischen Philosophie in ihr theologisches Denken auf, ohne deswegen das katholische Glaubensgut als Ganzes preiszugeben. Im Gegenteil: Sie wollen dasselbe nur neu begründen. Georg Hermes in Bonn (f 1831) unternimmt in bewußter Frontstellung gegen die Scholastik den großangelegten Versuch, von einem an Kant vertieften Verständnis der Freiheit und der Vernunft her die sog. Glaubwürdigkeit der christlichen Offenbarungswahrheiten wissenschaftlich nachzuweisen. Kirchlich bekennt er sich zum Febronianismus. Von Rom verurteilt, findet er vor allem in der gebildeten Geist-
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lichkeit begeisterte Anhänger. Unter ihnen sind auch die Professoren Hilgers in Bonn und Baltzer in Breslau, die sich später dem Altkatholizismus anschließen. Anton Günther in Wien (f 1863) geht noch einen Schritt weiter und versucht, von Descartes und Schelling her denkend, die Vernunftnotwendigkeit der großen christlichen Glaubensmysterien selbst, der Dreifaltigkeit, der Inkarnation, der Schöpfung und der Erlösung nachzuweisen. Auch er findet unter späteren Altkatholiken Gesinnungsfreunde (Prof. Knoodt in Bonn, Prof. T L Weber in Breslau), wird aber, wie Hermes, von Rom verurteilt. Mag ihr als „semi-rationalistisch" gebrandmarktes Systemdenken tatsächlich zu nicht geringen Bedenken Anlaß geben, so wirkt doch ihre schroffe Verurteilung durch die römische Zensurbehörde auf die deutsche Gelehrtenwelt alarmierend und wird allgemein als ein Anschlag auf die Freiheit und Selbständigkeit der deutschen katholischen Wissenschaft empfunden. Einen Höchststand erreicht die katholische Wissenschaft des 19. Jahrhunderts mit der sog. Historischen Schule, die ihr Zentrum in Tübingen und München hat. Ihre führenden Köpfe sind J. A . Möhler, J. S. Drey, J. B . Hirscher und in der zweiten Generation J. Kuhn und K . J. Hefele. Dieser Schule gehört auch der Münchner Stiftsprobst Ignaz von Döllinger an, Schüler Möhlers und wohl der größte katholische Kirchengeschichtslehrer des 19. Jahrhunderts, der durch seinen Widerstand gegen das Vatikanum I einer der geistigen Väter der altkatholischen Bewegung werden sollte. Ihr gemeinsames Organ hat diese Gelehrtenschule in der 1819 von Hirscher gegründeten „Tübinger Quartalschrift", die „als die angesehendste theologische Zeitschrift den kirchlichen Standpunkt der deutschen katholischen Wissenschaft vertritt". Die allgemeine Bedeutung der historischen Schule liegt darin, daß sie zum ersten Mal die Prinzipien der selbständigen Geschichtsforschung auf das überlieferte Glaubensgut der katholischen Kirche anwendet. Nach ihren Grundsätzen kann theologisch nichts wahr sein und kirchlich nichts Dogma werden, was geschichtlich falsch oder unbeweisbar ist. Dadurch werden auch sie zu Reformern an der Kirche. Sie fordern aber die Reformen nicht, wie die Aufklärer, aus Gründen der Vernunft und der Zweckmäßigkeit, sondern aus Gründen der Geschichte, wie sie sich ihnen in ihrer umfassenden und vertieften Forschung darbot. Im besonderen wenden sie sich gegen die von Rom und der jesuitischen Theologie geübte und hartnäckig festgehaltene Sanktionierung nachweisbar falscher geschichtlicher Tatbestände. Als Historiker rufen sie zur Rückkehr zu den unverfälschten Quellen der alten Kirche auf. Im Bewußtsein, daß eine solche Rückkehr nur möglich ist unter völliger Gewährleistung der Freiheit der Forschung und des Gewissens, nennen sie sich „liberale Katholiken". Beides ist ihnen gleich
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wichtig: die Freiheit des Gewissens wie das „Festhalten" am ursprünglichen katholischen Glaubensgut. Der Konflikt mit Rom war eben deshalb unvermeidlich. V . DAS VATIKANISCHE KONZIL VON 1869/1870
Selbstverständlich ist es hier nicht möglich, die ganze Geschichte des I. Vatikanums auch nur summarisch zur Darstellung zu bringen. Wir müssen uns damit begnügen, die für unsere Zusammenhänge besonders wichtigen und charakteristischen Grundlinien herauszuarbeiten. a) Die Vorgeschichte des Konzils
Schon in der Gegenreformationszeit war das kuriale Papsttum, vor allem in den romanischen Ländern, zu neuem Ansehen gelangt. Die Päpste selbst erhoben mit verstärktem Nachdruck ihre geistlichen und weltlichen Primatsansprüche. Auch theoretisch wurde das Papalsystem weiter ausgebaut, vornehmlich durch die Theologen des Jesuitenordens, unter denen Kardinal Bellarmin (f 1621) besonders hervorragte. Praktisch wirkten sich die im 17. und 18. Jahrhundert immer häufiger werdenden Papstbullen (die zahlreicher waren als die Glaubensentscheidungen aller früheren Jahrhunderte) dahin aus, daß der Gehorsam gegen die päpstlichen Lehrentscheidungen in immer weiteren Kreisen als Beweis katholischer Rechtgläubigkeit galt. Als dann in den großen Geschichtsstürmen des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts der Gallikanismus, der Jansenismus, der Febronianismus und der Josefinismus praktisch vernichtet und die alten Landeskirchen in ihrer bisherigen Struktur untergegangen waren, erschien das Papsttum weiten Kreisen als letzte Bastion der christlich-abendländischen Kultur und als die verläßlichste geistige Macht Europas. Für Rom war damit der welthistorische AugenbÜck gekommen, um die päpstlichen Ansprüche in der Verfassung der abendländischen Kirche auch dogmatisch zu verankern. Indessen ging man vorsichtig und schrittweise vor. Noch konnte ja die gegenteilige Lehre in der katholischen Kirche ohne Behinderung gelehrt werden, auch fehlte in vielen Katechismen und Religionsbüchern jede Erwähnung der päpstlichen Lehren*. Sie waren weiten Volksschichten unbekannt oder ließen sie gleichgültig. Die Papaltheorie, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts erneut einflußreiche theologische Befürworter gewonnen hatte, wurde darum (vor allem in * Vgl. dazu J. Friedrich: Geschichte des Vatikanischen Konzils, Bd. 1.
Die Geschichte der ahkatholischen Kirche Frankreich und in Deutschland, w o die Erinnerung an die alten episkopalistischen Traditionen noch nicht erloschen war) mit den Mitteln der damaligen Publizistik - durch Gründung von Presseagenturen, Zeitungen, Vereinen, politischen Parteien usw. - dem Bewußtsein des Kirchenvolkes einzuprägen versucht. Auch Schriftsteller von Rang stellten sich in den Dienst dieser Publizistik. Durch die päpstliche Kurie selbst erfolgten zwei Aufsehen erregende Akte, die indirekt ebenfalls der Vorbereitung auf die beiden PapstDogmen dienen sollten: A m 8. Dezember 1854 erhob Pius I X . die franziskanische Schulmeinung von der unbefleckten Empfängnis Marias zum allgemein verbindlichen Dogma. A m 8. Dezember 1864 erließ derselbe Papst die Enzyklika „Quanta cura", mit der der „Syllabus errorum", eine Zusammenstellung der von R o m verworfenen Irrtümer, verbunden war. Hatte der Papst durch das Dogma von 1854 praktisch bereits die Lehrunfehlbarkeit für sich in Anspruch genommen, so durch den Syllabus, der die Lehre von der weltlichen Gewalt des Papstes erneuerte, den universalen Rechtsprimat. Beide Akte konnten als Antizipationen der geplanten Papstdogmen gelten. Durch den Syllabus, der auf die liberalen Katholiken besonders alarmierend wirkte, wurden u. a. verworfen: die Glaubens- und Gewissensfreiheit (die als „Wahnwitz" bezeichnet wird), die neutrale Schule, der Anspruch des Staates auf die gesetzliche Regelung des Zivilstandswesens, der Satz, daß der Kirche keine weltliche Gewalt zukomme. Indessen wurde zur förmlichen Definition der beiden Sätze die Einberufung eines allgemeinen Konzils als unumgänglich betrachtet. Die Einladung durch die Kurie erfolgte am 29. Juni 1868. Sie enthielt aber keine bestimmten Angaben darüber, was verhandelt werden sollte. Erst durch eine Pressenotiz v o m 6. Februar 1869 in der „Civiltà cattolica" wurde bekannt, was beabsichtigt w a r : die „Definition des Syllabus" und die Unfehlbarkeitserklärung. Der Artikel hatte in der ganzen katholischen Welt eine mächtige Erregung zur Folge. Es meldete sich eine Opposition an, deren Umfang und Tiefe die Kurie offenbar nicht erwartet hatte. In Frankreich und vor allem in Deutschland waren es Gelehrte von Rang, an ihrer Spitze Döllinger, die zum Widerstand aufriefen. Die Erregung war so groß, daß die katholischen Bischöfe Deutschlands am 1 . September 1869 einen Hirtenbrief mit der beruhigenden Zusicherung erließen, daß die Befürchtung, es würden auf dem Konzil neue Lehren verkündet, unbegründet sei. Gleichzeitig richteten sie an den Papst ein Schreiben des Inhalts, daß die Verkündigung der beiden Dogmen inopportun sei. Selbst die Regierungen waren beunruhigt. So sandte der bayerische Ministerpräsident von Hohenlohe an die
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europäischen Regierungen eine Depesche, um sie zu einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die geplanten Dogmen zu veranlassen. In Rom wurde indessen das Konzil in einer Weise vorbereitet, die jeden ernsthaften Widerstand von vornherein erschweren mußte. In die vorbereitenden Kommissionen, die die Vorlagen auszuarbeiten hatten, wurden fast durchwegs kurial gesinnte Theologen gewählt. Die Geschäftsordnung wurde so gestaltet, daß sie dem Papst einen bestimmenden Einfluß auf die Verhandlungen sicherte und die Freiheit der Konzilsväter empfindlich einschränkte. Zum Konzil waren 1084 Würdenträger eingeladen worden, von denen aber, als die Höchstzahl erreicht wurde, nur 774 anwesend waren. Von diesen repräsentierten gegen 300 keine eigenen Bistümer. Die Katholiken außerhalb Italiens waren nur durch 180 Bischöfe vertreten. Die Opposition setzte denn auch an diesem Punkte sofort ein. Sie machte geltend, daß bei einer solchen Zusammensetzung der Kommissionen und des Konzils, wie auch nach der vorgesehenen Geschäftsordnung, die später noch verschärft wurde, das Konzil nicht eine echte Repräsentation der Gesamtkirche, nicht wahrhaft ökumenisch sei und nicht wirklich frei entscheiden könne.
b) Der Verlauf des Konzils Nach der Eröffnung des Konzils am 8. Dezember 1869 wurde zunächst den Konzilsvätern das Schema „Uber den katholischen Glauben" vorgelegt. Dieses wurde - nachdem nebenher noch Fragen der Disziplin und des kirchlichen Lebens beraten worden waren - nach langwierigen Debatten in der dritten öffentlichen Sitzung vom 24. April 1870 mit Einstimmigkeit angenommen. Das wichtige Dekret enthält u. a. auch die für die römisch-katholische Doktrin grundlegenden Sätze über das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Im Hintergrund dieser Beratungen hatte inzwischen ein zähes Ringen um die beiden Papstdogmen begonnen. Schon vor der offiziellen Bekanntgabe des einschlägigen Schemas „Uber die Kirche Christi" hatten 380 Konzilsväter Anfang des Jahres 1870 an den Papst die Bitte gerichtet, es solle die Lehre bestätigt werden, daß „die Autorität des Papstes unumschränkt und folglich unfehlbar sei". Diese Eingabe beantworteten 136 Bischöfe mit einer Gegenadresse, es sei nicht zu gestatten, daß die Unfehlbarkeitslehre dem Konzil zur Diskussion vorgelegt werde. Der Zwiespalt unter den Konzilsvätern, der damit offen zu Tage trat, bestürzte die Öffentlichkeit aufs tiefste, um so mehr, als es sich zeigte, daß die Minoritätsbischöfe Männer von hohem Ansehen und anerkannter Gelehrsamkeit waren, die mit ihren Diözesen etwa ein Drittel der
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damaligen katholischen Welt vertraten. Z u dieser Minorität gehörten die meisten deutschen, Österreich-ungarischen und französischen Bischöfe, sowie ein Großteil der Amerikaner und Orientalen. A m 2 i . Januar 1870 wurde das Schema „Über die Kirche Christi" den Konzilsvätern zur Beratung übergeben. Bald darauf wurde es auch in der Öffentlichkeit bekannt. Es erregte sofort allergrößtes Aufsehen, vor allem das im strengsten Kurialstil verfaßte 11. Kapitel über den päpstlichen Primat sowie die Schlußkapitel, die im Anschluß an den Syllabus die Oberhoheit der Kirche über die staatliche Gewalt postulierten. Gegen die letzteren erhoben sogar die Regierungen bei der Kurie Einspruch, während die Minoritätsbischöfe und die von Döllinger geführten Gelehrten vor allem gegen die beiden letzten Abschnitte des 1 1 . Kapitels opponierten. Die Kurie und ihre Theologen gingen aber auf die theologischen Argumente nicht emsthaft ein, sondern verfolgten ihr Ziel mit verhandlungstaktischen Mitteln unbeirrbar weiter. Anstatt, wie es die Sache erfordert hätte, zuerst über die allgemeinen Grundlagen der Lehre von der Kirche, wie sie in den ersten Kapiteln dargelegt wurden, zu beraten, wurde am 13. Mai sofort die Generaldebatte über den Universalepiskopat und die Lehrunfehlbarkeit des Papstes eröffnet. Die Diskussion, die von einem scharfen literarischen Kampf begleitet war, wurde mit äußerster Heftigkeit geführt. Obwohl sich die Konzilsväter nur über die „ O p portunität" der beiden Glaubenserklärungen auszusprechen hatten, bekämpften die Minoritätsbischöfe und ihre gelehrten Berater dieselben mit Argumenten von theologisch-grundsätzlicher Bedeutung. Insbesondere wurde geltend gemacht: Die beiden Sätze widersprechen der geschichtlichen Wahrheit (Hefele), sie verändern die göttliche Ordnung der Kirche (Ketteier), sie heben die Freiheit der Bischöfe auf (Darboy), sie verstoßen gegen die Glaubensregel (Strossmayer). Daß ihre Argumente nicht ohne Wirkung blieben, zeigte die Vorabstimmung vom 13. Juli, an der von 601 anwesenden Vätern 451 mit Ja, 88 mit Nein und 62 mit Ja unter Vorbehalt stimmten. Als daraufhin eine Delegation der Minoritätsbischöfe beim Papst vorsprach, um ihn zum Einlenken zu bewegen, wurde die Unfehlbarkeitsvorlage auf Betreiben der kurialen Gegenpartei noch verschärft durch den in letzter Stunde eingereichten Zusatz, daß derPapst unfehlbare Entscheide treffen könne, „aus sich selbst, nicht auf Grund der Zustimmung der Kirche" (ex sese, non ex consensu ecclesiae). Daraufhin verließen noch vor der Schlußabstimmung 55 Minoritätsbischöfe das Konzil, nachdem sie zuvor ihre Einwendungen in einem Schreiben an den Papst noch einmal dargelegt hatten. Doch ohne Erfolg. Unter dem Donner und den Blitzen eines über Rom herniedergehenden
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Gewitters verkündete Pius IX. am 18. Juli 1870 „mit Zustimmung des Konzils" die beiden umwälzenden Sätze vom göttlichen universalen Rechtsprimat und von der Lehfünf ehlbarkeit des Papstes als auf die ewige Seligkeit hin anzunehmende, göttlich geoffenbarte Glaubenswahrheiten. A n der Schlußabstimmung hatten von den noch anwesenden 535 Konzilsvätern nur zwei mit Nein gestimmt, welche sich aber dann sofort unterwarfen. Die Minoritätsbischöfe hatten sich vor ihrer Abreise von Rom das Versprechen gegeben, miteinander in Fühlung zu bleiben und „nur gemeinsam weitere Schritte zu tun". Es kam jedoch anders. In ihre Diözesen zurückgekehrt, w o sie zum Teil während des Konzils durch die ultramontane Presse heftig angegriffen worden waren, unterwarfen sie sich dem Papst. Die deutsche Bischofskonferenz von Fulda erließ bereits am 31. August einen Hirtenbrief des Inhaltes, daß die Entscheidung des Konzils „als göttlich geoffenbarte Wahrheit von allen Bischöfen, Priestern und Gläubigen anzunehmen sei". Zugleich wurde beschlossen, „nach den Vorschriften der Moral und des kanonischen Rechtes" gegen alle diejenigen vorzugehen, die in der Opposition verharren sollten, d. h. sie mit der Strafe der Exkommunikation zu belegen. Es war dieselbe Bischofskonferenz, die sich am 1. September 1869 gegen den Verdacht verwahrt hatte, daß auf dem Konzil die beiden Dogmen verkündet würden. Es war so, wie Bischof Hefele sich ausgedrückt hat: „Der deutsche Episkopat hat gleichsam über Nacht seine Uberzeugung geändert!" Nicht wenige derselben Bischöfe, die in Rom gegen die neuen Dogmen aufgestanden waren, verfielen nun einem verfolgungssüchtigen Infallibilismus. Wie die deutschen Bischöfe, unterwarfen sich auch die Bischöfe Frankreichs und Österreich-Ungarns. Nach langem Zögern und schweren Gewissenskämpfen folgten ihnen schließlich auch Bischof Hefele, und als letzter am 26. Dezember 1872 Bischof Strossmayer. Bestimmend für ihre Haltung war u. a. die Angst vor einem neuen Schisma „Es ist der Friede und die Einheit der Kirche ein so hohes Gut, daß dafür schwere und große Opfer gebracht werden dürfen" ließ sich Bischof Hefele vernehmen. Auch in der Öffentlichkeit erlahmte der ursprüngliche Widerstandsgeist rasch. A m Tage nach der Unfehlbarkeitserklärung brach der deutsch-französische Krieg aus, der bald die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Die in Rom verbliebenen Konzilsväter kehrten in ihre Heimat zurück. A m 20. Oktober vertagte der Papst das Konzil auf unbestimmte Zeit.
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c) Inhalt und Bedeutung
der Dekrete
Kirche
über das
Papsttum
Der „Pastor Aeternus" (Der ewige Hirte), wie die päpstliche Bulle von 1870 nach ihren Anfangsworten heißt, enthält vier Kapitel: Im ersten Kapitel wird unter Berufung auf Mt. 16, löff. und Jo. 21, 15ff. gelehrt, daß dem Apostel Petrus „ i m Vorzug vor den anderen Aposteln", deren Fürst (princeps) er ist, „der Primat der Jurisdiction über die ganze Kirche unmittelbar und direkt von Christus, dem Herrn, verheißen und übertragen worden ist". Im zweiten Kapitel wird aus der Notwendigkeit der immerwährenden Fortdauer der Kirche gefolgert, daß dieser Primat Petri in seinen Nachfolgern „ununterbrochen fortdaure" und daß diese Nachfolger „die Bischöfe des von ihm (Petrus) gegründeten und durch sein Blut geweihten heiligen römischen Stuhles" seien. Im dritten Kapitel wird erklärt, daß dem Bischof von R o m im hl. Petrus durch Jesus Christus „die volle Gewalt, die gesamte Kirche zu weiden, zu leiten und zu regieren, übertragen worden ist": nicht nur „das A m t der Aufsicht oder der Führung", auch nicht bloß ein bedeutenderer Anteil an dieser Gewalt, sondern „die ganze Fülle dieser höchsten Gewalt" (tota plenitudo supremae potestatis), und zwar „in Sachen des Glaubens und der Sitte sowohl wie der Disziplin und der Regierung". D e m Papst gegenüber haben darum „die Hirten und Gläubigen jeglichen Ritus und jeglichen Ranges sowohl jeder einzelne für sich wie alle insgesamt die Pflicht hierarchischer Unterordnung und wahren Gehorsams." Im vierten Kapitel wird diesem mit der obersten kirchlichen Machtfülle ausgestatteten Papst unter Berufung auf Lk. 22, 32 die Lehrunfehlbarkeit in Sachen des Glaubens und der Sitte zugesprochen. In der Ausübung seines unfehlbaren Lehramtes kann zwar der Papst nicht „neue Lehren kundmachen", wohl aber ist den Nachfolgern Petri der Hl. Geist verheißen, damit sie „unter dessen Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung oder Hinterlage des Glaubens heilig bewahren und treu auslegen". Der Papst besitzt, wenn er ex cathedra spricht, „jene Unfehlbarkeit, mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche in Entscheidung einer den Glauben oder die Sitten betreffenden Lehre ausgestattet wissen wollte". Daher sind solche Entscheidungen des römischen Papstes „aus sich selbst, nicht aber erst durch die Zustimmung der Kirche unabänderlich". Worin der Sinn dieser Dekrete liegt, wird in der Einleitung zum Pastor aeternus mit den Worten gesagt, daß der Ewige Hirte - Christus - in Petrus den päpstlichen Primat geschaffen hat, „damit die Gesamtheit der Gläubigen durch die unter sich verbundenen Bischöfe in der Einheit
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des Glaubens und der Gemeinschaft bewahrt werde" und „Alle eins seien, wie der Sohn selbst und der Vater eins sind". Es geht also um die Einheit der Kirche. Diese aber kann nach dem dabei vorausgesetzten KirchenbegrifF nur dadurch gewahrt werden, daß dem Papst „die ganze Fülle der höchsten Gewalt", das heißt profan gesprochen, die ganze Regierungs-, wie die gesetzgeberische und richterliche Gewalt zugesprochen wird. Kraft dieser ihm von Christus übertragenen Allgewalt ist er der „Universalbischof", der als solcher in jede Diözese in allen Fragen des Glaubens und der Sitte, der Disziplin und der Regierung direkt und unmittelbar mit dem Rechte eines Bischofs eingreifen kann. Wohl kommt auch den Bischöfen die „ordentliche und unmittelbare Hirtengewalt" zu, aber sie können diese nur ausüben als „Hirten der ihnen (vom Papst) zugewiesenen Herden". Mit diesen Sätzen werden in bewußter Frontstellung gegen die alten katholischen Widerstandsbewegungen nicht nur der Episkopalismus und der Konziiiarismus im Prinzip (und nicht bloß in seinen „Übertreibungen") aufgehoben, sondern damit ist auch der alte katholische KirchenbegrifF preisgegeben (F. Heiler). Wie die altkatholischen Theologen mit Recht betont haben, liegt in den vatikanischen Dekreten der Nachdruck auf dem universalen Rechtsprimat des Papstes, während die Unfehlbarkeitserklärung - obwohl gerade sie in der Öffentlichkeit am meisten zu reden gab - ihr gegenüber von zweitrangiger Bedeutung ist. Diese ist mehr nur die Bestätigung und Bekräftigung des göttlichen Rechtsprimates, gleichsam „das Siegel zur Unterschrift" (E. Herzog). Soll nämlich - so wurde von den Befürwortern der Dekrete argumentiert - der Papst als der Universalbischof die ihm übergebene Machtfülle wirksam ausüben können, so muß seine Regierung (wie seine gesetzgeberische und richterliche Tätigkeit) untrüglich sein. Der Papst darf, soll seine Autorität nicht ins Wanken kommen, nicht irren. Darum besitzen alle seine Entscheidungen „ e x sese, non ex consensu ecclesiae jene Unfehlbarkeit, mit der der Herr seine Kirche ausgestattet wissen wollte". Ob dabei mehr betont wird, daß der Papst nur sagt, was die Kirche lehrt, oder umgekehrt, daß nur der Papst sagen kann, was die Kirche lehrt, oder ob abschwächend gelehrt wird, das „ex sese" wolle nur die Unabhängigkeit des Papstes von äußeren (staatlichen) Einflüssen sichern und das „non ex consensu ecclesiae" beziehe sich nur auf die nachträgliche Zustimmung durch die Kirche (im Sinne des Gallikanismus, vgl. S. 17), so ist das alles letzterdings belanglos im Hinblick auf die dabei vorausgesetzte, alles entscheidende Grundthese, daß der Papst seine unfehlbaren Entscheidungen in Sachen des Glaubens und der Sitte fällt als der, dem die „ganze Fülle
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der obersten Gewalt" gegeben ist und daß darum ihm gegenüber „alle Hirten und Gläubigen die Pflicht hierarchischer Unterordnung und wahren Gehorsams" haben. Ihm als dem Träger der kirchlichen Allgewalt ist zu gehorchen - das ist das Primäre - und ihm kann gehorcht werden - das ist das Siegel zu seiner gebietenden Unterschrift! - weil er unfehlbar ist, d. h. weil er kraft des ihm zugesicherten Beistandes des Hl. Geistes immer nur verkündet, was in der Hl. Schrift und in der Tradition enthalten ist. Er hat es darum nicht nötig - wie sich das bei der Verkündigung der beiden Marien-Dogmen gezeigt hat - , sich für seine Entscheidungen noch ausdrücklich auf die Hl. Schrift oder die Tradition zu berufen. Er bezeugt ja faktisch immer nur - und zwar unfehlbar - die göttliche, durch die Apostel überlieferte Offenbarung. Sagt er etwas anderes, so ist er, wie schon die kirchlichen Lehrer des 13. Jahrhunderts und heute noch manche römisch-katholischen Theologen glauben argumentieren zu können, nicht mehr Papst. In diesem zugespitzten Sinn, der keine abschwächenden oder einschränkenden Deutungen zuläßt, ist das Papstdogma anzunehmen, ist es - wie es dann wirklich nicht anders sein kann - in „hierarchischer Unterordnung und in wahrem Gehorsam" zu glauben - oder es ist dieser Glaube zu verweigern. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.
B. D I E G E S C H I C H T E
I. DER AUSGANGSPUNKT DES ALTKATHOLISCHEN WIDERSTANDES
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s kann sich hier nicht darum handeln, den unseligen Bruderkampf, der unmittelbar nach dem I. Vatikanum zwischen den Infallibilisten und ihren altkatholischen Gegnern entbrannte, im einzelnen zu schildern oder ihn gar zu erneuern. Merken wir nur an, daß sich damals auf kurialer Seite eine schwer erträgliche, heute auch in der römisch-katholischen Kirche kaum mehr anzutreffende „Papolatrie" und auf altkatholischer Seite ein erbitterter Abwehrwille gegenüberstanden, der sich nicht selten zu rein negativer Kritik und unguten Übertreibungen hinreißen ließ. Beide Teile haben dabei viel Schuld auf sich geladen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Argumente, die die altkatholischen Gelehrten in einem ausgedehnten Schrifttum gegen die beiden Papstdogmen ins Feld führten, in der Sache wohl fundiert waren und bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren haben. Im Gegenteil: der altkatholische „Protest" hat durch die seitherige Entwicklung in der römisch-katholischen Kirche eine weitgehende Rechtfertigung erfahren. Zunächst waren es formelle Einwendungen, die vom altkirchlichen und geltenden Kirchenrecht her (F. v. Schulte) gegen die Gültigkeit der Konzilsbeschlüsse erhoben würden: mangelnde Okumenizität und Freiheit des Konzils, einseitige theologische Vorbereitung, ordnungswidrige Änderungen am Text, Aufnahme historisch ungenauer, unvollständiger und darum irreführender Zitate. Wichtiger noch waren die Sachargumente, die gegen die beiden Dekrete geltend gemacht wurden. Es waren deren im wesentlichen drei. Der erste Einwand läßt sich in den Satz zusammenfassen: Die beiden Dekrete widersprechen der Geschichte, wie sie durch die authentischen und unverfälschten Dokumente der Vergangenheit bezeugt wird. „Das Dogma hat die Geschichte besiegt" (Döllinger). U m bereits Gesagtes (siehe S. 21 ff.) nicht zu wiederholen, sei hier lediglich auf die Tatbestände hingewiesen, auf die die altkatholischen Theologen besonderes Gewicht legten: Nicht nur die Lehre (vor allem die der Kirchenväter) und die Verfassung der alten Kirche sprechen gegen die vatikanischen Sätze, sondern auch der tatsächliche Verlauf der Kirchengeschichte war ein anderer als er in den beiden Papstdogmen vorausgesetzt wird. Weder haben die Bischöfe von Rom, wie das nach dem Wortlaut des Pastor Aeternus sein müßte, den universalen Rechtsprimat über die ganze Kirche
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von Anfang an besessen und wirklich ausgeübt, noch galten sie in ihren Lehrentscheidungen als unfehlbar. Vier von ihnen (Liberius, Zosimus, Vigilius, Honorius) haben häretisch gelehrt, waren Irrlehrer und sind deswegen zum Teil auch von der Kirche (den Konzilien) zensuriert worden. Die vatikanische Papaltheorie, die, durch die Kanonistik vorbereitet, erst im 13. Jahrhundert als theologische Schulmeinung aufkam, kann nicht die Grundlage eines Dogmas werden, nachdem sich nach Entdeckung der Fälschungen erwiesen hat, daß sie auf unrichtigen geschichtlichen Voraussetzungen beruht. Döllinger urteilt geradezu: „ U m die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit aus der Kirchengeschichte zu erweisen, ist nichts weniger erforderlich als eine durchgängige Verfälschung derselben" (Papsttum, S. 299). Im Hintergrund dieser an sich schon sehr ernsthaften geschichtlichen Einwendungen stand aber für die altkatholischen Theologen noch weit mehr: die Sorge um die Kirche selbst. Was sollte aus einer Kirche werden, die einen ihrer fundamentalsten Glaubenssätze auf nachweisbar falschen geschichtlichen Voraussetzungen aufbaut? Die Antwort konnte für sie nicht zweifelhaft sein: Durch die Erhebung der vatikanischen Papaltheorie zu einem Dogma war eine ekklesiologische Fehlentscheidung von allergrößter Tragweite gefallen. Der alte KirchenbegrifF, für dessen Wiederherstellung die katholischen Widerstandsbewegungen der vorangegangenen Jahrhunderte sich auf ihre Weise eingesetzt hatten, war damit endgültig preisgegeben und das altkirchliche „offene" System durch das neurömische, rechtlich hierarchische „geschlossene" System ersetzt. Man hatte - wie Döllinger Erzbischof Scherr von München schlicht erklärte „aus der alten Kirche eine neue gemacht". Wenn auch die ganze B e deutung dieser ekklesiologischen Fehlentscheidung für das Wesen und die Zukunft der Kirche noch nicht von allen altkatholischen Theologen der ersten Generation klar erkannt worden sein mag, so war doch durch ihren zunächst mehr negativen Protest der Weg gewiesen, den die altkatholische Bewegung zu gehen berufen war: Den Weg der Kirchwerdung im Sinne des „offenen Systems" in Kontinuität mit der alten Kirche und in der entschlossenen Ausrichtung auf die (ebenfalls altkirchlich orientierte) Ökumene. Von dieser ekklesiologischen und ökumenischen Grundhaltung her machten die Altkatholiken drittens gegen die vatikanischen Sätze geltend, daß durch sie eine künftige Wiedervereinigung der christlichen Kirchen, wenn anders diese auch die Kirche von Rom umschließen sollte, verunmöglicht werde: Statt - wie das in der Einleitung des „Pastor Aeternus" als Endzweck der beiden Papstdogmen bezeichnet wird - der Einheit der Kirche zu dienen, müßten sie die Einheit in der Wahrheit verhindern.
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Mit diesem Argument standen die Altkatholiken nicht allein. Selbst römische Katholiken, wie der Luzerner Staatsmann Ph. A. von Segesser, hatten noch „am Vorabend des Konzils" vor der Dogmatisierung der kurialen Papsttheorie gewarnt, da durch sie „die Aussicht auf eine Wiedervereinigung mit den von der Kirche Getrennten in unendliche Ferne geschoben" würde. Döllinger wies unter Berufung auf die Bestimmungen des Catechismus Romanus (I, 10, i) noch besonders darauf hin, daß durch die Erhebung einer Verfassungsfrage zu einem allgemein verbindlichen Glaubenssatz diejenigen Kirchen, die bis jetzt als „schismatisch" gegolten hatten (die orthodoxen Kirchen und die Kirche von Utrecht), „häretisch" würden. Demgemäß wurden denn auch die Altkatholiken in den päpstlichen Erlassen konsequent als „Neo-Haeretici" bezeichnet. Heute wird der Ausdruck „häretisch" zwar vermieden, in der Sache hat sich aber seit 1870 nichts geändert. Aufs Ganze gesehen, war also der altkatholische „Protest" ein dreifacher. Er richtete sich gegen die Ungeschichtlichkeit der beiden vatikanischen Dekrete, gegen die mit ihnen implizit vollzogene Fehlentscheidung über das Wesen der Kirche selbst und gegen deren kirchenspaltende Auswirkung. Dieser Protest war nicht - wie man den Altkatholiken gerne vorwarf - bloß negativ, war nicht der Ausdruck eines aufrührerischen und unkirchlichen Sinnes, der sich einer einmal getroffenen Entscheidung der Kirche nicht fügen konnte. Der Protest war ihnen vielmehr - wie der ursprüngliche Wortsinn besagt - als echte „protestis" ein Zeugnis für die Wahrheit: für die Wahrheit der Kirche, ihrer Geschichte, ihres Wesens und ihrer Einheit. Daß im Zeugnis für diese Wahrheit die eigentliche Sendung der altkatholischen Kirche liegt, das hat Döllinger in einem Brief an Pfarrer Widmann vom 13. Oktober 1874 mit folgenden Worten ausgesprochen, die trotz einzelnen polemischen Wendungen bis heute nichts von ihrer wegweisenden Bedeutung verloren haben: „Was mich betrifft, so rechne ich mich 'aus Uberzeugung zur altkatholischen Gemeinschaft. Ich glaube, daß sie eine höhere, ihr gegebene Sendung zu erfüllen hat, und zwar eine dreifache: a) Zeugnis zu geben für die kirchliche Wahrheit und gegen die neuen Irrlehren von der päpstlichen Universalmacht und Unfehlbarkeit, insbesondere auch als redender und permanenter Protest dazustehen gegen die heillose, von diesem Papst erst aufgebrachte Willkür in Verfertigung neuer Glaubensartikel. b) Ein zweiter Beruf der altkatholischen Gemeinschaft ist es in meinen Augen, allmählich und in zukünftigem Fortschritt eine von Irrwahn und Superstition gereinigte, der alten noch ungetrennten mehr konforme Kirche darzustellen.
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c) Damit hängt zusammen ihr dritter Beruf, nämlich als Werkzeug und Vermittlungsglied einer künftigen großen Wiedervereinigung der getrennten Christen und Kirchen zu dienen. Ein Anfang dazu, wenn auch nur ein kleiner, ist vor einigen Wochen in Bonn gemacht worden. Ich vertraue auf den Fortgang dieses Friedenswerkes." Wie aber sollte die „altkatholische Gemeinschaft" diese ihre Sendung erfüllen können? Dazu schienen gerade in der ersten Kampfzeit alle äußeren Voraussetzungen zu fehlen. Der Widerstand der Minoritätsbischöfe war zusammengebrochen, die Staatsregierungen, die ihren scharfen Protesten keine entsprechenden Taten hatten folgen lassen, hatten wieder eingelenkt, viele der Gelehrten (so u. a. die Tübinger), die die beiden Dogmen abgelehnt hatten, hüllten sich vorsichtig in Schweigen. Der ganze Widerstand reduzierte sich zuletzt auf die kleine Schar einiger Professoren, die sich durch ihre unbeugsame Haltung als wahre „professores", als Wahrheitszeugen und Bekenner erwiesen. Sie erwarben sich damit wohl die Achtung und Bewunderung weiter Kreise der Öffentlichkeit. Aber sie hatten doch nur eine verhältnismäßig kleine Gefolgschaft hinter sich, vor allem im liberalen gebildeten Bürgertum und dann in den Gemeinden, in denen sich die alten freiheitlichen katholischen Überlieferungen noch erhalten hatten. Um so dringender stellte sich die Frage, ob nach dem tragischen Scheitern der vorangegangenen katholischen Widerstandsbewegungen und deren Verurteilung durch das Vatikanum die schmale Front dieser „liberalen Katholiken" innerlich, religiös-theologisch stark genug war, um in dem ihr auferlegten Kampf zu bestehen. Vor allem: reichte ihre Kraft zu einer wirklichen Erneuerung der Kirche oder - im Notfall - zur eigenen Kirchwerdung aus? Das konnte nur dann der Fall sein, wenn die altkatholischen Theologen an entscheidenden Punkten über den reinen Episkopalismus und Konziliarismus der innerkatholischen Widerstandsbewegungen, auf den sie sich anfänglich beriefen, hinausgingen und der Stimme ihres „katholischen Gewissens" quenzen folgten.
(H. Reusch) bis in die letzten Konse-
Ob und wie weit das der Fall war, zeigt sich deutlich an ihren weiteren Vernehmlassungen wie vor allem an ihrem weiteren Vorgehen. Zunächst wandten sich die altkatholisch gesinnten Gegner der vatikanischen Sätze, Laien und Geistliche, - wie das Döllinger und seine Freunde schon während des Konzils getan hatten - durch die Presse und eine Reihe von Erklärungen und Adressen an die katholische Öffentlichkeit, um sie zu weiterem Widerstand aufzurütteln. Die wichtigste dieser Laienadressen war die von Königswinter vom 14. August 1870. Sie hat folgenden Wortlaut: „In Erwägung, daß die im Vatikan gehaltene Versammlung nicht
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in voller Freiheit beraten und wichtige Beschlüsse nicht mit der erforderlichen Einstimmigkeit gefaßt hat, erklären die unterzeichneten Katholiken, daß sie die Dekrete über die absolute Gewalt des Papstes und dessen persönliche Unfehlbarkeit als Entscheidung eines ökumenischen Konzils nicht anerkennen, vielmehr dieselbe als eine mit dem überlieferten Glauben der Kirche im Widerspruch stehende Neuerung verwerfen." Bemerkenswert an dieser von 1359 Katholiken unterzeichneten Erklärung ist, daß die Papstdogmen als Neuerung verworfen und ihnen gegenüber am überlieferten Glauben festgehalten wird. Eine mögliche Trennung von R o m wird nicht erwogen. Man will schlicht katholisch im vorvatikanischen Sinne bleiben. Das war auch der Standpunkt der führenden altkatholischen Theologen. Auch sie wollten zunächst, wenn immer möglich, den Bruch mit R o m verhüten. Sie versuchten darum, mit den Minoritätsbischöfen, deren theologische Berater sie zum Teil gewesen waren, die Verbindung neu aufzunehmen. Sie taten es in der Hoffnung, daß diese sich doch noch dazu bewegen ließen, aus ihrer Haltung auf dem Konzil die Konsequenzen zu ziehen. Z u diesem Z w e c k e arbeiteten sie die „Nürnberger Erklärung" v o m 26. August 1870 aus, in der die hauptsächlichsten Gegenargumente, die die Minoritätsbischöfe auf dem Konzil selbst geltend gemacht hatten, zusammengefaßt und diese eingeladen wurden, „in gerechter Würdigung der N o t der Kirche und der Bedrängnis der Gewissen auf das baldige Zustandekommen eines wahren, freien und daher nicht in Italien, sondern diesseits der Alpen abzuhaltenden Konzils hinzuwirken" (Wortlaut siehe Anhang, S. 417). Durch die unerwartete Unterwerfung der Bischöfe wurde dieser Appell an ein Konzil, der lediglich durch eine Indiskretion der Öffentlichkeit bekannt wurde, hinfällig. A u c h ein letzter, am 4. November 1870 durch ein altkatholisches Komitee unternommener Versuch, die sechs katholischen Bischöfe, die sich damals noch nicht unterworfen hatten (Hefele, Rottenburg; Stroßmayer, Diakovo, Jugoslawien; Schwarzenberg, Prag; Rauscher, W i e n ; Darboy, Paris; Greith, St. Gallen) zur Aufrechterhaltung des Widerstandes zu bewegen, scheiterte. Dieses ganze Vorgehen wie auch der Wortlaut der beiden Erklärungen zeigen deutlich, daß in diesem Stadium des Kampfes die Altkatholiken als die Katholiken, die sie bleiben wollten, insofern noch stark dem überkommenen rechtlich-hierarchischen Kirchenbegriff verpflichtet blieben, als sie nichts ohne die Bischöfe und nichts ohne ein Konzil unternehmen wollten. Diese Bindung an den überlieferten Episkopalismus und Konziliarismus wurde jedoch durch die Enttäuschung, die die altkatholischen Führer an den Minoritätsbischöfen erlebten, jäh und endgültig zerrissen. N u n
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gab es für sie nur noch einen W e g : unter Berufung auf Gottes heiliges Evangelium der Stimme des Gewissens zu folgen - selbst auf die Gefahr hin, dafür durch die große Exkommunikation aus der Kirche ausgeschlossen zu werden und nur auf eine verhältnismäßig kleine Schar überzeugungstreuer Bekenner zählen zu können. F. v. Schulte, der spätere Laienführer der altkatholischen Kirche Deutschlands, hat dieser eigentlichen Wende in der altkatholischen Bewegung treffend Ausdruck gegeben durch das Wort, das er nach dem Scheitern aller Verständigungsversuche aussprach: „Jetzt kann man nur seinem Gewissen folgen. Gottes Wort über alles!" Von diesem Wort v. Schultes her fällt auch auf die schlichten Erklärungen, mit denen die altkatholischen Führer ihr Nein gegen die vatikanischen Beschlüsse begründeten, ein erhellendes Licht und läßt sie erst in ihrer vollen Tragweite verstehen. So erklärt der Bonner Theologieprofessor F. H. Reusch: „Das katholische Gewissen verbietet uns die Annahme der beiden Lehren, weil sie der Schrift und der Tradition der alten Kirche widersprechen, an die wir als katholische Priester und Theologen gebunden sind." Ähnlich läßt sich sein Kollege J. Langen vernehmen. Am ausführlichsten äußert sich Döllinger in seiner Antwort an den Erzbischof von München mit seinem viermaligen: „Ich kann nicht." „Als Christ, als Theologe, als Geschichtsschreiber, als Bürger, kann ich diese Lehre nicht annehmen. Nicht als Christ: denn sie ist unverträglich mit dem Geist des Evangeliums und mit den klaren Aussprüchen Christi und der Apostel. Sie will gerade das Imperium dieser Welt aufrichten, welches Christus ablehnte, will die Herrschaft über die Gemeinden, welche Petrus allen und sich selbst verbot. Nicht als Theologe: denn die gesamte echte Tradition der Kirche steht ihr unversöhnlich entgegen. Nicht als Geschichtskenner kann ich sie annehmen: denn als solcher weiß ich, daß das beharrliche Streben, diese Theorie der Weltherrschaft zu verwirklichen, Europa Ströme von Blut gekostet, ganze Länder verwirrt und heruntergebracht, den schönen, organischen Verfassungsbau der älteren Kirche zerrüttet und die ärgsten Mißbräuche in der Kirche erzeugt, genährt und festgehalten hat. Als Bürger endlich muß ich sie von mir weisen: weil sie mit ihren Ansprüchen auf Unterwerfung der Staaten und Monarchen und der ganzen politischen Ordnung unter die päpstliche Gewalt, und durch die eximierte Stellung, welche sie für den Klerus fordert, den Grund legt zu endloser, verderblicher Zwietracht zwischen Staat und Kirche, zwischen Geistlichen und Laien." Dieselbe unbeugsame Haltung legten weitere katholische Bekenner an den Tag, die Professoren Friedrich in München, Hilgers und Knoodt in Bonn, Reinkens und Weber in Breslau, Michelis und Menzel in Braunsberg, Ed. Herzog in Luzern.
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Die Folgen konnten nicht ausbleiben. Uber sie alle wurde als „Söhne des Verderbens" - über die meisten im Frühjahr 1871, über Herzog im Herbst 1872 - der große Bann verhängt und ihnen der Lehr auftrag entzogen. Der Wortlaut der angeführten Erklärungen läßt deutlich erkennen, daß die altkatholischen Führer, denen nunmehr nur das Wort Gottes und ihr Gewissen maßgebend sein konnte, keine Revolutionäre waren, keine Rebellen, die die Grundordnungen der Kirche zum Einsturz bringen und die Einheit der Kirche gefährden wollten. Sie waren und wollten nur sein: schlichte Wahrheitszeugen innerhalb der katholischen Kirche selbst. Gerade in der Schlichtheit ihres Wahrheitszeugnisses Hegt - wie E. Gaugier mit Recht bemerkt - ihre Größe, in ihrem Mut auch, in einer Frage, in der so viele nein dachten, auch offen nein zu sagen und dafür die Folgen auf sich zu nehmen: den Ausschluß aus der geliebten Kirche, den Verlust ihrer Stellung, ihres Ansehens, ihrer Freunde und nicht zuletzt ihrer großen akademischen Hörerschaft. Wie aber sollte unter diesen erschwerten Umständen ihr Weg weitergehen? Sollten sie ihren Kampf, ihr Zeugnis für die Wahrheit der Kirche, literarisch-publizistisch fortsetzen? Oder sollten sie, aus der Kirche Roms ausgeschlossen, sich zu einer Notkirche zusammenschließen? Diese Frage blieb vorläufig noch offen. Klar war nur, daß die altkatholischen Führer - sollten sie den letzteren Weg wählen müssen damit kein Schisma herbeiführen, nicht leichtfertig „Altar gegen Altar stellen" wollten. Nie haben die Altkatholiken daran gedacht, von der katholischen Kirche „abzufallen", wie ihnen das böswillige Gegner nachsagten (E. Gaugier). Zum eigenen kirchlichen Handeln wurden sie - wie mit Nachdruck betont sei - durch den über sie verhängten Bann genötigt. Sie haben aber deswegen nie aufgehört, sich als Glieder der einen und ganzen katholischen Kirche zu wissen. Sie haben sich auch durch die über sie verhängten Zensuren (mit Ausnahme Döllingers) nicht daran hindern lassen, weiter katholischen Gottesdienst zu feiern und die katholischen Sakramente zu spenden (deren Gültigkeit von Rom auch nie bestritten wurde). Als sie, wie noch zu zeigen sein wird, daran denken mußten, eine eigene kirchliche Jurisdiktion zu errichten, vermieden sie, besonders auch, was die Reformen betraf, bewußt alles, was die Kluft mit Rom hätte erweitern können. Sie bauten sogar ihre Organisation so auf, daß für den Fall, daß ein Minoritätsbischof doch noch seinen Widerstand fortgesetzt hätte, der Anschluß an „die bestehende Hierarchie" (der römisch-katholischen Kirche) nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Als aber unter den von Rom ausgestoßenen Geistlichen und Laien die seelsorgerliche Not immer größer wurde und der Wille zur eigenen
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Kirchwerdung immer mehr erstarkte, wurden die altkatholischen Theologen zur Neuentdeckung eines weiteren kirchlichen Prinzips geführt, das in der römisch-katholischen Kirche fast ganz in den Hintergrund gedrängt worden war. Auf die Hl. Schrift und die Urkirche sich berufend und sich gleichzeitig immer mehr vom rechtlich-hierarchischen Kirchenbegriff lösend, erkannten sie mit zunehmender Deutlichkeit die B e deutung der Gemeinde als der eigendichen Trägerin der Kirchengewalt. „Die Kirchengewalt liegt virtuell in der Gemeinde", erklärt J. Langen. Wenn auch bei dieser Neuentdeckung des altkirchlichen Gemeindeverständnisses unzweifelhaft - vor allem in der Schweiz - Einflüsse des demokratisch-politischen Gedankens der „Gemeindeautonomie" mit im Spiele waren, so war doch ihr Grundanliegen deutlich ein kirchlieh-theologisches: Es sollte die Gemeinde, die Einzelgemeinde sowohl wie die Gesamtgemeinde, die Synode mit ihrem Bischof, mit ihren Priestern und Laienabgeordneten, als abbildlich-personenhafte Repräsentation der Gesamtkirche wieder zu ihrem Rechte kommen. Die Kirche als Ganzes sollte in der Unmittelbarkeit zu ihrem Herrn - grundsätzlich gesprochen - wieder das werden, was die Einzelgemeinde ist, und die Einzelgemeinde in ihrer Unmittelbarkeit zum Herrn das, was die Eine und ganze Kirche ist. Es waren also - so kann (in Entsprechung zu den drei Forderungen, mit denen Döllinger die Sendung der altkatholischen Kirche umschrieben hat) zusammenfassend gesagt werden - im wesentlichen drei Grundkräfte, die für die immer deutlicher sich aufdrängende Kirchwerdung der altkatholischen Bewegung bestimmend geworden sind: 1 . Der am Protest gegen das Vatikanum sich entzündende Kampf um die Freiheit des Gewissens und des Glaubens, der immer deutlicher zu einem Kampf um die Freiheit des Gehorsams gegen das Wort und den Willen des Herrn wurde, wie diese in der Hl. Schrift und in der Urtradition bezeugt sind. 2. Die Treue zum Glauben und zu den Ordnungen der alten und Einen Kirche in Bekenntnis, Amt und Gottesdienst, unter der immer entschlosseneren Wiederaufnahme des urkirchlichen Gemeindeverständnisses. 3. Der Wille zur Ökumene, die Bereitschaft zur Wiedervereinigung der voneinander getrennten christlichen Kirchen auf dem Boden der alten Kirche. Der tragende Grund dieser drei Kräfte aber war und ist ein Anliegen, das das eigendiche und wesentliche Anliegen der altkatholischen Kirche bis heute gebheben ist: die Kirche Jesu Christi selbst, der Kampf um ihre Wahrheit und um ihre Einheit (E. Gaugier).
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Von diesem Anliegen her sind auch die ersten grundlegenden Entscheidungen zu verstehen, mit denen die Altkatholiken ihre Kirchwerdung einleiteten. II. DIE GRUNDLEGENDEN ENTSCHEIDUNGEN
Wir können die geschichtlichen Vorgänge, die zu den ersten grundlegenden Entscheidungen und zur Konstituierung der altkatholischen Kirche geführt haben, hier nicht im einzelnen nachzeichnen. Wir beschränken uns darauf, sie selbst in ihrer grundsätzlichen Bedeutung hervorzuheben, und bringen die geschichtlichen Hintergründe nur soweit zur Darstellung, als das zu deren Verständnis notwendig ist. a) Die Münchner
Pfingsterklärung
Die im wesentlichen von Döllinger verfaßte und von den maßgebenden altkatholischen Führern mitunterzeichnete Erklärung erschien am 28. Mai 1871 in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" (Wortlaut siehe Anhang, S. 419). In dieser ausführlichen Erklärung wahren die von Rom Verurteilten ihren Standpunkt gegenüber der Öffentlichkeit u. a. mit folgenden Feststellungen: „Wir verwerfen die vatikanischen Dekrete, bleiben aber Katholiken nach dem Grundsatz, daß nur das katholisch ist, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist (Vinzenz von Lerin). Wir weisen die Drohungen der Bischöfe als unberechtigt und ihre Gewaltsmaßregeln als ungültig und unverbindlich zurück." Durch sie haben „weder die Gläubigen ihr gutes Recht auf die Gnadenmittel Christi noch die Priester ihre Befugnis, dieselben zu spenden, verloren". A m Schluß wird in einem feierlichen Appell der Hoffnung Ausdruck gegeben, „auf eine baldige Reform der katholischen Kirche und eine Vereinigung der jetzt getrennten christlichen Glaubensgenossenschaften, die von dem Stifter der Kirche gewollt und verheißen ist und die mit immer steigender Kraft der Sehnsucht von unzähligen Frommen . . . begehrt und herbeigerufen wird". Zugleich wurde an der Münchner Pfingstversammlung beschlossen, auf Ende September einen Kongreß nach München einzuberufen.
b) Der Katholikenkongreß
in München:
22.-24.
September
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Zum Kongreß erschienen über 300 Delegierte, aus Deutschland, Osterreich und der Schweiz, ebenso Gäste aus der russisch-orthodoxen, der anglikanischen und der evangelischen Kirche, sowie aus der Kirche von
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Utrecht. Das Schwergewicht lag auf den Verhandlungen der drei geschlossenen Delegiertenversammlungen, während die beiden öffentlichen Versammlungen im Glaspalast, die von über 8000 Männern besucht waren, mehr Kundgebungen nach außen waren. Wichtig w a r v o r allem das von der Delegiertenversammlung angenommene „Münchner P r o g r a m m " , das in Übereinstimmung mit den in Nürnberg und an Pfingsten in München erlassenen Erklärungen die Grundsätze und Folgerungen enthält, auf denen die Bewegung ihre w e i tere Tätigkeit aufbauen sollte. Das Programm umfaßt folgende sieben Punkte (Wortlaut siehe A n h a n g , S. 450): 1 . W i r halten fest an dem alten, katholischen Glauben, w i e er in Schrift und Tradition bezeugt ist, sowie am alten katholischen Kultus. W i r betrachten uns deshalb als vollberechtigte Glieder der katholischen Kirche. 2. W i r halten fest an der alten Verfassung der Kirche, w i r verwerfen jeden Versuch, die Bischöfe aus der unmittelbaren und selbständigen Leitung der einzelnen Kirchen zu verdrängen. W i r verwerfen darum die beiden vatikanischen Dekrete. 3. W i r erstreben unter der Mitwirkung der Wissenschaft eine R e f o r m der Kirche i m Geiste der alten Kirche und die Mitwirkung des Volkes an den kirchlichen Angelegenheiten. W i r erklären, daß der Kirche von Utrecht der Vorwurf des Jansenismus zu Unrecht gemacht wird. W i r hoffen auf eine Wiedervereinigung mit den orthodoxen Kirchen und auf eine Verständigung mit den protestantischen und bischöflichen Kirchen. 4. W i r halten bei der Heranbildung des katholischen Klerus die Pflege der Wissenschaft f ü r unentbehrlich (gegen die bloße Seminarausbildung gerichtet). 5. W i r halten zu den die bürgerliche Freiheit und Kultur verbürgenden Verfassungen unserer Länder und verwerfen auch aus diesem Grunde den päpstlichen Universalepiskopat. 6. W i r sprechen die Überzeugung aus, daß Frieden und Gedeihen, Eintracht in der Kirche und richtiges Verhältnis zur Gesellschaft nur dann möglich ist, wenn der Wirksamkeit des Jesuitenordens ein Ende gemacht wird. 7. Als Glieder der katholischen Kirche halten wir unseren Anspruch auf alle realen Güter und Besitztitel der Kirche aufrecht. D i e Frage w a r , wie dieses Programm durchgeführt werden sollte. F. v . Schulte stellte den Antrag, es sei „an allen Orten, w o sich das B e dürfnis einstellt und die Personen vorhanden sind, eine regelmäßige Seelsorge . . . und, sobald der richtige Moment gekommen ist, eine regelmäßige bischöfliche Jurisdiktion zu errichten". Diesem Antrag, der die
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Gründung selbständiger altkatholischer Gemeinden und eines eigenen Bistums zum Ziel hatte, trat Döllinger entgegen mit dem Einwand, damit werde die Grenze des Notstandes überschritten. Man solle nicht „Gemeinde gegen Gemeinde, Altar gegen Altar stellen". Es sei vielmehr vorzugehen nach dem Grundsatz „reformatio fiat inter ecclesiam" (Die Reform sei innerhalb der Kirche durchzuführen). Seine Meinung war, es müsse der altkatholische Widerstand innerhalb des römisch-katholischen Jurisdiktionsverbandes in der Form einer publizistisch-literarischen Protestbewegung weitergeführt werden. Wäre sein Rat befolgt worden, so wäre die altkatholische Bewegung als bloße „Bewegung" bald in sich zusammengebrochen. Angenommen wurde mit überwältigender Mehrheit (bei nur drei Gegenstimmen) der Antrag F. v. Schuhes auf die Gründung eigener Gemeinden. Damit hatte der Wille zur Kirchwerdung über die Tendenz, es bei einer bloßen „Bewegung" bewenden zu lassen, gesiegt, auch wenn er unter den gegebenen Verhältnissen nur auf die Errichtung einer Notkirche gerichtet sein konnte. Allzu schwerwiegend war die Differenz indessen nicht. Auf beiden Seiten war man sich einig über das zu erreichende Ziel: im Gehorsam gegen den Herrn katholisch zu bleiben. A n dieser Stelle sei eine kurze Bemerkung beigefügt zu der in der römisch-katholischen Literatur bis heute vertretenen These, Döllinger sei überhaupt gegen die altkatholische „Kirchengründung" gewesen und habe sich ihr darum nie „angeschlossen". Dazu ist zunächst festzustellen, daß dieser Argumentation eine falsche Vorstellung über die wirklichen Vorgänge zugrunde liegt. Auch andere, unbestrittenerweise altkatholische Theologen, Priester und sogar einzelne Gemeinden haben nicht daran gedacht, ihren „Anschluß" an die altkatholische Kirche und also auch ihren „Austritt" aus der römisch-katholischen Kirche ausdrücklich zu erklären (es sei denn, es geschah auf Verlangen staatlicher Organe). Sie unterließen das mit der Begründung, daß sich für sie durch die päpstlichen Dekrete nichts geändert habe, sie vielmehr nur weiterhin bleiben wollten, was sie bis jetzt gewesen waren: Katholiken schlechthin. Was Döllinger speziell betrifft, so hat er sich bei der für ihn charakteristischen Bindung an den hierarchischen Kirchenbegriff (die ihm F. v. Schulte auch vorgeworfen hat) und in einem gewissen Widerspruch zu den Erklärungen von Nürnberg und München als exkommunizierter Priester jeder kirchlichen Handlung enthalten. Nachdem er aber schon am i . Oktober 1871 erklärt hatte, „die Differenz bezüglich der Gemeindebildung erscheine . . . größer und breiter, als sie in Wirklichkeit war", hat er durch seinen persönlichen Einfluß und verschiedene Akte die altkatholische Kirchwerdung gefördert, so durch seine Mitunterzeichnung der Eingabe
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um Überlassung der Gasteigkirche für altkatholischen Gottesdienst in München, durch seine Zustimmung zu den Anträgen des Kölner Kongresses betr. die Organisation der Seelsorge, durch die Befürwortung der Wahl eines Bischofs, durch die Forderung nach einem eigenen Katechismus usw. Auch hat er vor seinem Tode die hl. Ölung aus den Händen eines altkatholischen Priesters (Prof. Friedrich) empfangen und ist altkatholisch bestattet worden. A m treffendsten hat wohl Bischof E. Herzog die Stellung Döllingers zur altkatholischen Kirche umschrieben: „Döllinger hat sich weder an unserer Gemeindebildung noch an unserem Gemeindeleben aktiv beteiligt, aber er hat uns die Wege gebahnt und ist uns mit seinem blanken Schild schützend zur Seite gegangen, und er hat seine geistigen Söhne niemals verleugnet." c) Der Altkatholikenkongreß in Köln: 20.-22. September 1872 Z u m Kongreß in Köln, der durch seine Zusammensetzung und seine Beschlüsse in der kirchlichen Öffentlichkeit ebenfalls einen nachhaltigen Eindruck hinterließ, erschienen 350 Delegierte aus ungefähr 100 Orten in Deutschland, an ihrer Spitze alle führenden Männer der altkatholischen Bewegung sowohl Deutschlands wie Frankreichs und der Schweiz (u. a. auch Ed. Herzog). Als Gäste waren zugegen der Erzbischof von Utrecht, zwei Bischöfe der Kirche von England, ein Bischof der amerikanischen Episkopalkirche und verschiedene Orthodoxe (Russen). Präsidiert wurde der Kongreß, der ähnlich organisiert war wie derjenige in München, von Prof. F. v. Schulte. An diesem Kongreß trat der Wille zur eigenen Kirchenbildung einhellig zutage. Das kam schon darin zum Ausdruck, daß man sich jetzt in bewußtem Gegensatz zu den „Neukatholiken", die die vatikanischen Dekrete angenommen hatten, als „altkatholisch" bezeichnete. Die Hauptaufgabe des Kongresses war es, die ersten Maßnahmen zur Schaffung einer verfassungsmäßigen Grundlage der Kirche zu treffen. In Ausführung der Münchner Entscheidung wurde zunächst eine provisorische Vorlage zur Organisation einer geregelten Seelsorge durchberaten und einstimmig angenommen. In dieser wird bestimmt, daß die Priester bei der bestehenden Notlage die Sakramente, „nicht nur gültig, sondern auch erlaubter Weise spenden können" und daß dabei „an den herkömmlichen liturgischen Einrichtungen nach Möglichkeit festzuhalten sei". Nur die ärgsten Mißstände wurden abgeschafft: die Erhebung von Stolgebühren und Meßstipendien, die Auswüchse des Ablaßwesens, der Heiligenverehrung, der Gebrauch von Skapulieren, gesegneten Medaillons usw. Betont wurde, daß diese Maßnahmen möglich seien ohne Änderung der
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bestehenden kirchlichen Gesetze. Gekrönt wurde die Vorlage durch die Einsetzung einer Kommission, die die W a h l eines Bischofs und eine entsprechende Wahlordnung (die nach altkirchlichem Recht Geistliche und Laien als Wähler anzuerkennen hatte) vorbereiten sollte. Eine weitere Kommission sollte die Ausarbeitung eines Statutes für die Gemeindeorganisation in die Hand nehmen. Eine andere betraf die Rechte der Altkatholiken gegenüber dem Staat. V o n größter Wichtigkeit endlich war die Aufstellung einer Kommission, die das Verhältnis zu den anderen Konfessionen abklären und Verhandlungen zur Anbahnung der Wiedervereinigung der getrennten Kirchen einleiten sollte. Das Präsidium dieser Kommission übernahm Döllinger, der sofort Besprechungen mit den in Köln anwesenden Vertretern der anglikanischen und der orthodoxen Kirche aufnahm. Die gefaßten Beschlüsse zeigen eindeutig, wie sehr die altkatholischen Theologen und Kanonisten darauf bedacht waren, durch eine möglichst sorgfältige Beachtung der geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen die Kontinuität mit der alten, vorvatikanischen Kirche zu wahren und auf dieser Grundlage die Gemeinschaft mit den bischöflichen Kirchen des Ostens und des Westens zu gewinnen. „ N i e hat" - urteilt E. Gaugier mit Recht - „der altkatholischen Kirche in ihrer Geschichte der Charakter einer Sekte angehaftet." d) Die Wahl eines Bischofs Die Vorbereitung der Bischofswahl nahm Prof. F. von Schulte als Präsident der in Köln gewählten „Bischofskommission" mit größter Umsicht an die Hand. Nachdem er sich in Verhandlungen mit dem preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzler, Bismarck, der staatlichen Z u stimmung versichert hatte, wurde am 4. Juni 1873 durch eine Abgeordnetenversammlung von 21 Priestern und 56 Laien in Köln der frühere Breslauer Theologieprofessor Josef Hubertus Reinkens zum ersten altkatholischen Bischof Deutschlands gewählt. A m 11. August empfing er in Rotterdam durch Bischof Heykamp von Deventer die katholische Bischofsweihe. Als „Katholischer Bischof der Altkatholiken des deutschen Reiches" wurde der altkatholische Bischof anerkannt v o n den Regierungen Preußens, Badens, Hessens (nicht aber Bayerns). Z u m erstenmal seit 600 Jahren war damit in Deutschland - wie F. v. Schulte feststellen konnte - ein Bischof von Klerus und V o l k ohne päpstliche B e stätigung gewählt worden. Durch den Empfang der Bischofsweihe aus den Händen des Bischofs von Deventer war auch die „apostolische Sukzession", was für die altkatholische Kirche besonders wichtig war, gesichert und damit der Zusammenhang mit der alten Kirche konkret-
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geschichtlich gewahrt. Reinkens, der sein bischöfliches Wirken unter das W o r t stellte „ W a s nicht aus Überzeugung geschieht, ist Sünde" (Rom. 14, 23) bot durch seine umfassende Bildung, seinen klaren und zielbewußten Aufbauwillen und seine tiefgläubige Verbundenheit mit der alten Kirche, deren Väter er ausgezeichnet kannte, wie kein Anderer Gewähr dafür, daß die altkatholische Kirche den W e g katholischer Kirchwerdung beschritt.
e) Der Altkatholikenkongreß in Konstanz: 12.-15. September 1873 Der dritte der drei großen Kongresse ist für die altkatholische Kirche von grundlegender Bedeutung geworden durch die Annahme des Entwurfes zu einer altkatholischen Synodal- und Gemeindeordnung. In der Hauptsache ausgearbeitet von F. v. Schulte, stellt er den groß angelegten Versuch dar, die bischöflich-synodale Verfassung der alten Kirche in neuzeitlicher Gestalt wiederherzustellen. Nach den allgemeinen Bestimmungen, in denen ausdrücklich gesagt wird, daß sich die Altkatholiken, „als in der katholischen Kirche stehend, alle den Katholiken zustehenden Rechte . . . vorbehalten und die eigene kirchliche Organisation nur provisorischen Charakter hat", werden die Rechte und Pflichten des Bischofs, der Synodalrepräsentanz, der Synode, der Gemeinden, Pfarrer und Hilfsgeistlichen genau abgegrenzt. Die grundsätzlich wichtigsten Bestimmungen sind: D e m Bischof kommen die Rechte und Pflichten zu, welche das gemeine Recht dem Episkopat beilegt. Gewählt wird der Bischof durch die Synode. Ihm zur Seite steht eine ebenfalls von der Synode zu wählende Synodalrepräsentanz, bestehend aus vier Geistlichen und fünf Laien. Den Vorsitz führt der Bischof, der zweite V o r sitzende ist ein Laie. Die Synode, die das oberste Verwaltungsorgan ist und ebenfalls v o m Bischof geleitet wird, besteht aus sämtlichen Geistlichen und den von den Gemeinden gewählten Laienabgeordneten. Jede Gemeinde steht bezüglich der Seelsorge unter der Leitung des Pfarrers und des Bischofs, in den übrigen Angelegenheiten wird die Gemeinde durch den Kirchenvorstand und die Gemeindeversammlung vertreten. Durch eine sinnvolle Verschränkung der Kompetenzen des Bischofs mit denjenigen der Synode und der Synodalrepräsentanz, der Geistlichen, der Laien und der Gemeinden ist die Forderung nach einer personenhaften Repräsentation der einen Kirche in jeder einzelnen Gemeinde und jeder Gemeinde in der ganzen Kirche im urchristlichen Sinne weithin erfüllt. Nach den Grundsätzen, die auf den Kongressen von München, Köln und Konstanz erarbeitet und beschlossen worden sind, hat sich dann die
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altkatholische Kirche in Deutschland konstituiert und mit gewissen traditions- und lokalbedingten Abwandlungen auch die altkatholischen Kirchen in der Schweiz und in Österreich.
III. DIE ALTKATHOLISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND
a) Die ersten kirchlichen Akte So wichtig und charakteristisch für die Entstehung der altkatholischen Kirche in Deutschland die öffentlichen Erklärungen, Kundgebungen und Kongreßbescliliisse waren, so hätte ihnen zufolge ihres vielfach doktrinären Charakters doch die kirchenbildcnde Kraft gefehlt, wenn sie nicht begleitet worden wären von entsprechenden kirchlichen Akten. Als erster spendete Prof. J. Friedrich im Sinne der Münchner Pfingsterklärung schon im Sommer 1871 altkatholischen Bekennern die Sakramente und hielt vom Oktober an in der von der städtischen Verwaltung überlassenen Gasteigkirche regelmäßig Gottesdienst. Nach dem Münchner Kongreß setzte eine rege Vortrags - und Aufklärungsarbeit ein, die zur Bildung der ersten Gemeinden und Kultusvereine in Bayern, Baden und Hessen führte. Im Juli 1872 wurde Erzbischof Loos von Utrecht nach Bayern eingeladen, um in den dortigen Gemeinden die hl. Firmung zu spenden. Die feste und klare Haltung, die der Kölner Kongreß eingenommen hatte, wie auch die Wahl und Weihe von Bischof Reinkens wirkten sich ebenfalls belebend auf die Gemeindegründung aus. Diese stand fortan unter der Leitung zweier „Aktionskomitees", die in München und in Köln ihren Sitz hatten. Durch die Beschlüsse des Kölner Kongresses legitimiert, hielten die Professoren Knoodt, Reusch und Langen auch in Bonn ihre ersten Gottesdienste. Ihnen folgten zahlreiche Geistliche im Rheinland und in Baden. Als großes Hindernis für die weitere Ausbreitung der altkatholischen Bewegung erwies sich der Mangel an Kirchen und an geeigneten Geistlichen. Die Aufsehen erregende Behandlung, die Pfarrer Dr. W . Tangermann in Unkel (Rheinland) erfahren hatte, übte auf viele altkatholisch gesinnte Geistliche innerhalb der römischen Kirche eine abschreckende Wirkung aus. Dieser war wegen seines Widerstandes gegen die neuen Dogmen durch die preußische Polizei zwangsweise aus seiner Pfarrei entfernt und seiner Einkünfte als verlustig erklärt worden. Trotz allen äußeren und inneren Schwierigkeiten bildeten sich aber in diesen ersten Jahren in Deutschland an die hundert Gemeinden und Gruppen, deren synodaler Zusammenschluß nunmehr einzuleiten war.
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b) Die ersten Synoden Die erste Synode des „Katholischen Bistums der Altkatholiken in Deutschland" trat am 27. Mai 1874 in Bonn zusammen. Sie war von 41 Geistlichen und 54 Laienabgeordneten besucht. Durch sie wurde die am Konstanzer Kongreß beschlossene „Synodal- und Gemeindeordnung" zum kirchlichen Gesetz erhoben und damit die Konstituierung der altkatholischen Kirche Deutschlands rechtlich vollzogen. Weitere Synoden folgten bis 1879 alljährlich, später noch alle zwei Jahre. Die ersten Synoden sind für die weitere Entwicklung der altkatholischen Kirchen, auch in den anderen Ländern, vor allem durch die an ihnen beschlossenen Reformen wegleitend geworden. Von ihnen seien hier die wichtigsten erwähnt. c) Die Reformen Es zeugt für das tiefe Verantwortungsbewußtsein der altkatholischen Führer der Gesamtkirche gegenüber, daß sie, bevor sie überhaupt daran gingen, Reformen auf dem Gebiete des Kultus und der Disziplin durchzuführen, sich über die diesbezügliche Zuständigkeit der Synode ausdrücklich Rechenschaft gaben. Prof. Reusch legte der ersten Synode geschichtlich und kirchenrechtlich wohl begründete „Grundsätze über Reformen im allgemeinen" vor, die zur Schlußfolgerung führten: „Die gegenwärtige Synode darf sich für berechtigt halten, solche Anordnungen zu beschließen, wie sie nach dem alten kirchlichen Rechte jede Partikularsynode zu erlassen befugt war." Vorausgesetzt war dabei - und das ist dann später auch förmlich ausgesprochen worden daß die Synode als Partikularsynode nicht bevollmächtigt ist, über Fragen des Glaubens Entscheidungen zu treffen. Diese bleiben vielmehr den allgemeinen Kirchenkonzilien vorbehalten. An diesen Grundsatz haben sich die altkatholischen Kirchen bis heute gehalten. 1. Die Ohrenbeichte In den Thesen über die Ohrenbeichte, die die erste Synode annahm, wird die große Bedeutung des Bußsakramentes als Heilsmittel betont, aber zugleich erklärt, daß keine allgemeine Verpflichtung bestehe, vor der Kommunion das Bußsakrament zu empfangen, ebensowenig eine Verpflichtung, wenigstens einmal im Jahre zu beichten, wie sie erst durch das 4. Laterankonzil von 1215 im Abendland allgemein eingeführt worden ist. Eine religiöse Verpflichtung zur speziellen (persönlichen) Beichte besteht nur bezüglich solcher Vergehen, durch welche jemand
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sich b e w u ß t ist, die göttliche Gnade verloren zu haben. Es w i r d ferner eine allgemeine Bußandacht in Aussicht g e n o m m e n , die aber nicht an die Stelle der sakramentalen Beichte treten soll. D u r c h diese Thesen ist, w i e F. v . Schulte bemerkt, die Anschauung beseitigt, daß der Katholik nur durch den Priester sein Heil w i r k e n könne und an deren Stelle das B e wußtsein der eigenen Verantwortlichkeit gesetzt. 2. Das Fasten In den v o n Prof. Langen begründeten „Erklärungen über Fasten und A b s t i n e n z " w i r d die altkirchliche Ü b u n g des Fastens bejaht und an den bestehenden Fasttagen und -Zeiten festgehalten. H i n g e g e n w e r d e n alle gesetzlich-kasuistischen Bestimmungen über das Fasten und die M e i n u n g , daß deren Übertretung als Sünde zu gelten habe, zurückgewiesen. A b gelehnt w i r d auch die Erteilung v o n Dispensen g e g e n Geldspenden. D u r c h solche Praktiken w i r d der Sinn des Fastens verdunkelt, das wesentlich eine freiwillige Gehorsams- und B u ß ü b u n g sein soll. D a m i t ist - w i e F. v . Schulte bemerkt - „der N i m b u s des Hierarchischen gewichen, nicht mehr beliebige gleichgültige D i n g e verbieten oder gebieten zu können unter einer Sünde". 3. Die Feiertage In den Erklärungen bezüglich der Feiertage, die v o n der 2. Synode 1875 a n g e n o m m e n w u r d e n , w i r d es als ratsam bezeichnet, „außer den Sonntagen nur w e n i g e T a g e als gebotene Feiertage i m eigentlichen Sinne beizubehalten". Diese aber sind in ihrer ursprünglichen
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wiederherzustellen: so ist der 6. Januar nicht das Fest der hl. 3 K ö n i g e , sondern das der Erscheinung des Herrn; der zweite Februar nicht Mariae Lichtmess, sondern der T a g der Darstellung Jesu i m T e m p e l ; der 15. A u g u s t nicht Mariens Himmelfahrt, sondern Mariens H e i m g a n g usf. Prozessionen, w o solche n o c h üblich sind, sollen nur innerhalb der K i r c h e selbst durchgeführt w e r d e n . 4. Katechismus und Lehrbücher D a die bisherigen Katechismen und Religionsbüchcr in; Sinne des Papalismus abgeändert w o r d e n waren, w u r d e v o n der 3. S y n o d e 1876 ein v o n Prof. Langen bearbeiteter Katechismus a n g e n o m m e n , in w e l c h e m der überlieferte katholische Glaube festgehalten und die Lehre über die alte Kirchenordnung besonders ausführlich dargelegt wird. Er diente den meisten späteren altkatholischen Katechismen und Religionsbüchern als Grundlage.
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5. Die Liturgie Auch bei den liturgischen Reformen ging man behutsam vor. Die entscheidende Neuerung war die Einführung der Landessprache. Zunächst gab man auf Grund eines Beschlusses der 2. Synode (1875) ein von Prof. Reusch bearbeitetes deutsches Rituale heraus. 1880 wurde der Gebrauch der deutschen Sprache wenigstens für gewisse Teile der Meßliturgie zugelassen. 1885 gab die Synode ihre Zustimmung zu einer deutschen Bearbeitung der ganzen Meßliturgie, die A . Thürlings, ein hervorragender Liturgiker und Hymnologe, in engem Anschluß an das Missale Romanum herausgab. Sein klassisch zu nennendes W e r k , das sich an die besten liturgischen Traditionen der abendländischen Kirche hält und dem gregorianischen Gesang wieder den ihm gebührenden Platz einräumt, wurde später durch vereinfachende Fassungen ersetzt. 1959 erschien das hauptsächlich von K . Pursch nach den neuesten liturgiegeschichtlichen Erkenntnissen umgestaltete „Altarbuch für die Feier der hl. Eucharistie". Wichtig für die praktische Ausgestaltung des gottesdienstlichen Lebens waren auch die von Prof. Reusch ausgearbeiteten und durch die 4. Synode (1877) angenommenen Beschlüsse über die Feier der hl. Messe. Darin wird u. a. bestimmt: 1. U m der Gnadengaben der hl. Messe teilhaftig zu werden, ist die Kommunion das beste Mittel. Es sollte also die allgemeine Gemeindekommunion der Normalfall werden. 2. Es soll an Werktagen nur zelebriert werden, wenn auf die Teilnahme eines angemessenen Teiles der Gemeinde zu rechnen ist. 3. In die Messe können und sollen Fürbitten für einzelne Personen aufgenommen werden, nicht aber sollen Messen für einzelne Personen appliziert werden. 4. Es soll nach dem Tode jedes Erwachsenen nur ein Requiem gehalten werden, wobei aber den örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen ist. 5. Jahrzeiten sind nur zu halten, wenn anzunehmen ist, daß Angehörige dem Gottesdienst beiwohnen. Über Meßstiftungen entscheidet der Bischof. Im Hintergrund dieser geschichtlich wohlbegründeten Meßreformen stand das Bestreben, den katholischen Gottesdienst wieder so zu feiern, wie er ursprünglich gemeint war: als Gemeindegottesdienst. 6. Der Dispens vom Zölibatszwang Nach langem Zögern, scharfen Auseinandersetzungen und unter der ausdrücklichen Unterstreichung des hohen Wertes des freiwillig über-
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nominenen Zölibates beschloß die 5. Synode (1878) auf Antrag von Pfarrer A. Thürlings, daß das Verbot des kanonischen Rechtes, eine Ehe einzugehen, in der altkatholischen Gemeinschaft kein Hindernis für die Ehe von seiten der Geistlichen bilden solle. Begründet wurde der B e schluß damit, daß der Priesterzölibat nicht dogmatischen, sondern disziplinaren Charakter hat und daß eben darum auch eine Synode über dessen Aufhebung entscheiden könne. Das wurde zwar von Prof. Reusch und anderen bestritten. Ihnen gegenüber erklärte F. v. Schulte, es solle am Gesetz als solchem nicht gerührt werden, wohl aber die altkatholische Geistlichkeit von ihm ein für allemal dispensiert werden. In dieser Form wurde der Antrag Thürlings angenommen. Aufs Ganze gesehen sind die Reformen getragen vom Geiste eines gesunden Konservativismus, lassen aber andererseits die Freiheit und persönliche Verantwortung des Einzelnen vor Gott wieder voll zu ihrem Rechte kommen. Gerade dieses Miteinander von Traditionsgebundenheit und freier Entscheidungsmöglichkeit ist, wie für den ganzen Aufbau der altkatholischen Kirche, so auch für die von ihr durchgeführten Reformen charakteristisch. Beizufügen bleibt noch, daß neben diesen kirchenamflichen Maßnahmen zur Förderung und Ordnung des religiösen Lebens die führenden Theologen eine Reihe von religiösen Schriften und Andachtsbüchern herausgaben, unter denen besondere Erwähnung verdienen das „Gebetbuch für katholische Christen" von F. H. Reusch und das „Christkatholische Andachtsbuch: „Gott, meine einzige Hoffnung" von J. Friedrich (1872). d) Das Verhält nis zum Staat
Zur äußeren Festigung der im Werden begriffenen altkatholischen Kirche war naturgemäß eine gesetzliche Regelung des Verhältnisses zum Staat unumgänglich. Zwar sind, wie entgegengesetzten Behauptungen gegenüber festgehalten sei, der altkatholischen Kirche von seiten des Staates nie spezielle Vergünstigungen noch besondere aktive Hilfeleistungen zuteil geworden. Im Gegenteil: Die Altkatholiken mußten um die staatliche Anerkennung und die daraus ihnen zufließenden Rechte kämpfen. Sie wurde ihnen zugesprochen durch die im Erlaß des preußischen Königs vom 19. August 1873 erfolgte Anerkennung Bischof Reinkens als des „Katholischen Bischofs der Altkatholiken in Deutschland", womit auch die Anerkennung seines Bistums als eines „Personalbistums" analog dem preußischen Militärbistum ausgesprochen war. Vorausgesetzt blieb dabei die staatsrechtliche Einheit der römischkatholischen und der altkatholischen Kirche, wobei die letztere - auch
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nach ihrem Selbstverständnis - als eine Diözese innerhalb der Einen katholischen Kirche galt. Auf dieser Grundlage wurden 1874 in Baden und 1875 in Preußen die „Altkatholiken-Gesetze" erlassen. Diese bestimmen, daß die staatlichen Gesetze bezüglich der römischen Kirche auch auf die Altkatholiken Anwendung finden sollen. Diese sind berechtigt, eigene kirchliche Gemeinschaften zu gründen, unter der B e dingung allerdings, daß „eine ansehnliche Zahl von Altkatholiken und für die Bestreitung der kirchlichen Bedürfnisse die erforderlichen Mittel für einige Jahre vorhanden sind." Die beiden letzteren Bestimmungen zu interpretieren, wurde der staatlichen Verwaltung überlassen. Diese aber legte sie, wenn es um die Zuteilung der Kirchen oder um die Ausscheidung des Kirchenvermögens ging, seit 1882 (nachdem der Staat mit Rom Frieden geschlossen-hatte) sehr oft zu Ungunsten der Altkatholiken aus. Dadurch kam es zu unaufhörlichen Meinungsverschiedenheiten und Prozessen mit den römisch-katholischen Partnern, die jahrzehntelang die besten Kräfte der altkatholischen Kirchenleitung in Anspruch nahmen und oft genug mit dem Verlust bereits zugesprochener Kirchen und Vermögensanteile endeten. Besonders schlimm war die Lage in Bayern, w o 1882 der Magistrat den Altkatholiken die Gasteigkirche in München entzog und nach dem Tode Döllingers 1890 die Kirche zur Privatgenossenschaft erklärte. Diese war hinfort den größten Polizeischikanen ausgesetzt. (So durften keine Kirchenglocken geläutet werden, die Priester keine Paramente tragen, der Bischof weder Mitra noch Stab.) Erst 1919 wurde die altkatholische Kirche in Bayern als öffentlich-rechtliche Korporation anerkannt. Der unerquickliche, durch Jahrzehnte sich hinziehende Kampf der Altkatholiken um die ihnen zukommenden Rechte war - wie F. von Schulte bemerkt - insofern unvermeidlich, als die Altkatholiken nur auf diesem Wege ihren Öffentlichkeitsanspruch, keine Sekte, sondern Katholiken zu sein, aufrechterhalten und bei der damals noch sehr engen Verflechtung von staatlichem und kirchlichem Recht im Zivilstands- und Schulwesen sich die Freiheit des Gewissens und die ungehinderte Ausübung ihres Glaubens wahren konnten. In seinen schärfsten Auswirkungen gehört dieser Kampf glücklicherweise der Vergangenheit an. Geblieben ist den Altkatholiken durch alle politischen Umwälzungen der Jahre 1919, 1933 und 1945 hindurch die staatliche Anerkennung. „Die altkatholische Kirche in Deutschland" ist heute in fast allen Ländern der Bundesrepublik als „katholisches Bistum" anerkannt. Das Bistum und die staatlich anerkannten Parochien gelten als Körperschaften des öffentlichen Rechtes und nehmen dadurch mit den Großkirchen teil am Recht der Inanspruchnahme staatlicher Mitwirkung beim Einzug der Kirchen-
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steuern. In Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bestehen Landessynoden, die von den Gemeinden her durch Übertragung von Vollmachten gebildet und v o m Bistum anerkannt, zwar keine Kirchenhoheit wie die Bistumssynode besitzen, die aber über die von ihnen gewählten Landessynodalräte in Verwaltungsfragen und vor allem im Steuer- und Besoldungswesen ein nicht geringes Gewicht gewonnen haben. Nicht unerwähnt sei, daß die altkatholische Kirche Deutschlands am sog. Kulturkampf, der 1871 einsetzte und bis 1878 andauerte, keinen Anteil hatte. Im Kulturkampf, den Bismarck, beraten hauptsächlich durch die Gelehrten Hinschius und Friedberg, sowohl in Preußen wie im Reich mit äußerster Schärfe gegen die römische Kurie führte, ging es um ganz andere Ziele: um die Neuregelung der sog. res mixtae, die Ausmarchung der staatlichen und kirchlichen Kompetenzen in Fragen des Zivilstandswesens, der Schule, des Gerichtswesens usf. Sie war notwendig geworden, weil R o m an seinem alten Anspruch festhielt, diese res mixtae nach seinem eigenen kanonischen Recht zu regeln, während das Reich eine gesetzliche Regelung nach den Prinzipien des modernen, konfessionell-neutralen Rechtsstaates anstrebte und darum die obligatorische Zivilehe, die bürgerliche Standesbuchführung, die Trennung von Kirche und Schule, die Säkularisierung der Armenpflege usf. forderte. W o h l bejahten die Altkatholiken, wie überall so auch in Deutschland, diese Forderungen des Staates, aber sie lehnten den unerfreulichen Kampf ab, der u. a. zur Sperrung des Gehaltes, zur Amtsenthebung und Einkerkerung vieler römisch-katholischer Bischöfe und Geistlicher geführt hat. Bischof Reinkens hat in einer eigenen Schrift geurteilt, daß der Kulturkampf der altkatholischen Sache aufs schwerste geschadet und sie an ihrer weiteren Ausbreitung gehindert hat.
e) Weitere Entwicklung Im Verlauf ihrer weiteren Geschichte hat die altkatholische Kirche Deutschlands ihren inneren und äußeren Bestand nach den großen Richtlinien, die ihr die Führer der ersten Zeit gegeben haben, treu bewahrt und sorgfältig weiter ausgebaut. Wichtig war naturgemäß vor allem die Ausbildung einer in den altkatholischen Grundsätzen unterrichteten Geistlichkeit. In den ersten Jahrzehnten konnten die Professoren Reusch und Langen unter dem Schutze des Staates an der katholischtheologischen Fakultät der Universität Bonn weiter ihre Vorlesungen halten, der erstere in Dogmatik, der letztere in Kirchengeschichte. Daneben entfalteten sie, wie auch Bischof Reinkens und die Professoren
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Friedrich und Huber in München eine reiche, heute noch nicht ausgeschöpfte literarische Tätigkeit, in der sie die wichtigsten Positionen der altkatholischen Kirche geschichtlich ausführlich begründeten. Nach dem Tode von Reusch und Langen wurde an der philosophischen Fakultät ein eigenes Seminar zur Heranbildung altkatholischer Theologen eingerichtet, das heute mit einem Lehrauftrag für systematische Theologie, einer planmäßigen Assistentenstelle und einer beachtlichen Bibliothek als „Altkatholisches Seminar der Universität Bonn' unmittelbar dem Rektor und Senat unterstellt ist. Daneben wurde 1887 auf Initiative von Bischof Reinkens ein bischöflich-theologisches Seminar mit Konvikt errichtet. Auch das Pressewesen wurde ausgebaut. Z u erwähnen sind vor allem das von F. H. Reusch von 1866 bis 1877 herausgegebene „Theologische Literaturblatt" und der „Deutsche Merkur", welch letzterer bis 1899 erschienen ist. Beide Zeitschriften dienten hauptsächlich der Auseinandersetzung mit theologischen Zeitfragen. Die Organisierung und der geistige Zusammenschluß der Gemeinden, die über ein weites Reichsgebiet zerstreut waren, hat die Kirchenleitung von Anfang an vor große, fast unlösbare Aufgaben gestellt. A n der ersten Synode (1874) wurde mit einer Gesamtseelenzahl von 70000 gerechnet. Von den Gemeinden lagen 21 im Rheinland, 4 in Ostpreußen, 10 in Schlesien, 5 in Hessen, 2 in Oldenburg, 1 in Württemberg, 44 in Baden und 34 in Bayern. Bei dieser Sachlage und bei den oben geschilderten, aus den Altkatholikengesetzen sich ergebenden Schwierigkeiten war es verständlich, daß sich eine ganze Reihe von Gemeinden in ihrer Isoliertheit nicht zu halten vermochten. Auch durch die beiden Weltkriege erlitt die Kirche schwere Verluste. Zweimal wurden alle angesammelten Fonds entwertet. Durch den Zweiten Weltkrieg gingen ihr die aufblühenden Gemeinden in Schlesien vollständig verloren, im Westen wurden fast die Hälfte der Kirchen und Einrichtungen sowie viele Pfarrhäuser zerstört. In opfervoller Kleinarbeit und umsichtiger Planung gelang ihr der Wiederaufbau und eine den neuen Verhältnissen angepaßte Neuorganisierung. Die erlittenen Verluste wurden zum Teil wettgemacht durch die Zuwanderung der aus der Tschechoslowakei vertriebenen deutschsprachigen Altkatholiken. Für diese konnten an einigen Orten neue Kirchen und eigene Gemeindezentren geschaffen werden. Ein erheblicher Teil der Altkatholiken wohnt in der Diaspora. Heute ist das ganze Gebiet der Bundesrepublik auf die bestehenden Pfarrämter und Gemeinden mit den dazugehörigen Diasporabezirken aufgeteilt, so daß im großen und ganzen der Bestand der Altkatholiken seelsorglich voll erfaßt wird. Nicht verschwiegen sei, daß auch verschiedene innere Krisen der Kirche
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zeitweise stark zugesetzt haben. Schon die Krise um die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung erschütterte eine Reihe von Gemeinden, besonders im Rheinland und in Bayern, schwer. Der die Geschichte der altkatholischen Kirche in Deutschland durchziehende Zwiespalt zwischen Konservativen und Liberalen machte sich dabei deutlich bemerkbar. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hatten nicht wenige Altkatholiken zur Stützung ihrer kirchlichen Ziele politisch allzu sehr Anlehnung gesucht am national-liberalen Gedankengut und dann später zum Teil wieder am Nationalsozialismus, dessen Dämonie zu spät erkannt wurde. Doch waren das vorübergehende Irrungen, von denen sich die heutige altkatholische Kirche befreit und durch ihre maßgebenden Führer auch ausdrücklich distanziert hat. Heute ist sie sich ihres katholischen Erbgutes, wie auch ihrer übernationalen ökumenischen Sendung voll bewußt und ist bestrebt, ihr wesentliches Anliegen in Theologie und im kirchlich-gottesdienstlichen Leben in einem vertieften Sinne zur Geltung zu bringen. f ) Heutiger Bestand Sitz des Bischofs ist Bonn. In Bonn befindet sich auch das Bischöflichtheologische Seminar, der Lehrstuhl f ü r altkatholische Theologie an der Universität, das Studentenheim „Döllingerhaus", das Mutterhaus der altkatholischen Schwesternschaft und die Zentralverwaltung. A n Presseorganen sind zu erwähnen die allmonatlich erscheinende „ A l t katholische Kirchenzeitung" und das „Altkatholische Jahrbuch". Das Bistum umfaßt heute 45 Haupt- und 1 5 0 Filialgemeinden. Gesamtseelenzahl in beiden Teilen Deutschlands: etwa 25 000.
I V . D I E CHRISTKATHOLISCHE KIRCHE DER SCHWEIZ
In der Schweiz wurde der kirchliche Widerstand gegen die vatikanischen Dekrete lange Zeit durch den politischen Kampf in den Hintergrund gedrängt. Dieser nahm zeitweise kulturkämpferische Formen an, was der Sache der christkatholischen Kirche und ihrem eigentlichen Anliegen nicht wenig geschadet hat. Die politisch-liberalen Kreise der 70er Jahre waren vielfach der Meinung, daß die von ihnen geforderte Revision der Bundesverfassung von 1848, die einen weiteren Ausbau der Volksrechte bringen sollte und die dann 1874 v o m Schweizervolk angenommen wurde, vollauf genüge, um die befürchteten Auswirkungen der vatikanischen Beschlüsse auf das öffentliche Leben einzuschränken.
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Gleichzeitig noch einen Kirchenkampf zu entfesseln, wurde in politischen Kreisen als „inopportun" betrachtet. Hinzu kam, daß der schweizerische Liberalismus in seinem kirchenpolitischen Denken durchaus nicht einheitlich war. Mit eine Folge davon war, daß sich die kirchlichen und die politischen Strebungen und Ereignisse dauernd überschnitten. Die komplizierten Vorgänge, die schließlich zur Bildung der christkatholischen Kirche geführt haben, sind darum am besten zu verstehen, wenn der politische und der kirchliche Kampf gesondert betrachtet werden. a) Der politische
Kampf
Während in Deutschland der politisch-staatsrechtliche Kampf gegen die kurialen Ansprüche hauptsächlich durch die Regierungen und Parlamente geführt wurde, kam in der schweizerischen Demokratie in viel höherem Maße das Volk selbst zum Wort, vor allem durch öffentliche Versammlungen und politische Abstimmungen. Schon am 3. April 1870 hatte eine vom aargauischen Landammann Augustin Keller nach Langenthal einberufene Volksversammlung an den Bundesrat eine Adresse gerichtet, um ihn vor den Folgen der beabsichtigten Papstdogmen für das öffentliche Leben zu warnen. Als diese am 18. Juli 1870 verkündet wurden, ließ der kantonale Diözesanverband des Bistums Basel (der, im Jahre 1828 gegründet, die Kantone Aargau, Baselland, Bern, Luzern, Solothurn, Thurgau und Zug umfaßt) durch seinen Präsidenten, den solothurnischen Landammann Wilhelm vonVigier den Bischof von Basel, Lachat, wissen, er möge von einer Veröffentlichung der päpstlichen Dekrete absehen. Bischof Lachat hielt sich nicht daran, sondern erklärte in seinem Hirtenbrief vom 6. Februar 1871 die Annahme der neuen Dogmen als Glaubenspflicht aller Katholiken. Die meisten Geistlichen verlasen den Hirtenbrief, andere übergingen ihn mit Stillschweigen. Nur Pfarrer Egli in Luzem gab von der Kanzel eine scharfe Protesterklärung ab und veröffentlichte dieselbe in der Tagespresse. Darauf wurde er seines Amtes enthoben und exkommuniziert. (Pfarrer Paulin Gschwind in StarrkirchDulliken, der der bischöflichen Kurie in Solothurn als Gegner der päpstlichen Dogmen bekannt war, blieb vorläufig unbehelligt.) Die Verurteilung Eglis hatte in den liberalen Kreisen eine große Erregung zur Folge. Es kam im Frühjahr 1871 zu großen Protestversammlungen der „freisinnigen Katholiken", so in Luzern, Solothurn, Bern, Baden, Arlesheim. Am 18. September 1871 versammelten sich ungefähr 380 Abgeordnete der freisinnigen Katholiken-Vereine, die sich überall in der Schweiz zu bilden begannen, in Solothurn zu einem Katholikenkongreß,
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an dem die Bildung eines „schweizerischen Vereins Freisinniger Katholiken" und die Schaffung eines Zentralkomitees beschlossen wurde. Die Verhandlungen des Kongresses standen noch stark unter dem Leitgedanken, daß die befürchteten Machtansprüche der römischen Kirche politisch mit den Mitteln des Staatsrechtes (Revision der Bundesverfassung) zu bekämpfen seien. Als einziger Theologe war Pfarrer Egli erschienen, der die Stiftung altkatholischer Gemeinden forderte. Bedeutungsvoll war immerhin, daß man eine Dreierdelegation an den bevorstehenden Münchner Katholikenkongreß abordnete. Das war ein Zeichen dafür, daß man bereits „nach einer neuen Kirchlichkeit tastete" (O. Gilg) und vereinzelt eine Organisation der christlichen Gemeinde im Sinne „des ursprünglichen Zustandes" anstrebte. Allein, praktisch wurden daraus keine Folgerungen gezogen. Es blieb auf diesem Kongreß, wie an den vorangegangenen Versammlungen, bei Protesten und sehr allgemein gehaltenen Forderungen. Eine kirchengründerische Kraft ging von ihnen nicht aus. In diesem stark politisch bedingten Kampf gegen das Vatikanum war bis jetzt ein Mann im Hintergrund geblieben, der der unbestrittene Führer der christkatholischen Kirche der Schweiz werden sollte, der bedeutende Theologe Eduard Herzog, Professor für Neues Testament an der theologischen Fakultät in Luzern. Seit dem April 1870 hatte er zusammen mit zwei Gesinnungsfreunden in der „Stimme aus den Waldstätten" vom Boden der Hl. Schrift und der alten Kirche her gegen die neuen Lehren angekämpft. Angefeindet und von seinen nächsten Mitarbeitern verlassen, stand Herzog bald allein. So folgte er im September 1872 schweren Herzens einem an ihn ergangenen Ruf als Pfarrer an die altkatholische Gemeinde in Krefeld. Seine zahlreichen Freunde veranstalteten für ihn eine Abschiedsfeier, an der ihm für seinen Kampf die Sympathien ausgesprochen wurden und der Luzerner Schultheiss Nikolaus Dula das bedeutungsvolle Wort zurief: „Bleiben Sie katholisch, sonst hat der Schritt, den Sie jetzt getan haben, keinen Wert." Von Köln aus, w o er am II. Altkatholikenkongreß teilnahm, richtete Herzog unter dem 23. September 1872 an Bischof Lachat seinen Absagebrief. Das Schreiben, in welchem er erklärt, daß er die vatikanischen Glaubenssätze ehrlicherweise nicht annehmen könne und einem Christentum dienen wolle, das den Menschen freimacht und ihn nicht geistig knechtet, schließt mit den Worten „Hochwürdigster Herr Bischof, ich weiß, wie sehr es Sie schmerzt, durch Ihre hierarchische Stellung gezwungen zu sein, auch über mich die Exkommunikationsformel aussprechen zu müssen. Es gab eine Zeit, da ich Ihr Anathem nicht ertragen hätte. Heute doch gewärtige ich es mit der vollkommensten Seelenruhe, denn ich habe die freudige
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Zuversicht, trotz Ihrer Exkommunikation ein Glied zu sein an dem lebendigen Leibe Christi; wenn auch nicht mehr mit demselben Glauben mit Ihnen verbunden, so hoffe ich doch, daß Sie mir auch in Zukunft die Gemeinschaft der Liebe und des Gebetes gönnen werden." Nach dem Wegzug Ed. Herzogs, der bei vielen rom-treuen Katholiken, vor allem auch beim Luzerner Staatsmann Phil. Anton von Segesser, hohes Ansehen genossen hatte, ging Bischof Lachat mit größter Schärfe gegen Pfarrer Paulin Gschwind in Starrkirch-Dulliken vor, der sich in der Öffentlichkeit wiederholt gegen die neuen Dogmen ausgesprochen hatte. A m 30. Oktober 1872 wurde er als Pfarrer abgesetzt und über ihn die große Exkommunikation verhängt. Durch diese Maßnahme des Bischofs flammte der Kampf wieder neu auf, der nun aber nicht nur politisch, sondern auch kirchlich weittragende Folgen haben sollte. Politisch von Bedeutung war zunächst, daß der abgesetzte Pfarrer Paulin Gschwind sofort den Schutz der Regierung in Solothurn anrief. Diese erklärte in einem Schreiben an den Bischof, daß die Absetzung, die ohne staatliche Bewilligung erfolgt war, ungesetzlich sei. Die Gemeinde selbst hielt in ihrer überwiegenden Mehrheit zum Pfarrer. Die Regierung, die sich vor die Frage gestellt sah, ob der Bischof sich über die Gesetze des Staates hinwegsetzen könne, beschloß am 29. Januar 1873 im Einverständnis mit 5 von 7 Diözesenständen die Amtsentsetzung des Bischofs. Ein Rekurs an den Bundesrat wurde zurückgewiesen. A m 17. April mußte Bischof Lachat Solothurn verlassen und nahm seinen Wohnsitz in Altishofen im Kanton Luzern. Die römischkatholischen Geistlichen des Kantons Solothurn, die sich gegen diese Maßnahmen aufzulehnen anschickten, gaben unter dem Druck der öffentlichen Meinung nach und vermieden damit, daß es im Kanton Solothurn zum Äußersten kam. Z u einer bedeutend schärferen Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der römisch-katholischen Kirche kam es im Kanton Bern. Der Beschluß der Amtsenthebung von Bischof Lachat war von der Berner Regierung bestätigt worden. Die römisch-katholischen Geistlichen im Jura hielten aber in ihrer überwiegenden Mehrheit zu ihrem Bischof und setzten, trotz dem Verbot der Regierung, den Verkehr mit ihm fort. Darauf wurden sie durch die Regierung abberufen und, als sie sich ihrer Abberufung widersetzten, des Landes verwiesen. In dem am 18. Januar 1874 durch das Volk angenommenen Kirchengesetz wurde hierauf die Wahl der Geistlichen durch das Volk vorgeschrieben. Da aber Papst Pius IX. dieses Gesetz „für immer" verwarf, beteiligten sich die römischkatholischen Gläubigen nicht an den Wahlen und so wurden von den politisch freisinnigen Katholiken an die vakant gewordenen Pfarrstellen
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sog. liberale Geistliche gewählt, die meistens aus Frankreich kamen. Diese „Staatspastoren", wie sie spöttisch genannt wurden, waren nach ihrer Grundhaltung vielfach alles andere als altkatholisch. Ihre Gemeinden waren kleine Minderheiten. Formell schlössen sie sich zwar der christkatholischen Kirche an. Die Zustände wurden aber allmählich unhaltbar, zumal die des Landes verwiesenen römisch-katholischen Geistlichen im Geheimen ihre Tätigkeit auf Berner Boden fortsetzten. Als Leo XIII. zuließ, daß die römisch-katholischen Gläubigen an den Wahlen sich beteiligten, brach die ganze künstliche Bewegung in sich zusammen. Die meisten Gemeinden unterstellten sich wieder der römischkatholischen Jurisdiktion. Christkatholisch blieben 4 Gemeinden: Bern, Biel, St. Immer, Laufen. Z u ähnlich unerfreulichen Ereignissen kam es im Kanton Genf. Dort hatte der Papst Pfarrer Caspar Mermillod zum Apostolischen Vikar mit den Vollmachten eines Diözesanbischofs eingesetzt. Das widersprach den Gesetzen des Landes und wurde in der Stadt Calvins begreiflicherweise als Herausforderung empfunden. Als Mermillod trotz der Vorstellungen der Genfer Regierung auf der Ausübung bischöflicher Funktionen beharrte, wurde er auf Antrag der Genfer Regierung v o m Bundesrat aus der Eidgenossenschaft ausgewiesen. Durch das Kirchengesetz v o m 23. März 1873, das die Wahlen der Geistlichen durch das V o l k vorschrieb, war den liberalen Katholiken auch hier die Möglichkeit gegeben, nicht römisch-katholisch gesinnte Geistliche zu wählen. Nach Genf wurden eine Reihe bedeutender Pfarrer gewählt, u. a. Père Hyacinthe Loyson, der aber bald wieder nach Paris übersiedelte. Nach und nach wurden etwa 20 Pfarreien mit liberalen Geistlichen besetzt, die ebenfalls meistens Ausländer waren. Auch sie waren zum Teil Hirten ohne Herde. Die freisinnigen Katholiken, die den Kampf hauptsächlich aus politischen Gründen aufgenommen hatten, waren allzu zahlreich und die kirchlich gesinnten Altgläubigen von Anfang an in' der Minderheit. Die meisten dieser politischen Gemeindegründungen konnten sich nicht halten. Der Kern der kirchlich gesinnten Anhänger sammelte sich in den Gemeinden der Stadt Genf (Kirche St. Germain) und in Grand-Lancy-Carouge. Mit der Annahme der revidierten Bundesverfassung am 19. April 1874 flaute der unselige Kulturkampf allmählich ab. Für die Politiker war das Hauptziel erreicht, waren doch durch die verschärften Kirchenartikel, wie der Bundesrat in seiner Botschaft an das Schweizervolk erklärte, nicht nur die Ansprüche des Syllabus und die vatikanischen Dekrete zurückgewiesen, sondern auch die Enzyklika des Papstes v o m 21. N o vember 1873, durch die dieser das Vorgehen des Bundesrates in der MermillodafFäre und die kantonalen Kirchengesetzgebungen verurteilt
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hatte. Der Bestand des liberalen Rechtsstaates konnte als gesichert gelten. Die Sache der alten Kirche aber, die den christkatholisch Gesinnten am Herzen lag, schien für die Öffentlichkeit nicht mehr aktuell zu sein. Man wird bei dieser Sachlage nicht wohl behaupten können, daß die christkatholische Kirche aus dem Kulturkampf „hervorgegangen sei". Richtig ist nur, daß durch den Kulturkampf, der zwischen dem liberalen Rechtsstaat und der römischen Kurie um die Ausscheidung der staatlichen und kirchlichen Kompetenzen ausgefochten wurde, die staatsrechdichen Voraussetzungen geschaffen wurden, auf deren Grundlage sich dann die christkatholische Kirche rechtlich konstituieren konnte. Auch haben sich einige (aber lange nicht alle) katholisch-liberalen Politiker, die am Kulturkampf beteiligt waren, nachher zur christkatholischen Kirche bekannt, so Augustin Keller, Wilhelm von Vigier, Albert Brosi, Simon Kaiser, Peter Dietschi. Es fehlte aber auch nicht an Altkatholiken, die entschiedene Gegner des Kulturkampfes waren (Adrian von Arx). b) Der kirchliche Kampf Die Absetzung von Pfarrer Paulin Gschwind, die den liberalen Politikern den Anlaß zu ihrem auf breiter Front geführten Kampf gegeben hatte, war für die altkatholisch gesinnten Kreise das Signal, den Kampf auf kirchlicher Ebene in anderer Weise aufzunehmen. Der erste und entscheidende Schritt dazu ging von Professor Walter Munzinger aus (f 1873), der seit 1854 als Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Bern wirkte. „Ohne ihn wäre es, soweit Menschen zu sehen vermögen, nicht zur Bildung christkatholischer Gemeinden gekommen, ohne ihn hätte sich keine christkatholische Nationalkirche konstituieren können, ohne ihn besäßen wir keine theologische Schule", urteilte später Bischof Ed. Herzog. Er war der Laie, der von Anfang an erkannte, daß der „Kampf gegen R o m " sinnvollerweise nur vom Boden der Hl. Schrift und der alten Kirche aus geführt werden konnte. Schon 1860 hatte er in seiner J. H. von Wessenberg gewidmeten Schrift „Papsttum und Nationalkirche" erklärt: „Die römische Kirche mit den Übertreibungen der päpstlichen Gewalt ist nicht die katholische Kirche, sie war es nicht im 16. Jahrhundert, und sie ist es heute nicht." Nach seinem Besuch am Katholikenkongreß in München im September 1871, der durch seine theologische Klarheit und kirchlich-positive Haltung einen starken Eindruck auf ihn hinterlassen hatte, nahm er in einer besonderen Schrift Stellung gegen die falsche Ansicht, „als ob die Frage durch den Staat, die Verfassungsrevision und die Gesetze allein gelöst werden" könnte. Er forderte die Rückkehr der Kirche „zur altkatholischen Glaubensregel".
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Freudig begrüßte er darum den Münchner Beschluß, eigene Gemeinden zu gründen. Er arbeitete nun zielbewußt daraufhin, daß sich auch in der Schweiz selbständige Gemeinden bildeten. Der Augenblick dazu war gekommen, als Pfarrer Paulin Gschwind exkommuniziert worden war, die Gemeinde aber zu ihm hielt. Munzinger erkannte sofort, daß Starrkirch-D ulliken ein verlorener Posten war, wenn nicht rasch andere Gemeinden sich ihr zur Seite stellten. Als gebürtiger Oltner setzte er sich mit seinen dortigen Freunden in V e r bindung und veranlaßte, daß das Zentralkomitee, das bis jetzt passiv gebheben war, auf den 1 . Dezember 1872 eine Delegiertenversammlung der „Vereine freisinniger Katholiken" und damit verbunden eine große Katholikenversammlung nach Ölten einberief. Der „Oltner Tag", zu dem sich in der Stadtkirche St. Martin etwa 2500 Katholiken eingefunden hatten, wurde für die christkatholische Kirche der Schweiz von grundlegender Bedeutung: an ihm wurde der Beschluß gefaßt, eigene Gemeinden und eine eigene kirchliche Organisation zu schaffen. V o n ausschlaggebender Bedeutung für diese Wendung war der Vortrag von Prof. J. H. Reinkens aus Breslau (dem nachmaligen 1 . deutschen altkatholischen Bischof). Ihn hatte Munzinger in die Schweiz eingeladen mit dem Notruf: „Geben Sie dem V o l k die religiöse Direktive, sonst gibt es kirchlich ein C h a o s . " Reinkens kam und legte in seinem zündenden Vortrag dar, daß es jetzt gelte, die durch die beiden Papstdogmen erschütterten Grundlagen der Kirche wieder herzustellen. Munzinger selbst erläuterte die am Vormittag von der Delegiertenversammlung der „Vereine freisinniger Katholiken" angenommenen Resolutionen. Diese forderten dazu auf, gegen die neuen D o g m e n zu protestieren, eigene Gemeinden zu gründen und bei der Erledigung von Pfarrstellen christkatholische Geistliche zu wählen, zur Durchführung der nötigen Reformen verfassungsmäßige Organe zu schaffen und zur Vornahme bischöflicher Funktionen v o r läufig ausländische Bischöfe zuzulassen, bis ein eigener schweizerischer Bischof gewählt sei. Endlich wird als höchstes Ziel die Wiedervereinigung aller Kirchen gefordert, welche die in Wahrheit allgemeine katholische Kirche in ihrer Einheit bilden. Das mächtige Schlußwort sprach Landammann Augustin Keller. V o n Munzinger eingeladen, hielt Reinkens im Anschluß an den „Oltner T a g " begeistert aufgenommene Vorträge in Luzern, Solothurn, Bern, Basel, Rheinfelden, die später unter dem Titel „Katholisch, nicht päpstlich" veröffentlicht wurden. Nicht zuletzt diesen Vorträgen ist es zuzuschreiben, daß sich in den genannten Städten in der Folge starke christkatholische Gemeinden bildeten. Aber auch auf dem Lande, w o noch Josefmische oder Wessenbergsche Uberlieferungen lebendig ge-
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Kirche
blieben waren, kam es zur Gründung zahlreicher Gemeinden. Diese ging in der Regel so vor sich, daß die gesetzlichen Gemeindeversammlungen unter Ablehnung der neuen Dogmen sich zum überlieferten altkatholischen Glauben bekannten, auf Grund der staatlichen Pfarrwahlgesetze christkatholisch gesinnte Geistliche einsetzten, oder auch so, daß man sich auf den Standpunkt stellte, bleiben zu wollen, was man bis jetzt war, und den Anschluß an die christkatholische Kirche ohne besondere Erklärung vollzog. Es waren also in der Schweiz die Gemeinden selbst, die die Entscheidung herbeiführten. Die ersten christkatholischen Gemeinden bildeten sich in Starrkirch, Olsberg, Ölten, Trimbach und Zürich. Mit der Durchführung der weiteren Beschlüsse der Oltner Tagung wurde das Zentralkomitee des Vereins freisinniger Katholiken betraut, das erst jetzt seine Tätigkeit voll aufnahm. Insbesondere widmete es sich folgenden Aufgaben: Zur weiteren Verbreitung des altkatholischen Gedankengutes wurde ein zentrales Presseorgan geschaffen: die von Prof. Peter Dietschi in Ölten herausgegebenen „Katholischen Blätter" (1873-1877). Ihnen folgte 1878 der „Katholik", der seit 1950 als „Christkatholisches Kirchenblatt" erscheint. Eine weitere große Aufgabe war, einen wissenschaftlich, im Geiste des Altkatholizismus geschulten geistlichen Nachwuchs heranzubilden. Wiederum durch die Initiative Munzingers wurde in das bernische Kirchengesetz von 1874 die Bestimmung aufgenommen, daß im Anschluß an die Hochschule eine Lehranstalt für katholische Theologen zu errichten sei. Schon am 29. Juli 1874 beschloß der große Rat des Kantons Bern auf Grund eines Gutachtens der Professoren Eduard Müller (jur.), Friedrich Nippold (ev.-theol.) und Pfarrer Eduard Herzog in Ölten die Schaffung einer katholisch-theologischen Fakultät an der Universität Bern. A m 3. November 1874 fand die feierliche Eröffnung statt. Sie begann ihre Tätigkeit unter dem Dekanat des aus München herbeigerufenen Professors J. Friedrich mit sieben Professoren und acht Studenten. Obwohl sie grundsätzlich auch den römisch-katholischen Dozenten und Studenten offen stand, machten diese von der ihnen gebotenen Möglichkeit keinen Gebrauch, so daß die Fakultät faktisch ausschließlich eine christkatholische wurde. Diesen Sachverhalt ist durch das Kirchengesetz vom Jahre 1945 dadurch Rechnung getragen worden, daß sie nun ausdrücklich als c/imikatholisch-theologische Fakultät bezeichnet wird. U m ihre Existenz auch finanziell sicher zu stellen, schuf die Kirche eine Reihe von Fakultätsfonds, die vom Kanton Bern verwaltet werden. Im Verlauf der Jahrzehnte hat sich die Fakultät zu einem ökumenischen
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Geschichte
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Zentrum entwickelt, an dem außer Altkatholiken aus Holland, Deutschland, Osterreich auch zahlreiche orthodoxe Studenten, vor allem Serben, Griechen, Bulgaren, auch vereinzelte Anglikaner ihrem Studium obliegen. Sie ist bis heute die einzige akademische Fakultät für altkatholische Theologie und ist das eigentliche geistige Zentrum der christkatholischen Kirche der Schweiz. Die dritte große Aufgabe, vor die sich das Zentralkomitee gestellt sah, war die Ausarbeitung einer Kirchenverfassung. Dazu waren gründliche und langwierige Verhandlungen nötig, vor allem auch deshalb, weil anfänglich gegen die Beibehaltung des Bischofsamtes nicht geringe Bedenken erhoben wurden. Der hauptsächlich von Eduard Herzog und Leo Weber, dem nachmaligen Bundesrichter, ausgearbeitete Verfassungsentwurf ist auf verschiedenen Versammlungen durchberaten und am 14. Juni 1874. durch die Delegiertenversammlung der freisinnigen Katholiken in Ölten mit großer Mehrheit genehmigt worden. Damit war der letzte und wichtigste Schritt zur eigentlichen Konstituierung der Kirche getan.
c) Die
Konstituierung
der christkatholischen
Kirche
der
Schweiz
Die Verfassung wurde an der ersten Synode, die am 14. Juni 1875 in Ölten stattfand, einstimmig angenommen und in Kraft erklärt, ebenso wurden genehmigt die Reglemente über die Geschäftsführung der Synode, des Synodalrates, sowie eine Ordnung über die Bischofswahl. Die Verfassung ist im wesentlichen nach den Prinzipien gestaltet, die der Konstanzer Kongreß 1873 aufgestellt hatte. Ein nicht unwesentlicher Unterschied besteht darin, daß die deutsche Verfassung mehr von oben nach unten, die schweizerische mehr von unten nach oben aufgebaut ist. V o r allem ist in der letzteren das Gemeindeprinzip viel stärker betont. Art. 1 der Verfassung lautet: „Die christkatholische Kirche beruht auf den Kirchgemeinden, welche in der katholischen Nationalsynode das einheitliche Organ ihrer Gemeinschaft besitzen." Demzufolge werden auch die einschlägigen Bestimmungen über die Gemeindeorganisation an den Anfang gestellt, es folgen dann diejenigen über die Synode, den Synodalrat und zuletzt die über die Stellung des Bischofs und der Geistlichen. Die Synode, die aus sämtlichen Geistlichen und den durch die Gemeinden zu wählenden Laienabgeordneten besteht (seit 1954 Männer und Frauen), ist „das oberste und entscheidende Organ der Kirche". Ihr obliegt die Bewahrung der Einheit des kirchlichen Lebens. Sie stellt allgemeine Grundsätze über Kultus und Disziplin auf, hat aber in Fragen des Glaubens kein eigenes Entscheidungsrecht. Präsidiert wird die Synode
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nach einem zweijährigen Turnus abwechslungsweise von einem Laien und von einem Geistlichen. Der Synodalrat, der mit Einschluß des B i schofs aus vier Geistlichen und fünf Laien besteht und dessen Präsident ein Laie ist, ist „die vorberatende, vollziehende und verwaltende Behörde der Kirchengemeinschaft". D e m Bischof kommen „innerhalb der durch die Verfassung gezogenen Grenzen alle Rechte und Pflichten zu, welche nach christkatholischem Begriff dem Episkopat beigelegt oder ihm von der Nationalsynode übertragen werden". Das heißt: dem Bischof kommt die bischöfliche Lehr- und Weihegewalt im überlieferten katholischen U m f a n g e zu, während er die Disziplinargewalt mit Synode und Synodalrat teilt. Die Pfarrer werden nach den bestehenden staatlichen Gesetzen und kirchlichen Verordnungen gewählt. D e r Abschluß und die Krönung der Kirchwerdung erfolgte auf der zweiten Synode v o m 7. Juni 1876 in Ölten. Diese nahm die Wahl des ersten christkatholischen Bischofs der Schweiz vor. Sie fiel auf Eduard Herzog. Die Konsekration empfing er am 18. September 1876 in Rheinfelden durch den deutschen altkatholischen Bischof J. H . Reinkens und wurde daselbst in Anwesenheit der Abgeordneten der Regierungen von Bern, Genf, Solothurn und Aargau auf die Verfassung vereidigt. Diese W a h l sollte der Kirche zum großen Segen gereichen. Eduard Herzog ( 1 8 4 1 - 1 9 2 4 ) w a r inzwischen v o n K r e f e l d zurückgekehrt und i m Frühjahr 1873 zum Pfarrer von Ölten gewählt worden. Aber schon 1876 wurde er als Professor f ü r Neues Testament an die neuerrichtete Fakultät in Bern berufen. Er w a r es, der in A b w e h r allzu radikaler T e n denzen der christkatholischen Kirche die geistigen Grundlagen gegeben und ihre Katholizität gewahrt hat. Als „heiligmäßiger Mann, als liebevoller Hirte und Seelsorger" (F. Heiler) hat er durch seine persönliche Haltung, aber auch durch W o r t und Schrift, insbesondere durch seine Hirtenbriefe, durch das von ihm geschaffene Gebetbuch und sein A n dachtsbuch „Gott ist die Liebe" während seiner fast 50jährigen bischöflichen Amtszeit seinen Gemeinden gezeigt und vorgelebt, was katholisches Christentum sein kann. „Ein Theologe von Gottes Gnaden" (F. Heiler), hat er die Grundprinzipien christkatholischer Kirchlichkeit in seinen Vorlesungen und in einem ausgedehnten Schrifttum klar und umsichtig begründet und in den Unionsverhandlungen mit den Orthodoxen und vor allem mit den Anglikanern die Grundlinien für eine kommende Wiedervereinigung in bestimmter, aber weitherziger Weise herausgearbeitet. Er hat damit auch der heutigen Ökumene als einer ihrer Pioniere vorgearbeitet. In Anerkennung seiner Verdienste ist ihm dann an der Präliminarversammlung für die Weltkonferenz für Glauben und Verfassung in Genf im Jahre 1920 das A m t übertragen worden, die T a -
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g u n g durch Gebet zu eröffnen. Für den Gesamtaltkatholizismus hat er n o c h besonders dadurch bleibende Bedeutung gewonnen, daß er, der durch sein Lehramt fast täglich mit dem Studium des N e u e n Testamentes beschäftigt w a r , w i e kein anderer die altkatholischen Kirchen i m m e r wieder auf die Quelle allen kirchlichen Lebens und allen theologischen Denkens mit N a c h d r u c k hingewiesen hat: auf die Hl. Schrift.
d) Der innere Aufbau I m Unterschied z u m behutsamen V o r g e h e n der deutschen Kirche hatten in der S c h w e i z anfänglich einzelne Gemeinden und Geistliche in eigener V e r a n t w o r t u n g R e f o r m e n durchzuführen versucht. D a s w a r nunmehr Sache der Synode g e w o r d e n . In Ubereinstimmung mit den Beschlüssen der deutschen Kirche w u r d e schon auf der ersten Synode angeordnet: die Ohrenbeichte w i r d der freien Entscheidung der Gläubigen
anheim-
gestellt. A n allgemeinen K o m m u n i o n t a g e n ist eine allgemeine B u ß andacht zu halten. B e i der Feier der hl. Messe ist die Landessprache z u lässig. B e i kirchlichen Funktionen sind die einfachsten und würdigsten F o r m e n zu wählen (1876). D e r K o m m u n i o n e m p f a n g unter beiden G e stalten ist katholisch und erlaubt (1873). D e r Zölibatszwang der Priester w i r d aufgehoben (1876). Höchste Sorgfalt w u r d e auf die Schaffung geeigneter, dem alten Glauben entsprechender Gebets- und Unterrichtsbücher verwendet. 1877 konnte der Synode ein Rituale in deutscher Sprache mit Gebeten für alle w i c h tigen gottesdienstlichen Handlungen vorgelegt werden, das v o n Bischof H e r z o g in Anlehnung an das Wcssenbergsche Rituale und an das A n dachtsbuch v o n Prof. Reusch in B o n n bearbeitet w o r d e n war. 1880 g e nehmigte die Synode das v o n Bischof H e r z o g vorgelegte M e ß - und Gebetbuch, eine Bearbeitung der abendländisch-römischen Liturgie, die einige besonders glückliche Anlehnungen an die ältesten Liturgien der Kirche aufweist und schon „das schönste Geschenk des Bischofs an seine K i r c h e " genannt w o r d e n ist. 1893 w u r d e mit d e m Gebetbuch das v o n Thürlings herausgegebene Gesangbuch verbunden, das viele der schönsten Kirchenlieder aus alter und neuer Zeit enthält. 1887 w u r d e v o n der Synode ein christkatholischer Katechismus f ü r Unterrichtszwecke herausgegeben, der eine kurze Zusammenfassung der christkatholischen Lehre enthält. Als besondere Eigenart der schweizerischen christkatholischen Kirche m a g folgendes hervorgehoben w e r d e n : W a r e n die meisten Gemeinden in den Gründungsjahren (infolge der weitgehenden V e r q u i c k u n g des politischen und kirchlichen Kampfes) stark v o m Geiste eines aggressiven anti-
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Kirche
römischen Freisinns erfüllt, der sich mit der Zeit auf die eigene Kirche nachteilig auswirken mußte, so ist es einer tüchtig geschulten Geistlichkeit unter der starken Führung der beiden ersten Bischöfe (Eduard Herzog 1876 bis 1924, Adolf Küry 1924 bis 1955) gelungen, die religiöspositiven Kräfte zu sammeln und sie für einen intensiven und echten Aufbaudienst an der Kirche zu gewinnen. Damit hängt zusammen, daß in den einzelnen Gemeinden wie in der Gesamtkirche das Vereinsleben seit Jahrzehnten stark gepflegt wird, so daß gesagt werden konnte, daß kaum in einer anderen Kirche so viele Laien am Werke sind, wie in der christkatholischen Kirche der Schweiz. Durch den spezifisch schweizerischen „Vereinsbetrieb" - früher nicht selten eine Gefahr für das eigentlich kirchliche Leben - sind die Vereine und ihre lebendigsten Mitglieder daran, sich in ihrer Arbeit mehr und mehr in das „allgemeine Priestertum der Gläubigen" integrieren zu lassen. Diese Integrierung ist im gottesdienstlichen Leben am meisten fortgeschritten. Durch die Schaffung des Gebet- und Gesangbuches ist es den Laien ermöglicht worden, durch unmittelbare, persönliche Teilnahme an der Liturgie und das Mitsprechen und Mitsingen der Responsorien bewußt ihres allgemeinen Priestertums zu walten. Unter diesem Gesichtspunkt ist das gottesdienstliche Leben in Zusammenarbeit vor allem mit den Kirchenchören immer reicher ausgestaltet worden, so daß vor Jahren ein protestantischer Beobachter urteilen konnte: „Die Sangesfreudigkeit der Schweizer trägt dazu bei, daß christkatholische Gottesdienste als die schönsten Feiern der Christenheit bezeichnet werden konnten. Auch Kirchgemeinden, denen keine großen Mittel zu Gebote stehen, sind durch das Zusammenwirken von Priester, Chor und Gemeinde vorbildlich für eine lebendige Darstellung des Ewigen." Endlich ist hervorzuheben, daß es wohl, wie in keiner anderen altkatholischen Kirche, in der Schweiz eine Persönlichkeit war, die der in ihren Anfängen reichlich „chaotischen" Bewegung die „religiöse Direktive" (Wort Munzingers an Reinkens) gab, sie innerlich und äußerlich konsolidierte und ihr den Geist ihres theologischen Denkens und ihrer kernigen Frömmigkeit aufgeprägt hat: Eduard Herzog, der während 48 Jahren seiner Kirche in segensreicher Weise als Bischof und wahrer „Herzog" und Führer vorstand. Im Verlaufe der Jahrzehnte hat der Bestand der Gemeinden eine nicht unbeträchtliche Umschichtung erfahren. An der Synode von 1876, die Bischof E. Herzog wählte, waren 55 Gemeinden vertreten, von denen aber 43 Kulturkampfgemeinden aus den Kantonen Bern und Genf waren, während aus der übrigen Schweiz nur 12 Gemeinden Abgeordnete entsandt hatten. An der Synode vom 16. Juni 1924, an der der zweite Bischof (Adolf Küry) gewählt wurde, waren aus dem Kanton Bern
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4 Gemeinden und 2 Genossenschaften, und aus dem Kanton Genf 2 Gemeinden beteiligt, aus der übrigen Schweiz hingegen 31 Gemeinden und Genossenschaften, im ganzen also 39 Gemeinden und Genossenschaften. Infolge des Zusammenbruches der künstlichen Bewegung in den beiden Kulturkampfkantonen ist die Zahl der Gemeinden zurückgegangen wie auch die Seelenzahl, die 1876 auf 73000 geschätzt worden war (heute 30000). Dieser Rückgang hat aber der Kirche selber nur zum Vorteil gereicht: die „diesseits-liberalen" Mitläufer haben sich zerstreut, gebüeben sind die Gemeinden, die von Anfang an gewillt waren, in Treue zum alten Glauben Kirche, lebendige Kirche Jesu Christi zu sein. e) Das Verhältnis zum Staat
Nach Art. 50 der Bundesverfassung unterliegt die Errichtung eines Bistums der Genehmigung durch den Bundesrat. Diese wurde der christkatholischen Kirche am 28. April 1876 erteilt. Auch hatten die Bundesbehörden (Bundesrat, Parlament und Bundesgericht) verschiedentlich die letzte Entscheidung zu treffen bei Streitigkeiten, die sich mit den RömischKatholiken aus der Frage der Mitbenützung der Kirchen oder bei der Ausscheidung des Kirchenvermögens ergaben. Unter Anerkennung der Rechtsansprüche, die den Christkatholiken als Gliedern der Einen Katholischen Kirche zukamen, wurden diese Entscheidungen durch die Bundesbehörden nach den Normen des alten, schon in der Reformationszeit angewandten Landesfriedensrechtes getroffen. In diesen Akten ist die christkatholische Kirche faktisch - wie die protestantische und die römisch-katholische Kirche - als Landeskirche anerkannt. Grundsätzlich kommt aber die Kirchenhoheit nicht dem Bund, sondern den Kantonen zu. Diese haben das Verhältnis zu den christkatholischen Gemeinden nach Maßgabe ihrer Staatsverfassungen und ihres Gemeinderechtes sehr verschieden geregelt. In einigen Kantonen sind nur die einzelnen Gemeinden staatlich anerkannt (Zürich, Solothurn, SchafFhausen, St. Gallen, Luzern, Basel-Stadt, Neuenburg). In anderen Kantonen sind die christkatholischen Gemeinden, bzw. deren Gemeindeverband, als „Landeskirche" anerkannt, so in Bern, Baselland, Aargau. In den Kantonen Aargau und Solothurn sind die Gemeinden in Kantonalsynoden zusammengeschlossen. In Genf, wo die Trennung von Staat und Kirche durchgeführt worden ist, gelten die Kirchen als private Religionsgenossenschaften, haben aber das Steuerrecht. Staatszuschüsse an die Pfarrbesoldungen gewähren Zürich, Bern, Baselland, SchafFhausen.
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Die Geschichte der ahkatholischen Kirche
f ) Heutiger Bestand Die christkatholische Kirche der Schweiz umfaßt bei einer Gesamtseelenzahl von etwa 21000 29 Gemeinden und acht Genossenschaften. U n g e fähr ein Fünftel der Christkatholiken wohnt in der Diaspora mit 25 Gottesdienststationen und 58 Unterrichtsstellen. Sitz des Bischofs ist Bern. Für die Studierenden an der christkatholisch-theologischen Fakultät der Universität Bern besteht in Bern seit 1929 ein Studentenheim. A n Verbänden sind zu erwähnen: der schweizerische Verein für Diaspora, der Chorverband, der Verband der Frauenvereine, die Männervereinigung, die christkatholische Jugend, die Vereinigung der Schwestern und Fürsorgerinnen; an Einrichtungen: das Hilfswerk, das jährliche Bistumsopfer, das Kinderfürsorgeamt, das Berghüsli. Presseorgane sind: die in Bern erscheinende „Internationale Kirchliche Zeitschrift", das „Christkatholische Kirchenblatt", „ L e Sillon" für die französisch sprechende Schweiz, der „Christkatholische Hauskalender".
V . D I E ALTKATHOLISCHE KIRCHE IN ÖSTERREICH
Die Haltung der österreichischen Bischöfe auf dem Vatikanischen Konzil, wie auch die der Regierung hatten anfänglich Anlaß zur Hoffnung gegeben, daß es in Osterreich zu einer größeren altkatholischen B e wegung kommen werde. Als sich aber die Bischöfe unterwarfen und die Regierung aus national-politischen Gründen einlenkte und die öffentliche Meinung für die altkatholische Sache keine unmittelbaren Erfolgsaussichten mehr zu sehen glaubte, hatten die Altkatholiken bald einen schweren Stand. Dennoch gelang es Pfarrer Alois Anton in Wien, die Altkatholiken zu sammeln und sie in einer eigenen Gemeinde zusammenzuschließen. Bereits im Oktober 1871 konnte sie in der Salvator-Rathauskirche ihren ersten Gottesdienst feiern. Ebenso wurde in Warnsdorf (Nordböhmen) unter Pfarrer Anton Nickel eine Gemeinde mit zahlreichen Filialgemeinden gegründet. Ein drittes Zentrum der Bewegung bildete sich unter Pfarrer Dr. I. Brader in Ried in Oberösterreich. Es gab noch an vielen anderen Orten zahlreiche Ansätze zur Gemeindebildung, aber es fehlte auch in Osterreich an Geistlichen. Vor allem aber legte die Regierung der Bewegung die größten Hindernisse in den Weg. Die Altkatholiken wurden nicht, wie in Deutschland und in der Schweiz, als Katholiken anerkannt. Die von altkatholischen Pfarrern vollzogenen Taufen und Trauungen wurden zivilstandsrechtlich ungültig erklärt und wenn die altkatholischen Pfarrer selbst eine Ehe eingingen, galten ihre
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Kinder als unehelich. Auch an wirtschaftlichem Druck fehlte es nicht. Als Bischof Reinkens eingeladen wurde, in den aufblühenden Gemeinden die Firmung zu spenden, wurde es ihm polizeilich untersagt. D e n v o r gelegten Unterrichtsmitteln wurde die staatlich vorgeschriebene G e nehmigung verweigert und die Gründung und die Tätigkeit der Vereine unterbunden. Erst nach langen Verhandlungen und unter tiefgreifenden Einschränkungen erfolgte 1877 die staatliche Anerkennung der drei altkatholischen Gemeinden. 1879 konnte die erste Synode zusammentreten, die, nach dem Konstanzer Vorbild organisiert, die nötigen R e formen durchführte. Die Synode von 1888 wählte Amandus Cech zum Bistumsverweser. 1896 wurde der Wohnsitz des Bistumsverwesers von Wien nach Warnsdorf verlegt. Eine beträchtliche Ausweitung erfuhr die B e w e g u n g 1880 i m Isergebirge. Trotz dem Gegendruck der staadichen Behörden, gelang es, eine ganze Reihe von Gemeinden zu organisieren, die ein reiches kirchliches Leben entfalteten. Starken Zuwachs erfuhr die altkatholische Kirche (wie übrigens auch die protestantische) um die Jahrhundertwende durch die sog. ,,Los-von-Rom-Bewegung", die allerdings mehr nationale Beweggründe hatte. Unter ihrem Einfluß bildeten sich weitere altkatholische Gemeinden in Steiermark und Kärnten, in Böhmen und Mähren. M i t der Auflösung der alten Donaumonarchie erfolgte die Trennung des bisherigen Bistums in ein österreichisches mit Sitz in W i e n und in ein tschechoslowakisches mit Sitz in Warnsdorf. V o n diesem Zeitpunkt an konnten sich die altkatholischen Gemeinden freier entwickeln und haben vor allem in Wien zahlenmäßig stark zugenommen. Unter dem autoritären Regime Dollfuß und in der Zeit des Anschlusses an das nationalsozialistische Deutschland wurde die altkatholische Kirche wieder auf jede mögliche Weise benachteiligt. Nach dem Ende des Zweiten W e l t krieges mußte das ganze Kirchenwesen in harter Arbeit wieder aufgebaut werden. Heutiger Bestand: Sitz des Bischofs und der „Kirchlichen Oberbehörde" ist W i e n . Das Bistum umfaßt 13 Gemeinden mit 37 Filialgemeinden. Presseorgan: „ D e r A l t - K a t h o l i k " . Seelenzahl: etwa 3 0 0 0 0 .
V I . D I E ALTKATHOLISCHEN KIRCHEN IN DEN ANDERN LÄNDERN
Die neugeschaffene tschechoslowakische Republik erteilte dem bisherigen Bistum Warnsdorf die staatliche Anerkennung. Unter der Führung von Bischof A . Paschek (1924-1949) blühten die Gemeinden rasch auf, er-
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litten aber durch die Ereignisse der zweiten Nachkriegszeit schwere Verluste. Durch die zwangsweise Aussiedelung der Sudetendeutschen wurden die altkatholischen Gemeinden, die meistens deutschsprachig waren, fast vollständig entvölkert. Die Kirchen und Pfarrhäuser gingen in die Verwaltung altkatholischer Tschechen über, die unter den veränderten Verhältnissen bestrebt sind, die Gemeinden wieder neu aufzubauen. (Heutiger Bestand: 5000 Seelen, 10 Gemeinden, 4 Priester.) Auch in Kroatien, einem ehemaligen österreichischen Kronland, bildete sich 1923 eine „Altkatholische Kirche der Kroaten", die ihr Zentrum in Zagreb hat. Während des letzten Krieges und der Besetzung durch fremde Truppen bis auf wenige Reste aufgerieben, ist die Kirche wieder neu organisiert worden und hat sich konstituiert als „Bund autonomer katholischer Kirchen" mit je einem Bischof in den drei Republiken Serbien, Slowenien und Kroatien. In Gemeinschaft mit den übrigen altkatholischen Kirchen steht gegenwärtig nur der Bischof der Kirche Kroatiens (heutiger Bestand: 4 Gemeinden, 4 Filialgemeinden, 6 Priester). In Frankreich hatte Père Hyacinthe Loyson nach seinem Wegzug von Genf 1878 unter dem Namen „Eglise gallicane" eine altkatholische Gemeinde gegründet, die anfänglich unter anglikanischer Jurisdiktion stand. Dem großen Prediger, der aber kein Organisator war, stand als Seelsorger der Gemeinde Pfarrer August Volet (f 1915) zur Seite. 1893 unterstellte sich die Gemeinde der Jurisdiktion des Erzbischofs von Utrecht. Mit holländischer Hilfe wurde die Kirche St. Denis mit Pfarrhaus und Gemeindesaal errichtet und die Gemeinde bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges von Holland aus pastoriert. Seit 1951 besteht in Paris eine von der altkatholischen Bischofskonferenz anerkannte Mission für Frankreich, die eine rege Tätigkeit entwickelt. In Italien gelang es um 1880 Graf Campello mit anglikanischer Hilfe, einige Gemeinden zu gründen. Sie konnten sich aber nicht halten, u. a. deshalb nicht, weil die gottesdienstlichen Formen, zu denen sie durch ihre Wohltäter genötigt wurden, dem italienischen Volksempfinden nicht entsprachen. Campello versöhnte sich später mit der römischen Kirche, seine Anhänger schlössen sich den Waldensern an. Ebenso bildete sich mit anglikanischer Hilfe in Spanien unter Juan Cabrera, der sich schon um 1870 von Rom getrennt hatte, eine kleine Kirche unter dem Namen „Bischöflich-reformierte Kirche". Ebenso kam es in Portugal unter der Führung von Diego Cassels zur Gründung der „Lusitanisch-katholischevangelisch-apostolischen Kirche". Beide Kirchen können nach Herkunft und Struktur als altkatholisch gelten, stehen aber unter der Obhut der anglikanischen Kirche, von der ihre Bischöfe geweiht und ihre Theologen ausgebildet werden. In jüngster Zeit ist eine (neue) Annäherung an die altkatholischen Kirchen erfolgt, die durch die Teilnahme des Erzbischofs
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von Utrecht an der Konsekration des Bischofs von Portugal (1962) eingeleitet worden ist. 1965 sind die beiden Kirchen der iberischen Halbinsel anläßlich des Kongresses in Wien mit den altkatholischen Kirchen der Utrechter Union in die volle kirchliche Gemeinschaft (füll communion) eingetreten, ebenso die Philippinische Unabhängige Katholische Kirche, die sich Ende des letzten Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Befreiungskampf der Philippinen von der spanischen Kolonialherrschaft gebildet hat und die seit 1961 mit der Bischöflichen Kirche Amerikas, von der ihre Bischöfe die Konsekration empfangen haben, und seit 1963 mit der Kirche von England in voller kirchlicher Gemeinschaft steht. Die größte altkatholische Kirchenbildung, zu der es bis jetzt gekommen ist, ist die Polnische katholische Nationalkirche in Amerika. Sie ist aber nicht, wie die bisher genannten, unmittelbar aus dem Kampf gegen das Vatikanum hervorgegangen. Sie hat sich vielmehr um die Jahrhundertwende gebildet, um den Versuch der päpstlichen Kurie abzuwehren, den polnischen Gemeinden volksfremde Bischöfe (Iren) aufzunötigen und ihnen das Eigentumsrecht auf ihre Kirchen und ihr Kirchengut zu entziehen. Die in ihrer großen Mehrheit noch immer ihre Muttersprache sprechenden Polen pflegten in ihren Gemeinden vor allem ihre heimatlichen und nationalen Traditionen. So ist auch ihr Kampf um die kirchliche Selbständigkeit von Anfang an stark national gewesen. Die ersten Gemeinden bildeten sich in Chicago und Umgebung. 1897 schlössen sie sich zu einer unabhängigen Diözese Chicago zusammen, gaben sich eine Synodalverfassung und wählten den Priester Anton Koslowsky zum Bischof, der noch im gleichen Jahr von Bischof Herzog die Bischofsweihe empfing. Ein zweites Bistum mit zahlreichen Gemeinden bildete sich in Scranton (Pa.). Nachdem ihre Forderung „für Polen nur polnische Geistliche" und ihr Verlangen nach Bewahrung des eigenen Kirchenvermögens durch die römische Kurie zurückgewiesen worden waren, machten sich auch diese Gemeinden unter der Führung des in Arbeiterkreisen hochgeschätzten Priesters Franz Hodur selbständig und hielten 1904 ihre erste Synode ab. Ein drittes Zentrum bildete sich in Buffalo. 1907 schlössen sich die drei Gemeindeorganisationen zusammen und wählten F. Hodur zu ihrem Bischof, der vom Erzbischof von Utrecht die Bischofsweihe empfing. Unter der Leitung von Bischof F. Hodur nahm die geeinte nationalpolnische Kirche zahlenmäßig rasch zu und hat vor allem auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge an den Arbeitern Großes gewirkt. Sie will nach ihrem Selbstzeugnis „nicht nur eine religiöse Institution, sondern auch eine aufklärende, kulturelle und vaterländische Organisation" sein. Wenn sie sich dabei auch nicht immer von nationa-
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Kirche
listischen Übertreibungen hat freihalten können, so ist sie doch religiös und kirchlich mehr und mehr erstarkt. (Heutiger Bestand: etwa 300000 Seelen, 160 Gemeinden, 145 Priester und 5 Bistümer.) Nach dem ersten Weltkrieg gründeten die Polen Amerikas eine Tochterkiche in Polen. Nach den schweren Einbußen, die sie während desZweiten Weltkrieges erlitt, ist sie heute zu neuem Leben erwacht. Die „Polnischkatholische Kirche", die heute von Amerika unabhängig ist, hat ihr Zentrum in Warschau, w o auch die Residenz des Primasbischofs und eine geistliche Akademie mit Priesterseminar besteht. (Heutiger Bestand: 50 000 Seelen, 87 Gemeinden, 100 Geistliche und 3 Bistümer.) Ein schweres Geschick traf die altkatholische Kirche der Mariawiten
in
Polen.
Eine mönchisch-kirchliche Gemeinschaft, die 1896 von der Ordensfrau F. Koslowska und dem Priester Johann Kowalsky gegründet worden und nach mönchischen Prinzipien organisiert war, widmete sich hauptsächlich der sozialen Fürsorgearbeit an den armen Volksmassen. 1906 wurden die Mariawiten vom Papst exkommuniziert.
Durch Vermittlung des russisch-orthodoxen
Generals A . von Kirejew suchten hiernach die Mariawiten Anschluß an die altkatholische Kirche. Kowalsky wurde 1909 vom Erzbischof von Utrecht zum Bischof geweiht und in die Gemeinschaft der altkatholischen Bischöfe aufgenommen. Die Kirche, deren Priester die Regel des hl. Franz, die Schwestern die zweite Regel der Clarissinnen befolgten und deren Laien nach der franziskanischen Tertiarregel lebten, entfaltete weiterhin eine ausgedehnte soziale und erzieherische Tätigkeit. Sie verfiel aber mehr und mehr der religiösen Schwärmerei, so daß 1924 die altkatholischen Bischöfe die Beziehungen zu den Mariawiten abbrechen mußten. Seither hat sich die Kirche in ihrer überwiegenden Mehrheit von den früheren Verirrungen losgesagt und ist im Wiederaufbau begriffen. Sie gehört aber seit 1924 der Utrechter Union der altkatholischen K i r chen nicht mehr an.
Heutiger Bestand: Im ganzen gibt es heute selbständige altkatholische Landeskirchen in acht Ländern (Holland, Deutschland, Schweiz, Österreich, Polen, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Vereinigte Staaten Amerikas) mit 1 5 Diözesanbischöfen, 430 Priestern, 600 Gemeinden und einer Seelenzahl von etwa 500000.
Anhang: Die Gemeinschaft der sogenannten episcopi vagantes Damit nicht der Schein entsteht, daß hier unliebsame Erfahrungen und harte Enttäuschungen, die die altkatholischen Bischöfe erleben mußten, verschwiegen würden, sei noch der Gemeinschaft der sog. episcopi vagantes gedacht. Die episcopi vagantes sind Bischöfe, die nur kleine private Gruppen, aber keine wirklichen Gemeinden und schon gar keine rechtmäßige kirchliche Organisation hinter sich haben. Sie üben ihr A m t ,
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das sie vielfach mit hochtrabenden angemaßten Titeln versehen, in ihrem eigenen Namen, ohne kirchlichen Auftrag und darum in ungültiger und unrechtmäßiger Weise aus. Die beiden Haupturheber dieser Gemeinschaft sind J. R. Vilatte und Harry Matthew. Vilatte, ein zum Anglikanismus konvertierter römisch-katholischer Belgier, hatte im Auftrage seines anglikanischen Bischofs von Bischof Herzog die Priesterweihe empfangen. Er war beauftragt, in der bischöflich-amerikanischen Kirche die belgischen Gemeinden zu betreuen. Unter dem Widerspruch seiner kirchlichen Behörden ließ er sich, ohne eigene Gemeinden zu haben, von einem Bischof der syrisch-jakobitischen Kirche von Malabar auf Ceylon zum Bischof weihen. Der Engländer Harry Matthew erschlich sich die Bischofsweihe vom Erzbischof von Utrecht unter Vorlegung einer gefälschten Wahlurkunde. Als der Betrug aufgedeckt wurde, wurden die Beziehungen zu ihm sofort abgebrochen. Beide waren Bischöfe ohne Kirchen, was sie aber nicht hinderte, eine ganze Reihe von anderen kirchlichen Abenteurern zu Bischöfen und Priestern zu weihen, die heute noch, vor allem in Amerika, am Werke sind. Mit ihren Gemeinschaften, wie etwa der „Amerikanisch-katholischen Kirche", der „Altkatholischen Kirche in Amerika" oder der „Morgenländisch-altrömisch-kathohschen Kirche" haben die altkatholischen Kirchen der Utrechter Union nichts zu tun. Ihre Bischofsweihen sind nach altkatholischer Auffassung nicht nur ungesetzlich, sondern ungültig, weil sie - obwohl in der apostolischen Sukzession rituell korrekt vollzogen - ohne rechtmäßig kirchlichen Auftrag erfolgt sind. Bischof Herzog hat die altkadiolische Stellungnahme in folgende zwei Thesen zusammengefaßt: „ i . Eine unter falschen Vorgaben und mit Vorweisung gefälschter Dokumente erschlichene Konsekration kann nicht als gültig anerkannt werden, auch wenn der Weiheritus von wirklichen Bischöfen genau vollzogen worden ist. 2. Wenn der Satz gilt: nulla ecclesia sine episcopo (keine Kirche ohne Bischof), so ist umgekehrt auch der Satz anzuerkennen: nullus episcopus sine ecclesia (kein Bischof ohne Kirche). Ein Mann, der von keiner organisierten Kirche nach den für sie maßgebenden Gesetzen zur Bekleidung des Bischofsamtes in aller Form ernannt ist, sondern eigenmächtig und in persönlichem Interesse das Bischofsamt zu erwerben sucht, wird auch dann nicht gültig zum Bischof konsekriert, wenn der Weiheritus genau beobachtet wird." In diesen beiden Sätzen wird einschlußweise auch das altkatholische Verständnis der apostolischen Sukzession und des Bischofsamtes ausgesprochen, nämlich: daß beide ohne die Gemeinde (für die sie bestimmt sind) ihr Recht verlieren (vgl. Seite 266).
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Die Geschichte der altkatholischen Kirche
V I I . DIE GEMEINSAMEN GRUNDLAGEN U n s e r e D a r s t e l l u n g hat g e z e i g t , d a ß i m wesentlichen drei G r u p p e n v o n altkatholischen K i r c h e n z u unterscheiden sind. 1. D i e K i r c h e v o n U t r e c h t , die ihre eigene, annähernd auf 250 Jahre z u r ü c k g e h e n d e Geschichte u n d T r a d i t i o n hat. D u r c h ihr treues Festhalten an d e n überlieferten G l a u b e n s - u n d V e r f a s s u n g s g r u n d l a g e n der a b e n d ländisch-katholischen K i r c h e ist sie d e n später entstandenen a l t k a t h o lischen K i r c h e n z u r „ M u t t e r k i r c h e " g e w o r d e n . 2. D i e altkatholischen K i r c h e n , die unmittelbar aus d e m K a m p f g e g e n die n e u e n Glaubenssätze des vatikanischen K o n z i l s v o n 1870 entstanden sind: die K i r c h e n Deutschlands, der S c h w e i z u n d Österreichs, die zeitw e i s e stark unter d e m Einfluß liberal-aufklärerischer Ideen standen, sich aber i m m e r b e w u ß t e r z u den eigentlichen G l a u b e n s g r u n d l a g e n der altkatholischen K i r c h e z u r ü c k g e f u n d e n haben. 3. D i e u m die Jahrhundertwende u n d nach d e m Ersten W e l t k r i e g e n t standenen K i r c h e n A m e r i k a s u n d Osteuropas, die ihre E n t s t e h u n g v i e l f a c h nationalen B e w e g g r ü n d e n v e r d a n k e n , aber nie g e z ö g e r t haben, die altkatholischen Glaubensprinzipien anzuerkennen, w e n n sie a u c h
im
einzelnen v i e l f a c h n o c h an spezifisch römisch-katholischen Gottesdienstf o r m e n u n d F r ö m m i g k e i t s ü b u n g e n festhalten. A u s unserer D a r s t e l l u n g g e h t h e r v o r , daß die Geschichte aller altkatholischen K i r c h e n bisher eine Leidensgeschichte w a r . Sie hätte dieselbe k a u m überstanden, w e n n ihre g e m e i n s a m e n G l a u b e n s g r u n d l a g e n , auf die sie sich beriefen, nicht so stark u n d unerschütterlich u n d d u r c h ihre t h e o logischen Führer nicht so g r ü n d l i c h u n d umfassend b e g r ü n d e t w o r d e n w ä r e n . D i e s e n den altkatholischen K i r c h e n g e m e i n s a m e n
Glaubensgrund-
lagen w e n d e n w i r uns n u n zu. Sie sind in der sog. U t r e c h t e r K o n v e n t i o n v o m Jahre 1889 k u r z z u s a m m e n g e f a ß t .
a) Die Utrechter
Konvention
N a c h d e m sich die altkatholischen K i r c h e n Deutschlands, der S c h w e i z u n d Österreichs konsolidiert hatten u n d ihr R e f o r m e i f e r , der die K i r c h e v o n U t r e c h t anfänglich stark b e u n r u h i g t hatte, in
legitim-kirchliche
B a h n e n g e l e n k t w o r d e n w a r , w a r der A u g e n b l i c k g e k o m m e n , u m die kirchliche G e m e i n s c h a f t , die grundsätzlich z w i s c h e n ihnen schon b e standen hatte, d u r c h ein formelles A b k o m m e n z u d o k u m e n t i e r e n . D a s geschah d u r c h die K o n v e n t i o n , die in d e n T a g e n v o m 23. bis 25. S e p t e m ber 1889 in U t r e c h t z w i s c h e n d e n B i s c h ö f e n Hollands, Deutschlands u n d
Die Geschichte
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der Schweiz abgeschlossen wurde und der noch im gleichen Jahr der Bistumsverweser der Kirche Österreichs beitrat. Ihr haben sich später noch angeschlossen: die Kirchen der Tschechoslowakei, Kroatiens, die polnisch-katholische Nationalkirche Nordamerikas und die polnisch katholische Kirche in Polen. Sie bilden zusammen die Kirchen der sog. Utrechter Union. Die Utrechter Union ist nicht eine Rechtsgemeinschaft und besitzt keine jurisdiktionellen Vollmachten, sondern sie ist eine freie Verbindung der selbständigen altkatholischen Landeskirchen, die sich zu denselben Glaubensgrundlagen und Verfassungs- und Gottesdienstordnungen bekennen. Die Konvention selbst umfaßt folgende drei Teile: 1. Eine Vereinbarung, durch die die Bischöfe erklären, daß die von ihnen repräsentierten und geleiteten Kirchen in voller kirchlicher Gemeinschaft miteinander stehen. Der Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft dient als Organ die „Internationale Altkatholische Bischofskonferenz". Ihre Mitglieder sind gehalten, ihre amtlichen Erlasse, Hirtenbriefe, liturgischen Bücher usw. auszutauschen und anderen Kirchen gegenüber keine Verpflichtungen einzugehen ohne vorherige gemeinschaftliche Beratung und Beschlußfassung. Insbesondere können ohne Zustimmung der Konferenz keine Bischofsweihen für andere Kirchen erteilt Verden. 2. Ein Reglement, das u. a. bestimmt, daß der Präsident der Bischofskonferenz der Erzbischof von Utrecht, Sekretär der Bischof der christkatholischen Kirche der Schweiz ist und daß die Konferenz alle zwei Jahre zusammentritt. 3. Eine Erklärung an das katholische Volk, die mit folgenden grundlegenden Sätzen beginnt: „ W i r halten es für angemessen, bei dieser ersten Zusammenkunft die kirchlichen Grundsätze, nach welchen wir bisher unser bischöfliches A m t verwaltet haben und auch in Zukunft verwalten werden und welche wir in Einzelerklärungen auszusprechen wiederholt Gelegenheit gehabt haben, in einer gemeinsamen Erklärung kurz zusammenfassen: 1. W i r halten fest an dem altkirchlichen Grundsatz, welchen Vincentius von Lerinum in dem Satze ausgesprochen hat: Id teneamus, quod ubique, quod Semper, quod ab omnibus creditum est; hoc est etenim vere proprieque catholicum. W i r halten darum fest an dem Glauben der alten Kirche, wie er in den ökumenischen Symbolen und in den allgemein anerkannten dogmatischen Entscheidungen der ökumenischen Synoden der ungeteilten Kirche des 1. Jahrtausends ausgesprochen ist." Es folgen sieben weitere Sätze (voller Wortlaut siehe Anhang, S. 452), die sich auf folgende Punkte beziehen:
ioo
Die Geschichte der altkatholischen Kirche
2. V e r w e r f u n g der Papstdogmen v o n 1870. 3. V e r w e r f u n g des D o g m a s v o n der unbefleckten Empfängnis Marias. 4. Z u r ü c k w e i s u n g der päpstlichen B u l l e n v o n 1713, 1794, 1864. 5. Bedingte Anerkennung des Tridentinums. 6. Erklärung über die hl. Eucharistie. 7. Hoffnung auf die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen. 8. Kampf gegen den Unglauben der Zeit. Auf die in dieser Erklärung aufgeworfenen Einzelprobleme w i r d bei der Besprechung der altkatholischen Lehre noch zurückzukommen sein. Hier sei nur bemerkt, daß diese Glaubenserklärung v o n Utrecht die einzige lehramtliche Entscheidung des Gesamtaltkatholizismus ist. Ihre B e sonderheit liegt darin, daß sie kein „neues" Bekenntnis, auch kein neues Glaubensprinzip aufstellt, noch irgendwelche Sonderlehren vertritt, sondern solche i m Gegenteil ausschließt und sich schlicht auf den allgemeinen Glauben der Kirche beruft (Satz 1). Bemerkenswert ist ferner, w i e nach dem einleitenden Ingreß die Funktion der Bischöfe verstanden wird. D i e Bischöfe, die sich zur internationalen altkatholischen Bischofskonferenz zusammenschließen, verstehen sich selbst als Wächter über den der Gesamtkirche anvertrauten Glauben. In dieser Stellung üben sie in den v o n ihnen geleiteten Kirchen das oberste Lehramt aus. Aus der damaligen Situation heraus ist es erklärlich, daß v o r allem diese den Glauben b e wahrende Funktion der Bischöfe betont wird, während ihr anderer, ebenso wichtiger Auftrag zurücktritt, repräsentative und lebendigeZeugen des Glaubens zu sein, die berufen sind, v o m W o r t e des Herrn her in der Gegenwart autoritativ zu ihrer Kirche zu sprechen.
b) Die internationalen Altkatholikenkongresse D i e drei für die altkatholische Kirchwerdung grundlegenden A l t katholikenkongresse v o n München (1871), K ö l n (1872) und Konstanz (1873) hatten sowohl nach ihrer kirchlichen Programmatik w i e durch die Anwesenheit prominenter Gäste aus der orthodoxen und anglikanischen Kirche bereits einen durchaus „internationalen", d. h. ö k u m e nischen Charakter. D i e nach der Konstituierung der deutschen altkatholischen Kirche einberufenen sechs Altkatholikenkongresse (Freiburg 1874, Breslau 1876, Mainz 1877, Baden-Baden 1880, Krefeld 1884, Heidelberg 1888) waren hingegen vornehmlich deutsche Tagungen. Sie hatten mehr den Charakter öffentlicher Kundgebungen, die der äußeren Ausbreitung und der inneren Festigung der altkatholischen B e w e g u n g in Deutschland dienen sollten. Erst nachdem durch die Utrechter Konvention der Zusammenschluß der altkatholischen Kirche erfolgt
Die Geschichte
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war, drängte sich von neuem eine Internationalisierung der Kongresse auf. So konstituierte sich der 10. Altkatholikenkongreß zu Köln vom Jahre 1890 zugleich als „Erster Internationaler Altkatholikenkongreß". Hinfort wurden nicht nur Vertreter aller altkatholischen Kirchen, sondern auch solche der befreundeten Kirchen regelmäßig eingeladen. Internationale Altkatholikenkongresse in diesem Sinne haben bis heute neunzehn stattgefunden (1892 Luzem, 1894 Rotterdam, 1897 Wien, 1902 Bonn, 1904 Ölten, 1907 den Haag, 1909Wien, 1913 Köln, 1925 Bern, 1928 Utrecht, 1931 Wien, 1934 Konstanz, 1938 Zürich, 1948 Hilversum, 1953 München, 1957 Rheinfelden, 1961 Haarlem, 1965 Wien, 1970 Bonn, i974Luzern, 1978 Noordwijkerhout). Die Kongresse sind freie Vereinigungen ohne kirchenamtlichen Charakter. Sie haben nicht das Recht und nicht die Aufgabe, dogmatische Fragen zu entscheiden. Nach den 1913 angenommenen und 1961 revidierten Statuten obliegt es dem „Ständigen Kongreßausschuß", der von einem Laien präsidiert wird, alle vier Jahre einen Kongreß einzuberufen und ihn nach seiner programmatisch-inhaltlichen Seite vorzubereiten. Ordentliches Mitglied mit Stimmrecht kann jeder Altkatholik werden, außerordentliches Mitglied jeder Angehörige einer christlichen Kirche. Zweck der Kongresse ist es, einerseits der freien Zusammenarbeit der altkatholischen Kirchen untereinander und andererseits der Förderung ihrer gemeinsamen Beziehungen zu den befreundeten Kirchen zu dienen. Diesem doppelten Zweck entsprechend, waren die Kongresse der ersten Zeit bestrebt, die gemeinsamen Prinzipien altkatholischer Kirchlichkeit, wie sie sich aus der Utrechter Konvention und dem besonderen historischen Erbe der einzelnen Landeskirchen ergeben, theologisch herauszuarbeiten. In besonders eindrücklicher Weise ist das auf dem Luzerner Kongreß von 1892 geschehen. An ihm wurden eine Reihe von richtungsgebenden Thesen über die positive Sendung des Altkatholizismus, die Unterscheidung zwischen verbindlicher Lehre (Dogma) und theologischer Schulmeinung, die Bedeutung und Grenzen des nationalkirchlichen Prinzips, die Toleranz und den Simultangebrauch der Kirchen, über den Namen „katholisch" usw. angenommen. Ebenso wurde die Gründung einer gemeinsamen wissenschaftlichen Zeitschrift, der (von E. Michaud) redigierten „Revue Internationale de Theologie" beschlossen, der 1911 die „Internationale kirchliche Zeitschrift" folgte, die bis heute das einzige wissenschaftliche Organ des Gesamtaltkatholizismus ist (Verlag Stämpfli & Cie., Bern). Auch der 1959 gegründete AKID, der „Altkatholische Internationale Informationsdienst" ist eine Schöpfung der Kongresse (Erscheinungsort Mannheim). Andererseits wurde an den Kongressen versucht, vom gewonnenen gemeinsamen Boden aus
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Die Geschichte der altkatholischcn Kirche
eine Annäherung an die befreundeten Kirchen, deren Vertreter an den Beratungen mehr und mehr aktiv teilnahmen, herbeizuführen. Mit ein Ergebnis der Kongreßverhandlungen waren die späteren Unionsverhandlungen mit den Anglikanern und den Orthodoxen. Nach den bedeutsamen Wandlungen, die nach den beiden Weltkriegen in der Lage der altkatholischen Kirche wie in der gesamten Christenheit eintraten, sahen sich auch die Kongresse vor neue Aufgaben gestellt. Aus der altkatholischen Bewegung war inzwischen eine nach außen sich immer deutlicher abgrenzende „Konfession" geworden, die, nachdem sie lange Zeit ihre Hauptkräfte für den Abwehrkampf gegen Rom hatte einsetzen müssen, nun ihre volle Aufmerksamkeit der inneren Aufbauarbeit zuwenden konnte. Dadurch wurden auch die Kongresse dazu geführt, in vermehrtem Maße Fragen des Gemeindelebens aufzugreifen und diese in Gruppenarbeit durch Laien diskutieren zu lassen. Ein weiterer bedeutungsvoller Wandel ergab sich aus der Begegnung der altkatholischen Kirche mit der neueren ökumenischen Bewegung, die seit 1925 ständiges Kongreßthema wurde. Auch sind die tiefgreifenden Wandlungen, die sich in den letzten Jahrzehnten sowohl im Protestantismus wie im römischen Katholizismus vollzogen haben, regelmäßig Gegenstand der Kongreßverhandlungen gewesen. Seit 1950 sind den Kongressen die „Internationalen Altkatholischen Theologentagungen" zur Seite getreten, die wesentlich dazu beigetragen haben, die gemeinsamen Glaubensgrundlagen der altkatholischen Kirche in Auseinandersetzung mit den Fragestellungen zeitgenössischer Theologie zu vertiefen. Altkatholische Theologentagungen haben stattgefunden: 1950 in Amersfoort, 1951 in Bonn, 1954 in Solothurn, 1955 in Amersfoort, 1956 in Bonn, 1958 in Wien, 1959 m Solothurn, 1962 in Bonn, 1964 m Woudschoten (Holland), 1966 in Wien, 1968 in Zürich, 1969 in Bonn, 1971 in St. Pölten, 1972 in W i j k aan Zee, 197$ in Schwanberg, 1976 Salzburg, 1977 in Huissen. c) Die
Unionsverhandlungen
Für die Besinnung auf die gemeinsamen Glaubensgrundlagen sind die Unionsverhandlungen insofern von allergrößter Bedeutung geworden, als sie den altkatholischen Theologen der unmittelbare Anlaß waren, von den allgemeinen Bekenntnisgrundlagen der altkatholischen Kirche her zu einzelnen Glaubensfragen konkret Stellung zu nehmen. Hatten schon auf dem Münchner Kongreß die Vertreter der orthodoxen und der anglikanischen Kirchen die Altkatholiken wissen lassen, daß sie mit ihnen in nähere kirchliche Beziehungen zu treten wünschten, so erschienen zum Kölner Kongreß 1872 bereits leitende Männer der seit Jahren bestehenden Organisationen, die sich die Anbahnung freundschaftlicher Be-
Die Geschichte
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Ziehungen zu den andern Kirchen zur besonderen Aufgabe machten, so die Präsidenten des „Anglokontinentalen Vereins" und der amerikanischen „Kommission für Unionsbestrebungen", sowie der Rektor der geistlichen Akademie von Petersburg und der Sekretär der „Freunde der geistlichen Aufklärung". Mit ihnen wurden (vgl. S. 68) noch in Köln die Verhandlungen aufgenommen und unter dem Vorsitz von Döllinger eine Kommission gebildet, die am 23. September 1872 folgende Grundsätze festlegte, nach denen die Wiedervereinigungsarbeit in Angriff genommen werden sollte: „Prinzipien, die unserer Arbeit zugrunde liegen müssen, sind: 1. Die Gottheit Christi. 2. Christus hat eine Kirche gegründet. 3. Als Quellen sind anzunehmen: a) Die Hl. Schrift. b) Die Lehren der ökumenischen Konzilien. c) Die Lehren der Kirchenväter der ungeteilten Kirche (die mit der Hl. Schrift übereinstimmende Überlieferung). 4. Kriterium: Der Ausspruch des hl. Vinzenzius von Lerin quod Semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum est. (Was immer, überall und von allen geglaubt worden ist.) 5. Als Methode ist die historische gewählt." Es sollte mit anderen Worten als gemeinsame Grundlage für die Unionsverhandlungen gelten: Der Glaube der alten Kirche, der unter Anerkennung der Hl. Schrift als oberster Norm und unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Anerkennung der Gottheit Christi und seiner Kirchengründung, mit den Methoden der historischen Bibel-und Dogmenkritik neu durchdacht werden soll. Jener doppelte Vorbehalt ist für die Glaubenshaltung und für die ökumenische Arbeit der altkatholischen Kirche bis heute grundlegend geblieben. Ohne die Anerkennung der beiden Sätze von der Gottheit Christi und seiner Kirchengründung, die damals von der liberal-protestantischen Theologie angefochten wurden, ist nach altkatholischen Prinzipien eine Wiedervereinigung der getrennten Kirchen nicht möglich und nicht wünschbar. Auf der Grundlage dieser Kölner Sätze ist denn auch die Einladung zu den großen Bonner Unionskonferenzen erfolgt, nachdem Döllinger für sie durch seine berühmten Münchner Vorträge über die Wiedervereinigung in der kirchlichen Öffentlichkeit den Boden vorbereitet hatte. aa) Die Bonner Unionskonferenzen von 1874 und 1875 In der von Döllinger verfaßten Einladung wird betont, daß „als Grundlage und Maßstab des Erreichbaren und zu Erstrebenden die Bekenntnis-
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formein der ersten kirchlichen Jahrhunderte und diejenigen Lehren und Institutionen zu betrachten sind, welche in der allgemeinen Kirche des Ostens und des Westens vor der großen Trennung als wesentlich und unentbehrlich gegolten haben. Das Ziel . . . ist nicht eine absorptive Union oder völlige Verschmelzung der verschiedenen Kirchenkörper, sondern die Herstellung einer kirchlichen Gemeinschaft auf Grund der unitas in necessariis mit Schonung und Beibehaltung der nicht zur Substanz des kirchlichen Bekenntnisses gehörigen Eigentümlichkeiten der einzelnen Kirchen". Bemerkt wird noch, daß den Konferenzen kein kirchenamtlicher Charakter zukommt, sondern daß sie lediglich B e sprechungen von Privatpersonen sind. Die erste Konferenz, die v o m 14. bis 17. September 1874 stattfand, wurde eröffnet durch eine Reihe von grundsätzlichen Feststellungen, von denen die wichtigste diejenige von Döllinger über das tridentinische Konzil w a r : „ W a s das Trienter Konzil betrifft, so können wir uns keineswegs an alle Dekrete dieses Konzils gebunden erachten, welches als ein ökumenisches nicht angesehen werden kann." Durch diese Erklärung war die Verständigung sowohl mit den Anglikanern wie mit den Orthodoxen, die dieses Konzil ihrerseits nicht anerkennen, wesentlich erleichtert. Auf dieser Grundlage einigten sich zunächst die anglikanischen und die altkatholischen Theologen in einer Sondersitzung, an der die Orthodoxen nicht teilnahmen, auf acht Thesen (Wortlaut siehe Anhang, S. 462). Sie betreffen folgende Punkte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Abgrenzung des alttestamentlichen Kanons (Apokryphen). Vorrang des biblischen Urtextes vor den Ubersetzungen. Unrechtmäßigkeit der Bibelverbote. Verwendung der Landessprache in der Liturgie. Rechtfertigung durch den in der Liebe tätigen Glauben. Ablehnung der „merita de condigno". Ablehnung der Lehre von der Übertragbarkeit der Verdienste der Heiligen auf Andere. 8. Zahl der Sakramente. Gemeinsam mit den Orthodoxen wurden sodann sechs weitere Thesen angenommen, die sich auf folgende Fragen beziehen: 9. Anerkennung der Hl. Schrift als prima regula fidei. 10. Verwerfung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Marias. 1 1 . Beibehaltung des Institutes der (freiwilligen) Buße. 12. Verwerfung der römisch-katholischen Ablaßlehre. 13. Anerkennung des Gebetes für die Verstorbenen. 14. Erklärung über die hl. Eucharistie. Endlich wurde in bezug auf das Filioque - die Frage also, ob i m inner-
Die Geschichte
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göttlichen Leben der Hl. Geist v o m Vater allein (wie die Ostkirche lehrt) oder v o m Vater und v o m Sohn ausgeht (wie demgegenüber i m Abendland gelehrt wird) -eineEntschließung angenommen, die folgenden Wortlaut hat: „ W i r geben zu, daß die A r t und Weise, in welcher das Filioque in das nizäische Glaubensbekenntnis eingeschoben wurde, ungesetzlich war, und daß es im Interesse des Friedens und der Einigkeit sehr wünschenswert ist, daß die ganze Kirche es ernstlich in Erwägung ziehe, ob vielleicht die ursprüngliche Form des Glaubensbekenntnisses wieder hergestellt werden könne ohne Aufopferung irgendeiner wahren, in der gegenwärtigen Form ausgedrückten Lehre." Die Sachfrage selbst wurde einer Kommission zur weiteren Klärung übergeben. Nicht angenommen wurde ein Zusatz zu These 9, in dem die Anerkennung der anglikanischen Bischofsweihen ausgesprochen werden sollte. Döllinger und Reinkens zögerten zwar nicht, deren Gültigkeit anzuerkennen, während sich die Orientalen in dieser Frage sehr zurückhaltend verhielten. Ebenso wurde eine These über die Heiligenverehrung zurückgezogen, da die Orientalen Bedenken trugen, der abendländischen (auch römisch-katholischen) Auffassung beizupflichten, daß die Anrufung der Heiligen nicht heilsnotwendig, sondern eine dem Christen freigestellte Frömmigkeitsübung sei. Die Konferenz hatte in kurzer Zeit mehr erreicht als allgemein erwartet worden war. D o c h waren noch einige wichtige Fragen - darunter das Filioqueproblem - offengeblieben. Diese sollten an der nächsten K o n ferenz bereinigt werden. Die zweite Konferenz wurde am xo. August 1875 eröffnet. Die sorgfältig vorbereiteten Verhandlungen über die Lehre v o m Ausgang des Hl. Geistes erwiesen sich als äußerst schwierig und mühsam. N u r dank der theologischen Meisterschaft Döllingers konnten sie zu einem befriedigenden Abschluß geführt werden. Dieser legte der Konferenz sechs Thesen über die Filioquefrage vor, die ausschließlich wörtliche Zitate aus den Werken des großen Kirchenvaters Joh. Damascenus waren, dessen Theologie in der Ostkirche bis heute als normativ gilt und dessen Lehre über den Hl. Geist derjenigen des Abendlandes am nächsten kommt. Mit diesen Thesen schien eine Lehrformel gefunden zu sein, die von den morgenländischen und den abendländischen Theologen unterschrieben werden konnte. Die Thesen wurden dann auch einmütig angenommen (Wortlaut siehe Anhang, S. 464). Die noch unerledigten Fragen sollten an einer dritten, für das Jahr 1876 vorgesehenen Konferenz abgeklärt werden. In der kirchlichen Öffentlichkeit sowohl des Ostens w i e des Westens fanden die beiden Konferenzen und ihre Ergebnisse allergrößte B e achtung und zum Teil begeisterte Aufnahme. Es fehlte aber auch nicht
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Die Geschichte der altkatholischen Kirche
an kritischen Stimmen. In der anglikanischen Kirche nahm die evangelische Richtung Anstoß an dem ausgesprochen katholischen Charakter der Thesen. Sie befürchtete, daß durch ihre Annahme eine Annäherung der anglikanischen Kirche an die protestantischen Freikirchen erschwert werde. Die anglo-katholische Partei befürchtete, daß durch ein Zusammengehen mit den Altkatholiken die von ihnen angestrebte Annäherung an Rom verunmöglicht werde. Pusey, das Haupt der anglo-katholischen Oxfordbewegung, fand, daß man in der Filioquefrage den Orientalen zu weit entgegengekommen sei. Im Bereiche der orthodoxen Kirche nahm vor allem der Konvertit Overbeck gegen die geplante Union mit den Altkatholiken in der entschiedensten Weise Stellung. Von seiner römischkatholischen Vergangenheit her an den rechtlich-hierarchischen KirchenbegrifFgebunden, konnte er sich eine Union nicht anders vorstellen als in der Form einer vorbehaltlosen Unterwerfung der Altkatholiken unter die Orthodoxie. (Eine Anschauung, die auch später von einzelnen orthodoxen Theologen immer wieder vertreten worden ist.) Döllinger, der sein ökumenisches Ziel mißdeutet sah, verzichtete hierauf auf die Fortsetzung der Konferenzen. Er tat es mit der bitteren Bemerkung: „Wir Theologen haben das unserige getan. Es kommt darauf an, wie die kirchlichen Autoritäten sich dazu stellen werden. Aber die einen tun nichts aus gewohnter Indolenz, die anderen aus politischen Rücksichten." Wenn infolgedessen die Konferenzen auch nicht zu einem unmittelbaren Resultat geführt haben, so wird man doch auch nicht sagen können, daß sie ein Mißerfolg waren. Im Gegenteil: Allein schon durch die Tatsache, daß nach Jahrhunderten erstmals wieder Theologen der alten abendländischen mit solchen der morgenländischen Kirche in voller Freiheit sich zu Unionsgesprächen zusammengefunden hatten, wurde der zerrissenen Christenheit die Wünschbarkeit, aber auch die Möglichkeit einer Wiedervereinigung anschaulich vor Augen geführt. Den altkatholischen Kirchen und ihren Theologen aber wurde durch die beiden Konferenzen eine klar umrissene Grundlage für ihre weitere Unionsarbeit gegeben. Diese konnten allerdings erst nach Jahrzehnten wieder aufgenommen werden und mußten mit den Anglikanern und mit den Orthodoxen getrennt geführt werden.
bb) Die Unionsverhandlungen mit den Anglikanern Nachdem die Altkatholiken ihre Bereitschaft zu einer Verständigung mit den Anglikanern wiederholt zum Ausdruck gebracht hatten, bekundeten die Anglikaner ihrerseits durch eine offizielle Erklärung der 2. Lambethkonferenz von 1878 ihre Sympathie für die im Kampf und im Aufbau be-
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griffene altkatholische Kirche. Die Erklärung der Lambethkonferenz (der seit 1867 ungefähr alle 10 Jahre zusammentretenden Bischofskonferenz der gesamten Anglican Communion) schließt mit den Worten: „ W i r begrüßen mit Freuden jedes Streben nach einer Reform nach dem Muster der alten Kirche. Wir verlangen keine strenge Einförmigkeit, wir wollen keine nutzlosen Trennungen. Jenen, die uns nahekommen im Eifer, sich zu befreien von jedem Joch des Irrtums und des Aberglaubens, bieten wir bereitwillig alle Hilfe und solche Privilegien an, die für sie annehmbar sind und bei welchen unsere Prinzipien, wie sie in unseren Formularen ausgesprochen sind, bestehen können." Die schweizerische Nationalsynode von 1879 nahm diese Kundgebung entgegen mit der Erklärung: in wesentlichen Dingen mit den angloamerikanischen Kirchen auf gleichem christlichen und katholischen Boden zu stehen. Sie versteht auch ihrerseits die Annäherung verschiedener Kirchen so, daß durch diese die Selbständigkeit der einzelnen Landeskirchen nicht beeinträchtigt werde." Zu der von beiden Partnern von Anfang an gewünschten Einigung konnte es indessen so lange nicht kommen, als die Frage der Gültigkeit der anglikanischen Weihen nicht gelöst war (die Frage also, „ob die Kirche von England Bischöfe im katholischen Sinne des Wortes besitze, oder ob im Reformationszeitalter diese Kirche zwar den Episkopat wiederhergestellt habe, jedoch nicht in einer Weise, daß die Bischöfe Englands als durch die gültig erhaltene Konsekration eingesetzte Nachfolger der vorreformatorischen Bischöfe angesehen werden könnten" [Ed. Herzog]). Während Döllinger und Friedrich und die Bischöfe Reinkens und Herzog auf Grund ihrer gelehrten Untersuchungen keine Bedenken trugen, die Gültigkeit der anglikanischen Weihen anzuerkennen, konnten sich die holländischen Bischöfe lange Zeit nicht dazu verstehen. So blieb den altkatholischen Bischöfen Deutschlands und der Schweiz vorläufig nur der Weg, die durch die gegenseitigen Sympathiekundgebungen eingeleitete Annäherung durch persönliche Besuche zu fördern. Bischof Herzog wie auch Bischof Reinkens besuchten die Kirche von England wiederholt. Ihre kirchliche Weihe empfingen diese persönlichen Begegnungen im Jahre 1879 in der Pfarrkirche zu Bern, w o der schottische Bischof Cotterill, Bischof Reinkens, Bischof Herzog und Père Hyacinthe Loyson durch gemeinsame Kommunion ihre kirchliche Gemeinschaft erstmals miteinander bekundeten. Im Jahre 1880 wurde Bischof Herzog zur Teilnahme am Generalkonvent der bischöflichen Kirche Amerikas eingeladen. Diese nahm eine Entschließung an, in der die Einheit des Episkopates in beiden Kirchen ausgesprochen wurde. Bischof Herzog hielt an mehreren Orten in der Episcopal Church Gottes-
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dienst und spendete die hl. Firmung. (Uber seine Amerikareise veröffentlichte Herzog eine eigene Schrift: „Gemeinschaft mit der Angloamerikanischen Kirche", die auch theologisch von großer Bedeutung ist.) 1881 unternahm Bischof Herzog zusammen mit Bischof Reinkens eine Vortragsreise nach England, die der weiteren gegenseitigen Verständigung dienen sollte. 1883 beschloß die deutsche Reichssynode, „es sei zu gestatten, daß den Mitgliedern der anglikanischen Kirche das hl. Abendmahl unter beiden Gestalten gereicht werde". Damit war nicht schon die Interkommunion vollzogen, sondern lediglich festgestellt, daß kein Grund bestehe, Anglikanern, die keine Gelegenheit hatten, die Kommunion in der eigenen Kirche zu empfangen, das altkatholische Abendmahl zu verweigern. Von grundsätzlich großer Bedeutung war sodann die Lambethkonferenz von 1888. Im Auftrag des Erzbischofs von Canterbury hatten vorher anglikanische Bischöfe mit Vertretern der deutschen und der schweizerischen Kirche in Bonn und in Ölten über die wichtigsten DifFerenzpunkte (die Lehre von den Glaubensquellen, die ökumenischen Konzilien, das Trienter Konzil, die Glaubensbekenntnisse, die Heiligen- und Reliquienverehrung usw.) Verhandlungen gepflogen, die zu einer weitgehenden Einigung führten. Daraufhin nahm die Lambethkonferenz eine Entschließung an, in der unter Anerkennung „der würdigen und unabhängigen Stellung der Kirche Hollands" die Förderung der freundlichen Beziehungen mit den Kirchen Deutschlands und der Schweiz als Pflicht bezeichnet und ihnen erneut weitgehende kirchliche Rechte angeboten wurden. Als Basis für weitere Unionsverhandlungen stellte die Lambethkonferenz vier Grundbedingungen auf, die als „The Lambeth Quatrilateral" bekanntgeworden sind und recht eigentlich als die Magna Charta des anglikanischen Unionsgedankens gelten können. Danach haben Grundlagen einer Einigung zu sein: 1. Die Schriften des Alten und Neuen Testamentes, da sie alles enthalten, was zum Heil notwendig ist, und weil sie die Regel und höchste Richtschnur des Glaubens sind. 2. Das Glaubensbekenntnis der Apostel als Taufsymbol und das Nicäische Glaubensbekenntnis als hinreichende Darlegung des christlichen Glaubens. 3. Die zwei von Christus eingesetzten Sakramente: die Taufe und das Abendmahl des Herrn, zu spenden unter dem unabänderlichen Gebrauch der Einsetzungsworte Christi und der von ihm selbst verordneten Elemente. 4. Der historische Episkopat, angepaßt je nach der Art seiner Verwaltung den verschiedenen lokalen Bedürfnissen der Völker und Menschen, welche von Gott zur Einheit seiner Kirche berufen sind.
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Mit dieser Erklärung stellt sich die anglikanische Kirche im wesentlichen auf den Boden derselben Prinzipien, die 1872 in Köln von den Altkatholiken als Grundlage für die Unionsarbeit aufgestellt worden sind (vgl. S. 103). Danach ist die Hl. Schrift die höchste Regel und Richtschnur des Glaubens und hat als solche den Vorrang vor den Glaubensentscheidungen der kirchlichen Lehrtradition. In den nachfolgenden Sätzen werden in Kürze die drei Grundelemente namhaft gemacht, die auch die Altkatholiken von jeher als unentbehrlich für die Katholizität der Kirche erachtet haben. Nämlich: a) Katholisch ist die Kirche in ihrer Lehre durch die Anerkennung der beiden ökumenischen Glaubensbekenntnisse. Diese sind an sich eine hinreichende Darlegung des christlichen Glaubens, wenn sie auch zu ihrem vollen Verständnis der Interpretation durch die dogmatischen Entscheidungen der ökumenischen Konzilien bedürfen, b) Katholisch ist die Kirche in ihrem Gottesdienst darin, daß Taufe und Abendmahl als die beiden Herrensakramente im Mittelpunkt ihres kirchlichen Handelns stehen. Dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß auch andere kirchliche Handlungen als Sakramente gelten können, c) Katholisch ist die Kirche darin, daß sie festhält am historischen Episkopat, an dem von der alten Kirche angenommenen Bischofsamt in Verbindung mit dem Presbyterat und Diakonat. Indessen kam es trotz dieser weitgehend grundsätzlichen Übereinstimmung noch immer nicht zu einer Einigung. Mit ein Grund dafür war, daß nach der im Jahre 1889 abgeschlossenen Utrechter Union die altkatholischen Bischöfe nur noch gemeinsam vorgehen konnten, der holländische Episkopat sich aber in einem Gutachten von 1894 noch immer nicht zu einer Anerkennung der anglikanischen Weihen entschließen konnte. Die darauffolgende Lambethkonferenz von 1897 empfahl - um die Verhandlungen auf breiterer Basis fortführen zu können - die Wiederaufnahme der Bonner Unionskonferenzen. Die 1897 vom Altkatholikenkongreß in Wien eingesetzte Kommission kam jedoch zu keinem Ziel. Durch die unglückselige Konsekration von Harry Matthew (S. 97) trat zwischen den beiden Kirchen eine nicht unbeträchtliche Entfremdung ein. Trotzdem bekundete die Lambethkonferenz von 1908 von neuem ihre Bereitschaft, mit den altkatholischen Kirchen die freundschaftlichen Beziehungen wieder aufzunehmen. Im gleichen Jahr wurde der Willibrordbund ins Leben gerufen, eine (heute noch bestehende) anglikanisch-altkatholische Gesellschaft, die der Förderung der Freundschaft der beiden Kirchen dient. Die entscheidende Wandlung trat erst nach dem Ersten Weltkrieg ein. Nachdem die Lambethkonferenz von 1920 ihre Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Unionsgespräche erneuert hatte, machte der Erzbischof
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von Utrecht am 2. Juni 1925 dem Erzbischof von Canterbury die briefliche Mitteilung, die holländische Kirche sei „nach langen Untersuchungen und ernsten Erörterungen" dazu gekommen anzuerkennen, daß in der anglikanischen Kirche die apostolische Sukzession nicht unterbrochen worden sei und daß das Weiheformular Eduards VI. als gültig anerkannt werden müsse. A m 2. September desselben Jahres machte sich die in Bern versammelte altkatholische Bischofskonferenz diese Entscheidung zu eigen und fügte bei, daß diese mit früheren Erklärungen altkatholischer Gelehrter und Bischöfe Deutschlands und der Schweiz übereinstimme. Abschließend gab sie der Hoffnung auf eine künftige engere Gemeinschaft mit der Kirche von England und ihren Tochterkirchen auf wahrhaft katholischem Boden Ausdruck. An der Lambethkonferenz von 1930, die von dieser Erklärung der altkatholischen Bischofskonferenz Kenntnis nahm, wurde festgestellt: „Eine Wiedervereinigung mit den altkatholischen Kirchen ist durchführbar. Als Grundlage einer solchen soll die Utrechter Glaubenserklärung dienen." Hierauf wurden vom Erzbischof von Canterbury und vom Erzbischof von Utrecht zwei theologische Kommissionen eingesetzt, die eine entsprechende Übereinkunft ausarbeiten sollten. Die beiden Kommissionen traten am 2. Juli 1931 in Bonn zusammen. Übereinstimmungen und Unterschiede wurden in aller Offenheit festgestellt und dann erklärt: „In Würdigung der Tatsache, daß die bestehenden Unterschiede eine völlige Ubereinstimmung in allen Lehrpunkten nicht zulassen, daß aber andererseits die wesentlichen Lehrgrundlagen beider Kirchen katholisch sind, wird auf eine besondere Darlegung der gemeinsamen Glaubensgrundlagen verzichtet, da eine solche der Formulierung eines neuen Glaubensbekenntnisses gleich käme." In weiser Beschränkung auf das Wesentliche und die bestehenden gemeinsamen Grundlagen einigte man sich auf folgende Fassung des Abkommens: 1. Jede Kirchengemeinschaft anerkennt die Katholizität und Selbständigkeit der andern und hält die eigene aufrecht. 2. Jede Kirchengemeinschaft stimmt der Zulassung von Mitgliedern der andern zur Teilnahme an den Sakramenten zu. 3. Interkommunion verlangt von keiner Kirchengemeinschaft die Übernahme aller Lehrmeinungen, sakramentalen Frömmigkeit oder liturgischen Praxis, die der andern eigentümlich ist, sondern schließt in sich, daß jede glaubt, die andere halte alles Wesentliche des christlichen Glaubens fest. Auf die allgemein-kirchliche und theologische Bedeutung dieses Abkommens werden wir später zu sprechen kommen (S. 396). Hier sei nur so viel bemerkt, daß der Nachdruck des Abkommens auf Art. 2, auf der vollen Abendmahls- und Sakramentsgemeinschaft liegt, während die
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beiden anderen Artikel deren Voraussetzungen umschreiben. Ebenso muß klar sein, daß das Abkommen nicht nur mit einer einzelnen kirchlichen Richtung - etwa der sog. anglo-katholischen - , sondern mit der anglikanischen Kirche als ganzer abgeschlossen worden ist. Diesem Abkommen hat die altkatholische Bischofskonferenz am 7. September 1931 in Wien zugestimmt, ebenso sind ihm beigetreten die beiden Konvokationen von Canterbury und York, der Generalkonvent der bischöflichen Kirche Amerikas und alle übrigen Mitglieder der anglikanischen Gemeinschaft. 1961 ist die Bezeichnung „Interkommunion" auf Grund der Unterscheidungen, die auf der 3. Weltkonferenz für Glauben und Verfassung in Lund (1952) aufgestellt und von der Lambethkonferenz von 1958 angenommen worden sind, präzisiert worden mit dem Begriff „füll communion", „volle kirchliche Gemeinschaft". Diese besagt aber nach dem Bonner Abkommen nicht die absorptive Union, sondern unter Anerkennung der Katholizität und korporativjurisdiktionellen Selbständigkeit der beiden Kirchen deren durchgehende communio in sacris.
cc) Die Unionsverhandlungen mit den Orthodoxen Während die Schwierigkeiten bei den Unionsgesprächen mit den Anglikanern mehr auf altkatholischer Seite lagen, war es bei den Verhandlungen mit den Orthodoxen eher umgekehrt. Diese legten trotz anfänglich großem Verständnis und Entgegenkommen den Altkatholiken gegenüber mit den verschiedensten Begründungen immer wieder eine überraschende Zurückhaltung an den Tag. Schon am Münchner Kongreß von 1871 hatten die Altkatholiken erklärt: „ W i r hoffen auf eine Wiedervereinigung mit der griechisch-katholischen Kirche, deren Trennung ohne zwingenden Grund erfolgte und in keinem unausgleichbaren dogmatischen Unterschied begründet ist." Diese Erklärung wurde von den am Kongreß anwesenden orthodoxen Theologen zwar mit großer Genugtuung aufgenommen, ebenso wie im Jahre darauf ähnliche Erklärungen am Kölner Kongreß. Nach den Bonner Unionskonferenzen hingegen, die anfänglich zu großen Hoffnungen Anlaß gegeben hatten, wurden aus den oben angeführten Gründen die Verhandlungen mit den Orthodoxen nicht mehr weitergeführt. Es trat für längere Zeit ein Stillstand ein. Erst nach dem Abschluß der Utrechter Konvention von 1889, die vor allem bei den Russen große Beachtung gefunden hatte, kam es erneut zu Verhandlungen. Allein, bald zeigten sich neue Schwierigkeiten. Auf dem Internationalen Altkatholikenkongreß in Luzem von 1892, zu dem erstmals wieder zahlreiche orthodoxe Theologen erschienen waren,
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wurde eine Resolution angenommen, in der unter Berufung auf die Utrechter Erklärung festgestellt wird: „Verbindlich ist die Lehre Christi, nicht theologische oder sog. fromme Meinungen. Als Lehre Christi nehmen wir an, was durch die allgemeine, beständige und einstimmige Überlieferung der christlichen Einzelkirchen erkannt worden ist." Der griechische Theologe Rossis, der schon an den Bonner Konferenzen teilgenommen hatte, mißverstand diese Entschließung dahin, daß die Altkatholiken als dogmatisch wesentlich betrachten, was die Orthodoxen, Römisch-Katholiken und Protestanten heute miteinander gemeinsam haben, daß sie also auf Grundlage eines „dogmatischen Minimums" die kirchliche Wiedervereinigung erstreben möchten. Rossis eröffnete in Griechenland eine heftige Polemik gegen die Altkatholiken und forderte, daß von diesen, außer den Glaubensentscheidungen der alten Kirche auch die Erklärungen der späteren östlichen Synoden, insbesondere derjenigen des 17. Jahrhunderts anerkannt würden. Das war für die Altkatholiken unannehmbar. Diese erklärten ihrerseits: „ W i r haben niemals daran gedacht eine neue Kirche zu gründen, deren Glaube in dem Minimum des gemeinschaftlichen Glaubens der orthodoxen, römisch-katholischen und protestantischen Kirchen bestehen würde. Die Altkatholiken sind nicht aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten, sie wollten und sie wollen nur dem Glauben der alten allgemeinen Kirche treu bleiben." Positiver war die Reaktion der russischen Kirche. Durch den hl. Synod wurde eine theologische Kommission eingesetzt, die die noch strittigen Punkte mit den Altkatholiken bereinigen sollte. Die Altkatholiken ihrerseits bildeten auf dem Kongreß zu Rotterdam im Jahre 1894 eine theologische Kommission. Die Verhandlungen der beiden Kommissionen („Petersburger" und „Rotterdamer" Kommission genannt) zogen sich von 1894 bis 1913 hin. Ihr Hauptgegenstand war die Filioquefrage, die Eucharistie und die Weihen der Kirche von Utrecht, deren Regularität (nicht aber Gültigkeit) den Orthodoxen zweifelhaft schien. Überschattet wurden diese Verhandlungen noch durch eine neue Schwierigkeit, die sich vom Kirchenbegriff her ergab. Im Jahre 1902 hatte der ökumenische Patriarch von Konstantinopel in einem Rundschreiben an alle autokephalen Kirchen des Ostens diese über ihre Stellung zu den Kirchen des Westens, unter ihnen auch zur altkatholischen, befragt. Der hl. Synod von Petersburg stellte sich in seiner Antwort auf den Standpunkt, daß die eine ökumenische Kirche gegenwärtig allein die orthodoxe sei und daß daher von den kirchlichen Gemeinschaften, die mit ihr eine Union einzugehen wünschten, gefordert werden müsse, daß sie sich in die morgenländische Kirche aufnehmen Hessen. Sei das geschehen, könne ihnen die Autonomie zugestanden werden. Diesen Standpunkt, den schon der Kon-
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vertit Overbeck eingenommen hatte, teilte die Petersburger Kommission nicht, hingegen die große Mehrheit der griechischen Theologen. Die Kirche Serbiens jedoch antwortete, sie sehe keinen Grund, mit den Altkatholiken nicht in Gemeinschaft zu treten. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges hörten naturgemäß alle weiteren Verhandlungen von selbst auf. Durch die großen Umwandlungen, die der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte, waren inzwischen die Kirchen des Ostens mit dem Westen in nähere Berührung gekommen. Viele ihrer Theologen waren mit der abendländischen Denkweise und vor allem mit deren wissenschaftlichen Methoden vertrauter geworden, wie auch umgekehrt in der abendländischen Theologie sich das Verständnis für die Orthodoxie merklich vertieft hatte. Das wirkte sich auch auf die altkatholischorthodoxen Beziehungen aus, die bald nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufgenommen wurden. An der Präliminarversammlung für die Weltkonferenz für Glauben und Verfassung im August 1920 in Genf rief Erzbischof Germanos, der Exarch des ökumenischen Patriarchates in Konstantinopel für Westeuropa, die dort anwesenden orthodoxen und altkatholischen Delegierten zu einer ersten Besprechung zusammen. Man stellte fest, daß in den wesentlichen Dingen kein Gegensatz mehr vorhanden und in den unwesentlichen eine Verständigung möglich sei. Man beschloß die sofortige Wiederaufnahme offizieller Verhandlungen. Allein die damaligen Zeitverhältnisse (u. a. der griechisch-türkische Krieg) ließen solche vorderhand nicht zu. Doch wurden bald in anderer Weise beachtliche Fortschritte erzielt. Am 7. Juni 1922 erklärte die Kirche von Utrecht, nicht mehr auf dem Standpunkt des Konzils von 1763 zu stehen, das in Übereinstimmung mit Rom die morgenländische Kirche als schismatisch erklärt hatte. „Ohne Einschränkung" wurde der katholische Charakter der „griechischen oder morgenländischen Kirche" anerkannt. Am Altkatholikenkongreß in Bern vom Jahre 1925 hielt Prof. Stefan Zankow (Sofia) einen vielbeachteten Vortrag, der eine weitere Klärung der theologischen Probleme herbeiführte. Er stellte im Blick auf die bisherigen Verhandlungen fest, daß zwischen den beiden Kirchen nur drei DifFerenzpunkte von wirklichem Gewicht bestünden bzw. bestanden hätten: die Filioquefrage, die Eucharistie und der Kirchenbegriff. Der Filioquestreit könne nach dem Ergebnis der Untersuchungen des bedeutenden russischen Theologen Bolotow (der diese Lehre nicht als ein Theologumenon, sondern als ein bloßes Philosophumenon beurteilte und in ihr kein „impedimentum dirimens" für eine Wiedervereinigung erblicken konnte) und in Würdigung der Tatsache, daß die Altkatholiken diesen un-
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rechtmäßigen. Zusatz schon längst aus dem Credo ausgemerzt hatten, als erledigt betrachtet werden. Ebensowenig könne die Abendmahlslehre der Altkatholiken, die die scholastische Transsubstantiationslehre nicht als verbindlich betrachten, aber an der Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi im Sinne einer „Wandlung" der Abendmahlsgaben festhalten, ein Scheidungsgrund sein. Schwerer wiege die Differenz über den Kirchenbegriff. Die von einzelnen altkatholischen Theologen vertretene Ansicht, die einzelnen Kirchen (so auch die heutige orthodoxe Kirche) seien nur Zweige der Einen Kirche, in dem Sinne, daß sie nur einen Teil des ganzen Erbgutes besäßen, während die ganze, wahre Kirche in den einzelnen Kirchenkörpern unsichtbar gegenwärtig sei, könne von der Orthodoxie nicht angenommen werden. Für sie sei die Kirche ein sowohl unsichtbares wie sichtbares Ganzes und dieses Ganze sei die orthodoxe Kirche. Diese Lehre werde zwar von den Altkatholiken als „ultramontan" abgelehnt, sie sei aber orthodox. Und doch sei - da es auch wesentlich anders lautende Stimmen von Seiten der Altkatholiken gebe - eine Verständigung auch hierüber möglich. Tatsächlich ist seither auch in dieser Frage auf Grund neuer Untersuchungen über den Begriff der Kirche eine weitgehende Annäherung erfolgt, in dem Sinne, daß von altkatholischer Seite jetzt betont wird: Die einzelnen Kirchen sind nicht bloß Teile, bloße Zweige ohne Baum, sondern echte und wirkliche Repräsentationen der Einen und ganzen Kirche, sofern sie an den ursprünglichen Grundordnungen der alten und Einen Kirche in Lehre, Verfassung und Kultus festhalten. Damit war der Weg zu neuen Verhandlungen geebnet. Anläßlich der „Weltkonferenz für Glaube und Verfassung" in Lausanne im Jahre 1927 schlug wiederum Erzbischof Germanos, ein warmer Freund der altkatholischen Kirche, eine Sonderbesprechung der dort anwesenden orthodoxen und altkatholischen Theologen vor. Er regte an, es solle eine orthodoxe und altkatholische Kommission zur Wiederaufnahme informatorischer Besprechungen gebildet werden. Nachdem an der Lambethkonferenz von 1930 zwischen Orthodoxen und Altkatholiken eine neue Begegnung stattgefunden hatte, traten die beiden K o m missionen am 27. und 28. Oktober 1931 in Bonn zusammen. Von orthodoxer Seite waren an diesen Bonner Besprechungen vertreten die Patriarchate von Konstantinopel, Alexandrien und Jerusalem (durch Erzbischof Germanos), von Antiochien, Rumänien, Jugoslawien, Cypem, Griechenland und Polen. Nicht anwesend waren infolge der politischen Verhältnisse die Russen. Von altkatholischer Seite nahmen teil die Kirchen Hollands, Deutschlands und der Schweiz. Noch einmal wurden die wichtigsten DifFerenzpunkte durchbesprochen und theoretisch in allen
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wesentlichen Dingen eine Einigung erzielt. Bischof Adolf Küry schlug darauf die Herstellung der gegenseitigen Sakramentsgemeinschaft vor. Erzbischof Germanos erklärte sich bereit, diesen Vorschlag der in absehbarer Zeit zusammentretenden panorthodoxen Prosynode vorzulegen. Diese ist bis heute nicht zusammengetreten. Die in Bonn zustande gekommene Einigung trat bald wieder in den Hintergrund, ohne daß indessen die gegenseitigen persönlichen Beziehungen abgerissen worden wären. Im Gegenteil: an den großen ökumenischen Konferenzen, und vor allem an den Altkatholikenkongressen nach dem Zweiten Weltkrieg, kam es zu immer neuen Begegnungen und Sympathiekundgebungen. Aber es geschah nichts. Auf diesen Notstand hat Erzbischof Rinkel in einem offenen Brief an Prof. Alivisatos hingewiesen, u. a. mit folgenden Worten: „In Bonn (1931) kamen wir zur Einheit, aber es ist seither ein Vierteljahrhundert vergangen. Auf dem Altkatholikenkongreß in Hilversum (1948) sprachen wir über das Problem mit Erzbischof Germanos, mit welchem wir die Akte von Bonn unterzeichnet haben. Er kam mit uns zum Schluß: Wenn sich die Einberufung der panorthodoxen Synode verzögert, dann kann und soll jede einzelne orthodoxe Kirche sich aussprechen. An der II. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Evanston (1954) bestanden einige Erzbischöfe autokephaler Kirchen darauf, daß ein solcher Beschluß gefaßt werden sollte, denn - so sagte man - es steht nichts mehr zwischen uns, und unsere Stellung in der Ökumene gebietet es." Erst in neuester Zeit scheint sich (nicht zuletzt dank der Initiative des für die ökumenischen Probleme weit aufgeschlossenen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras I.) eine gewisse Wandlung abzuzeichnen. Ende September 1961 trat auf der Insel Rhodos eine panorthodoxe Konferenz zusammen, die die Aufgabe hatte, die Verhandlungsgegenstände für eine kommende Prosynode der orthodoxen Kirchen vorzubereiten. Diese Konferenz nahm u. a. eine Entschließung an, in der „die Förderung der gegenseitigen Beziehungen, der bisher geführten theologischen Besprechungen und des von ihnen (den Altkatholiken) bekundeten Bestrebens zur Vereinigung mit der orthodoxen Kirche" vorgesehen wurde. Die gleichzeitig in Haarlem tagende altkatholische Bischofskonferenz erklärte ihrerseits erneut ihre Bereitschaft, mit der orthodoxen Kirche in Abendmahlsgemeinschaft zu treten. Im Frühjahr 1962 statteten der Präsident und der Sekretär der altkatholischen Bischofskonferenz dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel einen offiziellen Besuch ab. An einer gemeinsamen Sitzung mit der dortigen Kommission für panchristliche Fragen wurde die Bildung einer gemischten orthodox-altkatholischen Kommission beschlossen, die die Vor-
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arbeiten für die Herstellung der vollen kirchlichen Gemeinschaft an die Hand nehmen soll. Ihre Mitarbeit haben inzwischen alle orthodoxen Patriarchate zugesichert, unter ihnen auch das Patriarchat von Moskau, das 1931 nicht vertreten gewesen war. Die dritte panorthodoxe Konferenz vom November 1964 faßte den formellen Beschluß, die Unionsverhandlungen mit den Altkatholiken - wie mit den Anglikanern - sofort aufzunehmen und zwei Kommissionen zu bestellen, die die Grundlagen für die kommenden Verhandlungen auszuarbeiten haben. Diese Beschlüsse sind im Februar 1965 durch eine Delegation des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel dem Erzbischof von Utrecht mitgeteilt worden. Unter diesen Voraussetzungen besteht Aussicht, daß die innere Ubereinstimmung zwischen der orthodoxen und altkatholischen Kirche in allen wesentlichen Dingen, die schon vor 90 Jahren festgestellt und im Jahre 1931 formell bekräftigt und bestätigt worden ist, durch ein entsprechendes Abkommen dokumentiert wird.
Anhang: Die orthodox-anglikanischen Unionsgespräche
Schon um 1840 und dann wieder vor 1870 hatten Orthodoxe und Anglikaner miteinander Verhandlungen aufgenommen, die zunächst mehr Fragen der gegenseitigen kirchlichen Hilfe betrafen. Im 20. Jahrhundert nahmen die Gespräche mehr und mehr einen offiziellen und theologischen Charakter an. 1922 anerkannte die Synode von Konstantinopel die Gültigkeit der anglikanischen Weihen. Ihrem Beispiel folgten einige autokephale Kirchen. An der Lambethkonferenz von 1930, die auch für die anglikanisch-altkatholischen Beziehungen von größter Bedeutung war, wurde beschlossen, es sollten vom ökumenischen Patriarchat zu Konstantinopel und vom Erzbischof von Canterbury zwei theologische Kommissionen eingesetzt werden. Diese arbeiteten einen Bericht aus, der die wesentlichen Übereinstimmungen und Differenzen zwischen den beiden Kirchen feststellte. In diesem Bericht werden im großen und ganzen dieselben Probleme behandelt, die schon an den beiden Bonner Unionskonferenzen von 1874 und 1875 zur Diskussion standen, wie auch versucht wird, vom Boden der alten, ungeteilten Kirche her eine Lösung für sie zu finden. Hervorzuheben ist, daß in diesem Bericht, wie schon bei früheren Verhandlungen, betont wird: die 39 Religionsartikel der Kirche von England sind von untergeordneter Bedeutung. Verpflichtend sind allein die ökumenischen Glaubenssymbole. Entscheidend für die Erzielung weiterer Fortschritte ist die gegenseitige Anerkennung der Katholizität der beiden Kirchen. Erzbischof Germanos stellt als vorläufiges Ergebnis dieser Verhandlungen fest: Alte Anschauungen, wie sie bei vielen
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Orthodoxen vorherrschten, wonach die anglikanische Kirche nichts anderes als ein Zweig des Protestantismus sei, der als Überrest aus dem früheren Katholizismus die Bischofswürde beibehalten habe, wurden hinfällig. Seither sind die Anglikaner durch Besuche und Kommissionsarbeiten bestrebt, eine weitere Annäherung an die orthodoxen Kirchen herbeizuführen, wie auch diese 1961 an der Konferenz zu Rhodos im Blick auf die Anglican Communion beschlossen, eine „Untersuchung der Möglichkeiten zur Verbesserung der Beziehungen und ihrer weiteren Annäherung im Lichte der positiven Voraussetzungen anzustreben". An der dritten panorthodoxen Konferenz, von 1964, wurde beschlossen, mit den Anglikanern - wie mit den Altkatholiken (vgl. S. 486) - die Unionsgespräche sofort aufzunehmen.
V I I I . D I E BESONDERHEIT ALTKATHOLISCHER KIRCHLICHKEIT
a) Das evangelisch-katholische
Grundprinzip
Ein Rückblick auf die Geschichte der altkathclischen Kirche in ihrer Gesamtheit wie insbesondere auf ihre Unionsverhandlungen zeigt, daß die altkatholische Kirche den Grundprinzipien, die sich zunächst aus ihrem Widerstand gegen die Papstdogmen ergeben haben, bis heute treu geblieben ist und sie weiter zu vertiefen sich bemüht hat. Sie hat sich dieselben nicht selbst gegeben, sondern sie ist überzeugt, daß sie ihr in einem bestimmten Augenblick der Geschichte vom Herrn der Kirche selbst als Gesetz ihres Handelns auferlegt worden sind. Von außenstehenden, nicht näher orientierten Betrachtern ist zwar der altkatholischen Kirche schon wiederholt der Vorwurf gemacht worden, sie lasse in ihrem kirchlichen Wollen keine klare Linie erkennen, sie habe sich ihre Prinzipien in eklektischer Weise selbst zurecht gelegt. So sagt man etwa, sie habe im Bestreben, den „goldenen Mittelweg" zu wählen, von rechts und von links, d. h. vom römischen Katholizismus und vom Protestantismus und in Anpassung an die Orthodoxie (filioque!) die ihr zusagenden, aber sich in der Sache vielfach widerstreitenden Traditionen anderer Kirchen übernommen, um sie zu einer gewagten Synthese zu vereinigen. Noch mehr: sie sei durch gelehrte Professoren auf Grund eines umfassenden, von ihnen zusammengetragenen geschichtlichen Materials gleichsam konstruiert worden, sie sei eine „Professorenkirche", die, in akademischer Unentschiedenheit vor den letzten Entscheidungen verharrend, bei Halbheiten stehengeblieben sei. Wer aber ihre Geschichte, ihre Theologie und ihr kirchliches Handeln kennt, wird anders urteilen. In Wirklichkeit ist
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die altkatholische Kirche das, was sie heute ist, in einem organischen, wenn auch nicht selten von fremden Einflüssen gefährdeten Prozeß geworden. Durch den ihr gegen das I. Vatikanum auferlegten Kampf dazu genötigt, immer aufmerksamer auf das W o r t des Herrn zu hören, es als höchste Norm des Glaubens und des kirchlichen Handelns anzuerkennen, hat sie zugleich die Kontinuität mit der Wahrheit und den Ordnungen der alten und Einen Kirche zu wahren versucht. D a mit verbindet die altkatholische Kirche von ihrem innersten Wollen und Streben her zwei Grundsätze, die sich in der Geschichte der christlichen Kirche immer wieder als unversöhnliche Gegensätze gegenübergetreten sind: den der evangelischen Freiheit und den der katholischen Gebundenheit. Unter der evangelischen Freiheit versteht sie die allen Gläubigen zukommende Freiheit des Gewissens, die letzten Entscheidungen in unmittelbarer Verantwortung vor dem Herrn zu treffen, der uns durch die Hl. Schrift sein W o r t sagt. Unter der katholischen Gebundenheit versteht sie die Verpflichtung, dieses W o r t als Glied der Einen Kirche entgegenzunehmen, es nicht ohne „die Väter und Brüder", sondern nur im aufmerksamen Hinhören auf die Stimme der Einen und ganzen Kirche anzunehmen und auszulegen. In dieser Grundhaltung weiß sich die altkatholische Kirche verwandt mit der orthodoxen Kirche, die sich selbst als die Mitte zwischen Protestantismus und römischem Katholizismus versteht (St. Zankow), wie natürlich mit der anglikanischen Kirche, in mancher Beziehung aber auch mit den bischöflichen Reformationskirchen und den hochkirchlichen Bewegungen. Aber dieses ihr evangelisch-katholisches Grundprinzip bringt sie in einer besonderen, durch ihre geschichtliche Herkunft bedingten Weise zur Geltung. Diese besondere Weise kann umschrieben werden durch die auf Augustin zurückgeführte Formel, die Döllinger schon bei den Unionsverhandlungen geltend gemacht hat und die als Devise bis heute über der Verfassung der christkatholischen Kirche der Schweiz steht: in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus Caritas, übersetzt:
h) Im Notwendigen Einheit, in Zweifelsfragen Freiheit, in allem die Liebe Einheit soll bestehen oder ist anzustreben in allen für die Kirche lebenswichtigen Grundfragen, d. h. in allen für sie wesentlichen Ordnungen in Bekenntnis, Amt und Gottesdienst. Damit ist nicht, wie immer wieder gedeutet wird, einem dogmatischen oder kirchlichen Minimalismus das W o r t geredet, sondern ein Grundsatz aufgestellt, der sich bei der ganzen Mannigfaltigkeit und zum Teil auch Widersprüchlichkeit des überlieferten altkirchlichen Glaubens- und Frömmigkeitsgutes, auf das sich die alt-
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katholische Kirche beruft, als unumgänglich erweist. Es kann und muß, soll die bestehende oder erst zu suchende Einheit der Kirche lebendige Wirklichkeit werden, auf die „Substanz" (Döllinger) dieses Erbgutes zurückgegangen werden. Diese Substanz aber ist gegeben mit den großen Grundentscheidungen der alten und Einen Kirche, die aber nicht einfach als Glaubensgesetz zu übernehmen, sondern im Glauben frei nachzuvollziehen sind. Solche Grundentscheidungen der Kirche gibt es nur wenige, die aber um so gewichtiger sind (vgl. S. 127) und die in ihrer Gesamtheit jene „necessaria" ausmachen, über die Einigkeit bestehen muß. Auf sie sind darum alle übrigen Glaubensaussagen zurückzubeziehen. Es ist nicht nötig und auch nicht tunlich - das ist ein Grundsatz, der auch von der orthodoxen Kirche (vor allem der römisch-katholischen Kirche gegenüber) festgehalten wird - , daß über jede Glaubensfrage, die sich stellt, allgemein verbindliche Lehrentscheidungen erlassen werden. Vielmehr gilt es, wie für den Nachvollzug jener Grundentscheidungen, so auch für die Beantwortung noch offener Glaubensfragen, dem theologischen Denken freien Raum zu lassen. Zeigt es sich dabei, daß sich gegensätzliche Lehrmeinungen bilden und Zweifel darüber entstehen, was nun schriftgemäß und katholisch sei, muß der Grundsatz der Freiheit gelten: in Zweifelsfragen Freiheit. Es darf nicht um Glaubensfragen willen, die nicht zu jenen Grundentscheidungen der Kirche gehören, um bloßer Lehrmeinungen der Theologen willen, die Einheit der Kirche gefährdet werden. In allem aber, in der Feststellung und Verkündigung der notwendigen Grundwahrheiten, wie in ihrer freien Entfaltung zur „Fülle" durch das theologische Denken und das kirchliche Handeln, soll das Gesetz der Liebe herrschen, durch das die Kirche erst ihre wahre Erfüllung findet. Derselbe Grundsatz ist mutatis mutandis auf die Aemterordnung und den Gottesdienst anzuwenden: notwendig ist für die erstere die Anerkennung des dreigestuften Amtes des Episkopates, Presbyterates und Diakonates, während dessen konkrete Ausgestaltung frei ist; notwendig ist für den letzteren das von Christus gestiftete Abendmahl, dessen liturgische Form in bestimmten Grenzen frei ist. In allem aber walte die Liebe.
c) Die altkatholische Kirche und der Liberalismus Die wirksame Anwendung dieses dreifachen augustinischen Grundsatzes erfordert - den strikten Offenbarungsglauben vorausgesetzt - eine Haltung, die die altkatholischen Führer „theologische Liberalität" nannten und die sie ausdrücklich für sich in Anspruch genommen haben. Man hat darum schon versucht, die altkatholische Kirche als ein „Kind des Liberalismus" des 19. Jahrhunderts zu charakterisieren. Es gilt aber zu
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bedenken, daß - wie die „Vorgeschichte" zeigt - die Wurzeln der altkatholischen Kirche weit in die vorliberale Ära zurückreichen, wie denn die Kirche von Utrecht nie unter liberalem Einfluß stand, und andererseits, daß unter „Liberalismus" sehr Verschiedenes verstanden werden kann. Ursprünglich eine schon im Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts sich abzeichnende, gegen jeden geistlichen oder weltlichen Totalitäts- und Absolutheitsanspruch gerichtete Grundhaltung, kann der Liberalismus zu einer „Weltanschauung" werden, die nicht mehr nur jeden Totalitätsanspruch, sondern auch jeden, vor allem jeden jenseitigen, von Gott her kommenden Autoritätsanspruch leugnet. In dieser säkularisierten, agnostischen, unter Umständen stark humanistisch geprägten Gestalt wird er zum „Diesseitsliberalismus", der dem Offenbarungsanspruch der Bibel und der Verkündigung der Kirche mehr oder weniger naiv und verständnislos oder dann skeptisch und ablehnend gegenübersteht. Er läßt dann etwa, ohne sich auf die letzten Fragen einzulassen, die Kirche als Stätte der Volkserziehung, ihr gottesdienstliches und sakramentales Handeln als „Zeremonienwesen zur symbolhaften Darstellung des Ewigen" gelten. In dieser Form - das soll nicht geleugnet werden - hat der Liberalismus zeitweise auch stark auf einzelne Laienführer und das Kirchenvolk der altkatholischen Kirchen, die sich nach 1870 bildeten, eingewirkt. Ihm stand aber von Anfang an ein entschiedener „Jenseitsliberalismus" (so unterscheidet O. Gilg: Christkatholizismus in Luzern, Luzem 1946) gegenüber, der durch die theologisch maßgebenden kirchlichen Führer vertreten wurde. Diese verharrten bewußt auf dem Boden des christlichen Offenbarungsanspruches und der überlieferten Lehre der katholischen Kirche, bejahten aber gerade von diesem Boden aus in einem bestimmten Sinne die Grundsätze des Liberalismus. A m klarsten hat sich darüber Döllinger ausgesprochen (in seiner Einleitung zum „Papsttum", S. IX): „ W i r bekennen uns zu derjenigen Ansicht, welche die liberale genannt wird. Wir sind die Gesinnungsgenossen derjenigen, welche überzeugt sind, daß die katholische Kirche zu den Prinzipien der politischen, der intellektuellen und religiösen Freiheit und Selbstentscheidung, soweit diese Prinzipien im christlichen Sinne verstanden werden, ja gerade aus dem Geist und dem Buchstaben des Evangeliums geschöpft sind, sich nicht feindlich und abweisend verhalten dürfe, vielmehr positiv auf dieselben eingehen und auf deren Verwirklichung reinigend und veredelnd einwirken soll." Nach diesen programmatischen Sätzen Döllingers haben die altkatholischen Führer denn auch je und je gehandelt. Als Katholiken sich für die politische Freiheit einsetzend, waren sie eifrige Befürworter des damals erst im Entstehen begriffenen modernen Rechtsstaates und seiner Volksrechte. Insbesondere
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begrüßten sie, daß durch das neuzeitliche staatliche Verfassungsrecht (durch den Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der noch im Syllabus abgelehnt worden war, durch die Entkonfessionalisierung des Zivilstandswesens, der Schule, des Armenwesens usw.) jeder Gewissenszwang im Zusammenleben der Bürger ausgeschlossen werden sollte. Als Katholiken, die die intellektuelle Freiheit verlangten, stellten sie sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit bewußt auf den Boden der freien Forschung, die ebenfalls eine Errungenschaft des Liberalismus ist. Die M e thode der liberalen Bibel- und Dogmenkritik übernehmend, verwahrten sie sich gegen jede Bevormundung der Theologie durch die kirchliche Hierarchie. Als Katholiken endlich die religiöse Freiheit fordernd, wollten sie die persönliche Selbstentscheidung dem göttlichen Offenbarungswort gegenüber innerhalb der katholischen Kirche in vollem Umfange gewahrt wissen. Nicht die gehorsame Unterwerfung unter die von der Hierarchie formulierten Glaubenssätze, sondern die freie Aneignung der Wahrheit Gottes in der persönlichen Glaubensentscheidung, zu der die kirchlichen Glaubenssätze nur den W e g weisen, sollte oberstes Prinzip auch des katholischen Glaubens sein. - In diesem dreifachen Sinn bekennt sich die altkatholische Kirche bis heute zum Liberalismus. Aber er ist ihr nicht Selbstzweck, sondern - vor allem in seiner dritten Gestalt - ein Mittel der Läuterung auf dem Wege der Kirchwerdung im Gehorsam gegen den Herrn.
II. Teil DIE LEHRE DER ALTKATHOLISCHEN KIRCHE
EINLEITUNG ir wollen nicht eine neue Sekte, nicht eine neue Kirche. Wir müssen bei unserer Kirchenbildung zurückgehen zur Regel der christkatholischen Tradition, nach welcher zur Definition eines Dogmas gehört, daß dasselbe überall, zu allen Zeiten und von allen angenommen ist." Mit dieser Erklärung hat der schweizerische Laienführer Walter Munzinger auf eine kurze Formel gebracht, was die altkatholischen Theologen in bezug auf die Lehre von Anfang an als ihr Ziel bezeichnet haben: Nicht neue Lehren sollten verkündet, sondern am überlieferten Glauben der katholischen Kirche festgehalten, und dieser neu zur Geltung gebracht werden. Diese bewußte Selbstbeschränkung auf das überlieferte Glaubensgut war um so bemerkenswerter, als der Kampf gegen die päpstlichen Primatsansprüche den Altkatholiken grundlegend ein Kampf des Glaubens war, der es ihnen hätte nahelegen müssen, in einer besonderen Bekenntnisschrift - wie man das auch vielfach von ihnen erwartete ihren Glauben positiv darzulegen. Davor waren aber die altkatholischen Führer gewarnt durch das damals noch unvergessene Beispiel der sog. Deutschkatholiken. Diese hatten um 1840 unter Führung des schlesischen Priesters Johann Ronge gegen den mit dem heiligen Rock von Trier getriebenen Aberglauben eine eine Zeitlang weitgreifende Protestbewegung ins Werk gesetzt und eine ansehnliche Zahl unabhängiger katholischer Gemeinden zu gründen vermocht. Diese aber sahen ihre wichtigste Aufgabe alsbald darin, für ihre Gemeinschaft ein neues Glaubensbekenntnis zu formulieren, um, wie Ronge sagte, „dem religiösen Bewußtsein der Zeit Ausdruck zu geben". Dreimal - in den Jahren 1844, 1845 und 1847 - traten die Deutschkatholiken zu diesem Zwecke zu „Konzilien" zusammen. Die Meinungsverschiedenheiten erwiesen sich aber als so groß, daß die Bewegung, die teilweise freigeistigen Einflüssen verfiel, bald in sich zusammenbrach und die Gemeinden sich wieder auflösten. Wessenberg, an den die Deutschkatholiken im Jahre 1845 herangetreten waren, lehnte jede Gemeinschaft mit ihnen als einer bloßen „Sekte" ab. Von Döllinger wurde Ronge, der als bereits halb verschollener Mann am Münchner Kongreß von 1871 erschienen war, schroff zurückgewiesen. In den altkatholischen Kreisen war man peinlich darauf bedacht, auch in der Lehre keinen Neuerungen zu verfallen. Die Treueverpflichtung auf den Glauben der alten und Einen Kirche war und blieb den Altkatholiken die unerschütterliche Grundlage, wie ihres kirchenbildenden Handelns, so auch ihrer Lehre.
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Die Lehre der altkatholischen Kirche
W i e aber war und ist das Bekenntnis der Altkatholiken zum „überlieferten katholischen Glauben", unter dem sie mit zunehmender Deutlichkeit den Glauben der alten, ungeteilten Kirche des i . Jahrtausends verstanden, gemeint? Nicht gemeint war damit eine Repristination (Wiederbelebung) der altkirchlichen Zustände und Einrichtungen, wie diese immer wieder angestrebt worden war in der falschen Meinung, daß die alte Kirche allein schon durch ihre Nähe zu den zeitlichen Anfängen auch zu den göttlichen Ursprüngen der Kirche in engerer Beziehung stehe. N o c h weniger sollte im Sinne eines neuen, aus dem historischen Bewußtsein gewonnenen „geistlichen Imperialismus" versucht werden, die dominierende Stellung, die die alte Kirche durch ihre (wenn auch relative) Einheit in der alten W e l t eingenommen hatte, für die Kirche der Gegenwart zurückzugewinnen. Endlich war auch nicht beabsichtigt, i m Geiste der Lehre v o m consensus quinquesaecularis, wie sie Georg Calixt (f 1656) vertreten hatte, den in der Kirche der ersten fünf Jahrhunderte anerkannten Lehrgehalt zum C o d e x einer neuen Rechtgläubigkeit zu erheben. Vielmehr war und ist es das Anliegen der altkatholischen Kirche, durch die Rückkehr zum Glauben der alten Kirche die Stimme der Einen und ganzen Kirche wieder zu Gehör zu bringen, der allein die Verheißung der Wahrheit gegeben ist. Diese ist aber bis jetzt überhaupt erst vernehmbar geworden in der ungeteilten Kirche des 1. Jahrtausends (E. Herzog, E. Gaugier). Man hat gegen diese Berufung auf die ungeteilte Kirche des 1. Jahrtausends schon eingewendet, daß es diese überhaupt nie gegeben habe: von ihr zu reden sei ein „Mythos". In Wahrheit hätten schon in der alten Kirche tiefgehende Lehrunterschiede, Trennungen und Spaltungen bestanden, die im Osten zum Teil bis heute andauern. Darauf ist zu erwidern, daß die altkatholischen Theologen, an ihrer Spitze Döllinger als die geschulten Historiker, die sie waren, unterrichtet genug waren, um über diese Dinge Bescheid zu wissen. W e n n sie trotzdem von der ungeteilten Kirche des 1. Jahrtausends sprachen, so meinten sie die Kirche, die noch nicht in eine östliche und westliche zerfallen war: die Kirche vor 1054. Als gebildete Katholiken des Westens wußten sie sich mit den Orthodoxen des Ostens im Glauben und in der Anerkennung der altkirchlichen Ordnungen trotz dem Schisma eins und wollten auf dieser, ihnen mit den Orthodoxen gemeinsamen Grundlage Katholiken sein, bzw. bleiben (vgl. dazu das „Münchner Programm" und Döllinger: „ Ü b e r die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen", S. 28fF.). A n dieser Einen und in diesem Sinne noch ungeteilten Kirche des 1. Jahrtausends war ihnen allerdings nicht einfach alles maßgebend. Normativ waren für sie - wie die Utrechter Erklärung deutlich sagt - nur die großen
Einleitung
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Grundentscheidungen der ungeteilten Kirche, wie sie in den ökumenischen Glaubensbekenntnissen und in den Dogmen der ökumenischen Konzilien niedergelegt sind. Damit war wiederum nicht gemeint, daß mit den Dogmen der alten Kirche die Grenze jeglicher theologischen Lehrbildung für immer erreicht sei. Ausdrücklich wurde anerkannt, daß auch in den späteren Teilkirchen Entscheidungen und Anordnungen getroffen worden sind, die unter derselben Verheißung stehen wie die der alten und Einen Kirche (E. Herzog). N u r sollten dieselben nicht in offenem Widerspruch stehen zu denjenigen der alten Kirche. Aus dieser Sicht ergab sich für die altkatholischen Theologen eine doppelte Aufgabe: 1 . Die dogmatischen Entscheidungen der alten Kirche neu zu durchdenken und sie mit den Mitteln der neueren Forschung für unsere Zeit nachzuvollziehen. 2. Die wichtigsten Sonderlehren der späteren Teilkirchen daraufhin zu prüfen, ob und wie weit sie mit den Grundentscheidungen der alten Kirche in Ubereinstimmung stehen und sie dort, w o diese fehlt oder ungenügend ist, anzustreben. Grundentscheidungen gibt es in der alten Kirche nur wenige, die aber von um so größerem Gewicht sind. Sie betreffen in der Hauptsache die Heilsoffenbarung Gottes, d. h. sie beziehen sich entscheidend auf die göttlichen Personen, den Vater, den Sohn und den Hl. Geist und befassen sich mit der Frage, was der dreieinige Gott in seiner Offenbarung für uns getan hat und noch tut. Sie sind „Theologie" im engeren Sinne des Wortes, Lehre von Gott und seiner Offenbarung. Die wichtigsten dieser Grundentscheidungen sind: Im 2. Jahrhundert die Entscheidung für den Kanon der Hl. Schrift. Im 4. Jahrhundert die Entscheidung für die Dreieinigkeit Gottes, die das Bekenntnis zur vollen Gottheit Christi und des Hl. Geistes in sich schließt. Im 5. Jahrhundert die Entscheidung für die volle Gott-Menschheit Christi und die damit schon vorgezeichnete Lehre von der Erlösung. Im Unterschied zu diesen eigentlich theologischen, der Heilsoffenbarung Gottes geltenden Grundentscheidungen der alten und Einen Kirche, haben die Entscheidungen der späteren Teilkirchen hauptsächlich Fragen der HeHsverwirklichung zum Gegenstand: die Lehre von der Rechtfertigung und Heiligung, von der Gnade und Freiheit, von der Gnadenwahl, von den Sakramenten und die Lehre von der Kirche und ihrem Amt. Mit diesen Fragen hat sich das Abendland im allgemeinen sehr viel intensiver auseinandergesetzt als der Osten. Die Entscheidungen aber, die die westlichen Teilkirchen in diesen Fragen getroffen haben, stehen insofern noch offen, als sie (noch) nicht durch die ganze Kirche angenommen worden sind. Für die altkatholische Theologie und Lehre bedeutet das nicht, daß sie ihnen unentschieden gegenübersteht. Vielmehr ist sie be-
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strebt (vgl. Punkt 7 der Utrechter Erklärung), in Gemeinschaft mit den anderen, auf dem Boden der alten Kirche verbliebenen Teilkirchen, allgemein annehmbare Entscheidungen über diese Fragen der Heilsverwirklichung anzubahnen. Allgemein annehmbar können solche Entscheidungen aber nur werden, wenn sie in innerer Übereinstimmung stehen mit dem altkirchlichen D o g m a über die HeilsofFenbarung. U n d eben diese Ü b e r einstimmung herbeizuführen, betrachtet die altkatholische Theologie als ihre besondere, zweite große Aufgabe. W e n n die altkatholische Theologie bei der Bewältigung ihrer Doppelaufgabe noch in den Anfängen steht, so ist das erklärlich aus ihrem ganzen Werdegang. D i e altkatholischen Theologen der ersten Generation, die hauptsächlich Exegeten und Historiker waren 0 . Döllinger, J. Friedrich, J. Langen, F. H. Reusch, J. H . Reinkens, Ed. Herzog), waren vor allem darauf bedacht, mit den Mitteln der erst damals in den Bereich der katholischen Theologie eindringenden Methode der historischen Wissenschaft (Tübinger und Münchner Schule) die geschichtlichen Grundlagen für diese umfassende Arbeit freizulegen. Zwar fehlte es nicht an Systematikern (J. Huber, P . Knoodt, J. B . Baltzer, T h . W e b e r , F. Michelis, E . Michaud), die sich aber mehr mit der zeitgenössischen Philosophie oder bloß mit Einzelproblemen der D o g m a t i k auseinandersetzten. Erst in der zweiten Generation erfolgte (vor allem an der christkatholisch-theologischen Fakultät der Universität Bern, durch die Professoren A. Gilg und E . Gaugier) eine vertiefte bibeltheologische und systematisch- dogmatische Besinnungsarbeit. W i r wenden uns zunächst in einem ersten T e i l den Grundentscheidungen der alten Kirche zu. Diese sollen nicht nur in ihrem Wortlaut angeführt und erklärt werden, vielmehr wollen wir versuchen, aufzuzeigen, welches ihre Bedeutung für die heutige Kirche und ihren Glauben, wie auch für die Klärung der Probleme der Heilsverwirklichung ist.
A. D I E
GRUNDLAGEN
D i e E n t s c h e i d u n g f ü r den K a n o n der Hl. S c h r i f t
D
ie erste Grundentscheidung, die die Kirche im Gehorsam gegen den Herrn und im Nachvollzug seiner Entscheidung vollzogen hat, war diejenige für den Kanon der Hl. Schrift. (Inwieweit sie auch die Entscheidung für eine bestimmte regula fidei, das apostolische Glaubensbekenntnis, und für ein bestimmtes Amt der Kirche, das apostolischbischöfliche Amt, in sich schloß, soll später gezeigt werden, vgl. S. 305ff.) Sie ist grundsätzlich erfolgt mit der Übernahme des alttestamentlichen und mit der Abgrenzung des neutestamentlichen Kanons, welch letztere etwa um das Jahr 200 zum Abschluß kam. Sie ist aber erst Jahrhunderte später durch Synoden und Konzilien formell bestätigt worden. Mit dieser Entscheidung für den Schriftkanon war im Grunde bereits auch schon ein autoritatives Wort (dessen volle Tragweite aber ebenfalls erst viel später erkannt werden sollte) gesprochen über die im Kanon der Hl. Schrift bezeugte Offenbarung Gottes, wie über die Stellung der Tradition im Verhältnis zur Bibel und zur Offenbarung, und indirekt auch schon über die Bedeutung, die innerhalb der kirchlichen Tradition dem Glauben, dem Bekenntnis, dem Dogma und der kirchlichen Lehre zukommt. Diese Begriffe sind es zunächst, die in Entfaltung jener Grundentscheidung unter Verwertung der neueren Forschungsergebnisse geklärt werden sollen. Sie sind es auch, um die es im Kampf der Altkatholiken gegen das römische Kirchentum und die päpstlichen Primatsansprüche im Grunde schon immer gegangen ist. Wir meinen sogar, daß die Glaubensdifferenzen zwischen Römisch-Katholiken und Altkatholiken ihren tiefsten Grund haben in der gegensätzlichen Auffassung über diese Grundbegriffe. Eben darum werden wir in der uns gebotenen Kürze ihnen wie dann später der Lehre von den Sakramenten und von der Kirche unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
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Die Lehre der altkatholischen Kirche
I . OFFENBARUNG, H L . SCHRIFT, TRADITION
a) Die Offenbarung Unter Offenbarung verstehen wir die enthüllende Selbsterschließung Gottes, die er durch sein machtvolles und erbarmendes Handeln am Volke Israel und abschließend in Jesus Christus vollzogen hat. Die Offenbarung ist also nicht eine zeitlose Lehrmitteilung Gottes, die er über sich selbst, über sein Wesen und seinen Willen macht und den Gläubigen durch besondere Organe als Inbegriff der gläubig anzunehmenden Offenbarungswahrheit vorlegt. Gottes Offenbarung ist nicht seine lehrhafte Selbstaufklärung. Die Offenbarung ist Gott selbst in seinem heilsgeschichtlichen und einmaligen Offenbarungshandeln, wie dieses durch die Schriften des Alten und des Neuen Testamentes in ebenso einmaliger Weise bezeugt wird. In diesem seinem Offenbarungshandeln bedient sich Gott ganz bestimmter, von ihm erwählter Personen und Ereignisse, in denen er sich rerhüllt, um durch sie sich in seiner ganzen Segens- und Wahrheitsmacht zu enthüllen. In ihrem Zusammenhang bilden diese von Gott für sein Offenbarungshandeln in Dienst genommenen Personen und Ereignisse die Heilsgeschichte, die von oben her gewirkt, quer durch die Weltgeschichte läuft und in deren Dienst auch die Schöpfungsoffenbarung steht. Was die heilsgeschichtliche Offenbarung Gottes „enthält", ist Er selbst in seiner Wahrheits- und Segensmacht, ist sein „ W o r t " im umfassendsten Sinn, das er durch sein Handeln in Wort und Tat kundgibt und das „Gnade und Wahrheit" ist. (Jo. i , 17). Da die Offenbarung nicht ein von der Heilsgeschichte loszulösender Wahrheitszusammenhang ist, dem man zustimmen kann oder nicht, kann sie nur entgegengenommen werden im vertrauensvollen Hinsehen und Hinhören auf das durch die Hl. Schrift bezeugte heilsgeschichtliche Geschehen selbst, an das sich Gott mit seiner Wahrheitsmacht gebunden hat. Darum kann nichts wahr, nichts göttlich geoffenbarte Wahrheit sein, was nicht ausdrücklich als geschichtliche Heilstatsache oder Heilswort durch die Bibel bezeugt wird. Damit ist bereits eine erste, wichtige Abgrenzung gegenüber der bisherigen römisch-katholischen Doktrin ausgesprochen. Diese versteht die Offenbarung im Gegensatz zum eben Gesagten als „Mitteilung verborgener Wahrheiten durch Gott". Diese bilden ein in sich geschlossenes Wahrheitsgefüge, das als solches enthalten ist in Schrift und Tradition. Sie sind als sog. Glaubenshinterlage von Anfang an da, aber sie werden erst im Verlauf der Geschichte durch die Kirche wahrgenommen und durch ihr Lehramt als göttlich geoffenbarte Wahrheiten verkündet. Diese
Die Grundlagen
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mehr „statische" Auffassung der Offenbarung ist mit der biblischen, die „dynamisch" ist, nur schwer vereinbar. Erfreulicherweise hat die Starrheit dieses Offenbarungsbegriffs in der dogmatischen Konstitution des II. Vatikanums. „ U b e r die Offenbarung" eine bemerkenswerte A u f lockerung erfahren durch eine mehr personal-heilsgeschichtliche D e u tung. W i e weit diese Neufassung die bisherige Lehre bis in alle Konsequenzen hinein zu überwinden vermag, kann erst die Zukunft zeigen. b) Die Hl. Schrift Erst unter der Voraussetzung, daß die geschichtliche Gebundenheit der Offenbarung voll anerkannt wird, kann auch die Hl. Schrift als Zeugnis eben dieser geschichtlichen Offenbarung Gottes in ihrer einmaligen und unvergleichlichen Bedeutung erkannt werden. Die Bibel „ist" nicht einfach die Offenbarung, sie „enthält" auch die Offenbarung nicht. Die Bibel ist Zeugnis von der Offenbarung, und zwar das vom Hl. Geist selbst gewirkte, urkundliche Erstzeugnis der Offenbarung. In dieser Formulierung hat jedes W o r t sein besonderes Gewicht: „Zeugnis" ist das Schriftwort in dem doppelten Sinn, daß es (gleichsam eidlich beglaubigter) Augen- und Ohren-Zeugenbericht ist darüber, was Gott durch seine heilsgeschichtlichen Offenbarungsträger getan und gesprochen hat und daß es zugleich Botschaft ist, durch die die in den heilsgeschichtlichen Personen und Ereignissen verhüllte Segens- und Wahrheitsmacht der Offenbarung Gottes enthüllt und vergegenwärtigt, den Lesern und Hörern der Schrift als „ W o r t des Lebens" geoffenbart wird (1. Jo. 1 , 1 , 2). „Urkundliches" Erstzeugnis ist das biblische W o r t darin, daß es uns als das Zeugnis von der Offenbarung nicht mehr in seiner ursprünglichen Gestalt vorliegt, die die mündliche Verkündigung und Uberlieferung war, sondern allein noch in der schriftlichen Fixierung, die diese im Bibeltext, wie wir ihn heute kennen, gefunden hat. Anders als durch Vermittlung des Schrifttextes ist uns das Offenbarungszeugnis nicht mehr zugänglich. Die Bibel als schriftliche Urkunde ist darum für uns das allein authentische Erstzeugnis der Offenbarung Gottes, und eben darin ruht ihre einmalige, unvergleichliche Autoritätsstellung, die sie für den Glauben der Kirche und ihre Erkenntnis der Offenbarung hat. Ihren letzten und eigentlichen Grund aber hat die Autorität der Bibel darin, daß das Bibelwort, wie schon die ihm vorangehende mündliche Verkündigung und die ihm nachfolgende Glaubenserkenntnis v o m Hl. Geist gewirkt, von ihm in besonderer und einmaliger Weise inspiriert ist (2. Tim. 3, 14-17; 2. Petr. 1, 19-21). In diesem (aktiven und passiven) Inspirationsprozeß ist Ersturheber der Hl. Schrift Gott selbst durch seinen Hl. Geist, während die biblischen Schriftsteller deren menschliche Zweiturheber sind.
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Es bleibt indessen Folgendes zu beachten: Wenn es so ist, daß das uns heute vorhegende Bibelwort die schriftliche Fixierung eines ihm vorangegangenen Verkündigungs- und Uberheferungsprozesses ist, so kann und darf nicht angenommen werden, daß das ganze mündliche Offenbarungszeugnis in die Schrift eingegangen ist. Dieser Vorbehalt wird auch in der Hl. Schrift selbst ausdrücklich gemacht (Jo. 2 1 , 25). „Das W o r t Gottes muß weder in der Schrift prinzipiell gefangen, noch durch sie prinzipiell abgeschlossen sein" (Gaugier). Es darf darum nicht nur, sondern es muß, was das Neue Testament betrifft, vorausgesetzt werden, daß die Frühkirche noch im Besitze mündlicher Uberheferungen von den Aposteln und der Urgemeinde her war, die nicht Bestandteil der Hl. Schrift geworden sind. Diese aber haben für die Frühkirche, ihre Verkündigung und Lehre, für ihre "Amts- und Gottesdienstordnung dieselbe Autorität besessen wie die Hl. Schrift. Sie waren für sie, wie die Schrift, oberste Glaubensnorm. Z u dieser außerbiblischen, mündlich-apostolischen Urtradition gehören nach allgemeiner katholischer Lehre der Kanon selbst, die ältesten Glaubensbekenntnisse, das kirchliche A m t in seiner dreifachen Ausgestaltung in Episkopat, Presbyterat und Diakonat. Diese außerbiblische apostolische Tradition hat aber diese normative Bedeutung (als norma normans: richtende Richtschnur) nur gehabt und haben können bis zum Abschluß des Neutestamentlichen Kanons um das Jahr 200. „ V o n diesem Augenblick an" (O. Cullmann) aber kann als oberste Glaubensnorm nur noch die Hl. Schrift gelten, während jede weitere Tradition nicht mehr als apostolische Urtradition, sondern als kirchliche Tradition zu betrachten ist. Diese letztere aber hat normative Bedeutung nur in dem Maße, als sie sich durch das Schriftwort und die apostolische Urtradition, durch das „apostolische Evangelium" als norma normata (gerichtete Richtschnur) bestimmen und begrenzen läßt. Auf keinen Fall kann es seit der Kanonbildung noch eine selbständige mündliche Überlieferung geben, die, sich neben oder über das apostolische Evangelium stellend, neue Glaubensinhalte schaffen könnte. Die Grenze zwischen apostolischer und kirchlicher Tradition ist unüberschreitbar. Damit ist eine weitere wichtige Abgrenzung gegen die Lehre der römisch-katholischen Kirche vollzogen. Diese hat auf dem Konzil zu Trient (1546) Schrift und Tradition einander gleichgestellt, dabei a b e r obwohl ein entsprechender Gegenantrag vorlag - grundsätzlich nicht unterschieden zwischen apostolischer und kirchlicher Tradition. Sie hat damit (wie die spätere Entwicklung zeigt) die Möglichkeit geschaffen, daß Lehren der späteren kirchlichen Tradition, die durch die Hl. Schrift und die apostolische Tradition nicht bezeugt werden, in den Rang göttlich geoffenbarter Wahrheiten erhoben wurden. Dadurch ist das Triden-
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tinum der unvergleichlichen Autoritätsstellung der Hl. Schrift nicht gerecht geworden, sondern hat dazu beigetragen, daß die Hl. Schrift in die von der Kirche selbst gedeutete Tradition eingeebnet wurde. Leider trägt das II. Vatikanum in der Konstitution „Über die Offenbarung" dieser Vorrangstellung der Hl. Schrift ebenfalls zu wenig Rechnung. Hingegen wird die Tradition, von der gesagt wird, daß sie ihren Ursprung im biblischen Kerygma (Verkündigungswort) hat und daß dieses Kerygma durch sie „weitergegeben" wird, mehr im Sinne einer interpretativen (erklärenden) als einer die Offenbarung inhaltlich ergänzenden Instanz verstanden, wogegen eine Konzilsminderheit Einspruch erhob. Die Konstitution trägt deutlich Kompromißcharakter, so daß nicht gesagt werden kann, welche der beiden Deutungen der Tradition in Zukunft den Sieg davontragen wird. c) Die Tradition Unter Tradition verstehen wir hier die kirchliche Überlieferung. Sie unterscheidet sich von der apostolischen Urtradition dadurch, daß sie, bzw. ihre Trägerin, die Kirche, sich durch den Akt der Kanonbildung ein für alle Mal der Hl. Schrift und der apostolischen Urtradition unterstellt hat. In dieser Unterstellung hat die kirchliche Tradition die Aufgabe, die im apostolischen Evangelium bezeugte Wahrheit - die zugleich Gnade ist - zu vergegenwärtigen und zu bewahren. Mit „Vergegenwärtigen" und „Bewahren" sind zwei Funktionen bezeichnet, die (und darauf ist allergrößtes Gewicht zu legen) auf grundsätzlich verschiedenen Ebenen hegen. In ihrer bewahrenden Funktion hat die Tradition die Aufgabe, die Verkündigung der Kirche, die mit dem Anspruch erfolgt, die in der Bibel bezeugte Offenbarung durch Predigt und Sakrament jederzeit neu zu vergegenwärtigen, vor allen stets möglichen Verfälschungen und Verkürzungen zu schützen. Selbst der Hl. Schrift und der durch sie bezeugten Offenbarung untergeordnet, ist sie wesentlich norma normata und hat als solche relative, dienende Autorität. Diese hat sie in besonderer Weise auszuüben durch ihre Bemühung um die rechte Lehre. Diesen Auftrag aber kann sie nur erfüllen dadurch, daß sie das ihr zur Bewahrung übergebene Offenbarungswort - in kirchlich verbindlicher Weise - erklärt. Das zu betonen, ist den altkatholischen Theologen von Anfang an ein wichtiges Anliegen gewesen: „Die Tradition hat interpretative Autorität gegenüber der Hl. Schrift, und diese ist darum, wie allgemein anerkannt wird, die prima regula fidei" (erste Glaubensregel) (9. Bonner These). Dieser Standpunkt ist später auch in den Unionsverhandlungen mit den Anglikanern unter Anerkennung der Suffizienz (Hinlänglichkeit) der Hl. Schrift festgehalten worden und in den Ver-
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Handlungen mit den Orthodoxen dahin erweitert worden, daß die Tradition auch „Ergänzung" der Hl. Schrift sei. Das kann aber nur in dem Sinne gelten, daß die kirchliche Lehrtradition zur Erklärung des OfFenbarungswortes Aussagen machen kann und tatsächlich auch immer wieder gemacht hat, die über den Wortlaut der Schrift hinausgehen, die aber nicht gegen sie stehen dürfen (praeter, non contra scripturam). Insbesondere muß sich die Lehre der Kirche gewisser Denkkategorien bedienen (z. B . der Kategorie des Seins), die nicht diejenigen der Bibel sind, die aber unumgänglich sind, um die wesentlich heilsgeschichtlichen Aussagen der Schrift in ihrem spezifischen Gehalt vor Verflachungen und Umdeutungen zu schützen. Trägerin der kirchlichen Lehrtradition, sollen ihre Aussagen autoritativ bindend sein, kann aber (und das zu betonen war das zweite Hauptanliegen der altkatholischen Theologen) nur die Eine und ganze Kirche sein, nicht aber eine einzelne Teilkirche. Die kirchlich verbindliche Lehrtradition aber ist niedergelegt in den Glaubensentscheidungen der ungeteilten Kirche des i . Jahrtausends. Wegleitend für die Bestimmung und Abgrenzung der Lehrtradition hat in diesem Sinne ihre universalitas (Allgemeinheit) und ihre antiquitas (Alter) zu sein (Grundsatz des hl. Vinzenz von Lerin). Mit dieser Unterscheidung zwischen der kirchlichen und der apostolischen Tradition und der Einschränkung der ersteren auf ihre erklärende Funktion ist von einer neuen Seite her Einspruch erhoben gegen die (auf Grund der tridentinischen Gleichstellung von Schrift und Tradition) vor allem durch die jesuitische Theologie geförderte Ansicht, daß der kirchlichen Tradition in der Verkündigung von Glaubenswahrheiten „produktiv-schöpferische" Kraft zukomme. Diese Verwischung der Grenzen ist mitbedingt durch die nicht scharf genug durchgeführte Unterscheidung zwischen der bewahrenden und der vergegenwärtigenden Tradition. In ihrer vergegenwärtigenden Funktion ist die kirchliche Überlieferung etwas ganz anderes als sie es in ihrer bewahrenden Funktion ist. Sie ist der in der Kirche durch die Jahrhunderte sich fortsetzende Akt der Verkündigung in Wort und Sakrament, soweit diese im Auftrag und in der Vollmacht des Herrn erfolgt. Durch die Verkündigung werden Christi Wort und Heilswerk in der Kraft des Hl. Geistes den Gläubigen so vergegenwärtigt, daß sie ihnen persönlich angeeignet werden. Diese Vergegenwärtigung ist letzterdings ein Akt Gottes selbst, ist seine Selbstvergegenwärtigung in der von Christus angeordneten und vom Hl. Geist belebten Wortverkündigung und Sakramentsspendung. Sie ist als dieser Akt Gottes ein an und in der Kirche sich ereignender, zeichenhafter Offenbarungsvorgang, durch den die Kirche - sich selber ein Wunder -
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selbst zum OfFenbarungsereignis wird. Dieser Akt der Verkündigung ist indessen nicht die lebendige Stimme der Kirche selbst, sondern des Herrn der Kirche an und in der Kirche. d) Zusammenfassung Offenbarung Fassen wir das Gesagte unter den Begriff der Offenbarung zusammen, so kann festgestellt werden, daß die Eine Offenbarung Gottes „drei Gestalten" (K. Barth) hat: als „geschichtliche Offenbarung" ist sie die handelnde Selbsterschließung Gottes in W o r t und Tat und ist als dieses Handeln Gnade und Wahrheit. 2. Als,,biblische Offenbarung" ist sie das autoritative Selbstzeugnis des sich offenbarenden Gottes in der Hl. Schrift und in der apostolischen Urtradition. 3. Als „vergegenwärtigende Offenbarung" ist sie die nach dem Abschluß des Offenbarungszeitalters erfolgende Verkündigung der Kirche in Predigt und Sakrament, die erst im Glauben zu ihrem Ziele kommt. Mit der letzteren Feststellung, daß auch die Verkündigung der Kirche und der Glaube eine Gestalt der Offenbarung Gottes sind, wird die Grenze der biblischen Aussagen nicht überschritten. Im Neuen Testament wird vielmehr vorausgesetzt, daß erst durch die Verkündigung und den Glauben, die beide ausdrücklich als Offenbarungsakte bezeichnet werden (Rom. 16, 25; Gal. 3, 25), die Offenbarung zur Erfüllung kommt. Diesen drei Gestalten gegenüber ist die kirchliche Lehrtradition nicht auch eine Offenbarungsgestalt, sie ist aber auf die Offenbarung in ihren drei Gestalten bezogen. Tradition Das ganze dreigestaltige Offenbarungsgeschehen kann aber auch - wie das vor allem in der Ostkirche üblich ist - mit dem Begriff der Tradition umschrieben werden. Je nach der Offenbarungsgestalt, auf den der B e griff angewendet wird, bedeutet Tradition dann etwas völlig verschiedenes. 1. Mit Tradition kann gemeint sein die geschichtliche Offenbarung Gottes selbst, wie sie sich der rückblickenden gläubigen Betrachtung als ein sinnvolles, in sich geschlossenes geschichtlich-organisches Ganzes darstellt. 2. Es kann unter Tradition auch verstanden werden der die ganze geschichtliche Offenbarung begleitende und sie bezeugende mündliche Überlieferungsstrom, der der schriftlichen Fixierung in der Bibel vorangegangen ist und aus dem sie nur einen Ausschnitt festhält: also die Bibel selbst, sofern sie das Werk der Überlieferung ist. 3. Es kann endlich gedacht sein an die kirchliche Tradition in ihrer bewahrenden und in ihrer vergegenwärtigenden Funktion, Dieser im Westen weniger gebrauch-
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liehe Sprachgebrauch ist insofern nicht ungefährlich, als durch ihn die Versuchung nahegelegt wird, unter Verkennung der ganzen Tragweite der altkirchlichen Grundentscheidung für den Kanon die einzigartige Stellung der Bibel, die ihr als dem authentischen Erstzeugnis der geschichtlichen Offenbarung Gottes zukommt, zu übersehen. D i e Hl. S c h r i f t Die einzigartige Stellung, die die Bibel der Kirche und ihrer Verkündigung gegenüber einnimmt, ist tatsächlich für das menschliche Denken ein nur schwer zu fassendes Geheimnis. Worin dieses Geheimnis besteht, kann hier nur eben angedeutet werden mit dem Hinweis auf die paradoxe Tatsache, daß die Kirche, die erst von der Botschaft der Hl. Schrift her ihre Existenz hat, dazu berufen wird, durch die Bestimmung und Abgrenzung des Kanons über sie zu entscheiden. Wie aber soll sie das können? Wie die von ihr geforderte Entscheidung über die Bibel treffen können? Das kann sie nur tun in actu secundo (in einem zweiten Akt), d. h. im gläubigen und gehorsamen Nachvollzug der ihr vorangegangenen Entscheidung Gottes, die er selbst in actu primo (in einem ersten Akt) vollzogen hat. Mit andern Worten: Gott selbst schafft den Kanon, während die Kirche den Kanon nur bestätigen kann. Das kann sie aber nur tun in dem Glauben, der ihr durch die Verkündigung, also durch die vergegenwärtigende Tradition geschenkt wird. Insofern kann gesagt werden, daß die Bibel als das in actu secundo kanonisch fixierte Schriftwort der vergegenwärtigenden (nicht aber der bewahrenden) Tradition der Verkündigung untergeordnet ist, während die Bibel als das in actu primo von Gott gewirkte Offenbarungszeugnis jeder Tradition übergeordnet, prima regula fidei (erste Glaubensregel) ist.
I I . BEKENNTNIS, D O G M A , LEHRE, LEHRMEINUNG
Wie wir wissen, nimmt die altkatholische Kirche das Traditionsprinzip an, wie es in dem Satze des Vinzenz von Lerin ausgesprochen ist: „Wir halten fest, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist." Nach dem Gesagten muß klar sein, daß diese Glaubensregel nur auf die kirchliche Lehrtradition anzuwenden ist und in keiner Weise auch auf die Hl. Schrift selbst. Es kann also nicht gemeint sein (wozu einige altkatholische Theologen der ersten Generation neigten), daß zwischen der Hl. Schrift und der Tradition der Kirche eine durchgehende, mehr oder weniger wörtliche Übereinstimmung im Sinne kontinuierlicher, gleichlautender Zeugenaussagen bestehen, bzw. nachgewiesen werden müsse.
Die
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Eine solche direkte, ungebrochene Kontinuität zwischen dem heilsgeschichtlichen K e r y g m a (Verkündigungswort) der Schrift und den Lehrsätzen der Kirche gibt es nicht und ist auch nicht anzustreben. Das k ä m e einer völligen V e r k e n n u n g der kritisch-scheidenden, richtenden und g e bietenden Autorität der Hl. Schrift gleich, die sie als n o r m a normans jeder kirchlichen Lehrbildung gegenüber hat. A b e r das Vinzenzsche Prinzip kann auch nicht abstrakt und generell auf alles angewendet werden, was in der Kirche durch die Konzilien, Synoden, Kirchenväter je gelehrt w o r den ist. Eine solche Übereinstimmung in der Lehre der Kirche voraussetzen, b z w . nachweisen zu wollen, w ä r e eine Fiktion. W i e indessen die Fortsetzung zeigt, die der Vinzenzsche Grundsatz in der Utrechter Erklär u n g (S. 99) gefunden hat ( „ w i r halten darum fest an d e m Glauben der alten Kirche, w i e er in den ökumenischen S y m b o l e n und in den allgemein anerkannten Glaubensentscheidungen des 1. Jahrtausends ausgesprochen ist"), ist jener Grundsatz nur auf die durch die ganze und alte K i r c h e bereits schon festgelegten und als verbindlich erklärten Glaubenslehren z u beziehen. Es geht in der Utrechter Erklärung entscheidend nicht u m ein allgemeines Formalprinzip, sondern u m das Materialprinzip des Glaubens, nicht u m die fides qua, sondern u m die fides quae creditur (nicht u m den Glauben, mit dem, sondern u m den Glauben, der geglaubt wird). „ D e r Satz befaßt sich mehr m i t d e m Inhalt des Glaubens, als m i t der Frage nach den Quellen, denen der Glaube entspringt" (Rinkel). Das ist i m m e r i m A u g e zu behalten, w e n n die verschiedenen Gestalten der kirchlichen Lehrtradition in ihrer B e d e u t u n g richtig beurteilt w e r d e n sollen. D i e wichtigsten dieser Gestalten sind: Bekenntnis, D o g m a , Lehre, Lehrmeinung. a) Das Bekenntnis In der Lehrüberlieferung der Kirche n i m m t das Bekenntnis dadurch eine hervorragende Stellung ein, daß es in seiner U r f o r m auf das neutestamentliche OfFenbarungswort selbst zurückgeht. In seiner neutestamentlichen U r f o r m ist das Bekenntnis ein Bestandteil der Botschaft selbst, das in der R e g e l die Gestalt einer durch die U r g e m e i n d e bereits kultisch geprägten A n t w o r t auf eben diese Botschaft hat und das i m m e r einer göttlichen Person - d e m Vater, d e m Sohn, d e m H l . Geist und den durch sie g e w i r k t e n Heilstaten gilt. In seiner Mitte steht der Satz: Christus ist der H e r r (Phil. 2 , 6 ; 1. K o r . 1 1 , 2 3 : 1 . K o r . 1 5 , 3 1 u. a.). D i e n e u t e s t a m e n t lichen Bekenntnisformeln dienen in erster Linie d e m Lobpreis Christi und des dreieinigen Gottes. Sie enthalten aber darüber hinaus bereits auch erklärend-lehrhafte Aussagen. Das bleibt i m wesentlichen auch so in den Bekenntnissen der alten Kirche, die primär (als Taufsymbol) ebenfalls
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kultischen, hymnischen Charakter haben, die andererseits aber lehrhaften Aussagen einen viel breiteren Raum gewähren (so das NicäoKonstantinopolitanum mit seinen christologischen Bestimmungen) und die außer dem Bekenntnis zu Christus und zur Trinität, das der tragende Grund bleibt, noch weitere Glaubensaussagen (wie den Satz von der Schöpfung, der Geistsendung, der Kirche und der Endvollendung) enthalten. Und doch sind die Bekenntnisse der alten Kirche mehr als nur kultische Hymnen und Lehraussagen. Dadurch, daß sie von den Konzilien übernommen und durch die ganze Kirche rezipiert worden sind, kommt ihnen für den Glauben allgemeinverbindlicher Charakter zu: Sie sind Glaubensnorm, nicht im Sinne eines im Gehorsam gegen die Kirche zu übernehmenden Glaubensgesetzes, sondern einer in der Freiheit des Glaubens zu respektierenden Entscheidungsnorm. Die Glaubenssymbole enthalten gleichsam den Sollgehalt des christlichen Glaubens, an dem der Glaube des Einzelnen wie der Gesamtkirche sich zu orientieren hat. Allgemeinverpflichtende Symbole, die die Bekenntnisgrundlage auch der altkatholischen Kirche bilden, sind das Nicäo-Konstantinopolitanum (im folgenden kurz „ C r e d o " genannt), das Apostolikum und das Athanasianum. b) Das Dogma Das Dogma hat seine Wurzel im Bekenntnis, sofern dieses nicht nur Lobpreis, sondern immer auch erklärende Lehraussage ist. Für das Dogma charakteristisch ist, daß es formell nur Lehraussage ist. Als solche ist das Dogma nicht (wie das biblische Offenbarungswort) eine heilsgeschichtliche Aussage, nicht unmittelbare Kundmachung dessen, was Gott uns geoffenbart hat, sondern eine Aussage, die in den Denkkategorien des Seins, des Geschehens, des Werdens usf. umschreibend feststellt, welches der Wahrheitsgehalt des heilsgeschichtlichen Handelns ist und wie dieser in Abgrenzung von Mißdeutungen zu verstehen ist. So bezeugt z. B . das Christusdogma nicht, wie die Bibel, das Handeln Gottes in Christus, sondern es sagt, um dieses Handeln in seinem Wahrheitsgehalt einsichtig zu machen, von Christus das volle göttliche und das volle menschliche Sein aus, die in seiner Person zur Einheit zusammengefaßt sind (vgl. S. 152). Damit geht das Dogma über das heilsgeschichtliche Zeugnis der Schrift hinaus, „ergänzt" dieses durch Seinsaussagen. Aber das Dogma tut das nur im Sinne einer dem biblischen OfFenbarungswort dienenden Entscheidungsnorm, an der der auf das OfFenbarungshandeln gerichtete Glaube sich in Bejahung oder Verneinung (im vorliegenden Fall der vollen Gottheit und der vollen Menschheit Christi) für oder gegen den biblisch-kerygmatischen Christus zu entscheiden hat. Das Dogma, die
Die Grundlagen
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Glaubenslehre, ist also nicht schon selbst der geoffenbarte Glaube, sondern Glaubensnorm, durch die die Kirche die Gläubigen zur rechten Entscheidung ruft. Die Funktion des Dogmas ist dabei wesentlich eine kritisch begrenzende, die den Sinn hat, die freie Glaubensentscheidung vor dem Abgleiten in den Halb- oder in den Irrglauben zu schützen. Voraussetzung dafür, daß das Dogma diese kritisch begrenzende Funktion autoritativ ausüben kann, ist wiederum die, daß es durch die ganze Kirche übernommen worden ist. Solche Dogmen gibt es (abgesehen von den in den Bekenntnissen ausgesprochenen Sätzen) in der alten Kirche streng genommen nur zwei: den Satz von der Dreieinigkeit Gottes und denjenigen von der Gott-Menschheit Christi. c) Die allgemeinkirchliche
Lehre
Die Bekenntnisse der alten Kirche enthalten indessen Aussagen, die über die rein trimtarischen und christologischen Bestimmungen hinausgehen, die aber ihrerseits zu einer lehrhaften Entfaltung drängen. Über diese weitergehenden Glaubensaussagen (die Lehre von der Schöpfung, der Gnade, den letzten Dingen, der Kirche und den Sakramenten) hat die Kirche im Verlaufe der Jahrhunderte Sätze aufgestellt, über die, bei aller Verschiedenheit der konfessionellen Fixierungen, doch eine nicht zu unterschätzende weitgehende Ubereinstimmung besteht. Diese Sätze sind zwar nicht von einem allgemeinen Konzil in allgemeinverbindlicher Form übernommen worden. Darum eignet ihnen formell nicht dieselbe Dignität wie den dogmatischen Gründentscheidungen der alten Kirche. Aber sie haben als kirchliche Lehraussagen grundsätzlich denselben Charakter wie das Dogma und haben für den Glauben insofern als autoritativ verbindliche Entscheidungsnormen zu gelten, als sie teils schon von der alten Kirche, teils von den späteren Teilkirchen in freier Zustimmung und in sachlicher Ubereinstimmung als allgemein gültig anerkannt werden. d) Die theologische Lehrmeinung V o m Dogma und der allgemeinkirchlichen Lehre zu unterscheiden ist die theologische Lehrmeinung einzelner Theologen oder Theologenschulen. Auf diese Unterscheidung haben die Altkatholiken (vor allem E. Michaud) und die orthodoxen Theologen mit Recht großes Gewicht gelegt. Wenn nämlich das Dogma und die allgemeinkirchliche Lehre in ihren entscheidenden Aussagen feststehen, so ist es doch möglich, ja unvermeidlich, daß sie von den Theologen und ihren Schulen im einzelnen verschieden ausgelegt werden. Diese verschiedenen, unter U m -
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ständen gegensätzlichen Auslegungen können an und für sich fruchtbar sein dadurch, daß sie die Grenze aller theologischen Lehrbildung deutlich werden lassen, das theologische Denken zur Selbstbescheidung nötigen und an die dienende Funktion aller Lehre erinnern. Sie gehören nicht zu den necessaria, sondern zu den dubia, über die Freiheit besteht (vgl. S. 118). Insofern können sie von der Kirche zugelassen werden. Es kann aber auch die durch sie bezeichnete Grenze überschritten werden und eine theologische Lehrmeinung einer anderen gegenüber durch einen Machtspruch der Hierarchie oder durch den Einfluß eines hervorragenden Theologen zur Würde einer allgemeinkirchlichen Lehre oder gar eines Dogmas erhoben werden. Das Letztere kann geschehen in der Form, daß unter Verkennung der explikativen Funktion der kirchlichen Lehrbildung eine theologische Lehrmeinung, die rein aus gedanklichen Überlegungen abgeleitet ist, zu einer göttlich geoffenbarten Wahrheit erklärt wird, aber als Offenbarungsereignis, als wirkliches Geschehen in der Bibel nicht bezeugt ist. Beispiele dafür sind die Erhebung der franziskanischen Lehrmeinung von der unbefleckten Empfängnis Marias zu einem allgemeinverbindlichen Dogma (1854), wie auch das Dogma von der leiblichen Himmelfahrt Marias (1950), vor allem aber das Dogma vom Summepiskopat und der Lehrunfehlbarkeit des Papstes (1870). Gerade gegenüber diesen und anderen in den Rang von Dogmen erhobenen Lehrmeinungen (opiniones piae) hat in altkatholischer Sicht der Vinzenzsche Satz in Kraft zu treten: Wir halten fest, d. h. wir nehmen nur an, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist. Aber was heißt glauben, festhalten, annehmen?
III. DER GLAUBE
Es ist bereits auf die (augustinische) Unterscheidung zwischen der fides qua und der fides quae (zwischen dem Glauben, mit dem, und dem Glauben, welcher geglaubt wird) hingewiesen worden. Wenn diese Unterscheidung gewiß nicht ohne Problematik ist, so ist sie doch geeignet, deutlich werden zu lassen, welche Bedeutung der Glaube einerseits der Offenbarung Gottes und andererseits der kirchlichen Lehrtradition gegenüber hat. Mit der fides qua creditur (dem Glauben, mit dem geglaubt wird) ist gemeint der existenziell-persönliche Glaube. Dieser hat seinen Gegenstand nicht in der Glaubenslehre der Kirche, weder in einer „durch Gott mitgeteilten und durch die Kirche vorgelegten übernatürlichen Offenbarungswahrheit", noch in einer durch die Theologie ausgearbeiteten
Die Grundlagen
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„reinen Lehre", sondern allein in der Offenbarung Gottes, die uns in seinem geschichtlichen, durch die Hl. Schrift und die kirchliche Verkündigung bezeugten Offenbarungshandeln als Wahrheitsmacht unmittelbar entgegentritt. So verstanden, vollzieht sich der Glaube als ein persönliches Überwältigtwerden von der Wahrheitsmacht der Offenbarung, durch die sich (in der Verhüllung seiner Offenbarungszeugen) Gott selbst, Gott in Person, dem Menschen enthüllt. Der Mensch seinerseits kann diese persönliche Selbstoffenbarung Gottes nur so entgegennehmen, daß er sich von ihr ebenfalls als Person überwältigen läßt und sich ihr in seiner ganzen Existenz unterstellt. Als jenes Überwältigtwerden ist der Glaube ganz ein Geschenk der Gnade Gottes und zugleich ganz eine Tat der Entscheidung des Menschen, - des einzelnen Menschen in der Gemeinschaft all derer, denen das Geschenk des Glaubens ebenfalls zuteil geworden ist. Damit aber ist gesagt, daß der Glaube, um echte Entscheidung sein zu können, innerhalb der Kirche der Freiheit bedarf, gewiß nicht einer selbstgewählten Freiheit, sondern der Freiheit, die uns durch den Herrn und seine Frohbotschaft unmittelbar geschenkt wird: der „evangelischen Freiheit". Diese Freiheit der Glaubensentscheidung am Evangelium selbst war es, um die die Altkatholiken in der Abwehr gegen eine kurzschlüssige, kirchenamtlich geforderte Festlegung auf die bloße Kirchenlehre von Anfang an gekämpft haben. „ W o der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2. Kor. 3,17), war der Siegelspruch von Bischof Eduard Herzog. „Was nicht aus Überzeugung geschieht, ist Sünde" (Rom. 14, 23), war derjenige Bischof Reinkens. Damit war nicht (wie Herzog und Reinkens tatsächlich mißverstanden worden sind) einer Ablehnung jeder kirchlichen Lehre oder deren Minimalisierung (im Sinne eines „dogmenfreien Katholizismus") das Wort geredet. Wohl aber sollte in der katholischen Kirche die bei den Kirchenvätern und den Scholastikern sich findende Erkenntnis neu zur Geltung gebracht werden : Der Glaube, der seine Quelle allein in der Wahrheitsmacht des sich offenbarenden Gottes hat, bedarf der Freiheit des Gewissens, weil er ein letzterdings von Gott gewirkter und vom Menschen nach dem Maße seines Gewissens zu vollziehender Akt ist. Als dieser freie Akt kann der Glaube von der Glaubenslehre der Kirche wohl normiert, vertieft, befruchtet, aber er kann durch sie weder geschaffen noch verbürgt werden. Er ist in seiner unmittelbaren Gott-Gewirktheit ein freier, allein an das Gewissen gebundener Akt des Menschen. Darum muß die Kirche, die nur als Gemeinschaft freier Gotteskinder leben kann, der Freiheit der Glaubensentscheidung und des Gewissens den ihr gebührenden Platz einräumen. Mit dieser Abgrenzung des existenziellen Glaubens gegenüber jeder bloßen Lehre, die vornehmlich eine Sache des Denkens ist, ist indessen
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Die Lehre der altkatholischen Kirche
nicht gemeint, daß der Glaube bloß eine Sache der individuellen Erfahrung, des Gefühles oder einer besonderen religiösen Veranlagung sei. Als jenes Überwältigtwerden durch die Wahrheitsmacht der Offenbarung ist der Glaube vielmehr von Anfang an Erkenntnis, allerdings eine Erkenntnis besonderer Art: von Gott gewirkt - durch den wir immer schon erkannt, d. h. im Sprachgebrauch der Bibel gehebt, erwählt, berufen sind - ist diese Erkenntnis eine solche, die alles Vernunftwissen weit übersteigt, den Menschen selbst umwandelt und ihn in die dauernde Gemeinschaft mit Gott eintreten läßt. Gott erkennen heißt für den Menschen wesentlich Ihn heben, Ihn wählen, für Ihn sich immer neu entscheiden in Gehorsam und Demut. Der Glaube ist, wie die spätere Kirche unterschieden hat, vertrauende Selbsthingabe an den Gott, der sich in Christus für uns dahingegeben hat (fiducia). Als dieser Vertrauensglaube ist er zugleich zustimmende Kenntnisnahme von der so und nicht anders uns zuteil werdenden Offenbarung (cognitio) und Anerkennung ihrer Wahrheitsmacht (assensus). In alledem aber ist er die wagende Zuversicht und Hoffnung, daß Gott das Heifswerk, das er mit seiner geschichtlichen Offenbarung begonnen, in Herrlichkeit vollenden wird. Welche Bedeutung kommt nun, wenn die fides qua in diesem umfassenden Sinne als Vertrauensglaube verstanden wird, der fides quae, dem Lehrglauben zu? Dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß er sich nicht unmittelbar an die Offenbarung selbst, sondern an die kirchliche Lehre als deren autoritative Auslegung hält, wenn er das auch nicht tun kann, ohne vom existenziellen Glauben an die Offenbarung Gottes getragen zu sein. Da nämlich der existenzielle Glaube als jenes Überwältigtwerden durch die Wahrheitsmacht der Offenbarung immer schon Erkenntnis ist, sieht er sich, um die erkannte Wahrheit allen Anfechtungen, Zweifeln und Mißdeutungen gegenüber festhalten zu können, genötigt, sich denkend, reflektierend über sie Rechenschaft abzulegen und sich ihrer in Bejahung und Verneinung fort und fort zu vergewissern. Diese nachträgliche reflektive Selbstvergewisserung des Glaubens vollzieht sich im theologischen Glaubensdenken, das sich vergegenständlicht in der Glaubenslehre der Kirche: in der fides quae. Das ist der Zusammenhang, der zwischen den beiden Arten von Glauben besteht und sie miteinander verbindet. Aber darob darf ihre wesentliche Verschiedenheit nicht verkannt werden. Die Glaubenslehre ist nicht selbst schon die Wahrheit, d. h. nach biblischem Sprachgebrauch: Sie ist nicht selbst schon die Wirklichkeit der Offenbarung Gottes, der nur im existenziellen Glauben zu begegnen ist. Die kirchliche Lehre ist deren Vergegenständlichung in der Form richtiger Lehre, deren Funktion, wie wir wissen, darin besteht, als Glaubensnorm jener Begegnung zu dienen. In dieser Funktion aber ist sie
Die Grundlagen
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Lehre und als solche nicht nur Theorie, nicht ein abstraktes neutrales G e dankengebilde über die Wahrheit Gottes, sondern sie ist (wie alle rechte Lehre) praktisch ausgerichtet: Sie hat von Gott her ein Gefälle auf die christliche Existenz hin, sie ist autoritativ verbindliche Unterweisung, Einübung in das christliche Glaubensleben. Durch die Lehre der Kirche spricht nicht nur die Theologie, sondern die Kirche selbst als „Mutter der Gläubigen" (Gal. 4, 26). A n der Lehre der Kirche hat darum der existenzielle Glaube, soll er nicht in die Irre gehen, „festzuhalten". Dieses Festhalten, die „katholische Gebundenheit" an die Lehre (die nach altkatholischer Uberzeugung nur die der Einen und ganzen Kirche sein kann) und die Freiheit der Glaubensentscheidung, die „evangelische Freiheit" widersprechen sich nicht, sondern bedingen einander als die beiden Grundkräfte, ohne die die Kirche Christi „existenziell" nicht bestehen kann. Auf seinen Inhalt gesehen - und damit verlassen wir diese grundsätzlichformellen Erörterungen über die Grundlagen - hat der Glaube in beiden Gestalten letzterdings nur einen Gegenstand. Er hat Antwort zu geben auf die v o m Herrn selbst gestellte Frage: „ W a s dünket euch von Christus"? (Mt. 22, 41) Indem wir auf diese Frage des Herrn glaubend Antwort geben: „ D u bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt. 16, 16), sind und bleiben wir weiter die von Ihm Gefragten. Auch die Lehrtradition der alten Kirche, die sich auf ihren Konzilien um die Beantwortung gerade dieser einen, zentralen Frage, der Christusfrage, bemühte, gibt uns ihre Antwort nicht so, daß wir aus Fragenden und Gefragten endgültig Antwortende würden und uns dabei beruhigen könnten, sondern so, daß wir durch sie als die Fragenden und Gefragten an einen O r t geführt werden, an dem wir nur in der existenziellen Nachfolge in Glaube und Gehorsam von IHM selbst die Antwort entgegennehmen können. Dieses auf das Leben in Christus gerichtete Gefälle der kirchlichen Lehrentscheidungen ist im Folgenden stets im Auge zu behalten.
B. D I E H E I L S O F F E N B A R U N G
GOTTES
Die trinitarische Grundentscheidung
I. GOTT, DER DREIEINIGE
I
m 4. Jahrhundert erfolgt nach langwierigen und verwickelten Auseinandersetzungen die Entscheidung für die Dreieinigkeit Gottes. Vorbereitet durch das erste ökumenische Konzil von Nicäa (325), das mit dem Satz, daß „der Sohn einer Wesenheit ist mit dem Vater", die volle Gottheit Christi bekennt, wird auf dem zweiten ökumenischen Konzil von Konstantinopel (381) die volle Gottheit auch des Hl. Geistes ausgesprochen. Geschichtlich und sachlich ist der Satz von der Dreieinigkeit Gottes die Entfaltung eben dieser Sätze von der Gottheit Christi und des Hl. Geistes. Denn, wenn der Sohn und der Hl. Geist Gott ist, wird die Frage unausweichlich, wie ihr Gott-Sein vereinbar ist mit der Gottheit des Vaters. Die Antwort, die die Kirche auf diese Frage gibt, lautet: Gott ist einer in den drei Personen (oder „Hypostasen", wie der Osten sagt) des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes. Er ist unzerstörbar Einer in der unzerstörbaren Verschiedenheit dreier Personen. Er ist dreieinig. Wenden wir uns kurz den Grundvoraussetzungen dieses Satzes zu. Die Gottheit des Sohnes. Der Satz von der Gottheit des Sohnes besagt, daß Jesus Christus nicht nur ein in besonders hohem Maße mit Gottes Kraft erfüllter Mensch war, ein höheres Engelwesen oder der Sohn in dem Sinne, daß er von Gott in exemplarischer Weise als sein Kind angenommen worden ist, wie durch ihn auch andere Menschen als seine Kinder angenommen werden. Vielmehr muß nach dem neutestamentlichen Zeugnis gelten: in Christus war Gott selbst handelnd gegenwärtig. „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst" (II. Kor. 5, 19). „In Ihm (Christus) wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" (Kol. 2, 9). „Ich und der Vater sind Eins" (Jo. 10, 30). „Jesus Christus ist der wahrhaftige Gott und ewiges Leben" (1. Jo. 5, 20, vgl. dazu Jo. 20, 28). In dieser Einheit mit Gott steht Jesus Christus nach dem Zeugnis des Johannesprologes von Ewigkeit her als „das Wort, das im Anfang war, das bei Gott war und das Gott w a r " Qo. 1, 1) und das in Jesus Christus „Fleisch ward" (Jo. 1 , 1 4 ) . Er ist der ewige Sohn des Vaters. Das Bekenntnis zur ewigen Gottheit Christi galt den altkatholischen Theologen von Anfang an als notwendiger Bestandteil des überlieferten
Die Heilsoffenbarung Gottes
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katholischen Glaubensgutes und war darum für sie die weiter nicht zu diskutierende Grundlage für die Wiedervereinigung der getrennten Kirchen (vgl. S. 103). Durch ihr Bekenntnis zur vollen Gottheit Christi distanzierten sie sich vom damaligen liberalen Protestantismus und von allen unitarisch lehrenden Kirchen, die mit der Gottheit Christi auch die Dreieinigkeit Gottes leugnen. Die Gottheit des Hl. Geistes. Der Satz von der Gottheit des Hl. Geistes besagt, daß dieser nicht bloß eine Kraft oder Wirkung ist, die von Gott oder dem erhöhten Christus ausgeht, noch eine bloße Emanation oder Erscheinungsform Gottes. Der Hl. Geist ist Gott selbst in seinem Innersten, sofern er als übersinnlich-sinnlicher „Geistbraus" aus sich seihst heraustritt und in das Werden der von Christus erlösten Schöpfung eingeht. Seine Gottheit wird im Neuen Testament dadurch bezeugt, daß im Offenbarungsgeschehen von ihm ein Handeln ausgesagt wird, wie es nach biblischer Terminologie sonst nur von Gott und Christus ausgesagt wird: Der Hl. Geist nimmt sich an, tritt für uns ein, sendet aus, tröstet, richtet, straft, und zwar tut er das als selbständige Person (Apg. 5, 5; 1 3 , 2 ) . Diese Selbständigkeit kommt ihm zu sowohl gegenüber Gott-Vater (Rom. 8, 26; 1. Kor. 2 , 1 0 ) wie gegenüber Gott-Sohn (2. Kor. 3,17). Er ist nach Jo. 1 4 , 1 6 der „andere (zweite) Beistand". Wenn auch seine Personhaftigkeit im Neuen Testament nicht so deudich hervortritt wie diejenige des Sohnes, gleichsam eine Person ohne eigenes Antlitz ist (das Antlitz des Hl. Geistes ist Christus, den er vergegenwärtigt und vertritt), so ist er doch, wie Christus, Herr, d. h. Person (1. Kor. 12, 4 - 1 1 ) . Als dieser Herr, als diese Person ist er aber ausschließlich gegenwärtig in den Gaben und in den Wirkungen, die von ihm auf die Gemeinde ausgehen. Zum Erweis der Gottheit Christi und der Gottheit des Hl. Geistes kommt es indessen nicht nur auf einzelne Bibelworte an, sondern noch vielmehr auf die durch sie bezeichneten Heilstatsachen: Der Sohn und der Hl. Geist werden vom Vater gesandt. Mit diesem Gesandtwerden ist nicht bloß ein Schöpfungs- oder ein Herr-Knecht-Verhältnis, sondern strikte eine göttliche Ursprungsbeziehung gemeint. Christus ist als der Gesandte Gottes „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott" (Credo). Dem Hl. Geist, „dem Herrn und Lebendigmacher" aber, der vom Vater ausgeht, gebührt „Anbetung und Verherrlichung" wie dem Vater und dem Sohn (Credo). Weder Sohn noch Hl. Geist sind bloß geschöpfliche Wesen, die Gott als seine Werkzeuge gebraucht, vielmehr ist in ihnen Gott selbst, Gott in Person handelnd gegenwärtig. Die Dreieinigkeit Gottes: daß der Sohn und der Hl. Geist durch ihre Ursprungsbeziehung zu Gott-Vater mit ihm in Einheit stehen, wird im Neuen Testament bezeugt durch eine Reihe von bekenntnisartigen For-
Die Lehre der altkatholischen Kirche mein, in denen die drei Personen in der Weise miteinander verbunden werden, daß von ihnen ein Handeln und ein Wirken ausgesagt wird. Damit wird der Gedanke einer bloßen Dreiheit (trias) überboten durch den der Dreieinheit, ohne daß indessen die dogmatische Formel Dreieinigkeit (trinitas) explicit gebraucht wird. In der Sache aber ist die B o t schaft von der Dreieinigkeit Gottes da ( n . Kor. 13, 3 ; 1. Kor. 1 2 , 4 - 6 ; Mt. 2 8 , 1 9 ) . Das bleibt in einem gewissen Grade auch noch so im Credo, das die drei heiligen Namen in den ihnen entsprechenden Hauptartikeln nebeneinander stellt, sie aber durch die einleitende Formel „ich glaube an Einen Gott" zur Einheit zusammenschließt. Durch die Annahme dieser Sätze des Credos war in der Sache die trinitarische Grundentscheidung gefallen. Dogmatisch weiter entwickelt wurde sie durch die großen Kappadozier Basilius (f 379), Gregor von Nyssa (t 395), Gregor von Nazianz (f 390) und im Westen durch Augustin (f 430). Ihren klassischen Ausdruck hat sie gefunden im Athanasianum, das im Westen neben dem Credo und dem Apostolikum als ökumenisches Symbol gilt. Die entscheidenden Sätze des Adianasianums lauten: „ W i r verehren den Einen Gott in der Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit, ohne Vermischung der Personen und ohne Trennung der Wesenheit. Eine andere nämlich ist die Person des Vaters, eine andere die des Sohnes, eine andere die des Hl. Geistes. Aber Vater und Sohn und Hl. Geist haben nur Eine Gotdieit, gleiche Herrlichkeit, gleiche ewige Majestät. W i e der Vater, so der Sohn und der Hl. Geist. UnerschafFen, unermeßlich, ewig, allmächtig sind der Vater, der Sohn und der Hl. Geist. Aber nicht drei UnerschafFene, Unermeßliche, Ewige, Allmächtige, sondern Ein U n erschaffener, Unermeßlicher, Ewiger, Allmächtiger. So ist der Vater Gott, der Sohn Gott, der Hl. Geist Gott, und doch sind nicht drei Götter, sondern es ist nur ein Gott." Auf seinen Gehalt gesehen, hat das Dogma von der Dreieinigkeit Gottes grundlegende Bedeutung sowohl für das richtige Verständnis der Offenbarung Gottes, wie seines inneren Wesens und seines Handelns an der Welt. a) Gott in seinem Offenbarungsgeheimnis Unter dem ersten, dem „offenbarungstheologischen" Gesichtspunkt besagt das D o g m a : Gott ist es, der sich offenbart. Er selbst, er allein, ohne dazu von anderswoher veranlaßt zu sein. Er ist das ausschließliche Subjekt, der alleinige Urheber der Offenbarung: als der Vater. Und er offenbart einzig und allein sich selbst und nicht etwas, das außerhalb seiner selbst liegt. Er ist auch der alleinige Gegenstand, das Prädikat, das Objekt seiner Offenbarung: als der Sohn. Und er ist es, der sich durch sich selbst
Die Heilsoffenbarung Gottes
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offenbart, der die Offenbarung durch sein persönliches Handeln vollzieht und durch diesen Vollzug Subjekt und Objekt miteinander verbindet. Er ist die „copula" der Offenbarung: als der Hl. Geist. Die Offenbarung ist also ganz und gar Gottes Werk. Auch wenn er sich in seinem Offenbarungshandeln geschöpflicher Personen und Kräfte bedient, so tut, wirkt und verbindet doch Er allein die Offenbarung. Von Ihm, in Ihm und durch Ihn ist alles, was in der Offenbarung geschieht. Wir können uns darum auf die Offenbarung verlassen: sie ist Seine, ganz Seine Offenbarung und darum ist sie Wahrheit. b) Gott in seinem Wesensgeheimnis Auf das Wesen Gottes gesehen, besagt das Dogma: Wie in seiner Offenbarung, so ist Gott auch in sich selbst, seinem inneren Wesen nach, der Dreieinige. Es kann keine Rede davon sein, daß Gott sich bloß uns gegenüber, „nach außen" als Vater, Sohn und Hl. Geist kundgibt, um uns nahe zu kommen und an uns sein Heilswerk zu vollbringen, während er in sich selbst ein anderer wäre: Etwa ein für uns verborgenes, einpersönliches Wesen oder gar ein völlig unpersönliches Urwesen. der Urgrund des Alls oder das in sich ruhende, bestimmungslose Eine. Es kann nicht sein, daß er in sich etwas anderes ist als er für uns ist, daß er gegen außen als der Herrliche und als die Liebe sich offenbart, während er in sich selbst etwas anderes wäre als der Herrliche und die Liebe. Würde das zutreffen, so wäre der sich offenbarende Gott nicht der wahre, nicht der wirkliche Gott. Sein Wesen bliebe uns unbekannt. Nun aber ist Gott wesenhaft, seinem inneren Wesen nach - das festzuhalten, ist das zentrale Anliegen des Dogmas - , was er nach außen für uns ist: der Dreieinige. U m die Klarstellung dieses Sachverhaltes, d. h. um die Erkenntnis des inneren Wesens des dreieinigen Gottes hat sich das theologische Denken der Kirchenväter besonders eindringlich bemüht. Die Hauptfrage war, wie Gott in sich selbst einer in dreien sein könne. Es ist hier nicht der Ort, die schwierigen Auseinandersetzungen und z. T . verschiedenen Wege, die die Ostkirche und die Westkirche in dieser Frage geführt worden sind, im einzelnen zu verfolgen. Wir begnügen uns mit dem Hinweis auf die wichtigsten Bestimmungen, die auch in das Credo Eingang gefunden haben: „Der Sohn geht vom Vater aus" (Jo. 8, 24), „der Hl. Geist geht vom Vater aus" (Jo. 15,26). Die beiden „Ausgänge", die damit ausgesagt sind, werden dadurch unterschieden, daß vom Sohn gesagt wird: er ist vom Vater (in Ewigkeit) „gezeugt, nicht erschaffen", und vom Hl. Geist, daß er vom Vater „gehaucht" wird. Zeugung und Hauchung durch den Vater sind zwei völlig unanschauliche, unvorstellbare Vorgänge im
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Die Lehre der altkatholischen Kirche
innergöttlichen Leben, durch die das Geheimnis des dreieinigen innergöttlichen Lebens nur eben bezeichnet, nicht aber erklärt wird. Nach der Lehre von den Ausgängen ist die Dreieinigkeit zu verstehen als die innergöttliche Selbsterschließung des Vaters durch den Sohn im Hl. Geist, durch die er in souveräner Freiheit und Herrlichkeit in einem ewigen Akt sich selbst als Ich, D u und Es behauptet, erschließt und verwirklicht. Diese Selbsterschließung ist ein weiter nicht abzuleitender oder zu erklärender Majestäts- und Herrlichkeitsakt Gottes. In seiner Selbsterschließung gibt aber Gott-Vater sich andererseits in völliger Liebe hin an seinen Sohn und an den Hl. Geist, so wie Sohn und Hl. Geist sich ganz an den Vater liebend hingeben. In dieser gegenseitigen Liebe wohnen sich alle drei, Vater, Sohn und Hl. Geist gegenseitig ein, durchdringen sie einander gegenseitig. In eben dieser gegenseitigen „Selbstbehauptung" und „Selbsthingabe" ist Gott als der Eine in Dreien der Herrliche und der Liebende zugleich. Diese seine Herrlichkeit und seine Liebe sind der Inbegriff seines Wesens wie auch seiner Vollkommenheiten, seiner sog. Eigenschaften, die in seinem Heilshandeln an der Welt offenbar werden. Mehr anhangsweise sei bemerkt, daß mit dem Satz von der Dreieinigkeit Gottes der Ein-Gott-Glaube, der sog. „Monotheismus", nicht gefährdet, sondern erst uneingeschränkt zur Geltung gebracht wird. Der dreieinige Gott, der nach außen kein anderer ist als er in sich selbst ist, ist als der Eine auch der Einzige, der Herr schlechthin, neben dem es keinen anderen gibt. c) Gott in seinem Geschehensgeheimnis Mit den letzten Ausführungen ist schon angedeutet, welche Bedeutung der Satz von der Dreieinigkeit Gottes für das Verständnis seiner Tätigkeit nach außen, in der Erschaffung, Erlösung und Vollendung der Welt, hat. Auszugehen ist v o m Satz, daß der dreieinige Gott in seiner Tätigkeit nach außen ein einziges, selbsttätiges Subjekt ist, sein Handeln mithin ungeteilt eines ist. Der Eine Gott ist der Schöpfer, Erlöser und Weltvollender. Aber der Eine Gott tut dieses sein dreifaches W e r k in der V e r schiedenheit dreier Personen, indem Er jeder Person ein besonderes Werk „zueignet", das nun vornehmlich ihr Werk wird. Gott-Kaier ist vornehmlich der Schöpfer, aber er ist es nicht ohne den Sohn und den Hl. Geist: Er schafft die Welt durch das Wort (Jo. i , 3), das in Jesus Christus Fleisch ward, wie er sie auch auf ihn als Endziel der Schöpfung hinordnet. „Durch ihn (Christus) ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden i s t . . . alles ist durch ihn und zu ihm geschaffen" (Kol. 1 , 1 6 ) . Gott-Vater vollbringt aber sein Schöpfungswerk auch nicht ohne den Geist. Durch den Geist, der im Anfang als selbständige H y p o -
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stase über der noch ungeordneten Welt schwebt (1. Mos. 1, 2), wird Gott der Schöpfung „inseitig", um sie als seine Schöpfung zu beleben und ihr Gestalt und Form zu geben, so wie auch der Mensch seinen Geist, den Lebensodem, durch einen besonderen Akt Gottes empfängt (1. Mos. 2,7). Ebenso ist die Erlösung ein Werk des dreieinigen Gottes. Durch Z u eignung kommt sie vornehmlich dem Sohne zu, der das Erlösungswerk durch seinen Gehorsam persönlich und aktiv vollzieht. Aber der Sohn tut das nicht ohne den Vater und den Hl. Geist. Der Vater ist es, der in seiner Liebe seinen einzigen Sohn zur Erlösung der Welt dahingibt (Jo. 3,16), und der Hl. Geist ist es, der auf ihn herabsteigt (Mt. 3,16), ihn heiligt und auf ihm bleibt bis zur Vollendung seines Heilswerkes im Kreuzestod (Hebr. 9, 14). Auch die Endvollendung in der Herrlichkeitsoffenbarung ist das Werk des Einen dreieinigen Gottes. An ihr ist aber vornehmlich der Hl. Geist durch Zueignung beteiligt. Er ist es, der als „Erstlingsgabe" (Rom. 8, 23) unserer zukünftigen Herrlichkeit die endzeitliche Wandlung des Menschen und der Welt, zu der Christus als unser Erlöser den Grund gelegt hat, bis ins Leibliche hinein zu Ende führen wird. Er wird die „Wunderbarmachung" der Welt, das OfFenbarwerden des neuen Himmels und der neuen Erde herbeiführen. In diesem Sinne ist das Endreich das Reich des Geistes. Aber dieses Werk der Neuschöpfung tut der Geist in der Einheit mit dem Vater, dem Schöpfer von Urbegirui an, und mit dem Sohne, dem Erlöser, der zur Wunderbarmachung der Welt als der Richter der Lebenden und der Toten wiederkommen wird mit Macht und Herrlichkeit. Auf die grundlegende Bedeutung der Dreieinigkeit Gottes für sein Handeln in Schöpfung, Erlösung und Weltvollendung muß darum mit Nachdruck hingewiesen werden, weil sie zwar allgemein anerkannt, aber im theologischen Denken und in der kirchlichen Verkündigung (zumal im Abendland) viel zu wenig beachtet wird. Praktisch neigt man im Westen zu einem oft sehr kurzschlüssigen Unitarismus, der nebeneinander im himmlischen Vater mehr nur den Schöpfer, Weltregenten (die Vorsehung) und höchsten Richter, in Christus mehr nur den Propheten und Erlöser, im Hl. Geist nur eben eine Kraft Gottes am Werke sieht. Das ist anders in der Ostkirche, die in ihrer Lehre und in ihrem Kultus, in ihren Gebeten und in ihrer Frömmigkeit mit viel größerer Kraft und Eindringlichkeit die Botschaft zur Geltung bringt, daß im Heilswerk in Schöpfung, Erlösung und Vollendung immer der dreieinige Gott der Handelnde ist. Die Botschaft etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - , daß Jesus Christus nicht nur der irdische Mensch war, in dem das göttliche
Die Lehre der altkatholischen
Kirche
Wort Fleisch ward, sondern daß Er der Mittler der Schöpfung war von Anfang an, ist im Osten sehr viel lebendiger geblieben als im Westen. So ist das Trinitätsdogma von grundlegender Bedeutung für das Verständnis sowohl der Offenbarung wie des Wesens und des Handelns Gottes nach „außen". Wie dabei das Dogma im einzelnen ausgelegt wird, ob (wie im Westen) mehr kritisch-rational oder (wie im Osten) mehr spekulativ-mystisch, ist nicht entscheidend wichtig, wenn nur die Trinitätslehre als solche ernstgenommen wird und die ihr durch die biblische Botschaft gesetzten Grenzen nicht überschritten werden.
Die christologische Grundentscheidung II. JESUS CHRISTUS, DER GOTT-MENSCHLICHE ERLÖSER
Im 5. Jahrhundert erfolgt die (im engeren Sinne) christologische Grundentscheidung, die in der alten Kirche Lehrstreitigkeiten nach sich zog, welche bis ins 7. Jahrhundert andauerten und die im Osten die Abspaltung der heute noch bestehenden monophysitischen und nestorianischen Teilkirchen zur Folge hatten. Die Entscheidung fällt auf dem vierten ökumenischen Konzil zu Chalcedon (451) mit dem Satz, daß Jesus Christus Eine Person (Hypostase) in zwei Naturen ist: wahrer Gott und wahrer Mensch. Auf dem fünften ökumenischen Konzil zu Konstantinopel (553) wird zur stärkeren Betonung der Einheit der Person Christi der Satz aufgestellt, daß Jesus Christus Einer ist „aus" beiden Naturen und daß ihm in seiner gott-menschlichen Einheit (nicht nur seiner Gottheit nach) Anbetung gebührt. Auf dem sechsten ökumenischen Konzil zu Konstantinopel (680/681) wird die chalcedonensische Grundentscheidung angewendet auf das Willensproblem und die Lehre verkündet, daß dem Einen Jesus Christus zwei Naturwillen und Wirkweisen (Energien) zukommen: Der göttliche und der menschliche Wille, wobei der menschliche dem göttlichen folgt (Mt. 26, 29). a) Die Person des Erlösers Die Bestimmungen des Chalcedonense sind eine dogmatisch vollgültige Interpretation des johanneischen Satzes: „und das Wort ward Fleisch" (Jo. 1, 14). Sie geben Antwort auf die Frage, wie das im johanneischen Satz bezeugte Zusammensein von göttlichem und menschlichem Sein und Handeln in dem Einen Jesus Christus zu denken ist. Es geschieht dies, nicht um das „ W i e " zu erklären, sondern um das „ D a ß " dieses Zu-
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sammenseins festzuhalten und um gerade so das Geheimnis der Person Jesu Christi vor allen kurzschlüssigen Mißdeutungen zu schützen. Die entscheidenden Sätze des Chalcedonense lauten: „ W i r lehren alle einstimmig, daß der Sohn, unser Herr Jesus Christus Ein und Derselbe ist. Er ist vollkommen der Gottheit und vollkommen der Menschheit nach. Wahrer Gott und wahrer Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und dem Leib. Er ist wesensgleich dem Vater der Gottheit nach, er ist wesensgleich auch uns seiner Menschheit nach, er ist uns in allem ähnlich geworden - die Sünde ausgenommen (Hebr. 4, 15) . . . Wir bekennen Ein und Denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen, unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungeschieden besteht, indem beide in Einer Person und Hypostase zusammenkommen." Ausgehend von der sehr ernsten Denkschwierigkeit, wie zwei in sich vollkommene, qualitativ aber völlig verschiedene und selbständige (wie dann später präzisiert wurde: subjekthafte) Wesenheiten - Gott und Mensch - zusammen eine Einheit bilden können, wendet sich das Dogma gegen zwei naheliegende Mißverständnisse. Einmal gegen den Versuch, zur Wahrung der geforderten Einheit in Jesus Christus einen Menschen zu sehen, dessen Geist nicht menschlich (nicht „eine vernünftige Seele"), sondern Gottes Geist (der Logos) selbst war. Das würde bedeuten, daß Jesus nicht vollkommener Mensch war, was zur Folge haben müßte, daß seine menschliche Natur von der göttlichen Natur derart dominiert, verschlungen und aufgesogen würde, daß die Einheit eine solche der (göttlichen) Natur würde. Gegen diese Lehre der Monophysiten (wie die Anhänger der Lehre von der „Natureinheit" Christi heißen) sind insbesondere die beiden Negationen „unvermischt" und „unverwandelt" des Dogmas gerichtet. Andrerseits aber wendet sich das Chalcedonense gegen den umgekehrten Versuch, zur Wahrung der geforderten Einheit in Jesus Christus die volle Gottheit Christi abzuschwächen in der Weise, daß unter grundsätzlicher Anerkennung seiner Gottheit erklärt wird: In Christus ist Gott nicht seinem Wesen, wohl aber seinem Wirken nach, nämlich mit dem Vollmaß seiner Gnade und seines Wohlgefallens gegenwärtig. Das würde bedeuten, daß die Einheit zwischen der göttlichen und der menschlichen „Natur" in Christus eine solche der gegenseitigen „Haltung", des göttlichen Wohlgefallens einerseits und der menschlichen Gesinnung andrerseits wäre, während die beiden einander widerstreitenden Naturen voneinander getrennt blieben. Gegen diese „Trennungschristologie" der Nestorianer (die ihren Namen von ihrem führenden Theologen Nestorius [+451] haben) sind die beiden anderen Negationen gerichtet: „ungetrennt" und „ungeschieden".
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Beiden Mißverständnissen gegenüber betont das Dogma, daß die Einheit der Naturen, die in Christus beide vollkommen gegenwärtig sind, in der Einen Person und Hypostase Christi begründet ist. Die beiden Naturen sind vereint durch die „hypostatische Union", die ihr Geheimnis darin hat, daß Christus, der als der Sohn des Vaters Person ist, von Ewigkeit her die volle göttliche Natur „zu eigen hat" und in dieser Zeit die volle menschliche Natur „angenommen hat". Auf diesem Satz von der hypostatischen Union (Personeinheit) hegt der Nachdruck der Konzilsentscheidung: Die „eine und selbe, die einzige Person" Christi hat Gegenstand des Glaubens zu sein. Es wäre verfehlt, in den Bestimmungen des Chalcedonense ein abstraktmetaphysisches Gedankengebilde erblicken zu wollen, das ohne Bedeutung für den existenziellen Glauben an Christus und sein Heilswerk wäre. Ganz im Gegenteil. Durch das Dogma wird uns gesagt, daß der Zugang zu Christus praktisch nur zu finden ist durch den Glauben an die Person Christi in der Einzigkeit, die ihm als Gott-Menschen zukommt. W i r können des erlösenden Heilswerkes Christi, das er als der ewige Sohn und Gott an uns vollzieht, nur teilhaftig werden, wenn wir ihn in dem von ihm angenommenen Menschsein voll ernst nehmen: Anders als durch sein volles Menschsein handelt Gottes Sohn (auch als der Erhöhte) nicht ah uns. Umgekehrt aber können wir sein volles Menschsein, durch das er uns erlöst, nicht verstehen und an ihm und damit an der Erlösung keinen Anteil bekommen, wenn wir nicht in seiner Menschheit seine volle Gottheit am Werke sehen. Damit sind uns v o m Chalcedonense her zwei Irrwege verunmöglicht, die der Christusglaube immer wieder zu gehen versucht ist. Es ist uns verwehrt, den W e g zum Erlöser so finden zu wollen, daß wir unter Zurückstellung der vollen Menschheit Christi, des Chritus „dem Fleische nach" (modern: des historischen Jesus) uns ganz nur seiner göttlichen Natur zuwenden und uns in naturhaft-mystischer Meditation in sie versenken (ein Weg, den in der Ostkirche das monophysitische Mönchstum gegangen ist). Noch können wir, unter Absehen von seiner göttlichen Natur, in Christus nur den vollkommenen, begnadeten Menschen sehen wollen, der uns bloß Vorbild, Lehrer und Anreger des Glaubens wäre (ein W e g , den im Westen das nestorianische Denken gegangen ist). Beide Wege, der naturhafte Mystizismus und der rationalistische Moralismus sind dadurch gekennzeichnet, daß sie das Ärgernis der Glaubensentscheidung für den Einen und Einzigen Herrn, der Gott und Mensch ist, zu umgehen suchen und es nicht vermögen, den „ganzen Christus" zu erfassen. Die beiden Irrwege erweisen sich aber als unvermeidlich, sobald das altkirchliche Dogma aufgegeben wird, das allein das Christusgeheimnis - als Geheimnis des Glaubens - in seiner ganzen
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Tiefe zu wahren vermag. Im Lichte dieses Persongeheimnisses Christi ist allein auch das Geheimnis seines Heilswerkes zu verstehen. b) Das Werk des Erlösers Aus der Lehre vom Heilswerk Christi sollen hier nur diejenigen Linien hervorgehoben werden, die für das Verständnis der Probleme der Heilsverwirklichung wie auch der Kirche wichtig sind. Der umfassendste biblische Ausdruck für das Heilswerk, das Christus als Gott und als Mensch ausübt, ist der des Mitders, wie er 1. Tim. 2, 5 bezeugt wird: „Denn es ist ein Gott und Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus, der sich selbst als Lösegeld für viele gegeben hat." Auf Grund dieser Stelle ist vor allem im Abendland (Augustin) der Akzent darauf gelegt worden, daß Christus unser Mittler ist durch sein Menschsem. Gemeint ist damit: sein von ihm als Gottes Sohn angenommenes und mit seiner Gottheit geeintes, vollkommenes Menschsein. Dieses vollkommene Menschsein hat er als Gottes Sohn in messianischem Gehorsam stellvertretend für uns auf sich genommen, um gerade so unser Mittler und Erlöser zu werden. Vollkommen aber ist er als Mensch in einem doppelten Sinn: Er ist vollkommen als wirklicher und als wahrer Mensch. Wirklicher Mensch ist er darin, daß er „bestehend aus einer vernünftigen Seele und dem Leib . . . uns in allem ähnlich geworden ist, die Sünde ausgenommen". Er ist als wirklicher Mensch ganz strukturiert wie wir, (aus Seele und Leib bestehend), er ist denselben Ordnungen der Schöpfung unterworfen wie wir, er leidet unter denselben Schwächen wie wir (wird müde, hungrig), er wird von denselben Empfindungen bewegt wie wir (von Freude und Trauer, von Liebe und Zorn), er untersteht denselben Denk- und Sprachgesetzen wie wir. „Ausgenommen die Sünde" will besagen: als der, der im messianischen Gehorsam gegen seinen himmlischen Vater wirklicher Mensch geworden ist, sündigt er nicht. Er nimmt zwar als wirklicher Mensch die Folgen unserer Sünde auf sich. Er trägt mit uns und für uns den ganzen Gottesfluch, der auf uns lastet, Leiden, Tod, Versuchung und Anfechtung bis hinein in die tiefste Gottverlassenheit. Zeitlebens wird er versucht wie wir, nimmt die furchtbare Möglichkeit der Sünde auf sich, überwindet sie aber dadurch, daß er tatsächlich nicht sündigt. Seine Versuchlichkeit ist umschlossen von seiner in seinem messianischen Gehorsam begründeten Unversuchlichkeit. Und ebenso nimmt er als wirklicher Mensch Leiden und Tod auf sich. Obwohl Leiden und Tod ihm, der nie gesündigt hat, etwas völlig Fremdes sind, nimmt er die Leidens- und Sterbensfähigkeit des wirklichen Menschen
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mit ihrer ganzen Last auf sich und stirbt in seinem messianischen Gehorsam den unverdienten Kreuzestod, um aber als der Gehorsame nicht im Tod zu bleiben, sondern siegreich zu auferstehen. Eben darin, daß er in allen Tiefen unserer Gottverfluchtheit gehorsam bleibt, ist er zugleich der wahre Mensch: der Mensch, wie Gott ihn haben will, der Mensch, der ganz dem Willen seines himmlischen Vaters hingegeben ist, der „Heilige Gottes", als den ihn sogar die Dämonen erkennen (Mk. i , 24). Als dieser wahre Mensch ist er völlig rein in seinem Denken wie in seinem Tun. Ihm, dem Gehorsamen eignet - wie die spätere Kirche präzisiert hat - nach dem Maße seines messianischen A u f trages sowohl vollkommenes Wissen wie vollkommene Macht. Er spricht und handelt in der völligen Unterordnung unter den Sendungswillen seines himmlischen Vaters als der vollkommen Wissende und als der vollkommen Mächtige. Noch ist dieses sein wahres Menschsein während seines Wandels hienieden verhüllt durch die irdische Existenz seines wirklichen Menschseins. Endgültig wird es erst offenbar in seiner Auferstehung und Erhöhung, die ihn uns erst als den wahren Menschen in seiner offenbaren Vollkommenheit zeigt. Wie das Neue Testament, insbesondere Paulus, nicht müde wird zu bezeugen, ist er der Auferstandene als der Gekreuzigte, ist er, wie wir jetzt sagen können, der wahre Mensch als der wirkliche Mensch. In Ihm, dem auferweckten und erhöhten Gekreuzigten, ist das, was in unserer menschlichen Existenz hoffnungslos auseinanderklafft, unser wirkliches und unser wahres Menschsein, zum siegreichen Ausgleich, zur Einheit gebracht. Und eben darin, daß er diese Einheit als der gehorsame Gottessohn, der stellvertretend für uns wirklicher und wahrer Mensch ist, wieder hergestellt hat, ist er unser Mittler und Erlöser. Er ist also unser Erlöser nicht allein dadurch, daß er als Gottes Sohn vermittels der von ihm angenommenen Menschheit an uns händelt, sondern auch dadurch, daß er als der vollkommene Mensch, in welchem der wirkliche und der wahre Mensch zur Einheit gebracht sind, sich mit uns in eine Reihe stellt: Als unser Bruder nicht nur, sondern als der Mensch schlechthin, als der neue Mensch, in welchem sich in einmaliger Weise ereignet hat, was sich an allen ereignen muß, wenn sie Menschen werden, aus wirklichen Menschen zu wahren Menschen werden sollen. Er ist als dieser neue Mensch das Haupt des neuen Menschengeschlechtes, als Gegenbild zum ersten Adam der „zukünftige Adam" (Rom. 5,14), der „Erstgeborene unter vielen Brüdern", das „Ebenbild" Gottes, „dem alle sollen gleichgestaltet werden" (Rom. 8, 29), das „Haupt des Leibes", der Kirche, wie er das Haupt der neuen Schöpfung ist. In dieser Hoheitsstellung, die der Sohn als der vollkommene Mensch einnimmt, tut er sein Werk der Erlösung in der
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Unmittelbarkeit, in der er als Mensch zu den Menschen steht, indem er als deren Haupt alle, die dazu ausersehen sind, durch die Vergebung der Sünden und die Verleihung des Lebens (paulinisch: durch die Rechtfertigung und Heiligung) zu neuen Menschen schafft und sie dem neuen Menschengeschlecht einverleibt, deren Haupt er ist. Nur wer Jesus Christus, den Gott-Menschen, immer auch als Ersten in der Reihe des neuen Menschengeschlechtes, als Haupt der Schöpfung und als Haupt seines Leibes, der Kirche, sieht, erfaßt den ganzen Christus.
Anhang: Maria, die jungfräuliche Gottesmutter Die Botschaft von der jungfräulichen Geburt des Gottessohnes hat trotz der nicht zu übersehenden Anstößigkeit dieses Wunders, ihrer mythologischen Umhüllung und historisch-protokollarischen Unbeweisbarkeit als ein biblisch einwandfrei belegtes und aus der Sache heraus notwendiges Zeugnis für das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes zu gelten. Es ist im Apostolikum und im Credo festgehalten mit dem Satz: „Empfangen von dem Heiligen Geist, geboren aus Maria derJungfrau." Nicht das Wunder selbst ist dabei das Wichtige, sondern das Geheimnis, das durch dieses Wunder bezeichnet und als solches kenntlich gemacht wird: das Geheimnis der Gott-Menschheit Christi in seiner Inkarnation. Mit dem „empfangen vom Heiligen Geist" wird bezeugt, daß im Geschehen der Menschwerdung des ewigen Gottessohnes nicht ein Mann, nicht eine Kreatur, sondern Gott selbst und Gott allein der Handelnde war. Durch seinen Schöpfergeist schafft Er in einem Akt der Segnung (nicht der Zeugung) in der Jungfrau Maria „das Heilige, das Sohn Gottes genannt werden soll" (Lk. i , 35). Mit dem „geboren aus Maria, der Jungfrau" wird festgehalten, daß Gottes ewiger Sohn als Mensch von einer menschlichen Mutter geboren wurde, als der echte Sohn einer echten Mutter, von der er sein Menschsein empfängt und durch die er in den allgemeinen Schöpfungszusammenhang hineingestellt wird. Daß Maria den Gottessohn als Jungfrau empfängt, besagt, daß auch von Seiten der Mutter jede selbsttätige, menschliche Mitwirkung und darum (und nicht, weil die Geschlechtlichkeit als solche sündig wäre) jede Sünde ausgeschlossen war. Gott war der allein Handelnde. Auf dem 4. ökumenischen Konzil zu Ephesus (431) wurde im Zusammenhang mit den christologischen Auseinandersetzungen der Satz angenommen: „Wenn jemand nicht bekennt, daß Immanuel in Wahrheit Gott und die Hl. Jungfrau deshalb Gottesmutter (Gottesgebärerin) ist, weil sie das fleischgewordene, aus Gott stammende Wort dem Fleische
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nach geboren hat, der sei ausgeschlossen." Dieser entscheidende Lehrsatz über Maria ist eindeutig christologisch gemeint. Mit ihm sollte gegen Nestorius, der von Maria nur sagen wollte, daß sie die Mutter des Menschen Jesus oder des Christus war, festgehalten werden, daß Maria vermöge der Menschwerdung des ewigen Gottessohnes im eigentlichen Sinne „Mutter Gottes" ist (Lk. i , 43). Eine selbständige, vom Geheimnis der Menschwerdung losgelöste oder mit ihr bloß durch theologische Schlußfolgerungen verbundene Mariologie kann es von diesem heilsgeschichtlich zu verstehenden Satz her nicht geben. So können aus der „immerwährenden Jungfräulichkeit", von der das 5. ökumenische Konzil (553) beiläufig spricht, nicht weitergehende „Privilegien" der Gottesmutter abgeleitet werden. Das muß gegen die beiden römisch-katholischen Dogmen von der unbefleckten Empfängnis Marias und ihrer leiblichen Himmelfahrt geltend gemacht werden. Die fromme Lehrmeinung von der Sündlosigkeit Marias wurde zwar schon von einzelnen Kirchenvätern vertreten, während andere unbefangen von ihren Fehlern und Schwächen sprachen. Erst im Mittelalter wurde die Lehre mit Nachdruck vertreten und'ausdrücklich mit dem Satz von der unbefleckten Empfängnis Marias begründet. Bekämpft u. a. durch Bernhard von Clairvaux, Thomas von Aquin und die Dominikaner, wurde diese Lehre von Duns Scotus (f 1308) und den Fransiskanern eifrig gefördert. Vom Konzil zu Basel (1439) nur als fromme Meinung zugelassen, wurde sie 1854 von Pius IX. als göttlich geoffenbarte Wahrheit erklärt. Ebenso war der alten Kirche, die zwar schon frühe das Fest des Heimganges (nicht der Himmelfahrt) Marias feierte, die Lehre von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel unbekannt. Auf eine Legende des 5. Jahrhunderts zurückgehend, wurde diese fromme Meinung von einzelnen Theologen als Glaubenssatz der Kirche befürwortet, von anderen verworfen, setzte sich aber vor allem in der Volksfrömmigkeit (gefördert nicht zuletzt durch die Darstellungen der bildenden Kunst) allgemein durch und wurde am 1. November 1950 durch Pius XII. ebenfalls als göttlich geoffenbarte Wahrheit verkündet. Beiden Dogmen ist gemeinsam, daß sie ohne Anhalt in der Hl. Schrift und in der apostolischen Urtradition sind. Ferner, daß sie nicht - wie das bei den Dogmen der alten Kirche der Fall war - eine bestimmte Irrlehre abwehren wollen und infolgedessen auch nicht den Charakter einer echten Glaubensentscheidung haben. Beide Dogmen sind vielmehr das Ergebnis theologischer Schlußfolgerungen und begehen eine unzulässige Grenzüberschreitung aus dem Bereich des bloß Gedanklichen in denjenigen wirklich geschehener Heilsereignisse. Diese Grenzüberschreitung erfolgt nach dem gefährlichen, erst in der Scholastik des Mittelalters aufkommen-
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den Grundsatz: decuit, potuit, fecit, es geziemte sich (für Gott, daß er es tat), er konnte es, also tat er es (vgl. dazu die vorzügliche Schrift von Paul Pfister: „Ist die leibliche Himmelfahrt Maria ein katholisches Dogma?', I K Z 1950, S. 238fr.).
Die pneumatologische
Grundentscheidung
III. D E R H L . GEIST, D E R LEBENDIGMACHER
Die Grundentscheidung über den Hl. Geist, soweit sie sein Gott- und Personsein betrifft, ist mit der trinitarischen Entscheidung des oekumenischen Konzils von 381 gefallen. Sie ist aber in ihren Konsequenzen insofern offen geblieben, als es sowohl über die innertrinitarische Stellung des Hl. Geistes wie über sein heilschaffendes Wirken in den Gläubigen zu keinen allgemeinverbindlichen Lehrentscheidungen kam. Es kann sich deshalb nur darum handeln, den allgemeinen Konsensus der alten und der späteren Teilkirchen in dieser Frage festzustellen, bzw. anzustreben. Was die innertrinitarische Stellung des Hl. Geistes betrifft, so besteht, wie wir wissen, zwischen der orthodoxen Ostkirche und den abendländischen Kirchen eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Lehrdifferenz über das Filioque. Auf dieses schwierige Problem ist hier nicht näher einzugehen (vgl. S. 105). Es sei nur darauf hingewiesen, daß neuere eingehende Forschungen sowohl von orthodoxer wie von altkatholischer Seite (Bolotow, S. Bulgakov, J. Langen) zum Ergebnis geführt haben, daß eine Lösung dieser Differenz auch nach ihrer inhaltlichen Seite möglich ist. Voraussetzung dafür ist, daß zunächst in formeller Hinsicht anerkannt wird: Dogma kann nur der Satz des Credos in seiner ursprünglichen Gestalt sein: Der Hl. Geist geht (im innergöttlichen Leben) vom Vater aus, während das östliche „aus dem Vater allein", insofern es als Gegensatz zum Filioque gemeint ist (was es ursprünglich nicht war und auch nicht sein muß), und das westliche „filioque", sofern es sich gegen das „aus dem Vater allein" richtet, spätere Theologumena sind, die eine letzte, nicht aufzulösende Aporie (Denk-Verlegenheit) im Personbegriff Gottes selbst zum Ausdruck bringen. Wird diese Aporie als solche anerkannt, und nicht (wie das in der westlichen, augustinisch-scholastischen Filioquelehre der Fall ist) zu einem den personhaften Gottesbegriff antastenden Philosophumenon verhärtet, so ist für den Glauben die Lehrdifferenz überwindbar (Bolotov). Der theologischen Lehrmeinung der Ostkirche ist insofern der Vorzug zu geben, als sie sich in ihren bedeutendsten Ver-
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tretem von jeder philosophischen Verhärtung freihält und dem personhaften GottesbegrifF gerechter zu werden vermag. Dem Problem der Heilswirksamkeit des Hl. Geistes haben die großen Lehrer der Ostkirche von jeher größere Aufmerksamkeit geschenkt, als das im Westen der Fall war. Noch heute werden in der abendländischen Theologie die Erörterungen über den Hl. Geist meistens der Lehre über Christus oder über die Gnade beigeordnet. Das hat zur Folge, daß bei aller Anerkennung der personhaften Gottheit des Hl. Geistes dieser dann doch nur als eine Kraft verstanden wird, die vom erhöhten Christus ausgeht oder daß er in einseitiger Weise mit der Erlösungsgnade in Eins gesetzt wird. Es wird darum eine der Aufgaben der westlichen Theologie sein, in Zusammenarbeit mit der östlichen Theologie die personhafte Selbständigkeit des Hl. Geistes und die Besonderheit seines Heilswerkes besser zur Geltung zu bringen. Übereinstimmung besteht darüber, daß es das Werk des Hl. Geistes ist, uns das uns durch Christus zugeeignete Heil jetzt und hier anzueignen. Dieses Werk der Heilsaneignung vollzieht der Hl. Geist selbst in Person, indem er mit seinen Gaben und Wirkungen in die Erlösten eingeht. Er tut das als der übersinnlich-sinnliche „Geistbraus", in welchem Gott mit seinem Innersten aus sich selbst heraustritt, um der Kreatur in ihrem Werden als Lebensspender „inseitig" zu werden. Auf die Gemeinde erfolgte seine Herabkunft auf Grund einer besonderen Sendung durch den Vater und den Sohn am Pfingstfest, nachdem sie durch die Menschwerdung des Sohnes als des endzeitlichen Geistträgers vorbereitet und ermöglicht worden war. Seine Herabkunft an Pfingsten ist zu verstehen als die Herabkunft seiner Person in der Fülle ihrer Gaben und Wirkungen. Sie ist nach der Epiphanie des Sohnes eine neue Herablassung des dreieinigen Gottes. Aber sie ist deswegen nicht eine neue Offenbarung nach derjenigen des Sohnes, sondern deren endgültige Inkraftsetzung und dauernde Vergegenwärtigung. Er ist unter den Seinen gegenwärtig als der Geist des Sohnes (Gal. 4, 6) oder als der Geist Christi (Rom. 8, 11), indem er ihnen nicht nur die Erkenntnis Christi und seines Heilswerkes, sondern auch die unmittelbare Teilhabe an der Wirklichkeit seines Erlösungswerkes schenkt. Während Christus nach Vollendung seines Heilswerkes in den Himmel zurückkehrt, bleibt der Hl. Geist unter den Seinen bis ans Ende der Tage (Jo. 14, 16). Auf Erden seines Amtes der Heilsaneignung waltend, ist er zugleich im Himmel, wo er auf dem Sohne ruht, um gerade so die dauernde Verbindung zwischen Himmel und Erde herzustellen. Wie durch Christus das Heilswerk grundsätzlich allen zugeeignet wird, so ist der Hl. Geist allen Erlösten, der ganzen Gemeinde, gegeben. Er ist in Person mit der ganzen Fülle seiner Gaben
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allen gegenwärtig. Es gibt keinen, der den Namen Christi trägt, der nicht darauf anzusprechen wäre, daß er auch den Hl. Geist empfangen hat. Die Frage, die sich als die eigentliche Grundfrage der christlichen Geistlehre stellt, ist die, wie der Hl. Geist in den Erlösten zugleich als göttliche Person und als geschöpfliche Gabe am Werke sein kann. Diese Frage steht in Parallele zur christologischen Grundfrage, wie der Eine Erlöser Gott und Mensch zugleich sein kann. Auch die Geistlehre vermag die Frage nach dem „ W i e " dieses Zusammenseins von Person und Gabe nicht zu erklären. Sie kann nur das „ D a ß " dieses Zusammenseins feststellen und es gegen mögüche Mißverständnisse abschirmen. Das geschieht am bestens durch den biblischen Begriff der Einwohnung (i. Kor. 3 , 1 6 ; Rom. 8, 9): Der Hl. Geist wohnt der Gemeinde der Erlösten ein. Damit ist zweierlei festgehalten. Einmal, daß er in den von ihm ausgehenden Gaben als Person unter uns weilt - denn nur eine Person kann wohnen. Zweitens, daß er als solche dauernd bei uns weilt. Als dauernd unter uns wohnende Person ist aber der Hl. Geist für uns nicht direkt feststellbar. Wir erkennen ihn nur an seinen Gaben und Wirkungen, die jedoch nie er selbst sind: Seine Person ist wohl seine Gabe, aber seine Gaben sind nicht seine Person. Diese bleibt für uns hinteL- seinen Gaben verborgen. In dieser Wirkweise wohnt der Geist dauernd unter den Seinen: Wenn er einmal (durch Taufe und Glaube) Wohnung in uns genommen hat, dann verläßt er uns nicht mehr (außer im Fall der Sünde wider den Hl. Geist). Denn Gott ist treu. Wir allerdings sind immer wieder untreu, auch als solche, die den Geist empfangen haben. Deswegen zieht sich aber der Hl. Geist nicht von uns zurück, vielmehr geschieht es dann, daß wir den Hl. Geist, der unter uns ist (als Person), „betrüben" (Eph. 4, 30) oder ihn (in seiner Wirkung) „dämpfen" (1. Thess. 5,19), d. h. ihn durch unseren Unglauben und Ungehorsam nicht zur vollen Entfaltung seiner Gaben und Wirkungen kommen lassen. Der Hl. Geist tut aber sein Werk auch in der Entstellung durch unseren Unglauben und Ungehorsam und waltet auch in seiner Betrübnis weiter unter uns. Das ist das Geheimnis seiner Herablassung, die er um seines Werkes der Heilsaneignung willen auf sich nimmt. Daß der Hl. Geist als Person uns verborgen bleibt und uns nur in seinen Gaben und Wirkungen erkennbar wird, und daß er uns auch treu bleibt, wenn wir ihm selbst untreu werden, ist begründet in der Art, wie der Hl. Geist an uns geschöpflichen Menschen handelt. Damit stehen wir vor einer Frage der Geistlehre, von deren Beantwortung für die Probleme der Heilsverwirklichung, insbesondere für das Problem Gnade und Freiheit, Entscheidendes abhängt: Wenn es nämlich so ist, daß im Hl. Geist Gott selbst in seinem Innersten aus sich heraus tritt, um dem ge-
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schöpflichen W e r d e n inseitig zu werden, so bleibt er dabei doch ganz Er selbst u n d bei sich selbst. D e r übersinnlich-sinnliche Geistbraus Gottes teilt sich d e m Geschöpf nicht so mit, daß er mit i h m zu einer Einheit verschmilzt, sondern so, daß er den geschöpflichen und erlösten Menschen „ v o n a u ß e n " stößt, i h m als Person zu Person gegenübertritt, u m in diesem Gegenüber zu verharren u n d zu handeln, ohne sein Persongeheimnis preiszugeben. Auf G r u n d der E i n w o h n u n g handelt der Hl. Geist so, daß er sich in seiner Freiheit mit den Erlösten in ihrer Freiheit zusammenschließt zu Einem Leben. D u r c h diesen Zusammenschluß (synapheia) w i r d der Erlöste als Subjekt mit der i h m gegebenen Freiheit nicht ausgelöscht oder zur bloßen M i t w i r k u n g zugelassen, sondern er bleibt i m persönlichen Gegenüber z u m Hl. Geist selbständiger menschlicher Geist. U n d umgekehrt w i r k t der Hl. Geist i m menschlichen Geist nicht bloß mit als eine besonders hohe Kraft, sondern er steht i h m als sein (verborgener) H e r r u n d Gebieter gegenüber, indem er i h m seine Gaben schenkt. In diesem Sinn ist der Zusammenschluß ein solcher des freien W i r k e n s v o n einander qualitativ verschiedenen Personen zu ein u n d d e m selben Lehen, das n u r i m existenziellen Glauben an die Person des Hl. Geistes entgegengenommen werden k a n n : ich glaube an den Hl. Geist, den H e r r n u n d Lebendigmacher." Dieses eine u n d selbe Leben ist das ewige Leben, das Leben des dreieinigen Gottes in der Fülle seines Geoffenbartseins an uns. In dieser trinitarischen Dimension erst erweist sich der Hl. Geist i m vollen Sinne als der Lebensspender: Indem er durch seine Person-Gegenwart u n d seine Gaben den Sohn u n d sein Heilswerk den Erlösten vergegenwärtigt u n d aneignet, vergegenwärtigt er ihnen i m Sohn auch den Vater. So vollendet sich i m W e r k des Hl. Geistes die Heilsoffenbarung des dreieinigen Gottes.
C. D I E
HEILSVERWIRKLICHUNG
ährend es die Lehre von der Heilsoffenbarung mit der Frage zu tun hat, was der dreieinige Gott in seiner Offenbarung für uns getan hat und noch tut, geht es in der Lehre von der HeilsverwirkJichung darum, zu zeigen, wie das durch ihn geoffenbarte Heil sich in dieser Zeit und im kommenden Aeon am Menschen, an der Gemeinde und an der Welt konkret verwirklicht. Die Frage der Heilsverwirklichung darf indessen nicht dahin verstanden werden, daß nun zu erforschen wäre, was der Mensch seinerseits zu tun habe, um das ihm von Gott „objektiv" angebotene Heil „subjektiv" zu verwirklichen. Vielmehr geht es auch in der Lehre von der Heilsverwirklichung entscheidend darum, aufzuzeigen, daß und wie Gott der am Menschen Handelnde ist. W o h l ist dabei das menschliche Handeln besonders zu würdigen, aber nicht in dem Sinne, daß es als zweites zum göttlichen hinzuträte, sondern so, daß es als selbständig-kreatürliches Handeln voll ernst genommen, aber als solches in der (personhaft zu verwirklichenden) Einheit gesehen wird, in die Gott das Handeln des Menschen je und je aufnimmt. Unter diesem Gesichtspunkt ist im folgenden zu reden: i . vom Vollzug des Heils in der Rechtfertigung und Heiligung, 2. von der Vollendung des Heils in der endzeitlichen HerrlichkeitsofFenbarung, 3. von der Vergegemvärtigung des Heils in der Verkündigung durch Wort und Sakrament. Diese Vorbemerkung war notwendig, weil es gerade über diese Fragen der Heilsverwirklichung - speziell im Abendland - zu großen und schweren Meinungsverschiedenheiten gekommen ist, die schließlich zur verhängnisvollen Kirchenspaltung zwischen Katholiken und Protestanten geführt haben. Diese Differenzen sind in den zahlreichen und ausführlichen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts in einer Weise fixiert worden, daß deren Überwindung kaum mehr möglich zu sein scheint. Man kann sich angesichts dieser Tatsache fragen, ob es wohlgetan war, Lehraussagen über die Heilsverwirklichung in Sätze zusammenzufassen, die den Anspruch auf Bekenntnisaussagen erheben. Denn ein Bekenntnis im Sinne der Hl. Schrift (vgl. S. 13 7) und der alten Kirche kann sich immer nur auf göttliche Personen und die von ihnen gewirkte Offenbarung beziehen, nicht aber auf den am Menschen sich vollziehenden Heils Vorgang. Jedenfalls kommt diesen Bekenntnisschriften der Teilkirchen, die sich hauptsächlich mit Fragen der Heilsverwirklichung befassen (denjenigem der Reformationskirchen, dem Tridentinum, den 39 Religionsartikeln
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Die Lehre der altkatholischen Kirche
der anglikanischen Kirche), nicht dieselbe Bedeutung und Allgemeinverbindlichkeit zu wie den dogmatischen Entscheidungen der alten Kirche. Sie sind aber deshalb nicht unwichtig. Im Gegenteil: Sie sind soll es über die Fragen der Heilsverwirklichung zwischen den einzelnen Teilkirchen zu allgemein annehmbaren Entscheidungen kommen, - aufmerksam zu prüfen und daraufhin zu untersuchen, ob und wie weit sie in innerer Übereinstimmung stehen mit dem Dogma der alten Kirche. W o diese Übereinstimmung fehlt, ist sie anzustreben. Wie das geschehen könnte, soll im folgenden kurz aufzuzeigen versucht werden.
I . D E R VOLLZUG DES HEILS
a) Rechtfertigung und Heiligung i . Der Stand der Frage Auf die Frage, wie das Heil sich an der Gemeinde und an ihren Gliedern konkret vollzieht, gibt die Kirche des Westens seit dem 16. Jahrhundert Antwort in der spezifisch von Paulus geprägten Lehre von der Rechtfertigung und Heiligung. Ihre Fragestellung lautet: „Was muß geschehen, damit der Sünder ein vor Gott Gerechtfertigter und Geheiligter wird?" Mit dieser Fragestellung der Kirche des 16. Jahrhunderts ist indessen - wie jetzt schon bemerkt sei - das Problem nur teilweise richtig gesehen. Denn durch sie wird die paulinische Botschaft von der Rechtfertigung in einseitig-individualistischer Weise auf die Frage nach dem Heil ¿es Einzelnen eingeengt (Luther: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?"), während in der Hl. Schrift an das neue Gottesvolk in seiner Gesamtheit und an seine Errettung gedacht ist. Die Antwort, die die Reformatoren auf die so gestellte Frage geben, besagt, auf ihren Kerngehalt gesehen: Ein vor Gott Gerechtfertigter wird der Sünder allein durch das ihn von aller Schuld freisprechende Gerichtsurteil Gottes. Die Rechtfertigung ist wesentlich „forensisch" zu verstehen: als gerichtliche Gerechtsprechung des Sünders, als Freispruch durch Gott. Zu diesem Freispruch kann der Mensch von sich aus nichts beitragen. Er erfolgt von Seiten Gottes rein aus Gnaden auf Grund des Sühnetodes Christi am Kreuz. Am Kreuz hat Jesus Christus als der Sündlose und Gerechte die Gerichtsstrafe Gottes stellvertretend für uns auf sich genommen und durch seinen Sohnesgehorsam alle Gerechtigkeit erfüllt. Damit hat er alle unsere Schuld getilgt und die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, für uns verwirklicht. Diese Gerechtigkeit Christi ist es, die Gott dem von ihm freigesprochenen Sünder anrechnet (imputiert). Sie
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wird dadurch nicht des Menschen Gerechtigkeit. Dieser bleibt vielmehr Sünder. W i r sind Gerechte und Sünder zugleich (simul iustus, simul peccator). Das ist der Kernsatz der reformatorischen Lehre. Auf den Menschen gesehen, bedeutet er: Gerecht kann der Mensch als der Sünder, der er bleibt, nicht werden durch seine eigenen Werke, sondern allein durch den ihm von Gott geschenkten Glauben, mit dem er den Freispruch Gottes und die ihm zugedachte Gerechtigkeit Christi ergreift. Der Glaube an Christi Heilstat verpflichtet den also Gerechtfertigten zum Gehorsam und zu einem Leben in der Heiligung - und in diesem Sinne auch zu guten Werken. Diese sind aber mehr nur Zeichen und Ausdruck der erfolgten Rechtfertigung, nicht aber deren Mittel und Bedingung. Sie begründen keinerlei Verdienst, das für die endgültige Rechtfertigung durch Gott bestimmend sein könnte. Das Endheil bleibt auch für den bereits Gerechtfertigten und Geheiligten v o m gnädigen Freispruch Gottes im Endgericht abhängig. Gegen diese forensische Deutung des Rechtfertigungsvorgangs nimmt die katholische Kirche auf dem Konzil zu Trient in der Sessio V I (1547) Stellung. Sie betont der reformatorischen Lehre gegenüber, die sie als Neuerung verwirft: Die Rechtfertigung ist nicht, ,nur'' Gerechtsprechung, sondern Gerechtmachung. Auch wird die Gerechtigkeit Christi dem Sünder nicht bloß angerechnet, sondern real mitgeteilt. Die Rechtfertigung ist die „Heiligung und Erneuerung des inneren Menschen". Durch sie wird der Sünder in den „Stand der Gnade" versetzt und ihm die Gerechtigkeit Christi durch Eingießung so mitgeteilt, daß sie ihm, wie der Catechismus Romanus formuliert, als „qualitas inhaerens" (anhaftende Eigenschaft) zu eigen wird. Auf diesem Begriff der Gerechtigkeit als einer dem gerechtfertigten Menschen „anhaftenden Eigenschaft" hegt der ganze Nachdruck der tridentinischen Lehre. Weiter ist für diese Lehre charakteristisch der Satz, daß der Mensch sich kraft seines freien, wenn auch durch die Sünde geschwächten Willens, mit Hilfe der „zuvorkommenden Gnade" auf den Empfang der Rechtfertigung vorbereiten kann, wie er auch am Rechtfertigungsprozeß durch „freiwillige Annahme der Gnade und Gaben" mitwirken kann und soll. Durch die freie Mitwirkung mit der Gnade vermag der Gerechtfertigte gute W e r k e zu schaffen, die für ihn vor Gott ein Verdienst begründen. W e n n die Verdienste des Menschen letzterdings auch als „Geschenke Gottes" zu betrachten sind, so sind sie doch ab freie menschliche Leistungen mitbestimmend für die Rechtfertigung im Endgericht. Der Glaube allein genügt nicht. Der Glaube ist (nur) „Beginn, Grundlage und Wurzel des Heiles". Erst „durch den durch die Liebe geformten Glauben", d. h. durch den Glauben und die aus ihm hervorgehenden guten Werke kann
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der Mensch ein Gerechter werden und als solcher im Endgericht bestehen. Es liegt auf der Hand, daß die beiden Lehren v o n der Rechtfertigung und Heiligung, wie sie in den konfessionellen Fixierungen des 16. Jahrhunderts vorhegen, miteinander unvereinbar sind. Die altkatholischen Theologen haben zwar auf der ersten Bonner Unionskonferenz (1874) eine vermittelnde Lösung angestrebt, mit der (noch immer stark individualistisch-tridentinisch geprägten) Formulierung: „ W i r stimmen überein, daß der durch die Liebe tätige Glaube (Gal. 5, 5), nicht der Glaube ohne die Liebe, das Mittel und die Bedingung der Rechtfertigung des Menschen vor Gott ist." Döllinger persönlich hat sich unter A b lehnung der reformatorischen Thesen zur tridentinischen Lösung bekannt. H. Reusch urteilte, daß das Tridentinum nicht die ganze überlieferte katholische Lehre enthalte. Er und andere wiesen darauf hin, daß die tridentinischen Sätze im Widerspruch stünden zu den Entscheidungen der alten Kirche, insbesondere zu den an Augustin orientierten Sätzen des Konzils von Orange (529). Ed. Herzog deutete die forensische Gerechtsprechung als Gerechtmachung auf Grund der Heilstat Christi: W a s Gott durch sein richtendes und gnädiges W o r t sagt, das geschieht auch. W e n Gott in Christus gerecht spricht, den macht er dadurch gerecht. Angeregt durch die Forschungen E. Gauglers und A . Gilgs haben sich verschiedene altkatholische Theologenkonferenzen eingehend mit dem Problem der Rechtfertigung und Heiligung befaßt, zuletzt noch die „Internationale altkatholische Theologentagung" in Bonn v o m Jahre 1962, die zu folgenden Ergebnissen gekommen ist: das Tridentinum ist, auch wenn es (wie neuerdings von römisch-katholischer Seite behauptet wird) nur gewisse „Übertreibungen" der Reformation hätte zurückweisen wollen, dem Grundanhegen Luthers nicht gerecht geworden und hat in wichtigen Punkten an den Reformatoren vorbeigeredet. A n der tridentinischen Lehre ist und bleibt zwar bedeutungsvoll ihr eindringliches Pochen auf die Realität der Heilsvorgänge, wenn auch die von ihr dabei verwendeten Begriffe in mancher Beziehung hinter dem biblischen Realismus zurückbleiben. Unter gewissen Korrekturen sind ihre Bestimmungen annehmbar, sofern diese nicht auf die Rechtfertigung, sondern auf die von ihr zu unterscheidende Heiligung bezogen werden. Andererseits ist festgestellt worden, daß die Fragestellung und Lehre Luthers nicht einfach die paulinische ist. Aber die reformatorische Lehre hat dem Tridentinum gegenüber Recht darin, daß sie die alleinige Initiative Gottes im Beginn und im Fortgang des Rechtfertigungsvorganges kompromißlos bejaht. Sie steht der biblischen Botschaft sehr viel näher als das Tridentinum, wenn sie betont: Es ist Gott allein, der durch
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seine Gnade an uns die Rechtfertigung und Heiligung wirkt. Durch diese Feststellungen wird der Gegensatz zwischen den beiden konfessionellen Positionen, wie sie geschichtlich wirklich gemeint waren, allerdings nicht geringer, sondern nur um so größer. W i r meinen aber, es wäre der Einheit der Kirche und der Herstellung eines wirklichen Konsensus schlecht gedient, wenn dieser Lehrgegensatz in voreiliger Weise (etwa sub specie pietatis) erweicht und damit gerade das eigentlich Wertvolle der beiden historischen Lehrbildungen eingeebnet würde. Es muß nach dem Gesagten vielmehr versucht werden, die bibelnähere Grundintention der Lehre Luthers aufzunehmen, um von ihr her dem tridentinischen Realismus in einem wesentlich vertieften Sinn Raum zu geben. Auf keinen Fall darf es geschehen, daß die Rechtfertigungsbotschaft Luthers, die als Botschaft das kostbarste Erbe der Reformationskirchen ist, der Einen und ganzen Kirche dadurch verlorenginge, daß sie ökumenisch verflacht wird.
2. Stellungnahme Wegleitend muß für uns die Erkenntnis sein, daß Rechtfertigung und Heiligung, auch wenn sie in Gott ein Akt sind, im Prozeß der Heilsverwirklichung zwei verschiedene Vorgänge sind, die systematisch streng voneinander zu unterscheiden sind. Die Rechtfertigung ist ein einmaliger (in der Taufe und im Glauben sich vollziehender) Akt, der am Anfang des ganzen Heilsvorganges steht und der zugleich die Verheißung in sich schließt, daß im Endgericht Gottes gnädiger Freispruch erfolgen wird. Als dieser einmalige Akt am Anfang ist die Rechtfertigung im paulinisch-reformatorischen Sinn forensisch, als freisprechendes Gerichtsurteil Gottes zu verstehen, das ein für allemal gilt, das aber im existenziellen (Vertrauens-)Glauben an die in Christus geschehene Heilstat immer wieder neu entgegengenommen werden muß. In diesem Glauben wird dem Gerechtfertigten die unmittelbare Gewißheit des Heils geschenkt. Diese aber ist nicht als „fleischliche Sicherheit" oder „Quietismus" zu verstehen, sondern muß, weil der Glaube selbst nie ein bleibender Besitz des Menschen sein kann, von diesem im B e wußtsein seiner Ohnmacht und Sünde immer wieder neu im Glauben errungen werden. Die Rechtfertigung am Anfang ist ein Akt, auf den der einmal Gerechtfertigte (wie auf die Taufe) glaubend immer wieder zurückkommen muß, um im Blick auf sein Ende stets von vorne anzufangen mit der schlichten, aber alles sagenden Bitte: „Gott, sei mir Sünder gnädig." Im Unterschied dazu ist die Heiligung nicht ein einmal geschehener, sondern ein fortwährend geschehender Akt. Sie ist nicht der
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Ausgangspunkt, sondern der W e g , den der einmal Gerechtfertigte im Glauben und im Gehorsam gegen den Herrn auf das Endziel hin zu durchschreiten hat. Deswegen ist die Heiligung nicht ein W e r k des Menschen, das er gleichsam als Dankespflicht für seine Rechtfertigung abzuleisten hat, sondern sie ist ein Akt der Indienstnahme des einmal Gerechtfertigten durch den Herrn selbst und durch seinen Hl. Geist. Des Menschen Tat im Heiligungsvorgang besteht darin, daß er, nachdem er die einmalige Rechtfertigungstat Gottes im Glauben angenommen hat, sich seinem Herrn im Gehorsam des Glaubens immer neu zur V e r fügung stellt, um sich von Ihm heiligen zu lassen. Ihre sakramentale Entsprechung hat die Heiligung im hl. Abendmahl, durch dessen Empfang dem Gerechtfertigten das Leben und die Kraft geschenkt wird, im Gehorsam des Glaubens zu wandeln. Durch diese dauernde Indienstnahme durch den Herrn und den Hl. Geist wird im Heiligungsvorgang der Gerechtfertigte in den Stand gesetzt, gute Werke zu tun und Früchte des Hl. Geistes zu zeitigen. Diese aber begründen keinerlei Verdienst, das für die Endrechtfertigung ins Gewicht fallen könnte, noch sind sie bloße „Zeichen" der geschehenen Rechtfertigung, sondern sie sind unmittelbare Auswirkungen der Heiligung selbst, die zwar nicht über die endgültige Beseligung entscheiden, wohl aber nach Gottes freiem und gerechtem Gnadenwillen deren Grad bestimmen. Auf die Frage, ob von diesen Voraussetzungen her der Rechtfertigungsvorgang als Gerechtsprechung oder als Gerechtmachung zu verstehen ist, läßt sich die Antwort am besten in der Weise geben, daß wir von der Christologie her, speziell in Anlehnung an das über das Heilswerk Christi Gesagte (vgl. S'. 154) den ganzen Heilsvorgang in einer die Begriffe Rechtfertigung und Heiligung überbietenden, aber ebenfalls paulinischen Terminologie wie folgt umschreiben: Durch die Rechtfertigung am Anfang wird der „neue Mensch" geschaffen. Es findet mit andern Worten eine Wiedergeburt, eine Geburt von oben statt, die den Menschen in seinem Subjektsein von Grund auf erneuert und umwandelt. D i e Rechtfertigung ist nicht bloß die Versetzung des alten Menschen in einen neuen „Stand", in den Stand der Gnade. Sie ist mehr als dies: Sie ist ein Akt der gänzlichen Neuschöpfung des alten Menschen durch Gott. In diesem Neuschöpfungsakt findet aber nicht (wie das in den heidnischen Mysterienreligionen angenommen wurde) ein Subjektwechsel statt: D e r neue Mensch tritt nicht einfach an die Stelle des alten. Vielmehr wird die Identität, die Selbigkeit der Person gewahrt, und zwar gerade dadurch, daß Gott den Sünder so freispricht, daß er Sünder bleibt. Eben darum ist am reformatorischen „simul justus, simul peccator" festzuhalten. Beizufügen ist nur, daß dieses simul justus, simul peccator nicht
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(wie in der protestantischen Orthodoxie) ontologisch (seinsgemäß), sondern heilsgeschichtlich zu verstehen ist (Grosche), nämlich so, daß im Heilsvorgang der Gerechte, der neue Mensch das Übergewicht hat über den alten sündigen Menschen und diesen überwindet. Eben darin aber, daß durch das von aller Schuld freisprechende Urteil Gottes der neue Mensch geschaffen wird, eine Neuschöpfung am alten Menschen sich ereignet, ist die Gerechtsprechung zugleich als Gerechtmachung zu verstehen. Das Analoge gilt dann aber auch für die Heiligung. W i e durch die Rechtfertigung der neue Mensch geschaffen wird, so werden diesem durch die Heiligung, d. h. durch die ihm fortzu widerfahrende Indienstnahme durch den Herrn und den Hl. Geist, die Gnadengaben und Kräfte geschenkt, die er nötig hat, um als dieser neue Mensch inmitten des alten Äons leben zu können. Die Heiligung ist wesenhaft fortwährende Mitteilung des neuen, einen, ungeteilten Lehens und nicht bloß Mitteilung einer dem Gerechtfertigten „anhaftenden Eigenschaft" (insofern müßten die tridentinischen Bestimmungen, soweit sie sich auf die Heiligung beziehen, nicht abgeschwächt, sondern radikalisiert werden). Gerade als Lebensmitteilung an den neuen Menschen ist auch die Heiligung als Gerechtmachung zu verstehen. Aber in einem anderen und besonderen Sinn. Das neue Leben empfangend, steht der gerechtfertigte, neue Mensch noch ständig im Kampf mit dem sündigen, alten Menschen. In diesem Kampf gibt es ein ständiges Überwinden und Versagen, Wachsen und Abnehmen, gibt es Gehorsam und Ungehorsam. Nie ist der Geheiligte auch schon der Vollendete. Die Gerechtmachung bleibt in der Heiligung partiell und comparativ. Auch in der Heiligung gilt darum das simul justus, simul peccator weiter. Eben deshalb ist an der reformatorischen und auch von einzelnen Vätern des Trienter Konzils ausgesprochenen Einsicht festzuhalten, daß auch der durch die göttliche Indienstnahme Geheiligte mit all seinen „Werken", die er allein im Kampf mit dem alten Menschen zu vollbringen vermag, letzterdings angewiesen bleibt auf das gnädige, ihn von aller Schuld freisprechende Endgericht Gottes. Damit ist das, was der Gerechtfertigte und Geheiligte hienieden im Gehorsam gegen seinen Herrn getan hat und tut, nicht entwertet, vielmehr wird ihm in seinem Kampf auf Erden durch die Verheißung des gnädigen und gerechten Endgerichtes die Gewißheit geschenkt, daß er in Jesus Christus, in welchem das Gericht schon vollzogen und uns die Gnade zugewendet ist, einen gnädigen Gott hat, zu dem er unmittelbar Zutritt hat als zu seinem himmlischen Vater, der sich jederzeit seiner Kinder erbarmt. In dieser existenziellen Sicht ist die Rechtfertigung und Heiligung nicht
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bloß eine „Lehre", sondern die Botschaft selbst, die jeder, der den Namen Christi trägt, in eigener, persönlicher Glaubensentscheidung entgegenzunehmen hat. Das darf aber nicht dahin mißverstanden werden, wie das im späteren Protestantismus vielfach der Fall war, daß die Rechtfertigung und Heiligung ein bloßer Bewußtseinsvorgang oder eine innere Erfahrung sei, die schließlich auch den Empfang der Sakramente überflüssig macht. Vielmehr wird der Gläubige durch diese Botschaft gerade an die Sakramente der Kirche und letztlich an diese selbst als an das erwählte Gottesvolk gewiesen, durch das Gott sein W e r k der Rechtfertigung und Heiligung an der Welt vollzieht. Dieser Ausblick auf die Kirche als auf das von Gott erwählte Volk und die zu errettende Welt vermag uns allein von jener individualistischen Verengerung des Rechtfertigungsvorganges, die für die Fragestellung des 16. Jahrhunderts charakteristisch war, zu befreien, und uns der Ur-Intention der paulinischen Botschaft näherzubringen. Denn dem Apostel ging es primär nicht um die Frage, wie der Einzelne gerettet werden und sein ewiges Heil erwerben kann, sondern um das viel größere Anliegen, uns zu verkünden, wie Gott, trotz dem Abfall Israels, ohne Vermittlung der Gesetzeswerke, rein aus Gnade durch den Versöhnungstod Christi, in aller Welt, unter Juden und Heiden, sein Volk, das neue, „dritte" Menschengeschlecht um sich sammelt, um das Kommen des Reiches anzubahnen. Der allmächtige und barmherzige Gott tut es, indem er auf Grund des Versöhnungstodes Christi uns Sünder, die wir alle sind, von jeglicher Schuld freispricht und uns sich anheiligt, um an uns, an seiner Gemeinde, zur Errettung der Welt sich selbst zu verherrlichen, sich selbst zu rechtfertigen, sich selbst zu heiligen und so sein Reich herbeizuführen. U m das Reich, um das Offenbarwerden seiner Herrlichkeit und seiner Liebe an den Menschen geht es letzterdings auch in der Rechtfertigung und Heiligung.
b) Gnade und Freiheit Bei der Frage nach dem Verhältnis von Gnade und Freiheit, die sich wiederum in besonderer Weise der abendländischen Kirche gestellt hat, geht es darum, aufzuzeigen, wie am Rechtfertigungs- und Heiligungsvorgang, der ganz das Werk der Gnade Gottes ist, der Mensch ohne Beeinträchtigung seiner Freiheit beteiligt sein kann. In der Beantwortung dieser Frage besteht heute weithin Übereinstimmung darüber, daß der Vollzug des Heiles in der Rechtfertigung und Heiligung ganz die freie Tat der Gnade Gottes und ganz die freie Tat des Menschen und seines Willens ist. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß dieser Satz allein in Übereinstimmung steht mit dem altkirchlichen Dogma, wonach Jesus
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Christus ganz Gott und ganz Mensch ist. Dieser Satz wird auch von römisch-katholischen Theologen anerkannt und die Meinung ausdrücklich zurückgewiesen, daß das Heil „teils" ein Werk Gottes, „teils" ein Werk des Menschen sei. Die große und entscheidende LehrdifFerenz ergibt sich erst, wenn weiter gefragt wird, welches dieser Mensch ist, der sich beim Vollzug des Heils in Freiheit entscheidet und der an dieser Entscheidung ganz beteiligt ist: Ist es der geschöpflich-sündige oder erst der durch die Gnade erlöste und erneuerte Mensch? Wie es für die protestantische (und in einem etwas anderen Sinne auch für die jansenistische) Lehre charakteristisch ist, daß sie bei der Beantwortung dieser Frage entscheidend an den erlösten Menschen denkt, so ist es für die katholisch-tridentinische Lehre kennzeichnend, daß sie auch den geschöpflichen Menschen mit einbezieht. Auf dem Konzil zu Trient ist indessen die Frage nach dem Verhältnis von Gnade und Freiheit (entgegen einem darauf zielenden Antrag) explizit nicht zur Sprache gekommen. Sie wurde aber (vor allem in den Sätzen über die Vorbereitung und über die menschliche Mitwirkung im Rechtfertigungsvorgang) in einem ganz bestimmten Sinne vorentschieden, wobei es im einzelnen bei nicht geringen Unklarheiten blieb. Um so langwieriger waren die Gnadenstreitigkeiten, die im 17. und im 18. Jahrhundert die katholische Kirche erschütterten und die in Frankreich zu den jansenistischen Wirren geführt haben. An diesen Gnadenstreitigkeiten war die Kirche von Utrecht insofern ideell beteiligt, als sie gegenüber der jesuitischen Lehre, die die Freiheit des geschöpflichen Menschen überbetonte, von ihren augustinischen Traditionen her auf den Satz „aus Gnade allein" allergrößtes Gewicht legte (was sie heute noch tut). Die Theologen der erst nach dem 1. Vatikanum entstandenen altkatholischen Kirchen haben sich diese Sicht insofern zu eigen gemacht, als sie die Rechtgläubigkeit der holländischen Kirche anerkannten und in der Utrechter Erklärung die Bulle „Unigenitus", durch deren Anathemata nicht nur der spezifisch jansenistische GnadenbegrifF, sondern auch weitgehend die Gnadenlehre Augustins mitbetroffen worden ist, ausdrücklich verworfen haben. Wir halten also am Satz „aus Gnade allein" fest. Was er bedeutet, kann hier auf Grund einer knappen Erläuterung der Begriffe Gnade und Freiheit nur andeutungsweise gesagt werden. Die Gnade (Huld) ist zu verstehen als der ewige Akt der huldvollen Zuwendung des dreieinigen Gottes zu seinem Geschöpf. Sie ist die Heilsoffenbarung des dreieinigen Gottes in ihrer Selbstverwirklichung als Liebe, die im Geliebten Freude und Seligkeit schafft. Als solche ist sie Gnade Gott-Vaters des Schöpfers, der alles, was ist, ins Leben ruft und es zur Freude und Seligkeit bestimmt.
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Sie ist sodann Gnade Christi, die sich offenbart in seinem Heilswerk und in der Fülle der Segnungen, die von ihm auf die Erlösten ausgehen. Und sie ist Gnade des Hl. Geistes, der, ausgegossen in die Herzen der Gläubigen, diese auf die Endherrlichkeit versiegelt. Der dreieinige Gott vollzieht also den ewigen Akt seiner huldvollen Zuwendung (durch Zueignung an den Vater, an den Sohn und an den Hl. Geist) sowohl in seinem Werk der Schöpfung, wie in demjenigen der Erlösung und der Vollendung: Seine Gnade ist Schöpfungsgnade, Erlösungsgnade und Herrlichkeitsgnade. Die Freiheit des Menschen, die ganz ein Geschenk der Gnade des dreieinigen Gottes ist, ist in Entsprechung zu den drei göttlichen Heilsordnungen jedesmal anders zu verstehen. In der Schöpfungsordnung wird sie dem Menschen durch die Gnade (die „Schöpfungsgnade") als Freiheit in der Entscheidung geschenkt. Ursprünglich, im paradiesischen Urstande, war sie Entscheidung zum Guten (allein). Durch den Sündenfall verliert zwar der Mensch die Freiheit nicht, aber er tauscht sie ein gegen die trügerische Freiheit für die Entscheidung, die sog. Wahlfreiheit. Diese „seine" Freiheit versteht und übt der Mensch seit dem Sündenfall aus als Freiheit für die Entscheidung zum Guten oder zum Bösen und stellt sich eben damit unter die Herrschaft der Sünde. Diese Freiheit des geschöpflich-sündigen, die Wahlfreiheit des „natürlichen" Menschen ist als „kleine Freiheit" (libertas minor) nur noch formale Freiheit, auf ihren Inhalt gesehen aber ist sie Sündenknechtschaft. Von dieser Knechtschaft der Sünde wird der Mensch erst in der Erlösungsordnung befreit durch die „Freiheit, zu der Christus uns freigemacht hat" (Gal. 5, 1). Diese wird dem geschöpflichsündigen Menschen ohne dessen Mitwirkung, rein durch die Erlösungsgnade Christi geschenkt und ist als „große Freiheit" (libertas maior) nichts anderes als die Freiheit des neuen Menschen, zu der der Sünder durch den einmaligen Rechtfertigungsakt Gottes wiedergeboren wird. Sie ist in einem neuen und anderen Sinn als im Urständ Freiheit in der Entscheidung zum Guten allein, nämlich in dem Sinne, daß der neue Mensch glaubend in ihr zu „bestehen" (Gal. 5, 1) und sie im Gehorsam gegen den Herrn - in der Heiligung - zu verwirklichen hat. Er kann das aber immer nur tun im Kampf mit dem alten sündigen Menschen, der er noch immer ist und der als solcher der bloß formalen Freiheit für die Entscheidung zum Guten oder Bösen (der „kleinen Freiheit") verhaftet bleibt. Von diesem Widerstreit zwischen dem neuen und dem alten Menschen befreit und damit völlig frei wird der Mensch erst durch die endzeitliche Herrlichkeitsoffettharung, die ihm endgültig die Befreiung von der Macht der Sünde und des Todes bringt und ihn in der Zeit des zukünftigen Lebens selig werden läßt.
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Wenn das alles zutrifft, dann muß klar sein, daß im Bereiche der Heilsverwirklichung Grundlage und Ausgangspunkt allen Nachdenkens über das Verhältnis von Gnade und Freiheit nur die Erlösungsgnade Christi und die Freiheit sein kann, zu der der Mensch durch sie befreit wird. Der allgemein anerkannte Satz, daß der Vollzug des Heiles ganz Gottes und ganz des Menschen Tat ist, kann dann nur bedeuten: Es ist der durch die Erlösungstat Christi zur „großen" Freiheit befreite Mensch allein, der zum ganzheitlichen und gemeinschaftlichen Handeln mit Gottes Gnade berufen wird. Das ist der Sinn des Satzes: „aus Gnade allein". Er besagt nicht, daß der Mensch nichts tun kann oder soll, sondern daß nur der durch die Gnade Christi erneuerte Mensch ganz frei handeln kann. Nur in der konsequenten Ausrichtung auf den neuen Menschen steht der Satz, daß das Heil ganz Gottes und ganz des Menschen Werk ist, in Übereinstimmung mit dem altkirchlichen Christusdogma, das besagt, daß Jesus Christus ganz Gott und ganz Mensch - nämlich nicht nur wirklicher, sondern auch wahrer Mensch ist. In dieser Ausrichtung auf den neuen Menschen steht dieser Satz aber auch allein im Einklang mit der eben dargelegten Lehre von der Rechtfertigung und Heiligung. In Analogie zur Rechtfertigung, die als einmaliger, alles verändernder Gnadenakt Gottes am Anfang des Heilsprozesses steht, ist die dem Erlösten geschenkte Freiheit ebenfalls ein einmaliges, unteilbares Geschenk, auf dessen Empfang sich der geschöpflich-sündige Mensch durch die Zustimmung seines geschöpflich „freien" Willens nicht vorbereiten kann. Aber dieses Geschenk ist dem Gerechtfertigten als Sünder gegeben, der er bleibt. Das aber heißt: Die Freiheit in Christus ist ihm so gegeben, daß er sie auf dem Weg der Heiligung nur verwirklichen kann in der Gestalt der Wahlfreiheit zum Guten oder zum Bösen, die ihm als Sünder zu eigen bleibt. Grundsätzlich ist ihm durch die Erlösung die Freiheit in der Entscheidung zum Guten gegeben, die er durch den Wandel im Herrn und im Hl. Geist zu verwirklichen berufen ist. Aber das vermag er nur in der Weise zu tun, daß er als Sünder an die formale Wahlfreiheit für das Gute oder das Böse gebunden bleibt. Darum ist die Freiheit des durch Christus Erlösten in der Heiligung immer eine „partielle" oder „komparative" Größe. Der Erlöste ist immer nur vergleichsweise, mehr oder weniger, frei. Nach dem Maße seines Glaubens und seines Gehorsams ist er frei, nach dem Maße seiner Gebundenheit an die kleine Freiheit des alten Menschen bleibt er unfrei. Es gibt darum nicht (wie das durch die Bestimmungen des Trienter Konzils nahegelegt wird) einen Übergang oder Aufstieg von der Freiheit des geschöpflich-sündigen Menschen zur Freiheit des erlösten Menschen, auch nicht durch Vermittlung der sog. zuvorkommenden Gnade (die im
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Grunde ein unklarer Begriff ist). In paulinisch-augustinischer Sicht verhält es sich gerade umgekehrt: nicht um einen Aufstieg von der „kleinen" zur „großen" Freiheit, von unten nach oben kann es sich im Heilsvorgang handeln, sondern allein um die unbegreifliche Herablassung der Gnade Gottes, der in seiner Langmut in die dem Erlösten geschenkte große Freiheit auch dessen kleine Freiheit aufnimmt. Das aber heißt: die geschöpflich-sündige Freiheit des Menschen wirkt in der Heiligung des Gerechtfertigten nicht mit, wie der „Synergismus" aller Zeiten meint, wohl aber wirkt sie im Erlösten als noch zu überwindender Rest nach. Indessen ist mit dieser Konzentration auf die Erlösungsgnade und auf die Freiheit des neuen Menschen wohl das „ D a ß " ihres Zusammenwirkens festgestellt, nicht aber das „ W i e " . Dieses bleibt Geheimnis - in Analogie zum Christusdogma, das das „ W i e " des Zusammenseins von Gott und Mensch in dem Einen Jesus Christus auch nicht erklären will noch kann. Und vor diesem Geheimnis gilt es Halt zu machen, was praktisch existenziell heißt: Als die mit der großen Freiheit Beschenkten haben wir unser Heil unter Furcht und Zittern in der Gestalt unserer kleinen Freiheit mit allen uns gegebenen Kräften so zu wirken, daß wir allezeit wissen: Gnade ist alles. c) Die Gnadenwahl Gottes (Die Lehre von der Prädestination) Zur Lehre von der Gnadenwahl Gottes haben die altkatholischen Theologen der ersten Generation ex officio nicht Stellung genommen, sondern sich im allgemeinen der überlieferten Lehre der abendländischen katholischen Kirche angeschlossen. Erst in neuerer Zeit hat E. Gaugier in seinem Römerbriefkommentar das schwierige Problem in einer Weise untersucht, die auch dogmatisch von allergrößter Bedeutung ist. Im Anschluß an die Ergebnisse seiner Forschung und an das soeben über das Verhältnis von Gnade und Freiheit Gesagte kann der systematische Gehalt dieser Lehre in Kürze wie folgt zusammengefaßt werden: Während es die Lehre über das Verhältnis von Gnade und Freiheit mit der Frage zu tun hat, wie im Vollzug des Heils, der das Werk der Gnade Gottes und der Freiheit des Menschen ist, die letztere ohne jede Einschränkung gewahrt bleibt, geht es in der Lehre von der Gnadenwahl um die Frage nach der Freiheit der Gnade Gottes in seinem Erlösungshandeln am Menschen. Diese Frage stellt sich angesichts der Tatsache, daß der Mensch kraft der ihm von Gott geschenkten Freiheit sich gegen ihn zu erheben und seine Gnade mit erhobener Hand zurückzuweisen vermag. Muß daraus gefolgert werden, daß der Mensch den Sieg der Gnade Gottes zu vereiteln und eben damit ihre Freiheit einzuschränken vermag ?
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Antwort auf diese Frage gibt Paulus in den Kapiteln 9 - 1 1 seines Römerbriefes. Sie quält ihn als geborenen Juden aufs tiefste, weil Israel v o n dieser furchtbaren Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, als es den zu seiner und der W e l t Erlösung gesandten Gottessohn verwarf. Seine Antwort besagt im Wesen thchen: Durch den Abfall Israels, d. h. durch die Gnadenfeindschaft der von Gott zum Heil bestimmten Menschen wird der Sieg seiner Gnade wohl vorübergehend aufgehalten, aber nicht verhindert, wird die Freiheit seiner Gnade für den Augenblick verdunkelt, aber keineswegs eingeschränkt. Denn wie der Glaube, durch den der Mensch in Freiheit die Gnade annimmt, immer schon ein W e r k der erwählenden Gnade Gottes ist, so ist der Unglaube, der die Gnade zurückweist - ungeachtet der Verantwortung und Schuld, die der Mensch damit in freier Entscheidung auf sich lädt - immer schon die Folge eines über den Menschen ergehenden Verwerfungs- und Verstockungsgerichtes Gottes. Gott ist in beiden Fällen der Handelnde und erweist gerade darin seine Freiheit. Er ist der frei Handelnde an denen, die glauben, indem er sie erwählt, und an denen, die nicht glauben, indem er sie verwirft. Durch sein Verwerfen wird der Gnadencharakter seines Handelns nicht etwa beeinträchtigt, sondern in seiner ganzen Tiefe erst offenbar. Denn nur eine Gnade, die die Möglichkeit des Verwerfens neben sich hat, ist wirkliche, unverdiente Gnade. Dieses sein Erwählen und Verwerfen vollzieht Gott nicht in Willkür, sondern in Treue zu sich selbst und zu seinem ewigen Heilsratschluß. Nach diesem Ratschluß stellt Gott sein Verwerfungsurteil über die Ungläubigen in den Dienst seines erlösenden Gnadenhandelns an Allen. „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Unglauben, damit er sich aller erbarme" (Rom. 11,32). Die Erbarmung, die Gott am Ende der W e l t über alle ergehen lassen wird, ist das Endziel seines Heilshandelns. Und eben dieses sein Endziel erreicht er mit Gewißheit, ohne durch den Widerstand der Menschen daran gehindert, ohne in seiner Freiheit irgendwie eingeschränkt zu werden. W i e aber erreicht Gott die Verwirklichung dieses seines Endzieles, den „Ubersieg" seiner Gnade? W e i l er in Wahrung seiner eigenen Freiheit auch die Freiheit des Menschen respektiert, sich für ihn oder gegen ihn zu entscheiden, geht er einen paradoxen U m w e g : Er stellt die Menschen, die sich ihm widersetzen, durch sein Verstockungsgericht in den Dienst des Werkes, das er an den Erwählten durchführt. Er gebraucht die Verstockten, um an den Erwählten seine Gnade um so mächtiger werden zu lassen. Dabei ist wohl zu beachten, daß die Verwerfung der Gnadenfeinde nicht schon deren ewige Verdammnis in sich schließt (dieser Gedanke ist Paulus unbekannt). Ebenso wenig bedeutet die Erwählung
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der anderen an sich schon deren ewige Beseligung, so daß sie sich mit dem Bewußtsein ihrer Erwählung zufrieden geben könnten. Die Erwählung schließt vielmehr immer auch die Berufung zur Ausführung eines bestimmten Auftrages in sich, dem auch die Verstockten und Verworfenen indirekt zu dienen haben. So werden Esau, Pharao, Gesamt-Israel verstockt und im Gegenüber zu ihnen Jakob, Moses und die Heiden zur Durchführung der ihnen übertragenen heilsgeschichtlichen Aufgabe berufen. So ist es auch zu verstehen, daß Gott, nachdem er Israel auf bestimmte Zeit verstockt hat, das Evangelium zunächst zu den Heiden dringen läßt, um dereinst durch sie, nachdem ihre „Vollzahl eingegangen sein wird" (Rom. u , 25), ganz Israel heimzuholen und so seinen Heilsplan, die Errettung aller, siegreich zu Ende zu führen. Das alles wird rein aus Gnade geschehen. Gott wird, nachdem er alle, Heiden und Juden, in ihren Ungehorsam (wie in ein Gefängnis) eingeschlossen hat, sich aller erbarmen, damit die Gnade ganz nur seine Gnade sei und so sein lebendiges Gottsein, die ganze Macht und Herrlichkeit seines freien Gnadenhandelns offenbar werde. So verstanden, geht es bei der Botschaft von der Gnadenwahl entscheidend um die Verherrlichung Gottes, nicht so sehr um den Menschen und schon gar nicht um seine „Vorherbestimmung", zu welcher Deutung das lateinische „praedestinatio" immer wieder verleitet hat. Der Gedanke der sog. Prädestinatianer (Gottschalk, Wyclif, Calvin), daß Gott in einem absoluten, unabänderlichen Ratschluß (decretum absolutum) von Ewigkeit her die einen zur ewigen Seligkeit, die anderen zur ewigen Verdammnis (praedestinatio gemina) vorherbestimmt hat und seinen vorgefaßten Ratschluß an den Menschen wie einen Mechanismus erbarmungslos ablaufen läßt, ohne daß der Mensch von seiner Freiheit noch Gebrauch zu machen vermag, liegt der Bibel völlig fern. Es ist auch nicht daran gedacht, daß Gott, wie wir erwarten möchten, diejenigen erwählt, die sich durch ihren Glauben, durch ihre Frömmigkeit oder Rechtschaffenheit vor ihm auszeichnen, sondern er erwählt die Gottlosen, beruft die Sünder. Und er verwirft auch nicht einfach die Übeltäter, sondern gerade „Gerechte", solche die sich - wie die Juden - im Bewußtsein ihrer Gerechtigkeit seiner Gnade widersetzen. Das aber heißt: Gott erreicht das Ziel der endgültigen Heilsverwirklichung, ohne auf die Mitwirkung der Gutwilligen angewiesen zu sein, aber auch ohne durch den Widerstand der Böswilligen gehindert zu werden. Er läßt sich durch kein noch so unbegreifliches Verhalten der Menschen oder durch irgendwelche unvorhergesehene Ereignisse überraschen. Er läßt sich seine Wege durch die Menschen nicht vorschreiben. Im Gegenteil: Er durchkreuzt der Menschen Wege immer wieder und führt so seinen
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Heilsratschluß durch die Unheilsgeschichte der Menschheit, die seine Gnade zurückweist, siegreich hindurch zu seinem Ziel: zur Erbarmung an allen. Mit dieser prophetischen Schau auf die W e g e der Gnade Gottes in der Geschichte, für die Paulus sich auf eine besondere, ihm zuteil gewordene Offenbarung Gottes beruft, will der Apostel aber nicht nur eine Deutung des Ablaufes der Heilsgeschichte geben, die uns eine abwartende Z u schauerhaltung erlauben würde. Er verkündet uns vielmehr, daß wir alle existentiell in dieses erwählende und verwerfende Handeln der Gnade Gottes in der Geschichte einbezogen sind: W i r sind es in Jesus Christus. In ihm Hegt das Geheimnis des erwählenden und verwerfenden Handelns Gottes beschlossen (Eph. 3, 11). In ihm sind Gottes Erwählen und Verwerfen zum befreienden Ausgleich gebracht, und zwar dadurch, daß Jesus Christus sich am Kreuz als der für uns alle Verworfene und in seiner Auferstehung als der für uns alle Erwählte offenbart. In Jesus Christus verworfen sind wir als die von ihm durch seinen Kreuzestod Gerichteten, in ihm erwählt sind wir als die von ihm durch die A u f erstehung Gerechtfertigten. Beides ist in Jesus Christus festzuhalten: unsere Verwerfung und unsere Erwählung. Darum ist die Botschaft v o n der uns in Christus geschenkten Gnade nicht loszutrennen von der uns geltenden Androhung des Verwerfungsgerichtes. Die Botschaft von der rettenden Gnade Gottes in Christus ist eine Wahrheit, deren Spitze durch die gleichzeitige Gerichtsandrohung - gegen uns gerichtet ist. W i r können mit anderen Worten die Verheißung der Gnade Gottes nur so entgegennehmen, daß wir Gottes Majestätsrecht zu unserer Verwerfung jederzeit anerkennen. So wahr aber in Jesus Christus die Auferstehung das Ubergewicht hat über seinen Kreuzestod, das Licht siegreich ist über die Finsternis, so wahr ist uns durch seine Auferstehung der Ubersieg seiner Gnade über sein Verwerfungsurteil verbürgt. W i r dürfen darum hoffen und in dieser Hoffnung jetzt schon selig sein: W i r dürfen hoffen, daß Gott sein Verwerfungsgericht über uns dereinst wenden und seine Gnade über uns alle in ihrer ganzen Fülle wird triumphieren lassen. In dieser Hoffnung erst bekennen wir uns zum wirklichen Gottsein Gottes, geben wir ihm die ihm gebührende Ehre. In dieser Deutung ist die Lehre von der Gnadenwahl der stärkste Ausdruck dafür, daß Gott in der Freiheit seiner Gnade allein unser aller Heil wirkt und daß wir eben darum unseres Heiles unbedingt gewiß sein dürfen. Andererseits ist diese Lehre der stärkste Ausdruck dafür, daß Gott, der in seinem Gnadenhandeln den paradoxen W e g des Erwählens der einen und der Verstockung der andern geht, unsere menschlich-kreatürliche Freiheit völlig unangetastet und uns unser Heil ganz auf unsere eigene
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Die Lehre der altkatholischen Kirche
Verantwortung hin wirken läßt. O b wir diese Verantwortung erfüllen, wird sich erst zeigen, wenn mit dem Anbruch der HerrlichkeitsofFenbarung die letzte Entscheidung über uns fallen wird.
I I . D I E VOLLENDUNG DES HEILES
(Die Lehre von den letzten Dingen) Auch in der Lehre von den letzten Dingen haben sich die altkatholischen Theologen an die allgemein anerkannten Sätze gehalten und sich nur zu bestimmten Fragen über den sog. „Zwischenzustand" geäußert, um sich gegen gewisse Mißbräuche zur Wehr zu setzen, die sich in der späteren Kirche aus einer unbiblischen Deutung eben jenes Zwischenzustandes ergeben haben. U m ihre diesbezüglichen Äußerungen zu verstehen, ist es unerläßlich, sich den Sinn der Lehre über die letzten Dinge kurz zu vergegenwärtigen. In der Lehre von den letzten Dingen geht es nicht um die „hypothetische" Frage, welches vermutlich das Los der Einzelseele in der zukünftigen Welt sei, sondern um die „kategorische" Botschaft, daß der dreieinige Gott das Heilswerk, das Er mit der Sendung seines Sohnes und des Hl. Geistes erst begonnen hat, an uns und an der ganzen Schöpfung glorreich zu Ende führen, vollenden wird. W i e in der Lehre vom Vollzug des Heils, darf auch in der Lehre von der Vollendung des Heils der Blick nicht am Einzelnen haften bleiben, sondern muß auf das Ganze, auf die Endvollendung im Reich gerichtet sein, die allein dem Einzelnen die Enderlösung bringt. Diese auf das Ganze, auf die Endvollendung des Alls gerichtete Schau allein ist biblisch. Sie ist durch die spätere Lehrentwicklung der Kirche, vor allem durch die philosophische Lehre von der Unsterblichkeit der Einzelseele, vielfach verdunkelt worden. Sie ist aber in den altkirchlichen Bekenntnissen noch festgehalten mit folgenden Sätzen: „Ich glaube an Jesus Christus, der sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten . . . Ich glaube an den Hl. Geist, an die Auferstehung des Fleisches und an ein ewiges Leben" (Apostolikum). „Ich glaube an den Hl. Geist, den Herrn und Lebendigmacher . . . und erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen W e l t " (Credo). Nach dem biblischen Zeugnis und diesen lapidaren Sätzen der altkirchlichen Bekenntnisse muß für die Lehre von den letzten Dingen entscheidend und wegleitend die Botschaft sein, daß Christus am Ende der Zeiten wiederkommen wird mit Macht und Herrlichkeit, um auf Erden das Reich aufzurichten. Das wird der dreieinige Gott tun durch „Offenbarung"
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i m eigentlichen Wortsinn, d. h. durch die aus Gnaden erfolgende Enthüllung seiner ganzen Herrlichkeits- und Liebesmacht, die bis jetzt in Christus und in den Seinen verborgen war. Seine Herrlichkeitsoffenbarung wird aber zugleich die Enthüllung und Außerkraftsetzung der Sünde und aller widergöttlichen Mächte durch das über sie ergehende Zorn- und Strafgericht sein. Die Herrlichkeitsoffenbarung ist die Enthüllung seiner Gnade und seines Gerichtes in ihrer den ganzen Kosmos umfassenden Vollgestalt. Durch die endzeitliche Gnade, auf der das Schwergewicht liegt, werden die Menschen zur Auferstehung gerufen, die bei den Lebenden und bei den Toten die völlige, sich bis ins Leibliche erstreckende Umwandlung ihrer bisherigen Existenzweise wirken wird. Bleiben wird in diesem Umwandlungsprozeß der neue Mensch, zu dem Christus den alten, sündigen Menschen durch seine Erlösungstat wiedergeboren hat und der im neuen Ä o n mit einem „geistlichen Leib" bekleidet werden soll. Abgetan wird der alte Mensch mit seinem Fleischesleib, der Mensch in seiner irdisch-sündigen Existenzweise. Die leibliche Auferstehung (die „Auferstehung des Fleisches") ist also nicht als „Wiederbelebung" des alten Menschen zu verstehen, sondern als A k t der U m wandlung, von der die ganze seelisch-leibliche Existenzweise des Menschen betroffen wird. Gleichzeitig mit der allgemeinen Totenauferweckung erfolgt auch die Umwandlung der Schöpfung, in die der Mensch mit seiner Existenz verflochten war. Durch diese kosmische Umwandlung, durch die „Wunderbarmachung der W e l t " , werden der neue Himmel und die neue Erde in Erscheinung treten, in der die Erlösten Gott schauen werden. Das Endgericht aber, das mit der Erneuerung der W e l t verbunden sein wird, wird das Ende der W e l t in ihrer jetzigen Gestalt herbeiführen und an den Menschen - an den noch Lebenden und an den Toten - das universale Vergeltungsgericht vollziehen: Die Gerechten werden von den Ungerechten geschieden, die ersteren werden zur ewigen Seligkeit berufen und die letzteren der ewigen Pein überantwortet werden. Uber die Frage, ob die Endoffenbarung Gottes in Gnade und Gericht einen doppelten Ausgang in dem Sinne nimmt, daß die Menschen endgültig in Beseligte und Verdammte geschieden werden oder ob die Allversöhnung, die Heimholung aller in die ewige Seligkeit zu erwarten ist, bestehen verschiedene Meinungen. Im Neuen Testament wird beides gesagt: Es wird sowohl der doppelte Ausgang (Jo. 5,29) w i e die Allversöhnung (Kol. 1, 20; Eph. 1, 10) verkündet. Durch die Entgegensetzung der beiden Aussagen wird (ähnlich wie in der Prädestinationslehre) die Freiheit Gottes auch in seinem endgeschichtlichen Handeln bezeugt. Gott, der der Herr auch über die Ewigkeit ist, bleibt - das will die Botschaft von der Allversöhnung sagen - an sein Verwerfungsurteil
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Die Lehre der altkathotischen Kirche
über die von ihm Verworfenen nicht „ewig" gebunden. Umgekehrt aber ist Gott auch nicht genötigt - das will die Botschaft vom doppelten Ausgang sagen - alle zu beseligen. Gott ist frei, beides zu tun, zu beseligen oder zu verwerfen wie auch alle mit sich zu versöhnen. Sonst wäre Gott nicht mehr der freie und gerechte Herr, wäre seine Gnade nicht mehr seine Gnade. In beiden Botschaften geht es letzterdings um die Wahrung der Ehre Gottes, seiner Freiheit und seiner Gerechtigkeit. Wollen wir Gott die Ehre geben, so gibt es für uns nur eines: daß wir im Hinblick auf das Endgericht den doppelten Ausgang gewärtigen und damit unsere eigene Verwerfung, daß wir aber zugleich der Hoffnung leben, daß Gott in seiner Allmacht und in seinem Erbarmen auch in der zukünftigen Welt das Verwerfungsurteil in den Dienst seiner allversöhnenden Gnade stellen wird. Daß in der Lehre von den letzten Dingen alles Gewicht auf die Botschaft von der Endvollendung durch den wiederkommenden Christus in Gnade und Gericht zu legen ist, darüber besteht heute unter den Kirchen, die auf dem Boden der altkirchlichen Bekenntnisse stehen, weitgehende Ubereinstimmung. Nicht zu übersehende LehrdifFerenzen bestehen indessen über die Fragen, die den Zwischenzustand betreffen, in welchem sich die Toten bis zur Endvollendung befinden. In Kürze läßt sich darüber Folgendes sagen: Durch den Tod wird der von Gott erschaffene Mensch nicht vernichtet, sondern in den Todeszustand versetzt und in diesem von Gottes Schöpfer- und Liebesmacht bis zum jüngsten Tag erhalten. Der Todeszustand ist ein Zustand des notvollen und hoffenden Wartens auf das Endgericht und auf die Enderlösung. Für die Gläubigen ist er ein Zustand des Höffens auf das Offenbarwerden der Gnade in ihrer Vollgestalt und ist darum in der Vorkenntnis des Kommenden für sie ein solcher der Seligkeit und des Friedens. Für die Ungläubigen, die die Gnade zurückgewiesen haben, ist er ein Zustand des Wartens nur auf das Gericht und ist darum für sie ein solcher der Furcht, des Schreckens und der Pein. Mit der Ostkirche kann gesagt werden, daß das Totenreich ein „Mittelzustand" ist, in dem die Verstorbenen durch das unmittelbar nach ihrem Tode erfolgende Einzelgericht eine Vorkenntnis ihrer zukünftigen Seligkeit oder Verdammnis haben. In dieser Vorkenntnis werden die Verstorbenen durch die besondere Nähe zu Christus, zu seiner Gnade und zu seinem Gericht, auf den großen Tag der Endlösung hin geläutert. Diese Läuterung erfolgt aber nicht durch Genugtuungsleistungen, die die Verstorbenen passiv (durch das Erdulden von Fegfeuerqualen) abzuleisten hätten. Vielmehr ist das Totenreich ein Purgatorium, ein Läuterungsort der Gnade. Daß den Verstorbenen eben diese Gnade zuteil werde, darum darf und soll die irdische Gemeinde beten.
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In diesem Sinne einer Fürbitte um eine „reichere Ausgießung der Gnade Christi über die Verstorbenen" haben die altkatholischen Theologen das Gebet für die Verstorbenen bejaht (13. Bonner These). Ebenso haben sie die Messen für Verstorbene beibehalten, deren allzuhäufigeWiederholung aber nicht empfohlen. Abgelehnt wird hingegen von der altkatholischen (wie übrigens auch von der orthodoxen) Kirche die römisch-katholische, aus dem Mittelalter stammende Lehre vom Fegfeuer, wonach die Gläubigen, die auf Erden für ihre Sünden nicht vollkommene Genugtuung geleistet haben, diese durch Abbüßung der Sündenstrafen im Jenseits nachzuleisten haben. Ebenso wird die Lehre abgelehnt, daß die Sündenstrafen der Verstorbenen durch Ablässe abgekürzt werden können. Diese Lehren beruhen letzterdings auf der spezifisch römisch-katholischen Auffassung von der Rechtfertigung und der durch sie geförderten Werkerei, wonach der Gläubige durch seine Werke (im Fegfeuer passiv durch Leiden) die Endrechtfertigung entscheidend mitbestimmen könne. Wird die biblisch-paulinische Rechtfertigungslehre angenommen, so wird - wie das Beispiel Luthers zeigt, der seine prophetische Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft allein aus dem Glauben mit dem Kampf gegen den Ablaß eröffnet hat - die ganze Fegfeuer- und Ablaßlehre der römisch-katholischen Kirche aus den Angeln gehoben.
Anhang: Die Verehrung der Heiligen „Heilig" heißen im Neuen Testament alle Glieder der Gemeinde, die, von Christus erlöst, im Hl. Geist wandeln. Doch ist darüber hinaus auch von einer Gemeinschaft der Vorerlösten die Rede. Das sind die, die im Zwischenzustand in unmittelbarer Nähe zu Christus der Enderlösung harren und die bestimmt sind, ihren Herrn dereinst auf seinem Siegeszug vom Himmel her als die mit ihm triumphierende Gemeinde zu begleiten. Von diesen Heiligen im engeren Sinn wird (Hebr. 12, 1 ff.) gesagt, daß sie jetzt schon, wie in einem Stadion auf erhöhten Sitzen thronend, die irdische Gemeinde in ihrem Glaubenskampf, von dessen Ausgang ihre eigene Endvollendung mit abhängig ist, mit ihren aufmunternden Zurufen begleiten. Es besteht in Christus zwischen der Gemeinschaft der Vorerlösten und der irdischen Gemeinde eine über den Tod hinaus sich fortsetzende gegenseitige Gebetsverbundenheit. Im Bewußtsein dieser Verbundenheit hat schon die Frühkirche - ohne daß dazu eine direkte Weisung Jesu oder der Apostel vorliegt - die Heiligen nicht nur als durch ihr Wort und Beispiel hervorragende „Autoritäten" verehrt, sondern sie hat schon sehr früh auch ihre Fürbitte angerufen, wie sie auch umgekehrt für die Heiligen bei Gott Fürbitte einlegte (so heute noch die
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Ostkirche). Damit war nicht nur eine fromme Übung eingeführt, sondern die unaufgebbare Erkenntnis festgehalten, daß die Kirche erst ist, was sie sein soll, wenn sie sich als die hienieden „kämpfende und leidende" Kirche mit der „triumphierenden" Kirche der Vorerlösten der Endzeit verbunden weiß. Wer darum die Anrufung der Heiligen mißachtet, läuft Gefahr, die Botschaft von der Kirche Gottes, die die irdische und die himmlische Gemeinde umfaßt, zu verkürzen. Die altkatholischen Theologen haben darum die Heiligenverehrung bejaht. Aber sie haben - wie das übrigens die Kirche von jeher getan hat - mit allem Nachdruck betont, daß die Erhörung der Fürbitten allein bei Gott und nicht bei den Heiligen selbst steht. Sie haben aber auch die praktischen Konsequenzen daraus gezogen: Die Heiligen dürfen nicht als Nothelfer für private Anliegen und Gebrechen angerufen werden, noch dürfen ihnen für „ihre" Hilfe (die ja von Gott kommt) Geschenke, Votivgeschenke, dargebracht werden. Schon gar nicht können ihre „überfließenden Verdienste" auf die Gläubigen übertragen werden (7. Bonner These). Entgegen der Anschauung orthodoxer Theologen, aber in Übereinstimmung mit der gesamten abendländischen katholischen Kirche wird anerkannt, daß die Anrufung der Heiligen nicht als eine Pflicht anzusehen ist, deren Erfüllung für jeden Christen zur Seligkeit notwendig wäre. Die Verehrung der Heiligen, an deren Spitze Maria steht, ist dem Einzelnen freigestellt. Sie wird in der altkatholischen Kirche in der Weise geübt, daß an Heiligentagen ihr Andenken durch einen besonderen Gottesdienst geehrt und in jeder Messe ihrer gedacht wird. Es geschieht dies nach der schweizerischen Liturgie mit den Worten: „Vereint in Christo Jesu, unserem Heiland und Mittler, mit allen, die deiner Erbarmung teilhaftig geworden sind, o Gott, ehren wir das Andenken Marias, der heiligen Mutter unseres Erlösers, der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der Evangelisten und aller Heiligen. Wir sagen dir Dank, himmlischer Vater, daß du ihnen die Krone des ewigen Lebens verliehen hast; wir bitten dich, laß unter uns ihr Wort und Beispiel gesegnet sein und erhöre ihre Fürbitten für deine Kirche auf Erden."
I I I . D I E VERGEGENWÄRTIGUNG DES HEILS W O R T UND SAKRAMENT
Die altkatholische Kirche hält an den Sakramenten fest, die sich auf Grund des Schriftzeugnisses in der abendländisch katholischen Tradition herausgebildet haben. Im einzelnen gibt sie ihnen von den neueren
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bibel- und dogmenkritischen Einsichten her eine etwas andere Begründung. Auch bezieht sie in die traditionelle Lehre von den Sakramenten diejenige vom Wort und von der Predigt ein. a) Wort und Sakrament Zur Heilsverwirklichung, wie sie der Herr im Rechtfertigungs- und Heiligungsvorgang am Menschen vollzieht und in der Herrlichkeitsoffenbarung vollenden wird, kann es nur kommen, wenn das Wort Christi und sein Heilswerk dem Menschen fortzu vergegenwärtigt wird. Diese Vergegenwärtigung aber erfolgt durch das Predigtwort und die Sakramente der Kirche. Sie ist, sofern sie im Auftrag und in der Vollmacht des Herrn erfolgt, ihrerseits als (symbolisch-abbildliches) Heilsgeschehen zu verstehen, durch das die Wahrheits- und Segensmacht der durch die Schrift bezeugten Offenbarung Gottes den Gläubigen verkündet und mitgeteilt wird. Daß die Vergegenwärtigung des Heils durch Wort und Sakrament geschieht, hat seinen Grund im Geheimnis der Offenbarung selbst (alle anderen Ableitungen sind sekundär). Wie nämlich Jesus Christus uns das Heil geoffenbart hat vermittels seines Wortes und seiner Taten, als der, der „vor Gott und den Menschen ein Prophet war mächtig in Wort und T a t " (Luk. 24, 19), so hat auch die verkündigende Vergegenwärtigung der Kirche zu geschehen durch das gesprochene Wort der Predigt und durch die Tat, durch das sakramentale Handeln. Die Vollmacht dazu hat ihr der auferstandene Herr gegeben durch seinen Missionsauftrag an die Apostel, der nach Mk. 16, 15fr., Mt. 28, i8ff. und Jo. 20, 2 i f f . beides umschließt, Predigt und Sakrament, nämlich die Wortverkündigung und die Taufe, bzw. die Buße (vgl. S.201 ff.). Für beide, Wort und Sakrament, kann der neutestamentliche Begriff der Verkündigung als Oberbegriff gelten, ohne daß dadurch ihre Besonderheit oder Eigenart beeinträchtigt werden muß. Die ausdrückliche Zusammenordnung von Wort und Sakrament geht auf Augustin zurück und ist später vor allem vom Luthertum wieder aufgenommen worden. Sie wird aber heute auch mehr und mehr von römisch-katholischen Theologen anerkannt. Allerdings wird die Unterscheidung, wie sie Augustin versteht (die Predigt als verbum audibile und das Sakrament als verbum visibile), der spezifischen Verschiedenheit der beiden nicht gerecht. Es ist mit neueren römisch-katholischen Theologen (G. Soehngen) besser von Hierologie und Hierurgie (von der Gegenwart des Christus-Mysteriums im heiligen Wort und im heiligen Handeln) zu reden, damit ihre Verschiedenheit besser zur Geltung kommt. Ihre Einheit aber liegt allein in Jesus Christus,
Die Lehre der altkatholischen Kirche in welchem - im Unterschied zu den alttestamentlichen Offenbarungsträgern - Wort und Tat nicht mehr auseinanderklaffen, sondern zur Einheit gebracht sind. Gerade dadurch erweist sich Christus als der Offenbarer schlechthin. In der Verkündigung der Kirche tritt diese Offenbarungseinheit in Predigt und Sakrament wieder auseinander. Das geschieht und muß geschehen zum Zeichen dafür, daß Christus als der alleinige Offenbarer ihr Herr und ihr eigentlicher Spender ist. Das aber heißt umgekehrt, daß im Gottesdienst der christlichen Gemeinde, die ihrem Herrn gehorsam ist, die eine Verkündigung grundsätzlich immer durch Predigt und Sakrament zu erfolgen hat. Die Predigt ist die Vergegenwärtigung der durch die Bibel bezeugten Offenbarung durch das Mittel der menschlichen Sprache. Durch das menschliche, vielleicht sehr unvollkommene Wort des Predigers, der im Auftrag und in der Vollmacht des Herrn dessen Wort bezeugt, es auslegt, kundmacht und auf die Gegenwart bezieht, spricht der Herr selbst zu seiner Gemeinde. Der Ermöglichungsgrund dazu hegt in Jesus Christus selbst, der seinen Boten die Verheißung gibt, daß ihr Wort sein Wort werden soll (Lk. 1 0 , 1 6 ) , und im Hl. Geist, der, wie dem Verkündiger, so dem Hörer Herz, Mund und Ohr für das göttliche Wort aufschließt. Die Gewähr dafür, daß das geschieht, daß das menschliche Predigtwort als Gottes Wort verkündet und vernommen wird, hegt beim dreieinigen Gott selbst. Die daraus sich für den Prediger ergebenden und von ihm zu erfüllenden Erfordernisse sind im wesentlichen die: Daß er einen bestimmten Schrifttext in strenger Gebundenheit an den Geist und den Glaubenssinn der ganzen Bibel sorgfältig auslegt, so daß aus dem Textwort die Stimme des Herrn selbst vernehmbar wird. Daß er sodann das so ausgelegte Wort der Gemeinde nicht bloß vorträgt und anbietet, sondern es als das Wort des Herrn autoritativ kundgibt, es proklamiert und seine Hörer zur Entscheidung ruft. Und endlich, daß sein Wort gegenwartbezogen ist und den Menschen dort trifft, w o er mit seinen wirklichen Nöten und Fragen für Gottes Wort ansprechbar ist. Die Verkündigung dient solcherart nicht bloß der Stärkung, Erbauung oder Belehrung derer, die schon glauben, sondern als Vergegenwärtigung der Wahrheits- und Segensmacht des götdichen Wortes schafft das verkündete Wort den Glauben, wirkt es die Wiedergeburt, zeugt es Geist und Leben. Das verkündete Wort ist insofern immer auch Tat, Ereignis, es ist (wie das Sakrament, aber auf andere Weise) ein Gnadenmittel in der Hand Gottes, ohne das der Christ nicht existieren kann. Seine besondere Gestalt ist die Sprache, die als inspirierte Rede nicht nur ein Verständigungsmittel, sondern ein Akt der schöpferischen Nachbildung des götdichen Offenbarungswortes ist. Dieser Akt der
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Heilsverwirklichung
schöpferischen Nachbildung erfolgt durch Worte, Begriffe und Bilder, die als Formalzeichen (signum formale) die durch sie bezeichnete Sache das Heil - unmittelbar wirken. Anders verhält es sich mit dem Sakrament. Im Sakrament erfolgt die Vergegenwärtigung der Wahrheits- und Segensmacht Gottes durch ein bestimmtes sichtbares Handeln, das durch den Herrn (oder die Apostel) angeordnet und mit der Verheißung seiner Gnade verbunden ist. Der christkatholische Katechismus formuliert: „Das Sakrament ist ein sichtbares, von Gott eingesetztes Zeichen, das mit einer unsichtbaren Gnade verbunden ist." Das Sakrament hat also, darauf ist zunächst der Nachdruck zu legen, als vergegenwärtigendes Handeln in ausgeprägter Weise Ereignischarakter. Es spricht durch sich selbst, ohne eines auslegenden Wortes zu bedürfen. Zwar ist das Sakrament nie ohne das W o r t . Dieses ist vielmehr notwendig, u m (als sog. „ f o r m a " des Sakramentes) den Sinn der sakramentalen Handlung (der sog. „materia") kenntlich zu machen und ihr Wirkkraft zu geben. Das W o r t dient dem Sakrament, aber dieses ist mehr als das W o r t : Es ist die Wirklichkeit, die das W o r t bloß bezeichnet. Im Unterschied zum zeichenhaft nachbildenden W o r t der Predigt, das unmittelbar wirkt, ist das sakramentale Handeln ein werkzeugliches Zeichen (signum instrumentale), das die Gnade mittelbar wirkt. Gerade in der Mittelbarkeit der Gnadenwirkung ruht der unvergleichliche Wirklichkeitscharakter des Sakramentes. Uber die Wirkweise des Sakramentes besteht insofern Übereinstimmung, als alle Kirchen den Satz anerkennen: Die Sakramente wirken, was sie bezeichnen (sacramenta efficiunt, quod significant). Aber dieser Satz kann im einzelnen sehr verschieden verstanden werden. Die extremsten Auffassungen werden vertreten einerseits durch die zwinglianisch-reformierte, andererseits durch die römisch-katholische Theologie. Nach der ersteren sind die Sakramente subjektiv wirksam, nämlich durch den Glauben derer, die sie empfangen. Die Gnade wirkt nicht durch die Sakramente, sondern sie wird an ihnen erkennbar und wird den E m p fängern dann geschenkt, wenn sie die sakramentalen Zeichen im Glauben an die verheißene Gnade empfangen (tum, cum). Die W i r k u n g der Sakramente ist wesentlich eine erkenntnismäßig-spirituelle, cognitive. Ihr steht die römisch-katholische Lehre gegenüber, die besagt: Die Sakramente sind wirksam durch die Kraft des gespendeten Sakramentes selbst. Die Sakramente „enthalten" (continent) die Gnade und teilen sie (conferunt) denen mit, die zu ihrem Empfang disponiert sind. Die W i r kung der Sakramente ist eine objektiv-kausative. Beide Extreme enthalten Wahrheitsmomente, vermögen aber mit ihrer Begrifflichkeit (cognitiv bzw. causativ) d e m sakramentalen Vorgang nicht gerecht zu
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werden. Weiter helfen kann uns in der Erkenntnis der sakramentalen Wirkweise am ehesten der von neueren römisch-katholischen Theologen (G. Soehngen) zur Geltung gebrachte Begriff des Symbols, soweit dieser im antik-biblischen, nicht im modernen Sinn verstanden wird. Darnach ist das Symbol nicht bloß ein Sinnbild, dessen Sinn außerhalb des Bildes selber hegt (wie etwa das Kreuz als Sinnbild des Glaubens). Vielmehr ist das Symbol ein sinnlich wahrnehmbares Zeichen, das als dieses Zeichen erfüllt ist von der Mächtigkeit des bezeichneten Heilsgeschehens. Das Zeichen und das bezeichnete Heilsgeschehen sind zwar von einander zu unterscheiden, bilden aber im Vollzug des Sakramentes eine Einheit, die „Symbol-Wirklichkeit". Diese aber weist ihrerseits über sich selbst hinaus auf das reine, nicht mehr symbolisierte Heilsgeschehen selbst und vergegenwärtigt es. So verstanden, ist das Sakrament ein werkzeugliches Symbol der Heilsverwirklichung im dreifachen Sinn: Es ist als sinnlich wahrnehmbare Handlung der Kirche zunächst äußeres Symbol, „sacramentum tantum" (beim Abendmalil das Segnen, Darreichen und das Essen und Trinken des Brotes und Weines). Durch diese äußere Symbolhandlung wird der Glaube an das durch dieses Symbol vergegenwärtigte Heilsgeschehen (beim Abendmahl der Glaube an den Heilstod Christi) gestärkt und bekräftigt. Dieses Symbol ist aber zugleich erfüllt von der Mächtigkeit der Heilswirklichkeit, die es bezeichnet, ist „sacramentum et res" (beim Abendmahl: Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Gestalten von Brot und Wein). Das Sakrament ist eben dadurch Symbol und Wirklichkeit in Einem, „Symbolwirklichkeit". Diese wirkt im Gläubigen das Heil (beim Abendmahl: die communio, die Lebensgemeinschaft mit Christus und allen Miterlösten). Aber dabei ist nicht stehenzubleiben. Als Symbolwirklichkeit weist das Sakrament über sich hinaus auf die Heilswirklichkeit selbst: auf die „res tantum" (beim Abendmahl auf den gekreuzigten, auferstandenen und wiederkommenden Herrn). Sie wirkt die Versiegelung des Empfängers auf die Endherrlichkeit in der Lebensgemeinschaft mit dem Herrn (beim Abendmahl: die Verheißung der Tischgemeinschaft im kommenden Reich mit dem Erlöser und allen Miterlösten). Dieser dreifache Sinn des Begriffes Symbol - als äußeres Symbol, Symbolwirklichkeit und Heilswirklichkeit - , dem auch eine dreifache Wirkung des Sakramentes entspricht, ist im folgenden stets im Auge zu behalten.
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b) Die einzelnen Sakramente
Die Taufe 1. Der Ursprung der Taufe
a) Der tragende Grund der Taufe ist die Verheißung der grundlegenden Sündenvergebung an alle, die Buße tun. Sie kündet sich bereits an in der Botschaft der alttestamentlichen Propheten, daß zur Wiederaufnahme Israels in den Bund der Gnade die völlige „Umkehr" zu Gott erforderlich ist und daß diese mit einer allgemeinen Reinigung verbunden sein wird, deren äußeres Zeichen die Begießung mit Wasser (Lustration) ist (Ez. 36, 24-27; vgl. Jes. x, 16; 4, 4; Jer. 2, 22; Sach. 13, 1, 2). In diese Tradition der großen Propheten stellt sich auch Johannes der Täufer, wenn er mit seiner Ankündigung der nahe bevorstehenden Gottesherrschaft den Ruf zur völligen Umkehr (Buße) und die Wassertaufe zur Vergebung der Sünden verbindet. Die Taufe mit Feuer und Geist, die er für die Endzeit verheißt, wird erst der Messias bringen. Jesus selbst hat während seines messianischen Handelns auf Erden nicht getauft 0o. 4, 2). Die anfänglich von den Jüngern Jesu und ausnahmsweise auch von ihm selbst 0o. 3, 22) vorgenommene Taufe war wohl eine der Taufe des Johannes analoge Wassertaufe. Die christliche Taufe (die Taufe „auf den Namen Christi") wird naturgemäß erst möglich nach Vollendung des Heilswerkes Christi, das er mit der Sendung des Hl. Geistes abschließt. Sofort nach Pfingsten wird denn auch die Taufe in der Urgemeinde allgemein geübt, ohne daß deren Herkunft geschichtlich näher begründet und erklärt wird. Das läßt sich nur daraus verstehen, daß die Apostel und die Urgemeinde sich für die Taufe auf einen ihnen vom erhöhten Herrn zuteil gewordenen Auftrag berufen konnten. b) Die förmliche Einsetzung der Taufe ist nach Mt. 28, 18-20 durch den erhöhten Herrn mit folgenden, an die Jünger gerichteten Worten erfolgt: „Mir ist (jetzt) alle Vollmacht im Himmel und auf Erden verliehen worden. Gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie taufet auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes und sie lehret, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende dieser Weltzeit." Der Hauptakzent hegt auf dem Missionsbefehl, durch den der Herr, nun im Besitze der uneingeschränkten göttlichen Vollmacht, die Jünger mit der Verkündigung des Evangeliums beauftragt. Durch ihre Verkündigung sollen sie die Völker der Erde zur Entscheidung rufen und diejenigen, die die Botschaft annehmen, durch die Taufe auf den dreieinigen Gott, auf den sie dadurch übereignet werden, in die endzeitliche Gemeinde eingliedern.
Die Lehre der altkatholischen Kirche
Und sie sollen die Getauften in allem, was der Herr ihnen aufgetragen hat, unterweisen. Der erhöhte Herr wird, indem sie diesen dreifachen Auftrag erfüllen, bei ihnen sein: Er selbst wird es sein, der durch den Dienst seiner Boten die Verkündigung, die Taufe und die Unterweisung vollzieht. Die Taufe ist wie die Verkündigung ein Herrschaftsakt Christi selbst und als solcher der grundlegende Initiationsakt, durch den er die Gläubigen in sein (im Taufakt repräsentiertes) Heilswerk und in seine endzeitliche Gemeinde aufnimmt. Daß dies der Sinn der Taufe ist, wird durch weitere neutestamentliche Stellen bestätigt, vor allem durch den Pfingstbericht, w o die Taufe der Urgemeinde zum ersten Mal erwähnt wird. Petrus verlangt dort von den Brüdern, die Zeugen des Pfingstwunders geworden sind: „Tuet Buße und es lasse sich ein jeder von euch taufen auf den Namen Jesu Christi, um so Vergebung eurer Sünden zu erlangen; ihr werdet dann auch die Gaben des Hl. Geistes empfangen" (Apg 2, 37, 38). Gemeint ist nicht nur die Taufe im Namen Christi, sondern die Taufe auf den Namen Christi. Nach biblischem Sprachgebrauch bedeutet dies, daß in dem über den Täuflingen ausgesprochenen Namen Christus selbst mit seinem Heilswerk diesen gegenwärtig wird und daß sie dadurch Ihm als ihrem Herrn durch die Vergebung ihrer Sünden und die Verleihung des Hl. Geistes als Eigentum übereignet werden. Denselben Vorgang meint Paulus, wenn er Rom. 6, 4 sagt, daß die Taufe eine solche sei in den Tod Christi und daß durch sie der Täufling Anteil bekomme an Christi Auferstehungsleben (Rom. 6,4: „So sind wir also durch die Taufe mit ihm - Jesus Christus - begraben in den Tod hinein, damit, wie Christus auferweckt worden ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, ebenso auch wir in einem neuen Leben wandeln" (vgl. auch Kol. 2, 12.). 2. Das Wesen der Taufe a) Als sakramentale Handlung (signum) hat die Taufe nach biblischem Zeugnis folgende drei Momente zu umfassen: Als äußeres Zeichen (materia) das Untertauchen ins Wasser (wie es heute noch in der Ostkirche geübt wird) oder die Aufgießung von Wasser (wie das im Westen schon seit dem 1. Jahrhundert üblich wurde) oder (im Notfall) die Besprengung mit Wasser. Hinzu kommt (als forma) das die Handlung begleitende Wort, das die Bedeutung einer die sakramentale Wirkung bezeichnenden und sie ausübenden Proklamation hat: ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes. Oder auch: auf den Namen Christi, eine Formel die bis ins 3. Jahrhundert neben der trinitarischen üblich war und sachlich dasselbe besagt. Spender der Taufe kann sein, wer, wie die Apostel, dazu beauftragt und bevollmächtigt ist und
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im Sinne der Kirche handelt. Nur im Notfall kann ein Laie (mit der Ostkirche ist zu sagen: ein getaufter Laie) kraft seines allgemeinen Priestertums die Taufe vornehmen. b) Das göttliche Heilsgeschehen (res) der Taufe ist nach Rom. 6 zu verstehen als Übertragung der Segensmacht des Heilstodes Christi und seiner Auferstehung auf den Täufling. Diese Übertragung wirkt die dauernde Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen und erfolgt durch die grundlegende Sündenvergebung (die Rechtfertigung des Sünders) und die Verleihung des neuen Lebens im Hl. Geist. Sie ist ein einmaliger, unwiederholbarer Akt, durch den der Täufling dauernd in die Kirche als den Leib Christi aufgenommen wird und durch den er mit dem „Abbild" (dem Heilsmysterium) des Todes und der A u f erstehung Christi „zusammenwächst" (Rom. 6, 5). Die Gewähr dafür, daß das geschieht, hegt in dem Verheißungswort der Vergebung, das der tragende Grund der Taufe ist und das nur im Glauben entgegengenommen werden kann: Ich bekenne eine Taufe zur Vergebung der Sünden (Credo). 5. Die Wirkung und Notwendigkeit der Taufe Durch die äußere Symbolhandlung, das Untertauchen ins Wasser, das das Sterben des alten Menschen bzw. die Reinigung von aller Sünde darstellt, wird der Glaube an das Heilsmysterium des Todes und der Auferstehung Christi gestärkt, gekräftigt und bestätigt. Als Symbolwirklichkeit schafft die Taufe im Täufling die dauernde Christusförmigkeit (als character indelebilis = unzerstörbares Merkmal) und begründet sein allgemeines Priestertum. Die Wirkung endlich, die von der durch die Symbolwirklichkeit bezeichneten Heilswirklichkeit selbst ausgeht, ist die Aufnahme in die messianische Heilsgemeinde der Endzeit und damit die Versiegelung auf die Endherrlichkeit. Notwendig ist die Taufe nicht nur, weil der Herr sie geboten hat, sondern weil sie in seiner Hand das Mittel ist, durch das er die Herrschaft über die Seinen aufrichtet. Diese Herrschaft bedeutet u. a. auch, daß der Herr sich für die Seinen entscheidet, bevor sie sich für ihn entscheiden. Zum Zeichen dafür ist die Taufe, wie das schon in der Urkirche geschah, auch unmündigen Kindern zu spenden. Die Firmung (Konfirmation) 1. Der Ursprung der Firmung a) Der tragende Grund der Firmung als des Sakramentes der Stärkung durch den Hl. Geist ist die umfassende Geistverheißung, die der Herr (vor allem in seinen Abschiedsreden Jo. 14-17) den Seinen gegeben hat.
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Nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes ist der Hl. Geist schon all denen gegeben, die an Christus gläubig geworden und getauft sind. Aber diesem seinem Kommen am Anfang folgt sein immer neues Kommen, um das unaufhörlich zu beten ist. Uber das Wie und die Gestalt dieses immer neuen Kommens wird im Neuen Testament nichts Bestimmtes gesagt: „Der Geist weht, w o er will" (Jo. 3, 8). Andrerseits aber kennen die Apostel und die Urgemeinde von Anfang an eine besondere Form der Geistmitteilung: die Handauflegung. b) Die Handauflegung zur Mitteilung des Hl. Geistes ist nach Apg. 8 , 1 4 - 1 7 erstmals von den Aposteln Petrus und Johannes an den Samaritanern vorgenommen worden, die durch Philippus zwar die christliche Taufe, aber nicht den Hl. Geist empfangen hatten. Diesen wird der Hl. Geist durch die beiden Urapostel durch Handauflegung übertragen, damit sie in die volle Gemeinschaft des Geistes mit der Urgemeinde aufgenommen würden. Taufe und Handauflegung werden damit deutlich als zwei verschiedene Akte voneinander unterschieden. Das ist auch der Fall Apg. 19, 6, w o Paulus Gemeindemitgliedern, die bloß die Johannestaufe empfangen hatten, die christliche Taufe und hernach die Handauflegung zum Empfang des Hl. Geistes erteilt. Diese Zweiheit ist heilsgeschichtlich bedingt: Während die Taufe der grundlegende Initiationsakt ist, der die Aufnahme in die christliche Gemeinde wirkt, ist die Handauflegung ein Akt innerhalb der Gemeinde selbst, wobei es nach Apg. 8 mehr um die Integrierung in den Geist der Einen Kirche, nach Apg. 19 mehr um die Beglaubigung und Bestätigung der Taufe geht. Taufe und Firmung verhalten sich nach beiden Stellen zueinander wie die Grundlegung und die Entfaltung in der einen Sendung des Hl. Geistes. An keiner der beiden Stellen der Apostelgeschichte liegt indessen ein förmliches Einsetzungswort vor. Doch ist die Handauflegung als eine von den Aposteln autorisierte Form der Geistmitteilung zu betrachten, die ganz unter dem Verheißungswort Christi steht. 2. Das Zeugnis der Tradition In der kirchlichen Tradition wird die Handauflegung als von der Taufe verschiedener Akt eindeutig erst im 2. Jahrhundert bezeugt. Sie wurde nach dem Zeugnis Hippolyts (f 235) in der westlichen Kirche von den Bischöfen als den Trägern des Amtes der kirchlichen Einheit vollzogen. Diese Übung weist auf den ursprünglichen Sinn der Handauflegung als der sakramentalen Handlung zur Herstellung und Wahrung der kirchlichen Einheit hin (Apg. 8), während die Vorschrift der Synode von Elvira (306/3x2), die Firmung sei an solche zu spenden, die nur die Notoder die Ketzertaufe empfangen haben, an Apg. 19 erinnert. Erst vom
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5. Jahrhundert an wird die Firmung allen Getauften gespendet - im Westen ordentlicherweise durch die Bischöfe. In der Ostkirche wird die Firmung ( = Salbung) bis heute in Verbindung mit der Taufe durch die Priester vollzogen. 3. Das Wesen ¿er Firmung a) Das äußere Zeichen der sakramentalen Handlung (signum) ist die Handauflegung, während die Salbung mit Chrisam, die Besiegelung mit dem Kreuz und der erst aus dem 12. Jahrhundert stammende Backenstreich (Friedensgruß) durch das biblische Zeugnis nicht direkt gefordert sind, aber nach der allgemeinkirchlichen Tradition des Westens zur Integrität des Sakramentes gehören. Als Form des Sakramentes hat die der Taufformel nachgebildete Proklamation zu gelten: „Ich firme dich" (in der Ostkirche: „Siegel der Gabe des Hl. Geistes"). Wenn auch im Westen der Bischof ordentlicher Spender der Firmung ist, so kann sie doch auch im Westen durch einen vom Bischof beauftragten Priester vorgenommen werden. b) Das Heilsgeschehen (res) besteht in der Stärkung des inneren Menschen mit der Gabe des Hl. Geistes. Die grundlegende Verleihung des Hl. Geistes erfolgt zwar schon in der Taufe als dem „Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung des Hl. Geistes" (Tit. 3,5). Deswegen ist die Firmung nicht eine Wiederholung der Taufe (Luther), noch eine bloße Katechese (Calvin), noch auch die Vollendung des Taufsakramentes (Thomas). Im Anschluß an die letztere Bestimmung ist vielmehr zu sagen, daß die Firmung zwar nicht die Vollendung der Taufhandlung ist, wohl aber, daß die Fixmgnade (die Stärkung durch den Hl. Geist) die Vollendung und Entfaltung der Taufgnade (der grundlegenden Geistverleihung) wirkt. Als äußeres Symbol wirkt sie die Stärkung des Glaubens in der Richtung einer bewußteren Teilnahme am Heilswerk Christi, als Symbolwirklichkeit die Integrierung in die vom Hl. Geist immer neu zu erflehende Gemeinschaft mit der Kirche und als Wirklichkeit schlechthin die Stärkung in der Hoffnung auf die endzeitliche Geistausgießung. 4. Die Ordnung der Firmung Diese ist mitbedingt durch die Allgemeinheit der Kindertaufe. Dieser fehlen (im Unterschied zur Erwachsenentaufe) die vorangehende Unterweisung, das selbständige Bekenntnis zu Christus und die damit verbundene Zulassung zum Abendmahlsempfang. In der altkatholischen Kirche Hollands wird dieser Sachlage in der Weise Rechnung getragen, daß anläßlich der Firmung, der eine entsprechende Unterweisung vorangeht, das Taufgelübde erneuert und den Firmlingen nach Möglich-
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keit am darauffolgenden Sonntag die Erstkommunion gespendet wird. Ähnlich ist die Ordnung in der anglikanischen Kirche, die auf die Firmung als Vorbedingung des Kommunionsempfanges besonders großes Gewicht legt. Im Bereich der reformatorischen Kirchen hat Bucer in Straßburg eine ähnliche Ordnung aufgestellt, die erst durch die Aufklärung beseitigt worden ist. Ihre Grundelemente waren: Abschluß der Unterweisung, Erneuerung des Taufgelübdes, Handauflegung durch den Pastor in Verbindung mit den Worten: „empfange den Hl. Geist" und Zulassung zum Abendmahl. Auf ihre Ur-Intention gesehen, ist diese Ordnung der altkatholischen und anglikanischen durchaus analog. Allgemein heilsnotwendig ist die Firmung nicht, doch soll deren Empfang nicht unterlassen werden. Das heilige Abendmahl 1. Der Ursprung des Abendmahles a) Über die Einsetzung des heiligen Abendmahles berichten im wesentlichen übereinstimmend Mk. 14, 22-25, Mt. 26, 26-29, Lk. 22, 15-20 und 1 . Kor. 1 1 , 23 fr. Nach den Berichten der drei ersten Evangelisten, weniger deutlich nach demjenigen des Apostels Paulus, hat Jesus das Abendmahl eingesetzt, als er mit seinen Jüngern zur Feier des jüdischen Passahmahles versammelt war. Schon allein dadurch erweist sich das Abendmahl als eine Stiftung, die der Herr in einen ganz bestimmten heilsgeschichtlichen Zusammenhang hineingestellt wissen wollte. Für die Juden war das Passahmahl eine kultische Vergegenwärtigung der Befreiung Israels aus der ägyptischen Knechtschaft. Jedesmal, wenn sie dieses Mahl feierten, wußten sie sich in der Gegenwart ihres Herrn von neuem als das „Volk des Auszuges", dem die Verheißung der zukünftigen Enderlösung gegeben war. Gleichso sollte das vom Erlöser am Vorabend seines Todes gestiftete Abendmahl für die christliche Gemeinde ein kultisches Gedächtnismahl sein (Lk. 22, 19; 1. Kor. 1 1 , 26), durch das ihr sein Heilstod „zur Vergebung der Sünden" immer neu „verkündigt" werden sollte, damit ihre Glieder an seiner Segensmacht und dadurch am „Neuen Bunde" Anteil bekämen und dereinst der Enderlösung im Reich teilhaftig würden. Ausdrücklich sagt Jesus, daß das von ihm gestiftete Abendmahl seine Erfüllung erst finden soll, „wenn es in seiner Vollendung gefeiert wird im Reiche Gottes" (Lk. 22,16). Dieses „messianische Mahl" der Zukunft ist für Jesus nicht nur ein Bild, sondern die lebendige Wirklichkeit des Reiches selbst, für dessen Kommen er mit seinem Tode bürgt. Daß Jesus mit der Einsetzung des Abendmahles seinen unmittelbar
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bevorstehenden Heilstod ankündigt, wird besonders deutlich an dem Wort, das er nach Mk. 14, 24 und Mt. 26, 28 über den Weinkelch gesprochen hat: „Dies ist mein Bundesblut, das vergossen wird für viele ( = alle)." Der Ausdruck Bundesblut erinnert an das bei der Bundesschließung am Berge Sinai vergossene Opferblut (2. Mose 24, 8), durch das der Bund der Gnade, den Gott mit Israel schloß, besiegelt worden war. Gleichso soll durch das Opferblut Christi am Kreuz ein Bund der Gnade gestiftet und besiegelt werden, der an die Stelle des Alten Bundes treten soll und in den alle aufgenommen werden sollen, die an Christus glauben und die durch seinen Opfertod Vergebung der Sünden erlangen werden. Wenn Jesus nach Lk. 22, 20 und 1. Kor. 11, 25 noch deutlicher sagt: „Dies ist der neue Bund in meinem Blut", so ist nicht bloß an den neuen Bund der Herzen zu denken, den Jeremia (31, 31) für die Endzeit verheißt, sondern an die neue Bluts- und Lebensgemeinschaft, die durch Christi Opfertod zwischen ihm und den Seinen hergestellt wird. Mag auch in diesen Formulierungen der Gedanke an das Blut der Passahlämmer (dem keine sühnende Kraft zugeschrieben wurde) zurücktreten, so wird doch der heilsgeschichtliche Zusammenhang mit dem Passahfest festgehalten. Das ist auch der Fall beim Evangelisten Johannes, der Jesus als das wahre Passahlamm kennzeichnet 0o. 1, 36), und auch bei Paulus, der (1. Kor. 5, 7) sagt: „Denn auch wir haben ein Passahlamm, Christus, der für uns geopfert ward." Klar ist, was Jesus selbst mit dem Kelchwort, so wie es uns überliefert ist, sagen will: Sein bevorstehender Tod hat sühnende Wirkung für die Vielen und begründet zwischen ihm und den Seinen einen Blut- und Lebensbund, der ewige Geltung hat. Und eben dieser sein Heilstod soll im Abendmahl erinnernd vergegenwärtigt werden. In Entsprechung zum Kelchwort ist auch das Wort zu verstehen, das Jesus nach Mk. 14, 22, Mt. 26, 26, Lk. ?2, 19 und 1. Kor. 11, 24 über das Brot gesprochen hat: „Dies ist mein Leib (der für euch dahingegeben wird)". Bekanntlich ist es gerade bei der Erklärung dieses Wortes zu den größten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kirchen gekommen. Auf diese kann hier nicht eingegangen werden. Festgestellt sei nur, daß Jesus mit diesem Wort nicht seinen Leib als Stoff oder Materie gemeint haben kann, sondern er muß dabei an einen Vorgang, nämlich wie beim Kelchwort - an seinen Opfertod gedacht haben. Unmöglich ist darum die Deutung: Das Brot ist (materiell-substanziell) mein Leib. Das kann Jesus schon deshalb nicht gemeint haben, weil er, als er dieses Wort sprach, leiblich noch unter seinen Jüngern weilte. Aber diese Deutung ist auch unmöglich vom Kelchwort her, da Blutgenuß für jüdische Tischgenossen ausgeschlossen war. Andererseits ist aber auch die
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sinnbildlich-figürliche Deutung ungenügend: Das Brot bedeutet meinen Leib. Diese Deutung ist weder im Sinne eines bloßen Gleichnisses (dieses B r o t bin ich), noch im Sinne einer mystisch zu deutenden Gegenwart seines Leibes (unter der Gestalt des Brotes ist mein Leib geheimnisvoll verborgen) annehmbar. Es kann, w i e am Zusatz „dahingegeben für euch" deutlich wird, wirklich nur an den Opfertod Christi selbst gedacht sein in dem Sinne, daß im Brot - w i e im W e i n - Christus mit der Segensmacht seines Heilstodes wirklich, „leibhaftig" gegenwärtig ist, wenn auch am Vorabend seines Todes erst „proleptisch" (Zukünftiges vorwegnehmend und vorweggebend). Die W o r t e : „Dies ist mein Leib, dies ist mein B l u t " meinen also die Selhstvergegenwärtigung Christi in der Segensmacht seines Opfertodes, den er leiblich, das heißt mit seinem eigenen Leib und Blut, für uns erleiden wird. Es geht beim Abendmahl wirklich um ein Opfer, nämlich u m die „Verkündigung" (i. Kor. n , 26) des Opfertodes des Herrn, der nach seinem Willen („Tuet dies zu meinem Gedächtnis", Lk. 22, 19 und 1 . Kor. 1 1 , 26) in der kultischen Abendmahlsfeier der Gemeinde bis zu seiner Wiederkunft immer wieder neu vergegenwärtigt werden soll. Die kultische Vergegenwärtigung seines Opfers ist darum als seine Selbstvergegenwärtigung in den Gaben von Brot und W e i n zu verstehen, die er nach dem Einsetzungsbericht so vollzieht, daß er als der göttliche Gastgeber seinen Tischgenossen in den Gaben des Brotes und des Weines Anteil an der Segensmacht seines Todes gibt, die eben darin „sein L e i b " und „sein B l u t " werden. Daß im Abendmahl der Herr - paradoxerweise - als Gastgeber und als Gabe gegenwärtig ist, daß er persönlich da ist und daß er sich den Seinen in Brot und Wein als „die rechte Speise und den rechten T r a n k " (Joh. 6, 55) mitteilt, ist ein Geheimnis, das sich aus der endgeschichtlichen Situation ergibt, in der das Abendmahl als Vorweggabe der messianischen Tischgemeinschaft im kommenden Reiche steht. b) Aus allem ergibt sich, daß das Abendmahl in seinem tiefsten Geheimnis, sein tragender Grund, erst verständlich wird v o m Mysterium des ganzen Christusgeschehens her. Dieses umfaßt Christi Fleischwerdung, seinen Heilstod und seine Auferstehung, die ihre Erfüllung erst finden wird in seiner glorreichen Wiederkunft. Darum ist jede Abendmahlsfeier auch eine „Anamnese", eine Gedächtnisfeier, die das ganze Christusgeschehen vergegenwärtigt. Das wird in der christkatholischen Meßliturgie zum Ausdruck gebracht mit den Worten des Opfergebetes: „ D a r u m , o Herr, gedenken wir, deine Diener, des heiligen Leidens dieses deines Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn, wie auch seiner A u f erstehung von den Toten und seiner glorreichen Himmelfahrt." Z w a r
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scheinen in den neutestamentlichen Abendmahlsberichten alle direkten Beziehungen zur Auferstehung und zur Himmelfahrt zu fehlen. Das Abendmahl ist nach ihnen wesentlich eine Stiftung des Gekreuzigten, des dem Tode Geweihten. Aber durch ihren Ausblick auf das kommende Reich wie durch ihre Bezeugung des Todes Christi als des Heilstodes „für Viele", wird deutlich, daß das Abendmahl als „Sakrament des Gekreuzigten" auf die Zukunft hinläuft, die durch die Auferstehung und Erhöhung Christi eröffnet wird. Es ist vor allem der Evangelist Johannes, der das Abendmahl grundlegend als eine Gabe des Auferstandenen und wiederkommenden Herrn versteht (6, 54). In Ubereinstimmung damit stehen die Berichte der Apostelgeschichte (2, 46; 10, 41), aus denen hervorgeht, daß die urchristliche Gemeinde das Abendmahl in endzeitlich-eschatologischer Freude feierte, im frohlockenden Glauben an den auferstandenen und wiederkommenden Herrn. Die urchristlichen Abendmahlsfeiern waren alles andere als Totengedächtnisfeiern, sie waren frohe Auferstehungsmahlzeiten. Erst im Lichte der Auferstehung Christi und seiner Wiederkunft wie auch der Ausgießung des Heiligen Geistes 0o. 6, 63) wird - wie das die orthodoxe Kirche des Ostens von jeher betont hat - der volle Gehalt und das tiefste Geheimnis der Abendmahlsfeier offenbar. Wie aber ist vom Abendmahl zu reden, damit dieses Geheimnis gewahrt bleibt? Darüber bestehen bekanntlich zwischen den einzelnen Kirchen bis heute große Meinungsverschiedenheiten. 2. Die altkatholische Stellungnahme Auf die Geschichte der Abendmahlsstreitigkeiten, die vor allem in der westlichen Kirche eine große und unheilvolle Rolle gespielt haben, kann hier nicht eingegangen werden. Bemerkt sei nur, daß es insbesondere zwei Fragen waren, die die Geister aufs Tiefste bewegt haben: nämlich die Frage nach der sog. Realpräsenz, der „wirklichen" („leiblichen") Gegenwart Christi und die nach dem Opfercharakter des Abendmahls. Zu ihnen haben denn auch die altkatholischen Theologen vornehmlich Stellung genommen. Grundlegend war für sie dabei die Einsicht, die heute auch von römisch-katholischen Theologen vertreten wird, daß das Abendmahl wesentlich Sakrament, sakramentale Handlung, ist, nämlich communio, Mahlfeier und Mahlgemeinschaft. Diesem eigentlich sakramentalen Moment der Mahlfeier und Mahlgemeinschaft sind die beiden anderen, die der Realpräsenz und des Opfers, unterzuordnen in dem Sinne, daß durch sie der Begriff des Sakramentes grundsätzlich nicht durchbrochen werden darf. Der Begriff des Sakramentes als Symbolwirklichkeit im früher dargelegten Sinn wird aber durchbrochen, wenn
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die Realpräsenz als Substanzgegenwart Christi gedeutet und das Abendmahlsopfer als (unblutige) Wiederholung oder Erneuerung des einmaligen Kreuzesopfers Christi verstanden wird. Von dieser Grundeinsicht her, d. h. unter Betonung des Mahlcharakters der Eucharistie haben die Theologen der ersten altkatholischen Generation zu den Fragen der Realpräsenz und des Opfers wie folgt Stellung genommen: Die Realpräsenz Christi als solche wird angenommen, aber die Substanzdeutung verworfen (bzw. sie wird nicht als für den Glauben verbindlich anerkannt). Abgelehnt wird sowohl die Transubstantiationslehre der römisch-katholischen Kirche (angenommen durch das IV. Laterankonzil von 1215), die als unzulänglicher Versuch gilt, das Geheimnis der Wandlung rational zu erklären (R. Keussen), wie auch die lutherische Lehre von der Consubstantiation. Das geschieht mit der Begründung, daß der philosophische (aristotelische) SubstanzbegrifF gerade das Entscheidende an der Realpräsenz nicht zu erfassen vermag, nämlich die Persongegenwart des Gottmenschen Jesus Christus (J. Langen). Die Gegenwart Christi ist „eine geistige und eine reale" (Ed. Herzog), nämlich eine personhafte und eine leibhaft-wirkliche zugleich. Reusch hat keine Bedenken getragen, in diesem Sinne der Formel der lutherischen Apologie zuzustimmen, daß Leib und Blut Christi in den Abendmahlsgaben vere et substantialiter (wirklich und seinshaft) gegenwärtig sind. Mit all diesen Aussagen sollte indessen nur das „ D a ß " der Gegenwart Christi festgehalten werden, während die Frage nach dem „Wie" offengelassen wird. So ist auch die lehramtliche Formel der Utrechter Erklärung zu verstehen: „Wir halten an dem katholischen Glauben fest, indem wir glauben, daß wir den Leib und das Blut Christi selbst unter den Gestalten von Brot und Wein empfangen." Bedeutungsvoll ist noch, daß Ed. Herzog - als Exeget - die Frage nach dem „Wie" der Gegenwart Christi beantwortet hat mit dem Hinweis auf den neutestamentlichen Begriff der koinonia, der Teilhabe an Leib und Blut Christi (1. Kor. 10, 16), womit der Gedanke der Realpräsenz dem des eucharistischen Mahles untergeordnet werden sollte. Zum Opfcrcharakter des Abendmahls haben sich die altkatholischen Theologen sehr viel eingehender geäußert. Grundlegend sind vor allem die Sätze der Utrechter Erklärung (vgl. Anhang S. 426 f.), die im wesentlichen besagen: 1 . Das Kreuzesopfer auf Golgatha ist ein von Christus ein für allemal (Hebr. 7, 27, 9, 12) dargebrachtes Sühneopfer, das durch das Abendmahl weder wiederholt noch erneuert werden kann. 2. Der Opfercharakter des Abendmahles besteht darin, daß es das bleibende Gedächtnis und die auf Erden stattfindende reale Vergegenwärtigung der
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einen Darbringung Christi ist. 3. Diese Darbringung wird nach Hebr. 9, 1 1 , 12 im Himmel vom erhöhten Christus für das Heil der erlösten Menschen fortwährend in der Weise geleistet, daß er in der Gegenwart Gottes für sie erscheint (Hebr. 9, 24). 4. Als Vergegenwärtigung des einmaligen Kreuzesopfers und seiner fortwährenden Darbringung im Himmel ist die Eucharistie ein geheiligtes Opfermahl, an welchem die den Leib und das Blut des Herrn empfangenden Gläubigen Gemeinschaft miteinander haben (1, Kor. 10, 17). Die in diesen Sätzen ausgesprochene Lehre hat Ed. Herzog in weitgehender Ubereinstimmung mit den Forschungen des römisch-katholischen Theologen FranzWieland eingehend begründet (IKZ i9ii,S.34ofF.). Er betont vor allem: Im Neuen Testament wird die Eucharistie selbst nie als Opfer bezeichnet, vielmehr meint dieser Ausdruck immer nur das Lob- und Dankopfer, das die Gemeinde durch ihr Gebet Gott darbringt. Trotzdem hat es das Abendmahl mit einem Opfer zu tun, insofern es nämlich die „Verkündigung" des Todes Christi (1. Kor. 1 1 , 26) und als solche dessen sichtbare und reale Vergegenwärtigung ist. Damit kann aber nicht gemeint sein, daß die kultische Vergegenwärtigung des einmaligen Opfers Christi neben diesem ein zweites Opfer mit einer eigenen „Opfermaterie" begründete, und daß die Kirche diese Gott „darzubringen" hätte. Weder werden Gott Brot und Wein als Gaben der Schöpfung dargebracht, denn dann wäre die Eucharistie nicht viel mehr als ein alttestamentliches Speiseopfer. Noch können die geweihten Gaben, Leib und Blut Christi, Gott als Opfergabe dargebracht werden. Denn wie könnten wir Gott seinen eigenen Sohn schenken wollen? Christus ist nicht eine Gabe, die wir Gott darbringen, sondern Christus ist und bleibt eine Gabe Gottes an uns, und für diese sagen wir Gott in der Eucharistiefeier Dank (Eucharistie = Dank). Wir tun es gerade dadurch, daß wir seinen Heilstod verkündigend vergegenwärtigen und durch den Empfang der Abendmahlsgaben an ihm Anteil suchen und bekommen. Insofern ist die Eucharistie im neutestamentlichen Sinn ein Lob- und Dankopfer, aber sie ist es in Christus. Der römisch-katholischen Auffassung, daß wir in der Eucharistie den Leib und das Blut Christi Gott als Opfer darbringen, um so für uns die Versöhnung zu wirken, liegt - wie Ed. Herzog weiter ausführt - eine unzulängliche Deutung des Opfertodes Christi zugrunde. Nach dieser besteht die Selbsthingabe Christi am Kreuz wesentlich darin, daß er durch die Vergießung seines Blutes Gott die Gabe seines eigenen Lebens darbringt und daß er durch diese blutige Selbsthingabe ein „Verdienst" im Sinne einer Sachleistung begründet, das er anderen zu ihrer Erlösung zukommen lassen kann. Nach biblischem Zeugnis aber ist der Opfertod Christi primär eine Tat, nämlich die
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Gehorsamstat des eingeborenen Sohnes, die er zwar mit seiner Blutvergießung besiegelt und vollendet, deren sühnende K r a f t aber im Sohnesgehorsam selbst liegt. Als diese Gehorsamstat kann aber der Opfertod des Sohnes in keiner Weise erneuert oder in unblutiger Weise wiederholt werden. Sie ist als solche eine einmalige Tat, die aber als Tat des eingeborenen Sohnes Gottes ewige Geltung hat. U n d eben diese seine Gehorsamstat macht Christus, nachdem er mit seinem eigenen Blute ein für alle Mal eingegangen ist in das Heiligtum (Hebr. 9, 12), als unser ewiger Hohepriester vor dem Angesichte Gottes fortwährend f ü r uns geltend (Hebr. 9, 24), wenn wir hienieden im Abendmahl seinen Heilstod erinnernd vergegenwärtigen. Z u m einmaligen Kreuzesopfer Christi auf Golgatha verhält sich das eucharistische Opfer (in Analogie zum alttestamentlichen Sühneopfer) w i e das Opfermahl zur Opferschlachtung. D e r nachtridentinische Gedanke, daß in der Eucharistie noch einmal eine, wenn auch nur „mystische" Schlachtung stattfinde, ist von da aus zurückzuweisen. W o h l ist auch die Eucharistie eine Opferfeier, aber nicht in dem Sinne, daß sich in ihr eine neue Schlachtung vollzieht, noch so, daß Gott eine Opfergabe darzubringen wäre. D i e Eucharistie ist als Opferfeier nicht ein Darbringen von Gaben, sondern ein heiliges Tun. Dieses Tun ist unser Opfer und besteht darin, daß wir das einmalige Opfer Christi in der Abendmahlsfeier „darstellen und vergegenwärtigen" und es, Gott dankend und lobpreisend, in seiner Segensmacht entgegennehmen. W i r tun es, indem wir es demütig für uns und andere vor Gott geltend machen und durch den Abendmahlsempfang für uns in Anspruch nehmen, um so mit unserer ganzen Existenz in Sein Opfer aufgenommen zu werden und von ihm das Heil und das Leben zu empfangen. Erst wenn die Realpräsenz Christi und der Opfercharakter der Messe in dieser Weise verstanden werden, ist es möglich zu sagen, worin nach altkatholischer Lehre das Wesen des Abendmahles besteht. 3. Das Wesen des Abendmahles a) Als sichtbares Zeichen der sakramentalen Handlung hat das D a r reichen und Genießen der durch den Priester geweihten Gaben von B r o t und W e i n zu gelten. Ungesäuertes Brot wird in der katholischen Kirche des Abendlandes gebraucht, gesäuertes im Morgenland. Diese Differenz ist schon auf dem Konzil zu Florenz (1439) und dann wieder auf der K o n ferenz in B o n n (1874) als unerheblich erklärt worden, u m so mehr, als zeitweise auch in der Ostkirche ungesäuertes Brot verwendet worden ist. D e r W e i n soll von der Rebe und mit Wasser gemischt sein. Als „ f o r m a " gelten die Einsetzungsworte des Erlösers, insbesondere die Worte, die Jesus zur Segnung des Brotes und des Weines gebraucht hat: „Dies ist
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mein Leib, dies ist mein Blut." So lehrt die abendländische Kirche, während nach morgenländischer Lehre die Konsekration erst durch die den Einsetzungsworten folgende Epiklese (die Anrufung des Hl. Geistes) erfolgt. An der Bonner Unionskonferenz (1874) ist dazu von den Altkatholiken erklärt worden: „ W i r kennen die Anschauung, wonach zur Integrität des Konsekrationsaktes eine Invokation des Hl. Geistes gehört, als untadelhaft an." In die altkatholische Liturgie ist denn auch eine Epiklese aufgenommen worden, die aber den Einsetzungsworten vorangeht. Nach altkirchlicher Auffassung kommt (wie die neuere Liturgiewissenschaft nachgewiesen hat) dem ganzen eucharistischen Hochgebet konsekratorische Kraft zu, die durch die Epiklese nur in besonderer Weise hervorgehoben wird. Die Worte: Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut, nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als ihnen eine sachlich und zeitlich determinierende Kraft zukommt. Von diesem Augenblick an gilt: Dies ist der Leib, dies ist das Blut Christi. Ordentlicher Spender der Eucharistie ist der Priester, der durch seine Amtsweihe im Stiftungszusammenhang mit dem Herrn der Kirche steht und als solcher in persona Christi handelt. Der Priester hat nicht deshalb der Spender zu sein, weil er allein - kraft des character indelebilis seines Amtes - die Gegenwart Christi „verursachen" kann, sondern weil die Gemeinde im ordnungsgemäß geweihten Priester die Gewähr dafür hat, daß ihre Abendmahlsfeier im Stiftungszusammenhang mit Christus und mit seiner Kirche steht. Der Priester feiert die Eucharistie als Liturg (Ed. Herzog) der Gemeinde, deren Organ er von Christus her ist. Er ist nicht der der Gemeinde übergeordnete Opferpriester, der das, .heilige Meßopfer'' für die Gemeinde darbringt (sacerdos sacrificii). Opferpriester ist Christus allein, während der Presbyterpriester als dessen Beauftragter nach altkirchlichem, liturgischem Sprachgebrauch bloß minister consecrandi (Diener der zu vollziehenden Weihe) ist. An der Konsekration ist mit dem Priester die Gemeinde unmittelbar beteiligt, was in der Liturgie darin zum Ausdruck kommt, daß die versammelte Gemeinde die in der Landessprache gesprochenen Konsekrationsworte durch ihr abschließendes Amen bestätigt (so Ed. Herzog). b) Das Heilsgeschehen oder die unsichtbare götdiche Gnade, die mit der sakramentalen Handlung verbunden ist, ist die Opfergegenwart Christi in ihrer Segensmacht. Das „vehiculum", das werkzeugliche Mittel, das der Opfergegenwart Christi dient, ist die symbolhaft-abbildliche Darstellung des Opfers Christi, die nach seiner Anordnung durch die eucharistische Handlung, durch das Segnen, Darreichen und Empfangen von Brot und Wein, erfolgt. Diese „Darstellung" ist gleichsam das Kraftfeld, in welchem die Person-Gegenwart Christi Ereignis wird.
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Durch diese seine persönliche Opfergegenwart wandelt Christus Brot und Wein in seinen Leib und in sein Blut, u m durch sie den Gläubigen Anteil am Heil zu geben. Brot und Wein sind unter der Macht seiner persönlichen Opfergegenwart nicht mehr irdische, sondern „himmlische Speise", die Er selbst den auf Ihn Harrenden als Vorweggabe des messianischen Mahles der Endzeit darreicht. Wie Christus diese Wandlung an den Abendmahlsgaben vollzieht, ist ein Geheimnis, das sich jeder Erklärung verschließt. Sie ist das völlig analogielose Wunder seiner gnädigen Herablassung zu uns. Sie ist die Wirklichkeit der Gegenwart seiner ganzen gottmenschlichen Person, die auch seine Leiblichkeit umfaßt. Sie ist in diesem Sinne seine „leibhaftige" Gegenwart. Zwar haben sich die altkatholischen Theologen über die Leibhaftigkeit seiner Gegenwart nicht näher ausgesprochen, aber sie ist in der altkatholischen Liturgie und ihren Riten vorausgesetzt. Sie näher erklären zu wollen, ist unmöglich. Wichtig ist nur, daß die leibhaftige Gegenwart Christi von seiner ganzheidichen Persongegenwart her verstanden wird und nicht diese von seiner körperlichen „Substanz"-Gegenwart her. Sie ist nicht seine „körperliche" Gegenwart in dem Sinne, daß der irdische, aber jetzt verklärte Körper Christi gleichsam als „himmlische Materie" in die Abendmahlsgaben eingeht. Dieser ist im Himmel und hat durch sich selbst keine erlösende Kraft. Es geht bei dem Gedanken der Leibesgegenwart Christi überhaupt nicht u m den Leib Christi als solchen, auch nicht um dessen Selbigkeit damals, jetzt und in der endzeitlichen Zukunft, sondern um die Selbigkeit der Person Christi damals und jetzt und in der Zukunft: Derselbe Christus, der am Kreuz als Gott-Mensch für uns leiblich gestorben und an Ostern leiblich auferstanden ist, u m am Ende der Tage mit Macht und Herrlichkeit in seiner verklärten Leiblichkeit zu erscheinen, ist auch jetzt, im Abendmahl auf eine unerklärliche Weise leiblich und damit als derselbe, eine und ganze, gegenwärtig, u m uns in die volle, ganzheitliche Lebensgemeinschaft mit sich selbst aufzunehmen. Die Seinsweise seiner Leiblichkeit ist jeweils eine verschiedene - sie war eine irdische in der Vergangenheit, sie wird sein eine verklärte in der eschatologischen Zukunft und sie ist eine sakramentale jetzt, im Zeitalter der Kirche. Aber es ist immer die Eine Person Christi in ihrer vollen gottmenschlichen, leiblichen Wirklichkeit, die gegenwärtig wird. Es ist also letztlich die Ganzheit seiner Persongegenwart und der reine Gebe-Charakter des Abendmahles, die durch die Betonung seiner Leibesgegenwart in Brot und Wein festgehalten werden: Es ist derselbe leibhaftige Herr, der gekreuzigt, auferweckt w o r den ist und wiederkommen wird, der im Abendmahlsgeschehen in anderer Weise unter uns leibhaftig gegenwärtig wird, u m uns in dieser
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Welt in die volle Lebensgemeinschaft mit sich selbst aufzunehmen, indem er zu uns spricht: Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut. Esset und trinket. Die Wirkung, die vom so verstandenen Sakrament des Abendmahles ausgeht, ist - in Entsprechung zu seinem dreifachen Symbolcharakter eine dreifache. Durch das äußere Zeichen, das Segnen, Darreichen und Genießen der Abendmahlsgaben wird der Glaube der Gemeinde an die in der Abendmahlsfeier dargestellte und vergegenwärtigte Erlösungstat Christi gestärkt, erneuert und gefestigt. Durch das Sakrament als SymbolWirklichkeit, durch Leib und Blut Christi, wird das Heilsmysterium des Opfertodes Christi gegenwärtig und in seiner Segensmacht wirksam an allen, die das Sakrament gläubig empfangen, indem sie in die Lebensgemeinschaft mit ihrem Herrn aufgenommen und an ihnen in aller Anfechtung und Versuchung die Heiligung und Erneuerung des Lebens gewirkt wird. Als Symbolwirklichkeit, die über sich selbst auf die Sache selbst hinweist, wirkt das Abendmahl die Versiegelung auf die messianische Tischgemeinschaft im kommenden Reich. Es ist darum wesentlich ein Mahl der Zukunftsfreude und der Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn und sein Reich. 4. Zur Ordnung der Abendmahlsfeier
In der altkatholischen Kirche wird das Abendmahl in der Form der abendländisch-katholischen, speziell der alten römischen Meßliturgie, gefeiert. Diese ist in ihrer Grundstruktur beibehalten, aber wesentlich vereinfacht und von allen späteren und lokalen Zutaten befreit worden, insbesondere auch von allen Formulierungen, die den spezifisch römischkatholischen Opferbegriff voraussetzen. Betont ist (in der schweizerischen Liturgie in besonders eindringlicher Weise) die Einmaligkeit und Selbstgenügsamkeit des Kreuzesopfers Christi. Durch die allgemeine Einführung der Landessprache ist die Möglichkeit dazu geschaffen worden, die Meßliturgie ganz als Gemeindegottesdienst zu feiern. Die Kommunion erfolgt grundsätzlich unter beiden Gestalten (Brot und Wein). Die in der Liturgie vorausgesetzte Selbstkommunion des Priesters wird bejaht und allgemein geübt, da der eigentliche Spender der Abendmahlsgaben Christus selbst ist. Nach allem, was über das Wesen und die Wirkung des Hl. Abendmahles gesagt worden ist, muß auch klar sein, daß dieses seine Erfüllung als Sakrament erst darin findet, daß es nicht nur vom Priester allein, sondern auch von der feiernden Gemeinde möglichst regelmäßig empfangen wird. Im Abcndmahlsetfipfang liegt das eigentlich effiziente (wirksame) Moment des Sakramentes. Darum sollte - grundsätzlich gesprochen -
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der Tisch des Herrn für die Gemeinde in jeder Abendmahlsfeier gedeckt sein. Diesen Grundsatz hat schon Bischof Ed. Herzog mit Nachdruck vertreten. Damit kann aber umgekehrt nicht gemeint sein, daß das Abendmahl nur dann gefeiert werden darf, wenn wenigstens einige Abendmahlsgäste zugegen sind (wie das in der anglikanischen Kirche Vorschrift ist), als ob ein Abendmahl ohne Gemeindekommunion als Sakrament unvollständig wäre. Die Opfergegenwart Christi geht im Abendmahlsempfang nicht auf. An ihr bekommt die Gemeinde vielmehr auch Anteil durch das andächtige Mitfeiern der eucharistischen Handlung, die als verkündigende Darstellung und Vergegenwärtigung des Christusgeschehens den Glauben an dieses stärkt und vertieft. Noch mehr: Es ist der Opfertod Christi in seiner ewigen Geltung, das „Heilsmysterium seines Opfertodes", das im Abendmahl gegenwärtig wird. Dieses aber sollen und können die Gläubigen - auch wenn sie einmal nicht kommunizieren - im persönlichen und liturgischen Gebet für sich und für andere, für Lebende und Tote geltend machen, indem sie ihrer im eucharistischen Hochgebet fürbittend gedenken. Darum hält die altkatholische Kirche auch am Brauche fest, in besonderen Bitt- und Seelenmessen für ihre Angehörigen zu beten: nicht in dem Sinne, daß für sie das hl. Meßopfer „dargebracht" oder ihnen „appliziert" wird, wohl aber so, daß im Wissen um die Opfergegenwart Christi für sie in den Fürbitten der Liturgie um eine reichere Ausgießung der Gnade gebetet wird. Auch hält die altkatholische Kirche an der Übung fest, die geweihten Abendmahlsgaben, die Hostien, im Tabernakel des Altares aufzubewahren, um sie gegebenenfalls Kranken und Gebrechlichen zu spenden, ohne sie indessen zum Gegenstand eines besonderen Kultus zu machen. Insbesondere vermeidet sie die erst im Mittelalter aufgekommene Zurschaustellung des Allerheiligsten (in Prozessionen usw.), wie sie auch das Feiern der hl. Messe vor dem ausgesetzten Sanctissimum ablehnt. Durch solche Praktiken wird das eigentliche Geheimnis der Eucharistie, das ihr als Mahlfeier eignet, verdunkelt.
Die Buße Uber die Buße als Sakrament hat Bischof Herzog in Auseinandersetzung mit dem römisch-katholischen Bischof Greith von St. Gallen eingehende exegetische und dogmengeschichtliche Untersuchungen angestellt. Diese sind im Jahre 1954 von der „Internationalen altkatholischen Theologenkonferenz" wieder aufgenommen und unter Verwertung der neueren Forschungsergebnisse weitergeführt worden. Sie haben im wesentlichen zu folgendem Resultat geführt.
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l. Der Ursprung der Buße a) Der tragende Grund des Sakramentes der Buße ist - wie bei der Taufe die Botschaft Christi von der Vergebung der Sünden, die denen zuteil wird, die glauben und umkehren. Der Bußruf Jesu Christi, der ganz getragen ist von seiner Ankündigung der kommenden Gottesherrschaft, meint (wie die Bußpredigt des Täufers) die sofortige, einmalige und ganzheitliche U m k e h r zu Gott. Die sakramentale Entsprechung dieser einmaligen und ganzheitlichen U m k e h r ist, wie wir wissen, die Taufe. Von diesem primären Begriff der Tauf buße ist zu unterscheiden die Glaubensbuße derer, die bereits umgekehrt und getauft sind, die aber doch wieder der Macht der Sünde erliegen und darum der Vergebung von neuem bedürfen. Diese Glaubensbuße vollzieht sich i m persönlichen Gebet (5. Vaterunserbitte) oder im gegenseitigen brüderlichen Sündenbekenntnis 0ak. 5, 16). Für diejenigen aber, die sich einer so schweren Sünde schuldig gemacht haben, daß dadurch ihr Heil und die Reinheit der Gemeinde in Frage gestellt wird, besteht ein „tertium genus poenitentiae", eine dritte Art der Buße (Augustin), das Bußinstitut im engeren Sinn. Durch dieses wird der einzelne Sünder von neuem zur U m k e h r gerufen, entweder durch die Gemeinde oder durch deren Vorsteher (Mt. 18, 15-18), die von Jesus mit der Vollmacht ausgerüstet sind, zu binden oder zu lösen, bzw. Sünden zu erlassen oder sie zu behalten. U m diese dritte Gestalt der Buße geht es beim „Sakrament" der Buße, dessen besondere Bedeutung nur auf dem Hintergründe jener primären U m kehr in der Taufe und der Glaubensbuße verständlich wird. b) Die Einsetzung der Buße in ihrer dritten Gestalt ist nach Bischof Herzog, der sich darin in Übereinstimmung wußte mit den Kirchenvätern, durch Christus mit den W o r t e n erfolgt: „Alles, was ihr auf Erden bindet, wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden löst, wird auch i m Himmel gelöst sein" (Mt. 18, 18). N a c h römisch-katholisch-tridentinischer Lehre hingegen hat Jesus das B u ß sakrament eingesetzt durch das W o r t : „Empfanget den Hl. Geist. W e m ihr die Sünden erlaßt, dem sind sie erlassen, w e m ihr sie behaltet, dem sind sie behalten" (Jo. 20, 21-23). Richtig ist wohl, daß Jesus Christus die Buße mit dem umfassender zu verstehenden Johanneswort einschlußweise und mittelbar, mit dem begrenzteren und konkreteren Matthäusw o r t explizit und unmittelbar eingesetzt hat. Das soll kurz gezeigt werden. Das W o r t v o m Erlassen und Behalten der Sünde, wie es Jo. 20, 21 ff. bezeugt wird, ist v o m umfassenden Missionsauftrag her zu verstehen, den der Erlöser den Jüngern erteilt mit den W o r t e n : „Friede sei mit euch.
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W i e mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (vgl. die Parallelstelle M t . 28, 18-20). Ist aber das W o r t v o m Erlassen und Behalten der Sünden v o m Missionsbefehl Jesu her zu verstehen, so kann der scheidende E r löser, als er dieses W o r t sprach, nicht - jedenfalls nicht primär - an eine innergemeindliche Maßnahme gedacht haben, w i e sie die B u ß e als tertium genus ist, sondern nur an die grundlegende A n n a h m e der B o t schaft v o n der Sündenvergebung durch Glaube und Taufe. Dabei ist zu beachten, daß die Botschaft, die die Jünger als Missionare auszurichten haben, nicht bloß ein L e h r w o r t ist, sondern ein Entscheidungswort, das an denen, die es annehmen, die Befreiung v o n den Sünden und an denen, die es ablehnen, die dauernde B i n d u n g an die Sünde wirkt. Das ist der grundlegende Sinn des Johanneswortes (so Ed. Herzog). Darüber hinaus nötigt aber der aktive Ausdruck „ S ü n d e n behalten" dazu, eine Situation vorauszusetzen, in der die Apostel auch am Einzelnen ihre Vollmacht auszuüben haben und das ist die Situation der Gemeinde, die v o r dem R ü c k fall in die Sünde zu bewahren die Apostel m i t diesem W o r t berufen werden. S o hat auch das Sündenerlassen und Sündenbehalten, das durch einen besonderen A k t innerhalb der Gemeinde am Einzelnen zu v o l l ziehen ist, also das Bußsakrament, i m W o r t e Jesu durchaus seinen Platz (so A . E . Rüthy). Math. 18, 1 5 - 1 8 liegt hingegen eine direkte und konkrete Weisung Jesu v o r darüber, daß und w i e dieser besondere A k t zu vollziehen ist. A n dieser Stelle setzt Jesus das Bestehen der Gemeinde voraus, w i e auch die Tatsache, daß es in der Gemeinde Sünder gibt, die durch die Gemeinde, b z w . durch die Apostel mit einem M a h n w o r t zurechtzuweisen sind. Mißachtet der Sünder die Zurechtweisung, so soll er aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. E r kann aber - w e n n er R e u e zeigt - wieder aufgenommen werden. Z u diesem Ausschließen und Wiederaufnehmen, zu diesem „ B i n d e n und L ö s e n " , gibt Jesus der Gemeinde (bzw. den Aposteln) Vollmacht, deren W i r k u n g bis in den H i m m e l reicht. Das heißt: W a s die Gemeinde und die Apostel kraft der ihnen übertragenen Vollmacht tun, ihr Binden und ihr Lösen, w i r d v o n G o t t getan sein. S o kann gesagt werden, daß das B i n d e n und Lösen w i r k t wie ein Sakrament: Gnade oder Gericht. Insofern das „ L ö s e n " Befreiung v o n der Sünde wirkt, hat das tertium genus poenitentiae sakramentalen Charakter, sofern aber das „ B i n d e n " an die Sünde bindet, (das aber seinerseits i m Dienste des Lösens steht), hat es disziplinaren Charakter. S o hat das tertium genus der B u ß e zwei Seiten, eine sakramentale und eine disziplinare. A n w e n d u n g findet das v o n Jesus angeordnete Verfahren durch Paulus. D e r Apostel schließt (vgl. v o r allem Tit. 3 , 1 8 ; 1 . K o r . 5, 1 - 3 ) bestimmte Sünder aus der Gemeinde aus, nicht nur, u m der Gemeinde ihre Reinheit
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zu erhalten, sondern auch, um durch die disziplinarische Züchtigung die Rettung des Sünders zu ermöglichen. Soll darum das Bußverfahren durch die Kirche im neutestamentlichen Sinn geübt werden, so müssen beide Momente, das sakramentale und das disziplinare zur Geltung kommen, wobei aber das letztere im Dienste des ersteren stehen muß. Die verworrene Geschichte des kirchlichen Bußinstitutes zeigt indessen, daß dieser Zusammenhang von der Kirche nicht immer klar genug eingesehen worden ist. Auf diese Geschichte soll darum kurz eingegangen werden. 2. Das Zeugnis der Tradition
In der ältesten Kirche war die Buße (wie auch von unbefangenen römischkatholischen Forschern eingeräumt wird) nach Gestalt und Gehalt etwas wesentlich anderes, als es die heutige römisch-katholische Zwangsbeichte ist. Sie wurde - zumal im Abendlande - in den ersten Jahrhunderten als sog. öffentliche Buße den Todsündern (Mördern, Ehebrechern, vom christlichen Glauben Abgefallenen) auferlegt. Das geschah grundsätzlich nur einmal. Wer zum zweitenmal eine Todsünde beging, wurde endgültig ausgeschlossen. Durch die Auferlegung der einmaligen Buße, die öffentlich war, wurden die Todsünder vom Abendmahl ausgeschlossen und in den Stand der Büßer versetzt, mit der Auflage, durch bestimmte Übungen (Gebet, Almosen, Fasten) solange Genugtuung zu leisten, bis sie der Wiederaufnahme in die Abendmahlsgemeinschaft und damit der Versöhnung mit der Kirche und Gott (reconciliatio) für würdig befunden wurden. Wenn auch durch das Moment der reconciliatio der Zusammenhang mit der Vergebungsbotschaft gewahrt wurde, so war das ganze Verfahren mehr vom Geiste eines moralistischen Rigorismus als von der Verheißung der Vergebung geprägt. Mit der fortschreitenden Christianisierung der Völker wurden später für die in die Kirche einströmenden heidnischen Massen in besonderen Bußbüchern, „canones", kirchliche Gesetze aufgestellt, in denen für begangene Sünden und Verfehlungen Zahl und Umfang der zu leistenden Büß- und Genugtuungsleistungen festgelegt wurden (darum kanonische, später Tarifbuße genannt). Auch dieses Verfahren, das teils öffentlich, teils heimlich erfolgte, war noch nicht eigentlich sakramental, sondern ein Mittleres zwischen den persönlichen Bußleistungen des Pönitenten und der sie begleitenden kirchlichen Fürbitte. Etwa seit dem 5. Jahrhundert wird die Buße in mönchischen Kreisen nach morgenländischem Vorbild in der Form der privaten, persönlichen Beichte als seelsorgerliches Hilfsmittel geübt. Aber erst im 7. Jahrhundert wird die eigentliche Privatbeichte durch iroschottische Mönche, die von der alten, der öffent-
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liehen und einmaligen Buße nichts wußten, auf dem Kontinent eingeführt. Für diese Form der Buße, aus der sich die heutige römischkatholische Ohrenbeichte entwickelt hat, ist es charakteristisch, daß sie beliebig wiederholbar ist, daß die Genugtuungsleistungen erst auf die Beichte und Lossprechung folgen und daß das Hauptgewicht auf die Beichte gelegt wird. Noch im 9. Jahrhundert von verschiedenen Synoden als Neuerung bekämpft, tritt die Privatbeichte im 10. Jahrhundert ihren Siegeszug an. Zuerst gilt sie noch als freiwillig, wird aber dann in verschiedenen Bistümern den Gläubigen als 2-3mal jährlich zu erfüllende Pflicht auferlegt. Für die ganze Kirche obligatorisch wird sie erst durch die Erklärung Papst Innozenz' III. auf dem IV. Laterankonzil von 1 2 1 5 , daß „jeder Gläubige alle seine Sünden dem eigenen Priester wenigstens einmal im Jahr bekennen muß". Theologisch gerechtfertigt wird die obligatorische Privatbeichte, die im 1 1 . Jahrhundert ihre endgültige Form erreicht und damals auch zum ersten Mal geschichtlich nachweisbar „Sakrament" genannt wird (Petrus Damiani, f 1072), durch die Scholastik. Es ist insbesondere Thomas von Aquin (f 1274), der die bis jetzt auseinanderstrebenden Elemente des Bußinstitutes endgültig unter den Begriff des Sakramentes zusammenfaßt, indem er erklärt: Die Akte des Poenitenten (Reue, Beichte und Genugtuung) bilden die „nächste materia", die Lossprechung durch den Priester die forma des Sakramentes. Diese Lehre ist dann durch das Tridentinum (1551) endgültig sanktioniert worden, das die Akte des Poenitenten als „quasimateria" bezeichnet. Die altkatholischen Theologen haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß der Vorschrift des IV. Laterankonzils keine dogmatisch-verbindliche Bedeutung zukomme, sondern eine Disziplinarmaßnahme sei, die der alten Kirche unbekannt war. Sie haben darum keine Bedenken getragen, den altkatholischen Synoden zu beantragen, die Verpflichtung zur jährlichen Ohrenbeichte, die schon zu so vielen Übelständen geführt hatte, aufzuheben. An den dogmatischen Sätzen des Tridentinums (XIV. Sitzung) haben sie vor allem abgelehnt den Gedanken, daß die Geheimbeichte der Sünden vor dem Priester als Vorbedingung zur Absolution „nach göttlichem Recht notwendig" sei, ferner, daß die Lossprechung eine Art richterlicher Tätigkeit sei, „mit der der Priester als Richter den Richterspruch fällt". Abgelehnt haben sie auch die Anschauung, daß die Genugtuungsleistungen vor Gott Strafcharakter hätten. Verworfen wurde endlich auch der Satz, daß nur die Lossprechung in indikativer Form (ich spreche dich frei) absolvierende Kraft habe. An der Bonner Konferenz von 1874 einigte man sich auf die These: „Wir stimmen überein, daß die Praxis des Sündenbekenntnisses vor der Gemeinde oder
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einem Priester, verbunden mit der Ausübung der Schlüsselgewalt, von der ursprünglichen Kirche auf uns gekommen, gereinigt von M i ß bräuchen und Zwang, in der Kirche beizubehalten ist." Die Sakramentalität der Buße wird also in dieser Erklärung (im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung) nicht ausgesprochen, w o h l aber in den altkatholischen Katechismen. In diesen wird vor allem betont, daß die Beichte, unbeschadet ihres sakramentalen Charakters, in zwei Gestalten erfolgen kann: vor der Gemeinde in der Form der allgemeinen B u ß andacht oder vor dem Priester in der Form der freiwilligen Privatbeichte. Die letztere ist nach einem Beschluß der deutschen Synode denjenigen zur Pflicht zu machen, die sich einer besonders schweren Sünde bewußt sind, aber sie steht auch denjenigen offen, „die einer besonderen Ermahnung, Belehrung oder Beruhigung bedürfen" (Christkatholischer Katechismus). Die Lossprechung in der Form der Fürbitte, Gott möge dem Sünder verzeihen, wird als vollgültig betrachtet. Auf Grund dieser Feststellungen und seitheriger Untersuchungen kann heute als altkatholische Lehre folgendes gelten:
3. Das Wesen der Buße a) Es ist doch wohl mehr eine Verlegenheitsauskunft, wenn infolge des Fehlens eines eindeutig von Christus eingesetzten sichtbaren Zeichens die wesentlich inneren, unsichtbaren Vorgänge der Reue, der Beichte und der Genugtuung als „quasi-materia" des Bußsakramentes bezeichnet werden. Es liegt viel näher, nach I. Tim. 5, 22 an die Handauflegung zu denken. Diese war schon im Judentum als Sinnbild des Lösens üblich und ist wahrscheinlich auch in der christlichen Urgemeinde geübt worden. In der Ostkirche hat sie sich bis heute erhalten. Andererseits sind die drei genannten partes (Teile) Reue, Beichte, Genugtuung nicht bloß subjektive Bedingungen der Lossprechung, so daß diese letztere allein objektiv-sakramental wäre, sondern sie gehören - sofern sie v o n Gott gewirkt sind - tatsächlich mit zur sakramentalen Handlung. Aber sie sind anders zu bestimmen. V o n den neutestamentlichen Grundlagen her ist mit H. Reusch (der sich hierin der lutherischen Auffassung genähert hat) zu sagen, daß die grundlegenden partes der Glaube und die Reue sind. Auf dem heilsgeschichtlichen Hintergrund der primären Umkehr und der Glaubensbuße ist der Glaube zu verstehen als Vertrauensglaube an die Vergebung der Sünden durch Christus und an ihr Wirksamwerden im Bußsakrament. Die Reue ist nicht, wie in der Taufe, als primäre Umkehr, sondern als erneute yltkehr von den seit der Taufe begangenen Sünden zu verstehen. Erkennbar werden Glaube und Reue
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am „petere poenitentiam", am persönlichen Verlangen nach dem Empfang des Bußsakramentes. Darum ist die Freiwilligkeit der Buße so wichtig und der allgemeine Beichtzwang zu verwerfen. Glaube und Reue konkretisieren sich, wenn sie echt sind, einerseits in der Gewissenserforschung und in der (allgemeinen oder besonderen) Beichte, durch die sich der Poenitent unter das gnädige Gerichtsurteil Gottes stellt, und andererseits im guten Vorsatz und in der Wiedergutmachung, die aber nicht den Charakter einer Strafe und Genugtuungsleistung, sondern den einer freien Gehorsamverpflichtung haben, deren Erfüllung durch die Vergebungsgnade selbst gefordert ist. Als „forma" des Sakramentes hat die Absolutionsformel zu gelten, durch die der Büßende von den Sünden losgesprochen wird. Diese begründet auch den sakramentalen Charakter der Buße. Sie hat - wie in der alten Kirche - in der Form der Fürbitte deprekativ (Gott vergebe dir deine Sünden) zu erfolgen zum Zeichen dafür, daß nicht der Priester, sondern Gott allein, wie das Gericht, so auch die Gnade der Vergebung wirkt. Die deprekative Form ist aber zumal in der Privatbeichte - zu ergänzen durch die indikative Form (dir sind die Sünden vergeben) zum Zeichen dafür, daß dem Poenitenten die ganz bestimmten Sünden, die er vor Gottes Angesicht und dem Priester gebeichtet und bereut hat, jetzt und hier vergeben sind. Nicht zu verwenden ist die historisch belastete Formel: „Ich spreche dich frei." So verstanden, hat die über einen gläubigen und reuigen Poenitenten vollzogene Absolution die Bedeutung eines wirksamen Symbols. Dieses ist, wenn sie nicht unter Handauflegung erfolgt, allerdings ein bloßes Wortsymbol, aber in diesem Fall nicht ein bloß formales, sondern ein sakramental-werkzeugliches. b) Das Heilsgeschehen, das mit dem Sakrament der Buße verbunden ist, ist ein dreifaches. Es wirkt im Getauften, der glaubt und bereut, die Vergebung der Sünden. Es bewahrt sodann den einzelnen Sünder durch den Ruf zur Abkehr von schwerer Sünde und durch die die Zusicherung der Vergebung vor dem Absturz in noch schwerere Sünde, in die glaubenslose Verzweiflung und nimmt ihn wieder auf in die Gemeinschaft der Gläubigen. Und endlich gibt es ihm die Gewißheit der endzeitlichen Versöhnung mit Gott. Die Verheißung der alles vergebenden Gnade Gottes wird dem Gläubigen aber nur gegeben unter gleichzeitiger Androhung der Gerichtstrafe Gottes: Wer nicht glaubt und nicht bereut, dem werden die Sünden behalten, der kann der Kirche nicht als „Vollmitglied" angehören, der wird dem Endgericht überantwortet. Diese Gerichtsandrohung durch Ausschluß von der Kommunion zu vollstrecken, hat die Kirche - wenn auch nur im äußersten Fall - ebenfalls die Vollmacht. Die Buße ist jedenfalls nur dann vollständig, wenn sie
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zugleich als Disziplinarmittel zur Züchtigung des Sünders geübt wird, die aber im Dienste seiner endgültigen Rettung zu stehen hat. Das hat die alte Kirche trotz ihren rigoristischen Übertreibungen und ihren kasuistischen Unterscheidungen im ganzen besser verstanden als die heutige Kirche. In unserer volkskirchlichen Situation ist die disziplinarische Seite des Bußsakramentes (zum nicht geringen Schaden der Kirche) völlig zurückgetreten. U m so dringender ist es, grundsätzlich und in Übereinstimmung mit der alten Kirche daran festzuhalten, daß die Buße, wie sie Christus eingesetzt hat und wie sie in der Urgemeinde durch die Apostel geübt worden ist, eine doppelte Funktion hat: Sakrament und Disziplinarmittel zu sein. Anhang: In der Ostkirche ist die Buße von Anfang an geübt worden, gilt aber ebenfalls erst seit dem Mittelalter als Sakrament. Betont wird - mehr als im Westen - ihre therapeutisch-seelsorgerliche Bedeutung. In den 39 Artikeln der anglikanischen Kirche wird die Buße nicht erwähnt, wohl aber findet sich im Prayer B o o k von 1662 ein Ritus, in welchem die Sakramentalität der Buße vorausgesetzt wird. In den lutherischen Bekenntnisschriften gelten im allgemeinen nur Taufe und Abendmahl als Sakramente. Es wird aber (in der Confessio Augustana von 1530) eingeräumt, daß auch die Absolution „billig das Sakrament der Buße heißen" kann. Krankenölung 1. Der Ursprung der Krankenölung a) Der tragende Grund der Krankenölung ist das Verheißungswort der Sündenvergebung, sofern diese auch die Heilung des Leibes umfaßt. Dieses Verheißungswort ist uns gegeben an all den Stellen des Neuen Testamentes, w o eine wunderbar erfolgte körperliche Heilung auf das W o r t Christi zurückgeführt wird (z. B. Mt. 9, 2). Nur in einem entfernten Sinn kann das auch gelten von M k . 6, 13, w o von den durch Jesus ausgesandten Jüngern berichtet wird: „Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Schwache mit O l und heilten sie." Es kann jedenfalls nicht gesagt werden, daß Jesus durch die Aussendung der Jünger, die an dieser Stelle nur vorübergehender Natur war, die Einsetzung der Rrankenölung schon „insinuiert" habe (so das Tridentinum). b) Die Einsetzung erfolgt durch den Apostel Jakobus mit den Worten: „Ist jemand unter euch krank, so rufe er zu sich die Ältesten der Gemeinde und diese sollen ihn im Namen des Herrn mit Ö l salben und dann über ihn beten, und das Gebet des Glaubens wird den Ermatteten retten und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden auf sich hatte, wird
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er Vergebung erlangen." 0ak. 5, 14-15). Die einleitende Formel zeigt, daß Jakobus nicht an einen Einzelfall, sondern an eine allgemein zu übende Handlung denkt. Diese haben die Ältesten unter Gebet vorzunehmen „im Namen des Herrn"; das heißt nicht nach seiner Anordnung, sondern in der Kraft und in der Gegenwart des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten (ihm das Heil bringen). Und der Herr wird ihn aufrichten (ihm Heilung bringen). Vorausgesetzt ist dabei, daß die Krankheit eine göttliche Heimsuchung des der Sünde verfallenen Menschen ist und daß die Heilung nicht mechanisch durch die Salbung des Kranken eintritt, sondern ganz beim Herrn steht. 2. Das Zeugnis der Tradition In den ersten vier Jahrhunderten wird die Krankenölung als besondere kirchliche Handlung nicht erwähnt. Erst Innozenz I. ( f 417) spricht von der Krankenölung als „einer Art Sakrament". Im Frühmittelalter wird (zur Bekämpfung abergläubischer Zaubermittel) der Empfang der Krankenölung durch Synoden und Bischöfe eindringlich empfohlen. Sie tritt aber zeitweise ganz in den Hintergrund und war z. B . zur Zeit der Reformation in Deutschland fast völlig unbekannt. Durch das Tridentinum wird dann die von den Scholastikern ausgebildete Lehre über die Krankenölung endgültig sanktioniert. Dabei wird - was nicht der Sinn des apostolischen Einsetzungwortes ist - die Rrankenölung als „letzte Ölung" bezeichnet, die den Sterbenden zu spenden ist, damit „das Ende des Lebens gleichsam mit einer starken Schutzwehr gegen den bösen Feind . . . geschützt wird." (Durch das II. Vatikanum ist die Bezeichnung „letzte Ölung" durch „Krankenölung" ersetzt worden, ohne daß im übrigen die Bestimmungen des Tridentinums revidiert worden sind.) Ebenso wird in unrichtiger Interpretation des Ausdruckes „Geistessalbung", der in der Hl. Schrift immer nur bildlich zu verstehen ist und nie eine sakramentale Ölung meint, die Folgerung gezogen, daß durch die Ölung des Kranken dieser die „Gnade des Hl. Geistes" empfange. Diese Deutung ist nicht neutestamentlich und ist auch dem Rituale Romanum fremd. 3. Das Wesen a) Die sakramentale Handlung (signum) hat ihre materia in dem vom Bischof geweihten Öl, ihre Form in den die Salbung begleitenden Worten: „Durch diese heilige Salbung und seine huldvolle Barmherzigkeit verzeihe dir der Herr deine Sünden." Spender ist der Priester. b) Das mit der sakramentalen Handlung verbundene Heilsgeschehen besteht in der Vergebung der Sünden und in der leiblichen Genesung,
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wenn diese in Gottes Willen liegt. Sie ist, wie die Buße, primär ein Sakrament der Vergebung der seit der Taufe begangenen Sünden. Ihre Wirkung ist die Stärkung des Glaubens des Kranken an die Sündenvergebung und an die leibliche Wiederherstellung und in letzter Sicht die Versiegelung auf die leibliche Auferstehung. Sie ist nicht nur Sterbenden, sondern Schwerkranken überhaupt zu spenden, sofern sie dieselbe wünschen. (Bewußdosen nur, sofern von ihnen angenommen werden darf, daß sie sie gewünscht hätten.) Heilsnotwendig ist sie nicht. Anhang: In der Ostkirche steht die Krankenölung (Euchelaion) in hohem Ansehen und gilt dort hauptsächlich als Sakrament der leiblichen Heilung. Luther Heß sie als einen von den Vätern überlieferten Brauch gelten. Die anglikanische Kirche hatte in ihrem ersten Gebetbuch von 1549 noch ein Formular für die Krankenölung, dieses wurde in der Ausgabe von 1662 gestrichen, was Pusey als Verlust bezüglich der Lehre und Praxis der Kirche bezeichnet. D i e Presbyteratsweihe Die Presbyteratsweihe, die nur in ihrer Einheit mit der Bischofs- und Diakonatsweihe zu verstehen ist, ist das Sakrament der Bevollmächtigung zur Wortverkündigung und Sakramentsspendung. Sie nimmt den übrigen Sakramenten gegenüber insofern eine Sonderstellung ein, als sie die Voraussetzung zu deren gültigen und wirksamen Spendung ist. Sie ist als Sakrament zur Übertragung dieser Vollmacht nur im Zusammenhang mit der Lehre vom kirchlichen Amt voll verständlich (vgl. S. 281 ff.). Hier sei nur ihr sakramentaler Charakter als solcher ins Auge gefaßt. 1. Der Ursprung a) Der tragende Grund der Presbyteratsweihe liegt im umfassenden Sendungsauftrag, den der auferstandene Herr seinen Jüngern (und in ihnen der Gemeinde) übertragen hat und zu dessen Erfüllung er sie durch Hauchung des Hl. Geistes mit der „Amtsgnade" ausgerüstet hat (Jo. 20, 21 ff.). Die Beauftragung und Geistsendung durch den Auferstandenen ist in den Aposteln an die ganze Kirche ein für alle Mal „von oben nach unten" erfolgt. Sie ist ein Vertikalakt, der in den Aposteln für die Kirche und ihre Amtsträger dauernde Geltung hat, so wahr der Kirche der Hl. Geist zur Erfüllung ihrer Sendung an der Welt dauernd gegeben wird. b) Der Hl. Geist, der nach dem Zeugnis der Hl. Schrift allen Gliedern der Gemeinde gegeben wird, hat in der Urgemeinde außer dem Apostolat noch andere, „freie" Ämter und Dienste geschaffen, so die der Propheten, Lehrer, Evangelisten, Hirten und die charismatischen Dienste. Anderer-
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seits wird aber auch bezeugt, daß die Apostel die ihnen durch den Hl. Geist übertragene Sendung und Bevollmächtigung an andere, an die sieben Männer (Apg. 6, i ff.), Paulus an seine Stellvertreter Timotheus und Titus, weitergegeben haben. Das geschah durch Handauflegung. Durch die Handauflegung sollte zur Weiterführung des Sendungsauftrages die von oben her, in der Vertikale ein für allemal erfolgte Bevollmächtigung gleichsam in der Horizontalen, „ v o n Hand zu Hand", weitergegeben werden. Diese Übertragung der Vollmacht durch Handauflegung hatte schon in der Urgemeinde die Bedeutung nicht nur eines Zeichens oder einer Segnung (außer Apg. 13, 1), sondern eines wirksamen Symbols. Sie hatte sakramentalen Charakter (Harnack). Mit ihr wurde, sei es durch die Apostel (Apg. 6, 6; 2. Tim. i , 6) oder die Apostelstellvertreter (Titus 1 , 5) oder durch Presbyter (1. Tim. 4, 14), dem Empfänger die „Gnadengabe Gottes" (2. Tim. 1, 6) zur Erfüllung des ihm aufgetragenen Dienstes übertragen. W o h l verstanden: Übertragen wurde durch die Apostel nicht der Apostolat selbst, der einmalig ist, sondern die in den Aposteln der Kirche gegebene und darum apostolisch zu nennende Beauftragung und Bevollmächtigung. Diese aber war, wie noch zu zeigen sein wird, im wesentlichen Beauftragung zur Verkündigung des Evangeliums und der christlichen Lehre, zur Spendung der Sakramente und zur Ausübung des Hirtenamtes. Sie war (im späteren Sprachgebrauch der Kirche) als abbildliche Darstellung des dreifachen Amtes Christi, seines prophetischen, hohepriesterlichen und königlichen Amtes, Lehrgewalt, Weihegewalt und Hirtengewalt, ohne daß diese im einzelnen in der Art von Kompetenzen schon ausgeschieden oder abgegrenzt worden wären. In der nachapostolischen Zeit, bis etwa zum Jahr 200, gab es in der Kirche sowohl die unmittelbar v o m Hl. Geist gewirkten Ämter (Propheten, Lehrer usw.), wie auch charismatische Dienste. Bald aber traten die „gebundenen" Ämter der Bischöfe, Presbyter und Diakone als die eigentlichen Gemeindeämter hervor. Sie galten, da sie nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes als einzige auf die Handauflegung durch die Apostel oder deren Stellvertreter zurückgeführt wurden, im besonderen Sinne als apostolisch. Doch wird in der Frühkirche über die Art ihrer Übertragung durch Handauflegung lange nichts Näheres gesagt, noch wird diese immer eindeutig bezeugt. Erst Hippolyt (f 235) gibt eine ausführliche Beschreibung des in R o m übÜchen Weiheritus. Darnach wurde den durch die Gemeinde gewählten Presbytern und Bischöfen die Hand aufgelegt unter Gebet um den Hl. Geist. Damit waren die Grundelemente der eigentlichen sakramentalen Presbyteratsweihe gegeben.
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2. Das Wesen der Presbyteratsweihe a) Als materia der sakramentalen Handlung hat die Handauflegung zu gelten, nicht aber die erst im 9. Jahrhundert aufgekommene Übergabe der instrumenta - des Abendmahlskelches und der Patene. (Das ist noch die These des Dekretes pro Armenis, die aber durch Pius XII. korrigiert worden ist.) Sie ist - wie andere liturgische Gebräuche - nur eine die Handauflegung begleitende sinnvolle Zeremonie ohne sakramentalen Charakter. In der Ostkirche fehlt sie ganz, sie kennt nur die Handauflegung. Als forma gilt das (mit der ersten Handauflegung verbundene) Gebet um den Hl. Geist und um die Fülle seiner Gaben. Spender ist der Bischof in Verbindung mit dem Presbyterat (in der alten Kirche wurde die Presbyteratsweihe gelegentlich auch durch Presbyter allein vorgenommen). Empfänger kann nur ein getaufter und gefirmter Christ männlichen Geschlechtes sein. Frauen sind ausgeschlossen. Der Grund dafür hegt nicht in der weiblichen Natur, sondern in der positiven Anordnung durch die Apostel. b) Das Heilsgeschehen, das mit der sakramentalen Handlung verbunden ist, besteht in der Verleihung der priesterlichen Amtsvollmacht. Diese ist auf Grund von Jo. 20, 21 zu verstehen als mandatum und munus, als Beauftragung und gnadenhafte Bevollmächtigung, die durch den Herrn selbst unter Mitteilung des Hl. Geistes erfolgt und die zur Ausübung der der Kirche übertragenen Sendung die Lehr-, die Weihe- und die Hirtengewalt umfaßt. Auftrag und Gabe sind einmalig und unverlierbar. Sie verleihen eben dadurch dem Empfänger den character indelibilis, der auch durch sittliche Unwürdigkeit oder Häresie nicht aufgehoben wird. Die Wirkung der Presbyteratsweihe ist eine dreifache: Durch sie wird ihr Empfänger der Gemeinde, an der er seinen Auftrag und seine Vollmacht zu erfüllen hat, als deren Diener gegenübergestellt. Er wird ihr nicht übergeordnet, wohl aber vorgeordnet. Durch sie wird sodann das dreifache Amt, das Christus den Aposteln übergeben hat, das prophetische, priesterliche und königliche Amt (die Lehr-, Weihe-, Hirtengewalt) in den Presbytern dargestellt und vergegenwärtigt. Und endlich wird den Presbytern die Gnade geschenkt, ihr Amt in aller Anfechtung und Versuchung an der Gemeinde wirksam auszuüben. 3. Die Ordnung der Presbyteratsweihe Über die Ordnung der Presbyteratsweihe sei nur soviel gesagt, daß ihr (nur im Abendland) die vier sog. niederen Weihen (Altardiener, Exorzisten, Lektoren, Türhüter) als Vorstufen vorangehen, ebenso die Subdiakonatsweihe (als Helferdienst zum Diakonat). Sie alle haben
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keinen sakramentalen Charakter. Als Sakrament haben allein die Diakonats-, die Presbyterats- und die Bischofsweihe zu gelten, die unter Handauflegung und unter Anrufung des Hl. Geistes erfolgen. Sie sind nicht jede ein Sakrament für sich, sondern bilden zusammen „per modum unionis" ein einziges Sakrament. Das festzuhalten ist darum wichtig, weil dadurch jede rechtlich-hierarchische Uberordnung des einen Amtes über das andere verunmöglicht und der Dienstcharakter aller Ämter, die zusammen ein A m t bilden, gewahrt bleibt. Anhang: In der Ostkirche gilt die Ordination ebenfalls als Sakrament und umfaßt, wie im Westen, die drei Amtsstufen des Diakonates, Presbyterates und Episkopates. Ebenso hält die anglikanische Kirche am dreifachen A m t fest und zählt die Ordination zu den Sakramenten im weiteren Sinn. Das Augsburger Bekenntnis (1530) bezeichnet den ordo insofern als Sakrament, als er misericordia Dei mandatum (durch Gottes Barmherzigkeit angeordnet) sei. Die reformierte confessio Helvetica II (1566) läßt den ordo nur als institutum utile Dei (nützliche Einrichtung Gottes) gelten. Die Ehe 1. Der Ursprung der Ehe a) Der tragende Grund des Ehesakramentes liegt in der Schöpfungsordnung Gottes (I. Mose 1 und 2). Nach dieser hat Gott Mann und Frau in geschlechtlicher Verschiedenheit geschaffen und sie auf die Einehe angelegt, die als solche unauflöslich ist. Diese Schöpfungsordnung Gottes ist - wie an den polygamen Verirrungen im Alten Testament deutlich wird - durch die Sünde zerstört worden. Jesus Christus hat die ursprüngliche Schöpfungsordnung durch seine Botschaft wieder hergestellt (Mt. 19, 1 ff., M k . 10, 1 ff.) und die Ehe durch sein Erlösungswerk geheiligt (Eph. 5, 22 ff.). b) Als Zeugnis für die Einsetzung des Ehesakramentes wird in der Regel die Stelle Eph. 5, 22-30 angeführt. Indessen geschieht das nur mit relativ e m Recht. Paulus spricht an dieser Stelle davon, daß der Ehebund zwischen Mann und Frau ein Abbild sein soll des Bundes zwischen Christus und der Kirche, und er bezeichnet dieses Verhältnis als ein „großes Geheimnis", als ein „sacramentum magnum", wie die Vulgata übersetzt. Damit ist aber nicht gemeint, daß die Ehe ein „Sakrament" im heutigen Sinne sei, sondern das W o r t bezieht sich in erster Linie auf die Kirche, deren Verbindung mit Christus ein großes Geheimnis, ein Mysterium, ist, wie das dann auch die Ehe als Abbild jener Verbindung sein soll. Das ist aber keine Einsetzung, sondern ein W o r t der Sinn-
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gebung, das die Ehe in die Erlösungsordnung einbezieht. Wichtiger ist die Stelle i. Kor. 7, 39, wo Paulus im Zusammenhang praktischer Fragen des christlichen Ehestandes die Forderung erhebt, eine verwitwete Frau sei frei, wieder zu heiraten, aber es soll geschehen „allein im Herrn". Die Ehe soll und darf also nicht ein weltlich Ding (Luther) bleiben, sondern sie soll - wie alles im Leben eines Christen - der neuen Heilsordnung unterstellt und darum allein im Herrn, in seinem Namen und in seiner Gegenwart abgeschlossen werden (so Erzbischof Rinkel). In der kirchlichen Tradition wird die Ehe, bzw. die Trauung zwischen Christen zwar gelegentlich erwähnt, aber erst im 3. Jahrhundert (254 durch eine Synode in Karthago) als kirchlicher Akt förmlich vorgeschrieben. Gemeint ist nach dem Zeugnis der alten Kirche, daß das Ehe„sakrament" (so wird die Ehe erstmals durch Augustin im Sinne von „Gelöbnis" genannt) durch die kirchliche Segnung, durch die benedictio zustande kommt, nicht aber schon durch den vertraglichen Eheabschluß, der im römischen Reiche Sache des Staates war. Als aber im Mittelalter der Priester, vielfach auch mit dem vertraglichen Eheabschluß beauftragt, „Zivilbeamter" wird, dringt allmählich die Anschauung durch, daß die Sakramentalität der Ehe im Vertrag selbst beschlossen ist und nicht in der Einsegnung, die schließlich nur noch als „Sakramentale" gilt. Die Streitfrage, ob die Sakramentalität der Ehe im Vertrag (im Jawort der Brautleute) oder in der priesterlichen Einsegnung hegt, ist noch auf dem Tridentinum offengelassen worden. Verhältnismäßig spät erst ist durch die römisch-katholische Kirche entschieden worden, „daß sich der Vertrag vom Sakrament nicht scheiden läßt", und zwar mit dem charakteristischen Grund, daß „der Kirche die ganze Ehegesetzgebung übergeben sei" (Leo XIII.). Heute lehrt die römisch-katholische Kirche einmütig, daß die Sakramentalität der Ehe im Vertrag liegt, daß also die Eheleute sich durch ihr Jawort, unter der bloßen „Assistenz" des Priesters, das Sakrament selber spenden. Das Jawort gilt als forma des Sakramentes und der Vollzug der Ehe als dessen materia. Dieser Lehrmeinung sind unter Berufung auf die ältere Tradition in der abendländischen Kirche schon immer namhafte Theologen entgegengetreten, u. a. Melchior Canus (f 1560), der den Ehekontrakt als materia und die benedictio als forma bezeichnet. Ebenso vertraten die Gallikaner und Josefinisten die Auffassung, daß der Kontrakt Sache des Staates sei und nur die benedictio der Kirche zukomme. An dieser Lehre hält heute noch die Kirche von Utrecht fest, ebenso die Ostkirche.
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2. Das Wesen des Ehesakramentes a) Es ist nach dem Gesagten das natürlichste, unter Berufung auf i . Kor. 7, 39 mit der alten Kirche zu lehren, daß die Sakramentalität der Ehe in der benedictio liegt und daß sie die forma des Sakramentes bildet. Die Einsegnung kann und darf allerdings nur erfolgen auf Grund des Jawortes, das sich die Braudeute vor der Zivilbehörde gegeben haben und das sie vor dem Altar wiederholen. Dieses kann darum als materia des Ehesakramentes gelten. Reusch formuliert: Die Ehe ist ein mit einer sakramentalen Segnung ausgestatteter Vertrag. b) Das Heilsgeschehen, das mit der sakramentalen Handlung der Eheeinsegnung verbunden ist, besteht in der Verleihung aller Gnaden, die das Zusammenleben von Mann und Frau so gestalten, daß ihre Ehe zum „großen Geheimnis" in Christus und in seiner Kirche wird. Es wirkt das Inerscheinungtreten des Ehebundes als Abbild jenes großen Geheimnisses, es schafft in Mann und Frau im Austausch ihrer Gaben eine spezifische Christusförmigkeit und gibt ihnen die Kraft, diese in gegenseitiger Liebe, Treue und Ehrerbietung zu bewahren. Uber die Ordnung der Ehe ist zu sagen, daß sie unauflöslich ist. Geschiedene sollten darum kirchlich nicht wieder getraut werden. A n diesem Grundsatz hält die altkatholische Kirche Hollands strikte fest, während die späteren altkatholischen Kirchen die Trauung unschuldig Geschiedener zulassen. Eine einheitliche Lösung wird angestrebt. c) Über die Sakramente im allgemeinen 1. Die Siebenzahl der Sakramente In dem heute in allen Kirchen gebräuchlichen Sinne kommt das "Wort Sakrament im Neuen Testament nicht vor. Mysterion (sacramentum) bedeutet in den neutestamentlichen Schriften Heilsgeheimnis oder Heilsratschluß Gottes. In diesem ursprünglichen Sinne wird das Wort sacramentum-mysterion auch von den Kirchenvätern und selbst noch im Mittelalter gebraucht. Als Mysterien (sacramenta) in diesem Sinne gelten vor allem die Inkarnation Christi, sein Opfertod und seine Auferstehung. Daneben werden allerdings schon frühzeitig (seit Tertullian f 222) kirchlich-kultische Akte verschiedenster Art sacramenta genannt. Nicht nur Taufe und Abendmahl oder andere der heute so genannten Sakramente heißen in der älteren Kirche sacramenta, sondern auch rein sinnbildliche Kulthandlungen, Segnungen, sogar Kultgegenstände (z. B . die Fußwaschung am hohen Donnerstag, das Taufwasser, die Weihe von Glocken und Kirchen, die Mönchsweihe, die kirchliche Beerdigung).
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Der Sprachgebrauch ist noch ein sehr allgemeiner und diffuser. In der theologischen Literatur des i. Jahrtausends gibt es keine einzige Stelle, an der die heutigen sieben Sakramente miteinander aufgezählt werden oder gar behauptet würde, es gebe nur diese. Von einer Siebenzahl der Sakramente sprechen zum ersten Mal die Theologen der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, und zwar tun sie das im Sinne einer Reduktion der damals unter dem Namen Sakrament bekannten kirchlichen Handlungen. Der wichtigste Zeuge hierfür ist Petrus Lombardus (f 1160), der zum ersten Mal die sieben Sakramente in der heute üblichen Reihenfolge aufzählt. Die ihm folgenden Scholastiker begründen die Siebenzahl der Sakramente nicht aus der Schrift und der Tradition, sondern spekulativ entweder aus den sieben Gaben des Hl. Geistes oder aus den sieben Haupttugenden oder sogar aus den sieben Hauptsünden. Während auf dem Unionskonzil von Lyon (1274) den Griechen eine Erklärung vorgelegt wurde, daß es sieben Sakramente gebe, bildete diese Frage auf dem Unionskonzil zu Florenz (1439) keinen Differenzpunkt. Ausführlich, aber z. T. anerkanntermaßen unrichtig wird im Decretum pro Armenis (1439) über die sieben Sakramente gehandelt. Auf seiner Grundlage erklärt das Trienter Konzil (sessio VII, 1547), daß die sieben Sakramente - nicht weniger und nicht mehr - alle von Christus eingesetzt („instituta") worden sind. Die gegenteilige Meinung wird unter Anathem gestellt. Der für die Ostkirche normativ gewordene Dogmatiker Johannes Damascenus (f 750) erwähnt nur zwei Sakramente: Taufe und Abendmahl. Doch werden von anderen griechischen Vätern vereinzelt auch weitere kirchliche Handlungen Mysterion genannt. Erst im 13. Jahrhundert haben griechische Theologen (anscheinend unter abendländischem Einfluß) die Siebenzahl für die Sakramente angenommen. Sie hat aber erst im 17. Jahrhundert in die offiziellen Lehrbestimmungen der Kirche, so in die confessio orthodoxa von 1643, Eingang gefunden. Die lutherische Kirche anerkennt in der Augsburger Konfession (1530) und in der Apologie (15 3 7) als Sakramente Taufe und Abendmahl, läßt aber auch die Absolution (Buße) als solches gelten. Es gab indessen bis ins 19. Jahrhundert hinein lutherische Theologen, die bereit waren, außer der Buße auch dem ordo und der Ehe sakramentalen Charakter zuzusprechen. Die reformierte Kirche (Confessio Helvetica II) läßt bloß Taufe und Abendmahl als Sakramente gelten, während Buße, ordo und Ehe nur als „nützliche Einrichtungen" Gottes angenommen, Firmung und letzte Ölung als „menschliche Erfindungen" verworfen werden. Die anglikanische Kirche erkennt im 25. Religionsartikel als allgemeine von Christus angeordnete Sakramente ebenfalls nur Taufe und Abendmahl an
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und fügt bei, daß die andern sog. Sakramente es nicht im gleichen Sinne sind. Der v o m Prayer B o o k vorgeschriebene Ritus für die Buße, die Firmung, die Ordination und die Ehe läßt indessen deren Deutung als sakramentale Akte durchaus zu. Auch sind Bestrebungen zur Wiederbelebung dei Rrankenölung im Gang. A n der ersten Bonner Unionskonferenz einigten sich die anglikanischen und die altkatholischen Theologen auf folgende These (8): ,,a) W i r erkennen an, daß die Zahl der Sakramente erst im 12. Jahrhundert auf sieben festgesetzt und dann in die allgemeine Lehre der Kirche aufgenommen wurde, und zwar nicht als eine von den Aposteln oder von den ältesten Zeiten kommende Tradition, sondern als das Ergebnis theologischer Spekulation, b) Katholische Theologen, z. B . Bellarmin, erkennen an und wir mit ihnen, daß die Taufe und die Eucharistie principalia, praecipua, eximia salutis nostrae sacramenta, Hauptsakramente sind." Die nächsthegende Folgerung, die sich aus diesen vorerst rein historischen Feststellungen ergibt, muß die sein, daß die Streitfrage, ob zwei oder sieben Sakramente anzunehmen sind, als eine Sache des engeren oder weiteren Sprachgebrauches zu betrachten ist. V o m Neuen Testament her allein kann sie nicht entschieden werden, da dieses, wie wir wissen, den Begriff des Sakramentes als allgemeine Bezeichnung 'für kultische Handlungen überhaupt nicht kennt. Es ist darum unrichtig und führt zu keinem Ergebnis, von dem erst viel später aufgekommenen SakramentsbegrifF her die Zweizahl der Siebenzahl als N o r m entgegenzustellen oder umgekehrt. Eine Annäherung der beiden Standpunkte (des protestantischen und des katholischen) ist nur möglich, wenn v o m Neuen Testament her der erst im Mittelalter dogmatisch fixierte SakramentsbegrifF aufgelockert und nicht von einem allgemeinen SakramentsbegrifF, sondern konkret von Taufe und Abendmahl her, wie sie im Neuen Testament bezeugt und von allen Kirchen angenommen sind, zu bestimmen versucht wird, ob und in welchem Sinn auch die anderen Kulthandlungen, die sich in der Tradition als „Sakramente" durchgesetzt haben, also Firmung, Buße, Krankenölung, Presbyteratsweihe und Ehe, wenn auch als Nebensakramente, so doch als „wahre und eigentliche" Sakramente gelten können. Das läßt sich nur entscheiden von der inneren Ordnung der Sakramente her.
2. Die innere Ordnung der Sakramente A n Taufe und Abendmahl läßt sich insofern ablesen, was ein Sakrament ist, als sie beide „sichtbare, von Christus eingesetzte Zeichen sind, mit denen eine unsichtbare Gnade verbunden ist". Konstitutiv für ein Sakra-
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ment sind also drei Momente: „die göttliche Einsetzung (durch Christus oder die Apostel), ein sichtbares Zeichen und die unsichtbare Gnade" (christkatholischer Katechismus). Wie verhält es sich nun aber in dieser Beziehung mit den genannten Sakramenten? Die Einsetzung durch Christus wird nur für Taufe, Abendmahl und für die Buße bezeugt. Die Krankenölung geht auf eine apostolische Einsetzung zurück, die Firmung und die Presbyteratsweihe auf eine apostolische Übung autorativen Charakters, die Ehe auf ein apostolisches W o r t der Sinngebung. Aber alle stehen, wie die drei von Christus selbst eingesetzten Sakramente, unter einem bestimmten Verheißungswort Christi (verbum promissionis) und vermitteln eine unsichtbare Gnade, die entgegenzunehmen und den Gläubigen mitzuteilen die Kirche das Recht und die Pflicht hat, wenn sie auch nicht (wie die Taufe, und - strenggenommen - nur sie) allgemein heilsnotwendig sind. Mit der Verheißung einer unsichtbaren Gnade durch Christus ist aber das entscheidende Moment gegeben, auch dann, wenn - wie bei der Buße und bei der Ehe - ein eindeutig bezeugtes, sichtbares Zeichen fehlt. Deswegen sind diese Sakramente nicht unvollständig oder bloß nützliche Einrichtungen, sondern wahre Sakramente. Das sind sie (als Nebensakramente) dadurch, daß sie ihre sakramentale (nicht heilsgeschichtliche) Grundlage alle in der Taufe haben und andererseits alle hingeordnet sind auf die Eucharistie. „Per modum unionis" (auf dem Wege der Einigung), der durch die Kirche als „Ursakrament" hergestellt wird, haben diese Sakramente Anteil an der durch die beiden Hauptsakramente gewirkten dreifachen Vergegenwärtigung des einen Heilsmysteriums Christi. In diesem Sinne wirkt die Firmung die Vollendung der Taufgnade, die Buße deren Wiederherstellung, ebenso die Krankenölung in der besonderen Anwendung auf den Krankheitszustand, die Ehe die Entfaltung der Taufgnade im Verhältnis von Mann und Frau. Lockerer ist das Verhältnis der Nebensakramente zur Eucharistie, darf aber deswegen nicht übersehen werden: So ist die Firmung immer auch zu betrachten als Zulassung zum erstmaligen KommunionEmpfang, die Buße als (freiwillige) Vorbereitung auf sie, ebenso die Krankenölung, die Priesterweihe als Bevollmächtigung zum Vollzug des eucharistischen Opfers, die Ehe als durch Mann und Frau zu verwirklichendes Abbild der Hinopferung Christi für seine Kirche, die in der Eucharistie vergegenwärtigt wird. In letzter Sicht ist, wenn anders sie von der Hl. Schrift und der Tradition her verstanden werden, keines der Sakramente dem andern im Hinblick auf seinen sakramentalen Charakter gleich, nicht einmal Taufe und Abendmahl. Sie lassen sich darum auch nicht restlos unter einen allgemeinen Begriff vom Sakrament subsumieren. Keines von ihnen kann (trotz ihrer Hinordnung zu Taufe und
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Abendmahl) von einem anderen abgeleitet werden. Alle sind sie durch das ihnen gegebene Verheißungswort eine je andere, durch Christus oder die Apostel angeordnete oder autorisierte, werkzeuglich-symbolische Repräsentation des Einen Heilswerkes Christi und eben darin wahre und eigentliche Sakramente. 3. Die heilsgeschichtliche Einordnung der Sakramente Die heilsgeschichtliche Einordnung der Sakramente (wie auch die der Wortverkündigung) ist zu bestimmen einerseits vom Glauben her und andererseits vom heilsgeschichtlichen Zusammenhang her, auf den der Glaube gerichtet ist. a) Der Glaube Die Sakramente sind nicht nur im Glauben (subjektiv), aber auch nicht ohne den Glauben (objektiv) wirksam, sondern die Sakramente sind für den Glauben da. Der Glaube hat die Sakramente, wie sie durch die Kirche gespendet werden, als ereignishafte Symbolwirklichkeit entgegenzunehmen. Insofern gehen die Sakramente dem auf sie gerichteten Glauben voran (der fides sacramenti). Aber andererseits geht der Glaube als Heilsglaube (fides salutis) dem Sakramentsempfang voran und ist dessen Grundvoraussetzung. Sakraments- und Heilsglaube aber werden gewirkt durch den Hl. Geist, der der Kirche und ihren einzelnen Gliedern verheißen ist. Durch ihn erst werden die Kirche und ihre Glieder in den umfassenden heilsgeschichtlichen Zusammenhang hineingestellt, in dem die Sakramente erst in ihrer vollen Bedeutung erkennbar werden. b) Der heilsgeschichtliche Zusammenhang Das Heilsgeschehen wird, wie wir gesehen haben, den Gläubigen durch die werkzeugliche Symbolwirklichkeit der Sakramente so vergegenwärtigt, daß sich an ihnen das Heil hier und jetzt vollzieht. Diese Vergegenwärtigung umfaßt drei Dimensionen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Sakramente vergegenwärtigen in ihrer erinnernden Funktion Vergangenes, nämlich das ein für allemal abgeschlossene Heilswerk Christi. Indem sie dieses Vergangene vergegenwärtigen, setzen sie es zugleich für die Gegenwart in Kraft und wirken an den Gläubigen die Rechtfertigung und Heiligung. Damit aber verkünden und verbürgen sie zugleich das, was kommen wird: unsere zukünftige Herrlichkeit. Mit anderen Worten: Die Sakramente wirken in uns die Gemeinschaft mit dem Herrn und Erlöser, der gekommen ist, der jetzt kommt und der kommen wird. Die Einheit der drei Dimensionen aber - und das ist
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das eigentlich wirksame und entscheidende Moment der sakramentalen Vergegenwärtigung - hegt in der Dimension der Zukunft. Die Sakramente sind wesentlich eschatologische, endzeitliche Gaben. Sie führen uns auf dem Grunde des Gekommenseins Christi in der Vergangenheit durch den erhöhten Christus, der jetzt in verborgener Weise zu uns kommt, dem Christus entgegen, der kommen wird mit Macht und Herrlichkeit. Indem das geschieht, wirken die Sakramente in uns nicht nur das individuelle Seelenheil, sondern sie stellen uns mit unserer persönlichen Existenz hinein in das die ganze Menschheit und den gesamten Kosmos umgreifende heilsgeschichtliche Handeln Gottes, das einst ausmünden wird in seine Herrlichkeitsoffenbarung. Von der uns verheißenen Herrlichkeitsoffenbarung Gottes her empfangen die Sakramente ihre effektive, wenn auch erst proleptische Offenbarungskraft. Diese aber kann der Einzelne, für den die Sakramente ihrer Natur nach bestimmt sind, in der existentiell-persönlichen Glaubensentscheidung und in der Hoffnung auf die endzeitliche Herrlichkeitsoffenbarung nur so entgegennehmen, daß er sich durch sie zugleich einordnen läßt in die Kirche, der als dem erwählten Gottesvolk der Endzeit die Verheißung des kommenden Reiches gegeben ist.
III. Teil DAS A N L I E G E N DER A L T K A T H O L I S C H E N K I R C H E
DIE K I R C H E , IHR A M T U N D DIE ÖKUMENE
A
us der Darstellung sowohl der Geschichte wie der Lehre der altkatholischen Kirche dürfte bereits schon deutlich geworden sein, welches ihr eigentliches Anliegen ist: die Kirche, ihr Amt und die Ökumene. Es wäre jedenfalls unzureichend, in der altkatholischen Kirchenbildung bloß eine „nationalkirchliche Reformbewegung" erblicken zu wollen, welche die heute auch von vielen Römisch-Katholiken geforderten (und inzwischen vom II. vatikanischen Konzil teilweise zugelassenen) Reformen auf dem Gebiete des Kultus und der Disziplin vorweggenommen und selbständig durchgeführt hat. Auch geht es der altkatholischen Kirche nicht darum, durch Anpassung an Zeitströmungen weltanschaulicher und politischer Natur - wie es in ihren Anfängen vielfach der Fall war - besonders „fortschrittlich" zu sein. Die liberal-aufklärerischen, nationalen, modernistischen und neuprotestantischen Einflüsse, denen nicht wenige ihrer Anhänger der ersten und der zweiten Generation unterlagen, waren vorübergehender Natur und konnten sich nicht durchsetzen. Auch will die altkatholische Kirche nicht nur eine „Brückenkirche" sein in dem Sinne, daß sie als selbständige „dritte Konfession" einander entgegengesetzte „Richtungen" wie die katholische und protestantische oder die orthodoxpositive und die freisinnige in eklektischer Weise zu einer Synthese zu vereinigen versucht. Ihr wesentliches Anliegen ist tiefer, umfassender und bleibender. Es ging und geht ihr um das „Kirchesein", um ein an der Bibel und an der altkirchlichen Tradition geläutertes Kirchesein. Gewiß war es nicht allen Altkatholiken von Anfang an klar, daß ihr Kampf, der mit dem Einspruch gegen die päpstlichen Dogmen begann, im letzten Grund ein Kampf um die Kirche selber war. „Es ist in der Geschichte der Kirche überall so gewesen, daß die Wahrheit der Kirche unendlich viel geheimnisvoller und umfassender war, als ihre Vertreter ahnen konnten. In diesem Sinne haben nicht alle alles begriffen und haben auch wir viel Schuld zu bekennen. Dennoch aber ist und bleibt das wesentliche Anliegen der altkatholischen Kirchenbewegung ein reines und unveräußerliches. Es ist das Anliegen der Kirche, eben das Ringen um das Wesen der Kirche selbst" (E. Gaugier). Das Kirchesein, um das die Altkatholiken rangen, war ihnen aber nicht eine erst in der Zukunft zu verwirklichende Möglichkeit, sondern eine ihr in der Geschichte vorgegebene Wirklichkeit, die es zu erneuern und zu entfalten galt. Vorgegeben war ihnen diese Wirklichkeit in der alten,
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Das Anliegen der altkatholischen Kirche
vorvatikanischen katholischen Kirche des Abendlandes, in den orthodoxen Kirchen des Ostens, in der anglikanischen Kirchengemeinschaft und in den Reformationskirchen, soweit diese die Kontinuität mit der alten Kirche gewahrt haben. Daß die altkatholische Minderheit mit diesen Kirchen von Anfang an die Wiedervereinigung anstrebte, entsprang nicht bloß einem augenblicklichen Anlehnungsbedürfnis, sondern war und ist das unumstößliche Zeugnis dafür, daß das ekklesiologische Anliegen der altkatholischen Kirche von der Sache selbst her zugleich ein ökumenisches, ein die ganze Kirche umfassendes war. Ihr Wille zum eigenen Kirchesein war zugleich ihr Wille zur kirchlichen Wiedervereinigung und Einheit. Nie war den Altkatholiken die Ökumene eine bloße „Nebenbeschäftigung" (Gaugier), nie ein außerhalb ihres kirchlichen Lebens zu erfüllendes Programm. Durch ihre kirchliche Existenz selbst waren die Altkatholiken „Ökumeniker avant la lettre" (Visser'tHooft). Für beide Anliegen, das kirchliche und das ökumenische, waren ihnen denn auch dieselben Prinzipien maßgebend: die konsequent christologische Sicht und die Treue zu den Ordnungen der alten, ungeteilten Kirche. Von dieser Ausgangslage her ergibt sich für die altkatholische Kirche heute die besondere Aufgabe, in Zusammenarbeit mit anglikanischen und orthodoxen, aber auch mit „progressiv" römisch-katholischen und protestantischen Theologen, vor allem aber im Rahmen der ökumenischen Bewegung, an eine möglichst umfassende und vertiefte Klärung der Begriffe der Kirche und der Ökumene ihren Beitrag zu leisten. Wie das geschehen kann, soll im folgenden in der Weise gezeigt werden, daß wir in einem ersten Abschnitt in thesenartigen Leitsätzen, die nur stichwortartig erläutert werden können, in möglichster Anlehnung an die altkatholische Literatur und Konferenzarbeit die Lehre von der Kirche und ihrem Amt, und in einem zweiten Abschnitt die altkatholische Stellungnahme zur heutigen ökumenischen Bewegung sowie zu den einzelnen Kirchen zur Darstellung bringen.
Die Kirche
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1 . ABSCHNITT: KIRCHE UND A M T
Kirche und Amt bilden in Christus eine unauflösliche Einheit. Diese Einheit ist begründet in der Sendung, die beide durch die Apostel vom Herrn empfangen haben, als er diese beauftragte und bevollmächtigte, sein Werk auf Erden fortzusetzen. Weil diese eine Sendung ihnen gemeinsam ist, kann vom kirchlichen Amt nicht geredet werden, wenn nicht zugleich Klarheit über das Wesen der Kirche angestrebt wird, und es kann umgekehrt von der Kirche nicht sachgemäß gehandelt werden, wenn nicht von Anfang an das Amt als für sie wesentlich mit in die Betrachtung einbezogen wird. Ihr Unterschied ist in der Hauptsache ein solcher der von Gott gesetzten „Ordnung", in der sie die ihnen gemeinsame Sendung an der Welt zu erfüllen haben.
A. D I E K I R C H E
as 20. Jahrhundert ist schon „das Jahrhundert der Kirche" genannt worden. Das stimmt in dem Sinne, daß sich noch kein Zeitalter so intensiv wie das unsrige mit der Erforschung des Problems der Kirche befaßt und mit solchem Ernst eine allgemein gültige Entscheidung in dieser Frage angestrebt hat. Diese ist ihr erschwert, aber in gewisser Beziehung auch erleichtert dadurch, daß die historisch bedeutsam gewordenen konfessionellen Lehrbestimmungen in der Regel sehr rudimentär sind und nur Tei/aspekte der Kirche zur Geltung bringen. Das gilt insbesondere von den durch den katholisch-protestantischen Gegensatz bestimmten Bekenntnisschriften des 16. und des 17. Jahrhunderts. Die Reformationskirchen halten zwar wichtige Grundelemente des Kirchenbegriffs fest, aber in ihrer Kampfstellung gegen den rechtlich-hierarchischen Kirchenbegriff des Mittelalters betonen sie in einer Weise, die heute allgemein als überwunden gilt, die Unsichtbarkeit der Kirche, während
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Das Anliegen der altkatholischen Kirche
ihre G e g n e r die Sichtbarkeit der K i r c h e i n ebenso einseitiger W e i s e ins L i c h t z u stellen suchen (so B e l l a r m i n , f 1621). D i e protestantische T h e o l o g i e ist z w a r heute w e i t über die d a m a l i g e n Positionen hinausgewachsen, hat sich aber bis heute nicht auf eine einheitliche u n d umfassende B e g r i f f s b e s t i m m u n g der K i r c h e einigen k ö n n e n , so daß einer ihrer r e präsentativsten T h e o l o g e n b e k e n n t : „ D i e K i r c h e n f r a g e ist h e u t e die unerledigte Frage der protestantischen T h e o l o g i e " (E. B r u n n e r ) . A n d r e r seits hat die römisch-katholische K i r c h e , die sich auf d e m
Trienter
K o n z i l (1545-1563) nur beiläufig m i t d e m P r o b l e m beschäftigte, d u r c h die A n n a h m e
der beiden vatikanischen
Papstdogmen
eine
Vorent-
scheidung ü b e r die K i r c h e gefällt, die t r o t z neueren A b s c h w ä c h u n g s versuchen f ü r alle anderen K i r c h e n ein schweres P r o b l e m bleibt. Z u z u g e b e n ist allerdings, daß in der E n z y k l i k a Pius X I I . „ M y s t i c i c o r p o r i s " u n d in der d o g m a t i s c h e n K o n s t i t u t i o n ü b e r die K i r c h e des II. V a t i k a n i schen
Konzils
Erkenntnisse
ausgesprochen
werden,
die
allergrößte
B e a c h t u n g verdienen. Ebenso haben o r t h o d o x e T h e o l o g e n bedeutsame B e i t r ä g e zur E k k l e s i o l o g i e
geleistet, sie b e t o n e n aber m i t
Vorliebe
(Florensky u. a.), daß die K i r c h e „ L e b e n " u n d d a r u m nach i h r e m tiefsten "Wesen d o g m a t i s c h undefinierbar sei. U m so b e d e u t u n g s v o l l e r ist es, daß sich heute, z w a r nicht in der d o g m a t i schen, w o h l aber i n der neutestamentlich-exegetischen Forschungsarbeit aller K i r c h e n , die G r u n d a u f f a s s u n g e n über das W e s e n der K i r c h e (unter A u s k l a m m e r u n g der Papstfrage) in e i n e m erstaunlichen M a ß e einander angenähert haben. Insbesondere ist die B e d e u t u n g des niessianischen Seins b z w . der G o t t h e i t Jesu C h r i s t i f ü r das W e r d e n u n d Sein der K i r c h e m i t z u n e h m e n d e r D e u t l i c h k e i t erkannt w o r d e n . B a h n b r e c h e n d hat i n dieser B e z i e h u n g v o r allem auch die ökumenische Bewegung unserer T a g e g e w i r k t . S c h o n auf der ersten W e l t k o n f e r e n z f ü r „ G l a u b e u n d V e r f a s s u n g " i n Lausanne (1927) w u r d e die entscheidende Erkenntnis ausg e s p r o c h e n : „ D i e K i r c h e ist nicht M e n s c h e n w e r k , sondern Gottes S c h ö p f u n g . " N a c h der z w e i t e n W e l t k o n f e r e n z in E d i n b u r g (1937) w u r d e eine K o m m i s s i o n eingesetzt, die (nachdem auch die erste V o l l v e r s a m m l u n g des ö k u m e n i s c h e n Rates der K i r c h e n i n A m s t e r d a m 1948 sich m i t d e m P r o b l e m auseinandergesetzt hatte) der dritten W e l t k o n f e r e n z f ü r „ G l a u b e u n d V e r f a s s u n g " in L u n d 1952 einen B e r i c h t v o r l e g t e , auf dessen G r u n d l a g e die äußerst w i c h t i g e S c h l u ß f o l g e r u n g a n g e n o m m e n w u r d e : „ W a s K i r c h e ist, k a n n nur gesagt w e r d e n v o n d e m her, w a s Christus i s t . " D i e L e h r e v o n der K i r c h e m u ß christologisch (und trinitarisch) b e g r ü n d e t sein. D i e s e Sicht ist auf der 4. W e l t k o n f e r e n z v o n M o n t r e a l (1961) festgehalten u n d in m a n c h e r B e z i e h u n g n o c h v e r t i e f t w o r d e n . Diese Entwicklung
bedeutet eine nicht g e r i n g e R e c h t f e r t i g u n g
des
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Standpunktes der altkatholischen Theologen, die anläßlich des Kölner Kongresses (1872) erklärt hatten: Grundlage einer künftigen Wiedervereinigung der Kirchen muß sein der Satz von der Gottheit Christi und - in Abhängigkeit davon - der Satz, daß Christus, der ewige Sohn, eine Kirche gestiftet hat. Damit ist gesagt, daß die Lehre von der Kirche in ihrem vollen Gehalt erst entfaltet werden kann, wenn sie in ihren Aussagen - wie das für alle Fragen der Heilsverwirklichung gilt - konsequent an den christologischen Grundentscheidungen der alten Kirche, am Satz von der Gottheit (325) und von der Gottmenschheit Christi (451) festhält. Die Frage nach dem Wesen der Kirche (und ihres Amtes) ist, wie auf exegetischem, so auf dogmatischem Boden die Frage nach dem ewigen Gottsein des Menschen Jesus Christus (und nach seinem dreifachen Amt). Wird dieser Satz bejaht, so ist damit eine Grundentscheidung gefallen, aus der für das Verständnis der Kirche nur noch die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen sind. Diese Grundentscheidung besagt - um das hier schon vorweg zu nehmen - daß die Kirche, die an sich zwar eine geschöpfliche Größe ist, dadurch, daß Christus sie gestiftet hat, der Hl. Geist sie lebendig macht und Gottvater sie erwählt, mit ihrem Sein und Wirken in das göttliche Offenbarungsgeschehen hineingehört. N o c h mehr: Sie ist-sich selbst ein Wunder - selbst ein Heils- und Offenharungsereignis (E. Gaugier). Nicht gemeint ist natürlich, daß sie das in ihrem irdisch-historischen Erscheinungsbild ist. Sie kann das nur sein im Geheimnis des auf Grund des biblischen Zeugnisses immer neu zu erkämpfenden Glaubens an den in ihr wirkenden Vater, Sohn und Hl. Geist, in dem sie ihren Ursprung hat. „Ich glaube eine heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen" (Apostolikum). Dieser göttlich-trinitarische Ursprung der Kirche macht den eigentlich kerygmatischen (Verkündigungs-)Gefca/( der biblischen Aussagen über die Kirche aus. Und diesen gilt es vorerst herauszuarbeiten. Dabei kann es sich aber nicht bloß darum handeln, das in mancher Beziehung unvollständige und zeitbedingte Bild, das uns das Neue Testament von der Urgemeinde gibt, historisch möglichst genau nachzuzeichnen und zum Vorbild für unsere heutigen Verhältnisse zu nehmen. W i r können und dürfen nicht einfach die Urkirche, so wie sie uns in historischer Rückschau erscheint, nachahmen wollen. Maßgebend für uns ist nicht das geschichtliche Erscheinungsbild der Urkirche, sondern die Botschaft, die durch dieses verkündet wird. Darum ist die Frage nach dem Ursprung der Kirche - darauf gilt es besonders zu achten - nicht nur die nach ihrem zeitlichen Anfang, sondern die nach ihrer transzendentalen Herkunft, die sie im dreieinigen Gott hat. Dieser ihr Ursprung wird wirksam in der Zeit, und zwar im zeitlichen Anfang wie im zeitlichen Fortgang der U r -
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kirche, von dem uns die Evangelisten und die Apostel Zeugnis ablegen. Und eben dieses Zeugnis über Anfang und Fortgang der Urkirche in der Zeit gilt es als Zeugnis über ihren ewigen Ursprung entgegenzunehmen und zu entfalten.
I. DER URSPRUNG DER KIRCHE
a) Der christologische Ursprung Bei der Beantwortung der Frage, ob und wann Jesus Christus eine Kirche gestiftet hat, gilt es sich vor allen falschen Fragestellungen zu hüten. Es ist weder auszugehen von einem älteren oder neueren Begriff der organisierten Kirche, noch von dem Nachweis eines entsprechenden organisatorischen „Gründungsaktes" Jesu. Ausgangspunkt muß vielmehr die Ur-Intention sein, die dem gesamten Heilshandeln Christi zugrunde hegt. Diese aber ist beschlossen in seiner Verkündigung der kommenden Gottesherrschaft, die in ihm selbst bereits gegenwärtig ist und zu deren Trägern er die „kleine Herde" seiner Jünger, die Gemeinde, „schafft". Die Kirche ist darum weniger eine Gründung als eine Schöpfung Christi (die, weil sie in der Zeit erfolgt, auch „Stiftung" genannt werden kann). Als diese Schöpfung oder Stiftung ist die „Kirche Gottes", von der das Neue Testament spricht, grundlegend das neue Gottesvolk, das der Messias um sich sammelt und dem er das kommende Gottesreich verheißt. Mit anderen Worten: Die neutestamentliche Kirche ist das, was sie ist, durch ihre Berufung durch den Messias auf das endzeitliche Reich hin, in welchem sie ihren Grund und ihr Ziel hat. Dadurch aber ist sie grundsätzlich diesem Weltzeitalter enthoben und hat ihre Existenz in dieser Welt nur als „beziehentliche" Größe, d. h. als eine Größe, die ihren Ursprung und ihr Ziel im gekommenen und im kommenden Herrn hat. Das gilt für ihren Anfang wie für ihren Fortbestand in der Zeit.
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1. Der christologische Ursprung der Kirche im Anfang a) Jesus geht in seinem irdischen Wirken von Anfang an bewußt auf die Sammlung seiner Gemeinde aus D a ß der irdische Jesus als der kommende Messias von Beginn seines öffentlichen Wirkens an seine Gemeinde um sich sammelt, zeigt sich an der Berufung seiner Jünger, an der Auswahl und Aussendung der Zwölf und an seinem kirchenstiftenden W o r t an Petrus: Die Berufung der Jünger, mit der Jesus nach dem übereinstimmenden Zeugnis aller vier Evangelisten (Mk. 1, 16ff.; Mt. 4, 18ff.; Lk. 5, i f f . ; Jo. 1, 3 5 ff.) seine öffentliche Tätigkeit beginnt, erfolgt nicht in der Form einer Einladung, sondern eines Befehls in die Lebensnachfolge, die die Jünger („Schüler") in der neuen, durch Jesu Erscheinen herbeigeführten messianischen Situation zu vollziehen haben. Er gibt ihnen durch die Berufung nicht nur eine Aufgabe, sondern „schafft" (Mk. 1, 17) sie zu Menschenfischern, die mit seiner Bevollmächtigung Menschen für das Reich zu gewinnen haben. In diesem W o r t „leuchtet erstmals die W i r k lichkeit der Kirche auf" (E. Gaugier). Durch die Auswahl der Zwölf (Mk. 3, i3ff.; Lk. 6, 2ff.) manifestiert Jesus seinen Anspruch auf das ganze zwölfstämmige Israel. Er kennzeichnet damit seine kommende Gemeinde als das neue, wahre Israel, dem die Verheißung des Endreiches gehört. Als dessen Repräsentanten werden die Zwölf v o m Herrn dazu ausersehen, Israel durch W o r t und T a t (Wunder) die frohe Botschaft zu verkünden. Im Endgericht sollen sie über die zwölf Stämme Israels zu Gericht sitzen (Mt. 19, 28). Ihre Auswahl, die Jesus „auf dem Berge" vornimmt, ist ein messianisch-königlicher Hoheitsakt, durch den er die Zwölf zu seinen bevollmächtigten Botschaftern, zu seinen „Aposteln", (Lk. 6, 13) bestimmt. Sie bilden inmitten der übrigen Jünger als seine Bevollmächtigten einen engeren Kreis v o n Vertrauten, die ihm für seine Reichsverkündigung dauernd zur Verfügung stehen und denen allein er die Geheimnisse seiner Messianität und des kommenden Reiches anvertraut. Durch die Aussendung der Zwölf (Mk. 6, 7ff.; Mt. 10, iflf.) erteilt der Herr den Aposteln den Auftrag und die Vollmacht, durch ihr Heilswort und ihre Heilstaten (Dämonenaustreibungen, Krankenheilungen) das nahe herbeigekommene Reich zu verkünden und das V o l k um den Messias zu scharen. Er tut es, indem er sie hineinstellt in die dynamische Vergegenwärtigung des Reiches, die durch ihn selbst erfolgt. W a s sie in seinem Auftrag und in seiner Vollmacht sagen und tun, das ist gesagt und getan, wie wenn der Herr selbst es täte. Sie handeln als seine Beauftragten und Bevollmächtigten an seiner Stelle. „Sie sind der verlängerte
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Das Anliegen der altkatholischen
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Arm seines messianischen Wirkens" (E. Gaugier). Jesus übergibt ihnen also nicht nur Charismen und auch nicht bloß eine Aufgabe, sondern er läßt sie, indem er sie aussendet, zur Erfüllung ihres Auftrages teilhaben an seiner messianischen Entscheidungsvollmacht, die er auf sie überträgt. Die Zwölf bilden deswegen nicht eine Institution mit kirchenrechtlichen Kompetenzen, noch sind sie, obwohl sie nach Pfingsten bald in den Hintergrund treten, bloße Symbolfiguren oder Prototypen der kommenden Gemeinde, sondern als Jünger und Weggefährten des Messias sind sie bereits Glieder der messianischen Gemeinde. Sie sind die ecclesia designata und als die vom Herrn besonders Beauftragten und Bevollmächtigten zugleich die ersten designierten „Amtsträger" der Gemeinde. Von der Aussendung der Zwölf ist zu unterscheiden diejenige der siebzig Jünger (Lk. 10, i , 12). Diese handeln nicht, wie die Zwölf, anstelle des Sendenden, sondern werden von ihm vorausgeschickt, um im jüdischen Volk den Boden für die Reichspredigt vorzubereiten, die durch den Messias selbst erfolgt. Ihr Auftrag ist zeitlich und räumlich begrenzt. Die Berufung der Jünger, die Auswahl und Aussendung der Zwölf, zeigt, daß Jesus in seinem messianischen Wirken nicht nach allgemeinmissionarischen Grundsätzen, sondern nach dem Prinzip der Erwählung vorgeht. Er teilt das Geheimnis der Gottesherrschaft und der Gliedschaft an seiner kommenden Gemeinde nur denen mit, die von Gott dazu erwählt sind. Gerade darin liegt das eminent kirchengründerische Moment seines ganzen Heilshandelns. Dabei bezieht sich die Erwählung sowohl auf die Zwölf in ihrer Gesamtzahl wie auf jeden einzelnen von ihnen, die darum ausdrücklich mit Namen genannt werden. Unter ihnen steht Petrus an erster Stelle.
In diesem Zusammenhang sei darauf aufmerksam gemacht, daß das W o r t „Vollmacht" sich im Neuen Testament nur auf die Ausrüstung der Apostel mit der Kraft zu Heilsfaiett, Krankenheüungen, Dämonenaustreibungen bezieht, während ihr Heilsuwi auf die „ S e n d u n g " zurückgeführt wird, die sie v o m Herrn empfangen haben. Daß sie ihre Sendung v o m Herrn empfangen, der sich selbst vom Vater gesandt weiß, macht ihr W o r t ebenfalls zum bevollmächtigten W o r t . Ihr W o r t geht nicht einfach ins Leere. Unter diesem G e sichtspunkt ist es berechtigt, die einschlägigen neutestamentlichen Aussagen systematisch'dahin zusammenzufassen, daß - wie es in der traditionellen D o g matik geschehen ist - der Begriff der Sendung (missio) als übergeordneter B e griffverwendet wird, der sich unterteilt in die beiden Begriffe der Beauftragung (mandatum) und der gnadenhaften Bevollmächtigung (munus), die, beide zusammengenommen, immer Beauftragung und Bevollmächtigung zum Heilswort und zur Heilsfai sind (kirchlich gesprochen: zur Predigt und zur Sakramentsspendung, vgl. S. 1 8 1 ) .
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Ausdrücklich erfolgt die Stiftung der Kirche durch das Wort Jesu an Petrus (Mt. 16, 16-18). Nachdem Jesus an die Jünger die Frage gestellt hat, für wen sie ihn halten, legt Petrus als ihr Wortführer das Bekenntnis ab: „ D u bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." Das ist das erste eindeutige Messiasbekenntnis, das Jesus entgegengebracht wird und das er auch entgegennimmt. Er tut es mit den Worten: „Fleisch und Blut haben dir das nicht geoffenbart, sondern der Vater, der in den Himmeln ist", um dann an Petrus persönlich das Wort zu richten: „ D u bist Petrus, auf diesen Felsen will ich meine Kirche hauen und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen." Das Entscheidende an dieser Stelle (ihre Bedeutung für die Primatsfrage soll vorläufig ausgeklammert werden, vgl. S. 327 ff.) ist, daß Jesus zum ersten Mal in dem Augenblick, in welchemihm das Bekenntnis zu seiner Messianität und Gottessohnschaft entgegengebracht wird, von „seiner" Kirche, d. h. von der messianisch-endzeitlichen Gemeinde als dem neuen Gottesvolk spricht. In der Sache bedeutet dies, daß Christus seine Kirche bauen wird - und nur bauen kann - dort, w o er das Bekenntnis zu seiner Gottessohnschaft vorfindet. Daß es aber zu diesem Bekenntnis kommt, ist ein unbegreifliches Wunder, das nur Gott selber wirken kann, das aber für die Kirche grundlegend, eben ihr „Fels" ist. Die Kirche ist also das, was sie ist, die messianische Gemeinde, grundlegend durch ihr von Gott selbst gewirktes Bekenntnis zum Messias und Gottessohn. In diesem Sinn kann in Übereinstimmung mit den meisten Kirchenvätern gesagt werden, daß mit dem „Fels" der Glaube der Jünger an die Messianität Christi, bzw. dieser selbst, gemeint ist. U n d doch geht das W o r t nicht nur auf den Messiasglauben des Petrus und der übrigen Apostel, sondern er geht ganz unzweifelhaft noch im Besonderen auf die Person des Petrus. Er wird zum Fels erwählt, er allein. Daß Christus gerade Petrus erwählt, ist ein Geheimnis seiner göttlichen Gnadenwahl. Dieses prädestinatianische Geheimnis aber wird zerstört, wenn das W o r t auf allfällige Nachfolger des Petrus ausgedehnt oder einseitig auf den Glauben eingeschränkt wird. Es geht bei diesem Wort um die göttliche Erwählung der Person des Petrus und das bedeutet, daß es die Kirche, die Christus bauen wird und deren Existenz ganz auf dem göttlichen Erwählungshandeln ruht, nicht gibt und nicht geben kann ohne die von ihm erwählte, geschichtlich einmalige Person des Apostels Petrus. In ihm hat die Kirche, die Christus als geschichtlichirdische Größe auf der Grundlage des Messiasglaubens ihrer Glieder erbauen will, ihren Fels, d. h. ihre unauswechselbare, dauernde Grundlage, bis zum Endgericht. Wann aber wird Jesus seine Kirche erbauen, wann seine messianische Gemeinde endgültig um sich sammeln? Zweifellos ist, wie das W o r t von
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den „Pforten der Hölle" zeigt, an die Endzeit gedacht. Damit kann aber sinnvollerweise nicht gemeint sein, daß die Auferbauung der Gemeinde erst mit dem Kommen des Endreiches einsetzen wird, wohl aber, daß sie erfolgen wird durch die großen Heilstaten Christi, durch die in Bälde die entscheidende Äonenwende und damit proleptisch schon die Endzeit herbeigeführt wird: durch den Kreuzestod Christi, seine Auferstehung und abschließend durch seine Geistsendung an Pfingsten. Das geht unmittelbar hervor aus der Pfmgstpredigt des Apostels Petrus, der - von der ihm übergebenen Schlüsselgewalt zum ersten Mal Gebrauch machend - der im Tempel versammelten Pfingstschar verkündet (Apg. 2, 14fr.): Der von den Juden gekreuzigte Jesus ist vom Vater auferweckt und durch seine Auf erweckung endgültig als der „Messias und Herr" offenbar geworden. Von ihm ist auch der Hl. Geist, nachdem er ihn vom Vater empfangen hat, auf die pfingstliche Gemeinde ausgegossen worden. Eben damit aber, daß das alles jetzt an Pfingsten geschieht und offenbar wird, wird der Gemeinde der volle Messiasglaube ermöglicht, durch den sie erst als die neue, messianische Gemeinde geschichtlich in Erscheinung tritt. Im Lichte der pfingstlichen Geistausgießung, durch die der Gekreuzigte „allen insgesamt" als der siegreiche Messias erkennbar wird, werden die kirchengründerischen Akte des irdischen Jesu erst verständlich als das, was sie sind: als vorbereitende Verheißungsakte auf die Stiftung der Kirche hin, die abschließend durch den Kreuzestod Christi, seine Auferstehung und seine Geistsendung erfolgt.
b) Jesus Christus hat die Stiftung seiner Kirche ins Werk gesetzt durch seinen Kreuzestod, seine Auferstehung und seine Geistsendung Durch seinen Kreuzestod Was Jesus als der kommende Messias während seines irdischen Wandeins gewirkt hat, wird „vollbracht", d. h. in Kraft und Geltung gesetzt, durch seinen Kreuzestod. Zwar werden die Jünger nicht unmittelbare Zeugen seines Todes. In Voraussicht ihrer Flucht versammelt Jesus die Zwölf am Vorabend seines Leidens zum Abendmahl, durch das er ihnen seinen Heilstod ankündigt und sie durch die Spendung der Abendmahlsgaben proleptisch schon an dessen Segensmacht teilnehmen läßt. Nicht nur führt er sie verkündigend durch sein Wort vom „Lösegeld" und „Bundesblut" in das Geheimnis seines Todes ein, sondern er gibt ihnen bereits schon Anteil an der Vergebung und am neuen Leben, die durch seinen Tod gewirkt werden sollen. Dadurch „schafft" der scheidende Erlöser die Jünger zu seiner endzeitlichen Gemeinde, die von seinem Heilstod
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lebt. In diesem Sinne ist das Abendmahl der „grundlegende Akt der Kirchengründung Jesu" (Kattenbusch). Durch sein Stiftungswort aber („Tuet dies zu meinem Gedächtnis") übergibt der scheidende Erlöser den Jüngern den Auftrag, zur erinnernden Vergegenwärtigung seines Heilstodes das Abendmahl zu feiern, bis er selbst wiederkommt. Er macht sie damit nicht nur zu „Prototypen der feiernden Gemeinde", noch gibt er ihnen nur einen Auftrag, sondern er übergibt ihnen mit der Verheißung seiner immer neuen Gegenwart in der Abendmahlsfeier proleptisch den Auftrag und die Bevollmächtigung, die kultische Vergegenwärtigung seines Heilstodes zu vollziehen (nach dem Sprachgebrauch der späteren Kirche: die „Weihe"vollmacht). So werden die Jünger durch das letzte Abendmahl nicht nur Glieder der Gemeinde, die von seinem Heilstod lebt, sondern zugleich Träger des die Gemeinde begründenden Amtes der Versöhnung. In diesem heilsgeschichtlichen (nicht institutionellen) Sinne ist die Kirche durch ihr Gegründetsein im letzten Abendmahle Sakraments- und Amtskirche von Anfang an. Der Meinung, daß die Kirchwerdung eine vom historischen Jesus ungewollte Wirkung seines Kreuzestodes auf die ihn verehrenden, zu seinem Gedächtnis sich versammelnden Jünger war, ist entgegenzuhalten, daß Jesus den Tod in freiem Gehorsam als seine Tat auf sich genommen (Jo. 1 3 , 1 ) und dessen fortdauernde Vergegenwärtigung im Abendmahl ausdrücklich angeordnet hat. Die Kirche ist ein bewußtes Werk seines messianischen Heilswillens, das er durch seinen Tod „vollbracht" und durch die Abendmahlsstiftung besiegelt hat. Durch seine Auferstehung Die ekklesiologische Bedeutung der Auferstehung Christi hegt darin, daß durch sie Christus seiner Gemeinde endgültig als ihr Messias und Herr offenbar wird und daß er sich ihr mit seinen himmlischen Auferstehungskräften dauernd zu eigen gibt. Erst im Verherrlichten wird offenbar, wer Er selbst ist und was seine Gemeinde ist (E. Gaugier zu Jo. 17, 13), noch mehr: Erst durch seine Auf erstehung wird die Kirche als die „neue" Wirklichkeit inmitten der alten, todgeweihten Welt Ereignis, wird sie der Bereich, in welchem die Kräfte der zukünftigen Auferstehungswelt bereits wirksam sind. Aber wie Christus auferstanden ist als der Gekreuzigte, so wirken die Auferstehungskräfte nur in der Kirche, die vom Heilstode Christi lebt. Nur in der Einheit mit seinem Kreuzestod ist die Auferstehung Christi als die Macht wirksam, die die Kirche schafft. Das darf wiederum nicht dahin verstanden werden, daß die Kirchwerdung eine von Christus selbst ungewollte Auswirkung seiner Auferstehung auf die Jünger war, die, unter dem niederschmettern-
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den Eindruck seines Kreuzestodes stehend, erst durch die Erscheinungen des Auferstandenen dazu bewogen worden seien, sich zur Gemeinde zusammenzuschließen. W i e der Tod, so war die Auferstehung die Tat seines eigenen, freien Erlösungswillens 0 o . 10, 17, 18), in den auch der Wille zur Kirche eingeschlossen war. Diese schafft der Auferstandene, indem er die Gläubigen jetzt schon in die Auferstehungswelt aufnimmt und sie in das himmlische Wesen versetzt (Eph. 2, 6). Den Aposteln aber, die er in besonderer Weise zu Augenzeugen seiner Auferstehung macht, übergibt er als der Erhöhte, der sich nunmehr im uneingeschränkten Besitze der göttlichen Vollmacht weiß (Mt. 28, i8ff~.; Jo. 20, 2iff.), den Auftrag und die Bevollmächtigung zur Verkündigung des Evangeliums. (Nach dem Sprachgebrauch der späteren Kirche: die „Verkündigungsvollmacht".) Durch seine Geistsendung Wenn auch vom pneumatischen Ursprung der Kirche noch besonders die Rede sein wird, so muß doch einer Auffassung gegenüber, die in der Kirche eine rein charismatische Größe sehen will, die angeblich mit Christus in keinem direkten Stiftungszusammenhang steht, jetzt schon mit Nachdruck betont werden: Die Kirche ist nicht erst durch die Geistsendung an Pfingsten geschaffen worden. Vielmehr hat an Pfingsten der erhöhte Christus den Hl. Geist auf die Kirche gesandt, zu der er selbst durch sein irdisches Wirken den Grund gelegt und die er durch seinen Tod und seine Auferstehung geschaffen hat. Das besondere W e r k des Hl. Geistes ist es, daß er der von Christus geschaffenen Kirche das Leben gibt und sie der Welt gegenüber als geschlossenen Bereich in Erscheinung treten läßt. Der Hl. Geist vollendet, was Christus zuvor ins W e r k gesetzt hat. Er tut es, indem er der Gemeinde das W o r t und das Heilswerk Christi vergegenwärtigt und aneignet. Das aber geschieht an Pfingsten grundlegend durch das W o r t und das Handeln der Apostel (insbesondere des Apostels Petrus), die durch den Hl. Geist zum autoritativen Zeugendienst und zum Leitungsamt über die werdende Kirche berufen werden. Indem er sich durch die Sendung des Hl. Geistes als der bleibende und künftige Herr seiner Gemeinde bezeugt, übergibt Christus den Aposteln die „Hirtenvollmacht". Nicht gemeint ist mit dem über die Apostel Gesagten, daß ihre „Weihe-, Lehr- und Hirtenvollmacht", wie sie die spätere Kirche verstanden hat, aus den drei Heilstaten, bzw. dem dreifachen Amt Christi, im einzelnen schematisch „abzuleiten" sind. Damit würde das Zeugnis des Neuen Testamentes überinterpretiert. W o h l aber muß vom kerygmatischen Gehalt der einschlägigen biblischen Aussagen her gelten, daß durch die
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dreifache Sendung, Beauftragung und Bevollmächtigung, die durch den Herrn an die Apostel und in ihnen an die Gemeinde ergeht, diese berufen werden, in Repräsentation des dreifachen Amtes Christi sein Heilswerk fortzusetzen, als seine Diener sein Evangelium zu verkünden, seine Sakramente zu verwalten, sein Hirtenamt auszuüben. c) Ihren tragenden Grund hat die Kirche in der Person Christi, dem Menschensohn, Messias und Gottessohn Mit der Selbstbezeichnung Menschensohn gibt Jesus von Anfang an kund, daß er sich nicht als individuelle Gestalt versteht, sondern im Sinne der Danielschen Weissagung als Repräsentanten „des Volkes der Heiligen des Allerhöchsten, dem alle Völker dienen müssen, dessen Macht ewig ist und dessen Reich nicht zerstört werden wird" (Dan. 7, 27). Indem Jesus diese Hoheitsaussage auf sich bezieht und sie mit der Weissagung seines Leidens und Sterbens verbindet, offenbart er sich seinen Jüngern in verhüllter Weise als Menschensohn, der sich, wie durch sein Leiden und Sterben, so auch durch die ihm für die Zukunft verheißene Erhöhung „sein Volk der Heiligen" heranbildet und schafft. Er schafft sich sein Volk durch sein Sein als Menschensohn, wenn auch dieses Sein für Jesus nicht ein in sich ruhender und abgeschlossener Besitz ist. Vielmehr wird er der Menschensohn, der er von Anfang an ist, erst durch sein fortschreitendes heilsgeschichtliches Wirken, dessen Vollendung noch aussteht (F. Kattenbusch). Darum kommt es zur Stiftung der Kirche durch den Menschensohn ebenfalls durch einen fortschreitenden Prozeß des „Werdens". Ähnliches ist zu sagen vom Würdenamen Messias, den Jesus für sich selbst meidet, den er aber aus dem Bekenntnis seiner Jünger (Mt. 16, 16 ff.) und dann aus der Anklage des Hohepriesters (Mt. 26, 64fr.) entgegennimmt. Wie zum Menschensohn gehört zum Messiaskönig ein Volk. Als der erwartete Heilskönig der Endzeit gibt sich aber Jesus - und damit bereitet er allen falschen, nationaljüdischen Messiaserwartungen ein Ende - nur in der Weise zu erkennen, daß er sein Messiastum ganz in den Gehorsam Gottes stellt, der ihn in den Tod führt. Durch eben diesen seinen Tod aber eignet er sich sein Volk, seine Gemeinde, an, um es als der Auferstandene und Erhöhte ganz in seine Königsherrschaft aufzunehmen. Indem sich Jesus durch seinen Gehorsam als der wahre Messiaskönig erweist, offenbart er sich den Seinen zugleich als der Sohn Gottes. Der Sohnestitel bringt zum Messiastitel gewissermaßen die inhaltliche Füllung. Er ist zwar der Sohn von Anfang an, der „ewige Sohn". Aber als der
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ewige Sohn hat er „an seinen (messianischen) Leiden den Gehorsam gelernt und wurde so, als er die Vollendung erreicht hatte für alle, die ihm Gehorsam entgegenbringen, der Urheber ewigen Heils" (Hebr. 5, 8, 9). Das heißt: Durch den Gehorsam, den der Sohn selber erst lernt, wird er der Retter seiner Brüder, die „ i h m Gehorsam entgegenbringen", und gliedert sie so ein in die Gemeinde. W e n n es v o m Sohne weiter heißt, daß in ihm das W o r t Fleisch ward (Joh. 1, 14), so kann daraus nicht gefolgert werden, daß Christus die Kirche schon durch seine Inkarnation geschaffen hat oder gar, daß die Kirche deren Fortsetzung sei. Vielmehr ist die Inkarnation, wie die Grundlage seines erlösenden Wirkens, so auch nur die Grundlage seiner Kirchenstiftung. Festzuhalten ist aber die Erkenntnis, daß allein von der Inkarnation und Gottessohnschaft Jesu Christi her seine Kirchenstiftung voll verständlich wird: D a ß sie nämlich nicht bloß eine „Gründung", sondern eine Schöpfung Gottes ist. Zusammenfassend kann gesagt werden: Christus hat die Kirche als seine Gemeinde der Endzeit geschaffen als Menschensohn, Messias und Gottessohn, der als dieser Sohn das W o r t Gottes ist, das Fleisch ward. In diesem seinem einzigartigen, geheimnisvollen Personsein hat er während seines irdischen Wirkens die Stiftung seiner Kirche durch die Berufung der Jünger, die Auswahl und Aussendung der Apostel wie durch sein W o r t an Petrus, vorbereitet, durch seinen T o d und seine Auferstehung ins W e r k gesetzt und durch die Geistsendung vollendet. Die Entscheidung darüber, ob Christus eine Kirche gestiftet hat, ist nicht bloß eine „historische", sondern eine heilsgeschichtliche Frage. Ihre Beantwortung steht und fällt mit dem Glauben an seine volle, ewige Gottessohnschaft.
2. Der christologische Ursprung der Kirche in ihrem Fortgang Den göttlich-christologischen Ursprung der Kirche in ihrem Fortgang bezeugen die Apostel und die Urgemeinde, wenn sie nun ihrerseits ihr W o r t zur Kirche verkünden. W a s sie über die Kirche sagen, ist zwar immer auch - was nicht übersehen werden darf - eine Beschreibung der historischen, konkreten Kirche ihrer Zeit, ihres „Erscheinungsbildes". Aber in diesem ihrem Erscheinungsbild und darüber hinaus ist ihr W o r t über die Kirche Botschaft von der Kirche, auf die wir im Glauben zu hören haben. Diese Botschaft besagt:
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a) Die Kirche ist der Leib Christi Die Leib-Christi-Formel ist schon bei Paulus nicht eindeutig. Es lassen sich in seinen Briefen im wesentlichen drei Auffassungen unterscheiden. 1. Kor. 12, iofF. vergleicht Paulus die Gemeinde in der Einheit und in der Vielheit ihrer Dienste nach einer in der Antike weit verbreiteten Bildrede mit dem Organismus des menschlichen Leibes. Es wird kein besonderer Akzent darauf gelegt, daß die Kirche als dieser Organismus der Leib Christi ist. Paulus will vielmehr sagen, daß die Gemeinschaft, die die Gläubigen untereinander in Christus haben, einem leiblichen Organismus vergleichbar ist und daß dieser sie in Christus zum gegenseitigen Dienst verpflichtet. Rom. 12, 4S. geht Paulus einen Schritt weiter, indem er erklärt, daß der Leib, den die Gläubigen miteinander darstellen, darin seine Einheit hat, daß sie alle in Christus sind. Die Gemeinde ist der Leib, der von der Kraft Christi durchdrungen wird und ist eben darin „Leib in Christus". V o n dieser Botschaft der Frühpaulinen zu unterscheiden sind die Aussagen des Epheser- und des Kolosserbriefes (Eph. 1, i8fF.; 2, 15ff.; 4, I5ff.; 5, 22ff.; Kol. 1, I3ff.; 2, 15ff".). Für sie ist die Leibformel eindeutig nicht bloß eine Bildrede, sondern die Kirche ist für sie der Leib Christi in Wirklichkeit. Es ist auch nicht bloß an die Einzelgemeinde, sondern an die Kirche als Ganzes gedacht. Sie gehört zu Christus, wie der Leib (eigentlich der Rumpf) zum Haupt. Daß Christus das Haupt und die Kirche sein Leib ist, besagt nicht nur, daß er das Oberhaupt, der Herr der Kirche ist, sondern auch, daß die Kirche im erhöhten Herrn, der zugleich das Haupt der Schöpfung ist, gegründet und geschaffen ist und daß sie durch die Erlösungskräfte, die von ihm ausgehen, ständig auferbaut wird. Daraus ergibt sich die weitergehende Bestimmung des Epheserbriefes, daß die Kirche von Christus her und auf Christus hin, in welchem sie ihren Schöpfer und Erlöser hat, wächst, so daß beide schließlich eine Einheit bilden. Durch Vermittlung des Begriffes der Fülle (pleroma) wird die Kirche gekennzeichnet als der Leib, der vollen Anteil am göttlichen Leben des Erlösers hat. Indem der Leib im Heranwachsen zum Haupt, zu Christus, mit dessen Fülle beschenkt wird, bilden sie zusammen ein Ganzes: den ganzen Christus („totus Christus caput et corpus" formuliert Augustin). Diese Einheit ist aber nicht eine ontisch-naturhafte, sondern eine vom Erlöser immerzu gewirkte, so daß im Blick auf ihre Einheit wohl gesagt werden kann: Christus ist die Kirche, nicht aber: Die Kirche ist Christus. Beizufügen ist, daß die Kirche als Leib Christi nicht zu identifizieren ist
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mit der Kirche als organisierter Gemeinschaft, mit der verfaßten Kirche. Der Leib Christi ist nicht einfach die societas perfecta. Richtig ist hingegen, daß, wie Eph. 4, 10-12 zeigt, wo im Zusammenhang mit den Pleromastellen vom Hl. Geist gewirkte Ämter namhaft gemacht werden (Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer), der Leib Christi von Anfang an Amtskirche ist. Ebenso ist die Kirche als Leib Christi nach Eph. 4, 4, 5 und 5, 26, wo die Taufe, und nach 1. Kor. 10, 17, wo das Abendmahl erwähnt wird, Sakramentskirche, wie sie nach Eph. 4,15 ff. Bekenntniskirche ist. Es ist uns darum verwehrt, die Kirche als Leib Christi der Kirche als „Institution" entgegenzustellen. Vielmehr muß gelten: Die Kirche ist als der Leib Christi, in welchem es Amt, Sakrament und Bekenntnis gibt, wie Heilsgemeinde, so Heilsstiftung (vgl. S.257 ff.) von Anfang an. Die Bezeichnung „mystisch" für die Kirche als Leib Christi ist verhältnismäßig späten Ursprungs. Sie wird zum ersten Mal im 9. Jahrhundert bezeugt, setzt sich aber endgültig erst im 12. Jahrhundert durch, und zwar zur Unterscheidung vom eucharistischen Leib Christi, der als „wahrer Leib" (corpus verum) gilt. Der Begriff „mystischer Leib" ist legitim und brauchbar insofern, als durch ihn das Geheimnis des jenseitig-christologischen Ursprungs der Kirche in ihrem Fortgang festgehalten wird. Nicht aber ist damit gesagt, daß es zur Mitgliedschaft am Leibe Christi nur durch die unio mystica (mystische Einigung) kommen kann. h) Die Kirche ist die Braut Christi Wenn im Alten Testament das Verhältnis Jahwes zu Israel gleichnishaft als Ehebund dargestellt wird (Hos. 1 ; Jer. 31, 32; Ez. 16), so tritt im Neuen Testament anstelle Jahwes der Messias und anstelle Israels die messianische Gemeinde (Mt. 9 , 1 5 ; Mt. 2 5 , 1 ; Mk. 2 , 1 9 ; Lk. 5,34; Apk. 19, 7). Indessen erscheint, der eschatologischen Grundhaltung des Neuen Testamentes entsprechend, Christus als Bräutigam, auf den seine Gemeinde hienieden als Braut wartet, bis er sie dereinst heimführen wird. Im Vordergrund steht das eschatalogisch-endzeitliche Moment, aber auch das der Wahl. Christus hat seine Gemeinde als seine Braut erwählt. Sie darf darum mit Sicherheit auf sein Kommen rechnen, wie sie ihm jetzt schon durch seine Treue und Liebe angehört. Endlich aber wird durch diese Bildrede ausgesprochen, daß die Kirche als Braut ihrem Bräutigam als selbständige Person gegenüber steht. Eph. 5, 21-33 geht das Bild über in dasjenige vom Ehebund. Dadurch wird mehr der Gedanke der dauernden Hingebung Christi an seine Kirche betont, aber zugleich ihr personales Gegenüber festgehalten.
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c) Die Kirche hat ihre Existenz darin, daß Christus mit ihr dauernd in Lebensgemeinschaft steht Mit diesem Satz soll die Wahrheit festgehalten werden, daß die Einheit, die zwischen Christus und der Kirche in ihrem Fortgang besteht, eine solche des Wirkens ist. Diese Botschaft wird im Neuen Testament auf verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht: Durch die Adam-Christus-Parallele (Rom. 5, uff.): Die Kirche ist das neue Menschengeschlecht, das sein Haupt und Urbild in Christus, dem „zukünftigen" Adam, hat. Durch die Botschaft vom Gestorben- und Auferstandensein der Getauften mit Christus (Rom. 6, 1 - 4 ) : Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die, mit Christus gestorben, mit ihm auferstanden sind und Gott leben. Damit verwandt sind folgende Aussagen: Christus ist der „Erstgeborene unter vielen Brüdern", das „Ebenbild Gottes", dem die Gläubigen dereinst „gleichgestaltet" werden sollen (Rom. 8, 29). Christus ist als der Auferstandene der „Erstling derer, die entschlafen sind" (I. Kor. 1 5 , 20). W e r in ihm ist, ist eine „neue Kreatur" (II. Kor. 5, 1 7 ; Gal. 6, 15). Durch das W o r t v o m guten Hirten (Jo. 10): D e r gute Hirte kennt seine Schafe und ruft sie zu sich. Er gibt sein Leben für sie dahin, die dadurch mit ihm so verbunden werden, wie es der Sohn mit dem Vater ist. Durch die Bildrede v o m Weinstock (Jo. 15, 1 - 8 ) : Christus ist der Weinstock und die Seinen seine Schosse. Sie stehen dadurch mit ihm in einem fortdauernden, wachstümlichen Lebensverband. Durch das hohepriesterliche Gebet um die Einheit (Jo. 17): Diese Einheit zwischen Christus und den Seinen soll so vollkommen werden, wie sie zwischen dem Vater und dem Sohne ist. Diese Einheit, die hienieden eine solche des Wirkens ist, wird in eschatologischer Sicht eine solche der Herrlichkeit sein. W i e Christus verherrlicht wird, werden die Seinen mit ihm verherrlicht werden. Alle diese Aussagen sind auf die Kirche zu beziehen, auch wenn von dieser expressis verbis nicht die Rede ist. A n der Weltkonferenz für „Glaube und Verfassung" in Lund (1952) ist die Botschaft von der Einheit, in der Christus mit seiner Kirche lebt, unter Bezugnahme auf die angeführten Stellen in folgende Thesen zusammengefaßt worden: „Christus ist niemals ohne die Kirche und die Kirche niemals ohne Christus. Beide gehören unteilbar zusammen. Was Christus in einzigartiger Weise widerfahren ist, indem er ein für alle Mal um der Kirche willen starb und auferstand, das widerfährt auch der Kirche als seinem Leib auf ihrem Wege. Christus lebt in der Kirche und die Kirche in Christus."
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b) Der pneumatologische Ursprung i. Der pneumatologische Ursprung im Anfang Wie vom christologischen Ursprung, so ist vom pneumatologischen Ursprung der Kirche gesondert zu reden. So wahr der Hl. Geist eine andere Person ist als die des Sohnes, und seine Herabkunft an Pfingsten ein anderes und neues Offenbarungsereignis ist als die Epiphanie Christi, so wahr ist das Werk des Hl. Geistes an der Kirche ein anderes und neues: durch die Geistausgießung an Pfingsten erfolgt die Lebendigmachung der Kirche. Dadurch, daß sie erst durch die Geistausgießung das Leben empfängt, wird die Kirche eint „beziehentliche" Größe auch vom Hl. Geist her. In dieser ihrer neuen Ursprungsbeziehung lebt aber die Kirche zugleich in vollkommener Einheit mit Christus, so wahr der Hl. Geist als selbständige Person in der Einheit mit dem Sohn steht. Die Kirche des Geistes ist keine andere als die Kirche Jesu Christi. Beides, der selbständige Ursprung der Kirche aus dem Geist und ihre Einheit mit Christus ist im folgenden im Auge zu behalten. a) An Pfingsten wird durch den Sohn der Hl. Geist auf die Kirche gesandt, um sie als die Gemeinde der Endzeit ins Leben zu rufen Wenn an Pfingsten der erhöhte Christus den Hl. Geist, den er vom Vater empfangen hat, auf die Kirche sendet, so liegt der Ermöglichungsgrund dazu in der Tatsache, daß Christus schon während seines irdischen Wandeins der Geistträger schlechthin war. Als „das vom Geist Geborene" (Mt. i, 20; Lk. 1, 35) war der Gottessohn der Geistträger schon durch seine Geburt. Seine Inkarnation war schon seine Inspiration in dem grundlegenden Sinne, daß er sein Leben als Mensch gewordener Gottessohn ganz vom Hl. Geist her hat und von ihm fortwährend durchdrungen und geheiligt wird. Durch die Taufe im Jordan und die damit verbundene Geistsendung zu Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit (Mt. 3, 13 ff.) wird Christus nicht nur als der Geistträger „proklamiert", sondern zur Erfüllung seiner Sendung mit dem messianischen Amtsgeist ausgerüstet. Dadurch erfährt seine grundlegende Geistausrüstung in der Inkarnation eine bestimmte Konkretisierung und Einschränkung, nämlich auf sein messianisches Amt. Als der erst kommende Messias kann er den Hl. Geist allerdings noch nicht schrankenlos entfalten. Er kann ihn vor allem nicht anderen mitteilen. Erst nachdem er sein Erlösungswerk bis zum Tod am Kreuz in der Kraft des ihm gegebenen Hl. Geistes vollendet und Gottvater ihn auferweckt und erhöht hat, wird er zum Geistbringer. Als
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der Erhöhte sendet er den Hl. Geist auf seine Gemeinde (Jo. 7, 39), den diese allerdings erst für die Endzeit erwartet hat (Apg. 2, 17). Der Hl. Geist tritt damit aber nicht an die Stelle des Endreiches, sondern er kommt auf die Gemeinde hernieder als die entscheidende Vorweggabe des Reiches, um sie als ihr „Herr und Lebendigmacher" (Credo) jetzt schon zum endzeitlichen Leben zu erwecken, das im Endreich seine Vollendung finden wird. Bei diesem Lebendigmachen geht es nicht bloß darum, daß der Hl. Geist die von Christus geschaffene Kirche „belebt", so wie nach I. Mos. 2 Gott den aus Erde geformten Adam durch das Einhauchen des geschöpflichen Lebensodems belebt hat. Der Hl. Geist ist nicht nur eine lebensschaffende Kraft, sondern der Herr, göttliche Person, selbständige Hypostase. Sein Werk ist (wie das des Sohnes) ein neuschöpferischer Ur-Akt Gottes, der für das Werden der Kirche ebenso grundlegend ist, wie die Kirchenstiftung durch den Sohn. Der Hl. Geist ist die eschatologische Wirklichkeit der durch Jesus Christus geschaffenen Kirche und in diesem Sinne das „Neue an der Kirche" (K. Barth). Dieses Neue bedeutet, daß aus der bis jetzt auf den kommenden Messias und das Endreich wartenden Gemeinde die Kirche geworden ist, die im Hl. Geist den erhöhten und proleptisch auch schon den wiederkommenden Christus (und mit ihm den Vater) in ihrer Mitte hat. Dadurch wird die Kirche der dieser Welt entnommene endzeitliche Bereich, in welchem das Reich mit seinen himmlischen Kräften schon am Werk ist. Wie der Hl. Geist selbst, so wird die Kirche durch ihn eine Vorweggabe, eine Enklave des Endreiches inmitten dieser vergehenden Welt. Durch den Hl. Geist, der in ihr wohnt, ist der Kirche erst endgültig die Verheißung des Reiches gegeben, wie umgekehrt die Hoffnung auf das kommende Reich nur sinnvoll ist für die Gemeinde, die jetzt schon im Hl. Geiste lebt. b) Der Hl. Geist hat sich der ganzen Kirche als ihr Herr und Lebendigmacher ein für allemal verfiigbar gemacht, um sie zur Fortsetzung des Werkes Christi zu bevollmächtigen Pfingsten ist ein einmaliges heilsgeschichtliches Einbruchsereignis, das jeden Gedanken an eine Wiederholung ausschließt. Was Gott an Pfingsten getan hat, ist schlechterdings einmalig: Im übersinnlich-sinnlichen Geistwehen des Pfingstwunders ist Gott aus seinem Innersten herausgetreten, um der Kirche in ihrer übersinnlich-unsichtbaren, aber auch in ihrer sinnlich-sichtbaren Dimension dauernd „inseitig" zu werden. Er geht in die Kirche als Ganzes ein, bevor er sich einzelnen mitteilt, um ganz bei sich selbst bleibend - sich ihr ganz verfügbar zu machen. Nicht
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daß die Kirche nun selbst über ihn verfügen könnte, so daß alles, was sie in seinem Namen tut, lehrt und anordnet, auch schon als vom Hl. Geist gewirkt gelten könnte. Die Kirche ist nicht der Geist und „besitzt" ihn auch nicht. Aber der Geist ist die Kirchc. Er wird ihr fortzu geschenkt, wenn sie ständig um ihn betet und sich von ihm im Glauben immerzu bewegen und treiben läßt. Der Geist ist der Kirche nur verfügbar im personalen Gegenüber frei handelnder Subjekte (vgl. S. 159 f.). Aber in diesem Gegenüber ist er der Kirche seit Pfingsten dauernd gegeben. Das Werk, das der der Kirche gegebene Hl. Geist tut, ist - seiner sinnlichübersinnlichen Natur entsprechend - ein äußeres und inneres zugleich. Indem er an ihr wirkt, grenzt er sie nach außen als eine Gemeinschaft ab, die mit keiner anderen menschlichen Gemeinschaftsordnung vergleichbar ist. Das geschieht an Pfingsten urbildlich durch das Sprachwunder, das nicht - wie das Zungenreden - ein innergemeindliches Ereignis, sondern nach außen gerichtet ist zum Zeichen dafür, daß die Kirche als ein geschlossenes Ganzes in die Geschichte dieser Welt eingetreten ist. Der Nachdruck im Pfmgstbericht liegt indessen nicht auf dem Sprachwunder, sondern darauf, daß der Gemeinde als diesem Ganzen der Hl. Geist zum (prophetischen) Zeugendienst für Christus und sein Reich gegeben wird. Durch die nachpfingstlichen neutestamentlichen Zeugen (Johannes und Paulus vor allem) werden mit größerem Nachdruck die vom Hl. Geist gewirkten inneren Heilsvorgänge verkündet, die Grund und zugleich Ziel dieses Zeugendienstes sind. Der Hl. Geist ist es, der in den Gliedern der Gemeinde (subjektiv) den Glauben, die Liebe, die Hoffnung wirkt und als deren (objektive) Entsprechungen die Rechtfertigung, die Heiligung und die endzeitliche Berufung (K. Barth). Das sind gleichsam die allgemeinen Gaben des Hl. Geistes, unter denen die größte die Liebe ist: Die Kirche des Geistes ist wesentlich Liebeskirche, die als solche die Zeit überdauern wird (1. Kor. 13, 13). Aber der Hl. Geist schafft an den einzelnen immer auch besondere, vorübergehende oder dauernde Gaben (Charismen) und zeitigt bestimmte Geistesfrüchte. In ihrer Besonderheit haben sie alle dem Ganzen zu dienen und sind der einen Gabe der Liebe untergeordnet. Sie dienen letzterdings der Verherrlichung Gottes und seines Reiches und haben in diesem umfassenden Sinn alle - zur Errettung der Welt - Zeugnischarakter. So verstanden, wird die Kirche durch den Hl. Geist, der sie zum Zeugendienst bevollmächtigt und in ihr als der einzig wirkliche „Vicarius Christi" (Tertullian) nach außen und innen seine Herrschaft ausübt, zur endgeschichtlichen Vorläuferin des kommenden Reiches in dieser Welt.
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c) Der Hl. Geist wird den Aposteln in ihrer Vorordnung vor der Kirche in besonderer Weise zur Ausführung ihres Auftrages gegeben Wenn, wie wir gesehen haben, erst mit der pfingstlichen Herabkunft des Hl. Geistes auf die Gemeinde die Apostel zur Übernahme ihres Zeugendienstes und Hirtenamtes berufen werden, so geschieht dies nicht im Widerspruch, sondern im Einklang damit, daß der Auferstandene die Jünger bereits am Ostertag (Jo. 20, 21 ff.) mit dem Hl. Geist ausgerüstet hat. Die Geisthauchung durch den Auferstandenen an Ostern ist nicht eine partielle Vorwegnahme der pfingstlichen Ausgießung, noch eine bloße Parallele zum Pfingstgeschehen, sondern sie wirkt die Ausrüstung der Apostel mit dem „Amtsgeist" in der Vorordnung vor der Gemeinde, die als solche erst an Pfingsten in Erscheinung tritt. Sie steht insofern in Parallele zur Geisttaufe Jesu am Jordan, durch die Jesus mit dem messianischen „Amtsgeist" versehen worden ist. Nur erfolgt die Geistbegabung hier und dort in umgekehrter Reihenfolge: Die Apostel empfangen den Amtsgeist, bevor sie zu Trägern des der Gemeinde geschenkten Geistes in seiner ganzen Fülle werden, während der Messias diesen am Jordan empfängt als der, der schon von Anfang an im Vollbesitz des Geistes ist. Aber auch die Apostel empfangen den Geist vom Auferstandenen im Sinne einer konkreten Einschränkung auf ihren Auftrag, den sie zum ersten Mal an der Pfingstgemeinde erfüllen. Wie die Apostel durch den Stiftungswillen des irdischen, gekreuzigten und auferstandenen Christus der werdenden Kirche vorgeordnet werden, so werden sie es am Ostertag auch durch den Hl. Geist. Darum steht ihr ganzer Zeugendienst, den sie an Pfingsten aufnehmen, ihre Verkündigung, ihr Lehren, Taufen und Handauflegen, stehen aber auch ihre sonstigen Anordnungen und Maßnahmen, selbst ihre Missionsreisen, ganz unter dem Zeichen dieser Vorordnung vor der Gemeinde durch den Hl. Geist, unter dessen Herrschaft sie handeln. Eine besondere Frage, die hier nicht unbeantwortet bleiben soll, ist die, wie weit die vom Hl. Geist zum Zeugendienst gerufene Kirche der Apostel über das eigendiche Kerygma (Botschaft) Christi hinausgehen kann, bzw. darf. Nach Jo. 14, 26 gibt nämlich der scheidende Erlöser den Jüngern die Verheißung: „Der Anwalt aber, der Hl. Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." Es ist klar, was mit dem „an alles erinnern" gemeint ist: Die Jünger sollen in der Kraft des Hl.Geistes das Wort Christi der Gemeinde so vergegenwärtigen, daß sie es als Christi Wort erkennt und sich aneignet. Mit dem „alles lehren" hingegen ist mehr gemeint: Die Jünger sollen und dürfen in der Kraft des Hl.
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Geistes mehr sagen als das, was Jesus verkündet hat. Der Hl. Geist wird dadurch nicht eine zweite Offenbarungsquelle neben Christus. Wohl aber wird durch den Hl. Geist das, was Christus verkündet und gewirkt hat, in seinem tiefsten und entscheidenden Gehalt erst offenbar. Und tatsächlich haben die nachpfingstlichen Zeugen des Neuen Testamentes (insbesondere Johannes und Paulus) „alles", was in Jesus Christus geschehen war, weit über das hinaus, was er selber nach dem Bericht der drei ersten Evangelisten gelehrt hat, verkündigend entfaltet. Aber diese entfaltende Offenbarmachung des Kerygmas Christi durch die nachpfingstlichen Zeugen ist mit dem apostolischen Offenbarungszeitalter endgültig abgeschlossen und bleibt für das, was die nachfolgende Kirche „alles lehrt", normativ. 2. Der pneumatologische Ursprung im Fortgang a) Der Hl. Geist wirkt in der Kirche in der Weise weiter, daß er sie mit Christus eint Wie am Anfang, so bleibt der Hl. Geist der Kirche auch in ihrem Fortgang als ihr Herr und Lebendigmacher gegenwärtig, indem er sie mit Christus eint. Diese Einigung wird dadurch ermöglicht, daß Christus wie der Ausgangspunkt (Subjekt), so der Weg (copula) und das Ziel (Objekt) der Geistsendung ist. Er ist es, der, wie an Pfingsten, so auch der Kirche in ihrer Fortdauer durch die Jahrhunderte als ihr himmlischer König den Hl. Geist sendet. Er ist es sodann, durch den, nämlich durch dessen verklärte Menschheit, in der sein Heilswerk im Himmel aufgehoben ist, der Hl. Geist in die Kirche Eingang findet. Und endlich ist Christus das Ziel der Sendung des Hl. Geistes darin, daß dieser sein Werk tut im Bereiche der von Christus erlösten Menschheit, an der Kirche, die sein Leib ist. Als Werk des Hl. Geistes ist die Kirche in ihrer Einheit mit Christus ein zeitlich und räumlich in sich geschlossener Bereich. In ersterer Beziehung heißt das, daß die Kirche des Geistes mit der Kirche Christi zeitlich zusammenfällt und ihr nicht erst in einer späteren Zeitperiode nachfolgt. Dies ist zu sagen gegen die Lehrmeinung, daß auf das Zeitalter des Vaters (des Alten Testamentes) und auf dasjenige des Sohnes (des Neuen Testamentes), das Zeitalter der Kirche als dasjenige des Hl. Geistes erst folgt (so Sabellius um 200) oder gegen die ähnliche Lehre, daß das gegenwärtige Zeitalter der Christuskirche abgelöst werde durch die Geistkirche der Zukunft (so Joachim von Fiore, f 1202). Solche oder ähnliche Spekulationen haben in der Hl. Schrift keinen Anhalt. Richtig
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ist nur, daß die Christusgemeinde als die Enklave des Hl. Geistes, die sie jetzt schon ist, eine Vorweggabe des zukünftigen Endreiches ist, in welchem der Hl. Geist erst zur vollen Entfaltung kommen wird. Ebenso irrig ist es, anzunehmen, daß der Hl. Geist auch unabhängig von Christus, außerhalb seiner Gemeinde, am Werke sei: im Heidentum oder im allgemeinen KulturschafFen der Menschheit. Selbstverständlich vermag der Hl. Geist die Schranken der irdisch-geschichtlichen Kirche jederzeit zu durchbrechen. Er ist nicht an sie gebunden. Aber das heißt nicht, daß der Hl. Geist, der immer der Geist des Sohnes ist, außerhalb des Bereiches der von ihm erlösten Menschheit, selbständig am Werk sei. Der Geist, der außerhalb dieses Bereiches wirkt, ist der Geist Gottes in einem weiteren Sinn, ist Gott in seiner Ur-OfFenbarung, durch die er seine „Hoheit und Macht" (Rom. i , 2ofF.) in den Werken der Schöpfung und im Gewissen der Menschen (Rom. 2, i2ff.) kundgibt, um sie zur Anbetung und Befolgung seines Willens zu führen. „Geist" bezeichnet in diesem Fall nichts anderes als die göttliche Vernunft, den „Logos", der, wie schon vor Christus (Jo. 1, 3), so auch außerhalb der Christenheit und der Kirche die Menschen mit seinem Licht erleuchtet. Von diesem Licht sagt Johannes allerdings, daß die Finsternis es nicht erfaßt (1, 5), wie auch Paulus davon spricht, daß die Menschen die in der Schöpfung offenbar werdende Wahrheit Gottes in Ungerechtigkeit darniederhalten. h) Nur in einem eingeschränkten Sinne kann der Hl. Geist als die Seele des Leibes Christi, der Kirche, bezeichnet werden
Schon die Kirchenväter und dann auch die scholastischen Theologen nennen den Hl. Geist mit Vorhebe das „Herz" oder die „Seele" des Leibes Christi. „Was die Seele für den Leib des Menschen ist, das ist der Hl. Geist für den Leib Christi, die Kirche" (Augustin). In dieser mit der Zeit formelhaft gewordenen Prägung hat dieser Vergleich auch in eine neuere päpstliche Enzyclica (Mystici corporis Pius XII) Eingang gefunden: „Wie Christus das Haupt der Kirche, so ist der Hl. Geist ihre Seele." Diese Bildrede ist dem Neuen Testament fremd, aber sie hat als Zeugnis für den Fortgang des Wirkens des Hl. Geistes in der Kirche insofern eine gewisse Berechtigung, als durch sie im wesentlichen folgende Wahrheiten festgehalten werden: 1. Der Hl. Geist bleibt der Kirche dauernd verbunden. 2. Der Hl. Geist schafft und erhält in ihr das Leben. 3. Der Hl. Geist schließt die Kirche zu einem auch nach außen geschlossenen Organismus zusammen.
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Aber die Gefahren, die diese Bildrcdc für das Verständnis der Geistkirche in sich birgt, sind nicht zu übersehen. Es sind hauptsächlich zwei, die es hier zu beachten gilt: wenn der Hl. Geist in formelhafter Weise als Seele des Leibes Christi bezcichnct wird, kann allzu leicht außer acht gelassen werden, daß der Leib Christi nicht nur Organismus, vor allem nicht ein naturhafter Organismus, sondern als solcher immer auch die Sphäre persönlicher Entscheidungen ist, die seine Glieder als Personen im Gegenüber zur Person des Hl. Geistes zu vollziehen haben. Allzu leicht wird durch die Anwendung dieses Bildes die personhafte Selbständigkeit des vom Hl. Geist angesprochenen, mcnschlich-kreatürlichen Geistes, die „geistig-intentionale Wirklichkeit der Kirche" (Semmelroth) verkannt und der Hl. Geist an ihre Stelle gesetzt. Damit wird einem pneumatologischen „Monophysitismus" (vgl. S. 151) Vorschub geleistet, der kein Verständnis mehr dafür hat, daß der Hl. Geist auf die Kirche nur „mediante anima" (vermittels der menschlichen Seele oder des Geistes), nämlich vermittels der persönlichen Entscheidung ihrer Glieder einwirkt. Die zweite Gefahr geht in die umgekehrte Richtung und liegt darin, daß man im Sinne eines pneumatologischen „Nestorianismus" (vgl. S. 151) das, was in der Kirche geschieht, rein menschlich versteht, als Ausdruck des seelischen und geistigen Lebens ihrer Glieder, das durch den Hl. Geist bloß angeregt oder befruchtet wird - während das Wirken des Hl. Geistes - unter Berufung auf das W o r t „Der Geist weht, w o er will" 0 o . 3, 8) - als ein außerhalb der „institutionellen" Kirche sich ereignender Ausnahmefall betrachtet wird. Die geistig-intentionale Wirklichkeit der Kirche wird in diesem Fall wohl anerkannt, aber vom Hl. Geist und seinem freien Wirken in unzulässiger Weise getrennt. Keine dieser beiden Deutungsweisen wird dem Geheimnis der Geistwirkung auf die Kirche wirklich gerecht. Es ist darum von dieser Bildrede sparsam oder überhaupt nicht Gebrauch zu machen, wenn die Erkenntnis nicht verdunkelt werden soll: Der Hl. Geist ist in der Kirche nur wirksam durch das Medium des von ihm angesprochenen menschlichen Geistes, der sich mit ihm in freier Entscheidung zu einem Leben vereint. c) Die Kirche ist der lebendige Tempel des Hl. Geistes Daß die Gemeinde Gottes die „Stätte", das „Haus", der „Tempel" Gottes sein wird, gehört schon zum Grundbestand der endzeitlichen Erwartung des Alten Testamentes und des Spätjudentums 0es. 28, iöff.; Henoch 91, 13). Diese endzeitliche Verheißung sieht die christliche Gemeinde seit Pfingsten an sich selbst verwirklicht. So wie der Tempel zu Jerusalem die Stätte war, an der Gott sich offenbarte in seiner „sehe-
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china", im Lichtglanz, der in geheimnisvoller Weise seine persönliche Gegenwart ankündigt, so nimmt jetzt der Hl. Geist in der christlichen Gemeinde - wie die „schechina" - dauernd Wohnung. Die Gemeinde weiß sich als der ganz von der Gnadengegenwart des Hl. Geistes durchwaltete Tempel Gottes (1. Kor. 3, iöff.). Daß 1. Kor. 6, 17 der Leib ( = der ganze Mensch) der Erlösten als Tempel des Hl. Geistes bezeichnet wird, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern ist eine Folge seines Weilens in der Gemeinde (nicht umgekehrt). Betont ist dabei, daß die Gemeinde in ihren Gliedern ständig vom Hl. Geist auferbaut wird, sofern sie sich im personalen Gehorsam ihm unterstellt. Die Gemeinde ist in ihren Gliedern der stets lebendige, weil stets im Aufbau begriffene Tempel Gottes. Wird dieses Aufbauwerk durch den Ungehorsam der Erlösten gehindert oder beeinträchtigt, so werden diese gleichsam als Tempelschänder durch Gott vernichtet. „Denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr." Darum bedarf die Gemeinde, um als der lebendige Tempel des Hl. Geistes zu bestehen, ständig der Mahnung, des Kampfes und des Gebetes aller. Da zudem der Hl. Geist in seinen Gaben und Wirkungen nicht eindeutig ist, bedürfen diese ständig der Prüfung und Scheidung (1. Jo. 4 , 1 ) . Sie haben sich als Gaben des Geistes insbesondere dadurch auszuweisen, daß sie der Einheit der Gemeinde in der Liebe dienen (Eph. 4, 3 ff.). c) Der theologische Ursprung 1. Der theologische Ursprung im Anfang a) Die Kirche ist das auserwählte, heilige Volk Gottes Unter dem theologischen Ursprung der Kirche verstehen wir ihr Gegründetsein in Gott-Vater. In diesem Gegründetsein in Gott-Vater offenbart sich die Kirche als Gottes Volk. Dieser Begriff ist für die Kirche grundlegend und hat vor den beiden anderen Formeln - derjenigen vom „Leib Christi" und vom „lebendigen Tempel des Hl. Geistes" - den Vorrang, so wahr Gott-Vater als der Sendende den von ihm gesandten Sohn und Hl. Geist (bei voller Gleichheit ihres Wesens) übergeordnet ist. Diese Vorrangstellung der Volk-Gottes-Formel ist in der alten Kirche, bei den Kirchenvätern (Augustin, f 430), im Catechismus Romanus (1566), wie vor allem in der katholischen Liturgie noch festgehalten (und durch das II. Vatikanische Konzil wieder neu betont worden). In der römisch-katholischen Literatur der letzten Jahrzehnte war aber der Begriff „Volk Gottes" durch die Leib-Christi-Formel vielfach in den Hintergrund gedrängt oder dann, wie zum Teil im neueren Protestantis-
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mus, seines ursprünglichen Sinngehaltes entleert worden (das Volk Gottes wurde oft nur noch als „Zusammenschluß Gleichgesinnter" verstanden). Nach dem theologischen Vollsinn dieser Formel ist die Kirche das Volk Gottes darin, daß Gott-Vater durch den Sohn und den Hl. Geist die von ihm Erwählten zu einer aus der Welt herausgehobenen Ganzheit („religiösen Totalität") zusammenschließt: als sein „auserwähltes Geschlecht", seine „königliche Priesterschaft", sein „heiliges V o l k " , als „das Volk, ihm zum Eigentum" (I. Petr. 2, 9). Als dieses sein Volk steht die Kirche „unter dem Erbarmen" des Vaters, während die Draußenbleibenden als „Nichtvolk" „ohne das Erbarmen" Gottes sind. So ist die Kirche als Gottes Volk auch vom Vater her eine „beziehentliche" Größe, wie sie es vom Sohn und vom Hl. Geist her ist. Der Begriff „Volk Gottes" selbst ist ein Sammelbegriff, der im Neuen Testament verschiedene Wurzeln hat. Die wichtigste von ihnen ist der Begriff quahal, der im Alten Testament ursprünglich das Aufgebot einer Mannschaft (zur Beratung oder zum Kriegszug), in Verbindung mit dem Gottesnamen Jahwe das von Gott aufgebotene und ihm verpflichtete Volk bezeichnet. Die entscheidende Zusammenordnung der beiden Größen erfolgt durch die Bundesschließung auf dem Berge Sinai. Durch sie wird Israel dauernd zum Gottesvolk, das Gott sich erwählt, dem er sich zu eigen gibt und mit dem er seinen Heilsplan durchführen will. In dieser Prägung wird der Begriff vom Neuen Testament übernommen zur Bezeichnung der „Gemeinde Gottes", die sich um den Messias und Gottessohn schart. Dieser gibt sich, durch seinen Erlösungstod der Gemeinde in einer Weise zu eigen, daß Gott ihr nicht mehr bloß - wie im Alten Bund - „zugeordnet" bleibt, sondern mit ihr in eine dauernde Lebensgemeinschaft'eintritt. In diesem Sinne ist die neutestamentliche Gemeinde die „Kirche Gottes". In die unmittelbare Nähe zu diesem Begriff quehal Jahwe (Aufgebot Gottes) gehört der des Bundes (berith). Für ihn charakteristisch ist der Gedanke, daß Gott durch sein erwählendes Handeln eine autoritative Ordnung stiftet, an die er sein Volk bindet und durch die er mittels bestimmter Bundesorgane seinen gnädigen und gerechten Willen durchführt. Auf die neutestamentliche Gemeinde angewendet, bedeutet er, daß diese als Gottesvolk bestimmten göttlichen Ordnungen unterstellt ist. Ein weiterer Wurzelbegriff ist der des laos (Völkerschaft). Gemeint ist damit im Alten Testament die zu Gott gehörige Völkerschaft Israels im Gegensatz zu den Heidenvölkern. Der Nachdruck liegt darauf, daß diese Völkerschaft das einzige Volk Gottes ist. Z u ihm treten im Neuen Bund die Heiden hinzu, um mit Israel zusammen ein neues Volk, das „dritte Geschlecht" zu bilden. Die drei Begriffe zusammen dienen der Botschaft, daß Gott in seinem heils-
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geschichtlichen Handeln sich mit dem von ihm „aufgebotenen" Volk dauernd verbindet, ihm für seine Wanderschaft durch die Zeiten ganz bestimmte Ordnungen mitgibt, an die es gebunden ist und daß ihm die Zusicherung seiner Ausweitung zum Endvolk gegeben wird, das auch die Heiden umschließen wird. Das alles soll geschehen in Erfüllung des Wortes: „Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein" (3. Mos. 26, 1 1 ; Apok. 21, 3). Gott, der sich seinem Volke in dieser Weise zu eigen gibt, steht wie am Anfang, so am Ende des Weges, den die Kirche hienieden durch die Jahrhunderte zu durchwandern hat. Darum gilt:
b) Die Kirche ist als Erbin des alttestamentlichen Gottesvolkes Gottes Urvolk Es kann nach dem Gesagten zwar nicht, wie das vielfach geschieht, von einer „alttestamentlichen Kirche" gesprochen werden. Wohl aber hat die Kirche Christi im alttestamentlichen Geschehen ihr reales Vorausbild. Dieses Vorausbild ist gegeben nicht so sehr in den im Alten Testament aufeinanderfolgenden Bundesschließungen selbst, als vielmehr in der durch sie geschaffenen alttestamentlichen Heilsgemeinde. Sie ist Gottes Volk. Diese alttestamentliche Heilsgemeinde haben die Kirchenväter beginnen lassen entweder mit dem Bunde, den Gott mit Adam, mit Abel und Noah (als Repräsentanten der Menschheit) oder mit Abraham (als Stammvater Israels) oder mit Mose (als Begründer und Gesetzgeber des israelitischen Volkes) geschlossen hat. Gerade die Vielfalt der alttestamentlichen Bünde zeigt aber, daß wohl jeder an seinem Ort und zu seiner Zeit der eine, entscheidende, aber keiner von ihnen der eigentliche und abschließende Gottesbund war. Dieser sollte erst durch den kommenden Messias aufgerichtet werden. So sind denn die alttestamentlichen Bünde in ihrer Vielzahl und in der verborgenen Einheit, die sie in Gottes erwählendem Handeln haben, ein endgeschichtlicher Hinweis auf den neuen Bund, den erst Jesus Christus bringen wird. Dieser Hinweis zeichnet sich immer deutlicher ab, als Israel in seiner Gesamtheit bundesbrüchig wird. Gott macht, als Israel abfällt, seine Verheißung nicht rückgängig, sondern läßt sie übergehen auf den „Rest Jakobs" und, als auch dieser versagt, auf die von Gott verheißenen Heilsgestalten, den „Knecht Gottes", den „Menschensohn", den „Messias". Diese Heilsgestalten verkörpern sich nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes abschließend und endgültig in dem Einen und Einzigen: in Jesus Christus. In Ihm, dem Juden Jesus von Nazareth, dem Sohne Marias, durch den (wie die Genealogien Math. 1, 1 - 1 7 und ^.k. 3, 23-38 zeigen) die heilsgeschichtliche Kontinuität mit dem israelischen Urvolk gewahrt bleibt, erweist und vollendet sich die von ihm gestiftete Gemeinde als Gottes wahres Urvolk.
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c) Die Kirche ist als Vollenderin des alttestamentlichen Urvolkes Gottes Endvolk, das alle Völker umfassen wird In seinem irdischen Wirken weiß sich Jesus vorerst nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt, ohne daß er indessen die Heidenmission grundsätzlich ausschließt. Sein messianisches Wirken an Israel ist vielmehr getragen von dem Gedanken, daß auch die Heidenwelt, wenn auch erst nach seiner Wiederkunft, in das kommende Reich heimgeholt werden soll. Nachdem aber Israel sich der Botschaft Jesu verschloß und ihn ans Kreuz schlug, richtet der vom Tod Auferstandene an die Jünger die Aufforderung: „Gehet hin zu allen Völkern." Die Heirriholung der Heiden soll sich also schon vor seiner Wiederkunft vollziehen. Damit ist die ursprüngliche Erwartung, daß das Heil von Israel ausgehen wird, nicht preisgegeben. Das zukünftige Heil bleibt weiterhin an das Volk der Juden gebunden, auch wenn dieses Jesus verworfen hat. „Das Heil kommt von den Juden" (Jo. 4, 22). Paulus nimmt diese Linie auf und verkündet die Botschaft (Rom. 9 - 1 1 ) : Wenn das Evangelium hindurchgegangen sein wird zu den Heiden und die „Vollzahl" der Heiden (gemeint ist nicht: alle Heiden überhaupt, sondern die von Gott bestimmte Zahl unter den Heidenvölkern) ins Reich eingegangen sein wird, dann wird Gott auch Israel in Gnaden annehmen (vgl. S. i72fF.). Für die Kirche bedeutet dies, daß sie das Endvolk Gottes nicht sein wird ohne, sondern nur mit Israel. Die Kirche tritt nicht an die Stelle Israels (dies zu meinen ist schon der Anfang zum Antisemitismus). Vielmehr gehört Israel als Gottes Urvolk in die Kirche als Gottes Endvolk hinein. Gott, der sich nach seinem Heilsplan vorgesetzt hat, durch Israel die Welt zu erlösen, geht seinen Weg, gleichsam auf dem Umweg über die Heiden, siegreich zu Ende. Die Kirche der Endzeit wird die Kirche aus Juden und Heiden und eben darin sein Endvolk sein. d) Als Gottes Urvolk und Endvolk ist die Kirche das Volk Seines erwählenden Handelns Aus dem Umstand, daß die Kirche als Gottesvolk ihre Existenz dem erwählenden Handeln Gottes verdankt, ist nicht die nahehegende Schlußfolgerung zu ziehen, daß die Kirche aus der Gott allein bekannten Gesamtzahl der zum Heil erwählten Einzelpersonen bestehe und daß sie darum als solche unsichtbar sei. Dieser Gedanke ist in der kirchlichen Lehrentwicklung immer wieder vertreten worden, so - wenn auch im einzelnen in sehr verschiedener Weise - von Augustin, im Mittelalter von Gottschalk, Scotus Erigena und später von Wyclif und von Calvin. Das reformiert-schottische Bekenntnis erklärt geradezu: „Diese (wahre) Kirche ist unsichtbar, nur Gott bekannt, der alle diejenigen kennt, die
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er erwählt hat." In diesen und ähnlichen Definitionen ist nicht mehr daran gedacht, daß die Kirche als unsichtbare und sichtbare Ganzheit ihren Ursprung und ihre Existenz dem erwählenden Handeln Gottes verdankt, sondern daran, daß innerhalb der bereits bestehenden, konkretgeschichtlichen Kirche eine bestimmte Anzahl (ein numerus clausus) von Erwählten, die nur Gott bekannt sind, die wahre, unsichtbare Kirche bilde. Was aber die Bibel sagen will, reicht weiter und tiefer: Die Kirche, die auch als Gottes Urvolk und Endvolk nicht aufhört, unter der Androhung seines Verwerfungsurteils zu stehen, kann nicht bestehen, wenn sie von ihm nicht immer neu aus Gnaden erwählt wird. Erwählt wird sie - in allen ihren Gliedern, die stets Sünder sind - zum stellvertretenden Dienst zur Errettung der Welt. Sie ist ein auch in ihrem Erwähltsein defektes Werkzeug in Seiner Hand, das Er jederzeit wegwerfen könnte. Aber Er tut es in Treue zu Seiner universalen Heilsverheißung nicht, damit die Kirche die ihr aufgetragene Sendung an der W e l t erfüllen kann. Darin beruht das Geheimnis ihrer Erwählung.
2. Der theologische Ursprung im Fortgang W i e die Kirche als Gottesvolk ihren Ursprung, den sie im erwählenden Handeln Gott-Vaters hat, in ihrem Fortgang bewahrt, zeigt sich vor allem an der Stellung, die sie nach dem Zeugnis der Hl. Schrift der Schöpfung und dem kommenden Reich gegenüber einnimmt, die beide vornehmlich das W e r k des Vaters sind. a) Die Kirche und die Schöpfung U m die Stellung der Kirche zur Schöpfung einigermaßen klar zur Darstellung zu bringen, müßte das ganze Verhältnis der Schöpfungs- und Erlösungsordnung erörtert werden. Das kann hier nicht geschehen. Es können nur eben die aus diesem Verhältnis sich für die Kirche ergebenden Folgerungen kurz namhaft gemacht werden. Die Kirche ist in Christus der Schöpfung präexistent W i e Christus als der Sohn, der Mensch werden soll, im ewigen Heilsplan Gottes in der Vorzeit präexistiert, so präexistiert die Kirche in den Erwählten schon „ v o r der Grundlegung der W e l t " , schon vor der Schöpfung (Eph. 1,4). Die Kirche ist, bevor sie auf Erden in Erscheinung tritt, schon „in den Himmeln" (Eph. 1, 3). Sie ist, unbeschadet ihrer Geschöpflichkeit, ein himmlisches Gebilde. Als diese präexistente und himmlische Größe steht die Kirche hienieden in Christus jetzt schon in Gemeinschaft mit den himmlischen Heerscharen, mit deren Lobgesang
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Das AnHegen der altkatholischen Kirche
sie den ihrigen dereinst vereinen wird, so wie sie das jetzt schon in ihrem irdischen Gottesdienst als dem Abbild des himmlischen tun darf (Apk. 4, 8; 15, i , 2). Die Kirche ist in Christus der alten Schöpfung übergeordnet Die Kirche ist inmitten der übrigen, noch dem Tod und der Sünde verfallenen Schöpfung, eine Neuschöpfung Christi. Als solche ist sie aus der übrigen Schöpfung als sein Leib ausgesondert und ihr übergeordnet. Diese Überordnung verdankt sie allein Jesus Christus, dessen Hoheitsstellung, die er schon als Haupt der Schöpfung, der sichtbaren und unsichtbaren (der Geister und Mächte) einnimmt, dadurch überhöht worden ist, daß er zum Haupt des höchsten Gebildes der Heilsgnade Gottes, der Kirche, erhoben worden ist (Eph. 2, 1-10). Die Kirche ist die tätige Mitwisserin des göttlichen Heilshandelns an der Welt „Die Kirche ist nicht nur Objekt des göttlichen Heilshandelns, sondern Mitwisserin, Eingeweihte" (E. Gaugier). Ihr werden durch die Sündenvergebung die Gaben der „Weisheit und Erkenntnis" geschenkt, durch die sie Einblick gewinnt in die Geheimnisse des göttlichen Heilshandelns. Dadurch bekommt sie auch an Gottes Handeln selbst tätigen Anteil und steht mit ihm der Welt handelnd gegenüber (Eph. 1 , 4-16). Ihr wird darum die Erbberechtigung im Vollendungszeitalter in dem Sinne zugesprochen, daß sie in der erneuerten Welt der Zukunft eine Sonderstellung einnehmen wird: Sie wird mit dem wiederkehrenden Christus und den Engeln als die Gemeinschaft der bereits Vollendeten (der „Heiligen") auf die noch im Kampfe liegende Schöpfung herniedersteigen und sie mit ihm zusammen der Enderlösung entgegenführen (I Thess. 4 , 1 7 f f . ; II Thess. 1, 7ff.; Apk. 17, I4ff.; 19, I4ff.; 2 1 , 9ff.). b) Die Kirche und das kommende Reich Die Kirche dient der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes und seines Reiches Trotz der Hoheitsstellung, die die Kirche in Christus einnimmt, ist sie nicht das Endziel der Gedanken Gottes. Durch sie will Gott die Heilsverwirklichung noch nicht zu Ende führen. Als die Kirche seiner Erwählung ist sie bloß ein Werkzeug in seiner Hand. Sie ist sein endgeschichtliches OffenbarungsorgiM in dem Sinn, daß Gott an ihr aufzeigen will, was durch Christus und den Hl. Geist dereinst an allen geschehen soll. Sie ist das große „Demonstrativum" (Gaugier), an dem der Glaube ablesen kann, wie Gott seinen Heilsplan zu Ende führen wird: durch den Reichtum seiner Gnade. Was durch die Kirche geschieht,
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kann darum niemals ihr selbst dienen. Sie ist sich nicht selbst Zweck. Was sie ist und was sie tut, dient - wie Paulus gerade im Zusammenhang seiner plerophorsten, gefülltesten Aussagen über die Kirche betont allein dem Erweise des „überwältigenden Reichtums Seiner Gnade" (Eph. 2, 7) „ d e m Lobe Seiner Herrlichkeit" (Eph. 1 , 14). Als Offenbarungsorgan der Herrlichkeit Gottes ist die Kirche in dieser Welt der Brückenkopf und die Vorhut des kommenden Reiches Als Offenbarungsorgan der Herrlichkeit Gottes kann die Kirche nicht i m Gegensatz stehen zum Reich, noch ist sie dessen Ersatz (Loisy) oder „negatives Gegenbild". Sie ist aber auch nicht identisch mit dem Reich, weder indirekt, wie Augustin lehrte, der, in der Entgegensetzung zur civitas terrena (zum Staat) in der Kirche die civitas Dei (den Gottesstaat) verkörpert sah, noch direkt, wie das seit Gregor dem Großen mehr oder weniger deutlich die mittelalterliche Theologie vorausgesetzt hat. Das Verhältnis zwischen Kirche und Reich ist geheimnisvoller. Es ist nicht statisch, sondern dynamisch. W i r d nämlich das Reich Gottes nicht als zeitlich und räumlich abgeschlossenes „ R e i c h " verstanden, sondern als das königlich-machtvolle Handeln Gottes selbst, das in Jesus Christus seinen Anfang nahm, so ist die von ihm geschaffene Kirche nicht weniger, aber auch nicht mehr als der von ihm selbst bereitete Reichsboden, der diesseitige „Brückenkopf", von dem aus die kommende Gottesherrschaft in dieser Welt ihren Ausgang nehmen soll. Die Glieder der Kirche aber, die in Christus bereits auf dem Reichsboden stehen und an denen durch den Hl. Geist die Kräfte des kommenden Reiches, wenn auch „verborgen in Christus", bereits am W e r k sind, bilden die „ V o r h u t " des Reiches mitten in dieser Welt. Als dieser Brückenkopf und als diese Vorhut wird darum die Kirche, wenn das Reich kommt, nicht einfach als etwas „Vorläufiges" verschwinden, aber auch nicht triumphierend in dieses aufgenommen werden. A n ihr wird sich, schärfer noch als an der Welt, das Gericht Gottes vollziehen. „Das Gericht Gottes hebt an am Hause Gottes" (I. Petr. 4 , 1 7 ) . Sie wird durch dieses Gericht hindurch v o m barmherzigen Gott in das Reich heimgeholt werden. Das aber heißt: Die Kirche geht im kommenden Reich nicht unter, sondern sie geht (durch das Gericht hindurch) in das Reich des Vaters ein. So ist die Kirche von ihrem Ursprung her als das von Gott, dem Vater, erwählte Volk, als die von Gott, dem Sohne, geschaffene Gemeinde der Endzeit, als der von Gott, dem Hl. Geist, durchwaltete Tempel, das Werk des dreieinigen Gottes. Daß sie dieses Werk im Wandel der Zeit immerfort bleibe, das macht das Geheimnis ihres Wesens aus.
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I I . D A S W E S E N DER K I R C H E
a) Das Wesen der Kirche Es kann sich hier nicht darum handeln, das Wesen der Kirche in systematischer Vollständigkeit zur Darstellung zu bringen. Wir müssen uns vielmehr damit begnügen, jene Haupdinien der Lehre vom Wesen der Kirche hervorzuheben, die für das altkatholische Anliegen besonders wichtig sind. 1 . Das Wesen der Kirche besteht in ihrem Bleiben, bzw. Bleibensollen im Ursprung, den sie im dreieinigen Gott hat Wir verstehen unter dem Wesen der Kirche nicht irgendeine hintergründig-metaphysische Entität, von der die geschichdich-konkrete Kirche als deren Erscheinung zu unterscheiden wäre. Das Wesen der Kirche ist für uns schlicht der Inbegriff dessen, was - nach dem Abschluß des Offenbarungszeitalters - für ihre Existenz und für die Erfüllung ihrer Sendung an der Welt notwendig ist. Das kann aber nichts anderes sein, als das, was ihr durch ihren göttlichen Ursprung ein für allemal gegeben und aufgegeben worden ist. Das aber heißt: Das Wesen der Kirche kann nur darin bestehen, daß sie in ihrem Ursprung bleibt (W. Eiert). Dieses Bleiben im Ursprung kann indessen nicht nur bedeuten, daß die Kirche des nachapostolischen Zeitalters in direkter, historisch ungebrochener Kontinuität mit der Urkirche einfach alles weiterzuführen hat, wozu diese den Anfang machte. Vielmehr ist die Kirche, wie sie durch das Neue Testament bezeugt wird, von der Kirche des nachapostolischen Zeitalters durch einen tiefen Hiatus, der die Grenze des Offenbarungszeitalters bezeichnet, getrennt und hat für diese die Bedeutung einer Botschaft, durch die der Herr selbst ihr sagt, wie er Seine Kirche hienieden haben will. Nur durch das immer neue Hören auf die Botschaft des Herrn von der Kirche kann die nachapostolische Kirche im Ursprung bleiben, kann sie Kirche Christi, die Kirche des dreieinigen Gottes bleiben. Ihr Bleiben im Ursprung ist darum ein Bleibemo//e«. Ihr Wesen hat Sollenscharakter. 2. In ihrem Bleiben und Bleibensollen im Ursprung ist die Kirche corpus trium, in welchem sich das ihr gegebene Leben personhaft verwirklicht Wenn die Kirche nach ihrem Ursprung das Werk des dreieinigen Gottes ist, dann muß sie das auch in ihrem Wesen bleiben: corpus trium, Leib der
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drei göttlichen Personen (Tertullian, "f 223). Als dieses corpus trium ist die Kirche der Bereich, in welchem der dreieinige Gott an den Menschen handelt, die berufen werden, sich mit ihrem Handeln in das Handeln Gottes aufnehmen zu lassen. Dieses Handeln Gottes an den Menschen, die von ihm zum Handeln mit ihm berufen sind, kann nach seiner inhaltlichen Seite mit den Theologen der Ostkirche durch den johanneischen Begriff des Lebens umschrieben werden. Die Kirche ist wesentlich Leben, nämlich das vom dreieinigen Gott gewirkte und von den Gläubigen in personhafter Eigenständigkeit gelebte Leben (vgl. dazu das über den Hl. Geist Gesagte, S. 160). Die Kirche ist das irdische Gefäß des trinitarischen Lebens Gottes nach der Seite seines Geoffenbartseins an den Menschen, die durch dieses Leben mit Gott und unter sich zu einer dauernden Gemeinschaft zusammengeschlossen werden. U m an dieser Stelle ein besonders naheliegendes Mißverständnis abzuwehren, muß betont werden, daß die wesentliche Kirche nicht einfach die im landläufigen Sinn „lebendige Kirche" ist, die Gemeinde, die (vielleicht im Namen des dreieinigen Gottes) ein besonders intensives Leben entfaltet. Denn das Leben, von dem Johannes spricht, meint nicht bloß die Intensivierung, Steigerung oder Vertiefung des „religiös-geistig e n " Lebens des diesseitigen Menschen, sondern das von Grund auf neue, äonenhaft-ewige Leben, demgegenüber alles Leben der Kreatur der reine T o d ist. Dieses neue Leben wird der todgeweihten Kreatur nur gegeben durch das grundlegende Umwandlungswunder der A u f erstehung Christi. Es ist wesentlich Auferstehungsleben. Dieses ist in den Gläubigen durch Gottes Gnade schon „ d a " , aber es bleibt vorläufig noch verborgen in der Sterblichkeit ihrer irdischen Existenz. Es ist ein der Welt völlig unzugängliches Leben, das allein der Sohn, dem es der Vater verliehen hat, denen vermitteln kann (Jo. 5, 20), die glauben, und das ihnen zuteil wird durch den Hl. Geist, den Lebendigmacher, den der Vater sendet. Das aber heißt: Das trinitarische Leben wird der Kirche nicht als eine Art Kraftfluidum „eingegossen", sondern es wird ihr nur gegeben in der persönlichen Begegnung ihrer Glieder mit dem dreieinigen Gott. Die Kirche ist als Trägerin und Gefäß des Lebens grundlegend eine Gemeinschaft von Personen, in denen sich dieses Leben verwirklicht.
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3. Die Kirche ist eine in sich abgestufte (hierarchisch gegliederte) Gemeinschaft göttlicher und menschlicher Personen, die sich zu einem Leben vereinen. Sie ist diese Persongemeinschaft als ecclesia de trinitate und als ecclesia de hominibus Die ecclesia de trinitate (Die Kirche von der Dreieinigkeit her.). Das tiefste, durch allerlei Mißverständnisse gefährdete Geheimnis der Kirche, das ihr als corpus trium eignet, besteht darin, daß Gott, der Herr, der in seiner Drei-Personhaftigkeit der Kirche stets in unnahbarer Jenseitigkeit gegenübersteht, zugleich in ihr ist, indem er unaufhörlich an ihr wirkt. Gott-Vater hatte sich schon der alttestamentlichen Heilsgemeinde als seinem erwählten Volk dauernd zugeordnet (vgl. S. 248). Dieses Verhältnis der Zuordnung, das für das Alte Testament das letzte Wort war, ist im Neuen Testament durch die Sendung des ewigen Sohnes und des Hl. Geistes zu einem solchen der Einheit geworden: Im Messias und Gottessohn, der sich durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung seine Gemeinde geschaffen und sie als seinen Leib mit sich, dem Haupt vereinigt, und im Hl. Geist, durch dessen Ausgießung Gott aus seinem Innersten heraustritt, um sich mit den Erlösten zu einem Leben zu vereinen, ist Gott-Vater selbst in der Kirche gegenwärtig und an ihr wirksam. Das besagt: Der dreieinige Gott ist als der Vater, der sendet (als die erste trinitarische Person), in den von Ihm gesandten Sohn und Hl. Geist (als der zweiten und dritten trinitarischen Person) der Kirche nach seiner eigenen trinitarischen Ordnung gegenwärtig. Er steht und wirkt in ihr als personhafte Hierarchie von oben, indem er in der Vertikale seines Gebens dauernd mit der Kirche in personhafte Gemeinschaft tritt, wie diese ihm im personhaften Gegenüber dauernd in Glaube und Gehorsam zu dienen hat. Wer diese Hierarchie von oben übersieht und in der Kirche nur eine Gemeinschaft von gläubigen Menschen zu erkennen vermag, der verkennt ihr innerstes Wesen und gibt sie der Säkularisierung preis. Die ecclesia de hominibus (Die Kirche von den Menschen her.). Eine Gemeinschaft von Menschen ist die Kirche auch, aber sie ist es wesentlich nur in ihrer Unterstellung unter die Vertikale des dreieinigen Gottes. Durch diese Unterstellung erst, nicht schon durch seine soziologische Zugehörigkeit zu ihr, wird der Mensch der Kirche wirklich eingegliedert. Auf sich selbst gestellt, als „Individuum" vermag der Mensch nicht über die Möglichkeit hinauszukommen, sich selbst, seinen eigenen „Ichkyrios" (Ich-Herr) als das Zentrum allen Geschehens, jeglicher Gemeinschaft wie der ganzen ihn umgebenden Welt zu betrachten. Aus dem Zirkel dieser seiner Selbigkeit kann der Mensch nicht ausbrechen, wenn
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ihm nicht derjenige helfend entgegentritt, der seinen eigenen Ichkyrios durch seinen Gehorsam in den T o d dahingegeben und durch seine Auferstehung den neuen Menschen, das neue Ich, ans Licht gebracht hat: Jesus Christus. W e r sich diesem Einen, dem Gekreuzigten und A u f erstandenen glaubend unterwirft, der wird von seinem Ichkyrios befreit und findet in Ihm ein neues Leben, den Christuskyrios, in dem und aus dem er von nun an lebt (Gal. 2, 20). Durch Christus wird nicht nur der Mensch selbst eine „neue Kreatur" (II. Kor. 5, 17), sondern er tritt in eine ihm vorher unbekannte, völlig neue Gemeinschaft von Menschen ein, in die Gemeinschaft der Erlösten, in die Kirche, wie auch in eine völlig erneuerte Welt, in die Christuswelt. In dieser Christuswelt herrscht das „neue" Gesetz der Liebe, der Demut und der völligen Selbsthingabe, das nur erfüllt werden kann in der Kraft des Hl. Geistes, den der Vater sendet. In der Kirche, die ihren Bestand solcher Art im Wirken des dreieinigen Gottes hat, gibt es für ihre Glieder auch eine Hierarchie, aber eine solche von unten her, in der der Erste derjenige ist, der sich dem Herrn am demütigsten unterwirft und der Diener aller wird. Diese Hierarchie von unten, diese „Hierodiakonia" umfaßt alle Gläubigen, in erster Linie aber die Amtsträger, die gerade in ihrer Vorordnung, in der sie zur Gemeinde als Beauftragte und Bevollmächtigte des Herrn stehen (vgl. S. 293), die erwählten Diener der Gemeinde sind (Gregor der Große). W e r in der Kirche diese Hierarchie von unten übersieht und ihr Gestaltgesetz der Liebe und des demütigen Dienens mißachtet, der verkennt ihr Wesen und verfällt der „Klerikalisierung" und „Imperialisierung" der Kirche. 4. Die Kirche verwirklicht das ihr gegebene Leben als communio sanctorum, als Gemeinschaft D E R Heiligen und A M Heiligen Die Formel „communio sanctorum", die uns schon in den ältesten Fassungen des apostolischen Glaubensbekenntnisses als Näherbestimmung der Kirche begegnet, ist doppelsinnig. Gemeint ist einerseits: Die Kirche ist Gemeinschaft der sancti, der Heiligen, nämlich eine Gemeinschaft von Personen, die existieren und handeln in der Kraft des Lebens, das ihnen der dreieinige Gott schenkt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Kirche wesentlich personhafte Heilsgemeinschaft. Dieses eine Leben wird aber den Heiligen, den sanctis, geschenkt als solchen, die Anteil haben an denselben sancta, an denselben heiligen Dingen, nämlich an den Grundordnungen der Kirche, wie sie durch Christus in den Aposteln aufgerichtet worden sind. Als Gemeinschaft am Heiligen, an denselben heiligen Dingen, ist die Kirche wesentlich personhafte Hcilsstiftung. „Heilsgemeinde" und „Heilsstiftung" sind die beiden „Wesensgestalten"
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der Einen Kirche, in denen sich das Leben verwirklicht. Sie sind - wie wir gesehen haben (vgl. S. 238) - beide schon mit dem Ursprung der Kirche gegeben, in dem sie zu bleiben hat. Als Gemeinschaft der Heiligen ist die Kirche der Bereich, in dem das Eine Leben den Gläubigen personhaft geschenkt und von ihnen personhafi gelebt wird Als Gemeinschaft der Heiligen ist die Kirche gelebtes Leben im gegenseitigen Personbezug. Grundlegend ist, daß die Heiligen das, was sie als Personen sind und tun, nicht anders sind und tun, als von der Person des dreieinigen Gottes her und zu Ihr hin. Durch die Person Christi, der die Sünder rechtfertigt, werden die sancti zu neuen Menschen wiedergeboren, die ihr Personsein ganz in ihm und aus ihm haben. Christus ist die „Gesamtperson" der Gemeinde, in der sich die Heiligen als Personen immer erst und immer schon vorfinden. Durch den Hl. Geist, der der Kirche mit seinen Gaben als Person einwohnt, werden die sancti als die zum Leben Wiedergeborenen in der Heiligkeit und Gerechtigkeit bewahrt. In der immer neuen Begegnung mit der Person des Hl. Geistes geschieht an ihnen das Werk der Heiligung. Durch Gott-Vater, der durch den Sohn und den Hl. Geist an ihnen handelt, werden die sancti als Kinder (Adoptivsöhne) und Hausgenossen Gottes angenommen und zur himmlischen Vollendung berufen (I. Jo. 3, 2, 3). Auf den Heilsvorgang gesehen, kann die Lebensmitteilung an die sancti auch anders als durch die Begriffe Rechtfertigung, Heiligung und Berufung umschriebenwerden. Das heißt: Die Kirche kann nicht nur als Gemeinschaft der Gerechtfertigten, Geheiligten und Berufenen betrachtet werden, sondern auch als Gemeinschaft der Wiedergeborenen, der Getauften und der Gläubigen oder der Erwählten. Als Gemeinschaft am Heiligen ist die Kirche Heilsstifiung, durch die das Eine Leben dargestellt und mitgeteilt wird In der Kirche als Gemeinschaft am Heiligen wird das eine Leben in anderer Weise wirksam, nämlich so, daß es den Personen, die es empfangen sollen, durch die sancta, durch die heiligen Ordnungen, dargestellt und mitgeteilt wird. Die sancta selbst, die heiligen Dinge, sind gegeben in den drei auf Christi Stiftung zurückgehenden und in den Aposteln zum ersten Mal wirksam gewordenen Grundordnungen: in der Verkündigung und im Bekenntnis zu Christus, in der Verwaltung der Sakramente, in der Bewahrung der dem Stiftungswillen Christi entsprechenden Ordnung des Amtes. Wirksam werden diese Ordnungen durch die in Christi dreifachem Amt ruhenden und von ihm in den Aposteln der Kirche übertragenen Vollmachten: durch die Lehr-, die Weihe- und die Hirten-
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vollmacht. Es müssen aber diese Vollmachten und Ordnungen der Kirche getragen werden von Personen und sich an Personen wenden. Sie haben keine Bedeutung als in sich ruhende „Institution", sondern allein in der Aktion, was indessen nicht heißt, daß sie in der Funktion als solcher aufgehen. Sie haben ihr „Sein" in Christus, ihrem Stifter, wie sie ihr „Werden" im Hl. Geist haben. Aber ihr Sein und ihr Werden wird existenziell erst im Vollzug durch Personen, denen sie zur Spendung und zum Empfang anvertraut sind. Wie in der Kirche als Heilsgemeinschaft wird auch in der Kirche als Heilsstiftung das Leben nur wirksam im gegenseitigen Personbezug. Die Kirche ist als Heilsgemeinschaft und Heilsstiftung Eine
Als die zwei verschiedenen Wesengestalten der Einen Kirche stehen Heilsgemeinschaft und Heilsstiftung durch den ihnen gemeinsamen Personbezug nebeneinander und füreinander. Keine der beiden Wesensgestalten kann von der anderen abgeleitet werden, keine hat vor der andern den Vorrang. Ihre Einheit haben sie allein im dreieinigen Gott und in dem von ihm geschenkten Leben. Damit die Kirche ganz Sein Eigentum sei und er Ihr Herr bleibe, will Er ihre Getrenntheit und will er es so, daß die Kirche als Heilsstiftung nicht existieren kann ohne die Heilsgemeinde, und umgekehrt als Heilsgemeinde nicht ohne die Heilsstiftung. Durch beide Wesensgestalten zusammen wird die Kirche in ihrer Abhängigkeit von Christus als sog. „Ursakrament" konstituiert. In der Kirche als Ursakrament verhalten sich Heilsstiftung und Heilsgemeinde zueinander (in Analogie zu dem über die Sakramente Gesagten) wie die zeichenhafte Darstellung (sacramentum tantum) zur dargestellten und mitgeteilten Sache (sacramentum et res), während die ekklesiologische Heilswirklichkeit selbst (res tantum) erst in der erfüllten Kirche (vgl. S. 184) Ereignis wird. Der grundlegende Unterschied zum Einzel-Sakrament hegt darin, daß die beiden Wesensgestalten der Kirche nicht in einem durch ein Stiftungswort Christi angeordneten und bestimmten Wirkverhältnis zueinander stehen, vielmehr wirkt Christus in einer völlig freien, für uns unanschaulichen Weise durch die beiden Wesensgestalten in ihrer gegenseitigen Bestimmtheit und Verflochtenheit das Eine Leben. Wird dieser Sachverhalt mit ins Auge gefaßt, so können nach einem anderen Sprachgebrauch Christus selbst als das „Ursakrament" und die Kirche als das Sakrament schlechthin bezeichnet werden.
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b) Die Wesensmerkmaie der Kirche Die wesentliche Kirche ist die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Unmittelbar aus ihrem Ursprung ergeben sich, wie das Wesen der Kirche, so auch ihre Wesensmerkmale, die vier sog. notae der Kirche: ihre Einheit, Heiligkeit, Katholizität, Apostolizität. Sie sind, wie das Wesen der Kirche selbst, nur dem Glauben erkennbar: „Ich glaube die Eine, heilige, katholische, apostolische Kirche" (Credo). Sie können darum nicht an der konkret-geschichtlichen Gestalt einer einzelnen Kirche abgelesen und auch nicht eigentlich beschrieben werden. Sie können nur vom Glauben her als Zeichen und Äußerungen des Lebens, das der dreieinige Gott der Kirche schenkt, das aber in ihrem Erscheinungsbild verborgen bleibt, bezeugt werden. Zugleich haben sie, entsprechend dem Sollcharakter der wesentlichen Kirche, für die konkret-geschichtliche Kirche normative Bedeutung: Die Kirche ist nicht nur, sie soll sein die Eine, heilige, katholische und apostolische. Und zwar sowohl die Kirche als Heilsgemeinschaft wie als Heilsstiftung. Diesem ihrem Zeugnis- und Sollcharakter vermag aber das theologische Denken nur gerecht zu werden, wenn die vier notae als Merkmale des der Kirche gegebenen Lebens von innen nach außen, als qualitative und nicht als quantitative Größen, verstanden werden. 1. Die Kirche ist Eine Die Kirche ist Eine, weil der dreieinige Gott, in dem sie ihren Ursprung hat, Einer ist, wie auch das Leben, das er ihr fortzu schenkt, Eines ist. Wie aber der dreieinige Gott Einer (unus) ist als der Einzige und Einfache (unicus et simplex), so ist die Kirche in ihrem Leben Eine als die Einzige und als die Einfache. Ihre Einzigkeit ruht in der Wahl, mit der Gott in Jesus Christus die Kirche als Sein Volk um sich sammelt und ihr das Leben gibt. Ihre Einfachheit ruht in der Unteilbarkeit dieses Lebens, das bei aller Mannigfaltigkeit seine Ausgestaltungen stets und überall Eines ist. Einzigkeit und Einfachheit der Kirche sind zusammengefaßt in ihrer Einheit (unitas), die aber nicht unio, sondern communio, Gemeinschaft, Teilhabe an dem Einen Leben Gottes ist. So verstanden ist die Einheit der Kirche die in allen Räumen und Zeiten sich durchsetzende Selbstidentität des göttlichen Gnadenlebens mit sich selbst. Wenn aber gilt, daß das der Kirche gegebene Leben eine in ihr verborgene, unanschauliche und nur dem Glauben zugängliche christologisch-pneumatische Größe ist (Jo. 17, 21; Eph. 4, 4), dann bedeutet das, daß die Einheit in den beiden Wesensgestalten der Kirche sich nicht als Wesensgleichheit, sondern als Wesensähnlichkeit manifestiert (BulgakofF).
Die Kirche In der Kirche als Heilsgemeinschaft manifestiert sie sich so, daß die Heilsverwirklichung, ungeachtet der verschiedenen Heilslehren und zugleich von ihnen bestimmt, sich überall nur in wesensähnlicher Weise vollzieht. Gott selbst tut Sein Werk an allen Menschen in wesensgleicher Weise, aber dieses Sein Heilswerk konkretisiert sich an ihnen nach Maßgabe ihrer eigenen Glaubensentscheidung und dem Grade ihres Glaubensverständnisses immer nur auf wesensähnliche Weise. Erst recht verwirklicht sich das Eine Leben in der Kirche als Heilsstiftung immer nur in der Weise der ~Wesensähnlichkeit. In Entsprechung zu den drei apostolischen Grundordnungen der Kirche ist ihre Einheit eine dreifache: Sie ist, bzw. soll sein Einheit in der Verkündigung und im Glauben (unitas fidei), Einheit in der Sakramentsverwaltung (unitas sacramentorum) und Einheit in der Ausübung des Amtes (unitas regiminis). Wenn aber diese Einheit in allen drei Ordnungen nur als Wesensähnlichkeit in Erscheinung treten kann, so besagt das für die unitas fidei, daß es zwar grundsätzlich das Eine W o r t Gottes und das Eine Bekenntnis zu Christus ist, das verkündigt wird, daß diese Verkündigung aber immer nur geschehen kann in der Wesensähnlichkeit seiner faktisch verschiedenen Auslegung. Ebenso gilt für die unio sacramentorum, daß es zwar dieselben Gnadengaben sind, die der Kirche zur Verwaltung anvertraut sind, aber empfangen werden sie immer nur in der Wesensähnlichkeit im einzelnen verschiedener Sinngebungen durch Liturgie und Lehre. Endlich ist die Einheit der Amtsausübung (unitas regiminis) gegeben mit der Einen, der Kirche eingestifteten Ämterordnung, aber verwirklichen läßt sie sich nur im freien Zusammenwirken einander wesensähnlicher Gestalten dieser einen Ämterordnung. (Nicht aber durch die Unterstellung der ganzen Ämterordnung unter eine einzige „Jurisdiktionsgewalt", die den Anspruch auf die Wesensgleichheit des kirchlichen Regimentes zu U n recht erhebt.) Selbstverständlich gibt es eine untere Grenze der Wesensähnlichkeit, die nicht überschritten werden darf, soll nicht die Einheit der Kirche gefährdet und zerstört werden. Diese Grenze im einzelnen festzulegen, ist Aufgabe jeder einzelnen Kirche, wie der ganzen Kirche, der Ökumene. Im Blick auf diese Aufgabe wie auf das ganze Problem der Einheit der Kirche muß gelten: die Einheit der Kirche ist (durch das ihr gegebene Eine Leben) immer schon da, wenn auch nur in der Gestalt der Wesensähnlichkeit, die als solche nie verleugnet werden darf. Sie ist ihr aber nicht nur gegeben, sondern stets auch aufgegeben und harrt noch der Vollendung. Die Einheit ist eine wesentlich endgeschichtliche Gabe, deren die Kirche aber nur im Glauben an die ihr jetzt schon in aller Verborgenheit gegebene Einheit gewiß werden kann und die immer wieder
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zu erflehen und anzustreben ist. Diese durch das Wesen der Kirche selbst gegebene Sachlage gilt es vor allem auch in den heutigen ökumenischen Bemühungen um die Einheit der Kirche zu beachten. Wie die sog. „innere" Einheit, die der Kirche als Heilsgemeinschaft eignet, so kann auch die „äußere" Einheit, die ihr als Heilsstiftung zukommt, immer nur eine solche der Wesensähnlichkeit sein und das heißt: eine Einheit in der Mannigfaltigkeit. 2. Die Kirche ist heilig Die Heiligkeit der Kirche ist neben der Einheit diejenige der vier notae, die der Kirche schon im Neuen Testament ausdrücklich als Prädikat beigelegt wird (Eph. 5,27) und die in den ältesten Formen des Apostolikums bereits eine feststehende Formel ist. Heilig ist die Kirche, weil der dreieinige Gott, in dem sie ihren Ursprung hat, heilig ist und weil Er als der allein Heilige durch das Leben, das Er ihr schenkt, an ihr sich selbst heiligt. Ihre Heiligkeit ist die Heiligkeit des ihr von Gott in Christus durch den Hl. Geist gegebenen Lebens. Sie ist eine christologisch-pneumatische Größe. Sie bedeutet einerseits, daß die Kirche der Welt entnommen, „entweltlichte Welt", ist und der göttlichen Sphäre angehört, und andererseits, daß sie durch das ihr geschenkte Leben mit göttlicher Kraft und Vollmacht „geladen" ist, durch die sie an der Welt zu wirken hat. Als Heilsgemeinschaft ist sie heilig in den Personen, die sich glaubend, Hebend, hoffend durch die Gnade Gottes heiligen lassen. Die Heiligkeit der Kirche ist die Heiligung ihrer Glieder. Diese ist darum ein wesentlich kirchlicher Vorgang (vgl. S. 168). Besondere Manifestationen ihrer Heiligkeit (Charismen, Wundertaten, prophetische Erleuchtungen usw.) sind Gaben, die nicht notwendigerweise der wesentÜchen, wohl aber der erfüllten Kirche (vgl. S. 270) zukommen. Als Heilsstiftung ist die Kirche (aktiv) heilig in der gehorsamen Wahrung der Ordnungen und Ausübung der Vollmachten, durch die sie der Heiligung ihrer Glieder dient und (passiv) in den von ihr geweihten kultischen Räumen, Gegenständen usw., die im Dienst der kirchlichen Heilsverkündigung stehen. Die Heiligkeit, die der Kirche als Heilsstiftung zukommt, ist eine zwar reale, aber eine „uneigentliche". Die eigentliche Heiligung kommt nur Personen zu. Auch die Heiligkeit ist der Kirche jetzt schon gegeben, wird ihr aber in Vollendung erst geschenkt durch den Christus, der wiederkommen wird als der, der „allein heilig" ist, und der, umgeben von der Schar der vorvollendeten Heiligen, dereinst alle, die auf ihn warten, sich „anheiligen" wird.
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3. Die Kirche ist katholisch Katholisch heißt nicht einfach - wie vielfach übersetzt wird - „allgemein, gemeinchristlich, über die ganze Erde verbreitet, universell", sondern „dem Ganzen gemäß". Katholisch ist nicht die Kirche, die überall verbreitet ist, sondern die Kirche, die überall dort, w o sie verbreitet ist, dem Ganzen gemäß lebt. Das geht deutlich hervor aus den beiden ältesten Väterzeugnissen, die wir über die Katholizität der Kirche besitzen. In seinem Brief an die christliche Gemeinde zu Smyrna (8, 2) schreibt Ignatius von Antiochien (f 1 1 7 ) : „Wo man den Bischof sieht, da sei die versammelte Gemeinde, ganz wie nur dort, w o Jesus Christus ist, die katholische Kirche ist." Gemeint ist: Wie dort, w o der Bischof ist, sich seine Gemeinde um ihn sammeln, sich hinter ihn stellen soll, so ist überall dort, w o Christus ist, immer auch die Kirche, die zu ihm gehört, die Eine und Einzige (die una sola, so F. Kattenbusch), neben der es keine andere gibt, die Kirche, der nichts fehlt und der nichts Fremdes, Christuswidriges beigegeben ist: die Kirche in ihrer Einheit, Ganzheit und Fülle. Sie ist überall in der Fülle da, w o Christus ist. So ist auch die Anrede eines anderen frühchristlichen Sendschreibens (des sog. martyrium Polycarpi, •f 155) zu verstehen: „ A n alle Gemeinden der heiligen und katholischen Kirche an allen Orten." Gedacht ist auch hier an die Kirche Gottes, die „an allen Orten", das heißt in ihrer Ausbreitung über die Erde überall die Eine, ganze und heilige Kirche ist. So verstanden, besagt der der Tradition der Frühkirche entstammende Begriff „katholisch" den beiden ersteren, biblischen Wesensmerkmalen der Kirche gegenüber nichts Neues und Anderes, sondern entfaltet das, was mit der Einheit und Heiligkeit der Kirche gemeint ist, im Blick auf ihre Verbreitung „an allen Orten". Die Katholizität der Kirche meint das Mit-sich-selbst-in-Übereinstimmung-Bleiben, die Selbstidentität des ihr von Gott geschenkten Lebens in ihrer räumlich-geographischen Ausdehnung. Die Katholizität der Kirche ist primär eine innere, qualitative und erst sekundär eine äußere, quantitative. Sie ist die Christusfülle „an allen Orten". Diese Deutung der Katholizität von innen, von der Fülle Christi her haben schon die altkatholischen Väter mit Nachdruck vertreten. So hat I. Döllinger, unter Berufung auf Eph. 1,23; 4,13 erklärt: „ D i e katholische Kirche ist die Kirche, die fortwährend demjenigen Alter entgegenreift, in welchem der alles in allem erfüllende Christus sich ihr mit dem ganzen Reichtum seines Wesens und seiner Gaben mitteilt, sie wie ein Gefäß mit Ausschluß jedes anderen Inhaltes erfüllen wird." In ähnlicher Weise hat Bischof ]. H. Reinkens unter Berufung auf J. A. Möhler darauf hingewiesen, daß jede Einzelgemeinde (durch ihren Anteil an dem Einen
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göttlichen Leben) überall die Eine und ganze Kirche ist, „ w i e ein Feuerfunke und ein Wassertropfen ihrem Wesen nach dasselbe sind wie ein Feuerbrand oder eine Wassermasse". Diese als Einheit, Ganzheit und Fülle des Lebens zu verstehende Katholizität kommt der Kirche in beiden Wesensgestalten zu, die sie als Gemeinschaft der Heiligen und als Gemeinschaft am Heiligen hat. Als Gemeinschaft geheiligter Personen ist die Kirche katholisch durch die unmittelbare Einheit, Ganzheit und Fülle des Lebens, das ihren Gliedern grundsätzlich „an allen Orten" in gleicher (wesensähnlicher) Weise gegeben wird. Als Gemeinschaft am Heiligen ist die Kirche katholisch durch ihr treues Festhalten an denselben, auf Christus und die Apostel zurückgehenden Ordnungen in Bekenntnis, Verfassung und Kultus. Je nach der Betonung einer der genannten Grundordnungen wird die Katholizität der Kirche, die ihr als Heilsstiftung zukommt, mehr verstanden als Katholizität der Lehre (katholisch wird dann gleichbedeutend mit rechtgläubig, orthodox, so die Ostkirche) oder mehr als Katholizität der Ämterordnung (so Cyprian, f 258, der in dem einen Bischofsamt, an dem alle teilhaben, das Band der Einheit erblickt) oder mehr als Katholizität des Kultus (so der Katholizismus des 19. Jahrhunderts). W i e immer im einzelnen die Akzente gesetzt werden, wichtig ist, daß die Katholizität, die der Kirche als Heilsgemeinde (die „innere" Katholizität) und die ihr als Heilsstiftung (die „äußere" Katholizität) zukommt, in ihrer Einheit gesehen werden. Beide zusammen bilden die sog. „organische Katholizität", wie sie im KirchenbegrifF Augustins zum ersten Mal in umfassender Weise bezeugt wird. Mit dieser organischen Katholizität ist gemeint, daß die Kirche katholisch, d. h. einheitlich und ganzheitlich, sein müsse in ihren Ordnungen (in Bekenntnis, Verfassung und Kultus), damit die Gläubigen durch sie ungeschmälerten Anteil bekommen an der ganzen Fülle des Lebens, die Christus seiner Kirche durch eben diese Ordnungen schenkt. Auch von der Katholizität muß gelten: Sie ist der Kirche als Fülle des Einen und ganzen Lebens jetzt schon, wenn auch in aller Verborgenheit, nur dem Glauben erkennbar, gegeben, aber sie wird ihr endgültig und in ihrer Vollgestalt erst geschenkt werden in der Zukunft, wenn sie emporgewachsen sein wird zur Fülle des Mannesalters Christi (Eph. 4,13). 4. Die Kirche ist apostolisch Das Prädikat apostolisch findet verhältnismäßig spät - endgültig erst durch das zweite ökumenische Konzil von 381 - allgemeine Aufnahme in das Bekenntnis der Kirche. Das hat seinen Grund darin, daß dieses Wesensmerkmal für die Kirche erst wichtig wurde, als sich der zeitliche Abstand v o m apostolischen Zeitalter schon sehr vergrößert hatte und es
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sich als nötig erwies, das Gegründetsein der Kirche auf dem „Fundament der Apostel und Propheten, dessen Eckstein Christus ist" (Eph. 2, 20) als für die Kirche wesentlich zu bekennen. Dieses vierte Wesensmerkmal, die Apostolizität, ist indessen gegenüber den drei ersten keine Neuerung, sondern deren A n w e n d u n g auf die D i m e n s i o n der Z e i t . W i e die Einheit, Heiligkeit und Katholizität die Selbstidentität des göttlichen Gnadenlebens mit sich selbst meint (die letztere diese Selbstidentität in der räumlichen Ausdehnung der Kirche), so meint die Apostolizität der Kirche die Selbstidentität ihres Lebens in der zeitlichen A b f o l g e . D i e Kirche ist apostolisch als die, die i m Verlauf ihrer Geschichte das Leben fortzu empfängt und zu empfangen bereit ist in der Unterordnung unter das W o r t und den W i l l e n der Apostel, durch die der Herr selbst zur Kirche spricht. In Entsprechung zu den beiden Wesensgestalten der Kirche ist die A p o stolizität der Kirche eine „innere" und eine „äußere". Als Heilsgemeinschaft ist die Kirche „innerlich" apostolisch durch die gläubige und gehorsame Unterstellung ihrer Glieder unter das W o r t und den Willen der Apostel, w i e sie in den Schriften des Neuen Testamentes bezeugt werden. Wohlverstanden, es geht nicht bloß u m die Unterstellung unter das Verkündigungsuwi, sondern auch unter den Willen und die Anordnungen der Apostel, die diese kraft ihrer göttlich-apostolischen Vollmacht getroffen haben. Glaube und Gehorsam gegenüber dem apostolischen Depositum sind aber nicht bloß ein v o n der Gemeinde zu erfüllendes Gesetz, sondern ein W e r k des Hl. Geistes an der Gemeinde, durch das sie Anteil b e k o m m t an dem Einen Leben. Die Apostolizität der Kirche ist, w i e die drei ersten Merkmale, eine chxistologisch-pneumatische G r ö ß e : Sie ist das ihr gegebene geistgewirkte Leben, das in seinem zeitlichen Ablauf mit sich selbst identisch bleibt. Das ist der umfassendste Sinn der „apostolischen Sukzession". Als pneumatischer V o r g a n g k o m m t die Apostolizität der Kirche aber auch zu, insofern sie Heilsstiftung ist. Als Heilsstiftung ist die Kirche apostolisch in ihrem Bleiben in den für sie konstitutiven Grundordnungen. Dieses Bleiben bedeutet, daß die Kirche unter der Herrschaft des Hl. Geistes in der Vollmacht, die sie v o n Christus und den Aposteln empfangen hat, das W o r t verkündet, die Sakramente spendet, das A m t verwaltet in dem Sinn, den Christus und die Apostel ihnen gegeben haben. D i e Kirche ist apostolisch darin, daß sie i m Ablauf der Zeiten grundsätzlich intentional das tut, was Christus und die Apostel v o n ihr getan haben wollen. W i r d Apostolizität der Kirche in diesem Sinne verstanden, so m u ß klar sein, daß sie ihr nicht einfach als ein dauernder Besitz gegeben ist, u m den sie sich nicht mehr zu bemühen hätte. Sie ist ihr anvertraut in den Aposteln
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als dem Fundament der Kirche, auf deren Wort und Willen sie sich stets neu zurückzubesinnen und das sie allen Anfechtungen und Zeitströmungen gegenüber geltend zu machen hat. Die Kirche ist apostolisch, indem sie es in der Treue zur apostolischen Glaubenshinterlage fortzu wird. In ihrer Vollendung ist auch die Apostolizität ein zukünftiges Gut, das in Erscheinung treten wird, wenn die Apostel mit dem wiederkommenden Christus ihres Amtes als Richter walten werden. Die apostolische Sukzession des Amtes Im Zusammenhang mit der Apostolizität der Kirche ist von einem Problem noch besonders zu reden, das heute Gegenstand ausgedehnter Diskussionen ist: von der apostolischen Sukzession des Amtes durch (bischöfliche) Handauflegung. Sie ist, recht verstanden, ein unentbehrlicher Bestandteil der apostolischen Sukzession der Kirche im weiteren Sinne, dem die besondere Funktion zukommt - unter dem Vorbehalt der eschatologischen Erfüllung - die innere und äußere Apostolizität der Kirche zur Einheit zu bringen. Zwar ist zuzugeben, daß diese ihre Funktion schon sehr frühe nicht mehr verstanden worden ist und daß es dadurch zu Fehlentwicklungen kam, die heute der Korrektur bedürfen. Ohne daß damit schon ein letztes Wort gesagt sein soll (vgl. das über die sakramentale Sukzession Gesagte S. 322), sei im folgenden lediglich versucht, den Ort zu bestimmen, der der apostolischen Amtsnachfolge (apostolicitas successionis) im Gesamtzusammenhang der Apostolizität der Kirche zukommt. W i r gehen am besten von folgender Überlegung aus: Die Gemeinde, die in der pneumatisch-apostolischen Sukzession des Glaubens und der Lehre lebt und zu leben verpflichtet ist, muß die Gewähr haben, daß auch ihre Amtsträger (katholisch: Bischöfe, Priester, Diakone) in dieser pneumatischen Sukzession bleiben und in der Ausübung ihrer Sendungsvollmacht sich an die drei göttlich-apostolischen Grundordnungen der Kirche halten. (Diese Grundordnungen sind gemeint, wenn im folgenden zusammenfassend die Rede ist von der „apostolischen Glaubenshinterlage" oder kurz von der „apostolischen Lehre".) Umgekehrt müssen die Amtsträger wissen, daß sie einer Gemeinde vorzustehen haben, die ihrerseits gewillt ist, die apostolische Glaubenshinterlage zu respektieren. Beides kann nur gewährleistet werden dadurch, daß die erwählten Amtsträger vor der versammelten Gemeinde auf die allen gemeinsame Glaubenshinterlage verpflichtet werden. Diese Verpflichtung übernehmen die Amtsträger schon durch die Annahme ihrer Wahl durch die Gemeinde (Synode), sodann durch die Ablegung des sog. Glaubensexamens inmitten der versammelten Gemeinde vor der Weihe und endlich durch die Bereitschaft, die Weihe
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nur aus den Händen solcher Amtsträger zu empfangen, die ihrerseits die Verpflichtung auf die apostolische Glaubenshinterlage vor der Gemeinde eingegangen sind. Es ist also die Kontinuität der Lehre im umfassenden Sinn, die durch die apostolische Amtsnachfolge gewahrt werden soll. Und tatsächlich war, wie die neuere Forschung nachgewiesen hat, in der alten Kirche zeitlich die erste und sachlich die grundlegende Sukzession die der Lehre (die apostolicitas doctrinae). Sie hatte in der Regel die schlichte Form der Verpflichtung, den auf dem vakant gewordenen Bischofssitz bisher gelehrten apostolischen Glauben in Übereinstimmung mit den anderen Bischöfen und vor allem mit den großen Patriarchatssitzen, die auf eine apostolische Gründung zurückgeführt werden, weiterhin zu verkündigen (apostolicitas originis). Besiegelt wurde diese Verpflichtung durch den Empfang der Weihe selbst, insofern durch sie dem Gewählten mit der „Amtsvollmacht" die verbindliche Auflage gegeben wurde, die von ihm übernommene Verpflichtung auf das apostolische Depositum in der Ausübung seines Amtes stets zu erfüllen. Das ist der ursprüngliche Sinn der apostolischen Sukzession im engeren Sinn, der apostolischen Amtsnachfolge (apostolicitas successionis). Anfänglich lag der Kirche der Gedanke fern, daß durch die sakramentale Weihe selbst die apostolische Amtsnachfolge (die Apostolizität der Lehre) hergestellt oder garantiert werde. Dieser Gedanke taucht allerdings schon früh auf. Dadurch aber wurde eine Fehlentwicklung eingeleitet, der gegenüber grundsätzlich Folgendes festzustellen ist: Als Sakrament steht die Amtsweihe grundsätzlich auf einem anderen Boden als die mit ihr als „Zulassungsbedingung" verbundene Verpflichtung auf die apostolische Lehre. Als Sakrament vermittelt die Weihe die Amtsgnade, die auf das Gebet der Gemeinde hin nur aus der Vertikalen durch Christus und den Hl. Geist dem Gewählten zuteil werden kann. Sie ist ganz eine Gabe von oben, die durch die Handauflegung symbolisiert wird. Als menschliche Symbolhandlung hat die Handauflegung zwar auch eine horizontale Dimension, insofern sie zur Übertragung der Vollmacht durch solche erfolgt, die diese Vollmacht ihrerseits ebenfalls durch Handauflegung empfangen haben. Aber es ist darauf zu achten, daß dieses letztere Moment für die Weihe selbst ein akzidenzielles ist in dem Sinne, daß zwar die Amtsvollmacht nach antik-biblischer Vorstellung nur durch solche übertragen werden kann, denen sie selbst schon gegeben worden ist (vgl. S. 314 ff.), daß diese Übertragung aber nicht kraft der apostolischen Sukzession selbst erfolgt, sondern auf Grund des Verheißungswortes Gottes und seines durch Gebet zu erflehenden Gebeaktes, der aus der Vertikalen kommt. Die apostolische Lehrsukzession, die in der Horizontalen erfolgt, verbürgt nur deren „Legitimität" der
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Gemeinde gegenüber, indem sie dieser die Gewähr gibt, daß die Übertragung nicht willkürlich, sondern mit der Verpflichtung auf das apostolische Glaubensdepositum erfolgt. Die Gabe der Vollmacht selbst aber ist nicht von der horizontalapostolischen Sukzession abhängig, so wenig wie diese durch die Amtsvollmacht geschaffen wird. Kurz gesagt: Die apostolische Amtsnachfolge ist nicht eine solche der Weihe zum Amt, sondern eine solche des Amtes selbst (Erzbischof Rinkel). D a m i t grenzen wir uns ab gegen die von manchen (aber nicht allen) r ö misch-katholischen und anglikanischen Theologen vorgetragene Lehre, nach welcher die apostolische Amtsnachfolge bedeutet, daß die Amtsgnade, die Christus den Aposteln übergeben hat, durch die ununterbrochene Reihe der Handauflegungen vermittels „Transmission" wie durch einen „goldenen Kanal" bis auf den heutigen Tag weitergegeben wird. Die Weitergabe der Vollmacht wird dadurch ganz zu einer Sache der Hierarchie, des von der Gemeinde völlig losgelösten Amtes, zu einem Akt, der durch sich selbst wirkt. Diese Auffassung der apostolischen Amtsnachfolge ist im Grunde mechanisch', wenn nicht magisch und entbehrt jeder Grundlage in der Hl. Schrift wie in der ältesten Tradition der Kirche. (Andererseits machen es sich allerdings diejenigen allzuleicht, die im berechtigten Protest gegen diese Lehre vom „goldenen Kanal" die apostolische Amtsnachfolge überhaupt ablehnen oder sie bloß als etwas Nützliches und Schönes gelten lassen möchten.) Ganz abgesehen davon, daß sich eine solche lückenlose Weitergabe der Amtsvollmacht „von Hand zu H a n d " - trotz der bestehenden Bischofslisten, die einer späteren Zeit entstammen - historisch nicht nachweisen läßt, m u ß theologisch gegen diese Lehre eingewendet werden: Die ihr zugrunde liegende Vorstellung, daß durch die ununterbrochene Reihe der (bischöflichen) Handauflegungen die auf Christus und die Apostel zurückgehende Amtsgnade wie durch einen „goldenen Kanal" als eine Art Kraftfluidum weitergeleitet werden kann, ist völlig abwegig. Ebenso unmöglich ist auch die praktische Schlußfolgerung, die vielfach aus dieser Lehre gezogen wird, daß nämlich jeder, der an diesen goldenen Kanal irgendwie, auch ohne Gemeinde, Anschluß gefunden hat, eben dadurch „gültig" geweiht, ein wirklicher Bischof, Priester oder Diakon sei. Richtig verstanden, hat die apostolische Amtsnachfolge die Funktion einer Weitergabe nicht der Amtsgnade, sondern der Treueverpflichtung der Amtsträger auf die apostolische Glaubenshinterlage, auf die die Gemeinde Anspruch hat und auf die hin die Amtsweihe erst erfolgen kann. Sie ist für die Kirche als „ecclesia de hominibus" eine Notwendigkeit, und sie ist es immer mehr geworden in dem Maße, als sie sich zeitlich vom apostolischen Zeitalter entfernt und ördich über die ganze Erde
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verbreitet hat (wie das für die Apostolizität der Kirche überhaupt gilt). Sie ist eine Größe, die heilsgeschichtlich bedingt ist, sofern die Heilsgeschichte sich in der Kirche fortsetzt. Als solche ist sie nicht eine Lehre oder theologische Lehrmeinung, sondern in ihrem tatsächlichen Bestehen eine Gabe Gottes an die Kirche, die sie zur Wahrung ihrer Apostolizität, speziell zur Wahrung der Einheit ihrer inneren und äußeren Apostolizität dankbar entgegenzunehmen und zu bewahren hat. Sie ist in dieser Funktion für die heutige Kirche das „Bollwerk" ihrer Apostolizität und Katholizität. In diesem Sinne haben die Altkatholiken an der Edinburger Konferenz von 1937 mit besonderer Bezugnahme auf das Bischofsamt folgende Erklärung abgegeben: „ D i e Altkatholiken halten daran fest, daß der Episcopat apostolischen Ursprungs ist und zum Wesen der Kirche gehört. Die Trägerin des Amtes ist die Kirche. Die Amtspersonen handeln einzig in ihrem Auftrag. Das A m t wird empfangen, verwaltet und weitergegeben in demselben Sinn und auf dieselbe Weise, wie die Apostel es der Kirche weitergegeben haben. Die Unzertrennlichkeit von Kirche (Gemeinde) und Amt und das nicht unterbrochene Bestehen heider ist die apostolische Sukzession."
c) Die Natur der Kirche 1. Die Natur der Kirche ist theandrisch (göttlich-menschlich) Unter der „ N a t u r " der Kirche verstehen wir das ihr v o m dreieinigen Gott geschenkte Leben in seiner konkret-geschichtlichen Verwirklichung durch die Menschen, die ihr angehören. Die Natur der Kirche wird darum nach einer heute weit verbreiteten Terminologie als theandrisch, als göttlich-menschlich, bezeichnet. Soll dieser Ausdruck nicht mißverstanden werden und nicht zu falschen Schlußfolgerungen Anlaß geben, sind zwei Abgrenzungen unerläßlich: Göttlich-menschlich ist die Kirche allein in dem ihr in aller Verborgenheit gegebenen Leben, in dem sich die ecclesia de trinitate mit der ecclesia de hominibus zur Einheit verbindet. Diese Einheit ist nicht eine solche der Person oder der Existenz (diese kommt nur dem Einen Gott-Menschen Jesus Christus zu [vgl. S. 152), sondern sie ist allein eine solche des Wirkens. Sie ruht in der immer neuen gnädigen Herablassung des dreieinigen Gottes, dem es gefällt, der geschichtlich-menschlichen Kirche in personhafter Begegnung, aber in tiefster Verborgenheit, sein gnadenhaftes Leben zu schenken. Des weiteren ist zu beachten, daß das in die Einheit mit dem göttlichen Wirken aufgenommene menschliche Wirken einerseits „wahres", erlöstes, befreites Menschentum, andererseits aber immer auch „ w i r k -
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liches", defizientes, sündiges, unfreies Menschentum ist. Das erstere stellt der Herr in den Dienst seiner Kirche. Es wird in seiner Hand zum qualifiziert-werkzeuglichen Menschentum. Das letztere verwirft und richtet der Herr, und zwar an seiner Kirche als Ganzer. So steht der Herr, indem Er Sein W e r k an ihr tut, der Kirche immer so gegenüber, daß er sie in ihrer Menschlichkeit aufrichtet und richtet, annimmt und verwirft. U n d eben dieses Annehmen und Verwerfen haben wir im Blick auf die theandrische Natur der Kirche ohne Vorbehalt anzunehmen: nicht nur als unbeteiligte Zuschauer, sondern als solche, die durch ihre Gliedschaft an der Kirche v o m Urteil Gottes jederzeit selbst mitbetroffen sind. Diesem Urteil Gottes haben wir uns zu unterwerfen, indem wir uns in Glaube und Gehorsam von Ihm sagen lassen, was an der Kirche göttlich, was an ihr qualifiziert-menschlich und was an ihr defizient-menschlich ist. In dem, allein im Glauben möglichen, kritisch prüfenden Nachvollzug des Urteils des Herrn hat die Kirche, haben ihre Glieder und ihre Amtsträger immer wieder neu zu entscheiden, was an ihr göttlich oder menschlich, menschlich i m zu bejahenden oder im zu verneinenden Sinne ist. Das ist der tiefere Sinn des Prinzips von der ecclesia Semper reformanda (der stets zu reformierenden Kirche).
2. In ihrer theandrischen Natur hat die Kirche drei Dimensionen: Sie ist wesentliche, defiziente und erfüllte Kirche W i r haben bis zum vorigen Abschnitt immer nur von der wesentlichen Kirche gesprochen, von der Kirche also, wie sie nach ihrem göttlichen Ursprung ist, bzw. sein soll. Sie ist die eigentlich grundlegende Dimension der Kirche. In ihr ist - grundsätzlich gesprochen - das werkzeugliche Menschentum durch Gott in seinen Dienst genommen, so daß sie tatsächlich ist, was sie nach seinem Willen sein soll, um ihre Sendung an der W e l t erfüllen zu können. Das ist indessen eine optimale, rein ideelle Möglichkeit. In Wirklichkeit ist mit der wesentlichen Kirche stets eine zweite Dimension verbunden: die defiziente, wirkliche, konkret-geschichtliche Kirche, wie wir sie aus dem Alltag kennen. Sie trägt alle Merkmale unseres noch unerlösten Menschentums an sich. W i r nennen sie die Kirche in ihrem Erscheinungsbild oder das „Kirchentum" (Th. Harnack), w i e es auch der Ungläubige zu erkennen vermag. Dieses Kirchentum mit all seinen Unvollkommenheiten ist aber v o n der wesentlichen Kirche nicht zu trennen. Es gehört mit zur theandrischen Natur der Kirche. D i e wichtigste und eigentlich wirksame Dimension der Kirche ist die erfüllte, besser: die sich erfüllende Kirche. Das ist die Kirche, in der Gott
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das von ihm angenommene Menschentum aktualisiert und zur Entfaltung bringt, indem er es „sichtbar" mit Zeichen und Wundern segnet, die in die Welt ausstrahlen. Die sich erfüllende Kirche ist Kirche im „Vollsinne" des Wortes. Sie ist vor allem die Kirche der Liebe, die in stillen Werken der Barmherzigkeit ihren Samariterdienst an der Welt tut. Sie ist die Kirche, der zur Ausübung ihres Zeugendienstes an der Welt Vollmacht zur Mission und Evangelisation, Charismen, Prophetie, Wunderkräfte verliehen werden, und die dadurch in den Menschen die Hoffnung auf das kommende Reich wachhält. Sie ist die Kirche, die „die Wahrheit übend in Liebe" zu ihrem Herrn emporwächst, die in ihrer Mitte Heilige hat und die in ihrem Gottesdienst jetzt schon in Gemeinschaft mit der himmlischen Gemeinde lebt. Nach einer in lutherischen Kreisen behebten Unterscheidung kann auch gesagt werden: Sie ist die Kirche, die sich erfüllt in der Martyria, Leiturgia und Diakonia. Sie ist Märtyrerkirche - wie sie uns die Apokalypse zeigt, in dem doppelten Sinne, daß sie vor der Welt mit Vollmacht Zeugnis ablegt für die Christus-Wahrheit und daß sie dafür leidet. Sie ist liturgische Kirche in dem ausgezeichneten Sinn, daß ihr gottesdienstliches Handeln zum wirksamen Abbild der ewigen Anbetung Gottes durch die himmlischen Heerscharen wird. Und sie ist dienende Kirche, die sich durch ihre Werke der Liebe, die dem Heil und der Heilung der Welt dienen, selbst verzehrt. Das alles sind Lebensäußerungen der erfüllten Kirche, wie sie sich in den Heiligen der Kirche, in den Vorvollendeten, exemplarisch darstellt. E. Gaugier sagt hierüber: „Durch was wird die Gemeinde (die sich erfüllende Kirche, d. V.) offenbar? Die Antwort ist befremdlich, aber eindeutig : durch Leiden. In unendlicher Variation zieht sich durch die ganze Schrift des Sehers (Johannes) dieses dunkle Motiv: die Gemeinde ist gebildet durch die Versiegelten aus Israel und die große Schar aus allen Völkern, die .kommen aus großer Trübsal' (7, 14). Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, ,die überwunden haben durch das Blut des Lammes und durch das Wort ihres Zeugnisses und ihr Leben nicht Hebten bis zum Tode' (12, 11). Die Brüder, die zu den um des Wortes Gottes willen Erwürgten (Kap. 6) noch hinzukommen sollen, sind solche, ,die auch noch sollten ertötet werden gleich wie sie.' So ist die ganze Apokalypse eine grandiose Exegese der paulinischen Aussagen vom Mitgekreuzigtwerden und Mitbegrabenwerden mit Christus, aufgezeigt an der Kirche der Endzeit. Aber diese Exegese zeigt mehr auf als die bloß erbauliche Tatsache, daß es durch Leiden zur Herrlichkeit geht. Gewiß, auch diese unerhört ernste Ökodome (Heilsveranstaltung Gottes) wird durch die Apokalypse illustriert. Das Leiden der Gemeinde trägt in sich die Verheißung der Errettung. Das letzte Wort der Offenbarung ist nicht:
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Stirb! sondern: Siege! Der Leidende ist der Überwinder. Ja, dem Überwinder wird nicht nur .Seligkeit', ,das Essen vom Holz des Lebens im Paradies' (27), sondern .Herrschaft über die Völker' (2, 26) verheißen. Ekklesiologisch wichtiger aber ist, daß erst in diesen apokalyptischen Ereignissen die Kirche wirklich sichtbar wird. Hier scheiden sich die .Kirchen', die wir . . . heute in ihrer ganzen Zweideutigkeit so nennen, von der Kirche . . . , an der sich die Verheißung erfüllt. Die Kirche kann erst ans Licht treten, wenn die antichristlichen Mächte (nicht bloß die Gegner der christlichen Kirchen, sondern des Christus) noch mächtiger geworden sind, wenn es keine Flucht in christliche .Bekenntnisse' mehr gibt, sondern nur noch das Bekenne«, das entscheidet. Dann aber werden die Fronten anders stehen als jetzt, auch bis in unsere Reihen hinein. In einem viel radikaleren Sinn, als wir jetzt noch anzunehmen wagen, wird dann die augustinische Formel gelten, daß .solche, die drinnen sind, draußen, und solche, die draußen sind, drinnen sind'. Damit ist nach einer heute besonders aktuellen Seite hin in gültiger Weise gesagt, was die sich erfüllende Kirche ist: Märtyrerkirche". Nicht zu jeder Zeit und nicht an allen Orten kann die Kirche in gleicher Weise erfüllte Kirche sein. Bald wird mehr diese, bald mehr jene Seite hervortreten. Heute, so scheint es, ist die sich erfüllende Kirche vor allem Märtyrerkirche, wie sie uns durch die Johannesapokalypse bezeugt wird. 3. Die Kirche in ihren drei Dimensionen ist zu glauben Der Glaube „ a n " die Kirche ist nur dann wirklicher Glaube, wenn er alle drei Dimensionen umfaßt. Der Glaube läßt sich durch das Erscheinungsbild der defizienten Kirche nicht abschrecken, sondern blickt durch das bloße Kirchentum hindurch auf die wesentliche Kirche in der Zuversicht, daß diese durch den dreieinigen Gott zur erfüllten Kirche werde. Das Kirchentum selbst manifestiert die fortdauernde Krise der Kirche, in der der Glaube an die in ihm verborgene wesentliche Kirche sich zu bewähren hat. Diese Bewährung aber wird allein ermöglicht durch den Glauben an die sich durch Gottes Gnade erfüllende Kirche, in der die wesentliche Kirche ihre Sendung im oben dargelegten Sinn „sichtbar" erfüllt. Daß Gott das tue, ist der eigentliche Gegenstand des auf die Kirche gerichteten Glaubens. Eben darum ist er nicht eigentlich Glaube an die Kirche - denn der Glaube „ a n " kann nur göttlichen Personen gelten - sondern er ist Glaube an den in seiner Kirche wirkenden Herrn selbst, an den dreieinigen Gott, der allein die defiziente Kirche zu richten, die wesentliche zu erhalten und die erfüllte Kirche herbeizuführen vermag: Ich glaube die Kirche, heißt es darum im Credo.
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Gemeint ist damit: Ich glaube die Existenz dieser durch Gott gerichteten, durch Gott erhaltenen und durch Gott sich erfüllenden Kirche. Im Lichte dieses auf die drei Dimensionen der Kirche gerichteten Glaubens ist es auch möglich, v o n z w e i für die göttlich-menschliche Natur der Kirche grundlegenden und charakteristischen Strukturelementen zu reden, die für die Abklärung des Begriffes des kirchlichen A m t e s und der sog. „Verfassung" der Kirche besonders wichtig sind: v o n der Unfehlbarkeit und v o n der Rechtsgestalt der Kirche.
4. D i e Kirche ist grundsätzlich und mittelbar, nicht aber faktisch, unfehlbar D i e Unfehlbarkeit der Kirche ist eine Funktion ihrer sog. „Indefektibilität", ihrer Unzerstörbarkeit, w i e sie ihr der Herr i m Zusammenhang mit seinem kirchenstiftenden W o r t an Petrus verheißen hat: „ D i e Pforte der Hölle werden sie nicht überwältigen" (Mt. 16, 18). Gemeint ist, daß die Kirche nicht aufhören wird, das zu sein, was sie v o m Stiftungswillen Christi her wesenshaft ist und sein soll. D i e ihr aufgetragene Sendung und alles, was für sie zu deren Erfüllung wesentlich ist, kann nicht rückgängig gemacht oder in das Gegenteil verkehrt werden. W o h l kann die Kirche in ihrer konkret-geschichtlichen Gestalt die ihr aufgetragene Sendung verleugnen und ihr Wesen durch ihr defizientes Menschentum bis zur Unkenndichkeit entstellen: In dem Maße, als sie das tut, w i r d sie faktisch zerstört. A b e r in ihren wesentlichen Gehalten und Ordnungen bleibt sie - in der Abhängigkeit v o n ihrem Herrn - das, was sie ist und sein soll, bis z u m Ende der Zeiten. Sie ist grundsätzlich unzerstörbar, d. h.: Sie ist unzerstörbar durch die Unumkehrbarkeit dessen, was sie nach dem W i l l e n ihres Herrn ist und zu sein hat (K. Barth). Dies alles gilt nun auch für die Lehre v o n der Unfehlbarkeit der Kirche, die nichts anderes ist als die A n w e n d u n g des Satzes v o n ihrer Indefektibilität auf das Gebiet der Lehre. V o n der Indefektibilität der Kirche her g e sehen, w i e sie soeben umschrieben worden ist, m u ß der Satz gelten: D i e Kirche ist grundsätzlich und mittelbar, nicht aber faktisch, unfehlbar. Grundsätzlich unfehlbar ist die Kirche durch ihr ständiges Angewiesensein auf den Herrn und seine Wahrheit und durch die ihr gegebene V e r heißung, daß der Hl. Geist sie alles lehren werde. Mittelbar unfehlbar ist die Kirche darin, daß ihr Wahrheitszeugnis vermittelt ist durch ihr rechtes Hören und Lehren der Wahrheit Gottes. W e i l aber dieses ihr Hören und Lehren infolge ihrer theandrisch-defizienten Natur immer nur relativ richtig sein kann, kann die Kirche nicht faktisch unfehlbar sein. D i e Lehraussagen der Kirche sind nie absolut, in sich selbst, wahr. Sie haben gegenüber der Wahrheit Gottes nur „Annäherungswert" (Kardi-
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nal Newmann). Sie sind in ihren positiven Formulierungen (so lehren auch römisch-katholische Theologen) immer unvollständig, unvollkommen, zeitbedingt. Trotzdem bleiben sie grundsätzlich-mittelbar unfehlbar in dem Sinne, daß sie durch den Hl. Geist dazu berufen sind, die Wahrheit Gottes, die der hörenden und lehrenden Kirche anvertraut ist, in ihrer Unumkehrharkeit zur Geltung zu bringen und die ihr widersprechenden Irrlehren zurückzuweisen. Das aber heißt: Die Lehraussagen der Kirche sind, indem sie die Unumkehrbarkeit der Wahrheit Gottes bezeugen, unfehlbar in ihrer kritisch-negativen Funktion, durch die sie angesichts möglicher und wirklicher Irrlehren den Glauben in die Entscheidung der Wahrheit rufen - wie denn der Akzent der großen konziliaren Lehrentscheidungen nicht so sehr auf den positiven Aussagen in den „Kapiteln" als vielmehr auf den negativen in den „canones" hegt. O b und wie weit die von der Kirche getroffenen Lehrentscheidungen durch ihre Bezeugung der Unumkehrbarkeit der göttlichen Wahrheit selbst nicht mehr rückgängig zu machen und also grundsätzlich unfehlbar sind, das kann nur der an der Hl. Schrift normierte Glaube der Einzelnen wie der Gesamtkirche entscheiden. Es müssen aber, damit vom Glauben her von einer zwar nicht faktischen, aber grundsätzlich-mittelbaren Unfehlbarkeit kirchlicher Lehrentscheidungen die Rede sein kann, folgende Bedingungen erfüllt sein: a) Die Lehraussagen der Kirche müssen erfolgen auf Grund einer allseitigen, gründlichen und freien Erforschung des götdichen Wortes selbst und seiner Deutung durch die Väter und Brüder. b) Die Lehraussagen der Kirche haben der Bewahrung der ihr anvertrauten Wahrheit in ihrer Unumkehrbarkeit zu dienen und müssen darum gegen bestimmte Irrlehren gerichtet sein, die das Fundament der Kirche bedrohen. Nie aber können sie den Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit erheben, wenn durch sie in pragmatischer Absicht neue Glaubensinhalte geschaffen werden sollen. c) In ihrer kritisch-abgrenzenden Funktion haben die Lehraussagen der Kirche echte Entscheidungen zu sein. N u r als solche können sie dem Glauben zur N o r m werden. Sie sind deswegen nicht als Glaubensgesetze zu verstehen, denen die Gläubigen sich zu unterwerfen haben, sondern als normative Glaubenszeugnisse, die den Sollgehalt der christlichen Lehre anzeigen und die in freier Glaubensentscheidung entgegenzunehmen sind. d) Normativ-verpflichtenden Charakter in diesem Sinne können Lehrentscheidungen der Kirche nur beanspruchen, wenn sie durch Organe ausgesprochen werden, die die ganze Kirche repräsentieren (allgemeine Konzilien) und wenn sie von der Gesamtheit der Gläubigen angenommen werden.
Die Kirche
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D a m i t grenzen w i r uns ab gegen den römisch-katholischen Unfehlbarkeitsbegriff. A n diesem ist nach altkatholischer Auffassung unannehmbar: a) D i e ihm zugrunde Hegende, grundsätzlich gemeinte Unterscheidung zwischen der lehrenden und der hörenden Kirche, eine Unterscheidung, die der alten Kirche unbekannt w a r und v o n der Ostkirche heute noch abgelehnt wird. b) D i e damit verbundene Lehre, daß die „ a k t i v e " Unfehlbarkeit nur der lehrenden Kirche gegeben sei, die gebildet werde v o n der Gesamtheit der Glaubensprediger und der Bischöfe in ihrer Verbindung mit dem Papst, während der Gesamtheit der Gläubigen nur die „passive" Unfehlbarkeit zukomme. Durch diesen Gegensatz werden die Lehraussagen der Kirche z u m faktisch unfehlbaren Lehrgesetz, dem sich die Gläubigen in kirchlichem „ G e h o r s a m " zu unterwerfen haben. c) Ebenso ist unannehmbar die v o n dieser Grundlage her durch das 1. Vatikanum dem Papst zugesprochene Unfehlbarkeit. W e n n diese neuerdings auch in beachtlicher Weise eingeschränkt wird, so wird doch den Lehrentscheidungen des Papstes, die er als Träger der tota plenitudo supremaepotestatis (der ganzen Fülle der höchsten Gewalt) erläßt, faktische Unfehlbarkeit zugesprochen. Seine Lehraussagen enthalten die Wahrheit und sind darum durch die Gläubigen an der Hl. Schrift und Urtradition nicht mehr zu prüfen. D e m theologischen Denken fällt nur noch die A u f g a b e zu, zu beweisen, inwiefern sie die Offenbarungswahrheit enthalten. d) Unannehmbar ist endlich der dieser ganzen Anschauung zugrunde liegende OffenbarungsbegrifF, wonach die göttliche Offenbarung nicht die handelnde Selbsterschließung Gottes ist, die es durch die kirchliche Lehre zu bezeugen und zu erklären gilt, sondern die Mitteilung v o n göttlichen Lehrinhalten, die die Kirche, b z w . der Papst nur noch auszusprechen, zu „promulgieren" hat.
5. D i e Kirche hat v o n ihrem W e s e n her Rechtsgestalt Es besteht heute weitgehend Ubereinstimmung darüber, daß das Recht dem W e s e n der Kirche nicht v o n vornherein widerspricht, noch für sie belanglos ist. Das Recht folgt vielmehr aus dem Wesen der Kirche und ist für sie unentbehrlich. W i e die Lehrunfehlbarkeit, so ist die Rechtsgestalt der Kirche v o n ihrer theandrischen Natur und ihrer Indefektibilität her zu verstehen. Das Kirchenrecht ist darum weder nur göttliches, noch nur menschliches Recht, sondern göttlich-menschliches, geistliches Recht. W a s an diesem Recht göttlich und menschlich ist, kann nicht in abstrakter Weise ausgeschieden und vergegenständlicht werden. W o immer das
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