Die Passionsmystik des Paulus: Ihr Wesen / Ihr Hintergrund und ihre Nachwirkungen [Reprint 2021 ed.] 9783112486221, 9783112486214


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Die Passionsmystik des Paulus: Ihr Wesen / Ihr Hintergrund und ihre Nachwirkungen [Reprint 2021 ed.]
 9783112486221, 9783112486214

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UNTERSUCHUNGEN

ZUM N E U E N

TESTAMENT

H E R A U S G E G E B E N V O N H. W I N D I S C H / H E F T 15

DIE PASSIONSMYSTIK DES PAULUS IHR WESEN / IHR UND IHRE

HINTERGRUND

NACHWIRKUNGEN V O N

JOHANNES SCHNEIDER Lic. Dr. in Berlin

tt

1

9

2

9

L E I P Z I G / J. C. H IN RICH S'S CHE B U C H H A N D L U N G

UNTERSUCHUNGEN ZUM NEUEN TESTAMENT HERAUSGEGEBEN VON

D. DR. HANS WINDISCH PROFESSOR

A. D. U N I V E R S I T Ä T

LEIDEN

H E F T 15

P R I N T E D

I N

G E R M A N Y

B U C H D R U C K E R E I W. H O P P E , BORSDORF-LEIPZIO

A D O L F IN UND

D E I S S M A N N V E R E H R U N G D A N K B A R K E I T

INHALT EINLEITUNG

1

I. K A P I T E L : G r u n d l e g u n g 1. Begriff und Wesen der Mystik 2. Die Christusmystik des Paulus 3. Die Aufgabe II. K A P I T E L : D i e p a u l i n i s c h e P a s s i o n s m y s t i k . . . 1. Der leidende Paulus 2. Die Leidensgemeinsohaft mit Christus

4—13 4 8 12 14—74 14 21

A. A l l g e m e i n e r ' T e i l a) der Leib Christi b) das Kreuz Christi c) das Blut Christi

21—31 21 24 28

B. B e s o n d e r e r T e i l a) mit Christus gekreuzigt b) die Taufe als Todes- und Grabesgemeinschaft mit Christus c) „Christusleiden" d) Lebens- und Auferstehungsgemeinschaft mit Christus

31—67 32

C. A b s c h l i e ß e n d e

67—74

Betrachtung

III. K A P I T E L : D e r r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e Hintergrund der paulinischen Passionsmystik 1. Die jüdischen Voraussetzungen 2. Die antiken Passionskulte a) der Tammuzkult b) der Osiriskult c) der Adoniskult d) der Attiskult e) der Dionysoskult f) das Portleben der antiken Passionskulte in dem Husseinkult der Schiiten 3. Paulus und die antiken Passionskulte

36 48 61

75—117 75 84 85 89 95 98 101 105 107

VI

Inhalt.

IV. K A P I T E L : N a c h w i r k u n g e n d e r P a s s i o n s m y s t i k d e s P a u l u s i n d e r c h r i s t l i c h e n P a s s i o n s f r ö m m i g k e i t 118—182 1. Altchristliche Passionsfrömmigkeit 119 Johanneische Literatur. — 1. Petrusbrief. — Hebräerbrief. -— Ignatius. — Polykarp. — 1. Clemensbrief. — Apostelakten. — Liturgien. — Martyrien. 2. Katholische Passionsfrömmigkeit 137 Bernhard von Clairvaux. — Franz von Assisi. •— Die Franziskaner (Bonaventura). — Passionskunst (Matth. Grünewald; A. Dürer; Garofalo). •—Heinrich Seuse; Kreuzwegandacht. — Compassio Mariae. — Die Imitatio Christi. — Messe. — Passionsspiele. 3. Evangelische Passionsfrömmigkeit 154 Luther. — Sebastian Franck. — Thomas Münzer. — Valentin Weigel. — Zinzendorf. — Johann Sebastian Bach. — Das evangelische Passionslied. 4. Zusammenfassung 180 SCHLUSS . . . 183 REGISTER ' 185—192

VORWORT Der folgenden Untersuchung liegt eine Lizentiatenarbeit zugrunde, die im Wintersemester 1926/27 der Berliner Theologischen Fakultät vorgelegen hat. I n der jetzigen Form stellt sie eine starke Umarbeitung und Erweiterung der ursprünglichen Gestalt dar. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem zweiten Kapitel, das sich mit dem Wesen der paulinischen Passionsmystik befaßt. Nicht leicht war die Bewältigung der Aufgabe, den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Passionsmystik des Paulus aufzuzeigen und ihre Nachwirkungen in der christlichen Passionsfrömmigkeit zu schildern. J e mehr ich mich damit beschäftigte, um so stärker wuchs die Erkenntnis, daß hier eine eingehende Behandlung notwendig ist, die aber eine besondere Arbeit erfordert. Die Aufgabe ist groß und schwierig zugleich. Erschöpfend ist sie vielleicht nur durch die Zusammenarbeit von mehreren zu leisten, die die einzelnen Gebiete, um die es sich handelt, wirklich fachmäßig beherrschen. So bitte ich, die Kapitel 3 und 4 nur als S k i z z e betrachten zu wollen, an deren Ausgestaltung zu arbeiten ich weiter bemüht sein werde. Ich hielt aber die Hinzufügung dieser Kapitel, wenn auch nur in der Form einer Skizze, für notwendig, um das Problem aus seiner herkömmlichen Isolierung nach rückwärts und vorwärts zu befreien. Ganz besonderen Dank bin ich Herrn Geheimrat Professor D. Deißmann schuldig, der die Anregung zu dieser Untersuchung gegeben und ihren Fortgang jederzeit gefördert hat. Zu großem Dank bin ich auch Herrn Professor D. Dr. Windisch verpflichtet, der dieser Arbeit Aufnahme in die von ihm herausgegebenen

Vili

Vorwort.

„Untersuchungen zum Neuen Testament" gewährt hat. Mit Herrn Professor D. Schmitz habe ich mehrfach Probleme der Arbeit durchsprechen können. Diese Aussprachen haben mir viele wertvolle Anregungen gegeben. Ehrerbietigen Dank sage ich der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, durch deren Unterstützung der Druck der Arbeit ermöglicht worden ist. Bei der Korrektur und der Herstellung des Registers haben mir Herr Privatdozent Lic. W. Michaelis, Berlin, und meine Braut, Fräulein Dr. Irene Congehl, treue Hilfe geleistet. Die während der Drucklegung erschienenen Bücher von A. Wikenhauser, Die Christusmystik des hl. Paulus (Bibl. Zeitfragen, Heft 8—10). Münster i. W. 1928, W. J . Aalders, Mystiek. Haar vormen wezen waarde. Groningen 1928 und K. Mittring, Heilswirklichkeit bei Paulus. Ein Beitrag zum Verständnis der unio cum Christo in den Paulusbriefen. Gütersloh 1929 habe ich nicht mehr berücksichtigen können. B e r l i n - F r i e d e n a u , im Februar 1929. Johannes

Schneider.

Einleitung. I n der reichen „biblisch-theologischen" Literatur über Paulus 1 stand das Interesse an seiner „Theologie" so sehr im Vordergrund, daß diese immer aufs neue zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht worden ist. Unter dem Einfluß einer starren Inspirationstheorie wurden die Aussagen des Paulus zu Lehrsätzen der Dogmatik gestempelt. Seine Worte wurden losgelöst von seiner Persönlichkeit. Der „Paulinismus" als doktrinäres Lehrgebäude stand gleichsam als eine selbständige Größe neben Paulus. Nur so ist es zu erklären, daß ein so wichtiges Stück seines persönlichen Lebens, wie es sein Leiden ist, von der wissenschaftlichen Theologie fast gar nicht beachtet worden ist 2 . Und doch kann man die „Theologie" des Paulus nur dann wirklich verstehen, wenn man auch seinen ganz persönlichen Bekenntnissen volle Aufmerksamkeit schenkt. Der Weg zum Theologen Paulus geht über den Menschen Paulus. Vor dem „Theologen" steht der Bekenner, vor dem „Dogmatiker" der lebendige Zeuge Jesu Christi. Juncker 3 hat die Situation richtig gekennzeichnet, wenn 1 Vgl. insbesondere A. Schweitzer, Geschichte der Paulinischen Forschung. Tübingen 1911. 2 Dies Urteil gilt nicht von dem praktischen, erbaulichen Schrifttum, vor allem nicht von der Predigtliteratur. Es wäre eine sehr interessante und lohnende Aufgabe, der Frage nachzugehen, welche Bedeutung die Leidensbekenntnisse des Paulus für die praktische Frömmigkeit gehabt haben und noch haben. Diese Seite der Frage ist aller Beachtung wert. Denn da erst zeigt sich, welche lebendigen Kräfte von den Worten des Paulus über das Leiden ausgegangen sind und noch ausgehen. 3 A. Juncker, Die Ethik des Apostels Paulus. Halle 1919. Bd. II. S. 28. Anm. 1. UNT 15: S c h n e i d e r .

1

2

Einleitung.

er sagt: „Es ist bezeichnend, wie stiefmütterlich in der biblischtheologischen Diskussion bisher das Leidensthema behandelt worden ist. Trotz der hohen Bedeutung, die es insbesondere für Paulus besitzt, widmet ihm von den betr. Lehrbüchern nur das Weinel'sche1 einen Abschnitt." Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur in der Tat nur ganz wenige, und dazu überaus knappe Darstellungen, die sich mit der Frage des Leidens bei Paulus befassen. Eine ausführliche Untersuchung fehlt. Steubing hat in seiner Heidelberger Dissertation: „Der paulinische Begriff Christusleiden"2 einen — allerdings wichtigen — Ausschnitt des Problems behandelt. Aber man kann nicht sagen, daß er den Gegenstand erschöpft hätte. Dasselbe gilt von einem Aufsatz von A. Beyer: „Was sagen Jesus und Paulus über das Leiden?" 3 Dann hat Juncker selbst in seinem Buch über die Ethik des Apostels Paulus dem Leiden des Paulus einen kurzen Abschnitt gewidmet4, ohne seinerseits in die letzten Tiefen der paulinischen Aussagen einzudringen. In einer größeren Abhandlung: „Die Überwindung des Leides bei Paulus und in der zeitgenössischen Stoa" hat Liechtenhan 5 beachtenswerte Ausführungen gemacht, denen freilich durch den Gegenstand seiner Arbeit bestimmte Grenzen gezogen waren. Einen kurzen Exkurs über: „Das Christus-Leiden" hat Windisch in seinem Kommentar zum zweiten Korintherbrief gegeben6. Überaus feinsinnig ist die Skizze von 0 . Schmitz über den leidenden Paulus in dem Büchlein: „Das Lebensgefühl des Paulus" 7 . Die Passionsmystik ist nun vollends ein Thema, das bisher

1905.

1 In der 3. Aufl. 1921. § 57. S. 329 bis 333. 2 A. Steubing, Der paulinische Begriff Christusleiden.

Darmstadt

3 Protestantische Monatshefte. 20. Jg. 1916. Heft 11 (S. 321 bis 330); Heft 12 (S. 371 bis 381.) 4 a. a. O. S. 23 ff. 5 Zeitschrift für Theologie und Kirche 1922. S. 368 bis 399. 6 Meyer's krit.-exeg. Kommentar über das Neue Testament. I I . Korintherbrief. 9. Aufl. Göttingen 1924. S. 40 f. Zu vergl. ist auch das Buch von H. Windisch, Taufe und Sünde im ältesten Christentum bis auf Origenes. Tübingen 1908. S. 98 ff., bes. S. 164 ff. 7 Otto Schmitz, Das Lebensgefühl des Paulus. München 1922. S. 105 bis 117. — Es sei noch erwähnt, daß M. Maurenbrecher in seinem Buch: „Das Leid" 1912 auch die Stellung des Paulus zum Leid dargelegt hat. Man kann nur feststellen, daß Maurenbrecher Paulus in diesem Buch nicht verstanden hat.

Einleitung.

3

kaum Beachtung gefunden hat. Das hat schon darin seinen Grund, daß die Anwendung des Begriffs der Mystik auf die Anschauungen des Paulus sehr umstritten ist. Deißmann h a t im Zusammenhang seiner Untersuchungen über die Mystik des Paulus auf die Passionsmystik hingewiesen und die eingehende Bearbeitung dieses Themas für dringend notwendig erachtet 1 . Ansätze zur Lösung dieser Aufgabe finden sich in der schon genannten Dissertation von Steubing, dann bei Traugott Schmidt in seinem Buch: „Der Leib Christi" 2 , weiter bei W. Mundle: „Das religiöse Leben des Apostels Paulus" 3 , und endlich bei O. Schmitz, der sowohl in seinem Buch : „Die Opferanschauungen des späteren Judentums und die Opferaussagen des Neuen Testaments" 4 als auch in seiner Paulusstudie: „Die ChristusGemeinschaft des Paulus im Lichte seines Genetivgebrauchs" 5 zu dem Problem der Passionsmystik Stellung genommen hat. Wertvolle Anregungen haben die Vertreter der sog. religionsgeschichtlichen Schule (Pfleiderer, Wrede, Bousset, Joh. Weiß u. a.) gegeben. Auch Deißner 6 , Oepke 7 und R. Paulus 8 sind hier zu nennen. Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, dem Problem der Passionsmystik des Paulus gerecht zu werden.

1 Adolf Deißmann, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze. 2. Aufl. Tübingen 1925. S. 142 und 143. — Vgl. auch Deißmann, The Religion of Jesus and the Paith of Paul. London 1923. p. 233 ff. 2 Traugott Schmidt, Der Leib Christi. Eine Untersuchung zum urchristlichen Gemeindegedanken. Leipzig. Erlangen 1919. bes. S. 210 ff. 3 W. Mundle, Das religiöse Leben des Apostels Paulus. Leipzig 1923. bes. S. 77 ff. 4 Tübingen 1910. 5 In: Neutestamentliche Forschungen, hrsg. von Otto Schmitz. Erste Reihe: Paulusstudien. 2. Heft. Gütersloh 1924. bes. S. 176 ff. 6 K. Deißner, Paulus und die Mystik seiner Zeit. 2. Aufl. Leipzig 1921. bes. S. 122 ff. 7 A. Oepke, Die Missionspredigt des Apostels Paulus. Leipzig 1922. bes. S. 138 ff. 8 R. Paulus, Das Christusproblem der Gegenwart. Tübingen 1922. bes. S. 24 f. 1*

1. K A P I T E L .

Grundlegung. 1. Für eine Untersuchung, die zum Gegenstand ein Spezialproblem der paulinischen Mystik hat, ist es zunächst notwendig, den Begriff der M y s t i k zu klären 1 . Eine Uberschau über die Fülle der tatsächlichen Erscheinungsformen zeigt, daß die Mystik keine einheitliche Größe ist, und daß ihr Wesen darum auch nicht eindeutig bestimmt werden kann. Wohl gehört jede innerlich gerichtete, unmittelbar erlebte Religion dem mystischen Typus der Frömmigkeit an. Aber es ist zu scheiden zwischen einem engeren Begriff der Mystik, in der der Mensch mit der Gottheit eins wird und in dem Göttlichen untergeht, und einem weiteren Begriff der Mystik, in der Ich und Du nebeneinander bestehen und doch in innigste Gemein1 Eine Darstellung der bisher in der wissenschaftlichen Literatur vorgetragenen Wesensbestimmungen der Mystik kann hier im einzelnen ebensowenig gegeben werden, wie in eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Standpunkte eingetreten werden kann. Es muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden. Hier handelt es sich lediglich darum, eine Grundlage für die vorliegende Untersuchung zu gewinnen. Daß die eigene Position in steter Auseinandersetzung mit den anderen Auffassungen, sowohl den nahestehenden wie den entgegenstehenden, gesichert worden ist, bedarf nicht der besonderen Erwähnung. Aber die ganzen Probleme hier in aller Breite aufzurollen, würde zu weit führen und über den Kähmen dieses einleitenden Kapitels hinausgehen. Zu den verschiedenen Begriffsbestimmungen der Mystik siehe W. Weber, Christusmystik. Leipzig 1924. S. 98 ff.; H. E . Weber, Glaube und Mystik. (Studien d. apolog. Sem. 21. Heft.) Gütersloh 1927. S. 18 ff.; A. Oepke, Karl Barth und die Mystik. Leipzig 1928. S. 19 ff. Eine kurze zusammenfassende Darstellung des „Wesens der Mystik" hat neuerdings H. Korn: „Die Nachwirkungen der Christusmystik des Paulus in den Apostolischen Vätern." (Berl. Liz.-Diss. 1928) S. 1 bis 11 gegeben.

Grundlegung.

5

schaft treten. Diese Unterscheidung ist in der wissenschaftlichen Literatur fast allgemein anerkannt 1 . Denkt man an den weiteren Begriff der Mystik, so spricht man von „Unendlichkeitsmystik", „selbstherrlicher Mystik", „egozentrischer Mystik", „Mystik des Kreaturverhältnisses", „Mystik der natürlichen Lebensverbundenheit mit Gott". F a ß t man den engeren Begriff der Mystik ins Auge, dann redet man von „Persönlichkeitsmystik", „Glaubensmystik", „Mystik des Gnadenverhältnisses", „Mystik der Heilsverbundenheit mit Gott", „Rechtfertigungsmystik". Deißm a n n 2 stellt den Grundunterschied dadurch fest, daß er der unio mystica die communio mystica gegenüberstellt. Die communio, und zwar als Gemeinschaft mit Christus, ist das entscheidende Moment in der Mystik des Neuen Testaments. Damit ist die Grenzlinie gegen alle aus dem Neuplatonismus herkommende Mystik scharf gezogen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ergibt sich, sobald man die Frage nach der Entstehung der Mystik stellt. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder beruht die mystische Begegnung der Seele mit Gott auf der Initiative des Menschen, dann ist sie Leistung. Oder aber sie ist die Tat des sich offenbarenden Gottes, dann ist sie Gnade. I n der „agierenden" Mystik f ü h r t der Weg vom Menschen aus hinauf zu Gott. I n der „reagierenden" Mystik kommt Gott zum Menschen 3 . Hier ist Gott der 1 Vgl. z. B. R. Otto (West-Östliche Mystik. 1926); N. Soederblom (Intern. Wochenschrift 1910. Sp. 1563 ff.); H. E. Weber (Glaube und Mystik. 1927); E. Schaeder (Theoz. Theologie II. 1914; Das Geistproblem der Theologie. 1924); A. Oepke (Karl Barth und die Mystik. 1927). Siehe auch G. Mehlis (Die Mystik in der Fülle ihrer Erscheinungsformen in allen Kulturen. 1926; Der Begriff der Mystik (Logos XII, 166 ff.)). Ferner sei hier auch hingewiesen auf C. Clemen, Die Mystik nach Wesen, Entwicklung und Bedeutung. 1923. Dagegen wird der schroffe Gegensatz von Glaube und Mystik bei G. Heinzelmann (Glaube und Mystik. 1926) und E. Brunner (Die Mystik und das Wort. 1924) betont. 2 Paulus. 2. Aufl. Tübingen 1925. S. 115 ff. 3 Bultmann (Theol. Lit. Ztg. 1926. Nr. 10. Sp. 274 ff. Besprechung von Deißmanns Paulus) unterzieht die von Deißmann eingeführte Unterscheidung von agierender und reagierender Mystik einer scharfen Kritik und kommt zur Ablehnung dieser Unterscheidung. Wir meinen aber, daß mit dieser Unterscheidung Entscheidendes gesagt ist. Sie ist grundlegend für alle religionsgeschichtliche Erörterung. Leider hat Bultmann nun seinerseits nicht die Begriffe, die nach seiner Meinung unklar sind, geklärt, wie er es doch fordert.

6

Grundlegung.

allein Handelnde. Was der Mensch empfängt, ist göttliche Gabe; was er tut, ist nichts als ein Reflex der actio Gottes. Dieser schroffe Gegensatz zeigt sich ganz besonders in der Stellung zur Sünde. In der agierenden Mystik sucht der Mensch von sich aus die Kluft zwischen Gott und Mensch zu überbrücken. Er glaubt an den göttlichen Funken in seiner Seele. Damit ist die Sünde wohl vom Menschen aus verneint, sie ist jedoch nicht von Gott her, der sein Nein über das ganze natürliche Wesen des Menschen spricht, aufgehoben. In der reagierenden Mystik dagegen ist eine Gemeinschaft mit Gott nur möglich nach Vergebung der Sünde und Schuld durch Gott. Das Neue Testament weiß nur von einer reagierenden Mystik. Endlich liegt in der Ethik ein Maßstab für den Wert der Mystik. Es gibt gewiß eine ethisch indifferente Mystik. Aber die Kontrastierung von Voluntarismus und Mystik ist nicht Wesensnotwendig. Die mystische Begegnung mit Gott kann gerade außerordentlich starke ethische Kräfte im Menschen auslösen und wirksame Motive zum Aufbau des sittlichen Lebens geben. Der tiefste Grund dieser Gegensätze liegt in der verschiedenen Gottesanschauung. In der unio-Mystik ist Gott entweder das unpersönliche, gestaltlose, ruhende Sein oder der verborgene Seelengrund. In der communio-Mystik dagegen ist er der persönliche, lebendige, wirkende Gott, der sich offenbart und seinen Willen kundtut. Das Gesamtgebiet der Mystik ist schließlich abzugrenzen gegen jede d o k t r i n ä r - d o g m a t i s c h e , mittelbar-reflektierte Religion, die auf dem Umweg des Intellekts die Gemeinschaft mit Gott zu erreichen strebt. Versucht man überhaupt eine Typisierung, so ist die Scheidung in prophetische, mystische und „dogmatisch" bestimmte Religion nicht deutlich genug 1 . Das Kriterium liegt vielmehr darin, ob eine unmittelbare Gemeinschaft mit Gott vorhanden ist oder nicht. Demnach gehören prophetischer und mystischer Frömmigkeitstypus zusammen. Bei ihnen handelt es sich um ein unmittelbares Verhältnis zu Gott. Die „dogmatisch" bestimmte Frömmigkeit dagegen ist eine durch Reflexion vermittelte Frömmigkeit. Es handelt sich letztlich darum, ob das Heil so vorgestellt wird, daß es abgeschlossen in der Vergangenheit liegt und 1 Vgl. hierzu F. Heiler, Daa Gebet. München 1923. S. 248 f.

Grundlegung.

7

dann auf die Menschen übertragen wird, oder ob es dauernd als Gotteswirken in der Welt an den Menschen geschieht. Nun ist freilich die schroffe Entgegensetzung von „dogmatischer" und „mystischer" Auffassung nicht völlig problemlos. Gewiß hat die Orthodoxie die Heilstatsachen der Vergangenheit isoliert und historische Tatsachen durch geistige Gedankenarbeit zu einem System christlicher Lehre verknüpft. Der objektive Tatbestand, mit dem sie es zu tun hatte, war ein abgeschlossenes, in der Vergangenheit liegendes Geschehen. Aber auch dem dogmatischen Denken ist es nicht allein um die Erfassung eines Historischen, sondern um die Erfassung des Wesenhaften in dem historischen Geschehen zu t u n ; es will den ewigen Gehalt, der in einem bestimmten geschichtlichen Moment eine bestimmte konkrete Gestalt gewonnen hat. Die Hauptsache bleibt ihm das Ewige, und das Ewige ist in seiner Wirksamkeit nicht an den geschichtlichen Moment gebunden, wenn es auch in einem solchen in die Erscheinung tritt. Das Kreuz Christi z. B. ist wohl für den Historiker ein einmaliges, bedingtes Ereignis, für die dogmatische Erkenntnis dagegen ist es mehr. Gewiß, es hat seinen bestimmten Ort in der Geschichte durch göttliche Setzung, aber es offenbart in irdisch begrenzten Zusammenhängen etwas Unbedingtes, den Willen Gottes mit der Menschheit; und darauf kommt es auch der dogmatischen Betrachtung an. Die historische Tatsache ist von entscheidender Bedeutung, aber sie erhält ihren letzten Sinn doch erst durch ihre Beziehung auf die Wirklichkeit, die hinter dem irdischen Geschehen steht. Es handelt sich also darum: Wenn auch das historische Faktum, mit dem es die dogmatische Erkenntnis zu t u n hat, von der menschlichen Seite aus gesehen, ein in der Vergangenheit abgeschlossenes Werk ist, so ist doch das Eigentliche, Ewige, dessen Offenbarung das geschichtliche Ereignis ist, etwas Dauerndes, Wirkendes. Dazu ist weiter von der methodischen Seite her zu sagen, daß sich auch der dogmatischen Betrachtung der historische Tatbestand nur so erschließt, daß er Inhalt des Bewußtseins wird und damit zugleich gegenwärtig und real gegeben ist, und — daß er g e g l a u b t wird. Die Grenzlinie zwischen „dogmatischer" und „mystischer" Frömmigkeit wird also verwischt, sobald es sich um l e b e n d i g e Erkenntnis aus dem Glauben und aus dem Geist han-

8

Grundlegung.

delt. Es besteht somit ein gutes Recht) von „Glaubensmystik" zu reden. Faßt man jedoch eine rein doktrinär-dogmatische Auffassung ins Auge, so bleiben ganz deutliche, wesentliche Unterschiede zwischen „mystischer" und „dogmatischer" Frömmigkeit bestehen. Denn die Vergegenwärtigung der historischen Tatsache Christus ist nicht dasselbe wie das Innewerden des gegenwärtigen Wirkens des lebendigen Christus. Und die erkenntnismäßige Aneignung einer in der Vergangenheit geschehenen Heilstatsache bedeutet nicht dasselbe wie die Erfahrung eines gegenwärtigen Heils. Zu der das Heil begründenden Tat muß, im Sinne des Neuen Testaments wenigstens, die heilswirkende Tat Christi in der Gegenwart hinzukommen. Werk und Wirken Christi stehen in einem unauflöslichen, innerlich notwendigen Zusammenhang. Das Werk wird erst für den Glauben lebendig durch das Wirken des lebendigen Christus1 und des heiligen Geistes. 2. Wenden wir uns nun der paulinischen Christusm y s t i k im besonderen zu. Da zeigt sich, daß sie ihrem Wesen und Inhalt nach bestimmt ist von der Wirklichkeit und Offenbarung des erhöhten Christus. Aber der erhöhte, pneumatische Christus ist für Paulus identisch mit dem historischen Jesus und ebenso wesenhaft gleich mit dem präexistenten Christus. Denn Christus ist seinem Wesen nach Pneuma, wenn er auch auf Erden in sarkischem Leibe wandelte. Darum kennt Paulus in Wahrheit nur eine Seinsweise des Christus, die ewige, göttliche, in die auch die geschichtliche Erscheinungs- und Daseinsform mit hineingeschlossen wird. Aus der Identität des historischen mit dem pneumatischen Christus ergibt sich auch die inhaltliche Bestimmtheit des Christus; eine Bestimmtheit, die dem „mystischen" Gottes„begriff" fast ausnahmslos fehlt. Die ganze Christusanschauung des Paulus beruht auf der Erfahrung, die er bei Damaskus gemacht hat. Darin muß der eigentliche Grund dafür gesucht werden, daß sein Blick so stark auf den pneumatischen Christus gerichtet ist. Es kommt Paulus alles auf das Gegenwartsheil an. Seine Mystik macht das Historische präsent, ohne das Historische irgendwie für un1 Vgl. dazu die Ausführungen von O. Schmitz, Die Christus-Gemeinschaft des Paulus im Lichte seines Genetivgebrauchs. S. 288 ff.

Grundlegung.

9

wesentlich zu erklären. Sie macht das Eschatologische präsent und weiß doch, daß das vollkommene Heil einst kommen wird. Mystische und nichtmystische Aussagen stehen nebeneinander. Das sind Spannungen, die unaufgelöst bleiben. Für das Verständnis der paulinischen Mystik ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß Paulus zwei große Sphären kennt, in denen die Menschen leben können, die Heilssphäre des Christus und die Herrschaftssphäre der öapg. Das kommt zum stärksten Ausdruck einmal in der Formel tv XGIAZM 'ItjGov, die freilich mehr als eine Formel ist, nämlich ein heiliges Bekenntnis; zum anderen in den synonym gebrauchten Wortverbindungen ¿v ¿fiagriaig, tv vofico, tv xoOfiro, EV tw 'Aöafi, in denen sich das Gefühl eines ungeheuren Kontrastes zu der Tatsache des ¿v XQIGTCÖ ausspricht. Der Gegensatz von Christusferne und Christusgemeinschaft wird von Paulus auf das tiefste empfunden. Er weiß von keinem Hinübergleiten aus der einen Sphäre in die andere, sondern nur von einem Bruch mit der Welt, die nicht durch Christus bestimmt ist. Die Formel ¿v XQCGTOI hat für die Christusanschauung des Paulus zentrale Bedeutung. Sie „ist der eigentümlich paulinische Ausdruck der innigsten Gemeinschaft des Christen mit dem lebendigen Christus" 1 . Nimmt man das ¿v XQIOTCÖ in dem ursprünglichen, konkreten Wortsinn, wonach das iv rein lokal zu fassen ist, so ergibt sich ein neues und vertieftes Verständnis der paulinischen Frömmigkeit. Es zeigt sich dann zugleich, daß die ältere Exegese mit ihrer Deutung, das neue Leben sei in der Vergangenheit durch Christus beschafft und in ihm begründet, der wirklichen, plastisch-realen Anschauung des Paulus nicht gerecht wird. Die Christusmystik des Paulus kann nun freilich nicht, das muß noch einmal besonders betont werden, von dem Untergrund der historischen Tatsachen losgelöst werden. Das gerade charakterisiert die paulinische Mystik, daß sie gebunden ist und gebunden bleibt an die Heilstatsachen von Tod und Auferstehung. Man kann mit Schmitz 2 sowohl von dem „nichtgegenständlichen" Charakter der Christusgemeinschaft des Paulus wie von ihrer konkreten heilsgeschichtlichen Bestimmtheit 1 A. Deißmann, Die neutestamentliohe Formel „In Christo Jesu". Marburg 1892. (Jetzt im Verlag von J . C. B. Mohr (Paul Siebeek). Tübingen) S. 98. 2 Die Christusgemeinschaft des Paulus. S. 238 ff.

10

Grundlegung.

sprechen. Es genügt m. E. aber nicht, von der „Ewigkeitsmacht des einmal Geschehenen" 1 oder dem „übergreifenden Charakter der Heilsgeschichte" zu reden, so richtig das an und für sich auch ist. Gewiß kann man bei Paulus von einer „Geschichtsmystik" sprechen, aber der Akzent liegt bei ihm doch auf der Gegenwart Christi und dem in ihm beschlossenen Heil. Paulus weiß sich durch Glauben und Taufe in den Bereich des Christus „hineinversetzt", und in diesem Heilsbereich wird ihm das Heil in Christus als gegenwärtiges Heil zuteil. Daß die geschichtliche Tatsache als geschichtliches Heilshandeln Gottes überhaupt gegenwärtige Wirklichkeit werden k a n n , das h a t seinen Grund in der tatsächlichen, wenn auch nichtgegenständlichen Wirklichkeit des Christus. Die Gemeinschaft mit Christus schafft den Zugang zu den geschichtlichen Tatsachen als Heilstatsachen. Die Situation nach Pfingsten ist eine andere als die vor Pfingsten 2 . Ähnlich ist die Stellung von Schaeder in dieser Frage. Auch ihm ist das Einheitsband zwischen „Geist" und „Tatsache" die Person Christi. Er sagt: Wir haben „ J e s u s . . . nur durch den Geist Gottes. Wir hätten nichts von ihm, er wäre für uns mit allen Heilstatsachen seiner Geschichte eine Figur der Vergangenheit, wenn nicht Gottes Geist ihn mitsamt . . . den Erträgen der Heilstatsachen glaubenweckend in unsere persönliche . . . Gegenwart rückte" 3 . Aber das kann nur geschehen, weil Christus der Gegenwärtige i s t . Es handelt sich bei Paulus in erster Linie nicht um Erlebnismystik, sondern um „objektive" Mystik 4 . Man kann Paulus nur dann in seinem innersten Wesen verstehen, wenn man erkennt, daß die Christusmystik, die seines Lebens Inhalt und K r a f t und seines rastlosen Eifers stärkster Antrieb war, im Mittelpunkt seiner Frömmigkeit steht. E r selbst sieht in der Gemeinschaft mit Christus das Ziel der Berufung Gottes 5 . Bei dieser Betrachtungsweise rücken viele 1 Ebenda S. 253. 2 Vgl. die grundsätzlichen Ausführungen von W. Michaelis in seinem Buch: „Täufer, Jesus, Urgemeinde". (Heft 3 der Nt.-Forschungen, hrsg. von O. Schmitz). Gütersloh 1928; bes. S. 129 ff. 3 Theoz. Theol. II. S. 104. Anm. 2. 4 Dieser Gedanke wird S. 69 ff. noch weiter ausgeführt. 5 1. Kor. 1, 9.

Grundlegung.

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Wendungen, die Paulus gebraucht 1 , in ein neues Licht und werden wieder in ihrer ursprünglichen K r a f t lebendig. Es zeigt sich dann, daß wir es bei ihm mit Bekenntnissen zu t u n haben, nicht mit theoretisch erdachten, doktrinär-dogmatischen Formulierungen. Das ganze Leben des Christen Paulus vollzieht sich in der Lebenssphäre des Christus. Durch die Gemeinschaft mit ihm wird seine K r a f t als die des Auferstandenen und Erhöhten in ihm wirksam. Er lebt in Christus und Christus in ihm, und das durch die Gnade Gottes. Die Christusmystik des Paulus ist nun aber nicht nur die sublimste Form einer rein individuellen Frömmigkeit. Sie trägt vielmehr im Gegensatz zu den Erscheinungsformen der nicht genuin christlichen Mystik sozialen Charakter. Denn alle, welche in die Gemeinschaft mit Christus treten, werden ovvocofia ev Xgiörm2, Miteinverleibte in Christus und damit Mitverbundene untereinander. I n der Gemeinde, als dem Leibe Christi, wirkt der lebendige, pneumatische Christus mit seiner Gegenwart ebenso wie in den Einzelnen. Und wie Christus in der Gemeinde lebt, so lebt die Gemeinde ,,in der Sphäre des göttlichen Geistes, in der pneumatischen Person des himmlischen Christus" 3 . Zur Vollendung kommt die Christusmystik nach der Anschauung des Paulus in der Zukunft nach der Parusie des Herrn, wo sie ein Schauen von Angesicht zu Angesicht sein wird 4 . 1 So insbesondere der Genitiv 'Irjoov Xoiarov und die mit diesem verbundenen Wortformen. Siehe dazu die bereits genannte Untersuchung von Schmitz, Die Christusgemeinschaft des Paulus im Lichte seines Genetivgebrauchs. 2 Eph. 3 , 6 . Gut gibt die Vulgata avvowfia durch concorporales wieder. 3 Traugott Schmidt a. a. O. S. 253. 4 1. Kor. 13, 12 u. a. — Das muß besonders Bultmann gegenüber betont werden. Bultmanns These: „Das ev Xgioreö ist bei Paulus nicht eine Formel der Mystik, sondern der Eschatologie" (Theol. Lit. Ztg. 1926. Nr. 10. Sp. 274. Besprechung von Deißmanns Paulus.) trifft nicht den wirklich von Paulus gemeinten Tatbestand, xaivt) xriaie gibt es nur iv Xoiaroj. Diese y-aivij xriois ist aber eine Realität der Gegenwart, wie auch Christus der Gegenwärtige ist. Die Vollendung des neuen Seins steht noch aus, das neue Sein und Leben in Christus ist aber für den Christusgläubigen jetzt (vgl. das bei Paulus oft wiederholte vvv) schon Tatsache. Bultmann behauptet auch, daß der Genitiv Xpioroy die eschatologische Bestimmtheit des mit Xoiarov verbundenen Begriffs zum Ausdruck bringt. Dazu braucht nur auf die gründlichen Untersuchungen von Schmitz, Die Christusge-

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Grundlegung.

Drei Tatsachen sind es, die für die paulinische Christusmystik grundlegend und bestimmend sind: die Identität des erhöhten Herrn mit dem geschichtlichen Jesus, das gegenwärtige Wirken des lebendigen Christus und die innige Gemeinschaft des gläubigen Paulus mit ihm. Dabei ist freilich zu bemerken, daß Paulus trotz alledem den großen Abstand von Christus empfindet — er weiß sich als öov/Log XQLGTOV 'Irjoov — und daß er ein volles Verständnis für die geschichtliche Offenbarung Gottes in Jesus Christus hat. Dies beides begründet die Eigenart und den Inhalt seiner Mystik und grenzt sie zugleich gegen jede außerchristliche Mystik ab. Damit ist in kurzen Zügen das Gesamtbild gezeichnet, in das wir unsere Untersuchung hineinzustellen haben. Die Mystik des Paulus ist in ihrer letzten Tiefe Passionsmystik. Die xoiixovia rov XQIOTOV erstreckt sich auch auf die Gemeinschaft mit seinem Leiden und Sterben. Man kann sagen, daß die Passionsmystik das Herzstück der paulinischen Frömmigkeit ist. Sie r u h t objektiv auf den Tatsachen der Leidensgeschichte; sie hat ihren subjektiven Hintergrund in den Leiden des Apostels selbst; sie wurzelt ihrem Wesen nach in dem Christuskult und bedeutet im Leben des Paulus eine reale Tatsache von ungeheurer K r a f t und Wucht. 3. Die A u f g a b e , die das Problem der Passionsmystik des Paulus stellt 1 , ist eine dreifache. Zunächst muß auf Grund einer genauen Exegese das Material, das in den Paulusbriefen vorliegt, erhoben und so interpretiert werden, daß der ursprüngliche Sinn der paulinischen Zeilen deutlich wird. Dabei ist der fragmentarische Charakter der Überlieferung wohl zu berücksichtigen. Daß eine irgendwie doktrinär-dogmatische Auffassung nicht in Betracht kommt, liegt schon in der Fragestellung. Es handelt sich vielmehr darum, zu der Seele des Paulus vorzudringen und aus dem innersten Wesen der paulinischen Frömmigkeit heraus ein Verständnis f ü r die Innigkeit seiner mystischen Leidensaussagen zu gewinnen. Wird die „dogmat istische" Exegese als unzureichend und inadäquat abgelehnt, dann kann nur folgender Weg beschritten werden: durch das rationale meinschaft des Paulus im Lichte seines Genetiv-Gebrauchs hingewiesen zu werden, die diesen Satz widerlegen. 1 Vgl. zum folgenden Deißmann, Paulus. 2, Aufl. 1925. S. 142 f.

Grundlegung.

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Verständnis der überlieferten Textworte hindurch muß ein irrationaler Zugang zu der Persönlichkeit gesucht werden, die diese Worte geschrieben hat, so, daß der Forscher sie sich innerlich aneignet und in sich zu neuem Leben erweckt 1 . Der historische Abstand der Jahrhunderte wird dabei in eine Gleichzeitigkeit des Forschenden und des zu Erforschenden umgewandelt. Das ist Divination — wenn man so will, eine Mystik des intuitiven Forschens, die aber, das bleibt zu beachten, stets die exakte Grundlage sorgfältiger exegetischer Arbeit voraussetzt. Darauf beruht schließlich alle irgendwie in die inneren Zusammenhänge eindringende Interpretation des Schrifttums einer großen Persönlichkeit. Weiter ist das ganze Problem in die allgemeine Religionsgeschichte hineinzustellen. Es müssen die religionsgeschichtlichen Parallelen und die seelisch-geistigen Zusammenhänge, die zwischen den einzelnen Formen und Ausprägungen bestehen, aufgezeigt werden. Dann aber muß auch deutlich gemacht werden, worin die Eigenart der paulinischen Anschauung besteht. Endlich ist der Versuch zu unternehmen, die Wirkungen, die von der Passionsmystik des Paulus ausgegangen sind, weiter zu verfolgen; das heißt aber, die Geschichte der christlichen Passionsfrömmigkeit überhaupt, „deren Denkmäler", wie Deißmann treffend sagt 2 , „in Wort und Drama, in Tönen und Bildwerken oftmals als geradezu geniale Interpretationen des paulinischen Tiefsinns erscheinen", wenigstens in einzelnen charakteristischen Haupttypen mit in die Untersuchung hineinzubeziehen.

1 W. Bruhn hat diese Methode gut beschrieben in seinem Aufsatz: „Über die Wechselwirkung des Rationalen und des Irrationalen in der religionsgeschichtlichen Arbeit." (Zeitschr. f. Theol. u. Kirche. Neue Folge. 1. Jg. 1920. 2. Heft. S. 67ff.) 2 Paulus. 2. Aufl. 1925. S. 143.

2. K A P I T E L .

Die paulinische Passionsmystik. 1. Der leidende Paulus. Den Ausgangspunkt für das Verständnis der paulinischen Passionsmystik bildet die Tatsache, daß Paulus ein leidender Mensch gewesen ist. Es ist kein Zweifel, er gehört zu den größten Märtyrern, die je gelebt haben. Das Wort des erhöhten Christus an Ananias in Damaskus: „ich will ihm zeigen, was er leiden muß um meines Namens willen" 1 hat sich an ihm in der ganzen Tiefe seiner Bedeutung erfüllt. Wer sein Leben als Apostel Jesu Christi beschreiben will, muß die Geschichte seiner Leiden schreiben. Seine Leidenskontemplation stammt aus der unmittelbaren Leidenserfahrung. Darum sind seine Worte auch so ungemein lebendig. Sie haben ihren eigenen seelischen Rhythmus. Man spürt es ihnen an, daß sie nicht das Ergebnis einer theologischen Meditation über das Leiden sind, sondern der Ausdruck eines ihn im Innersten aufwühlenden Erlebnisses. Sie sind Bekenntnisworte. Vergegenwärtigt man sich die in den sogenannten Leidenskatalogen 2 der Briefe aufgezeichneten Daten in ihrer gedrängten Kürze und sachlichen Schlichtheit, dann erscheint es fast unbegreiflich, daß Paulus nicht unter dieser Last von Leid und Drangsal zusammengebrochen ist. Zu den Gefahren, die ihm aus seinem missionarischen Wirken erwuchsen, kam sein eigenes 1 Acta 9,16.

2 l.Kor. 4,11 bis 13; 2. Kor. 6,4 bis 10; 11,23 ff.

1. Der leidende Paulus.

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körperliches Leiden 1 , die Sorge um seine Gemeinden 2 , die Auseinandersetzung mit den Widersachern seines Evangeliums 3 , das Ringen mit den widergöttlichen Mächten der Finsternis 4 . Tag für Tag stand er unter schwerem Leidensdruck. E r bezeugt das wiederholt: „ich sterbe täglich" 5 ¡„immerdar werden wir, die Lebenden, in den Tod gegeben" 6 ; „Stunde um Stunde laufen wir G e f a h r " 7 ; „um deinetwillen werden wir getötet den ganzen T a g " 8 . Sein Leben ist ein einziger großer Leidenskampf. Mit einer herben Realistik schildert er in aller Nüchternheit die einzelnen konkreten Leidenssituationen, in denen er sich befunden hat. Ohne Scheu spricht er von seinen Tränen und Ängsten 6 , von seiner Trauer und Sorge 10 , von Krankheit und Schwachheit des Leibes 11 , von Gram und Betrübnis 1 2 , von Kämpfen und Befürchtungen 1 3 . Er h a t auch Stunden gekannt, in denen das Übermaß der Leiden ihn fast am Leben verzagen ließ 14 . Geradezu erschütternd ist das Bekenntnis, mit dem er eine Zusammenstellung seiner Leiden im 1. Korintherbrief schließt, in der er von Verleumdung, Entbehrung, Mißhandlung, Heimatlosigkeit, Arbeitsmühsal gesprochen h a t : „wie Kehricht der Welt wurden wir, wie Abschaum von allen bis heute" 1 6 . An seinem Leibe trägt er die Narben schwerster Mißhandlungen und Züchtigungen, von seinen eigenen Volksgenossen hat er Schläge empfangen, die oft beinahe zum Tode führten 1 6 . Seine Seele ist in namenlosen Ängsten gewesen 17 . Man h a t ihn beschimpft, geschmäht, gelästert, der Verachtung preisgegeben 18 . Es gibt keine Drangsal, die ihn nicht betroffen hat. Paulus steht in Leidensgestalt vor uns. Dieser Mann nun sagt merkwürdige, paradoxe Worte über das Leiden. Er h a t wohl alles, was er litt, in der ganzen Wucht 1 Über die Krankheit des Paulus vgl. die ausführliche Darstellung bei H. Windisch, Kommentar zum 2. Korintherbrief. Göttingen 1924. S. 385 ff. 2 2. Kor. 11,28 f. 3 l . K o r . 16,9; Phil. 1,28; 3,18. 4 Eph. 6,12; vgl. 2 , 2 . 5 l . K o r . 15,31. 6 2. Kor. 4 , 8 . 10. 11; vgl. 1 , 3 . 5; 7,5. 7 l . K o r . 15,30. 8 Rom. 8,36. 9 Rom. 12,15; 2. Kor. 2, 4; Phil. 3,18. — Rom. 8,23; vgl. 2. Kor. 1, 9. 10 2. Kor. 11,28 f. 11 Phil. 2,27; 2. Kor. 11,29. 12Röm.9,2. 13 2. Kor. 7, 5. 14 2. Kor. 1, 8 f. 15 1. Kor. 4,13. 16 Vgl. Mischna-Traktat Makkoth § 14. 17 Rom. 9 , 2 . 18 Rom. 3 , 8 ; 1. Kor. 4,10.12; 1. Thess. 2 , 2 ; 1. Tim. 4,10.

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Die paulinische Passionsmystik.

bis in die innersten Lebenstiefen hinein erfahren. Aber nirgends findet sich eine Klage über das Übermaß von Bedrängnissen, nirgends ein Protest gegen das ihm auferlegte Geschick. Von einer Haltung, die in stoischem Gleichmut die Leiden als ein unabänderliches Schicksal auf sich nimmt, ist er weit entfernt. Es fehlt bei ihm jede Spur einer verbitterten oder gar verzweifelten Stimmung. Er trägt vielmehr alle Leiden und Lasten in ausharrender Geduld 1 . Von seinen Lippen kommen Bekenntnisse, die das Leiden als etwas Normales in seinem Christenleben bezeichnen. Sein J a zu den ihm auferlegten Leiden ist klar und bestimmt. Wo er in krasser Deutlichkeit unverhüllt von seinen Leiden spricht, da geschieht es mit großem Ernst, entweder in seelsorgerlicher Absicht 2 oder aus dem Bestreben heraus, die Angriffe seiner Gegner wirksam zurückzuweisen 3 . Gerade seine Leiden bezeugen allen Verdächtigungen gegenüber die Echtheit seines apostolischen Dienstes. Sie sind ihm darum der Gegenstand seines Ruhmes 4 . Paulus h a t auch davon gesprochen, daß die Leiden Auswirkungen des Satans sind 5 . Er s t e h t i n einem alcov 3iov?]Qoqe und liegt in ständigem Kampf mit dem Herrscher dieser Welt 7 . Sein natürlicher Lebenswille h a t sich gegen die Leidensmächte aufgebäumt 8 . Diese Auffassung steht eigentlich unausgeglichen neben der anderen, daß die Leiden normal und gottgewollt seien. Paulus hat kein widerspruchsloses „theologisches" „System". Wie Jesus hat er die Macht des Bösen in ihrer ganzen brutalen Wirklichkeit erkannt und empfunden und doch die Gewißheit gehabt, daß Gott es ist, der alles wirkt. Man kann sich diesen Tatbestand so erklären, daß es bei ihm immer wieder Zeiten gegeben hat, wo die ganze Wucht der Leiden ihn derart bedrängte, daß er sie nur als ein Werk des Satans ansehen konnte. Aber diese Stunden der Anfechtung wurden von ihm 1 Rom. 5, 3 f.; 8,25; 1 5 , 4 . 5 ; 2. Kor. 1 , 6 ; 6 , 4 ; 12,12; Kol. 1,11; 1. Theas. 1 , 3 ; 2. Thess. 1 , 4 ; 3 , 5 ; l . T i m . 6,11; 2. Tim. 3 , 1 0 ; Tit. 2 , 2 . 2 So 1. Kor. 4,13. Paulus stellt seine Lebensführung in einen scharfen Gegensatz zu der Schwärmerei der Korinther und will sie dadurch zur rechten Nüchternheit zurückführen. 3 1. Thess. 3, 3 ff. 4 Rom. 5 , 3 ; 15,17; 2. Kor. 11,30. 5 2. Kor. 12,7. 6Gal.l,4. 7 1. Thess. 2,18; 3 , 5 ; 2. Kor. 2,11; 11,13 f.; 12,7. 8 2. Kor. 12, 8.

1. Der leidende Paulus.

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im Gebet überwunden. Da wurde ihm stets aufs neue die Gewißheit geschenkt, daß seine Leiden der Wille Gottes an ihm sind. Es gehört mit zu den größten Wundern des Glaubens, daß Paulus die Leiden, die an sich doch der Unheilssphäre angehören, die der „natürliche" Mensch zu den schlimmsten Widerwärtigkeiten des Lebens rechnet, und die auch Paulus — und zwar nicht nur der „alte", sondern gerade auch der „neue" Paulus — zeitweise so empfand, in die Heilssphäre des Christus hineingestellt weiß. Bei Paulus ist das Dennoch des Glaubens zu einer weltüberwindenden Macht geworden. Darum ist für ihn die letzte Erkenntnis doch immer die, daß hinter allen Trübsalen eine „göttliche Aktivität" steht. Paulus weiß sich von Gott zu den Drangsalen bestimmt 1 . Er leidet um Christi willen2. Die Verfolgungen kommen über ihn, weil er das Ärgernis des Kreuzes predigt 3 . Für Christus zu leiden sieht er geradezu als ein Gnadengeschenk Gottes, ein XttQiGfta, an 4 . Seine Leiden dienen der Förderung der Heilsverkündigung des Evangeliums 5 . Uber allem steht ihm die Verherrlichung Christi6. Ob dies durch sein Leben oder seinen Tod geschieht, ist ihm völlig unwesentlich geworden. Denn für ihn ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn7. Der mit Leiden überschüttete Mann freut sich dieser seiner Leiden 8 . In den Trübsalen erweist es sich, wie echt und tief seine Freude ist in aller seiner Drangsal 9 . J a , er kann sagen, daß er Wohlgefallen hat an Schwachheiten, an Mißhandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten um Christi willen10. Unter Trübsalslasten jubelt er, unter Drangsalen triumphiert er 11 . „Als die Trauernden, doch allezeit fröhlich" 12 . Diese Freude 1 l . T h e s s . 3 , 3 ; Rom. 8 , 3 6 ; 2. Kor. 12,10. 2 2. Kor. 4 , 1 7 . 3 Gal. 5 , 1 1 ; 6 , 1 2 . 4 Phil. 1 , 2 9 . 5 Phil. 1 , 1 2 f. 6 Phil. 1 , 2 0 f. 7 Phil. 1 , 2 1 . 8 Kol. 1 , 2 4 . 9 2. Kor. 7 , 4 . 10 2. Kor. 1 2 , 1 0 . 11 Vgl. hierzu die treffenden Bemerkungen von Mundle, Das religiöse Leben des Apostels Paulus. S. 78: „Paulus ist der erste der christlichen Mystiker, für die die Leidensfreudigkeit den Grundzug des Wesens bildet, und deren Lebensempfinden es fertig bringt, die Schmerzen des Lebens in ihrer ganzen Tiefe auszukosten und, noch überwältigt von ihrer Macht, in jubelnder Freude sie zu überwinden." 12 2. Kor. 6 , 1 0 . UNT 15: S c h n e i d e r .

2

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Die paulinische Passionsmystik.

ist Frucht des Geistes1. Der Blick auf die gegenwärtigen und zukünftigen, die sichtbaren und unsichtbaren Hindernisse löst in seiner Seele nur einen Lobpreis aus: den in seiner wunderbaren Tiefe einzigartigen und ergreifenden Hymnus von der Macht und Herrlichkeit der alles überragenden Gottesliebe in Christus Jesus 2 . Kein Leiden kann ihn von Christus trennen. Es gibt aber auch keine Stunde in aller seiner Drangsal, in der er nicht den Trost Gottes erfahren hätte 3 . &Xhpig und naQaxtyöig gehören für ihn aufs engste zusammen4. Diese innere Stellung macht es begreiflich, daß er selbst zum Martyrium für seine Gemeinden mit Freuden bereit ist 5 : er will sein Leben für sie hingeben, will als Trankopfer ausgegossen werden über dem Altar ihres Glaubens6. Der Realität der Leiden tritt die Realität der göttlichen Kraft und Herrlichkeit gegenüber. In scharfen Antithesen formuliert Paulus den Gegensatz zwischen seiner äußeren und seiner inneren Lage 7 . Er hat es immer wieder erfahren, daß gerade in der Schwachheit sich Gottes Kraft offenbart 8 . Die Kraft 9 und Machtfülle Christi kann in ihm nur wirksam werden auf der Grundlage seiner Leiden; nur bei Schwachheit kommt sie zur Vollendung10. Diese Gewißheit ist ihm in der einsamen Stunde heißen Gebetsringens geschenkt worden11. Sie ist ihm mehr wert als die hohen Offenbarungen, die er im Zustand seliger Verzückung empfangen hat. Seitdem hat er den „Pfahl im Fleisch", den „Satansengel", der ihn mit Fäusten schlägt 12 , nicht nur ertragen, sondern sein körperliches Leiden auch positiv für sein inneres Leben zu werten gewußt: „auf daß ich mich nicht überhebe" 13 . Die Wirkungskraft der göttlichen Gnade zeigt sich nun aber darin, daß, während sein äußerer Mensch

1 Gal. 5, 22. 2 Rom. 8, 31 ff. 3 2. Kor. 1, 4 f . ; 7 , 6 ; vgl. Kol. 1 , 2 9 . 4 2. Kor. 1, 5. 6. 5 2. Kor. 1 2 , 1 5 ; Phil. 2 , 1 7 ; vgl. auch Rom. 9, 3 f. 6 Phil. 2 , 1 7 . 7 2 . Kor. 4, 8 f ; 2 . Kor. 6 , 4 bis 10. 8 2. Kor. 1 2 , 1 0 . 9 Vgl. zu Svvafits O. Schmitz, Der Begriff Jvvafiie bei Paulus. (Festgabe für Adolf Deißmann zum 60. Geburtstag. Tübingen 1927. S. 139 ff.) 10 2. Kor. 1 2 , 9 . 11 2 . Kor. 12, 7 f. (Das t y k bedeutet offenbar: drei verschiedene Male an von einander getrennten Zeitpunkten.) 12 2 . Kor. 1 2 , 7 . 13 2 . Kor. 12, 7.

1. Der leidende Paulus.

IQ

verdirbt, der innere von Tag zu Tag erneuert wird1. Durch sein Leiden soll erwiesen werden, daß die vjtsQßoli) rrjs övvafiscog Gottes sei und nicht aus Menschen komme2. Denn der Reichtum der Herrlichkeit Gottes kann sich nur an „Barmherzigkeitsgefäßen" kundtun 3 . Nur in einem Leben, das selbst nichts mehr ist und für sich begehrt, kann die Lebensfülle des erhöhten Christus wohnen und zur Wirkung gelangen. So wird Christus an seinem Leibe verherrlicht 4 . Und auch der Reichtum seiner Seele entfaltet sich nur im Leiden. Das Leiden enthält verborgene Gotteskräfte 5 . Es festigt den Glauben 6 und wirkt unvergängliche Heilsgüter 7 . Wie wunderbar prägt sich Christi Geist und Wesen in den Worten aus: „man schilt uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir; man lästert uns, so flehen wir" 8 . Paulus schaut die gegenwärtigen Leiden im Licht der zukünftigen Herrlichkeit. Rückt er sie unter diese große Perspektive, dann erscheinen sie ihm zeitlich und leicht 9 und nicht wert der Herrlichkeit, die einst offenbart werden soll 10 . Gegenüber dem ßaQog vfjg 66§rjq versinkt das ßagog rrjq d-Mipemg11. Aber der Weg zur ewigen Herrlichkeit geht durch die Leiden dieser Zeit hindurch. Ohne Leiden kommt niemand zur doga-Gemeinschaft mit Christus. Die Leiden sind ein notwendiger Bestandteil des Christenlebens. Paulus drückt das so aus: „die Drangsal s c h a f f t in überschwänglicher Weise eine ewig gewichtige Herrlichkeit" 12 . Das erfährt Paulus schon in der Gegenwart. Er wird in stets wachsendem Maß in das Bild Christi verklärt. Seine Passion ist wie die des Meisters Verklärung 13 . Der Grund 3 Rom. 9,23. 4 Phil. 1,20. 1 2 . Kor. 4,16. 2 2. Kor. 4,7. 5 2. Kor. 7,11. 6 Rom. 5 , 1 ff. 7 2. Kor. 4,17 f. 8 1. Kor. 4,12. 9 Rom. 8, 18.; 2. Kor. 4,17. 10 Rom. 8,18. 11 2. Kor. 4,17. 12 2. Kor. 4,17. Hier ist auch auf die mit 'iva eingeleiteten Nebensätze zu achten, die sehr charakteristisch und aufschlußreich für die Eigenart der paulinischen Frömmigkeit sind. Sie müßten einmal im Zusammenhang untersucht werden. Schon M. Dibelius hat auf diese Aufgabe hingewiesen. (Theol. Blätter 3 (1924). Sp. 282 ff.) Vgl. A. Deißmann, Paulus. 2. Aufl. S. 291. 13 Der Zusammenhang von Passion und Verklärung müßte durch das ganze Neue Testament hin verfolgt werden. Er ist für die urchristliche Frömmigkeit von außerordentlicher Bedeutung. Vgl. die Ausführungen von A. Deißmann in „De profundis". Berlin 1925. S. 80 ff. 2*

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Die paulinisohe Passionsmystik.

seiner Herrlichkeitshoffnung aber ist die Auf erweckung Christi 1 . Denn das ist ihm unumstößlich gewiß: der „Leib der Niedrigk e i t " 2 , dessen Schwachheiten er so offen bekennt, wird durch Christus auferweckt und verwandelt werden, daß er gleichgestaltet wird dem Leib seiner Herrlichkeit 3 . Das irdische Zelthaus wird einst abgebrochen und durch einen Gottesbau ersetzt, der ewig ist 4 . Der Blick des leidenden Paulus ist auf das Unsichtbare gerichtet 5 . Dies Unsichtbare ist die Welt des ewigen Christus, in der ihm ein Erbteil bereitet ist 6 . Unter diesem Gesichtspunkt empfindet er sein Leben „in der Heimat des Leibes" als ein Leben in der Fremde 7 . E r seufzt und sehnt sich danach, in der himmlischen Heimat bei Christus zu sein 8 . Sein Verlangen geht dahin, teilzuhaben an dem Auferstehungsleben 9 , an der kommenden Königsherrschaft Christi 10 und an der überschwänglichen zukünftigen Herrlichkeit. Auch die Ewigkeitshoffnung des Paulus steht in ursächlichem Zusammenhang mit seinen Leiden. Denn „Drangsal w i r k t geduldige Ausdauer, geduldige Ausdauer aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung; die Hoffnung aber trügt n i c h t " 1 1 . Doch mit alledem ist noch nicht das Letzte, eigentlich E n t scheidende gesagt. Die Aussagen des Paulus über seine Leiden können in ihrer ganzen Bedeutung erst von seiner Christusmystik aus verstanden werden. Denn auch der leidende Paulus ist sv Xgiörcp. So gehören seine Leiden ganz selbstverständlich hinein in seine Christusgemeinschaft. J a , sie ergeben sich mit Notwendigkeit aus der Verbindung mit dem erhöhten Herrn. Aus dieser Gemeinschaft mit Christus strömen Leidensfluten in das Leben des Paulus hinein. Nur so wird es auch verständlich, daß sich in seinen Briefen kein Wort der Anklage gegen diejenigen findet, die ihm Leiden und Trübsal bereiten. Diese eigentlich so naheliegende Ursache seiner Leiden kommt für ihn nicht in Betracht. Der Ursprung seines neuen Lebens und dies neue Leben selber liegt mit allem, was es in sich birgt, allein in Christus. Darum nennt Paulus seine Leiden „Christusleiden". Und in seiner Gefangenschaft hat der Gedanke, ein 1 4 8 10

1. 2. 2. 2.

Kor. Kor. Kor. Tim.

15, 47 ff., 57; 2. Kor. 4 , 1 4 . 2 Phil. 3, 21. 3 Ebenda. 5,1. 5 2. Kor. 4 , 1 8 . 6 Kol. 1 , 1 2 . 7 2. Kor. 5, 6. 5, 8; 2. Kor. 4 , 1 7 ; vgl. Rom. 8 , 1 8 . 9 Phil. 3 , 1 1 . 2,12. 11 Rom. 5, 3 f.; 2. Thess. 1, 6 ff.

2. Die Leidensgemeinschaft mit Christus.

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Gefangener von Menschen zu sein, für ihn gar keine Bedeutung. Er nennt sich vielmehr in feierlicher Selbstbezeichnung einen Christus-Jesus-Gefangenen. Diese Passionsgemeinschaft mit Christus muß nun im einzelnen näher untersucht werden. Dazu ist es notwendig, zunächst die Anschauungen des Paulus über den Leib, das Kreuz und das Blut Christi kurz zu charakterisieren.

2. Die Leidensgemeinschaft mit Christus. A. Allgemeiner Teil.

a) Der Leib Christi1. Paulus hat den erhöhten Christus in seiner himmlischen Lichtgestalt geschaut. Der Erhöhte ist als XVQIOQ seinem Wesen nach jtvevfia. Aber der pneumatische Christus hat ein öcö/xa. Dieses ocöfia ist im Gegensatz zu dem ooHfia xrjg aagxö?2, in dem er auf Erden wandelte, ein ÖCOFIA EJIOVQ&VIOV , ein OM/XA xviv/zazixSv*, ein aäfia rfjg dogry?5. Das himmlische acöfia ist der verklärte irdische Leib Jesu 6 . Durch die Auferstehung ist sein Fleischesleib verwandelt worden in den Herrlichkeitsleib 7 . Aber das himmlische acöfia zeigt die Züge des irdischen 3

1 Es ist hier auf die sehr gründliche und ausführliche Darstellung von Traugott Schmidt in seinem Buche: „Der Leib Christi" (s. o. S. 3. Anm. 2) zu verweisen. 2 Kol. 1,22. 3 1. Kor. 15, 40. 4 1. Kor. 15,44. 5 Phil. 3,21. 6 So auch Traugott Schmidt a. a. O. S. 21. Vgl. dazu Rom. 8, 11. 1 7 . 2 9 ; 1. Kor. 15, 44 ff; 2. Kor. 3,18; Phil. 3,21; Kol. 3,4. Treffend hat Tr. Schmidt diesen Zusammenhang S. 209 f. betont: „Der pneumatische Christus ist identisch mit dem irdischen Jesus, und so hängt sein pneumatischer Leib aufs engste zusammen mit dem irdischen." 7 Vgl. dazu R. Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte. I. Bd. 3. Aufl. S. 91: „Was seinen Anfang damit nahm, daß Geist in ihn gekommen war, erhielt diesem Anfang entsprechend seine Vollendung dadurch, daß sein ganzes menschliches Wesen von göttlicher Kraft verklärt oder pneumatisiert wurde. Das hat seine genau entsprechende Analogie daran, daß auch die Gläubigen, wenn sie das Angeld des Geistes empfangen haben, eben dadurch die Gewißheit der künftigen Pneumatisierung ihres sinnlichen Lebens empfangen. (2. Kor. 5 , 5 ; 1,22; Rom. 8,16 f.; Eph. 1,14; 1. Kor. 15, 22. 42 f.; Phil. 3, 21.)" Siehe zu diesem ganzen Gedankenkomplex auch S. 92, wo Seeberg von dem „gegenwärtig einen Christus" spricht.

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Die paulinische Passionsmystik.

Leibes Jesu. Diese Identität wird bezeugt durch die Verbindung von XQLÖXOC, und 'Itjöovg, besonders in der Genitivverbindung XQIOTOV 'IRJßOV, die sich oft bei Paulus findet und offenbar diesen Zusammenhang betonen will. Wer den erhöhten Christus schaut, sieht ihn zugleich als den, der die Nägelmale der Kreuzigung an seinem Leibe trägt 1 . . I n dieser verklärten Leiblichkeit ist der Auferstandene seinen Jüngern erschienen. Und Paulus stellt die Erscheinung, die er bei Damaskus gehabt h a t , denen der Jünger vollkommen gleich 2 . Aus der Identität des pneumatischen und des irdischen Leibes Christi ergibt sich für die Christusmystik des Paulus eine bedeutsame Tatsache. In der Gemeinschaft mit Christus t r i t t Paulus und mit ihm jeder, der in Christus ist, nicht nur in Beziehung zu dem xvevfia Christi, sondern auch zu seinem aöäfia, das heißt nun aber nicht nur zu seinem himmlischen Leib, sondern durch diesen auch zu seinem irdischen, an dessen Erlebnissen er Anteil gewinnt. Paulus spricht ausdrücklich von einer xoivmvia rov C(6fiaroQ rov XQIOTOV3. An dem irdischen Leben Jesu ist für Paulus aber nur sein Sterben von wesentlicher Bedeutung. Durch die Gemeinschaft mit dem verklärten Leib des erhöhten Christus also findet eine Gemeinschaft mit seinem Leiden und Sterben statt. Wer in Christus ist, ist damit zugleich in die Passion Christi hineingestellt. Leiden und Sterben Christi werden als gegenwärtig erfahren. Die Passionsmystik des Paulus ist Gegenwartsfrömmigkeit. Seine Aussagen werden darum mißverstanden, sobald man aus ihnen eine „Passionsdogmatik" macht, die nur retrospektiv gerichtet ist. Ob es nun freilich richtig ist, bei Paulus von „Vergegenwärtigung" im Sinne eines psychischen Prozesses zu reden, das muß vorläufig noch dahingestellt bleiben. So viel steht jedoch von vornherein fest, die Frömmigkeit des Paulus kann nicht so verstanden werden, als ob es sich in ihr lediglich um rein psychologische, immanente Vorgänge handelte. Der Gegenwartscharakter seiner Frömmigkeit h a t vielmehr, das kann nicht scharf genug betont werden, seine objektive Grundlage in der ewigen Seinsweise des Christus. Paulus ist durch das Sein und Leben in Christus aus irdischen Zusammenhängen herausgelöst 1 So Deißmann, Paulus. 2. Aufl. S. 153. 3 l . K o r . 10,16.

3 l . K o r . 1 5 , 5 bis 8.

2. Die Leidensgemeinschaft mit Christus.

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und in einen ewigen Zusammenhang hineinversetzt worden. Auch hier ist seine Mystik nur die Erfahrung einer Wirklichkeit, die vor ihm da ist. Seine Passionsmystik ist daher nicht das Ergebnis einer Spekulation, sie ist auch keine actio des Menschen Paulus, sie ist überhaupt nicht von ihm geschaffen oder erdacht: sie ist Geschenk der göttlichen Gnade. Wenn überhaupt von „Vergegenwärtigung" bei Paulus die Rede sein kann, dann kann sie nichts weiter bedeuten als den seelischen Reflex eines objektiven Tatbestandes auf Grund ewiger Gleichzeitigkeit und Gegenwart. Das will sagen: Paulus wird in die göttliche, unmittelbar gegenwärtige Realität des Christus hineingestellt. Dadurch werden natürlich bestimmte seelische Funktionen bei ihm ausgelöst. Aber diesem rein subjektiven Moment kommt keine eigentlich entscheidende Bedeutung in seiner Frömmigkeit zu 1 . Wie der Einzelne, so t r i t t die Gemeinde in Beziehung zu dem Leibe Christi. Das Verhältnis, das für die Einzelnen durch die einander entsprechenden Formeln XQIÖTOQ ¿v rjjJZv und tffielg iv XQIOTCÖ zum Ausdruck gebracht wird, gilt auch für die Gemeinde: in Christus sind alle, die zu ihm gehören, zusammengefaßt zu einer Einheit, so daß sie eine Gesamtpersönlichkeit 2 in ihm bilden. Das ist der eine Gedanke. Christus ist das in der Gemeinde wirksame Pneuma, er verkörpert sich in ihr: das ist die andere Betrachtungsweise. Eine neue Wendung enthält der Gedanke im Epheser- und Kolosserbrief: Christus ist das H a u p t der Gemeinde. Mag nun das Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde mehr als ein immanentes vorgestellt sein, wie in den älteren Briefen, oder als ein mehr transzendentes, wie im Epheser- und Kolosserbrief, jedenfalls stellt Paulus die Gemeinde unter dem Bilde des ACÖFIA, und zwar des AÄFXA XQLÖTOV dar. Aber das ist nicht nur im Bilde geredet. Daß Paulus den Ausdruck ßCÖ/ZAXGIOTOV gebraucht, weist doch darauf hin,daß dieAussagen, die über das oäfia des pneumatischen Christus gemacht werden, irgendwie auch von dem mystischen öäfia Christi, der Gemeinde, zu gelten haben. Traugott Schmidt erklärt ausdrücklich, daß das Sorna der Gemeinde im Grunde dasselbe ist, wie das, welches 1 Vgl. S. 70 ff. 2 Dieser, wie mir scheint, gute Ausdruck, stammt von Tr, ¡Schmidt a. a. O, S. 147 u. ö.

Die paulinische Passionsmystik.

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am Kreuze litt und starb 1 . E s wird sich zeigen, daß auch die Gemeinde als ASFIA XQLÖZOV in einem engen Zusammenhang mit der Passion Christi steht. E s handelt sich dabei, den zwiefachen Aussagen des Paulus über das Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde entsprechend, um ein doppeltes: die Gemeinde erfährt an sich die jtaßrffiaza und ß-Xhpsig Christi, und Christus, der als das Haupt in organischer Verbindung mit der Gemeinde steht, leidet das mit, was seiner Gemeinde zu erdulden bestimmt ist. b) Das Kreuz Christi. Die Identität des pneumatischen Christus mit dem historischen Jesus ist nun von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Anschauungen des Paulus über das Kreuz Christi. Das Kreuz ist für ihn wohl eine Tatsache der Vergangenheit. Dafür zeugen die Aoriste, die Paulus gebraucht, wenn er von der Heilstat Christi spricht. Die Erlösung i s t geschehen. XgiOzog äjit&avev2, vx£Q zwv afiagziäv

u n d z w a r i s t er g e s t o r b e n vjctg r//Mßvi, vjihg ytavToyv5. S e i n T o d

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navzcov1. Durch seinen Kreuzestod hat er den Loskauf von der Sünde 8 und dem Fluch des Gesetzes 9 bewirkt, nagsdofri]

llaatriQiov. Also: Gott hat ihn hingestellt als den Sühner oder als das Sühnemittel. 2 Sehr instruktiv ist die Auseinandersetzung von Schmitz mit Haussleiter über diese Stelle. (Schmitz, Die Christus-Gemeinschaft des Paulus. S. 111 ff.) 3 Vgl. Kol. 1, 14. 4 Ebenso deutet M. Dibelius diese Stelle: „iv t oäfiatt tov Xoiatoii ist wahrscheinlich einfache Wiederaufnahme von iv Xgionqj 'Irjoov" (Lietzmann's Handbuch zum Neuen Testament. Bd. I I I . 2. Aufl. S. 104). In gleicher Weise Schmitz, Die Christus-Gemeinschaft des Paulus. S. 179. 5 Vgl. S. 25. 6 Eine ähnliche Auffassung ist für Kol. 1, 22 von Traugott Schmidt, Der Leib Christi. S. 216 vertreten worden.

2. Die Leidensgemeinschaft mit Christus.

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Weise im Abendmahl erfahren 1 . Paulus spricht 1. Kor. 10, 16 ausdrücklich von der xoivcovia rov aifiavog rov XQLÖTOV. Das Abendmahl ist für ihn eine wirkliche Gemeinschaft mit dem erhöhten Herrn, der als der Gekreuzigte real gegenwärtig ist, und dessen Blut in dem Wein des Segenskelches als gegenwärtige Kraft von den Gläubigen empfangen wird. Bachmann 2 spricht mit Recht von der realen Ineinssetzung von Brot und Wein mit dem Leib und Blut Christi 3 . Mit Recht hat Deißmann 4 darauf hingewiesen, daß diese Form der Identifikation gerade die Ausdrucksweise der kultischen Sprache ist, während die dogmatische Sprache in ihrer mehr rationalen Art bemüht ist, ein kausales Verhältnis herzustellen. Aber bei alledem ist wohl zu beachten, daß die Gemeinschaft, die der Einzelne (innerhalb der Gemeinde) im Abendmahl mit Christus hat, eine pneumatische ist. Paulus hat jede materialistische Auffassung abgewiesen und ebenso jede magische Betrachtung abgelehnt. Er spricht es mit aller Deutlichkeit aus, daß der bloß äußere Genuß des Abendmahls nichts hilft, daß vielmehr der innere Zustand dessen, der es genießt, von größter Wichtigkeit ist 5 . B. Besonderer Teil.

Nach diesen Ausführungen kommt es nunmehr darauf an, den Aussagen des Paulus nachzugehen, in denen er seine Erfahrungen als Christ in Beziehung setzt zu den einzelnen Tatsachen der Passion Jesu. 1 Es ist überhaupt bemerkenswert, daß die Christus-Gemeinschaft für Paulus ihre letzte Tiefe im Abendmahl und in der Taufe erhält, wo sichtbare Zeichen der göttlichen Gnade vorhanden sind. 2 z. St. 3 Bei Joh. Weiß, der interpretiert: „Der Segenskelch enthält nicht gewöhnlichen Wein, sondern das Blut des Herrn", (Komm. z. St.) scheint mir doch ebenso wie bei Heitmüller (Taufe und Abendmahl im Urchristentum. Religionsgeschichtliche Volksbücher. 1. Reihe. 22/23. Heft. Tübingen 1911. S. 66) die Abgrenzung gegen die materialistische und magische Deutung des Abendmahls nicht scharf genug gefaßt zu sein. 4 Hilfe Nr. 13. 1. April 1915: „Die Kraft des Kreuzes". 5 1. Kor. 11,27.

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Die paulinische Passionsmystik.

Paulus erlebt als einer, der in Christus ist, als Glied des XQIÖTOV, alles das mit, was Christus erlebt hat: er leidet mit Christus1, er wird mit ihm gekreuzigt2, er stirbt mit ihm 3 und wird mit ihm begraben 4 ; er wird auch mit ihm auferweckt und verherrlicht 5 . Alle Erlebnisse Christi, die allerdings ihrem innersten Wesen nach Heilsvorgänge sind, werden Gegenwartserlebnisse für Paulus. Daß es sich um ein gegenwärtiges Miterleben und nicht nur um ein Nacherleben handelt, darauf weist deutlich das ÖVV hin, das alle diese Aussagen beherrscht. Das avv XQLÖTOJ ist, wie schon Traugott Schmidt gezeigt hat 6 , in dem SV XQIÖRM begründet. Der objektive Grund aber liegt in der geheimnisvollen Einheit des pneumatischen Leibes mit dem auferstandenen Leib des Gekreuzigten. öcöfia

a) Mit Christus gekreuzigt. Paulus hat die einzigartige Bedeutung des Kreuzestodes Jesu darin gesehen, daß die sarkisch-physische Menschheit, die von Adam her in einem somatischen Zusammenhang steht, in den Tod gegeben ist, und daß die widergöttlichen Mächte der „Welt": a/iagria, oapg und varo? vernichtet worden sind. Wenn er davon spricht, daß er mit Christus gekreuzigt worden ist, so bringt er damit zum Ausdruck, daß alles das, was sich in dem Kreuze Christi vollzogen hat, auch an ihm geschehen ist und geschieht. In dem Gedanken: mit Christus gekreuzigt liegt nach den Aussagen des Paulus ein Doppeltes. Einmal spricht er davon, daß in dem Sterben Jesu das Sterben aller gesetzt ist 7 . Der Tod Jesu umfaßt „über die Schranken der Zeit und der einander getrennten Personen übergreifend"8 in geheimnisvoller Weise auch Paulus; und zwar so, daß in dem Kreuze Jesu sein alter Mensch mitgekreuzigt worden ist 9 . Das 1 Köm. 8 , 1 7 ; 2. Kor. 1 , 5 ; Phil. 3 , 1 0 ; Kol. 1 , 2 4 . 2 Rom. 6 , 6 ; Gal. 2 , 1 9 ; 5 , 2 4 ; 6 , 1 4 . 3 Rom. 6 , 1 ff; 7,4; Kol. 2 , 2 0 . 4 Rom. 6 , 4 ; Kol. 2 , 1 2 . 5 Rom. 6 , 4 ; 8 , 1 0 f . ; 8 , 1 7 ; 2 . K o r . 4 , 1 4 ; 1 3 , 4 ; Phil. 3 , 1 0 f.; Eph. 2, 5 f.; Kol. 2 , 1 2 f.; 3 , 1 f.; 3 , 4 . 6 a. a. O. S. 212. 7 2. Kor. 5 , 1 4 . 8 0 . Schmitz, Die Christus-Gemeindschaft des Paulus. S. 248.

9 In diesem Sinn ist wohl Rom. 6, 6: o naXaioe fificöv äv&gconos

oweoravpcü&i} zunächst zu verstehen.

2. Die Leidensgemeinschaft mit Christus.

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ist ein ganz objektiver, vor aller Erfahrung liegender Vorgang, in dem Gott in Jesus souverän gehandelt hat. Zum anderen aber redet Paulus von einer Erfahrungstatsache seines persönlichen Lebens: in der Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten (dem ¿OTavQcoi-isvog) wird er in der Gegenwart mit Christus gekreuzigt. Dieser Gedanke steht, so sehr Paulus dabei auch die Kreuzigung Christi vor Augen hat, bei ihm im, Vordergrund. Gal. 2, 19 bringt Paulus die Tatsache des Mitgekreuzigtseins in Beziehung zum G e s e t z . Es heißt dort: ¿yco yaQ öia vSfiov vOI.ifp ajzefravov, iva freo) $6co. XQIGTCÖ övvEötavQcofiai. Wie schon aus den Darlegungen über das Kreuz Christi 1 hervorgeht, kann es sich hier nicht um eine nachträgliche Beteiligung an dem Kreuzestode Jesu handeln, wie Zahn 2 meint, sondern nur um die mystische Vereinigung mit dem söravQcofisvog. Christus ist des Gesetzes Ende 3 . I n dem Gekreuzigten erfährt Paulus die befreiende Tatsache, daß das Gesetz auch über ihn keine Macht mehr hat. Nicht durch vernünftige Erwägungen ist das quälende Gesetzesproblem für ihn gelöst, sondern dadurch, daß er mit Christus gekreuzigt worden ist. Was durch keine menschliche Anstrengung erreicht werden konnte, ist in dem Gekreuzigten Wirklichkeit und Gnadengeschenk. Gegenüber denen, die das Gesetz wieder zur Geltung bringen wollen, bezeugt er, daß er als ein XQIÖVO} övvsöravQcofievog dem Gesetz ein für allemal gestorben ist. E r lebt nicht mehr in der Sphäre des Gesetzes. Was er lebt, das lebt er Gott in der Gemeinschaft mit Christus. — Ganz ähnlich ist der Gedankengang Rom. 7, 4 4 . Es liegt kein Anlaß vor, die Ausdrücke ajiid-avov und övveOravQoofiai auf die Taufe zu beziehen 8 . Auch die Auffassung, die Traugott Schmidt, freilich in sehr vorsichtiger Weise, vertritt 6 , daß alle Stellen, die von einem Sterben und Auferstehen mit Christus als von einem einmaligen, in der Vergangenheit

1 Vgl. S. 24 ff. 2 Komm. z. St. 3 Rom. 10, 4. 4 Vgl. dazu Tr. Schmidt (a. a. 0 . S. 214), der eine eingehende Exegese dieser Stelle gibt. 5 So z. B. Lietzmann, Komm. z. Römerbrief. (Handbuch z. N. Test. III. 1. 2. Aufl. Tübingen 1919. S. 16.) 6 a. a. O. S. 213. UNT 15: S c h n e i d e r .

3

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Die paulinische Passionsmystik.

geschehenen Akte reden 1 , in Beziehung zur Taufe stehen, läßt sich kaum aufrecht erhalten. Denn Paulus empfindet seine Bekehrung als einen solch ungeheuren Umschwung in seinem Leben, daß er nur von Tod und Neuschöpfung reden kann. Zudem ist für ihn nicht die Taufe das Entscheidende gewesen, sondern das Christuserlebnis vor Damaskus, das seine Gemeinschaft mit Christus begründete 2 . Es kommt die Überlegung hinzu, daß Paulus von der Taufe nur als von einem Mitsterben und Mitbegrabenwerden mit Christus spricht. Die Beziehung auf die Kreuzigung legt die Taufhandlung selbst nicht nahe. Man wird daran festhalten müssen, daß Paulus an den Stellen, an denen er von der Passionsgemeinschaft mit Christus handelt, nur da die Taufe meint, wo er sie ausdrücklich erwähnt. Wo er das nicht tut, ist die Beziehung auf die Taufe für das Verständnis der in Betracht kommenden Stellen durchaus nicht notwendig. Was vom Gesetz gilt, das gilt ebenso von der W e l t . Paulus rühmt sich Gal. 6, 14 ¿v rn öravQcn [rov XVQIOV r/fimv 'Irjoov XQIÖTOV, 6I ov e/ioi xööf/og söraigcorai xaym xoö/iop. Die Formel 6i ov, die sich auf das vorhergehende n:ov) und dann v. 12: ¿vövoaod-e ovv. Nun darf man aber die Wucht und Tiefe und logische Unbegreiflichkeit der paulinischen Gedanken über die Passionsgemeinschaft mit Christus nicht dadurch abschwächen, daß man sie n u r ethisch versteht. Es steht in geradem Gegensatz zu Paulus, wenn Kühl erklärt, Paulus wolle sie ausschließlich in sittlichem Sinn gewertet wissen 1 . I n v. 5 (Rom. 6) nimmt Paulus den Gedanken des ßanziöß-rjvai sig zov fravazov noch einmal auf und gibt ihm eine Wendung, die in der Form an die antike Mysteriensprache anklingt: övficpvzoi2 ysy6vafiev zm ofioicofiavi zov {havarov avzov: die zu Christus gehören, sind in der Taufe mit ihm verwachsen zu einem seinem Tode ähnlichen Tode 3 . Zu 6vfie . . . (3. K i . 2 2 , 2 7 ; 2 . Ch. 1 8 , 2 6 ) ; Scooei xvoioi v/iiv &çiov Miyecog ( J s . 3 0 , 2 0 ) . E b e n s o bildhaft treffend ist der A u s d r u c k : fjfiäs Se kxUxlcoaav noïlaï d-liipete (1. Makk. 1 2 , 1 3 ) . —• In den

LXX fand Paulus eine Fülle von Aussagen über die &liyeig.

1. Die jüdischen Voraussetzungen.

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Tiefer noch ist der Gedanke, daß Gott in den Drangsalen selbst bei dem Leidenden ist. Gott spricht über i h n : uhr avrov eljii ev ftlhpii (90, 15). Das aber ist eine E r f a h r u n g , die gerade auch P a u l u s immer wieder bezeugt: Gottes K r a f t offenbart sich m i t t e n in Leid u n d Schwachheit. Das Thema der Klagepsalmen ist der leidende und wieder gerettete Beter. Das Bild des unschuldig leidenden Gerechten, das Paulus in den Psalmen entgegentrat, f a n d er in den Schriften der Propheten wieder. Eine Gestalt m u ß t e sich ihm nachdrücklichst einprägen: die des jcaig rov XVQLOV in J e s a i a 53. Jes. 53 enthält ein tiefes Leidensmysterium. Der K n e c h t Gottes ist der Mann der Schmerzen u n d Krankheiten. E r ist geschlagen und verwundet, mißhandelt u n d verfolgt, tief erniedrigt und von den Menschen ausgestoßen; er gilt als ein von Gott Verfluchter u n d wird von den Gottlosen in den Tod gegeben. Doch er t r ä g t sein Leiden still und ergeben, demütig u n d schweigend, geduldig und ohne Widerstand zu leisten. Das alles erscheint u m so unbegreiflicher, als er selbst schuldlos ist. Aber das Rätsel löst sich: es ist nicht eigene, sondern fremde Schuld, die er auf sich n i m m t ; er t r ä g t die Sünden vieler. I m m e r aufs neue k e h r t gerade dieser Gedanke in dem Text der L X X wieder (v. 4. 5. 6. 11. 12.). Sein Leiden u n d Sterben h a t sühnende Bedeutung. E s besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem Leiden des Gerechten u n d dem Heil der Menschen. D a s Leiden ist ein notwendiges Glied in dem Heilsplan Gottes. Sieht m a n in dem Leiden n u r eine Strafe f ü r die eigene Sünde, d a n n erscheint schuldloses Leiden völlig sinnlos. Stellt m a n es aber in den großen Zusammenhang der göttlichen Welt- u n d Heilsordnung, d a n n erhält es seinen tiefen Sinn. Dazu k o m m t eine andere E r k e n n t n i s : gerade an dem verachteten K n e c h t , der f ü r die Menschen d-avarov JiaQsdöfh] (53, 12), t u t Gott ein W u n d e r : vipcod-ijöSTai xal öo^aoO-tjösrai (52. 13). Das aber sind Ausdrücke, die wie Präludien zur paulinischen Christologie klingen. Der Knecht, der ein schmähliches E n d e n a h m , wird von Gott gerechtfertigt. Diese T a t Gottes ü b t eine wunderbare Wirkung auf die Menschen aus: die Völker u n d Könige, die das schauen, werden kommen u n d sich zu Gott bekehren.

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Der religionsgeschichtliche Hintergrund d. paulin. Passionsmystik.

Wir sehen hier Erkenntnisse auftauchen, die wir bei Paulus in voller Klarheit wiederfinden: die Idee des sühnenden und stellvertretenden Leidens, die Notwendigkeit des Leidens des „Gerechten", die Einordnung des Leidens in den göttlichen Heilsplan, den inneren Zusammenhang von Tod, Auferweckung und Verherrlichung. Von einer Leidensmystik ist freilich noch nicht die Rede. Aber daß diese Gedanken zu den Grundlagen der paulinischen Anschauung über das Leiden gehören, ist ganz deutlich. Neuere Forscher haben den hebräischen Text von Jes. 53 mit irgendwelchen Mysterien in Verbindung gebracht 1 . Greßm a n n 2 hat die Vermutung ausgesprochen, daß Jes. 53 auf ein aus den Mysterien stammendes Kultlied zurückgeht, das am Todestag des „Gottes" gesungen wurde. E r nennt dies Kapitel deshalb ein Kultlied, weil es in lebhafter Vergegenwärtigung die Leiden so schildere, „als spiele sich alles vor den Augen des Mysten ab", und weil sich in ihm die charakteristische Situation des Kultliedes finde, die darin besteht, daß die Verherrlichung, die allerdings nur leise anklingt, sich „unmittelbar und ohne Zwischenstufe" an sein Leiden und Sterben anschließe. Auch Sellin 3 neigt der Annahme zu, daß es in Israel Kreise gegeben hat, die man mit den nicht jüdischen „Mysterienvereinigungen" zu vergleichen habe; Kreise, in denen die EbedJahwe-Gestalt den Mittelpunkt von Dichtungen dramatischer Art bildete. Es ist in der Tat auffällig, wie die Ebed-JahweGestalt bei Deuterojesaja dichterisch behandelt ist. Nach Sellin steht es so: bald t r i t t der Ebed Jahwe selbst sprechend auf (49, 1 ff.; 50, 4 ff.), bald redet Gott von ihm (42, 1 ff.; 52, 13 bis 15; 53, 12), bald äußert sich das Volk über ihn, erst höhnend, dann reumütig klagend (53, 1 bis 6), bald deutet ein Interpret seine Leiden (53, 7 bis 10) oder fordert auf, darauf zu achten 1 Wir beschränken uns hier im wesentlichen darauf, die Anschauungen einzelner Forscher darzustellen. Ein irgendwie abschließendes Urteil in dieser Frage ist bei dem gegenwärtigen Stand der Diskussion außerordentlich schwierig. Das Material zur Beurteilung dieser Dinge ist recht dürftig. Man wird deshalb über eine mehr oder minder begründete Hypothese kaum hinauskommen. 2 H. Greßmann, Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie. Göttingen 1905. S. 326 f. 3 E. Sellin, Das Zwölfprophetenbuch, übersetzt und erklärt. Leipzig 1922. S. 494 f.

1. Die jüdischen Voraussetzungen.

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(50, 10 f.) Gibt man zu, daß es sich in der uns überlieferten Form des masor. Textes um ein Kultlied oder jedenfalls um eine Dichtung in dramatischer Form handelt, so liegt, da das Kultlied zumeist eine Kulthandlung begleitet oder sie ausdeutet, der Gedanke nahe, daß das Schicksal des Ebed Jahwe in dramatischer Aufführung dargestellt und von dem auserwählten Kreis der Eingeweihten unter tiefster Anteilnahme als gegenwärtig sich vollziehend miterlebt wurde. Sellin hat mit Recht darauf hingewiesen, daß alle Aussagen über den Ebed Jahwe „in unmittelbarer Verbindung mit dem Kommen des Heils in der Endzeit stehend gedacht" sind. So wird man, wenn man eine Kultfeier annimmt, an eine eschatologische Kultfeier zu denken haben. I n der Frage, wie weit dann außerisraelitischer Einfluß vorliegt, wird man so zu urteilen haben, daß in formaler Hinsicht außerisraelitische Einflüsse wohl vorliegen können. Aber eigentümlich israelitisch ist der Heilscharakter der Ebed-JahweGestalt und der Gedanke des stellvertretenden Leidens. Das sind Momente inhaltlicher Art, die sich nicht aus außerisraelitischen Kulten herleiten lassen, sondern zum eigentlichen Wesen der israelitischen Religion gehören. Ähnlich urteilt auch Mowinckel 1 . I m ganzen wird man sagen dürfen, daß die von Greßmann und Sellin vorgetragene Theorie nicht sehr wahrscheinlich ist. Bei aller Bereitwilligkeit, dem Einfluß außerisraelitischer Kultur und Religion gerecht zu werden, bleibt doch bei sorgfältiger Prüfung des im Alten Testament überlieferten Schrifttums der Eindruck, daß die israelitische Frömmigkeit wirklich mystischen Gedanken schwer zugänglich gewesen ist. Aber wie dem auch sei, f ü r unsere Aufgabe kommen alle diese Erwägungen nicht unmittelbar in Betracht. Denn Paulus h a t den griechischen Text in aller Schlichtheit gelesen und ihn als heiligen Text auf sich wirken lassen, ohne sich aller religionshistorischen Zusammenhänge bewußt zu werden. Eine Leidensgestalt wie die des Gottesknechtes Jes. 53 ist der „Durchbohrte" in Sacharja 12, I I 2 . Um ihn, der eines 1 S. Mowinckel, Der Knecht Jahwäs. Kristiania 1921. S. 61 f. 2 Im Ev. Joh. 19, 37 ist diese Stelle auf Christus bezogen und damit die christliche Auffassung zum erstenmal schriftlich fixiert worden. Die Untersuchungen von A. Deißmann (Die Septuaginta-Papyri und

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Der religionsgeschichtliche Hintergrund d. paulin. Passionsmystik.

gewaltsamen Todes gestorben ist, wird in der Endzeit unter dem Druck des Bußgeistes die Totenklage anheben 1 . Und Gott wird, das ist wohl der Gedanke, der im Hintergrunde steht, an ihm das Wunder der Auferweckung vollziehen und ihn vor aller Augen herrlich darstellen. In gewaltig erschütternder Weise zeigt auch das griechische H i o b b u c h den unschuldig leidenden Gerechten. Von furchtbarer Krankheit heimgesucht, leidet Hiob unaussprechliche Seelenqual. Er seufzt: JIQO yag rmv ßtzcov fiov özevayfioq ijxet, daxgvco de eyco övvexoftevog (3, 24); ovre iiQijVEVöa ovre y) • xai tä. eTtovoävia xal i\ 8dt;a tmv dyyeXcov xal ol äoyßvtee ooaroi re xai ao^aroi, iav /j.rj nioxnSoaioiv eis tö alfia Xgiotov, xäxeivois XQiais eativ.

2 Paulus: l . K o r . 11,1; vgl. 1. Kor. 4,16; Eph. 5 , 1 ; 1. Thess. 1 , 6 . 3 Rom. 6, 3. 4 Philad. 7 , 2 . 5 Eph. 12,2. 6 Philad. 7 , 2 . 7 ad Phil. 9 , 2 : iteTteiOfievove äti OVXOL ndvtes ovx eis xevbv eSga/iov,

aXV iv 7tto?£i xal Sixatoovvfl, xal örc eis tbv napä Tcp xvqifjt), o> xal ovvena&ov.

ocpeiXdfievov

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1. Altchristliche Passionsfrömmigkeit.

131

und nun zu der Schar der Vollendeten bei dem Herrn gehören 1 . Die Wertschätzung des Leidens ist bei ihm dieselbe wie bei Paulus und Ignatius; für das Leiden soll man Christus preisen (eäv xaOxoJfisv 6m ro ovofta avrov, doga^m/zev avrov)2. Die Leidensgemeinschaft mit Christus gilt ihm als das höchste Gut; sie ist das Hochziel des Christenlebens. Darum mahnt Polykarp: /upjral ovv yevcöfjed-a rrß vnofiovijg avrov3. Was Ignatius und Polykarp bezeugen, steht nicht vereinzelt da. Die altchristliche Frömmigkeit ist nicht zum geringsten Teil Passionsfrömmigkeit. Der Blick der alten Christen ist mit tiefer Andacht und frommer Hingebung auf die Leiden, das Blut und das Kreuz Christi gerichtet. Diese sind die Mächte, „welche das gegenwärtige Christenleben tragen, erhalten und regieren" 4 . Der Verfasser des 1. C l e m e n s b r i e f es rühmt an den Korinthern (2, 1), daß die Leiden Christi ihnen vor Augen stehen 5 . Er mahnt an anderer Stelle: „laßt uns hinstarren (drsviöiofisv) auf das Blut Christi und erkennen, wie köstlich es für Gott, seinen Vater, ist 6 ." Das Kreuz Christi wird als gegenwärtige, lebenbringende Kraft erfahren. Es ist „das große Mysterium der Gemeinde" 7 . Als eine göttliche Realität steht es vor den Gläubigen. Wer das Zeugnis des Kreuzes nicht bekennt, der ist ¿x 6iaß6lov8. Man wird auf die geheimnisvolle Gestalt des Kreuzes aufmerksam. B a r n a b a s deutet alttestamentliche Stellen in diesem Sinn 9 . Das Ausstrecken der Hände als liturgischer Gestus wird in den Oden S a l o m o s 1 0 zu einem Symbol für das Kreuz und macht es vor aller Augen zu einem lebendig-gegenwärtigen Wahrzeichen. Wohl unter gnostischem Einfluß wird das Kreuz zum Gegenstand tiefsinniger Spekulation. In den apokryphen A p o s t e l a k t e n , die als volkstümliche Literatur „gern um das Kultische kreisen" 11 , ist von einem doppelten Kreuz, einem 1 ad Phil. 9,2. 2 ad Phil. 8,2. 4 Bousset, Kyrios Christos. S. 239. eonv

3 Ebenda.

5 1. Clem. 2 , 1 : xal ita.&rjfiara avrov rjv Ttoo orp&aXumv i/imv. 6 1 . Clem. 7 , 4 : äreviocofiev eis ro cufiti rov Xpiorov v.ai yvtöfiev rl/iiov taJ d'ecö t