198 86 9MB
German Pages 101 [124] Year 1955
SAMMLUNG
GÖSCHEN
BAND
562
WERKZEUGMASCHINEN FÜR
METALLBEARBEITUNG ii
FERTIGUNGSTECHNISCHE GRUNDLAGEN NEUZEITLICHEN
DER
METALLBEARBEITUNG von
Professor Dipl.-Ing.
KARL
P. M A T T II E S Berlin
M i t 30 A b b i l d u n g e n
u n d 5 T a f e l n im
Text
WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J . Göscben'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.
B E R L I N 1955
Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten
Copyright 1955 by W A L T E R D E G R U Y T E R & 0 0. Berlin W 35. Genthiner Str. 13
Archiv-Nr. 1105 62 Druck von Mercedes-Druck, Berlin SW 61, Blücherstr. 22 Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis Band II Fertigungstechnische Grundlagen der neuzeitlichen Metallbearbeitung Einführende Bemerkungen 1. H i n w e n d u n g d e s M e n s c h e n z u r s p a n e n d e n technik
Seite 4 Form-
2. H a u p t f a k t o r e n d e r s p a n e n d e n F o r m t e c h n i k
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21 Schneidenwerkzeug, geometrische Form und Beschaffenheit
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22 Spanbildungsvorgang, Kraft- und Leistungsbedarf
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23 Standzeit der Werkzeugschneide
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24 Wirkungsweise der Schneidflüssigkeit
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25 Werkstückbezogene Grundlagen
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26 Maschinenbezogene Grundlagen
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3. A u s b l i c k e d e r s p a n e n d e n F o r m t e c h n i k
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31 Metallbearbeitung nach neuesten physikalischen Erkenntnissen
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32 Neue Hochleistungsschleifverfahren
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Literaturverzeichnis
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Sachverzeichnis
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Einführende Bemerkungen Wie schon in Band I vorausgeschickt wurde, wollen die 4 Bändchen über „Werkzeugmaschinen für Metallbearbeitung" als ein zusammenhängendes Ganzes betrachtet werden. Weil aber die Anwendungs- und Leistungsmöglichkeiten der verschiedenartigen Werkzeugmaschinen erst aus der Kenntnis der f e r t i g u n g s t e c h n i s c h e n G r u n d l a g e n ganz zu verstehen sind, verlangen letztere eine besondere Untersuchung. Ebenso ist für die Gestaltung und Beurteilung einer Maschine schlechthin die Klarheit über das ihr zugrundeliegende technische Verfahren und die Wirkung der sie sonst beeinflussenden Faktoren im Bezug auf Kraft, Richtung und Bewegung überhaupt unerläßlich. Das gilt f ü r den Kraft- und Arbeitsmaschinenbau gleichermaßen wie beim Werkzeugmaschinenbau und bei allen anderen technischen Disziplinen, obwohl die Gestaltungsprinzipien in der Regel von einander abweichen. Dieser Band wird deswegen in dem Bestreben geschrieben, ein allgemein verständliches Bild von der spanenden Metallbearbeitung zu geben, darüber hinaus soll er dem Studierenden und auch dem Fachmann möglichst viel spezielles Fachwissen vermitteln. Da die Werkzeugmaschine indessen nur e i n Glied in dem ganzen fertigungstechnischen System darstellt und häufig dem Werkzeug, Spannzeug, Werkstück u. a. m. weit größere Bedeutung zukommen, wird besonderer Wert darauf gelegt, die Bearbeitung in den W e c h s e l w i r k u n g e n des Zusammenspiels der beteiligten Glieder zu sehen, wobei insbesondere auf die Dinge gründlicher eingegangen werden soll, die erfahrungsgemäß die größten Schwierigkeiten bieten. Wo hierbei Kritik an bestimmten Gegebenheiten entsteht, möchte diese als lehrhaftes Beispiel für andere Arbeiten dienen. Grundsätzlich h a t die Werkzeugmaschine die Aufgabe zu erfüllen, die Erkenntnisse und Fortschritte auf vielen Gebieten fertigungstechnisch wirksam werden zu lassen, und dazu bedarf es auch einer Vertiefung in die technologischen Voraussetzungen. In diesem Sinne soll der vorliegende Band einen Beitrag leisten. K. P. M a t t h e s Berlin, F r ü h j a h r 1955
Band II
Fertigungstechnische Grundlagen der neuzeitlichen Metallbearbeitung 1. Hinwendung des Menschen zur spanenden Formtechnik Die spanende Bearbeitungstechnik gehört zu den ältesten spezifisch technischen Betätigungen, denen sich der Mensch bewußt zuwendet. Sie beginnt offenkundig in der Steinzeit (Paläolithikum) mit der Erzeugung des ersten Werkzeuges, das der Mensch zur Befriedigung seiner notwendigsten Lebensbedürfnisse erfand und herstellte. Damit sich diese Epoche überhaupt ergeben konnte, mußte der Mensch allerdings zuvor schon „Techniker" gewesen sein. Freilich kann daraus nicht der Schluß gezogen werden, als ob die Herstellung von Maschinen und Werkzeugen der einzige Zweck der Technik wäre. So einfach liegt dieses Problem nicht; um es gründlicher zu analysieren, muß hier nachdrücklich vermieden werden, der Auffassung Raum zu geben, daß Technik allein vom Werkzeug aus zu verstehen sei. In Wahrheit reicht die Technik weit über den Menschen zurück und zahllos sind die Techniken, die keinerlei Werkzeuge bedürfen. Gleichwohl besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen der Menschent e c h n i k und der Technik anderer Lebewesen. Betrachten wir beispielsweise die Technik des Tieres, so gelangen wir zu der gewichtigen Erkenntnis, daß diese immer gleichbleibend ist und solange existiert, bis der betreffende Typus ausstirbt. Demgegenüber vollzieht sich die Technik im Leben des Menschen bewußt, willkürlich, lernbar, persönlich, erfinderisch; sie ist also veränderlich. Indessen bildet sich die t e c h n i s c h e F ä h i g k e i t nur in einem inhaltlichen Ganzen, bei welchem sich der Verstand verbunden mit der erfinderischen Phantasie weniger nach dem technischen als nach einem schöpferischen Plan orientiert. Das gilt für alle vorangegangenen Epochen genau so wie für die heutige; demnach ist es auch nicht angängig, den Standpunkt einzunehmen, das bloß die Technik von heute „wirklich" Technik sei. Ebenso widerspricht es unserer Vorstellung, die gegenwärtige Technik im geschichtlichen Zusammenhang nur als eine von vielen Techniken zu sehen. Ohne Zweifel weist die heutige Technik einen stark dominierenden Charakter auf; sie ist, ungeachtet ihrer Differenzierung, tatsächlich zu einer Stellung gelangt, die sie im Dasein des Menschen noch niemals
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
innegehabt hat. Aber wenn davon die Rede ist, daß die Technik immer neu erlernt und dauernd verbessert wird, wirkt sie auf ihre Art auch ordnend und gestaltend. Technik ist in diesem Sinne kein Produkt der Außenwelt, sondern darf nach ihrer inneren Form und schöpferischen Aktivität schlechthin als konkreter Ausdruck der Kultur bezeichnet werden. Doch fragt man sich, was ist nun in der Entwicklung der technischen Fähigkeiten geschehen, daß es zu diesem Stand der Technik kommen konnte? Im Grunde genommen wurzelt die stärkere Hinwendung zum Technischen darin, daß sich die Beziehung zwischen Mensch und Technik in den letzten 150 Jahren gewissermaßen notwendig subjektiv und immanent vertieft hat, was wiederum begünstigt wurde, indem die technische Funktion selbst eine wesentliche Veränderung erfuhr. Hiervon blieb natürlich auch die „spanende Formtechnik" nicht ausgeschlossen. Bei der Wichtigkeit der spanenden Metallbearbeitung für die Technik wendete man sich selbstverständlich schon frühzeitig auch der Erforschung der formgebenden Vorgänge zu. Nachweislich erhielt die Metallbearbeitung bereits im Altertum von Seiten der Mathematiker und Naturwissenschaftler starke Impulse zu unzähligen Verbesserungen, doch von vornherein beruhte der Fortschritt hauptsächlich auf Erfahrung und Beobachtung. Der a l t e r t ü m l i c h e n F o r s c h u n g , sofern diese mit der spanenden Formtechnik in Verbindung zu bringen ist, mangelte es nolens volens an einer vorurteilsfreien Erkenntnislehre; in der üblichen Betrachtungsart wurde vor allem das materiale Moment dem formalen gleichgesetzt, und so gab es lange Zeit keinen eigentlichen Fortschritt in der Erschließung der „Stoffwelt". Es blieb deshalb die Vorstellung vom Aufbau der Materie und des Materials bis in die jüngste Zeit unvollkommen; man bedurfte erst der umwälzenden Erkenntnisse der Chemie und Metallurgie, um die Erforschung der wirklichen formtechnischen Vorgänge zu ermöglichen. So konnte auch der epochemachende Ingenieur des Mittelalters, Leonardo da Vinci, der, wie in Band 1 aufgewiesen wurde, Bahnbrechendes für die Metallbearbeitung geleistet und viele neuartige Schneidweikzeuge konstruiert hat, sich lediglich auf die Mittel und Methoden der Mechanik, also der Elemente der sogenannten einfachen Maschinen stützen. Eine zweckmäßige Formgebung der Werkzeugschneide nach der heutigen Auffassung war ihm tatsächlich noch unbekannt. 2. Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik Soll ein Werkstück innerhalb bestimmter Toleranzen maßhaltig, form- und oberflächengerecht, wirtschaftlich hergestellt werden, sind
Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
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die mannigfachsten t e c h n o l o g i s c h e n E i n f l ü s s e zu beachten. Insbesondere kommt es auf den zu bearbeitenden Werkstoff, das Werkzeug und seinen Baustoff, die Werkzeugmaschine und die Arbeitsbedingungen schlechthin an. Aber auch die werkstattstechnischen Prüfverfahren, die Arbeitsvorbereitung und Geschicklichkeit des Arbeiters spielen eine wichtige Rolle. Wir beschränken uns hier auf die Einflußgrößen im Bereich des Systems „Werkzeug — Werkstück — Maschine". Für die Betrachtung der spanenden Bearbeitung ist es daher zweckmäßig, nach Werkzeug, Werkstück und Maschine zu unterteilen. Die Beziehungen der Hauptfaktoren, wie sie z. B. beim Drehen bestehen, werdenin B i l d l schematisch veranschaulicht. Wie man sieht, ergeben sich für die verschiedenen Glieder eine Reihe systematischer Zusammenhänge, die gewissermaßen repräsentativ die spanende Formgebung charakterisieren: 1. Das W e r k z e u g wird bestimmt durch den Schneidenstoff, die Schneidenwinkel, Form, Genauigkeit und den Zustand der Schneide, die Standzeit, sowie die Stabilität des Werkzeuges im Ganzen. 2. Das W e r k s t ü c k wird bestimmt durch den Werkstoff und seine Vorbehandlung, die Spanbarkeit, die Form, seine Abmessungen und den Oberflächenzustand, sowie die Stabilität im Ganzen und seine Einspannung. 3. Die M a s c h i n e wird bestimmt durch ihre Leistungsfähigkeit, Starrheit und den Betriebszustand, die Meßeinrichtungen, Kühl- und Schmiermittelzufuhr, sowie die Späneabfuhr. Weiter zeigen die mit Richtungspfeilen versehenen Verbindungslinien zwischen den in Bild 1 dargestellten einzelnen Faktoren deren gegenseitige Abhängigkeit an. Wenn gleich mit dem D r e h e n begonnen wird, so hat das seine guten Gründe; das Drehen ist die einfachste spanende Formgebung, sozusagen das Schulbeispiel für die Darstellung der Grundbegriffe, außerdem ist es am weitestgehenden erforscht. Ferner gestattet es die Benutzung eines „Einschneiden-Werkzeuges", dessen Form am leichtesten genau herzustellen ist. Dazu verläuft der Drehvorgang kontinuierlich, wobei die Schnittgeschwindigkeit an der Schneide konstant gehalten werden kann. Die älteste spanende Formgebung ist das Bohren, welches sich mit dem „Stechdrehen" vergleichen läßt. Entschieden verwickelter sind die Untersuchungsbedingungen für das Fräsen und Schleifen, weil die Werkzeuge dieser Verfahren mit vielen Schneiden ausgerüstet sind und in unterbrochenem Schnitt arbeiten. Dennoch können die beim Drehvorgang gewonnenen Erkenntnisse sinngemäß auf die Vorgänge der anderen Bearbeitungsverfahren
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
übertragen werden. Nicht aber lassen sich natürlich die für das Abspanen durch Drehen geltenden Gesichtspunkte oline weiteres bei den übrigen spanenden Bearbeitungsvorgängen anwenden. Übrigens so einfach der Drehvorgang erscheinen mag, im Grunde sind die
Bild 1. Ordnung und gegenseitige Beziehungen der Hauptfaktoren bei der spanenden Bearbeitung
Zusammenhänge, unter welchen er sich vollzieht, wohlgemerkt noch keineswegs völlig zu durchschauen. Mit der wissenschaftlichen Erforschung derselben, sowie der systematischen Ordnung der Er-
Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
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scheinungen, der Aufdeckung der Zusammenhänge und der Zurückführung der komplizierten Vorgänge auf einfache Gesetzmäßigkeiten hat man erst vor rd. 50 Jahren begonnen. Auf einen Generalnenner sind die bisher gewonnenen theoretischen Erkenntnisse und auch die praktischen Erfahrungen noch nicht gebracht worden. Nach den Resultaten der jüngsten Forschungsarbeiten zu schließen, möchte man sogar meinen, daß wir vor einem neuen Anfang stehen; daher ist im Augenblick kaum zu übersehen, wohin die Entwicklung der spanenden Formtechnik überhaupt führen wird. Worauf es bei aller F o r s c h u n g s a r b e i t auf unserem Gebiet letzten Endes ankommt, ist, daß dadurch Unterlagen geschaffen werden, die dem Praktiker die Kenntnis über das voraussichtliche Verhalten von Werkstück und Werkzeug bei der Formgebung vermitteln. Dieses Vorauswissen weist zugleich den besten Weg zum Fortschritt; jedoch ohne eine enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis ist hier kein wirklicher Fortschritt denkbar. Oft ergeben sich durch die Einführung neuer Stoffe für Werkzeug und Werkstück völlig veränderte Verhältnisse, so daß sich die Einflußgrößen dauernd ändern. Analog den von Prof. Siebel für die bildsame Formgebung festgelegten Begriffen wie Umformwiderstand, Umformgeschwindigkeit, Umformvermögen und Umformarbeit, sind für die spanende Formgebung zu nennen: Schnittwiderstand, Schnittgeschwindigkeit, Spanbarkeit, Formarbeit und Schneidenstandvermögen. Im Bezug auf eine wirtschaftliche Fertigung kommt es in erster Linie darauf an, daß die Gegebenheiten von Werkzeug, Werkstück und Maschine bei der Formarbeit möglichst weitgehend ausgenutzt werden. Grundsätzlich vollzieht sich die F o r m a r b e i t zwischen Werkzeug und Werkstück, um welche herum die Werkzeugmaschine gestaltet wird; deren Hauptaufgabe ist es dann, den ersteren Führung, Kraft und Geschwindigkeit zu erteilen. Da nun Kräfte niemals auf einen Körper allein wirken, sondern immer zwischen zwei Körpern, so besteht bei diesen während des Formungsprozesses das natürliche Bestreben, ihre Lage zueinander soweit als möglich dauernd zu verändern. Maßgeblichen Einfluß darauf haben die Spiele in den Führungen, Lagerungen u. s. f., kurz des mechanischen Systems, sowie gewisse elastische Verformungen der in die Kraftübertragung eingeschalteten Organe. Bei der spanenden Bearbeitung führen diese Vorgänge unter Umständen zu sogenannten „Rattermarken" auf der Werkstückoberfläche, die zugleich auf das Vorhandensein von durch den Formungsprozeß hervorgerufenen Schwingungen schließen lassen. Die Folge davon sind zusätzliche Beanspruchungen der be-
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
troffenen Bauelemente von Maschine und Werkzeug, was nicht selten der Anlaß zu Ermüdungsbrüchen ist. Entstehen hör- oder sichtbare Schwingungen, bzw. beide Arten zusammen, so ist das häufig ein Zeichen dafür, daß die Maschine überlastet ist oder daß mit zu hohen Drehzahlen gearbeitet wird. Endlich können auch stumpfe Werkzeuge oder falsche Schneidenformen derartige Schwingungen verursachen. Aus der Struktur dieser Markierungen läßt sich andererseits unschwer erkennen, durch was die Schwingungen wahrscheinlich verursacht wurden. Beispielsweise entstanden die in Bild 2 gezeigten
Bild 2. Schwingungsmarkierungen infolge zu großen Lagerspieles
S c h w i n g u n g s m a r k e n durch das zu große Spiel (0,05 mm) des vorderen Lagers einer Drehbank. Nach Verringerung des Lagerspiels auf etwa 0,026 mm traten diese Rattermarken nicht mehr auf. Hingegen sind die Markierungen der Werkstückoberfläche (Bild 3) ganz anders geartet und auf ein zu weit überhängendes Werkzeug zurückzuführen. Es können zufolge einer nicht genügenden Unterstützung des spanenden Werkzeuges sogar beim Schlichten auf Grund selbsterregter und erzwungener Schwingungen Beschädigungen des Werkstückes eintreten, die schwerlich wieder gutzu-
Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
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raachen sind. Werkzeugbrüchen wird im allgemeinen durch eine sorgfältige Bedienung der Maschine und das sachgemäße Aufnehmen bzw. Spannen von Werkzeug und Werkstück vorgebeugt. Mancher Schaden an der Schneide entsteht dadurch, daß die Maschine unter Schnitt stillgesetzt wird, weswegen diese Unsitte in jedem Falle zu bekämpfen ist. Besondere Aufmerksamkeit ist in diesem Zusammenhang der W i n k e l e i n s t e l l u n g der S c h n e i d e zur Längsvorschub-Richtung zu schenken. Schon mit einer Vergrößerung des sogenannten „Einstellwinkels" — über welchen später noch nähere Erläuterungen folgen — von 30° auf etwa 43°1rönnen die vornehmlich bei der Stahl-
Bild 3. Schwingungsmarkierungen infolge zu weit überhängenden "Werkzeuges
bearbeitung auftretenden Schwingungen, wie sie Bild 4 veranschaulicht, verhindert werden, demzufolge eine Verringerung der „Längsrauhigkeit" eintritt. Besonders wichtig ist die Einhaltung des richtigen Einstellwinkels bei Diamant-Schneiden, da hierbei selbst die kleinsten Abweichungen sich sehr nachteilig auf das Arbeitsergebnis auswirken. In der Praxis unterdrückt man solche Markierungen, ohne sich über die Ursachen völlig im klaren zu sein, vielfach dadurch, daß man die Schnittgeschwindigkeit herabsetzt, was eine bestimmt nicht
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
Bild 4. OberflächenbeschaffeDheit durch Einstellwlnkel x beeinflußt
beabsichtigte Leistungsminderung zur Folge hat. Rattermarken in Schnittrichtung, wie sie in Bild 5 zu sehen sind, treten häufig bei spröden und teilweise auch bei halbplastischen Werkstoffen auf. Sie werden hauptsächlich durch periodisch wiederkehrende Änderungen der Schnittkraft und die damit verbundenen elastischen Verformungendes Systems „Werkzeug — Werkstück — Maschine" hervorgerufen. Diesen Verformungen folgt zusammen mit den unvermeidlichen Spielen in Führungen und Lagern wie gesagt logisch eine Änderung der gegenseitigen Lage von Werkzeug und Werkstück, wodurch sich wiederum die Schnittkraft verändert. Unter „SchnittBild 5. Schwingungsmarkieruogen auf Gewindeflanken
Hauptfaktoren der spanenden Formteehnik
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k r a f t " versteht man, den späteren Erläuterungen vorweggenommen, die Kraft, die durch den Widerstand, den der Werkstoff der Spanabnahme entgegensetzt und der auf das Werkzeug ausgeübt wird. Geraten die dauernden Änderungen der Schnittkraft mit den Eigenschwingungen der Maschine in Resonanz, so treten die Markierungen auf der Werkstückoberfläche besonders stark in Erscheinung. Im übrigen sind Schwingungen und Rattern die Feinde eines jeden mechanischen Betriebes, denn sie zerstören Werkzeuge und Maschinen und führen zu schlechten Arbeitsergebnissen. Ansonsten werden die S c h n i t t k r a f t s c h w a n k u n g e n bei der Spanbildung durch die Nicolson-Kurve (Bild 6) in großen Zügen aufgewiesen. 7000
Vorschub 300mm m Sh,
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Bild 6. Schnittkraftschwankungen nach Nicolson
Die Kurvenwerte entsprechen dem Drehvorgang bei Stahl (Schnittgeschwindigkeit v = 1 mm/min, Spantiefe a = 100 mm, Vorschub s = 6,4.mm/U). Während beim Formen der einzelnen Spanteile die Schnittkraft bis auf rd. 6000 kg ansteigt, sinkt dieselbe bei der Abtrennung des Spanes vom Werkstück auf rd. 3600 kg ab. Bei höheren Schnittgeschwindigkeiten folgen die Kraftänderungen jedoch so schnell aufeinander, daß ihre Messung große Schwierigkeiten bereitet. Ihr Vorhandensein ist aber am Auftreten von Vibrationenzu erkennen. Im wesentlichen hängen Amplitude undFrequenz der bei der Spanbildung in bestimmtem Rhythmus auftretenden Schnittkraftschwingungen sowie die sonstigen damit verbundenen
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
Schwingungsarten sowohl vom Werkstoff als auch von den Schnittbedingungen ab, wobei die Schnittgeschwindigkeit den größten Einfluß ausübt. Der Spanbildungs vorgang an sich ist damit selbstverständlich nicht völlig geklärt, darüber sollen in Abschnitt 22 noch weitere Aussagen gemacht werden. Erstmalig wurde die S c h n i t t k r a f t m e s s u n g von Taylor um die Jahrhundertwende beim Drehen im praktischen Betrieb vorgenommen; er bediente sich dabei der sogen, indirekten Methode, indem er die Energieaufnahme des Antriebsmotors bei der Abbremsung feststellte. Obwohl diese Untersuchungen nicht so exakt sein konnten, wie die schon früher von C. Karmarsch, Herrn. Fischer lind H. Codron laboratoriumsmäßig durchgeführten Schnittkraftversuche, wiesen sie doch auf die Notwendigkeit hin, daß der Spanquerschnitt hierbei nicht nur als Produkt gesehen werden darf, sondern Spantiefe und Vorschub gesondeit zu betrachten sind. 21 S c h n e i d e n w e r k z e u g , g e o m e t r i s c h e F o r m u n d Beschaffenheit Wie umfangreich die Werkzeugfrage ist, beweist schon das von J. F. Allen bei Warner & Swasey 1946 für die „Erforschung der Arbeitsmöglichkeiten mit Hartmetallen beim Einschneiden — Drehen" aufgestellte Programm: 1. Kombinationen der Schneidenwerkzeugformen 12 0U0 Möglichkeiten 2. Kombinationen von Schnittgeschwindigkeiten, Vorschub und Schnittiefe 18 ,, 3. Hartmetallsorten 12 ,, 4. Kombinationen über Schneiden-Behandlung 8 Beschränken wir uns auf die Bestimmungsfaktoren der Werkzeugschneide allein, so haben wir es mit folgenden Veränderlichen zu tun: 1. Werkzeug-Schneidenstoff 1 Veränderliche 2. Härte 1 ,, 3. Schneidenwinkel ^ 6 „ 4. Spitzenrundung 1 ,, 5. Schneidenschärfe 1 ,, 6. Spanflächenzustand 1 ,, Was wir heutzutage als wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete der spanenden Metallbearbeitung bezeichnen, wurde unweigerlich durch die Arbeiten von Frederic Winslow Taylor um die Jahrhundertwende eingeleitet. Er war wohl auch hier der Erste, der
Schneidenwerkzeug, geometr. Form und Beschaffenheit
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die Bedeutung der E i g e n s c h a f t e n des B a u s t o f f e s für Schneidenwerkzeuge erkannte und durch eine systematische Untersuchung der Auswirkung ihrer verschiedenen Legierungselemente (W, Cr, Mo und V in Verbindung mit C) auf die Schneidqualität entdeckte. Daß dieser Weg unter Heranziehung metallurgischer Hilfen richtig war, beweist seine Erfindung des „Schnelldrehstahles", welchen er anläßlich der Pariser Weltausstellung i Jahre 1900 als Neuheit nach Europa brachte und mit einer bis dahin für unmöglich gehaltenen hohen Schnittgeschwindigkeit vorführte. Der einzige S c h n e i d e n s t o f f war vordem jahrhundertelang der C-Stahl, d. h. seit Kenntnis der Stahlhärtung, ohne nennenswerte Verbesserungen gewesen. Nach der Einführung des Schnelldrehstahles brachte Ellwood Haynes 1907 unter dem Namen „Stellit" eine Chrom-Kobalt-Wolfram-Gußlegierung auf den Markt, mit welcher die Grundlagen für noch leistungsfähigere Schneidlegierungen geschaffen wurden. Maßgebend für die Auswahl des Schneidenstoffes ist unleugbar die formtechnische Aufgabe; abgesehen davon ist der Blick in erster Linie auf die Wirtschaftlichkeit des Werkzeuges und weniger auf den absoluten Wert desselben zu richten. Ferner spielt die zulässige Temperatur an der Werkzeugschneide, die von der Anlaßbeständigkeit des Werkzeugstoffes abhängt, eine entscheidende Rolle. Trotz der von einander abweichenden Reibungswerte der einzelnen Werkzeugstoffe ist deren Einfluß auf die Schnittkraft von nur untergeordneter Bedeutung. Darum kommen heutzutage sowohl Werkzeugstähle (legiert und unlegiert) als auch Schnellstähle und Hartmetalle (Sinter-Hartmetalle), im allgemeinen, sowie Diamanten besonders bei der Feinbearbeitung in Frage. W e r k z e u g s t ä h l e (WS) werden vorwiegend für die Bearbeitung kleiner Stückzahlen und auf älteren Maschinen, die keine hohen Schnittgeschwindigkeiten zulassen, verwendet. Für Spiralbohrer unter 5 mm Durchm. wird wegen der Bruchgefahr ebenfalls meistens WS gewählt, wie man zu Reparaturarbeiten bei Verwendung von Handbohrmaschinen auch größere Spiralbohrer aus WS benutzt. Einen Sonderfall stellt die Maschinenreibahle für Leichtmetallbearbeitung dar, wo WS in der Regel die besten Lochwandglätten ergibt. Höchstmögliche Schneidentemperatur ca. 300° C. S c h n e l l s t ä h l e (SS) bieten bei großen Stückzahlen unter Ausnutzung hoher Schnittgeschwindigkeiten recht günstige Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Fertigung. Ihre gute Schneidleistung beruht auf der hohen Anlaßbeständigkeit ihres Grundgefüges und der Härte. Diese werden durch die entsprechende Wahl der Legierungselemente, aber auch durch das hüttenmännische Ver-
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
fahren bei der Erzeugung des Edelstahles erzielt. In dieser Beziehung ist es gelungen, z. B. den Wolfram-Gehalt von 22% bis auf 2,5% bei neuzeitlichen sogenannten „Spar-Schnellstählen" herabzusetzen, ohne die Warmhärte zu beeinträchtigen. Gewiß verlangen solche gewissermaßen „überzüchtete" Stähle eine sehr sorgfältige Behandlung bei der Härtung. Als Maßstab für die Beurteilung der unzähligen Schnellstahl-Sorten dient noch heute die von ihrem Erfinder E. W. Taylor empfohlene Legierung: 18% W, 4 % Cr und 1 % V, die unter der Kurzbezeichnung „18-4-1-Schnellstahl" zur Standardtype geworden ist. Deren Leistungsgrenzen entsprechend ist allseitig die Entwicklung der Werkzeugmaschinen in den letzten 30 Jahren zu einem gewissen Abschluß gebracht worden. Höchstmögliche Schneidentemperatur ca. 600° C. H a r t m e t a l l e (HM) kommen für spanend zu bearbeitende Werkstoffe in Frage, ebenso für Isolier- und Kunststoffe. Sie gestatten die höchsten Schnittgeschwindigkeiten und sind in der Mengenfertigung den anderen Schneidstoffen entschieden überlegen. Dazu wirkt sich die hohe Schnittgeschwindigkeit bei einer sachgemäßen geometrischen Form der Schneide besonders günstig auf die Beschaffenheit der bearbeiteten Fläche aus. Eine Verringerung der Schnittgeschwindigkeit etwa auf die Werte von Werkzeug- oder Schnellstahl ist zwecklos, denn sie bringt keine entsprechende Erhöhung der Standzeit des Werkzeuges mit sich. Deswegen wird auf Automaten, wo die hohen Schnittgeschwindigkeiten nicht ausgenutzt werden können, meistens Schnellstahl verwendet. Die große Überlegenheit der Hartmetalle (Sinter-Hartmetalle nach DIN (E) 4960), ist indessen an bestimmte Voraussetzungen gebunden: möglichst hohe Schnittgeschwindigkeit, stoß- und schwingungsfreien Spanungsvorgang, nicht zu großen Spanwinkel, sorgfältigste Schneidenerzeugung und -behandlung. Während bei allen pulvermetallurgischen Formgebungen — kein Schmelz- sondern Sintervorgang — bestimmte ausgezeichnete physikalische Eigenschaften zu erzielen sind, muß andererseits eine große Sprödigkeit dieser Erzeugnisse mit in Kauf genommen werden. Infolgedessen sind die I1M gegen stoßartige Beanspruchungen leicht anfällig, so daß nicht zum wenigsten Unterbrechungen im Schnitt die Werkzeugschneide gleichsam gefährden können. Bezüglich ihrer Ausnutzung auf den derzeitigen Werkzeugmaschinen möchte hervorgehoben werden, daß hier die Maschinenbauer konstruktiv noch manches nachzuholen haben. Höchstmögliche Schneidentemperatur ca. 900° C. D i a m a n t e n (DW) dienen im allgemeinen der Fein- bzw. Endbearbeitung. Außer durch die Form der Schneide wird das Diamant-
Schneidenwerkzeug, geometr. Form und Beschaffenheit
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Werkzeug wesentlich durch den mikrogeometrischen Zustand des Schneidstoffes bestimmt. Eine Diamantschneide läßt sich dazu feiner als die Schneiden anderer Werkzeugstoffe schleifen und polieren, so daß z. B. beim Diamantdrehen Profilrauhtiefen von 0,25 bis 1,0 (i ohne weiteres zu erzielen sind. Zufolge der systematischen Untersuchungen auf dem Gebiete der Feinbearbeitung mit Diamanten ist es jedoch jetzt notwendig geworden, die vorliegenden Ergebnisse nach eindeutigen Begriffsbestimmungen zu ordnen, denn die in DIN 768 festgelegten Daten lassen sich nicht unmittelbar auf die Verhältnisse beim Feinschnitt übertragen. Da es sich hierbei nur um kleine Spanleistungen handelt, sind die höchsten Schnittgeschwindigkeiten anzuwenden; Die natürliche Abnutzung der Schneide ist wegen des außerordentlich hohen Verschleißwiderstandes des Diamanten gering, einwandfreie Arbeitsweise vorausgesetzt. Über die W e r k z e u g h ä r t e und den Widerstand gegen Schneidenverschleiß ist zu sagen, daß diese hauptsächlich von dem Schneidenstoff und seiner Anlaßbeständigkeit abhängen, beim Werkzeug- und Schnellstahl also auch von der Wärmebehandlung. Mit einem Vickers- oder Rockwell-Härteprüfer gemessen, beträgt z. B. bei Schnellstahl die Härte ungefähr 62 bis 65 R „C". Vollstähle verlieren häufig durch das Umschmieden von ihrer Qualität, weil dabei oft eine unvermeidliche Kornvergrößerung eintritt. Bei den Hartmetallen sind die Stellite oder Karbide für die Härte maßgebend, welche unveränderlich zwischen 82 und 90 R „C" liegt. Von nicht geringerer Bedeutung als die Baustoffrage des Werkzeuges ist die Frage nach den W i n k e l n u n d F l ä c h e n an der
Bild 7. Winkel und Flächen an der Werkzeugschneide 2 M a t t h e s , Werkzeugmaschinen I I
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
W e r k z e u g s c h n e i d e . Dieselben müssen sich ohne Bezug auf die L a g e des Werkstückes zum W e r k z e u g festlegen, herstellen und messen lassen. L a g e und Bezeichnung der W i n k e l an der Schneide sind i m Bild 7 dargestellt, ferner werden durch die angegebenen Vektoren die Hauptebenen, in welchen die K r ä f t e bei der spanenden Formung wirken, gekennzeichnet. Die Ebenen entsprechen den Relativbewegungen zwischen Werkstück und W e r k z e u g ; diese sind die Schnittbewegung (1), der Quervorschub (2) und der L ä n g s v o r schub (3). Z u m Messen der W i n k e l verwendet man a m besten unveränderliche Lehren und möglichst keine verstellbaren W i n k e l transporteure. A n erster Stelle ist der S p a n w i n k e l y zu nennen. E r ist f ü r die Spanbildung der wichtigste Schneidenwinkel, dient unmittelbar dem
positiv
Spanwinkel
negativ
Bild 8. Einflüsse des Spanwinkels y auf die Schneidenbelastung Eindringen der Hauptschneide in den Werkstoff, erleichtert m i t seiner Vergrößerung den Ablauf des Spanes, weil letzterer dabei eine geringere Stauchung erfährt; der Spanwinkel beeinflußt sonach auch die Schnittkraft. Seine Größe richtet sich nach d e m abzuspanenden Werkstoff und ist daher in weiten Grenzen veränderlich. Für die Bearbeitung v o n Leichtmetall k o m m t z. B. ein Spanwinkel bis etwa 40° in Frage, während er mit abnehmender Formbarkeit des Werkstoffes immer kleiner gewählt werden m u ß ; bei besonders harten und äußerst schwer zu bearbeitenden Stoffen kann er sogar negative W e r t e bis ca. 40° annehmen. Man hat d e m negativen Spanwinkel insbesondere bei Verwendung v o n Hartmetallwerkzeugen in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit geschenkt. A u s der schematischen Darstellung zweier Schneiden in Bild 8 m i t positivem und negativem Spanwinkel können die grundlegenden Zusammenhänge abgeleitet werden.
Schneidenvverkzeug, geometr. Form und Beschaffenheit
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Ohne auf die im allgemeinen an der Schneide auftretenden Kräfte hier gleich einzugehen, seien die anderen bedeutsamen Erkenntnisse nachfolgend erklärt: 1. Bei negativem Spanwinkel werden die Schnittkräfte durch einen größeren „Schneidecken-Querschnitt" aufgenommen als bei positivem Spanwinkel, denn mit der Vergrößerung des Keilwinkels ß wird die Festigkeit des Werkzeuges erhöht. 2. Bei negativem Spanwinkel ist der Abstand des „Spangleitpunktes" auf der Spangleitfläche, kurz „Spanfläche" (Schneidenbrust), weiter von der Schneidkante entfernt als bei positivem Spanwinkel. Dadurch entsteht eine geringere „Auskolkung", wie die Aushöhlung auf der Spanfläche heißt, also eine schwächere Verschleißwirkung am Werkzeug; denn der am Spangleitpunkt auftreffende Span ist bereits soweit geformt, daß nur noch ein kleiner Schnittkraftanteil als die Reibung verursachende „Normalkraft" wirksam wird. Auch bildet sich die Auskolkung nicht mehr in der Nähe der Schneidkante, was für diese natürlich günstig ist. 3. Bei negativem Spanwinkel ist das Werkzeug weniger durch Stöße gefährdet als bei positivem, und selbst Stöße, wie sie vorwiegend bei der Bearbeitung von gegen die Schnittrichtung genuteten oder unregelmäßigen Flächen unvermeidlich sind, werden in diesem Falle in gewissem Abstand von der Schneidkante aufgenommen. Hingegen wird bei positivem Spanwinkel die Schneide oft schon durch Stöße zerstört, ehe es überhaupt zum Schnitt kommt. 4. Je größer der negative Spanwinkel ist, desto mehr Verformungsarbeit muß allerdings am Span geleistet werden. Die Leistungsaufnahme ist bei negativem Spanwinkel jedenfalls größer, als bei positivem. Nach Untersuchungen von Opitz können als Richtwerte hierfür angenommen werden: Spanwinkel y = 0° Leistungsaufnahme = 100% „ =80% V = + 15° y=8" „ =120% Prinzipiell hängt die Größe des negativen Spanwinkels von der Schnittgeschwindigkeit ab, mit der gearbeitet werden soll. Spanwinkel und Schneidenneigung sind so zu wählen, daß die Eindringzeit der Hauptschneide möglichst groß wird, dabei ist der Schneidenverschleiß am geringsten. Als weiterer Vorteil gilt, daß mit zunehmender Schnittgeschwindigkeit und gleichzeitig negativem Spanwinkel der Abstand des Spangleitpunktes von der Schneidkante zunimmt. 2*
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Hauptfaktoren der spanenden Formtechnik
Der F r e i w i n k e l < x s der Hauptschneide ist ebenfalls für das Eindringen derselben in den Werkstoff wichtig und erleichtert den Schneidvorgang. Während der Span auf der Spanfläche abläuft, findet an der durch den Freiwinkel gebildeten „Freifläche", also auf dem Rücken des Werkzeuges, eine mehr oder weniger starke Anpassung zwischen Werkstück und Werkzeug statt. Insofern ist unausbleiblich mit einer gewissen Verunreinigung der Werkstückoberfläche durch herausgerissene Werkstoffteilchen zu rechnen, die sich dann an der Werkzeugfreifläche reiben. Daneben federt die Werkstückoberfläche nach jeder auch nur teilweisen Entlastung von der Schnittkraft zurück und drückt dabei nicht minder gegen die Freifläche. Gewöhnlich bewegt sich die Größe von ot E zwischen 3° und 12°. Um die Schneide möglichst wenig zu schwächen und um einen nicht zu kleinen Keilwinkel ß zu erhalten, wird man die Winkel a s und y nicht unnötig groß wählen. Indessen gelangen wir damit noch keineswegs zu einem abschließenden Urteil über die Schneide, denn infolge eines zu kleinen Spanwinkels können unter l'mständen sogenannte Quetschspäne entstehen, durch welche möglicherweise die Schneidkante so rasch abstumpft, daß das Werkzeug ungünstiger beansprucht wird, als bei größerem y und entsprechend kleinerem ß. Nur in geringem Maße wirkt sich eine Zunahme des Freiwinkels schnittkrafterniedrigend aus, und wenn schon, so ist das nur bei Winkeln unter etwa 8° der Fall. Dem N e i g u n g s w i n k e l X kommt bei der Verwendung von Hartmetallschneiden mit Rücksicht auf deren Sprödigkeit besondere Bedeutung zu. Durch ihn wird eigentlich die Beanspruchung der Schneidenspitze bestimmt. A ist positiv, wenn bei eingespanntem Werkzeug (s. Bild 7) der tiefste Punkt der Schneide an der Spitze liegt — negativ, wenn die Werkzeugspitze den höchsten Punkt der Schneide ergibt. Infolge der Schneidenneigung geschieht die Spanspaltung nicht gleichzeitig auf der ganzen Spanbreite, sondern sukzessiv, so daß auch die Schnittkraft erst allmählich auf ihren Endwert ansteigt. Nächst dem Spanwinkel verdient der H a u p t s c h n e i d e n w i n k e l c (Bild 7) vordringliche Beachtung. Bisher wurde für die Winkeleinstellung der Hauptschneide allgemein der „Einstellwinkel" x benutzt. Er ist von wesentlichem Einfluß auf die Schnittkraft, den Überflächenzustand des Werkstückes, einen vibrationsfreien Schnitt usw. (s. Bild 4). Seine Größe schwankt in der Regel zwischen 30° und 60°, beim Seitenstahl beträgt er 90°, und beim Stechstahl kann er 0° erreichen. Die Bearbeitung verhältnismäßig langer und dünner Werkstücke setzt einen möglichst großen Einstellwinkel voraus, weil solche
Schneiden Werkzeug, geometr. Form und Beschaffenheit
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Teile leicht in Schwingungen geraten. Über den Einfluß von x auf die an der Schneide wirkenden Kräfte geben die in Bild 9 dargestellten Versuchsergebnisse Aufschluß. Mehr möchte über die Kräfteverhältnisse bei der Spanbildung zunächst nicht gesagt werden. Als Hauptursache der Schnittkraftzunahme bei einer Verkleinerung des Einstellwinkels ist die Vergrößerung der unter Schnitt stehenden Schneidkantenlänge anzusehen. Indem die Vorschubkraft P3 sich nur unwesentlich verändert, kann ihr Einfluß praktiscli vernachlässigt werden. Neuerdings wird in der formtechnischen Forschung, insbesondere in Amerika, an Stelle des Einstellwinkels x (plan angle) immer häufiger dessen komplementärer Winkel, nämlich, wie gesagt, der Hauptschneidenwinkel c (side cutting edge angle)
Bild 9. Einfluß des Einstellwinkels x auf die Schnittkräfte (Nach G. Schlesinger)
(Bild 7) gewählt. Da der Hauptschneidenwinkel am Werkzeug selbst winkelgerecht geschliffen und auch gemessen werden kann, ist seine Benutzung gegenüber dem Einstellwinkel vorzuziehen. Ferner ist durch die unveränderliche Lage des Winkels zur Werkzeugachse eine genauere Einstellung des Schneidwerkzeuges beim Einspannen desselben möglich, und es bleibt nicht dem Gefühl des Arbeiters überlassen, wie er durch eine etwaige Schrägstellung des Werkzeuges dem Einstellwinkel gerecht wird. An die Hauptschneide schließt sich die N e b e n s c h n e i d e an; doch da dieselbe nicht unmittelbar am Schneidprozeß beteiligt ist,
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bedürfen die Nebenschneidenwinkel hier keiner besonderen Untersuchung. Indessen sei darauf hingewiesen, daß alle von der H a u p t und Nebenschneide losgetrennten Werkstoffteile dasjBestreben haben senkrecht zu ihrer Schneidkante abzurollen. Näher betrachtet handelt es sich also in diesem Gebiet der Werkzeugschneide, d. h. an der Schneidenspitze, u m einen mehr oder minder „gehemmten" Spanablauf. Weil eben die beiden Schneidkanten unter einem spitzen Winkel zu einander-stehen, müssen sich die abgetrennten Werkstoffteile beim Ablauf gegenseitig behindern. Von unmittelbarem Einfluß ist in diesem Zusammenhang auch die Spitzenrundung des Schneidwerkzeuges, die zugleich mitbestimmend ist f ü r die wirksame ,,Schneidkantenlänge", welche mit größer werdender Rundung zunimmt, wobei zu guter Letzt die spezifische Wärmebelastung abnimmt.
Auf welche Weise die Größe der S p i t z e n r u n d u n g r den Spanablauf beeinflußt, geht aus der Darstellung in Bild 10 hervor. Es werden im Bild drei Werkzeuge mit verschiedener Spitzenrundung gezeigt, dabei sind die Spanquerschnitte (schraffiert) gleichbleibend, so daß die Spantiefe a und der Vorschub s sich entsprechend ändern. J e kleiner die Spitzenrundung ist, desto mehr wird der Spanablauf (doppelt schraffiert) gestört, hingegen läßt die parabelförmige Bogenschneide (Fall c) den Span nahezu ungestört ablaufen. Jede Hemmung des ablaufenden Spanes beeinträchtigt natürlich die Oberflächenbeschaffenheit des Werkstückes. I m übrigen
Schneidenwerkzeug, geometr. Form und Beschaffenheit
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hängt die Störzone an der Schneide auch wesentlich von dem Verhältnis Vorschub: Schnittiefe ab. Deswegen erscheint es wichtig, gleich an dieser Stelle die Frage des Einflusses von Vorschub s und Spitzenrundung r auf die Oberflächenbeschaffenheit in großen Zügen zu klären. Als Maß für den Rauhigkeitsgrad, d. h. den Abstand der tiefsten von der höchsten Stelle der Oberfläche, wird im allgemeinen der Ausdruck P r o f i l r a u h t i e f e Hr verwendet, hierbei ist anzumerken, daß dem Wert H r in Vorschubrichtung die größte Bedeutung zukommt. Man bezeichnet diese Oberflächencharakteristik in der Regel mit „Querrauhigkeit" im Gegensatz zur „Längsrauhigkeit", die meistens geringer ist als die erstere. Unter der Voraussetzung, daß die Spitzenrundung mit genauem Radius r ausgeführt ist, kann die Querrauhigkeit H r nach der Formel berechnet werden: (1) Wird eine parabelförmige Bogenschneide (Fall c, Bild 10) angenommen, so gelangen wir zu der vereinfachten Formel:
Mithin ist die Q u e r r a u h i g k e i t Hr theoretisch vom Vorschub s und der Spitzenrundung r abhängig, aber nicht von der Spantiefe a, sie steigt quadratisch mit dem Vorschub und ist umgekehrt proportional der Spitzenrundung. Aus der Praxis wissen wir allerdings, daß die Rauhigkeitsprofile von den theoretischen Werten nicht unbedeutend abweichen, weil eben noch Einflüsse, die durch die Verformungen beim Schneidvorgang bedingt sind, hinzukommen. In Wirklichkeit ist ja der Werkstoff niemals gleichförmig, bald sind einzelne Kristalle oder ganze Kristallgruppen stark zerstört und verformt, während an anderen Stellen dies nur teilweise zutrifft. Nicht zum wenigsten kommt es auch auf den Zustand der Maschine an, insbesondere auf das Spiel zwischen Support und Bettschlitten, welches häufig durch ein Nachstellen der Keilleisten einzuengen ist. Dafür läßt sich ein praktisches Beispiel anführen: es wurde mit dieser Maßnahme beim Drehen von Stahl St 60.11 die Querrauhigkeit von durchschnittlich 8 fi auf 5 ß verringert. Grundsätzlich ist als Kriterium für die Z e r s t ö r u n g d e r S c h n e i d e das plötzliche Ansteigen der Quer- und Längs vorschubkraft anzusehen, wobei wiederum die Spitzenrundung eine wichtige Rolle spielt. Zur Feststellung dieser Kräfte bedient man sich des „Schnittkraftmessers", der dazu in den Stahlhalter eingespannt
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wird. Zeigt dieser eine Erhöhung der Kräfte um rd. 10% an und steigen die Werte langsam weiter, so kann der Beginn der Abstumpfung angenommen werden. Im weiteren Verlauf entstehen dann blanke Streifen auf der Werkstückoberfläche. Logischerweise stumpft zuerst die Schneidenspitze ab und danach folgen die anderen Schneidenteile. Freilich genügt es nicht, die Schneidenwinkel am Werkzeug unabhängig von ihrer Lage zum Werkstück zu betrachten, wie es bei den bisherigen Untersuchungen geschah. Es muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß sich die w i r k l i c h e n S c h n i t t w i n k e l erst durch die gegenseitige Lage der Werkzeugflächen und der Schnittfläche am Werkstück bestimmen lassen. Nur, wenn die Werkzeugschneide genau auf die Höhe der Werkstückachse eingestellt ist, sind die wirklichen Schnittwinkel mit den Schneidenwinkeln identisch. Steht aber das Werkzeug z. B. um einen bestimmten Betrag über der Werkstückmitte, so ergibt sich eine Vergrößerung des Spanwinkels y, wie andererseits der Freiwinkel a verkleinert wird, was die verschiedenen damit zusammenhängenden Auswirkungen auf den Spanungsvorgang zur Folge hat. Für eine einwandfreie S c h ä r f u n g des W e r k z e u g e s sind zweckentsprechende Schleifvorrichtungen unerläßlich, mit deren Hilfe möglichst in einer Spannung alle wichtigen Schneidenwinkel geschliffen werden. Darum darf es nicht dem Mann an der Maschine überlassen bleiben, wie er sein Werkzeug schärft. Ist aber die Schleifvorrichtung in Ordnung, so können auch angelernte Arbeitskräfte die schwierigsten Werkzeuge schleifen, und eine spätere Prüfung ist überflüssig. Neben den geometrischen Verhältnissen an der Schneide muß ferner auch der Schärfe der Schneidkanten das nötige Augenmerk geschenkt werden. Diese wird im allgemeinen durch Besehen und Berühren auf Schartigkeit kontrolliert, in Sonderfällen führt man am besten eine kurze Schnittprobe an einem Bezugswerkstück durch. Nachdem auf die Bedeutung der Spanfläche für den Spanablauf schon hingewiesen wurde, sei noch ein Wort über die O b e r f l ä c h e n b e s c h a f f e n h e i t der Spanfläche gesagt. Aus Theorie und Praxis ist bekannt, daß sich durch Glätten der Spanfläche der Reibungswiderstand des abgleitenden Spanes beachtlich verringern läßt, wodurch wiederum die durch die Reibung hervorgerufene Wärmeentwicklung an der Schneide wesentlich herabgesetzt werden kann. Diese Erkenntnis führte in Amerika zur Einführung des sogenannten ,,liquid honing"-Verfahrens, bei welchem die zu glättende Fläche mit einem Flüssigkeitsstrahl, bestehend aus Wasser und losem
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Schleifmittel (Körnung 600), unter einem Druck von ca. 8 atü feinbearbeitet wird. Damit verbunden ist noch ein anderer Vorteil: an der Schneidkante entsteht eine Fase, die sich sonst nur durch Abziehenbzw. Wetzen mit dem Ölstein erzielen läßt. Will man bestimmte Schwierigkeiten bei der Spanabfuhr, wie sie etwa durch zu große Spanlängen entstehen, vermeiden, so wird in die Spanfläche direkt bei der Schneidkante quer zur Abflußrichtung eine „Spanbrechernute" eingeschliffen. Es lassen sich durch diese Maßnahme die jeweils günstigsten Spanformen erzielen. 22 Spanbildungsvorgang, K r a f t - und Leistungsbedarf Der Ausgangspunkt für die Untersuchung der spanenden Metallbearbeitung ist die Spanbildung in allen ihren Phasen. Sie ist gleich-
Bild 11. Schematische Darstellung der Spallbildung
sam eine gewaltsame Zerstörung des Werkstoffes an der Werkstückoberfläche und stets mit Wärmeentwicklung verbunden, die um so mehr zu Tage tritt, je größer die in der Zeiteinheit erzeugte Spanmenge ausfällt. Zur leichteren Veranschaulichung dieses Vorganges läßt sich der Spanungsprozeß als ein Verformungsvorgang denken, bei welchem der mehr oder weniger homogene Werkstoff in plattenförmige Spanelemente umgeformt wird, die sich an der in den Werkstoff eindringenden Schneide dauernd neu bilden und über die Spanfläche weggleiten (Bild 11). Durch die Scherbeanspruchung an der Trennlinie A—B zwischen Werkstück und Span wird der Werkstoff mehr oder minder
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zum Fließen gebracht. Allerdings sind die sich hierbei abspielenden Verformungsvorgänge keine reinen Schervorgänge, doch ist die Scherung so dominierend, daß man den Verformungsvorgang in erster Näherung durchaus als Scherungsvorgang interpretieren darf. Keinesfalls wird der Span „geschnitten", wie man sich im allgemeinen Sprachgebrauch auszudrücken pflegt. In welcher Weise sich der Span tatsächlich formt, veranschaulicht Bild 12. Bei plastischen Werkstoffen und hoher Schnittgeschwindigkeit fließen die Bruchspuren leichter zusammen als bei spröden. Eng verbunden mit der S p a n f o r m ist nicht zuletzt die Beschaffenheit der Werkstückoberfläche. Wie bereits mit bloßem Auge beobachtet werden kann, zeigt der Span auf der Oberfläche einseitig zick-zack-förmige Querspuren, während die dem Werkzeug zugekehrte Seite eine spiegelglatte Fläche bekommt. Unverkennbar stimmt die Dicke des erzeugten Spanes d schon rein nach der geometrischen Betrachtung (Bild 11) nicht mit der am Werkstück eingestellten Spantiefe a überein. Formulieren wir kurz: je länger die Trennlinie A—B (Seherebene), desto dicker der Span, wobei der Scherwinkel