Die wandernde Grenze: Die EU, Polen und der Wandel politischer Räume, 1990-2010 9783666301650, 9783525301654, 9783647301655


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German Pages [400] Year 2013

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Die wandernde Grenze: Die EU, Polen und der Wandel politischer Räume, 1990-2010
 9783666301650, 9783525301654, 9783647301655

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525301654 — ISBN E-Book: 9783647301655

Transnationale Geschichte Herausgegeben von Michael Geyer und Matthias Middell Band 1: Steffi Marung Die wandernde Grenze

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525301654 — ISBN E-Book: 9783647301655

Steffi Marung

Die wandernde Grenze Die EU, Polen und der Wandel politischer Räume, 1990–2010

Vandenhoeck & Ruprecht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525301654 — ISBN E-Book: 9783647301655

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Mit 14 Tabellen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-30165-4 ISBN 978-3-647-30165-5 (E-Book) Umschlagabbildung: »Jarmark Europa« auf dem Stadio Dziesięciolecia in Warschau (Foto: Steffi Marung, 2006) © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Ukrainischer Wein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Perspektivenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.1.1 Europäische Integrationsgeschichte und European Studies 25 1.1.2 Territorialisierungsregime und das Problem der wandernden Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.1.3 Raumsemantiken: Zugänge zu einer Geschichte des politischen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.2 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.2.1 Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.2.2 Zivilisierungsmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.2.3 Ergänzungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.3 Quellen und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Grenzregime und Nachbarschaft: Die Arrondierung des EUropäischen Raums in einer globalisierten Welt . . . . . . . . . . . . . 55 2.1 Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze: Die Migrationsund Grenzpolitik der EU seit den siebziger Jahren . . . . . . . . . . . . . 55 2.1.1 »A common area and destiny«: Grenz- und Migrationsregime und die Formierung politischer Räume . 55 2.1.2 »A European Union in Expansion«: Dynamiken der EUropäisierung des Grenz- und Migrationsregimes . . . . . . 61 2.1.3 Eine »Reaktion auf die Globalisierung«: Der EU-Raum, seine Grenzen und die Außenwelt in der Perspektive der EU-Migrations- und Grenzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Variable Geografien I: Was ist die EU-Außengrenze und wo wird sie gesichert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

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Inhalt

Variable Geografien II: Von der »Verhinderung« zur »Steuerung« von Migrationsströmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Variable Geografien III: »security differentials« an der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2.2 Von der Erweiterung zur Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2.2.1 Der fragmentierte Ergänzungsraum: Einführung und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Der Zusammenhang von ENP und EU-Erweiterung . . . . . . . 130 Die unscharfen Grenzen zwischen Innen und Außen . . . . . . 136 Die EU als globaler Akteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Welcher Raum, welche Nachbarn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.2.2 Geografien der Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Dreierlei Nachbarschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Die Entwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik . . . 155 Die Dynamik des symbolpolitischen Reservoirs . . . . . . . . . . . 173 Die Europäische Nachbarschaftspolitik als Globalisierungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Die Europäische Nachbarschaftspolitik als Fortsetzung der Erweiterung mit anderen Mitteln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 »With this policy we are entering new territory«: Variable Geografien in der Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2.3 Grenze und Ergänzungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Die Grenze der »europäischen Zivilisation«? Von den »kresy« über die »Europäische Nachbarschaft« zur neuen EU-Ostpolitik . . . . 201 3.1 Neue und alte Grenzen, neue und alte Missionen: Die Suche Polens nach einem Ort in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.2 Brücke oder Bollwerk? Problemaufriss und Quellenlage . . . . . . . . 205 3.3 Das historische Repertoire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3.3.1 »Jagiellonen« und »Piasten«: Auseinandersetzungen in der Zwischenkriegszeit bis zum Ende des 2. Weltkriegs . . . 212 3.3.2 Abschied vom »polnischen Imperialismus« im Kalten Krieg: Die Pariser »Kultura« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3.3.3 Eine Zivilisierungsmission à la polonaise? . . . . . . . . . . . . . . . 222

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Inhalt

3.4 Die EUropäisierung des polnischen Projekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3.4.1 Neue Raumdeutungen im Erweiterungsprozess . . . . . . . . . . 229 Modernisierung und Schließung der »zivilisatorischen Lücke« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Beitritt und neue Handlungsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Ostmitteleuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Krise der EU und polnisches Selbstbewusstsein . . . . . . . . . . . . 245 3.4.2 Ein ambitioniertes Projekt: Polnische Ostpolitik in der EU 252 Konjunkturen und Kontinuitäten der polnischen Ostpolitik . 254 Die Suche nach einem neuen Tableau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Ostpolitik unter neuen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3.5 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 4. Einschreibungen in die Europäische Nachbarschaft: Raumdeutungen in einem grenzüberschreitenden Netzwerk an der polnisch-ukrainischen Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 4.1 Perspektivenwechsel: Einführung und Forschungsstand . . . . . . . . 271 4.1.1 Das Problem der Grenze in einer globalisierten Welt . . . . . 273 4.1.2 Begriffliche Anmerkung: Grenznetzwerk . . . . . . . . . . . . . . . 282 4.2 Von London nach Kiev und L’viv: Britische Entwicklungshilfe in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4.2.1 Entwicklungshilfe nach dem Ende des Kalten Krieges: Multilateralisierung und Europäisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4.2.2 »Technical Assistance« und Zivilgesellschaft: Instrumente und Adressaten der Entwicklungshilfe . . . . . . 287 4.2.3 Das Department for International Development in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Von der kolonialpolitischen Verantwortung zur neuen transnationalen Weltordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Die ODA und das DFID in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 4.3 Avantgarde an der Grenze: Die Polnisch-Ukrainische Agentur für grenzüberschreitende Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4.3.1 Die »UPCBC-Agency« und das DFID . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4.3.2 Das Spielfeld: Der Wandel von Kooperationslogiken und Deutungen des Netzwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4.3.3 Der Spieleinsatz: Projektarbeit und Hierarchien im Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

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4.3.4 »Licking a lollipop through a window«: Dimensionen und Deutungen der Asymmetrie . . . . . . . . . . 327 4.3.5 Welche Grenze? Imaginationen des gemeinsamen Raumes auf dem Weg in die EU-Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 5. Wandernde Grenze und fragmentierter Ergänzungsraum: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

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Danksagung

Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig zur Promotion im Fach »Global Studies« im Juni 2011 eingereichten und im November 2011 verteidigten Dissertationsschrift. Viele Menschen, denen ich sehr dankbar bin, müssen aus Platzgründen ungenannt bleiben. Zutiefst verpflichtet bin ich meinen Interviewpartnern in Brüssel, Warschau, Kiev, Lublin und L’viv, ohne deren bereitwillige Auskunft die »wandernde Grenze« eine bloße Metapher geblieben wäre. Das Geisteswissenschaftliche Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) hat mich seit 2006 praktisch und finanziell bis hin zur Drucklegung des Buches großzügig unterstützt. Mindestens genauso wichtig war dabei die intellektuelle Heimat in der Projektgruppe »Ostmitteleuropa transnational«, von unschätzbarem Wert waren die Gespräche mit ihrem Leiter Frank Hadler und meinem Kollegen Mathias Mesenhöller. Am Global and European Studies Institute der Universität Leipzig habe ich die Verbindung von Europäisierungs- und Globalisierungsforschung in der Lehre erproben können und immer wieder herzliche Ermunterung erfahren. Das vom BMBF geförderte Centre for Area Studies derselben Universität bot mir seit Januar 2011 nicht nur Raum für meines neues Projekt, sondern auch beste Bedingungen für den Endspurt zum Manuskript und unterstützte außerdem den Druck des Buches. Als meinem Zweitgutachter bin ich Stefan Troebst herzlich verbunden für zahlreiche Anregungen und die aufmerksame Begleitung von Anfang an. Matthias Middell schließlich hat für diese Arbeit über die Verfertigung des Erstgutachtens hinaus vieles auf sich genommen. Er hat in Leipzig – nicht nur für mich – ein so seltenes wie wertvolles Arbeitsumfeld geschaffen. Ihm danke ich für seine Geduld, seinen Rat und seinen Ansporn, vor allem aber für entscheidende konzeptionelle und inhaltliche Impulse, nicht zuletzt für den Begriff der Territorialisierungsregime. Ich hatte außerdem das große Glück, dass mich mit einigen Menschen Freundschaft wie wissenschaftliche Begeisterung verband, sodass das Beste aus beiden Welten die Arbeit in vielen Phasen entscheidend vorangetrieben

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Danksagung

hat: Katja Naumann, Thomas Klemm und Anne C. Kenneweg sei besonders gedankt. Dieses Buch ist meinen Eltern und meinem Mann gewidmet, ohne deren Liebe und Ermutigung nichts von alledem wirklich gezählt hätte. Steffi Marung, Dresden im Februar 2013

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Vorwort

Transnationale Geschichte hat sich in den letzten Jahren zu einem Feld innerhalb der Historiografie entwickelt, das nicht nur großes Interesse bei den Lesern findet, sondern auch zu einer Welle von methodischen Experimenten, neuen Archiventdeckungen und vielen theoretischen Anleihen bei benachbarten Disziplinen führt. Es erscheint inzwischen vielen völlig einleuchtend, dass es für eine angemessene Betrachtung nicht nur der Gegenwart sondern auch der Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte angemessener ist, die Grenzen des Nationalstaates zu überschreiten und nach der Verursachung sozialen Wandels durch die Interaktion verschiedener Gesellschaften zu fragen. Daraus hat sich eine Art Minimalkonsens für die Praxis transnationaler Geschichte entwickelt, die heute oftmals in multinationalen und interdisziplinären Teams bearbeitet wird. Eine strikt abgezirkelte Definition sucht man jedoch vergeblich, und das gereicht dem neuen Feld durchaus zum Vorteil, auch wenn man immer wieder dem Ruf nach exakter Gegenstandsbestimmung und Schärfung der Grenzen zu anderen Teildisziplinen begegnet. Der Vorteil liegt im Ausprobieren verschiedener Zugänge und dem daraus resultierenden Wettbewerb um überzeugende Analysen und Erzählungen. Dass sich die transnationale Geschichte gerade nicht in einer zähen Theoriedebatte verloren hat, deren hermetische Texte die Ansprüche in Höhen schrauben, die jeden vernünftigen Historiker davon abhalten, sich auf sie einzulassen, gehört zu ihrem Charme. Bevor wir mit allumfassenden Erklärungen des Transnationalen enden, gilt es, das Problem von seiner empirischen Seite her anzupacken, ohne deshalb den Deutungsanspruch aufzugeben. Transnationale Geschichte lässt sich gewiss auf große Problemkreise wie interregionale und interkontinentale Migrationssysteme, globale Waren- und Wertschöpfungsketten, ausgreifende Kaskaden von Konflikt und Krieg, Zirkulationswege von kulturellen Mustern und Ideengebäuden beziehen, aber die Vielfalt der zu beobachtenden Phänomene kann nicht in einige wenige Kästchen verbannt werden. Dies ergibt sich aus der Sache selbst, denn Grenzen wurden gezogen, um die Bewegung von Menschen, Sachen, Kapital und Ideen zu kontrollieren. Doch unter den Bedingungen eines globalen Zusammenhanges, dem sich keine Gesellschaft seit ca. der Mitte des 19. Jahrhunderts bei Strafe des Verlustes ihrer

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Vorwort

Entwicklungsdynamik entziehen konnte, blieben diese Grenzen immer nur auf Zeit nützliche Kontrollinstrumente gegenüber den länderübergreifenden Bewegungen. Wir erkennen als Grundcharakteristikum von Gesellschaften unter den Bedingungen des neuen globalen Zusammenhanges eine permanente Dialektik von De- und Reterritorialisierung, von flows und control, von über die Grenzen hinausdrängenden Bewegungen und einem Bemühen um deren jeweils neu justierte Regulation. So nimmt es auch nicht Wunder, dass die erste große Welle der Globalisierung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Wirkmächtigkeit gewann, mit der Etablierung und Konsolidierung von Nationalstaaten in zahlreichen Teilen der Welt zusammenfiel. Territorialisierung, Grenzziehung, Ausbau der Partizipationsrechte für eine definierte Bevölkerung von Staatsbürgern, ökonomischer Protektionismus standen in einem Wechselverhältnis mit Freihandelsforderungen, dem Entstehen Internationaler Organisationen und der Schaffung ausgreifender imperialer Ergänzungsräume für die sich nationalisierenden Metropolen. Die Befestigung nationaler Identitäten ging Hand in Hand mit sich rasch ausweitenden kulturellen Transfers, als transnationale und transkulturelle Lern- und Aneignungsprozessen, die durch schneller zirkulierende Medieninhalte und eine anwachsende Mobilität ermöglicht, aber zugleich durch den zunehmenden Wettbewerb der Gesellschaft befördert wurden. Transnationalisierung war die andere Seite der Medaille, auf die nationale Symbole geprägt waren. Entsprechend vielgestaltig und quasi alle Bereiche der Gesellschaften erfassend ist der Gegenstand transnationaler Geschichtsschreibung, über deren Relevanz heute ein breiter Konsens herrscht, auch wenn sie noch in den Anfängen steckt. Diese Buchreihe möchte solchen Versuchen, den Rahmen des Transnationalen mit empirisch angelegten Studien abzustecken, einen Raum bieten. Eine Beschränkung hinsichtlich des Ortes, von dem aus die Transnationalisierung der jeweiligen Gesellschaften untersucht wird, ist dabei nicht intendiert. In zeitlicher Hinsicht halten wir eine Konzentration auf die letzten zwei bis zweieinhalb Jahrhunderte für angemessen. Dies heißt keineswegs, dass es zuvor keine grenzüberschreitenden Prozesse gegeben hätte oder dass nicht auch der Begriff der nation in der Terminologie eine Rolle gespielt hätte. Der oben genannte globale Zusammenhang bildete sich jedoch erst im späteren 18. Jahrhundert als massive Zunahme kultureller Interaktionen und dann im 19. Jahrhundert verursacht durch technologische Innovationen und deren Wirkungen auf Kommunikation, Transport und Produktion heraus. Zweifellos bedarf diese Zäsur aber, allen beeindruckenden Weltgeschichten der letzten Jahre zum Trotz, die sich auf das mehr oder

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Vorwort

minder lange 19. Jahrhundert konzentriert haben, noch der näheren Analyse und Beschreibung. Ein weiteres Ziel unserer Reihe ist es, die Akteure der Transnationalisierung genauer in den Blick zu bekommen. Auf der einen Seite stehen die Pioniere grenzüberschreitenden Handelns, oftmals kosmopolitisch gesonnene Eliten, aber auch einfache Leute, die seit langem bestehenden Pfaden folgten, auch wenn sich ihnen nun nationale Grenzen in den Weg schoben. Diese Mobilität und Suche nach Lösungen jenseits des Nationalstaates forderte wiederum andere heraus, die nach neuen Formen der Regulierung suchten. Keineswegs verschanzten diese sich immer hinter den einmal etablierten Grenzen, sondern fahndeten ebenfalls auf verschiedenen räumlichen Ebenen nach effizienteren und profitableren Mechanismen der Kontrolle tatsächlicher oder auch nur prognostizierter Bewegungen, die die alte Ordnung zu gefährden in der Lage sein könnten. Wer auf diese Weise die Akteure, die Transnationalisierung in einem Teilbereich oder im Ganzen zu ihrer Sache machten oder die schlicht dazu gezwungen waren, sich in ihrem Handeln auf transnationale Rahmungen einzulassen, in den Fokus bekommt, wird schnell gewahr, dass sich die Kräfteverhältnisse, Begründungszusammenhänge, Resultanten vielfältiger Interventionen von Ort zu Ort unterschieden. Transnationalismus ist alles andere als ein einheitliches Programm, das sich quasi hinter dem Rücken der Menschen mit Naturgewalt durchsetzt. Es ist vielmehr Teil eines komplexen politischen Agenda-Settings und spiegelt die vielen verschiedenen Konzepte, wie mit dem globalen Zusammenhang umzugehen sei. Interessanterweise hat die Beschäftigung mit globalen Prozessen auch in Europa in den letzten zwei Jahrzehnten massiv zugenommen, aber noch immer herrscht eine seltsame Unterscheidung zwischen Europäisierungsforschung, die eher die interne Integration beobachtet, und Globalisierungsforschung, die primär die Welt außerhalb der EU fokussiert, vor. Damit werden faktisch zwei konzentrische Kreise gebildet, in denen die Beobachtung transnationaler Verflechtungen zwar deutlich mehr Platz findet, ihr aber auch unangemessen Zügel angelegt werden. Das Buch von Steffi Marung überwindet diese Teilung zwischen Introspektion und Blick nach außen und ist zugleich ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass die Perspektivenverlagerung von einer enthusiastischen Aufzählung stetig oder sogar exponentiell anschwellender Bewegungen über Grenzen hin zu einem Interesse an neuen Grenzziehungen und deren Begründung, Durchsetzung und Legitimierung jene andere Seite der Transnationalisierung in den Blick

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Vorwort

bekommt, die in den Berichten über weltweit zirkulierende Produkte oder Ideen oftmals vermisst werden: Wer gestaltet die neue Ordnung und kann seine Interessen behaupten, auch wenn sich scheinbar alle etablierten Grenzen auflösen? Steffi Marung hat sich mit der Frage, wie sich Europa nach 1989 neu in der Welt positioniert hat, an dessen Rändern auf ihre Entdeckungsreise gemacht. Die östliche Grenze der EU wurde im Verlauf von zwei Jahrzehnten zweimal nach Osten verschoben. Hieraus ergibt sich eine besondere Herausforderung, zugleich Stabilität zu signalisieren (um Respekt für die Grenze zu erreichen) und aus verschiedenen Gründen den Erweiterungsprozess als weiterhin offen darzustellen. Wer von der Grenze her denkt, bekommt aber, so die theoretisch in der neuen politischen Geografie gut abgesicherte These der Verfasserin, ein gesamtes Territorialisierungsregime als Untersuchungsgegenstand. Denn im Charakter der Grenze und im Prozess ihres Zustandekommens spiegelt sich die Vorstellung vom Raum, der damit abgeschlossen und zugleich (über die Grenze) vernetzt wird, und die Praxis der räumlichen Organisation sozialer Beziehungen, die innerhalb der Grenze und mit benachbarten oder weit entfernten Regionen unterhalten werden. Mit der Konzentration auf die östliche Grenze der EU wendet sich Steffi Marung einem Raum zu, der seit langem in der deutschen Forschung als Zwischenraum (zwischen dem in der Mitte Europas dominanten Deutschland und dem im Osten omnipräsenten Russland) behandelt worden ist und sich dabei trotz aller internen Differenzierung durch eine Vielzahl von gemeinsamen Strukturmerkmalen auszeichnet. Er diente den angrenzenden Reichen als imperialer Ergänzungsraum im Übergang zur eigenen Nationalisierung des Empire und war umgekehrt Schauplatz heftiger Emanzipationsbewegungen gegen die hegemonialen Ansprüche der Nachbarn. Diese doppelte Tradition hat nicht aufgehört zu wirken, als sich 1989/91 die Sowjetunion zuerst zurückzog und dann auflöste. So entsteht mit der EU-Osterweiterung keineswegs ein linear ausgreifender neuer Territorialverbund, sondern in der Errichtung zweier neuer Grenzen (mit der deutschen Vereinigung und der Aufnahme weiterer zehn Staaten 2004, von denen acht zwischen Ostsee und ungarischer Tiefebene angesiedelt sind) kommt eine Krise zum Vorschein, die das gesamte EU-Projekt betrifft. Die zentrale Frage dieses Buches ist die nach den Akteuren der Verräumlichung, nach ihren Deutungshorizonten und nach ihrem Anteil an der Schaffung neuer Räume und Grenzen unter den Bedingungen von Transnationalisierung und Globalisierung. Entsprechend verschränken sich Gegenwartsbezug und historische Dimension, wobei es nicht um das Nacherzählen der lan-

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Vorwort

gen Geschichte Ostmitteleuropas geht, sondern um deren Mobilisierung im Moment der Grenzziehung als politisches Argument. Die Darstellung folgt einem Gang durch alle Stationen des Grenze-Machens. Das Forschungsdesign geht davon aus, dass dieser Prozess weder allein in den Amtsstuben der EU oder der beteiligten und betroffenen Nationalstaaten stattfindet, noch allein in der Region oder sogar im Wortsinne »vor Ort« zu beobachten ist, wo die Grenze am Ende physisch verläuft. Aber alle diese Akteure haben einen Anteil und verdienen Beachtung, denn sie haben weder identische Vorstellungen noch gleichlautende Interessen. Die Verfasserin beginnt ihren Rundgang bei der EU und ihren Organen, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges um eine Grenzziehung kümmern mussten, die zuvor wie eingefroren wirkte und deshalb kaum Gegenstand des Vordenkens wurde. Dann wechselt sie die Perspektive und schaut mit den Augen jener Polen auf den Vorgang, die in Warschauer Regierungs- wie Redaktionsstuben ebenso wie in der Lubliner Regionalverwaltung sitzen. Danach begibt sich Steffi Marung in die Grenzregion selbst und begegnet so verschiedenen Akteuren wie britischen und nordamerikanischen Hilfsorganisationen, Verbindungsbeamten der deutschen Bundespolizei in Kiev, Vertretern verschiedener NGOs, ukrainischer Verwaltungsebenen und Tourismuseinrichtungen in Kiev und L’viv. Im Mittelpunkt der Arbeit steht Polen, das Objekt und Akteur dieser Erweiterung gleichermaßen ist. Das Land und seine politischen Eliten führen ein umfängliches Repertoire historischer Sensibilität ein, das sich einerseits auch in ein westliches Verständnis von Europäisierung als Zivilisierungs- und Pazifizierungsmission integriert, aber dabei keineswegs ohne harsche Konflikte mit den westlichen Partnern bleibt. Sorgfältig rekonstruiert wird der »Eigensinn« der polnischen Interventionen in den Grenzziehungsprozess, der keineswegs unbemerkt am »Ostrand« der EU abläuft, sondern in wachsendem Maße Spuren im Selbstverständnis der EU hinterlässt, die spätestens mit Donald Rumsfelds Formulierung vom alten und neuen Europa daran erinnert wurde, dass sie selbst sowohl Handelnder als auch Objekt eines Transformationsprozesses ist. Grenze, so macht die Verfasserin deutlich, ist nicht einfach nur Abgrenzung zu einem hinter der Grenze Liegenden, das keine weitere Beachtung verdient, sondern ist auch Ausgestaltung einer Nachbarschaftspolitik. Dies insbesondere, wenn man das Projekt in einer gewissen Kontinuität zu Zivilisierungsmissionen des 19. Jahrhunderts sieht. Die Formulierung einer solchen Nachbarschaftspolitik, die Entwicklung und Systematisierung ihrer zentralen Instrumente, hat in den letzten Jahren stattgefunden, und wird hier auf den Begriff gebracht. Mit dem Terminus »Ergänzungsraum« wird an eine Denkfigur aus der Globalge-

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Vorwort

schichtsschreibung zum 19. Jahrhundert angeschlossen. Zivilisierungsmission und Ergänzungsraum erinnern an das Zeitalter des Hochimperialismus und der kolonialen Expansion. Diese waren getrieben von einer Sucht nach Herrschaft über riesige Räume – imperial mapping tauchte die Weltkarte in britisches Rot oder französisches Blau, auch dort, wo lediglich kleinformatige Stationen der prekären Kontrolle über die ambitioniert eingezeichneten Ergänzungsräume gehalten wurden. Hier wird allerdings keineswegs ein altes Stück zum zweiten Mal aufgeführt, diesmal nur besser ausgestattet und endlich über die nötige Infrastruktur und die unverzichtbaren Finanzen verfügend. Vielmehr haben wir es mit einem seltsam gebrochenen Vorgang zu tun, bei dem die Pazifizierungsabsicht dem Territorium gilt, während längst die viel stärker entterritorialisierten Netzwerke und Produktionsketten den nötigen Gewinn versprechen. Dies führt zu einer zentralen Problemstellung transnationaler Geschichte, in welchem Verhältnis nämlich der enorme Aufwand für die Sicherung der Grenze und die Kontrolle über nahegelegene Territorien zur wachsenden Aufmerksamkeit für globale Punkt-zu-Punkt-Beziehungen steht. Die Koexistenz beider Logiken in Bezug auf die Raumordnung, die es gegenwärtig politisch zu gestalten gilt, bildet eine besondere Herausforderung für eine Geschichtsschreibung, die sich nicht einfach mit bruchstückhaften Beobachtungen jenseits des Nationalstaates zufrieden geben will. Die Denkfigur des Territorialisierungsregimes versucht, die Vielfalt der zu integrierenden Muster von Verräumlichung sozialen Handelns zu erfassen und miteinander in eine Beziehung zu setzen. Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, dass ein früheres Territorialisierungsregime, in dem Nationalstaat und nationalisierte Gesellschaften im Zentrum standen und sich alle anderen Raumbezüge zu- und unterordnen konnte, langsam abzudanken scheint, die Umrisse eines neuen, in dem transnationale Phänomene eine größere Rolle spielen, jedoch erst langsam hervortreten und zur Grundlage politischen Handelns werden. Auch dieser Übergang vollzieht sich alles andere als konfliktarm. Steffi Marung bleibt deshalb mit Prognosen vorsichtig. Dies ist keineswegs eine Verweigerung von Aktualitätsbezügen. Vielmehr verdeutlicht die Verfasserin, dass man nur durch eine (global-)historische Kontextualisierung der Neuverhandlung von Grenze und Territorium in Europas Osten in die Lage versetzt wird, einen komplexen und noch unabgeschlossenen Prozess analytisch zu durchdringen. Worauf es dabei ankommt, wird deutlich herausgearbeitet: Weil der Übergangsprozess zu einem neuen Territorialisierungsregime durch die Vervielfältigung der zu beachtenden Raumebenen und durch die Vervielfältigung der tatsächlich involvierten Akteure gekennzeichnet ist und eben nicht

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Vorwort

mehr von der sich alles unterordnenden Macht der nationalstaatlichen Ebene auszugehen ist, lässt sich absehen, dass diejenigen die Nase vorn haben werden, die das Spiel mit den Maßstäben (jeux d’échelles), das Jacques Revel als Resultat der Debatte um die Mikrogeschichte in die transnationale Geschichte eingebracht hat, besonders virtuos beherrschen. Matthias Middell

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1. Einleitung

Ukrainischer Wein Der polnische Autor Andrzej Stasiuk, der ähnlich wie der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchovyč als prominenter Berichterstatter über den Zustand des östlichen europäischen Grenzraums gilt und als »Star«1 der polnischen Literaturszene immer wieder auf westeuropäischen Podien Platz nimmt, hat mit seiner künstlerischen Vermessung dieses Grenzraums eine inspirierende »private Geographie«2 entwickelt, die er in einem Zeitungsbeitrag ganz praktisch verdeutlichte: Wolle man im Dreiländereck zwischen Ukraine, Ungarn und der Slowakei den dort angebauten Tokajer transnational vergleichen, stehe man vor einer ziemlichen – im wahrsten Sinne des Wortes – Hürde. Der Wein ukrainischer Herkunft würde – vor allem im heißen transkarpatischen Sommer – den Transport über die Grenze wegen der langen Wartezeiten bei der Abfertigung kaum überstehen, was für die Herausbildung einer wahrhaft europäischen Weinkultur dramatische Folgen habe: »Wir werden nie den ukrainischen Wein von Transkarpatien trinken«.3 Lebenspraktische Hindernisse dieser Art haben schon bei so manchem Autor den Beginn auch wissenschaftlicher Beschäftigung mit Grenzen markiert; am Anfang steht dann die Irritation darüber, was Grenzen ermöglichen oder verhindern, wie sie Weltwahrnehmung strukturieren und die Verortung in größeren Zusammenhängen beeinflussen, wie sie Räume schaffen, voneinander trennen oder mitunter auch verbinden. Dieser Arbeit liegt ebenfalls eine Bewegung zugrunde, die an der damals neuen Ostgrenze der Europäischen Union begann, in einem Grenzland, das als EUropäisches durch die EU-Erweiterung 2004 entstand, als europäischer »Zwischenraum«4 jedoch auf eine lange Geschichte zurückblicken kann.5 Diese 1 2 3 4 5

Woldan, S. 244. Ebd., S. 247. Stasiuk, S. 14. Es bleibt abzuwarten, ob 2012 die europäischen Fußballpilger mehr Glück haben werden. Ther, Regionale Bewegungen. Snyder, The Reconstruction of Nations; Prusin.

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Einleitung

räumliche Verschiebung, bei der sich eigentlich nichts bewegte – weder wurden nationalstaatliche Grenzen neu gezogen noch haben L’viv oder Lublin nun andere geografische Koordinaten – erwies sich als lohnendes Thema, um einem allgemeinerem Interesse am Raum-Machen und dessen Folgen für die Organisation von Gesellschaften und verschiedene politische Tagesordnungen nachzugehen. Forschungen über diesen Grenzraum gibt es in vielen Disziplinen, und die übergreifende Frage ist ebenfalls Gegenstand einer umfangreichen Literatur, die sich kaum entlang von Disziplinengrenzen ordnen lässt. Mir erscheinen drei Forschungsstränge besonders produktiv: Erstens die Europäische Integrationsgeschichte im Verhältnis zu den European Studies, zweitens die historische Forschung zu Prozessen politischer Verräumlichung in der Folge des spatial turn und drittens die neue politische Geografie bzw. die neue Kulturgeografie. Dies verweist auf einen größeren Forschungszusammenhang, in dem der Wandel von Mustern der Verräumlichung im Mittelpunkt steht. Dieser ist geprägt durch eine fortwährend wirksame Dialektik von De- und Reterritorialisierung,6 die globale Wandlungsprozesse insbesondere seit der Mitte des 19. Jahrhunderts7 angetrieben hat. Aus dieser globalgeschichtlichen Perspektive geht es in der vorliegenden Studie um die Bearbeitung eines Teilproblems jüngster Transformationen, die sich in Europa beobachten lassen und die als Reaktionen auf die Veränderung der globalen Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges zu verstehen sind.8 Mit der Erfindung EUropas aus dem Geist der Grenze und des Ergänzungsraums wurde ein Lösungsvorschlag für die Bewältigung der vielfach als krisenhaft beschriebenen Situation unterbreitet, der nicht nur neben andere Angebote gestellt werden kann, sondern auch Folgen für diese hat. Diese Einleitung unternimmt in einem ersten Schritt die Einordnung in die oben genannten Forschungsstände. In einem zweiten Schritt werden zentrale Begriffe der Arbeit erläutert. Während die Klärung der Begriffe Europäisierung und EUropäisierung die Untersuchung von Anfang an perspektivierte, wurden die Begriffe des Ergänzungsraums und der Zivilisierungsmission in Auseinandersetzung mit den Quellen entwickelt und sollen die Deutung der hier rekonstruierten Konstellation erleichtern.

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Brenner; Middell u. Engel, Bruchzonen. Geyer u. Bright. Middell u. Engel.

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Einleitung

Zunächst sei aber der Gang der Arbeit und ihr Aufbau knapp zusammengefasst. Die Grundfrage der Untersuchung lautet: Wie werden politische Räume im Zuge gesellschaftlicher Deutungsprozesse imaginiert, geordnet, produziert – und zwar unter historischen Bedingungen, die durch massive Umbrüche gekennzeichnet sind? Eine zentrale Dimension dieses Raum-Machens ist die Fixierung, Aushandlung und Deutungen der jeweiligen Grenzen. Grenz­regime sind Teil von Territorialisierungsregimen, und sie sind wichtige Indikatoren für deren Veränderung. Mein Erkenntnisinteresse lässt sich also folgendermaßen präzisieren: Welche Folgen hatte die Verschiebung der EU-Außengrenze nach Osten und Südosten für die Imagination und Deutung des politischen EU-Raumes, insbesondere seiner Grenzen? Wie lässt sich vor diesem Hintergrund das Territorialisierungsprojekt der EU verstehen? Die Antwort darauf lautet, kurz gefasst: Als Gleichzeitigkeit von Arrondierung im Sinne der Vergrenzung einerseits und der Schaffung eines komplementären, eines Ergänzungsraums andererseits. Mein Interesse gilt hier dem Wandel der deutenden Erzeugung politischer Räume unter den Bedingungen von Transnationalisierung und Globalisierung. Dabei steht nicht eine einzelne Grenzregion im Vordergrund, sondern die Wanderungsbewegung einer Grenze bzw. die Frage, wie dieses »Wandern« gedeutet wurde, vor welche Herausforderung es die betroffenen Akteure stellte und welche Folgen dies für die Ordnung des politischen Raumes in Europa hatte. Damit geht es hier um eine Geschichte des politischen Raumes in Europa als Teilprozess eines globalen Wandels der politisch-räumlichen Ordnung, um eine EU-Geschichte von ihren Grenzen her.

Perspektivenwechsel Die Bewältigung dieses Projekts war und ist nicht nur Angelegenheit der Union, vielmehr waren und sind an ihm Akteure auf verschiedenen territorialen Ebenen und aus verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Arenen beteiligt. Deshalb nehme ich hier mehrere territoriale Ebenen (supranational, national, regional) in den Blick, auch, um auf diese Weise die häufigen Hierarchisierungen dieser »scales« zu hinterfragen. Hierzu ist ein mehrfacher Perspektivenwechsel notwendig und zwar sowohl räumlich, als auch zeitlich sowie die handelnden Personen bzw. den Gegenstand betreffend. Im Mittelpunkt stehen allerdings Akteure, die sich verknappt als »politische« kennzeichnen lassen: vor

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allem Mitarbeiter der EU-Kommission und des Rates, polnische Außen- und Europapolitiker sowie regionale Eliten in der polnisch-ukrainischen Grenzregion. Die Untersuchung ist in fünf Hauptkapitel gegliedert, von denen das erste zu einem interdisziplinären Gespräch zwischen politischer- und Kulturgeografie, sowie historischen und sozialwissenschaftlichen Ansätzen in der Grenz- und EU-Forschung anregt und in die zentrale Begrifflichkeit einführt. Die Kapitel zwei bis vier wenden sich anschließend den einzelnen Ebenen zu. Kapitel zwei untersucht die territoriale Modellierung der EU aus dem Geist ihrer Grenze und Ergänzungsräume nach dem Ende des Kalten Krieges und insbesondere vor dem Hintergrund der Osterweiterung zunächst auf der Gemeinschaftsebene im Kontext von Migrations- und Grenzpolitik sowie Europäischer Nachbarschaftspolitik. Zeitlich reicht diese empirische Untersuchung von der Mitte der neunziger Jahre bis zum Jahr 2010. Dieses Kapitel nimmt die supranationale Perspektive ein. In Kapitel drei werden die polnischen Entwürfe und deren Verhältnis zum EUropäischen Projekt untersucht. Polen lag im Untersuchungszeitraum erst außerhalb, dann innerhalb der EU. Aus dem »nationalen«9 Blickwinkel werden die Brüche, Aneignungen und Überschneidungen zwischen verschiedenen Deutungen des EU/Europa-Raumes, seiner Grenzen und Einflusszonen sichtbar, die für die Entstehung des Außengrenzregimes zentral sind. Der zeitliche Bogen ist hier ebenfalls vom Ende der neunziger Jahre bis 2009 gespannt, 9

Auch wenn ich in dieser Arbeit von »Polen«, der »Ukraine«, »Deutschland«, »Frankreich« oder »Russland« etc. spreche, bedeutet dies nicht, dass ich den nationalstaatlichen Container als privilegierte Untersuchungseinheit fortschreiben will – so wie dies Andreas Wimmer und Nina Glick-Schiller unter dem Begriff des »methodologischen Nationalismus« treffend kritisiert haben (Wimmer u. Glick-Schiller). Es ist eher Ausdruck der Schwierigkeiten, eine neue Sprache jenseits des so wirkmächtigen nationalen Paradigmas in den Sozial- und Geisteswissenschaften zu finden, die die konzeptionellen Konventionen bereits auf überzeugende und lesbare Weise ersetzt. Margit Pernau hat kürzlich auf weitere Herausforderungen für die Sprache der transnationalen Geschichte hingewiesen (Pernau, S. 132–134). Ist hier also die Rede beispielsweise von »Polen« oder »polnisch«, dann ist damit zumeist auf Akteure sowie deren Diskurse und Interessen aus der polnischen politischen Elite verwiesen sowie auf Entscheidungsträger auf der regionalen und nationalen Ebene – nicht auf ein homogenes Kollektiv, sondern auf eine streitbare und differenzierte Gruppe von Menschen, die sich in den allermeisten Fällen (auch) als Polen identifizieren. Darüber hinaus beziehen sich diese Begriffe auf sprachliche Repräsentationen, die einen bestimmten politischen Raum »Polen« behaupten und glaubhaft zu machen versuchen – auch hier gibt es wiederum verschiedene und nicht unbestrittene Vorstellungen, was sich hinter diesem Raum tatsächlich verbirgt, wer oder was dazugehört oder ausgeschlossen wird. Diese Offenheit gilt es, ständig im Blick zu behalten.

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wobei eingangs auch das historische Reservoir rekonstruiert wird, auf das die polnischen Akteure in den neunziger Jahren zurückgreifen konnten. Diesen Deutungsvorrat aus der Vergangenheit und seine EU-politische Wendung fasse ich als Zivilisierungsmission à la polonaise. Kapitel vier richtet die Aufmerksamkeit auf die polnisch-ukrainische Grenzregion und rekonstruiert ein grenzüberschreitendes Netzwerk, dem auch Akteure wie das britische Department for International Development (DFID) und die US-amerikanische United States Agency for International Development (USAID) angehörten und innerhalb dessen Kooperationsmuster und Raumsemantiken entwickelt wurden, die sich als bedeutsam für die spätere Umsetzung des EU-Nachbarschaftsprogramms erwiesen, da man hier auf den regional formierten Strukturen aufbauen konnte. Dies ermöglicht es, die Deutungs- und Handlungsspielräume der regionalen Akteure in supra- und transnationalen Zusammenhängen zu rekonstruieren. Mit der Integration eines – vereinfacht gesprochen – externen Akteurs (der britischen Entwicklungshilfeagentur DFID) in die regionale Fallstudie soll, wie in den anderen Kapiteln auch, das »Spiel mit verschiedenen Raumbezügen«10 bei der Produktion des EUropäischen Raums deutlich werden. Zu Tage treten soll die Pluralisierung, Kompetitivität aber auch die Komplementarität der Vorstellungen darüber, wie der EUropäische Raum arrondiert und in welcher Weise das Verhältnis zu seinem »Außen« gestaltet werden soll. Für dieses Kapitel vier wurde im Vergleich zu den anderen Hauptkapiteln eine kürzere Untersuchungsperiode gewählt, begründet im Nahblick auf eine grenzüberschreitende Entwicklung jüngeren Datums. Der Schwerpunkt der quellengestützten Untersuchung liegt hier auf den Jahren unmittelbar vor der Einführung des EU-Nachbarschaftsprogramms (etwa 2000–2004). Anders als in einer fortlaufenden chronologischen Erzählung wird in der Gesamtdarstellung also nicht nur eine räumlich-relationale, sondern auch eine zeitliche Variabilität präferiert, um auf bestimmte Problemkonstellationen präziser eingehen zu können – und um Komplexität zu reduzieren. Das Zusammenspiel dieser Ebenen und Deutungen der EU-Außengrenze, ihrer Wanderungsbewegung und die sich daraus ergebende Formierung des politischen Raumes wird im Schlusskapitel vor dem Hintergrund des eingangs eingeführten konzeptionellen Rahmens systematisiert, um den spezifischen Wandel des EU-Territorialisierungsregimes vor dem Hintergrund historischer und globaler Prozesse herauszuarbeiten. 10 Revel.

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1.1 Forschungsstand Auch wenn der Versuch, verschiedene, Disziplinengrenzen übergreifende Forschungsstände zusammenzuführen und gemeinsam fruchtbar zu machen, mitunter als »ungesund und gefährlich«11 eingestuft worden ist, soll dies hier doch gewagt werden. Wie bereits erläutert, geht es dabei um drei Stränge. Erstens ist eine Positionierung gegenüber der europäischen Integrationsgeschichte und den European Studies notwendig. Ich argumentiere, dass beide wichtige empirische und konzeptionell-theoretische Beiträge geleistet haben, in beiden Feldern aber Leerstellen identifiziert werden können, auf die zu reagieren hinsichtlich des hier gestellten Problems geboten scheint: Während der Integrationsgeschichte eine gewisse Raumferne eignet, haben die European Studies zuweilen Schwierigkeiten mit der Einbindung einer historischen Perspektive. Zweitens ist die Arbeit in die Forschung zu Territorialisierungsregimen einzuordnen: Deren konzeptionellen und empirischen Beiträge bilden den erkenntnisleitenden Rahmen für die Untersuchung. Der Begriff der Territorialisierungsregime ermöglicht es, die Vielfalt politischer Raumproduktionen in den Blick zu nehmen, ohne auf das Modell nationalstaatlicher Prägung zu verengen. So werden jenseits einer teleologisch angelegten Erzählung eines Übergangs vom »empire« zum Nationalstaat und schließlich zu einem »post-territorialen« Regime nicht nur die historische Vielfalt von politischen Raumprojekten deutlich, sondern auch die Pluralität der daran beteiligten Akteure sowie der Raumebenen und Kontexte, auf und in denen die Entwürfe entwickelt werden. Auf diese Weise kann auch das Territorialisierungsprojekt der EU betrachtet werden.12 Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Wandel von Grenzen und ihrer Funktionen ist dabei in der wissenschaftlichen Diskussion der Begriff der »frontier« propagiert worden. Dieser schien auch für diese Arbeit lange Zeit geeignet, den Wandel des EU-Außengrenzregimes zu erfassen, ich 11 Diese Formulierung stammt aus einem Kontext, in dem es um die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung eines interdisziplinären Projekts ging, das aber nicht nur wegen der wissenschaftspolitischen, sondern auch wegen der intellektuellen Kosten abgelehnt wurde, und zwar um die Versuche Karl Lamprechts, das historische Seminar in Leipzig am Ende des 19. Jahrhunderts um weitere disziplinäre Kompetenzen zu bereichern. Matthias Middell zitiert dabei in seiner Geschichte des Leipziger Instituts für Kultur- und Universalgeschichte aus einem Brief von Erich Marcks (UAL, Phil. Fak. B1/1426 Bd. 1, siehe auch Middell, Weltgeschichtsschreibung, S. 126). 12 In gewisser Weise mit dem entgegengesetzten Erkenntnisinteresse hat Johannes Krause in seiner Leipziger Dissertation die Übertragung des nationalstaatlichen Territorialitätsprinzip auf die EU untersucht. Krause.

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Forschungsstand

verdanke den Überlegungen in diesem Zusammenhang wichtige Anregungen. In der Auseinandersetzung mit den Quellen und in der Diskussion dieser Interpretation mit Kollegen schien mir schließlich die Zuspitzung auf das Zusammenspiel von Grenze, Komplementär- oder Ergänzungsraum und Zivilisierungsmission jedoch angemessener, um die Entwicklung begrifflich zu fassen. Drittens seien Diskussionsstände der neuen politischen Geografie und der neueren Kulturgeografie für die Untersuchung fruchtbar gemacht: Diesen sind vor allem wichtige methodische und konzeptionelle Überlegungen für die Untersuchung von Raumsemantiken zu verdanken. Diese drei Forschungsstränge sind für diese Arbeit von übergreifender Bedeutung und werden deshalb in der Einleitung vorgestellt. In den Kapiteln zwei bis vier diskutiere ich für die einzelnen Teiluntersuchungen die jeweiligen Forschungsstände, um den Rahmen der Einleitung nicht zu sprengen. Dazu gehören beispielsweise die Migrationsforschung, Forschungen zur Europäischen Nachbarschaftspolitik, zu Netzwerken, Grenzregionen und zur polnischen Ostpolitik.

1.1.1 Europäische Integrationsgeschichte und European Studies »European integration history is not only marginal within modern European history, but also in the multi- and interdisciplinary field of European studies.«13 Man könnte sich zwei extreme Reaktionen auf diese pessimistische Diagnose Wolfram Kaisers vorstellen: Entweder, sein Glück aufgrund wissenschaftspolitischer Überlegungen und im Sinne berufsplanerischer Opportunitäten auf einem anderen Feld zu versuchen oder aber, diesen Befund als Herausforderung zu begreifen und einen ambitionierten Gegenentwurf zu präsentieren. In dieser Einleitung wird ein bescheideneres Ziel verfolgt: Nämlich zunächst einmal zu klären, inwiefern die hier vorliegende Untersuchung eines kleinen Ausschnitts aus der Geschichte des EUropäischen Raums – mithin auch eines Teils der Geschichte der europäischen Integration – in dieses Feld gehört. Obwohl die Arbeit mit ihrem zeitlichen Zuschnitt und auch mit den gewählten Zugängen auf den ersten Blick nicht in den klassischen Bereich der Geschichtsschreibung zur europäischen Integration zu rechnen sein mag, muss sie sich doch hinsichtlich ihres Gegenstandes zu ihr verhalten. In den letzten Jahren sind immer wieder instruktive Reflexionen und Bestandsaufnahmen zur Integrationshistoriografie erschienen.14 So skizzierte 13 Kaiser, S. 50. 14 U. a. Patel, Europäische Integrationsgeschichte; Dülffer; Kaiser u. Varsori.

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beispielsweise Kiran Patel die Entwicklung des Feldes von den Gründervätern Walter Lipgens und Alan Milward über die jüngere Generation, der u. a. Antonio Varsori, Wolfram Kaiser, Guido Thiemeyer oder Anne Deighton angehören, und konstatierte einen »Aufbruch«15 des im Vergleich zu anderen historischen Teildisziplinen noch recht jungen Feldes16 im Sinne einer »doppelten Neuorientierung«:17 und zwar hinsichtlich der Anbindung an Entwicklungen in anderen historischen Teildisziplinen wie der neueren Kulturgeschichte, der Sozialgeschichte und der Globalgeschichte als auch mit Blick auf die Positionierung gegenüber den European Studies. Eine der großen Kontroversen der Integrationsgeschichte ist mit den Namen Walter Lipgens und Alan Milward verbunden. Ersterer rekonstruierte den Ursprung des europäischen Integrationsprozesses aus den Ideen der Gründerväter, genauer: aus dem »Geist des Widerstands gegen den Nationalsozialismus«18 und entwarf ein föderalistisches Modell. Dem schien die Interpretation des Wirtschaftshistorikers Alan Milward entgegen zu stehen, der die europäische Integration vor allem von dem Bestreben der europäischen Nationalstaaten angetrieben sah, ihre Souveränität auch in der Nachkriegsordnung zu wahren. Für ihn war die europäische Integration nach 1945 die »European rescue of the nation state«.19 In den ersten Dekaden der Fachgeschichte seit den siebziger Jahren dominierten vor allem ideen- und diplomatiegeschichtliche Arbeiten, deren zeitlicher Bogen zumeist in den sechziger Jahren des 20. Jahrhundert endete, begründet vor allem in der dreißigjährigen Sperrfrist20 der Archive. Vielfach waren die anfangs eher teleologisch angelegten Deutungen des Integrationsprozesses 15 Patel, Europäische Integrationsgeschichte, S. 595. 16 Die Formierung des Feldes setzte in den siebziger Jahren ein, 1982 regte die Europäische Kommission die Gründung eines European Liaison Committee of Historians an, das seit 1995 das Journal of European Integration History herausgibt; mit den Jean Monnet-Lehrstühlen und mit dem Europäischen Hochschulinstitut in Florenz sowie dem Europakolleg Brügge seien nur drei Institutionen benannt, an denen Integrationshistoriker ausgebildet werden. Vgl. Varsori; sowie Seidel. 17 Patel, Europäische Integrationsgeschichte, S. 596. 18 Ebd., S. 597. 19 Milward. 20 Mit diesem Quellenproblem wird in der Integrationsgeschichte zumeist die Zurückhaltung gegenüber Problemstellungen jüngeren Datums begründet. Doch ist in verschiedenen Arbeiten, die sich nicht im engeren Sinne der Integrationsgeschichte zuordnen, gezeigt worden, dass trotz der Sperrfristen und der schwierigen Suche nach (und problematischen Rede von) einem »europäischen Archiv« auch die Bearbeitung jüngerer Fragestellungen möglich ist, nicht zuletzt, da die Europäische Union und ihre Agenturen nahezu obsessiv die Veröffentlichung ihrer zumeist online zugänglichen Dokumente, Statistiken und Umfragen betreiben, andererseits aber auch eine Vielzahl medialer Quellen zur Verfü-

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aus der Perspektive einer der europäischen Nationalhistoriografien entworfen, nach dem Muster »Italien und …«, oder »Deutschland und …«, obwohl sich das Feld – intensiv von der Europäischen Kommission gefördert – frühzeitig als ein transnationales formiert hatte. Die Arbeitsweise der Integrationshistoriker, die sich häufig auf Archivbestände in einem Mitgliedsland konzentrierten, hatte zusammen mit dieser Vernetzung den Austausch und Vergleich von nationalen Befunden befördert. Trotz seiner Prominenz auf der geschichtspolitischen Agenda der Kommission blieb das Fach relativ stark isoliert von anderen historischen Teildisziplinen. Die Integration von Ansätzen aus der Forschung zu transnationalen Netzwerken und Akteuren,21 sowie aus der kulturgeschichtlich gewendeten Politikgeschichte und der neue Ideengeschichte22 hat dazu beigetragen, die vergleichsweise eurozentrische, diplomatie- und ideengeschichtliche Ausrichtung des Fachs in den letzten Jahren zu pluralisieren und aufzubrechen. Dabei gerieten auch globalgeschichtlichen Kontexte der europäischen Integration verstärkt in den Blick: die Beziehung zwischen der europäischen Integration und historischen Internationalismen,23 das Verhältnis der westeuropäischen Integration zu anderen europäischen Integrationsbewegungen wie in der KSZE und dem RGW,24 die Rolle der USA und der Sowjetunion sowie die Bedeutung des Kalten Krieges und der Dekolonisierung für die Entwicklung des Integrationsprozesses.25 Die nationale Perspektivierung aufbrechend werden nun auch vermehrt Zugänge über einzelne europäische Politikfelder wie die Agrar- oder die Wettbewerbspolitik26 gewählt. Gleichwohl trifft die Kritik an einem hohen Maß an Selbstbezüglichkeit auf die Integrationsgeschichte nach wie vor zu,27 und dies vermutlich auf diese gung stellen. Vgl. z. B. Wirsching, Der Preis der Freiheit; Frank, Kaelble, Lévy u. Passerini; Leggewie u. Lang; Hadji-Abdou, Liebhart, Pribersky u. Bernhardt; Wassenberg; Hamouda u. Bouchard. 21 Kaiser, Leucht u. Gehler. 22 Vgl. Wirsching, Europa als Wille; einer kulturalistischen Wendung steht Wolfram Kaiser beispielsweise in seiner ausgesprochen kritischen Rezension zu Stråth u. af Malmborg eher skeptisch gegenüber. 23 Vgl. Henrich-Franke. 24 Studien dazu sind bisher vor allem in Aufsatzform erschienen, auf weitere monographische Arbeiten ist zu hoffen; vgl. Jajeśniak-Quast; Spetschinsky; Rey; Karlas u. Kratochvil; Vaisié; Lipkin; Romano. 25 Vgl. zum Eurafrika-Projekt und dem Wandel von europäischer Kolonialpolitik zur Entwicklungshilfe u. a. van Laak, Imperiale Infrastruktur, S. 354–356; Bitsch u. Boussuat; Vahsen; Kim; zum Kontext des Kalten Krieges und der Rolle der Sowjetunion und der USA u. a. die Beiträge des Heftes 2, Band 1 (1996) des Journal of European Integration History. 26 U. a. Patel, Fertile ground; ders., Europäisierung. 27 Patel, Europäische Integrationsgeschichte, S. 623.

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Subdisziplin noch mehr als dies mit Blick auf die Europageschichtsschreibung insgesamt in jüngerer Zeit wiederholt konstatiert worden ist.28 So übte beispielsweise Dominic Sachsenmaier grundlegende Kritik an der aktuellen Europageschichtsschreibung, die er als »introvertiert« charakterisierte.29 Dies hatte Jürgen Osterhammel mit seinem Verdikt aus dem Jahr 2004 noch pointierter attackiert: Der Europageschichtsschreibung sei eine »internalistische Orthodoxie« eigen.30 Osterhammel plädierte dagegen für die Re-Mobilisierung der Kategorie des Imperialen, um der »Falle von Insularität und übertriebener Selbstreferentialität«31 zu entgehen. Die Fortdauer der Kritik ist aus zwei Gründen beachtenswert. Erstens existiert tatsächlich eine Vielzahl von Forschungen, die »the world beyond Europe« als Teil der europäischen Geschichte erfassen bzw. diese in jene integrieren oder von da aus entwerfen: beispielsweise Forschungen zu Migrationen oder Hafenstädten.32 Gleichzeitig hat die Europageschichtsschreibung der letzten Jahre eine Vielzahl von Vorhaben hervorgebracht, die die Transnationalisierung und Öffnung der europageschichtlichen Perspektive befördert haben. Hartmut Kaelbles Beiträge zur Sozialgeschichte Europas33 und zur Geschichte des Europabewusstseins34 wären hier zu nennen, aber auch Arbeiten wie Gerard Delanty’s »Inventing Europe«35, Wolfram Kaisers Forschungen zu transnationalen Netzwerken im Prozess der europäischen Integration36 sowie die Beiträge, die im Zusammenhang des »Tension of Europe«-Netzwerks zur europäischen Technologieund Infrastrukturgeschichte entstehen bzw. entstanden sind.37 In Forschungen dieser Art haben Friedrich Jaeger und Hans Joas kürzlich die voranschreitende Europäisierung der Sozial- und Kulturwissenschaften erkannt.38 Die oben dargestellte Kritik legt jedoch nahe, dass die narrativen Kon­se­ quenzen dieser Forschungen zu einzelnen Aspekten der globalen Verflechtung 28 Vgl. als Vorschläge zu einer Weitung des Blicks u. a. Middell, Auf dem Weg; Conrad; Saunier. 29 Sachsenmaier, S. 14. 30 Osterhammel, Europamodelle, S. 161. 31 Ebd., S. 162. 32 Middell, Erinnerung; Geyer; Amenda u. Fuhrmann; Caruso, Pleinen u. Raphael; von Thadden, Kaudelka u. Serrier. 33 Kaelble, Sozialgeschichte Europas; viel beachtet auch Therborn. 34 Kaelble, Europäer. 35 Delanty, Inventing Europe; vgl. auch Stråth u. af Malmborg. 36 Kaiser, Leucht u. Gehler. 37 Vgl. http://www.tensionsofeurope.eu/ (Zugriff 21. 06. 2009); u. a. sind in der Reihe bisher erschienen: van der Vleuten u. Kaijser; Hård u. Misa. 38 Jaeger u. Joas; vgl. auch Schmale, Europäische Geschichte.

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Forschungsstand

und Grenzüberschreitungen für die Europageschichtsschreibung offensichtlich noch nicht systematisch geprüft wurden, sie bislang noch nicht Eingang in ein Modell für die Europageschichtsschreibung, und noch viel weniger für die Integrationsgeschichtsschreibung gefunden haben. Die vergleichsweise beharrliche Distanz dieser Disziplin zu kulturwissenschaftlichen und globalgeschichtlichen Zugängen hat beispielsweise Peter Pichler in seiner unlängst erschienenen Dissertation problematisiert.39 Diesem innerwissenschaftlichen Befund sei zweitens eine Gegenwartsbeobachtung zur Seite gestellt: EUropa justiert spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges seine globale Position neu, reformuliert seine Rolle in einer als globalisiert beschriebenen Welt. Bekanntester Ausdruck dessen ist die vielzitierte Lissabon-Agenda. Aber auch die 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie, das Ringen um ein europäisches Grenz- und Migrationsregime, der Entwurf der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die jüngsten Erweiterungen der Union sowie die europäische Entwicklungspolitik, nicht zuletzt ihre AfrikaStrategie, gehören in diesen Problemkreis. Pointiert formulierte die Europäische Kommission 2007 in ihrer Mitteilung »Das europäische Interesse: Erfolg im Zeitalter der Globalisierung«: »Die politische Agenda der EU ist in den letzten Jahren zunehmend als Reaktion auf die Globalisierung zu verstehen.«40 Die Entwürfe einer neuen Position für die EU werden vielfach fundiert durch Deutungen der Globalisierung als Herausforderung für »Europa« und gleichzeitig legitimiert mit mehr oder weniger historischen Herleitungen der besonderen Rolle »Europas« in der Welt. Die aktuelle Entwicklung legt auch eine historisch-wissenschaftliche Positionierung gegenüber diesen Prozessen nahe, auf die zu reagieren die Politik sich zunehmend gedrängt sieht. Es erscheint einleuchtend, sich mit diesem Problem zunächst an die Historiografie zur europäischen Integration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu wenden. Mehr noch: Es bedarf ihrer Expertise, um sich dieser Herausforderung zu stellen. Soziologen, Kultur- und politische Geografen sowie Politikwissenschaftler sind sich wiederum mit den Historikern mehr oder weniger darin einig, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere seit den siebziger und achtziger Jahren Formen der politisch-räumlichen Organisation des Kontinents herausgebildet haben,41 die entweder in ihrer mutmaßlichen Innovativität 39 Pichler. 40 KOM (2007) 581 endg., S. 2. 41 Ferguson, Maier, Manela u. Sargent; vgl. auch Wirsching, The 1970s.

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als ein weiterer Beleg für die europäische Sonder- und Vorbildrolle herhalten müssen oder aber als Reaktion auf zunehmende globale Verflechtungen und Wettbewerb interpretiert werden können. Ein zentraler Aspekt dieser vielfach als neu bezeichneten politisch-räumlichen Ordnung des Kontinents ist die Herausbildung der politischen Institutionen der Europäischen Union und die daraus entstehenden Grenzen und Grenzüberschreitungen, sowie die daraus erwachsenden Ergänzungs- und Regelungs-, Kommunikations- und Erfahrungsräume. Die behauptete Neuheit der sich solchermaßen herausbildenden Territorialisierungsmuster ergibt sich in den Argumentationen zumeist aus dem Vergleich zum nationalstaatlichen Territorialisierungsregime, das für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig als dominantes beschrieben wird.42 Es scheint daher dringend notwendig, sich der Kritik an einer »introvertierten« Europageschichtsschreibung zu stellen. Diese Geschichte Europas wiederum lässt sich nicht ohne eine gewisse Aufmerksamkeit für die Vorgänge in der neuesten europäischen Zeitgeschichte schreiben. Eine der zentralen Herausforderungen besteht deshalb in einer bis in die jüngste Vergangenheit heranreichenden Geschichte der europäischen Integration, als eine methodisch integrative und perspektivisch »extrovertierte«. Diese sollte einerseits in der Lage sein, die politische Verräumlichung des Kontinents in den Kontext globaler Transformationen von Territorialisierungsregimen zu stellen. Andererseits müssen spezifische, möglicherweise als »EUropäisch« bezeichenbare Verräumlichungsformen als historische Reaktionen auf die Herausforderung von sich beschleunigenden und vertiefenden weltweiten Interdependenzen begriffen werden. Die Schwierigkeiten der Integrationshistoriografie, in einen systematischen Dialog nicht nur mit ihren historischen Nachbardisziplinen zu treten, sondern auch mit den sozialwissenschaftlich ausgerichteten Europastudien oder European Studies, lässt sich aus der umgekehrten Perspektive bestätigen: »[M]any historians of modern Europe […] rarely, if ever […are…] referred to by EU studies scholars.43 Dieses Feld präsentiert sich als ausgesprochen multidisziplinäres im Rahmen der Sozialwissenschaften. Es umfasst Ansätze aus der Politikwissenschaft, der politischen Soziologie, der Humangeografie, Anthropologie und den Wirtschaftswissenschaften. Und obwohl einige Beobachter wie Mitgestalter des Feldes angesichts der Vielfalt der Ansätze, theoretischen Modelle, Interpretamente und Methoden noch nicht restlos überzeugt sind, dass es sich um einen konsolidierten Forschungsbereich handelt, gibt es vielfältige Hand42 Maier, Transformations. 43 Rumford, S. 6.

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büchern, Zeitschriften und Studienprogrammen unter dem Label European Studies. Hier ist das Interesse für die Herstellung des politischen Raums in Europa unübersehbar – im Unterschied zu den European Union Studies, die Michelle Cini und Angela K. Bourne in einem programmatischen Sammelband davon abgrenzen.44 Diese scheinen eine gewisse Raumblindheit mit der Integrationshistoriografie zu teilen.45 In beiden Feldern jedoch ist die Historizität des Gegenstandes in weiten Teilen an den Rand gedrängt: Ein systematisches Interesse am Wandel und dessen Integration in Erklärungsmodelle, wie auch die Bemühung um die Einbettung in Prozesse längerer historischer Dauer sind nur wenig ausgeprägt. Jedoch: Genauso sehr, wie die Annahme problematisiert werden muss, die EU sei Fluchtpunkt und alleinige Repräsentantin des (politischen) Europa, genauso wenig ist es befriedigend und sinnvoll, sie aus der Europageschichtsschreibung auszuschließen oder darin zu marginalisieren. Die europäische Geschichte bliebe ohne diese politische Institutionalisierung und ihre Folgen unvollständig,46 sie ist eine zentrale Arena für die Aushandlung politischer Räume und ihrer Grenzen, möglicherweise auch für die Herausbildung neuer Formen von Territorialisierung. Die Integrationsgeschichtsschreibung kann hier unbestreitbare Kompetenzen zur Verfügung stellen. Die Potentiale eines solchermaßen erneuerten Zugangs werden bereits sichtbar.47 Es lassen sich darüber hinaus eine Reihe von Forschungsthemen denken, für deren Bearbeitung die Problematisierung europäischer Räume, deren politische Produktion und transnationalen Dimensionen nicht nur ein Appendix, sondern ein zentrales Element sein müssten. Zwei Überlegungen sind dabei für mich bedeutsam: Erstens können die Forschungen zur Geschichte der europäischen Expansion mit Blick auf EU-Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik sowie der europäischen Entwicklungspolitik neu diskutiert werden – nicht im Sinne voreiliger historischer Analogiebildungen, sondern, indem aktuelle Prozesse im Zusammenhang mit älteren Projekten geprüft sowie begriffliche und methodische Überlegungen aus der Forschung zum 19. und frühen 20. Jahr44 Cini u. Bourne. 45 Als vorläufiger Beleg dafür mag gelten, dass sich im Band von Cini u. Bourne kein Eintrag findet, der sich systematisch mit der Raumperspektive für die EU-Forschung beschäftigt. 46 So auch Kaiser, S. 63. 47 Dazu gehören beispielsweise die oben bereits genannten Arbeiten von Wolfram Kaiser und Kiran Patel, aber auch eine Vielzahl der Studien von Forscherinnen und Forschern, die sich in Netzwerken der Europäischen Integrationsgeschichte zusammengeschlossen haben (RICHIE und HEIRS, siehe http://www.europe-richie.org und http://www.heirs-eu.org (Zugriff jeweils 03. 01. 2013)).

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hundert fruchtbar gemacht werden. Dies wird in dieser Arbeit mit der Erprobung der Begriffe vom »Ergänzungsraum« und der »Zivilisierungsmission« versucht. Zweitens lässt sich die historische aber auch politisch- und kulturgeografische Forschung zu Grenzen, »frontiers« und Grenzregimen sowie die Arbeiten aus der historischen und soziologischen Migrationsforschung ebenfalls stärker für eine solche Geschichte erschließen, denn diese stellen wichtige Erkenntnisse darüber bereit, wie sich der politische Raum Europas in Abgrenzung nach außen formt. Dieser Vorgang wird auf diese Weise zwangsläufig historisiert und als politisches Projekt sichtbar gemacht. Auch wenn, wie oben beschrieben, erste Anzeichen der Öffnung des integrationsgeschichtlichen Blicks nach außen zu beobachten sind,48 also europäische Integrationsprozesse auch zunehmend in globalen Bezügen erfasst werden, bleibt die systematische Integration der Raumperspektive für die Integrationsgeschichte weiterhin ein Desiderat,49 und kultur- oder politisch-geografische Ansätze werden weitgehend ignoriert. Ich möchte dazu einen alternativen Vorschlag unterbreiten: die jüngste Geschichte der europäischen Integration aus der Erschaffung des EUropäischen Raums heraus zu deuten, den Friktionen, Aneignungen und Aushandlungen des Territorialisierungsprojekts nachzugehen sowie die dafür mobilisierten Raumsemantiken zumindest zum Teil in längere historische und weitere globale Bezüge einzubetten.

1.1.2 Territorialisierungsregime und das Problem der wandernden Grenze Der als »spatial turn«50 beschriebenen Bewegung wird vielfach eine transdisziplinäre Transformationskraft für viele Teilgebiete der Sozial- und Geisteswissenschaften nachgesagt. Gleichzeitig mehren sich Stimmen, die die Durchschlagskraft des neuen Denkens für den Umgang mit der Kategorie Raum in Frage stellen: »Die Konjunktur der wissenschaftlichen Rede vom ›Raum‹, über ›andere Räume‹ und ›Verräumlichung‹ [hat] ein bestimmtes Emergenzniveau erreicht, so dass man tatsächlich davon überzeugt ist, es gäbe den spatial turn. [… Jedoch …] könnte sich herausstellen, dass es den einen spatial turn nicht 48 Garavini. 49 So findet sich in dem jüngsten, oben genannten Band von Kaiser und Varsori kein einziger Eintrag dazu, der »Raum« systematisch integriert. In der Europahistoriografie ist die Lage etwas anders mit den Arbeiten u. a. von Schmale, Geschichte Europas, oder dem oben genannten Delanty, Inventing Europe. 50 Vgl. Döring u. Thielmann; Belina u. Michel; Osterhammel, Die Wiederkehr des Raumes; Middell, Transnationale Geschichte.

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gibt, sondern viele verschiedene.«51 Und mit Blick auf die Historiografie konstatierten Christof Dipper und Lutz Raphael unlängst noch pessimistischer: »[D]ass in der deutschen Geschichtswissenschaft der spatial turn inzwischen Fuss gefasst habe, ist eine falsche Vorstellung. […] [E]ine echte Befassung mit der Kategorie Raum ist immer noch die ganz große Ausnahme.«52 Nicht zu bestreiten ist, dass die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften nach der (Wieder)Entdeckung des Raumes dieses neue Denken sehr unterschiedlich operationalisiert haben. Insbesondere für einige Vertreter der Geschichtswissenschaft gestaltet sich der Dialog mit der Geografie, der Kompetenz im Umgang mit Fragen der Verräumlichung nicht abgesprochen werden kann, keineswegs einfach.53 Diese Beobachtung kann aber auch in umgekehrter Richtung gelten: Die Aneignung historischer Zugänge in der Geografie stößt ebenfalls auf Hindernisse und Ungleichzeitigkeiten.54 Davon unbenommen hat die Begegnung beider Kategorien – Raum und Zeit – eine Vielzahl von Studien hervorgebracht, die eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Entstehung und den Wandel räumlicher Ordnung von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Organisationen auszeichnet.55 Damit rückt die gesellschaftliche Produktion dieser Verräumlichungsmuster ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Raum wird als Ergebnis gesellschaftlichen – erfahrungsgemäß selten konfliktfreien – Handelns konzeptionalisiert.56 Im Zusammenhang mit diesem »turn«, und teilweise mit diesem parallel, haben sich in den letzten Jahren eine Reihe weiterer konzeptioneller und methodischer Ansätze und Strömungen in der Geschichtswissenschaft etabliert, die sich mit spezifischen Raumphänomenen auseinandersetzen, insbesondere die Grenzforschung und die Forschung zu Territorialisierungsregimen.57 Dazu gehören auch vergleichs- und transfergeschichtliche Studien, Neuorientierungen, die aus der Anthropologie und der Mikrogeschichte übernommen wurden, aber auch das Erstarken einer Geschichtsschreibung, die sich insbesondere Regionen zuwendet – und nicht zuletzt transnationale und globalhistorische Zugän-

51 Döring u. Thielmann, S. 11. 52 Dipper u. Raphael, S. 28. 53 Der von Döring/Thielmann herausgegebene Band legt von dieser Schwierigkeit einerseits Zeugnis ab, er ist andererseits der Versuch, diese Hürde zu überwinden. 54 Vgl. die Beiträge im Band von Bernd u. Pütz; ein exzellentes Beispiel für die Integration von historischer und geografischer Perspektive ist Schelhaas u. Wardenga; Wardenga. 55 Vgl. im Folgenden auch Marung, Zivilisierungsmissionen. 56 Vgl. richtungsweisend Lefebvre. 57 Middell u. Naumann.

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ge.58 Entscheidend ist vor allem für letztere die konsequente Historisierung des nationalstaatlichen Territorialisierungsregimes, einschließlich der kritischen Reflexion der »territorialisierende[n] Praxis von Historikern selbst«59 – d. h. die Art und Weise, wie Historiker daran mitgewirkt haben, den nationalstaatlichen Containerraum als zentrale Analysekategorie gegenüber alternativen Zuschnitten zu privilegieren.60 Dies bedeutet nicht die Absage an den Nationalstaat als historiografischer Kategorie, sondern dessen Integration in ein »breiteres Konzept von Raumbezügen menschlichen Handelns.«61 Die Stoßrichtung einer solchen Perspektive ist mithin eine doppelte: Sie tritt einer Essentialisierung des Nationalen als teleologischer Kategorie ebenso entgegen wie Behauptungen seiner schlichten Erosion durch sich intensivierende Verflechtungen, wie sie im Rahmen von Neuheitspostulaten zumeist sozialwissenschaftlicher Provenienz geäußert werden. Aus dieser Perspektive lässt sich die Entwicklung des nationalstaatlichen Territorialisierungsregimes deuten als eine historisch spezifische Verräumlichungsform politischer und gesellschaftlicher Organisationen neben anderen, die als Antwort entwickelt wurde auf die Herausforderungen durch zunehmende globale Verflechtungen, die seit der Mitte der 19. Jahrhunderts die spezifische Qualität einer »global condition«62 angenommen haben.63 Der Nationalstaat und seine Art der Grenzziehung – mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems der Grenzfestlegung und deren rechtlicher Fixierung, flankiert durch Grenzkontrollregime, Passwesen und Migrationspolitiken – hat sich, so argumentieren Historiker aus transnationaler und globalhistorischer Perspektive, also nicht gegen oder trotz, sondern mit der Beschleunigung von Globalisierungsprozessen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt.64 Die anschwellenden Ströme – von Menschen, Gütern, Ideen oder auch sozialen Bewegungen – ging historisch immer mit Versuchen ihrer Beherrschung einher, also eben mit vielfachen Grenzziehungen. Der Nationalstaat hat sich dabei lange Zeit als einer der erfolgreichsten Globalisierungsmanager erwiesen.65 Gegenwärtig wird allerdings eine grundlegende Veränderung der Rolle des Nationalstaats in diesen Zusammenhängen diagnostiziert. Aus globalhistorischer Perspektive 58 59 60 61 62 63 64 65

Vgl. u. a. Middell, Der Spatial Turn. Ebd., S. 119; vgl. auch Marung, Zivilisierungsmissionen. Wimmer u. Glick Schiller. Middell, Auf dem Weg, S. 542. Geyer u. Bright. Vgl. auch Middell, Der Spatial Turn, S. 115; Middell u. Naumann. So argumentieren u. a. auch Bayly; und Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Geyer u. Bright.

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erscheint auch dieser Wandel, oder möglicherweise gar Bruch, nicht als völlig neuartig, sondern als Teil längerer Prozesse, deren Triebfeder vielfach eine ähnliche ist: die Dialektik von Entgrenzung und Vergrenzung, von De- und Reterritorialisierung.66 Auch für diese Arbeit steht die Frage nach der Erzeugung und Transformation des politischen Raums, der politischen Verräumlichung von Gesellschaften mit ihren jeweils unterschiedlichen Ergebnissen und Erfolgen im Mittelpunkt – und zwar für die Europäische Union, also nicht für einen Nationalstaat. Für diesen Prozess haben Matthias Middell und Katja Naumann – angeregt von, aber durchaus in Abgrenzung zu Charles Maiers konzeptionellem Vorschlag der Territorialitätsregime67 – kürzlich den Begriff der Territorialisierungsregime entwickelt.68 Dies zielt auf die konsequente Historisierung des Nationalstaats. Die exklusive Vereindeutigung des Zusammenhangs zwischen Nationalstaat und Territorialität wird damit in Frage gestellt. Dies verweist zugleich auf verschiedene Ausprägungen von Projekten der Territorialisierung, auf ihre Konkurrenzen und ihre Konkurrenten, auf ihre Akteure – also ihre Macher – und auf die maßgeblichen Arenen für die Herstellung des politischen Raums als Teil globaler Wandlungsprozesse spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Territorialisierung im Sinne der vorliegenden Untersuchung meint die Herstellung eines politischen Raumes und zwar sowohl durch die Bestimmung seiner Grenzen und der sie regulierenden Grenzregime als auch durch dessen Organisation nach innen einschließlich der infrastrukturellen, wirtschaftlichen und administrativen Erfassung und Kontrolle des Raumes und der ihm zugeordneten Ressourcen sowie die Hierarchisierung von Raumebenen. Territorialisierung lässt sich so als ein Zusammenspiel von Projekten symbolischer Raumaneignung, infrastruktureller Erschließungsvorhaben und institutioneller Durchdringung beschreiben.69 Sowohl für die Globalgeschichte als auch für die europäische Geschichte ermöglicht der konzeptionelle Zugriff über Territorialisierungsregime die analytische Erfassung von Prozessen der Hierarchisierung von Raumebenen, macht Verräumlichung durch soziales (und politisches) Handeln beobachtbar und kann den historischen Variantenreichtum in der Produktion und Anordnung von Raumebenen und Raumentwürfen erschließen – ohne der Meta-Erzählung vom Übergang vom »Empire« zum 66 67 68 69

Brenner. Maier, Transformations. Middell u. Naumann. Vgl. dazu u. a. Sack; Delaney; Maier, Transformations; Casti.

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Nationalstaat – und möglicherweise zurück zum »Empire« – in ihrer modernitätsfokussierten Teleologie zu folgen.70 Insbesondere für die Deutung der jüngsten EU-Geschichte ist die Kategorie des Imperialen – und in diesem Zusammenhang auch der »frontier« – vorgeschlagen worden, u. a. von Historikern wie dem oben bereits zitierten Jürgen Osterhammel. Vor allem die Suche nach dem Verständnis dessen, was sich an den Grenzen Europas und der Union in jüngster Zeit verändert, wie dies zu beschreiben und in einen Zusammenhang zum Gesamtentwurf eines europäischen Raums zu bringen ist, hat große wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen.71 In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erlebte die Grenzforschung, nicht nur zu den europäischen Grenzen, einen beachtlichen Aufschwung,72 nachdem die grundlegende Kritik des geopolitischen Denkens aus dem 19. und frühen 20. Jahrhunderts das Feld nachhaltig transformiert hatte. Ausgelöst wurde dieses große Interesse, vor allem in Europa, u. a. durch Entwicklungen innerhalb der EG/EU wie die Gründung von grenzüberschreitenden Euroregionen und die Etablierung eines Außengrenzregimes als flankierende Maßnahme zur Abschaffung der Binnengrenzen. Eine der großen konzeptionellen und methodischen Herausforderungen für die Grenzforschung war die Beobachtung, dass sich die Funktionen von Grenzen unter den Bedingungen jüngster »Globalisierungsprozesse« zu verändern schienen, insbesondere in den neunziger Jahren wurde gar die Entstehung einer »borderless world«73 verkündet. Dies ist eine Deutung, die nun zuletzt wieder in die Kritik gerät,74 da sie nicht nur die Grenzen der Entgrenzung aus dem Auge verliert, sondern auch die Historizität des Prozesses.75 Andere Autoren haben vermutet, dass Grenzen als materielles Raumphänomen an Bedeutung verlieren würde, aber als symbolische »boundaries« wiederkämen.76 70 Vgl. hierzu u. a. Esherick, Kayali u. van Young; Leonhard u. von Hirschhausen. 71 Innerhalb der Grenzsoziologie, der European Studie und der historischen und sozialwissenschaftlichen Grenzforschung – weniger in der Integrationsgeschichte. Vgl. zur Grenzforschung ausführlicher in Kapitel vier und im Folgenden auch Franke, Introduction. 72 Um nur einige einflussreiche Beispiele aus der historischen, sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Forschung zu nennen: Anderson, Frontiers; Asiwaju; Blake u. Schofield; Donnan u. Wilson; Foucher; Haslinger; Lemberg; Martinez; Ohmae; Paasi, Territories; Schofield; van Houtum, Kramsch u. Zierhoffer; die interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Grenzforschung ist darüber hinaus eng vernetzt, u.a im BRIT (Border Regions in Transition) und der Association of Borderland Studies (ABS). 73 Ohmae. 74 Brenner; Newman. 75 Becker u. Komlosy; Berking, Raumtheoretische Paradoxien. 76 Anderson, The Frontiers of Europe, S. 7.

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Gegen ein solches enträumlichtes Globalisierungsverständnis ist – wie oben bereits angedeutet – vorgeschlagen worden, Globalisierung – wenn dieser Begriff nicht gar als sinnvolle analytische Kategorie für gegenwärtige und historische Prozesse ganz zurückgewiesen wird77 – als dialektischen Prozess von De- und Reterritorialisierung zu fassen, in dem Räume, Grenzen und Orte ihre Bedeutung behalten, gleichwohl diese fortlaufend Veränderungen unterliegt.78 Eine historische Perspektive auf diese Prozesse müsste dann jene Momente identifizieren, in denen etablierte Formen der (politischen) Raumorganisation und die damit verbundenen Machtkonstellationen unter Druck geraten.79 Globalisierungsprozesse und Prozesse der Re-Formierung politischer Räume bringen sich dabei nicht selbst hervor, sondern werden von Akteuren gestaltet, die in wechselnden temporalen und räumlichen Bezügen agieren und die unterschiedliche Interessen haben.80 Grenzen können unter den veränderten historischen Bedingungen der Gegenwart offensichtlich weder als lediglich artifizielle Raumphänomene gedeutet werden, noch scheinen sie ihre ursprüngliche Bedeutung als notwendige Voraussetzung für Staatlichkeit und die Stabilisierung kollektiver Identitäten ohne weitere Schwierigkeiten bewahren zu können.81 In Reaktion auf diese als neu beschriebene Flexibilität »postnationalstaatlicher« Grenzregime82 müsse eine Grenztheorie, so haben Monika Eigmüller und Georg Vobruba aus soziologischer Perspektive argumentiert, das Konzept der Grenze als Linie durch eines der Grenze als Institution ersetzen.83 Laut Pierre Hassner wiederum gewinnen Grenzen heute zunehmend Ähnlichkeit mit jenen unscharfen Übergangszonen, wie man sie in Imperien beobachten kann, sie sind weniger fixiert und weniger klar markiert als unter den Bedingungen nationalstaatlicher Territorialität.84 Diese »permanent fluidity of borders«85 hat zu der Suche nach neuen Beschreibungskategorien geführt, die eben bei der imperialen »frontier«

77 Cooper. 78 Vgl. auch Berking, Die Macht des Lokalen; Sassen, Cities; dies., Territory. 79 Matthias Middell und Ulf Engel haben dies als »Bruchzonen der Globalisierung« beschrieben: Middell u. Engel, Bruchzonen. 80 Sassen, Spatialities, S. 217. 81 Vgl. Hassner, S. 40–42. 82 Eigmüller, Der duale Charakter der Grenze, S. 59; vgl. dazu auch dies., Grenzsicherungspolitik. 83 Eigmüller, Der duale Charakter der Grenze, S. 71–73; Kaufmann. 84 Hassner, S. 43. 85 Ebd., S. 45.

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fündig wurde.86 Die Konjunktur imperialer Beschreibungskategorien für den heutigen Wandel der Organisation von politischem Raum reflektiert – von Fall zu Fall unterschiedlich gewichtet – gleichermaßen nostalgische Beschwörungen einer imperialen Vergangenheit als auch den Mangel an geeigneten Beschreibungskategorien für die neuen transnationalen Qualitäten der gegenwärtigen Raumordnung. Das »Imperiale« scheint paradoxe Positionen und Entwicklungen in einen sinnvollen Zusammenhang bringen zu können: das »Globale« und das »Lokale«, Hegemonie und ihr Scheitern, Transfers und Begrenzungen, humanitäre Projekte und militärische Interventionen, kulturelle Dominierung und der Widerstand dagegen. Die spezifischen Grenzformationen der historischen Imperien, die »frontiers«, sind dabei Räume – nicht Linien – , in denen kulturelle, politische und gesellschaftliche Entwürfe verschiedener Akteure konfliktreich aufeinandertrafen. Der »frontier«-Begriff wurde bereits im 19. Jahrhundert in wissenschaftliche und politische Diskussionen über die Gestalt von Imperien eingeführt, und war dabei ursprünglich gar nicht für ein imperiales Gefüge, sondern als Deutungsmuster für die Geschichte der USA gedacht. Der US-amerikanische Historiker Frederick Jackson Turner beschrieb die »frontier« als äußere Zone einer Expansionsbewegung, in der zivilisatorische Konzepte aufeinanderprallen. Dies sei ein Zusammenstoß, der in der Selbstbeschreibung der expandierenden Gesellschaft eine zentrale Rolle einnimmt, mithin zu einem wichtigen Bestandteil des nationalen Mythos wurde. 87 Die Wiedererstehung solcher »frontiers« als zivilisatorischen Grenzen hat auch Charles Maier registriert, als er schlussfolgerte, dass die Grenzen der Europäischen Union wieder in diesem Sinne Bedeutung erlangen würden: »Schengen has the old function of controlling the access of barbarians […].«88 Ein ähnliches Argument hat auch Andrea Komlosy vorgebracht, die die Entwicklungen in der Habsburger Monarchie und der EU verglichen und dabei den Zusammenhang zwischen territorialer Konsolidierung und Expansion betonte: Ähnlich wie für die Doppelmonarchie sei auch für die EU die Liberalisierung des Binnenraums mit der Fortifikation der Außengrenze und der Schaffung eines differenzierten Systems der Mobilitätskontrolle Hand in Hand gegangen.89 86 Vgl. zur Empire-Debatte u. a. Altvater u. Mahnkopf; Ferguson; Hardt u. Negri; Maier, Among empires; Motyl; Zielonka; Burbank u. Cooper; Nolte; Stoler, McGranahan u. Perdue; Münkler, Imperien; Morris. 87 Turner. 88 Maier, Transformations, S. 38. 89 Komlosy, Begrenzte Durchlässigkeit.

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Der »frontier«-Begriff fungiert bei diesen neueren Grenzkonzepten teils als Metapher, teils als ein spezifisches Narrativ der Formierung und Funktionsweise von Grenzen in der Gegenwart, wobei dies gleichzeitig an bestimmte Szenarien für eine neue Weltordnung gebunden ist als auch an Deutungen dessen, worin das Wesens von Territorialität bestehe. Der Begriff reflektiert aber auch eine konzeptionelle Unsicherheit im Umgang mit den scheinbar widersprüchlichen »spatialities and temporalities of the global«90 und stellt eher eine Annäherungen an ein als neu beschriebenes Phänomen dar. Auch deshalb wird er hier eher vorsichtig verwendet, aber einmal mehr, weil der daran geknüpften Diskussion eine historische Analogiebildung eigen ist, die Gefahr läuft, die spezifische historische Qualität des gegenwärtigen Prozesses unkenntlich zu machen und zugleich problematische Narrative – wie jenes der Begegnung zwischen Zivilisation und Barbarei in der »frontier« – zu perpetuieren, die zunächst erst einmal für die aktuellen Auseinandersetzungen in den jeweiligen besonderen Kontexten entschlüsselt und in Frage gestellt werden sollten. Außerdem impliziert der Begriff eine gewisse Verwandtschaft des solchermaßen umgrenzten Raumes mit einem imperialen Gebilde. Diese Arbeit ist jedoch kein Beitrag zu der Diskussion, ob es sich bei der EU um ein »empire« handelt. Stattdessen werden hier zwei andere Begriffe vorgeschlagen, um die spezifische Qualität des Territorialisierungsprojekts der Union zu kennzeichnen: Ergänzungsraum und Zivilisierungsmission. Beide Begriffe gehen zwar auch auf Anregungen aus historischen Forschungen zurück, sie werden für die vorliegende Studie jedoch in den dafür vorgesehenen Abschnitten dieser Einleitung präzisiert.

1.1.3 Raumsemantiken: Zugänge zu einer Geschichte des politischen Raums Für die Erschließung von Raumproduktionen ist aus der politischen und Kulturgeografie auf die Bedeutung von Raumsemantiken hingewiesen worden. Diese sind ein geeigneter Zugang für die Historisierung von Verräumlichungsmustern und sozial-räumlichen Selbstbeschreibungen: Nicht zuletzt, um die möglichen Motive für einen spatial turn bei NichtGeografen zu erklären, könnte sich die Analyse solcher Raumsemantiken als höchst aufschlussreich erweisen: Raumsemantiken vereinfachen, sind höchst anschlussfähig an alltagsweltliche Verkürzungen, sie umgrenzen und bergen in Zeiten der Unübersichtlichkeit, sie reduzieren soziale Komplexität 90 Sassen, Spatialities.

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durch eine metonymische Zuschreibungspraxis der Regionalisierung […], sie prätendieren »Natur- und Sachzwang«, sie machen »glücklich«.91 Wichtige Impulse für die Erforschung der sozialen Konstruktion territorialer und regionaler Identitäten, des Zusammenhangs zwischen der gesellschaftlichen und kulturellen Produktion und Re-Produktion von Territorien und Grenzen einerseits und dem individuellen und sozialen Bewusstsein der Bewohner andererseits, sind dabei der Regionalgeografie, insbesondere den Arbeiten von Anssi Paasi zu verdanken.92 Paasi wandte sich sowohl gegen ein vorwissenschaftliches Verständnis von Regionen als ahistorischen Containerräumen, die natürlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Vorgängen ihren Rahmen geben, als auch gegen die Auffassung, Regionen seien lediglich wissenschaftliche Artefakte, Instrumente oder Zuweisungen der regionalgeografischen Forschung, die diese zur Klassifizierung ihrer Ergebnisse einsetze. Vielmehr, so argumentierte er, seien Regionen social constructs that are created in political, economic, cultural and administrative practices and discourses. Further, in these practices and discourses regions may become crucial instruments of power that manifest themselves in shaping the spaces of governance, economy and culture.93 Bei der territorialen Konstituierung von Regionen haben Grenzen – »boundaries« – eine herausragende Bedeutung. Paasi versteht Grenzen »not […] as fixed lines, but rather […] as arising out of processes in which territories and their contested meanings are socially and culturally constructed.«94 Auch sie fasst Paasi begrifflich als soziale und politische Konstrukte, die zu bestimmten Zwecken von Menschen erschaffen würden.95 Die Herstellung von Territorialität auf verschiedenen Ebenen durch unterschiedliche Akteure, die besondere Bedeutung nationaler Ideologien für diesen Prozess, die daran geknüpften Grenznarrative sowie die Verankerung dieser Diskurse und Praktiken auf der lokalen Ebene stellte Paasi in seiner Studie zum finnisch-russischen Grenzraum in einen komplexen Zusammenhang. Seine Untersuchung lässt sich sowohl theoretisch als auch methodisch schwer91 Döring u. Thielmann, S. 37; Redeppening. 92 Vgl. Marung, Anssi Paasi. 93 Paasi, Europe, S. 16. 94 Ebd. 95 Paasi, Boundaries, S. 670.

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lich allein der politischen oder der Kulturgeografie zuordnen, vielmehr kombinierte Paasi historische, soziologische, kultur- als auch politisch-geografische Ansätze und Methoden, auch durch den Einsatz so unterschiedlicher Quellen wie geografische Schulbücher, Statistiken, Zeitungsartikel und Interviews. Er konnte dabei zeigen, dass territoriale Identität auf verschiedenen Ebenen produziert wird, und dass die unterschiedlichen Aneignungs- und Umdeutungsprozesse hochgradig umstritten sind. Um die »narrative production of space« hat sich auch die politische Geografie, insbesondere die »critical geopolitics« bemüht.96 Anschließend an Henrik Larsen97 fasst Alun Jones diese Raumnarrative als ein System von Repräsentationen, die es – bei Jones staatlichen – Akteuren ermöglicht, ihr Handeln in und gegenüber der Welt in einen sinnhaften Zusammenhang zu stellen und alternative Strategien und Deutungen auszuschließen, also auch Grenzen des Sagbaren festzulegen.98 Diese Narrative seien historisch kontingent und variabel, gleichwohl versuchten staatliche Akteure, sie zu stabilisieren und zu vereindeutigen. Sie sind auf diese Weise in einen permanenten Kampf um Deutungshoheit und die dominanten Handlungslogiken verwickelt. Jones untersucht mit diesem Ansatz das »international region building« der EU im Mittelmeerraum und wendet dies methodisch in halbstrukturierte Interviews mit Akteuren aus der EU auf supranationaler und nationaler Ebene und aus den betroffenen Mittelmeerstaaten.99 Für seine Untersuchung zieht er auch Dokumente der EUMittelmeerpolitik heran und ist darum bemüht »the accuracy and veracity of narratives through what might be described as a ›quadruple‹ lock corroborative procedure«100 sicherzustellen. Die Kombination aus Interviewforschung und Dokumentenanalyse soll die unterschiedlichen Narrative, die darin präsentiert werden, in ein Verhältnis setzen. Ihm geht es dabei um deren »verification«.101 Obwohl ich grundsätzlich den Überlegungen zur narrativen Produktion von Räumen folge, unterscheidet sich mein Vorgehen von dem, das Jones vorschlägt in dreierlei Hinsicht. Erstens geht es mir nicht um eine »Verifikation« von Narrativen, eine Abwägung der einen gegen die anderen, denn dies würde notwendigerweise zu einer abstrahierenden Collage aus den vielfältigen Deu 96 Vgl. zur Einführung Ó Tuathail.  97 Larsen.  98 Jones, S. 417 f.  99 Clark u. Jones, The Spatialities of Europeanization. Territory; sowie dies., The Spatialities of Europeanization. Power. 100 Jones, S. 418. 101 Ebd., S. 419.

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tungen in einem Gesamtkonstrukt führen, bei dem die Kontingenz und Pluralität der Raumproduktionen verloren gingen. Außerdem wird hier nicht die Existenz eines »wahren« Narrativs impliziert. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, jenen Entwurf zu identifizieren, der sich gegenüber den anderen Alternativen erfolgreich durchsetzte – eine Aufgabe, die natürlich nur partiell gelöst werden kann, da der Prozess immer nach vorn offen ist. Zweitens bleibt Jones methodisch auf die supranationale und nationale Ebene konzentriert, ich integriere dagegen auch die subnationale Ebene, wobei dies Unterscheidungen sind, die zunächst heuristischen Charakter haben. Schließlich unternehme ich den Versuch, die entwickelten Raumsemantiken in den Kontext ihres jeweiligen historischen Reservoirs zu stellen, um die strukturelle Varianz der Narrative, die Deutungen unterschiedlich langer Dauer hervorbringen, aufzuzeigen.

1.2 Begriffe Wie bereits oben angedeutet, hat die Auseinandersetzung mit dem Europäisierungsbegriff die Studie von Anfang an geprägt, während hier noch zwei weitere konzeptionelle Angebote unterbreitet werden, die sich im Zuge der empirischen Untersuchung geformt haben.

1.2.1 Europäisierung Für den hier verwendeten Europäisierungsbegriff ist die Unterscheidung zwischen Europa und EUropa zentral. Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass sowohl in der Integrationsgeschichte als auch in den European Studies bis heute vielfältige Bestimmungen und Operationalisierungen von Europäisierung existieren, die gleichzeitig den Gegenstand beider Fächer bezeichnet.102 Grob unterschieden werden kann in den European Studies erstens eine Terminologie, mit der Europäisierung als von der supranationalen auf die nationale Ebene gerichteten Prozess der An- und Einpassung in europäische Strukturen untersucht wird. Hier stehen also die Effekte supranationaler Verräumlichung und Regulierung im Zentrum sowie die Frage, wie diese sich auf der nationalstaatlichen Ebene niederschlagen. Eine bestimmte Lesart dieses Begriffsverständnisses sieht den Einfluss supranationaler Strukturen auf die nationalstaatliche 102 Pehle u. Sturm, S. 155; vgl. auch Sturm.

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Ebene skeptischer und untersucht, wie und unter welchen Umständen Europäisierung, als die Herausbildung von Governance-Strukturen auf supranationaler Ebene, überhaupt Veränderungen auf der nationalstaatlichen Ebene in Gang setzt. Eine zweite Variante begreift Europäisierung nicht als erklärende Variable für Wandel auf der nationalen Ebene, sondern als einen prinzipiell offenen kognitiven Rahmen, der Deutungen und Handlungen kontextualisiert, und dessen Herausbildung selbst erklärungsbedürftig ist. Europäisierung sowohl als Institutionalisierungsprozess als auch als Diskurs wird damit als ein Vorgang gedeutet, der aus dem Zusammenspiel vieler Akteure entsteht.103 Vor allem in der Humangeografie wird Europäisierung als Regionalisierungsprojekt gefasst. Alun Jones hat dies zu einem nach außen projizierten »international region building« erweitert und den prozessualen Charakter von Europäisierung betont. Hier liegt also das Augenmerk auf der territorialen Realisierung des Projekts einschließlich der »Diffusion« europäischer Lösungen nach außen.104 Diese Begriffsbestimmung ist anders ausgerichtet als jene von Europäisierung als Territorialisierungsprojekt im Sinne der Umgrenzung, der binnenregionalen Gliederung und der Re-Organisation territorialer Ebenen im Inneren, wie dies an anderer Stelle ausgeführt wurde.105 Letztlich konzentrieren sich aber alle der hier vorgestellten Varianten auf das Wechselspiel zwischen supranationaler und nationaler Ebene. Dieser Beschränkung versucht die Arbeit mit der Integration einer dritten Untersuchungsebene – der subnationalen mit der polnisch-ukrainischen Grenzregion – zu begegnen. Der Blick soll gerade nicht verengt werden auf das Verhältnis Nationalstaat – Europäische Union. Vielmehr halte ich es für zwingend geboten, die Aushandlung von Verräumlichungsprozessen auf mehreren miteinander verflochtenen territorialen Ebenen und in verschiedenen Arenen zu untersuchen. Dazu gehören regionale Akteure als auch inter- oder transnationale 103 Vgl. zu einer jüngeren Auseinandersetzung mit dem politikwissenschaftlichen Euro­päisie­ rungs­verständnis und unterschiedlich gerichteten Prozessen des »up-«, »down-« und »crossloading« den Beitrag von Normann, Analysing; zu einer neueren Übersicht über die sozialwissenschaftlichen Diskussionen, vor allem mit Blick auf die europäische Außenpolitik, vgl. den Sammelband von Major u. Pomorska. 104 Jones; Clark u. Jones, The Spatialities of Europeanization. Territory; instruktiv auch Paasi; zur nach außen gerichteten Projektion von Europäisierungsvorstellungen und der Erfindung Europas außerhalb seiner Grenzen vgl. auch das von Veit Bachmann und Martin Müller geleitete Projekt »EuroGaps« am Institut für Humangeografie der Universität Frankfurt (http://www.geo.uni-frankfurt.de/ifh/Forschung/eurogaps/index.html, Zugriff 03. 01. 2013); vgl. auch Rovnyi u. Bachmann. 105 Goetz.

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Agenturen, wie das in Kapitel vier eingeführte DFID, aber auch nicht-staatliche Akteure wie die International Renaissance Foundation. Diese Verflochtenheit in den Blick zu nehmen unterscheidet sich von einer Betrachtung, die die Folgen von Europäisierungsprozessen auf nationale Politikgestaltung analysiert und diese zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU vergleicht. In diesem Sinne schließt diese Studie eher an den für die Migrationsforschung entwickelten Europäisierungsbegriff von Serhat Karakayalı und Vassilis Tsianos an: Die Europäisierung des Migrationsregimes sei nicht nur als Verschiebung nationaler Souveränität auf die supranationale Ebene zu verstehen, sondern als Gesamtheit der Reaktionen auf die Migrationsdynamiken an den Rändern Europas.106 Europäisierung beschreibt hier also die Gesamtheit der Reaktionen auf die Dynamisierung territorialer Projekte, gerade an den Rändern Europas. Geht es hier also um Europäisierung als Produktion des europäischen Raums, so zeigen die Ergebnisse vor allem in den Kapiteln drei und vier, dass die nach außen gerichtete Projektion dieses Entwurfs nicht unbestritten bleibt. Deshalb bemühe ich mich, die Beobachtung von Europäisierung in zweierlei Hinsicht offen zu halten: Es handelt sich offenkundig nicht einfach um die Projektion eines kohärenten Entwurfs nach außen. Erstens, weil dieser Entwurf in sich nicht stabil ist – wie die Ausführungen in Kapitel zwei zeigen werden – und zweitens, weil dieses in sich differenzierte Projekt noch zusätzlich dynamisiert wird durch seine Aneignung im Ergänzungsraum. Insofern ist nicht nur die EU-Außengrenze ein »moving target«, sondern auch der Inhalt des Europäisierungsprojekts selbst. Die Offenheit des Prozesses und die große Bedeutung, die an der Aushandlung beteiligte unterschiedliche Akteure besitzen, ist jüngst auch von Autoren wie Conway und Patel betont worden.107 Eine weitere naheliegende Unterscheidung108 wird in dieser Arbeit getroffen: »Europäisierung« wird dann verwendet, wenn sich die Rede auf einen wie auch immer konkret zu bestimmenden gesamteuropäischen Raum bezieht, der nicht mit der EU identisch ist. EUropäisierung verweist auf den EU-Raum im engeren Sinne – was in dieser Arbeit häufiger der Fall ist. Europäisierung/ EUropäisierung ist für diese Arbeit als Verräumlichungsmuster jeweils konkret

106 Karakayalı u. Tsianos. 107 Conway u. Patel; zur Interpretation des Europäisierungsprozesses als eine »Politik der Nebenfolgen« bzw. der »institutionalisierten Improvisation« vgl. Beck u. Grande. 108 So zum Beispiel auch Poehl.

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gefüllt und meint nicht ein normatives Projekt der Überformung von Gesellschaften und Räumen nach modernisierungsprogrammatischen Vorgaben.109

1.2.2 Zivilisierungsmission Um jene Vorgänge konzeptionell zu fassen, die zu einer Dynamisierung der Raumordnung und damit auch des Europäisierungsprojekts geführt haben, wird hier erstens der Begriff der Zivilisierungsmission vorgeschlagen. Er ist, wie bereits angedeutet, in der Auseinandersetzung mit den Quellen entstanden. Er verweist hier auf die Struktur eines Argumentationszusammenhangs und eine Strategie der Raumerzeugung, mit der ein EUropäischer (Ergänzungs-) Raum geschaffen wird. Verhandelt wird dabei auch die Richtung von Transfers von Werten, Normen und gesellschaftlichen Modellen zwischen »Zentrum« und »Peripherie«, die Finalität dieser Entwicklungen, Zuschreibungen von Rückständigkeit und Fortschritt sowie Modernisierungsvorstellungen und Machtverhältnisse zwischen dem EU-Raum und seinen Nachbarstaaten.110 Bei dieser Auseinandersetzung handelt es sich um die erneute Konkretisierung eines Modus im Umgang mit Nicht-Europa, der in der Historiografie zu den imperialen Expansionen des 18. und 19. Jahrhunderts als Zivilisierungsmission gefasst worden ist. Damit ist auf die Anregung verwiesen, die ich aus der entsprechenden historischen Forschung beziehe. Der Begriff der Zivilisierungsmission entstand im Zeitalter des europäischen Hochimperialismus u. a. als »mission civilatrice« oder als »white man’s burden«. Historische Zivilisierungsmissionen waren dabei in ihrer konkreten Ausformung vielfach widersprüchlicher als es die Idee der Zivilisierungsmission zunächst nahelegt. Hier besteht nun eine gewisse Gefahr der ahistorischen Analogiebildung, die der Übertragung des Begriffs in zeitgenössische Zusammenhänge innewohnt. Die Idee der Zivilisierungsmission, so Boris Barth und Jürgen Osterhammel in der Einleitung zum gleichnamigen Sammelband, setzt zweierlei voraus: zum einen die Vorstellung, dass sich die Überlegenheit bestimmter Rechtsnormen vor konkurrierenden anderen argumentativ erweisen lässt. […] Zweitens impliziert der Begriff […], dass es unter 109 Dieser Unterschied wird auch – wenngleich mitunter anders nuanciert – auch von anderen Autoren gemacht, vgl. Vink u. Graziano. 110 Vgl. im Folgenden auch die Ausführungen zu Zivilisierungsmissionen in Marung, Zivilisierungsmissionen.

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gewissen Umständen erforderlich und legitimierbar sein könnte, solchen Maßstäben von Zivilisiertheit durch Intervention »in die Angelegenheiten anderer« zur Verwirklichung zu verhelfen111 Diesem Denken zugrunde liegt ein je spezifisches Modernisierungsprogramm, mit dem »rückständige« Peripherien Entwicklungen unter Anleitung des fortschrittlichen Zentrums »nachholen« sollen. In diesem Weltbild werden Entwicklungsunterschiede nicht nur zeitlich – im Sinne eines »noch nicht« oder »schon« zivilisiert Seins – sondern auch räumlich als »zivilisiertes« Zentrum und »rückständige« Peripherie beschrieben. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert bezogen sich solche Vorhaben mitunter auch auf die je eigene europäische Gesellschaft. Zumeist waren sie aber an koloniale Subjekte gerichtet, die auch nach ihrer »Zivilisierung« nicht notwenderweise als gleichberechtigt gelten sollten. Zivilisierungsmissionen, so Barth und Osterhammel weiter, müssen jedoch »nicht [… zwangsläufig …] ›imperialistisch‹ motiviert« sein. Unter dieser Voraussetzung lässt sich der Begriff der Zivilisierungsmission heuristisch schärfen als eine in den Raum projizierte, historisch-teleologisch operierende Ideologie, die – indem sie die Finalitäten für die jeweiligen Zivilisierungsprojekte definiert – Raumhierarchien erzeugt und gegebenenfalls auch verzeitlicht. Diese intellektuelle Operation hat eine Vielfalt von historisch variablen Instrumenten hervorgebracht und gerechtfertigt, die auf die Transformation eines Ergänzungsraumes im Sinne der jeweiligen Zivilisierungsvorstellungen zielen: von den kolonialen Praktiken der Imperien des 19. Jahrhunderts über die Doppel-Modernisierung von Zentrum und Peripherie in der Sowjetunion112 bis hin zur »Heranführung« von Beitrittskandidaten an die EU mit Hilfe von Entwicklungsprogrammen wie PHARE und SAPARD. Deutungsmuster dieser Art sind Instrumente der Verräumlichung, die auf die Aneignung und Legitimierung von Ergänzungsräumen – nicht nur – imperialer Prägung zielen, die Welt partitionieren und bestimmte Räume als Ziel nationaler, imperialer oder auch supranationaler Vorhaben entwerfen, ohne dabei in jedem Fall als koloniale Projekte angelegt zu sein.113 Gleichwohl ist eine »mission civilatrice« immer auf Machtungleichheiten gegründet bzw. stabilisiert diese. Sie impliziert 111 Barth u. Osterhammel, Vorwort, S. 9. 112 Teichmann. 113 Zur Kritik aus den postcolonial studies an dem Weltbild, das den europäischen Zivilisierungsvisionen zugrunde liegt vgl. u. a. Blaut.

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den Versuch, Räume hierarchisch anzuordnen und Argumente für deren Einund Ausschluss in und aus übergreifenden Szenarien zur Verfügung zu stellen. Ich habe den Begriff zunächst in der Auseinandersetzung mit den polnischen Quellen entwickelt, für die der Gedanke des »zivilisatorischen Aufholens« zentral war. Die Idee der Zivilisierungsmission steht hier also nicht in einem kolonialen Kontext, sondern ist als Ringen um Deutungshoheiten über Raumordnungen und räumlich gefassten Hierarchien zu verstehen. Eine Mission in diesem Sinne verfolgte nicht nur die EU, sondern auch Polen, das die eigene Mission in die EU-europäische einschrieb und diese damit gleichzeitig veränderte, sie gewissermaßen »polono-lithuanisierte« (Stefan Troebst). Ich will mit dem Begriff auf die Strittigkeit des Territorialisierungsprojekts aufmerksam machen und darauf verweisen, dass für dessen Legitimierung historische Narrative unterschiedlich langer Dauer mobilisiert wurden. Die EUropäische »Zivilisierungsmission« erzeugt ihren Ergänzungsraum und steht dabei in Konkurrenz zu anderen Projekten der räumlichen Einschreibung, die im dritten Kapitel dieser Studie genauer betrachtet und als Zivilisierungsmission à la polonaise spezifiziert werden. Die Akteure im Ergänzungsraum verhalten sich keineswegs passiv, sondern verfolgen durchaus eigene Ziele, die wiederum andere Verräumlichungsmuster in Vorschlag bringen.

1.2.3 Ergänzungsraum Die Entstehung des EU-Grenzregimes im Zuge der Osterweiterung 2004 ist nicht nur als Prozess der Vergrenzung zu verstehen, sondern ging – und dies ist das zweite Begriffsangebot – mit der Schaffung eines Komplementär- oder Ergänzungsraumes einher. Hintergrund für diesen konzeptionellen Vorschlag sind die Überlegungen zu Territorialisierungsregimen und zur »frontier«-Problematik. Der »frontier«-Begriff hatte dabei, wie oben schon angedeutet, den Blick für die nicht-lineare Struktur der EU-Außengrenze geöffnet und schien zunächst für die Beschreibung einer wandernden Grenze geeignet. Allerdings impliziert er in letzter Konsequenz eine Deutung der EU als imperialer Struktur, was jedoch mit der vorherrschenden (Selbst)Wahrnehmung der EU konfligiert und auch sonst konzeptionell nicht so recht zu überzeugen vermag. Von Ergänzungsraum spricht Dirk van Laak in seinem Buch zur deutschen Afrikapolitik von 1880 bis 1960, das von der Entwicklung einer imperialen Infrastruktur handelt.114 Van Laak untersucht dabei vornehmlich die 114 Vgl. van Laak, Imperiale Infrastruktur.

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Projektionen, Phantasien und Planungen deutscher Ingenieure und raumplanerisch ambitionierter Politiker: »Dabei geht es um politische, ökonomische und kulturelle Raumvorstellungen, um Bilder von Territorien und Lebensräumen, von Grenzverläufen, von Zentren und Peripherien, im übertragenen Sinne um topografische Weltbilder.«115 An Vorhaben wie der Integration des afrikanischen Raums in Infrastrukturvorhaben »sollte sich die Leistungskraft der Völker und Nationen, also die Fähigkeit zur Landnahme, zur Erschließung und zur effektiven Normierung eines Raums nach eigenen politischen, ökonomischen und kulturellen Ordnungsvorstellungen erproben«116 (Hervorhebung im Original). Insbesondere in der deutschen Afrikapolitik der zwanziger Jahre, so van Laak, sei »Afrikas Erschließung als Europas Errettung«117 gedeutet worden – vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, die weite Teile Europas in große wirtschaftliche und soziale Bedrängnis gebracht hatte, sollte die Erschließung Afrikas diese Krise abwenden helfen, indem u. a. der nicht nur demografisch bedingte Überschuss auf dem deutschen Arbeitsmarkt in die Projekte der Landnahme und -erschließung in Afrika abfließen konnte. Diese Bewegung läuft unter gegenwärtigen Bedingungen eher anders herum – sieht man einmal von dem Personal entwicklungspolitischer Großprojekte der GTZ ab – allerdings nicht nur in der Gestalt scheinbar118 ungewollter illegaler Migranten, sondern auch im Rahmen der »zirkulären Migration«, die die EU fördert, um das demografisch bedingte Defizit an Fachkräften auf dem Unionsarbeitsmarkt auszugleichen. Allerdings verweist die von van Laak untersuchte Konstellation auf eine vergleichbare Problemlage im Fall der EU: Der benachbarte Raum übernimmt Funktionen für die Kompensation von Defiziten und die Bewältigung von Krisen, die innerhalb der Union diagnostiziert werden und die aus der unhintergehbaren Einbettung in globale Zusammenhänge resultieren. Den Gedanken zur Funktion des Ergänzungsraums präzisiert van Laak schließlich für die nationalsozialistische Außen- und Wirtschaftspolitik, die zwei solcher Räume entwarf – in Afrika und in Ostmitteleuropa. Diese konkurrierten in den politischen und raumplanerischen Aushandlungen im Reich 115 Ebd., S. 12. 116 Ebd., S. 409. 117 Ebd., S. 249–251. 118 So hat beispielsweise Monika Eigmüller in ihrer Studie gezeigt, dass die Beschäftigung illegaler Migranten in Spanien politisch toleriert wird, da sie eine wichtige Stütze der spanischen Landwirtschaft sind. Vgl. Eigmüller, Grenzsicherungspolitik.

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an vielen Stellen miteinander. Den deutschen Geografen Erich Obst zitierend, der eine integrative Sicht auf beide Räume vertrat, unterstreicht van Laak, hier sei es nicht um die Idee der Weltherrschaft gegangen, sondern um die Konzeption eines »Wirtschaftsblock[s] kontinentaler Dimension mit raumeigenen Tropen«. Obst habe argumentiert, dass »es […] bei dem deutsch dominierten mitteleuropäischen Großraum mit kolonialer Ergänzung nicht um eine Vergewaltigung der Schwächeren [gehe], sondern um eine ›freiwillige‹ und ›frohe‹ Bejahung durch alle Mitglieder.«119 Selbstverständlich ist diese »frohe Bejahung« ausgesprochen skeptisch zu bewerten, Obsts Argumentation besitzt jedoch eine Struktur, die nicht erst unter dem nationalsozialistischen Regime auftauchte und auch nicht mit diesem unmittelbar verschwand. Denn nach dem zweiten Weltkrieg, so van Laak mit Blick auf das deutsch-französische Eurafrika-Projekt der fünfziger Jahre weiter, verlieh »[d]ie Entwicklung der Nachkriegszeit […] den Vorstellungen von Afrika als einem gleichsam natürlichen, jedenfalls naheliegenden ›Ergänzungsraum‹ Europas neue Evidenz.«120 Es sei sofort eingeräumt, dass beim Einsatz des Begriffs zur Erfassung gegenwärtiger Konstellationen ähnlich wie bei dem Begriff der Zivilisierungsmission die Gefahr der Entgeschichtlichung droht. Es darf deshalb nicht der imperialistische und rassistische Kontext seiner Entstehung aus dem Blick geraten. Worum es mir hier geht, ist die konzeptionelle Schärfung der Raumordnung eines Problems, mit dem sich auch politikwissenschaftliche Forschungen beschäftigen und die in diesem Zusammenhang Begriffe wie external governance121 oder structural power122 entwickelt haben. Diese beschreiben Strategien von Herrschaft, mir ging es nun darum, die Qualität des dadurch entstehenden Raumes zu beschreiben. »Ergänzungsraum« verweist dabei auf ein Machtgefälle, während der »Nachbarschaftsraum« in der EU-Rhetorik verschleiert, dass es sich aus Sicht der Union eben nicht um eine gleichberechtigte Partnerschaft handelt. Dieser Raum kompensiert nicht nur Defizite, sondern entsteht auf der Grundlage einer eher freiwilligen Integration. Wenn also der vorgeschlagene Begriff als Interpretament für eine Dimension des hier untersuchten Territorialisierungsprojekts verwendet wird, wird damit nichts über eine Verlängerung der kolonialen Erschließungspraxis in die EUropäische Gegenwart behauptet, 119 Vgl. van Laak, Imperiale Infrastruktur, S. 329. 120 Ebd., S. 343. 121 U. a. Lavenex u. Wichmann. 122 U. a. Holden.

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sondern eine spezifische Konstellation, die historischem Wandel unterliegt, erfasst: Es handelt sich um einen Raum, der weder durch Kolonisation noch durch Erweiterung vollständig in den EUropäischen Raum integriert, sondern partiell institutionell und normativ überformt wird, um eine gewisse Ähnlichkeit zwischen diesem und den EUropäischen Strukturen herzustellen. Diese Ähnlichkeit übersetzt sich aus Sicht der EU nicht in Gleichheit oder Gleichberechtigung, sie soll diesen Raum aus Sicht der EU zunächst »berechenbar« machen – nicht nur im Sinne der Übertragung statistischer Kategorien aus dem EU-Kontext in die benachbarten Regionen wie der NUTS-Einteilung, sondern auch im Sinne der Eindämmung regionaler Krisen, die Folgen für die Sicherheit der EU haben könnten. Außerdem können auf diese Weise Kosten für die Sicherheit der EU in den solchermaßen geschaffenen Raum ausgelagert werden: Denken wir an den Schutz der Außengrenze, die Umlenkung von Migrationsströmen und den Transfer von institutionellen Modellen der EU. Und schließlich können Potentiale gerade aus den Differenzen zwischen der EU und ihrem Komplementärraum – beispielsweise durch Unterschiede des Lohnniveaus – genutzt werden und durch die partielle Einpassung in den Binnenmarkt als wirtschaftlicher Ergänzungsraum genutzt werden.123 Als einigende Klammer wird die Existenz »europäischer Werte« angenommen; eine Deutung, die eine gewisse Erwartungssicherheit für die EUropäischen Akteure herstellen soll. Bei diesem Ergänzungsraum handelt es sich aber nicht um einen reinen »Projektionsraum«, den beispielsweise Alun Jones als Gegenstand des Europäisierungsprojektes beschreibt, als »diffusion of distinctive forms of political organization and governance, and the promotion of ›European‹ solutions outside of EU territorial space«.124 »Europäische Lösungen« werden nicht einfach nur nach außen hin projiziert, sondern, so soll diese Arbeit zeigen, »von außen« mitgestaltet, angeeignet und auch destabilisiert.

123 So argumentiert beispielsweise Georg Vobruba in seinem Buch Vobruba, Die Dynamik Europas. 124 Jones, S. 416.

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Quellen und Methoden

1.3 Quellen125 und Methoden Dem wiederholten Perspektivenwechsel der Arbeit entsprechend speisen sich die Quellen für diese Studie aus unterschiedlichen Beständen: –– Für die Untersuchung der EU-Migrations- und Grenzpolitik sowie der Europäischen Nachbarschaftspolitik habe ich publizierte Dokumente seit Mitte der neunziger Jahre vor allem der Kommission und des Rats ausgewertet, womit die supranationale Ebene operationalisiert ist. –– Für die Untersuchung der polnischen Ost- und Europapolitik habe ich vor allem politische Reden, Kommuniqués und Verträge seit Mitte der neunziger Jahre bearbeitet. Auf der nationalen Ebene sind damit das polnische Ministerium für Regionalentwicklung, die polnische Botschaft in Brüssel und das in Warschau eingerichtete Gemeinsame Technische Sekretariat des Nachbarschaftsprogramms126 einbezogen, ebenso ausgewählte Nichtregierungsorganisationen in Kiev.127 –– Für die regionale Fallstudie in der polnisch-ukrainischen Grenzregion habe ich vor allem auf Experteninterviews zurückgegriffen, sowie Strategiepapiere, Projektanträge und Berichte hinzugezogen. Experteninterviews waren auch für die beiden anderen Ebenen wichtige zusätzliche Quellen. Auf dieser regionalen Ebene habe ich die Regionalverwaltungen in Lublin und L’viv sowie Nichregierungsorganisationen in diesen beiden Städten 125 Eine ausführliche Listung der Quellen findet sich im Quellenverzeichnis. Die Quellen sind den einzelnen Kapiteln zugeordnet, was ungewöhnlich erscheinen mag, sich aber hier erstens aus dem Vorgehen und der Darstellung ergibt, und zweitens bei der schnelleren Auffindbarkeit der Quellen helfen soll. Findet sich in der Kurztitelei in den Fußnoten hinter Autorennamen ein (Q), so verweist dies auf publizierte Quellen mit Autoren, und ist im entsprechenden Abschnitt im Quellenverzeichnis und nicht im Literaturverzeichnis zu finden. 126 An diesem Beispiel werden die Grenzen des heuristischen Zugangs über die Skalierung der Raumebenen deutlich: Das JTS hat seinen Sitz in Warschau, dort arbeiten vor allem, aber nicht nur, polnische Angestellte. Es untersteht dem polnischen Ministerium für Regionalentwicklung und ließe sich insofern der Kategorie »national/polnisch/staatlich« zuordnen. Allerdings arbeiten in diesem Sekretariat auch ukrainische Angestellte, die wiederum von Think Tanks – diese haben ihren Sitz teilweise in Brüssel oder agieren international – entsandt wurden bzw. dort Arbeitserfahrung gesammelt haben, gleichzeitig aber mit der Region eng verflochten sind – also aus der Westukraine kommen und dort bereits in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit tätig waren. Auf diese Weise wird sowohl die Zuordnung »staatlich«, als auch »national« und »polnisch« für das JTS als Ganzes problematisch. 127 Die ukrainische Seite habe ich nicht im selben Maße untersucht wie die polnische. Ich war vor allem an den Deutungen von nicht-staatlichen und transnational agierenden Organisationen wie PAUCI oder IRF interessiert, weniger an den ukrainisch-polnischen bilateralen außenpolitischen Beziehungen im engeren Sinne.

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konsultiert, die an der Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beteiligt waren. Damit folgte die Zusammenstellung der Interviewpartner und Dokumente zunächst der heuristischen Orientierung an verschiedenen territorialen Ebenen. Ergänzt wurde diese Zusammenstellung von Perspektiven erstens durch die Untersuchung internationaler Organisationen wie der OSZE und transnationaler Organisationen wie PAUCI, IRF oder die Stefan-Batory-Foundation, die gleichzeitig die zivilgesellschaftliche Arena markierten und politikberatende Funktionen übernahmen. Hierzu gehört auch das Centre für European Policy Studies in Brüssel. Die Auswahl der Organisationen und der adressierten Direktorate der EUKommission entsprach der Zuspitzung auf zwei Politikfelder, die ich für die Herausbildung eines europäischen Grenzregimes, die Herstellung der Grenze und die Gestaltung der Grenzregion als zentral identifiziert habe: die Europäische Nachbarschaftspolitik und die regionalpolitische Förderung von grenzüberschreitender Zusammenarbeit sowie die Grenzpolitik der Union, die vor allem anhand schriftlicher Dokumente untersucht wurde. Hinzu kamen auf allen Ebenen insgesamt 32 Experteninterviews aus der Zeit zwischen März 2006 und Mai 2008, die im Quellenverzeichnis aufgelistet sind. Die methodische Entscheidung für Experteninterviews folgte den Überlegungen von Meuser/Nagel,128 die für dieses inzwischen vielfach eingesetzte Forschungsinstrument einen hilfreichen Rahmen entwickelt haben. Im Unterschied zu narrativ angelegten offenen Interviews stehen bei Experteninterviews nicht die gesamte Person und ihre Biografie im Zentrum. Vielmehr zielt dieses Instrument auf den organisatorischen und institutionellen Zusammenhang, in dem die Person steht, der nicht mit dem Lebenszusammenhang der Person identisch ist.129 Sie können explorativ orientiert, also auf die Erlangung einer ersten Orientierung in einem thematisch neuen oder unübersichtlichen Feld gerichtet sein, zur Schärfung des Problembewusstseins des Forschers oder auch zur Erstellung eines abschließenden Leitfadens dienen.130 Sie helfen dabei, das Untersuchungsgebiet thematisch zu strukturieren und Hypothesen zu generieren. Dieses war eine der beiden Funktionen, die sie im Rahmen dieser Studie besaßen. 128 Meuser u. Nagel. 129 Ebd., S. 72 f. 130 Bogner u. Menz, S. 37.

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Quellen und Methoden

Zweitens habe ich die Experteninterviews für das Gewinnen von Daten eingesetzt, die später ergänzt und weiter analysiert wurden. In dieser Hinsicht »zielt [das Interview] im Wesentlichen auf die kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion der ›subjektiven Dimension‹ des Expertenwissens.«131 Die Entscheidung für diese Interviewmethode begründet sich damit, dass es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um ein sehr aktuelles Problemfeld handelte, für das noch nicht ausreichend archivalische Quellen zugänglich sind, wie sie in historischen Untersuchungen üblicherweise verwendet werden. Als schriftlicher Quellenbestand stellten wiederum die öffentlich zugänglichen Dokumente der EU – von Kommission, Rat, Parlament und dem Ausschuss der Regionen – ausgesprochen umfangreiches Material zur Verfügung, aus dem ich anhand der oben genannten Politikfelder ausgewählt habe. Die Interviews hatten dabei auch die Funktion, den hochgradig kon­ densierten, politische Aushandlungsprozesse oftmals eher verschleiernden schriftlichen Dokumenten insbesondere der EU eine Quellengattung zur Seite zu stellen, die bei dem Aufspüren von Konflikten, widersprüchlichen Deutungen und Aneignungen helfen kann. Methodisch folgte die Auswertung den oben vorgestellten Überlegungen zu Raumsemantiken: Ich habe nach Deutungen der Grenze und der Nachbarschaft gesucht, nach den dafür mobilisierten historischen Narrativen, den daran gebundenen Szenarien, Problemdiagnosen und Vernetzungslogiken. Diese habe ich jeweils im Kontext erschlossen, mich also bewusst gegen eine quantitativ orientierte Inhaltsanalyse entschieden. Und schließlich hat die Begegnung mit den Quellen immer wieder zur Erweiterung der Suchbewegung geführt, indem beispielsweise die Globalisierungsdeutung als Rahmenerzählung in die Quellenarbeit integriert wurde, weil sich herausstellte, dass ohne diese die Rekonstruktion des Entwurfs von Grenze und Ergänzungsraum unvollständig bleiben würde. Damit lässt sich die Arbeit auch in den Versuch einer Kulturgeschichte des Politischen132 einordnen, insofern auch hier das Politische als ein Kommunikationsraum gefasst wurde, in dem politische Symbole nicht als »Placebo« zu verstehen sind, sondern »Machtbeziehungen als symbolische Praxis«133 realisiert werden.134 Das dieser Praxis zugrundeliegende kommunikative Handeln 131 Ebd., S. 38. 132 Frevert. 133 Ebd., S. 23. 134 Vgl. u. a. Dörner, Politische Kulturforschung; ders., Politischer Mythos; Münkler, Politische Bilder.

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ist dabei nicht machtfrei, aber eben gleichzeitig als dynamisch zu begreifen, da es wechselseitige Deutungs- und Verstehensleistungen voraussetzt. Laut Ute Frevert liegen die Vorteile einer solchen kulturwissenschaftlichen Annäherung darin, dass auf diese Weise eine Reduktion des Politischen auf den Staat verhindert und Perspektiven auf Machtbeziehungen pluralisiert werden. Diese »[konstituieren] sich als politisch dort […], wo es um Begründung, Verteidigung und Ablehnung ungleicher sozialer Beziehungen geht«135 und »[d]amit wird das, was ›politisch‹ ist, anders austariert, seine Grenzen neu gezogen.«136 Die Kennzeichnung meines Gegenstandes als politischem liegt dabei wohl noch viel mehr auf der Hand als für andere Fälle der neuen Politikgeschichte, die Themenfelder und Akteure auch jenseits politischer Institutionen im engeren Sinne erschließt.

135 Frevert, S. 23. 136 Ebd., S. 24.

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Grenzregime und Nachbarschaft: Die Arrondierung des EUropäischen Raums in einer globalisierten Welt

2.1 Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze: Die Migrations- und Grenzpolitik der EU seit den siebziger Jahren [… the …] effective common management of the external borders of the Member States of the European Union will boost security and the citizen’s sense of belonging to a shared area and destiny. It also serves to secure continuity in the action undertaken to combat terrorism, illegal immigration and trafficking in human beings.1 The new challenges to internal security force a European Union in expansion to regard external borders as a priority question.2 Die politische Agenda der EU ist in den letzten Jahren zunehmend als Reaktion auf die Globalisierung zu verstehen.3

2.1.1 »A common area and destiny«: Grenz- und Migrationsregime und die Formierung politischer Räume Die europäische Migrations- und Grenzpolitik würde auf einer Rangliste jener EU-Themen, die in den letzten zehn Jahren die größte öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten haben, mit Sicherheit einen der vorderen Plätze einnehmen, auch wenn die – wahlweise – Immobilien-, Schulden- oder Eurokrise der letzen Jahre alle anderen EUropäischen Themen zu überlagern schien. Politische wie wissenschaftliche Beobachter und Betroffene haben vielfältige Schlagworte geliefert, die keinen Zweifel an der Dramatik der Auseinandersetzung lassen: Eine »Festung Europa« sei im Entstehen, die »sharp edges of Europe«4 richteten sich feindlich nach außen, »the wall around the west«5 ver1 2 3 4 5

COM (2002) 233 final, S. 2. Ebd., S. 4. KOM (2007) 581 endg., S. 2. Grabbe, The Sharp edges. Andreas u. Snyder.

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Grenzregime und Nachbarschaft

weigere Hilfsbedürftigen den Zutritt zu einem Raum des Wohlstands und der Freiheit und ein »paper curtain« verlängere auf subtile Weise die Mechanismen des Kalten Krieges ins Heute. Noch eindrücklicher als diese kritischen Analysen hat die mediale Verarbeitung der Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer, der überfüllten Auffanglager im grenznahen Bereich und der Protestaktionen von Menschenrechtsorganisationen die Folgen eines gesteigerten EUropäischen Sicherheitsbedürfnis ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit gerufen. Die Regulierung von Mobilität, so hat John Torpey in seiner Geschichte des Passwesens argumentiert, war ein wesentliches Element im Prozess der Nationalstaatswerdung. Je erfolgreicher Staaten diese Aufgabe bewältigten, desto klarer konnten sie als territorial markiert gelten.6 Die begrenzende oder fördernde Steuerung der Mobilität von Menschen, aber auch der Zirkulation von Waren, Informationen, Ideen und anderen Ressourcen ist eine zentrale Dimension von Territorialisierung.7 Die Anstrengungen zur Beherrschung dieser Ströme konstituieren politische Räume und ihre Grenzen einerseits, andererseits ermöglicht eine solchermaßen politisch-räumlich materialisierte Kontrolle den ordnenden Zugriff auf diese Flüsse. Zu den Hauptinstrumenten einer solchen Regulierung gehören Grenz- und Migrationsregime. Obwohl für die EU im strengen juristischen Sinne weder von einem eigenen Territorium, noch von einer gemeinsamen Außengrenze gesprochen werden kann,8 sind spätestens seit der Schaffung des Schengen-Raumes zu Anfang der neunziger Jahre und deren Überführung in den acquis communitaire9 durch den Vertrag von Amsterdam 1997 »die EU« – vor allem die Europäische Kommission – und deren Mitgliedsstaaten mit erheblichem politischen und zunehmend auch finanziellen Aufwand damit beschäftigt, eine gemeinsame Grenzund Migrationspolitik zu etablieren. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – sich die Europäisierung dieser Politikfelder hochgradig konfliktträchtig gestaltet und eher experimentell vorangetrieben zu sein scheint,10 bietet dieses Feld eine Vielzahl von Möglichkeiten, Fragen zu untersuchen wie: Auf welche Weise werden der EU-Raum und seine  6   7  8   9 10

Torpey, Coming, S. 6; vgl. auch ders., The invention; Komlosy, Grenze. Vgl. ausführlicher in der Einleitung; sowie Middell u. Naumann; Agnew u. Corbridge. Kunnert. GemeinschaftlicherBesitzstand, Gesamtheit des EU-Rechts. Zur kritischen Perspektive vgl. u. a. Lavenex The Europeanization of Refugee Policies. Between; Hess u. Tsianos; Bigo, Globalized (In)Security; Pastore, Europe; Tsianos u. Ibrahim; Klepp; Hess u. Kasparek; die Forschungsgruppe TRANSIT MIGRATION und das Projekt MigMap, in dem eine virtuelle Kartografie europäischer Migrationspolitiken unternommen wird, verfolgen die Entwicklung seit Jahren kritisch.

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Grenzen politisch konstituiert, wie verräumlicht sich die EU in Reaktion auf die von ihr zu Prioritäten erklärten transnationalen Herausforderungen Migration, Terrorismus und Kriminalität politisch, welche Szenarien und Strategien werden mit diesem Entwurf eines politischen EU-Raumes verbunden und welche Rolle gedenkt die EU in der globalen Ordnung im Anschluss daran für sich in Anspruch zu nehmen? Mein Anliegen ist weder eine politische Soziologie des EU-Migrationsregimes noch eine politikwissenschaftliche Untersuchungen von GovernanceStrukturen, die sich in Folge der Europäisierung eines EU-Migrations- und Grenzregimes herausbilden. Zu diesen Forschungsfeldern liegen eine Reihe hervorragender Studien vor, deren Ergebnisse für die hier zu entwickelnden Argumente genutzt werden können. Es geht vielmehr um die Herausbildung jener Raumsemantiken,11 durch die der politische EU-Raum markiert und produziert wird. In diesem Zusammenhang sind zwei Dimensionen dieser Raumproduktion zu erschließen: Erstens, wie die EU ihre Nachbarschaft, ihr »Außen« wahrnimmt, in welcher Art und Weise sie die transnationalen Ströme und deren Herkunftsräume beschreibt, die zu kontrollieren sie durch ein europäischen Migrations- und Grenzregime sich anschickt; und zweitens, wie sie diesen Grenz- und Außen-Raum zu gestalten, zu regulieren, an- und einzupassen beabsichtigt. Diese Unterscheidung scheint mir bedeutsam, denn ebenso wenig, wie die EU innerhalb eines bereits gegebenen Container-Raums und an bzw. über dessen Grenzen hinaus agiert, reagiert sie auf vorhandene »Bedrohungen« oder »Herausforderungen« – vielmehr muss sie für beides erst Begriffe und Vorstellungen gewinnen, die dann als Argumente für die Legitimation politischer Handlungen eingesetzt werden können. Die Unterscheidung dieser zwei Dimensionen schließt an Überlegungen der historischen Forschung zu Migration und Migrationskontrolle als auch an politisch-soziologische Arbeiten zum EU-Migrationsregime an. So hat John Torpey argumentiert, dass Staaten ihre Gesellschaften erst »erfassen« müssen, damit sie diese »penetrieren« können.12 Diese Erfassung ermöglichte die Kategorisierung von Menschen gemäß ihrer jeweiligen Mobilitätsrechte. Erst in Folge dieser Prozesse kann von illegaler – im Sinne undokumentierter – Migration gesprochen werden, nachdem Staaten die Begriffe und Mittel legitimer und 11 Redepenning. 12 Torpey verwendet im englischen »embrace« und erläutert gleichzeitig, dass dieses die Bedeutung des deutschen Wortes »erfassen« trage, »which means to ›grasp‹ or ›lay hold of‹ in the sense of ›register‹« (Torpey, Coming, S. 5–7, S. 23 Fußnote 17).

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legaler Mobilität monopolisiert hatten.13 In seiner Geschichte des globalen Systems der Migrationskontrolle hat wiederum Adam McKeown betont, dass »the main achievement of identification procedures [als Voraussetzungen für die Unterscheidung zwischen erwünschter und unerwünschter Migration sowie der Kontrolle und Steuerung von Mobilität, d. Vf.] was not to document identities but to produce them.«14 Diese neuen Kontrollpraktiken, die laut McKeown am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, als die »white settler nations around the Pacific«15 versuchten, die zunehmend als Gefahr beschriebene asiatische Migration abzuwehren. Ausgehend von den USA wurde diese Praxis globalisiert, »focused on entry rather than exit, concentrated on the border as the main site of enforcement, and developed extensive mechanisms to distinguish individual identities.«16 Entscheidend war also die Schaffung und Standardisierung eines Kategoriensystems, mit dem jemand überhaupt erst zum Migranten wurde und eine verifizierbare Identität zugewiesen erhielt. Diese konnte erfasst und überwacht werden, an sie wurden jeweils unterschiedliche Mobilitätsrechte geknüpft. Zum Ort dieser Zuweisung und der Kontrolle wurden die Grenzen des nationalen Territoriums. Auch mit Blick auf das EU-Migrations- und Grenzregime hat der französische Soziologe Didier Bigo auf die Rolle der »professionals of politics in the construction of migration as a problem«17 hingewiesen und die neuen Strategien hevorgehoben: »They [der Europäische Rat, die EU-Kommission, die Mitgliedsstaaten] have (in)securitized the freedom of movement of the individual and tried to cope with the uncertainty of frontiers by displacing the controls both within and beyond the frontiers.«18 (Hervorhebung d. Vf.) Die Kriminalisierung von Migranten und die Versicherheitlichung des europäischen Grenz-und Migrationsregimes ergeben sich aus den Vorstellungen und dem verflochtenen Handeln einer technokratischen Elite,19 deren »realist« oder »securitarian policy frame«20 sich in ein restriktives rechtliches Rahmenwerk und die entsprechenden administrativen Kontroll- und Abwehrpraktiken übersetzt hat. Laut Bigo ist diese Entwicklung eine Kompensation für den 13 Ebd., S. 4. 14 McKeown, S. 18. 15 Ebd., S. 7. 16 Ebd. 17 Bigo, Frontier Controls, S. 60. 18 Ebd., S. 62; vgl. auch ders., Polices. 19 Vgl. dazu auch Grabbe, The Sharp edges. 20 Lavenex, Migration, S. 26 f.; dies., The Europeanization of Refugee Policies. Normative, S. 855 f.

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fehlenden Entwurf einer EUropäischen Identität und die nicht geklärte Finalität des Integrationsprojekts. Aus diesen Überlegungen lässt sich für die vorliegende Studie zweierlei schlussfolgern: Erstens haben die von Torpey beschriebene »Erfassung« von Gesellschaften und die von McKeown rekonstruierten Migrationskontrollregime eine spezifische Struktur des politischen Raums hervorgebracht, und zwar sowohl als Folge als auch Voraussetzung für Erfassung und Kontrolle. Auf die gleiche Weise, mit der die Identitäten von Menschen standardisiert und systematisiert wurden und so zur Kontrolle und Steuerung bereit standen, wurden politische Räume, Territorien und ihre Grenzen durch Raumsemantiken erzeugt und damit Herrschaftsräume konstituiert, die sich im Lauf der Zeit verselbstständigen. Das heißt auch, dass sie die Konstruktionsleistung, der sie sich verdankten, vergessen ließen. Bevor Räume jedoch »beherrscht« werden können, müssen sie imaginiert und erfasst werden. Die Rekonstruktion der dabei verwendeten Raumsemantiken hilft zu verstehen, wie die Verräumlichung von Herrschaftsstrukturen funktioniert. Damit soll der Blick geöffnet werden für Formen von Territorialisierung jenseits des Nationalstaates aber auch jenseits einer wie auch immer gearteten, angeblich entstehenden »Post-Territoriality«21 oder jenseits eines Bildes der EU als einer »Festung Europa«, die sich vor einem scheinbar amorphen Außenraum verschanzt. Denn – und dies ist die zweite Schlussfolgerung – nicht nur der EU-Raum und seine Grenze(n) entstehen aus sozialer und politischer Interaktion und Imagination, sondern auch jenes »Außen«, von dem er abgegrenzt wird. So, wie das Migrationsregime den Migranten zunächst herstellen muss, bevor es ihn kontrollierten, attrahieren oder zurückweisen kann, erzeugt das EU-Grenzregime sein »Außen« gleich mit. Migrations- und Grenzregime bringen nicht nur Identitäten hervor und regulieren die Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen, sie verräumlichen diese Ströme gleichzeitig, schaffen ein »Innen« und ein »Außen.« Vor allem dieses »Außen« entsteht – so soll hier gezeigt werden – als ein variabler Raum. Die Europäische Union differenzierte zunehmend zwischen verschiedenen Nachbarregionen und hat ein abgestuftes Instrumentarium entwickelt, mit diesen umzugehen. Im Zentrum der folgenden Untersuchung stehen die Imaginationen und Deutungen des EU-Raumes, insbesondere seiner Grenzen und Ergänzungsräume, in Dokumenten vor allem der EU-Kommission und des Europäischen Rates. Als Quellen herangezogen werden neben Schlussfolgerungen des Rates 21 Maier, Transformations.

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und politisch-programmatische Mitteilungen der Kommission auch Aktionspläne, Programmberichte und Projektentwürfe der europäischen Migrations- und Außengrenzpolitik, die hier weniger mit Blick auf ihre konkreten Umsetzungen und Folgen von Interesse sind, sondern verstanden werden als Ausdruck des Ringens um ein EUropäisches Raum- und Grenzverständnis. In der supranationalen Perspektive auf diese Prozesse erkennt man die EUKommission und den Europäischen Rat als Agendagestalter und Impulsgeber für die Entwicklung eines europäischen Raumverständnisses. Die Auswahl der Quellen für dieses Kapitel ist durch diese Perspektive begründet. Bis zu einem gewissen Grad werden nationalstaatliche Einzelpositionen zunächst vernachlässigt, und erst im zweiten Teil des Kapitels zur Europäischen Nachbarschaftspolitik wieder stärker berücksichtigt. Mit der Privilegierung der supranationalen Ebene in diesem Kapitel soll nicht nahe gelegt werden, dass die hier untersuchten Prozesse geradewegs zur Herausbildung eines »echten« EU-Territoriums geführt haben. Gleichwohl vertrete ich die These, dass die Auseinandersetzungen um das EU-Migrations- und Grenzregime die Herausbildung einer politisch-räumlichen Kontur der EU nachhaltig befördert haben. Ähnlich haben auch Sandra Lavenex und Emek Uçarer argumentiert: Die »emergence of a common migratory space« verwandele die EU zunehmend in einen politischen – und nicht nur wirtschaftlichen – Akteur, auch mit einer territorialen Identität.22 Und auch nach Ansicht der Forschungsgruppe »Transit Migration« entstehe ein europäischer Raum von seinen Rändern her,23 die europäische Außengrenze werde im Zuge der Schengenverhandlungen erfunden.24 Auch die Rhetorik der Europäischen Kommission verweist auf eine solche Vision, wie eines der diesem Kapitel vorangestellten Zitate deutlich macht: [… the …] effective common management of the external borders of the Member States of the European Union will boost security and the citizen’s sense of belonging to a shared area and destiny.25 (Hervorhebung d.Vf.) Die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Raum und das Gefühl, an einem kollektiven Schicksal teilzuhaben, entsteht nach dieser Lesart an der Grenze und wird vermittelt durch die Regulierung des Verhältnisses der EU zu ihrem »Außen«. Der Beobachter dieses Prozesses wird zum Zeugen einer Transforma22 23 24 25

Lavenex u. Ucarer, S. 2. Karakayalı u. Tsianos, S. 1 f. Hess u. Tsianos. COM (2002) 233 final, S. 2.

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tion, die eher auf die Entstehung eines neuen Territorialisierungsregimes hindeutet denn auf den Bedeutungsverlust des Raumes für die Gestalt politischer und sozialer Prozesse. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Allerdings ist das Ringen der EU um ein neues Raumverständnis und die Suche nach andersartigen Strategien im Umgang mit transnationalen Herausforderungen bereits hinreichend erkennbar, um genauer beschrieben werden zu können.

2.1.2 »A European Union in Expansion«: Dynamiken der EUropäisierung des Grenz- und Migrationsregimes Die folgenden Ausführungen seien eingangs in zwei Beobachtungen knapp zusammengefasst: Erstens führt der Versuch der EU, ihr Verhältnis zu den Nachbarräumen zu regulieren, sowohl zur Etablierung eines Grenzregimes als auch zur Schaffung von Ergänzungsräumen. Das Grenzregime schließt also auch die Erfassung und Regulierung von benachbarten Räumen ein, wobei »Nachbarschaft« geografisch durchaus weiter gefasst sein und über unmittelbar angrenzende Gebiete hinausgehen kann. Dafür wurde nicht nur eine EUGrenz- und Migrationspolitik seit etwa Mitte der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhundert entwickelt, sondern auch nach dem Ende des Kalten Krieges und im Zuge der Osterweiterung 2004 die Europäische Nachbarschaftspolitik. Diese neue Form einer abgestuften Integrationspolitik, die teilweise auch als eine Variante der europäischen Sicherheitspolitik gedeutet wird,26 muss folglich mit in den Blick genommen werden, wenn darum geht zu klären, wie die Europäische Union ein Außengrenzregime errichtet. Denn weder lässt sich die EU-Migrations- und Grenzpolitik ausschließlich als Strategie der Exklusion deuten, noch repräsentiert die Nachbarschaftspolitik allein das inklusive »Zuckerbrot-Angebot« der Union. Beide Politikfelder enthalten Aspekte der Ein- wie der Ausschließung und werden in diesem Kapitel untersucht, wobei sich der erste Teil der Migrations- und Grenzpolitik zuwendet und der zweite sich auf die Nachbarschaftspolitik konzentriert. Zur zweiten Beobachtung: Auf einer Reihe von Feldern hat ein Differenzierungsprozess eingesetzt, der es ungleich schwieriger macht, das EU-Grenzregime auf einen Nenner zu bringen. Dieser Differenzierungsprozess vollzog sich in vier Dimensionen: Erstens entwickelte die Union zunächst einen Begriff ihrer Grenze, zweitens definierte sie deren Geografie sowohl im Sinne einer Linie, als auch im Sinne exterritorialer Grenzvorräume, drittens differenzierte 26 U. a. Aliboni.

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sie ihre Ergänzungsräume, die für den Schutz der Außengrenze eine bedeutende Rolle übernehmen und viertens vollzog sie den Wandel von der Idee des Grenzsschutzes hin zur Vorstellung eines »border management«. Dies steht im Kontext einer Entwicklung, die etwa in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann und sich seitdem erheblich dynamisiert hat.27 In den achtziger Jahren führten viele EU-Mitgliedsstaaten restriktivere Migrationspolitiken ein, nach einer Phase der Einwanderungsförderung nach dem zweiten Weltkrieg. Um diese Zeit herum beginnt auch die Suche nach einer europäischen Regelung. Die Europäisierung des Migrationsregimes stand dabei von Anfang an im Zeichen der Versicherheitlichung: Migration wurde als Sicherheitsproblem definiert und Grenzkontrollen als Instrumente zur Bewältigung dieser Herausforderung identifiziert.28 Dieser »securitarian approach« – d. h. die Kriminalisierung von Migration und die Betonung der sicherheitspolitischen Aspekte zuungunsten humanitärer Ansätze in der Flüchtlingspolitik, Bemühungen um legale Arbeitsmigration und die Integration von Migranten – hat sich seit den neunziger Jahren noch verschärft. Insbesondere Deutschland und Frankreich waren als Verfechter einer europäischen Regelung zum Asylsystem aufgetreten, nachdem sie zu Hauptzielländern von Asylbewerbern geworden waren.29 Die verstärkte Suche nach einer supranationalen Lösung lässt sich jedoch, wie Virginie Guiraudon gezeigt hat, nicht unbestritten als Reaktion auf ein sich verschärfendes Migrations- und Asylproblem in Europa erklären: Erst in den neunziger Jahren erreichten die Ströme ein dann auch in der politischen Öffentlichkeit als problematisch erkanntes Ausmaß.30 Vielmehr scheint vor allem die Anfangsdynamik dieses Prozesses auf die Bestrebungen nationaler Akteure, vor allem von Beamten und Polizeiangehörigen auf dem Gebiet der »Inneren Sicherheit« zurückzuführen zu sein: »Migration control bureaucrats went transnational at a particular moment because they had seen their action increasingly constrained in the early 1980s.«31 Diese fanden sich vermehrt seit Mitte der achtziger Jahre in interministeriellen Arbeitsgruppen wie der bereits 1976 eingerichte27 Bigo, Frontiers and Security, S. 151; ders., Frontier Controls; Tsoukala; Lavenex, Europäische Union. 28 Bigo, Frontier Controls, S. 53. 29 Lavenex, The Europeanization of Refugee Policies. Between, S. 857–859. 30 Guiraudon, European Integration; dies., The constitution. 31 Ebd., S. 268; Die Beschränkungen, die Guiraudon im Blick hat, waren u. a. Gerichtsurteile, die die Einwanderungsgesetzgebung in einigen Ländern liberalisiert hatten, sowie kritische zivilgesellschaftliche Gruppen und tendenziell einwanderungsfreundliche sowie humanitär gesinnte Parlamente.

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ten TREVI-Gruppe zusammen, die eigentlich auf die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zielte, und entwickelten technokratische Lösungen für die Bekämpfung von transnationaler Kriminalität, bevor für dieses Politikfeld institutionalisierte Regelungen etabliert wurden. In gewisser Weise waren so zunächst die Lösungen – nämlich verschärfte Kontrolle und transnationale Polizeikooperation – entwickelt worden, bevor die dazugehörigen Probleme formuliert worden waren.32 Dieses Verhalten, mit dem technokratisch agierende Bürokraten, Polizei- und Zollbeamte, Grenzschützer und Einwanderungsbehörden nationale politische Beschränkungen zu umgehen und national begrenzte Ressourcen zu erweitern suchten, bezeichnet Guiraudon als »venue shopping«. Die Europäisierung des Grenz- und Migrationsregimes ist dabei weniger als ein Nebeneffekt des entstehenden europäischen Binnenmarktes oder als Reaktion auf sich verändernde Migrationsmuster zu deuten. Sie lässt sich vielmehr als unbeabsichtigte Konsequenz33 der Transnationalisierung eines zunächst eher randständigen Politikfelds beschreiben, die nationale Akteure vorangetrieben haben, um das Problem beschränkter Ressourcen zu lösen, Gegnern auf dem eigenen nationalen Feld auszuweichen und neue Allianzen zu bilden.34 Deren Handlungslogiken und Problembeschreibungen haben bei den Verhandlungen zum Schengen-Regime und im Verlauf der neunziger Jahre zur Wahrnehmung eines »Einwanderungsproblems« beigetragen, auf das das anschließend zunehmend formalisierte und institutionalisierte europäische Grenz- und Migrationsregime erst zu reagieren schien.35 Dieses »venue shopping« lässt sich mit Jacques Revel auch als ein »jeux d’echelles« beschreiben:36 ein strategisches Spiel mit unterschiedlichen Raumbezügen. Dieser Vorgang wird in dieser Arbeit mehrfach beobachtet: in der Kommission (Kapitel zwei), bei den polnischen Akteuren (Kapitel drei) und bei den regionalen Eliten (Kapitel vier). Die deutende Erzeugung des Raums ist also immer auch mit der Herausforderung verbunden, verschiedene »scales« zu handhaben, sie zu definieren, zu ordnen, mit ihrer Pluralität umzugehen und diese Kompetenz einzusetzen als Ressource im Kampf um eine vorteilhafte Positionierung im europäischen Raum. 32 Ebd. 33 Zur Interpretation des Europäisierungsprozesses als eine »Politik der Nebenfolgen« bzw. der »institutionalisierten Improvisation« vgl. Beck u. Grande. 34 Guiraudon, European Integration; vgl. auch Garnier, Are states in control. 35 Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Bigo, Frontier Controls; Grabbe, The Sharp edges. 36 Revel; Middell, Der Spatial Turn, S. 116.

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In diesem Zusammenhang lassen sich auch die »flankierenden Maßnahmen« im Außengrenzschutz verstehen, die im Zuge der Unterzeichnung des Schengener Abkommens 1985 bzw. des Schengener Durchführungsübereinkommens 1990 eingeführt wurden und die Abschaffung der EUropäischen Binnengrenzen begleiteten. Schengen war damit gewissermaßen die Geburtsstunde einer EU-Außengrenze, da diese nun von den EU-Binnengrenzen unterschieden werden konnte.37 Die Garantie der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes der Europäischen Union – von Personen, Kapital, Gütern und Dienstleistungen – war dabei von Anfang an an die verstärkte Sicherung der Außengrenzen der Schengenstaaten gebunden.38 Infolgedessen veränderte sich auch die Funktion der Binnen- und Außen-Grenzen: Ihre Bedeutung für den Schutz gegen militärische Aggressionen von Nachbarstaaten trat in den Hintergrund gegenüber der Identifizierung und Überwachung von Personen und Gütern sowie der Kriminalitätsprävention. Bigo sieht in Folge dieser Transformation ein »BanOpticon« entstehen, bei dem ein Mehr an Mobilitätsrechten und -freiheiten für einige wenige durch ein Mehr an Überwachung und Kontrolle für alle ermöglicht wird. Die Allgegenwart der Überwachung, das Antizipieren von Gefahren und die Erhöhung von Strafen hat den Ausschluss (»ban«) von als illegal deklarierten Migranten von politischen und sozialen Rechten zur Folge.39 Der Fall der Berliner Mauer und die Systemumbrüche in Ostmitteleuropa beeinflussten die Rahmenbedingungen für diese Transformation der EU-Außengrenze und des EU-Migrationsregimes, die mit dem Inkrafttreten des Schengenraumes an Fahrt gewann, in erheblichem Maße.40 Allerdings, so ist überzeugend argumentiert worden, hatte dies eher eine Verschärfung des bereits etablierten Sicherheitsdenkens zur Folge und schuf dieses nicht neu, sondern verstärkte bereits vorhandene Logiken. Der antizipierte massenhafte Zustrom von Flüchtlingen und Migranten aus dem Osten wurde schnell als neuartige Sicherheitsbedrohung interpretiert und setzte neue Anreize zur Integration auf den Gebieten Justiz und Inneres, sowie in der Grenz- und Migrationspolitik.41 Die Wahrnehmung neuer »transnationaler Risiken« ersetzte die manichäische Weltsicht des Kalten Krieges: Terrorismus, globale Mafias und auch eine dramatisch zunehmende, unsteuerbare Migration wurden als die neuen Bedrohungen aufgerufen.42 37 38 39 40 41 42

Bigo, Frontiers and Security; ders., Frontier Controls. Ebd., S. 54. Ebd., S. 79–81. Lavenex, Migration, S. 24, 28. Friis, S. 7 f.; Lavenex, Migration. Guiraudon, The constitution, S. 268 f.

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Die Angst vor der Invasion sowjetischer Panzer wurde durch die Angst vor grenzüberschreitender Kriminalität und unbeherrschbarer Zuwanderung ersetzt.43 Dies hatte zweierlei zur Folge: Zum einen beschleunigte sich die Vergemeinschaftung restriktiver grenz- und migrationspolitischer Regelungen, zum anderen wurde der Export dieser Praktiken und Standards nach Osten, in die bald zu Kandidaten für den Beitritt avancierenden ostmitteleuropäischen Staaten vorangetrieben. Konsolidierung und Export der politischen Strategien gingen Hand in Hand. Durch den frühzeitigen Aufbau von Infrastruktur und Kontroll-Kapazitäten im Osten sollte einer Schwächung des Regimes durch die Aufnahme neuer Mitglieder vorgebeugt werden.44 Bei diesem Transfer haben sich einige Mitgliedsstaaten besonders engagiert, vor allem Deutschland spielte durch seine enge Kooperation mit Polen eine Vorreiterrolle.45 Der Export restriktiver Praktiken selbst – umfangreiche Überwachungssysteme, der Abschluss von Rücknahmeabkommen, die Aufrüstung der Grenzinfrastruktur sowie die Einführung strengerer Visarichtlinien – wiederum ist von Beobachtern zu Ende der neunziger Jahre als Sicherheitsrisiko für die gesamte Region kritisiert worden, da u. a. bestehende Kooperationsbeziehungen auf diese Weise unterbrochen und die Region somit fragmentiert werden würde.46 In diesem Sinne kann die Einführung der Europäischen Nachbarschaftspolitik auch verstanden werden als »flankierende Maßnahme« für die »flankierenden Maßnahmen« – also zur Abfederung der Neugestaltung der politischen Geografie im Osten Europas, indem die begrenzte Teilhabe an der europäischen

43 Grabbe, The Sharp edges, S. 520. 44 Pastore, Formation, S. 129–131; Lavenex u. Ucarer, S. 10; Friis, S. 7 f. 45 Ebd.; vgl. auch Bigo, Border Regimes; Bigo identifiziert für die Polizeikooperation mit den ostmitteleuropäischen Kandidatenstaaten in den neunziger Jahren gewisse »Einflusszonen« der EU-Mitgliedsstaaten und auch der USA: Deutschland habe das meiste Geld in die Zusammenarbeit mit den Beitrittskandidaten investiert, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Polen und die Tschechische Republik haben mehr mit Deutschland und Großbritannien zusammengearbeitet, Frankreich habe vor allem zu Rumänien und Ungarn Kontakte aufgebaut, Ungarn sei ebenfalls mit Österreich eng verbunden und auch die USamerikanische FBI-Akademie arbeite eng mit Ungarn zusammen. Dabei haben sich spezifische Transfer- und Kooperationsstrategien herausgebildet: Deutschland favorisiere die Ausbildung von strategischen Analysten und die Einführung von Computertechnik, Frankreich einen praxisorientierten Ansatz in gemeinsamen Operationen, Großbritannien setze vor allem auf seine Erfahrung bei der Terrorismusprävention und den Ruf des Scotland Yard. Die daraus resultierende Kakofonie und der Wettbewerb der Modelle habe den Kandidatenstaaten in gewisser Weise einen Vorteil verschafft, da sie bis zu einem gewissen Grad unter den Angeboten das für sie beste hätten wählen können (ebd., S. 8–10). 46 Lavenex u. Ucarer, S. 10; so auch Friis.

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Integration die Nachbarstaaten zur Übernahme von Schutzfunktionen für die EU-Grenze motivieren sollten. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurden die Schengen-Regeln 1997 Teil des gemeinsamen Besitzstandes der Europäischen Union und damit auch zur Beitrittsvoraussetzung für Bewerberstaaten. Bis zu diesem Zeitpunkt war also noch nicht geklärt worden, wie die Grenzregime angepasst werden sollten, die ostmitteleuropäischen Staaten befanden sich somit in einem Zustand der doppelten Unsicherheit. Einerseits standen sie vor der Herausforderung, die Grenzregime des Kalten Krieges zu ihren östlichen und westlichen Nachbarn, die bislang vor allem den »exit«, den Übertritt der Grenzen von innen nach außen, hatten verhindern sollen, zu liberalisieren und eigenen wie ausländischen Bürgern Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Dies galt als Inbegriff der neuen demokratischen Ordnung. Andererseits sahen sie sich mit dem Sicherheitsbedürfnis und der Skepsis der westeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten konfrontiert, die gerade geöffneten Grenzen vor unkontrollierten Übertritten von außen nach innen zu schützen. Die Übertragung der Schengen-Regeln auf die Kandidaten geschah anders als bei den Schengen-Gründerstaaten ohne deren Mitwirkung und ohne dass Sonderregelungen vorgesehen waren – wie dies z. B. für Großbritannien, Irland und Island der Fall gewesen war.47 Allerdings konnten sie an Konsultationsrunden wie dem Budapest-Prozess oder später dem SöderköpingProzess teilnehmen, was nach der Osterweiterung in anderem Rahmen für die dann neuen Nachbarn fortgesetzt wurde.48 Diese Konsultationsmechanismen können aber eher als Instrumente des Wissenstransfers und der Anpassung an EU-Standards gedeutet werden denn als echter Austausch zwischen gleichberechtigten Partnern. Die Osterweiterung des EU-Grenz- und Migrationsregimes war damit das erste umfassende Projekt von dessen Exterritorialisierung. Dies wurde auch in anderen Weltregionen, insbesondere in den südlichen Nachbarstaaten, u. a. durch Rückübernahmeabkommen, die Errichtung von Auffangzentren außerhalb der EU und die Anwendung der vergemeinschafteten Visapolitik vorangetrieben. Die ostmitteleuropäischen Kandidatenstaaten wurden somit bis zu ihrem Beitritt zu einer Pufferzone, zu einem für außerEUropäische Migranten immer schwerer Richtung Westen zu passierendem Zwischenraum. Gleichzeitig wurde die bis in die frühen neunziger Jahre hinein vor allem technokratisch und unter Abwesenheit einer größeren öffentlichen Diskussion 47 Ebd. 48 Zum Budapest-Prozess siehe: http://www.iom.int/jahia/Jahia/policy-research/budapestprocess/(Zugriff 20. 06. 2011), zum Söderköping-Prozess siehe http://soderkoping.org.ua/ page2864.html (Zugriff 20. 06. 2011).

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vorangetriebene EU-Grenz- und Migrationspolitik durch die Reaktionen der Gesellschaften und Politiker in Ostmitteleuropa hochgradig politisiert.49 Die Außengrenze der Europäischen Union erhielt im Prozess der EUropäisierung und ihrer Transformation durch die Osterweiterung also nicht nur neue Funktionen, sie wurde auch zu einem politischen Thema, an dem sich die Frage nach einer territorialen Identität der EU kristallisierte. Dies beschleunigte in gewisser Weise den Prozess der Entstehung einer »echten« Außengrenze. Die Terroranschläge in New York am 11. September 2001, in Madrid am 11. März 2004 und in London am 7. Juli 2005 haben deshalb für den Ausbau der Grenz- und Migrationspolitik, so Didier Bigo, keine neue Agenda geschaffen, sie markierten keine Zäsur. Allerdings konnten die Unterstützer eines Mehr an Kontrolle, Überwachung und Restriktion die öffentlichen Emotionen in Folge dieser Ereignisse nutzen, um politische Legitimität für die Versicherheitlichung zu beschaffen.50 Dies hat auch die Ausbreitung und Verfeinerung von Sicherheitsund Überwachungstechnologien beschleunigt, ausgehend von einer gewissen Obsession der Sicherheitsexperten für computerisierte und vernetzte Systeme, einschließlich der Einführung elektronischer Fingerabdrücke und der Erfassung biometrischer Daten und Körperscannern in vielen westlichen Staaten.51

2.1.3 Eine »Reaktion auf die Globalisierung«: Der EU-Raum, seine Grenzen und die Außenwelt in der Perspektive der EU-Migrations- und Grenzpolitik Im Folgenden gebe ich zunächst einen Überblick über die Herausbildung eines EUropäischen Grenz- und Migrationsregimes und führe in das Politikfeld und die beteiligten Institutionen ein, um die anschließende Analyse zu kontextualisieren. In Tabelle 14 auf Seite [197] sind die wichtigsten Etappen der Grenzund Migrations- sowie Nachbarschaftspolitik in einer Übersicht zusammengestellt. Die EU-Grenz- und Migrationspolitik gehört zu den jüngeren Themen auf der politischen Agenda der Europäischen Union. Erste Ansätze – noch außerhalb des EU/EG-Institutionengefüges in Form multilateraler Vereinbarungen – entstanden mit dem Abschluss des Schengener Abkommens 1985 in dem Moment, als mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 die Schaf49 Pastore, Formation, S. 134; Grabbe, The Sharp edges. 50 Bigo, Frontier Controls, S. 72. 51 Bigo, Policing, S. 255–257.

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fung eines europäischen Binnenmarktes abgeschlossen und die Grundlagen für eine weitere vertiefte Integration geschaffen wurden. Mit der EEA wurden die sogenannten vier Grundfreiheiten innerhalb des E(W)G/EU-Raums eingeführt, die für Personen, Dienstleistungen, Kapital und Güter unbeschränkte Mobilität garantieren und die heute im Zentrum eines – von Ole B. Jensen und Tim Richardson kritisch als »monotopisch« bezeichneten – Selbstbildes der EU stehen.52 Der Blick der EU richtete zu einem Zeitpunkt nach außen, das Streben nach der Einhegung des EUropäischen Raumes und die Suche nach einer Definition der EUropäischen Rolle in der Welt setzte in dem Moment ein, als die erfolgreichste Phase der wirtschaftlichen Binnenintegration ihren Höhepunkt erreicht hatte.53 Die Mobilitätsgarantie innerhalb dieses Raumes war nun von Anfang an mit »flankierenden Maßnahmen« an den Außengrenzen verbunden. Dies schien um so dringlicher, als dass sich mit dem Ende des Kalten Krieges das geostrategische Umfeld der EU grundlegend änderte.54 Der 1991 unterzeichnete und 1993 in Kraft getretene Vertrag von Maastricht reflektierte diese doppelte Herausforderung: Er schuf einerseits die Europäische Union und überführte die vielfältigen Aufgaben- und Politikbereiche in die komplexe Drei-Säulen-Struktur.55 Damit wurde die Binnenintegration vertieft. Gleichzeitig entstanden mit der Zusammenarbeit in Polizei- und Justizangelegenheiten in der dritten Säule neue Politikbereiche, die den Grundstein für eine europäische Innen- und Sicherheitspolitik als Reaktion auf die Abschaffung der Binnengrenzen legte. Unter dem Dach von TREVI war außerdem bereits 1986 eine ad-hoc-Arbeitsgruppe »Einwanderung« eingerichtet worden, deren 52 Jensen u. Richardson. 53 Gillingham, S. xiii; allerdings wurden bereits 1973 auf dem EG-Gipfel in Kopenhagen als grundlegende Herausforderungen für die damals neun Mitgliedsstaaten formuliert, eine internationale Verantwortung wahrzunehmen, insbesondere gegenüber dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten und Afrika. Vgl. Agnew, S. 299. 54 Cameron. 55 Diesen drei Säulen sind die im Rahmen der EU behandelten Politikbereiche nach dem jeweils für sie geltenden Entscheidungsverfahren zugeordnet. Die erste Säule umfasst all jene Bereiche, in denen Mehrheitsentscheidungen angewendet werden, und betraf die vor 1992 etablierten europäischen Gemeinschaften (Euratom, EKSG und EG), die zweite (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) und dritte Säule (Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres) wurden als Themenbereiche mit dem Vertrag von Maastricht neu eingeführt und blieben intergouvernemental nach dem Einstimmigkeitsprinzip geregelt. Im Vertrag von Amsterdam 1997 wurden wichtige Bereiche der dritten in die erste Säule überführt, damit wurden Migrations- und Grenzpolitik nun im Mehrheitsverfahren geregelt, der Vertrag von Lissabon 2007 hob die Säulenstruktur auf, die EU erhielt eine eigene Rechtspersönlichkeit und die Mehrheitsentscheidungsverfahren wurden ausgeweitet.

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Arbeit zur Keimzelle einer europäischen Migrationspolitik wurde. Und 1989 formulierte der Europäische Rat im sogenannten Palma-Dokument erstmals die Absicht, sich auf eine gemeinsame EU-Visapolitik verständigen zu wollen. Mit dem 1997 verabschiedeten Vertrag von Amsterdam wurde der sogenannte Schengen-Besitzstand nicht nur in den acquis communitaire überführt, sondern auch der ersten Säule zugeordnet, ebenso wie die EU-Visapolitik. Damit unterlagen die Politikfelder Außengrenzschutz, Migrationspolitik, Asyl und Visa künftig Mehrheitsentscheidungen und im sogenannten Mitentscheidungsverfahren erhielt das Europäische Parlament Beteiligungsrechte, allerdings erst nach einer Übergangsphase von fünf Jahren.56 Nach dem Europäischen Rat von Tampere im Oktober 1999, d. h. auch wenige Monate nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, gewann das Ringen um eine gemeinsame EUropäischen Position gegenüber der Frage, wie die Außengrenzen der Mitgliedsstaaten gesichert, welche die Bedrohungen seien, gegen die sie schützen müssten und in welcher Form die Union in einem globalen Umfeld agieren sollte, auch auf höchster politischer Ebene – nicht nur in Expertenarbeitskreisen zu Grenzschutz, innerer Sicherheit und Migrationsfragen – eine neue Qualität. Das auf diesem Rat beschlossene fünfjährige Aktionsprogramm kann als Reaktion auf die in diesen Jahren verstärkt artikulierte Unsicherheit gegenüber einer sich wandelnden politisch-räumlichen Ordnung der Welt und der Beobachtung von Migrationsströmen, denen eine vermeintlich neue Qualität zugesprochen wurde, verstanden werden. Die in der EEA begründeten Grundfreiheiten schienen der EU zum Verhängnis zu werden: »Diese Freiheit [das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU] […] hat Sogwirkung auf viele andere Menschen in der Welt, die nicht in den Genuß der Freiheit kommen, die die Unionsbürger als selbstverständlich empfinden.«57 Die EU müsse daher einerseits offen bleiben für Flüchtlinge und solche Menschen, »die wegen ihrer Lebensumstände aus berechtigten Gründen in unser Gebiet einreisen wollen«,58 gleichzeitig knüpften die Regierungschefs an diese Gegenwartsanalyse die Feststellung, dass der Schutz der Außengrenzen und die Bekämpfung der illegalen Migration in Zukunft Priorität haben müssten. Angesichts eines »massiven Zustrom[s] von Flüchtlingen«59 – vor allem im Gefolge der Kriege auf dem Balkan – müssten die Mitgliedsstaaten nicht nur in der Flüchtlingspolitik, sondern auch beim Schutz der Außengrenzen zusam56 Vgl. für einen Überblick u. a. Lavenex u. Ucarer; Kunnert; Jahn, Maurer, Otzmann u. Riesch. 57 Rat(2), S. 2. 58 Ebd. 59 Ebd., S. 4.

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menarbeiten. Erstmals wurde in diesem Gremium explizit die Verflechtung von Innen- und Außenpolitik für die Bewältigung dieses Problems konstatiert. Der Bereich der Grenz- und Migrationspolitik erwies sich dabei als bedeutend weniger anfällig für Versuche der Mitgliedsstaaten, sich einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik entgegen zu stellen, um die nationalstaatliche Hoheit zu wahren. Vielmehr suchten sie für die Lösung dieses Problems ihr Heil in einer EUropäischen Antwort.60 Die Unsicherheit, die mit dem Tampere-Aktionsplan und den in den folgenden fünf Jahren entwickelten Initiativen bewältigt werden sollte, erhielt in der Erklärung von Laeken 2001 mit dem sorgenvollen Titel »Europa am Scheideweg« deutlichere Konturen: »Außerhalb ihrer Grenzen sieht sich die Europäische Union gleichfalls mit einer sich schnell wandelnden, globalisierten Welt konfrontiert. […] Nun, da der Kalte Krieg vorbei ist und wir in einer globalisierten, aber zugleich auch stark zersplitterten Welt leben, muss sich Europa seiner Verantwortung hinsichtlich der Gestaltung der Globalisierung stellen.«61 Die Globalisierung erschien hier als ein Prozess, der eine als stabil erinnerte Weltordnung aus den Fugen geraten ließ und zu einem Zerbrechen der bipolaren Ordnung führte. Dies hatte Dynamiken erzeugt, die als latent bedrohlich galten und deren Herr zu werden entschlosseneres Handeln nach außen erforderte. Ihnen war nicht mehr nur mit einer bloß nach innen gerichteten Integrationsstrategie beizukommen – eine Strategie, die dieselbe Erklärung allerdings als überaus erfolgreich beschrieb, als Überwindung der »Dämonen der Vergangenheit«. Die herannahende Erweiterung der Union versprach eine »grundlegende Neuordnung«62 in einem vereinten Europa. In den folgenden Jahren verabschiedete der Europäische Rat u. a. den »Plan für den Grenzschutz an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union«63 und die Europäische Kommission entwickelte ein »Aktionsprogramm für Verwaltungszusammenarbeit in den Bereichen Außengrenzen, Visa, Asyl und Einwanderung« (ARGO).64 Im Zusammenspiel von Kommission 60 Agnew, S. 307; Die europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist grundsätzlich der intergouvernemental funktionierenden zweiten Säule der EU zugeordnet, Grenzschutz und Einwanderungspolitik, zumindest partiell als Teilbereiche eines nach außen gerichteten Handelns, werden dagegen im Gemeinschaftsverfahren geregelt, mit einer Initiativfunktion der EU-Kommission, dem Mitbestimmungsrecht des Parlaments und einem Mehrheitsentscheidungsverfahren im Rat. 61 Rat(6), S. 20. 62 Ebd., S. 19. 63 Rat(7); COM (2002) 233 final. 64 KOM (2001) 567 endg.

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und Rat entstand ein breites Spektrum von Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration – nicht nur durch einen intensivierten Grenzschutz, sondern u. a. durch Rücknahmeabkommen, die zukünftig auf EUropäischer Ebene geschlossen werden sollten65 und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Drittstaaten, insbesondere mit den Herkunftsländern.66 Außerdem wurde die Generaldirektion Justiz und Inneres in der Europäischen Kommission eingerichtet. Der sogenannte »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« führte Asylund Migrationspolitik, sowie Grenzschutz und innere Sicherheit unter einem Dach zusammen.67 Diese Phase war vor allem gekennzeichnet durch die Entwicklung einer restriktiven Einwanderungspolitik und eines verstärkten Grenzschutzes, durch den die Außengrenzen der Mitgliedsstaaten schwerer passierbar wurden für unerwünschte Migranten. Die Kriminalisierung von (illegaler) Migration und die Versicherheitlichung des Migrationsthemas68 wurden energisch vorangetrieben. Verbunden war dies auch mit intensivierten Bemühungen um ein Visainformationssystem (VIS)69 und der Einrichtung des EURODAC-Systems70 sowie ersten Überlegungen zur Schaffung einer EUropäischen Grenzschutztruppe, die mit FRONTEX 2004 ins Leben gerufen wurde. Hatte diese Entwicklung durch die Flüchtlingswellen im Gefolge der Balkankriege 65 Vgl. dazu im Überblick Balzacq; sowie Trauner u. Kruse. 66 Vgl. Rat(8); KOM (2001) 672 endg.; KOM (2002) 175 endg.; KOM (2003) 323 endg. Für die Finanzierung der Zusammenarbeit mit Drittländern wurde 2001 die Haushaltslinie B7–667 eingerichtet. 67 KOM (2001) 278 endg. 68 »Securitization« oder Versicherheitlichung ist ein von Ole Waever und der Kopenhagner Schule etabliertes einflussreiches Paradigma der politischen Geografie und der internationalen Beziehungen, das die diskursive Konstruktion bestimmter Themen als Sicherheitsbedrohungen beschreibt. Hauptakteure dieser Konstruktionsleistung sind für die Kopenhagener Schule vor allem politische Eliten. Vgl. Waever, Securitization; ders., The EU; ders., Buzan, Kelstrup u. Lemaitre; kritisch, vor allem zur methodologischen Ausrichtung der Kopenhagener Schule McDonald. 69 In dieser Datenbank werden alle EU-weiten Visaanträge, Visaverstöße und jene Informationen zusammengetragen, die mit der Erteilung, Bearbeitung, Ablehnung oder Verletzung von Visaregularien im Zusammenhang stehen. Damit sollen die Konsultationen über die Visavergabe der Mitgliedsstaaten innerhalb des Schengenraums erleichtert und Visa-Verletzungen EU-weit schneller geahndet werden können. 70 In dieses System werden Daten über Asylbewerber und illegal einreisende Drittstaatsangehörige gesammelt. Ebenso wie das VIS soll EURODAC ermöglichen, innerhalb des gesamten EU-Raumes gegen illegale Einwanderung vorzugehen und Asylmissbrauch zu verhindern. Damit wird es für Asylsuchende erheblich schwerer, die Lücken zwischen den nach wie vor unterschiedlichen Asylsystemen der Mitgliedstaaten auszunutzen, im Ergebnis wird damit indirekt das restriktivste Asylsystem eines einzelnen EU-Mitgliedsstaats zum Maßstab für die gesamte EU. Vgl. Lavenex: The Europeanization of Refugee Policies. Between.

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der neunziger Jahre bereits an Fahrt gewonnen, so erhielt sie mit dem nach den Anschlägen vom 11. September 2001 weltweit ausgerufenen »Krieg gegen den Terror« zusätzliche Schubkraft – allerdings aufbauend auf bereits vor 1989 entwickelten Argumentationslogiken, die die Mobilität im Inneren des EU-Raums an die Forcierung von Maßnahmen zum Schutz der inneren sowie äußeren Sicherheit knüpften. Hatte der Krieg gegen den Terror die Sicherheitspolitiken der EU-Staaten zunächst auf ein gemeinsames Ziel orientiert und damit eine gewisse Einheitlichkeit im Agieren nach außen ermöglicht, erschütterte der Irak-Krieg 2003 die sich abzeichnenden Gemeinsamkeiten nachhaltig. Das US-amerikanische Eingreifen im Irak hatte einen tiefen Riss in der EU hinterlassen zwischen einer »Koalition der Willigen« – darunter auch die ostmitteleuropäischen Beitrittskandidaten, aber auch Dänemark und Großbritannien, die den US-Vorstoß begrüßten oder praktisch unterstützen – und jenen, die diesem ablehnend gegenüberstanden, mit Rückhalt in einer breiten Öffentlichkeit, allen voran Frankreich und Deutschland. Der transatlantische Konflikt war damit auch ein innereuropäischer und hatte das Fehlen einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie schmerzhaft ins Bewusstsein gerufen. Vor diesem Hintergrund war Javier Solana, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, beauftragt worden, eine Europäische Sicherheitsstrategie (EES) zu entwerfen, die bereits im Dezember 2003 vom Rat der Europäischen Union in Brüssel beschlossen wurde.71 Um eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie die EU einen globalen Raum entwirft, innerhalb dessen sie sich positioniert und zu dem sie sich über ihre Grenzen hinweg in Beziehung setzt, hält diese Sicherheitsstrategie einige wichtige Anhaltspunkte bereit. Ähnlich wie in der Erklärung von Laeken wurde hier das EU-Erfolgsnarrativ mit dem Ausdruck einer latenten Sorge um die Beherrschbarkeit einer sich wandelnden Weltordnung kombiniert: Nie zuvor ist Europa so wohlhabend, so sicher und so frei gewesen. […] Die Schaffung der Europäischen Union steht im Mittelpunkt dieser Entwicklung. […] Durch die zunehmende Öffnung der Grenzen seit dem Ende des Kalten Krieges ist ein Umfeld entstanden, in dem interne und externe Sicherheitsaspekte nicht mehr voneinander zu trennen sind. […] Wir leben in einer Welt, die bessere Zukunftschancen bietet, uns gleichzeitig aber auch größeren Bedrohungen aussetzt als dies in der Vergangenheit der Fall war.72 71 Rat(11); zur Diskussion der EES siehe u. a. Biscop; Toje. 72 Rat(11), S. 3f, S. 8.

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An dieser Stelle wurden die Bedrohungsszenarien allerdings genauer kartiert als noch ein paar Jahre zuvor. Eigentümlich ist hier nicht nur die Verschränkung von innerer und äußerer Sicherheit, infolge derer konsequenterweise auch der Bereich Justiz und Inneres in die Sicherheitsstrategie Aufnahme fand, sondern auch das Wechselspiel zwischen einer Nah- und einer Fernoptik. Zunächst wurden die »globalen Herausforderungen« aufgezählt: die durch die Globalisierung erzeugte Abhängigkeit Europas, mithin seine »Anfälligkeit«73 für weltweite, vernetzte Prozesse als auch für die durch Armut und neue Krankheiten verursachten Sicherheitsrisiken. Dazu gehörten auch Migrationsbewegungen und die Abhängigkeit Europas von weltweiten Energieströmen. Die »Hauptbedrohungen« waren jedoch Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, das Scheitern von Staaten sowie organisierte, grenzüberschreitende Kriminalität, einschließlich der illegalen Migration. Anschließend wurde die Geografie dieser Bedrohungen expliziert. Dabei unterschied die Strategie zwischen einer unmittelbaren Nachbarschaft – Balkan, Südkaukasus, Mittelmeerraum und Naher Osten – und entfernteren Regionen. Hier handelte es sich erstens um einen Gürtel von Zentral- bis nach Süd- und Südostasien, und zweitens um den subsaharischen Streifen von Westnach Ostafrika (genannt werden Somalia, Liberia und »Westafrika«). Dies waren in der Deutung der EES jedoch nicht nur jene Räume, in denen die Sicherheitsbedrohungen entstehen, die dann an und über EUropäischen Grenzen wirksam werden und an diesen bekämpft werden müssen, sondern gleichzeitig Handlungsräume für ein konzertiertes EUropäisches Vorbeugen und Heilen: Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art.74 Diese Dynamik erforderte nach dieser Argumentation neben einem » frühzeitige[n], rasche[n] und wenn nötig robuste[n] Eingreifen«75 vor allem langfristige Strategien: multilaterale Zusammenarbeit im transatlantischen Rahmen, mit und in der UN sowie anderen regionalen Organisationen wie MERCOSUR 73 Ebd., S. 4. 74 Ebd., S. 9. 75 Ebd., S. 13.

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und der Afrikanischen Union aber auch vor allem die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit an sicherheitspolitischen Erwägungen. Die gleiche räumliche und operative Logik prägte die etwa zur gleichen Zeit forcierte europäische Migrations- und Grenzpolitik: der Entwurf exterritorialer Handlungsräume, geografisch fast identisch mit denen der Sicherheitsstrategie; das Zusammenspiel aus Entwicklungs- und Sicherheitskonzept bei der Suche nach geeigneten Gegenmaßnahmen sowie die Einbindung von Nachbarstaaten und Beitrittskandidaten in die Gestaltung einer neuen regionalen Sicherheitsordnung. Ein Jahr später leitete der Europäische Rat mit dem »Haager Programm« eine zweite Phase der europäischen Migrations- und Grenzpolitik ein. In dem ebenfalls auf fünf Jahre angelegten Programm wurden die Bemühungen in drei Richtungen verstärkt: Zum einen wurden umfangreiche finanzielle, politische und personelle Ressourcen mobilisiert, um den Schutz der Außengrenzen, zunächst der südlichen (See-)Grenzen, dann der östlichen und südöstlichen Grenzen zu verstärken. Zum anderen wurden eine Reihe von Maßnahmen und Programmen aufgelegt, die sich an Herkunfts- und Transitländer richteten – in einem ersten Schritt vor allem an jene im nördlichen und subsaharischen Afrika, in einem zweiten Schritt an die in der östlichen und südöstlichen Nachbarschaft, mit dem Balkan als Pilotgebiet und dann auch im Osten. In diesen der EU-Grenze weit vorgelagerten Gebieten sollte die Migrationsproblematik für die EU frühzeitig und exterritorial entschärft und eingedämmt werden. Und schließlich »entdeckte« die EU – hier hat vor allem die Kommission eine Reihe von konzeptionellen Vorschlägen unterbreitet – nicht nur neue Räume, die zu regulieren Voraussetzung für die Bewältigung von Einwanderung und unerwünschten grenzüberschreitenden Bewegungen sein müsste, sondern die Ströme selbst als Objekt der politischen Kontrolle: Die bereits 2000 von der Kommission formulierte Einsicht, dass »Maßnahmen in sämtlichen Phasen der Migrationsströme erforderlich [sind], damit die legalen Möglichkeiten für die Aufnahme von Migranten und jener, die aus humanitären Gründen Schutz suchen, gewährt werden und zugleich die illegale Einwanderung bekämpft wird«,76 übersetzte sich nach 2004 in Konzepte der »zirkulären Migration«,77 der »Migrationsrouten«,78 neue Anreize 76 KOM (2000) 757 endg., S. 11. 77 KOM (2007) 248 endg. 78 KOM (2005) 621 endg.; KOM (2007) 247 endg., S. 2 sowie dem Glossar im Anhang des Dokuments.

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zur »Rückkehrmigration« und die Erwägung von »Mobilitätspartnerschaften«79 mit Drittländern. Außerdem sollten Migranten und Diasporagruppen in ein breit angelegtes Migrationsmanagement einbezogen werden. Das Zusammenspiel zwischen finanzieller, technologischer und personeller Aufrüstung an der Grenze, der Exterritorialisierung des Migrationsregimes und dem Versuch der Systematisierung, Steuerung und Umlenkung der Migrationsströme erreichte in den Jahren zwischen dem Haager Programm80 und dem 2010 beschlossenen Stockholmer Programm81 eine große Virtuosität. All dies wurde als »Gesamtansatz zur Migrationsfrage« oder »global approach to migration«82 zusammengefasst, der im Laufe der Zeit nicht nur Afrika und Osteuropa, sondern auch Asien (insbesondere China), Lateinamerika und die Karibik zumindest als Zielgebiete zu benennen begann. Dies ist u. a. auf die Einführung des Mehrheitsentscheidungsverfahrens in diesen Bereichen seit 2005 zurückzuführen. Der Aufwuchs der für diese Maßnahmen bereitgestellten Haushaltsressourcen verdeutlicht ebenfalls die rapide wachsende Bedeutung der Migrations- und Grenzpolitik für die Europäische Union. Innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung 2007–2013 gelang es der Kommission, ein Rahmenprogramm »Solidarität und Steuerung der Migrationsströme« mit insgesamt fast sechs Milliarden Euro über den gesamten Zeitraum verteilt durchzusetzen,83 das vier Fonds umfasste: den Fond zum Schutz der Außengrenzen (2,152 Mrd. €), den Rückkehrfond (759 Mio. €), den Flüchtlingsfond (1,184 Mrd. €) und den Fond für die Integration von Drittstaatsangehörigen (1,771 Mrd. €).84 Aus diesen Fonds 79 Rat(17); Rat(20). 80 Rat(13). 81 Rat(21); KOM (2010) 171 endg. 82 Rat(14); KOM (2006) 735 endg. 83 Im Vergleich zu anderen Haushaltszielen nimmt sich dies jedoch vergleichsweise bescheiden aus. 2007 belief sich der Gesamthaushalt der EU auf 126,5 Mrd €, Programme für den Aufbau des europäischen »Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts«, zu denen auch der Außengrenzschutz und die Migrationspolitik gehören, machten mit 0,62 Mrd. € etwa 0,5 % des Haushalts aus (im Vergleich: Wachstum, Beschäftigung, Kohäsion 37,3 %, Landwirtschaft 44,4 %). 2008 steigerte sich der Anteil auf knapp 1 % mit 0,7 Mrd. €, in einem auf insgesamt auf 129,1 Mrd. € angewachsenen Haushalt (im Vergleich: Wachstum und Kohäsion 45 %, Landwirtschaft 40 %). 2009 schließlich, als der EU-Hauhalt 133,8 Mrd. € umfasste, stellte der »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« 1,1 % oder 0,86 Mrd. € (im Vergleich: Wachstum und Kohäsion 45 %, Landwirtschaft 41,9 %). Damit wies dieser Haushaltsbereich die höchsten Steigerungsraten innerhalb des Haushalts auf, die jeweils deutlich über 10 % lagen. 84 KOM (2005) 123 endg., S. 11; diese Zahlen werden auch auf der Internetseite für dieses Rahmenprogramm genannt (Rahmenprogramm für Solidarität und Steuerung der Migrationsströme für den Zeitraum 2007–2013, Übersicht); allerdings finden sich in anderen Kommissionsdokumenten abweichende Zahlen, u. a. in KOM (2006) 735 endg., S. 12; Da

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werden Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene finanziert, die Mittel verwaltet die Kommission gemeinsam mit den jeweiligen Mitgliedsstaaten. Zusätzlich zu diesen Projekten, gemeinsamen Operationen, Integrationsmaßnahmen und regionalen Flüchtlingsprogrammen wurde die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX im Finanzrahmen 2007–2013 mit 285,1 Mio. € ausgestattet. Der Haushalt dieser Agentur ist in den letzten Jahren rapide gewachsen: Waren Anfang 2006 noch 12,4 Mio € bewilligt worden, stieg das Haushaltsvolumen nach Berichtigungen und Nachverhandlungen bereits bis zum Ende des gleichen Jahres auf 19,2 Mio €,85 2007 verfügte die Agentur schon über 42,2 Mio €.86 Und 2008 wuchs das Budget gegenüber dem Vorjahr nochmals um knapp 70 % auf 70,4 Mio €.87 Der verabschiedete EU-Haushalt 2009 wies FRONTEX 78 Mio € zu,88 und 2010 schließlich 83 Mio €.89 Doch nicht nur die verbesserte Ausstattung mit Ressourcen, sondern auch die Weiterentwicklung europäischer Grenzschutzpraktiken hat die Herausbildung eines tatsächlichen EU-Grenzregimes beschleunigt. Dazu gehören u. a. die Einführung sogenannter RABITs90 – Krisenreaktionsteams, die auf Anfrage eines Mitgliedsstaats zur schnellen Bewältigung einer kritischen Situation an der Außengrenze zur Verfügung gestellt werden – der Schengener Grenzco-

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noch nicht alle Haushalte innerhalb dieses Finanzrahmens verabschiedet wurden, ist die tatsächliche Ausgabenhöhe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu benennen, jedoch ist auch hier der Aufwuchs sowohl für den Titel 18 (Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts), in den dieses Rahmenprogramm fällt, als auch für den Titel 19 (Außenbeziehungen), der seit 2007 den Haushaltstitel 19 02 »Multilaterale Beziehungen, Zusammenarbeit in den Bereichen Migration und Asylpolitik und allgemeine Außenbeziehungen« enthält, klar zu erkennen. Die Titel 18 02 (Außengrenzen, Visapolitik und Freizügigkeit von Personen) sowie 18 03 (Gemeinsame Immigrations- und Asylpolitik) umfassten 329,2 Mio € bzw. 71,4 Mio € Verpflichtungen im Jahr 2004; 238,2 Mio € bzw. 149 Mio € im Jahr 2007; 282,1 Mio € bzw. 166,8 Mio € im Jahr 2008 und 338,5 Mio € bzw. 282,1 Mio € im Jahr 2009. (Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplanes der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2006, S. II/937; Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplanes der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2007, S. II/917; Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplanes der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2008, S. II/681; Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplanes der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2009, S. II/681). FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 5. FRONTEX-Jahresbericht 2007, S. 12. FRONTEX-Jahresbericht 2008, S. 21. Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplanes der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2009, S. II/695. Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplanes der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2010, S. 1015. KOM (2006) 0401 endg.; Verordnung (EG) Nr. 863/2007, S. 30–39.

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dex91 und das Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II)92. Hinzu kommen ein europäisches Küstenpatrouillennetz93 sowie das europäische Grenzüberwachungssystem EUROSUR94 – bei beiden fungiert FRONTEX als zentrale Koordinationsinstanz. Das Streben nach lückenloser Überwachung von Personenmobilität an den Grenzen und innerhalb des EU-Raums, die Vernetzung der Kontroll- und Eingreifinstanzen sowie deren technologische und personelle Aufrüstung auf EUropäischer Ebene waren die wesentlichen Kennzeichen der EUropäischen Grenzpolitik jener Jahre. Dies war allerdings begleitet nicht nur von einer erhöhten Aufmerksamkeit für exterritoriale Herkunfts- und Transiträume der illegalen Migration, die als dringlichste Bedrohung angesehen wurde, insbesondere an den südlichen Seegrenzen, sondern auch von der wachsenden Erkenntnis, dass die Kontrollfähigkeit und Kontrollbereitschaft auch in der unmittelbaren Nachbarschaft gesteigert werden müssten. Das konnte aber nur gelingen, wenn Anreize für die Übernahme von Überwachungs- und Schutzfunktionen geschaffen wurden. Die parallel zur Umsetzung des Haager Programms entwickelte Europäische Nachbarschaftspolitik stand in gewisser Spannung zu der forcierten Schaffung eines »Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«,95 obwohl die Nachbarschaftspolitik als Instrument einer sicherheits91 KOM (2004) 0391 endg.; Verordnung (EG) Nr. 562/2006, S. 1; Dieser Kodex regelt detailliert das Verfahren der Grenzkontrolle, wie und wo Einreisestempel anzubringen sind, die zu überprüfenden Voraussetzungen für die Einreise bis hin zur Gestaltung und Ausschilderung des Grenzbereichs, um Personengruppen voneinander getrennt kontrollieren zu können. 92 Das Schengener Informationssystem ist eine vernetzte Datenbank, auf die die nationalen Grenzkontroll-, Zoll- und Polizeibehörden zu Überprüfungs- und Fahndungszwecken Zugriff haben. Die Daten werden dezentral durch die Schengenstaaten eingespeist. Bei jedem Grenzübertritt werden die personenbezogenen Daten aus den Reisedokumenten erhoben und mit der Datenbank abgeglichen. Zu den Datenkategorien gehören auch Einreiseverbote und Visaverletzungen. SIS II ist einerseits eine technische Weiterentwicklung dieser Datenbank, auch um die Aufnahme neuer Schengenstaaten und damit das rapide Anwachsen des Datenpools bewältigen zu können. Außerdem ist nun die Möglichkeit zur Speicherung von Fingerabdrücken und biometrischen Daten vorgesehen. Andererseits untersteht SIS II administrativ-technisch nicht mehr der Verantwortung der Schengenstaaten sondern unter der Verantwortung einer eigenen Verwaltungsbehörde. 2001 hat es den ersten Ratsbeschluss zur Entwicklung des SIS der zweiten Generation gegeben, 2005 und 2006 wurden durch Kommission und Rat die Funktionsweisen konkretisiert. Die Inbetriebnahme des SIS II war 2007 (nach Verzögerungen) die Voraussetzung für die Erweiterung der Schengenzone um die neuen EU-Mitglieder. 93 KOM (2006) 733 endg. 94 KOM (2008) 68 endg. 95 Trauner u. Kruse; Wichmann; Lavenex u. Wichmann.

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orientierten Außenpolitik der Logik der verstärkten Grenzsicherung folgte.96 Diese Spannungen in und mit der Nachbarschaft zeigten sich u. a. beim Versuch, mit möglichst vielen neuen Nachbarn Rücknahmeabkommen zu schließen. Diese schufen eine vorgelagerte Grenzlinie und übertrugen Selektions- und Schutzfunktionen der Grenze auf Drittstaaten. Sie zielten darauf ab, Migrationsströme umzuleiten, noch bevor diese die EU-Grenze erreicht hatten. Sie sind eine Variante der von Aristide Zolberg für die USA bereits für das frühe 20. Jahrhundert beschriebenen »remote control«.97 Das Verfahren der EU, das zum Instrumentarium des von Didier Bigo beschriebenen »policing at a distance«98 gehört, reguliert die Zuwanderung bereits im Ergänzungsraum, der entsprechend vorbereitet werden muss.99 Bigo wählt diesen Begriff im Unterschied zu Zolbergs »remote control«, weil er zum einen den Prozesscharakter betonen will und zum anderen das Hauptaugenmerk nicht auf den Einsatz von Polizei, sondern auf die Verfeinerung von Identifikationsverfahren legt. Zolbergs Studie wiederum verdeutlicht, dass es sich bei den Exterritorialisierung des EU-Grenz- und Migrationsregime nicht um eine Neuerfindung der EU handelt, sondern dass dieses Instrumentarium frühzeitig zum Repertoire auch von Nationalstaaten gehörte. Die EU musste schnell einsehen, dass die Verlagerung der Kosten ihrer Migrationspolitik in Drittstaaten in ihrer Nachbarschaft, denen sie nicht unmittelbar den Anreiz einer baldigen Mitgliedschaft bieten konnte (bzw. die diese mitunter gar nicht anstrebten), nur über die Gewährung anderer Anreize, und hier vor allem von Visaerleichterungen, zu erreichen war.100 Bereits 2002 hatte der Rat erkannt, dass der Ausbau von Regelungen für den sogenannten kleinen Grenzverkehr an den Grenzen der zukünftigen Mitgliedsstaaten zu den dann neuen Nachbarn gewissermaßen als flankierende Maßnahme zweiter Ordnung für eine verstärkte Grenzsicherung an den neuen Außengrenzen notwendig werden würde. Dies hatte die Kommission 2003 nochmals bekräftigt.101 Sie hatte daraufhin im Februar 2005 einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt,102 der im Dezember 2006 von Rat und Parlament beschlossen wurde.103  96 Aliboni.  97 Zolberg, S. 75 f.  98 Bigo, Policing.  99 Für einen Vergleich zwischen EUropäischen und australischen Praktiken siehe die noch unveröffentlichte Dissertation von Adèle Garnier, The limits und Garnier, Limits of control. 100 Vgl. hier und im Folgenden u. a. Trauner u. Kruse. 101 Rat(9); KOM (2003) 323 endg. 102 KOM (2005) 56 endg. 103 Verordnung (EG) Nr. 1931/2006.

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Mit weiteren Maßnahmen zur Visaerleichterung wurden zusätzliche Anreize zur Übernahme von Kosten der EU-Migrationspolitik geschaffen. Als erste Staaten kamen die Russische Föderation (Juli 2004) und die Ukraine (November 2005) in den Genuss von Visaerleichterungen. Die Verhandlungen sowohl zu den Rücknahmeabkommen, als auch für die Visaerleichterungen kamen im Mai bzw. im Oktober 2006 für beide Staaten zum Abschluss. Imke Kruse und Florian Trauner haben die westlichen Balkanstaaten als wichtige Laboratorien für die Verbindung beider Verfahren ausgemacht.104 In diesen Ländern sei die Hoffnung auf die baldige Aufnahme und Abschluss für Beitrittsverhandlungen besonders groß, weshalb die Kommission hier also über eine besonders große Verhandlungsmacht verfüge. Nachdem sich am Beispiel der Russischen Föderation, der Ukraine und auch Moldovas105 herausgestellt hatte, wie nützlich die Verbindung dieses Anreizes mit einer restriktiveren Migrationspolitik sein konnte, wurden Visaerleichterungen später von Anfang an in die Aushandlung von Rücknahmeabkommen einbezogen, nicht nur für die Länder des westlichen Balkan, sondern auch für Länder des nördlichen Afrika. Hier hatte ein Lernprozess stattgefunden, der sich später im Konzept der sogenannten »Mobilitätspartnerschaften« niederschlug. Während der Umsetzung des Haager Programms war also nicht nur das Restriktionspotential des EU-Grenz- und Migrationsregimes gestiegen, dieses war auch an seine Grenzen gestoßen und wurde deshalb zunehmend mit gewissen Anreizen kombiniert. Das fiel möglicherweise um so leichter, je besser einsatzfähig und ausgestattet solche Agenturen wie FRONTEX geworden waren. Diese Flexibilisierung­ – in gewisser Weise Ausdruck eines erhöhten Selbstvertrauens im Umgang mit den Herausforderungen einer neuen, instabil gewordenen Weltordnung – fand seine Entsprechung auch in Versuchen der Europäischen Kommission, ein positiveres Globalisierungsverständnis zu etablieren. In ihrer 2005 veröffentlichten Mitteilung »Europäische Werte in einer globalisierten Welt« als Beitrag zum Oktober-Gipfel des Europäischen Rats106 räumte sie zwar ein, dass der globale Wettbewerb, insbesondere aus Asien, härter geworden sei, allerdings sei Globalisierung an sich kein Grund zur Sorge, sondern könne vielmehr als Chance verstanden werden. Zu dieser Beruhigungsrhetorik gehörte es auch, die Globalisierung nicht als ein neues Phänomen zu charakterisieren – lediglich ihr Tempo sei gegenwärtig zugegebenermaßen »atemberaubend«.107 104 Trauner u. Kruse. 105 U. a. Reinhardt. 106 KOM (2005) 525 endg. 107 Ebd., S. 4.

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Und es sei auch richtig, dass die Mitgliedsstaaten allein dieser Herausforderung nicht gewachsen seien, jedoch – und diese Wendung kann als ein gutes Beispiel für die Legitimierung institutionellen Eigeninteresses verstanden werden – stelle die Union eine »mittlere Ebene […] zwischen nationalem Handeln und internationaler Ebene«108 bereit und habe sich als »ein erfolgreiches Beispiel von ›Globalisierung‹ auf regionaler Ebene«109 erwiesen. Anders als bei den noch Anfang der zehner Jahre des 21. Jahrhunderts geäußerten Unsicherheiten ob einer zersplitterten, schwer kontrollierbaren und dynamischen Welt hatte ein räumlich-mentaler Ordnungsprozess stattgefunden, in dem Vorgänge auf verschiedenen räumlichen Ebenen – national, regional, global – neu verortet wurden und sich im Spiel zwischen und mit diesen Ebenen bedeutsame Ressourcen eröffneten. Die Union habe, so geht das Argument weiter, eine Reihe von Strategien entwickelt, zu denen auch der »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« und »externe Instrumente« wie Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik gehören, »mit denen wir Wachstum fördern und unsere Werte über unsere Grenzen hinaus projizieren können«.110 Blickte die EU ein paar Jahre zuvor noch sorgenvoll nach außen und plädierte dafür, die Grenzen vor unerwünschten Strömen von Menschen und Gütern zu schützen, wurde hier recht selbstbewusst das Potential von Ergänzungsräumen für die Verbesserung der globalen Position der EU angesprochen. Die Aktionsrichtung der EU hatte sich verändert. Noch deutlicher wurde dieser Wandel in der zwei Jahre später von der Kommission veröffentlichten Mitteilung »Das europäische Interesse: Erfolg im Zeitalter der Globalisierung«.111 Die EU habe mit ihren nun 27 Mitgliedsstaaten eine »kritische […] Masse« und einen »Wirkungsbereich« erlangt, »deren Potential voll ausgeschöpft werden sollte [und die] dem europäischen Kontinent die Möglichkeit eröffnet, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen«.112 Die EU habe »ein offenkundiges Interesse daran, dass die Weltordnungspolitik Regeln folgt, die ihre Interessen und Werte widerspiegeln« und bei der »Anerkennung europäischer Werte weltweit kann [… sie …] Erfolge verbuchen«.113 Dieses Selbstbewusstsein bildete die Grundlage einer offensiveren Globalisierungsdeutung im Rahmen der Nachbarschaftspolitik, die zum »Globalisierungsmanagement« wurde. 108 Ebd., S. 8. 109 Ebd. 110 Ebd. 111 KOM (2007) 581 endg. 112 Ebd., S. 3. 113 Ebd., S. 4.

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Vor dem Hintergrund einer solchermaßen behaupteten Handlungsmacht außerhalb des europäischen Raumes konnte es offensichtlich auch gewagt werden, über bestimmte Konzepte von Migration, die jahrzehntelang handlungsleitend für die Verschärfung der europäischen Grenz- und Migrationspolitik gewesen waren, neu nachzudenken. Im Abschnitt »Migration in einem globalisierten Europa« derselben Mitteilung heißt es: In einem Europa ohne Binnengrenzen geraten die überkommenen Vorstellungen von Migranten aus Drittstaaten angesichts des sich ändernden Bedarfs einer alternden Gesellschaft und eines sich ständig wandelnden Arbeitsmarkts ins Wanken. Es bedarf einer neuen Gesamtstrategie, damit mögliche Engpässe auf dem Arbeitsmarkt, wirtschaftliche Auswirkungen und negative soziale Folgen durch Migration in einer Weise aufgefangen werden können, die mit integrations- und außenpolitischen Zielen in Einklang steht.114 Es wurde an dieser Stelle zwar nicht weiter ausgeführt, worin sich die neuen von den »überkommenen Vorstellungen« unterscheiden müssten, in der Zusammenschau mit anderen Kommissionsinitiativen, die die Bedeutung der Zuwanderung für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Union hervorhoben, lässt sich jedoch vermuten, dass die Kriminalisierung illegaler Migration flankiert werden sollte durch ein etwas positiveres Bild von Migranten, nämlich dasjenige eines Menschen, der für die wirtschaftliche und sozialen Interessen der Union nützlich werden könnte. Die angemahnte Gesamtstrategie sollte dabei Handeln nach innen (Integration) mit Aktion nach außen verbinden. Bei der Bestimmung des EUropäischen Raums, seiner Grenzen und seiner Positionierung in einem globalen Umfeld wurden drei Aspekte in einen komplexen Zusammenhang gebracht: erstens die Gestaltung eines Binnenraums ohne Grenzen als einen einheitlichen Rechts- und Mobilitätsraum; zweitens dessen Außengrenzen, die als Filter und Barriere wirksam werden sollten; und drittens die Erfassung eines Außenraumes der näheren und entfernteren Nachbarschaft, der gemäß dem Normengefüge und den Kontrollansprüchen der EU umgeformt werden sollte. Vor diesem Hintergrund wurde im Dezember 2009 vom Rat in Brüssel die Fortsetzung des Haager Programms, das Stockholmer Programm, beschlossen

114 KOM (2007) 581 endg., S. 5.

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und im April 2010 durch einen Aktionsplan der Kommission präzisiert.115 Die Mitteilung der Kommission beschwor zwar wieder ein gewisses Bedrohungsszenario, das seine Konturen 2010 durch die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise erhalten hatte.116 Einig waren sich Rat und Kommission jedoch, dass in den vergangenen Jahren ein hohes Maß an Handlungsfähigkeit erreicht worden sei. Das Stockholmer Programm führte die Aspekte der bisherigen Entwicklung – verstärkte Grenzsicherung, exterritoriale Handlungsräume sowie die selektive Flexibilisierung und Liberalisierung der Migrationspolitik – zusammen und wollte diese jeweils noch intensiviert sehen: FRONTEX sollte langfristig zu einer europäischen Grenztruppe weiterentwickelt, EUROSUR, das europäische Grenzüberwachungssystem, ausgebaut werden. Gleichzeitig müsse der »Zugang zu Europa« für »Geschäftsleute, Touristen, Studenten, Wissenschaftler, Arbeitnehmer, Personen, die internationalen Schutz benötigen, und s­ onstige Personen mit einem berechtigten Interesse an der Einreise in das Gebiet der EU«117 – also für gut ausgebildete Wirtschaftsmigranten sowie Flüchtlinge und Asylsuchende – einfacher und legalisiert werden. Visaerleichterungen nach erbrachter Gegenleistung seien ebenso wie die Einbindung von Drittländern und Diasporagruppen im Rahmen einer umfassenden Migrationspolitik weiterzuverfolgen. Die geografischen Schwerpunkte des Programms entsprachen den bereits erläuterten traditionellen Kernen: neben den Bewerberländern gehörten dazu die Staaten der Europäischen Nachbarschaftspolitik, dabei vor allem die östlichen und südöstlichen Ländergruppen. Gesondert wurden Balkan, Mittelmeeraum und die Schwarzmeerregion hervorgehoben. Zu Westafrika und Asien – bereits in der Sicherheitsstrategie von 2003 als strategisch bedeutsame Regionen identifiziert – kamen nun, vorbereitet durch den »global approach to migration« und die daran anschließenden Kommissionsinitiativen, Lateinamerika und die Karibik hinzu. Die jeweiligen Aufgaben für die Zielregionen spezifizierte der von der Kommission ausgearbeitete Aktionsplan. In den Ländern des westlichen Balkan zielten die Bemühungen vor allem auf Reformen in diesen Ländern ohne unmittelbarem Bezug zur Grenz- und Migrationspolitik der EU (Korruptionsbekämpfung, Justizreform). Für alle anderen Regionen spielten Grenzsicherung und Migrationspolitik eine mehr oder minder große Rolle: In der östlichen Nachbarschaft in Verbindung mit Vorhaben zur Visaerleichterung, im Mittelmeerraum mit Betonung auf Grenzüberwachung 115 Rat(21); KOM (2010) 171 endg. 116 Ebd., S. 2. 117 Rat(21), S. 4.

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und Rücknahmeabkommen, in »Afrika« einschließlich regionaler Schutzprogramme (Flüchtlingshilfsprogramme vor Ort), neben Grenzmanagement und Migration. Für Lateinamerika (Brasilien u. a.) und die Karibik wurde die Liste durch Drogenprävention ergänzt, Zentralasien geriet zusätzlich in Bezug auf Terrorismusbekämpfung ins Visier, und für China und Indien wurde der Schutz des geistigen Eigentums mit auf die Agenda gesetzt.118 Auf diese Weise entwarf die EU einen differenzierten globalen Aktionsraum, mit einem abgestuften Instrumentarium und variablen Zielvorgaben dafür, wie welcher globale Teilraum zur EU in Beziehung zu setzen sei. Das Stockholmer Programm konnte dabei auf die Entwicklung eines konzeptionellen und strategischen Repertoires zurückgreifen, dessen Wandel in den Folgenden genauer untersucht wird. Die globale Positionierung der EU hatte sich hinsichtlich ihrer Migrationsund Grenzpolitik seit dem Gipfel von Tampere verändert. Ausgangspunkt für den Entwurf eines EU-Binnenraums und seiner Grenzen sowie des anschließenden Außenraums war eine deutlich artikulierte Unsicherheit über den Zustand der Union und die Zukunft des Integrations- und Erweiterungsprozesses einerseits, und über die Zersplitterung der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges, mit den Balkan- und Irakkriegen und dem Kampf gegen den Terror nach dem 11. September 2001 andererseits. Die Antwort auf diese Unsicherheit war die Versicherheitlichung der Grenz- und Migrationspolitik. Globale Migrationsströme erschienen – auf Entwicklungen vor 1989 aufbauend – als neue herausragende Sicherheitsbedrohung, Grenzschutz und restriktive Migrationspolitik wurden in der Konsequenz verschärft. Seit Mitte der 2010er Jahre begann die EU, vor allem auf Initiative der in dieser Sicht optimistischeren Kommission, Globalisierungsprozesse zunehmend als Chance zu verstehen, als Reservoir von Möglichkeiten, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU und die ihrer Mitgliedsstaaten zu steigern. Ein größeres Selbstbewusstsein in der Welt – durch die Erklärung von Laeken und die Europäische Sicherheitsstrategie bereits angedeutet – wuchs seit 2006 noch. Die EU-Nachbarschaft, aber auch entferntere Regionen wurden zunehmend als Aktions- und Zielregionen betrachtet, deren Entwicklung Folgen für das Wohlergehen der EUropäischen Gesellschaften haben würde. Diese Entwicklungen wurden dabei nicht von allen Akteuren innerhalb des EU-Institutionengefüges gleichermaßen mitgetragen: Die Versicherheitlichung trieb vor allem der Europäische Rat voran, während das Europäische Parlament als Kritiker dieser Strategie auftrat und die Stärkung der humanitären 118 KOM (2010) 171 endg., S. 64–66.

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Dimension in der EU-Grenz- und Migrationspolitik forderte. Die Kommission, einerseits konfrontiert mit nur mäßigen Erfolgen bei der Umsetzung einer restriktiven Migrationspolitik – beispielsweise bei der Aushandlung der Rücknahmeabkommen – und andererseits um die Erfüllung der sogenannten Lissabon-Agenda bemüht, setzte ihrerseits vermehrt Akzente zur Entwicklung einer flexibleren, von volkswirtschaftlichen Interessen geleitete Migrationspolitik.

Variable Geografien I: Was ist die EU-Außengrenze und wo wird sie gesichert? Der Blick auf den Wandel des Grenzbegriffs in den Dokumenten vor allem der Europäischen Kommission macht zweierlei deutlich: Zum einen bildete sich langsam eine Sprache und Systematik bei der Ordnung des »Problems Grenze« für die EU heraus, zum anderen war die Herstellung eines europäischen Grenzregimes weniger von Paradoxien und Widersprüchen geprägt, als es die Forschungsdiskussion vielfach nahe legt, die den unklaren, widersprüchlichen Charakter des EU-Grenzregimes immer wieder betont.119 Vielmehr lässt sich in den Kommissionsdokumenten der beharrliche Versuch belegen, Herr eines – zugegebenermaßen komplexen – Problems zu werden. Diese Aushandlung ist unbestritten ausgesprochen kakofon und nicht einfach zu überblicken, was diese Arbeit vor eine gewisse darstellerische Herausforderung stellt. Aber es lassen sich bestimmte Logiken rekonstruieren, innerhalb derer das Zusammenspiel verschiedener Strategien nicht »paradox«, sondern eigentlich einigermaßen konsequent – jedenfalls aus Sicht der supranationalen Institutionen – ist. Im Zuge der Umsetzung des Tampere-Programms, also zwischen 1999 und 2004, entwickelten Rat und Kommission eine immer klarere Vorstellung von der Notwendigkeit und den Formen eines »integrierten Managements an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten«, für das die Kommission im Mai 2002

119 Für das Problem werden verschiedene Begriffe gefunden, z. B. »fuzzy border« (Walters, S. 490); »oscilation« zwischen »soft« und »hard« borders (De Bardeleben); »elusive« oder »paradox« (Hassner, S. 44; Diez); ebenso das Bild von der »Festung Europa« vs. die EUGrenzen als Sieb (Bigo, Frontier Controls); kritisch gegenüber der Konzentration auf verschärfte Restriktion ohne Berücksichtigung der agency von Migranten: Karakayalı u. Tsianos; eine plausible dritte Analyse haben Henk van Houtum und Roos Pijpers mit dem Begriff der »gated community« entwickelt (van Houtum u. Pijpers, Towards a Gated Community; dies., The European Union); und schließlich wird versucht, die Exterritorialisierung des Grenzregimes zu erfassen (zur Debatte um diese Exterritorialisierung vgl. u. a. Transit Migration Forschungsgruppe; Tóth; Lavenex u. Ucarer; Lavenex u. Wichmann).

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einen ausführlichen Plan vorlegte,120 der im Juni desselben Jahres vom Rat beschlossen wurde,121 nachdem er in Tampere bereits 1999 den Wunsch nach einer besseren Koordinierung zwischen den Grenzkontrollbehörden der Mitgliedsstaaten geäußert hatte.122 Beide Gremien hoben das inkrementelle Vorgehen bei der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Grenzmanagements hervor – oder positiver formuliert: dessen sukzessive Dynamik.123 Insbesondere für den Rat war die Erweiterung der Union der entscheidende Anstoß, um über eine einheitliche EU-Regelung zum Grenzschutz nachzudenken, auch, weil bis dato die Regelungen und bereits vorhandenen Mechanismen noch nicht systematisch zusammengeführt worden waren, um diese den Kandidatenstaaten als einen Rechtsbestand vorzulegen, den sie übernehmen sollten. Trotz dieser frühen Hinweise auf die (Ost-)Erweiterung und damit auf die östlichen und südöstlichen (Land-)Außengrenzen der erweiterten Union standen allerdings in den Folgejahren zunächst die südlichen Seegrenzen im Zentrum der Anstrengungen von Kommission und Rat. Was besondere Sorge bereitete, waren die sogenannten »security differentials between sections of external borders controlled by different Members States«,124 also unterschiedliche »Sicherheitsniveaus« oder »Sicherheitsverzerrungen«, die sich nicht nur aus unterschiedlichen geografischen Gegebenheiten und der regionalen Spezifik, sondern vor allem aus den Unterschieden zwischen den nationalen Praktiken und Regelungen an den einzelnen Grenzabschnitten ergaben. Welche Abschnitte der EU-Außengrenze vor diesem Hintergrund besonders problematisch sein könnten, wurde in diesen Dokumenten jedoch nicht präzisiert.125 Diese grundsätzliche Beobachtung speiste sich offensichtlich aus der Konfrontation mit den teilweise erfolgreichen Versuchen von Einwanderungswilligen, die Differenzen zwischen den nationalen Regelungen kreativ zu nutzen.126 Vereinheitlichung, also der Weg zu einer »echten« EU-Außengrenze, an der an jeder Stelle auf die gleiche Art und Weise die glei120 COM (2002) 233 final. 121 Rat(7). 122 Rat(2). 123 COM (2002) 233 final, S. 5.; Rat(7), S. 27. 124 COM (2002) 233 final, S. 10; Rat(7), S. 9. 125 Darüber geben eher die Jahresberichte von FRONTEX Aufschluss (Frontex-Jahresberichte 2006–2008). 126 Ob und wie viele Fälle der »illegalen« Einwanderung in die EU in diese Kategorie gehören, ist jedoch nur schwer zu bestimmen. Die damit betrauten Agenturen, wie FRONTEX oder EUROPOL, stoßen bei der Messbarkeit des Phänomens »illegale Migration« an ihre Grenzen.

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chen Menschen und Güter selektiert, abgewehrt oder hindurchgelassen würden, erschien als Lösung des Problems. Dazu gehörte auch die Klärung grundsätzlicher Begriffe. Zunächst musste die Funktion der Außengrenzen127 bestimmt werden. Diese sollten »a barrage, or at least a reliable filter«128 gegen potentielle Gefahren sein. Das waren nicht nur Gefährdungen der inneren Ordnung und Sicherheit der Mitgliedsstaaten der Union. Die Grenze sollte sich gewissermaßen darüber hinaus selbst schützen: Die Sicherheit an den Außengrenzen wurde auch als die Aufrechterhaltung der »effectiveness of checks and surveillance« bestimmt.129 Auf diese Weise wurde nicht nur ein Problem, das ein verbesserter Grenzschutz lösen sollte, überhaupt erst geschaffen – nämlich illegale Migration, die u. a. durch illegale Grenzübertritte definiert wird, da sie die »Effektivität von Kontrolle und Überwachung« in Frage stellt – sondern auch Grenzschutz durch sich selbst legitimiert. Die Unterscheidung von »checks« und »surveillance« markierte darüber hinaus die beiden hauptsächlichen Modi der Grenzkontrolle und präzisierte das räumliche Konzept der Grenze: »checks« – Kontrollen – richteten sich auf Personen an Grenzübergangsstellen, während »surveillance« – Überwachung – Operationen zwischen diesen Grenzübergangspunkten meinte, mit denen die Umgehung der legalen Passierwege verhindert werden sollte.130 Die Grenze wurde somit als Menge von durch Zwischenräume getrennten Punkten definiert und der Aufenthalt in diesen Zwischenräumen gleichzeitig illegalisiert. Diese Punkte und Zwischenräume können als mehr oder weniger linear vorgestellt werden. Diese Linie, die Grenze selbst, war jedoch nicht der einzige Ort, an dem Grenzschutz stattfinden sollte. Denn ebenfalls in dieser frühen Phase der Entwicklung eines europäischen Grenzregimes wurde dessen Wirkungsbereich auf Räume ausgedehnt, die sowohl vor als auch jenseits der Grenze lagen,131 die Grenze erhielt gewissermaßen eine zweite Dimension. Das Programm für den integrierten Grenzschutz aus dem Jahr 2002 unterschied »three strategic lines of protection at 127 In den Dokumenten wird sowohl von einer EU-Außengrenze (external border) als auch – häufiger und korrekterweise – von den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten gesprochen. Bei den Abschnitten zur Begriffsklärung der Grundsatzdokumente fehlt allerdings ein Eintrag zum Begriff der Außengrenze selbst. 128 COM (2002) 233 final, S. 25. 129 Ebd. 130 Ebd. 131 Die Bedeutung dieser Erweiterung hob 2008 auch noch einmal der Bericht der Informellen Hochrangigen Beratenden Gruppe Innenpolitik hervor [Rat(20), S. 13].

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external borders: in third countries, at the external border, and within the common area of freedom and movement.«132 Intensiv wurde an dieser und anderen Stellen auch der »Grenzvorbereich«133 behandelt, der im engeren Sinne weder zur Grenze als Summe der Grenzübergangsstellen und der dazwischen liegenden Räume zu rechnen war, noch zur zweiten strategischen Linie, den Drittländern, sondern vielmehr eine Zwischenstellung einnahm und zu einem der Hauptaktionsfelder der 2004 geschaffenen Grenzschutzagentur FRONTEX wurde.134 Auf diese Weise wurde ein Grundraster etabliert, in dem Grenzkontrollbehörden und andere mit der Grenzsicherung betrauten Agenturen agieren konnten. Es bestimmte die Grenze als Abfolge von Übergangsstellen und Zwischenräumen und erweiterte sie in einem zweiten Schritt als Aktionsraum nach innen und außen. Die begriffliche Ordnung der Grenze war um 2005/2006, also zu Beginn der Umsetzung des Haager Programms, weitgehend konsolidiert. Als Aktionsräume markiert waren damit die Grenze, die drei strategischen Dimensionen und der Grenzvorbereich. Und schließlich hatte sich die grundsätzliche Unterscheidung zwischen südlichen See- und östlichen Landesaußengrenzen herausgebildet. Mit FRONTEX war 2004 außerdem eine europäische Grenzschutzagentur geschaffen worden,135 die über die verstärkte Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten hinaus zum Motor einer weiteren Europäisierung des Grenzregimes werden konnte. Bereits 2001 waren hier von der Kommission erste Anstöße zu einer Agentur gegeben worden, die die technische Unterstützung für die operative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen übernehmen sollte,136 2002 wurden Vorschläge für eine »external borders practitioners unit« in den Plan zum integrierten Grenzschutz aufgenommen.137 Diese Einheit wurde zum Vorläufer der 2004 eingerichteten Agentur. Sie sollte nicht nur die Mitgliedsstaaten unterstützen, sondern auch eine herausragende Rolle bei der Erstellung sogenannter »Risikoanalysen« übernehmen, sowie als Koordinationsstelle für die Ausbildung nationaler Grenzbeamten fungieren. Darüber hinaus übernahm FRONTEX eine Vielzahl von operativen Aufgaben. Seit 2006 fanden jährlich umfassende Einsätze vor allem im Mittelmeer statt, bei 132 COM (2002) 233 final, S. 16; ähnlich der Rat in seinem Beschluss des Programms Rat(7), S. 23. 133 KOM (2001) 672 endg., S. 17–19; Rat(8), S. 3; KOM (2008) 68 endg., S. 9. 134 Vgl. die Jahresberichte von FRONTEX (Frontex-Jahresberichte 2006–2008). 135 Verordnung (EG) Nr. 2007/2004. 136 KOM (2001) 672 endg., S. 21. 137 COM (2002) 233 final, S. 13 f.

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denen FRONTEX die nationalen Grenzschutzbehörden unterstützte. Hier ging es um die »Verbesserung des Wissens und der Fertigkeiten der Grenzschutzbeamten«,138 u. a. durch die Entsendung von Sachverständigen und die Durchführung gemeinsamer Überwachungsaktionen an von FRONTEX identifizierten risikoreichen Abschnitten wie den Kanarischen Inseln,139 Malta und im zentralem Mittelmeer140 oder an der sogenannten »Balkanroute«.141 Über diese Maßnahmen hinaus bemühte sich die Agentur um einen gemeinsamen Lehrplan für Grenzschutzbeamte, die Organisation von Weiterbildungskursen142 sowie breit angelegte Forschungsprojekte und Machbarkeitsstudien.143Auf diese Weise entwickelte sich FRONTEX zu weit mehr als einer Koordinierungsinstanz, sondern stellte nun jene Wissensbestände und Deutungen zur Verfügung, die im Rat und der Kommission zur Grundlage für die Weiterentwicklung eines europäischen Grenzverständnisses wurden. Dabei hat die Agentur beispielsweise mit den Machbarkeitsstudien BORTEC und MEDSEA zur Verstärkung des Grenzschutzes an den südliche Seegrenzen 2006 und 2007 zwar auf Beschlüsse des Rats und Aufträge der Kommission reagiert. Bei der Erschließung und Identifizierung neuer Grenzräume, die als besonders gefährdet einzustufen seien, an denen die Qualifizierung des Grenzpersonals 138 FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 12 (Frontex-Jahresberichte 2006–2008), in Bezug auf die Operation »Poseidon«, die vor allem auf die »Balkanroute« zielte (ebd., S. 31). 139 FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 13 – dies waren die Operationen HERA I und HERA II, die als HERA III 2007 fortgeführt wurde (FRONTEX-Jahresbericht 2007, S. 23). 140 FRONTEX Jahresbericht 2006, S. 14 – dies war die Operation NAUTILUS I. 141 FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 31 – Operation POSEIDON. 142 Dies war schon in COM (2002) 233 final, S. 18 angesprochen worden und übersetzte sich u. a. in Planungen zu einer europäischen Polizeiakademie (KOM (2001) 672 endg., S. 19); KOM (2008) 67 endg., S. 5 f.; außerdem FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 19 f., FRONTEX-Jahresbericht 2007, S. 63–65, FRONTEX-Jahresbericht 2008, S. 31–33 ­ (­FRONTEX-Jahresberichte 2006–2008). 143 Besonders hervorgehoben wurden dabei vor allem zwei Studien, die sich auf die südliche Seegrenze beziehen. Erstens BORTEC als Studie zur technischen Machbarkeit eines Überwachungssystems an der gesamten südlichen Seegrenze; zweitens MEDSEA: Machbarkeitsstudie zur Stärkung des Schutzes der südlichen Seegrenze sowie Küstenpatrouillennetz unter Beteiligung der nordafrikanischen Staaten (FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 15). Ein für den Zusammenhang zwischen Raumerschließung und Grenzregime besonders interessantes Projekt ist die im Oktober 2007 begonnen Arbeiten zu einem »EU-Atlas für grüne Grenzen«, für den Pilotphasen für Bulgarien und Finnland laufen. Dieser Atlas soll einer breiteren Öffentlichkeit Informationen zu Grenzübergängen, Öffnungszeiten und benötigten Dokumenten bereitstellen – um durch diese Art von Aufklärungsarbeit gewissermaßen einer »unwissentlich illegalen« Migration vorzubeugen. Den modernen Nutzungsgewohnheiten von geografischen Daten entsprechend soll dieses Vorhaben mit Google Earth kompatibel gemacht werden. (FRONTEX-Jahresbericht 2007, S. 60–62).

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verbessert werden müsse oder die als herausragende Einfallstore für illegale Ströme von Migranten zu gelten hätten, konnte die Agentur jedoch eine eigene Agenda setzen. Die konkrete Ausgestaltung der Agentur und ihrer – sukzessive erweiterten – Befugnisse hatte ein paar Jahre in Anspruch genommen, galt es dabei doch auch, Widerstände in den Mitgliedsstaaten zu überwinden, die dem Verzicht auf nationale Kernbefugnisse wie dem Schutz der Grenzen zurückhaltend gegenüberstanden. In hohem Maße unterstützt von nationalen Sicherheitseliten,144 die durch FRONTEX eine Vergrößerung ihres Handlungsspielraums erwarten konnten, gelang die Einrichtung der Agentur dann doch. Die schnelle Ausweitung der Befugnisse und die häufiger werdenden Einsätze von FRONTEX an der Außengrenze sind ein Beleg dafür, wie schnell auch hier das institutionelle Eigeninteresse in Kombination mit den Befürchtungen der Mitgliedsstaaten vor einer »Migrantenflut« die Entwicklung vorantrieb. So erweiterte die Agentur ihr Tätigkeitsfeld, das in den ersten Jahren vor allem an der südliche Seegrenze lag, auch Richtung Osten145 und in die dritte Dimension: nach oben.146 War die Grenze mit der Definition der drei strate144 Wie oben im Anschluss an »Guiraudon, European Integration« argumentiert. 145 Explizit auf die (süd)östlichen Landesaußengrenzen bezogen war 2006 nur die Operation POSEIDON (von insgesamt zwölf) (FRONTEX-Jahresbericht 2006, S. 30–32), allerdings wurde für einige Operationen kein Zielgebiet spezifiziert. Im Jahr 2007 war ein großer Teil sowohl der operativen Maßnahmen (insgesamt sieben Aktionen an Seegrenzen, zehn an Landgrenzen, sechs an Luftgrenzen und vier an »verschiedenen Arten von Grenzen«) als auch der Risikoanalysen auf die Ukraine, den westlichen Balkan und den Schwarzmeerraum konzentriert. An zahlreichen Projekten hatte sich auch Polen als neuer Mitgliedsstaat beteiligt (FRONTEX-Jahresberichte). Dazu gehörte u. a. die Fortsetzung des POSEIDON-Projekts, hinzu kam ARIADNE, GORDIUS, NIRIS, KRAS, DRIVE IN, FIVE BORDERS sowie eine Risikoanalyse zu den westlichen Balkanländern, zum Schwarzen Meer, zur Ukraine, zur Donau und zu Rumänien. Im Jahr 2008 bezogen sich 26 operative Maßnahmen, neun explizit, auf die östlichen und südöstlichen Landgrenzen (FRONTEX-Jahresbericht 2008, S. 39 f.). 146 Dies wurde seit 2007 verstärkt. Insgesamt wurden hier sechs (im Vergleich zu drei 2006) operative Maßnahmen an den »Luftgrenzen« durchgeführt (FRONTEX-Jahresbericht 2007, S. 19), darunter die Operation AGELUS, die sich auf »Minderjährige an Flughäfen in der EU [konzentrierte], die versuchten die Einwanderungskontrollen an den Außengrenzen zu durchbrechen« (ebd., S. 35). Auch im Bereich Forschung und Entwicklung ging es verstärkt um Grenzkontrollsysteme an Flughäfen sowie mit ICARUS um Technologien zur Überwachung der Luftgrenzen, u. a. durch unbemannte Flugzeuge (ebd., S. 58, S. 60). Unter den operativen Maßnahmen 2008 waren sieben, die an Flughäfen durchgeführt wurden (FRONTEX-Jahresbericht 2008, S. 40). Zentral war hier die gemeinsame Aktion HAMMER, bei der »die kriminellen Aktivitäten von Schmugglern durch hohen, kurzfristigen und lokalen Druck auf die äußeren Luftgrenzen der Mitgliedsstaaten und der Schengen-assoziierten Länder ernsthaft [ge]stört« werden sollten (ebd., S. 28 f.).

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gischen Linien und des Grenzvorbereichs bereits zweidimensional geworden, erschien sie mit der Kontrolle von Flughäfen und Flügen sowie mit dem Einsatz von Satellitentechnik zur Grenzüberwachung147 nun tatsächlich räumlich. FRONTEX war damit einerseits das wichtigste Instrument der Mitgliedsstaaten und der Kommission. Gleichzeitig entwickelte sich die Agentur zu einem eigenständigen Akteur, der Vorschläge dazu unterbreitete, wie ein »vollständiges Situationsbewusstsein« über die Lage an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten zu erlangen und »die Reaktionsfähigkeit [der] Strafverfolgungsbehörden zu erhöhen«148 war. Das diffuse Bedrohungsbewusstsein sollte durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundiert und damit einer administrativen und technischen Steuerung zugeführt werden. Gleichzeitig wurden politische Argumente für den weiteren Ausbau des Grenzschutzes formuliert. Die Bereitstellung und der Austausch von Informationen waren von Anfang an zentral bei der Schaffung eines europäischen Grenzregimes. Die Mitgliedsstaaten wie die Kommission suchten dabei ihr Heil sowohl in der technologischen Aufrüstung als auch in der EU-weiten Vernetzung von Informationssystemen.149 Hier setzte sich der oben beschriebene Mechanismus fort, der ganz am Anfang der Versicherheitlichung von Migration und Grenzpolitik Vorschub geleistet hatte: Sicherheits-, Zoll- und Grenzexperten reagierten nicht nur auf Probleme, die ihnen als politische gestellt wurden, sie griffen auch durch ihr Expertenwissen und die Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden Technologien in die Gestaltung dieser Agenda ein. Ein – bisher vor allem politisch und weniger praktisch150 – bedeutsamer Schritt war im Rahmen von FRONTEX die Schaffung sogenannter Rapid Border Intervention Teams (RABITs), die im Unterschied zu den langfristiger angelegten »joint support teams« auf Anfrage eines Mitgliedsstaats schnell in Krisensituationen an der Grenze eingesetzt werden konnten.151 Hinzu kamen verstärkte Bemühungen um den Aufbau eines Küstenpatrouillennetzes und eines 147 Vgl. vor allem: KOM (2008) 68 endg.; KOM (2006) 733 endg.; dies war aber auch schon Teil der Überlegungen 2002 (COM (2002) 233 final, S. 17; Rat(7), S. 24). 148 KOM (2008) 68 endg., S. 5. 149 Um nur die einschlägigen Stellen in den Kommissionsdokumenten zu nennen: KOM (2001) 278 endg., S. 13–15; KOM (2001) 567 endg., S. 1–3; KOM (2001) 672 endg., S. 3 f.; KOM (2003) 323 endg., S. 12; KOM (2005) 669 endg., S. 10; KOM (2007) 248 endg., S. 4 f.; KOM (2007) 247 endg., S. 15; KOM (2008) 67 endg., S. 11; KOM (2008) 68 endg., S. 3 f.; COM (2010) 61 final. 150 Bisher hat nur Griechenland von den RABITs Gebrauch gemacht (2010), Italien erwog dies Anfang 2011 (KOM (2008) 67 endg., S. 8); vgl. Pichl. 151 COM (2006) 401 final.

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europäischen Überwachungssystems (EUROSUR), im Sinne der Erhöhung der »Reaktionsfähigkeit«. Mit der Unterstützung von Mitgliedsstaaten bei Rückführungsmaßnahmen erhielt die Agentur einen weiteren Aufgabenbereich. Entsprechend wurde nicht nur der Haushalt der Agentur, sondern auch das ihr zur Verfügung stehende Instrumentarium in nur wenigen Jahren erheblich erweitert. Die Kommission forderte bei der Evaluierung der Agentur im Jahr 2008 zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen für sie. Die Stärkung der Agentur gehörte zum Mantra in den Dokumenten des Rates und der Kommission zum Ausbau der Grenz- und Migrations(abwehr)politik. Im Februar 2010 schließlich schlug die Kommission vor, das Mandat der Agentur in hauptsächlich drei Richtungen zu erweitern.152 Zum ersten räumlich: FRONTEX sollte verstärkt in Drittstaaten tätig werden und u. a. eigene Verbindungsbeamte in diese entsenden können. Damit würde der Aktionsradius der Agentur über den Grenzvorbereich hinaus auf weiter vorgelagerte Gebiete ausgedehnt. Zum zweiten institutionell: Die Agentur sollte nun eine eigene Ausrüstung anschaffen dürfen, um mehr Unabhängigkeit von den Mitgliedsstaaten zu erlangen. Zum dritten ging es um eine entscheidende Verschiebung ihrer Position innerhalb des EU-Grenzregimes: weg von der Koordinierungsund Beratungsrolle hin zu einer stärker kontrollierenden und gestaltenden Funktion – FRONTEX sollte die Leistungen der Mitgliedsstaaten in Bezug auf ihre Grenzschutzaufgaben evaluieren und Verbesserungsvorschläge unterbreiten können. Darüber hinaus wurden die Mitgliedsstaaten zu einer umfassenden Zusammenarbeit mit FRONTEX verpflichtet – indem sie beispielsweise Zugang zu nationalen Informationsquellen bereitstellen oder Kernelemente des von FRONTEX entwickelten gemeinsamen Curriculums für Grenzschutzbeamte in ihre nationalen Ausbildungen integrieren mussten. Mit diesem Vorschlag folgte die Kommission der Aufforderung des Rates im Zusammenhang mit dem Stockholmer Programm, die Agentur weiter zu stärken. Der Rat hatte darüber hinaus eine langfristige Vision für eine »Europäische Grenzschutztruppe« entwickelt.153 Auch die »Zukunftsgruppe Innenpolitik« hatte bereits 2008 empfohlen, FRONTEX die Möglichkeit zu geben, verstärkt in Drittländern aktiv zu werden.154

152 COM (2010) 61 final; Weitere wichtige Veränderungen der FRONTEX-Verordnung gehen auf Interventionen des Europäischen Parlaments zurück und betreffen die Aufnahme des Hinweises auf Schutz der Menschenrechte und Achtung der Flüchtlingskonventionen. 153 Rat(21), S. 55 f. 154 Rat(20), S. 59.

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Bis zu diesen Überlegungen war seit dem Gipfel von Tampere ein weiter Weg zurückgelegt worden: Rat und Kommission hatten sich auf Begriffe zur Beschreibung der Grenze und des Grenzraumes verständigt, auf deren Grundlage Mechanismen und Strategien entwickelt wurden, mit denen ein »integriertes Grenzmanagement« aufgebaut werden sollte. FRONTEX war einerseits Ergebnis dieser Bemühungen. Andererseits trieb sie einen Prozess voran, in dem sich die EU darüber bewusst wurde, was es heißt, eine EUropäische Außengrenze zu haben und zu schützen. Die von FRONTEX angefertigten Risikoanalysen haben zur Herausbildung eines »Situationsbewusstseins« beigetragen und werden nun verstärkt durch eine kritische Öffentlichkeit und die Medien begleitet.155 FRONTEX ist dabei für viele zum Inbegriff der »Festung Europa« geworden, setzt sie doch die Schließung der europäischen Außengrenzen gegenüber Einwanderungswilligen aus Drittstaaten durch, die ihren Nutzen für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen der Gesellschaften in der Union nicht überzeugend haben darstellen können. Dass diese »hard border« jedoch nur ein – wenn auch ein wichtiges und effizientes – Element des europäischen Grenz- und Migrationsregimes ist, das entscheidend ergänzt wurde durch ein ausgeklügeltes System der Differenzierung und Öffnung dieser Grenze, steht im Mittelpunkt des nächsten Abschnitts.

Variable Geografien II: Von der »Verhinderung« zur »Steuerung« von Migrationsströmen Am Beginn der Flexibilisierung des Migrations- und Grenzregimes und – damit verbunden – der Dynamisierung des Raum- und Grenzverständnisses der EU stand wiederum eine Problemanalyse. Obwohl der Europäische Rat von Tampere 1999 das Hauptaugenmerk auf die Abwehr illegaler Migration und die Verstärkung des Grenzschutzes gelegt hatte, veröffentlichte die Europäische Kommission im November 2000 eine Mitteilung über die Migrationspolitik der 155 Zahlreiche Flüchtlingshilfsorganisationen und Pressemeldungen beschäftigen sich seit der Schaffung der Agentur mit ihr, u. a. die deutsche Organisation ProAsyl, die 2007 eine Studie in Auftrag gegeben hatte (vgl. ProAsyl). Das britische Oberhaus hatte 2007 eine Untersuchungskommission zu FRONTEX eingerichtet, zu der auch NGOs eingeladen worden waren, Stellung zu beziehen, u. a. das European Council on Refugees and Exiles. Auch das UNHCR hat Kritik an den Einsätzen von FRONTEX und die mangelnde Zusammenarbeit mit Flüchtlingshilfsorganisationen geäußert (vgl. UNHCR). Zahlreiche Websites wie die deutschsprachige Seite »Frontexwatch« (vgl. Frontexwatch) bieten einen umfangreichen Überblick über die Aktivitäten der Agentur.

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Gemeinschaft,156 die eineArgumentation entwickelte, die zur Grundlage für die spätere Integration von dynamischen Elementen in das Raum- und Grenzverständnis der Union wurde. Der Gedankengang war folgender: Migration, auch illegale, lässt sich nicht grundsätzlich verhindern, Grenzen sich nicht komplett schließen.157 Außerdem sei ein gewisses Maß an Zuwanderung, insbesondere qualifizierter Arbeitskräfte, vor dem Hintergrund des wachsenden demografischen Defizits in einer Vielzahl europäischer Staaten sinnvoll. Deshalb müssen wir entscheiden, ob wir daran festhalten wollen, dass die Union dem Einwanderungsdruck widerstehen muss, oder ob wir bereit sind zu akzeptieren, dass die Einwanderung nicht aufzuhalten ist und angemessen geregelt werden sollte. Letzteres erfordert Zusammenarbeit mit dem Ziel, die positiven Wirkungen der Einwanderung für die Union, für die Migranten und für die Herkunftsländer zu maximieren.158 Diese grundsätzliche Überlegung entsprang einer Situationsanalyse, die eine neue Komplexität von Migrationsströmen, neue Migrationsmuster und sich diversifizierende Praktiken von Migranten beschrieb. Dies habe zur Entstehung von transnationalen Räumen159 geführt: Bei heute zunehmend gemischten Strömen von Migranten, die ihren Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen und anderen Gründen verlassen haben, und Bevölkerungsteilen, die den Spagat zwischen zwei Kulturen als Teil einer Überlebensstrategie schaffen, können Strategien entwickelt werden, die gewährleisten, dass die Migration sowohl dem Herkunfts- als auch dem Aufnahmestaat nützt. […] Der partnerschaftliche Ansatz sollten den Rah156 KOM (2000) 757 endg. 157 Dieses Argument ist auch in der Grenzsoziologie entwickelt worden, so von Didier Bigo, aber auch Georg Vobruba betont diesen Umstand (Vobruba, Die Dynamik Europas, S. 57, S. 87). Und auch historische Studien zu Grenzregionen haben wiederholt gezeigt, dass eine Abriegelung von Grenzen gegen die Dynamiken und Austauschprozesse in Grenzregionen nur bedingt etwas ausrichten kann (vgl. u. a. die Beiträge von Stephanie Schlesier zu Lothringen, von Günter Riederer zum Elsass und Markus Krzoska zum Egerland in Duhamelle, Kossert u. Struck). 158 KOM (2000) 757 endg., S. 3. 159 Vgl. u. a. Basch, Glick Schiller u. Szanton Blanc; Pries, New Migration; ders., Transnationale Soziale Räume; Thomas Faist bevorzugt den Begriff der »transstaatlichen Räume«, um den Unterschied zwischen Nation und Staat nicht zu verwischen und internationale Migration als ein Phänomen zu charakterisieren, das sich durch das Überschreiten »staatlicher« (nicht jedoch zwangsläufig nationaler) Grenzen auszeichnet (Faist).

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men für eine flexible Antwort auf die sich weltweit entwickelnden neuen Migrationstrends darstellen. Die Migration sollte als eine Ausprägung der Mobilität gesehen werden und Migranten ermutigt werden, die Verbindung zu ihren Herkunftsländern aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.160 (Hervorhebung im Original) Bei dieser Argumentation handelt es sich einerseits um die Beobachtung dessen, was die neuere Migrationsforschung als die Entstehung transnationaler Räume durch transnationale, translokale bzw. transkulturelle Migrationsmuster161 beschrieben hat, gleichzeitig sollte in die Gestaltung und Wirkweise dieser Räume eingegriffen werden. Zwar machte die Kommission erst einige Jahre später entsprechende Vorschläge, wie dies zu bewerkstelligen sei – u. a. durch die Einbeziehung von Diasporagruppen in die Migrationspolitik, die Regulierung und Erleichterung von Rücküberweisungen162 oder die Entwicklung sogenannter »Mobilitätspartnerschaften«163 – der Grundgedanke war jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt formuliert. Die Kommission verband in ihrer Analyse drei Argumente. Ein erstes präzisierte den Charakter der Migration, den die EU für eine gemeinsame Migrationspolitik in Rechnung stellen müsse. So unterschied die Kommission zwischen verschiedenen Gruppen von Migranten gemäß ihrer Motive. 160 KOM (2000) 757 endg., S. 8. 161 Die Diskussion um die Begrifflichkeiten des »trans-« hat in der historischen und soziologischen Migrationsforschung ein hohes Maß an Elaboration erreicht. Einen Überblick und ein Plädoyer für die Begriffe des »transkulturellen« und »translokalen« für die Beschreibung von Migration bietet Hoerder. 162 Zu Umfang und Bedeutung von »remittances« weltweit vgl. u. a. den Überblick in der Reihe »focus Migration«: Hertlein u. Vadean. Mittlerweile beschäftigen sich eine Vielzahl von Forschungsnetzwerken und internationalen Organisationen mit der Problematik, vor allem die Weltbank, aber auch die OECD und der IWF. Vgl. u. a. das von der Weltbank herausgegebene »Migration and Remittance Factbook« (vgl. International Bank for Reconstruction and Development) sowie Organisation for Economic Co-operation and Development. Laut Daten der Weltbank fließen in absoluten Zahlen die meisten Gelder vor allem in süd- und südostasiatische Länder, in Europa ist Polen der Spitzenreiter, in der direkten EU-Nachbarschaft ist es Marokko (vgl. Weltbank). Gemessen am Anteil des Bruttosozialprodukts führt die Republik Moldova die Liste an (29 %), aus der europäischen Nachbarschaft befinden sich außerdem die palästinensischen Gebiete (23,5 %), Bosnien und Herzegowina (22,5 %), Libanon (21,4 %) und Jordanien (18 %) unter den Top-10-Empfängerländern. Zu den Hauptquellenländern gehören nach Stand von 2004 die USA (43,5 Mrd. US-$), gefolgt von Deutschland (14,6 Mrd.). Unter diesen Top-10 befinden sich vier weitere EU-Mitglieder – Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien (Daten des IWF aus 2004 zitiert nach Hertlein u. Vadean, S. 4). 163 KOM (2006) 735 endg., S. 8; KOM (2007) 248 endg.; Rat(17).

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Sie identifizierte drei Hauptkategorien: Migration aus humanitären, aus wirtschaftlichen und aus Gründen der Familienzusammenführung, wobei sie sich in der Mitteilung aus dem Jahr 2000 – wie später in anderen Vorschlägen zur legalen Migration auch – auf die Wirtschaftsmigration konzentrierte.164 Außerdem gelangte sie zu der Erkenntnis, dass es sich bei Migration nicht (mehr) um einen unidirektionalen Prozess handele, sie sich vielmehr zunehmend flexibel im Sinne der Bewegung zwischen verschiedenen Ländern und nicht mehr nur als Bewegung in eine Richtung gestaltet. Insgesamt ändern die Migrationsströme häufiger ihre Richtung und nehmen je nach der wirtschaftlichen und demokratischen Situation sowohl in den Aufnahme- als auch in den Entsendestaaten zu oder ab.165 Das zweite Argument betraf die Art der Migrationsbewegungen. Obwohl die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeland beibehalten wurde, gewissermaßen als Anfangs- und Endpunkte, als Stationen des Weges von Migranten auf dem Weg in die EU, schien zunehmend klarer zu werden, dass mit einer solch unilinearen Vorstellung die realen Dynamiken nur noch zum Teil korrekt beschrieben werden konnten. Man habe es vielmehr mit zirkulierenden, vor-, rück- und seitwärts fließenden Strömen auf sich permanent neu herausbildenden, übergangsweise jedoch stabilen Routen zu tun. Die Vorstellung von Migrationsbewegungen auf beobacht- und kartierbaren Pfaden verband die Bereiche des oben beschriebenen, dreidimensionalen Grenzraums miteinander. Auf diese Weise erhielt das zonale Modell des Grenzregimes mit seinen Ergänzungsräumen ein dynamisches Element. Die Konzepte der Migrationsströme und -routen beschrieben und systematisierten dabei nicht nur die Bewegungen mobiler Menschen, sondern wurden auch zur Grundlage der politischen Geografie des externalisierten Migrationsregimes:166 Überwachung und Steuerung von Migration würde diesen Routen folgen bzw. diese zu verändern versuchen. Zur Absicherung dieser Steuerungsversuche diente der dreifach gestaffelte Grenzraum, der an prekären Übergangsstellen zusätzliche Barrieren und Filter errichtete. 164 KOM (2000) 757 endg., S. 12. 165 Ebd., S. 13. 166 Zur Auseinandersetzung mit den »Routen« vgl. KOM (2005) 621 endg., S. 7; KOM (2006) 735 endg., S. 4; KOM (2007) 247 endg., S. 2, S. 20; zu »Strömen« siehe: KOM (2000) 757 endg., S. 8, S. 11; KOM (2001) 278 endg., S. 13–15; KOM (2003) 323 endg., S. 14; KOM (2006) 733 endg., S. 7–9; KOM (2006) 735 endg., S. 2–4.

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Das dritte Argument der Kommission, das letztlich das Nachdenken über eine flexible Steuerung motivierte und legitimierte, war die Diagnose eines sich verschärfenden demografischen Problems in den Gesellschaften der Union, das mittelfristig zu Einbußen der EUropäischen Wettbewerbsfähigkeit führen würde. Diese Warnung wiederholte die Kommission mehrfach: »Die Zulassungspolitik auf dem Gebiet der Wirtschaftsmigration muss es der EU ermöglichen, rasch und wirkungsvoll auf die Bedürfnisse des nationalen, regionalen und lokalen Arbeitsmarktes zu reagieren […]«.167 Dabei solle die Union verantwortungsvoll mit den Herkunftsländern umgehen und einem brain drain aus sensiblen Branchen der Entsendestaaten nicht durch das egoistische Abschöpfen qualifizierter Migranten Vorschub leisten.168 Drei Probleme würden so gleichzeitig in Angriff genommen: Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der EU könnte durch gezielte Zuwanderung ausgeglichen werden. Der unkontrollierbare Druck illegaler Migranten würde durch die wohl dosierte Öffnung von Migrationskanälen gemindert werden. Und schließlich könnten die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern, die als Ursache für den erhöhten Migrationsdruck auf die EU ausgemacht wurden, verbessert werden, u. a. durch eine spezielle Form der Entwicklungshilfe – durch die Rücküberweisungen von Migranten169 und durch die Wirtschaftskraft von in der EU aus- und weitergebildeten Rückkehrern. Obwohl die Grundzüge dieser Analyse und das entsprechende Begriffsrepertoire für ein dynamischeres Raumverständnis bereits kurz nach dem Gipfel von Tampere 1999 von der Kommission erstmalig zusammenhängend entwickelt worden waren, standen in den ersten Jahren nach diesem Treffen vor allem der Ausbau des Grenzschutzes und die Abwehr illegaler Migration im Zentrum der Bemühungen der europäischen Institutionen, insbesondere des Rats und der Kommission. Die Exterritorialisierung des Grenz- und Migrationsregimes, in der Mitteilung der Kommission aus dem Jahr 2000 als »partnerschaftlicher Ansatz« beschrieben, wurde in diesen Jahren vor allem durch die forcierte Aushandlung von Rücknahmeabkommen mit Drittländern vorangetrieben, wozu der Rat die Kommission wiederholt anspornte. Das Mandat dazu hatte die Kommission mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 erhalten. Der Kreis jener Länder, mit denen Rücknahmeabkommen geschlossen werden sollten, 167 KOM (2000) 757 endg., S. 15; einen Überblick über die rechtliche Ausgestaltung der legalen Migration bis 2006 bieten Jahn, Maurer, Otzmann u. Riesch. 168 KOM (2007) 248 endg., S. 2, S. 7. 169 Vgl. dazu als ersten Überblick: International Bank for Reconstruction and Development; Mansoor; Schiopu u. Siegfried.

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wurde erweitert und das Netz von Verbindungsbeamten für Migrationsfragen in den Konsulaten der Herkunftsländer ausgebaut.170 Dies spiegelte das oben beschriebene, zonale Verständnis des Grenzregimes: mit der Errichtung gestaffelter Barrieren und dem frühzeitigen, steuernden Eingreifen von Beamten aus EU-Ländern in den Herkunftsregionen, also in der »strategischen Dimension« Drittland, die im Programm für den integrierten Grenzschutz eingeführt worden war. Insbesondere der Rat verfolgte diese Strategie, er wies immer wieder auf den »besorgniserregenden« und »massiven« Zustrom illegaler Migranten in die EU hin und forderte den Ausbau des Grenzschutzes.171 In zwei weiteren Mitteilungen von 2002172 und 2003173 wandte sich die Kommission diesem Anliegen zu, verwies aber gleichzeitig auf die Schwierigkeiten, die eine europäische Abschiebepolitik mit sich bringen würde. Der Transit von »rückzuführenden« – sprich: abzuschiebenden – Personen durch EU-Mitgliedsstaaten würde Freizügigkeit für diese Personen voraussetzen, eine Freizügigkeit zum Zwecke ihrer letztlichen Verweigerung. Außerdem unterstrich sie die Bedeutung von »migrationspolitischen Gegenleistungen«, mit denen die Bereitschaft zum Abschluss von Rücknahmeabkommen erkauft werden müsste. Auch die Rückführungspolitik als Abwehrstrategie musste also auf die Dynamik von Strömen reagieren.

170 Ein bereits bestehendes Netz solcher Verbindungsbeamten, insbesondere ein unter belgischer Federführung laufendes Projekt in den westlichen Balkanstaaten, wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 377/2004 des Rates vom 19. Februar 2004 rechtlich EU-weit formalisiert. Diese Verbindungsbeamte (Immigration Liaison Officers, ILOs) werden von den Mitgliedsstaaten in Drittstaaten entsandt. Sie sind meist Vertreter der mitgliedsstaatlichen Einwanderungsbehörden und können entweder an den Konsulaten der Mitgliedsstaaten oder an den jeweilig zuständigen Behörden der Drittstaaten bzw. an internationale Organisationen angebunden sein. Sie sollen bei der Bekämpfung der illegalen Migration, bei Rückführungsverfahren und bei der Steuerung legaler Einwanderung eingesetzt werden. Ihre Aufgaben umfassen Informationsbeschaffung über Migrationsströme und -routen, Praktiken von Migranten, kriminelle Organisationen und Netzwerke sowie Fälschungsmethoden. Sie sollen darüber hinaus die Behörden des Gastlands bei Rückführungsverfahren, bei der Verhinderung illegaler Migration und bei der Entwicklung von Rechtsvorschriften unterstützen. Diese Beamten sollen untereinander regionale und lokale Netzwerke einrichten, um einen Austausch innerhalb der EU zu garantieren. Damit stellt dieses Netzwerk, das über die Jahre zunehmend ausgebaut wurde, ein zentrales Element bei der Externalisierung des EU-Grenz- und Migrationsregimes, auch im Sinne des Transfers europäischer Normen und Standards zu Grenz- und Migrationsmanagement in die EUNachbarschaft, dar. 171 Rat(7), S. 11; Rat(2), S. 4. 172 KOM (2002) 175 endg. 173 KOM (2003) 323 endg.

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Das Haager Programm von 2004 stellte den Grenzschutz weiterhin an prominente Stelle. Erstmals aber tauchte in einem solchen Dokument die einige Jahre zuvor von der Kommission entwickelte Überlegung auf, nämlich: Internationale Wanderungsbewegungen wird es auch weiterhin geben. Eine umfassende Herangehensweise, die alle Phasen der Wanderungsbewegungen erfasst und die Gründe für die Wanderungsbewegungen, die Einreiseund Zulassungspolitik sowie die Integrations- und Rückkehrpolitik berücksichtigt, ist erforderlich.174 In der Folge des Haager Programms, u. a. mit dem 2005 von der Kommission vorgelegten »Strategischen Plan zu legalen Zuwanderung«175 und dem Anfang 2006 entwickelten »Gesamtansatz zur Migrationsfrage«176 gewann der Begriff der »Steuerung« von Migration – gegenüber der Vorstellung einer einseitigen Abwehr oder Eindämmung zunehmend an Bedeutung. »Steuerung« hieß dabei nicht nur ein Eingreifen in bereits vorhandene Ströme, sondern auch die Beeinflussung ihrer Ursachen und ihrer Form: U. a. sollten sich Migrationswillige in Migrationsinformationszentren in Drittstaaten frühzeitig über legale Einreise- und Arbeitsmöglichkeiten in der EU informieren und vor Ort gezielt Aus- und Weiterbildungen absolvieren, um auf die Anforderungen des europäischen Arbeitsmarktes optimal vorbereitet zu sein.177 Wurden anfangs die Bekämpfung der illegalen und die Erleichterung der legalen Migration noch nicht als komplementär angesehen, galten sie wenige Jahre später als »zwei Seiten derselben Medaille«.178 Der Umgang mit »gemischten« Strömen ließ sich für die EU nicht mehr damit lösen, dass legale und illegale Migration getrennt voneinander behandelt wurden. Sie mussten vielmehr als verflochtene Phänomene betrachtet werden. Das Argument, dass eine gezielte Politik der legalen Zuwanderung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union unabdingbar sei, bekräftigte die Kommission 2005, indem sie auf die globale Konkurrenz um die »besten Migranten« verwies. Diese gingen eher in die USA als nach Europa – was aus Sicht der Kommission ein Problem darstell174 Rat(13), S. 16. 175 KOM (2005) 669 endg. 176 Rat(14); KOM (2006) 735 endg. 177 Siehe etwa die von der EU u. a. unter deutscher Beteiligung errichteten »Migration Service Centres« auf dem westlichen Balkan (Migration Service Centres). Ein weiteres Beispiel ist das im Oktober 2008 in Bamako (Mali) eröffnete »Centre for Information and Migration Management« (SEC (2009) 320 final, S. 17). 178 KOM (2007) 780 endg., S. 5; vorher anders: KOM (2001) 672 endg., S. 6.

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te.179 Die Steuerung von Migrationsströmen fand also nicht mehr nur statt in einem fragilen »Grenzvorbereich« oder in dem Raum der als Herkunfts- und Transitländer deklarierten Drittstaaten um die Union herum. Sie wurde nun als Teil des transatlantischen Wettbewerbs reformuliert. Der Gesamtansatz zur Migrationsfrage, der sich zunächst den afrikanischen Nachbarn zuwandte, bevor er auf die östlichen und südöstlichen übertragen wurde,180 differenzierte die Deutung über den Zusammenhang zwischen Raum und den ihn durchdringenden und gleichzeitig konstituierenden Strömen weiter, indem nicht nur die Ströme aus Afrika in die EU, sondern auch innerafrikanische Mobilität auf die Agenda rückte. Letztere sollte erleichtert werden. Die EU sollte beim Aufbau afrikanischer Asylkapazitäten und der Steuerung der Süd-Süd-Migration Unterstützung leisten.181 Diese Art von Entwicklungshilfe sollte dann auch Bestandteil des von der Kommission 2007 vorgeschlagenen Modells der »Mobilitätspartnerschaften« im Rahmen der Förderung einer »zirkulären Migration« werden.182 So wie die Kommission für die EU-Außengrenze zunächst versucht hatte, klare Begriffe und Kategorien zu entwickeln, näherte sie sich auch dem Konzept der »zirkulären Migration«. Diese kann definiert werden als eine Form der Migration, die so gesteuert wird, dass sie einen gewissen Grad an legaler Mobilität (Hin und Zurück) zwischen zwei Ländern zulässt.183 Die vielfältigen Praktiken von Migranten wurden durch die begriffliche Erfassung zu einem durch politische Steuerung erzeugten Tatbestand: Zirkuläre Migration entsteht in dieser Argumentation erst durch das Eingreifen der EU. Die tautologische Formulierung – »legale« Mobilität wird »zugelassen« – ist ein Hinweis darauf, dass die Kommission mit diesem ausgesprochen vorsichtig formulierten Vorschlag die Widerstände der Mitgliedsstaaten antizipierte und einer möglichen Verweigerungshaltung vorzubauen suchte. Daran anschließend definierte die Kommission zwei Gruppen erwünschter zirkulärer Migranten: erstens Drittstaatsangehörige, die in der EU leben, aber in ihrem Herkunftsland arbeiten möchten sowie zweitens Drittstaatsan179 KOM (2005) 669 endg., S. 8. 180 KOM (2007) 247 endg. 181 KOM (2006) 735 endg., S. 6. 182 KOM (2007) 248 endg., S. 6. 183 Ebd., S. 9.

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gehörige, die zum Zwecke der Ausbildung, des Studiums oder der vorübergehenden Arbeitsaufnahme in die EU kommen, sonst aber in ihrem Heimatland bleiben.184 Damit war zwar grundsätzlich ein breites Spektrum abgedeckt, in das auch saisonale Arbeitskräfte einbezogen wurden, u. a. in Berücksichtigung der Bedürfnisse der spanischen Landwirtschaft.185 Allerdings hatte man vor allem Geschäftsleute, Wissenschaftler und Studenten im Blick.186 Und schließlich stellte sich die Kommission die Frage, wie eine »wirklich zirkuläre Migration«,187 eine »tatsächliche Rückkehr«188 zu gewährleisten sei. Es musste also mit dem Problem umgegangen werden, dass Migranten auch ohne das Eingreifen der EU »zirkulieren« – möglicherweise eben nicht nach den präferierten Mustern trotz des Steuerungsanspruchs der EU. Dies befeuerte die latente Sorge, mit dieser neuen Strategie ein Tor für illegale Migration zu öffnen. Das Modell der »Mobilitätspartnerschaft«189 sollte die Lösung sein.190 Dies war einerseits der Versuch, »eine glaubwürdige Alternative zur illegalen Zuwanderung anzubieten«,191 andererseits und vor allem ein erneuter Anlauf, Drittstaaten für die Übernahme von Aufgaben und Kosten des externalisierten EU-Migrations- und Grenzregimes zu gewinnen. Die lange Liste der Verpflichtungen, die durch Mobilitätspartnerschaften privilegierte Drittstaaten zu übernehmen hatten, reichte vom Abschluss von Rücknahmeabkommen über die Verbesserung des Grenzschutzes und der Zusammenarbeit mit FRONTEX bis zur Zusammenarbeit mit den Behörden der EU-Mitgliedsstaaten beim Informationsaustausch.192 Letztlich griffen also hier, in einem der ambitioniertesten Projekte einer flexibilisierten EU-Migrationspolitik, zwei Strategien ineinander: die Steuerung von Strömen und der Ausbau von Barrieren und Pufferzonen. Es ist zu vermuten, dass zumindest mittelfristig der gestaffelte, in konzentrischen Kreisen nach außen verlagerte Grenzschutz gestärkt werden würde, weniger ein tatsächlich liberalerer Umgang mit mobilen Menschen aus Drittstaaten, zumal zwischen 2008 und 2011 nur vier Mobilitätspartnerschaften nach dem vorgeschlagenen 184 Ebd., S. 9 f. 185 Vgl. Eigmüller, Grenzsicherungspolitik; Reyneri u. Baganha. 186 KOM (2007) 248 endg., S. 10. 187 Ebd., S. 12. 188 Ebd., S. 13. 189 Ebd. In einem ersten Entwurf hießen diese Partnerschaften noch »Mobilitätspakete« (KOM (2006) 735 endg., S. 8). 190 Rat(17). 191 KOM (2007) 248 endg., S. 9. 192 Ebd., S. 4 f.

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Modell ausgehandelt wurden.193 Darauf deuteten auch die Zielstellungen der zur zirkulären Migration vorgeschlagenen Projekte und Programmmaßnahmen hin,194 bei denen es in der Mehrheit um Grenzschutz, Rückführung sowie Asylund Flüchtlingsaufnahmekapazitäten in Drittstaaten ging. Allerdings zeichnete sich mit dem Konzept der »zirkulären Migration« und der Vorstellung von »Migrationsrouten« und »Migrationsströmen« ein zunehmend dynamisches Raumverständnis in der EU-Migrations- und Grenzpolitik ab. Zur mehrdimensionalen Zonalität des EUropäischen Grenzregimes trat der Aspekt der Konnektivität. So wie »Ausbau des Grenzschutzes« in den ersten Jahren der gemeinsamen Grenz- und Migrationspolitik das Mantra der offiziellen Verlautbarungen war, kam ab 2005 eine neue Beschwörungsformel hinzu, nämlich: »Eine gut gesteuerte Zuwanderung kann nutzbringend für alle sein.«195 In diesem Sinne führte das 2009 beschlossene Stockholmer Programm mit dem verheißungsvollen Titel »Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger«196die den Vorstellungen von »Offenheit« und »Sicherheit« zugrunde liegenden Raumverständnisse zusammen. Die bisher entwickelten Instrumente bewertete der Rat ausgesprochen positiv: die Erstellung von Migrationsprofilen, die Durchführung von Migrationsmissionen in Drittstaaten, derAbschluss von Mobilitätspartnerschaften und die Schaffung von Kooperationsforen zum Thema Migration mit Drittstaaten197 spiegelten die Bestrebungen der Union wider, umfassende Informationen zu sammeln, ein gemeinsames Problembe193 Die ersten beiden Pilot-Partnerschaften wurden im Mai 2008 mit Kap Verde (Gemeinsame Erklärung über eine Mobilitätspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und der Republik Kap Verde) und der Republik Moldova (Gemeinsame Erklärung über eine Mobilitätspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau) geschlossen, eine dritte kam im November 2009 mit Georgien zum Abschluss (Gemeinsame Erklärung über eine Mobilitätspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und der Republik Georgien). Diese drei sind bisher in Kraft getreten, im Oktober 2011 wurde eine weitere mit Armenien unterzeichnet. Schnell wurden kritische Stimmen von Seiten politischer und wissenschaftlicher Beobachter laut, so wurde beispielsweise bei der Bewertung der Mobilitätspartnerschaft mit Moldova die Komplementarität zwischen diesem migrationspolitischen Element und der Europäischen Nachbarschaftspolitik skeptisch beurteilt, da ersteres vor allem dem Interesse der EU nach Abwehr der illegalen Migration nachkäme, nicht aber dem Ziel der ENP, die institutionellen und zwischenmenschlichen Kontakte und Verflechtungen zu stärken (vgl. Parkes). Gleichwohl lobte die Kommission den Abschluss dieser Abkommen als großen Erfolg (SEC (2009) 320 final, S. 17–19; KOM (2008) 611 endg.). 194 KOM (2007) 248 endg., S. 20–22; KOM (2007) 247 endg., S. 21–23. 195 Rat(20), S. 45; vgl. auch KOM (2005) 621 endg., S. 3; KOM (2007) 780 endg., S. 9; Rat(21), S. 59. 196 Rat(21). 197 Ebd., S. 61.

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wusstseins zu entwickeln, den Transfer europäischer Normen und Standards in nichteuropäische Drittstaaten zu ermöglichen und deren Einbindung in die europäische Migrations- und Grenzpolitik zu verstetigen. Auf diese Weise waren seit dem Gipfel von Tampere ein mehrdimensionales, dynamisches Bild des Grenzraums entstanden, die entsprechende Terminologie entwickelt und erste Strategien erprobt worden. Wichtig wurde in diesem Prozess die Differenzierung zwischen bestimmten Grenzabschnitten, den östlichen Landund den südlichen Seegrenzen. Durch diese Unterscheidung gewann die Herausbildung des EU-Grenz- und Migrationsregimes eine besondere Qualität und ihr spezifisches Tempo. Diese Differenzierung wird im Folgenden näher untersucht.

Variable Geografien III: »security differentials« an der Grenze Die »Festung Europa« hat – um im Bild zu bleiben – keine einheitlich dicken Mauern, die Tore sind an verschiedenen Stellen unterschiedlich weit offen bzw. fest geschlossen. Politische und wissenschaftliche Beobachter kommen entsprechen zu jeweils unterschiedlichen Einschätzungen »der« Außengrenze: Der Betrachter der südlichen Seegrenzen wird eher die Fortifikation und die restriktive Verschärfung der Grenze sowie einen einseitigen Transfer von europäischen Normen und Standards hervorheben, während der Forscher an der Ostgrenze durchaus Zeichen einer Flexibilisierung und graduellen Öffnung wahrnehmen mag, hier werden sich die Hinweise auf Verflechtungsräume häufen. Komparatistische Untersuchungen sind selten. Auch die vorliegende Studie kann keinen systematischen Vergleich leisten. Aber sie zeigt an Beispielen, dass die Rede von »der« Außengrenze problematisch ist, die EU vielmehr abgestimmte Strategien entwickelt hat, wie mit welchem Nachbarn umzugehen sei. Das Zusammen- oder Gegenspiel zwischen südlicher und östlicher Nachbarschaft, südlicher und östlicher Grenze198 hat sich auch in der Entwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik niedergeschlagen und kann sogar als Motor von deren Entwicklung interpretiert werden. 198 Vor allem in der Grenz- und Migrationspolitik bleiben Überlegungen zur Nord- oder Westgrenze in den Quellen außen vor, diese schienen kein Regelungsproblem aufzuwerfen. In der Nachbarschaftspolitik wird die »Nördliche Dimension« mitdiskutiert, vor allem das Europäische Parlament möchte sie einbezogen wissen. Allerdings meinte dies Russland, denn die »Nördliche Dimension« ist eine Kooperationsarena der nordöstlichen Mitgliedsstaaten mit der Russischen Föderation. Der »Westen« stellte im Sinne der ENP keine Nachbarschaft dar.

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Die Unterscheidung zwischen Ost- und Südgrenze hieß zunächst die Trennung zwischen Land- und den Seegrenzen.199 Diese auf den ersten Blick lediglich physisch-geografische Unterscheidung konnte jedoch auch als kulturellgeografische200 gedeutet werden. Das besondere Augenmerk auf den Seegrenzen wurde einerseits mit dem erhöhten technologischen und personellen Aufwand begründet, der zu ihrer Sicherung nötig sei;201 gleichzeitig ordnete die Kommission diesen Grenztypen unterschiedliche Bedrohungsszenarien zu. Der Hauptstrom von illegalen Migranten käme über die südlichen Seegrenzen, aus Afrika, wobei Nordafrika sowohl als Herkunfts- als auch als Transitraum galt. Obgleich – wie die EU selbst eingestand – keine verlässlichen Angaben über die tatsächliche Zahl illegaler Migranten vorlagen,202 schien die Bedrohung durch Migranten, die aus und über die östlich und südöstliche der EU gelegenen Staaten kommen, weniger drängend. Diese Einschätzung basiert auch auf impliziten Annahmen über die Art und Bedrohlichkeit der Migranten aus dem Süden im Vergleich zu jenen aus dem Osten, letzteren wird offensichtlich eher zugetraut, in die Gesellschaften der EU integrierbar zu sein. Damit folgte die Kommission der traditionellen Logik jener EU-Mitglieder, die an das Mittelmeer grenzen, insbesondere Spaniens, Italiens und Frankreichs. Diese haben die Verstärkung des Grenzschutzes an den Seegrenzen besonders intensiv vorangetrieben. Sie lehnten eine stärkere Verflechtung oder gar Öffnung ab, was sich auch in der Europäischen Nachbarschaftspolitik Richtung Süden niederschlug.203 Der Maßnahmenkatalog des »Gesamtansatzes zur Migrationsfrage« bezog sich zunächst auf den Mittelmeerraum und Afrika,204 und erst in der Folge wurden dessen Strategien und Erfahrungen auf die östlichen und südöstlichen 199 Rat(2); Rat(8), S. 7; Rat(14), S. 10. 200 So hat neben Erika Lee auch Adam McKeown argumentiert, dass für die Entstehung eines Migrationsregimes in den USA die asiatischen Migranten gewissermaßen der Pilotfall gewesen sind, mit dem die »Non-Whiteness« zum entscheidenden Kriterium für den Ausschluss aus westlichen Mobilitäts- und Zugangsrechten wurde (vgl. McKeown; Salyer; Lee). 201 COM (2002) 233 final, S. 19; Rat(7), S. 9, S. 24. 202 So hielt die Kommission bereits 2001 fest: »Es herrscht Einverständnis darüber, dass die illegale Einwanderung Ausmaße angenommen hat, die aufgrund der sozialen, ökonomischen und politischen Auswirkungen auf die Zielländer nicht unbeachtet bleiben können. Der genaue Umfang dieses Phänomens in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist naturgemäß nicht zu ermitteln.« (KOM (2001) 672 endg., S. 15). Sie musste auch 2007 eingestehen, dass Statistiken über »die Anwesenheit irregulärer Migranten […] naturgemäß schwer zu erhalten« sind (KOM (2007) 780 endg., S. 5). 203 Vgl. u. a. Pace u. Seeberg; Pace u. Schumacher. 204 Rat(14), S. 9–14; KOM (2005) 621 endg., S. 2.

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Landgrenzen übertragen.205 Das geografische Argument wurde mit einer spezifischen Gefahrendiagnose verbunden: Ein »Massenzustrom illegaler Einwanderer«206 wurde vor allem für die südlichen Seegrenzen konstatiert, und zwar »[u]ngeachtet der Bedeutung, die den Anstrengungen zur Steuerung der Migrationströme aus dem Osten zukomm[e].«207 Es ergäben sich hier besonders kritische Situationen für einzelne Mitgliedsstaaten in Folge eines »high influx of illegal migrants arriving by sea.«208 Dementsprechend sollte die Verteilung finanzieller Ressourcen auf die einzelnen Mitgliedsstaaten angepasst werden.209 Für die – spiegelbildliche – präzise Bestimmung der Landesgrenzen spielten die Vorschriften über den kleinen Grenzverkehr an den Landesaußengrenzen eine wichtige Rolle.210 Hier wurde erstmals der Begriff der »Landesaußengrenzen« konkret bestimmt. Allerdings musste zu dem Zeitpunkt, da die Kommission den Vorschlag unterbreitete und die Verordnung verabschiedet wurde, der Übergangssituation der neuen EU-Mitgliedsstaaten, die noch nicht Vollmitglieder des Schengen-Raums waren, Rechnung getragen werden. Die Kommission unterschied deshalb in ihrem Vorschlag drei Typen einer Landesaußengrenze: a) zwischen einem EU-Mitglied und einem Drittland, das nicht Mitglied der Union war (wie zwischen Polen und der Ukraine), b) zwischen einem Vollmitglied des Schengenraumes und einem Staat, der noch keine Vollmitgliedschaft 205 KOM (2006) 735 endg.; KOM (2007) 247 endg. 206 KOM (2006) 733 endg., S. 6. 207 KOM (2005) 621 endg., S. 2. 208 COM (2006) 401 final, S. 2. Dass die Seegrenzen ein besonders sensibler Bereich bei der Bekämpfung der illegalen Migration waren, unterstreicht auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat im Hinblick auf den Europäischen Rat in Thessaloniki (vgl. KOM (2003) 323 endg., S. 20). 209 U.a. mit dem Programm ARGO: KOM (2001) 567 endg.; so auch weitere Kommissionsvorschläge: KOM (2003) 323 endg., S. 17. 210 KOM (2005) 56 endg. Deren Ausarbeitung war bereits 2003 von der Kommission angestoßen worden (KOM (2003) 323 endg., S. 8). Die Umsetzung dieser Regelungen war den Mitgliedsstaaten in bilateralen Abkommen überlassen und wurde deshalb nur langsam und uneinheitlich umgesetzt. Der Abschluss eines Abkommens zwischen der Ukraine und Polen dauerte relativ lange (im Vergleich zum Abkommen zwischen Ungarn und der Ukraine – begründet durch das Interesse der Ungarn an ihrer Minderheit in der Ukraine), weil nicht geregelt werden konnte, wie groß der Bereich sein sollte, auf den die Regelung angewendet werden konnte, und wie viele Berechtigungskarten für den Kleinen Grenzverkehr ausgegeben werden sollten. Insbesondere war umstritten, ob L’viv, das bedeutend weiter als 50 km von der Grenze entfernt liegt, mit einbezogen werden konnte, was die Erweiterung des berechtigten Personenkreises um mehr als 70000 Personen mit sich gebracht hätte (vgl. Interview Kiev 8). Bei der Umsetzung des Visaerleichterungsabkommen durch die Mitgliedsstaaten war jedoch Polen am flexibelsten vorgegangen (vgl. Interview Kiev 1 und die Studien des IRF und der Stefan-Batory-Stiftung: Boratyński u. a.; Sushko).

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besaß (wie zwischen Polen und Deutschland) – diese wurde auch als »vorläufige Außengrenze«211 bezeichnet – und c) zwischen zwei Staaten, die beide noch nicht Vollmitglieder des Schengenraumes, jedoch EU-Mitglieder waren (wie zwischen Polen und der Tschechischen Republik).212 Für eine begrenzte Übergangszeit musste die EU also mit der Schwierigkeit einer dreifachen Außengrenze umgehen, die sich aus der mangelnden Deckungsgleichheit zwischen EU- und Schengenraum ergab, die gleichwohl im Begriff der »Landesaußengrenze« zusammengeführt wurden. Die im Dezember 2006 von Rat und Parlament verabschiedete Verordnung enthielt diese dreifache Differenzierung nicht mehr, sondern bestimmte als Landesaußengrenze die Grenze zwischen einem Mitglieds- und einem Drittstaat213– was schlicht der Tatsache Rechnung trug, dass die ostmitteleuropäischen Beitrittskandidaten schon 2001 nicht mehr auf der sogenannten, damals erstmals beschlossenen »Visa Black List« standen.214 Die Überpräzisierung der Kommission war zwar hinfällig geworden, gleichwohl verdeutlichte der überschüssige Systematisierungsversuch, dass auch innerhalb der EU-Institutionen eine gewisse Unsicherheit darüber herrschte, wie mit der Inkongruenz des Schengen- und des EU-Raums umzugehen sei. Die Ost-Süd-Differenzierung und die Frage, wie die EU diese beiden Nachbarräume konzipierte und erschloss, wird im Folgenden anhand der Auswertung von ca. 200 Projekten215der europäischen Migrations- und Grenzpolitik genauer untersucht. Dies ist ein im Rahmen dieser Studie leistbarer exemplarischer Vergleich, eine systematische Studie zu diesen beiden Ergänzungsräumen bleibt dagegen Desiderat. Die ausgewerteten Projekte sind in den Anhängen zu drei EU-Dokumenten enthalten.216 Zunächst werden zwei Projektkataloge vergleichend darge211 KOM (2005) 56 endg., S. 6. 212 Ebd., S. 4. 213 Verordnung (EG) Nr. 1931/2006, S. 9. 214 Ihre Bürger hätten daher ohnehin kein Sondervisum benötigt, da sie für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten ohne Visum in die EU einreisen durften. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 539/2001. 215 Dabei handelte es sich um zum Teil sehr unterschiedliche Vorhaben wie Risikoanalysen/ Informationsbeschaffung, Ausbau von Infrastruktur, Schulung von Personal, Seminare und Training für Verwaltungsbeamte, Beratung bei der Entwicklung von politischen Strategien, Schaffung von Foren für den politischen Dialog, Aufstockung von Personal etc. 216 KOM (2006) 735 endg.; KOM (2007) 247 endg.; KOM (2007) 248 endg. Für die Auswertung wurden erstens die Projekte erfasst mit den jeweiligen Budgets, dem Anteil der EU-Förderung, Projektlaufzeiten, Zielländern, -regionen und -routen sowie Zielgruppen, beteiligten Organisationen und involvierten Mitgliedsländern. Zweitens wurde nach einem dafür entwickelten Schlagwortkatalog Projektziele und Projektstrategien ausgewertet. Für die Auswertung des umfangreichsten Dokuments KOM (2006) 735 endg. (106 Projekte) danke

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stellt, weil sich in ihnen die Nuancierung in der Umsetzung des sogenannten »Gesamtansatzes zur Migrationsfrage« zeigt. Es handelt sich dabei erstens um den ersten Jahresbericht zum »Gesamtansatz zur Migrationsfrage«,217 in dem es vor allem um Afrika und das Mittelmeer ging, und zweitens um den Bericht zur Übertragung dieses Ansatzes auf die östlichen und südöstlichen Regionen.218 Anschließend ziehe ich das dritte Dokument zur zirkulären Migration hinzu. Die Auswertung erfasst erstens die jeweils benannten Zielländer, -regionen und -routen,219 zweitens die Projektziele,220 Strategien221 und Zielgruppen,222 und drittens die beteiligten Institutionen (einschließlich internationaler Organisationen),223 die involvierten EU-Mitgliedsstaaten und die Zahl der beteiligten Nicht-EU-Länder. In den folgenden Übersichten sind, um die Differenzierung des Ergänzungsraums deutlich zu machen, den regionalen Gruppen Buchstaben zugeordnet. Aus den 106 Projekten des ersten Berichts zum Gesamtansatz zur Migrationsfrage nach einem Jahr,224 die im Zeitraum 2005/2006 durchgeführt wurden, lässt sich anhand der Zielländer der Projekte ein deutlicher Schwerpunkt auf Westafrika, gefolgt von Ostafrika, rekonstruieren (Tabelle 1).

ich Thomas Sparrow Botero, mit dem ich auch bei der Weiterentwicklung des Schlagwortkatalogs für die Auswertung zusammengearbeitet habe. Die beiden anderen Projektlisten habe ich selbst ausgewertet. Das Manual und die Datenbanken können bei der Autorin eingesehen werden. 217 KOM (2006) 735 endg. 218 KOM (2007) 247 endg. 219 Zielländer und -regionen sind wie in der Quelle bezeichnet, daher erscheinen in der regionalen Zuordnung auch solche Regionen wie »Westbalkan«. 220 Nach einer Verschlagwortung entsprechend des Manuals, beispielsweise »prevent illegal migration«, »manage asylum«, »repatriation« »enhance border security« oder »capacity building« und »policy development«. 221 Nach einer Verschlagwortung im Manual wie »joint operations«, »missions in third countries«, »policy dialogue«, »fiancial assistance«, »training«. 222 Laut Manual: civil society, public institutions/state administration, police, military, political high level, representatives. 223 Von EU-Agenturen wie FRONTEX, EUROPOL, der Kommission und dem Rat über internationale Organisationen wie IMO, UNHCR und Weltbank. 224 Dieser enthält leider keine Angaben zu konkreten Laufzeiten – weil es sich im Wesentlichen um FRONTEX-Operationen sowie um Konferenzen und politische Gespräche handelte, deren Vor- und Nachbereitungszeit nicht erfasst wurden und nur mit den Durchführungsterminen angegeben wurden. Hier fehlen auch Angaben zum Budget der jeweiligen Projekte.

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Tabelle 1: Projekte pro Zielland (Quelle: KOM (2006) 735) Legende: A –Westafrika; B – Ostafrika; C – Nordafrika; D – Zentralafrika; E – EU-Staaten und Beitrittskandidaten; F – Mittelmeer; H – Sonstige; G – Afrika insgesamt Zielländer

Zahl der Projekte

Regionale Zuordnung

Senegal

7

A

Marokko

7

C

Entwicklungsländer

7

H

Libyen

6

C

Spanien

6

E

Mali

5

A

Italien

4

E

Mauretanien

4

A

Frankreich

3

E

Griechenland

2

E

Malta

2

E

Niger

2

A

Algerien

1

C

Türkei

1

E

Kamerun

1

D

Ghana

1

A

Nigeria

1

A

Portugal

1

E

Großbritannien

1

E

Niederlande

1

E

Deutschland

1

E

Tansania

1

B

Äthiopien

1

B

Sudan

1

B

Eritrea

1

B

Somalia

1

B

Guinea

1

A

Ruanda

1

B

Burkina Faso

1

A

an das Mittelmeer angrenzende Länder

1

F

portugiesischsprachige Länder

1

H

kanarische Inseln

1

E

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Erhebt man die explizit genannten Zielregionen, so wird deutlich, dass es hier vor allem um die Sicherung und Beobachtung des Mittelmeerraumes ging (Tabelle 2). Tabelle 2: Projekte pro Zielregion (Quelle: KOM (2006) 735) Legende: A –Westafrika; B – Ostafrika; C – Nordafrika; D – Zentralafrika; E – EU-Staaten und Beitrittskandidaten; F – Mittelmeer; H – Sonstige; G – Afrika insgesamt Zielregionen

Zahl der Projekte

Regionale Zuordnung

Afrika

49

G

Mittelmeer

21

F

Maghreb

2

C

Ostafrika

1

B

Nordafrika

1

C

Afrika: O, W, Zentral

1

G

Tansania und Umgebung

1

B

östliches Mittelmeer

1

F

Mittelmeer, südlich von Sizilien, Lampedusa, Malta

1

F

südliches und östliches Mittelmeer

1

F

spanische Mittelmeerhäfen

1

F

EU-Grenze

1

H

Landgrenze Türkei, Griechenland, Italien

1

H

Lateinamerika

1

H

Nachbarländer

1

H

Ergänzt man diese Betrachtung um die Angaben zu den in den Projekten adressierten Migrationsrouten, wird deutlich, dass diese Projekte sich vor allem jenen Strömen widmeten, die aus West- und Ostafrika über Nordafrika und die Maghrebstaaten in die EU gerichtet waren (Tabelle 3).

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Tabelle 3: Projekte pro Zielroute (Quelle: KOM (2006) 735) Legende: Legende: A –Westafrika; B – Ostafrika; C – Nordafrika; D – Zentralafrika;  E – EU-Staaten und Beitrittskandidaten; F – Mittelmeer; H – Sonstige; G – Afrika insgesamt Zielrouten

Zahl der Projekte

von Afrika in die EU

6

in Afrika und von Afrika in die EU

4

Balkanroute

1

von Libyen in die EU

1

von Mali in die EU

1

von Mali durch Marokko in die EU

1

von Mauretanien/Senegal auf die kanarischen Inseln

1

von Marokko/Libyen in die EU

1

von W-Afrika durch Mauretanien

1

westafrikanische Migrationsroute

1

ostafrikanische Migrationsroute

1

von Lateinamerika in die EU

1

Nordafrika ist hier vor allem Transitraum. Vermehrt sollten die Ursprungsländern der Migration in die EU, vor allem in West-, aber auch in Ost- und Zentralafrika einbezogen werden. Anhand der »Mitteilung zur Übertragung des Gesamtansatzes auf die östlichen und südöstlichen Nachbarregionen«, die ein Jahr später, 2007, erschien und 92 Projekte im Zeitraum von 2001 bis 2009 umfasste, kann auch die Geografie dieses Nachbarraums verdeutlicht werden. Zunächst fällt ins Auge, dass das Konzept der »Nachbarregionen« weit gefasst wurde – diese reichen hier bis nach Süd- und Südostasien. Am Rande sind hier auch Libanon und Marokko225 einbezogen, obwohl sie im engeren Sinne zur älteren Dimension des Gesamtansatzes, zum Süden, gehören. Damit entspricht die politische Geografie dieser Projekte jener der Europäischen Sicherheitsstrategie. Gesamtdauer und Gesamtzahl der geförderten Projekte geben Hinweise auf die Langfristigkeit der Zusammenarbeit: Die direkte östliche Nachbarschaft bildete in dieser Beziehung einen Schwerpunkt, gefolgt vom Westbalkan, Zentralasien und Asien (Tabellen 4 und 5).

225 Marokko in einem Verbundprojekt mit Albanien, Libanon einzeln.

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Tabelle 4: Projekte pro Land (Quelle: KOM (2007) 247) Legende: A – östliche Nachbarn; B – Westbalkan; C – Südkaukausus/Zentralasien;  D – Asien; E – Naher Osten und Türkei; F – Nordafrika Land

Zahl der Projekte

Regionale Zuordnung

Ukraine

14

A

Albanien

14

B

Moldova

12

A

Russische Föderation

8

A

Westbalkan

6

B

Weißrussland

6

A

Georgien

5

C

Armenien

5

C

Bosnien und Herzegowina

4

B

Montenegro und Serbien

4

B

Türkei

4

E

FYROM

3

B

Kasachstan

3

C

Kirgisistan

3

C

Tadschikistan

3

C

Philippinen

3

D

Aserbaidschan

3

C

Naher Osten

3

E

Montenegro

3

B

Zentralasien

2

C

Sri Lanka

2

D

Turkmenistan

1

C

Usbekistan

1

C

Libanon

1

F

Afghanistan

1

D

Pakistan

1

D

Asien

1

D

Macau

1

D

Marokko

1

F

Südkaukasus

1

C

China

1

D

Korea

1

D

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

Land

Zahl der Projekte

Regionale Zuordnung

Japan

1

D

Mekong-Region

1

D

Südasien

1

D

Kroatien

1

B

Bangladesch

1

D

Tabelle 5: Projektdauer in Monaten pro Land (Quelle: KOM (2007) 247) Legende: A – östliche Nachbarn; B – Westbalkan; C – Südkaukausus/Zentralasien;  D – Asien; E – Naher Osten und Türkei; F – Nordafrika Land

Dauer in Monaten

Regionale Zuordnung

Ukraine

358

A

Albanien

289

B

Moldova

283

A

Russische Föderation

268

A

Weißrussland

188

A

Bosnien und Herzegowina

141

B

Westbalkan

133

B

Türkei

132

E

Tadschikistan

131

C

Armenien

118

C

Kasachstan

107

C

Kirgisistan

107

C

Montenegro und Serbien

101

B

Sri Lanka

99

D

Naher Osten

88

E

Georgien

78

C

Montenegro

77

B

FYROM

56

B

Philippinen

54

D

Zentralasien

53

C

Aserbaidschan

48

C

Turkmenistan

48

C

Usbekistan

48

C

Libanon

47

F

Marokko

36

F

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111

112

Grenzregime und Nachbarschaft

Land

Dauer in Monaten

Regionale Zuordnung

Kroatien

36

B

Bangladesch

34

D

Afghanistan

30

D

Pakistan

30

D

Asien

24

D

Macau

24

D

Südkaukasus

24

C

China

24

D

Korea

24

D

Japan

24

D

Mekong-Region

24

D

Südasien

24

D

Hinsichtlich der Abstufungen in der Gesamthöhe der EU-Förderung lässt sich der Schwerpunkt auf der direkten östlichen Nachbarschaft bestätigen, dann allerdings gefolgt von Zentralasien vor dem Westbalkan und Asien (Tabelle 6). Tabelle 6: Höhe der EU-Förderung in € pro Land (Quelle: KOM (2007) 247) Legende: A – östliche Nachbarn; B – Westbalkan; C – Südkaukausus/Zentralasien;  D – Asien; E – Naher Osten und Türkei; F – Nordafrika Land Ukraine

Höhe der EU-Förderung

Regionale Zuordnung

52.351.485,81 €

A

Moldova

41.429.526,39 €

A

Tadschikistan

30.025.934,00 €

C

Kasachstan

29.490.210,00 €

C

Kirgisistan

29.490.210,00 €

C

Turkmenistan

25.600.000,00 €

C

Usbekistan

25.600.000,00 €

C

Weißrussland

17.500.091,40 €

A

Russische Föderation

14.684.494,80 €

A

Albanien

13.162.504,12 €

Philippinen

7.429.694,00 €

D

Westbalkan

7.164.696,71 €

B

Armenien

6.546.695,60 €

C

Bosnien und Herzegowina

5.486.562,98 €

B

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

Land

Höhe der EU-Förderung

Regionale Zuordnung

Naher Osten

5.269.168,00 €

E

Sri Lanka

5.219.740,32 €

D

Aserbaidschan

3.967.090,00 €

C

Georgien

3.541.354,37 €

C

FYROM

3.170.000,00 €

B

Montenegro und Serbien

3.127.823,25 €

B

Zentralasien

2.910.654,00 €

C

Türkei

2.638.197,72 €

E

Montenegro

2.567.956,25 €

B

Bangladesch

2.000.000,00 €

D

China

1.955.335,00 €

D

Korea

1.955.335,00 €

D

Japan

1.955.335,00 €

D

Mekong-Region

1.955.335,00 €

D

Südasien

1.955.335,00 €

D

Marokko

1.334.572,00 €

F

Afghanistan

1.210.654,00 €

D

Pakistan

1.210.654,00 €

D

Kroatien

1.000.000,00 €

B

Asien

848.583,00 €

D

Südkaukasus

777.397,00 €

C

Libanon

761.300,00 €

F

Macau

500.904,80 €

D

In Bezug auf alle drei Indikatoren führt jeweils die Ukraine die Liste an, dicht gefolgt von Moldova, der Russischen Föderation und Weißrussland. Ordnet man die Projekte nach der Höhe der EU-Förderung pro Projekt und Projektmonat, steht Zentralasien an der Spitze, gefolgt von der direkten östlichen Nachbarschaft, Asien und schließlich dem Westbalkan (Tabelle 7 und 8).

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113

114

Grenzregime und Nachbarschaft

Tabelle 7: EU-Förderung pro Projekt in € (Quelle: KOM (2007) 247) Legende: A – östliche Nachbarn; B – Westbalkan; C – Südkaukausus/Zentralasien;  D – Asien; E – Naher Osten und Türkei; F – Nordafrika Land

EU-Förderung pro Projekt Regionale Zuordnung

Turkmenistan

25.600.000,00 €

C

Usbekistan

25.600.000,00 €

C

Tadschikistan

10.008.644,67 €

C

Kasachstan

9.830.070,00 €

C

Kirgisistan

9.830.070,00 €

C

Ukraine

3.739.391,84 €

A

Moldova

3.452.460,53 €

A

Weißrussland

2.916.681,90 €

A

Sri Lanka

2.609.870,16 €

D

Philippinen

2.476.564,67 €

D

Bangladesch

2.000.000,00 €

D

China

1.955.335,00 €

D

Korea

1.955.335,00 €

D

Japan

1.955.335,00 €

D

Mekong-Region

1.955.335,00 €

D

Südasien

1.955.335,00 €

D

Russische Föderation

1.835.561,85 €

A

Naher Osten

1.756.389,33 €

E

Zentralasien

1.455.327,00 €

C

Bosnien und Herzegowina

1.371.640,75 €

B

Marokko

1.334.572,00 €

F

Aserbaidschan

1.322.363,33 €

C

Armenien

1.309.339,12 €

C

Afghanistan

1.210.654,00 €

D

Pakistan

1.210.654,00 €

D

Westbalkan

1.194.116,12 €

B

FYROM

1.056.666,67 €

B

Kroatien

1.000.000,00 €

B

Albanien

940.178,87 €

B

Montenegro

855.985,42 €

B

Asien

848.583,00 €

D

Montenegro und Serbien

781.955,81 €

B

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

Land Südkaukasus

EU-Förderung pro Projekt Regionale Zuordnung 777.397,00 €

C

Libanon

761.300,00 €

F

Georgien

708.270,87 €

C

Türkei

659.549,43 €

E

Macau

500.904,80 €

D

Tabelle 8: EU-Förderung pro Monat und Land in € (Quelle: KOM (2007) 247) Legende: A – östliche Nachbarn; B – Westbalkan; C – Südkaukausus/Zentralasien;  D – Asien; E – Naher Osten und Türkei; F – Nordafrika Land

EU-Förderung pro Monat Regionale Zuordnung

Turkmenistan

533.333,33 €

C

Usbekistan

533.333,33 €

C

Kasachstan

275.609,44 €

C

Kirgisistan

275.609,44 €

C

Tadschikistan

229.205,60 €

C

Moldova

146.394,09 €

A

Ukraine

146.233,20 €

A

Philippinen

137.586,93 €

D

93.085,59 €

A

Weißrussland Aserbaidschan

82.647,71 €

C

China

81.472,29 €

D

Korea

81.472,29 €

D

Japan

81.472,29 €

D

Mekong-Region

81.472,29 €

D

Südasien

81.472,29 €

D

Naher Osten

59.876,91 €

E

Bangladesch

58.823,53 €

D

FYROM

56.607,14 €

B

Armenien

55.480,47 €

C

Zentralasien

54.918,00 €

C

Russische Föderation

54.792,89 €

A

Westbalkan

53.869,90 €

B

Sri Lanka

52.724,65 €

D

Albanien

45.545,00 €

B

Georgien

45.401,98 €

C

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115

116

Grenzregime und Nachbarschaft

Land

EU-Förderung pro Monat Regionale Zuordnung

Afghanistan

40.355,13 €

D

Pakistan

40.355,13 €

D

Bosnien und Herzegowina

38.911,79 €

B

Marokko

37.071,44 €

F

Asien

35.357,63 €

D

Montenegro

33.350,08 €

B

Südkaukasus

32.391,54 €

C

Montenegro und Serbien

30.968,55 €

B

Kroatien

27.777,78 €

B

Macau

20.871,03 €

D

Türkei

19.986,35 €

E

Libanon

16.197,87 €

F

Daraus lassen sich Rückschlüsse auf eine intensive, aber punktuelleFörderung in Zentralasien ziehen. Gemessen an dem Anteil der EU-Förderung am jeweiligen Gesamtbudget der Projekte ergibt sich ein gemischtes Bild. Grundsätzlich lag der Anteil der EU-Förderung am Gesamtbudget der Projekte durchgehend bei mindestens 75 %. Eine Ausnahme bilden hier nur die Türkei und Bangladesch. Projekte in Asien erreichten in keinem Fall eine EU-Beteiligung über 82 %, mit Ausnahme der Philippinen. In der Gruppe der Projekte, bei denen der Anteil der EU-Förderung höher als 89 % lag, halten sich die direkte östliche Nachbarschaft (drei Projekte) und Zentralasien (fünf Projekte) in etwa die Waage. In der Gruppe jener Projekte mit einer Förderquote unter 80 % befanden sich vor allem solche in Asien und auf dem Westbalkan, aber auch in Zentralasien, jedoch keine Projekte in der östlichen Nachbarschaft (Tabelle 9).226

226 Verknüpft man die Höhe des prozentualen EU-Anteils mit der Länderspezifikation, lassen sich diese Gruppen bilden. Die Abgrenzung der Gruppen nach diesen Prozenten ist dabei eine vorläufige und soll zunächst erst einmal eine grundsätzliche Gewichtung deutlich machen.

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

Tabelle 9: Anteil der EU-Förderung pro Land in % (Quelle: KOM (2007) 247) Legende: A – östliche Nachbarn; B – Westbalkan; C – Südkaukausus/Zentralasien;  D – Asien; E – Naher Osten und Türkei; F – Nordafrika Land

Anteil EU-Budget in %

Regionale Zuordnung

Moldova

100,0

A

Turkmenistan

100,0

C

Usbekistan

100,0

C

FYROM

100,0

B

Libanon

100,0

F

Ukraine

97,6

A

Kasachstan

96,8

C

Kirgisistan

96,8

C

Tadschikistan

96,4

C

Bosnien und Herzegowina

95,5

B

Westbalkan

93,0

B

Weißrussland

89,7

A

Philippinen

89,0

D

Zentralasien

85,9

C

Aserbaidschan

85,1

C

Russische Föderation

84,7

A

Albanien

84,6

B

Georgien

84,5

C

Afghanistan

81,3

D

Pakistan

81,3

D

Sri Lanka

80,4

D

Asien

80,0

D

Macau

80,0

D

Naher Osten

80,0

E

Marokko

80,0

F

Südkaukasus

80,0

C

Armenien

80,0

C

China

79,9

D

Korea

79,9

D

Japan

79,9

D

Mekong-Region

79,9

D

Südasien

79,9

D

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117

118

Grenzregime und Nachbarschaft

Land

Anteil EU-Budget in %

Regionale Zuordnung

Kroatien

78,4

B

Montenegro und Serbien

76,6

B

Montenegro

75,8

B

Türkei

66,5

E

Bangladesch

14,6

D

Dieses Bild lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die östliche Nachbarschaft wurde langfristig – sowohl absolut als auch relativ – intensiv gefördert. In Zentralasien war die Unterstützung kurzfristiger, aber mit höheren finanziellen Mitteln pro Projekt. Der Westbalkan wurde langfristiger, aber mit geringeren Mitteln insgesamt und pro Projekt bedacht. Und die EU-Aktivität in Asien gestaltete sich insgesamt noch vorsichtiger und offensichtlich stärker in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Herausragende Förderung erhielten in der östlichen Gruppe die Ukraine und Moldova, innerhalb des Westbalkans war es Albanien. Betrachtet man diese beiden Projektkataloge nach den jeweiligen Projektzielen und den favorisierten Strategien, werden die Unterschiede im Herangehen an die jeweiligen Nachbarräume sichtbar (Tabelle 10). Tabelle 10: Vergleich Projektziele und Strategien (Quellen: KOM (2006) 735, KOM (2007) 247, KOM (2007) 248) Zahl der Projekte in 735

Zahl der Projekte in 247

Zahl der Projekte in 248

Anteil der Projekte in % in 735

Anteil der Projekte in % in 247

Anteil der Projekte in % in 248

capacity building in third countries

5

30

4

4,7

32,6

25

collect information

30

1

4

28,3

1,1

25

create regional/national networks in /with third countries

2

10

2

1,9

10,9

12,5

develop regional/ national strategies in third countries

0

5

1

0

5,4

6,3

enhance border security

2

16

0

1,9

17,4

0

Strategien

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

Zahl der Projekte in 735

Zahl der Projekte in 247

Zahl der Projekte in 248

Anteil der Projekte in % in 735

Anteil der Projekte in % in 247

Anteil der Projekte in % in 248

enhance EU border security

19

5

0

17,9

5,4

0

improve remittance services

6

3

2

5,7

3,3

12,5

institution building

0

9

3

0

9,8

18,8

integrate migrants in the EU

0

0

1

0

0

6,3

knowledge transfer

6

2

3

5,7

2,2

18,8

manage asylum/ refugees

4

31

0

3,8

33,7

0

manage irregular migration in third countries

7

20

0

6,6

21,7

0

manage labour migration

12

9

5

11,3

9,8

31,3

manage transit migration

10

0

0

9,4

0

0

policy development

4

8

3

3,8

8,7

18,8

prevent illegal migration

30

7

4

28,3

7,6

25

promote EU-standards

41

20

1

38,7

21,7

6,3

promote legal migration

2

7

1

1,9

7,6

6,3

raise awareness in third countries

2

7

2

1,9

7,6

12,5

readmission

10

4

0

9,4

4,3

0

repatriation

1

11

1

0,9

12

6,3

safety of documents

1

2

0

0,9

2,2

0

agreements/ treaties

2

0

0

1,9

0

0

10

2

0

9,4

2,2

0

Strategien

contact points in third countries

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119

120

Grenzregime und Nachbarschaft

Strategien dialogue

Zahl der Projekte in 735

Zahl der Projekte in 247

Zahl der Projekte in 248

Anteil der Projekte in % in 735

Anteil der Projekte in % in 247

Anteil der Projekte in % in 248

63

0

1

59,4

0

6,3

equipment

0

13

0

0

14,1

0

exchange between member states

7

0

0

6,6

0

0

financial assistance

2

6

0

1,9

6,5

0

information campaigns

2

9

3

1,9

9,8

18,8

joint declarations

14

0

0

13,2

0

0

joint operation member states

6

0

0

5,7

0

0

joint operations member state/ third country

4

0

0

3,8

0

0

legal framework

6

9

1

5,7

9,8

6,3

mission in third countries

7

1

0

6,6

1,1

0

patrols at the EUborder

4

0

0

3,8

0

0

risk analysis/research

23

0

5

21,7

0

31,3

technical assistance

0

32

6

0

34,8

37,5

10

11

8

9,4

12

50

training

Im »Gesamtansatz zur Migrationsfrage nach einem Jahr« handelte es sich im wesentlichen um zwei Gruppen von Projekten: Zum einen um Projekte im Rahmen von FRONTEX – wie gemeinsame Operationen der Mitgliedsstaaten zum Grenzschutz oder Risikoanalysen – zum anderen um die Intensivierung des politischen Dialogs mit afrikanischen Staaten und Organisationen, wie der AU und ECOWAS. Hier ging es vor allem gemeinsame Problemanalysen und -beschreibungen im politischen Dialog, auf Konferenzen und Gipfeltreffen, auch mit dem Ziel, gemeinsame Erklärungen zur Migrations- und Grenzpolitik zu verabschieden. Diese Aktivitäten wurden vor allem aus den Programmen ARGO und AENEAS finanziert, also aus Mitteln, die für Grenzschutz und die Migrationspolitik gezielt eingesetzt werden konnten. Vielfach waren EU-Mitgliedsstaa-

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

ten – vor allem Portugal, Spanien, Frankreich und Italien, aber auch u. a. Großbritannien, Deutschland und Belgien – beteiligt, neben FRONTEX, EUROPOL, der IOM und dem UNHCR. Die Kommission war in fast alle Projekte involviert. Zielgruppen dieser Projekte waren vor allem politische Vertreter/Diplomaten auf höchster Ebene (in 63 von 106 Projekten), und staatliche Agenturen (24 Projekte). Bedeutend seltener richteten sich die Projekte an Migranten und Flüchtlinge (16 Projekte), die Polizei (11 Projekte) und die Zivilgesellschaft (8 Projekte). Die wichtigsten Ziele waren: Erstens die Vermittlung von EU-Standards in Drittländern (41 Projekte bzw. 38,7 % der Projekte), zweitens Informationsgewinnung (30 bzw. 28,3 %), drittens die Verhinderung illegaler Migration (30 bzw. 28,3 %) und viertens die Sicherung der EU-Grenze (19 bzw. 17,9 %). Die maßgeblichen Strategien für die Erreichung dieser Ziele waren überwiegend politischer Dialog (63 bzw. 59,4 %), Risikoanalysen (23 bzw. 21,7 %) und schließlich gemeinsame Erklärungen (14 bzw. 13,2 %). Die Projekte der »Übertragung des Gesamtansatzes auf die östlichen und südöstlichen Nachbarregionen« wurden zwar ebenfalls zum Teil aus den Programmen AENEAS und der Haushaltslinie B7–667 finanziert, also aus unmittelbaren Ressourcen der EU-Migrationspolitik, nicht jedoch aus ARGO (Grenzschutz) und zusätzlich aus CARDS und TACIS – Programmlinien, die nicht nur für die Zusammenarbeit in Migrationsfragen, sondern als umfassendere Mittel für die Entwicklungshilfe im Westbalkan und in der östlichen Nachbarschaft zur Verfügung standen. An diesen Projekten beteiligten sich seltener EU-Mitgliedsstaaten direkt (darunter Belgien, Frankreich, Österreich und Italien von den alten Mitgliedsländern, Polen und Ungarn von den neuen), vielmehr vergab die EU-Kommission Mittel an durchführende Organisationen, vor allem an die IOM, das UNHCR, die ILO, das UNDP und die Weltbank sowie an einzelne (N)GOs aus den Mitgliedsstaaten. FRONTEX oder EUROPOL waren an keinem der Projekte beteiligt. Hauptzielgruppen waren erstens staatliche Agenturen (72 Projekte) und zweitens die Migranten selbst (30 Projekte) sowie die Zivilgesellschaft (19 Projekte), schließlich, aber weit seltener, die Polizei (4 Projekte) und die höchste politische Ebene (1 Projekt). Bei den Zielen rangierte das Management der Asyl- und Flüchtlingsproblematik (33,7 % aller Projekte) vor dem Aufbau von Handlungsfähigkeit (capacity building) in Drittstaaten (32,6 %), gefolgt von der Steuerung irregulärer Migration in Drittländern (21,7 %) und der Förderung von EU-Standards (21,7 %). Die wichtigste Strategie war die technische Hilfe (34,8 %), die jedoch für die südlichen Regionen von marginaler Bedeutung war, gefolgt von der Lieferung

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121

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Grenzregime und Nachbarschaft

technischer Ausstattung, direkten finanziellen Beihilfen, dem Aufbau rechtlicher Infrastrukturen sowie Ausbildungs- und Informationskampagnen. Im Vergleich dieser Komplexe lässt sich folgendes schlussfolgern: In der südlichen Nachbarschaft standen die Verhinderung illegaler Migration und der Schutz der EU-Grenze an vorderster Stelle. Dazu mussten vor allem Informationen gesammelt, die Einsatzfähigkeit des EU-Grenzschutzes verbessert und der politische Dialog mit den Herkunfts- und Transitstaaten intensiviert werden. Eine direkte Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und den Migranten selbst schien hier weder möglich noch beabsichtigt, vielmehr wurde einerseits die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten gestärkt und andererseits erste politische Konsultationen auf höchster Ebene organisiert. Diese Nachbarschaft erschien damit einerseits als bedrohlicher und ihre Abschottung dringlicher, andererseits waren eher politische als gesellschaftliche Interventionen die strategischen Instrumente der Wahl. Mit den östlichen und südöstlichen Nachbarregionen hingegen wurde die Zusammenarbeit in Migrations- und Grenzfragen auf der Grundlage bereits bestehender Erweiterungs- und Entwicklungszusammenarbeit behandelt. Grenzschutz und Verhinderung illegaler Migration standen weniger im Vordergrund als der Aufbau von Fähigkeiten der Nachbarländer, die Flüchtlingsund Migrationsproblematik vor Ort selbst steuern zu können – und auf diese Weise den Migrationsdruck auf die EU über diese Transitrouten abzufedern. Gesellschaftliche Akteure und Migranten spielten eine wichtige Rolle, vor allem aber stand die Reformierung von staatlichen Behörden in den Nachbarländern auf der Agenda. Dieses Muster und das ihm zugrundeliegende Raumverständnis kamen in der südlichen Nachbarschaft erst unter der Überschrift der »zirkulären Migration« und der Mobilitätspartnerschaften zum Tragen.227 Die entsprechende Mitteilung veröffentlichte die Kommission ebenfalls 2007. Die Mitteilung enthält einen Anhang mit 16 Projekten mit einer Laufzeit zwischen 2001 und 2008. Der hier durch die Projekte erschlossene Raum umfasste mit Marokko, Ägypten und Tunesien vor allem Teile Nordafrikas, durch die nochmalige Aufführung von fünf Projekten aus der vorherigen Mitteilung228 kam hier die östliche Nachbarschaft, der Westbalkan und Zentralasien hinzu. Finanziert wurden diese Projekte wieder zu einem Großteil aus dem Programm AENEAS und der Haushaltslinie B7–776, aber auch aus MEDA, dem Programm für die Zusam227 KOM (2007) 248 endg. 228 KOM (2007) 247 endg.

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

menarbeit für die Mittelmeeranrainer, das nicht nur für Migrations- und Grenzfragen bestimmt war. Die EU-Mitgliedsstaaten, vor allem Italien, Spanien und Frankreich waren vertreten entweder durch Nichtregierungsorganisationen oder kommunale Behörden – durchführende Partner, nur in zwei Projekten spielten internationale Organisationen (ILO und IOM) diese Rolle. Gemessen an der Zahl und Gesamtdauer der Projekte lag der Schwerpunkt auf Nordafrika, insbesondere auf Marokko (Tabelle 11 und 12). Tabelle 11: Projekte pro Land (Quelle: KOM (2007) 248) Legende: A – Nordafrika; B – EU; C – Afrika; D – östliche Nachbarn; E – Westbalkan; F – Zentralasien/Südkaukasus; G – Sonstige Land

Zahl der Projekte

Regionale Zuordnung

Marokko

7

A

Italien

3

B

Spanien

3

B

Ägypten

2

A

Afrika

1

C

Kolumbien

1

F

Tunesien

1

A

Westbalkan

1

E

Ukraine

1

D

Südkaukasus

1

F

Russische Föderation

1

D

Armenien

1

F

Kasachstan

1

F

Kirgisistan

1

F

Tadschikistan

1

F

Tabelle 12: Dauer der Projekte in Monaten pro Land (Quelle: KOM (2007) 248) Legende: A – Nordafrika; B – EU; C – Afrika; D – östliche Nachbarn; E – Westbalkan; F – Zentralasien/Südkaukasus; G – Sonstige Land

Projektmonate

Regionale Zuordnung

217

A

Italien

84

B

Spanien

78

B

Russische Föderation

36

D

Armenien

36

F

Marokko

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Grenzregime und Nachbarschaft

Land Kasachstan

Projektmonate

Regionale Zuordnung

36

F

Kirgisistan

36

F

Tadschikistan

36

F

Ukraine

33

D

Tunesien

30

A

Afrika

24

C

Kolumbien

24

G

Südkaukasus

24

F

Ägypten

18

A

Westbalkan

18

E

Allerdings waren hier sowohl der Anteil der EU-Förderung an den Projekten als auch die absolute Höhe der EU-Mittel geringer als für Projekte in der östlichen Nachbarschaft und in Zentralasien (Tabelle 13). Tabelle 13: Anteil der EU-Förderung in % (Quelle: KOM (2007) 248) Legende: A – Nordafrika; B – EU; C – Afrika; D – östliche Nachbarn; E – Westbalkan; F – Zentralasien/Südkaukasus; G – Sonstige Land

Anteil der EU-Förderung in %

Regionale Zuordnung

Ukraine

89,9

D

Tunesien

80

A

Ägypten

80

A

Italien

80

B

Kolumbien

80

G

Spanien

80

B

Westbalkan

80

E

Südkaukasus

80

F

Russische Föderation

79,9

D

Armenien

79,9

F

Kasachstan

79,9

F

Kirgisistan

79,9

F

Tadschikistan

79,9

F

Afrika

73,7

C

Marokko

63,4

A

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Die Geburt der EU aus dem Geist der Grenze

Zielgruppen waren vor allem staatliche Agenturen (in 10 von 16 Projekten), aber auch zivilgesellschaftliche Akteure (7 Projekte) und Migranten (10 Projekte). Mit Blick auf Zielstellungen und Strategien bildeten die hier gelisteten Projekte eine Mischung aus dem Vorgehen in den beiden oben untersuchten Dokumenten (vgl. Tabelle 10). Am häufigsten ging es um die Steuerung von Arbeitsmigration (31,3 %), gefolgt von Informationsbeschaffung (25 %) sowie dem Aufbau von Handlungsfähigkeit in den Mitgliedsstaaten (25 %). Hinzu kamen der Aufbau von Institutionen, Wissenstransfer und Politikentwicklung. Die hierfür eingesetzten Strategien waren technische Hilfe (37,5 %), Risikoanalysen (31,3 %) und Informationskampagnen (18,8 %). Nicht nur Kommissions- und Ratsdokumente, sondern auch in konkreten Projekten wird eine politische Geografie des Grenz- und Nachbarraums sichtbar, die nicht nur zwischen Grenze, Grenzvorbereich und Drittstaaten unterscheidet, sondern ebenfalls zwischen östlichen und südlichen Grenzgebieten differenziert. Der Süden wurde an der Grenze und im Grenzvorbereich abgeschottet, während es im Osten um die Anpassung rechtlicher Regelungen ging, um Normentransfer, die Ausbildung von Grenzschützern und Einwanderungsbehörden sowie um den Ausbau einer Infrastruktur für den vorgelagerten Grenzschutz und um Auffangräume für Flüchtlinge und Migranten, die den Osten als Transitraum benutzten.

2.1.4 Zusammenfassung Die Entwicklung des EU-Grenz- und Migrationsregimes, seine Differenzierung, gewissermaßen die Feinabstimmung des EU-Instrumentariums, zeigte sich in vier Bereichen. Erstens: Seitdem innerhalb des Schengenraumes die Kontrollen an den Binnengrenzen sukzessive aufgehoben wurden, hat die Europäische Union, vor allem nach der Integration des Schengenregelwerks in den acquis communitaire im Jahr 1997, eine gemeinsame Begrifflichkeit für die EU-Außengrenze – oder genauer: die Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – entwickelt. Die EU hat hier mittlerweile eine fein justierte Terminologie herausgebildet, um mit zwei Problemen umzugehen: Einerseits, dass sie juristisch keine gemeinsame Außengrenze besitzt und der Schutz von Grenzen nach wie vor ein Kernbereich nationaler Souveränität ist und andererseits, dass »die« EUAußengrenze hochgradig unterschiedliche Anforderungen für die Befriedigung des europäischen Sicherheitsbedürfnisses stellt – Landgrenzen erfordern andere Methoden als Seegrenzen, der Umgang mit den östlichen Nachbarn muss anders gestaltet werden als jener mit den südlichen.

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Grenzregime und Nachbarschaft

Daran schließt der zweite Aspekt an: Vor allem in den letzten zehn Jahren hat sich das Verständnis der politischen Geografie dieser Grenze differenziert. Eine Reihe von Deutungen und Strategien wurden zunächst für den Umgang mit den südlichen (See-)Grenzen und Nachbarn entwickelt, die zum Teil auf den später in den Blick rückenden östlichen und südöstlichen Grenzabschnitt und die daran anschließende Nachbarschaft übertragen wurden. Bei dieser Übertragung mussten jedoch erhebliche Anpassungsleistungen erbracht werden, denn einerseits hatte sich gezeigt, dass die Exterritorialisierung des EUMigrations- und Grenzregimes, also die Verteilung der Kosten auf die südlichen Nachbarstaaten, nicht ohne Gegenleistungen zu bewerkstelligen war. Andererseits war das Drängen der (neuen) östlichen Nachbarn auf migrations- und grenzpolitische Gegenleistungen noch größer als aus dem Süden. Regelungen zur Visaerleichterung und sensibler abgestufte Grenzregime zur Erleichterung des lokalen Grenzverkehrs wurden zuerst für die Nachbarn im Osten erprobt, sogenannte Mobilitätspartnerschaften wurden später vor allem mit Blick auf den Süden entwickelt, auch wenn sie hier bislang einer konkreten Umsetzung harren.229 Die EU unterschied also zunehmend zwischen unterschiedlichen Grenzsituationen und fand für diese abgestufte Begrifflichkeiten und präziser abgestimmte Strategien. Die EU-Außengrenze lässt sich somit nicht einfach unter der Überschrift einer »wall around the West« subsumieren. Drittens: Nicht nur die politische Geografie der Grenze, sondern auch jene der Ergänzungsräume ist nuancierter geworden. Das Bewusstsein über die Verknüpfung innerer und äußerer Belange auf den Gebieten Sicherheit, Grenzschutz und Migration ist gewachsen, die Bedeutung von Verflechtungs- und Ergänzungsräumen hat zugenommen. Die EU versucht dabei einerseits, Ströme und Migrationsrouten in diesen Räumen zu beobachten und zu regulieren, andererseits in die Strukturen der angrenzenden Räume einzugreifen – durch den Transfer von EU-Normen, die Entsendung von »Experten« und Beratern, den Aufbau von Infrastruktur und die Errichtung von Überwachungssystemen außerhalb des EU-Territoriums. Auf diese Weise soll der Aufwand der Überwachung und Steuerung direkt an der Grenze verringert werden. Viertens: Die Karriere des Begriffs »border management« auf Kosten von »border control« verweist auf ein subtileres Verständnis dessen, was das Grenzund Migrationsregime zu leisten in der Lage sein soll: Es geht vermehrt um Steuerung, weniger um restriktive, grundsätzliche Verhinderung von Migration, 229 Bislang wurden Partnerschaften nur mit Kap Verde, sonst aber mit östlichen Partnerstaaten, nämlich Moldova, Georgien und Armenien abgeschlossen.

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Von der Erweiterung zur Nachbarschaft

nachdem seit Mitte der 2010er Jahre zumindest die EU-Kommission entdeckt hatte, dass effektiv gelenkte Arbeitsmigration zur Bewältigung der Aufgaben der Lissabon-Agenda von Nutzen zu sein versprach und Fachkräftemangel wie demografisches Defizit ausgleichen helfen könnte. In diesem Sinne widmete sie sich in den letzten Jahren vermehrt der legalen Migration und es fanden Vorstellungen von »zirkulärer« Migration und Mobilitätspartnerschaften Eingang in das EU-Repertoire. Auffallend – und wenig überraschend – dabei ist, dass die Bereitschaft zur Entwicklung solcher Angebote in dem Maße wuchs, in dem das Funktionieren der eher restriktiven Instrumente der EU-Grenzund Migrationspolitik wie die Grenzschutzagentur FRONTEX oder europäische Rücknahmeabkommen mit Drittstaaten gesichert schien oder zumindest weit vorangetrieben war.

2.2 Von der Erweiterung zur Nachbarschaft 2.2.1 Der fragmentierte Ergänzungsraum: Einführung und Forschungsstand Dass EUropa eine Nachbarschaft besitzt, deren Geschichte und Gegenwart eng mit ihm verflochten ist und die ein erhebliches Maß an Eigensinn besitzt, dessen Folgen schwer kalkulierbar sein könnten, war wohl seit dem Beginn der tunesischen »Jasminrevolution«230 im Dezember 2010 endgültig in das Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit gedrungen. Dass die Union mit Blick auf diesen Raum, seinen südlichen wie östlichen Teil, fast zehn Jahre zuvor begonnen hatte, eine umfassende außenpolitische Strategie zu entwickeln – nämlich die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) – dürfte mindestens westlich

230 Diesen Titel trug ursprünglich die Machtübernahme Ben Alis in Tunesien 1987 und wurde nun mehr oder weniger ironisch auf die Ereignisse 2010/11 übertragen. Vgl. Bensedrine; Avenarius; Tunisia’s Jasmine revolution; »Révolution du jasmin«. – Interessanterweise wurde der Begriff der »Jasminrevolution« auch auf weitere Bewegungen in der arabischen Welt übertragen und gar von den im Februar 2011 aufflammenden Protestbewegungen in China übernommen (vgl. Wagner). Damit unterstrich diese Bezeichnung offensichtlich zunehmend die Bedeutung einer politischen Protestbewegung in im Westen lange als autokratisch regierten und wenig reformaffinen geltenden außereuropäischen Gesellschaften, die sich neuer Strategien zur Organisation des Protests aus dem Web 2.0 wie Facebook und Twitter bedienten. In dieser Selbst- wie Fremdzuschreibung spiegelten sich damit auch nach wie vor gültige Muster des globalen mapping in »the West« and »the Rest«.

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der Oder231 über den Kreis der professionell in Universitäten und Think Tanks damit befassten Experten hinaus weniger bekannt gewesen sein. Vor allem im Vergleich mit der Frage, wie eine europäische Migrationspolitik ausgestaltet sein müsste, wird die Begrenztheit einer breiteren öffentlichen Diskussion über die Nachbarschaftspolitik deutlich. Das lässt sich möglicherweise damit begründen, dass die Gegenstände und Folgen der europäische Migrationspolitik bedeutend greifbarer und auch medial besser abzubilden sind, als jene der Nachbarschaftspolitik: vor den Küsten Lampedusas, der Kanaren oder Maltas gestrandete Flüchtlinge, die Auseinandersetzung um erwünschte und unerwünschte Arbeitsmigranten und der Kampf gegen Schmuggler hier; abstrakte Vorgänge wie Demokratisierung, wirtschaftliche Integration und Stabilisierung von Konfliktregionen dort. Darüber hinaus hatte die Union in der Zeit, in der die ENP zum ersten Mal konkretisiert wurde, gleich mehrere Krisen zu bewältigen: Der EU-Verfassungsvertrag war in den französischen und niederländischen Referenden gescheitert, die Iren hatten den Vertrag von Lissabon 2007 abgelehnt und 2008 begann sich die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise abzuzeichnen.232 Zum anderen spiegelt das Ungleichgewicht zwischen der Abwesenheit einer öffentlichen Diskussion einerseits und der Lebhaftigkeit der Debatte vor allem in außenpolitischen Think Tanks der Mitgliedsstaaten und der EU andererseits233 eine Grundspannung der Nachbarschaftspolitik wider: Sie stellte sich als ein – mindestens rhetorisch – ambitioniertes Programm der Union zur Gestaltung ihres mehr oder minder unmittelbaren Umfeldes dar, das sich bislang aber vor allem eher als symbolische, denn als eine auf breite Ressourcen gestützte politische Strategie realisiert hat.234 Und sie berührte eine Vielfalt von politischen Problembereichen, die zumeist je gesondert thematisiert wurden: von der 231 Insbesondere für Polen, aber auch für einige der neuen ostmitteleuropäischen EU-Mitglieder besitzt die Nachbarschaftspolitik eine größere, auch öffentlich diskutierte Bedeutung. Vgl. Roth; Normann, Poland’s Involvement. 232 Mitunter wird auch argumentiert, die ENP könne zur Lösung wenigstens der durch eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit einzelner Mitgliedsstaaten herbeigeführten außenpolitischen Krise beitragen. Vgl. Marchetti. 233 Dazu gehören u. a. die Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin), das Center for European Policy Studies (Brüssel), die Stefan-Batory-Foundation (Warschau) oder das Zentrum für angewandte Politikforschung (München) sowie die parteinahen Stiftungen in Deutschland. 234 Sie wird sowohl von der EU selbst als auch von führenden Politikberatern und Beobachtern als »major policy priority« gesehen. So beschrieb Günter Verheugen bereits 2004, also etwa ein Jahr nach der Veröffentlichung der ersten Kommissionspapiere zur ENP, diese als »growing into a major policy priority« (Verheugen, Preface, S. i).

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Von der Erweiterung zur Nachbarschaft

Frage der Zukunft des Erweiterungsprozesses über die Energiepolitik, die Konflikte beispielsweise in Zentralasien, die Demokratisierung benachbarter östlicher und südlicher Staaten bis hin zur Frage des Verhältnisses zu Russland.235 Trotz dieser Paradoxien eignet sich die Ausarbeitung und Differenzierung der Nachbarschaftspolitik durch die Kommission und die Mitgliedsstaaten hervorragend als Untersuchungsfeld für die leitenden Fragen dieser Studie: Wie entwirft die Union ihre Grenzen und ihre Ergänzungsräume, wie wird der politische EU-Raum umgrenzt, gedeutet und zu seinem Außen in Beziehung gesetzt, wie wird diese Deutung wiederum »von außen« angeeignet236 und wie verändert sich dieses Raumbild im Zuge des Erweiterungsprozesses seit Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts? Im Zentrum der vorangehenden Ausführungen stand mit der Migrationsund Grenzpolitik ein Politikfeld, das auf den ersten Blick vermutlich eher als Strategie der Ausgrenzung charakterisiert werden könnte. Dagegen wurde jedoch deutlich, dass die in den letzten zehn Jahren entwickelten Entwürfe zunehmend auf eine partielle Öffnung und die Steuerung (statt einer bloßen Verhinderung) von Verflechtung durch Migration zielten. Ebenso beruhte die Europäische Nachbarschaftspolitik gleichermaßen auf ein- wie ausschließenden Mechanismen in einem fragmentierten Ergänzungsraum. Nach einer Diskussion des bisherigen Forschungsverlaufs werden die wichtigsten Entwicklungslinien dieser Politik skizziert, bevor anhand von EU-Dokumenten und Interviews mit Kommissionsmitarbeitern näher an Einzelprobleme der Raumentwürfe dieser Politik herangerückt wird. Aus der wachsenden – jedoch im Vergleich zu anderen Politikfeldern der EU-Integration bislang weniger umfangreichen – Forschung zur Europäischen Nachbarschaftspolitik lassen sich drei Grundthemen ableiten. Zum ersten ist dies der Zusammenhang zwischen Nachbarschaftspolitik und Erweiterung, zum zweiten der Zusammenhang zwischen Nachbarschaftspolitik und der Frage nach der EU als besonderem außenpolitischen Akteur. Zum Dritten geht es um die Wirkungen der Nachbarschaftspolitik auf die politisch-räum235 Zur Stärke und gleichzeitigen Schwäche der ENP als Querschnittspolitik vgl. Ferrero-Waldner (Q), The European Neighbourhood Policy; eher kritisch: Koopmann. 236 Vgl. dazu das Forschungsprojekt »EuroGaps. Differences between the EU’s foreign policy mission and its external perceptions in sub-Saharan Africa and the Black Sea region« am Institut für Humangeografie der Universität Frankfurt am Main unter der Leitung von Martin Müller und Veit Bachmann. In dieser Arbeit wird die Aneignung, zumindest in der Grenzregion auch von ukrainischer Seite, im Kapitel vier untersucht. Und der Fall Polen, das zumindest bis 2004 als Vertreter eines »Außenblicks« gelten kann, wird in Kapitel drei in den Blick genommen.

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liche Ordnung des Kontinents sowie um die Veränderung von Territorialisierungsregimen,237 die durch die EU mit angestoßen wird. Ein auffälliges übergreifendes Kennzeichen dieser vor allem aus der Politikwissenschaft und der politischen Soziologie stammenden Literatur ist ihre Herkunft aus Stiftungen und Think Tanks, die, wie Katrin Böttger in ihrer Studie zur Europäischen Nachbarschaftspolitik ausgeführt hat, vielfach nicht nur Beobachter sondern insbesondere in der Frühphase Mitgestalter dieser Politik gewesen sind.238 In diesem Sinne können ihre Beiträge auch als Quellen für unsere Fragestellungen gedeutet werden.239 Im Folgenden geht es deshalb eben nicht nur um eine Literaturschau, die der Identifizierung von Forschungslücken dient. Die hier etwas ausführlicher vorgestellten Studien sind nicht nur wissenschaftliche Beobachtungen der Entwicklung einer Europäischen Nachbarschaftspolitik, sie sind bis zu einem gewissen Grad selbst Teil dieses Prozesses.240 In jedem Fall gehören sie zur Aushandlung nicht nur darüber, wie der EU-Raum ist, beschrieben und untersucht werden kann, sondern wie er sein soll.

Der Zusammenhang von ENP und EU-Erweiterung Die ersten Ansätze zu dieser neuen politischen Strategie wurden zu einer Zeit formuliert, als auch die Europäische Sicherheitsstrategie von Javier Solana im Jahr 2003 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Auch diese hatte, wie oben dargestellt, die benachbarten Regionen als bedeutsamen Aktionsraum entdeckt. Bereits 2002 waren die Beitrittsverhandlungen mit jenen Staaten abgeschlos-

237 Diese Konzeptionalisierung des Problemkreises ist eine Deutung dieser Studie. Diese Begrifflichkeit findet sich nicht notwendigerweise in der Forschungsdiskussion. 238 Böttger, S. 15–17. An anderer Stelle wird der Literaturstand optimistischer eingeschätzt (vgl. Tulmets, Can the Discourse, S. 195), allerdings bleibt auch hier zu betonen: Es handelt sich vor allem um Sammelbände, Themenheften von Zeitschriften, Working Papers von Think Tanks und Zeitschriftenaufsätze. 239 Als monografische Studie zählt Böttgers Arbeit zu den wenigen Ausnahmen, die sich in dieser Form dem Thema nähern. Man könnte allerdings Arbeiten wie jene Georg Vobrubas oder Patrick Holdens im weitesten Sinne zum Problemfeld rechnen, allerdings ist die Nachbarschaftspolitik hier nur ein Aspekt des übergreifenden Problems, vgl. Vobruba, Die Dynamik Europas; Holden. 240 Was vor allem für die aus Think Tanks stammende Literatur gelten kann, bspw. der SWP und dem CEPS.

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Von der Erweiterung zur Nachbarschaft

sen worden, die seit 2004 zur EU gehören.241 Genau in diesem Moment entstanden die ersten Überlegungen zum Umgang mit den zukünftigen Nachbarn und zur Positionierung der EU in einer Welt im Wandel. Der Zusammenhang zwischen den beiden Problemfeldern der Erweiterung und der europäischen Sicherheitsstrategie wird auch in der wissenschaftlichen Diskussion herausgestellt. So unterstreicht Roberto Aliboni: »The European Neighbourhood Policy (ENP) is part of the EU’s most recent foreign policy efforts aimed at strengthening its security with respect to the new neighbouring countries […]«.242 Zwar könne die Erweiterung als »a proximate motivation«243 gelten, ihre Wurzeln lägen aber in Überlegungen zur Europäische Sicherheitsstrategie, die auf die Herausforderungen »der Globalisierung« eine politisch-geografisch fundierte Antwort zu finden suche. Auch Michael Emerson, Experte an einem EU-nahen Think Tank in Brüssel diskutiert die Sicherheitsdimension der Nachbarschaft ausführlicher.244 An beiden Beiträgen lässt sich eine Tendenz ablesen, die auch für weitere Beiträge zum Thema gelten kann: Die Nachbarschaft als Sicherheitsproblem wird vor allem mit Blick auf den Süden diskutiert, hingegen gehört die sicherheitspolitische Dimension im Osten zumeist zu einem umfassenderen Demokratisierungs- und Modernisierungsansatz.245 Die Stabilisierung des Südens übersetzt sich vor allem in die Bekämpfung der illegalen Migration, die Lösung des Konflikts im Nahen Osten und vor allem in weiter reichende geopolitische Überlegungen zum Status der EU als regionaler Macht in Nordafrika und im Nahen Osten – mitunter auch in Konkurrenz zu den USA.246 Emersons »Greater Middle East« als Teilraum der EU-Nachbarschaft ist dabei auch Zielgebiet US-amerikanischer Überlegungen der »Greater Middle East Initiative«.247 Der räumliche Zuschnitt, den Emerson wählt und die dafür gewählte Bezeichnung ist sicherlich nicht zufällig identisch mit dem begrifflichen Repertoire US-amerikanischer Strategen, sondern unterstreicht die Ver-

241 Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Litauen, Estland, Lettland, Slowenien, Malta und Zypern. 242 Aliboni, S. 1. 243 Ebd. 244 Emerson, The Wider Europe Matrix. 245 Vor allem Emerson unterscheidet eine »Wider Neighbourhood« von einem »Greater Middle East« und sortiert die Problemstellungen Sicherheit und Europäisierungen entlang dieser geografischen Unterscheidung (vgl. ebd.). Siehe auch Masala; zur Fokussierung der EU auf den sicherheitspolitischen Aspekt im Süden vgl. auch Holden. 246 Vgl. u. a. Aliboni. 247 Masala, S. 133–135.

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flechtung geopolitischer, sicherheitspolitischer und eurozentrischer Motive bei der Kartierung dieses Raumes für die aktuellen EUropäischen Entwürfe.248 Ein weitaus größerer Teil der Forschung legt hingegen den Schwerpunkt auf den Zusammenhang zwischen Nachbarschaftspolitik und laufenden wie zukünftigen Erweiterungsprozessen. Unter dem Stichwort der »Pfadabhängigkeit« wird in der Diskussion mindestens dreierlei verhandelt. Dies ist erstens die Ableitung der Nachbarschaftspolitik aus den vorherigen Erfahrungen mit der Erweiterung 2004. Hier geht es um den Erfahrungstransfer des ehemaligen Erweiterungspersonals der EU, das sich mit dem absehbaren Abschluss des Erweiterungsprozesses auf die Suche nach neuen Betätigungsfeldern begeben habe.249 Es geht aber auch um die Übertragung einmal erprobter Instrumente in den neuen politischen Rahmen, insbesondere die Konditionalitätslogik und das Modernisierungsprogramm.250 Eine zweite Diskussion entfaltet sich um die Frage, inwiefern die ENP als angemessener Ersatz für ausbleibende oder aufgeschobene weitere Erweiterungsschritte gelten könne.251 Hier wird vor allem die unzureichende Mittelausstattung der Politik beklagt sowie das Fehlen eines echten außenpolitischen Konsenses unter den Mitgliedsstaaten, der zu widersprüchlichen Signalen an die Nachbarstaaten führe. Mithin sei deren Frustration vorprogrammiert.252 Auch werden nachdrückliche Zweifel geäußert, ob sich die Konditionalitätslogik aus der Erweiterungspolitik ohne glaubwürdige Aussicht auf einen Beitritt des Nachbarstaates bzw. ohne eine reale Sanktionsmacht der EU gegenüber ihren »Partnern« tatsächlich weiterführen lasse.253 Mit diesem Diskussionsstrang ist schließlich drittens in einigen Fällen der Versuch verknüpft, die ENP als Vor-Erweiterungsstrategie zu deuten.254 248 Zur Einteilung der Welt als »Metageografie« vgl. Lewis u. Wigen. Diese können dabei auch eindrücklich zeigen, dass gerade die mit »Greater Middle East« beschriebene Region ein besonderes Experimentierfeld für die Einteilung der Welt in Weltregionen und die daran geknüpften Zuschreibungen war. 249 Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik?, S. 7; Böttger, S. 17; vgl. Interviews Brüssel 2, Brüssel 3, Brüssel 6. 250 Den Literaturstand prüft in diese Richtung kritisch: Bendiek, Die Europäische Nachbarschaftspolitik. Mit diesem Problem beschäftigen sich auch die Arbeiten zur External Governance-Problematik, u. a. Lavenex, A governance perspective; dies., Lehmkuhl u. Wichmann. 251 In diesem Sinne vor allem die Beiträge in Koopmann u. Lequesne; sowie Kosior u. Jurkowska. 252 Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik?, S. 9. Mit den Positionen insbesondere der neuen, aber auch alter Mitgliedsstaaten im Detail beschäftigen sich: Roth; Normann, Poland’s Involvement; Natorski. 253 Vgl. die Beiträge in Koopmann u. Lequesne; Kosior u. Jurkowska; sowie die kritische Bestandsaufnahme in Bendiek, Die Europäische Nachbarschaftspolitik. 254 Dies vor allem in den Beiträgen in Kosior u. Jurkowska und in Podolski u. Normann.

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Von der Erweiterung zur Nachbarschaft

Gemeinsam ist einem Großteil dieser Literatur eine gewisse normative Prägung bzw. – begründbar aus ihrer disziplinären (politikwissenschaftlichen) oder institutionellen (beratungsorientierten) Herkunft – ihre Suche nach Ansätzen zur Problemlösung und Effizienzsteigerung politischer Strategien.255 Dabei tritt vielfach die Frage in den Hintergrund, warum die mehr oder minder implizit angenommene Fortsetzung der Erweiterung der EU um zusätzliche Mitgliedsstaaten überhaupt notwendig und wünschbar sein könnte bzw. wie die verschiedenen Advokaten dieses Vorhabens – jenseits von Modernisierungs- und Demokratisierungsprojekten – zu dieser Prioritätensetzung gelangen. Jenseits der strategischen Frage, wie es gelingen könnte, die Nachbarschaftspolitik in einen angemessenen Ersatz für den mittlerweile abgebremsten Erweiterungsprozess zu verwandeln oder sie gar zur Vorstufe weiterer Expansionen weiterzuentwickeln, liegt aus der deutschen politischen Soziologie mit der Arbeit Georg Vobrubas eine aufschlussreiche Analyse der Erweiterungsdynamik und des zunehmend virulent werdenden Erweiterungsdilemmas vor, die deshalb hier etwas ausführlicher dargestellt wird.256 Die »Dynamik Europas«, so Vobruba, ergäbe sich aus der Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie innerhalb der Union sowie aus jener zwischen Union und ihrem Außen. Sie sei getragen vom Wechselspiel zwischen der Vertiefung der Integration und der Erweiterung um neue Mitglieder, angetrieben vom Bestreben, die Stabilität des Ganzen und insbesondere die Interessen des »Wohlstandskerns«257 zu schützen durch die Verlagerung der Kosten dieser Stabilität in die Peripherie bzw. in die Nachbarschaft. So ergebe sich ein Muster der Expansion und Integration in »konzentrischen Kreisen«,258 bei dem sich das Wohlstandsgefälle zwischen Zentrum und Peripherie ständig nach außen verschiebe. Die je neuen Randstaaten – die Beitrittsländer – seien darum bemüht, ihrerseits Pufferzonen zum Schutz ihrer eigenen Stabilitätsinteressen zu errichten und drängten dann auf die Aufnahme ihrer jeweiligen Nachbarn in die Union. Nach dem Prinzip der »eigennützigen Hilfe« und der »kalkulierten Integration«259 werde den Noch-nicht-Mitgliedern Unterstützung zum Aufbau der eigenen Wohlfahrtssysteme als Stabilitätsgaranten gewährt, im Gegenzug dafür über255 Diesem Muster folgen häufig ältere, vorn genannte Sammelbände. Der jüngst erschienene Sammelband von Ratka u. Spaiser bringt dagegen theoretisch und empirisch ausgewogenere Beiträge in einen Zusammenhang, der die Variationen von Nachbarschaftsbegriffen, Akteuren und sich wandelnden Perzeptionen klarer erkennen lässt. 256 Vobruba, Die Dynamik Europas. 257 Ebd., S. 18. 258 Ebd., S. 17–19. 259 Ebd., S. 22.

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nähmen sie Aufgaben bei der Abwehr von grenzüberschreitenden Bedrohungen für den Wohlstandskern, insbesondere im Rahmen der Grenzsicherung. Die »Dynamik Europas« beruhe mithin auf der Dialektik von Inklusion und Exklusion. Diese Logik, so Vobruba, stoße mit den letzten Erweiterungen 2004 und 2007 immer mehr an ihre Grenzen, da die Kosten dieser gleichzeitigen Vertiefung und Expansion nicht mehr zu bewältigen seien. Hier könne die ENP einen Ausweg darstellen. Sie übertrage das Modell der konzentrischen Kreise auf die Nachbarschaft und integriere diese selektiv in die Peripherie der EU. Diese werde damit zum Instrument einer EUropäischen Exklusionspolitik gegenüber noch weiter entfernten Regionen.260 Vobruba beschreibt die ENP als »Paradigmenwechsel«261, der »in der Umstellung von der Expansion durch Erweiterung auf eine Expansion ohne Erweiterung«262 bestehe. Allerdings werde dabei das »Tauschverhältnis«263 zwischen Nachbarstaaten und Peripherie zuungunsten ersterer verändert: Sie sollen ähnliche Aufgaben übernehmen wie unter den Bedingungen des Erweiterungsprozesses, die dafür gebotenen Vorteile seien aber entweder unklar oder stark geschrumpft, ein Beitritt jedenfalls steht nicht in Aussicht. Allerdings schlage sich diese Verschiebung in verschiedenen Teilen der Nachbarschaft unterschiedlich nieder: Die südlichen Nachbarstaaten würden keine Erweiterung anstreben, die ENP überträfe gar mitunter ihre diesbezüglichen Erwartungen, allerdings würden sie die von der EU erhofften Schutzfunktionen nur unzureichend erfüllen.264 Im Osten sei die Lage genau umgekehrt: Hier würde das Angebot der EU »als Alternative [zum Beitritt] nicht oder nur vorläufig akzeptiert«.265 Und auch innerhalb der EU nähmen die geografischen und politisch-inhaltlichen Interessendifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten zu, sodass die ENP bislang eher eine »ernüchternd[e]« Bilanz aufweise.266 Annegret Bendiek hat diese Frage detaillierter in einer vergleichenden Länderstudie untersucht. Ihre Ergebnisse zu einer Reihe von südlichen Nachbarstaaten legen nahe, dass für einige ENP-Länder die Abhängigkeit zwischen EU und ihren »Partnern« in einigen Fällen genau genommen gerade umgekehrt

260 Ebd., S. 75–77. 261 Vobruba, Die EU. 262 Ebd., S. 50. 263 Ebd., S. 52. 264 Ebd., S. 53 f. 265 Ebd., S. 54. 266 Ebd., S. 56.

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beschrieben werden müsste, vor allem in Hinsicht auf den Problemlösungsdruck der EU für ihre Energie- und Migrationspolitik.267 Die ENP könne allerdings, so Vobruba, mittelfristig »zur Lösung der Zielkonflikte (Integration vs. Erweiterung) beitragen, da mit ihr das Ziel des einheitlichen Integrationsfortschritts aller Mitgliedsstaaten implizit aufgegeben wird«, mithin leiste sie »einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der innenund außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.«268 In Vobrubas Modell bleibt von untergeordneter Bedeutung, welche Rolle die neuen Mitgliedsstaaten insbesondere nach der Osterweiterung 2004 bei der Ausgestaltung der neuen Nachbarschaftspolitik gespielt haben – und dies mitunter schon vor ihrem Beitritt – was ich mit Blick auf Polen im dritten Kapitel zu zeigen versuche. Obwohl Vobrubas Analyse die Dynamisierung des politischen Raumes durch die Dialektik von Integration und Erweiterung einleuchtend erfasst, scheint die Frage, welchen Wandel die ENP als politische Strategie im Zuge ihrer Anwendung und Ausdifferenzierung erfährt, weniger zentral zu sein. Die ENP erscheint eher statisch. Ihr Wandel vollzieht sich jedoch auch in Reaktion auf den Druck, den insbesondere die östlichen Nachbarn Ukraine und Moldova auf die EU ausüben, und auch in Reaktion auf die Misserfolge der ENP insbesondere im Süden, an denen die Ereignisse des Jahres 2011 und das (lange Zeit) bemerkenswerte Ausbleiben einer konzisen außenpolitischen Reaktion der EU wenig Zweifel ließ. Das Modell der »Dynamik Europas« schaut in der Tendenz eher von innen nach außen als umgekehrt. Die »Dynamik Europas« kommt – so argumentiere ich im Unterschied zu Vobruba – keineswegs nur von innen, sondern auch von außen. Daran beteiligt sind Beitrittsstaaten, neue und alte Mitgliedsländer sowie Akteure auf mehreren territorialen Ebenen. Gleichzeitig legt Vobruba mit seiner Analyse eine bedeutsame Grundkonstellation der ENP frei: Sie ist der Versuch der Einhegung dynamisierter politischer Räume, deren Verflüssigung nicht nur auf den Wandel globaler Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges zurückgeht, sondern in hohem Maße selbst von der EU hervorgerufen worden ist. Die EU versuchte mit ihrer Nachbarschaftspolitik die Geister, die sie selbst rief, wieder beherrschbar zu machen. Mit der Nachbarschaftspolitik entwarfen die EUropäischen Strategen ein politisches Instrumentarium, das gleichzeitig auf innen- und auf außenpolitische Problemstellungen reagieren sollte. Sie war damit eine Antwort auf die Frage, 267 Vgl. Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik? Sie fasst diese Staaten in der Gruppe der »unabhängigen und reformresistenten Staaten« zusammen, dazu gehören Ägypten, Algerien, Aserbaidschan, Jordanien, Libyen und Syrien (ebd., S. 24–26). 268 Ebd., S. 57.

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auf welche Weise sich die EU als außenpolitischer Akteur in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts profilieren könnte.

Die unscharfen Grenzen zwischen Innen und Außen Mit Blick auf die Frage nach der spezifischen Qualität der EU als außenpolitischem Akteur werden in der politikwissenschaftlichen Forschung zur Europäischen Union unter dem Stichwort der »erweiterten« oder »external Governance« neue Formen der Interaktion der EU mit ihrem Außen diskutiert, die sich von bisherigen Modellen außenpolitischen Handelns unterscheiden. Ohne diesem Forschungsstrang269 hier im Detail gerecht werden zu können, sei er gleichwohl in groben Zügen vorgestellt, lassen sich daraus doch ebenfalls Hinweise dafür gewinnen, wie sich die Formierung des politischen Raumes der EU im Modus der Grenzziehung und der grenzüberschreitenden Interaktion beschreiben und untersuchen lassen. Die umfangreiche politikwissenschaftlichen Diskussion um neue Formen der Governance – als Muster der horizontalen Koordination und Kooperation zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren zur kollektiven Entscheidungsfindung, insbesondere bei der Bewältigung interdependenter Probleme – hat auch in der EU-Integrationsforschung ihren Niederschlag gefunden. Dort wird nicht nur mit Blick auf neue Formen der Zusammenarbeit jenseits des »traditionellen Modells supranationaler Integration durch die eher hierarchische Gemeinschaftsmethode«,270 sondern auch im Hinblick auf die außenpolitischen Strategien der Union das Problem der »erweiterten« oder »external governance« verhandelt.271 In Abgrenzung zu klassischen außenpolitischen »Interaktionsmustern«272 – nämlich Hegemonie und Kooperation – wird erweiterte Governance als »eine substanzielle, institutionalisierte Form partizipativer und auf Freiwilligkeit basierender gemeinsamer Politikgestaltung«273 bestimmt. Diese finde in Netzwerken statt, die in jeweils verschiedenen Formen auftreten 269 Für einen Einstieg: Benz, Lütz, Schimank u. Simonis, Einleitung; eine der jüngsten Erscheinungen zum Thema »global governance« mit einem akteurszentrierten Ansatz: Avant, Finnemore u. Sell. 270 Lavenex, Lehmkuhl u. Wichmann, S. 367. 271 Als Auswahl und im Überblick: Lavenex, EU external governance; dies., Lehmkuhl u. Wichmann; Weber, Smith u. Baun; Wichmann; Tulmets, Policy adaptation; Lavenex, A governance perspective; dies. u. Wichmann. 272 Lavenex, Lehmkuhl u. Wichmann, S. 368. 273 Ebd., S. 369.

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können,274 und in denen es vor allem um »Policy-Lernen«275 ginge. Diese Netzwerke seien aber nicht notwendigerweise hierarchiefrei, im Gegenteil spielten Machtungleichgewichte auch hier eine bedeutende Rolle.276 Nähert man sich mit dieser begrifflichen Schärfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik, so könnte man auf den ersten Blick vermuten, dass dieses Modell hier seine präzise Umsetzung in der Praxis gefunden habe, jedenfalls dann, wenn man ihre Leitbegriffe wie »joint ownership« oder »partnership«277 als Belege heranzieht. Sandra Lavenex, Nicole Wichmann und Dirk Lehmkuhl kommen jedoch mit Blick auf die ENP zu einem differenzierten Ergebnis. Sie sei nicht für alle betroffenen Staaten der Nachbarschaft in gleichem Maße entweder kooperativ oder hegemonial oder in Governance-Netzwerken organisiert, sie entfalte sich vielmehr primär als hegemonialer Policy-Transfer (nicht als gleichberechtigtes Policy-Lernen278) und sei in einzelnen Politikbereichen partiell netzwerkartig organisiert. Es werden mithin verschiedene Methoden außenpolitischer Zusammenarbeit miteinander kombiniert. In einzelnen Fällen entstehen durch die institutionalisierte Teilhabe der Nachbarschaftsstaaten an EU-Politiken neue funktionale Grenzen des EU-Raumes, die die eigentlichen territorialen überschreiten können. Dies sei bei einzelnen Themen u. a. im Bereich Justiz und Inneres (zu dem Grenzschutz und Migrationspolitik gehören), sowie der Umwelt- und Verkehrspolitik der Fall.279 Für diese werden gemeinsame Ausschüsse und Arbeitsgruppen eingesetzt, in denen solche grenzüberschreitenden Problematiken behandelt und reguliert werden,280 ohne dass die Grenzen des EU-Raumes durch einen Beitritt der jeweiligen Staaten entsprechend verschoben werden würden. 274 Vgl. zur breiten, zumeist politikwissenschaftlichen, aber vermehrt auch historischen Netzwerkforschung (hier mit Blick auf europäische Integration und transnationale Netzwerke) u. a.: Adshead; Featherstone, Phillips u. Waters; Unfried, Mittag, van der Linden u. Himmelstoss; Kaiser, Leucht u. Gehler. 275 Lavenex, Lehmkuhl u. Wichmann, S. 369. 276 Ebd. 277 Vgl. u. a. COM (2004) 373 final, S. 8; Ferrero-Waldner (Q), The EU, the Mediterranean and the Middle East. 278 Vgl. zum Policy-Lernen als Konzept in der Politikwissenschaft: Sabatier u. Jenkins-Smith; am Beispiel familienpolitischer Debatten in der Bundesrepublik hat Martina Keilbach die Bedeutung des Vergleichens für einen solchen Lernprozess untersucht: Keilbach. 279 So argumentiert auch Georg Vobruba, dass eine vollständige Abriegelung der Grenzen nicht möglich sei, vielmehr grenzüberschreitende Effekte der Regulierung bedürfen (Vobruba, Die Dynamik Europas, S. 85–87). 280 Zur spezifischen Problematik des Politikfeldes Justiz und Inneres in der europäischen Nachbarschaft vgl. beispielsweise Trauner u. Kruse; Wichmann.

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Damit reagierte die EU auf das Verwischen der Grenzen zwischen Innenund Außenpolitik – für das sie selbst durch die Externalisierung ihrer Politiken mit verantwortlich ist. Dies sei eine Unschärfe, die sich laut Sandra Lavenex und Nicole Wichmann vor allem in der europäischen Sicherheitspolitik und im Bereich Justiz und Inneres bemerkbar mache.281 Diese »external projection of internal policies« stellten eine neue Art der Außenpolitik dar.282 Welche Formen der Zusammenarbeit und des Versuchs der Transformation des Nachbarschaftsraums zum Einsatz kommen oder erfolgreich sind, hänge dabei nicht nur von den Interessenkonstellationen innerhalb der EU ab, sondern auch von den konkreten Situationen, Interessenlagen und Konflikten in den jeweiligen Drittstaaten.283 Hierarchische Methoden stießen dann auf Schwierigkeiten, wenn die Anreize der EU zu schwach seien – was auch eine Frage der Wahrnehmung dieser Anreize durch die Partnerstaaten ist. Benachbarte Beitrittsaspiranten akzeptierten demnach eher – was wenig überraschen mag – hegemoniale Methoden wie jene der Konditionalität.284 Durch den Druck aus Drittstaaten oder im Austausch mit ihnen gelange die EU dann zur jeweils konkreten Ausformung ihrer Nachbarschaftsstrategie.285 So kommt Lavenex zu dem Schluss, dass die ENP weniger »a unified foreign policy with a clear hierarchy of goals, actors, strategies and instruments« sei, sondern vielmehr »a (loosely coupled) roof over expanding structures of sectoral, functional co-operation in Europe«.286 Diese Art der Ausweitung der sektoralen Kooperation sei durch die Flexibilisierung EU-interner Kooperationsmethoden als auch durch die außenpolitischen Innovationen im Rahmen der Nachbarschaftspolitik möglich geworden.287 Dieser Forschungsstrang – mit dem Fokus auf Kooperationsmuster und Handlungslogiken – fragt auch, wie die EU ihr Verhältnis zwischen Innen und Außen unter Bedingungen neu bestimmt, die als im Umbruch befindlich wahrgenommen werden. Territoriale und funktionale Grenzen erscheinen dabei nicht mehr als deckungsgleich, sondern differenzieren sich zunehmend aus. Weniger zentral in diesen Untersuchungen ist aber die Frage, wie sich diese 281 Lavenex u. Wichmann. 282 Ebd., S. 84. 283 Dazu auch Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik?. 284 Lavenex u. Wichmann, S. 93; dazu auch Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik?; Vobruba, Die EU. 285 Lavenex u. Wichmann, S. 94. – Die beiden verweisen hier stärker auf die Rolle der NichtMitglieder als Georg Vobruba für die jeweilige Dynamik der Nachbarschaftspolitik. 286 Lavenex, A governance perspective, S. 951. 287 Ebd., S. 951 f.

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Wahrnehmung des Innen und Außen und der Grenzen dazwischen, sowie die Positionierung der EU in ihrer Nachbarschaft herausbildet, welche Raumbilder daran geknüpft sind und in welchen »narrativen Feldern«288 sich diese etablieren. Diese Lücke zu schließen, ist Anliegen hier.

Die EU als globaler Akteur Verbunden mit den hier erörterten Debatten ist die Frage, inwiefern die Nachbarschaftspolitik der Union dazu beiträgt, die EU in einen spezifischen außenpolitischen Akteur zu verwandeln. Auch in der damit befassten Literatur geht es um den Entwurf des politischen Raumes, um den Wandel der globalen Ordnung und die geopolitischen Folgen der Neuordnung des Kontinents nicht nur durch die EU-Erweiterung, sondern auch durch neue außenpolitischen Instrumente wie die ENP. Im Zentrum steht dabei die Auseinandersetzung um die Rolle der EU als »Zivilmacht«, als »normative« oder »soft power«– bzw. in einer kritischer gewendeten Sprache: als neo-imperialer Akteur, gar als »postmodern empire«.289 Ein intensives Nachdenken über EUropa als Zivilmacht setzte etwa Anfang der siebziger Jahre ein, maßgeblich geprägt durch die Schriften François Duchênes,290 einem engen Mitarbeiter Jean Monnets und bis zu seinem Tod 2005 einer der einflussreichsten Analytiker des europäischen Integrationsprozesses.291 Seine Beiträge erschienen zu einer Zeit, als u. a. in Folge des Beitritts Großbritanniens »the nature of the enlarged Community was in flux«.292 Duchêne entwarf darin ein Modell globalen Handelns für die Gemeinschaft, das sich vom sowjetischen wie vom US-amerikanischen Muster gleichermaßen unterschied und vor allem auf die »Zivilisierung« im Sinne einer »Domestizierung«293 der 288 Die begriffliche Anregung verdanke ich Kiran Patel in einem Vortrag in Bielefeld im Januar 2011. 289 Vgl. für die umfangreiche Diskussion über die neo-imperiale Qualität der EU u. a. Altvater u. Mahnkopf; Zielonka; als einer der frühesten und einflussreichsten Beiträge zur Debatte: Galtung (und unzählige weitere Beiträge Galtungs zum Neo-Imperialismus). Zwei jüngere, sehr anregenden Beiträge, die sich auch in der globalgeschichtlichen »Great Divergence«Diskussion verorten lassen: Böröcz sowie Böröcz u. Kovács. 290 Vgl. Duchêne. 291 Vgl. den Nachruf von Hanns W. Maull, der an Duchênes Überlegungen anschloss, im Independent am 25. 07. 2005 (http://www.sussex.ac.uk/sei/documents/independent_obituary_-_duchene.pdf (Zugriff 10. 03. 2011)). 292 Bachmann u. Sidaway, S. 96. 293 Ebd.

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internationalen Beziehungen zielte. Gleichzeitig galt ihm Europa als ein Vorbild für andere internationale Akteure, die dieses »zivilisierte« Modell globalen Handelns nachahmen würden. Eine bedeutend kritischere Deutung präsentierte etwa zur selben Zeit Johan Galtung, einer der Gründerväter der Friedens- und Konfliktforschung, der in der Europäischen Gemeinschaft den Zusammenschluss von erst fünf, dann sechs ehemaligen Kolonialmächten sah, die ein »neo-colonial empire«294 begründeten, um den Verlust ihres früheren Einflusses auszugleichen.295 Etwa 20 Jahre später, kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, erneut in einem Moment des Umbruchs, griff Hanns W. Maull das Zivilmachtkonzept Duchênes wieder auf. Für ihn war das Handeln einer Zivilmacht auch auf die bewusste Gestaltung der internationalen Ordnung entlang der »zivilen« Spielregeln ausgerichtet. Nach der Jahrtausendwende, wieder in einem Moment der Erschütterung der globalen Ordnung vor allem durch die Jugoslawienkriege und die Ereignisse am und nach dem 11. September 2001, wurde die Möglichkeit »humanitärer Interventionen« mit durchaus militärischen Zwangsmitteln in den Katalog möglicher Instrumente aufgenommen – was gegenüber den Duchêneschen Überlegungen einen wichtigen neuen Akzent setzte. Die EU als Zivilmacht sei damit nicht nur Modell einer besonderen Form der Regionalisierung und »zivilen« internationalen Handelns, sondern sie müsse ihre Werte auch nach außen projizieren sowie ein Gegengewicht zum US-amerikanischen Einfluss auf die globale Ordnung bilden.296 In ihrer Untersuchung des Wandels, den das Zivilmachtdenkens seit den frühen siebziger Jahren durchlaufen hat, haben die politischen Geografen Veit Bachmann und James Sidaway überzeugend argumentiert, dass die Diskussion über das Wesen Europas als Zivilmacht sich jeweils intensivierte »at moments of geopolitical flux, with a strong perceived need to re-address both the European role in the world and its relation to the United States«.297 Als einen solchen Moment der geopolitischen Verflüssigung lässt sich auch der nahende Abschluss der EU-Osterweiterung 2004/07 beschreiben, in dem die Europäische Nachbarschaftspolitik entworfen wurde. Hier haben wir es eben mit einer Repositionierung in einer sich wandelnden Weltordnung zu tun. An Bachmann und Sidaway anschließend kann weiter argumentiert werden, dass das 294 Ebd., S. 103. 295 Zu dieser kritischen Deutung der europäischen Integrationsgeschichte vgl.: Shipway; Bitsch u. Boussuat; Migani; Kim; Pacifici. 296 Vgl. Bachmann u. Sidaway. 297 Ebd., S. 104.

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Zivilmachtkonzept, trotz seines kontinuierlichen Wandels, letztlich immer an eine mehr oder minder explizite Reflektion der europäischen imperialen Vergangenheit gebunden blieb, insofern steht es mit den Diskussionssträngen um »Europa als empire«298 in enger Beziehung. Die wissenschaftliche wie politische Rede von der »Zivilmacht Europa« kann dabei immer auch verstanden werden als der Versuch des sich In-Beziehung-Setzens zu (neo-)imperialen Entwürfen und Traditionen europäischen globalen Handelns, und zwar im Sinne eines Abgrenzens von den kolonialen und gewaltsamen Praktiken der Vergangenheit. Diese Auseinandersetzung trägt zur Umgrenzung und Arrondierung des europäischen Raumes bei und entwirft gleichzeitig Handlungsanleitungen nicht nur mit Blick auf globale Prozesse, sondern auch gegenüber der europäischen Nachbarschaft. Insofern ist sie Ausdruck eines Europäisierungsprozesses, der, so Alun Jones, auch »the diffusion of distinctive forms of political organization and governance and the promotion of ›European‹ solutions outside of European Union territory«299 einschließt. Lässt sich der »Zivilmacht«-Begriff als Strategie der Abgrenzung vom negativ besetzten imperialen Erbe Europas verstehen, das jedoch mitgedacht wird, so handelt es sich bei dem eng damit verwandten Topos von der EU als »normative« oder »soft power« um die Leitfigur einer legitimatorischen Bewegung und um den Versuch der Entkoppelung von Empire-Problematik und globaler Positionierung. Gleichzeitig richtet sich diese Diskussion auf die Frage nach der Exzeptionalität der EU als globalem Akteur und konzentriert sich dabei vor allem auf Strategien der externen Projektion europäischer Normen. Elisabeth Johansson-Nogués beantwortet die Frage »[I]s the EU an exceptional actor and the ENP an exceptional policy?«300 vor dem Hintergrund der »normative power«-Diskussion eindeutig:

The NPEU [normative power of the EU] argument is very seductive on many levels in that it blends together the ontological with the normative. Indeed, one would wish for the EU to be different from other actors (especially in light of the US veer towards military power unilaterlism) and act for the 298 Vgl. zu neueren politikwissenschaftlichen Beiträgen zum Thema die Literaturschau von Bendiek, Die Europäische Nachbarschaftspolitik. 299 Jones, S. 416. Wie diese Projektion europäischer Lösungen nach außen hin konkret funktioniert, wird in der Politikwissenschaft mit dem oben vorgestellten Begriff der »external governance« versucht zu fassen. 300 Johannson-Nogués, S. 191.

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betterment of the international system in an altruistic sprit. However, from the evidence related to the ENP area one must conclude much more mundanely that the EU is a normal political force in international relations.301 Mit der Rede von der EU als normativer Macht werde vielmehr versucht, die ENP aufzuwerten und sie gegenüber einer skeptischen (nicht nur) EUropäischen Öffentlichkeit zu legitimieren.302 Diese Deutung unterschlage aber den empirisch nachweisbaren Mix von Interessen unterschiedlichen Charakters innerhalb der Union – »normative, commercial, geopolitical, identities«303 – bei denen es sich nicht nur um die Verankerung von als europäisch apostrophierten Normen in der EU-Nachbarschaft und im internationalen System drehe. Gleichzeitig wird damit – politisch wie wissenschaftlich – dem ImperialismusVorwurf, der offensichtlich besonders prägnant auf die ENP angewandt werden kann, zu entgehen versucht, ohne ihn explizit abzuwehren.304 Diesen beiden Strängen an die Seite stellen kann man den eher analytisch orientierten Begriff der »structural power«, den Patrick Holden in seiner Studie über die EU-Entwicklungshilfepolitik im Anschluss an Susan Strange fruchtbar gemacht hat. »Structural power« wird hier gefasst als die Absicht und die Fähigkeit, die Strukturen der globalen Ordnung, ihre wirtschaftlichen sowie ihre politischen Rahmenbedingungen, zu gestalten, innerhalb derer andere Staaten, deren politische Institutionen und Wirtschaftsunternehmen als auch deren wissenschaftliche und politische Eliten zu agieren gezwungen sind.305 Diese strukturelle Macht und die zu ihrer Durchsetzung mobilisierten Strategien lassen sich im Sinne der Überlegungen hier deuten als der Versuch, die Union innerhalb einer fluiden politischen Raumordnung zu verankern, diese jeweils auch räumlich konkretisierten Rahmenbedingungen anzupassen und den EU-Raum zu stabilisieren. Holden untersucht mit diesem Ansatz die europäische Entwicklungshilfepolitik gegenüber den Mittelmeeranrainern, dem post-sowjetischen Raum, den afrikanischen Staaten sowie Lateinamerika und Asien. Für Holden fungiert die europäische Entwicklungshilfepolitik als eines der zentralen Instrumente zur Entfaltung der europäischen »structural power«, und gleichwohl es sich dabei 301 Ebd. 302 Und hat damit eine ähnliche Funktion wie die Rede von »soft power« wie auch Elsa Tulmets mit Blick auf die ENP zeigt (Tulmets, Can the Discourse). 303 Johansson-Nugués, S. 186. 304 Tulmets, Can the Discourse, S. 215. 305 Holden, In Search of Structural Power.

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um eines der bedeutsamsten außenpolitischen Mittel der Union handele, fehle gleichzeitig nach wie vor eine schlüssige Einbindung in die außenpolitische Gesamtstrategie. Außerdem sei sie, so Holden, weitestgehend entkoppelt von Transformationsprozessen und Auseinandersetzungen innerhalb der Union. Letzteres lässt sich jedoch mindestens mit Blick auf die entwicklungspolitischen Elemente der europäischen Migrationspolitik und für die Europäische Nachbarschaftspolitik bestreiten: Die Migrationspolitik – für deren Umsetzung auch die Holden’sche »structural power« eingesetzt wurde – war Teil einer Kompensationsstrategie für die Abschaffung der Binnengrenzen innerhalb der Union und der Schaffung des europäischen Binnenmarkts durch die EEA. Sie war außerdem ein Versuch, mit dem diagnostizierten demografischen Problem der Union umzugehen. Im Rahmen der Migrationspolitik wurde daher das Modell der »zirkulären Migration« entwickelt. Die Nachbarschaftspolitik – die ebenfalls auf das Repertoire der structural power zurückgreift – lässt sich auch als Ausgleich für die erschöpfte Erweiterungsfähigkeit der EU deuten. Wie in Kapitel drei ausgeführt wird, war die Art, wie sie ausdifferenziert und gestärkt wurde, Ergebnis einer einflussreichen polnischen Position, die u. a. durch die Krise der EU nach dem gescheiterten Verfassungsvertrag ermöglicht wurde. Und Kapitel vier wird zeigen, dass es bei der konkreten Umsetzung der grenzüberschreitenden Dimension der ENP in den Nachbarschaftsprogrammen durchaus Spielräume regionaler, nicht-EUropäischer Akteure gegeben hat, die Konzeption der Nachbarschaft mit zu beeinflussen. In den internationalen Wettbewerb um die Durchsetzung struktureller Macht, so Holden, sei die Union nach dem Ende des Kalten Krieges eingetreten – bis dahin hatten vor allem die Sowjetunion und die USA miteinander darum konkurriert. Die Konditionalitätslogik scheint für alle von Holden untersuchten Zielregionen leitend. Dies gilt für die ENP jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr wurde der Konditionalitätsbegriff anfangs akribisch gemieden und erst in Reaktion auf die Krisen in Nordafrika prominent gemacht. Die europäische Entwicklungspolitik produziert dabei, so zeigen die Untersuchungen Holdens, eine spezifischen Geografie der entwicklungspolitischen Präferenzen: Die EU verfolgt weder einen einheitlichen Ansatz für alle potentiellen Hilfeempfänger, noch verfährt sie bei der Konkretisierung ihrer entwicklungspolitischen Vorhaben fallweise individualisierend, vielmehr werden spezifische Handlungsmuster und Ziele regionalisiert. Das heißt: Die Einteilung der Welt in Weltregionen einschließlich der an diese Einheiten geknüpften Ziele und Erwartungen ist zugleich Voraussetzung wie Folge der europäischen Entwicklungspolitik. Den europäischen Nachbarschaften kommt dabei

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eine herausragende Bedeutung zu: In ihnen eröffnen sich im gleichen Maße vielversprechende Möglichkeitsräume für die Union wie sie sie vor besondere Schwierigkeiten der Durchsetzung stellt. Holden argumentiert, dass die Gemeinschaft mit dieser Strategie weniger Demokratie und Entwicklung in den Zielländern erfolgreich fördert, als vielmehr wirtschaftliche und rechtliche Strukturen dort in einer Art und Weise transformiert, dass diese europäischen Interessen entsprechen. Die EU hat es auf diese Weise vermocht, ihre Position als bedeutender Wirtschaftsakteur in der globalen Wirtschaft auszubauen und zu stabilisieren, als ein Akteur, der die ökonomischen Bedingungen in vielen Räumen weit außerhalb ihres Territoriums zu beeinflussen in der Lage ist.306

Welcher Raum, welche Nachbarn? Unstrittig unter den Analysten der Think Tanks und den wissenschaftlichen Beobachtern ist mit Blick auf den Nachbarschaftsraum, dass er in sich zu differenzieren sei, sowohl mit Blick auf die empfohlenen Beeinflussungsstrategien, Szenarien und Problemdefinitionen, als auch hinsichtlich der Selbstbeschreibung der Nachbarn sowie bezüglich der mitgliedsstaatlichen Interessen. Einer geopolitischen Logik folgt Michael Emerson in seinem bereits oben diskutierten Plädoyer aus dem Jahr 2004, die missverständliche Vermischung zwischen »Wider Europe« und »Neighbourhood«307 aufzugeben und stattdessen klar zwischen zwei Großräumen zu unterscheiden: einem »Wider Europe« und einem »Greater Middle East«. »Wider Europe is the space in which ›Europeanisation‹ can be said to be a general objective, without overtones of cultural imperialism.«308 Europäisierung bestimmt er als spezielles Modernisierungsprogramm für die postkommunistischen und postfaschistischen Staaten Europas jenseits des Beitritts als im weiteren Sinne politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Transformationsprojekt.309 Geografisch sieht er »Wider Europe« im Wesentlichen deckungsgleich mit jenem Raum, der sich aus den Mitgliedsstaaten des Europarats ergibt.310 Damit ist Emersons räumliche Präzisierung potentiell variabel: Die Mitgliedschaft des Europarats kann sich sowohl 306 Vgl. insbesondere die Zusammenfassung von Patrick Holden in: Holden. 307 So das erste Kommissionspapier dazu aus dem Jahr 2003 (COM (2003) 104 final). 308 Emerson, The Wider Europe Matrix, S. 2. Auch hier scheint es wieder notwendig zu sein, sich von antizipierten Imperialismus-Vorwürfen abzugrenzen. 309 Ebd. 310 Ebd., S. 3.

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erweitern als auch schrumpfen. Offen bleibt in seiner überraschend einfachen Einteilung auch, wie dies für Länder wie Weißrussland (Kandidatenstatus im Europarat) oder die USA, Kanada und Mexiko (Länder mit Beobachterstatus im Europarat) zu sehen sei. Dass dieses »Wider Europe« in sich bereits regional untergliedert ist oder noch weiter differenziert werden müsste, führt Emerson ergänzend ins Feld, und zwar einerseits, indem er sich an den Meeren – Ostsee, Barentssee und Mittelmeer – orientiert als auch andererseits, indem er geopolitisch und modernisierungsprogrammatisch beschreibbare Teilräume entwirft wie beispielsweise die sogenannte »Nördliche Dimension«,311 Südosteuropa und den Kaukasus.312 »Wider Europe« ist für Emerson gleichermaßen Möglichkeitsraum der EU als auch Schauplatz internationaler Konkurrenz: Es ist jener Raum, für den »the EU is the leading actor, while Russia is still a second hub«.313 Der »key mechanism«, den die EU hier einsetze, sei »Europeanisation«.314 Von diesem »Wider Europe« als zweite »vast geopolitical region […]« abzugrenzen sei eine »wider neighbourhood«: der »Greater Middle East«.315 Dieser umfasse die nicht-europäische Küsten des Mittelmeers, den übrigen Nahen Osten, die Staaten des Persischen Golfs und dehne sich bis Afghanistan und Zentralasien aus.316 Der internationale Leitakteur hier seien jedoch die USA, Russland besäße ebenfalls partiellen Einfluss. Und während die EU dort zwar überall präsent sei, könne man von einem ernst zu nehmenden Einfluss nur um das Mittelmeer herum sprechen. Definiert sich dieser Teilraum der Nachbarschaft einerseits als Einflusszone unter Bedingungen verschärfter Konkurrenz, so ist – wie das Kriterium der Anwendbarkeit eines europäischen Modernisierungsprogramms für »Wider Europe« – das herausragende Merkmal dieses südlichen Teils ein anderes: »The Greater Middle East is the locus or source of Europe’s greatest concentration of security threats.«317 Mit einer ähnlichen geopolitischen Argumentation – jedoch wirtschaftliche und an Modernisierungserwartungen gekoppelte Überlegungen ergänzend – beschreibt James W. Scott die europäische Nachbarschaft und gliedert sie in ihre 311 Die Nördliche Dimension ist ein Kooperationsrahmen für EU, Norwegen, Island und die Russische Föderation. 312 Emerson, The Wider Europe Matrix, S. 9. 313 Ebd., S. 15. 314 Ebd., S. 17. 315 Ebd., S. 3. 316 Ebd., S. 15. 317 Ebd., S. 18.

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nördliche Dimension, Osteuropa, den Mittelmeerraum und den Balkan.318 In der nördlichen Dimension seien nach dem Ende des Kalten Krieges wirtschaftliche, politische und soziale Transformationen sowie umweltpolitische Herausforderungen zu bewältigen. Norwegen, Finnland und die ehemalige Sowjetunion seien hier die zentralen Akteure – womit Scott den Nachbarschaftsraum als Überschneidung zwischen dem EU-Binnenraum und seinen angrenzenden Regionen erfasst. Mit Blick auf die Mittelmeerkooperation diagnostiziert Scott die Notwendigkeit eines postkolonialen Entwicklungsdialogs.319 Hier ginge es vor allem um die Herstellung von Frieden, wirtschaftliche Entwicklung und Demokratieförderung. Diese Themenliste ist weit davon entfernt, der umfassenden Modernisierungsagenda für den Osten und Norden zu entsprechen. Die Fokussierung auf Sicherheitsinteressen in der südlichen Nachbarschaft verschärfe hier im Vergleich zu den Beziehungen im Osten »the problem of reconciling inclusionary partnership with exclusionary security policies.«320 Die östliche und südliche Dimension der ENP – Folge der unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten – spitze die Rivalitäten innerhalb der Union sowie die Konkurrenz zwischen den Nachbarstaaten um knappe Ressourcen zu. Auch Scotts komplexerer Entwurf der differenzierten Nachbarschaft folgt damit geopolitischen und modernisierungstheoretischen Erwägungen und mündet in eine (Nord-)Ost-Süd-Einteilung. Ein weiteres Verfahren, den Nachbarraum zu ordnen, operiert mit institutionellen Kriterien, vor allem mit Blick auf die Art der bilateralen Arrangements der EU mit ihren Nachbarländern. So identifiziert beispielsweise Elsa Tulmets drei Ländergruppen: Erstens Länder, deren politische Eliten sich der Teilnahme an der ENP verweigern (wie Russland, Weißrussland, Algerien); zweitens Staaten, die zwar durch Partnerschafts- und Kooperations- oder Assoziierungsabkommen bereits über institutionalisierte Beziehungen mit der EU verfügen, aber entweder keine realistische Mitgliedschaftsperspektive haben oder diese gar nicht wollen (Marokko und Tunesien, Ägypten, Israel, die Palästinensischen Gebiete, Armenien und Aserbaidschan) sowie drittens Länder, die ähnlich wie die zweite Gruppe mit der EU verbunden sind, jedoch »motivated by closer ties with the EU« seien (Ukraine und Moldova).321 Dies liegt in gewisser Weise quer zu rein geografischen Kriterien wie Nähe und Ferne, allerdings sind diese auch hier implizit, wenn Tulmets unterstreicht: »The ENP also aims at 318 Scott, Wider Europe, S. 23. 319 Ebd., S. 27. 320 Ebd., S. 30. 321 Tulmets, Can the Discourse, S. 204–206.

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positioning the EU in regions that Russia developed its policy of ›near abroad‹ in« (Hervorhebung d. Vf.).322 Diese Rede vom »nahen Ausland« stammt aus der außenpolitischen Doktrin Russlands – so wird sie hier auch zitiert – findet aber gleichzeitig in der Selbstbeschreibung der EU Verwendung.323 Den geografischen Ansatz relativiert Annegret Bendiek noch weiter, indem sie mit Hilfe von politischen und wirtschaftlichen Kriterien eine Nachbarschaftsmatrix entwickelt.324 Um das Potential und die Wirksamkeit der ENP im Zielraum zu bestimmen, sortiert sie die Nachbarländer nach ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der EU sowie ihrer Reformneigung. Die äußeren Grenzen der europäischen Nachbarschaft folgen in ihrem Entwurf jenen, die von offiziellen EU-Dokumenten gestützt werden. So entstehen hier vier Gruppen: Erstens reformorientierte und abhängige Länder (Armenien, Georgien, Libanon, Marokko, Moldova, Ukraine); zweitens reformorientierte und unabhängige Staaten (hier bleibt einzig Israel); drittens reformresistente und abhängige Nachbarn (Weißrussland, Tunesien, Westjordanland und Gazastreifen) sowie viertens jene, die weder Reformneigung zeigen noch von der EU abhängig sind (Ägypten, Algerien, Jordanien, Libyen, Syrien).325 Dies folgt im Wesentlichen eurozentrischen ökonomischen Kriterien und Annahmen über Modernisierungs-/Europäisierungserwartungen. Eine weitere Variante der geografischen Differenzierung ergibt sich aus der Binnensicht der mitgliedsstaatlichen Interessen. So vergleicht Michal Natorski, der Süd-Ost-Achse folgend, spanische und polnische Wahrnehmungen und Strategien im Rahmen der ENP. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass diese im Grunde als ähnlich zu beschreiben seien, was er auf drei Ursachen zurückführt: Erstens teilten beide Staaten eine Selbstwahrnehmung als innerhalb der Union marginal und daher geopolitisch besonders exponiert. Deshalb besäßen beide auch eine hohe sicherheitspolitische Sensibilität. Zweitens nutzten beide Staaten die ENP als politische Bühne innerhalb der Union, um sich zu profilieren und nationale Interessen im supranationalen Raum geltend zu machen. Und drittens habe Polen von den spanischen Erfahrungen in der südlichen Dimension gelernt und wende diese nun Richtung Osten an. 322 Ebd., S. 207. 323 So spricht Romano Prodi in der deutschen Fassung einer Rede von »Hinterhof« (Prodi (Q), S. 3). Und James W. Scott zitiert Christopher Patten (2001): »The Mediterranean is our ›near abroad‹« (Scott, Wider Europe, S. 32). 324 Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik? 325 Unter »reformresistent« sind hier all jene Staaten subsumiert, in denen Ende 2010/Anfang 2011 die sogenannte »Arabellion« begann.

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Die behauptete Ähnlichkeit der polnischen und spanischen Position bedarf allerdings einer Nuancierung, ging es Spanien doch vor allem um die sicherheitspolitisch motivierte Verfestigung der Grenze und den beständigen Ausschluss der südlichen Nachbarn aus der Union. Dagegen verfolgte Polen eine Politik der Öffnung insbesondere gegenüber der Ukraine, für die es eine Mitgliedschaftsperspektive langfristig durchsetzen möchte. Obwohl Natorski aus der Binnensicht keine grundsätzlichen Ost-Süd-Unterschiede bestätigt findet, räumt auch er ein: »The events in the 21st century further reinforced the perception of the Mediterranean as a source of insecurity«.326 Und fügt – sich auf Argumente von polnischer Seite stützend – hinzu: »Due to ›essential differences‹ between Eastern and Southern neighbouring states a ›different approach and diverse policies of the Union towards these two regions‹ were strongly supported.«327 In all diesen Analysen wird grundsätzlich also in einen östlichen, südlichen und teilweise auch nördlichen Teil der Nachbarschaft unterschieden. Ein besonderes Teilproblem stellt hierbei »der Osten« dar, erscheint er in sich doch wiederum als ein hochgradig heterogener Raum, vor allem hinsichtlich Russlands. Noch vor der Entwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik hatten sich die Außenpolitiker der Union um eine gemeinsame Strategie gegenüber Russland Gedanken gemacht. Im Juni 1999 formulierten sie das Ziel, Russland »als mehr oder weniger entwickeltes Land […] dem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand der EU nicht nur [angleichen], sondern in einen gemeinsamen, in seinen Strukturelementen von der EU bestimmten Raum ›[eingliedern]‹« zu wollen.328 Darauf reagierte Russland im Oktober desselben Jahres mit seiner »Mittelfristigen Strategie gegenüber der Europäischen Union« und stellte klar, dass Russland eine Weltmacht sei, die die Beziehungen mit der EU zwar weiterzuentwickeln bereit sei, nicht aber die Notwendigkeit sehe, neue Strukturen zu schaffen, geschweige denn, sich in supranationale Zusammenhänge zu integrieren. Der »GUS-Raum [wurde] praktisch zur Tabuzone für die EU erklärt«.329 Im Versuch, die russische »Empfindlichkeit gegenüber dem in der russischen Hauptstadt so genannten ›Normenimperialismus‹ der EU«330 abzufedern, unternahm die EU mehrere neue Anläufe, die Beziehungen mit Russland auszugestalten, was 2004/2005 in der 326 Natorski, S. 78. 327 Ebd., S. 74, Natorski zitiert Cimoszewicz (ohne Quelle). 328 Adomeit u. Lindner, S. 10. 329 Ebd., S. 11. 330 Ebd., S. 6.

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Verabschiedung der sogenannten vier »Gemeinsamen Räume«331 mündete, nachdem Russland gegen die Einbeziehung in die Nachbarschaftspolitik protestiert hatte. Ungelöst blieb der Konflikt in der und um die gemeinsam beanspruchte Nachbarschaft. Russland kann folglich nach der Einschätzung von Hannes Adomeit und Rainer Lindner weiterhin »de facto [als] zentrale Ordnungsmacht im postsowjetischen Raum«332 gelten. Ein Bezug auf das Nachbarschaftskonzept wird im russisch-EUropäischen Dokument vermieden, Russland habe sogar durchsetzen können »daß der Begriff des Nachbarstaates nicht mehr verwendet und durch die Formulierung ›regions adjacent to EU and Russian borders‹ ersetzt wird.«333 Wie heikel die Positionierung gegenüber der östlichen Nachbarschaft ist, mithin auch ihre räumliche Binnengliederung, verdeutlicht auch die Untersuchung von Laure Delcour, die die Außenwahrnehmung der ENP durch Russland und die Ukraine vergleicht.334 Habe die EU Russland und die Ukraine vor der Einführung der Nachbarschaftspolitik relativ gleich behandelt, differenzierten sich sowohl die EU-Strategien gegenüber diesen beiden »Partnern« als auch die Wahrnehmung der EU durch die beiden Länder nach Einführung der neuen Politik: Die Enttäuschung in der Ukraine sei gewachsen, sie beharre auf einer ganz eigenen Deutung der ENP als Vor-Beitrittsstrategie; die Handlungsmacht Russlands hingegen habe zugenommen, es könne seine Position als eigenständiger internationaler Akteur festigen und befinde sich mit den ausgehandelten »vier Räumen« in einer komfortablen Lage: Ohne sich von der Konditionalität der ENP bedrängen lassen zu müssen, kann Russland auf die Mittel des 2007 in Kraft getretenen Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments zugreifen. Unabhängig von ihren jeweiligen Kriterien rekonstruieren diese Analysen – so wird in der Zusammenschau deutlich – eine hochgradig fragmentierte Nachbarschaft. Dies ergibt sich entweder aus der Identifizierung sicher331 Diese setzen sich zusammen aus einem Wirtschaftsraum, der am ausführlichsten gestaltet ist, jedoch keine Freihandelszone vorsieht; einem Bereich »Freiheit, Sicherheit, Justiz«, in dem das Interesse Russlands nach mehr Freizügigkeit mit dem der EU nach Grenzsicherung konkurriert; dem Gebiet der »Äußeren Sicherheit« für das nur begrenzt Einigung erzielt werden konnte und schließlich dem gemeinsamen Raum der »Forschung, Bildung, Kultur« für den die konkretesten Inhalte ausgehandelt werden konnten (vgl. Die vier gemeinsamen Räume Russland-EU; Adomeit u. Lindner). 332 Ebd., S. 15. 333 Ebd. 334 Delcour. Dass sie diese Außenperspektive in das Zentrum der Analyse stellt und daraus die Schlussfolgerung ableitet, dass »EU external policy is a two-way process« (ebd., S. 149), war innerhalb der politikwissenschaftlichen Forschung bis vor kurzem ein Novum.

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heits- und geopolitischer Interessen der Union und ihrer Mitgliedsstaaten oder aus Vermutungen darüber, wie aussichtsreich die Transformation der Nachbarschaftsländer im Sinne einer EUropäisierung/Modernisierung sein könne oder aber aus institutionellen Konstellationen. Der südliche Teil der Nachbarschaft erscheint dabei vor allem als Sicherheitsrisiko und als Raum erhöhter Konkurrenz mit anderen internationalen Akteuren, wie den USA. Als »islamische« Welt wird er darüber hinaus kulturell konnotiert. Der Osten, die »nördliche Dimension« oder gar ein »Wider Europe« stellen sich als Zielraum par excellence für Versuche der Transformation und partiellen Integration in einen EUropäischen Regelungsraum dar. Die Ukraine und Moldova bilden in all den vorgestellten Systematisierungsversuchen entweder eine Sondergruppe oder gehören gemeinsam zu den aussichtsreichsten »Partnerstaaten«. Die nordafrikanischen Mittelmeeranrainer werden hinsichtlich der ihnen zugesprochenen Reformfähigkeiten unterschiedlich zugeordnet. Im »Osten« ist die Positionierung gegenüber Russland, dem zweiten großen Spieler in diesem Raum, prekär. Während die Beziehungen zu den USA mit Blick auf den Süden noch halbwegs komplementär oder kooperativ gedeutet werden könnten,335 handelt es sich bei dem Verhältnis zu Russland um eine offene Konkurrenz im gemeinsam beanspruchten Ergänzungsraum. Hier verweigert sich jedoch nicht nur Russland, sondern auch Weißrussland (zumindest seine politischen Eliten) einer Integration in den ENP-Raum. Im Vergleich zur Osterweiterung, in dem die EU mit dem Wunsch nach Erweiterung durch die ostmitteleuropäischen Staaten konfrontiert war, es sich also gewissermaßen um eine einvernehmliche Expansion handelte, wird deutlich: Dieser Mechanismus stößt in der weiteren Nachbarschaft an seine Grenzen. Der von der EU wahrgenommene bzw. immer wieder behauptete Druck von außen, sich um neue (östliche) Mitglieder zu erweitern, auf den sie durch die Nachbarschaftspolitik reagiere, lässt sich also nur für einen Teil dieses Raums bestätigen. Auf diese Weise wird in den wissenschaftlichen Analysen der Politik der durch sie erfasste Raum mit entworfen, ausdifferenziert, mit spezifischen Entwicklungsszenarien verknüpft und auf mehr oder minder explizit gemachte Narrative der Verflechtung und Konfrontation gestützt. Auf einen zusätzlichen Aspekt der Dynamisierung des europäischen Raums durch die ENP verweist James W. Scott. Die besondere Rolle, die den EU-Grenzen und der sie überschreitenden Zusammenarbeit zukäme, stelle das tradierte

335 Als Wettbewerb vor allem gedeutet bei Masala.

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Territorialitätsprinzip in Frage,336 könne gar, wenn die Logik konsequent weitergeführt würde, zu einer Transnationalisierung des europäischen Raums führen: It thus is a political script that reads very different indeed from the confrontational and/or antagonistic logic of militarized security. It is also a political agenda within which a wide variety of state and non-state actors have a role to play. If it is to succeed, it must, however, open up possibilities for a genuine transnationalization (rather than merely Europeanization) of space, extending networks, alliances and development opportunities to regions neighbouring the EU.337 Die Nachbarschaftspolitik hat dabei nicht nur Folgen für den angrenzenden Raum, sondern auch für die Funktionsweise des EU-Grenzregimes und dessen Ein- und Ausschließungsmechanismen. Im Unterschied zur Erweiterungslogik, so Elsa Tulmets, die auf die vollständige Integration neuer Staaten in die EU gezielt habe, besäße die ENP die Funktion, eine gewisse Distanz zu den Nachbarn aufrecht zu erhalten.338 Diese Distanzierung lässt sich, im Anschluss an Marchetti, als Schaffung einer europäischen Semi-Peripherie verstehen, die zwischen dem europäischen Kern und der weiteren Peripherie als Puffer fungiere.339 Die Nachbarschaftspolitik markiere somit die Grenzen der EU gewissermaßen von außen.340 Dies sei allerdings nicht gleichbedeutend mit einem »mere walling off of the EU«, sondern: Due to increased interdependencies in international relations the EU can only succeed in assigning the semi-periphery role to neighbours by offering them substantial development perspectives, thereby creating potential for a true win-win-game. Accordingly, the Union’s policy towards its neighbours combines excluding and including elements.341 Diese Gleichzeitigkeit von Inklusion und Exklusion, von Abgrenzung und Eröffnung von Ergänzungsräumen, die partiell in den EUropäischen Raum 336 Scott, Wider Europe, S. 22. Das schließt an die oben vorgestellten Überlegungen zur »erweiterten Governance« an, die ebenfalls die Deckungsungleichheit zwischen territorialen und funktionalen Grenzen zu erfassen und zu erklären sucht. 337 Ebd., S. 34. 338 Tulmets, Can the Discourse, S. 208 f. 339 Ähnlich argumentiert auch Vobruba zur Dynamik Europas. 340 Marchetti, S. 16. 341 Ebd.

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hinein geholt werden können, kennzeichnet auch – wie wir oben gesehen haben – die Europäische Migrationspolitik. Die Nachbarschaftspolitik lässt sich also nicht als Strategie der partiellen Öffnung der Migrations- und Grenzpolitik als Strategie der Schließung gegenüberstellen. Vielmehr greifen beide Logiken auf diesen Politikfeldern, die zentral für die Herstellung des Europäischen Raumes und seiner Grenzen sind, ineinander. Wie sich dies seit der Etablierung der Nachbarschaftspolitik in den letzten Jahren entwickelt hat, welche Entwürfe des Nachbarraums, seiner Grenzen und der Grenzen zwischen ihm und der EU auf Gemeinschaftsebene entwickelt wurden, wie sich die EU zu ihm in ein Verhältnis setzte, wie sie ihn gliederte, welche Legitimationsstrategien die EU mit Blick auf die Erfassung ihres Ergänzungsraum angeboten hat und welchen Wandlungsprozessen die angestrebte Verräumlichung der erweiterten Union unterlag, wird im Folgenden anhand von EU-Dokumenten sowie Interviews mit Kommissionsmitarbeitern genauer untersucht. Die eingangs konstatierte Diskrepanz zwischen der hochgradig normativ und symbolisch operierenden Rhetorik einer neuen »Super-Außenpolitik« und ihrer relativ bescheidenen Ressourcenausstattung – gepaart mit der mangelnden Einigkeit der Mitgliedsstaaten über Stoßrichtung und Methoden der ENP – bedeutet dabei nicht, dass sie als Untersuchungsfeld für die Fragestellung dieser Arbeit ausscheiden müsste, im Gegenteil. Pointiert formuliert: Gerade weil Entwürfe des Ergänzungsraums und die – wenigstens symbolische – Arrondierung des EU-Territoriums im Rahmen der Nachbarschaftspolitik preiswert zu haben sind, scheint sie sich besonders als Experimentierfeld für die Entwickler der EU-Außenpolitik zu eignen, und stellt mithin eine Fülle von Material für jene bereit, die sich für die Produktion von Raumbildern und -narrativen interessieren.

2.2.2 Geografien der Nachbarschaft Dreierlei Nachbarschaftspolitik (1) »Die Europäische Nachbarschaftspolitik ist das Hauptinstrument der EU, um Sicherheit und Stabilität in unsere Nachbarschaft zu projizieren – von der Ukraine bis in den Kaukasus, vom Libanon bis Marokko.«342 So lautete die knappe Formel, mit der Benita Ferrero-Waldner, EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und Nachbarschaftspolitik, im November 2007 vor dem Ostaus342 Ferrero-Waldner (Q), Die EU und ihre östlichen Nachbarn, S. 2.

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schuss der Deutschen Wirtschaft in Berlin das Wesen dieser relativ jungen und gleichzeitig ambitionierten außenpolitischen Strategie der Union fasste. Dabei gibt diese knappe Beschreibung bereits wichtige Hinweise auf die Logiken dieser Politik: Sie ist nach außen, genauer: in eine »Nachbarschaft« hinein gerichtet; diese ist Projektionsraum für in der EU als zentral identifizierte Politikziele, nämlich Sicherheit und Stabilität; die EU ist das Movens dieser Bewegung, die eine östliche und eine südliche Richtung hat. Die hier von Ferrero-Waldner gewählte Formulierung, etwa ein Jahr nachdem das Europäische Parlament und der Rat die Einführung eines neuen Finanzierungsinstruments für diese Nachbarschaftspolitik (ENPI) – das auch für Russlands galt, das ansonsten nicht zum EU-Nachbarschaftsraum gehörte – beschlossen hatte,343 nuancierte die Begründung für die junge Strategie mit Blick auf die unmittelbaren Adressaten ihrer Rede: Wirtschaftsvertreter eines »alten« EU-Mitgliedslandes, zumal jenes, dessen Regierungen sich einerseits für eine umfassende und zügige Osterweiterung eingesetzt, aber gleichzeitig mit innenpolitischen Widerständen gegen eine allzu schnelle und großzügige Öffnung der Grenzen zu den neuen Mitgliedern im Osten zu kämpfen hatten, und das schließlich als »Exportnation« an der Eröffnung neuer Märkte im Osten Europas größtes Interesse besaß und Handelshindernisse in diesem Raum deutlich zu spüren bekam. »Stabilität« und »Sicherheit« enthielten also ein zweifaches Versprechen: das der Erwartungssicherheit und der größtmöglichen Öffnung für deutsche, auf östlichen Märkten aktive Unternehmen sowie das des Interessenschutzes für deutsche Arbeitnehmer vor der Konkurrenz durch billigere Arbeitskräfte aus dem Osten und vor der Überlastung deutscher sozialer Sicherungssysteme durch Flüchtlinge aus Krisenregionen jenseits der neuen EU-Ostgrenze. In dieser Rede Ferrero-Waldners ist die EU Herrin der Lage, als Gestalterin ihres unmittelbaren Ergänzungsraums. (2) Die ab 2004 amtierende polnische EU-Kommissarin für Regionalpolitik Danuta Hübner, setzte bei der Deutung der neuen Politik etwas andere Akzente. Hübner, vorher u. a. in der Regierung von Leszek Miller (2001–2004) als Staatssekretärin im polnischen Außenministerium für Fragen der europäischen Integration zuständig, leitete ihre Sichtweise auf die Nachbarschaftspolitik aus ihren Erfahrungen aus dem polnischen Beitrittsprozess ab,344 und argumentierte, dass nach dem durchschlagenden Erfolg der Erweiterung sowohl für die neuen Mitglieder als auch für die EU selbst letztere nur gewinnen könne, 343 Regulation (EC) No 1638/2006. 344 Hübner (Q), The essential role of Community consitionality.

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wenn sie ihre Türen offen halte.345 Deswegen wolle sie sich lieber nicht auf eine Diskussion über die Grenzen Europas einlassen, sondern den Ansatz flexibel halten, »by sharing as widely as possible the peace and prosperity«,346 die die Union sich seit 50 Jahren zum Ziel gesetzt habe. Hier erscheint die Nachbarschaftspolitik implizit als Übergangsphase zu einer neuen Erweiterungsrunde und sie zielt nicht auf den Export europäischer Politikziele, sondern ist eine Form der Teilhabe an EU-Errungenschaften für die neuen Nachbarn und potentiellen neuen Mitglieder. (3) Günter Verheugen, bis 2004 Erweiterungskommissar, wiederum versuchte, diese beiden Ansätze auszubalancieren, indem er einerseits auf die gemeinsamen Herausforderungen der EU und ihrer neuen Nachbarn verwies – illegale Migration, Terrorismus, organisierte Kriminalität – als auch auf die gemeinsamen Werte,347 deren Umsetzung in den politischen Systemen der Nachbarn die EU unterstützen müsse. Dies könne gelingen, denn: The Union has always exerted a strong pull on its neighbours even beyond the circle of countries to which we have held out prospects of membership. It is our task now to use this attraction to foster the necessary reforms in those countries, to step up our relations with them in our mutual interests and for the sake of the peoples concerned.348 Die Projektion in den Nachbarschaftsraum verwandelte sich hier in ein Angebot: Die offerierte Teilhabe an den Vorteilen der Unionsmitgliedschaft entfaltete ihre Wirksamkeit durch die vermutete hohe Anziehungskraft der Union, auch ohne die verbindlichen Zusagen einer Vollmitgliedschaft. Lägen jedoch glaubhafte Ambitionen der Nachbarn in dieser Richtung vor, solle man die Tür nicht zuschlagen, sondern diese unterstützen.349 Verheugen versuchte außerdem in einer Rede vor der Diplomatischen Akademie in Moskau im Oktober 2003, also ein knappes halbes Jahr nach dem ersten Kommissionsvorschlag für eine »Wider Europe«-Strategie,350 die möglichen Bedenken des größten unmittelbaren Konkurrenten um den Nachbarschaftsraum frühzeitig zu zerstreuen. Russland sei natürlich nicht nur ein Nachbar, sondern vielmehr ein strategischer 345 Ebd., S. 4. 346 Hübner (Q), Enlargement, S. 8. 347 Verheugen (Q), EU Enlargement and the Union’s Neighbourhood Policy, S. 4. 348 Ders. (Q), The European Neighbourhood Policy, S. 3. 349 Ders. (Q), EU Enlargement and the Union’s Neighbourhood Policy, S. 7. 350 COM (2003) 104 final.

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Partner, mit dem gemeinsam man an den Problemen arbeiten wolle, die sich aus der geteilten Nachbarschaft ergeben. Dabei handele es sich auch keinesfalls um ein »zero-sum reasoning«,351 sondern um eine gewinnbringende Situation für beide Seiten. Die zentrale Bedeutung Russlands in dieser Nachbarschaft und für die Außenpolitik der Union betonte Verheugen nochmals auf der Konferenz der Premierminister der Visegrád-Staaten in Bratislava wenig später.352 In der Zusammenschau spiegeln die Stimmen der drei Kommissare den Charakter und die Schwierigkeiten dieser Politik. Sie war ein außenpolitisches Instrument mit einem spezifischen geografischen Fokus, dessen Rationalität sich aus der Erweiterungsdynamik und aus der neuen, nicht mehr durch die Beitrittskandidaten gepufferte Nähe zu wirtschaftlich, sozial und politisch differenten Räumen, die potentiell zu Krisenherden für die Union werden könnten, ergab. Sie zielte auf die Transformation dieses Raumes, die es ermöglichen sollte, sowohl die dort verorteten Risiken für die Union zu kontrollieren und einzudämmen als auch seine Potentiale vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht für die Union zu erschließen – ohne eine Erweiterung zwingend in Angriff nehmen zu müssen. Sie musste sowohl gegenüber den alten Mitgliedsländern der EU als auch gegenüber dem größten kontinentalen Nachbarn – Russland – legitimiert werden, und erzeugte bei den neuen Mitgliedsländern wie Polen Erwartungen mit Blick auf eine fortgesetzte Erweiterung der Union, mindestens jedoch waren unterschiedliche Interpretationen bezüglich des Grades der durch die Nachbarschaftspolitik möglichen Öffnung der EU für neue Modelle der Kooperation, Verflechtung und Teilhabe an ihren Ressourcen und Angeboten in Einklang zu bringen.

Die Entwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik Für einen Überblick über die Genese der Nachbarschaftspolitik, die Rhythmen und Konjunkturen dieser Entwicklung muss sich die Darstellung im Moment noch auf die zugänglichen (halb-)öffentlichen EU-Dokumente stützen oder auf Interviews mit Personen, die an der Ausgestaltung beteiligt waren, da eine archivalische Aufarbeitung von Protokollen und EU-internen Dokumenten erst nach deren Freigabe möglich sein wird. Dabei ist zu bedenken, dass die Quellenlage schnell einen eher politik- und verwaltungszentrierten Einschlag provoziert, 351 Verheugen (Q), EU Enlargement and the Union’s Neighbourhood Policy, S. 8–10. 352 Ders. (Q), The European Neighbourhood Policy, S. 7.

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da sich die Untersuchung an den veröffentlichten Daten aus EU-Dokumenten, Reden und Pressemitteilungen orientieren muss. Ein allgemeiner Überblick soll hier trotzdem versucht werden, um die Analyse von EU-Dokumenten entlang von Hauptthemen der Raumproduktion vorzubereiten und dem Leser Orientierung zu geben. In der Zusammenschau mit den Kapiteln drei und vier dieser Arbeit sollte es dann möglich werden, Nuancen, Gegenläufigkeiten und variable Rhythmen der Entwicklung zu identifizieren.353 Als unmittelbare Vorgeschichte der ENP können die Abschlüsse mehr oder minder einheitlicher Rahmenabkommen zwischen der EU und ihren östlichen wie südlichen Nachbarn gelten.354 Parallel zu den Beitrittsverhandlungen mit den ostmitteleuropäischen Kandidaten begann die EU bereits Mitte der neunziger Jahre, ihre Kooperationsbeziehungen zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn auf Gemeinschaftsebene zu formalisieren. Mit den östlichen Anrainern der zukünftigen ostmitteleuropäischen Mitglieder wie der Ukraine, Moldova und Weißrussland wurden Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) ausgehandelt. Jenes mit der Ukraine trat 1998 in Kraft, im selben Jahr das Abkommen mit Moldova. Die Verhandlungen mit Weißrussland wurden zwar 1995 abgeschlossen, das Abkommen wurde jedoch nie wirksam. Die PKA sind bis heute Grundlage für die bilateralen Beziehungen im Rahmen der Nachbarschaftspolitik. Weitere Abkommen wurden 1997 auch mit der Russischen Föderation, 1999 mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan und Usbekistan sowie 2010 mit Tadschikistan geschlossen. Bis zur Einführung eines neuen Finanzierungsinstruments für die Nachbarschaftspolitik im Jahr 2007 wurden Projekte im Rahmen dieser Zusammenarbeit aus TACIS finanziert. Die vertraglichen Beziehungen mit den südlichen Nachbarn des Mittelmeerraums wurden in Form von Assoziierungsabkommen vereinheitlicht, die seit Ende der neunziger Jahre in Kraft traten.355 Diesen voraus gegangen war ein 353 Für eine Zusammenschau der Rhythmen der europäischen Nachbarschaftspolitik sowie der Grenz- und Migrationspolitik vgl. Tabelle 14 am Ende des Kapitels. 354 Die Geschichte der Beziehungen und Verflechtungen des in der EG/EU institutionalisierten (West-)Europas mit seinen Nachbarn ließe sich natürlich in einem bedeutend größeren historischen Rahmen fassen, der schon vor der Kolonisierung Afrikas durch europäische Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den polnischen Teilungen und dem Aufstieg der Habsburger Monarchie seit dem späten 18. Jahrhundert beginnen könnte. Von institutionalisierten Beziehungen der Union mit ihren unmittelbaren Nachbarn im Süden und Osten mit einem gemeinsamen Ansatz – Assoziierungsabkommen im Süden, Partnerschafts- und Kooperationsabkommen im Osten – lässt sich allerdings erst seit Mitte der neunziger Jahre sprechen. 355 Mit Tunesien 1998, mit Marokko und Israel 2000, es folgten Jordanien 2002, Ägypten 2004, Algerien 2005 und Libanon 2006.

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regionaler Ansatz der gemeinsamen Außenpolitik, die sogenannte Euro-Mittelmeer-Partnerschaft (EMP), auch als Barcelona-Prozess bezeichnet, die sich grundsätzlich an Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Syrien, Türkei, Zypern, Malta und die palästinensische Autonomiebehörde bzw. an den Palästinensischen Staat richtete, wobei bisher nicht mit allen Assoziierungsabkommen ausgehandelt wurden, Malta mittlerweile EU-Mitglied ist und mit der Türkei Beitrittsverhandlungen begannen. Grundlage der EMP ist die »Deklaration von Barcelona«, die die Bereiche der Zusammenarbeit ähnlich wie die KSZE-Schlussakte von 1975 in drei Körben zusammenfasst.356 Die im Jahr 2000 vom Rat verabschiedete »Gemeinsame Strategie für den Mittelmeerraum«357 und die 2008 begründete »Union für den Mittelmeerraum«358 sollen diesen Ansatz stärken, eine Aufwertung, die vor allem von Frankreich, Italien und Spanien forciert wurde, um der östlichen Dimension der Nachbarschaftspolitik ein südliches Gegengewicht zu geben.359 Finanziert wurde diese Kooperation bis zur Einführung des European Neighbourhood Policy Instrument (ENPI) 2007 über das MEDA-Programm.360 Zur selben Zeit bemühten sich die Kommission und die Mitgliedsstaaten um die die Schaffung einer gemeinsamen EU-Grenz- und Migrationspolitik. Die damit verbundenen Schritte – vom Tampere-Aktionsplan 1999, über den Gipfel von Laeken 2001, den gemeinsamen Plan für den Schutz der Außengrenze 2002, die Europäische Sicherheitsstrategie 2003, die Schaffung von FRONTEX 2004, das Haager Programm im selben Jahr und den »global approach to migration« von 2005 – zielten nicht nur auf die Erfassung und Befestigung der EU-Außengrenze. Vielmehr wurden Grenz- und Migrationskontrolle als Problemfelder verstanden, deren Lösung auch die Einbindung von benachbarten und weiter entfernten Regionen erforderte. Ebenso wie das Streben nach Sicherheit in der gemeinsamen Grenz- und Migrationspolitik verflochten war mit Bemühungen um eine Kooperation mit Staaten, die als Herkunfts- und Transitländer identifiziert worden waren, um die zunehmend als Problem beschriebene Zuwanderung zu steuern und zu kontrollieren, griffen auch bei der Europäischen Nachbarschaftspolitik Sicherheitsdenken, entwick356 Vgl. Erklärung von Barcelona. – Korb 1: Politische- und Sicherheitspartnerschaft, Korb 2: Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft und Korb 3: Partnerschaft im kulturellen, sozialen und menschlichen Bereich. 357 Rat(5). 358 Déclaration commune du sommet de Paris pour le Méditerranée. 359 Vgl. u. a. Böttger. 360 Vgl. zur EMP und für eine kritische Stellungnahme u. a.: Pace, The European Union’s; dies., The Politics; Jünemann.

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lungspolitische Agenden und Vorstellungen von demokratischen und marktwirtschaftlichen Transformationsprozessen zur »Stabilisierung« einer potentiell als Gefahrenquelle perzipierten Region ineinander. Leitmotiv beider Politikbereiche war die Suche der sich erweiternden Union nach ihrem Platz in einer globalisierten Welt, verbunden mit dem Versuch, die Folgen der Erweiterung und die dadurch ausgelösten geopolitischen Verschiebungen als auch den Wandel der globalen politischen und wirtschaftlichen Ordnung abzuschätzen und diesen zum Vorteil zu wenden. Das Nachdenken über die Nachbarschaft und über Strategien des Umgangs mit ihr nach dem Abschluss der Erweiterung 2004 bzw. 2007 wurde in hohem Maße durch Wissenschaftler in politikberatenden Instituten angeregt.361 In Deutschland kann dafür beispielhaft das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der LMU München genannt werden, dessen Direktor Werner Weidenfeld sowie Iris Kempe, damals Mitarbeiterin des Centrums und Leiterin der Arbeitsgruppe »Wider Europe«, seit Ende der neunziger Jahre eine Reihe von Analysen und Empfehlungen zum Umgang mit den neuen Nachbarn im Osten vorgelegt haben.362 Mit dem Center for European Policy Studies (CEPS) ist unmittelbar in Brüssel einer der aktivsten Think-Tanks für EU-Politik tätig. Hier gehörte insbesondere Michael Emerson zu den ersten Experten, die sich mit der Nachbarschaftspolitik auseinandergesetzt haben, allerdings etwas später als Weidenfeld und Kempe.363 Nicht nur diese Beobachter und Berater sahen die Anrainer der ostmitteleuropäischen Kandidaten als vorrangigen Adressaten einer neuen außenpolitischen Strategie. Auch Jack Straw – damals britischer Außenminister – konzentrierte sich in einem Brief an den Europäischen Rat unter spanischer Präsidentschaft im Januar 2002 auf die Ukraine, Moldova und Weißrussland.364 Ähnlich stand für Christopher Patten – damals EU-Kommissar für Außenbeziehungen – und Javier Solana – zu dieser Zeit der als »Mister Außenpolitik« apostrophierte Hohe Beauftragte der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – und damit für zwei der für die Formulierung der gemeinsamen Außenpolitik der Union bedeutsamsten Personen zunächst die östliche Nachbarschaft im »initial focus«. In ihrem Brief vom 7. August 2002, der EU-intern häufig als Startschuss dieser Politik gilt, an Per Stig Mol361 Böttger, S. 51, S. 53–55. 362 Vgl. u. a. Kempe, Direkte Nachbarschaft; dies., Beyond EU-enlargement; Weidenfeld. 363 Vgl. u. a. Emerson, Some Paradigms; ders., Tocci, Vahl u. Whyte; Emerson, The Wider Europe as the Union’s Friendly Monroe Doctrine. 364 Straw (Q), Copy of a letter from Mr. Jack Straw, Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs of the United Kingdom to Mr. Josep Pique I Camps.

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ler, den damaligen Vorsitzenden des Rats für allgemeine Angelegenheiten, hatten sie erste Vorstellungen für eine künftige Politik gegenüber den neuen Nachbarstaaten nach 2004 als »new proximity policy initiative«365 formuliert. Darüber hinaus unterschieden sie grundsätzlich drei Hauptregionen als Zielgebiete der neuen Politik: den Mittelmeerraum, der durch den Barcelona-Prozess definiert sei; den westlichen Balkan sowie Russland und schließlich die übrigen östlichen Nachbarn.366 Ausgerechnet aus Schweden – das sich später als ein zuverlässiger Advokat der östlichen Dimension der Nachbarschaft profilierte – kam in Reaktion auf den Brief von Straw der Vorschlag, das Modell einer privilegierten Partnerschaft auf den Mittelmeerraum auszuweiten, insbesondere mit Blick auf die wirtschaftlichen Aspekte der Zusammenarbeit.367 Dies wurde vom damaligen Kommissionspräsidenten, dem Italiener Romano Prodi, dankbar aufgegriffen, sodass die ursprünglich geplante Beschränkung einer neuen Nachbarschaftspolitik auf die drei östlichen Nachbarn in spe auf Antrag Frankreichs zugunsten eines umfassenderen Ansatzes, der den Mittelmeerraum einschließen sollte, aufgegeben wurde.368 Diese Reorientierung »in letzter Minute«369 war sicher auch dem zu diesem Zeitpunkt noch begrenztem Einfluss Polens geschuldet, das auf dem Dezembergipfel in Kopenhagen 2002 – als diese Ausrichtung beschlossen wurde – auf den Abschluss der Beitrittsverhandlungen konzentriert war,370 das jedoch im Übrigen gemeinsam mit anderen ostmitteleuropäischen Beitrittskandidaten, teilweise auch mit der Unterstützung Deutschlands, die Stärkung der ostpolitischen Ausrichtung der EU frühzeitig vorangetrieben hatte.371 Nach dieser von Briefdiplomatie, Empfehlungen politikberatender Agenturen und sogenannten Non-Paper verschiedener Außenministerien geprägten Sondierungsphase bis etwa 2002 ergriff die Europäische Kommission die Initiative für die Ausgestaltung der Nachbarschaftsbeziehungen und veröffentlichte 365 Patten u. Solana (Q), S. 4 366 Ebd., S. 1, S. 4. 367 Lindh u. Pagrotsky (Q); vgl. dazu auch Böttger, S. 59 f.; Zaiotti, S. 170–172. 368 Böttger, S. 65 f. 369 Ebd. 370 Die Konzentration auf innenpolitische Konflikte und den bestmöglichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen, durch die die ostpolitischen Ambitionen kurzzeitig zurückgestellt wurden, verdeutlichen auch die Erinnerungen Millers, in denen das Thema Ostpolitik bemerkenswert beschwiegen wird. Vgl. Miller, So war das. 371 Böttger spricht von der frühzeitigen Herausbildung und zunehmenden Konsolidierung zweier »Advocacy Koalitionen«, der »MOE-Koalition«, der Polen, Litauen, Lettland, Ungarn, Deutschland sowie die Ukraine und Moldova angehören, und einer »Mittelmeerkoalition« mit Frankreich, Italien und Spanien. Vgl. Böttger, S. 68 f.

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am 11. März 2003 ihre erste Mitteilung zum Thema.372 Darin wurde die Geografie der Nachbarschaft präziser eingegrenzt: Sie sollte all jene Länder ohne unmittelbare Beitrittsperspektive umfassen, die im Süden und Osten an die EU grenzten, d. h. ohne den westlichen Balkan, aber mit den GUS-Staaten einschließlich Russlands sowie mit den Mittelmeeranrainern. Zu diesem Zeitpunkt wurde der südliche Kaukasus noch nicht zum Nachbarschaftsraum gezählt. Im Kern stand die Trennung der Nachbarschaftspolitik von der Frage eines zukünftigen Beitritts. Als gemeinsame Probleme der EU mit den potentiellen Partnern definierte die Kommission »proximity, prosperity, poverty«373 und betonte die Gefahr des »spill-over«374 von Sicherheitsrisiken aus der Nachbarschaft, die aus regionalen Konflikten, instabilen Demokratien, fragilen Wirtschaftssystemen und erhöhtem Migrationsdruck resultierten. Als Lösung schlug die Kommission vor, die Nachbarn zu einer partiellen Anpassung an den EU-acquis zu motivieren, sie in gemeinschaftlichen Politiken wie jene der Inneren Sicherheit und des Grenzmanagements, Energie, Verkehr und Wirtschaft einzubinden und den Kooperationsrahmen schrittweise auszuweiten. Die zentralen Anreize für eine solche Anpassung – ohne Beitrittsperspektive – sollte die schrittweise Teilhabe am EU-Binnenmarkt und das Inaussichtstellen von Erleichterungen für die legale Migration sein. Kurz: »Everything but institutions.«375 Grundsätzlich sollte ein einheitliches Anfangsangebot gemacht werden, aber die Union werde »more for more«376 offerieren, d. h. die Fortschritte an vorher festgelegten »benchmarks« messen und dementsprechend ihre Angebote erweitern. Den Begriff der Konditionalität mied die Kommission – bis 2011 – geflissentlich, obwohl die Logik eine ähnliche war. Die Umgehung des Konditionalitätsbegriffs hatte vermutlich zwei Gründe: Zum einen würde er die ENP zu sehr in die Nähe einer Vorbeitrittsstrategie rücken und vor allem bei der Ukraine Hoffnungen wecken, die die EU bislang zu erfüllen sich weigerte.377 Zum anderen sollte Einwänden gegen die ENP aus der entgegengesetzten Richtung vorgebeugt werden, nämlich dass sie de facto einer Expansion der 372 COM (2003) 104 final. 373 Ebd., S. 6. 374 Vgl. u. a. Patten u. Solana (Q), S. 2. 375 Prodi (Q), S. 6. 376 COM (2007) 774 final, S. 2. 377 Gleichwohl liefen seit 2008 Verhandlungen über ein vertieftes Assoziierungsabkommen, das als eine Weiterentwicklung des PKA verstanden werden sollte und von ukrainischer Seite als Schritt in Richtung Beitritt gedeutet wird. Trotzdem lautete die Sprachregelung in Ratsbeschlüssen und Kommissionspapieren nach wie vor, dass man die Ambitionen der Ukraine »anerkenne«, von Unterstützung dieser Bestrebungen war nie die Rede.

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EU in Nachbarregionen Vorschub leiste, ohne dass überhaupt Beitrittsambi-

tionen bei den entsprechenden Staaten vorlägen – was vor allem auf Russland und die südlichen Länder zutrifft. Auch deshalb wurde die Kommission nicht müde zu betonen, dass es nicht um Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Nachbarstaaten gehe, und man niemanden zu irgendetwas zwinge. Den »Wider Europe«-Entwurf der Kommission beschloss der Rat im Juni 2003. Er forderte die Kommission außerdem dazu auf, den Dialog mit den Partnerländern zu beginnen, Aktionspläne mit ihnen auszuhandeln und eine weitere Mitteilung über ein neues Nachbarschaftsinstrument vorzulegen, das die Finanzierung der neuen Initiative klären sollte.378 Dem folgte die Kommission im Juli desselben Jahres mit einem ersten Entwurf für dieses Instrument, das hier noch schlicht als »new Neighbourhood Instrument« beschrieben wurde,379 im Strategiepapier des nächsten Jahres als »European Neighbourhood Instrument (ENI)«380 einen formalen Titel erhielt und schließlich als »European Neighbourhood and Partnership Instrument« (ENPI) beschlossen wurde.381 In ihrem ersten Entwurf unterschied die Kommission zwei Phasen für die folgende Entwicklung. Von 2004 bis 2006 sollten mit sogenannten Nachbarschaftsprogrammen eine die Außengrenze überschreitende Kooperation erprobt werden, wobei aus Kommissionssicht wohl das größte Problem darin bestand, die bestehenden Finanzierungsinstrumente, die sich bisher entweder auf den EU-Binnenraum bezogen382 bzw. für Drittstaaten383 oder Beitrittskandidaten384 gedacht waren, so einzusetzen, dass die Förderung von Projekten im (außen)grenzüberschreitenden Zuschnitt möglich werden konnte. Ab 2007 sollte dann das neue Nachbarschaftsinstrument greifen. Am 12. Mai 2004 legte die Kommission ein weiteres Strategiepapier vor, das nun die Sonderstellung Russlands explizit betonte.385 Bis dahin war Russland zwar nicht ausdrücklich – beispielsweise in Länderlisten – als Zielland im Sinne der Nachbarschaftspolitik genannt worden, aber in der »Wider Europe«-Mitteilung galt das Angebot eines »prospect of a stake in the EU’s internal market and further integration and liberalisation to promote the free movement of persons, goods, services, and capital (four freedoms)« im Sinne der »neighbourhood« auch für Russ378 Rat(10). 379 COM (2003) 393 final. 380 COM (2004) 373 final, S. 12. 381 COM (2004) 628 final. 382 INTERREG, Strukturfonds. 383 TACIS, MEDA, CARDS. 384 PHARE, CARDS. 385 COM (2004) 373 final.

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land.386 Dass Russland zumindest in den ersten Entwürfen noch als Teil der Nachbarschaft betrachtet wurde, legen auch die Übersichten über wirtschaftliche und politische Indikatoren der ins Auge gefassten Länder nahe, die sich im Anhang der frühesten Dokumente befinden, und in denen auch Russland erfasst wurde.387 Dass das Strategiepapier vom Mai 2004 mit Blick auf Russland nun eine sensiblere Sprache verwendete, wird vor dem Hintergrund der schwierigen Verhandlungen zwischen der EU und Russland über die Ausgestaltung der gemeinsamen Beziehungen seit Ende 2003 verständlich, die durch die konträren Haltungen gegenüber der ukrainischen »Orangenen Revolution« im Herbst 2004 zusätzlich behindert wurden. Bereits 1999 hatte Russland in seiner bis 2010 angelegten »Mittelfristigen Strategie gegenüber der Europäischen Union«388 »den GUS-Raum […] praktisch zur Tabuzone für die EU erklärt.«389 Im Mai 2003 war auf dem EU-Russland-Gipfel die Vertiefung der Kooperation in sogenannten »vier gemeinsamen Räumen«390 beschlossen worden. Die Konkretisierung dieser Kooperation in »road maps« dauerte jedoch bis zum Mai 2005. Im April 2004 war darüber hinaus auf dem EU-Russland Gipfel in Luxemburg ein Ständiger Partnerschaftsrat gegründet worden. Russland trat also einerseits als Konkurrent im Nachbarschaftsraum auf, gleichzeitig hatten offenbar beide Verhandlungspartner Schwierigkeiten, das Land der gleichen Gruppe wie Marokko oder Moldova zuzuweisen und die Beziehungen nach der gleichen Logik zu strukturieren. Die Nachbarschaftspolitik gründete letztlich auf der Annahme, die EU habe ihren Nachbarstaaten, die als gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich rückständig einzustufen seien, etwas zu bieten und diese besäßen eine Eigeninteresse an der Zusammenarbeit mit der Union. Nicht nur im Falle Russlands ging diese Rechnung nicht immer auf,391 aber hier wurde die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit besonders deutlich, u. a. mit Blick auf die Abhängigkeit der EU von russischen Gas- und Öllieferungen und angesichts des russischen Selbstbewusstseins als globaler Akteur. Auf diesen Umstand nahm ab 2004 auch die Kommission Rücksicht. Gleichzeitig erweiterte sie in ihrem Strategiepapier von 2004 die Reichweite der Nachbarschaft um den bisher ausgesparten Südkauka386 COM (2003) 104 final, S. 4. 387 Ebd., S. 19–21; COM (2004) 373 final, S. 30–32. 388 Vgl. Strategija razvitija otnošenij Rossijskoj Federacii s Evropejskim Sojuzom, S. 20–28.; vgl. dazu auch Timmermann; Adomeit u. Lindner. 389 Ebd., S. 11. 390 1. Wirtschaft; 2. Freiheit, Sicherheit und Justiz; 3. äußere Sicherheit; sowie 4. Forschung, Bildung und Kultur. 391 Vgl. Bendiek, Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik?.

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sus und begründete dies damit, dass dieser Raum bereits in der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 als strategisch wichtige Region identifiziert worden war.392 Dieser Erweiterung stimmte der Rat im Juni 2004 zu, nicht ohne seinerseits die Sonderstellung Russlands und der Kooperation in den »vier Räumen«393 hervorzuheben – obwohl der Einschluss der südkaukasischen Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien von russischer Seite als Einmischung in sein »nahes Ausland« aufgefasst werden musste. Am 29. September 2004 unterbreitete die Kommission schließlich einen konkreten Gesetzesvorschlag für das nun als ENPI bezeichnete Finanzierungsinstrument.394 Hatte die Kommission zuvor noch verschiedene Möglichkeiten abgewogen, wie eine angemessene Finanzierungsstruktur für die Nachbarschaftspolitik aussehen könnte – indem die Reichweite bestehender Programme ausgedehnt, vorhandene Instrumente besser koordiniert oder ein komplett neues Instrument geschaffen würde395 – entschied sie sich nun für letztere und konzipierte ein völlig neues Modell, das alle bisher vorhandenen Programme für die Nachbarsstaaten wie TACIS und MEDA ersetzen sollte. Als European Neighbourhood and Partnership Instrument (ENPI) sollte es nicht nur für den ENP-Raum, sondern auch für Russland eingesetzt werden können. Diese Differenz zwischen dem durch die ENP mit ihren Aktionsplänen erfassten und dem durch das Finanzierungsinstrument geschaffenen (Nachbarschafts-)Raum verdeutlicht einmal mehr die große Sorgfalt, die im Umgang mit den symbolischen Ressourcen dieser Politik vonnöten war. Die Kommission betonte hierbei auch, dass das ENPI über das übliche Modell der europäischen Entwicklungshilfe hinausging, da mit dem Angebot der Teilhabe am gemeinsamen Binnenmarkt neuartige Anreize zur Verfügung standen und durch den Einsatz von Programmen zum Wissenstransfer wie TAIEX und Twinning ein tiefgreifender Systemwandel initiiert werden könne.396

392 COM (2004) 373 final, S. 10. 393 Rat(12). 394 COM (2004) 628 final. 395 COM (2003) 393 final, S. 12. 396 COM (2004) 628 final, S. 38. Aus dieser zumindest graduellen Unterscheidung der ENP von EU-Entwicklungshilfe im engeren Sinne lässt sich auch auf das zugrunde liegende Raumverständnis schließen: Entwicklungshilfe im engeren Sinne richtet sich an Staaten, die nicht nur räumlich, sondern auch gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich weiter von der Union entfernt sind. Der »globale Süden« wird dabei außerdem auch nicht als ein Raum konzipiert, in dessen Struktur und Gestaltung grundlegend einzugreifen die EU sich anschickt.

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Das ENPI wurde im November 2006 von Parlament und Rat beschlossen,397 nachdem um die finanzielle Ausstattung und die praktische Handhabung des Instruments in langen Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten, dem Parlament, der Kommission und den Nachbarschaftsländern gerungen worden war.398 Der Rat hatte dem ENPI schließlich 11,181 Mrd. € für die Budgetperiode von 2007 bis 2013 zugewiesen, von denen 5 % unmittelbar der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zukommen sollten.399 Die Umsetzung der ENP erforderte aber nicht nur die Zuweisung von Finanzmitteln, sondern vor allem auch die Aushandlung von Aktionsplänen. Bis zum Ende des Jahres 2004 waren diese mit Israel, Jordanien, Moldova, Marokko, der Palästinensischen Behörde, Tunesien und der Ukraine abgeschlossen worden, die ersten traten Anfang 2005 in Kraft. Die Verhandlungen mit Armenien, Aserbaidschan, Ägypten, Georgien und Libanon dauerten bis Ende 2006 an, während mit Algerien, Weißrussland, Libyen und Syrien zunächst noch gar keine aufgenommen worden waren.400 Armenien, Aserbaidschan und Georgien schlossen ihre Pläne im November 2006 ab, Libanon folgte im Januar und Ägypten im März 2007.401 Die Ukraine, der eine gewisse Vorreiterstellung in der ENP zukam, begann bereits 2007 Verhandlungen über ein erweitertes PKA. Im September 2008 wurde auf dem EU-Ukraine-Gipfel gar die Aushandlung eines Assoziierungsabkommens beschlossen und der Aktionsplan mit der Ukraine wurde am 24. November 2009 durch eine »Association Agenda« ersetzt.402 Auf dem EU-Ukraine Gipfel im Dezember 2011 hatte man sich schließlich auf die Details einigen können, die die Verhandlungsführer im Frühjahr 2012 ausarbeiteten.403 Bereits im Februar 2008, nach dem WTO-Beitritt der Ukraine, hatten Verhandlungen über ein Abkommen über eine »Deep and Comprehensive Free 397 Regulation (EC) No 1638/2006. 398 Interviews Brüssel 6 und Brüssel 2. Die Frage war u. a., wo die managing authority für die Nachbarschaftsprogramme eingerichtet werden sollte, ob dies auch außerhalb der Union möglich sein sollte und ob es ohne Schwierigkeiten ausgehen würde, wenn ein Mitgliedsland in Angelegenheiten eines Drittlandes eingreift, indem es Mittel aus dem ENPI für gemeinsame Projekte verwaltet. 399 Rat(16). Die von 2004 bis 2006 laufenden Nachbarschaftsprogramme waren aus den bestehenden Finanzierungsquellen mit einem Volumen von 955 Mio € für drei Jahre ausgestattet gewesen, pro Jahr also mit 318 Mio €. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wurde damit unter dem neuen ENPI bedeutend schlechter gestellt, die ihr zugewiesenen 5 % (559 Mio €) übersetzen sich in 80 Mio € pro Jahr. 400 IP/05/1467; SEC (2005) 1521. 401 KOM (2008) 164 endg., S. 3. 402 European Commission: EU-Ukraine Association Agenda. 403 http://eeas.europa.eu/images/top_stories/140912_eu-ukraine-associatin-agreement-quick_ guide.pdf (Zugriff 16. 01. 2013).

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Trade Area« (DCFTA) begonnen, ähnliche vertiefte Freihandelsabkommen sollten auch für die südlichen Nachbarn entworfen werden.404 Doch war die Nachbarschaftspolitik nicht nur als Rahmen für die bilateralen Beziehungen der Union mit ihren Anrainern konzipiert worden, sie sollte auch eine regionale Komponente enthalten, das heißt, regionale Kooperation innerhalb des Nachbarschaftsraums initiieren. Dies forcierte die Kommission seit 2006, als die Nachbarschaftsprogramme bereits ausliefen – die Experimentierphase gewissermaßen zu Ende ging – und das ENPI durch Rat und Parlament bewilligt worden waren.405 Die ersten konkreten Anregungen in diese Richtung schlugen sich in der Initiative für eine Schwarzmeerkooperation nieder, die im Februar 2008 von den Außenministern der Schwarzmeeranrainerstaaten in Kiev beschlossen wurden.406 In ihrer Mitteilung zur Stärkung der Nachbarschaftspolitik Ende 2006 betonte die Kommission aber auch die Bedeutung, die großzügigere Mobilitätsregelungen für die Wirksamkeit und Attraktivität der Nachbarschaftspolitik haben würden und empfahl dem Rat und den Mitgliedsstaaten, die Aushandlung von Visaerleichterungsabkommen voranzutreiben. In derselben Mitteilung schlug die Kommission auch vor, bei der Konzeption von Projekten im Rahmen der Nachbarschaftspolitik die förderfähigen Regionen auf die Nachbarn der Nachbarn auszudehnen und kündigte an, Mittel aus dem ENP für einen Nachbarschaftsinvestitionsfonds und eine Governance-Fazilität vorzusehen. Mit diesen – zwar nicht zusätzlichen, aber spezifisch einsetzbaren – Mitteln würden besonders kooperationswillige, sprich: anpassungsfähige Partnerstaaten belohnt werden. Die Regionalisierungsagenda verfolgte die Kommission mit ihrem Strategiepapier zur östlichen Nachbarschaft vom März 2007 weiter.407 Polen war hier bereits aktiv geworden und legte im Mai 2008 gemeinsam mit Schweden den Vorschlag für eine östliche Dimension der Nachbarschaftspolitik vor, die schon im Mai 2009 verabschiedet wurde.408 Ein Jahr vorher war auf die Initiative Frankreichs die Mittelmeerunion ins Leben gerufen worden, die dem mittlerweile in die ENP integrierten Barcelona-Prozess wieder mehr Sichtbarkeit verleihen sollte. Die Kommission war hier zuvor nicht mit einem eigenen Vorschlag hervorgetre404 Bilaterale Beziehungen EU-Ukraine, Übersicht; Rat(18). 405 KOM (2006) 726 endg. 406 COM (2007) 160 final; Black Sea Synergy; Joint Statement of the Ministers of Foreign Affairs of the countries of the European Union and of the wider Black Sea area. 407 European Neighbourhood and Partnership Instrument. East Regional Programme. Strategy Paper 2007–2013. 408 Eastern Partnership, Polish-Swedish Non-paper.

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ten, anders als bei der Schwarzmeerinitiative und der östlichen Partnerschaft. Letztere ist vor allem in der Ukraine ausgesprochen umstritten, gleichwohl insbesondere von Polen als Aufwertung der ostpolitischen Ausrichtung der EU gedacht. Winfried Schneider-Deters, ehemaliger Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiev, kommt sogar zu dem Schluss, dass »die Assoziation der Ukraine [d. h. das seit 2008 verhandelte Assoziierungsabkommen] sofort durch die ›Östliche Partnerschaft‹ (ÖP) abgewertet [wurde]: Die ÖP sieht Assoziierungsabkommen auch für fünf weitere ›östliche Nachbarn‹ vor; erneut wurde der Ukraine – wie in der Europäischen Nachbarschaftspolitik – ein Platz innerhalb einer Gruppe von Ländern zugeordnet, die für lange Zeit ›Nachbarn‹ bleiben werden.« Damit werde die ÖP eher zu einem »Hindernis auf dem Weg in die Europäische Union.«409 Für den Zeitraum 2002 bis 2009 lassen sich drei Grundtendenzen in der Entwicklung der Nachbarschaftspolitik beobachten. Erstens wurde die »Nachbarschaft« nun relativ klar umgrenzt, sie schloss Russland aus, den Südkaukasus ein und bezog sich auf jene direkt angrenzenden Staaten – einschließlich der Palästinensischen Behörde bzw. dem Palästinensischen Staat – denen auf absehbare Zeit keine Beitrittsperspektive angeboten werden sollte. Darüber hinaus wurde die Bildung subregionaler Cluster vorangetrieben: im Osten mit der Östlichen Partnerschaft, im Südosten mit der Schwarzmeerinitiative und im Süden mit dem durch die Mittelmeerunion weiterentwickelten Barcelona-Prozess. Zweitens waren nach einer Erprobungsphase für die operative und finanzielle Gestaltung konkreter Vorhaben im Rahmen dieser Politik fast flächendeckend PKA oder Assoziierungsabkommen mit den entsprechenden Aktionsplänen abgeschlossen worden, in der östlichen Nachbarschaft wurden diese Instrumente 2008 weiterentwickelt zu vertieften Assoziierungsabkommen, umfassenderen Freihandelsabkommen, Visaliberalisierungsvorschlägen und Assoziierungsagenden. Die finanzielle Ausstattung für die Budgetperiode 2007–2013 wurde auf knapp 12 Mrd. € festgelegt und sukzessive durch neue Instrumente wie den Nachbarschaftsinvestitionsfond und die Governance-­Fazilität erweitert sowie durch die Zusammenarbeit mit internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und dem IWF gestärkt. Drittens schien die Kommission und der Rat relativ zuversichtlich hinsichtlich des Erfolges der Politik für die Stabilisierung und Transformation der Region, insbesondere im Osten mit Blick 409 Schneider-Deters; auf deutsch erschienen in Ukraine-Nachrichten vom 24. 05. 2011 (http://ukraine-nachrichten.de/europäische-funktion-ukraine-oder-wie-ukrainegesamteuropäischer-faktor-werden-kann_3125_meinungen-analysen_nachrichten (Zugriff 29. 05. 2011)), S.  2.

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auf Ukraine und Moldova konnte die Kommission aus ihrer Sicht die größten Fortschritte verbuchen. Bewertungsinstrumente, wie die sogenannten benchmarks, und jährliche Fortschrittsberichte waren etabliert worden und erweckten den Eindruck eines kohärenten Vorgehens. Sie bewirkten – wie vorhergesehen – eine fortschreitender Differenzierung der Nachbarschaft. Folgt man der Periodisierung Katrin Böttgers, deren Studie die Entwicklung der Nachbarschaftspolitik von den neunziger Jahren bis 2009 verfolgt, lassen sich für den Zeitraum 2002 bis 2009 zwei Phasen unterscheiden: die Etablierung des Politikfeldes (bis 2004), in der die Kommission sich als vermittelnde und gestaltende Instanz durchsetzen konnte, auch, indem sie freigewordenen Kapazitäten aus dem Beitrittsprozess zu nutzen verstand, und jene der Implementierung und Diversifizierung (von 2004 bis 2009), in der konkrete Programme entwickelt und die regionale Differenzierung vorangetrieben wurde. Dabei hätten sich laut Böttger auch die unterschiedlichen Koalitionen der Mitgliedsstaaten in der Nachbarschaftspolitik zunehmend besser organisiert.410 In der von Böttger als »MOE-Koalition« beschriebenen Gruppe findet sich Polen als der herausragende Gestalter, außerdem Litauen, Ungarn, Schweden und Österreich, sowie in einer »gemäßigte[n] Rolle« Deutschland. Als mit dieser Gruppe verbunden lassen sich weiterhin Großbritannien in einer »strategische[n] Allianz« – sprich die Ziele, aber nicht die Werte dieser Gruppe teilend – sowie die Slowakei einordnen. Der Einfluss dieser Gruppe sei mit der Zeit gewachsen, und während Polen eher konfrontativ agiere, wirke Schweden vermittelnd.411 Die mit dieser Gruppe im Wettbewerb stehende »Mittelmeerkoalition« unter der Führung Frankreichs schließt Italien, Spanien, Portugal, Griechenland sowie Malta ein. »Das wesentliche Ziel der Mittelmeer-Koalition ist die Ressourcenschonung und der eigene Machterhalt«, weshalb sie auch eher durch ihre »Blockadehaltung« gekennzeichnet ist.412 Insgesamt habe sich die ENP »im Laufe des Untersuchungszeitraums von einem grob umrissenen Experimentierfeld zu einem ausdifferenzierten Politikfeld mit zentraler Bedeutung für die Gestaltung der EU-Außenpolitik entwickelt.«413 Dieser Optimismus spricht auch aus den Berichten der Kommission zur Umsetzung der Nachbarschaftspolitik.414 »The European Neighbourhood 410 Vgl. Böttger. 411 Ebd., S. 128–130. 412 Ebd., S. 131. 413 Ebd., S. 167. 414 COM (2007) 774 final; KOM (2008) 164 endg.; KOM (2009) 188 endg.; COM (2010) 207; Five years of European Neighbourhood Policy.

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Policy is a success story«,415 betonte noch im Mai 2010 die neue Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton. Die Bestandsaufnahme im entsprechenden Kommissionsbericht für das Jahr 2009 fiel zwar grundsätzlich positiv aus, identifizierte aber eine Reihe von Problemfeldern, auf denen entweder eine »Stärkung«, »Präzisierung« oder mehr »Kohärenz« der Bemühungen notwendig seien, und zwar mit Blick auf die Union, nicht auf die Partnerstaaten. So müsse die Abstimmung zwischen den Mitgliedsstaaten gestärkt und die zentrale Rolle der Kommission anerkannt werden, außerdem sei die Union bisher noch nicht in der Lage gewesen, sogenannte »frozen conflicts« in der Region wirklich zu lösen (wie in Transnistrien oder im Nahen Osten) und die Mitgliedsstaaten müssten mehr tun, um die Mobilität von »bona fide«-Migranten aus der Region zu erleichtern. Schließlich müsse die Finanzausstattung nicht nur verbessert, sondern gezielter eingesetzt werden, sie sollte »the needs, the levels of ambition and progress and the absorption capacity of the partners« besser reflektieren.416 Das bedeutete im Klartext: Die Finanzmittel, die im Rahmen der ENP zur Verfügung gestellt wurden, konnten nicht nur wegen ihrer Begrenztheit eine lediglich geringe Wirksamkeit entfalten, sondern auch, weil sie entweder nicht an klare politische Zielvorgaben gebunden wurden oder – bedingt durch das Prinzip der Ko-Finanzierung – in den Staatshaushalten der Partnerländer auf Grenzen der Finanzierbarkeit stießen. Als wirkliche Nagelprobe für die ENP entpuppten sich jedoch die Ereignisse in Nordafrika seit Ende 2010. Auf diese soll hier nur ausblickend verwiesen werden, um zu verdeutlichen, dass die ENP an ihre Grenzen stieß, nachgerade in eine Krise geriet, und wie die Kommission dieser Situation Herr zu werden versuchte. Die in Teilen gewaltsamen gesellschaftlichen Umwälzungen erst in Tunesien, Ägypten und Libyen, später auch in anderen Staaten Nordafrikas, versetzten zunächst den Europäischen Rat in Unruhe, während sich der neue Auswärtige Dienst unter Catherine Ashton in bemerkenswertes Schweigen hüllte. Vor allem zwei Themen wurden im Rat im Zusammenhang mit den nordafrikanischen Entwicklungen diskutiert: Energiesicherheit sowie Migrations- und Grenzpolitik.417 Nachdem insbesondere der tunesische und der libysche Staat nicht mehr ihre Aufgaben für die Sicherung der EU-Außengrenze – die Rückhaltung von 415 Ebd. 416 COM (2010) 207, S. 11. 417 Rat(22); Rat(23); Rat(24); Rat(25).

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Transitmigranten aus der subsaharischen Zone und deren Rückführung – übernehmen konnte oder wollte, und darüber hinaus tunesische, ägyptische und libysche Staatsbürger versuchten, ihre Länder Richtung EU zu verlassen, sah sich die Union nun mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Grenze allein schützen und das Flüchtlingsproblem lösen zu müssen. So wurde die ursprünglich für Juni 2011 geplante FRONTEX-Operation HERMES im Mittelmeer auf Ersuchen Italiens auf den 20. Februar 2011 vorgezogen und auf Anforderung Griechenlands erstmalig ein schnelles Reaktionsteam, ein RABIT, im November 2010 eingesetzt, das im März von der gemeinsamen FRONTEX-Operation POSEIDON abgelöst wurde. Darüber hinaus wurde erwogen, FRONTEX kurzfristig zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die geplante Novellierung der FRONTEX betreffenden Regelungen vorzuziehen, sowie eine RABIT-Operation in Malta geprüft. Zum Thema Flüchtlingshilfe blieb dem Rat vor allem, die Arbeit des UNHCR und der IOM zu würdigen und mehr Mittel für regionale Flüchtlingsprogramme zur Verfügung zu stellen, mit denen die Ansiedlung von Flüchtlingen außerhalb der Union, aber auch außerhalb ihres Herkunftsgebiet unterstützt werden sollte. Zu diesen kurzfristigen Reaktionen auf die Krise kam die kritische Prüfung der Nachbarschaftspolitik in der Mittelmeerregion. So legte die Kommission am 8. März 2011 einen Vorschlag über »A Partnership for Democracy and Shared Prosperity with the Southern Mediterranean« vor, der am 11. März 2011 auf einer Sondersitzung des Rats beschlossen wurde.418 Dieses Dokument machte vor allem eines deutlich: Die Nachbarschaftspolitik hatte im Mittelmeerraum keine nennenswerte Wirkung entfaltet, die gesellschaftlichen Umbrüche in der Region gingen nicht auf ihr Konto, die Union stand den Ereignissen unvorbereitet gegenüber. Kurz, die Union für das Mittelmeer »did not deliver the results we expected.«419 Also musste der Ansatz angepasst werden. Obwohl der Kommissionsvorschlag keine wirklichen Neuerungen anbot und daher als halbherziger »Euro-Sprech« in die Kritik geriet,420 lassen sich einige aufschlussreiche Nuancierungen erkennen: Erstens sollte die Nachbarschaftspolitik im Mittelmeerraum nun auf die Zivilgesellschaft setzen421 – die Kooperation mit den mittlerweile als autoritär und undemokratisch in Verruf geratenen Regimen 418 COM (2001) 200 final. 419 Ebd., S. 11. 420 Möller. 421 Vgl. dazu die Kritik von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen in: Letter from representatives of several non-governmental organisations from the EU and neighbouring countries.

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ließ sich offensichtlich nicht mehr rechtfertigen. Zweitens müsste mehr Geld zur Verfügung gestellt werden und nicht nur die Europäische Investitionsbank (EIB), sondern auch die bisher nur im Osten tätige Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) sollte Kredite zur Verfügung stellen. Drittens sollten die Zuwendungen stärker »incentive-based« erfolgen, der Begriff der Konditionalität wurde hier nun doch ins Spiel gebracht.422 Und schließlich müsste man auch für den Süden über eine liberalere Migrationspolitik für »bona fide travellers and specific groups« nachdenken. Bislang hatte man dies nur im Osten getestet.423 Um die Ernsthaftigkeit dieser Vorhaben zu demonstrieren, legte die Kommission bereits gut zwei Monate später einen Bericht über die Umsetzung dieser Strategie vor,424 der aber vor allem zeigte, wie sehr die Kommission darum bemüht war, sich ein Bild der Lage zu machen. Diese Nuancen machen im Umkehrschluss deutlich: Im Süden war die Nachbarschaftspolitik finanziell schlecht ausgestattet, setzte auf die Kooperation mit der nationalen politischen Ebene, die letztlich Zuwendungen ohne konkreten Fortschrittsnachweis erhielt. Gesellschaftliche Entwicklungen spielten bei der Bewertung bisher offensichtlich eine geringere Rolle und die Versprechen der ENP, nämlich u. a. mehr Freizügigkeit zu ermöglichen, waren bislang nicht eingelöst worden. Vor dem Hintergrund dieser Diagnose – und auch mit Blick auf die Planungen für die Budgetperiode 2014–2020 – stellte die Kommission die ENP insgesamt auf den Prüfstand und legte ihre »new response to a changing Neighbourhood« am 15. Mai 2011 vor – acht Jahre nach ihrer »Wider-Europe«-Mitteilung.425 Die Bestandsaufnahme förderte eine wenig überraschende Spaltung der Nachbarschaft zu Tage – in Problemfälle wie Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien und Weißrussland einerseits; Musterkandidaten wie die Ukraine und Moldova andererseits und schließlich Partnerländer wie Marokko und Jordanien, die Anlass für Optimismus gäben. Mit Blick auf Wirtschaft und Handel habe die ENP einige Erfolge verzeichnen können, der Anreiz zu politischen Reformen sei jedoch begrenzt geblieben.426 Ein neuer Ansatz müsse deshalb stärker differenzieren zwischen kooperationswilligen Ländern und solchen, die sich weigerten, Mindeststandards umzusetzen, auf die man sich als »gemein-

422 COM (2001) 200 final, S. 3, S. 5. 423 Ebd., S. 7. 424 SEC (2011) 638. 425 COM (2011) 303 final. 426 Ebd., S. 1.

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same Werte« einige.427 Dies geschehe ohne Zwang, folge aber einer Konditionalitätslogik – und könne die Einstellung der Beziehungen nach sich ziehen.428 Um die bislang vor allem im Süden vernachlässigten politischen Reformanreize zu geben, schlug die Kommission u. a. die Einrichtung einer »Europäischen Stiftung für Demokratie« und die Schaffung einer »Civil Society Facility« vor.429 Und auch die Liberalisierung des Handels zwischen der Union und den Nachbarschaftsländern müsse durch vertiefte Freihandelsabkommen oder »Agreements on Conformity Assessment and Acceptance of industrial products (ACAAs)« vorangetrieben werden,430 ebenso wie der Ausbau von Mobilitätspartnerschaften den bislang in dieser Richtung benachteiligten südlichen Nachbarländern mehr Freizügigkeit in Aussicht stellen sollte. Die hier für den Mittelmeerraum vorgeschlagenen Neuerungen orientierten sich dabei stark an der bisher vor allem mit der Ukraine und Moldova entwickelten Praxis. Die östliche Nachbarschaft wurde dabei als erfolgreiches Modell für den gesamten Raum präsentiert – wobei der Kommission auch hier wieder entging, dass der Erfolg der ENP in der Ukraine und Moldova mit hoher Sicherheit auf deren Beitrittsambitionen gründete, während deren Fehlen bei den Mittelmeeranrainern in Rechnung gestellt werden müsste. Außerdem verfügte beispielsweise die Ukraine mit Polen nicht nur über einen Fürsprecher in der Union, sondern die Union auch über einen Mediatoren nachbarschaftspolitischer Reformen im Osten. Gleiches ließ sich weder über Frankreich, noch über Italien oder Spanien mit Blick auf die südlichen Nachbarn sagen. Diesen Staaten ging es vor allem um die Begrenzung von Sicherheitsrisiken, nicht um die Vorbereitung der Nachbarländer auf den Beitritt zur Union.431 In diesem schwierigen politischen Umfeld hatte es zwei Jahre gedauert, bis es gelungen war, ein Sekretariat für die Mittelmeerunion einzurichten, sich auf einen Generalsekretär zu einigen und im März 2010 schließlich die Satzung zu verabschieden.432 Dagegen konnten für die im Mai 2009 verabschiedete östliche Partnerschaft bereits ein 427 Bemerkenswert ist auch das implizite Eingeständnis der Kommission, bisher zu viele Ziele auf einmal verfolgt zu haben und letztlich nicht über klare Indikatoren der Erfolgsmessung zu verfügen. Die ENP müsse daher vereinfacht und ihre Kohärenz verbessert werden, sprich: Die Mitgliedsstaaten müssten endlich bei dieser gemeinsamen außenpolitischen Initiative an einem Strang ziehen. Nach fast neun Jahren Nachbarschaftspolitik scheint dies ein recht ernüchterndes Ergebnis zu sein, waren doch Kohärenzstiftung, Normenexport und Erfolgskontrolle von Anfang an erklärtes Ziel. Vgl. ebd., S. 17–19. 428 Ebd., S. 1 f. 429 Ebd., S. 4. 430 Ebd., S. 8 f. 431 Vgl. Böttger. 432 COM (2010) 207, S. 13.

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Jahr später eine Reihe konkreter Fortschritte vorgewiesen werden:433 Verhandlungen über Assoziierungsabkommen hatten mit Moldova im Januar 2010, mit Armenien, Aserbaidschan und Georgien im Juli 2010 begonnen. Vertiefte Freihandelsabkommen (DCFTAs) waren mit Armenien, Georgien und Moldova in Vorbereitung, eine Mobilitätspartnerschaft wurde mit Moldova im November 2009 abgeschlossen und sollte auch mit Armenien entwickelt werden. Ein Visaerleichterungs- sowie ein Rücknahmeabkommen wurden mit Georgien im Juni 2010 geschlossen, und mit der Ukraine befand sich die EU bereits seit Herbst 2008 im sogenannten Visadialog als Vorbereitung für die Abschaffung der Visapflicht.434 Die politischen Krisen im Mittelmeerraum hatten die Sollbruchstellen der Nachbarschaftspolitik zu Tage gefördert: Obwohl immer wieder als solche beschworen, war sie offensichtlich nicht zu der schlagkräftigen gemeinschaftlichen Außenpolitik der EU gegenüber dem Nachbarschaftsraum geworden. Dieser war in sich vielmehr hochgradig fragmentiert (geblieben), ebenso wie die Mitgliedsstaaten sich nach wie vor nicht auf eine wirklich gemeinsame Agenda und Sprache hatten einlassen wollen. Für die Bewältigung ernsthafter Krisen in diesem Raum – sei es der Konflikt mit Russland und der Ukraine über den Transit von russischem Gas, seien es die Umbrüche in den nordafrikanischen Gesellschaften – schien das Instrumentarium der ENP wenig geeignet. Doch diese Krisen führten immer wieder zu einer Neujustierung des Ansatzes, zur Suche nach adäquaten Begriffen und dem Erproben von möglichst wirksamen Instrumenten. Die der Politik bislang zur Verfügung stehenden Ressourcen entsprachen nach wie vor nicht ihren Ambitionen und der Hauptanreiz der Beitrittsperspektive, mit dem die Union die Transformation des ostmitteleuropäischen Raumes hatte erfolgreich vorantreiben können, fehlte im Osten – weil sich die Mitgliedsstaaten nicht auf eine Fortsetzung der Erweiterung einigen konnten – als auch im Süden – weil diese Nachbarstaaten kein Interesse daran hatten.

433 SEC (2011) 641. 434 Hinzu kamen sogenannte Leuchtturminitiativen in den Bereichen Grenzmanagement; Kleine und Mittlere Unternehmen; regionale Strommärkte, Energieeffizienz und erneuerbare Energien; Bekämpfung von Naturkatastrophen und Umweltschutz; sowie thematische Plattformen in den Bereichen Demokratie und good governance; wirtschaftliche Zusammenarbeit; Umwelt und Klimawandel; Energiesicherheit sowie zwischenmenschliche Kontakte. Mit EURONEST war eine Parlamentarische Versammlung der Ostpartnerschaft eingerichtet worden. Es gab ein Zivilgesellschaftsforum sowie eine Regionalversammlung für Osteuropa und den südlichen Kaukasus.

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Eine bruchlose Einhegung und Arrondierung des Nachbarschaftsraums war also nicht gelungen, er blieb oder wurde fragmentiert, wobei seine Gliederung nur im Groben als eine Ost-Süd-Einteilung beschrieben werden kann, denn auch Weißrussland weigert sich, ein kooperativer Nachbar zu werden. Es soll hier jedoch nicht darum gehen, die »Effizienz« dieser Politik zu bewerten und einzuschätzen, ob die EU ihre Ziele mit angemessenem Aufwand erreicht hat, um dann Vorschläge für die Beseitigung etwaiger Mängel zu machen. Vielmehr geht es mir um jene Arenen und Formen, in denen der EU-Raum deutend produziert wurde, in denen Raumsemantiken entwickelt und erprobt wurden, mit denen sich die variablen Geografien EUropas, seine Grenzen und seine Ergänzungsräume erfassen lassen. In diesem Sinne ist es gerade die wiederholte Dynamisierung des nachbarschaftspolitischen Entwurfs und die Bedeutung der ENP als symbolpolitisches Reservoir, die in anderen Kontexten als ihre Schwäche gedeutet werden mögen, die sie jedoch zu einem der kreativsten Laboratorien für die Erfindung des EUropäischen Raumes in Reaktion auf eine in Fluss geratene Weltordnung machen.

Die Dynamik des symbolpolitischen Reservoirs Wenn in den nächsten Abschnitten genauer untersucht wird, welche Folgen die Nachbarschaftspolitik für die Arrondierung des EU-Raumes durch seine Umgrenzung und den Entwurf von Ergänzungsräumen hatte, ist zweierlei im Blick zu behalten: Erstens ist diese Politik immer wieder in Bewegung geraten, sowohl durch Entwicklungen innerhalb als auch außerhalb der Union. Dazu gehören die parallel verhandelte gemeinschaftliche Grenz- und Migrationspolitik der EU wie auch die Diskussionen um eine europäische Sicherheitsstrategie ebenso wie die zunehmend selbstbewusstere Positionierung der neuen Mitgliedsstaaten nach deren Beitritt 2004 als Mitgestalter der Außenpolitik – insbesondere Polens. Und dies schließt Entwicklungen in dem als »Nachbarschaft« gekennzeichneten Raum wie die »Rosenrevolution« 2003 in Georgien, die »Orangene Revolution« 2004 in der Ukraine, den Kaukasuskrieg zwischen Russland und Georgien 2008 ein. Nicht zuletzt ist der immer wieder aufflammende Streit zwischen Russland und der Ukraine um den Transit von russischem Gas und die russische Preispolitik gegenüber seinen unmittelbaren westlichen Nachbarn, die der EU die Fragilität ihrer eigenen Energiesicherheit unmissverständlich vor Augen geführt haben, dazu zu rechnen. Und schließlich müssen Dynamiken in den Grenzregionen selbst bei der Ausgestaltung von grenzüber-

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schreitenden Programmen der Nachbarschaftspolitik reflektiert werden. Aus der Gleichzeitigkeit und Verflochtenheit dieser Prozesse ergibt sich ein gewisses Darstellungsproblem. Ich behandele deshalb in einzelnen Kapiteln supranationale (Schwerpunkt Kapitel zwei), nationale (Schwerpunkt Kapitel drei) und regionale (Schwerpunkt Kapitel vier) Dynamiken getrennt voneinander. Zentral ist dabei, dass es sich bei der ENP nicht um eine statische oder »fertige« politische Strategie handelte,435 sondern – ähnlich wie die EU-Außengrenze selbst – ein moving target darstellt, das sensibel auf Provokationen des politischen und gesellschaftlichen Umfelds reagierte. Zweitens ergeben sich die besondere Stärke als auch Schwäche der Nachbarschaftspolitik aus ihrer Funktion als symbolpolitisches Reservoir. Dies deutete bereits der oben erwähnte Brief von Chris Patten und Javier Solana an. Die Erweiterung, so argumentierten sie, erfordere eine genaue Analyse der EU-Interessen gegenüber den neuen Nachbarn und die Überprüfung der bestehenden Abkommen und Rahmenverträge. Denkbar wäre ein »relabeling of our relations«:436 Moreover, the strong symbolism of a new label that marks a strengthened commitment of the Union could help to raise the profile of relations with the EU and thus unlock additional political will and administrative capacity437 Auf das Potential der ENP als symbolpolitisches Instrument438 verweisen indirekt auch die ansonsten in dieser Hinsicht eher zurückhaltenden Dokumente 435 Vgl. auch Interview Brüssel 8. 436 Patten u. Solana (Q), S. 3. 437 Ebd., S. 3. 438 Die Betonung der symbolpolitischen Dimension der ENP beruht hier nicht auf einer Gegenüberstellung von Real- und Symbolpolitik; eine Gegenüberstellung, bei der erstere letzterer mit Blick auf ihre Wirksamkeit für die Gestaltung von Politik und die Produktion von Raumordnungen für überlegen gehalten werden mag. Aber aus dieser Spannung ergeben sich aufschlussreiche Dynamiken für die Suche der EU danach, wie der Nachbarschaftsraum – und damit im Gegenschluss auch der EU-Raum – als kohärent zu beschreiben und zu erfassen sei. Gerade um die symbolpolitische Dimension der ENP hat es insbesondere in ihrer Anfangsphase intensive Auseinandersetzungen sowohl unter den Mitgliedsstaaten als auch zwischen der Union und den Nachbarstaaten gegeben, die die Grundlage gelegt haben für den Erfolg oder Misserfolg weiterer Verhandlungen. Einen Einblick in – auf den ersten Blick weniger relevant scheinende – symbolpolitische Momente in den Beitrittsverhandlungen (von denen ausgehend auf die Bedeutung dieser Dimension für die ENP geschlossen werden kann), geben die Erinnerungen von Leszek Miller an die letzten 15 Monate vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen Polens. Vgl. Miller, So war das.

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der Kommission, wenn diese beispielsweise betonte, dass es notwendig sei, die Kluft zwischen dem hohen Anspruch der Nachbarschaftspolitik und ihrer Ressourcenausstattung zu schließen,439 womit sie für eine generöse Ausstattung des 2007 eingeführten ENPI warb. Auch ihre Feststellung, der ENP müsse in den Zielstaaten bessere Sichtbarkeit verliehen werden,440 deutet in diese Richtung. Hiermit plädierte sie nicht nur für eine Erhöhung der Ressourcenausstattung, sondern meinte auch die Bündelung von bereits unternommenen Anstrengungen in Vorzeigeprojekten. Noch deutlichere Hinweise ergeben sich aus Interviews mit Mitarbeitern der Europäischen Kommission, die mehrfach und unabhängig voneinander zwischen den technokratischen und administrativen Logiken der Kommission einerseits und der politischen Agenda oder »intellektuellen«441 Ambitionen der Mitgliedsstaaten und öffentlichen Beobachter andererseits unterschieden.442 Wie eng technokratische Logik und symbolisches Potential miteinander verflochten sein können, zeigt die Erläuterung der für die östlichen Nachbarländer zuständigen Referentin in der Abteilung für Nachbarschaftspolitik des Generaldirektorats Außenbeziehungen, wie bei der Aushandlung von Aktionsplänen zwischen der EU und den Nachbarstaaten festgefahrene Interessengegensätze gelöst werden können: For the countries that are still negotiating, obviously all the political stuff is on the table […] [B]efore we finish negotiating we need to have a similar language that is acceptable by both sides. […] [W]e are deliberately technocratic, this is how we helped transform half a continent by being really technocratic about it: tick, tick. »No? But have you done this?« Tick, tick, tick. And it works, it is deliberate, it is not just that we are boringly bureaucratic […] Yes, we are deliberately technocratic on those sort of issues, which is how we successfully get through.443 [Hervorhebung d.Vf.] 439 COM (2004) 628 final, S. 43. 440 KOM (2008) 164 endg., S. 11. 441 Interview Brüssel 1. 442 Wie stark die diesbezügliche Unterscheidung zwischen dem Handeln der Kommission, insbesondere auf der Arbeitsebene, und den politischen Präferenzen der Mitgliedsstaaten und ihrer höchsten Repräsentanten für andere Politikbereiche gemacht wird, vermag ich an dieser Stelle nicht zu klären. In der Zusammenschau von EU-Dokumenten, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit und der Presseberichterstattung über die ENP mit den Interviews sowohl in Brüssel als auch in Warschau und Kiev sowie Lublin und L’viv scheint diese Differenzierung und die daraus resultierende Spannung jedoch für die ENP ausgesprochen hoch gewesen zu sein. 443 Interview Brüssel 2.

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Und sollte das standardisierte Verfahren, also das Abhaken von Anforderungslisten und die Fokussierung auf zugeschnittene administrative Schablonen, nicht funktionieren, konnte offensichtlich immer noch auf flankierende Erklärungen zurückgegriffen werden, die den Verhandlungspartner besänftigten, die Kommission aber nicht zu weiteren Zugeständnissen verpflichteten: So geschehen nach der »Orangenen Revolution« in den Verhandlungen mit der Ukraine über den ENP-Aktionsplan, als die neue Regierung und Präsident Juščenko versuchten, unter den neuen Bedingungen die Union zu größeren Konzessionen zu bewegen und der Ukraine eine realistische Beitrittsperspektive in Aussicht zu stellen. Die Union konnte die Ukraine überzeugen, das Paket nicht noch einmal aufzuschnüren, stattdessen entstand der sogenannte »FerreroWaldner/Solana-10-Punkte-Plan«, erneut in Form eines gemeinsamen Briefs, dieses Mal von Javier Solana und Benita Ferrero-Waldner, wieder an den Rat für allgemeine Angelegenheiten, der auf dem EU-Ukraine Gipfel am 21. 2. 2005 angenommen wurde und in dem »concrete proposals for ways to strengthen cooperation with Ukraine« gemacht werden sollten.444 Mündlich lautete die Einschätzung dazu im Interview: There is nothing really in this ten-point plan that wasn’t already in the action plan. […] It doesn’t mean much for the EU side but obviously for the other side it means something, it has great symbolic value […].445 Mit Blick auf den Nutzen der symbolischen Dimension der Politik vertraten Kommission und die »alten« Mitgliedsstaaten offenbar unterschiedliche Ansichten. Befragt nach den politischen Prioritäten für die nächste Zeit, reagierte der Abteilungsleiter für die Koordination zwischen einzelnen Politikfeldern in der Nachbarschaftspolitik im Generaldirektorat Außenbeziehungen erst skeptisch und dann ausführlich. Es gäbe immer wieder Konjunkturen dieser Prioritäten, aber wirklicher Wandel brauche Zeit und beginne im Übrigen auf Gebieten, die auf den ersten Blick wenig »sexy«446 erscheinen mögen, wie die Reform des Veterinärwesens oder der Steuergesetzgebung. Und ohnehin seien Prioritätenlisten inflationär und träfen – aus Kommissionssicht – nicht notwendigerweise ins Schwarze:

444 Solana u. Ferrero-Waldner (Q). 445 Interview Brüssel 2. 446 Interview Brüssel 3.

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Das Lustige ist nämlich, je mehr man versucht zu schauen, was Priorität ist, kommt man drauf, dass wir sowieso in vielen Sachen was machen und mir kommt diese Prioritätsgeschichte dann immer plakativ [vor], um präsentativ [sic!] Leuten nach dem Maul zu reden […] Oder der deutsche Botschafter, der möchte immer zehn Hauptpunkte haben und dann muss man sich die aus den Fingern saugen. […]. Was mir halt immer auffällt ist, dass die Sachen immer und immer wieder zu den politischen Themen hin tendieren und das Interessante ist, wenn man in den Rat hinübergeht – dadurch dass das ein mehr politisches Umfeld ist – interessieren sich die Leute halt am meisten für Massenvernichtungswaffen und Anti-Terrorismus und Demokratie und Medienfreiheit und Wahlreform und Justizwesen und solche Sachen. Und es ist verständlich und es ist wichtig […] Energie ist gerade in Hochkonjunktur, nachdem der Herr Putin die ganzen Hähne abgedreht hat. Aber das geht so durch Konjunkturen durch, nicht? Aber Transportsachen, Praktika, Verlängerungen von Europäischen Korridoren und so: Das ist immer so ein laufendes Thema.447 Diese Einschätzung verweist auf eine für EUropäische Politikgestaltung sicher nicht ungewöhnliche, der Nachbarschaftspolitik von Anfang an jedoch immanente Spannung: Die politischen Entscheidungsträger waren offensichtlich vor allem an den passenden symbolischen Angeboten interessiert, während sich die Kommission jedenfalls auf der Arbeitsebene um die administrativ zu bewältigende Konkretisierung der Politik bemühte. Gleichwohl lässt sich das Beharren auf einem als vorsätzlich beschriebenen technokratischen Vorgehen deuten als Strategie der Entpolitisierung, mit der die gewichtige symbolische Dimension der Nachbarschaftspolitik vorsichtig begrenzt werden soll.448 Die Wirksamkeit der nachbarschaftspolitischen Semantiken spiegelte sich in den Versuchen der Kommission, diese auf der Arbeitsebene so weit wie möglich einzudämmen. Die raumbezogenen Semantiken der Nachbarschaftspolitik werden im Folgenden in drei Komplexen gruppiert. Dabei handelt es sich um Problemfelder, die sich aus der oben diskutierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Nachbarschaftspolitik ableiten lassen. Dies ist erstens die Frage, inwiefern es sich bei der EU um einen globalen Akteur handelt und was sie dabei auszeichnet – dies wende ich für die Untersuchung hier als die Deutung der ENP 447 Ebd. 448 Mit einer ähnlichen technokratischen Logik hatte Polen versucht, die Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Verkehr mit der Ukraine durch die Einführung der SchengenRegeln abzufedern oder zu umgehen. Vgl. Kazmierkiewicz, Neighbourhood.

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als Strategie im »Globalisierungsmanagement« der EU. Einen zweiten Komplex bildet die Deutung des Verhältnisses von Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik – nicht nur im Sinne der Abgrenzung der einen von der anderen, sondern auch mit Blick auf die Frage, inwiefern Erfahrungen und institutionelle Praktiken aus dem Erweiterungsprozess für die Nachbarschaftspolitik nutzbar gemacht worden sind. Ein dritter Komplex schließlich ist die konkrete Bestimmung der politischen Geografie des Nachbarschaftsraums, insbesondere die Gestaltung des Verhältnisses zwischen verschiedenen territorialen Ebenen und die Frage, wie die EU mit der Herausforderung umging, den Nachbarschaftsraum einerseits differenziert betrachten und behandeln zu müssen, ihn aber gleichzeitig als grundsätzlich geschlossenen, in gewisser Weise homogenen Raum standardisierten Strategien der Steuerung von Transformationsprozessen zugänglich machen zu wollen.

Die Europäische Nachbarschaftspolitik als Globalisierungsmanagement Die Mitgliedsstaaten und Institutionen der Europäische Union sahen sich seit Ende der neunziger Jahre zunehmend vor das Problem gestellt, auf eine neue Weltordnung zu reagieren, die die Akteure als immer stärker globalisiert beschrieben. Eine Reihe von neuen, offensichtlich ernst zu nehmenden Spielern trat auf die Bühne des globalen Wettbewerbs, dessen Risiken und Unwägbarkeiten im Vergleich zur Welt des Kalten Krieges einigermaßen unübersichtlich und diffus wirkten. Dies erforderte neue Strategien, um die Potentiale dieses Wandels für die Union nutzbar zu machen. Dies habe ich oben mit Blick auf die Herausbildung einer europäischen Grenz-und Migrationspolitik gezeigt. Teil dieser Anstrengung war auch die Konzeption der Europäischen Nachbarschaftspolitik, als ein innovatives außenpolitisches Instrument, das das Verhältnis von Innen und Außen, von geografischen und thematischen Ansätzen, von Nationalstaaten und supranationalen Institutionen neu zu definieren unternahm.449 Spezifisch an der Deutung des als Globalisierung bezeichneten Prozesses war, dass dieser zu einem gewissen Grad zwar nach wie vor als diffuse und möglicherweise bedrohliche Entwicklung beschrieben wurde, es aus Sicht der Kommission aber angebracht schien, die 449 Der sicher prominenteste Versuch der EU, sich den Herausforderungen einer globalisierten Welt zu stellen und Strategien zu formulieren, wie sie in der neuen Weltordnung einen möglichst aussichtsreichen Platz einnehmen kann, ist die 2000 beschlossene Lissabon-Agenda. Vgl. Rat(3); Rat(4); Rodrigues.

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Skepsis aufzugeben und die Rolle der Union in einer solchen Welt als selbstbewusste Gestalterin ihres unmittelbaren Nachbarraumes als auch globaler Verflechtungen im weiteren Sinne zu definieren: »Wir müssen unsere Rolle als Akteur auf der Weltbühne spielen.«450 Dieses Selbstbewusstsein speiste sich aus dem Vertrauen darauf, dass durch die Erweiterung um zwölf neue Mitglieder die Union nicht nur an schierer Größe gewonnen, sondern auch den Nachweis erbracht hatte, dass sie ganze Gesellschaften samt ihrer wirtschaftlichen und politischen Systeme auf den gemeinschaftlichen acquis verpflichten, mithin den Entwicklungsweg eines halben Kontinent nachhaltig prägen konnte. Der argumentative Zusammenhang zwischen dem globalen Gewicht der Union sowie ihrer Interessen und der Erweiterung war mitunter relativ einfach: Enlargement will […] affect the European Union’s role in the world. – The bigger the Union is, the greater its global interests will be. […] – Our weight on the international scene will increase and we will benefit from the foreign policy and defence assets of our new members451 Je größer die Union – so die wenig komplizierte Gleichung – desto größer nicht nur ihr globales Gewicht, sondern auch ihre daraus resultierenden Interessen. Der behauptete Zugewinn an globaler Gestaltungsmacht wurde im Nachbarschaftsraum erstmals in einer kohärenten politischen Strategie getestet. Dass die Union in der Lage sein würde, ihre Interessen durchzusetzen, daran ließ die scheinbar unumstrittene Erfolgsgeschichte der Erweiterung keinen Zweifel: The Union has always exerted a strong pull on its neighbours even beyond the circle of countries to which we have held out prospects of membership. It is our task now to use this attraction to foster the necessary reforms in those countries, to step up our relations with them in our mutual interests and for the sake of the peoples concerned.452 Dieser Optimismus war allerdings getrübt worden, nachdem Franzosen und Niederländer den ersten Entwurf für eine EU-Verfassung in ihren Referenden 2005 abgelehnt hatten. Bei der Suche nach einem »neuen politischen Narra450 Prodi (Q), S. 8. 451 Verheugen (Q), EU Enlargement and the Union’s Neighbourhood Policy. 452 Ders. (Q), The European Neighbourhood Policy, S. 3

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tiv«453 entwickelte die Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero-­ Waldner, in einer Rede vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik im Dezember 2005 die Vision einer »postmodernen Supermacht«,454 die sich im »Zeitalter der Netzwerkdiplomatie«455 neuer Strategien des »Globalisierungsmanagements[s]«456 bedienen müsse: Themen wie Energie, Migration oder Klimawandel seien transnationaler Natur und müssten entsprechend bewältigt werden. Dafür seien die europäischen Nationalstaaten allein mit ihren Instrumenten »traditioneller nationalstaatlicher Sicherheitspolitik«457 nicht mehr gerüstet, vielmehr bedürfe es einer gemeinschaftlichen, themenübergreifenden Außenpolitik,458 die bestimmte Räume gezielt zu gestalten suche. Hier kommt »Europas Nachbarschaft« ins Spiel, als Projektionsraum europäischer Werte, Standards und Problemlösungsmechanismen, obwohl es nicht einfach um deren »Export« gehen könne, sondern der »Magnetismus der Union«459 dafür eingesetzt werden müsse, »die Saat«460 europäischer Werte aufgehen zu lassen, und solchermaßen »Sicherheit und Stabilität« durch die Kooperation auf Themenfeldern wie Innere und äußere Sicherheit, Migrationspolitik, Grenzmanagement, Energie, Wirtschaft und Verkehr in die Nachbarschaft – dann eben doch – zu »exportieren« oder zu »projizieren«.461 Wesentlich für die anvisierte Transformation des Nachbarschaftsraums schien die Durchsetzung eines Territorialisierungsregimes, das sich an »moderner Staatlichkeit« europäischen Typs orientiert: Es geht, wenn man so will, um den politischen Umgang mit der »dunklen Seite der Globalisierung«, vor allem an den Rändern Europas. Es geht zusehends um »State Building«, um dem Entstehen prämoderner »weißer Flecken« auf der Weltkarte vorzubeugen.462 (Hervorhebungen im Original) 453 Ferrero-Waldner (Q), EU-Außenpolitik im 21. Jahrhundert, S. 2. 454 Ebd., S. 3. 455 Ebd. 456 Ebd. 457 Ebd. 458 Ebd. 459 Ebd., S. 8. 460 Ebd., S. 4. 461 Ebd., S. 2, S. 7. So oder so ähnlich wiederholte sich die Argumentation Ferrero-Waldners auch in: Ferrero-Waldner (Q), Quo vadis Europa; dies. (Q), Migration; dies. (Q), The EU in the World; Landabruru (Q); Ferrero-Waldner (Q), The EU, the Mediterranean and the Middle East; dies. (Q), The Middle East in the EU’s External Relations; dies. (Q), Die EU und ihre östlichen Nachbarn. 462 Dies. (Q), EU-Außenpolitik im 21. Jahrhundert, S. 5.

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Ob diese gewisse argumentative Inkonsistenz einkalkuliert war, lässt sich nicht restlos klären: Denn während das überkommene nationalstaatliche Muster außenpolitischen Handelns und der Verräumlichung von Gesellschaften aus Sicht der Kommissarin für die Union und ihre Mitgliedsstaaten zunehmend der Vergangenheit anzugehören und die Zuwendung zu transnationalen und vernetzungsorientierten Ansätzen geboten zu sein schien, erklärte sie »an den Rändern Europas« die Reorganisation des politischen Raum in den Formen traditioneller Staatlichkeit für sinnvoll, und kombinierte dies mit einer raumzeitlichen hierarchischen Deutung – als »prämoderne Ränder« – des Verhältnisses zwischen Europa und seinen angrenzenden Gebieten. Der Europäischen Nachbarschaftspolitik kam dabei die Funktion eines Transmissionsriemens zu, dessen Aufgabe es auch war, die EU nicht zu einer »Festung« werden zu lassen, sondern Öffnung und Schließung präzise zu steuern, denn eine grundsätzliche Abschließung des Raumes sei keine adäquate Antwort mehr auf eine globalisierte Welt im Wandel.463 Die Nachbarschaftspolitik war dabei nicht nur Sicherheitspolitik, sondern – und das haben verschiedene Kommissionsmitglieder wiederholt als ihren innovativen Charakter hervorgehoben – eben auch Motor grenzüberschreitender Zusammenarbeit und einer regionalpolitischen Entwicklungsstrategie, die außerhalb des eigentlichen EU-Territoriums zum Einsatz kommen könnte.464 Durch den nachbarschaftspolitischen Entwurf entstand ein Ergänzungsraum – als sicherheitspolitischer Puffer wie als handelspolitisches Terrain – der die Union in der Konkurrenz zu anderen global playern stärken soll, wobei vor allem der Aufstieg Chinas und Indiens in diesem Begründungszusammenhang die Dramatik der Lage verdeutlichen sollte.465 Dieser Raum war Ressource in der globalen Konkurrenz und gleichzeitig Objekt eines Wettbewerbs im kontinentalen Rahmen – mit Blick auf Russland. Hier versuchte die Union eine Doppelstrategie: Das Verhältnis zu Russland wurde immer wieder als strate463 Ebd., S. 8. 464 Während Ferrero-Waldner als Kommissarin für Außenbeziehungen die Bedeutung der ENP als Mittel im Globalisierungsmanagement betonte, konzentrierte sich die Kommissarin für Regionalpolitik, die Polin Danuta Hübner, vor allem auf die Potentiale der ENP als Mittel der Regionalpolitik und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Dies leitete sie aus ihren Erfahrungen im polnischen Transformationsprozess ab. Sie vertrat – und dies machte sie in ihren Stellungnahmen durchaus transparent – damit eine aus einer polnische Perspektive naheliegende ostpolitische Ambition, die ja durchaus am Beginn der Formulierung der ENP gestanden hatte und die von Polen in der ENP weiter vertreten wurde. 465 Ferrero-Waldner (Q), EU-Außenpolitik im 21. Jahrhundert, S. 3; dies. (Q), The EU in the World, S. 2 f.; Hübner (Q), Enlargement, S. 7.

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gisch und symbolisch einzigartig herausgestellt und mit einigem rhetorischen Aufwand beteuert, die Nachbarschaftspolitik tangiere nicht die legitimen russischen Interessen in diesem Raum.466 Andererseits wurde mit der Erweiterung der Nachbarschaftspolitik um den Südkaukasus und die schwarzmeerpolitische Initiative sowie mit der Anwendung des nachbarschaftspolitischen Finanzierungsinstruments (ENPI) auch auf Russland Konkurrenz wie Verflechtung mindestens in Kauf genommen. Vor allem das europäische Parlament forderte eine engere Abstimmung zwischen der EU-Russland-Strategie und der Nachbarschaftspolitik.467 Das Problem der Energiesicherheit entwickelte sich neben der Frage der Migrationskontrolle und der Schaffung erweiterter Freihandelszonen zunehmend zu einem herausragenden, eigenständigen Thema, das im Rahmen der Nachbarschaftspolitik bearbeitet werden musste. So unterstrich die Kommission bereits 2005: Enhancing our strategic energy partnership with neighbouring countries is a major element of the European Neighbourhood Policy. This includes security of energy supply and energy safety and security. The European Union is the world’s largest energy (oil and gas) importer and the second largest consumer and is surrounded by the world’s most important reserves of oil and natural gas (Russia, the Caspian basin, the Middle East and North Africa)468 Energiesicherheit wurde sowohl für die östliche als auch für die südliche Dimension der Nachbarschaft immer virulenter. Im Rahmen der Schwarzmeerkooperation beispielsweise sollte die Integration der Energieinfrastruktur – vor allem für Öl und Gas – besser koordiniert, die Umstellung auf erneuerbare Energien gefördert sowie die Energieeffizienz in diesen Ländern erhöht

466 Verheugen (Q), EU Enlargement and the Union’s Neighbourhood Policy; Ferrero-Waldner (Q), Die EU und ihre östlichen Nachbarn, S. 6; Patten u. Solana (Q), S. 4; COM (2004) 373 final, S. 4, S. 6; Rat(12), S. 11; Regulation (EC) No 1638/2006, S. 2. 467 Insbesondere das Europäische Parlament plädiert für eine stärkere Einbindung Russlands in die Europäische Nachbarschaftspolitik, u. a. durch die Einbeziehung der sogenannte »Nördlichen Dimension« der gemeinsamen Außenpolitik – die eine Plattform für die Beziehungen der nordöstlichen EU-Mitglieder mit Russland sind und in dessen Rahmen u. a. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gestärkt werden soll – in die ENP. Vgl. EuParl(1); COM (2004) 373 final, S. 20 f.; EuParl(2); KOM (2006) 726 endg, S. 11; EuParl(3), S. 449. 468 COM (2004) 373 final, S. 17.

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werden.469 Eine der vorgeschlagenen Lösungen war, einzelne ENP-Länder enger an in die 2006 gegründete europäische Energiegemeinschaft470 zu binden. So war der georgische Antrag auf Beobachterstatus in der Energiegemeinschaft im Jahr 2007 angenommen worden, die Ukraine wurde 2010 Vollmitglied.471 Mit den südlichen Partnern sollte ein gemeinsamer Euro-Mittelmeer-Energiemarkt aufgebaut werden,472 hier konzentrierte sich die Zusammenarbeit auf einen gemeinsamen Strommarkt.473 Bei der Suche nach einer neue Rolle für die Union in einer globalisierten Welt ging es also – sicher nicht nur in der Nachbarschaftspolitik, aber dort als vernetzte Themen angelegt – um Sicherheitspolitik im engeren Sinne u. a. durch die Regulierung von Mobilität und die Eindämmung von Krisen in der Nachbarschaft;474 um die Sicherung des Zugangs zu Energieressourcen als auch zu Märkten – u. a. durch die handels- und infrastrukturpolitische Komponente der Nachbarschaftspolitik – sowie schließlich um den Transfer von Normen und Institutionen.

469 European Neighbourhood and Partnership Instrument. East Regional Programme. Strategy Paper 2007–2013; vgl. auch das Grünbuch der Kommission zur Energiesicherheit aus dem Jahr 2000 (COM (2000) 769 final). 470 Rat(15). 471 IP/10/1173. 472 COM (2007) 774 final, S. 7. 473 COM (2004) 373 final, S. 18; SEC (2005) 1521, S. 9 f. Bereits 2003 hatte die Kommission mit Algerien und Tunesien eine Absichtserklärung über den Aufbau eines gemeinsamen Strommarktes unterzeichnet (Declaration of intent on the Maghreb electricity market and its Integration into the European union internal Electricity market, 21. Mai 2003, http:// www.mem-algeria.org/actu/comn/declaration-maghreb.pdf, Zugriff 07. 06. 2011), Marokko kam hier später dazu. Mittlerweile verfolgt die Union auch den Aufbau von Solar- und Windenergiekapazitäten im Mittelmeerraum (http://ec.europa.eu/energy/international/ euromed_en.htm, Zugriff 07. 06. 2011). 474 So schickte die Kommission auf Wunsch Moldovas und der Ukraine 2005 eine Grenzbeobachtungsmissionen an deren gemeinsame Grenze, um die beiden Staaten dabei zu unterstützen, Schmuggel und Menschenhandel vor allem an der Grenze zu Transnistrien einzudämmen (European Union Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine (EUBAM)). Im selben Jahr wurde eine ähnliche Mission am ägyptisch-palästinensichen Grenzübergang in Rafah eingerichtet, die aber seit 2007 ausgesetzt ist.

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Die Europäische Nachbarschaftspolitik als Fortsetzung der Erweiterung mit anderen Mitteln? Diese Frage lässt sich mit einem klaren »Jein« beantworten: Die Rationalität der Nachbarschaftspolitik, die aus der Perspektive einiger Nachbarn als paradox oder gar unbefriedigend charakterisiert werden mag, ergab sich aus dem Zusammenspiel von – grob unterschieden – drei Interessengruppen. Mitgliedsländer wie Frankreich oder Italien sahen in der Nachbarschaftspolitik eine Möglichkeit, den Erweiterungsprozess einzugrenzen und beispielsweise den ukrainischen Beitrittsambitionen die Grundlage zu entziehen, indem der privilegierte Nachbarschaftsstatus als Ersatz für einen Beitritt ausgewiesen wurde. Andere Mitgliedsstaaten, insbesondere ostmitteleuropäische Länder wie Polen oder Litauen, wollten die Nachbarschaftspolitik als Übergangsphase verstanden wissen, bevor die nächsten Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden konnten. Und die Kommission, insbesondere die über die neunziger Jahre hinweg einflussreichen Abteilungen im Generaldirektorat Erweiterung, suchte nach einem neuen Tätigkeitsfeld für jenes Personal, das durch den Abschluss der umfangreichen Erweiterung 2004/07 freigesetzt wurde, denn mindestens die sogenannten geografischen Referate der Generaldirektion Erweiterung würden reduziert werden müssen. So wurde die Kommission zum ehrgeizigen »policy entrepreneur«.475 Vor allem aus dieser Dynamik der institutionellen Anpassung heraus ergaben sich in zweierlei Hinsicht die stärksten Kontinuitäten und Transfers aus der Erweiterungspolitik in die Nachbarschaftsstrategie: erstens personell und zweitens die administrativen Praktiken und Logiken betreffend. Systematische Untersuchungen über die Zirkulation von Kommissionspersonal, das im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit den ostmitteleuropäischen Kandidatenstaaten Erfahrungen gesammelt hatte, in den neuen Abteilungen für Nachbarschaftspolitik gibt es bislang nur wenige.476 Hinweise darauf liefert aber die Zusammensetzung der im Juli 2003 etablierten »Wider Europe Task Force«, die 475 Vgl. Böttger. 476 Leider ließ sich dies auch im Rahmen dieser Arbeit nicht (mehr) bewerkstelligen, da die Informationspolitik der Kommission in dieser Hinsicht eine Reihe von Hürden errichtet, die möglicherweise weniger Datenschutzgründe haben als vielmehr eine nicht lückenlos vorhandene Dokumentation. Deswegen können hier nur Hinweise versucht werden, gestützt auch auf eigene Interviews. Aus anthropologischer Sicht hat Kerstin Poehls die Herausbildung einer europäischen Elite im Europakolleg Brügge untersucht und dabei Hinweise auf weitere Untersuchungen zu solchen Personalentwicklungen gegeben (Poehl; Nugent).

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den konkreten Rahmen der Nachbarschaftspolitik entwickeln sollte.477 Ihr Personal setzte sich aus Beamten der Generaldirektorate Erweiterung und Außenbeziehungen zusammen, deren Kommissare Günter Verheugen und Chris Patten sich die Zuständigkeit teilten. Geleitet wurde die Task Force von Michael Leigh, stellvertretender Generaldirektor im Generaldirektorat Außenbeziehungen, der der leitende Verhandlungsführer der Kommission für die Tschechische Republik und Abteilungsleiter im Generaldirektorat Erweiterung gewesen war. Seine Assistentin, Helen Campbell, hatte als Referentin für Bulgarien ebenfalls Erfahrungen im Erweiterungsprozess gesammelt. Aus der Gruppe der »Erweiterungsbeamten« stammten auch Rutger Wissels, der stellvertretende Leiter der Task Force, und Axel Walldén, der in der Task Force die Arbeit an politischen und konzeptionellen Fragen übernommen hatte und anschließend Leiter des »Enlargement Strategy Unit« im Generaldirektorat Erweiterung wurde. Walldén hatte bereits auf einer Reihe von Positionen für die Kommission gearbeitet: wie Campbell im Team für Bulgarien (1998–2000) und vorher in der Gruppe, die die »Agenda 2000« für die Erweiterung entwickelt hatte (1996–1997).478 In gewisser Weise lässt sich die Entstehung der Nachbarschaftspolitik vor diesem Hintergrund ähnlich verstehen wie der Prozess, den Virginie Guiraudon mit Blick auf die Entstehung der europäischen Migrationspolitik als »venue shopping« bezeichnet hat.479 Die Handlungslogik nationaler Beamter aus dem Bereich »Innere Sicherheit«, die Guiraudon beschreibt, war geprägt von der Suche nach neuen transnationalen Arenen der Politikgestaltung, um nationale Beschränkungen für ihre Tätigkeit zu umgehen. Dieses Verhalten lässt sich also als strategische jeux d’echelles von Akteuren interpretieren, die ihr institutionelles Eigeninteresse nicht mehr in einem territorialen Rahmen allein verfolgen konnten. Die Erweiterungsbeamten der Kommission wurden nun nicht in einem neuen räumlichen Maßstab tätig, sondern sie blieben gewissermaßen auf der gleichen – supranationalen – Ebene des Spiels, aber sie waren an 477 IP/03/963. 478 Vgl. Kelley; sowie den Lebenslauf von Walldén. Auf die Weitergaben der Expertise aus den Erweiterungsverhandlungen verwies auch ein Interviewpartner in der Kommission (Interview Brüssel 3). Die im Jahr 2006 für das Nachbarschaftsprogramm Polen-Ukraine-Weißrussland verantwortliche Referentin hatte vorher in der Verwaltung deutsch-polnischer grenzüberschreitender Projekte gearbeitet (Interview Brüssel 6). Eine weitere Kommissionsmitarbeiterin beschrieb die Zirkulation von Länderexperten in der Kommission als umgekehrtes Problem, nämlich als »brain drain«. Offensichtlich ist die Anzahl von Experten zu einzelnen Ländern in der Kommission begrenzt, sodass sich die einzelnen Referate die jeweiligen Personen streitig machten. Dies habe die Task Force u. a. versucht zu lösen (Interview Brüssel 2). 479 Guiraudon, European Integration; dies., The constitution.

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der Schaffung neuer Handlungsräume beteiligt, um ihre Bestandsinteressen zu wahren. Die starke Rolle der Kommission als einflussreicher Akteur in der Nachbarschaftspolitik ist insofern vermutlich in hohem Maße von der Sorge einer Gruppe von Kommissionsmitarbeitern befördert worden, die um den Verlust ihres Einflusses oder gar ihrer Anstellung fürchteten, und die sich deshalb frühzeitig auf neuen Feldern zu profilieren suchten bzw. an der möglichst großen Absorptionsfähigkeit der neuen Aufgabenbereiche für frei gesetztes Personal interessiert waren. Neben dieser personellen Verflechtung – und damit eng verbunden – war die Nachbarschaftspolitik von Anfang an durch die Übertragung einmal in der Erweiterung erprobter Praktiken gekennzeichnet. Obwohl wie oben erläutert der Konditionalitätsbegriff, der als die zentrale Logik des Verhandlungsprozesses mit den Kandidatenländern gelten kann, nicht so einfach zu übertragen war, kamen die einmal eingeübten Mechanismen auch hier zum Einsatz: Die ENP-Länder sollten, ähnlich wie die Beitrittskandidaten, ihre Gesetzgebung am gemeinschaftlichen acquis orientieren. Hier ließ sich allerdings nicht dessen komplette Übernahme fordern – dafür war sowohl die Anreizstruktur als auch das Sanktionspotential der Nachbarschaftspolitik zu gering – aber es ging um die Motivation zum »aligning legislation with the acquis«.480 Der »progressive benchmark approach«,481 sprich das Messen von Fortschritten anhand mehr oder minder konkreter Indikatoren, dessen Ergebnisse regelmäßig in Berichten veröffentlicht wurden, ähnelte ebenfalls stark dem Vorgehen der Kommission in den Beitrittsverhandlungen mit den ostmitteleuropäischen Staaten.482 Dass die Kommission immer wieder betonte, es handele sich bei der ENP um einen »policy driven approach«,483 rückte diese ebenfalls in die Nähe einer Vorbeitrittsstrategie und grenzte sie von Entwicklungshilfe im engeren Sinne ab, die an Bedürftigkeit orientiert war. An der Konstruktion des Finanzierunginstruments ENPI lässt sich der Transfer der Handlungslogiken und Erfahrungen ebenfalls zeigen: Dieses ersetzte Programme wie TACIS, MEDA, CARDS und 480 COM (2003) 104 final, S. 10. 481 Ebd., S. 15 f. »Benchmarks also offer greater predictability and certainty for the partner countries than traditional ›conditionality‹. Political and economic benchmarks could be used to evaluate progress in key areas of reform and against agreed targets.« (ebd., S. 16). 482 Eine Kommissionsmitarbeiterin im Generaldirektorat Außenbeziehung in der Abteilung für Nachbarschaftspolitik vermittelte im Interview den Eindruck, dass »Beitrittspartnerschaften« (die individuellen Partnerschaften mit den Beitrittsländern) letztlich das gleiche seien wie die »Europaabkommen« mit den Ländern des westlichen Balkan und schließlich auch die »Aktionspläne« mit den Nachbarschaftsstaaten (Interview Brüssel 2). 483 COM (2004) 628 final, S. 3 f.; SEC (2005) 1521, S. 6.

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PHARE und sollte sich stärker an den Mechanismen der europäischen Struktur- und Regionalförderung im Rahmen von INTERREG orientieren, sprich:

weniger technische Hilfe, mehr Direktinvestitionen in Infrastruktur, ein größerer Umfang von Projekten und vor allem auch die Möglichkeit, grenzüberschreitende Vorhaben zu verwirklichen.484 So erläuterte die Kommission 2004 in ihrem Vorschlag für das ENPI: It will use an approach largely modelled on »Structural Funds« principles such as multiannual programming, partnership and cofinancing, adapted to take into account the specificities of external relations. The crossborder cooperation component of the ENPI will be cofinanced by the European Regional Development Fund (ERDF).485 Das ENPI sollte außerdem das Problem lösen, dass diese Programme bisher – weil von unterschiedlichen Stellen verwaltet und unterschiedlichen Logiken folgend (Entwicklungshilfe bei TACIS, Regionalförderung bei INTERREG) – nicht miteinander kombiniert werden konnten.486 Und schließlich kamen mit Twinning und insbesondere TAIEX zwei Instrumente zum Einsatz, die im Erweiterungsprozess den Transfer von Normen und Institutionen aus dem EU-Raum in die zukünftigen Mitgliedsstaaten ermöglicht hatte. Beim Twinning arbeiteten Verwaltungen aus den Mitgliedsländern mit Verwaltungen der Partner zusammen, um diese bei der Einführung und Umsetzung einer EU-nahen Legislation zu unterstützen. TAIEX, als eine »sophisticated travel agency«,487 bot darüber hinaus spezifische Schulungen und war eine engere Form der Zusammenarbeit. Die Ausweitung von TAIEX auf die neuen Nachbarstaaten ging möglicherweise ebenfalls – jedenfalls zum Teil – darauf zurück, dass mit dem Abschluss der Erweiterung 2004/2007488 der große Pool von nationalen Beamten, die mit diesem »EU-Reisebüro« in den Kandidatenstaaten im Auftrag der Kommission 484 Die institutionelle Kontinuität spiegelt sich auch in dem Umstand, dass der 2004 eingeführte Newsletter zu den Nachbarschaftsprogrammen die Fortsetzung des TACIS-INTERREG-Newsletters war (vgl. European Commission: Neighbourhood Programmes 2004–2006 Electronic Newsletter, S. 1). 485 COM (2004) 628 final, S. 2; so auch im Interview Brüssel 4. 486 COM (2003) 393 final, S. 6; das Stichwort lautete hier: Interoperabilität. 487 Interview Brüssel 2. 488 Und dies, obwohl mit Kroatien, der Türkei, Island, Mazedonien und Montenegro noch Beitrittsverhandlungen geführt wurden, es also immer noch Arbeit für das Erweiterungspersonal gab, dies allerdings bei weitem nicht mehr in dem Umfang, als noch Verhandlungen mit zwölf weiteren Ländern bewältigt werden mussten.

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unterwegs waren, weiter beschäftigt werden sollte. Kurz: »We are re-employing people as well as methods.«489 Neben der personellen wie praktischen Verflechtung zwischen Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik lässt sich noch eine drittes Argument anführen, das die enge Verbindung zwischen beiden belegt: die Rolle der neuen ostmitteleuropäischen Mitgliedsstaaten. Diesen wurde sowohl von der Kommission als auch vom Parlament eine prominente Rolle bei der Umsetzung der Nachbarschaftspolitik zugesprochen.490 Einerseits zeichneten sie sich durch ihre engen Beziehungen zu den neuen Nachbarstaaten aus, andererseits könnten sie aus ihrer Erfahrung, selbst Objekt EUropäischer Transformationsprojekte gewesen zu sein, schöpfen und damit als ideale Mediatoren für die Nachbarschaftspolitik auftreten.491 Unabhängig von diesen institutionellen Mechanismen und unabhängig davon, dass insbesondere einige der neuen ostmitteleuropäischen Mitglieder die Nachbarschaftspolitik als Vorbeitrittsstrategie umzudeuten versuchten, blieb die Rationalität der ENP dem Bestreben verhaftet, sie von der Frage des Beitritts abzukoppeln. Obwohl die Nachbarschaftspolitik also sowohl von ihren Machern als auch von ihren Beobachtern als hochgradig dynamisch beschrieben wurde, sollte sie eine andere Bewegung, nämlich jene der Erweiterung, begrenzen oder gar stoppen und schließlich einen Ersatz dafür anbieten.

»With this policy we are entering new territory«:492 Variable Geografien in der Nachbarschaft Das neue Territorium, von dem Günter Verheugen in seiner Rede auf der Visegrád-Konferenz im März 2007 sprach, »betrat« die Union mit dieser Politik nicht nur, sondern, so lässt sich ergänzen, sie schickte sich auch an, dieses in gewisser Weise selbst zu erschaffen. Einen Überblick über den grundsätzlichen Aufriss des Nachbarschaftsraumes habe ich oben gegeben, seine süd-östliche 489 Interview Brüssel 2; vgl. auch Interview Brüssel 1. 490 Verheugen (Q), The European Neighbourhood Policy, S. 3; COM (2003) 104 final, S. 18; EuParl(2), S. 317. 491 Vgl. Interview Brüssel 2, Interview Brüssel 3, Interview Brüssel 4 und Interview Brüssel 6. Letzteres erläutert die herausragende Rolle der neuen Mitgliedsstaaten am Beispiel der 2004 eingeführten Nachbarschaftsprogramme. Hier übernähmen Staaten wie Polen automatisch eine Führungsfunktion, weil über sie zunächst die Verwaltung der Gelder abgewickelt werden. 492 Verheugen (Q), The European Neighbourhood Policy, S. 6.

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Binnenregionalisierung, seine Reduktion – mit dem nicht ganz konsequenten Ausschluss Russlands – und seine Erweiterung um den Südkaukasus und die Nachbarn der Nachbarn, jedenfalls als förderfähige Regionen im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus dem Budget des ENPI.493 In diesen Grenzen wurde die Nachbarschaft als ein Projektionsraum entworfen, in den sukzessive EUropäische Normen und Institutionen exportiert werden sollten. Dieser Raum wird letztlich zusammengehalten durch den »Magnetismus«494 der EU, die in seinem Zentrum steht. Der Dreiklang von »prosperity, stability, security«,495 die diesen Raum in Zukunft einmal kennzeichnen sollen, fand sein Echo in dem – auch als nach außen projizierbarer – »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«, der durch die gemeinsame Migrations-, Grenz-, Justiz- und Innenpolitik erzeugt wurde. Im Folgenden gehe ich auf zwei Probleme bei der Konzipierung der territorialen Ordnung dieses Raumes näher ein: Erstens auf die nicht immer auflösbare Spannung zwischen Differenzierung und Homogenisierung dieser Region; und zweitens auf das Bemühen der Union, die ENP auf und mit verschiedenen territorialen Ebenen umzusetzen. In ihren offiziellen Mitteilungen legte die Kommission großen Wert darauf, den Nachbarschaftsraum als hochgradig differenziert zu charakterisieren – und zwar, so zeigt ein genauerer Blick, gleich in vierfacher Hinsicht. Erstens unterschied sie die einzelnen Länder mit Blick auf den status quo vor der Einführung der Nachbarschaftspolitik nicht nur politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell voneinander. Diese standen auch in je spezifischen vertraglichen Beziehungen mit der EU, die nicht ohne weiteres in das Rahmenwerk der ENP zu integrieren waren. Deshalb sei kein von dieser Vielfalt abstrahierender, einheitlicher Ansatz möglich. Als gemeinsame Voraussetzung müsse jedoch gelten, dass man sich grundsätzlich auf Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einigen könne – zugegebenermaßen ausreichend vage Begriffe, deren Konkretisierung in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten einigen Spielraum bieten mochte.496 Diese heterogene Ausgangslage zusammenfassend hielt ein Interviewpartner in der Generaldirektion Außenbeziehungen fest: Und dann muss man eben berücksichtigen, dass die Differenzierung zwischen diesen sechzehn Nachbarschaftsländern eigentlich fast noch viel größer ist, als es die zwischen den neuen Mitgliedsstaaten damals war, wo wir den 493 Regulation (EC) No 1638/2006, S. 6. 494 Ferrero-Waldner (Q), EU-Außenpolitik im 21. Jahrhundert, S. 8. 495 Landabruru (Q), S. 2. 496 COM (2003) 104 final, S. 6; vgl. auch COM (2003) 393 final.

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Prozess [der Erweiterung] begonnen haben: So post-kommunistische Industrienationen wie die Ukraine und so weiter, große Entwicklungsländer wie Ägypten, kleine, relativ gut sozio-ökonomisch entwickelte Länder wie Tunesien, aber mit einem repressiven politischen Regime, und eine bunte Palette von Herrn Lukašenko bis zum König von Marokko haben wir da alles drin.497 Die zweite Ebene der Differenzierung betraf die Fähigkeiten und Möglichkeiten der in die Nachbarschaftspolitik integrierten Länder, die entsprechenden »Reformanreize« aufzunehmen und ihre wirtschaftlichen und politischen Systeme dem acquis der Union anzupassen: Partners will start from variable, in some cases limited, capacity to undertake rapid reform and comprehensive transition. They will need to show a strong commitment to building up their administrative, institutional and legal capacity. There is therefore no alternative to a step-by-step approach.498 Daraus würden, drittens, unterschiedliche Präferenzen der Nachbarschaftsländer als auch der EU in Bezug darauf resultieren, in welchen Bereichen und in welchem Maße die Zusammenarbeit vertieft werden soll. Insofern ergab sich aus den Prioritäten in den Aktionsplänen, die im Sinne einer »joint ownership«499 gemeinsam festgelegt wurden, eine variable Geografie: These differ with respect to geographic location, the political and economic situation, relations with the European Union and with neighbouring countries, reform programmes, where applicable, needs and capacities, as well as perceived interests in the context of the ENP. Thus the Action Plans with each partner will be differentiated.500 Und schließlich viertens setzte die Nachbarschaftspolitik selbst eine »progressive Differenzierung«501 in Gang: Je kooperationswilliger ein Staat, je mehr er seine politischen und wirtschaftlichen Strukturen der EU anzunähern bereit war, desto größer sei der Nutzen, den er aus der ENP ziehen könnte:502 497 Interview Brüssel 3. 498 COM (2003) 104 final, S. 16. 499 Vgl. u. a. COM (2004) 373 final, S. 8. 500 Ebd. 501 Vgl. u. a. COM (2003) 104 final, S. 15. 502 Rat(10).

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The ENP is a partnership for reform that offers »more for more«: the more deeply a partner engages with the Union, the more fully the Union can respond, politically, economically and through financial and technical cooperation. As the partnerships develop, within the common ENP framework, the policy’s operation is becoming increasingly differentiated.503 Die grundsätzliche, scheinbar einfache geografische Differenzierung in einen östlichen und einen südlichen Teil der Nachbarschaft, an die gleichzeitig bestimmte Erwartungen über Modernisierungspotentiale, Sicherheitsrisiken und Kooperationsbereitschaften gebunden waren, wurde auf diese Weise von einer dynamischen politischen Geografie der Nachbarschaft flankiert: Nähe und Ferne eines Nachbarn zur EU wurden performanzabhängig jeweils neu bestimmt. Schien in diesen offiziellen Kommissionsverlautbarungen die inkommensurable Vielfalt des ENP-Raumes – und die vor diesem Hintergrund gebotene Differenzierung der Ansätze – im Vordergrund zu stehen, bot sich aus der Perspektive der Arbeitsebene der Kommission ein etwas anderes Bild. Zum einen bemühte sich die Kommission hier – trotz der starken Individualitätsbehauptung in den offiziellen Dokumenten – um eine Vereinheitlichung des Ansatzes, nicht zuletzt auch der Sprache in den Aktionsplänen.504 Die ebenfalls in den offiziellen Dokumenten hervorgehobene progressive, und damit auch prospektive Differenzierung, die sich aus der nachgewiesenen EUropäizität der Nachbarstaaten ergeben würde, wurde auf der Arbeitsebene relativiert. Als ich im März 2006 Interviews mit involvierten EU-Beamten führte, stand die Verabschiedung des ENPI kurz bevor und galt aus Kommissionssicht die erste Phase der Nachbarschaftspolitik mit den Nachbarschaftsprogrammen eigentlich als abgeschlossen.505 Deshalb konnten die meisten Interviewpartner noch keine nachhaltigen Effekte der Differenzierungsstrategie beobachten. Dafür 503 COM (2007) 774 final, S. 2. 504 Dies resultierte auch aus der oben erläuterten Spannung zwischen den Handlungslogiken der Kommission auf Arbeitsebene und der symbolpolitischen Funktion der Nachbarschaftspolitik (vgl. Interview Brüssel 2, Interview Brüssel 3). Die Beharrung auf ein einheitliches »wording« der Dokumente war letztlich auch eine Reaktion der Kommission auf die Konflikte, die differenzierte Sprachregelungen hervorrufen könnten, vor allem bei Nachbarstaaten, die um das Zugeständnis der Beitrittsperspektive rangen, vor allem die Ukraine. Andererseits war die Betonung von Differenzierung in den offiziellen Kommissionsdokumenten eben genau das Zugeständnis an Staaten wie die Ukraine, dass nicht jeder Nachbar nur Nachbar sein kann, sondern eben auch ein »besonders guter Nachbar«. 505 Wobei die meisten gerade erst angelaufen waren, einige sich noch in Vorbereitung befanden und keines insgesamt mit seinen bewilligten Projekten abgeschlossen war.

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sei es zu früh: »die ENP ist [erst] zwei Jahre alt […], zweieinhalb Jahre seit den allerersten, embryonalen Stadien.«506 In dieser Perspektive relativierte sich auch die Bedeutung der »Orangenen Revolution« als Zäsur in den Beziehungen der EU zur Ukraine. Diese habe zwar die öffentliche Aufmerksamkeit für das Land enorm gesteigert und nicht zuletzt die Erwartungen der Ukraine an die EU erhöht, die tatsächlichen Effekte blieben aber abzuwarten.507 Obwohl im Rahmen der Nachbarschaftspolitik bilaterale Verträge mit nationalen Regierungen ausgehandelt wurden und deren Kooperationswillen entscheidend war für den Abschluss sowohl von PKA, Assoziierungsabkommen als auch Aktionsplänen – weshalb es auch zum Zeitpunkt der Untersuchung keine vertraglichen Beziehungen mit Weißrussland gab – adressierte die EU-Strategie nicht nur diese Ebene. Vielmehr versuchte die EU, ihr Subsidiaritätsprinzip auch im Nachbarschaftsraum anzuwenden und griff damit indirekt in die territoriale Ordnung der Nachbarländer ein, indem beispielsweise in noch relativ stark zentralisierten Ländern wie der Ukraine regionale Gebietskörperschaften oder lokale Einheiten durch die Kooperation mit der EU – als Empfänger von Fördermitteln und Entwickler von Projektanträgen – aufgewertet wurden. Dies führte innerhalb des jeweiligen Verwaltungsgefüges natürlich auch zu Konflikten.508 Die Zuwendungen durch die EU wurden dabei zu einer Ressource beispielsweise für westukrainische Oblaste im nationalen Verteilungskampf um politischen Einfluss und regionalpolitische Ressourcen. So erläuterte die für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Nachbarschaftspolitik verantwortliche Mitarbeiterin des Generaldirektorats Außenbeziehungen: What I would say, to make cross-border co-operation possible, you first of all have to have on national levels support and acceptance. There is maybe […] a vacuum between what the local level wants to do and what the national level allows. There is a gap, you could call it. But there it’s important to find … to walk correctly on this thin line: To on the one hand encourage local levels to take initiatives and not that they go to far because then there 506 Interview Brüssel 3. Ein Kommissionsmitarbeiter setzte den Beginn der ENP im Interview sogar nach der Veröffentlichung der ersten Kommissionsmitteilung 2003 an. Auch in den jüngsten EU-Dokumenten zum Thema wurde 2004 als Beginn der Politik genannt, und damit die Formierungsphase gewissermaßen »vergessen« – womit ohne Kenntnis der Vorgeschichte die Kommission als Hauptverantwortliche dieser Politik präsentiert werden konnte. 507 Interview Brüssel 3; Interview Brüssel 1; Interview Brüssel 7; Interview Brüssel 2. 508 Vgl. für die Euroregion Karpaten dazu Kuźniar.

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Von der Erweiterung zur Nachbarschaft

might be consequences […] At the same time support national levels to understand that it’s not a threat to central government that you have local or regional contacts across the borders. So, the national level support is needed and I think that is is something that’s often developed slowly over a long period of time. When they see that cross-border co-operation is useful for everybody and it’s a good thing and not something that creates revolutions in the country.509 Auch die Kommissionsdokumente benannten vielfach mehrere regionale Ebenen als Adressaten der Nachbarschaftspolitik, insbesondere aber der Ausschuss der Regionen drängte in seinen Stellungnahmen zur Nachbarschaftspolitik auf die Stärkung der regionalen und lokalen Ebene.510 Die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften seien »Katalysatoren für neue Kooperationsprozesse« und vor allem als »Demokratieschule« wichtige Mediatoren für die Ziele der Nachbarschaftspolitik.511 Die Regelungen zum Finanzierungsinstrument reflektierten die Pluralität der territorialen Ebenen innerhalb der Nachbarschaftspolitik. Förderfähig waren nicht nur die Partnerländern insgesamt (beispielsweise in Entschuldungsprogrammen, Budgetbeihilfen und Zinssubventionen), sondern auch ihre Regionen, die dezentralen Gebietskörperschaften, gemeinsame Einrichtungen der Partnerländer und der EU, internationale Organisationen, Gemeinschaftsinstitutionen und EU-Agenturen, öffentliche, para-staatliche sowie private Organisationen und nicht-staatliche Akteure.512 Für die gesondert behandelte grenzüberschreitende Zusammenarbeit waren es ausschließlich subnationale regionale Einheiten (NUTS-3- bzw. NUTS-2-Regionen), die antragsberechtigt und förderfähig waren. Grenzüberschreitende Programme sollten 509 Interview Brüssel 4. Die Referentin für die Beziehungen zu den »Gebieten in äußerster Randlage« (dazu gehören die vier französischen Überseedepartments Martinique, Guadeloupe, Réunion und Französisch-Guyana sowie die Azorischen und kanarischen Inseln) sah die Rolle der Union gerade nicht darin, in die territoriale Binnengliederung von Partnerstaaten einzugreifen: »It’s not the job of the European Union to appreciate or to have a judgement on the way all the states, member states or other states, are organizing their relationship on their own national, constitutional … institutions. It’s not to the European Commission to say that one kind of organization or another is better than another one. It’s a question which is relevant for national sovereignty and not in EU business.« (Interview Brüssel 5). In gewisser Weise brachte sie damit eine typische französische Position zum Ausdruck, die auch auf mitgliedsstaatlicher Ebene mitunter zu Konflikten über die regionalpolitischen Befugnisse der Kommission führt. 510 CoR(1); CoR(2). 511 CoR(1), S. 60 f. 512 Regulation (EC) No 1638/2006, S. 8 f.

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als Mehrjahresvorhaben angelegt sein, und in Fällen, wo es nicht möglich war, gemeinsame Prioritäten und Programme zu entwickeln – beispielsweise bei Spannungen im bilateralen Verhältnis mit der EU oder wegen verspäteter Einreichung der Anträge – konnte die Kommission auf Antrag des betreffenden Mitgliedsstaats die Mittel aus dem Europäischen Fond für regionale Entwicklung bereit stellen.513 Diese Ausnahmeregelung war vermutlich zunächst für polnisch- oder litauisch-weißrussische Projekte eingeführt worden. Letztlich jedoch blieb das Management dieser Ebenenvielfalt den nationalen Agenturen überlassen. So sollten die Partnerländer, wo dies angemessen erschien, die Entscheidung treffen, welche territoriale Ebene aus ihrer Sicht für bestimmte Kooperationsprojekte am besten geeignet war.514 Im Fall Weißrusslands wiederum war die regionale Ebene die einzige – allerdings mit Billigung des weißrussischen Staates, der damit auch in den Genuss von EU-Mitteln kam – die für eine nachbarschaftspolitische Kooperation überhaupt zur Verfügung stand.515 Im Rahmen der Nachbarschaftsprogramme bzw. des ENPI war Weißrussland antragsberechtigt, was u. a. durch die weißrussische Beteiligung an Euroregionen mit Polen möglich wurde. Die Schwierigkeiten mit der nationalen Ebene vermeidend bzw. ohne dafür eine Lösung zu haben, verlegte sich die Kommission auf die Förderung der weißrussischen Zivilgesellschaft und der regionalen Gebietskörperschaften. Der weißrussische Fall offenbarte das Münchhausenproblem der nachbarschaftspolitischen Argumentation: So lange sich Weißrussland nicht zu den gemeinsamen Werten bekenne, sei eine vollwertige Zusammenarbeit nicht möglich; gleichzeitig war es aber gerade das umfassende nachbarschaftspolitische Engagement der EU, das gesellschaftlichen und politischen Wandel in Gang setzen sollte.516 Die zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Formulierung und Umsetzung der Politik in den Nachbarschaftsländern gehörte dabei zu den Grundelementen der offiziellen Verlautbarungen der Kommission. Dies versuchte man u. a. durch Anhörungen in den Partnerländern umzusetzen,517 allerdings wohl vor allem in den südlichen Nachbarstaaten nicht zur vollen Zufriedenheit jener Nichtregierungsorganisationen, die sich aus dem Prozess weitestgehend ausgeschlossen sahen.518 513 Ebd., S. 7. 514 Ebd., S. 5. 515 COM (2004) 373 final, S. 12. 516 Ebd. 517 Vgl. Interview Kiev 1. 518 Vgl. Letter from representatives of several non-governmental organisations from the EU and neighbouring countries.

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Von der Erweiterung zur Nachbarschaft

Als Teil des raumpolitischen Spiels auf mehreren Ebenen sollten auch internationale Organisationen – die ebenfalls Anträge auf Zuwendungen aus dem Budget der ENP stellen konnten – einschließlich der internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und IWF in die Umsetzung der Nachbarschaftpolitik eingebunden werden,519 und dies offensichtlich mit einigem Erfolg. So konnte die Kommission bereits 2006 berichten, dass einige dieser Organisationen ihre Finanzierungspläne an den nachbarschaftspolitischen Aktionsplänen orientierten.520 Gleichzeitig machte die Union die Mitgliedschaft in bestimmten internationalen Organisationen zur Voraussetzung für die Ausweitung der nachbarschaftspolitischen Kooperation, wie im Falle der WTO-Mitgliedschaft der Ukraine. Hier war wiederum die Anerkennung der Ukraine als marktwirtschaftliche Ökonomie durch die EU im Jahr 2005 ein wichtiger Schritt zum Beitritt des Landes im Mai 2008.521 Auf diese Weise übersetzte sich das Globalisierungsmanagement der Union sowohl in die zumindest versuchte Integration und Mobilisierung mehrerer territorialer Ebenen als auch in die Einschreibung nachbarschaftspolitischer Rationalitäten in die Aktivitäten anderer internationaler Akteure.

2.2.3 Zusammenfassung In einem Moment der »geopolitischen Verflüssigung« nach dem Ende des Kalten Krieges und in Folge ihrer Erweiterung entwickelte die Union sowohl die Deutung der als auch eine Strategie der Repositionierung in einer sich wandelnden Weltordnung. Mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik schickte sie sich an, einen Ergänzungsraum zu entwerfen und zu überformen, der sich als Ressource mobilisieren lassen sollte in einem kompetitiven, als globalisiert beschriebenen Umfeld. Dieser Raum sollte dazu beitragen, dass die EU die Potentiale dieser neuen Situation würde nutzen können. Er wurde zunächst, bis etwa 2004, klar umgrenzt, im Prinzip ohne Russland, aber unter Einschluss des Südkaukasus gehörten ihm alle Anrainerstaaten (und zu einem gewissen Grad auch deren Nachbarn) an, die zunächst noch keine Beitrittsperspektive erhalten hatten. Um 2007/2009 herum wurden die regionalen Binnendifferenzierungen verfeinert: in eine südliche, östliche und südöstliche Dimension. Seit 2004 entstand erst mit dem Nachbarschaftspro519 COM (2003) 104 final, S. 14; Rat(10); vgl. auch Interview Brüssel 4; Interview Brüssel 7. 520 KOM (2006) 726 endg, S. 2. 521 COM(2003) 104 final, S. 14; Rat(10), S. VII; SEC (2004) 566 (zugehörig zu COM (2004)373 final), S. 20; EU/Ukraine Action Plan (am 21. 02. 2005 angenommen), S. 3.

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gramm und schließlich mit dem ENPI ein breites Spektrum an Instrumenten, und es wurden die entsprechenden Ressourcen bereit gestellt, um diese Strategie umzusetzen. Schließlich geriet die Politik mit den gesellschaftlichen Krisen in Nordafrika in eine Sackgasse, sodass sich die Union nun offensichtlich vor die Alternative gestellt sah, die ENP neu zu erfinden oder für gescheitert zu erklären. Bei der Formulierung der mit der Nachbarschaftspolitik verbundenen Deutungen und Entwürfe waren in hohem Maße Akteure außerhalb der EU-Institutionen im engeren Sinne beteiligt, wie Mitarbeiter aus Think Tanks und wissenschaftliche Beobachter. Die Kommission hatte sich, auch auf der Suche nach einem Ersatz für das schrumpfende Betätigungsfeld »Erweiterung«, als Schrittmacher der Entwicklung positioniert. Neben der eigentlichen Um- und Abgrenzung des Nachbarschaftsraumes und seiner regionalen Binnendifferenzierung stellte sich auch die Herausforderung, verschiedene territoriale Ebenen einzubinden, deren jeweilige Funktion zu klären, sie voneinander zu unterscheiden und in einen – im Sinne der ENP – zweckmäßigen Zusammenhang zu bringen. Prinzipiell stützte sich die ENP dabei auf die nationalstaatlichen Partner in bilateralen Abkommen. Fallweise – z. B. um Schwierigkeiten mit der nationalen Ebene zu umgehen – wurden regionale und zivilgesellschaftliche Akteure als maßgeblich entdeckt. Schließlich entwickelte die Union eine gewisse Raffinesse dabei, den Raum gleichzeitig zu homogenisieren und zu differenzieren. Bei der Mobilisierung dieses Raums als Argument, um ihren Status als einflussreiche Regionalmacht zu untermauern, war er prinzipiell ein gemeinsamer; wenn es darum ging, in einer diffizilen Weise mit den Beitrittserwartungen von Nachbarstaaten zu spielen, um diesen Erwartungshorizont als fiktiven Anreiz der Integration in den Ergänzungsraum zu nutzen, konnte er – tatsächlich oder prospektiv – differenziert werden.

2.3 Grenze und Ergänzungsraum Nachbarschaftspolitik und Grenz- und Migrationspolitik waren Teil ein- und derselben Bemühung: Einen Ort und eine Rolle für die EU in einer neuen Weltordnung zu bestimmen, deren Risiken beherrschbar zu machen und deren Chancen zu nutzen. Beide Politiken resultierten in einen differenzierten Mechanismus der Öffnung und Schließung der EU-Außengrenze, beide schufen jeweils einen Ergänzungsraum – die allerdings nicht deckungsgleich waren – und beide

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Grenze und Ergänzungsraum

arrondierten den EUropäischen Raum, formten ihn von außen. Es war also kein Paradox oder Widerspruch, dass die Migrations- und Grenzpolitik und die ENP gleichzeitig seit Ende der neunziger Jahre auf Gemeinschaftsebene intensiver vorangetrieben wurden. Im selben Jahr, in dem die Nachbarschaftsprogramme als erste Phase der ENP einrichtet wurden, wurde auch FRONTEX geschaffen; im selben Jahr, in dem das ENPI beschlossen wurde, führte die Union den »global approach to migration« ein; und im selben Jahr, in dem mit EUROSUR der Schutz der südlichen Grenze verfeinert wurde, wurde die Union für das Mittelmeer gegründet. Beide Strategien waren Teil ein und derselben Lösung für ein und dasselbe Problem: Den EU-Raum so zu arrondieren, dass er einer prekär gewordenen Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges den Schrecken zu nehmen geeignet war. Die folgende Übersicht soll dieses Zusammenspiel noch einmal verdeutlichen. Tabelle 14: Übersicht über die wichtigsten Schritte bei der Entwicklung der EU-Grenzund Migrationspolitik sowie der ENP (Auswahl) Jahr

Migrations- und Grenzpolitik ENP

1976

Gründung der TREVI-Gruppe

1985

Abschluss des Schengener Abkommens

Kontexte (Auswahl) In den achtziger Jahren stellen viele Mitgliedsstaaten ihre Einwanderungspolitik auf einen restriktiven Modus um

1986

Abschluss Einheitliche Europäische Akte (EEA)

1989

Ende des Kalten Krieges

1990

Unterzeichnung des Dubliner Abkommens zum Europäischen Asylrecht (1997 in Kraft)

Deutsche Wiedervereinigung, die DDR wird damit auch Teil der EU

Unterzeichnung des Schengener Durchführungsübereinkommens 1991

Beginn der »Jugoslawienkriege«, in deren Folge Hundertausende von Menschen in der EU, vor allem in Deutschland, Asyl suchen

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197

198

Grenzregime und Nachbarschaft

Jahr

Migrations- und Grenzpolitik ENP

Kontexte (Auswahl)

1992

Vertrags von Maastricht unterzeichnet 1992/1993 »Asyldebatte« in Deutschland, in deren Folge das Grundrecht auf Asyl abgeschafft wird

1993

Vertrag von Maastricht tritt in Kraft

1994

Unterzeichnung des PKA mit der Ukraine, es folgen weitere mit osteuropäischen und zentralasiatischen Staaten (bis 2010)

1995

Schengener Durchführungsübereinkommen tritt in Kraft

1997

Dubliner Abkommen tritt in Kraft

1998

Erklärung von Barcelona Vertrag von Amsterdam unterzeichnet PKA mit der Ukraine tritt in Kraft, es folgen weitere mit osteuropäischen und zentralasiatischen Staaten (bis 2010) Assoziierungsabkommen mit Tunesien tritt in Kraft, es folgen weitere

1999

Gipfel von Tampere

Vertrag von Amsterdam tritt in Kraft

2000

Mitteilung der Kommission über eine gemeinsame Migrationspolitik

Gemeinsame Strategie für das Mittelmeer

Lissabon-Strategie

2001

Gipfel von Laeken

Gipfel von Laeken

Anschläge in New York Vertrag von Nizza unterzeichnet

Einrichtung von ARGO »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« 2002

Plan für den gemeinsamen Grenzschutz

Verfassungskonvent wird einberufen »Briefdiplomatie« in Vorbereitung der ENP

Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit den Kandidaten für die Osterweiterung

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Grenze und Ergänzungsraum

Jahr

Migrations- und Grenzpolitik ENP

Kontexte (Auswahl)

2003

Europäische Sicherheitsstrategie

Irakkrieg

Europäische Sicherheitsstrategie Erste Kommissionsmitteilung »Wider Europe« Kommissionsmitteilung »Paving the Way for a New Neighbourhood Instrument«

2004

Einrichtung von FRONTEX Haager Programm

Einrichtung der Nachbarschaftsprogramme (Laufzeit bis 2006)

»Rosenrevolution« in Georgien Vertrag von Nizza tritt in Kraft Verfassungskonvent beendet seine Arbeit Osterweiterung der EU »Orangene Revolution« in der Ukraine

Abschluss der ersten Aktionspläne (u. a. mit Ukraine) Strategiepapier der Kommission Gesetzesvorschlag für ENPI 2005

Scheitern der Referenden über den Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden

Einführung von Mehrheitsentscheidungsverfahren im Rat Gipfel von Hampton Court

2006

Beschluss eines EU-Grenzkodex

Verabschiedung ENPI

»Global Approach to Migration« Einrichtung eines Küstenpatrouillennetzwerks Regelungen über den Kleinen Grenzverkehr

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199

200

Grenzregime und Nachbarschaft

Jahr

Migrations- und Grenzpolitik ENP

2007

Vorschlag für den Umgang mit »zirkulärer Migration«

Kontexte (Auswahl)

Beginn ENPI

Vertrag von Lissabon wird unterzeichnet

Schwarzmeerinitiative

Kaukasuskrieg

Union für das Mittelmeer

»Gasstreit« zwischen Russland und der Ukraine

Regelungen zu schnellen Eingreifteams von FRONTEX (RABITs), diese werden erstmals 2010 für Griechenland eingesetzt Das Schengener Informationssystem (SIS) II tritt in Kraft 2008

Start EUROSUR

Polnisch-schwedischer Vorschlag zur östlichen Partnerschaft 2009 2010

Beschluss der östlichen Partnerschaft

Vertrag von Lissabon tritt in Kraft Ab Ende 2010 Unruhen in Nordafrika

Stockholmer Programm RABIT wird erstmals für Griechenland eingesetzt

2011

RABIT für Italien wird erwogen

»Partnership for Peace and Democracy« für den Mittelmeerraum

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3.

Die Grenze der »europäischen Zivilisation«? Von den »kresy« über die »Europäische Nachbarschaft« zur neuen EU-Ostpolitik

3.1 Neue und alte Grenzen, neue und alte Missionen: Die Suche Polens nach einem Ort in Europa Die EU-Osterweiterung setzte nicht nur die alte Union unter Druck, ihr Verhältnis zu den zukünftigen Nachbarn zu ordnen und ihr Grenzregime an die veränderten Bedingungen anzupassen. Dieser Prozess stellte eine mindestens ebenso große Herausforderung für die Beitrittskandidaten dar. Auch sie mussten sich einen neuen Platz auf der in Bewegung geratenen Landkarte Europas suchen, einer Landkarte, auf der nicht nur die Topografie, sondern auch die kartografischen Grundprinzipien einem grundsätzlichen Wandel unterworfen waren. Für den historischen Abschnitt, der durch die im Zuge der Erweiterung der EU in Gang gesetzte »Grenzwanderung« und die dadurch ausgelöste Suche nach neuen Deutungen des EUropäischen Raums gekennzeichnet war, bildet Polen in gewisser Weise den Dreh- und Angelpunkt: Zunächst östlich des Eisernen Vorhangs gelegen, fand es sich nach dem Ende des Kalten Krieges und nach der deutschen Wiedervereinigung in direkter Nachbarschaft zur EU wieder, die für einen Großteil der polnischen Öffentlichkeit und neuen politischen Elite kulturell wie politisch »den Westen« markierte – obwohl in der polnischen Diskussion nicht unumstritten war, inwiefern die Westlichkeit und Europäizität Polens erst durch einen Beitritt bestätigt werden müssten.1 In dieser polnisch-EUropäischen und neuen deutsch-polnischen Nachbarschaft unternahm Polen enorme politische und legislative Anstrengungen, um seine »Rückkehr nach Europa« zu erreichen. Es sah sich außerdem vor der nicht minder komplexen intellektuellen Aufgabe, diese neue Zugehörigkeit in einem sich verändernden europäischen Raum diskursiv zu plausibilisieren. Die Auseinandersetzung um die Deutung der neuen politischen und kulturellen Geografie des Kontinents nach dem Fall der Berliner Mauer begann in Polen jedoch nicht erst mit der Unterzeichnung des Europa-Abkommens 1991. Vielmehr war dies schon während des Ost-West-Konflikts ein zentrales Thema für polnische Oppositionelle im eigenen Land und insbesondere im französischen 1 Vgl. Bachmann.

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Die Grenze der »europäischen Zivilisation«?

und britischen Exil gewesen. Nach dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004 und mit der bald folgenden Aufnahme in den Schengenraum war Polen vom »Outsider« zum »Insider« geworden und blickte nunmehr gleichsam von »innen« auf seine östlich gelegenen Nachbarn, insbesondere Russland, Weißrussland und die Ukraine. Von dieser Position aus ließen sich offenbar polnische ost- und europapolitische Vorstellungen selbstbewusster sowohl an den Westen als auch an den Osten adressieren. Das war u. a. an der aktiven Beteiligung der polnischen politischen Eliten bei der Formulierung und Ausgestaltung der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik und der Stärkung seiner ostpolitischen Dimension ablesbar. Grundlage und zentrale Quellen dieser Suche nach einer neuen Position im und gegenüber dem »Westen«, in und gegenüber »Europa« nach dem Ende der Blockkonfrontation waren die Traditionen polnischer Europadiskurse und ostpolitischer Entwürfe, für die die Deutung der gemeinsamen Geschichte Polens mit seinen östlichen Nachbarn eine herausragende Rolle spielte und spielt. In diesem Zusammenhang entwickelte sich die polnische Ostgrenze, oder vielmehr das »pogranicze« (der Grenzraum) bzw. die »kresy« als östliche »frontier« zum zentralen Topos, an dem sich polnische Visionen einer veränderten politischen und kulturellen Geografie Europas kristallisieren.2 Ein wesentlicher Teilprozess bei der Veränderung des Grenzregimes an der östlichen Außengrenze der EU im Zuge der Osterweiterung war die Neuaushandlung kultureller – in der Sprache der polnischen Quellen gar: zivilisatorischer – Hierarchien zwischen den benachbarten Räumen. Die Erweiterung der Europäischen Union führte zu einer Veränderung der Zugehörigkeiten zu einem politisch-institutionell wie kulturell konstituierten Raum, an die jeweils bestimmte Handlungsoptionen, Rechte und Pflichten sowie Möglichkeiten zur Erlangung von Deutungshoheit gebunden waren. Es ging dabei auch um die imaginierte Richtung des Transfers von Werten, Normen und gesellschaftlichen Modellen sowie um deren Finalität, um die Zuschreibung von Rückständigkeit und Fortschritt, von Modernisierungsvorstellungen und Machtverhältnissen innerhalb eines supranationalen EUropäischen Raumes und in den bilateralen zwischenstaatlichen Verhältnissen. Dabei handelte es sich um eine erneute historische Konkretisierung des Verhältnisses zwischen Europa und Nicht-Europa,3 um die Bestimmung seiner kulturellen Grenzen und der Suche nach einem 2 3

Vgl. als Auswahl zur wissenschaftlichen Diskussion über die »kresy«: Traba; Kochanowski; Dylągowa; Kieniewicz, Kresy; Partacz; Dzwończyk; Jakubowski. Zur Entstehung der Unterscheidung »Europa«/»Osteuropa« vgl. Wolff.

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Neue und alte Grenzen, neue und alte Missionen

Modus im Umgang mit dem Fremden,4 einen Modus, den man zugespitzt als Zivilisierungsmission bezeichnen könnte – ein Begriff, den ich in Kapitel eins ausführlicher diskutiert habe. Der Geschichte der unter diesem Begriff subsumierbaren Strategien und Argumente ist insbesondere in der Historiografie der europäischen Expansion des 18. und 19. Jahrhunderts, und hier vor allem der britischen, französischen und deutschen Ausformung,5 mitunter auch der russischen Variante6 Aufmerksamkeit geschenkt worden. Weit weniger etabliert hingegen ist der Blick nach Ostmitteleuropa.7 Dabei lassen sich jedoch vor allem die polnischen historiografischen und politischen Diskussionen um den Ort des Landes in Europa und seine Position gegenüber den östlichen und westlichen Nachbarn eben gerade vor dem Hintergrund der Tradition einer polnischen Mission im Osten deuten. Interpretiert man die (Ost)Erweiterung der EU als erneute Aktualisierung einer europäische Zivilisierungsmission, die möglicherweise »nicht [… zwangsläufig …] ›imperialistisch‹ motiviert« ist,8 dann lässt sich gleichzeitig wenn nicht von einer Konkurrenz, dann doch zumindest von einer Friktion zwischen der EUropäischen und der polnischen Variante sprechen. Gerade weil sich im Zuge der EU-Erweiterung sowohl das »Innen« als auch das durch die EU-Außengrenze getrennte »Außen« verändert hat, kann nicht von einer linearen Erweiterung eines statischen »Zivilisationsraumes« EU gesprochen werden, vielmehr geriet sowohl der Inhalt der Mission als auch ihr Ziel durch die Aufnahme eines Kandidaten wie Polen unter Druck. Um zu 4 Vgl. Osterhammel, Kulturelle Grenzen. 5 Vgl. dazu die typische Zusammenstellung der Beiträge in ebd.; sowie Nelson. 6 Hier vor allem zur Erschließung Sibiriens und zur Eingliederung der Krim vgl. u. a. Stolberg; Bassin; Häfner; Jobst; Teichmann; Hausmann u. Rustemeyer; Lieven; Jobst, Obertreis u. Vulpius; des Weiteren setzt sich die Zeitschrift Ab imperio programmatisch mit dieser Frage auseinander. 7 Dies kann jedenfalls außerhalb der Historiografie zu Ostmitteleuropa gelten. Anregende Beispiele für die Öffnung des Blicks sind u. a. Hadler u. Mesenhöller, Vergangene Größe; Kraft u. Steffen, Europas Platz in Polen; Feichtinger; Wendland. 8 Barth u. Osterhammel, Vorwort, S. 10. Es geht hier, wie in der Einleitung bereits erläutert, nicht um die Bildung einer historischen Analogie, à la »so wie die Briten im 19. Jahrhundert, so nun die EU im 21. Jahrhundert«, sondern um die Rekonstruktion einer Denkfigur, die vor dem Hintergrund der Imperialhistoriografie als »Zivilisierungsmission« bezeichnet worden ist. Dies schließt eine Konzeptualisierung von globalen Zusammenhängen ein, die im Rahmen der postkolonialen Geschichtsschreibung als »diffusionistisches« Weltbild kritisiert worden ist. Im Kern steht dabei die Verräumlichung von kulturellen und politischen Differenzen, die sich in Hierarchisierungen zwischen Zentrum und Peripherie übersetzen. Mir geht es hier darum, offen zu legen, dass es sich bei dieser Denkhaltung nicht nur um ein westeuropäisches Prinzip handelt, sondern ähnliche Logiken in polnischen Diskursen zum Tragen kommen, die bei der konkreten Ausgestaltung des Grenzregimes und der EU-Nachbarschaft relevant werden.

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Die Grenze der »europäischen Zivilisation«?

verstehen, wie sich das Grenzregime und insbesondere die daran geknüpften Deutungen verändern, müssen die möglicherweise konkurrierenden Vorstellungen von der Finalität des erweiterten EUropäischen Raumes aus polnischer Perspektive in die Untersuchung einbezogen werden. Deshalb skizziere ich im Folgenden zum Ersten die polnischen Traditionen der Auseinandersetzung um Polens Ort in Europa und die Bestimmung seines Verhältnisses zu seinen östlichen (und damit immer verbunden: seinen westlichen) Nachbarn und zum Zweiten rekonstruiere ich deren Fortschreibung und Anpassung in der aktuellen politischen und historiografischen Positionierung Polens vor dem Hintergrund der sich erweiternden EU. Dabei steht die Frage nach einer polnischen Zivilisierungsmission gen Osten als Deutung der räumlichen Hierarchie zwischen Ost und West in einem größeren Zusammenhang mit polnischen ost- und europapolitischen Konzeptionen. Dies ist darüber hinaus mit zwei weiteren Problemfeldern verknüpft: erstens mit der Bestimmung der unmittelbaren geopolitischen und kulturellgeografischen Umgebung – »Mitteleuropa« – als jenem Raum, in dem sich der polnische Führungsanspruch regional manifestiert, und zweitens mit der Deutung der Ostgrenze als dem zentralen Transmissionsriemen des polnischen Einflusses und Mission. In den ersten Abschnitten dieses Kapitels geht es mir nicht darum, eine umfassende Geschichte der polnischen Ostpolitik zu versuchen – dieses Vorhaben haben andere bereits kompetenter in Angriff genommen.9 Vielmehr steht hier die Rekonstruktion zentraler Topoi im Vordergrund, die für die Deutung der polnischen Ostgrenze und daran geknüpft die Suche nach der symbolischen und territorialen Ordnung des Kontinents aus polnischer Perspektive bedeutsam sind.10 Die Auswahl dieser Topoi beruht auf Problembeobachtungen, die   9 Wie beispielsweise – wiederum als Auswahl aus der Fülle von Literatur zum Thema: Gerhardt; Jakubowski; Bingen u. Wóycicki; Miklaszewski; Pełczynska-Nałęcz, Duleba, Póti u. Votápek; Wolczuk u. Wolczuk. 10 Dabei folge ich allerdings nicht den methodischen und theoretischen Überlegungen aus der Politikwissenschaft zur Rekonstruktion von »belief systems« in »Advocacy Coalitions«, der zwischen einem »Hauptkern« sowie dem »Policy-Kern« und »sekundären Aspekten« unterscheidet und dabei notwendigerweise eine übermäßige Abstrahierung und Ent-Zeitlichung dieser Dimensionen vornehmen muss. Hier soll versucht werden, den Wandel und die Verflechtung von Argumenten und Deutungen herauszuarbeiten, die in solche theoretische Überlegungen einzubetten schwer fallen würde. Vgl. zu dieser Forschung u. a. Sabatier u. Jenkins-Smith; Sabatier. Auch der theoretische und methodische Ansatz des Projekts »Vergleichende Analyse von Außenpolitiken in Europa (PAFE)« an der Universität Trier kann hier nicht angeeignet werden. Mit diesem Ansatz wird die Annahme vertreten, dass das außenpolitische Verhalten

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Brücke oder Bollwerk?

aus den gegenwärtigen Veränderungen der europäischen Landkarte im Zuge der EU-Osterweiterung entspringen.

3.2 Brücke oder Bollwerk? Problemaufriss und Quellenlage Weder die historischen noch die aktuellen polnischen Diskussionen lassen sich dabei als jeweils in sich geschlossene, widerspruchsfreie Komplexe rekonstruieren, vielmehr besaßen die Auseinandersetzungen zumeist einen hochgradig kontroversen Charakter, der sich zum Teil mit der unterschiedlichen Haltung der beteiligten Gruppen und Einzelakteure gegenüber der konkreten Ausgestaltung und den Bedingungen polnischer Eigenstaatlichkeit und dem dafür funktionalen Verhältnis zum Westen wie zum Osten begründen lässt.11 Das Spannungsfeld, in dem sich die polnische Auseinandersetzung der neunziger und zehner Jahre bewegte, lässt sich mit zwei Schlaglichtern auf jenen Moment verdeutlichen, in dem sich die ost- und europapolitischen Ausrichtung der polnischen Öffentlichkeit und Eliten im Umbruch befand. Dariusz Rosati, polnischer Außenminister von Dezember 1995 bis Oktober 1997 beschrieb die in Bewegung geratene »Zivilisationsgrenze« und deren Zusammenhang zur polnischen Geschichte in einer Diskussion um die Zukunft der polnischen Ostpolitik am 1. März 2001 folgendermaßen: eines Staates maßgeblich durch die Diskurse um die nationale Identität geprägt ist – was in dieser Studie zwar grundsätzlich geteilt werden kann, ohne die Überlegungen zu »nationaler Identität« notwendigerweise nachvollziehen zu müssen. Ziel des PAFE-Ansatzes ist es, zentrale »Identitätselemente« und die »sie rechtfertigenden Argumentationsketten« (Gerhardt, S. 8) zu rekonstruieren. Sebastian Gerhardt, der diesem Ansatz folgt, unterscheidet in seiner Arbeit zur polnischen Ostpolitik dabei zwischen einem »Diskursprofil« und einem »Verhaltensprofil«. Diese Unterscheidung soll hier nicht gemacht werden, zum einen, weil es mir vor allem um die Rekonstruktionen von Deutungswandel geht, zum anderen, weil in der vorliegenden Arbeit auch Dinge, die Gerhardt in das »Verhaltensprofil« sortiert, als Teil von Deutungsentwürfen verstanden werden (wie beispielsweise die Einrichtung von Förderprogrammen oder die Häufigkeit von Staatsbesuchen) und schließlich, weil das Verhältnis zwischen »Verhalten« und »Diskurs« auch bei Gerhardt offen bleibt und letztlich eine Unterscheidung zwischen »Realgeschichte« und »Geschichte von Deutungen« nahelegt, die ich nicht teile. Vielmehr verstehe ich die symbolische Erzeugung von politischem Raum als zentrales Element von Territorialisierungsregimen, der Zusammenhang zwischen Macht und Bedeutungszuschreibung ist daher nicht auflösbar. 11 Dass eine Zuordnung entlang dieser Kriterien sich nicht zwangsläufig ergibt, zeigt im folgenden der Vergleich der beiden Äußerung von Kwaśniewski und Rosati. Beide können sowohl biografisch als auch politisch einem ähnlichen Kontext zugeordnet werden, gleichwohl setzen sie hier unterschiedliche Akzente bei der Deutung der polnischen Rolle in Ost(mittel)europa.

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Wir wissen nicht, ob diese Grenze [die Grenze Europas] durch die Mitte oder durch den östlichen Teil der Ukraine verläuft, wir können nur sagen, dass es sich hier um das Grenzland der westlichen Zivilisation handelt. Auch Polen, das über tausend Jahre hinweg ein Grenzland gewesen war, entwickelte eine Art Grenzsyndrom: während es ein vom Grund auf europäisches Land war, durch seine Kultur, Zivilisation und Religion eng mit Westeuropa verbunden, blickten wir hauptsächlich gen Osten, dort war unser Expansionsgebiet, unsere Interessensphäre, so war es über Jahrhunderte hinweg bestimmt. Diktiert wurde dies von der Mächtekonstellation. Es wäre schwierig gewesen, in jener Zeit eine Expansion nach Westen erfolgreich zu wagen, der Osten bot einfachere Möglichkeiten. Polen war auch deshalb ein nach Osten gerichtetes Land, weil die Bedrohungen generell aus dem Osten und Süden kamen. Die Kriege mit der Türkei und Russland waren ein Ringen um die nationale Existenz.12 Drei Beobachtungen seien hier festgehalten: Rosati argumentierte zum einen, dass sich das zivilisatorische Grenzland Europas nach Osten verschoben habe. Dies wurde – so machen es Äußerungen von politischen Entscheidungsträgern im weiteren Kontext deutlich – vor allem mit der als erfolgreich gedeuteten politischen und wirtschaftlichen Transformation Polens nach 1989 begründet und schien durch die bevorstehende institutionelle Anerkennung der Westlichkeit Polens durch den EU-Beitritt beglaubigt. Zweitens zog Rosati für die Deutung dessen, was es heißt, im Grenzland zu sein, die polnische Tradition als Land zwischen Ost und West heran. Diese Zwischenstellung ist gekennzeichnet durch die kulturelle Verankerung im Westen sowie die Nähe des gesellschaftlichen Modells zum westlichen Vorbild einerseits und die politische Ausrichtung, die Nutzung eines Aktionsraums Richtung Osten andererseits. Zum Dritten

12 »Nie wiemy, czy ta granica przebiega przez środek, czy przez wschodnią część Ukrainy, możemy jedynie powiedzieć, że jest to pogranicze cywilizacji zachodniej. Również Polska, przez tysiąc lat będąc krajem granicznym, wytworzyła rodzaj syndromu pogranicza: będąc krajem z gruntu europejskim, mając kulturę, cywilizację i religię związaną z zachodnią Europą, głównie patrzyliśmy na Wschód, tam był obszar naszej ekspansji, naszych interesów, jak to określano przez stulecia. Było to dyktowane układem sił. Trudno było być może realizować w owym czasie ekspansję na Zachód, Wschód oferował lepsze możliwości. Polska była krajem zwróconym na Wschód także dlatego, że zagrożenia przychodziły na ogól ze Wschodu i Południa. Walki z Turcją lub z Rosją były zmaganiem o narodowy byt.« Rosati (Q), S. 16 f.

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klingt hier der Topos der »antemurale christianitatis«13 an: die Herausforderungen kommen aus dem Osten und Süden, das bedrohliche »Andere« sind das Osmanische und das Russische Reich, oder in der ahistorischen Übertragung Rosatis – die »Türkei« und »Russland«. Begründet ist die Konkurrenz im Osten dabei nicht zwangsläufig durch den imperialen Expansionswillen des polnischen Staates, sondern vielmehr als eine Frage der »nationalen Existenz«. Einen ähnlich engen Bezug zur polnischen Vergangenheit, insbesondere auf die Zeit vor den polnischen Teilungen zu Ende des 18. Jahrhunderts, jedoch mit bedeutend größerer Betonung der Versöhnungsleistung, stellte Aleksander Kwaśniewski, polnischer Staatspräsident von Dezember 1995 bis Dezember 2005, her: Über Jahrhunderte hinweg war die polnische Tradition durch Offenheit, Interesse an der Vielfalt und Toleranz geprägt. Auf polnischem Boden trafen Menschen unterschiedlicher Nationalität zusammen, dort verschmolzen verschiedene Kulturen und historische Erfahrungen. Wir waren immer Nachbarn des Ostens. Wir waren eine Brücke zwischen Ost und West und werden es bleiben. Das wird nun besonders deutlich, da die Ostgrenze Polens gleichzeitig die östliche Grenze der NATO ist und in einigen Jahren auch die Ostgrenze der Europäischen Union werden wird, jenes Gebiet, in dem sie sich mit Russland, der Ukraine und Weißrussland berührt. Wir möchten ein Bindeglied sein und keine Vormauer.14 Auch hier seien drei Aspekte hervorgehoben: Zunächst zitierte Kwaśniewski die historischen Formen des Umgangs mit ethnischer und religiöser Vielfalt in der polnischen Vergangenheit gleichsam als Modell für das Management solch verflochtener Konstellationen und unterstrich eine erfolgreich erprobte polnische Erfahrung. Zweitens schlug er Polen nicht dem Osten zu, sondern inter13 Dieser Begriff und die damit verbundenen Ideen haben eine komplexe Geschichte und gehören für die meisten Gesellschaften in Ostmitteleuropa zur Grundausstattung bei der Selbstverständigung über ihren Ort in »Europa«. Vgl. u. a. Tazbir; Morawiec; Hein-Kircher. 14 »W polskiej tradycji od wieków obecna jest otwartość, ciekawość odmienności, tolerancja. Na polskich ziemiach spotykali się ludzie różnych narodowości, tu przenikały się różne kultury i doświadczenia historyczne. Zawsze byliśmy sąsiadami Wschodu. Byliśmy i pozostajemy pomostem pomiędzy Wschodem a Zachodem. Staje się to szczególnie wyraźne, gdy wschodnia granica Polski to zarazem wschodnia rubież NATO, a za kilka lat będzie to także wschodnia granica Unii Europejskiej, obszar stykania się z Rosją, Ukrainą i Białorusią. Chcemy być łacznikem, a nie przedmurzem.« Vortrag des polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski: ZD 2/2001, S. 19 f.

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pretierte es als dessen Nachbarn, der – drittens – nicht als Vormauer, sondern als Bindeglied zwischen den beiden imaginierten Räumen fungiert habe und diese Rolle weiterhin spielen werde, die Bestimmung als »antemurale« wies er ausdrücklich zurück. An diesen beiden Einlassungen werden einige der wichtigsten Koordinaten deutlich, innerhalb derer sich die polnischen Positionierungsversuche im sich verändernden europäischen Raum bewegten. Zunächst eröffnete sich das Spannungsfeld zwischen einem Selbstverständnis als Bollwerk gegen ein zivilisatorisches »Anderes« und einer Selbstbeschreibung als »Brücke« zwischen zwei kulturell und politisch als verwandt betrachteten Räumen. Angedeutet ist hier auch die Auffassung einer variablen Geografie kultureller oder »zivilisatorischer« Räume und der Grenzen zwischen ihnen. Dieser Argumentation zugrunde liegt eine spezifische Deutung des unmittelbar benachbarten politischen Raumes, der wechselnde Interpretationen erfahren kann: nämlich (Ost-) Mitteleuropa, durch das oder an dessen östlichem Rand ein »pogranicze cywilizacji«, ein zivilisatorisches Grenzland, verläuft. Beide Politiker mobilisierten historische Erfahrungen und deren Deutung zur Begründung von Vorbildund Führungsansprüchen Polens innerhalb dieses europäischen Teilraumes oder auch innerhalb des vereinigten Europas. Die Gegenwart erhält in solchen Erzählungen wechselnde Funktionen: Sie kann als Fortsetzung oder Wiederaufnahme historischer Traditionen gedeutet werden oder als Bruch mit ihnen. Die unterschiedlichen Akzentuierungen – ein stärker vermittelnder Charakter bei Kwaśniewski; ein deutlicherer Verweis auf Polen als zivilisatorischem Bollwerk und Staat mit Führungsansprüchen im Osten bei Rosati – lassen sich dabei nicht geradewegs mit differenten politischen oder biografischen Positionen und Herkünften erklären. Vielmehr können die zwei Politiker zunächst in beiderlei Sinne einem ähnlichen Umfeld zugeordnet werden. Sowohl Rosati als auch Kwaśniewski gehörten vor 1989 der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei an, Kwaśniewski war von 1985 bis 1987 Mitglied im Ministerrat, Rosati Ende der achtziger Jahre u. a. Direktor des Instituts für Weltwirtschaft an der Handelshochschule in Warschau und Mitglied im Wirtschaftsrat des Ministerpräsidenten. Kwaśniewski war 1990 nach der Auflösung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gemeinsam mit Leszek Miller Mitbegründer der polnischen Sozialdemokratischen Partei, Rosati blieb parteilos, stand aber der sozialdemokratischen Partei nahe und war von 1995 bis 1997 unter dem acht Jahre jüngeren Kwaśniewski Außenminister. Beide können vor 1989 in gewisser Weise einer reformorientierten Gruppe zugeordnet werden, die gleichwohl in die politische Elite der Zeit vor 1989 integriert war. Außenpolitisch schlossen sie nach 1989/90

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an die Konzeptionen um die polnischen Exilautoren der Pariser »Kultura« an, insbesondere Kwaśniewski hat hier deutliche Akzente gesetzt.15 In seine zehnjährige Amtszeit als Präsident fiel sowohl der NATO- als auch der EU-Beitritt Polens. Die Nuancen ihrer Deutungen lassen sich eher mit dem Kontext ihrer Äußerungen in Verbindung bringen. Kwaśniewski war zum Zeitpunkt seiner Äußerung noch amtierender Präsident, der NATO-Beitritt Polens lag bereits vier Jahre zurück, die EU-Beitrittsverhandlungen befanden sich in der schwierigen Abschlussphase, in der u. a. um eine Lösung des Konflikts um die Einführung von schengenkonformen Visaregularien gegenüber der Ukraine gerungen wurden. Vor diesem Hintergrund kann sein Plädoyer für Polen als Mittler zwischen Ost und West und die Erinnerung an die polnischen Erfahrungen im Umgang mit kultureller und nationaler Vielfalt in seinen Ostgebieten verstanden werden. Seine Rede stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung des Club Diplomatique de Genève, ein von der Schweizer Regierung und dem Genfer Büro der Vereinten Nationen organisiertes Forum, das sich der Förderung des intellektuellen Austauschs zwischen internationalen Diplomaten insbesondere aus dem Genfer Umfeld verschrieben hat. Rosati stand 2001 nicht mehr in unmittelbarer außenpolitischer Verantwortung für Polen, sondern war bereits vier Jahre vorher aus dem Amt des Außenministers geschieden. Im Jahr 2001 arbeitete er als Berater für Wirtschaftsfragen beim Präsidenten der EU-Kommission Romano Prodi und war Aufsichtsratsmitglied einer US-amerikanischen gemeinnützigen Organisation, IREX, die internationale Austausch- und Forschungsprogramme für die Stärkung der Zivilgesellschaft in anderen Weltteilen organisiert und deren ursprüngliche Zielregion seit ihrer Gründung in den siebziger Jahren Osteuropa war. Darüber hinaus war Rosati Mitglied im Rat für Währungsfragen der polnischen Nationalbank.16 Seine Bemerkung fiel im Rahmen einer von der Stefan-Batory-Stiftung und der katholischen Wochenzeitung »Tygodnik Powszechny« organisierten Diskussionsrunde, die sich der Zukunft der polnischen Ostpolitik widmete. Diese Debatte war durch eine Reihe von Beträgen in der genannten Wochenzeitung in Gang gesetzt worden und hatte sich an einem Vorstoß von Bartłomiej Sienkiewicz entzündet, der die Konzeptionen der Pariser »Kultura« in gewis15 Vgl. dazu Gerhardt, wobei auch bei Gerhardt offen bleibt, warum und wie sich dieser starke Einfluss des »Kultura«-Denkens bei Kwaśniewski durchgesetzt hat. 16 Vgl. http://www.europarl.europa.eu/members/archive/term6/view.do?language=DE&id= 28394 (Zugriff 21. 06. 2011); http://dariusz-rosati.co.tv/#Biography (Zugriff 21. Juni 2011); http://www.munzinger.de/search/portrait/Dariusz+Rosati/0/21675.html (Zugriff 21. Juni 2011).

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sem Maße für obsolet erklärt und dafür plädiert hatte, einen neuen »Minimalismus« zu wagen – also die ostpolitischen Ambitionen herunterzuschrauben.17 Auf diesem Diskussionforum waren eine Reihe der intellektuellen Mitbegründer der polnischen Ostpolitik nach 1989 vertreten, u. a. Jerzy Kłoczowski, der Leiter des Lubliner Ostmitteleuropa-Instituts, Jacek Cichocki, damals Vizedirektor des Zentrums für Oststudien in Warschau, Aleksander Smolar, Präsidenten der Stefan-Batory-Stiftung sowie der Publizist Kazimierz Wóycicki.18 Sie beteiligten sich also an einem nationalen Forum, auf dem weniger politische Entscheidungsträger im engeren Sinne – Rosati selbst vielleicht ausgenommen – zusammentrafen, als vielmehr Publizisten, Wissenschaftler und Berater, die sich an eine breitere und vor allem polnische Öffentlichkeit wandten. Diese etwas ausführlicheren Hinweise sollten erstens auf ein Quellenproblem aufmerksam machen und zweitens eine These verdeutlichen, die für die weiteren Ausführungen bedeutsam ist. Zum Quellenproblem: Untersuchungen der polnischen Ostpolitik stützen ihre Analysen zumeist auf schriftliche Quellen, die sowohl von politischen Entscheidungsträgern als auch von Wissenschaftlern, in der Mehrzahl Historikern, und Publizisten stammen. Diese Quellenmischung wird auch für die folgende Rekonstruktion ostpolitischer Traditionen und deren Übersetzung in den Kontext der EU-Erweiterung herangezogen. Dies entspricht der für die polnische ost- und außenpolitische Debatte typischen Verflechtung öffentlicher und politischer Diskussionstränge,19 auch weil die Akteure in diesem Feld vielfach in beiderlei Rolle auftraten.20 Auch Rosati und Kwaśniewski gehören zu dieser Art Elite in doppeltem Sinne. Daraus abgeleitet schlage ich folgende These vor: Es muss von einem engen Zusammenhang zwischen den in publizistischen und wissenschaftlichen Ver17 Sienkiewicz (Q), Pochwała minimalizmu; ders. (Q), Szkodliwe marzycielstwo; Maziarski (Q); Sienkiewicz (Q), Podejmijmy poważny spór; Berdychowska (Q), Giedroyc nadal aktualny; Miłosz (Q), Przeciw minimalizmowi; Olszański (Q), Po pierwsze: interes państwa; Pomianowski (Q), Wszystkie błędy zostały już popełnione. 18 Polska Polityka Wschodnia. Pełny zapis dyskusji zorganizowanej przez Fundację im. Stefana Batorego oraz redakcję »Tygodnika Powszechnego«. 19 Von diesem Zusammenhang geht auch Klaus Bachmann aus (Bachmann). 20 Herausragende aktuelle Beispiele für diese doppelte Funktionselite sind der 2008 verstorbene Bronisław Geremek, Historiker und von 1997 bis 2000 polnischer Außenminister, oder Władisław Bartoszewski, ebenfalls Historiker und zweifacher polnischer Außenminister – zum ersten Mal 1995, dann trat er zurück, als Kwaśniewski Präsident wurde, und kehrte 2000/2001 in die Regierung Buzek zurück. Davor war er Anfang der neunziger Jahre zum polnischen Botschafter in Wien berufen worden. Vgl. zu einer grundlegenden Aufarbeitung der Geschichte der polnischen Intelligenz bis 1918 die drei Bände: Jedlicki; Janowski, Narodziny inteligencji; Micińska.

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öffentlichungen eingesetzten Symboliken und Deutungsstrategien und deren Verwendung in im engeren Sinne politischen Auseinandersetzungen ausgegangen werden. Doch wurde die politische Rhetorik, zumal wenn sie an ein internationales und nicht nur an ein polnisches Publikum adressiert war, gewissermaßen EUropäisiert. Dies geschah, indem historische, national tradierte Semantiken in eine EU-Rhetorik übersetzt und nach Anschlussmöglichkeiten zwischen Problemstellungen der EU und deren Sagbarkeitsregeln sowie polnischen Geschichtsbildern und Problemwahrnehmungen gesucht wurde. So lässt sich beobachten, dass in Äußerungen, die an eine internationale politische Öffentlichkeit gerichtet waren, vor allem an die EU, bedeutend stärker auf die Rolle Polens als Mittler und Brücke hingewiesen wurde, polnische Erfahrungen bei der Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Kontaktsituationen »mit dem Osten« betont sowie eine besondere polnische Verantwortung und Sensibilität für die neuen EU-Nachbarn im Osten herausgestellt wurden. In eher nationalen, seien es parteipolitische oder publizistische Auseinandersetzungen fand sich dagegen eine stärkere Akzentuierung der Frontstellung der Polen gegenüber dem Osten, einem Osten, der nicht dem Einflussstreben eines – aus polnischer Sicht – heraufziehenden russischen Neoimperialismus überlassen werden durfte. Vermutet werden kann also, dass Deutungen der polnischen Position in Europa und insbesondere im Osten im innerpolnischen Kontext zunächst erprobt wurden, bevor sie auf dem internationalen Parkett wie in den Verhandlungen mit der EU zum Einsatz kamen. Der selbstbewusste Bezug auf die Traditionen des Jagiellonischen Reichs und der polnisch-litauischen Union übersetzte sich dann nach dem EU-Beitritt Polens in eine offensivere Haltung polnischer Entscheidungsträger gegenüber der EU. Die Vielfalt der Deutungen und ihr Wandel lassen sich also nicht nur je nach historischem Kontext im Verlauf des Beitritts und der Osterweiterung deuten. Sie müssen darüber hinaus auch immer mit Blick auf den Äußerungskontext und das Publikum, an das sie gerichtet waren, gelesen werden. Polnische Politiker erbrachten dabei sowohl nach außen – an die EU oder die internationalen Partner gerichtet – wie nach innen – für ihre eigene Gesellschaft – Übersetzungsleistungen: Zum einen versuchten sie die polnischen ostpolitischen Traditionen als Ressource für die Stärkung ihrer eigenen Position in der Union einzusetzen, zum anderen vermittelten sie ihrer eigenen Gesellschaft die Veränderung der östlichen Nachbarschaft und des Grenzregimes als im Sinne polnischer historischer Traditionen deut- und formbar. Die Deutungen der Raumordnung wurden also nicht nur partiell kontingent mit Blick darauf, wer sprach, sondern auch wo, wann und zu wem.

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3.3 Das historische Repertoire 3.3.1 »Jagiellonen« und »Piasten«: Auseinandersetzungen in der Zwischenkriegszeit bis zum Ende des 2. Weltkriegs Die zentrale Bedeutung historischer Erfahrungen und tradierter Deutungsmuster für die Formulierung der gegenwärtigen polnischen Ostpolitik und damit auch der Konzepte für ein neues Grenzregime an Polens Ostgrenze wurde kurz vor dem EU-Beitritt des Landes von zwei auswärtigen Beobachtern, der eine »aus dem Osten«, der andere »aus dem Westen«, pointiert – und mit gegensätzlichen Schlussfolgerungen – unterstrichen. So schließt der russische Historiker Alexej Miller21 seinen in einer diesem Thema gewidmeten Ausgabe der Zeitschrift »Transit« erschienenen Beitrag: Der polnische Diskurs über die Ostpolitik ist nicht nur tief in der Geschichte verwurzelt, er bleibt auch ihr Gefangener. Er stellt eine Mischung dar aus vielleicht verständlichen Phobien und der nostalgischen Megalomanie »eine Regionalmacht zu sein, oder nichts zu sein.« Politisch ist er kontraproduktiv, und intellektuell und moralisch ist er den entsprechenden Diskursen der östlichen Nachbarn Polens keineswegs überlegen. Der polnische Diskurs über die Ostpolitik trägt nichts zur Lösung der Probleme Osteuropas und seiner Beziehungen zur EU bei, vielmehr ist er Teil des Problems.22

Aus Millers Sicht lassen sich die ostpolitischen Konzeptionen in Polen bis heute auf einen grundlegenden Konflikt zwischen Polen und Russland über Hegemonie und Einfluss auf ein und dem selben Territorium zurückführen: Es geht um die »kresy wschodnie«, die östlichen Grenzgebiete des ehemaligen polnisch-litauischen Reiches, in etwa die westlichen Gebiete des heutigen Weißrusslands und der Ukraine sowie Litauen, die nach den polnischen Teilungen zu Ende des 18. Jahrhunderts in das Russischen Reich eingegliedert wurden. Vor dem Hin21 Miller, Historiker an der Central European University in Budapest, ist ein ausgewiesener Kenner der Geschichte des Russischen Reiches im 19. und 20. Jahrhundert und hat insbesondere zu den russisch-ukrainischen Beziehungen gearbeitet – und bewegt sich mit seinen Arbeiten damit genau auf dem Territorium, auf das sich die polnische Ostpolitik bezieht. In diesem Zusammenhang ist eine Reihe pointierter Stellungnahmen entstanden, so u. a. Miller, Tema. 22 Miller, In den Fesseln, S. 47.

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Das historische Repertoire

tergrund dieser Teilungserfahrung verstanden »[d]ie polnischen Intellektuellen […] den Kampf gegen Russland als Verteidigung der europäischen Zivilisation gegenüber einem despotischen und barbarischen Imperium und riefen Europa zu Hilfe.«23 Die Ähnlichkeit des Führungsanspruchs und die Konkurrenz der Zivilisierungsmissionen auf ein und demselben Gebiet unter historisch sehr ungleichen Bedingungen nähre bis heute, so Miller, die antirussische Tendenz der polnischen Ostpolitik, der er ein zukunftsweisendes und problemlösendes Potential in Gänze absprach. Im selben Heft entwickelte der amerikanische Historiker Timothy Sny­der24 eine andere These: Die polnische Ostpolitik sei eine »Tradition mit Zukunft.«25 Er rekonstruierte als grundlegende Quelle polnischer ostpolitischer Konzeptionen zum einen die historische Erfahrung des 1569 mit der Lubliner Union begründeten Polnisch-Litauischen Doppelstaates und zum anderen den Konflikt zwischen zwei Leitideen der polnischen Ostpolitik: zwischen der »Schaffung gemeinsamer Instititutionen mit den Nachbarländern (was [Snyder] Föderalismus nenn[t]), [… und der …] Eingliederung fremden Territoriums (was hier als Nationalismus firmiert).«26 Die Neukonzeption der Ostpolitik durch polnische Oppositionelle im französischen und britischen Exil, die dem Autorenkreis um die Pariser »Kultura« zugerechnet werden können, habe zur Entwicklung einer erfolgreichen Oststrategie geführt, die im Jahr 2003, da sie verwirklicht schien und Polen kurz vor dem Beitritt zu Europäischen Union stehe, jedoch nicht mehr zeitgemäß sei.27 Der Konflikt mit den russischen Visionen eines imperialen Grenzraumes ist in Snyders Interpretation an den Rand gedrängt, vielmehr hat für ihn die Geschichte der Lubliner Union bzw. der daraus entstehenden Rzeczpospolita»herausragende Bedeutung […] [i]n einer neuen Welt der Europäischen Union.«28 Das polnische ostpolitische Denken, insbesondere seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, kann nur im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die staatliche Eigenständigkeit, der Suche nach einem Platz »in Europa« und der Abgrenzung gegenüber »dem Osten« bzw. der Bestimmung der polnischen 23 Ebd., S. 43. 24 Snyder lehrt an der Yale University und hat einige viel beachtete Untersuchungen zur Geschichte Ostmitteleuropas, insbesondere Polens vorgelegt, darunter u. a. Snyder, The Reconstruction of Nations. 25 Snyder, Polnische Ostpolitik. 26 Ebd., S. 25. 27 Ebd., S. 25 f. 28 Ebd., S. 39.

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Rolle im Osten, vor allem gegenüber Russland, verstanden werden.29 Polnische Ostpolitik ist dabei gewissermaßen gleichzeitig Innen- und Außenpolitik, auch, weil die Gebiete, um die es dabei geht, seit dem 16. Jahrhundert mal innerhalb, mal außerhalb des polnischen Staatsgebietes lagen – ein Staatsgebiet, das während der zweihundert Jahre dauernden Teilung Polens gar nicht bzw. lediglich auf der mentalen Europakarte polnischer Intellektueller und Politiker existierte. Die Dynamik der ostpolitischen Debatte speist sich darüber hinaus aus dem Wechselspiel zwischen Abgrenzungsversuchen gegenüber einem kulturell – »zivilisatorisch« – als fremd verstandenen »Anderen« und Anstrengungen zur Integration eines kulturell, ethnisch und politisch hochgradig heterogenen Gebietes in unterschiedlich ausformulierte polnische Nationalstaatsprojekte. Mit der gebotenen Vorsicht vor historischen Analogien könnte man in der Tat argumentieren, dass diese Art von Paradoxie auch das Ringen der sich erweiternden Europäischen Union um eine neue Nachbarschaftspolitik kennzeichnet, und Snyder insofern nicht zu Unrecht auf die Lubliner und die Europäischen Union als korrespondierende Modelle verweist – eine rhetorische Strategie gleichwohl, mit der die Zentralität Polens in der erweiterten EU und vor allem im Rahmen einer neuen EU-Ostpolitik legitimiert werden soll. Die spezifischen historischen Erfahrungen aus der Entwicklung des polnischen Staates zwischen den Extremen der Großmachterfahrung im 16. und 17. Jahrhundert, deren Krise seit dem Ende des 17. Jahrhunderts30 sowie dem Verschwinden des polnischen Staates nach den dreifachen Teilungen 1772, 1793 und 1795 findet in den polnischen Europa- und ostpolitischen Konzeptionen als Gleichzeitigkeit von (regionalem) Herrschaftsanspruch und (europäischer) Opferrolle seine Entsprechung. Aus der Deutung der Geschichte des jagiellonischen Reichs und der polnisch-litauischen Adelsrepublik31 wurde und wird bis heute eine polnische Zivilisierungsmission im Osten begründet. Das jagiellonische Reich erscheint dabei als Modell einer staatlichen und gesellschaftlichen 29 Dazu kritisch Kraft u. Steffen, Europas Platz in Polen. Einleitung. 30 Vgl. Snyder, The Reconstruction of Nations. 31 Durch die Heirat des litauischen Großfürsten Jagiełło mit der polnischen Königin Jadwiga 1386 wurde die polnisch-litauische Personalunion begründet und damit der Grundstein für das sogenannte Jagiellonische Reich und den späteren Doppelstaat gelegt. Diese Personalunion wurde 1569 vom letzten König aus der Jagiellonen-Dynastie, Zygmunt August, in eine Realunion umgewandelt. Damit ist auf jene Epoche verwiesen, in der ein starker polnisch-litauischer Staate erfolgreich nach Osten und Süden expandierte und über fast 400 Jahre zur regionalen Großmacht avancierte. Die Deutung dieser Expansion und Konsolidierung als Erfolgsgeschichte übersetzt sich heute in die sogenannte »Jagiellonische Idee«, die sich u. a. in einer spezifischen polnischen Mitteleuropakonzeption niederschlägt.

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Das historische Repertoire

Organisation, die von Vielfalt und Toleranz geprägt war. Die östliche »frontier« dieses Reichs, die »kresy«, besitzt in dieser Diskussion eine zentrale Rolle als Transmissionsriemen und Aushandlungsraum für eben jenen modellhaften Umgang mit politischer und gesellschaftlicher Komplexität. Die polnischen Teilungen haben dagegen zu einer radikalen Marginalitätserfahrung beigetragen, Polen geriet zur dreifachen Peripherie des deutschen, des russischen und des habsburgischen Reiches. Daraus speist sich auch ein Verständnis des polnischen Exzeptionalismus in Europa32 und die Selbstbeschreibung als Bollwerk und Märtyrervolk.33 Von der Vormauer der Christenheit wurden die Polen im Laufe des 19. Jahrhunderts in ihrer Selbstwahrnehmung zur Vormauer der westlichen Zivilisation.34 Diese Exzeptionalismus-Vermutung weist jedoch Włodzimierz Borodziej gleich im ersten Satz seiner kürzlich erschienen Geschichte Polens im 20. Jahrhundert unmissverständlich und überzeugend zurück: Die polnische Geschichte im 20. Jahrhundert ist nicht exotischer als die Geschichte anderer Länder. Die oft anzutreffende Überzeugung, sie sei außergewöhnlich schwierig verlaufen und besonders schwer zu verstehen, wird schnell fragwürdig, wenn man sie einem internationalen Vergleich aussetzt.35 Der Bezug auf die jagiellonische Vergangenheit eines expansiven, einflussreichen Staates übersetzte sich in der polnischen Historiografie jedoch nicht zwangsläufig als Erinnerung an und Auseinandersetzung mit einer als imperial gedeuteten Vergangenheit. Frank Hadler und Mathias Mesenhöller haben vielmehr argumentiert, dass in der polnischen Historiografie die vergangene imperiale Größe eher verdrängt wird.36 Das doppelstaatliche Gebilde erscheint »als dezentral-föderatives, plurales und inklusives Gegenmodell zum von Westen wie von Osten eindrängenden ›Imperialismus‹.«37 Vor diesem Hintergrund entwickelten polnische Historiker vor allem in der Zwischenkriegszeit ein mindestens neutrales Bild der Rzeczpospolita und vernachlässigten die Per32 Ein Exzeptionalismus, den Maciej Janowski als Nationalismus in der Form von Messianismus im historischen Kontext europäischer Modernisierungsversuche beschreibt. Vgl. Janowski, Polen. 33 Kraft u. Steffen, Europas Platz in Polen. Einleitung, S. 18. 34 Lawaty; Zloch. 35 Borodziej, S. 11. 36 Hadler u. Mesenhöller, Repräsentationen, S. 16. 37 Ebd., S. 17; siehe auch Bömelburg.

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spektive der vormals in das Reich integrierten – aus deren Sicht gar kolonisierten – Volksgruppen. In diesem Sinne entwickelte auch der einflussreiche polnische Historiker Oskar Halecki eine Interpretation der polnischen dynastisch-imperialen Vergangenheit, die Nachgiebigkeit, Toleranz und Einigung als Ordnungsprinzipien der Rzeczpospolita »jenseits nationaler Homogenisierungsbemühungen«38 betonte. Aus diesen Prinzipien leitete Halecki jedoch gleichzeitig den Auftrag für eine polnische Mission ab, die europäische Zivilisation (und den Katholizismus) im Osten zu verbreiten. Dies schließe auch die kulturelle Assimilation der »ruthenischen« Bevölkerung ein.39 Diese besondere Rolle der Polen, bei Halecki an das vermittelnde, positive Bild des polnisch-litauischen Doppelstaates gebunden, wurde in der Zwischenkriegszeit, vor allem von der nationalen Rechten, radikalisiert. Als Mitarbeiter im polnischen Außenministerium und Vertreter der Rechten betrachtete u. a. Jędrzej Giertych40 1932 die Polen als »Herren der Ostgebiete«,41 »die einzigen Träger hoher zivilisatorischer Werte in der [multiethnischen] Bevölkerung.«42 Diese zivilisatorische Mission sei durch weißrussische und ukrainische Nationalisten bedroht, könne aber zugegegebenermaßen nicht durch »das Prinzip des ›Ausrottens‹ gegenüber der Masse der nichtpolnischsprachigen Bevölkerung«43 verwirklicht werden, sondern müsse durch die Verteidigung der Ostgrenzen und die Aufrechterhaltung der regionalen Führungsrolle der Polen geschehen. Die nationalistische, antisemitische, russo- und germanophobe Verschärfung einer solch missionarischen Haltung brachte u. a. der nationaldemokratisch gesinnte Historiker Feliks Koneczny 1928 zu Ausdruck, als auch er die polnische Nation als Hüterin der westlichen Kultur betrachtete, die ständig aus dem Osten in Gestalt der »turanischen [d. h. aus dem zentralasiatischen Raum stammend] und der jüdischen«44 Zivilisation unter Druck gerate und der die Aufgabe zufalle, mit der Aufrechterhaltung seiner katholisch-lateinischen Identität sich und Europa gleich mit zu verteidigen. Diese Radikalisierung fand vor dem Hintergrund der gerade wieder gewonnen Eigenstaatlichkeit statt – die allerdings gegenüber den neuen tschechoslowakischen, ukrainischen und litauischen Nachbarn in aggressive Außenpolitik übersetzt wurde – aber auch 38 Ebd., S. 102. 39 Ebd., S. 106. 40 Dessen Enkel Roman Giertych saß für die national-konservative Partei »Liga polnischer Familien« im Sejm und war 2006/2007 stellvertretender Ministerpräsident. 41 Giertych (Q), S. 152. 42 Ebd., S. 153. 43 Ebd., S. 155. 44 Koneczny (Q), S. 135 f.

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unter dem Eindruck der Ereignisse im bolschewistischen Russland nach der »Oktoberrevolution« und der zunehmend aggressiveren, bald faschistischen Außenpolitik Deutschlands. Die politische Elite der Zwischenkriegszeit war, vereinfachend gesprochen, in zwei große Lager gespalten, die sich anhand ihrer Haltung gegenüber den Ostgebieten unterscheiden lassen. Snyder bezeichnete diese Lager, wie oben zitiert, als Föderalisten und Nationalisten, in anderen Zuschreibungen werden die Begriffe »Jagiellonen« und »Piasten« bzw. »Inkorporationisten« verwendet.45 An der Spitze des »jagiellonischen« Lagers stand der Sozialist und »Föderalist« Józef Piłsudski, der von 1918 bis 1922 als Präsident Polens amtierte und nach dem Staatsstreich 1926 zwar nicht mehr offiziell die Position des Staatsoberhauptes einnahm, aber weiterhin maßgeblichen politischen Einfluss besaß. Der Nationaldemokrat Roman Dmowski kann als führender Ideologe des »piastischen« Lagers bezeichnet werden. Das föderalistische Lager um Piłsudski knüpfte an die Traditionen des jagiellonischen Reiches an und befürwortete einen Ausgleich mit den benachbarten Staaten, die nach 1918 zwischen Russland und Polen entstanden waren. Russland bildete hier die eigentliche Bedrohung für die Stabilität und Unabhängigkeit des neuen polnischen Staates. Piłsudski vertrat eine »jagiellonische Idee«, die auf der Erinnerung an ein multiethnisches polnisch-litauisches Commomwealth aufbaute sowie auf sozialem und kulturellen Ausgleich bestand. Der neue polnische Staat sollte weniger als Zentralstaat denn als Föderation ein enges Verhältnis zu den östlichen Nachbarstaaten suchen, deren nationale Unabhängigkeit Piłsudski unterstützte, weil er darin den zentralen Hebel für die Schwächung des russischen Imperiums sah.46 Obwohl der im Exil an der Yale University lehrende polnische Historiker Piotr Wandycz am Ende des Kalten Krieges die »accusation of concealed imperialism« gegenüber Piłsudski zurückwies,47 war auch für ihn unumstritten, dass Piłsudski Polen »as a great state« sah, und zwar als wichtigste Regionalmacht im Osten Europas.48 Die »civilizing mission«, von der Piłsudski in diesem Zusammenhang sprach,49 stellte Wandycz in den Kontext europäischer Zivilisierungsmissionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und bescheinigte den Polen eine besondere Affinität zur Idee der Mission. Die polnische Variante war eng an die »jagiellonische Idee« gebunden, eine Schöpfung des 19. Jahr45 46 47 48 49

Snyder, Polnische Ostpolitik; Gerhardt, S. 62. Wandycz. Ebd., S. 459. Ebd., S. 459 f. Jósef Piłsudski Äußerung am 8. Oktober 1919 zitiert nach Wandycz, S. 460.

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hunderts, und enthielt im Kern die Vorstellung von Polen als dem östlichsten Vorposten der europäischen Zivilisation. Ebenfalls an der Schaffung eines starken polnischen Staates als Puffer zwischen Deutschland und Russland interessiert, sah Dmowski allerdings im Bezug auf den polnisch-litauischen Doppelstaat keine Lösung des geopolitischen Problems Polens nach 1918. Vielmehr plädierte er für einen national homogenisierten Zentralstaat, dessen Grenzen sich an ethnischen Kriterien orientiere sollten.50 Als größte Bedrohung für dieses Projekt identifizierte er weniger Russland – denn dieses habe sich als der schwächere Gegner entpuppt und könne sich, wenn seine Gesellschaft und seine politischen Institutionen grundlegend modernisiert würden, zu einem verlässlichen Partner entwickeln – sondern Deutschland, mit seinem aggressiven, die polnische nationale Existenz bedrohenden Zivilisierungsprojekt.51 Aber auch Dmowski war von dem großen zivilisatorischen Potential Polens im Osten – in seinem eigenen wie dem angrenzenden – überzeugt. Dieses ging aus seiner Sicht aber nicht auf die Geschichte des jagiellonischen Reiches, sondern auf die Piastendynastie zurück, die sich nicht in Auseinandersetzung mit dem Osten, sondern »im Kampf mit der westlichen Flut, der deutschen Flut, im Kampf mit dem Reich und später mit dem Kreuzritterorden«52 zu einem »Zentrum der abendländischen Zivilisation«53 entwickelte. Die Ostausrichtung des Polnisch-Litauischen Doppelstaates war für Dmowski vielmehr dafür verantwortlich, dass die Modernisierung Polens und seine unter den Piasten beglaubigte Europäizität wieder verloren gingen.

3.3.2 Abschied vom »polnischen Imperialismus« im Kalten Krieg: Die Pariser »Kultura« Im Ergebnis des zweiten Weltkriegs änderten sich die Koordinaten für die polnische Position in Europa und gegenüber seinen Nachbarstaaten grundlegend. Polen wurde »nach Westen verschoben« und Teil des sowjetischen Einflussbereichs. Die volkspolnischen Regierungen, außenpolitisch von der Sowjetunion in hohem Maße abhängig,54 schlossen in gewisser Weise an die Dmowskische Lesart polnischer Außenpolitik an, indem vor allem Deutschland als der his50 51 52 53 54

Ebd., S. 456–458; vgl. auch Gerhardt, S. 62–64. Dmowski (Q), S. 120 f. Ebd., S. 122. Ebd., S. 123. So Andrzej Chwałba in seiner Einleitung zu Chwałba, S. 62–64. Diese Abhängigkeit war besonders bis 1956 stark ausgeprägt, sie wurde im Zuge der Tauwetterperiode gelockert.

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torische Hauptgegner Polens betrachtet und die sowjetischen Vorstellungen von der polnischen Ostgrenze übernommen wurden.55 Dies bedeutete auch, den Verzicht auf die ehemaligen polnischen Ostgebiete zu akzeptieren, die Teil der neuen sowjetischen Teilrepubliken Ukraine, Weißrussland und Litauen wurden. In der volkspolnischen öffentlichen und historiografischen Diskussion stand nun vor allem die Integration der »wiedergewonnenen« Gebiete in die polnische Nationalgeschichte im Vordergrund.56 Die Thematisierung und Beforschung der polnischen Vergangenheit im Osten wurde in der öffentlichen Auseinandersetzung tabuisiert,57 was nicht nur eine Negierung der positiven Erfahrungen, sondern auch die Verdrängung von Konflikten und Widersprüchen nach sich zog. Direkte außenpolitische Kontakte mit den Regierungen in den östlich benachbarten sowjetischen Teilrepubliken standen unter Moskauer Aufsicht.58 Die Auseinandersetzung um das polnische Erbe im Osten wurde jedoch im Exil fortgeführt, allerdings weniger von der Londoner Exilregierung, die ebenfalls den nationaldemokratischen Vorstellungen eines homogenen polnischen Nationalstaats folgte und den jagiellonischen Traditionen ablehnend gegenüber stand,59 sondern von einer Gruppe polnischer Emigranten in Paris und London um Jerzy Giedroyc, die zu Anfang im Kern aus ehemaligen PiłsudskiAnhängern bestand60 und engen Kontakt zu anderen aus Osteuropa stammenden, insbesondere russischen und ukrainischen Exilanten pflegte.61 Giedroyc’ 1947 gegründete Zeitschrift »Kultura« entwickelte sich zum bedeutendsten Forum für die Formulierung einer alternativen ostpolitischen Strategie, deren Einfluss auf die polnische Außenpolitik nach 1989 aus Sicht in- wie ausländischer Beobachter kaum zu unterschätzen ist.62 Jerzy Giedroyc und Juliusz Mieroszewski – letzterer übernahm gewissermaßen die Explikation der Giedroyc’schen Ideen – setzten eine ausgesprochen kritische Auseinandersetzung mit der polnischen Geschichte in Gang, insbesondere mit Blick auf die Beziehungen im Osten, mit Russland, der Ukraine, 55 Gerhardt, S. 64. 56 Als Hauptvertreter der polnischen Westforschung kann Zygmunt Wojciechowski gelten, der 1944 das polnische Westinstitut gründete. Vgl. Krzoska, Die Bedeutung der Oder; ders., Für ein Polen an Oder. 57 Bömelburg, S. 123. 58 Gerhardt, S. 64; Snyder, Polnische Ostpolitik, S. 34. 59 Gerhardt, S. 64. 60 Osadczuck, S. 183. 61 Ebd.; Miller, In den Fesseln, Fußnote 6; Gerhardt, S. 66, Fußnote 17. 62 Vgl. Snyder, Polnische Ostpolitik; Osadczuk; Chwałba; Gerhardt; Friszke.

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Weißrussland und Litauen. Sie erkannten in der polnischen Geschichte im Osten Züge imperialistischen Großmachtdenkens, das über Jahrhunderte mit der russischen Version des Imperialismus in Konkurrenz gestanden habe.63 Beides wiesen sie zurück: »Wir dürfen von den Russen den Verzicht auf den Imperialismus fordern – unter der Bedingung, daß wir selbst ein für allemal auf unseren traditionellen historischen Imperialismus in allen seinen Varianten und Erscheinungsformen verzichten«, schrieb Mieroszewski 1976.64 Ihre Konzeption war insofern nicht antirussisch, sondern antisowjetisch angelegt – obwohl Alexej Miller darin zuzustimmen ist, dass auch für die »Kultura«-Autoren Russland das »Andere« blieb.65 Im Kern dieses Verständnisses stand die Unterstützung der nationalen Unabhängigkeit der östlichen polnischen Nachbarn Ukraine, Weißrussland und Polen, ihre Befreiung sowohl aus dem »sowjetischen Imperium« als auch aus der polnischen Vorherrschaft und die Anerkennung der polnischen Ostgrenzen, wie sie im Abkommen von Jalta festgelegt worden waren. In der Unabhängigkeit und Souveränität des sogenannten ULB-Gebietes66 – was die Auflösung des sowjetischen Machtbereichs ebenso bedeuten würde wie den Verzicht auf polnische Gebietsansprüche – sahen sie die unumstößliche Bedingung für die Stabilität eines polnischen Staates und die Garantie einer Friedensordnung in Europa nach dem Ende der Blockkonfrontation. Insofern griff diese Konzeption zugleich Elemente aus den föderalistischen als auch aus den nationalistischen Traditionen der Zwischenkriegszeit wieder auf, ohne diese in das späte 20. Jahrhundert hinein zu verlängern: Hier wurde der Nationalstaat als einzig effektive Form territorialer Ordnung begriffen, aber gleichzeitig die engen politischen und kulturellen Verflechtungen Polens mit den »ULB«-Ländern anerkannt.67 Dieser Verflechtung sollte Polen mit einer neuen Rolle als Brücke, nicht aber als Bollwerk oder Vormauer Rechnung tragen, auch weil die tatsächlichen historischen Bedingungen letzterem Hohn sprachen: »Unsere traditionelle Konzeption Polens als Bastion der westlichen Zivilisation ist zusammengebrochen. Wir wurden von unserer eigenen Geschichte verraten.«68 Die innerpolnische Opposition, insbesondere Solidarność und die PPN, war in den siebziger Jahren der im Exil entwickelten Linie gefolgt und hatte diese weiter63 64 65 66 67 68

Insofern steht Miller (siehe oben) mit seiner Beobachtung nicht allein. Mieroszewski (Q), Der russische »Polenkomplex«. Miller, In den Fesseln, S. 44. ULB oder ULW steht für Ukraine, Litauen, Belarus/Weißrussland. So auch Snyder, Polnische Ostpolitik, S. 36. Mieroszewski (Q), Der russische »Polenkomplex«, S. 318; siehe auch Mieroszewski (Q), Na linii Szczecin-Triest; ders., Na ruinach »przedmurza«.

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entwickelt, u. a., indem sie die Frage des Verhältnisses eines postkommunistischen Polens zur NATO thematisierte.69 Giedroyc und Mieroszewski unterzogen also jene Elemente der jagiellonischen Vergangenheit und der Geschichte der polnischen Ostbeziehungen einer radikalen Kritik, die sie als kolonial und imperial interpretierten, und wollten diese aus einer zukünftigen ostpolitischen Konzeption verbannt sehen. Gleichzeitig versuchten sie jedoch, jene Elemente der polnischen Ostpolitik zu rekon­struieren und weiterzuentwickeln, in denen sie die Stärken der gemeinsamen Entwicklung Polens mit seinen östlichen Nachbarn sahen, und hier lieferte ihnen die jagiellonische und adelsrepublikanische Vergangenheit vielfach positive Anknüpfungspunkte, sofern sie von den hegemonialen Elementen befreit würden. Dabei enthielt ihr Modell einer territorialen Neuordnung des Kontinents im Osten gleichzeitig nationale als auch transnationale Elemente. Zum einen privilegierten sie das nationalstaatliche Modell territorialer Ordnung, weil sie in ihm das Heilmittel für die jahrhundertealten Nationalitätenkonflikte und den Schlüssel für die Beendigung der alten imperialen Konflikte um die jeweiligen Ergänzungsräume sahen. Zum anderen verwandelten sie die tradierte Selbstbeschreibung Polens als Vormauer der westlichen Zivilisation in die Rolle als Brücke zwischen Ost und West – eine Konzeption, der einerseits die Unterscheidung zwischen diesen mentalen und geopolitischen Blöcken zugrundeliegt, die andererseits aber auf Transfers und Verflechtungen zwischen ihnen verweist – deren Richtung und Gefälle vor und nach 1989 jedoch zu präzisieren wäre. Diese Kombination aus Anerkennung nationaler Autonomie und nationalstaatlicher Grenzen und Plädoyer für eine transnationalen Zusammenarbeit ist nicht nur inhaltliches Kennzeichen des »Kultura«-Konzepts, sondern auch Voraussetzung für sein Entstehen gewesen: Die Exilgemeinschaft in Paris kann als eine transnationale beschrieben werden, und auch die innerpolnische Opposition pflegte intensive Kontakte zu ihrem östlichen Gegenüber.70 Die Vorstellung von einer polnischen Mission im Osten schien durch die konsequente anti-imperiale Haltung der Autoren und die kritische Abrechnung mit solchen Traditionen in der polnischen Geschichte aus dem Denken der »Kultura«-Gruppe verschwunden. Die Beziehungen zum Osten wurden nicht mehr hierarchisch gedeutet, sondern als gleichberechtigte Partnerschaften. Der gemeinsame und einigende Feind war die als neoimperialistisch gedeutete Sowjetunion, die durch die nationale Unabhängigkeit der westlichen Sowjet69 Gerhardt, S. 67 f.; Bachmann. 70 Gerhardt, S. 68 f.

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republiken zu Fall gebracht werden sollte. Für die Zukunft würde die direkte Nachbarschaft zu Russland durch einen »cordon démocratique«71 abgefedert werden müssen. Insofern stellte diese Konzeption auch einen Versuch dar, die Traditionen einer imperialen territorialen Ordnung des Kontinents durch eine neue nationalstaatliche Ordnung mit starken transnationalen Elementen abzulösen. Bei der Übersetzung dieser »Kultura«-Tradition, die ohne Zweifel vor allem Politiker wie Aleksander Kwaśniewski geprägt hat, in eine neue außen- und ostpolitische Strategie nach 1989 war diese Distanzierung von der polnischen Mission jedoch nicht mehr so eindeutig auszumachen. Vor allem im Kontext der EU-Osterweiterung wurden hier Muster aus älteren Zivilisierungsdiskursen wiederbelebt, die in eine sonst grundsätzlich der »Kultura« folgenden Vorstellung der territorialen Ordnung integriert wurden.

3.3.3 Eine Zivilisierungsmission à la polonaise? Vor allem mit Blick auf die öffentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in der Zwischenkriegszeit lassen sich Elemente des polnischen Verständnisses einer Mission im Osten verdeutlichen, Elemente, die allerdings – in modifizierter Form – auch in den siebziger und achtziger Jahren wieder zum Tragen kamen. Dieses Mission war dabei nicht notwendigerweise an die Selbstwahrnehmung als ehemalige oder zukünftige Großmacht, als »Empire« gebunden. Folgt man der Argumentation von Hadler und Mesenhöller, dass die »vergangene Größe« in der polnischen Historiografie nicht unbedingt imperial gedeutet wird,72 dann lässt sich für den polnischen Fall von einer »Zivilisierungsmission ohne Imperium« sprechen. Diese speist sich aus der behaupteten Vorbildhaftigkeit der Rzeczpospolita einerseits und der Verankerung der polnischen Geschichte im Westen andererseits. In diesem Sinne entstand gewissermaßen ein übergreifender Konsens zwischen »Piasten« und »Jagiellonen.« Auch in der heutigen Historiografie, die die Rzeczpospolita wiederentdeckt hat, wird der imperiale Charakter dieser Vergangenheit immer noch negiert.73 Die Modellhaftigkeit des »jagiellonischen Systems«, eine historische Deutung, die insbesondere Oskar Halecki herausgearbeitet hat, speist sich aus Prinzipien wie der Erhaltung der Selbstverwaltung in den multiethnischen Gebieten, der Achtung der nationalen Rechte und der Verteidigungsgemeinschaft gegen 71 So Czesław Bielecki auf einer Diskussionsveranstaltung 1999 zitiert nach: Ebd., S. 172. 72 Hadler u. Mesenhöller, Repräsentationen. 73 Hadler u. Mesenhöller, Repräsentationen, S. 18.

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einen westlichen wie östlichen Imperialismus.74 Diese jagiellonische Idee übertrug Halecki in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend auf seine Konzeption von Ostmitteleuropa.75 Nach dem zweiten Weltkrieg beschrieb Halecki Ostmitteleuropa als jene Region, die zwischen den westlich und östlich angrenzenden Reichen zerrieben wurde und verdrängte damit vollends die polnische imperiale Vergangenheit in diesem Raum.76 Dieses Verständnis von Ostmitteleuropa spiegelte sich auch in Teilen der tschechischen und ungarischen Ostmitteleuropadiskussion. Vor allem die Frontstellung gegen Russland, die für das polnische Verständnis zentral war,77 fand ihr Echo prominent und pointiert in der von Milan Kundera vorgetragenen Klage über den »occident kidnappé.«78 Ostmitteleuropa als besondere Region in Europa wurde in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der Diskussion ostmitteleuropäischer dissidenter und exilierter Intellektueller nicht einheitlich bestimmt, gemeinsam war den Beiträgen jedoch die Thematisierung des »Dazwischensein«, einer gewissen Minderwertigkeit oder Rückständigkeit, des drohenden Ausschlusses aus der westlichen »Zivilisation« und die Antizipation einer erneuernden Kraft, die aus eben diesem Zwischenraum für den gesamten europäischen Kontinent kommen würde.79 Für das »jagiellonische Ostmitteleuropa«80 in der polnischen Diskussion wurden etwas andere Akzente gesetzt. Räumlich bezog es sich auf die Gebiete des ehemaligen polnisch-litauischen Doppelstaates und reichte deshalb weiter nach Osten, als dies aus ungarischer oder tschechischer Sicht zumeist der Fall war, für die zumeist das Habsburger Reich als die räumliche Folie fungierte, auf die Ostmitteleuropa projiziert wurde.81 Der imaginierte Raum wurde aber nicht nur in seinen geografischen Parametern anders bestimmt, sondern ihm wurden auch andere wirtschafts-, politik- und kulturhistorisch begründete Eigenschaften zugewiesen, die mit

74 Bömelburg, S. 119 f. 75 Ebd., S. 110–112. 76 Ebd., S. 121. 77 Vgl. Stobiecki. 78 Kundera (Q). 79 Zur Ostmitteleuropa-Diskussion und den verschiedenen Aneignungen und Wandlungen des Begriffs existiert eine umfangreiche Literatur. Vgl. für einen Überblick und eine Auswahl u. a. Ash; Delanty, The Resonance of Mitteleuropa; Hadler; Jaworski; Judt; Krüger; LeRider; Neumann; Okey; Schmidt; Schultz; Rautenberg; Franke, Politische Räume; ausgesprochen kritisch und anregend: Miller, Tema. 80 Vgl. den Versuch aus wirtschaftshistorischer Sicht, die Spezifik dieses Gebiets herauszuarbeiten: Samsonowicz. 81 Vgl. u. a. Janowski, Pitfalls.

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Polens regionaler Führerschaft verbunden waren.82 Ein weiteres wichtiges Element dieses Raumdiskurses war der Mythos der »kresy«, des östlichen Grenzlandes des ehemaligen jagiellonischen Reiches, als Grenzland zwischen östlicher und westlicher Zivilisation und als Ort innerpolnischer und nach außen gerichteter Zivilisierungsmissionen.83 Das jagiellonische Ostmitteleuropa wurde damit als jener Raum entworfen, in dem polnische Zivilisierungsmissionen zum Einsatz kommen. Die polnische Mission war also quasi »un-imperial« und an einen konkreten Raum gebunden, sie war zunächst nicht prinzipiell in allen Weltregionen einsetzbar, sondern wurde auf einem abgegrenzten Territorium wirksam und benötigte einen konkreten Übersetzungsort: die »Kresy«.84 Dieses Grenzland ist eng mit dem in der polnischen Romantik entstandenen Topos verbunden, dass sich hier »das mythologisierte Zentrum von Polonität und Heimatlichkeit, ein Zentrum der nationalen Identität und Psyche«85 befinde. Dieser Raum verweist also gleichzeitig nach innen und nach außen. Er war zum einen das Expansionsgebiet des Polnisch-Litauischen Doppelstaats, der Raum, in dem polnische, russische und osmanische Expansionsbewegungen und Führungsansprüche konkurrierten. Zum anderen stand dieser Raumes in einem engen Zusammenhang mit dem Gelingen polnischer Staatlichkeit. Ist die polnische Mission im Osten erfolgreich, findet sich Polens »Europäizität« bestätigt – ein vergleichbarer Nexus findet sich übrigens auch in den russischen Diskussionen über die Expansion auf die Krim und nach Sibirien.86 Die 82 Miller, Tema, S. 94. 83 Diese Art von Ostmitteleuropaentwurf wurde auch nach 1989 aktualisiert und weiterentwickelt. Wie Alexej Miller kritisch kommentierte, wurde er für politische Zwecke instrumentalisiert. Ostmitteleuropa schien der Gewinner der Umbrüche, der gesellschaftlichen wie politischen Transformationen nach dem Ende des Kalten Krieges zu sein, während »Osteuropa« der »Verlierer« war (vgl. Miller, Tema). Gleichzeitig wurde in der jüngeren wissenschaftlichen Diskussion auch der Versuch der Rekonstruktion von Ostmitteleuropa als geschichtsregionalem Konzept unternommen und – z. B. in Polen und Deutschland – auch institutionell in der historischen Forschung verankert, eine Bewegung, die sich auch vor dem Hintergrund der wiederbelebten Diskussion um »Area Studies« verstehen lässt (vgl. Janowski, Pitfalls; Troebst, Meso-regionalizing; ders., Vom spatial turn; Ther, Von Ostmitteleuropa). Mit dem Herder-Institut in Marburg und dem geisteswissenschaftlichen Zentrum Kultur und Geschichte Ostmitteleuropa (GWZO) an der Universität Leipzig arbeiten in Deutschland zwei große wissenschaftliche Forschungsinstitute an diesen Fragestellungen. In Polen ist das Lubliner Ostmitteleuropa-Institut (IESW, Institut Europy Środkowo-Wschodnie) unter der Leitung von Jerzy Kłoczowski die wichtigste Vernetzungs- und Forschungsinstanz für ostmitteleuropäische Themen. 84 Zu den »kresy« vgl. auch Traba; Kochanowski. 85 Chwałba, S. 48. 86 Vgl. Stolberg; Häfner; Jobst.

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Verknüpfung der polnischen Mission mit der eigenen Staatlichkeit verweist auf die transnationale Dimension der polnischen Oststrategie: Die Verwirklichung nationaler Interessen war hier ohne das grenzüberschreitende Ausgreifen nach Osten nicht denkbar. Dabei ging es nicht unbedingt um die Eingliederung fremden Territoriums, sondern um den Einfluss auf die Gestaltung der symbolischen und politischen Ordnung des benachbarten Raumes. Der Historiker Feliks Gross übertrug die herausragende Bedeutung der »kresy« in einem 1978 erschienenen Beitrag auf den gesamteuropäischen Kontext, indem er ihn als östliche »frontier« Europas begriff, die sich aber von der »westlichen frontier« – dem Kontaktraum zwischen Christentum und Islam auf der iberischen Halbinsel – und auch von der »frontier« der amerikanischen Westexpansion unterscheide.87 Letztere habe sich in ein »political vacuum«88 hineinbewegt, was für die östliche »frontier« Europas nicht gelten könne. Die spanische »frontier« ihrerseits sei durch Intoleranz und Unterdrückung gekennzeichnet gewesen, hingegen sei das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Ethnien in den »kresy« auf der Grundlage gegenseitiger Toleranz organisiert gewesen, was insbesondere für das 15. und 16. Jahrhundert gelten könne. Zwar habe es auch dort Fanatismus und Feindschaft gegeben, diese seien jedoch bedeutend schwächer ausgeprägt als an der südwesteuropäischen Peripherie. Die Verschärfung der Konflikte in den »kresy« führte Gross auf Druck von außen zurück, »international tensions also reinforced divisions into ›we‹ and ›they‹, a neutral ›out‹ and a hostile ›antigroup.‹«89 Im Umgang mit den »kresy«, in denen seit dem 17. Jahrhundert sowohl Polen als auch Russland um Einfluss konkurrierten, habe sich gezeigt, dass Polen ein Toleranzmodell habe entwickeln können, wohingegen Russland den Weg der Unterdrückung und Intoleranz eingeschlagen habe. Der gleichzeitige Druck aus dem Osten wie dem Westen seit dem 18. Jahrhundert schließlich habe aus diesem östlichen Expansionsraum der Rzeczpospolita eine zwischen zwei Imperien eingezwängte Region werden lassen, deren Funktion für die Stabilität des Kontinents nunmehr noch gewachsen sei90 – an dieser Stelle wurden die »kresy« zu dem in den siebziger und achtziger Jahren diskutierten Ostmitteleuropa. Im Ergebnis des zweiten Weltkriegs wurde aus dem offenen Grenzland im Osten eine starre, feindliche, ideologische Grenze zwischen dem Osten und dem Westen – die Berliner Mauer. Gross sieht in der Rückbesinnung auf die positiven Traditio87 88 89 90

Gross. Ebd., S. 4. Ebd., S. 11. Ebd., S. 13 f.

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nen dieses Grenzraums die Chance zur Lösung der europäischen Spaltung.91 Die Kontinuitätslinie, die Gross von der Rzeczpospolita über die polnischen Teilungen bis zur Blockspaltung nach 1945 zieht, bereitete den Boden für die Anschlussfähigkeit dieser Diskussionen an die Auseinandersetzungen um die Position Polens in einem Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Es waren nach 1989 und insbesondere im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts genau diese Argumentationsmuster, die die Wiederbelebung eines polnischen Exzeptionalismus im Osten möglich machten. Der Historiker Jan Kieniewicz knüpfte in einem Betrag kurz vor dem NATO-Beitritt Polens an diese Deutung an, als auch er für eine Suche nach den dialogorientierten Elementen in der Erfahrungen aus den »kresy« plädierte, um diese in der neuen politischen Situation wiederzubeleben. Nur, wenn der »Dialog«, d. h. die traditionellen Verflechtungen zwischen Polen und der Ukraine bewahrt und gestärkt werde, könne die Zugehörigkeit der Ukraine zur europäischen Zivilisation garantiert werden, werde sie nicht der russischen Hegemonie überlassen. Dass dies gelingt, sei vor allem von Polen abhängig.92 Von diesen Besonderheiten des polnischen Zivilisierungsraumes abgesehen, war der polnischen Mission ähnlich wie den kolonialen Strategien westeuropäischer Imperien des 19. Jahrhunderts die Vorstellung eines gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Gefälles zwischen Kernraum und Peripherie eigen, hier vor allem gefasst als Gegensatzpaar Ost gegen West. Das russische Reich, später die Sowjetunion, wurden als das »Andere« begriffen, der Grad der »Östlichkeit« stieg mit zunehmender Nähe zum russischen Territorium. Ein Problem, das es für die polnischen Publizisten und Politiker dabei jedoch immer zu lösen galt – und besonders in der Zeit der Blockkonfrontation, in der Polen »dem Osten« angehörte – war, das Verhältnis zu diesem Osten genauer zu bestimmen. Hier wurden verschiedene Formen eines hierarschisch verstandenen Differenz-, Abgrenzungs- und Bedrohungsbewusstseins entwickelt. Dies bedeutete aber gleichzeitig, die eigenen »östlichen« Traditionen in diesem Bild zu platzieren. Im östlichen Grenzland ging es um die Ordnung des Raumes, dabei wurden verschiedene Modelle diskutiert: Integration und Expansion, Föderation, verflochtene Transferbeziehungen oder aber Abschottung. Jan Kieniewicz veröffentlichte Mitte der siebziger Jahre in der »Kultura« und noch einmal auf Englisch Mitte der achtziger Jahre in den »Acta Poloniae Historica« einen inspirierenden Versuch, dieses Dilemma zu bewältigen 91 Ebd., S. 15 f. 92 Kieniewicz, Polska-Ukraina.

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und prägte die Formel von der »Polish Orientalness«.93 »From the 15th century Polish Orientalness appeared as the sum of borrowings in language, dress, weapons or manner of living of the gentry.«94 Diese unterschied er von der westlichen Orientalismus-Welle des 18. Jahrhunderts, die sich im Zuge der intensivierten Kontakte zwischen dem Westen und dem Fernen Osten entwickelte.95 Die »Orientalness« des polnischen Adels war das Ergebnis eines komplexen kulturellen Transfers während des 15. und 16. Jahrhunderts von Ost nach West, in dessen Zuge die adlige polnische Gesellschaft Elemente vor allem der osmanischen Kultur aneignete und als Kennzeichen der polnischen Superiorität in Europa umdeutete, vor allem, als sie im Laufe des 17. Jahrhunderts zu wichtigen Elementen der sarmatischen Ideologie wurden.96 Diese Form der kulturellen Adaption und Assimilierung, die zu einer spezifischen Form kultureller Hybridität führte, »allowed the gentry nation and its state to reject choosing between East and the West«, denn die Verankerung der polnischen Kultur im Westen wurde dabei nicht in Frage gestellt. Diese Westlichkeit fand allerdings »Oriental forms of expression.«97 Die Umdeutung der »Orientalness« als Zeichen von Rückständigkeit und Minderwertigkeit waren für Kieniewicz die Folgen der polnischen Teilungen und eines westlichen Modernisierungsverständnisses, in dem Polen als rückständig galt und sich selbst auch so sah. Im 19. Jahrhundert verschwand jedoch nicht nur der polnische Staat von der Landkarte Europas, in dieser Zeit setzten sich polnische Politiker und Publizisten auch mit der (west)europäischen Erfahrung von Kolonisierung und Zivilisationsmissionen auseinander. Die Idee der »white man’s burden« fand ihre polnische Entsprechung in der Parole der polnischen Unabhängigkeitsbewegung »Za Wolność Naszą i Waszą« (Für unsere Freiheit und für eure).98 Bemerkenswert ist die Argumentation, mit der Kiniewicz die Bedeutung der polnischen »Orientalness« für eine erneute historiografische Beschäftigung in den achtziger Jahren begründete: Während der Teilungen und in der Zwischenkriegszeit sei die polnische Geschichte verzerrt worden, u. a. durch die Betonung des Antemurale-Mythos und eine ausgepräge Russophobie.99 Eine Rückbesinnung 93 Kieniewicz, Polish Orientalness. 94 Ebd., S. 76. 95 Die wichtigsten Fomen des Orientalismus wurden in der Debatte um Edward Saids Buch »Orientalism« herausgearbeitet, vgl. Said. 96 Die sarmatische Ideologie ist ähnlich schillernd wie der »antemurale«-Begriff. Als Einstieg beispielsweise: Potkowski. 97 Kieniewicz, Polish Orientalness, S. 85. 98 Ebd., S. 95. 99 Vgl. Kieniewicz, The Eastern Frontier.

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auf das Erbe Polens als Mittler und Begegnungsort zwischen Ost und West entspäche einer »authentischeren« Rolle Polens in Europa, die polnische Gesellschaft müsse sich wieder mehr den Einflüssen aus dem Osten öffnen. Dies sei vor dem Hintergrund des »doubt about the values of the West«100 und Zweifel an der Tragfähigkeit westlichen Fortschrittglaubens mehr denn je notwendig.101 Diese Argumentation fügte sich einerseits in die von den »Kultura«-Autoren vertretenen Konzeptionen, vor allem, was die Ablehnung des Antemurale-Mythos und die Betonung des Mittlercharakters Polens betrifft. Allerdings verwies Kieniewicz hier implizit auf die Superiorität der polnischen Kultur, eben weil sie in der Lage gewesen war, komplexe kulturelle Transferleistungen zwischen Ost und West zu erbringen. Als Raum des Transfers wurden hier wieder die östlichen Grenzgebiete entdeckt. Die Beschreibung der polnischen Mission als »Für unsere Freiheit und eure« lässt sich ebenfalls als Reformulierung der Giedroyc’schen Vorstellung verstehen, dass die polnische Unabhängigkeit und Staatlichkeit an jene der östlichen Nachbarstaaten gebunden sind, allerdings wird in der Kieniewicz’schen Lesart deutlicher, dass Polen eine aktive Rolle bei der Durchsetzung dieses Zieles übernehmen würde. Das fügte sich nahtlos in die Diskussionen der achtziger Jahre, fand sich aber auch in den Auseinandersetzungen um die ostmitteleuropäischen Transformationswege nach dem Fall der Mauer wieder. Mehr als 20 Jahre später, in einem 2008 publizierten Beitrag, kehrte Kieniewicz allerdings zu den früheren Vorstellungen zurück und sprach von der östlichen Grenze Europas als einer »civilizational border.«102 Nach dieser Argumentation habe Polen, spätestens seit der Zeit der Polnisch-Litauischen Union, als Vorhut der westlichen Zivilisation fungiert, als »Antemurale Christianitatis«. Die polnischen »kresy«, so Kieniewicz, seien »a sort of borderland of the European civilization and […] a part of the European space«.103 Dieser Beitrag stand 2008 im Kontext der bereits vier Jahre zurückliegenden Erweiterung der Euopäischen Union und des Beitritts Polens zum Schengenraum und kann als Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins der Polen verstanden werden, als Mitglied in diesem neuen institutionellen und symbolischen Raum Mitgestalter seiner Außenbeziehungen zu sein.104 Das Beispiel Kieniewicz ver100 Kieniewicz, Polish Orientalness, S. 103. 101 Ebd., S. 96–98. 102 Kieniewicz: The Eastern Frontier, S. 89 f. 103 Ebd., S. 88. 104 1996 wies Kieniewicz noch beide Varianten, Brücke und Bollwerk, zurück, weil beides auf eine periphere Position Polens deuten würde. Diese Argumentation wird im historischen Kontext verständlich. 1996 stand Polen am Anfang seines Integrationsprozesses in den transatlantischen und westeuopäischen Raum, deren erster Schritt die NATO-Mit-

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Die EUropäisierung des polnischen Projekts

weist auf die Dynamik der räumlich gefassten Hierarchien in den polnischen Diskussionen, die erheblich durch den jeweiligen historisch konkreten geopolitischen und territorialen Kontext bestimmt wurden. Das Spezifische der polnischen Zivilisierungsmission lässt sich in der Zusammenschau dieser verschiedenen Deutungen folgendermaßen rekapitulieren: Sie wurde als »un-imperial« entworfen und sie war an einen besonderen Raum – das jagiellonische Ostmitteleuropa – sowie an einen konkreten Ort – die »kresy« – gebunden. Die Auseinandersetzungen über diese Art der Raumgestaltung und Positionierung Polens im Osten und an seiner Grenze war nicht nur eine Funktion und Folge der Suche nach Polens Platz in einer europäische Ordnung, sondern die hier entwickelten Deutungen waren gleichzeitig ein wichtiges Instrument bei der Bestimmung der polnischen Rolle in einem erweiterten EUropa.

3.4 Die EUropäisierung des polnischen Projekts 3.4.1 Neue Raumdeutungen im Erweiterungsprozess Sowohl der Blick nach Osten als auch die Verortung in Ostmitteleuropa blieben für die Bestimmung polnischer Handlungsräume und den Entwurf eines gemeinsamen europäischen Raumes samt seiner Grenzen, innerhalb dessen sich polnische Akteure in der Außen- und Europapolitik verorteten, auch nach dem Ende des Kalten Krieges und – erst recht – nach dem Beitritt zur Europäischen Union zentral. Vor dem Hintergrund der im ersten Teil des Kapitels rekonstruierten historischen Deutungen dieser Ost-West-Achse ist sowohl die Persistenz ostpolitischer Semantiken als auch deren flexible Einpassung in einen durch die EU-Erweiterung in Bewegung geratenen europäischen Raum frappierend. Die ostpolitische Handlungskompetenz geriet den an der polnischen Außenpolitik Beteiligten – Präsidenten, Premierministern, Außenministern gemeinsam mit ihren Beratern und Kommentatoren – zum verlässlichen Prüfstein ihrer europapolitischen Kompetenz und ihres Vermögens, auf die Gestaltung der politisch-räumlichen Ordnung des Kontinents Einfluss zu nehmen. Weder der Austausch im Regierungslager zwischen Links- und Mitte-Rechtsgliedschaft 1997 war. Hier musste es also darum gehen, jegliche Grenzlandvorstellungen zu entkräften und vielmehr die organische Gemeinschaft Polens mit Europa zu betonen. Kieniewicz, Polska-Ukraina.

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bündnissen, noch die rechtspopulistische Radikalisierung nach 2005105 – mit einsetzender Mäßigung unter Tusk seit 2007 – haben diesen außenpolitischen Konsens gefährdet. Er wurde seit den frühen neunziger Jahren auch von den vier Präsidenten – Lech Wałęsa, Aleksander Kwaśniewski, Lech Kaczyński und Bronisław Komorowski – und nicht weniger als elf Außenministern über mehr als zwanzig Jahre hinweg in der Grundausrichtung nicht in Frage gestellt.106 In der prinzipiellen Ausrichtung trifft diese Diagnose einer ungebrochenen Kontinuität auch für das zentrale Ziel der polnischen Außenpolitik nach 1989/90 zu: die »Rückkehr nach Europa«, die Integration in die transatlantischen Strukturen des »Westens«, übersetzt in den Beitritt zu NATO und EU. Allerdings erwies sich dies als bedeutend anfälliger für innen- und außenpolitische Krisen – hier mag der Verweis auf das relativ hohe Maß an Euroskepsis unter den polnischen politischen Eliten107 als auch auf die spürbaren Erschütterungen durch den Regierungswechsel zu den Kaczyński-Brüdern genügen. Auch im Verlauf der Beitrittsverhandlungen und vor allem bei den Verhandlungen zum Vertrag von Nizza und später des Vertrags von Lissabon kurz vor und kurz nach dem Beitritt erwies sich der Weg in den »Westen« als mit Stolpersteinen gepflastert – oder wie es verschiedene westliche Beobachter formulierten: Polen galt schnell als »new awkard partner«,108 als ein »chronische[r] Querulant […] und auf Eigeninteressen fixierte[r] Partikularist […]«.109 Auch das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen, obgleich von Beobachtern wie Beteiligten unermüdlich als Erfolgsgeschichte erzählt und als unverzichtbarer Motor für die Einigung des neuen Europa gepriesen,110 unterlag erheblichen Schwankungen und reagierte auf Störungen und Rückschritte bedeutend sensibler. Die Amtszeit des Kaczyński-Tandems führte dabei zu erheblichen Irritationen. 105 Nach einer Zentrumskoalition unter Olszewski regierte zwischen 1993 bis 1997 ein Linksbündnis unter mehreren Ministerpräsidenten, das zwischen 1997 und 2001 von einer Mitte-Rechts-Koalition unter Jerzy Buzek abgelöst wurde, von 2001 bis 2005 jedoch nochmals mit Miller und Belka an die Regierung gelangte, bevor erst unter Marcinkiewicz, dann unter Jarosław Kaczyński von 2005 bis 2007 ein rechtspopulistisches Bündnis die Geschäfte übernahm, das wiederum 2007 von einer bürgerlichen Regierung unter Donald Tusk abgelöst wurde. 106 So u. a. auch Lang. 107 Vgl. Polen-Analysen, Nr. 90, 17. 5. 2011, S. 8 ff. Der Abwärtstrend in den Umfragen setzte bereits 1996 ein und erreichte seinen Tiefpunkt 2001 (etwas mehr als 50 % Befürworter) und stieg auf den Stand von 1996 (80 % Befürworter) erst wieder 2006. So auch: MD 5/2005a. 108 Grabbe, Poland. 109 Lang, S. 82. 110 Vgl. u. a. PR 7 (121) 2001, S. 92; PR 5 (131) 2002, S. 127; PR 2 (140) 2003, S. 93; PR 2 (152) 2004, S. 109; MD 2/2005.

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Von alledem blieb die grundsätzliche ostpolitische Ausrichtung, die Prominenz eines polnischen Selbstverständnisses als Anwalt der neuen östlichen Nachbarn der EU, insbesondere der Ukraine, scheinbar unberührt. Während innenpolitisch die von der erstarkenden Rechten in Gang gesetzte Diskussion um die Errichtung einer »Vierten polnischen Republik« – die die angeblich völlig korrumpierte, 1989 begründete Dritte Republik ablösen sollte – längst als Krisenzeichen gedeutet werden musste, konnte sich der polnische Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski als Vermittler in der ukrainischen sogenannten »Orangenen Revolution« engagieren und dort polnische Erfahrungen beim Aufbau der Demokratie und beim »Ruf nach Freiheit«111 als Hilfestellung anbieten: »I am glad that we managed to use some of the Polish experience to help solve the political crisis in Ukraine.«112 Und er vergaß ebenso wenig wie Ministerpräsident Belka, den polnischen Beitrag bei der Lösung der Krise zu betonen, dies vor allem an die Adresse der EU gerichtet: Had it not been for the enlargement, had Poland would not become [sic!] the EU member, had Poland not turned bilateral relations between Warsaw and Kiev into a multilateral mediation with the participation of the European Union the likelihood of bloodshed in Kiev with all consequences for Europe would be greater.113 Bei einem genaueren Blick auf die polnischen Entwürfe des europäischen Raumes wird deutlich: Die Bestimmung und Stabilisierung der polnischen geopolitischen und geomentalen Position in Europa und der Welt wurde nur im Bezug und im Ausgriff auf den Raum östlich der nationalen Grenzen als auch östlich der 2004 bzw. 2007 vorläufig festgesetzten EU-Grenzen möglich. Und damit war der Anspruch verbunden, die territoriale (Neu)Ordnung dieses Raumes – in Gang gesetzt vor allem durch das Schengen-Grenzregime und die EU-Nachbarschaftspolitik – mitzugestalten. Die östliche Nachbarschaft Polens und nach der Erweiterung damit auch der EU schien jener Raum zu sein, der für Polen als Ressource für die Kompensation von Marginalitätsbefürchtungen zur Verfügung stand. Polnische außenpolitische Akteure haben auf diesem Spielfeld jenes Selbstbewusstsein gewonnen, das ihnen eine neue Deutung der Zugehö-

111 MD 6/2005a. 112 MD 04/2005. 113 MD 5/2005a.

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rigkeit zu und Gestaltung von zunächst als überlegen wahrgenommen Räumen ermöglicht, nämlich »des Westens« oder »Europas«. Im Folgenden werden zunächst Deutungen und Argumentationen untersucht, die die Verortung Polens in seiner Nachbarschaft im weiteren Sinne – in und gegenüber der EU, in Ostmitteleuropa und im Verhältnis zur östlichen Nachbarschaft – vor dem Hintergrund des Beitrittsprozesses seit Mitte der neunziger Jahre bis 2009 in einen Zusammenhang stellten. Dabei steht die Auseinandersetzung mit wahrgenommenen und behaupteten Hierarchien zwischen verschiedenen politisch-kulturellen Räumen wie zwischen »Westeuropa«/EU und den Beitrittsstaaten/Polen im Mittelpunkt. Im folgenden Abschnitt rücken die Versuche der Einschreibung polnischer ostpolitischer Konzepte in EU-politische Kontexte seit Anfang der neunziger Jahre in den Vordergrund. Grundlage der Untersuchung waren vor allem polnische außenpolitische Quellen seit Anfang der neunziger Jahre bis 2009, insbesondere Reden, Erklärungen, Verträge und Einlassungen von Staatspräsidenten, Ministerpräsidenten, Außenministern und einzelnen Vertretern des Parlaments. Diese wurden vor allem in den monatlich erscheinenden Sammlungen der Regierung (Przegtąd Rzdąowy, PR) sowie des Außenministeriums (Materiały i Dokumenty, MD), sowie dem Zbiór Dokumentów (ZD) eruiert, sie sind teilweise in englischer Übersetzung erschienen.114 Die Urheber der hier untersuchten Deutungen und Entwürfe eines polnischen und europäischen Handlungsraum über die Ostgrenze Polens und später auch der Europäischen Union hinweg sind vor allem jene Akteure, die einen »nationalen« Blick auf die Veränderungen des Raumes werfen.

Modernisierung und Schließung der »zivilisatorischen Lücke« Die Feststellung eines Nachholbedarfs, eines Entwicklungsrückstandes, gar einer »civilizational gap with Western Europe«,115 die durch umfassende Modernisierungsbemühungen geschlossen werde müsse, war ein Grundthema der polnischen EU- und Außenpolitik seit der politischen Wende 1989/90, das allerdings einige Variationen erfuhr. Die Rede vom Entwicklungsgefälle und die Suche nach dessen Ausgleich war gewissermaßen das Scharnier, mit dem zwei 114 Diese englischen Fassungen sind aus den Originalen zitiert, einschließlich der etwaigen grammatischen oder lexikalischen Unsauberheiten. 115 MD 5/2008.

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Die EUropäisierung des polnischen Projekts

politische und kulturelle Räume miteinander verbunden wurden: der »Westen« einerseits, Polen und »Ostmitteleuropa«, d. h. die Kandidatenländer, andererseits. In den Variationen dieser Semantik wurde die Hierarchie zwischen diesen Teilräumen konkretisiert. Gelingt der »zivilisatorische Sprung«,116 verschwindet die Unterscheidung zwischen diesen Einheiten, entsteht ein gemeinsamer Raum. Modernisierungsprozesse117 wurden hier im doppelten Sinne verräumlicht. Zum einen wurden spezifische Modernisierungsgrade verschiedenen Räumen zugeschrieben, wobei auch aus polnischer Perspektive von einem West-Ost-Gefälle ausgegangen wurde. Zum anderen wurden Modernisierungsfortschritte als in der politischen und wirtschaftlichen Struktur des Raumes ablesbar beschrieben: angefangen von der Modernisierung der Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur, über die Reform der territorialen und administrativen Gliederung des Staatsgebiets in Anpassung an EU-Vorgaben bis hin zur Verbesserung der Grenzbefestigung und Grenzkontrollmechanismen, insbesondere an der neuen EU-Außengrenze.118 Diese Verräumlichung des Modernisierungsdenkens war dabei keine Neuerfindung im Rahmen des EU-Erweiterungsprozesses, sondern kennzeichnete spätestens seit dem 19. Jahrhundert westliche Versuche, globale Entwicklungsprozesse und das Wissen darüber – auch räumlich – zu ordnen.119 Spätestens seit Polens Bewerbung als Kandidat für die Aufnahme in die Europäische Union im April 1994 wurde die Sprache, mit der polnische Akteure den wahrgenommen Nachholbedarf und die zu dessen Bewältigung geeignet erscheinenden Strategien beschrieben, in die EU-Konditionalität entlang der 1993 auf dem Kopenhagener EU-Gipfel formulierten Beitrittskriterien übersetzt. Wie schwierig der Spagat zwischen der Selbst-Ausgrenzung aus »Europa« 116 Wörtlich: »civilisational leap«, u. a. MD 11/2005b; so auch MD 5/2008. 117 Der Modernisierungsbegriff wird hier im Sinn der Quellen verwandt. Die polnischen Sprecher verstanden hierunter die Umgestaltung der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen ihres Landes nach »westlichen« Standards, übersetzt in die EU-Beitrittskriterien bzw. in die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstands. 118 So lassen sich eine Vielzahl der Kapitel der Beitrittsverhandlungen auf die Umgestaltung der territorialen Ordnung in den einzelnen Beitrittsländern beziehen, insbesondere die Kapitel 1–4 (Freier Warenverkehr, Freizügigkeit, Freier Dienstleistungsverkehr, Freier Kapitalverkehr), Kapitel 19 (Telekommunikations- und Informationstechnologien), Kapitel 21 (Regionalpolitik und Koordinierung der strukturpolitischen Instrumente), Kapitel 24 (Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres), Kapitel 26 (Auswärtige Beziehungen), Kapitel 27 (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik). Vgl. die Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission zu den einzelnen Beitrittskandidaten seit 1998. 119 Vgl. zur Verräumlichung von Modernisierungsdenken u. a. Lewis u. Wigen; Grataloup, L’Invention; ders., Géohistoire; Blaut; zum West-Ost-Gefälle in Europa vgl. Wolff.

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durch das behauptete Modernisierungsdefizit einerseits und der Plausibilisierung eines Immer-Schon-Dazugehörens von Anfang an war, wurde bereits in der Nationalen Strategie für die Integration in die Europäische Union von 1997 deutlich: For over one thousand years Poland has belonged to Europe in the geopolitical, cultural and economic sense. Our country has shared its basic values, which we helped to create and defend. Therefore, NSI [National Strategy for Integration] is not a strategy for the return to Europe, but rather a strategy for integration with European structures.120 Diese Unterscheidung zwischen einer longue durée eines geopolitisch und kulturell bestimmten europäischen Raumes und seiner eher kurzfristigen Konkretisierung in politischen Strukturen der EU bildete die Grundlage für eine Argumentation, die die auf den ersten Blick paradox erscheinende Gleichzeitigkeit von Inklusion und Exklusion möglich machte. Damit wurde die Integration in den politisch-institutionell verankerten EUropäischen Raum gewissermaßen zu einer rein formalen Anerkennung einer historischen Tatsache, die grundsätzlich nicht in Frage zu stellen war. Diese doppelte Raumlogik nutzte nach dem Beitritt auch Adam D. Rotfeld, kurzzeitig Außenminister vor dem Regierungswechsel zur PiS-geführten Koalition – dieses Mal, um die Forderung nach der Erweiterung der EU um die Ukraine und die Türkei zu untermauern: The shaping of the EU identity requires a reference to criteria from Copenhagen as well as another reference to a more complicated issue of civilisational affiliation. The latter, in turn, is objectively created by the historic and cultural heritage as well as, subjectively, by the conscious choice of the affiliation which should be accompanied by the acceptance and the implementation of principles and models of the western world.121 Für ihn gab es einen Zivilisationsraum Europa und einen durch die Kopenhagener Kriterien näher bestimmten institutionellen EU-Raum, es gab eine »objektive« Zuordnung entlang historischer und kultureller Kriterien und eine »subjektive« Affiliierung, die an die Erfüllung spezifischer Kriterien gebunden war. 120 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18. 06. 1991, S. 7. 121 MD 6/2005b.

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Diese Logik ermöglichte es Polen von Anfang an, einerseits mit einem gewissen Selbstbewusstsein im Beitrittsprozess aufzutreten: als zukünftiges Mitglied der EU habe Polen die Pflicht und das Recht, seine eigenen Interessen zu vertreten.122 So wurde auch in der bereits zitierten Nationalen Integrationsstrategie argumentiert, dass Polen das Recht habe, sich an den europäischen Strukturen zu beteiligen und die Kosten dieser Integration zu tragen bereit sei.123 Zum anderen konnte es so die Hilfe der Europäischen Union bei der Bewältigung der anstehenden Modernisierungsaufgaben gleichzeitig einfordern und annehmen.124 Das zentrale Instrument der Europäischen Union, die Bewerber bei ihrer Vorbereitung auf den Beitritt zu unterstützen, war das 1989 begründete Programm PHARE, ursprünglich für Polen und Ungarn als Entwicklungshilfeprogramm zur wirtschaftlichen Umstrukturierung konzipiert und ab 1994 für weitere Beitrittskandidaten geöffnet. Dieses war ab 1997 gezielt auf die Heranführung der Bewerberländer an die EU ausgerichtet und förderte sowohl den politisch-institutionellen als auch den wirtschaftlichen und infrastrukturellen Umbau der jeweiligen Länder. 1999 wurde es um zwei weitere Heranführungsinstrumente, SAPARD125 und ISPA,126 ergänzt.127 Schwerpunkte der Förderung waren Infrastruktur- und Verwaltungsaufbau, wobei insbesondere die Mittel für die Bereiche Justiz und Inneres – was die Modernisierung und Anpassung der visa- und migrationsrechtlichen Regelungen sowie der Grenzinfrastruktur und -kontrolle einschloss – sowie für regionalpolitische Maßnahmen und 122 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18. 06. 1991, S. 9. 123 Ebd., S. 7–9. 124 So u. a. PR 5 (107) 2000, S. 58; MD 1/2005a. 125 Programm zur Unterstützung der landwirtschaftlichen und ländlichen Entwicklung. 126 Programm zur Unterstützung von Infrastrukturentwicklung im Bereich Umwelt und Verkehr. 127 Die über diese Programme zugewiesenen Mittel wuchsen im Zuge des Beitrittsprozesses erheblich. Polen erhielt von 1990 bis 1999 ca. 2 Mrd ECU aus PHARE-Mitteln, 1999 230,5 Mio € und zusätzlich 32 Mio € für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Deutschland, und jeweils 3 Mio. € für die grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik und im Rahmen der Ostseekooperation; im Jahr 2000 waren es 428 Mio € sowie zusätzlich 55 Mio. € für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Deutschland, Tschechien, der Slowakei und im Rahmen der Ostseekooperation; 2001 wurden 396 Mio € für Polen bewilligt und weitere 56 Mio € für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit; 2002 wurden 342,2 Mio € ausgegeben sowie zusätzliche 56 Mio. € für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Hinzu kamen von 2000 bis 2002 je 168,6 Mio. € aus SAPARD und zwischen 312 bis 385 Mio. € aus ISPA (vgl. die Regelmäßigen Berichte der Europäischen Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt 1999 bis 2002).

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soziale und wirtschaftliche Kohäsionspolitik besonders im Mittelpunkt standen.128 Damit hieß »Heranführung« an die EU in Vorbereitung des Beitritts die Einpassung des polnischen Staatsgebietes in die territorialen Strukturen der EU und zwar sowohl in Bezug auf die Angleichung des Grenzregimes als auch auf die innere territoriale, administrative und infrastrukturelle Gliederung und Organisation des Staatsgebietes.129 1999 und 2000 war die EU-Kommission noch zu einer verhaltenen Einschätzung der Fortschritte Polens auf diesen Gebieten gekommen und hatte sowohl intensivere Anstrengungen zur Anpassung beim Grenzschutz als auch ein Vorantreiben der Reform der Regionalpolitik angemahnt. In Reaktion darauf hatte die Abteilung für Europäische Integration und Zusammenarbeit beim Außenministerium die am 6. März von der Regierung 2000 verabschiedete »Integrierte Strategie zum Grenzschutz« erarbeitet,130 der im Juni 2001 der gemeinsam vom Außen- und vom Innenministerium angefertigte Umsetzungsbericht folgte.131 Ebenso wurde der erste umfassende nationale regionalpolitische Entwicklungsplan im Dezember 2000 verabschiedet,132 auch um den Mittelabfluss aus den EU-Hilfsprogrammen vor dem Beitritt und insbesondere den Zugang zu regionalen Förderprogrammen der EU nach dem Beitritt sicherzustellen,133 nachdem 1998 die PHARE-Mittel an Polen um 34 Mio ECU gekürzt worden waren, weil keine ausreichend passfähigen und vorbereiteten Projekte vorgelegen hatten.134 Dieser umfassenden regionalpolitischen Entwicklungsstrategie war der Umbau der territorialen und administrativen Binnengliederung des polnischen Territoriums vorangegangen, bei dem 1999 die ehemals 49 Woiwodschaften durch 16 ersetzt wurden. Darüber hinaus schuf

128 Justiz/Inneres: 1999 17,5 Mio€, 2000 89 Mio €, 2001 50 Mio €, 2002 65 Mio €. Regionalpolitik/wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt: 1999 12,5Mio €, 2000 130 Mio €, 2001 170 Mio €, 2002 170 Mio €. Vgl. Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission Polen 1999 bis 2002. 129 Auf diesen Aspekt der politisch-räumlichen Neuordnung von gesellschaftlichen Bezügen ist insbesondere mit Blick auf die Geschichte der französischen Departements im Umfeld der Französischen Revolution verwiesen worden. Vgl. Nordman; zur Problematik des »social engineering« in modernen Gesellschaften und deren Folgen auch für die Ordnung des politischen Raums – mit Betonung auf dem Scheitern dieser Strategien sehr anregend: Scott, Seeing; vgl. auch van Laak, Weiße Elefanten. 130 PR 7 (109) 2000. 131 Realizacja Strategii zintegrowanego zarządzania granicą w 2000. 132 PR 2 (116) 2001. 133 Ebd., S. 74. 134 KOM (1998) 701 final, S. 8.

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die Einführung einer Kreisebene die Voraussetzungen für eine weitere Dezentralisierung der Regionalpolitik in Polen.135 Modernisierung im Sinne der Kopenhagener Kriterien, die Einpassung in das EU-Gemeinschaftsrecht und das Aufholen von Entwicklungsunterschieden im Vorfeld des Beitritts bedeutete also zu einem hohem Maße die Überformung des nationalen Territoriums im Inneren wie auch die Einführung eines neuen Grenzregimes. Beides übersetzte sich in eine Neuordnung des politischen Raumes. Dabei stellte sich die Reihenfolge der territorialen Reorganisation anders dar, als dies für die Entstehung und Konsolidierung des nationalstaatlichen Territorialisierungsmusters u. a. von Charles Maier beschrieben worden ist:136 Im 19. Jahrhundert folgte die interne Erschließung und Homogenisierung des nationalen Entscheidungs- und Identitätsraumes der äußeren Abschließung durch konsolidierte Grenzregimes oder fand parallel statt. Die Prozesse, die Maier als Dimensionen der Vernationalstaatlichung moderner Territorien beschreibt, bezogen sich auf ein bereits mehr oder weniger abgegrenztes Staatsgebiet, das in diesem Zuge zum Gegenstand von Modernisierungsvorhaben wurde. Im Falle der EUErweiterung ist die Reihenfolge umgekehrt: Bevor sich die Grenze nach Osten verschob, die östlichen Außengrenzen der Beitrittskandidaten zur neuen östlichen Außengrenze der Europäischen Union werden konnte, musste zunächst die territoriale Binnenlogik der Kandidatenländer jener der EU angepasst werden und auch dann erfolgte die Integration vermittelt durch die gemeinsame Abschließung in einer neuen Außengrenze nur schrittweise: Erst mit dem Beitritt zum Schengenraum Ende 2007, also dreieinhalb Jahre nach dem EU-Beitritt konnte die Erweiterung in diesem Sinne als abgeschlossen gelten. Obwohl die EU anfangs die Fortschritte Polens bei der Vorbereitung des Beitritts zurückhaltend bewertete, bezeugten die Berichte Polens an die Europäische Kommission einen ungebrochenen Optimismus. Im ersten Bericht von 1998 wurde argumentiert, dass die Voraussetzungen für einen Beitritt zur EU bereits 1989, also mit der politischen Wende und dem Ende der volkspolnischen Demokratie geschaffen worden waren.137 Dies folgte ebenfalls der oben besprochenen doppelten Logik, zwischen langfristigen historischen Zugehörigkeiten und der EU-Konditionalität zu unterscheiden. Obwohl man sich vor große Anpassungsaufgaben gestellt sah, wies man auf umfassende Fortschritte hin.138 Als schwierigste Verhandlungskapitel hat135 Vgl. Rudnicki; Gorzelak u. Jałowiecki. 136 Maier, Consigning; ders., Transformations. 137 Vgl. KOM (1998) 701 final. 138 Ebd.

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ten sich von Seiten der EU die Landwirtschaftspolitik und Teile der Industriepolitik erwiesen,139 aus polnischer Sicht ließen sich als Hauptkonfliktfelder benennen:140 erstens die Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Agrarpolitik und der Mittelabfluss aus den Kohäsionsfonds, zweitens der Streit um Rechte von Ausländern zum Erwerb polnischer Immobilien und drittens die Durchsetzung von Visaregelungen mit den östlichen Nachbarn, insbesondere mit der Ukraine und Weißrussland. Im Fall der Arbeitnehmerfreizügigkeit hatte man sich auf Übergangsregelungen geeinigt, die vor allem den Bedenken deutscher Vertreter vor einer »Überflutung« des deutschen Arbeitsmarkts mit polnischen Billigarbeitnehmern Rechnung zu tragen versuchten. Auch für die Landerwerbsfrage wurden Übergangsregelungen gefunden, die dieses Mal auf die Sorgen polnischer Politiker reagierten, dass eine Freigabe dieses Marktes zum ungebremsten Rückkauf polnischer Immobilien durch deutsche Vertriebene führen könnte. Für die Übernahme des EU-Grenzregimes blieb den Polen über eine Verzögerungstaktik hinaus zunächst nicht viel Spielraum, sollte der Beitrittstermin nicht tatsächlich noch gefährdet werden. Die EU-Vorgaben für die Visaregelungen mit der Ukraine wurden erst 2003, sechs Monate vor dem eigentlichen Beitritt umgesetzt. Ursprünglich war die Einführung bereits für Ende 2002 vorgesehen gewesen, dieses Vorhaben wurde aber im Februar 2001 revidiert und das Datum auf den spätestmöglichen Termin nach hinten verschoben. Im Versuch, diesen Konflikt zwischen den eigenen außenpolitischen Interessen und den EU-Vorgaben zu lösen, wich Polen auf technokratische Maßnahmen aus: Es richtete neue Konsulate ein, stockte das Personal um ein Vielfaches auf, vereinfachte die formalen Prozeduren, senkte die Kosten für Visa dramatisch und führte eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen ein, die fast das gesamte (legale) Spektrum des Grenzverkehrs abdeckten.141 Der Rückzug auf technokratische und administrative Maßnahmen verschaffte einerseits eine gewisse Entspannung für den befürchteten Zusammenbruch des Grenzverkehrs und war andererseits passfähig für die innerhalb technokratischer Kategorien agierende Europäische Verwaltung, die einen politisierenden Diskurs bei der Lösung solcher Probleme zu vermeiden suchte. Der Abschluss der Beitrittsverhandlungen markierte aus polnischer Perspektive »das Symbol der Rückkehr Polens zu seinen europäischen Wurzeln 139 Vgl.ebd.; KOM (1999) 509 endg.; KOM (2000) 709 endg.; KOM (2001) 700 endg.; KOM (2002) 700 endg.; KOM (2003) 675 endg. 140 Vgl. dazu auch Miller: So war das; Kalka; Weinzierl u. Uhl. 141 Vgl. Kazmierkiewicz, The Visegrad Countries; Diese Regelungen wurden allerdings noch einmal auf den Prüfstand gestellt, als Polen Vollmitglied des Schengen-Raumes wurde.

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und der Einnahme des ihm angemessenen Platzes unter den Völkern Europas.«142 Trotz der Vorbehalte einiger Mitgliedsländer, trotz der besonderen Schwierigkeit, dass gleichzeitig mit zwölf Beitrittskandidaten Verhandlungen geführt worden waren, sei es Polen gelungen, optimale Bedingungen für den Beitritt auszuhandeln und sich dabei am vorteilhaftesten unter allen Kandidaten zu positionieren.143 Tatsächlich hatten die polnischen Verhandlungsführer durchgesetzt, dass aus den Mitteln der EU-Strukturfonds fast die Hälfte der insgesamt für die zehn neuen Mitglieder vorgesehenen Ressourcen nach Polen gehen würde.144 Doch nicht nur dies bestärkte die polnische Deutung, einen besonderen Platz in der erweiterten Union einnehmen zu können, dieser beruhte in dieser Perspektive vielmehr auf Polens besonderer Funktion beim Schutz der neuen EU-Außengrenze als auch auf seiner ostpolitischen Expertise. Als größtes unter den neuen Mitgliedern werde Polen einen bedeutenden Teil der Verantwortung für die neue Außengrenze tragen, auch deshalb sei es verständlich, dass die alten Mitgliedsstaaten hier besonders genau geprüft hätten.145 Gleichzeitig bedeute die Einpassung in das neue EU-Grenzregime den Zugewinn an Freizügigkeit und Teilhabe am EUropäischen Raum für die polnischen Staatsbürger, als auch den Schutz des polnischen Territoriums vor Gefahren von außen.146 Diese Gefahren wurden jedoch nicht in der unmittelbaren östlichen Nachbarschaft verortet – vielmehr müsse die Durchlässigkeit gerade der Grenze zur Ukraine erhalten bleiben – sondern wurden in einem mehr oder weniger unbestimmten Raum weiter östlich oder südlich gesucht. Insbesondere in der »nahen Nachbarschaft«147 sehe Polen seine besonderen Interessen und werde sich weiterhin aktiv in die Gestaltung der Beziehungen zu diesem Raum beteiligen. Diese Formulierung erinnert an die Bezeichnung, die in der russischen Außenpolitik für die ehemaligen Sowjetrepubliken verwendet wird, um die spezifischen historischen politischen und kulturellen Verbindungen zu diesem Raum zu beschreiben und eine von polnischer Seite als neoimperial kritisierte Integrationspolitik zu begründen.148 142 »[…] symbolem powrotu Polski do europejskich korzeni oraz zajęcia należnego jej miejsca wśród narodów Europy« (PR 1 (139) 2003, S. 97). 143 PR 1 (139) 2003, S. 98, S. 106. 144 Ebd., S. 124. 145 Ebd., S. 129. 146 Ebd. 147 »bliskiego sąsiedztwa«, ebd., S. 133. 148 Aleksandrova; zur polnischen Kritik: »We can see [in Bezug auf Russland] attempts at seeking legal justification for exercised power coupled with anti-west rhetoric as well as the justification for the return to the idea of the zones of influence and domination (the so

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Beitritt und neue Handlungsräume Mit dem Beitritt des Landes schienen zunächst die formalen Voraussetzungen dafür erfüllt zu sein, dass Polen sich nun in den politisch-institutionell begründeten EU-Raum, zu dem die Zugehörigkeit historisch langfristig begründet wurde, unbestritten einordnen konnte. Den ersten Schritt dieser formalen Anerkennung mit historisch-kultureller Bedeutung hatte bereits der NATOBeitritt 1999 markiert: »Wir haben den politischen Rubikon überschritten.«149 Mit dem Beitritt zur EU gemeinsam mit den anderen Bewerberstaaten aus Ostmitteleuropa sei die Teilung Europas, die sowohl die Chiffre »Jalta«150 als auch die Chiffre »Molotov-Ribbentrop-Pakt«151 erhielt, aufgehoben. Aus polnischer Sicht wurde also weniger eine Grenze verschoben – wie es sich aus Sicht der Union darstellte – vielmehr verschwand eine unnatürliche Teilung, denn Polen sei schon immer ein europäisches Land gewesen,152 habe bedeutende Beträge für den Aufbau der europäischen Zivilisation geleistet153 und sei nur aufgrund äußerer Zwänge – durch den Expansionswillen zweier expansiver, aggressiver Mächte, also erst Hitler-Deutschlands und dann der stalinistischen Sowjetunion – von seiner frühzeitigen Teilhabe am europäischen Integrationsprojekt ausgeschlossen worden.154 Dieses Argumentationsmuster wurde bereits vor dem Beitritt eingesetzt. Unmittelbar danach wurden an die neue politische Karte Europas schnell hohe Erwartungen geknüpft: Von dieser Position aus könne Polen nicht nur innen-, sondern vor allem außenpolitisch erhebliche Ressourcen erschließen. Die Zugehörigkeit zu dem als zivilisatorisch höherwertig verstandenem EU-Raum155 eröffnete Polen damit neue Handlungsmöglichkeiten bei der Gestaltung seiner Nachbarschaft sowie seiner Position in globalen Bezügen. So erklärte Außenminister Bronisław Geremek 2003 vor dem Sejm: called multi-polar world). An outstanding Russian scholar has recently evaluated main factors behind Russia’s abortive policy in the following way: ›One cannot re-organize the society endlessly on grounds of contradictory guidelines: liberalism and traditionalism, the ambition of being a great power and taking over the leadership, paternalism and lack of sensitivity to social issues.‹« (MD 6/2005b); sowie »There should be resignation from treating Poland as a zone of influence.« (MD 9/2008). 149 »[…] przekroczyliśmy politiyczny Rubikon«, PR 5 (107) 2000, S. 58. 150 PR 1 (139) 2003, S. 97. 151 PR 2 (140) 2003, S. 92. 152 PR 12 (138) 2002, S. 97 f. 153 Den Papst Johannes Paul II. zitierend Donald Tusk: MD 04/2008. 154 MD 2/2006; MD 3/2006. 155 »Wejście do Unii Europejskiej wprowadzi nas integralnie do strefy postępu cywilizacyjnego, dobrobytu, bezpieczeństwa.« PR 2 (140) 2003, S. 98.

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»Unsere Mitgliedschaft möchten wir dafür nutzen, für die gesamte Region Entwicklungsimpulse zu setzen.«156 Diese neuen Gestaltungsmöglichkeiten blieben aber nicht nur auf die regionale Ebene beschränkt, sondern ließen sich auch in eine effektivere Positionierung in globalen Arenen übersetzen. Geremek führte an selber Stelle weiter aus: Die Geschichte unseres Landes, das niemals eine koloniale Metropole gewesen war, sondern vielmehr über Jahrhunderte hinweg der Herrschaft fremder Mächte ausgesetzt war, und auch unsere Tradition der Anerkennung der Toleranz und der Wertschätzung gegenüber anderen Kulturen und Konfessionen, prädestiniert Polen dafür, eine konstruktive Rollen in den Nord-Süd-Beziehungen zu spielen. Wie sprechen uns für einen Dialog der Zivilisationen aus. Wir werden unseren Beitrag für die Aufgaben der Entwicklungshilfe leisten, dafür sorgend, dass diese der Modernisierung in jenen Ländern zugute kommt, die diese benötigen, sowie ihrer Demokratisierung und der Förderung einer guten Regierungsführung.157 Diese Art der Deutung enthält zentrale Elemente der im ersten Teil des Kapitels rekonstruierten und hier als »Zivilisierungsmission à la polonaise« bezeichneten Argumentation: Die polnische Geschichte wurde als nicht-imperial gedeutet, gleichzeitig wurde auf die Vorbildhaftigkeit der hier nicht näher bezeichneten Gemeinschaft verschiedener Nationalitäten und Konfessionen im polnisch-litauischen Doppelstaat verwiesen. Darauf gründete sich wiederum eine spezifische Disposition zur Verbreitung westlicher Normen und Werte – hier übersetzt in die Sprache der Entwicklungshilfe, die die Transformation zu Demokratie und Rechtsstaat befördern sollte. Neu war allerdings, dass Polen dabei nicht nur im Kontext seiner östlichen Nachbarschaft gesehen wurde, sondern sich die räumlichen Bezüge des Modernisierungsprojekts, an dem es sich zu beteiligen anschickte, nun auch außereuropäische Zielgebiete umfassten. Dieses Engagement in der außereuropäischen Entwicklungshilfe gewann für die polnische 156 »Nasze członkostwo pragniemy wykorzystać do nadania impulsu rozwojowi w całym regionie« PR 1 (139) 2003, S. 50. 157 »Historia naszego kraju, który nigdy nie był kolonialną metropolią, przez stulecia zaś podlegał obcej dominacji, a także nasze tradycje, nakazujące tolerancję i szacunek wobec innych kultur i wyznań, predestynują Polskę do ogrywania konstruktywnej roli w kontaktach na linii Północ-Południe. Opowiadamy się za dialogiem cywilizacji. Będziemy wnosić swój wkład do działań pomocowych, dbając o to, aby służyły one przemianom modernizacyjnym w krajach potrzebujących tej pomocy, ich demokratyzacji i dobremu rządu.«, ebd., S. 99.

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Außenpolitik zunehmend an Bedeutung. Obwohl Polen noch von erheblichen Zuschüssen aus den EU-Fonds profitierte, skizzierte Außenminister Radosław Sikorski 2009 folgende Haltung: One of the most important tools for eliminating differences and mitigating conflicts worldwide is the development aid. The ability to provide such aid will confirm the improving status of Poland as a country that does not require development assistance anymore but is eager to render it to others. The desire to share our experiences of successful democratic and free-market transformation with other countries constitutes a constant identifier of Polish foreign policy and the essential component of »Polish brand«.158 Der polnische Anspruch auf die Mitgestaltung der Entwicklung außerhalb Europas, sei es in der unmittelbaren Nachbarschaft, sei es im globalen Süden, wurde spätestens seit dem erfolgreichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen nicht nur unter Berufung auf das Modell des polnisch-litauischen Doppelstaates entworfen, sondern auch unter Verweis auf die Erfahrungen eines als universal wünschbar angesehenen Modells wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Transformation nach westlichem Muster. Die Auswahl, welches historische Modell zur Begründung des neuen Anspruchs eingesetzt wurde, hing davon, wer jeweils angesprochen war: Innerhalb Europas bzw. der Europäischen Union und vor allem gegenüber der östlichen Nachbarschaft war es vor allem das alteuropäische Vorbild des Jagiellonischen Reiches: Having done so, Poland, just as 600 years ago, has become the standard and model of transformation for our Eastern neighbors, in particular for the kindred nation of Ukraine. Then, in the Jagiellonian era, the Republic spread examples of noble liberty and tolerance, become the cohesive force that over subsequent centuries kept together the multiethnic mosaic of elites in our region. It is for this reason that we believe that the mandate of the Lublin Union will be fulfilled only when our Eastern European brothers find themselves within the European Union. This is not an old-new messianism, but a practical observation that strengthening liberty and democracy in our region also serves the interests of our Republic.159

158 MD 2/2009. 159 MD 5/2008.

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Richtete sich die Behauptung einer Modellfunktion an den globalen Süden, waren es eher die Erfahrungen in den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen nach 1989: »The motto for the anniversary of the 1989 breakthrough shall be: ›Freedom. Made in Poland‹.«160 Wie oben bereits argumentiert: Die Deutungsvarianten lassen sich im konkreten Kontext im Verlauf des Beitritts und der Osterweiterung ordnen, und sie wurden auch je nach Publikum und Äußerungskontext differenziert.

Ostmitteleuropa Innerhalb der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft war es wiederum nicht nur jene im Osten, jenseits der Grenzen der erweiterten Union, sondern auch der Entwurf einer ostmitteleuropäischen Erfolgsregion, der das polnische Selbstbewusstsein als (Mit)Gestalter der politischen Ordnung des Raumes stützte. Polen erschien hier nicht nur als Musterkandidat – am erfolgreichsten beim Ausbau der Handelsbeziehungen mit dem Westen,161 als Urheber oder mindestens Impulsgeber der demokratischen Umwälzungen nach 1989,162 am erfolgreichsten bei der Aushandlung der Beitrittsbedingungen163 oder als privilegiert innerhalb des transatlantischen Bündnisses.164 Hinzu kam eine – mehr oder weniger indirekt – behauptete Führungsrolle165 bei der Stabilisierung ostmitteleuropäischer Strukturen auch innerhalb eines erweiterten Europas: »Wir möchten, dass Ost- und Mitteleuropa seine Identität und seine Eigenständigkeit auch nach der Erweiterung der Union bewahrt.«166 Diese Region sei durch gemeinsame historische Erfahrungen, eine gemeinsame kulturelle Identität und ähnlich gelagerte politische Interessen gekennzeichnet.167 Ostmitteleuropa, so Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski 2004, sei jene Region, die immer 160 MD 2/2009. 161 Information for the European Commission’s Regular Report on the Progress towards accession to the European Union 1998–1999. 162 Polen »jako lidera przemian demokratycznych w Europie środkowej i Wschodniej oraz strategicznego partnera politycznego państw Zachodu« [»als Führer des demokratischen Wandels in Ost- und Mitteleuropa und als strategischer Partner des Westens«], PR 9 (123) 2001, S. 72; vgl. außerdem MD 12/2004; MD 06/2005b; MD 3/2006. 163 PR 1 (139) 2003, S. 106. 164 PR 5 (107) 2000, S. 62; PR 5 (131) 2002, S. 130; MD 01/2005c. 165 PR 5 (107) 2000, S. 58. 166 »Chcemy, aby region Europy Środkowej i Wschodniej zachował swoją tożsamość i podmiotowość po rozszerzeniu Unii«, PR 2 (140) 2003, S. 94; ähnlich PR 2 (152) 2004, S. 114. 167 PR 5 (131) 2002, S. 128; PR 2 (140) 2003, S. 92; MD 10/2005.

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schon als Brücke zwischen Ost und West fungiert habe und erst von imperialen Aggressoren, dann von totalitären Systemen unterdrückt worden sei.168 Nun übernehme es gewissermaßen die Funktion eines »eastern-most bulwark of  the European Union«.169 Aus seiner besonderen historischen Erfahrung als »meeting place of Western and Eastern civilizations«170 erwachse eine besondere Verantwortung der Region für die Gestaltung der Ostpolitik der erweiterten EU.171 Auch hier setzte sich ein Argumentationsmuster fort, das im ersten Teil des Kapitels für die tradierten Raumdeutungen der unmittelbaren Nachbarregion hervorgehoben wurde: Es war ein auf gemeinsame historische, kulturelle und politische Erfahrungen gegründeter Zwischen-Raum, der unter dem Druck der expansiven Imperialismen des westlichen und vor allem des östlichen Nachbarn172 zunächst zu zerfallen drohte, sich dann aber als Motor für die Neuordnung des Kontinents erwiesen hatte. Ostmitteleuropa war unbestritten eine Erfolgsregion.173 Im Unterschied zu den oben rekonstruierten historischen Interpretationen lässt sich in EU- und außenpolitischen Kontexten geäußerten Deutungen allerdings nicht jene enge Verbindung zu der Vorstellung eines »jagiellonischen Mitteleuropas« wiederfinden – dies fand jedoch seinen Platz in öffentlichen, zumeist von Historikern und Publizisten getragenen Diskussionen.174 Und auch die Andeutung, Polen könne eine besondere Rolle innerhalb dieser Region übernehmen, sich gar als regionale Führungsmacht etablieren, wird eher indirekt angedeutet oder gar zurückgewiesen: Poland is regarded by many countries to be a Central European leader. We have not imposed that role on anybody, we have worked it out for ourselves by developing regional policy, taking care for the best possible mutual con168 MD 12/2004a. 169 MD 10/2005. 170 Ebd. 171 Ebd. 172 »For the next 45 years these countries were placed under the imposed regime of violence and lawlessness, trampling on human dignity and total subordination to the rule of Stalin’s Soviet Union.« (MD 05/2005b); vgl. auch MD 3/2006. 173 MD 12/2004. 174 Vgl. u. a. die Diskussion im Tygodnik Powszechny (Sienkiewicz (Q), Pochwała minimalizmu; ders. (Q), Szkodliwe marzycielstwo; Maziarski (Q); Sienkiewicz (Q), Podejmijmy poważny spór; Berdychowska (Q), Giedroyc nadal aktualny; Miłosz (Q), Przeciw minimalizmowi; Olszański (Q), Po pierwsze: interes państwa; Pomianowski (Q), Wszystkie błędy zostały już popełnione) sowie bei der Stefan-Batory-Stiftung (Polska Polityka Wschodnia. Pełny zapis dyskusji zorganizowanej prez Fundację im. Stefana Batorego oraz redakcję »Tygodnika Powszechnego«).

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tacts, initiating joint undertakings. This is our important Polish contribution in stabilization and integration of the continent. And Poland should continue this style – active, open and future-oriented.175  Die Führungsrolle, so Kwaśniewski, wurde Polen also aufgrund seiner Verdienste von außen aufgedrängt. Er versicherte aber auch: Our partners could get convinced that Poland does not treat regional organizations as a base for its political ambitions on the European forum. We do not aspire to become a regional leader. We have set other goals: we want to use the prestige and position in the European and cross-Atlantic family to promote the interests of the region.176

Krise der EU und polnisches Selbstbewusstsein Es waren also zum einen die Erfolge bei der Modernisierung der Gesellschaft und des nationalen Raumes, aber auch der Ausgriff auf übernationale Bezüge wie Ostmitteleuropa, die östliche Nachbarschaft und vor allem die Zuordnung zum EU-Raum, aus der heraus eine national formulierte Sicherheit im Ungang mit der neuen Position im Raum formuliert werden konnte. Das setzte aber keineswegs erst nach dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen ein, sondern bereits etwas früher. Spätestens seit der Entscheidung des EU-Gipfels in Kopenhagen, alle zehn Bewerberstaaten, darunter eben auch Polen, 2004 in die EU aufzunehmen, entwickelten polnische EU- und Außenpolitiker eine selbstbewusste Rhetorik. So betonte der Außenminister Włodziemierz Cimoszewicz 2003: »Wir haben keinen Grund für Minderwertigkeitskomplexe.«177 Und kurz vor dem Beitritt 2004 ergänzte er, dass Polen in der erweiterten EU seine nationalen Interessen selbstbewusst einbringen werde, es sei sich dabei sowohl seiner Rechte als auch seiner Verantwortung bewusst. Es werde kein einfacher, aber ein aktiver und verantwortungsvoller Partner in der erweiterten Union sein: »Wir werden wir selbst sein.«178 Möglicherweise bedeutsamer als der EU-Beitritt bzw. die Finalisierung der Beitrittsverhandlungen für den Wandel dieser Interpretationsmuster war 175 MD 11/2005a. 176 MD 1/2005c. 177 »Nie mamy powodu do kompleksu niższości.« PR 2 (140) 2003, S. 90. 178 »Będziemy sobą«, PR 2 (152) 2004, S. 109.

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der Umstand, dass die Union selbst vor der Herausforderung stand, vor der Aufnahme neuer Mitglieder ihre eigenen institutionellen Mechanismen einer grundlegenden Reform zu unterziehen. Dies stand bereits seit den 1993 formulierten Kopenhagener Kriterien auf der Agenda: Auch die EU musste für eine Aufnahme neuer Länder bereit sein.179 Im 1997 verabschiedeten Vertrag von Amsterdam war eine umfassende institutionelle Reform gescheitert, sodass eine neue Verhandlungsrunde notwendig wurde, an der auch die Bewerberstaaten beteiligt wurden. Diese Anstrengungen mündeten in dem 2001 unterzeichneten und 2003 ratifizierten Vertrag von Nizza. Im Zentrum der Neuregelungen stand hier die Stimmenverteilung im Europäischen Rat und die Ausweitung des Abstimmungsverfahrens mit qualifizierten Mehrheiten, von denen einige Politikbereiche ausgenommen blieben.180 Außerdem wurde auch die Sitzverteilung im Europäischen Parlament den Bedingungen nach der Erweiterung angepasst und dessen Befugnisse ausgeweitet. Nach einem langwierigen Ratifikationsverfahren, das u. a. durch Irland verzögert wurde, welches erst im zweiten Anlauf in einem Referendum zustimmte, konnte der Vertrag rechtzeitig vor der Erweiterung in Kraft treten. Die besondere Konstellation, dass bei den Aushandlungen Noch-Nicht-Mitglieder wie Polen beteiligt worden waren, kann als eine Art »Initiationsritual« gedeutet werden im Übergang vom Bewerberstatus zum Mitgliedsland: »The Nice negotiations allowed current member states to overcome a very important mental hurdle. […] For the first time the Union moved beyond the division into current and future member states.«181 In seiner Analyse der polnischen Verhandlungsposition hat Rafał Trzaskowski den enormen Kompetenzgewinn durch die Teilnahme an den Nizza-Verhandlungen hervorgehoben.182 Die polnischen Verhandlungsführer waren gezwungen, kompetent und effektiv auf die jeweiligen Problemkomplexe zu reagieren, wollten sie ihre Position nachhaltig einbringen. Eine Reihe von Positionen zu den Fragen des Vertrages waren erst im Verlauf der Verhandlungen entwickelt worden. Eine zunächst defensive Position wandelte sich zu einer deutlich offensiveren. Polen konnte sich hier erstmals wirkungsvoll an der Ausge179 Die Kopenhagener Kriterien sind in den »Schlussfolgerungen des Vorsitzes« des Europäischen Rates vom 21./22. Juni 1993 konkretisiert. Dabei heißt es auch: »Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.« (Rat(1), S. 13). 180 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Asyl- und Einwanderungspolitik, Steuerpolitik. 181 Trzaskowski, S. 14. 182 Ebd., S. 3.

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staltung der EU und ihren Funktionsmechanismen beteiligen, diese Erfahrung spiegelte sich deutlich in den EU- und außenpolitischen Positionierungen der darauf folgenden Zeit. Bei der Frage der Neuverteilung der Stimmen im Europäischen Rat konnte sich Polen als großes EU-Land behaupten. Dies war eine entscheidende Erfolgserfahrung, die deutlich machte, dass effektives Regierungshandel zu klaren Ergebnissen führen konnte.183 Der neue Abstimmungsmechanismus spiegelte auch eine räumliche Struktur wieder: Groß bedeutete eben nicht nur »viele Einwohner«, sondern auch ein gewisses geopolitisches Gewicht im neuen EU-Raum. Einem weiteren Verhandlungsthema, nämlich der Diskussion um eine Flexibilisierung der EU-Integrationsmechanismen, standen die Polen zunächst skeptisch gegenüber, mussten sie sich doch darum sorgen, dass auf diese Weise innerhalb der erweiterten EU neue Trennlinien und Differenzierungen zwischen einem Kerneuropa und marginalisierten Räumen innerhalb der EU entstehen würden. Auch diese Position wandelte sich jedoch, nachdem Polen begonnen hatte, die Möglichkeit zu erwägen, selbst Teil einer künftigen EUAvantgarde zu werden.184 In der sich nach Nizza fortsetzenden Debatte um die politische Finalität der EU äußerten sich die polnischen Vertreter skeptisch gegenüber Ideen einer stärkeren Föderalisierung der Union oder gar der Schaffung eines europäischen Superstaates. Vielmehr wurde versucht, den funktionalen Charakter der EU zu stärken, auch weil dies mit Blick auf zukünftige Erweiterungen eine größere Flexibilität versprach. Hinzu kam eine gewisse Zurückhaltung gegenüber einem weiteren Transfer von nationalen Zuständigkeiten auf die supranationale Ebene.185 Schließlich unterstützte Polen die Anwendung der sogenannten Gemeinschaftsmethode,186 schien diese doch für ein Land wie Polen, das erst um Einfluss innerhalb der EU ringen musste, die beste Lebensversicherung gegen eine Majorisierung durch stärkere Mitglieder zu sein.187 Damit markierten die Verhandlungen zum Vertrag von Nizza den Beginn eines Prozesses, in dem polnische Außenpolitiker sich zunehmend als hand183 Ebd., S. 18. 184 Ebd., S. 19–21. 185 Ebd., S. 24. 186 Neben der intergouvernementalen Methode und der sogenannten offenen Koordination ist die Gemeinschaftsmethode das dritte wichtige Verfahren der Entscheidungsfindung in der EU. Hier spielen die supranationalen Institutionen, allen voran die Kommission, die Hauptrolle: Die Kommission besitzt das alleinige Initiativerecht, die Mitgliedsstaaten stimmen im Rat mit qualifizierter Mehrheit ab und das Parlament hat Miteintscheidungsrechte. 187 Ebd., S. 27.

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lungsmächtig verstanden. Polen konnte erstmals wirksam in die Aushandlung des politischen Raumes der EU sowie seiner internen Funktionsmechanismen und Binnendifferenzierungen eingreifen. Die Frage nach der Finalität des EU-Raumes sollte möglichst offen gehalten und auf funktionale Antworten beschränkt werden, um die neuen Außengrenzen der Erweiterung als vorläufige beschreiben zu können. Mit dem Abschluss des Vertrages war der interne Reformprozess der EU jedoch nicht abgeschlossen. In den Jahren 2002 und 2003 erarbeitete der 2001 einberufene Verfassungskonvent der EU – wiederum mit Beteiligung der Bewerberstaaten – einen Entwurf für einen EU-Verfassungsvertrag, der jedoch Mitte 2005 in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. Nach einer selbst verordneten »Reflexionsphase« wurde 2007 eine neue Regierungskonferenz ins Leben gerufen, die in einen sogenannten Reformvertrag, den 2009 nach einem dramatischen Ratifizierungsmarathon in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon, mündete. Damit befand sich die EU über fast zehn Jahre hinweg in einem Dauerzustand der Selbstanalyse und Binnenreform, ein Zustand, der von einer Vielzahl von Beobachtern als »Krise«188 bezeichnet wurde. An diesem Prozess waren auch die neuen Mitgliedsstaaten von Anfang an intensiv beteiligt. Auch in Polen nahm man diese Umbruchssituation deutlich wahr. Die Aufforderung zur Modernisierung, der sich das Land im Beitrittsprozess gegenüber sah, konnte nun auch an die EU selbst adressiert werden. Die Ebenbürtigkeit innerhalb des erweiterten Raumes wurde nun untermauert durch die Beobachtung paralleler, teilweise verflochtener Reform- und Anpassungsprozesse. So erläuterte Premier Belka 2005 im Sejm bei der Vorstellung des Nationalen Entwicklungsplans: I believe the best way in which we can catch up civilizationally is by using the synergy of three elements: first, Poles are probably the most seasoned of all in weathering change – certainly more that west European societies. Exhausted and frustrated, the Poles are nonetheless more ready for changes and reforms than the French, Germans, or any other stable democracy in Western Europe. Compared with west Europe we do everything at the speed of light. […] We do everything at a much faster pace that any country in Western Europe, and we call this our normal pace. We introduce changes at such a pace that that I expect our monthly agenda would effectively topple a couple of western governments. We change more in a month than they 188 Vgl. u. a. Verheugen, Europa in der Krise; von Danwitz; Weidenfeld u. Seeger.

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do in eight years! This of course, is necessary and no cause for exaggerated pride – but it does show our potential.189 Dies zeigt, dass zumindest ein Teil der Modernisierungsrhetorik, die eingangs als jener Mechanismus erläutert worden ist, mit dem die Hierarchien zwischen dem Binnenraum der EU und dem zu integrierenden Gebiet beschrieben und ausgehandelt wurden, nun für beide Teilräume gleichermaßen Anwendung fand. Damit minimierte sich der »zivilisatorische« Abstand zwischen den Räumen – was gleichzeitig genutzt werden konnte, um deutlicher gegenüber dem eigenen Osten als Impulsgeber aufzutreten. Diese Entwicklung war mithin keine Besonderheit aus der Amtszeit der PiS-geführten Koalitionsregierung, erst unter Kazimierz Marcinkiewicz, dann unter Jarosław Kaczyński. Es ließe sich hier eher von einer Radikalisierung der Rhetorik sprechen, als von einem überraschenden Bruch. Die Rede von einem »starken Polen in einer starken Union« hatte bereits Aleksander Kwaśniewski geführt,190 eine Formel, die das Zusammenspiel von nationalen und transnationalen Bezügen bündig auf den Punkt brachte. Dies übersetzte sein Amtsnachfolger Lech Kaczyński in eine tatsächlich weniger moderate Sprache: Poland did not defend its interests as vigorously as it should, that it did not create problems for other states. […] the sad syndrome of enslavement is still alive in Poland, national enslavement and social enslavement. This syndrome often breeds attitudes of seeking a protector and positioning oneself as a client. However, in politics clientism always ends in a fiasco.191 Donald Tusk, Nachfolger von Jarosław Kaczyński im Amt des Premierministers und Führer einer Mitte-Rechts-Koalition, schloss dann wieder an die Formel Kwaśniewskis an.192 Gleichwohl hatte die Kaczyński-Regierung die Tradition fortgesetzt, auf den Vorbild-Charakter der alten Rzeczpospolita zu verweisen und damit die zentrale Position Polens in der EU, insbesondere bei der zu entwerfenden EU-Ostpolitik zu begründen.193 Die Auseinandersetzungen um die Ablösung der Dritten polnischen Republik durch eine sogenannte »Vierte Republik«, die sich bereits einige Zeit vor 189 MD 1/2005b; ähnlich MD 5/2005a; MD 5/2005c. 190 MD 12/2004b. 191 MD 3/2007. 192 MD 4/2008. 193 MD 9/2006; MD 1/2007; MD 4/2007.

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der Amtsübernahme der neuen Regierung 2005 abzeichneten, wurden allerdings als möglicherweise kontraproduktiv für die Position Polens in der EU problematisiert. So warnte Staatspräsident Kwaśniewski im Dezember 2005 auf einer Veranstaltung der Stefan-Batory-Stiftung: When we speak about a concrete plan of building a new legal order in Poland, the radical critics of the Third PR make proposals which I deem terrifying. I said this in my national day address on Nov. 11. Where do these proposals lead to? To a de facto undermining of the fundamental systemic principles, to the questioning of civilized European standards.194 Wenn Polen weiterhin ernst genommen werden wolle, müsse es sich auch so verhalten. In der Abwehr der Forderungen des rechten Flügels, die polnische Republik auf eine völlig neue Grundlage zu stellen, verwies Kwaśniewski auf die bisherigen Erfolge Polens, und darauf, dass es international als bedeutsamer Partner angesehen werde. Polen müsse vor einem verschärften globalen Wettbewerb keine Sorge haben, es könne aber aus Erfahrungen in anderen Ländern lernen, um die gesellschaftliche Krise zu überwinden.195 Und auch Außenminister Rotfeld beschwor im Januar 2005 im Sejm die Konsolidierung Polens in der EU: It turned out that the European Union’s political cohesion did not suffer after the EU admitted Poland and nine other countries. Poland did not become – as we had been often blamed for – a Troya’s [sic!] horse, nor had the people take additional training on how to become good Europeans. Developments in Ukraine showed something to the contrary effect: that there are situations in which it is worth to listen to the voice of Poland with special attention as Polish actions build the prestige of the entire Europe.196 Premierminister Belka versuchte es mit der entlastenden Interpretation des wachsenden rechten Populismus in Polen als »Luxusproblem« und damit gewissermaßen mit der Umdeutung dieser Entwicklung als Zeichen weit fortgeschrittener Verwestlichung.197 Auch nach dem Beitritt und nach dem Amtsantritt der rechten Regie­ rungs­koalition im November 2005 wurde die Notwendigkeit weiterer Moder­ 194 MD 12/2004b. 195 Ebd. 196 MD 1/2005c. 197 MD 5/2005c.

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ni­sierungsbemühungen thematisiert – allerdings nun zusammen mit der Diagnose eines Modernisierungsbedarfs der EU selbst und mit dem Verweis auf die besondere Disposition Polens, solche Herausforderungen besser meistern zu können als die westeuropäischen Länder. Gleichzeitig wurde die Modernisierungsstrategie des Landes nun nicht mehr entlang der Beitrittskriterien entwickelt, sondern in der Sprache der sogenannten Lissabon-Agenda als Umbau der Gesellschaft hin zu einer Wissensgesellschaft.198 In der effektiven Nutzung von EU-Fonds und im Aushandeln bestmöglicher Bedingungen für die erste Mitgliedschaftsphase wurde die Stärke der polnischen Position gesehen, Polen habe in den Verhandlungen alles erreicht, was möglich war.199 Nachholbedarf wurde vor allem darin gesehen, dass die polnischen Akteure für eine erfolgreiche Arbeit in den EU-Institutionen sich bessere Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen mussten. Diese sollten genutzt werden, um die Position Polens in der EU zu stärken.200 Der Ruf nach einer »Professionalisierung« des außenpolitischen Personals lässt sich auch als Reaktion auf den Rückschritt in dieser Entwicklung durch die Kaczyński-Regierung verstehen.201 Was hier zu zeigen war: Die polnischen Entwürfe eines politischen Handlungsraums jenseits der nationalen Grenzen – in Europa, Ostmitteleuropa und dem östlichen Grenzland, den »kresy« – kann als erfolgreiches jeux d’echelles interpretiert werden, als »Kohärenzstiftungen […], die in bestimmten strategischen Absichten von Akteursgruppen betrieben und weitergeführt werden.«202 Die deutende Zuordnung zu übernationalen und regionalen Raumordnungen wurde von den polnischen EU- und außenpolitischen Akteuren als Potential genutzt, um die polnische Position im supranationalen Raum der EU zu stärken. Das Spiel mit den Raumbezügen entfaltete sich auch in der Grenzregion selbst, wie das anschließende Kapitel zeigen wird, ebenso, wie die EU bei der deutenden Ordnung ihrer Grenze und ihres Ergänzungsraumsdie Pluralität territorialer »scales« für sich zu ordnen und zu nutzen suchte. Im Prozess der Aneignung und Einpassung historischer Deutungsmuster in den neuen politischen Kontext wurde die polnische Mission im Osten übersetzt als Unterstützung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses insbesondere in der Ukraine, aber auch in Weißrussland. Der Pol198 MD 1/2005b; MD 3/2007. 199 MD 1/2007; MD 11/2007. 200 MD 5/2008; MD 2/2009. 201 Staniszkis; Lang; Świeboda. 202 Middell, Der Spatial Turn, S. 116.

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nisch-Litauische Doppelstaat galt hier immer noch – oder wieder – als Vorbild für die Organisation komplexer und verflochtener räumlicher Konstellationen. Die Behauptung einer besonderen Vorbildrolle Polens speiste sich aber auch aus den eigenen Transformationserfahrungen seit 1989 und der Selbstbeschreibung als Impulsgeber für die regional übergreifenden Umbrüche, die das Ende des Kalten Krieges einläuteten, sowie aus der Selbstwahrnehmung als besonders erfolgreich bei der Aushandlung der Beitrittsbedingungen. Darüber hinaus wandelten sich Modernisierungsvorstellungen, wobei nicht deren Inhalt, sondern deren Ausrichtung einen neuen Akzent erhielt. Dabei bezog sich die Modernisierungsforderung nicht nur auf die Binnenorganisation des nationalen Territoriums, sondern auf die Bestimmung von räumlichen Hierarchien zwischen West- oder EU-Europa und den Beitrittskandidaten. Nicht erst der Beitritt, sondern bereits die Verhandlungen zum Vertrag von Nizza markierten in dieser Beziehung einen Wendepunkt: Modernisierung wurde als übergreifende Aufgabe nicht nur für Polen, sondern auch für die EU selbst verstanden. Ein Entwicklungsgefälle, das aus polnischer Sicht nicht bestritten wurde, konnte somit nur noch eingeschränkt für die Behauptung des NochNicht-Dazugehörens oder der Noch-Nicht-Vollwertigkeit als Mitglied mobilisiert werden. Auch die Konzeption von Ostmitteleuropa galt als Ressource, einen spezifischen Beitrag Polens für die Gestaltung des europäischen Raumes zu begründen. In den politischen Äußerungen finden sich zwar weniger Hinweise auf ein »jagiellonisches Mitteleuropa«, jedoch wird deutlich, dass in diesem neuen Ostmitteleuropa der erfolgreichsten EU-Beitrittskandidaten Polen die Rolle eines regionalen Führers zugeschrieben wurde. Nicht zuletzt eröffneten sich mit dem Beitritt Polens zur EU neue Handlungsräume nicht nur in Europa, in Ostmitteleuropa und gegenüber den östlichen Nachbarn, sondern dies führte auch zu einer veränderten Positionsbestimmung in der Welt: Die polnische Expertise bei der Bewältigung von Systemumbrüchen und gesellschaftlichen Modernisierungsprojekten sollte nun weltweit, vor allem im globalen Süden eingesetzt werden.

3.4.2 Ein ambitioniertes Projekt: Polnische Ostpolitik in der EU Vor dem Hintergrund dieser Deutungen des europäischen und ostmitteleuropäischen Raumes waren es vor allem die polnische Ostpolitik und deren Integration in die außenpolitische Strategie der Europäischen Union, die die zentrale Richtung der polnischen Außenpolitik vorgab, und mit der Gestal-

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tungsspielräume jenseits der nationalen Grenzen eröffnet werden konnten. Der Blick nach Osten kann, wie eingangs erläutert, als die große Konstante der polnischen außen- und EU-politischen Orientierung nach 1989 gelten. Der Anspruch, die Stabilisierung demokratischer und souveräner Staaten östlich der eigenen Grenzen zu befördern, neue Trennlinien in Europa durch die sich erweiternde EU zu verhindern und als Fürsprecher für die europäischen Ambitionen der östlichen Nachbarn, insbesondere der Ukraine, aufzutreten, gehörte zu den Kernüberzeugungen jeder polnischen Regierung seit dem Ende des Kalten Krieges. Die polnische Ostpolitik lässt sich dabei als jene Strategie verstehen, mit der verhindert werden sollte, die neue östliche Außengrenze der erweiterten Union zu einer neuartigen Barriere werden zu lassen, sondern sie vielmehr als Brücke und Transmissionsriemen für die Stärkung »westlicher« Standards, Normen und Werte in der östlichen Nachbarschaft zu etablieren bzw. das »pogranicze«, den Grenzraum, zu dem mindestens die westliche Ukraine gerechnet wurde, in den EUropäischen Raum mit hineinzunehmen, also den neuen Grenzverlauf nach der Erweiterung weiter nach Osten zu verlagern. Und dies nicht nur im Sinne mentaler und symbolischer Grenzziehungen, sondern auch im Sinne der Umgestaltung des politischen Raumes, im Sinne einer Angleichung zwischen ukrainischen und EUropäischen Ordnungsprinzipien. Die seit 2003 entwickelte Europäische Nachbarschaftspolitik und vor allem die 2009 verabschiedete sogenannte »Eastern Dimension« dieser Politik wandte dabei Strategien an, die aus dem Erweiterungsprozess als »Heranführungshilfen« vertraut waren: Es ging um eine stärkere Verflechtung der Wirtschaftsräume, eine Flexibilisierung des Grenzregimes, um es für erwünschten grenzüberschreitenden Verkehr durchlässig zu machen, und um den institutionellen Umbau vor allem auf regionalpolitischer Ebene. Die gleichbleibend hohe Bedeutung der ostpolitischen Orientierung lässt sich mit einem Blick auf die Frequenz der außenpolitischen Kontakte verdeutlichen.203 Vergleicht man die Häufigkeit von Besuchen auf höchster außenpolitischer Ebene204 für den Zeitraum 1989 bis 2001 geordnet nach europäischen Regionen,205 so lag die Häufigkeit der wechselseitigen Besuche bei und von den östlichen Nachbarn seit 1992 kontinuierlich etwa zwischen sieben und zwölf Mal pro Jahr, dabei bildeten erwartungsgemäß Litauen und die Ukraine den Schwerpunkt. Für Westeuropa lässt sich dagegen ab 1996 eine erhebliche 203 Vgl. im Folgenden die Zahlen nach Janicka. 204 Also von Außenministern, Premierministern und Staatspräsidenten. 205 1. West- und Südwesteuropa, 2. östliche Nachbarn (Russland, die baltischen Staaten, Weißrussland, Ukraine) und 3. Ostmitteleuropa (ČSSR/ČR/SR, Ungarn, Slowenien).

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Intensivierung und vor allem nach der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen ein deutlicher Anstieg erkennen,206 insbesondere dann, wenn man auch die Kontakte im Rahmen von europäischen Organisationen wie der EU und dem Europarat sowie der NATO207 hinzurechnet. Hier stand – ebenfalls nicht überraschend – Deutschland im Mittelpunkt. Eine ähnlich konstante Intensität des Austauschs wie jener mit den östlichen Nachbarn kennzeichneten die Kontakte mit ostmitteleuropäischen Staaten, hier lag die Besuchshäufigkeit seit 1991 zwischen acht und vierzehn Mal pro Jahr (mit Ausnahme von 1990, 1993 und 1995). Schwerpunkte waren seit 1997 Ungarn und die Tschechische Republik. Über den gesamten Zeitraum hinweg standen jedoch vor allem multilaterale Treffen im Rahmen regionaler ostmitteleuropäischer Gruppierungen wie der Visegrád-Gruppe oder der CEFTA im Mittelpunkt.

Konjunkturen und Kontinuitäten der polnischen Ostpolitik Obwohl von einem weitestgehend gleichbleibend hohen Stellenwert der polnischen Ostpolitik innerhalb der gesamten außenpolitischen Strategie ausgegangen werden kann, werden von verschiedenen Autoren Nuancen für eine Binnendifferenzierung herausgearbeitet. Für die polnisch-ukrainischen Beziehungen hat Mykola Rjabčuk bis 2007 drei Phasen konstatiert.208 Eine erste umfasste den Zeitraum von 1991 bis 1994, von der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine und deren schneller Anerkennung durch Polen, über den Abschluss der »Vertrags zwischen der Republik Polen und der Ukraine über gute Nachbarschaft, freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit« 1992 und der Unterzeichnung der »Vereinbarung über das Polnisch-Ukrainische Grenzregime, über Kooperation und wechselseitige Unterstützung in Grenzangelegenheiten« 1993, eine Entwicklung, die Rjabčuk allerdings zurückhaltend bewertet. Eine zweite Phase habe 1994 begonnen und sei 2004 zu Ende gegangen. Sie sei durch die Stabilisierung der Beziehungen und der Entwicklung einer »pro-aktiven Ukrainepolitik«209 durch Polen gekennzeichnet gewesen. Markante Punkte waren hier die Unterzeichnung einer »Deklaration zur Verständigung und Versöhnung«, 206 Von 1989 bis 1996 war die Zahl der Kontakte zwischen drei bis zehn Mal pro Jahr, ab 1997 mehr als zehn Mal pro Jahr. 207 Nato: ab 1997 ca. drei Mal pro Jahr; EU/Europarat: 1990 bis 2001 zwischen zwei und acht Mal pro Jahr. 208 Rjabčuk, Die polnisch-ukrainische Partnerschaft. 209 Ebd., S. 3.

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die Schaffung einer polnisch-ukrainischen Friedenstruppe, die Vereinbarung über die Verlängerung der Odessa-Brody-Gaspipeline nach Danzig sowie die Gründung der Polnisch-Ukrainisch-Amerikanischen Kooperationsinitiative PAUCI.210 Die dritte Phase habe nach Rjabčuk 2004 begonnen, einerseits mit der »Orangenen Revolution«, die die polnisch-ukrainischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen versprach, die aber durch die neue PiS-geführte Regierung in eine Sackgasse geführt und damit die Chance vertan worden sei, dass Polen »eine Führungsrolle bei der Formulierung der europäischen Ukrainepolitik [… hätte …] übernehmen« können.211 Diese Einschätzung übersieht allerdings, dass Polen im Rahmen der neuen Nachbarschaftspolitik der EU seit 2004 auf regionaler Ebene erheblichen Anteil bei der Ausgestaltung der Beziehungen vor allem zur Ukraine und Weißrussland hatte und 2008 die polnischen Überlegungen aus dem Jahr 2001 und 2003212 zu einer Stärkung der östlichen Dimension der EU-Außenpolitik in die polnisch-schwedische Initiative213 zur Begründung der 2009 von der EU beschlossenen »Östlichen Partnerschaft« im Rahmen der ENP mündeten. Mit Blick auf die gesamte östliche Dimension der polnischen Außenpolitik, nicht nur in Bezug auf die Ukraine, haben Marek Menkiszak und Marcin Piotrowski für die Zeit bis 2002 eine Feindifferenzierung nach einem Zweijahresrhythmus entwickelt.214 Nach der Politik der sogenannten »dwutorowość«, der Zweigleisigkeit, bis 1991, die von dem Versuch geprägt war, einerseits gute Beziehungen zur Sowjetunion zu entwickeln, den Truppenabzug zu erreichen und sich aus der Umklammerung des Ostblock zu befreien, andererseits die Unabhängigkeitsbestrebungen der östlichen, bald ehemals sowjetischen, Nachbarrepubliken zu unterstützen, seien die Interessen präziser definiert und die rechtlichen Grundlagen für die bilateralen Beziehungen geschaffen worden. Seit 1993 galt die Ukraine als strategischer Partner Polens, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit begann um 1992. Nach einer schwierigen Phase Mitte der neunziger Jahre, nicht nur mit der Ukraine, sondern auch und vor allem mit Russland, und zwar vor dem Hintergrund des sich anbahnenden NATO-Beitritts Polens und der russischen Wirtschafts- und Finanzkrise Ende der neunzi210 Vgl. Interview Kiev 3. 211 Rjabčuk, Die polnisch-ukrainische Partnerschaft, S. 4. 212 Non-Paper with Polish proposals concerning policy towards Eastern Neighbours after EU enlargement; Polish Ministry of Foreign Affairs (Q), The Eastern Policy of the European Union. 213 Eastern Partnership, Polish-Swedish Non-paper. 214 Menkiszak u. Piotrowski.

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ger Jahre,215 besserten sich die polnisch-ukrainischen Beziehungen zunehmend. Allerdings wehrte Polen trotz aller Rhetorik einer strategischen Partnerschaft das Ansinnen Kievs ab, in das deutsch-polnisch-französische Weimarer Dreieck aufgenommen zu werden,216 als auch den 1993 vom ukrainischen Staatspräsidenten Lenonid Kračuk vorgelegten Plan, die Visegrád-Gruppe um die Ukraine zu erweitern.217 Dies hätte aus polnischer Sicht den Charakter dieser Gruppe grundlegend verändert und deren hauptsächliches Ziel in Gefahr gebracht, den EU-Beitrittsprozess der ostmitteleuropäischen Mitglieder zu koordinieren.218 Offensichtlich gab es in Polen also klare Vorstellungen über die Binnendifferenzierung der östlichen und ostmitteleuropäischen Nachbarschaft, die entlang der einzelnen außenpolitischen Ziele (EU-Beitritt, ostpolitische Stabilisierung) organisiert wurde. Die Offenheit Polens gegenüber den Ambitionen Kievs, die Grenze zwischen dem einen politischen Raum (Osteuropa) und dem anderen (Ostmitteleuropa) zu überschreiten, war zumindest so lange eingeschränkt, wie der Beitritt zur Union noch nicht sicher schien. Die Intensivierung der bilateralen Beziehungen ab Ende der neunziger Jahre stand ebenfalls unter dem Eindruck des sich beschleunigenden Beitrittsprozesses. Allerdings führten die Abschaffung des bis 1997 gültigen Voucher-Systems im grenzüberschreitenden Verkehr und die Einführung neuer Visaregelungen durch Polen zu erheblichen Friktionen und zu einer – zumindest vorübergehenden – Behinderung des grenzüberschreitenden Verkehrs.219 Diese Einschränkung war noch vor Beginn der Beitrittsverhandlungen und damit unabhängig vom Druck der EU auf Anpassung an das EU-Außengrenzregime erfolgt und stand im Kontext einer öffentlichen Diskussion um die »Zivilisierung« dieser Grenze. Illegale Migration und illegaler Grenzhandel wurden schon Mitte der neunziger Jahre als Bedrohung für die Sicherheit der eigenen Bürger eingestuft. Ende der neunziger Jahre veränderten sich die Argumentationsmuster vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks, EU-konforme migrations- und grenzpolitische Regelungen umzusetzen. Nun begann Polen, die offene Grenze als Grundvoraussetzung für eine funktionierende strategische Partnerschaft, insbesondere mit der Ukraine, zu betrachten und auf die Verantwortung der EU für die Verstärkung von Grenzsicherheitsmaßnahmen zu verweisen.220 215 Garsztecki. 216 Menkiszak u. Piotrowski, S. 227; Kamiński u. Kozakiewicz. 217 Menkiszak u. Piotrowski, S. 227. 218 Ebd., S. 222. 219 Cichocki, Direct Neighbourhood. 220 Gerhardt, S. 195.

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Klare Konjunkturen in der Entwicklung der polnischen Ostpolitik, insbesondere gegenüber der Ukraine, zu bestimmen und eine periodisierende Ordnung in dieses verflochtene Auf und Ab zu bringen, ist schwierig und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nach dem, welche Ebene – von den bilateralen Beziehungen auf höchster Ebenen bis hin zur regionalpolitischen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – als Indikator in den Vordergrund gestellt wird. Kurz- und mittelfristige Verschlechterungen oder Intensivierungen in diesem Verhältnis, zumindest bis Ende der neunziger Jahre, sind eher auf ein internationales bzw. europäisches Umfeld zurückzuführen, das sich in dieser ersten Dekade nach dem Ende des Kalten Krieges vor allem aus der Sicht Polens noch erheblich im Fluss befand. An der grundsätzlichen Deutung der Zentralität der Beziehungen zu den östlichen Nachbarn sowie der besonderen Aufgabe, die Polen bei der Gestaltung dieses Verhältnisses, auch und vor allem innerhalb einer erweiterten Union, zukäme sowie des grundsätzlichen Zieles, demokratische und souveräne Staaten zwischen Polen und Russland zu stabilisieren, hat sich seit dem Beginn der neunziger Jahre bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nichts grundlegend geändert. Ein Jahr, nachdem Polen mit der Bundesrepublik Deutschland den »Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit«221 geschlossen hatte, unterzeichneten Polen und die Ukraine 1992 den »Vertrag über gute Nachbarschaft, freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit«.222 Hier wurden die gemeinsame Geschichte, die Gleichheit der Partner und der Geist der Nachbarschaft betont. Die Zusammenarbeit sollte vor allem auf wirtschaftlichen, sicherheits- und umweltpolitischem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet intensiviert werden. Eine wichtige Rolle spielte auch die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Minderheiten im eigenen Land und die gemeinsame Bekämpfung des organisierten Verbrechens und illegaler grenzüberschreitender Aktivitäten. Im Vergleich mit dem deutsch-polnischen Vertrag werden einige Akzentuierungen im gemeinsamen Verhältnis deutlich, die der polnisch-ukrainische Vertrag setzte. Im deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag wurde u. a. betont, dass die »Bundesrepublik […] bereit [ist], sowohl bilateral als auch multilateral auf die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung Polens im Rahmen einer voll entwickelten Marktwirtschaft hinzuwirken. Damit sollen auch die Bedingungen für eine wesentliche Verringerung der 221 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18. 06. 1991, S. 541– 546. 222 ZD 4/1992.

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Entwicklungsunterschiede geschaffen werden.«223 Außerdem wolle die Bundesrepublik die Heranführung Polens an die Europäische Gemeinschaft fördern und die Beitrittsabsichten des Landes unterstützen.224 Ein solcher Verweis auf Entwicklungsunterschiede zwischen den Vertragspartnern und auf die beabsichtigte Hilfestellung durch den stärkeren Partner fehlte im polnisch-ukrainischen Abkommen. Und obwohl auch dort der internationale und europäische Rahmen der Vereinbarung durch die OSZE benannt ist, gab es keinen direkten Bezug auf die mögliche Erweiterung der EU, den potentiellen Beitritt Polens oder etwaige Ambitionen der Ukraine. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wurde im polnisch-ukrainischen Vertrag nur knapp in Artikel 10 als grundsätzlich wichtiges Thema benannt, die Vertragsparteien erklärten sich bereit, die Zusammenarbeit ermutigen zu wollen. Hingegen kam der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im deutsch-polnischen Vertrag eine viel zentralere Bedeutung bei der Intensivierung der bilateralen Beziehungen zu. Die Vertragsparteien hatten sich im deutsch-polnischen Abkommen darüber hinaus verpflichtet, die jeweiligen Minderheiten im eigenen Land zu fördern, das polnisch-ukrainische Abkommen beließ es bei dem Verweis auf die Loyalitätsverpflichtung der jeweiligen Minderheiten im Gaststaat. Bei Abschluss dieses ersten polnisch-ukrainischen Grundlagenvertrages schien es noch von zentraler Bedeutung zu sein, die Ebenbürtigkeit der Partner zu betonen, gleichzeitig wurden einzelne Gebiete der Zusammenarbeit noch nicht so detailliert ausgearbeitet, wie dies im deutsch-polnischen Verhältnis zur selben Zeit schon der Fall war, im polnisch-ukrainischen Verhältnis fehlte offensichtlich noch der Wille zu Konkretisierung jenseits von Absichtserklärungen. Die Sprache in den polnisch-ukrainischen Verträgen und Erklärungen blieb im Großen und Ganzen vom Grundton der Partnerschaft, die ab 1993 als strategische galt und mehr oder weniger ebenbürtig erscheint, geprägt. Doch bereits Mitte der neunziger Jahren änderte sich die Deutung dieser Partnerschaft in politischen Reden und Kommentaren polnischer Politiker bei bilateralen Zusammentreffen. So unterstrich 1995 der damalige Sprecher des Sejm, Józef Zych, in einer Rede vor der Verkhovna Rada, dem ukrainischen Parlament: Polen und die Ukraine »haben die Aufgabe, gemeinsam zur Stärkung der nationalen Identität und zur Beschleunigung der Transformation der Regierungsformen und der sozialen und wirtschaftlichen Systeme beizutragen. Polen hat 223 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18. 06. 1991, S. 541– 546, Art. 9. 224 Ebd., Art. 8.

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auf diesem Weg bereits beachtliche Erfolge und Erfahrungen vorzuweisen.«225 Außerdem verfügten polnische Parlamentarier über erhebliche Erfahrungen im Umgang mit europäischen Institutionen und der Anpassung polnischer Gesetze an europäische Normen, Erfahrungen, die sie gern mit der Ukraine teilen würden.226 Diese Interpretation eines Transports westlicher Werte von Polen in die Ukraine, mit der Deutung der polnischen Rolle als Mediator und Vorbild, wurde 1998 auch in der gemeinsamen Erklärung der Polish-American-Ukrainian Cooperation Initiative (PAUCI) entwickelt. Die Erfahrungen, die Polen bei dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Umbau gewonnen habe, sollten nutzbar gemacht werden, um die Transformation in der Ukraine zu befördern. Im selben Jahr erklärte Außenminister Bronisław Geremek im Kiever Institut für Internationale Beziehungen, nachdem er auf die Verflochtenheit der ukrainischen und polnischen Geschichte hingewiesen hatte und der Ukraine weit zurückreichende westliche Traditionen bescheinigt hatte, […] Polen möchte, dass die Ukraine zu allen den internationalen Orga­ni­ sationen und Vereinigungen gehört, in denen es selbst Mitglied ist. Immer, wenn die Ukraine von Polen Hilfe bei der Erreichung der Mitgliedschaft in diesen Organisationen erwartet, werden wir ihr helfen. Es liegt im polnischen Interesse, dass eine demokratische Ukraine für tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen bereit ist. Wir haben den Eindruck, dass sich die Ukraine auf einem guten Weg befindet, aber die schwierigsten Entscheidungen noch vor ihr liegen. Polen ist bereit, die Transformation der ukrainischen Wirtschaft zu unterstützen.227 Dies unterschlug zum einen die teilweise begrenzte Bereitschaft Warschaus, die Ukraine in ostmitteleuropäische Organisationen aufzunehmen,228 machte aber 225 »[…] zadanie wspomagania umacniania narodowej tożsamości i dokonania transformacji ustrojowych, społecznych i gospodarczych. Polska ma na tej drodze znaczące sukcesy i doświadczenia.« (ZD 4/1995, S. 55.) 226 Ebd., S. 59. 227 »Polska chciałaby, by Ukraina znalazła się we wszystkich organizacjach i sojuszach międzynarodowych, do których ina sama należy. Zawsze, gdy Ukraina będzie oczekiwała od Polski pomocy w uzyskaniu członkowstwa w tych organizacjach, pomożemy jej. W interesie Polski jest, by demokratyczna Ukraina była zdolna do przeprowadzenia głębokich reform politycznych i gospodarczych. Mamy wrażenie, że Ukraina posuwa się w tym kierunku, ale że najtrudniejsze decyzje są jeszcze przed nią. Polska jest gotowana do udzielenia pomocy w przekształceniach ukraińskiej gospodarki.« (ZD 3–4/1998, S. 81 f.) 228 Zur CEFTA wurde die Ukraine auf polnische Initiative 1996 als Beobachterin eingeladen. Vgl. dazu ZD 4/1996.

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ansonsten die polnische Logik deutlich: Eine demokratische Ukraine im Zwischenraum zwischen Polen und Russland sollte stabilisiert werden. Aus polnischer Sicht wurde der Fortschritt dieses Wandels beurteilt und gleichzeitig Hilfe angeboten.229 Gleichzeitig bestehe die Aufgabe Polens darin, neue Trennlinien in Europa zu verhindern, die neue Ostgrenze der EU nach dem Beitritt möglichst offen zu halten für die Zusammenarbeit mit der Ukraine – auch wenn die Bedeutung der Grenzsicherung nicht verleugnet und die besondere Verantwortung Polens bei dieser Aufgabe betont wurde. Auch wenn also diese grundsätzliche ostpolitische Orientierung Polens seit Beginn der neunziger Jahre stabil blieb, und mit Blick auf die Deutungen Zäsuren in dieser Entwicklung weniger deutlich zu Tage treten, scheint es durchaus plausibel die Jahrtausendwende als den Übergang zu einer neuen Kontextualisierung dieser Deutungen und dem Beginn der Entwicklung neuer ostpolitischer Instrumente zu begreifen; ein Übergang, der sich abzeichnete vor dem Hintergrund des EU-Erweiterungsprozesses und der neuen Rolle, die Polen – wie oben erläutert – innerhalb der EU, Europas und Ostmitteleuropas für sich zu definieren begann.

Die Suche nach einem neuen Tableau Am Beginn dieses Wandels stand eine Krise, in der die Ausrichtung und Effizienz der polnischen Ostpolitik in Frage gestellt wurde. Dies wurde aber weniger im Rahmen offizieller politischen Reden und Erklärungen verhandelt, vielmehr entwickelte sich diese Diskussion im Rahmen öffentlicher Foren wie der Stefan-Batory-Stiftung und in der Zeitschrift »Tygodnik Powszechny«. Hier hatte Bartłomej Sienkiewicz, Journalist und nach 1990 Mitarbeiter im polnischen Innenministerium, im Dezember 2000 mit einem Plädoyer für einen neuen »Minimalismus« eine heftige Diskussion über den Ort der polnischen Ostpolitik vor dem Hintergrund der nahenden Osterweiterung und im Rückblick auf bisherige Erfolge und Niederlagen ausgelöst.230 Gewisse Ent229 Diese Argumentaion findet sich in zahleichen weiteren Äußerungen, u. a. PR 5 (107) 2000, S. 64; ZD 1/2001; Berichterstattung zum Besuch von Leszek Miller in der Ukraine am 4. Februar 2002, in: PR 1/2 (127/128) 2002; PR 2 (140) 2003, S. 94. 230 Sienkiewicz (Q), Pochwała minimalizmu; ders. (Q), Szkodliwe marzycielstwo; Maziarski (Q); Sienkiewicz (Q), Podejmijmy poważny spór; Berdychowska (Q), Giedroyc nadal aktualny; Miłosz (Q), Przeciw minimalizmowi; Olszański (Q), Po pierwsze: interes państwa; Pomianowski (Q), Wszystkie błędy zostały już popełnione; die englische Fassung dieser Artikel wurden veröffentlicht in: Polish Foreign Affairs Digest, 1/2001, S. 227–280.

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täuschungen über den Verlauf der ukrainischen Systemtransformation und der Entwicklung der außenpolitischen Orientierung des Landes aufgreifend, hatte Sienkiewicz argumentiert, dass sich der polnische Einfluss im Osten als begrenzt erwiesen habe und es vernünftiger sei, Ziele und Interessen realistischer, d. h. minimalistischer zu definieren.231 Der polnische Weg, das polnische Vorbild habe sich nicht einfach auf die östlichen Nachbarn übertragen lassen, sodass die Grenze zwischen Polen und seinen östlichen Nachbarn nun eine Grenze »of increasing civilizational contrasts, one between worlds of completely different rules and everyday living standards«232 geworden sei. Ob die Ukraine aus der Wiederannäherung an Russland noch zu befreien sei, werde sich in der allernächsten Zeit – also auch im Hinblick auf den Beitritt Polens zur EU – entscheiden: »It is in the following months, or next year at the latest, that will b decisive for putting the Ukraine in the right spot on the map of Europe.«233 Dabei werde auch die Politik der EU gegenüber den neuen östlichen Nachbarn über das Gewicht Polens im »Intermarium« entscheiden.234 Dem hatte sich auch Tadeusz Olszański, Mitarbeiter am Zentrum für Oststudien in Warschau, zumindest teilweise angeschlossen und für eine Anpassung der Ostpolitik an die neuen Realitäten plädiert, gute Beziehungen zu Russland seien dabei von herausragender Bedeutung. Demokratie könnte jedoch nicht einfach exportiert werden, und auch wenn zivilgesellschaftliche Kontakte hier hilfreich sein könnten, sei es nicht die Aufgabe der Außenpolitik, in solche gesellschaftlichen Wandlungsprozesse einzugreifen.235 Gegen eine solche Deutung protestierte eine Reihe prominenter Autoren. Czesław Miłosz, polnischer Literaturnobelpreisträger und einer der herausragenden polnischen Intellektuellen, der erst 2000 aus dem US-amerikanischen Exil nach Polen zurückgekehrt war, sprach sich gegen einen solchermaßen verstanden Minimalismus aus und argumentierte, Sienkiewicz würde die Westlichkeit Polens überbewerten und die engen Beziehungen zum Osten übersehen.236 Bogumiła Berdychowska, Publizistin und Historikerin für ukrainische Geschichte, gleichzeitig eine der Schlüsselfiguren in den polnisch-ukrainischen zivilgesellschaftlichen Beziehungen, zog ein optimistisches Resümee über den Zustand der polnischukrainischen Zusammenarbeit, die auf einem eng gestrickten Netzwerk an Kon231 Sienkiewicz (Q), Delusions and Dilemmas of Poland’s Eastern Policy. 232 Ebd., S. 233. 233 Ebd., S. 235. 234 Ebd., S. 236. 235 Olszański (Q), Dispute Around Poland’s Eastern Policy. 236 Miłosz (Q), Against Minimalism.

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takten beruhe. Polen solle sich aber weniger um die Steuerung der Reformen in der Ukraine bemühen, als um den Aufbau stabiler Beziehungen.237 Und sie sah die entscheidende Chance der Zukunft in der bevorstehenden Integration der polnischen Ostpolitik in die Außenpolitik der erweiterten Union.238 Michał Wawrzonek, Politologe und Ukrainespezialist, verwies auf das schwierige Erbe der polnisch-ukrainischen Geschichte und die problematische Vergangenheit der polnischen Zivilisierungsmission im Osten. Keinen Zweifel ließ er daran, dass die Ukraine durch Polen mit dem Westen verbunden sei.239 Und Jerzy Pomianowski, einer der bekanntesten Schriftsteller Polens, der 1994 aus dem Exil zurückgekehrt war und 2006 mit dem Jerzy-Giedroyc-Preis ausgezeichnet wurde,240 argumentierte im Gegensatz zu Sienkiewicz, dass das Problem der bisherigen polnischen Ostpolitik darin bestanden habe, dass sie zu passiv war, worüber sich auch der 2000 gestorbene Giedroyc enttäuscht gezeigt hatte. Es sei falsch, nach dessen Tod nun auch seine Ideen zu Grabe zu tragen.241 Diese Diskussion bündelte die Batory-Stiftung im März 2001 noch einmal, und hier wurde deutlich, wo die Zukunft der polnischen Ostpolitik liegen könnte: In den Händen der EU bzw. in den Händen eines Polens, das in der Lage wäre, die Mitgliedschaft in der EU dafür zu nutzen, seine Ostpolitik auf ein »europäisches Fundament« zu stellen, was u. a. hieß, finanzielle und andere Ressourcen der EU dafür zu mobilisieren.242 Uneins waren sich die Teilnehmer allerdings darüber, ob die jagiellonische Tradition, als deren Verlängerung die »Kultura« gedeutet wurde, unter diesen neuen Bedingungen noch zeitgemäß sei.243 Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski gehörte dabei zu jenen, die eine solche Linie bis in die EU-Mitgliedschaft hinein zogen und gar die »Orangene Revolution« in der Ukraine vor dieser Folie interpretierten.244 Diese neue Rahmung der polnischen Ostpolitik, die als der polnische Beitrag zur zukünftigen Außenpolitik der EU gelten konnte, spiegelte sich ab 2001 auch zunehmend deutlich in den Deutungen in politischen Stellungnahmen 237 Berdychowska (Q), Giedroyc Still relevant, S. 255. 238 Ebd., S. 256. 239 Wawrzonek (Q), S. 262. 240 Vgl. MD 11/2006. 241 Pomianowski (Q), The Debate over Eastern Policy. 242 So in dieser Debatte Aleksander Smolar, Zdisław Najder, Tadeusz Olszański, Leszek Moczulski und Kazimierz Wóycicki (in: Polska Polityka Wschodnia. Pełny zapis dyskusji zorganizowanej prez Fundację im. Stefana Batorego oraz redakcję »Tygodnika Powszechnego«). 243 Jerzy Kłoczowski vertrat dabei die Auffassung, dass sich aus dieser Tradition nach wie vor die Sonderrolle Polens ableitete, Zdisław Najder, Dariusz Rosati, aber auch Kazimierz Wóycicki plädierten stärker für die Entwicklung einer neuen Deutung. 244 MD 4/2005.

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und Verlautbarungen der außenpolitischen Akteure. Die ostpolitische Kompetenz Polens sollte in der EU dafür eingesetzt werden, die Entstehung neuer Trennlinien in Europa zu verhindern.245 Polen sah sich als prädestiniert für die Aufgabe, in der EU für die neuen europäischen Nachbarstaaten, insbesondere die Ukraine zu werben und von dem neuen Standort aus die politische und gesellschaftliche Transformation in diesem Land zu unterstützen.246 Polnische West- und Ostpolitik sollten sich dabei wechselseitig befruchten: Die ostpolitische Kompetenz sollte Polen eine herausragende Position in der EU sichern, während die Westbindung des Landes als Trumpf im Osten galt.247 Die durch den Beitritt beglaubigte Zugehörigkeit zum Westen sollte Polens Position im Osten stärken, als regionaler Mittler westlicher Standards und Modelle über die EU-Ostgrenze hinweg. Auch wenn die Partnerschaft mit Deutschland auch für den Entwurf einer gemeinsamen Ostpolitik genutzt wurde,248 waren die Erfolge der Vernetzung begrenzt.249 Es schienen eher die USA250 und die skandinavischen Länder,251 insbesondere Schweden, zu sein, mit denen innerhalb und außerhalb der EU Allianzen möglich waren: Auf die deutsch-schwedische Initiative 2008 ging die Einrichtung einer »Östlichen Partnerschaft« im Rahmen der ENP zurück, mit den USA wurde bereits 1998 die Polish-AmericanUkraine Cooperation Initiative gegründet.

Ostpolitik unter neuen Bedingungen In der Zeit kurz nach der Jahrtausendwende entwickelte das polnische Außenministerium erste Entwürfe einer Integration der polnischen Ostpolitik in die zukünftige EU-Außenpolitik. Auf ersten Positionspapieren aus den Jahren 2001

245 PR 5 (131) 2002, S. 123. 246 PR 5 (107) 2000, S. 63 f.; PR 7 (121) 2001, S. 93. 247 PR 5 (107) 2000, S. 62; PR 7 (121) 2001, S. 93; PR 2 (140) 2003, S. 94. 248 PR 2 (152) 2004, S. 109; MD 1/2005c. 249 Bingen, S. VIII; Wolff-Powęska, S. 17. 250 Vgl. außerdem PR 5 (107) 2000, S. 62; PR 7 (121) 2001, S. 91; PR 5 (131) 2002, S. 130. 251 Die bilateralen Kontakte mit den skandinavischen Ländern wiesen seit Beginn der neunziger Jahre eine hohe Stabilität auf. Mindestens einmal, meist sogar zwei- bis dreimal im Jahr trafen sich polnische und schwedische Vertreter auf höchster Ebene. Seit Mitte der neunziger Jahre verstetigten sich auch die Beziehungen zu Finnland und Dänemark, mit Norwegen seit Ende der neunziger Jahre. Damit waren seit Mitte der neunziger die Kontakte mit dieser Ländergruppe insgesamt fast ebenso häufig wie mit dem deutsch-französischen Tandem. Zahlen nach Janicka; vgl. außerdem MD 1/2006.

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aufbauend,252 warnte das 2003 veröffentlichte polnische »Non-paper zur EUOstpolitik«253 vor der Entstehung neuer Teilungen in Europa durch die Osterweiterung. Vielmehr sollte, die Erfahrung aus der sogenannten »Northern Dimension« nutzend,254 eine privilegierte Partnerschaft mit den neuen östlichen Nachbarn entwickelt werden. Das Papier entstand kurz vor der Veröffentlichung des ersten Entwurfs einer neuen Nachbarschaftsstrategie durch die Europäische Kommission,255 aber nach der britischen Initiative, die die Diskussion über eine neuen Nachbarschaftspolitik 2002/2003 in Gang gesetzt hatte. Ohne dass das Vokabular der Nachbarschaftspolitik bereits aufgegriffen wurde, wollten die Polen ihr Non-Paper als Beitrag zu dieser Diskussion verstanden wissen: »Drawing from Poland’s experience and knowledge of the region concerned, we can perhaps bring some fresh, new ideas to the discussion.«256 In diesem Papier wurde auf die besonderen Erfahrungen Polens im Beitrittsprozess verwiesen und daran anschließend argumentiert, dass polnische Akteure, staatliche wie zivilgesellschaftliche, eine herausragende Rolle bei dem Transfer westlicher Modelle und Standards nach Osten spielen könnten und damit zu einer Heranführung und Integration dieser Region in den Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitsraum der EU beitragen könnten. Langfristig werde damit die EUMitgliedschaft der Ukraine in den Blick genommen. Bereits hier plädierten die polnischen Strategen für eine Differenzierung innerhalb der neuen östlichen Nachbarschaft, eine Differenzierung, die entsprechend den Fortschritten der einzelnen Nachbarstaaten und ihrer jeweils artikulierten Ambitionen eine genau abgestimmte Intensivierung der EU-Außenbeziehungen mit den jeweiligen Staaten erlauben würde. Als Zielregion angesprochen waren hier neben der Ukraine Russland, Weißrussland und Moldova. Als Themenfelder der Kooperation wurden insbesondere hervorgehoben: die Stärkung des politischen Dialogs, die Unterstützung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Transforma252 Polish Ministry of Foreign Affairs (Q), EU Eastern Policy; Polish Ministry of Foreign Affairs (Q), The Eastern Policy of the European Union. 253 Non-Paper with Polish proposals concerning policy towards Eastern Neighbours after EU enlargement. 254 Die »Northern Dimension« der EU-Außenpolitik ging auf eine finnische Initiative zurück und umfasst Russland, die EU, Norwegen, Island und Finnland. Kanada und die USA erhielten Beobachterstatus. Die »Northern Dimension« ist nicht Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik, sondern ein eigenständiges außenpolitisches Instrument der EU zur Förderung des regionalen politischen Dialogs. Vgl. Aalto, Blakkisrud u. Smith; Northern Dimension Policy Framework Document. 255 KOM (2003) 104 endg. 256 Non-Paper with Polish proposals concerning policy towards Eastern Neighbours after EU enlargement, S. 1.

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tion, die Intensivierung der Wirtschaftskooperation, Zusammenarbeit in der Energiepolitik und im Bereich der inneren Sicherheit. Als Instrumente dieser politischen Strategie sollten u. a. die Integration von TACIS und INTERREGProgrammen überdacht werden, um eine grenzüberschreitende Förderung der Vorhaben und damit die Stärkung von Entwicklungshilfeinstrumenten zu ermöglichen. Außerdem stand die Dezentralisierung der territorialen Organisation der Nachbarstaaten im Fokus, um einen effektiven Institutionentransfer zu ermöglichen. Die Verbesserung der Grenzinfrastruktur und die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sollte eine besondere Rolle erhalten. Damit übertrugen die Polen gewissermaßen eigene Erfahrungen mit den Mechanismen des Beitrittsprozesses auf die Strategie gegenüber den neuen Nachbarstaaten. Die partielle Reorganisation des benachbarten Territoriums im Sinne der Anpassung des Grenzregimes und der Dezentralisierung der territorialen Selbstverwaltung wurde damit wieder zu einem bedeutsamen Instrument bei der Gestaltung der Außenbeziehungen der EU zu Nachbarn, mit denen eine partielle oder vollständige Integration angestrebt werden konnte. Nach dem polnischen EU-Beitritt artikulierten die außenpolitischen Akteure deutlich, dass sie Polen als Hauptverantwortlichen für die Gestaltung der neuen Ostpolitik sahen.257 Sie warfen die polnische Expertise selbstbewusst in die Waagschale, und zitierten die Kooperation mit Litauen, aber auch mit der Ukraine als Modell für die Kooperation der EU mit den neuen östlichen Nachbarn.258 Insbesondere die polnisch-ukrainische Kooperation wurde hier als Erfolgsgeschichte erzählt, in der die gemeinsame Grenze eine Verwandlung von einer trennenden Linie in einen Begegnungsraum erfahren hatte.259 Nachdem die erste Phase der Europäischen Nachbarschaftspolitik von 2004 bis 2006 mehr oder weniger erfolgreich verlaufen und als deren Fortsetzung das European Neighbourhood Policy Instrument verabschiedet worden war, entwickelten Polen und Schweden eine neue Initiative, die sie 2008 mit einem gemeinsamen Non-Paper vorlegten.260 Dieses folgte mit dem Vorschlag einer »Östlichen Partnerschaft« im wesentlichen der Argumentation der fünf Jahre zurückliegenden polnischen Vorschläge, integrierte die Partnerschaft aber in den Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik – sowohl finanziell als auch in Bezug auf die anzuwendenden Mechanismen. Das Papier betonte die Komplementarität dieser außenpolitischen Strategie mit anderen regionalen In257 MD 12/2004a; MD 1/2007. 258 MD 12/2004a; MD 4/2007. 259 MD 8/2007; MD 7/2008. 260 Eastern Partnership, Polish-Swedish Non-paper.

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strumenten der EU-Außenpolitik, wie der Northern Dimension und der Black Sea Synergy. Außerdem sollte nicht nur die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Nachbarstaaten intensiviert, sondern auch die regionale Kooperation der östlichen Nachbarn untereinander gefördert werden. Allerdings fehlte in der Liste der möglichen Kooperationsfelder der explizite Verweis auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als auch auf die Energiepolitik. Es war aber gerade das Thema der Energiesicherheit, das einen zentralen Platz in der der polnisch-schwedischen Initiative folgenden, im März 2009 vom EU-Gipfel in Brüssel und abschließend auf dem EU-Gipfel im Mai 2009 in Prag unter der tschechischen Ratspräsidentschaft verabschiedeten »Östlichen Partnerschaft« einnahm.261 Der Erfolg der polnisch-schwedischen Initiative kann auf mehrere Voraussetzungen zurückgeführt werden: Zum einen hatte die EU mit der Nachbarschaftsstrategie und den Nachbarschaftsprogrammen ein Instrument erprobt, das geeignet schien, die Beziehungen zu den neuen Anrainern zu gestalten, und dieses Instrument mit dem ENPI bereits weiterentwickelt. Zum anderen hatte der Georgienkonflikt im August 2008 und der russisch-ukrainische Gaskonflikt 2009 die Aufmerksamkeit für Energiesicherheit und regionale Sicherheitsfragen erheblich erhöht – die Verunsicherung über diese Entwicklungen spiegelte sich in den EU-Dokumenten zur östlichen Partnerschaft in dem Fokus auf Sicherheits- und energiepolitische Fragen. Diese Situation hatte den Prozess der Verabschiedung sicher maßgeblich beschleunigt.262 Zum anderen war Richtung Süden mit der französischen Initiative zu einer intensivierten Mittelmeerpartnerschaft der Weg zur Entwicklung differenzierter regionaler Ansätze in dem 2003 noch allgemein als »Wider Neighbourhood« beschriebenen Raum bereits beschritten worden. Das 2008 bzw. 2009 präzisierte Instrument einer »Östlichen Partnerschaft« griff die doppelte Logik einer intensivierten bilateralen Kooperation zwischen der EU und den Nachbarstaaten sowie der Stärkung regionaler Zusammenarbeit zwischen ihnen aus dem polnisch-schwedischen Vorschlag auf. Auch hier sollte mit regionalpolitischen Mechanismen und Maßnahmen zur moderaten Öffnung und Reform des Grenzregimes in die Ordnung des politischen Raumes eingegriffen und dabei eine zunehmende Annäherung und Verflechtung der Räume dies- und jenseits der neuen Ostgrenze befördert werden. Als Grundlage 261 COM (2008) 823 final; SEC (2008) 2974; Rat (19); Joint Declaration of the Prague Eastern Partnership Summit. 262 Vgl. dazu auch Ochmann; Popielawska, S. 2–5.

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der in der »Östlichen Partnerschaft« zum Einsatz kommenden Mechanismen wurden die Instrumente der Nachbarschaftspolitik zitiert, die »Östliche Partnerschaft« war, anders als die »Northern Dimension«, Teil der Nachbarschaftspolitik und wurde damit, auch im Unterschied zur »Mittelmeerpartnerschaft«, von einer anderen Logik getragen: Grundsätzlich sollte damit auf die vor allem von der ukrainischen Seite zumeist deutlich artikulierten Ambitionen reagiert werden, so umfassend und so schnell wie möglich in den EU-Raum integriert zu werden, ein Ziel, das weder die Mittelmeerländer noch Russland tatsächlich verfolgten. Ähnlich wie bei der Osterweiterung der EU sah die Union zunächst von weitreichenden Zusagen ab.263 Der von außen, vor allem der Ukraine, ausgeübte Druck, Barrieren abzubauen und die Integration zu intensivieren, wurde vor allem von Polen übermittelt.264 In Reaktion darauf entwickelte die EU schließlich differenzierte Strategien im Umgang mit der neuen Nachbarschaft. Die Verabschiedung dieses neuen außenpolitischen Instruments wurde von polnischen Vertretern als Beweis der Effektivität der polnischen Außenpolitik und des Erfolgs der polnischen Bemühungen um eine gesellschaftliche Modernisierung im eigenen Land gedeutet.265 Diese neue Ostpolitik der EU konnte nun als Medium für die Verankerung westlicher Standards in der Ukraine interpretiert werden, ähnlich wie dies die Kopenhagener Kriterien im Beitrittsprozess geleistet hatten.266 Polen war jetzt nicht mehr nur der Adressat von Modernisierungsforderungen, sondern vom Empfänger westlicher Hilfe zu deren Mitgestalter, insbesondere in seiner östlichen Nachbarschaft geworden.267 Es lässt sich hier also von einem doppelten, verflochtenen Lernprozess sprechen – ein Prozess, der sich in der Studie zu Grenzregion im nächsten Kapitel wieder zeigen sollte. Polen war es gelungen, seine eigenen ostpolitischen Vorstellungen in den Rahmen der EU-Außen- und Nachbarschaftspolitik zu integrieren und die Mitgliedschaft für eine Intensivierung der eigenen Bemühungen zu nutzen. Nachdem die polnische Ostpolitik in den neunziger Jahren vor allem als strategische Partnerschaft insbesondere mit der Ukraine verstanden worden war, wurde sie seit der Jahrtausendwende zunehmend als Transmissionsriemen polnischer Erfahrungen und Gestaltungsvorstellungen in Bezug auf den europäischen Raum Richtung Osten konzipiert. Polen trat dabei zuneh-

263 PR 1 (139) 2003, S. 98. 264 MD 12/2004a. 265 MD 5/2008; MD 11/2008; MD 02/2009. 266 Ebd. 267 Ebd.

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mend als Mediator und Katalysator von Veränderungen in der östlichen Nachbarschaft auf. Andererseits hatte die EU im Zuge der ersten Phase der Nachbarschaftspolitik eigene Erfahrungen gewonnen, wie der konkrete Umgang mit der neuen Situation nach der Erweiterung gestaltet werden könnte. Auch vor dem Hintergrund der Teilnahme Polens an institutionellen Reformprozessen der EU bei den Verhandlungen zu den Verträgen von Nizza und Lissabon und der hartnäckigen Behauptung polnischer Ost-Expertise, griff die EU zunehmend auf deren Vorschläge und Impulse zurück, wobei insbesondere die Stärkung der Themen der regionalen, Grenz- und Energiesicherheit als spezifische Akzente der übergreifenden EU-Logik interpretiert werden können. Im Ergebnis wurde der Blick auf die »Wider Neighbourhood« differenziert, nicht nur in eine östliche, nördliche und südliche Dimension, sondern auch innerhalb dieser übergreifenden regionalen Konzeptionen auf einzelne Nachbarländer gerichtet. Dies war auch eine Reaktion auf die Erfahrung, dass sich der Umgang mit der Ukraine deutlich von der Entwicklung der Beziehungen zu Weißrussland unterschied und vor allem im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit diesen beiden Ländern unterschiedliche Erfolge erzielt werden konnten.

3.5 Zusammenfassung und Ausblick Die aus den historischen Diskursen zur Rolle Polens »im Osten« rekonstruierte Zivilisierungsmission à la polonaise als »un-imperialer« Entwurf in einem spezifischen Ergänzungsraum, den »kresy«, zum Teil aber auch in Ostmitteleuropa, wurde in dem hier in den Blick genommenen Zeitraum in das EUropäische Projekt eingeschrieben. Nicht erst der Beitritt, sondern die kaum mehr zu verleugnende Krise der EU und schließlich der Erfolg Polens bei den Beitrittsverhandlungen ließen sich in einen klar und deutlich vorgetragenen Anspruch zur Mitgestaltung insbesondere des östlichen Ergänzungsraum der EU und ihres Grenzregimes übersetzen. Dabei griffen die polnischen Sprecher auf verschiedene Raumbezüge zurück, um in unterschiedlichen Kontexten ihre Position zu legitimieren und historisch herzuleiten: Ostmitteleuropa und die Erfahrungen in den »kresy« gegenüber der EU; die Mitgliedschaft in der Union und die Erfolge in dem Transformationsprozess, den der Beitritt mit sich brachte, gegenüber den östlichen Nachbarn. Raumsemantiken mit weit zurückreichender historischer Tradition ließen sich als symbolpolitisches Reservoir mobili-

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Zusammenfassung und Ausblick

sieren, um polnische ostpolitische Traditionen in die Gestaltung der Europäischen Nachbarschaftspolitik einzufügen bzw. deren Ausrichtung zu ändern. Die Union selbst hatte der polnischen Argumentation der langen Dauer kein ähnlich tief verankertes Narrativ entgegenzusetzen: Die historischen Begründungszusammenhänge, in denen sich die EU ihre Werdung erzählte und vor allem die Osterweiterung deutete, reichten selten weiter als bis 1945 oder 1989. Möglicherweise lässt sich daraus die Flexibilität der EU erklären, auf veränderte Bedingungen zu reagieren und Deutungen anzupassen, in jedem Fall schien der Erfolg des polnischen Projekts im Osten auch auf seiner Verankerung in historisch tief verwurzelten Deutungskomplexen zu beruhen. Dass die Polen eine Rolle als Avantgarde, Mediator und Vorbild reklamierten, wurde – so zeigte dieses Kapitel und wird im nächsten weiter ausgeführt – auch von der EU immer deutlicher registriert und schließlich übernommen. Im anschließenden Kapitel werden die Übersetzungen und Aushandlungen dieser Position in der Grenzregion untersucht, und hier lassen sich Momente der Widerspruchs oder der Problematisierung aufzeigen. Die Einführung der neuen ostpolitischen Dimension der ENP lag am Ende des Untersuchungszeitraums. Es kann allerdings ausblickend angemerkt werden, dass dieses neue Element der ENP in der Ukraine nicht nur auf Begeisterung stieß. So erklärte der ukrainische Präsident Juščenko dazu: »Die EU hatte nicht genug Mut […]« und führte weiter aus: […] Europa wird den globalen Wettbewerb nicht gewinnen, wenn es nur halb vereinigt ist. [… Die östliche Partnerschaft …] ist keine schlechte Initiative. Es ist sehr gut, dass die EU ihre eigene Strategie für Kontakte mit den osteuropäischen Ländern entwickelt. Deswegen hat die Ukraine diese Initiative nicht zurückgewiesen. Die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU sind bereits sehr gut: Das Assoziierungsabkommen, das wir Ende des Jahres unterzeichnen werden, ist für uns äußerst wichtig, weil es eine Vorstufe unserer Integration in die EU ist. Die östliche Partnerschaft ist keine Alternative für alles. Das sind zwei verschiedene Dinge.268 Noch skeptischer hatte sich ein Mitarbeiter der Oblastverwaltung L’viv im Interview 2008 geäußert: Die Ukraine sei gar nicht gut beraten, unbedingt der EU beitreten zu wollen, weil die Unentschiedenheit der Union in globalen Krisen eher Grund zur Besorgnis gebe und ihre Potenz als »global player« ohnehin 268 Interview mit Victor Juščenko.

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beschränkt sei.269 Insofern wurde das Angebot, das die Polen als einen Erfolg der eigenen Gestaltungsmacht werteten, in diesem Fall von den Adressaten eher skeptisch gesehen – die Freude über den Erfolg der polnischen Mission im Osten – eigentlich eher in der EU – konnte aus ukrainischer Sicht jedenfalls nicht uneingeschränkt geteilt werden.

269 Interview L’viv 2.

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Einschreibungen in die Europäische Nachbarschaft: Raumdeutungen in einem grenzüberschreitenden Netzwerk an der polnisch-ukrainischen Grenze

4.1 Perspektivenwechsel: Einführung und Forschungsstand Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln die territoriale Modellierung der EU aus dem Geist ihrer Grenze und Ergänzungsräume zunächst auf der Gemeinschaftsebene rekonstruiert und anschließend die polnischen Entwürfe und deren Verhältnis zum EUropäischen Projekt untersucht wurden, findet hier nun ein weiterer Perspektivwechsel statt, und zwar in dreifacher Hinsicht: erstens räumlich, zweitens den Gegenstand betreffend und drittens zeitlich. Zuerst zum Raum: Nachdem – grob vereinfachend – bisher zunächst die supranationale und anschließend die nationale Perspektive die Darstellung organisiert haben, übernimmt mit der polnisch-ukrainischen Grenzregion nun eine dritte Raumebene diese Rolle. Im Mittelpunkt stehen gesellschaftliche Eliten vor allem – aber nicht nur – in der polnisch-ukrainischen Grenzregion, die auf die Dynamisierung der Raumordnung durch das Ende des Kalten Krieges und die Osterweiterung der Union reagieren mussten und diese gleichzeitig deutend mit erzeugten. Eine ähnliche Dialektik wurde bereits für die EU und für Polen herausgearbeitet. Die »wandernde« Grenze der Union erforderte eine Neupositionierung der jeweiligen Region(en) in der neuen politischen Geografie des Kontinents. Um diese Herausforderung zu bewältigen, griffen regionale Akteure auf bereits erprobte Kooperationssemantiken und Praktiken der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zurück, auch mit dem Ziel, den territorialen Wandel für ihre eigenen Interessen nutzbar zu machen und ihn damit gleichzeitig mitgestaltend. Das Argument lautet hier wie folgt: Die regionalen Akteure waren darum bemüht, sich in Prozessen globaler Verflechtung und Interdependenzen zu positionieren und Lösungen für regionale Probleme zu entwickeln. Die Art und Weise, wie sie auf externe materielle wie symbolische Ressourcen – nicht nur der EU – zugriffen, diese aneigneten, bestritten oder modifizierten, war ein wichtiges Element der Herausbildung von Grenzregimen und Ergänzungsräumen. Dieser Prozess begann durchaus bereits vor oder unmittelbar im Zusammenhang mit der Etablierung eines regional- und grenzpolitischen Rahmens durch die EU im Zuge ihrer Erweiterung nach Osten.

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Einschreibungen in die Europäische Nachbarschaft

Eine EUropäisierung des Grenzregimes im Sinne des Dominantwerdens von EU-Entwürfen für die Organisation des Raumes muss verstanden werden als ein verflochtener, wechselseitiger Prozess, der weder allein einer Logik des »top-down«, noch des »bottom-up« folgte. Vielmehr wurden konkurrierende, mindestens aber nuancierte oder gar alternative Entwürfe des Raumes auch in der Region entwickelt, sowohl in der Aneigung, Deutung und Transformation dessen, was auf EUropäischer Ebene projektiert wurde, als auch auf diese Vorstellungen zurückwirkend. Zum Wechsel des Gegenstands: Im Zentrum dieses Kapitels steht eine Fallstudie zu einem grenzüberschreitenden Netzwerk und einigen seiner wichtigsten Mitglieder in Polen und der Ukraine. In diesem Netzwerk entwickelten die Akteure bereits vor der Erweiterung der EU und vor der Etablierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik Strategien und Semantiken, die sich in das später eingeführte Nachbarschaftsprogramm Polen-Ukraine-Weißrussland 2004/2006, das durch das seit 2007 angewandte ENPI weitergeführt wurde, übersetzen ließen.1 Die Formierung einer EUropäischen Nachbarschaft, um die sich die EU mit der ENP bemühte, begann im hier untersuchten Grenzraum vor »der Stunde Null«, d. h. bevor die Osterweiterung abgeschlossen war. Mithin kann eine häufig anzutreffende Fixierung auf die EU als die zentrale Steuerungsinstanz der territorialen Neugestaltung an ihrer eigenen Grenze relativiert und das Zusammenspiel verschiedener Territorialisierungsprojekte von Akteuren innerhalb und außerhalb der Region deutlich gemacht werden. Die Entstehung dieses Grenznetzwerks war dabei in hohem Maße vor allem zu Anfang mit einem Akteur verknüpft, dessen Bedeutung für die Formierung des EU-Außengrenzregimes zwischen Polen und der Ukraine zunächst einmal nicht gleich auf der Hand zu liegen scheint: die britische Entwicklungshilfeagentur Department for International Development (DFID). Traditionell lag und liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit des DFID in Weltregionen außerhalb Europas, vor allem in Afrika und Asien. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geriet jedoch zunehmend auch Osteuropa in den Blick britischer Entwicklungshelfer. Mit der Integration dieses externen Akteurs in die regionale Fallstudie soll auch hier das Spiel mit verschiedenen Raumbezügen bei der Produktion des EUropäischen Raums deutlich gemacht werden, die Pluralisierung, Kompetitivität oder auch Komplementarität der Vorstellungen darüber, wie der 1

Auf dieses Nachbarschaftsprogramm kann aus Platzgründen nur knapp verwiesen werden, es übernimmt hier eher die Funktion eines Erwartungshorizonts, vor dem die Akteure, mit Blick auf die herannahende Erweiterung, ihre eigenen Entwürfe entwickeln. Eine Auswertung der ersten Phase des Programms habe ich veröffentlicht in: Franke, Die Grenze.

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Perspektivenwechsel

EUropäische Raum arrondiert und in welcher Weise das Verhältnis zu seinem

»Außen« gestaltet werden sollte. Dabei ist im Blick zu behalten, dass hier besondere Traditionen britischer Entwicklungspolitik ins Spiel kommen. Zugespitzt ließe sich formulieren, dass die Briten spezifische Erfahrungen mit europäischen Zivilisierungsmissionen in die Aushandlungen mit hineintrugen, die ein weiteres Angebot bei der Regulierung des Verhältnisses EUropa/Nicht-EUropa darstellen. Dass das DFID eine gewisse Prominenz in der Untersuchung erhält, soll nicht nahe legen, dass die Briten die einzigen externen nationalen Akteure in der Region waren, bevor die EU vor den einzelnen Mitgliedsstaaten zum wichtigsten Geber in diesem Raum wurde. Die besondere Rolle des DFID ergab sich aus dem Gang der Forschung, die von L’viv über Lublin nach London führte. Und schließlich die zeitliche Dimension: Anders als in den vorangegangenen beiden Kapiteln, die zunächst die EU-Positionen von den siebziger Jahren des 20. bis zum ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, dann die Zeit seit 1918 bis zu den gegenwärtigen polnischen Geschichtsdiskursen in den Blick nahmen, geht es hier um den kürzesten Zeitraum. Der Schwerpunkt der quellengestützten Untersuchung liegt auf den Jahren unmittelbar vor Einführung des EU-Nachbarschaftsprogramms (etwa 2000–2004), als erste konkrete Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in der Region. Grundlage dieser Untersuchung sind vor allem Interviews2 sowie Konferenzmaterialen und Projektunterlagen.

4.1.1 Das Problem der Grenze in einer globalisierten Welt Je näher die Osterweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 rückte, je greifbarer also die Verwandlung der nationalen Ostgrenzen der Beitrittsländer Polen, Lettland, Litauen, Estland, Ungarn, Slowakei und Slowenien in die 2

Diese Interviews habe ich 2006 in Warschau und Lublin sowie 2008 in Kiev und L’viv geführt, also zu einem Zeitpunkt, als das Nachbarschaftsprogramm schon lief bzw. das neue Nachbarschaftsinstrument ENPI gerade eingeführt, jedoch nicht in der Grenzregion selbst vollständig umgesetzt wurde. Die Deutungen in den Interviews über die Entwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt sind also Interpretationen ex post vor dem Hintergrund der bereits gemachten Erfahrungen mit dem Nachbarschaftsprogramm. Dabei liegt auf der Hand, dass sich die Interviews nicht für eine realgeschichtliche Rekonstruktion der Vorgänge als Quelle eignen. Mich interessieren jedoch Deutungen und Deutungswissen, wofür die (Experten)Interviews wiederum eine adäquate Quellengattung sind. Weil die Interviews von Projektberichten, Konferenzmaterialien und Strategiepapieren aus dem unmittelbaren Untersuchungszeitraum flankiert werden, können verschiedene Deutungsebenen hier in einen Zusammenhang gestellt werden.

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neue Außengrenze der Europäischen Union wurde, desto stärker rückten deren Grenzregionen in das Zentrum der wissenschaftlichen und politischen Diskussion und Beobachtung.3 Vielfach wurde dabei vor der Verfestigung neuer Trennlinien in Europa gewarnt, die nach dem Fall der Berliner Mauer in den neunziger Jahren vorerst der Vergangenheit anzugehören schienen. Der in den wissenschaftlichen und politischen Argumentationen häufig präsentierte historische Dreischritt skizzierte die Periode des Kalten Krieges als Zeit der verhärteten Grenzen, die historisch gewachsene Austauschzonen zerschnitten und militarisierten – und zwar auch zwischen Staaten, die als »Bruderstaaten« galten, wie der Ukraine und Polen. Die dann folgende Dekade der neunziger Jahre stellte sich demgegenüber als von einer Liberalisierung und Demokratisierung des Grenzverkehrs, von der explosionsartigen Zunahme grenzüberschreitenden Austauschs als auch durch intensive Anstrengungen zur historischen Aufarbeitung und Überwindung der im Kalten Krieg etablierten Trennungen geprägt dar. Der hoffnungsvolle Aufbruch jener zweiten Periode schien durch die umfassenden territorialen Transformationen im Gefolge der EU-Erweiterung (als dritter Phase) dramatisch bedroht, sowohl politische als auch wissenschaftliche Beobachter warnten davor, jene ersten Bemühungen der Rekonstruktion des grenzüberschreitenden Austausch, der zum Symbol für eine neue integrative geopolitische und kulturelle Ordnung des Kontinents geworden war, durch die Errichtung eines neuen Außengrenzregimes, einer neuen »Festung Europa«,4 zunichte zu machen. Dieses Narrativ wurde und wird mehr oder weniger für die jeweiligen von der territorialen Transformation betroffenen Grenzregionen variiert. Insbesondere für die polnisch-ukrainische Grenzregion konnte es einige Wirkkraft 3

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Es würde den Rahmen jeder Fußnote sprengen, hier auch nur eine halbwegs repräsentative Auswahl aus der Fülle der Studien, die vielfach transnational und/oder vergleichend sowohl im thematischen Zuschnitt als auch in der Zusammensetzung der Autoren angelegt sind. Beispielgebend sei hier auf die umfangreiche Forschungstätigkeit der von der EU geförderten internationalen Forschungsnetzwerke EXLINEA und EUDIMENSION verwiesen (EXLINEA; EUDIMENSION). Als beschränkte Auswahl mit Schwerpunkt auf der polnisch-ukrainischen Grenze: Cichocki, The Eastern External Border; Kitowski; Ingham u. Ingham; Kazmierkiewicz, Neighbourhood; Pełczyńska-Nałęcz; Skrzydło; Krużiński; Gorzelak u. Jałowiecki; Cichocki, Direct Neighbourhood; Eskelinen, Liikanen u. Oksa, S. 243– 281; Grimm; Gromadzki; Haase, Wust, Knappe u. Grimm; Haase; Kłoczkowski, Plisiecki u. Łaszkiewicz, S. 113–119; Jordan u. Klemenčić; Kurzynoga u. Lenz. Andreas u. Snyder. Vgl. auch die Beträge, die zum Thema »Border Making« in Eurozine erschienen sind (http://www.eurozine.com). Etwas anders als Snyder, der von einer neuen »wall around the west« spricht, nuancieren Henk van Houtum und Roos Pijpers das Argument in: van Houtum u. Pijpers, The European Union as a Gated Community. The Twofaced.

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entwickeln. Auffällig ist dabei vor allem in der sozialwissenschaftlich orientierten Grenzforschung, dass sie die Transformation und Aushandlung des neuen Grenzregimes im Zuge der Osterweiterung als zentralen Bezugspunkt bzw. als wichtigsten Akteur auf diesem Konfliktfeld die Europäische Union selbst ausmacht. Ihr werden dabei wechselnde Rollen zugewiesen: ermöglichend und katalysatorisch, regulierend und stabilisierend oder aber störend, blockierend oder gar verhindernd. Dies mag nicht weiter erstaunen, kann man doch mit einigem Recht behaupten, dass die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Union im Zusammenspiel mit ihrer Regional- und Sicherheitspolitik sowie mit ihrer Visa- und Einwanderungspolitik weitreichende Folgen für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Situation in den neuen Nachbarstaaten und insbesondere in ihren Grenzregionen zeitigten und den durch die gesellschaftlichen Umbrüche nach 1989/90 in Ost- und Mitteleuropa ausgelösten geopolitischen und geoökonomischen Verschiebungen eine entscheidende Prägung verliehen. Allerdings führt diese Fokussierung auf die EU als maßgeblichem Rahmen der Entwicklung und als zentralem Akteur dazu, dass sie zum Fluchtpunkt vieler Grenz-Erzählungen wird und das Davor und Danach ihr teleologisch zugeordnet erscheint. Dies birgt die Gefahr, dass alternative historische Pfade und Logiken marginalisiert werden oder gar nicht erst ins Blickfeld rücken, die Logik der wissenschaftlichen Leiterzählungen also jener der EU-politischen folgt und auf diese Weise traditionelle Perspektiven des West-Ost-Transfers, die eurozentrischen modernisierungstheoretischen Paradigmen entsprechen, fortgeschrieben werden. Ähnlich wie zur deutsch-polnischen5 liegt zur polnisch-ukrainischen Grenzregion eine reichhaltige Literatur vor, insbesondere aus der Politikwissenschaft und der Regionalgeografie. Letztere hat – mit Blick auf die Forschung zu Grenzregionen insgesamt – mit dem Konzept eines grenzüberschreitenden Regionalismus (»transboundary regionalism«) einen theoretischen Rahmen vorgelegt, in dem die Raumproduktion durch grenzüberschreitende Vernetzung analysiert werden kann. James C. Scott hat diesen als »a spatially integrated form of political co-operation and problem-solving that transcends the limits of nationally-based administrative practice and attempts to create (or re-create, as the case might be) a sense of cohesiveness, interdependence and common interests across national boundaries«6 bestimmt. Dieses Paradigma ist in Forschungen 5 6

Auch hier sei nur eine knappe Auswahl präsentiert: Ciok; Jajeśniak-Quast u. Stokłosa; Stokłosa; Krätke, Problems; ders., Regional integration; Kurcz, Problemy; ders., Pogranicze; Lisiecki; Deckers; Schlögel. Scott, Comprehending, S. 1; siehe auch ders., Planning; ders. u. Collins.

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u. a. zur deutsch-polnischen und zur US-mexikanischen Grenze entwickelt worden.7 Es hat den Fokus der geografischen Forschung verschoben von politischen Grenzen, insbesondere nationalstaatlicher Provenienz, hin zu Interaktionsräumen innerhalb politisch fragmentierter Räume.8 Die theoretischen und konzeptionellen Bemühungen zum »transboundary regionalism« reagieren somit auf die Beobachtung, dass sich unter den Bedingungen intensivierter globaler Verflechtung und durch die üblicherweise mit dem Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung assoziierte Zunahme ökonomischen und politischen Drucks auf subnationale Regionen neue institutionelle Strukturen herausbilden. Dazu gehören u. a. grenzüberschreitende Abkommen, intergouvernementale Kommissionen, parlamentarische Arbeitsgruppen, grenzüberschreitende regionalen Entwicklungsprogramme, Euroregionen oder mehr oder minder formelle netzwerkartige Kooperationsformen – Seminare, Konferenzen und Diskussionsforen eingeschlossen, die sich auf Erfahrungs-, Wissens- oder Technologietransfer richten.9 Die in diesem Kapitel näher untersuchte UPCBC-Agency bzw. deren Kooperationslogiken und raumbezogene Semantiken lassen sich nicht ohne weiteres in den Rahmen einer – nach der Scott’schen Definition – räumlich integrierten Form der politischen Kooperation und Problemlösung einfügen, die auf die Schaffung einer politischen oder kultureller Kohäsion, die Entwicklung tatsächlich gemeinsamer Interessen und Problembeschreibungen und die Bewältigung interdependenter Prozesse orientiert ist. Vielmehr zeigen die empirischen Beobachtungen dieses speziellen Falles zunächst eine komplexe Aushandlung von Positionen innerhalb des Raumes und später eine wachsende Kompetitivität innerhalb des grenzüberschreitenden Netzwerks, die paradoxerweise in dem Maße zunimmt, in dem EU-Strategien und die an sie gebundenen Programme eigentlich eine intensivierte Integration der Region dies- und jenseits der nationalstaatlichen Grenzen zu befördern beabsichtigten.10 Die Akteure in der polnisch-ukrainischen Grenzregion sahen sich nicht nur der Marginalisierung innerhalb der jeweiligen nationalstaatlichen Einheiten gegenüber und sie versuchten nicht nur, den Barrierecharakter der nationalstaatlichen Grenze für die Entwicklung der Region abzufedern sowie die Grenzlage als Entwicklungspotential für die Region umzudeuten, sondern sie waren gleichzeitig mit der Verwandlung dieser Grenze von einer nationalstaatlichen in eine supranationale konfrontiert.   7  8   9 10

Vgl. ebd. Scott, Comprehending, S. 1. Vgl. ebd. Vgl. Interview L’viv 6 und Interview L’viv 3.

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Die sozialwissenschaftliche Grenzforschung, oder genauer: die Forschung zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit, ist dabei häufig an der Identifizierung von Hindernissen für die regionale Entwicklung durch die Grenze oder an deren Ermöglichung durch die Grenzlage und grenzüberschreitende Zusammenarbeit interessiert. Daran schließen oft Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung an. Dies kann (und will) die vorliegende Studie nicht leisten – vielmehr geht es darum, die Dynamisierung und Pluralisierung von Raumbezügen und Entwürfen an der und durch die Grenze zunächst erst einmal zu klären, zu historisieren und damit schließlich auch zu deuten. Wie oben im zweiten und dritten Kapitel deutlich geworden sein sollte, sind auch die wissenschaftlichen Beobachter der Raumproduktionen an ihnen gleichzeitig beteiligt.11 Die historische Grenzforschung, als Teil einer transdisziplinären metho­ dischen und konzeptionellen Entwicklung, die auch die benachbarten Sozialund Geisteswissenschaften ergriffen hat und in deren Zentrum eine besondere Aufmerksamkeit für die Entstehung und den Wandel räumlicher Ordnung von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Organisationen steht, hat in den letzten Jahren einige bedeutsame Innovationen bei Zugängen, Gegenstandsbestimmungen und konzeptionellen Annäherungen hervorgebracht.12 Grenzen werden nicht mehr vor allem als Teil der klassischen Militär- oder Diplomatiegeschichte behandelt, bei der es zumeist um die Bestandsaufnahme von Grenzveränderungen bei der Verschiebung von Mächtekonstellationen – vielfach in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen – ging. Das Augenmerk der historischen Grenzforschung liegt seit etwas mehr als einer Dekade zunehmend auf den folgenden Aspekten: Erstens geht es weniger um die Ergebnisse von Grenzveränderungen, sondern um Prozesse des »bordering« – wie es der politische Geograf David Newman formulierte.13 Es geht ihnen also um den Prozess der Grenzherstellung, nicht nur durch den Abschluss von Verträgen zwischen den beteiligten Staaten, sondern um Wirksamkeit und das Wirksammachen der Grenze und des sie stabilisierenden Grenzregimes im Handeln der Akteure, in den Lebenswelten der Grenzgesellschaften, in der Wahrnehmung der Menschen, die sowohl an 11 Der Hinweis von Matthias Middell zur »territorialisierende[n] Praxis von Historikern selbst« muss also auch hier gelten (Middell, Der Spatial Turn, S. 119). 12 Frühe Impulse für diesen Wandel kamen dabei auch aus der mediävistischen Forschung. Vgl. hier Medick; Irsigler; Karp; vgl. dazu auch die Arbeiten zweier Projektgruppen am GWZO Leipzig, u. a. Hardt. Als Einführung in und Überblick über aktuelle Forschungsdiskussion: Marung, Grenzen. 13 Newman.

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der Grenze, an der Peripherie lebten und handelten, als auch jener, die sich im Zentrum bewegten. Damit geraten auch Widerständigkeiten in den Blick, beispielsweise Schmuggel, illegale Migration, grenzüberschreitende Kontakte und Netzwerke, die sich dem Bestreben der zumeist nationalen Zentren, die Grenze zu einer klaren Trennlinie werden zu lassen, entgegen stellen.14 Dieser Zugang ermöglicht es auch aufzuzeigen, wie schwierig, konfliktreich und langwierig es häufig – auch und gerade für Nationalstaaten – gewesen ist, eine gemeinsame, einheitliche Grenzwahrnehmung durchzusetzen. An diesem Prozess des »mental mapping«, der die politische Kartierung begleitete, waren u. a. zeitgenössische Historiker, Journalisten, politische Aktivisten und Vereine beteiligt, die nun auch als »Grenzmacher« in die Aufmerksamkeit der historischen Forschung geraten. Diesem Problembereich haben sich nicht nur Historiker gewidmet15 sondern auch politische und Regionalgeografen. Nachhaltig prägend, vor allem in methodischer Hinsicht, waren dabei die Arbeiten des finnischen Geografen Anssi Paasi, der finnische Grenzregionen und die Geschichte ihre Integration in den nationalen Raum untersucht hat.16 Zweitens hat sich die historische Grenzforschung zunehmend dem spezifischen Wechselspiel zwischen Zentrum und Peripherie bei der Etablierung von Grenzregimen und ihrer Praxis zugewandt. Das bedeutet, dass nicht mehr widerspruchsfrei vom Vorrang der – sowohl nationalen als auch imperialen – Metropole bei der Gestaltung und Durchsetzung von Grenzregelungen und Grenzhandeln ausgegangen werden kann, sondern die (nicht notwendigerweise konfliktfreie) Verflechtung zwischen Grenzgesellschaft und der Elite des Zentrums untersucht werden muss.17 Das hat insbesondere Folgen für die Historisierung des Nationalen: »nation building« wird an der Grenze zu einem vielfach gebrochenen und widersprüchlichen Prozess, der nicht der Logik einer voranschreitenden Homogenisierung und Modernisierung folgte, sondern bei dem unterschiedliche Interessen und Traditionen aufeinandertrafen.18 Grenzgesellschaften wurden durch die Nationalisierung des Territoriums zunehmend einer als hierarchisch und homogenisierend angelegten Ordnung unterworfen, doch 14 15 16 17 18

Vgl. u. a. Borodziej, Kochanowski u. von Puttkamer; Saurer; Gestrich u. Krauss. Vgl. u. a. Struck; Haslinger; Riederer. Vgl. insbesondere Paasi, Territories; Newman u. Paasi; Paasi, Boundaries. Vgl. u. a. Schlesier; Maurer. Insbesondere für das 19. und frühe 20. Jahrhundert liegt eine Reihe von Arbeiten vor, die beispielsweise für die deutsch-französische oder aber auch für die deutschen Ost- und Nordgrenzen (mit Polen, der Tschechoslowakei oder Dänemark) die Nationalisierung von Grenzen und Grenzregionen untersuchen. Vgl. (neben den Arbeiten in vorangegangenen Fußnote) u. a. Haslinger u. Mollenhauer; Judson; Klatt; Komlosy, Grenze; Wein.

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sie entwickelten dabei ihre eigenen Dynamiken, Rhythmen und Gegenentwürfe. Die Widerständigkeiten von Grenzregionen und die wechselnden Träger der Grenzziehungsprozesse sind dabei mehr als nur ein Kommentar zur Rede vom Zeitalter des Nationalstaates, sie stellen vielmehr populäre Zäsur- und Periodierungsvorschläge in Frage. Verschiedene Studien zeigen dabei beispielsweise, dass 1918 weder für die europäische und noch viel weniger für die Geschichte anderer Weltregionen die maßgebliche Zäsur im Übergang von imperialen zu nationalstaatlichen Organisationsformen des politischen Raumes war.19 Die Durchsetzung des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung und damit verbunden der Nationalisierung von Territorien und ihren Grenzen im von Erez Manela postulierten »Wilsonian moment«20 weist vor allem in Grenzregionen offensichtlich andere Rhythmen auf. Die Grenzziehung ist mitnichten mit der Proklamation der nationalen Unabhängigkeit abgeschlossen, sie muss in einem langwierigen Prozess erst plausibilisiert, legitimiert und realisiert werden. Die Studien, die diese Prozesse für Grenzregionen untersuchen, erhellen dabei auch die Vielfalt der Instrumente und Strategien der Akteure in der Grenzregion, von wirtschaftlichen und kulturellen Netzwerken über die Praxis des Passwesens und der Mobilitätskontrolle, die Etablierung legitimierender Narrative und »mental maps« sowie die Auswirkungen von Tourismus, Mobilität und Migration.21 Das Problem der Etablierung einer nationalstaatlichen Grenze hat dabei nicht nur Folgen für die Grenzregion selbst, die als Peripherie in das Territorium integriert und mit den Homogenisierungsbemühungen des Zentrums konfrontiert wird, sondern auch für die nationale, solchermaßen umgrenzte Gesellschaft, die durch die Etablierung von Inklusions- und Exklusionsmechanismen selbst wiederum gespalten werden kann. Dieses spezifische Zusammenwirken von Peripherie und Zentrum in der Grenzregion ist aber nicht nur für nationale oder im Prozess der Nationalisierung befindliche Konstellationen untersucht worden. Ein prekärer Interaktionsraum par excellence ist die imperiale »frontier«. Die Forschung zu den imperialen »frontiers« gehört in die dritte Dimension der neueren historischen Grenzforschung. Hier geht es um den Versuch einer vergleichenden und mitunter auch transfergeschichtlich vorgehenden Entwicklung von Grenztypologien und Rhythmen ihrer Geschichte. Die niederländischen Historiker Michiel Baud und Willem van Schendel – der eine Spezialist für Lateiname19 Dies lässt sich beispielsweise aus den Beiträgen in Duhamelle, Kossert u. Struck schließen. 20 Manela. 21 Vgl. Heindl u. Saurer.

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rika, der andere für Asien – haben bereits 1997 im »Journal of World History« ein vielbeachtetes Plädoyer für eine »comparative history of borderlands« formuliert.22 Dieser Forderung stellen sie eine zweite zur Seite, die in den oben skizzierten Forschungen auch zunehmend aufgenommen worden ist: nämlich Grenzforschung nicht so sehr aus dem Blickwinkel des Zentrums, sondern von den Grenzregionen her zu schreiben, also weniger den geopolitischen, rechtlichen und politischen Projekten und Strategien nationaler Regierungen oder der imperialen Metropolen zu folgen, sondern die Aneignung und Produktion von Grenzregimen durch lokale Akteure ins Zentrum des Interesses zu stellen. Diese Friktionen hat Peter Sahlins in seiner nach wie vor Maßstäbe setzenden Studie zum »making« von Frankreich und Spanien in den Pyrenäen eindrucksvoll beschrieben:23 Selbst wenn der spanische und der französische Staat um eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Territorien bemüht waren und auf diesen ihre Jurisdiktion voll zur Geltung zu bringen suchten, standen solchen Versuchen die regionalen und lokalen Traditionen von Dorfgemeinschaften, Adligen und Bauern entgegen, die ihre eigenen sozialen und territorialen Räume entwarfen. Sie transzendierten damit die nationale Grenze nicht nur, sondern machten sich diese auch zu Eigen, indem sie den einen gegen den anderen Staat ausspielten. Dies ist ein Phänomen, auf das man heute auch an der Außengrenze der EU wieder stößt, wo mit dem Argument der Grenzlage eine höhere Regionalförderung gefordert wird. Baud und Schendel – und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass es Historiker mit außereuropäischen Spezialisierungen waren, die sich für eine global vergleichende Geschichte von Grenzen als erste engagiert haben – legten auch erste Vorschläge für Typologien von Grenzländern vor, die für die Untersuchung des globalen Wandels zunächst heuristisch eingesetzt werden können, um sich so der Geschichte von Staatsbildung, der Formierung sozialer Räume und lokalen Prozessen zu nähern.24 Mit diesen Typologien ließen sich dann 22 Baud u. Schendel. 23 Sahlins. 24 Mit Blick auf das Verhältnis zwischen Raum und Grenzland unterscheiden sie erstens zwischen einem »border heartland«, einem »intermediate borderland« und einem »outer borderland«, auf diese Weise die Vorstellung von Grenzen als Linien problematisierend. Zentral sind zweitens ihre Überlegungen zum Verhältnis zwischen Grenze und Zeit, also mit Blick auf den »Lebenszyklus« der Grenzländer. Hier unterscheiden sie fünf Phasen: »embryonic borderlands«, der vormodernen, imperialen Organisationen, »infant borderlands«, »adult borderlands«, »declining borderlands« und »defunct borderlands« (»hidden frontier«). Dieses Entwicklungsmodell eines Grenzlandes folgt jedoch noch sehr stark einer evolutionären und deterministischen Logik, wie sie selbst einräumen, und muss für die

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in vergleichender Perspektive Aussagen darüber entwickeln, inwiefern in der Geschichte von Grenzen und Grenzländern bestimmte Epochen und Zäsuren global rekonstruiert werden können. Allerdings werden diese Vorhaben bislang zumeist noch im Genre des Sammelbands verfolgt,25 eine synthetisierende Zusammenführung vieler, häufig eindrucksvoller monografischer Einzelstudien ist nach wie vor noch ein anspruchsvolles Projekt, das auf seinen Abschluss wartet.26 Für die Untersuchung der hier vorrangig interessierenden Grenzregion lassen sich diese Beobachtungen in vierfacher Hinsicht übersetzen: Erstens geht es um den Wandel von Verräumlichung an und mit der Grenze auch in vergleichsweise kurzen Zeiträumen. Zweitens hat die historische Grenzforschung die große Bedeutung des »Raum-Machens« demonstriert und zunehmend neue Akteursgruppen jenseits des klassischen politik- und diplomatiegeschichtlichen Personals erschlossen, die daran beteiligt waren. Mit der Einbeziehung sogenannter zivilgesellschaftlicher bzw. halbstaatlicher Akteure schließe ich mich dieser Öffnungsbewegung an.27 Mit den Interviews, die eine wichtige Säule vor allem für dieses Kapitel sind, stehen Quellen zur Verfügung, die sich für eine Pluralisierung der Akteursperspektiven hervorragend eignen. Die dritte Anregung stammt aus den Ergebnissen der historischen Grenzforschung, die auf die Umstrittenheit des Nationalen und des Nationalstaats als scheinbar dominantem Territorialisierungsregime seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verweisen. Diese Konfliktkonstellation zeigt sich vor allem an der Grenze, in Grenzregionen. Ich will in diesem Kapitel demonstrieren, dass dies gleichermaßen für einen relativ jungen Territorialisierungsentwurf gilt: Auch das »supranationale« Projekt gerät unter Druck, nicht nur, aber insbesondere an der Grenze und dies in einer spezifischen Weise. Und schließlich, viertens, schärfen die Hinweise der historischen Forschung auf das an der Grenze prekär werdende Verhältnis von Zentrum und Peripherie Überlappung und Gleichzeitigkeit der Phasen offen bleiben. Drittens lassen sich Grenzländer anhand des Machtdreiecks zwischen Staat, regionaler Elite und lokaler Bevölkerung unterscheiden in »quiet«, »unruly« oder »rebellious borderlands«. (Baud u. Schendel). 25 Auch hierfür ließen sich wieder unzählige Beispiele nennen, eine Auswahl sei genannt: François, Seifarth u. Struck; Duhamelle, Kossert u. Struck; Haslinger; Lemberg; Gehler u. Pudlat; Franke u. Scott. 26 In der neuen politischen Geografie liegen eine Reihe von Versuchen der Theoretisierung von Grenzen vor, die zumeist verbunden sind mit dem Plädoyer für Interdisziplinarität (dabei aber meist den Dialog zwischen den Sozialwissenschaften, der Geografie und der Anthropologie meinend). Vgl. u. a. Brunnet-Jailly; zur soziologischen Grenzforschung und der Theoriebildung vgl. Vobruba u. Eigmüller; Eigmüller, Grenzsicherungspolitik. 27 Vgl. Frevert u. Haupt.

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den Blick für den komplizierten Prozess, in dem Vorstellungen von Zentrum und Peripherie überhaupt erst entwickelt werden, Auseinandersetzungen über diese Art der Hierarchisierung entstehen und dieses Arrangement sich nicht notwendigerweise für alle Beteiligten zu jeder Zeit gleich darstellt.

4.1.2 Begriffliche Anmerkung: Grenznetzwerk Ich habe das Arrangement, in dem sich die von mir untersuchten Akteure in der Grenzregion befinden, als Netzwerk bezeichnet. Dies ist kein Quellenbegriff. Vielmehr wird der behandelte institutionalisierte Zusammenhang als »Ukrainisch-Polnische Agentur für grenzüberschreitende Regionalentwicklung« (UPCBC-Agentur) benannt,28 wobei die Untersuchung weitere mit der Agentur in Verbindung stehende Akteure einbezieht. Mit dem Netzwerk-Begriff wird also eine Konzeptionalisierung vorgenommen, die sich jedoch nicht einfach in eine theoretische Grundhaltung überführen lässt. Hier wird also keine Theorie grenzüberschreitender Netzwerke entwickelt. Gleichermaßen muss die Erwartung enttäuscht werden, dass im Folgenden eine elaborierte Netzwerkanalyse vorgelegt werden würde. Vielmehr handelt es sich bei dem Netzwerk-Begriff um eine Konzeptionalisierung, die Überlegungen sowohl aus der sozialwissenschaftlichen29 wie aus der historischen Netzwerkforschung – insbesondere zu transnationalen Netzwerken – aufgreift, um folgendes zu verdeutlichen: Transnationale Netzwerke als »overlapping and contested mate28 Im Englischen lautet die Bezeichnung »agency«, was für die polnische und ukrainische Entsprechung des Namens als »agencja« und »agenzija« übersetzt wird. Der englische Begriff »agency« kann für das Deutsche nicht nur als »Agentur«, sondern auch als »Amt«, »Behörde«, »Dienstelle«, »Büro« oder »Filiale« übersetzt werden – alles Varianten, die einen höheren Grad von Institutionalisierung und Hierarchisierung voraussetzen würden. Die Charakterisierung als Netzwerk ist also bereits eine Interpretation der Forschungsergebnisse, sie erfasst m. E. allerdings die Arbeitsweise und die Interaktionsformen für die UPCBC-Agency präziser als es der Begriff der »Agentur« leisten könnte, da die Mitglieder dieser Konfiguration eher lose miteinander vernetzt und die Aufgaben und Form dieser Agentur noch Jahre nach ihrer Gründung Gegenstand von Verhandlung waren. Einzelne Organisationen innerhalb des Netzwerks griffen selektiv auf die Ressourcen der Agentur zurück und haben sich zunehmend verselbstständigt. Zutreffender wäre mithin also möglicherweise eine Bezeichnung als »Agentur für die Förderung der Gründung ukrainischer und polnischer regionaler Entwicklungsagenturen, die sich um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Mittel zur regionalen Entwicklungsförderung bemühen«. Aber dies wäre nun wirklich kein sehr eingängiges Label mehr. 29 Vgl. als Auswahl aus der Fülle der soziologischen und politikwissenschaftlichen Literatur u. a. Wellmann u. Berkowitz; Adshead; Featherstone; ders., Philipps u. Waters; Mantz u. Marin; Jansen u. Schubert; Sikkink u. Keck; Sikkink; Beck; Blatter; Cooke u. Morgan.

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rial, cultural and political flows and circuits that bind different places together through differentiated relations of power«30 fordern die vertikale Hierarchisierung von Räumen heraus, die üblicherweise einer stufenartigen Logik von lokal über regional und national zu global oder supranational folgen. Die Netzwerk-Optik problematisiert die klare Abgrenzung dieser »scales«31 und damit die Annahme, dass jede dieser Ebenen ein eigenes, abgrenzbares Funktionsprinzip besitze und die Interaktion zwischen ihnen auf hierarchischen Regeln basiere.32 Netzwerke, als »soziale Konfigurationen«,33 »als Agenturen einer speziellen Art und Weise von Vergesellschaftung«,34 erbringen spezifische Koordinations- und Kommunikations-, sowie Ordnungs- und Steuerungsleistungen. Sie lassen sich als Beschreibungskategorie und als analytisches Instrument einsetzen. Ähnlich wie von Jürgen Mittag und Berthold Unfried in einem 2008 erschienenen Sammelband zur historischen Netzwerkforschung formuliert, sind transnationale »Netzwerke in erster Linie […] Strukturen, die den Transfer von Ideen, Meinungsbildungsprozessen und Lebensstilen erlauben, die zugleich aber auch der Ausübung von Macht und Einfluss dienen und damit auch der Ausübung von Gegenmacht.«35 Die historische Netzwerkforschung hat vor allem zur Erschließung der prozessualen Dimension beigetragen,36 die ebenfalls für unsere Untersuchung ein zentrales Anliegen darstellt. Um Prozesse der Territorialisierung im Modus der Herstellung und Aushandlung von Grenzregime und Ergänzungsraum zu erfassen, kann die Netzwerk- und Governance-Forschung helfen, Interaktionsmuster und Mechanismen der Steuerung dieses Prozesses zu erschließen. Territorialisierung impliziert jedoch erstens, dass es sich um ein historisierbares, dynamisches Phänomen handelt; zweitens, dass es Akteure gibt, die für seine Herausbildung verantwortlich sind; und drittens, dass man es nicht nur mit der Formierung von Macht- und Regelungsstrukturen zu tun hat, sondern auch mit der Generierung, Aneignung und Modifikation von Semantiken und Deutungsmustern, die in netzwerkförmigen Zusammenhängen im Zusammenspiel verschiedener territorialer Ebenen produziert werden. Die Herausbildung 30 31 32 33 34 35 36

Featherstone, Philipps u. Waters, S. 386. Paasi, Place. Featherstone, Philipps u. Waters, S. 386; aber auch Boyer. Ebd., S. 51. Ebd., S. 50. Mittag u. Unfried, S. 12. Boyer, S. 54–56. Vgl. zur historischen Netzwerkforschung die Beiträge in diesem Band sowie als Auswahl Schnegg (aus historisch anthropologischer Perspektive); Dauser, Hächler u. Kempe.

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struktureller Kontexte ist nur eine Dimension bei der Entstehung eines Grenzregimes. Akteurshandeln und die jeweils aktivierten Dimensionen der Deutung des grenzüberschreitenden Raumes sowie die Art seiner Ent- und Begrenzung sind vielmehr zentrale Elemente von Territorialisierungsregimes: Hier dreht es sich nicht nur um die Frage, wie ein Raum in politischen Handlungen erzeugt und beherrscht wird. Vielmehr sind die diesen Strategien zugrundeliegenden Narrative und Deutungen zentral, um die Funktionsweise des Grenzregimes und den Prozess der Territorialisierung nachvollziehen zu können. Da für diese Arbeit die Herausbildung von Deutungen im Vordergrund steht, treten konkrete Interaktionsformen und -mechanismen innerhalb des Netzwerks ein Stück in den Hintergrund, werden aber, soweit dies aus den Quellen möglich war, für die Kontextualisierung einbezogen. Mir geht es um die Entstehung und den Wandel von Deutungsmuster und der Positionierung der Akteure in diesem Prozess und schließlich um die Herausbildung von Vernetzungs-Semantiken mit Blick auf den politischen Raum, den die Akteure in diesem Netzwerk entwerfen. Mithin will ich hier zeigen, dass die relationalen, territorialen Rahmungen als Voraussetzung für ein strategisches Spiel mit den Maßstäben ebenfalls erst deutend erzeugt werden müssen, bevor sie eingesetzt werden können, und ihrerseits ebenfalls immer wieder umstritten sind.37

4.2 Von London nach Kiev und L’viv: Britische Entwicklungshilfe in der Ukraine 4.2.1 Entwicklungshilfe nach dem Ende des Kalten Krieges: Multilateralisierung und Europäisierung Das weltweite Entwicklungshilferegime befindet sich seit Mitte der siebziger Jahre,38 vor allem aber seit dem Ende des Kalten Krieges in einem tiefgreifendem Wandel – oder, wie einige Autoren argumentieren: in der Krise.39 Ein wichtiger Aspekt dieses Wandels war die zunehmende Multilateralisierung von Entwicklungshilfe. Diesem Trend zur wachsenden Integration bilateraler, 37 Paasi, Place; Marung, Anssi Paasi. 38 Prominent haben diese Zäsur für andere globale Dynamiken kürzlich gemacht: Ferguson, Maier, Manela u. Sargent; und auch Charles Maier argumentiert mit Blick auf die Geschichte von Territorialitätsregimen für eine Zäsur in den 1960ern/1970ern (Maier). 39 Grant u. Nijman, Foreign Aid at the End of the Century, S. 183 f.; zum Wandel von anderen entwicklungspolitischen Vorstellungen vgl. Büschel u. Speich.

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nationaler Programme der Entwicklungshilfe und insbesondere der »technical assistance« in europäische bzw. multilaterale Strukturen folgte auch das britische DFID bei der Weiterentwicklung seiner Entwicklungsstrategie. So wuchs der Anteil multilateraler Programme an der gesamten Entwicklungshilfetätigkeit des DFID zwischen 1979/80 und 2003/04 von 27,7 % auf 45,5 %.40 Zwischen 1999/2000 und 2003/04 handelte es sich dabei zum Großteil um multilaterale Programme der Europäischen Union. Im Zeitraum 1999/2000 gingen 62,8 % der Gesamtheit der multilateralen Mittel an Programme der EU, 2003/2004 noch 58,2 %. Damit stellten diese Programme den Löwenanteil der multilateralen Entwicklungshilfe des DFID, UN-Agenturen erhielten demgegenüber einen vergleichsweise geringen Anteil von 12,9 % in den Jahren 1999/2000 bzw. 10,4 % in den Jahren 2003/04.41 Grundsätzlich schrumpften die von den Nationalstaaten ausgegebenen Mittel für die internationale Entwicklungshilfe seit Anfang der neunziger Jahre weltweit zunächst spürbar.42 Nach wie vor betrug dabei der Anteil bilateraler Hilfe zwei Drittel des gesamten Entwicklungshilfebudgets, die multilaterale Quote stieg seit Beginn der siebziger Jahre allerdings stetig, was vor allem auf die zunehmende Bedeutung internationaler Entwicklungshilfeagenturen wie der Weltbank oder des IMF zurückzuführen ist, aber auch auf die Ausweitung der Entwicklungshilfetätigkeit der Europäischen Union.43 Außerdem ging seit Beginn der neunziger Jahre ein wachsender Anteil der Entwicklungshilfe an Länder mittleren Einkommens, auch dies eine Folge der Neuorientierung des internationalen Entwicklungshilferegimes nach dem Ende des Kalten Krieges.44 Zu Empfängerländern wurden nun auch Staaten in Ost- und Mitteleuropa, zudem konzentrierte sich Entwicklungshilfe in größerem Maße auf die Stärkung von Governance und die Unterstützung von politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozessen.45 Hier deutete sich ein Wandel an, der sich als die Neuformierung entwicklungspolitisch relevanter Räume beschreiben lässt. Nicht nur, indem neue geografische Regionen in den Blick der Entwicklungshelfer gerieten, sondern, indem bestimmte politische und gesellschaftliche Organisationsformen wichtiger wurden: Regierungspraxis eher als Lebens40 41 42 43 44 45

DFID (Q), Statistics on International Development, Table 2.2. Berechnet aus DFID (Q), Statistics on International Development, Table 3. White, S. 18–20. Ebd., S. 18 f. Ebd., S. 19 f. Grant u. Nijman, The Foreign Aid Regime in Flux, S. 4.; zum Wandel der EU-Entwicklungshilfe siehe auch Holdar.

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mittelhilfe und Schwellenländer eher als die sogenannten »Least developed countries«. Die Multilateralisierung der Entwicklungshilfe bedeutete für die ost- und ostmitteleuropäischen Regionen vor allem die Europäisierung46 sowohl der eingesetzten Ressourcen als auch der Planung und Durchführung von Programmen und schließlich der damit verbundenen Strategien und Semantiken. Im Abschlussbericht des DFID über seine Entwicklungsarbeit in der Ukraine wurde die Beendigung der bilateralen Arbeit im Land mit der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU und der Weiterführung der bilateralen Zusammenarbeit durch EU-Programme, insbesondere durch das neue Europäische Nachbarschaftspolitik-Instrument seit 2007 begründet.47 Bereits in den letzten Jahren seiner Tätigkeit in der Ukraine habe sich das DFID für »closer integration into Europe and the world economy« eingesetzt.48 Dabei wurden u. a. Programme entwickelt, die die EU-Ukraine-Verhandlungen unterstützen sollten, indem auf den Wissens- und Erfahrungstransfer aus den Beitrittskandidaten und späteren neuen Mitgliedsländern wie Polen und den baltischen Staaten gesetzt wurde.49 Für die Entwicklung »europäischer Standards« in der Ukraine stellte allerdings nicht die EU, sondern die OECD den zentralen Bezugsrahmen dar. An der Durchführung der entsprechenden Strategien waren auch Kanada, die Weltbank und das UNDP beteiligt.50 Die Europäisierung der britischen Entwicklungsstrategie übersetzte sich also erst nach dem Ende der ersten Phase der Europäischen Nachbarschaftspolitik 2006 in die Einbindung in EU-Strukturen und die Übernahme ihrer Strategien und Semantiken. Dieser Prozess begann gegen Ende der neunziger Jahre, gleichwohl verwies »Europäisierung« in der darauf folgenden Dekade noch auf weiter ausgreifende und nicht unmittelbar an die EU geknüpfte Raumbezüge – sondern auch auf die OECD oder den Europarat. Diese Entwicklung ging mit der Stärkung des innerregionalen Wissenstransfers einher, wobei vor allem die baltischen Staaten, aber zuallererst der westliche Nachbar Polen als Leitbilder und Multiplikatoren fungieren sollten. Was für die Entwicklungshilfe für die gesamte Ukraine gilt, lässt sich auch für das polnisch-ukrainische Grenzregime in Bezug und dessen regionale Aus46 Europäisierung hier tatsächlich nicht als EU-ropäisierung, denn an diesem Prozess waren auch Staaten wie die Schweiz beteiligt, und die entsprechenden Europa- und Raumbezüge waren nicht mit der EU identisch, sondern standen beispielsweise in Verbindung mit dem Europarat oder der OECD. 47 DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership, S. 4. 48 Ebd., S. 5. 49 Ebd., S. 7. 50 Ebd., S. 10.

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handlung am Beispiel des hier untersuchten Grenznetzwerks nachvollziehen. »Europäische« Standards waren auch dort der maßgebliche Kontext für die Aushandlung von Kooperationsstrategien und grenzbezogenen Semantiken, allerdings wurden diese nicht von Anfang an auf die EU enggeführt. Zunächst standen in den neunziger Jahren und bis zum Anfang des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends eine größere Varianz von Europa-Bezügen und Akteursorientierungen zur Verfügung, die mit unterschiedlichen Ressourcen – sprich Mitteln, Strategien und Semantiken der Entwicklungshilfe – verknüpft waren. Die Formierung des neuen Grenzregimes zwischen Polen und der Ukraine im Zuge der EU-Osterweiterung entwickelte sich also aus einer Pluralität regional-, entwicklungs- und geopolitischer Deutungen und Vorstellungen, die die Kooperationslogiken in der Region beeinflussten bzw. von den regionalen Akteuren umgedeutet wurden. Der Einsatz von »technical assistance« als einer Strategie territorialer Transformation, vor allem mit dem Ziel der Veränderung und Anpassung von Governance-Strukturen, wurde von ausländischen Gebern – und hier vor allem dem DFID – nicht bereits in den neunziger Jahren, sondern etwa um 2004 in einem stärkeren Maße an die Vorgaben der EU gebunden. Dieser Prozess war auch am Ende des Jahrzehnts noch nicht abgeschlossen, allerdings lässt sich zumindest ein wachsender Einfluss der EU-Standards und -Methoden beobachten. Das Fehlen einer nationalen ukrainischen regionalpolitischen Strategie wurde mitunter als inkonsistent und chaotisch bewertet.51 Damit werde die Einpassung in europäische Strukturen verhindert. Dies kann aber auch als größeres Maß an Flexibilität beim Zugriff auf die Ressourcen ausländischer Geber für die Unterstützung regionalpolitischer Vorhaben gedeutet werden, aus der u. U. weitere Möglichkeiten erwachsen, internationale Ressourcen für regionalpolitische Ziele nutzbar zu machen. Dabei sollte jedoch nicht die ausgeprägte Asymmetrie der Transferzahlungen und Entwicklungsförderung östlich und westlich der neuen EU-Außengrenze aus dem Blick geraten.

4.2.2 »Technical Assistance« und Zivilgesellschaft: Instrumente und Adressaten der Entwicklungshilfe Im Folgenden soll dreierlei deutlich werden. Erstens: Eine der wichtigsten Akteursgruppen, die von der internationalen Entwicklungshilfe in der Ukraine adressiert wurden, waren sogenannte zivilgesellschaftliche Akteure – eine Zuschreibung, die hier eher als terminus technicus aus den Quellen verstan51 Šumylo.

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den werden muss und weniger den theoretischen Überlegungen und normativen Zuschreibungen über die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Akteure aus der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung folgt.52 Zweitens war die Geberlandschaft, in die sich die Briten einordneten, ausgesprochen vielfältig. Und drittens ist das spezielle Instrument der »technical assistance« in der Entwicklungshilfe als eine Form der Raumproduktion zu verstehen. Auf die Bedeutung internationaler Geber für die Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft53 und insbesondere bei der Reform der lokalen Selbstverwaltung54 nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Polen, ist verschiedentlich hingewiesen worden. Der Gründungsboom ukrainischer Zivilgesellschaftsorganisationen in den neunziger Jahren war maßgeblich von ausländischen nationalen und transnationalen nicht-staatlichen Geberorganisationen ermöglicht und stimuliert worden.55 Diese Organisationen waren zu einem Großteil auf regionaler und lokaler Ebene aktiv, dies galt insbesondere für die städtischen Regionen um Kiev56, L’viv57 und Charkiv58. Die Kooperation zwischen dem zivilgesellschaftlichen und staatlichen Sektor in der Ukraine intensivierte sich erst seit Ende der neunziger Jahre, nachdem unter der Regierung Juščenko die staatliche Bereitschaft wuchs, diese in Entscheidungs- und Implementierungsprozesse einzubinden und auch staatliche Zuschüsse zu gewähren. Insbesondere auf der lokalen Ebene spielen dabei informelle Verflechtungen eine herausragende Rolle. Trotz der gewandelten staatlichen Einstellung gegenüber 52 Vgl. dazu u. a. Merkel. Ebenso soll diese begriffliche Zuordnung hier nicht als Beitrag zum Diskussionsfeld aus der sozialgeschichtlichen bzw. historisch-sozialwissenschaftlichen Zivilgesellschaftsforschung aufgefasst werden (vgl. dazu u. a. die Beiträge in Kocka, Randeria, Nolte u. Reichardt; Hildermeier, Kocka u. Konrad). In Ermangelung präziserer Begriffe verweist die Bezeichnung »zivilgesellschaftlicher Akteur« zunächst einmal auf die Tatsache, dass es Organisationen oder Gruppen gibt, die sich nicht ausschließlich dem Bereich des Staates zuordnen lassen, die aber sehr wohl im Verflechtungsbereich verschiedener Arenen anzusiedeln sind. Das begriffliche Problem, dass sich aus der Beobachtung ergibt, dass auch staatliche Agenturen Nichtregierungsorganisationen gründen, hat man mit den Acronymen »QUANGO« – quasi-non-governmental organization – oder »GONGO« – governmentally organized NGO – zu lösen versucht. 53 Luckfiel. 54 Šumylo. 55 Zu einer pointiert kritischen Einschätzung des Verhältnisses zwischen internationalen Gebern, insbesondere USAID, und lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen für Zentralasien vgl. Mandel; vgl. im Folgenden zur Ukraine Luckfiel. 56 Von 1999 bis 2002 34 % westlicher Fördergelder an die Region Kiev (ebd., S. 5). 57 Von 1999 bis 2002 8 % westlicher Fördergelder an die Region um L’viv (ebd., S. 5). L’viv nimmt dabei nach Kiev und der Region Odessa/Krim den dritten Platz auf der Liste der größten Empfänger ausländischer Hilfe ein. 58 Von 1999 bis 2002 4 % westlicher Fördergelder (ebd., S. 5).

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zivilgesellschaftlichen Organisationen betrug der Anteil ausländischer Geber am Gesamtbudget ukrainischer NGOs auch 2004 noch 70 %.59 Als größte Geber traten dabei US-amerikanische staatliche und nicht-staatliche Organisationen auf,60 vor allem USAID, die Charles Stuart Mott Foundation sowie Soros bzw. die International Renaissance Foundation.61 Weitere große Geber waren die EU, das British Council und das DFID, UNICEF, die schwedische Entwicklungshilfeagentur SIDA sowie die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit der Schweizer Regierung.62 Zwischen 2002 und 2004 hat die Bush-Administration 65 Mio US-$ für die Unterstützung politischer Organisationen in der Ukraine ausgegeben – von insgesamt 1 Mrd. US-$ für die weltweite Förderung von Demokratisierungsprozessen. Diese Zuweisungen wurden vor allem über nicht-staatliche Organisationen wie die Eurasia-Foundation an die Empfänger verteilt, sodass eine direkte Förderung zivilgesellschaftlicher und/oder oppositioneller Gruppierungen der amerikanischen Regierung nicht zum Vorwurf gemacht werden konnte.63 Diese von Kritikern als Einmischung verstandene Unterstützung wird nicht nur von US-amerikanischer, sondern auch von EUropäischer Seite als Förderung von Wissenstransfers und Kooperation zwischen der Ukraine und ihren »counterparts«64 u. a. in der Slowakei, Kroatien, Rumänien und Serbien verstanden. Diese grundsätzliche Tendenz – die Dominanz US-amerikanischer Geber und die bis Anfang des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends eher nachgeordnete Bedeutung originärer EU-Förderung in der Ukraine – lässt sich nicht nur für die Entwicklungshilfe belegen, die hier vor allem als Förderung von Demokratisierung durch die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen verstanden wurde, sondern auch für ein weiteres Feld der Entwicklungsunterstützung, der sogenannten »technical assistance«.65 Dabei handelt es sich 59 60 61 62 63 64 65

Ebd., S. 5. Ebd., S. 5 Vgl. zur IRF Interview Kiev 1. Luckfiel, S. 5. Kelly. McFaul. Dies kann im Deutschen als »technische Unterstützung« oder »technische Hilfe« übersetzt werden, wird aber im Folgenden mit dem englischen terminus technicus weitergeführt. »Technical assistance« ist Entwicklungshilfe, die unter »non-financial aid« subsumiert wird, da es sich hier nicht um die Förderung kostenintensiver Projekte wie Infrastrukturvorhaben oder um Schuldenerlass handelt, sondern um den Transfer von Wissen u. a. durch die Durchführung von Seminaren und Trainings, Twinning-Projekten und die Schaffung von Foren zum Erfahrungs- und Wissensaustausch (vgl. Morrissey, Smith u. Horesh, S. 10). Als Ziel von »technical assistance« formuliert der IMF: »strengthen their

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nicht im engeren Sinne um projekt- oder programmförmige Entwicklungshilfe, sondern um »capacity building«, also die Förderung eines Wissenstransfers, der die jeweiligen Empfänger in die Lage versetzen soll, eigenständig dem von den Gebern avisierten Entwicklungspfad zu folgen.66 Die Bedeutung dieser Form von Entwicklungshilfe lässt sich weniger anhand der absoluten Höhe der Transferzahlungen messen: Die Organisation von Seminaren, Austauschprogrammen, Konferenzen und Ausbildungsprogrammen ist bedeutend billiger zu haben als der Bau von Straßen, Staudämmen oder Grenzbefestigungen. Gleichwohl besitzt sie für die Entstehung von Semantiken und Strategien bei der Herausbildung des Grenzregimes im Prozess territorialer Neupositionierung eine herausragende Bedeutung. Zum einen ist diese Form der Förderung eine wichtige Strategie, die sowohl ausländische Geber als auch die EU selbst in der ukrainischen Grenzregion eingesetzt haben, zunächst im Rahmen von TACIS, dem Finanzierungsinstrumentarium für »Technical Assistance for the Commonwealth of Independent States«, später auch in den Nachbarschaftsprogrammen, die sich für die außerhalb der EU liegenden Regionen bis 2006 aus TACIS-Mittel speisten. Zum anderen lässt sich diese Entwicklungsstrategie, die den Transfer von Wissen, Normen und institutionellen Strukturen zum Ziel hat, als Teil von Territorialisierungsprojekten verstehen, die auf die symbolische und institutionelle Transformation von politischen Räumen gerichtet sind. Die in diesem Kontext von der EU und anderen internationalen Gebern entwickelten Strategien und Semantiken sowie deren Rezeption, Anpassung und [der Zielländer] capacity in both human and institutional resources« (vgl. IMF). Und für die Asian Development Bank geht es um »identifying, formulating, and implementing projects, improving the institutional capabilities of governments and executing agencies, formulating development strategies, promoting the transfer of technology, fostering regional cooperation« (Asian development Bank). Die EU hat für die »technical assistance« einen eigenen Mechanismus entwickelt: TAIEX – »technical assistance« and Information Exchange – ist ein Programm der Europäischen Union, dass sich an Kandidatenländer, die zehn neuen Mitgliedsstaaten nach 2004, und seit kurzer Zeit auch an die Länder im Rahmen der neuen Nachbarschaftspolitik richtet (vgl. TAIEX). Auch hier geht es um Beratung, Aufbau von Kompetenzen und Vernetzung (ähnlich auch die WTO, vgl. WTO). Und die Präzisierung der UNO zielt auf die »provision of advice, expertise, research, analysis, training« (vgl. UNO). 66 Die Funktion, diese Art von »capacity building« zu befördern, wird sowohl aus Sicht der EU als auch aus Sicht einiger Interviewpartner nicht nur der TA zugesprochen, sondern kommt auch der Personenfreizügigkeit – als freies Reisen »in den Westen« – zu. Nur so sei es möglich, so einer der Interviewpartner, dass sich die Menschen eine Vorstellung von erfolgreichen gesellschaftlichen Modellen machten und im Vergleich mit ihrer eigenen Situation zu den richtigen Lösungen kämen (vgl. Interview Kiev 3). Beobachten und Lernen stehen auch im Zentrum der TA.

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Umdeutung durch die Akteure in den Zielregionen setzten maßgeblich den Wandel und die Aushandlung von Territorialisierungsvorstellungen in Gang. Die »technical assistance« im Rahmen der internationalen Entwicklungshilfe lässt sich hier als eine spezifische Methode zur Mitgestaltung von Entscheidungs- und Identitätsräumen67 verstehen, ohne dass politische Grenzen im engeren Sinne als territoriale nationalstaatlicher Prägung verschoben werden müssten. Für die EU wurde sie zu einem wichtigen Mittel bei der Durchsetzung ihrer »structural power«, wie Patrick Holden argumentiert hat.68 In einer Studie am International Centre for Policy Studies in Kiev hat Olga Šumylo die Bedeutung internationaler Geber für »technical assistance« in Polen und der Ukraine zwischen 1990 und 2000 vergleichend herausgearbeitet. Auch hier wird die dominante Position amerikanischer Geber deutlich. Zwischen 1999 und 2001 haben die USA jährlich zwischen 195 Mio. US-$ und 210 Mio. US-$ in solche Programme investiert. Die EU-Mittel aus TACIS erreichten mit 93,6 Mio. US-$ im Jahr 1999 und 88,7 Mio. US-$ jeweils in den Jahren 2000 und 2001 nicht einmal die Hälfte dieses Budgets, nehmen aber damit den zweiten Platz in der Rangfolge internationaler Geber ein. Diese Differenz zu den USA wird nur um weniges geringer, wenn die Mittel der EBRD mit 55,45 Mio. US-$ im Jahr 1999, 60 Mio. US-$ im Folgejahr und 90 Mio. US-$ im Jahr 2001 hinzugerechnet werden. Der Abstand zu diesen drei größten Gebern auf den in der Reihenfolge nächsten nationalen Akteur ist enorm. Großbritannien investierte in den drei untersuchten Jahren jeweils 15,1 Mio. US-$ in diese Form der Entwicklungshilfe; Kanada, Deutschland und die Niederlande folgen mit vergleichbaren Größenordnungen.69 Japan engagierte sich in der Ukraine mit 1,5 Mio. US-$ im Jahr 1999, die auf 6,4 Mio. US-$ in den Jahren 2000 und 2001 anwuchsen, nur in geringem Maße. Dieser Überblick verdeutlicht die Vielfalt der Geberlandschaft, in die das britische DFID trat. Vergleicht man den Einsatz von »technical assistance« in Polen und der Ukraine, fallen einige bedeutsame Unterschiede ins Auge. Die »technical assistance« wurde für Polen bereits in den frühen neunziger Jahren zu einer wichtigen Strategie der Entwicklungshilfepolitik, in der Ukraine wurden bis 1996 überhaupt keine Projekte dieser Art registriert.70 Dieser Befund konkurriert allerdings mit der offiziellen Entwicklungsstrategie des DFID für die Ukraine. Insgesamt hat das Department zwischen 1991 und 2006 in der gesamten Ukraine 67 Maier, Transformations. 68 Vgl. Holden. 69 Šumylo, S. 11. 70 Ebd., S. 31.

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105 Mio. £71 im Rahmen der bilateralen Hilfe ausgegeben. Dabei haben zwischen 1991 und 1997 der Wissenstransfer im Vordergrund gestanden, diese Arbeit wurde gemeinsam von der damaligen Overseas Development Administration, dem Vorläufer des DFID, und dem British Know How Fund (KHF) durchgeführt.72 Vor allem der KHF »implemented a portfolio of ›technical assistance‹ projects, aimed at transferring relevant western expertise and experience in order to promote a market economy and pluralist democracy.«73 Die Daten des KHF wurden in der Studie von Olga Šumylo nicht erhoben.74 Möglicherweise haben sich einzelne Geber also früher als von Šumylo vermutet im Bereich der »technical assistance« engagiert, gleichwohl verweisen ihre Zahlen auf einen allgemeinen Trend, nämlich die im Vergleich zu Polen spätere Integration der Ukraine in solche Programme der »technical assistance«.75 Diese Entwicklung DFID (Q), DFID and Ukraine. DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership. Ebd., S. 5. Auf der Liste der von ihr einbezogenen Geber ist der KHF nicht vertreten. Allerdings nur in der Liste der Geber für die Ukraine, Projekte des KHF in Polen werden durchaus evaluiert. Dies gehört zu den methodischen Inkonsistenzen dieser Studie, deren Autoren auch selbst auf die Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung verweisen. Besonders für die Ukraine stellt sich dieses Problem auch bei anderen Studien (siehe u. a. Luckfiel). Auch bei eigenen Recherchen zur Förderpolitik des DFID in der Ukraine haben nicht alle Fragen geklärt werden können. Für die Arbeit des DFID sind außer globalen Angaben keine Aufschlüsselungen verfügbar, die allgemeinen Statistiken differenzieren nur nach Weltregionen, nicht nach einzelnen Ländern (von den top-20 abgesehen, zu denen die Ukraine nicht gehört). Einzelne Erhebungen für »technical assistance« werden nicht angestellt, weil diese vielfach unter anderen Kategorien subsumiert werden, beispielsweise als »Democracy Assistance«, für die sich einzelne Studien auf spezifische Programme konzentrieren. So hat nach Angabe von Richard Youngs die EU mit der European Initiative for Democracy and Human Rights (EIDHR) im Jahr 2007 135 Mio. € oder 2 % ihrer offiziellen Entwicklungshilfegelder verwendet, Großbritannien (DFID) 2006 508 Mio. € oder 7 %. In absoluten Zahlen engagierte sich das DFID von den europäischen Gebern am stärksten, gemessen am Anteil der »Democracy Assistance« an den gesamten Mitteln für die Entwicklungshilfe sind es 2006 bzw. 2007 Schweden, Dänemark und Norwegen (24 %, 13 % und 12 %). Der Fokus der britischen Entwicklungspolitik liegt nach diesen Befunden auf Governance, während die meisten anderen Geber auch auf Menschenrechte und Zivilgesellschaft abheben (Youngs). Da auch hier nicht völlig klar wird, auf welcher Grundlage diese Daten generiert wurden, können auch sie nur unter Vorbehalt für verallgemeinerbare Argumentationen genutzt werden. 75 Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass man von einer kontinuierlichen West-OstBewegung in der internationalen Entwicklungshilfe nach dem Fall der Mauer sprechen kann. Die geografische Verteilung der Hilfe richtet sich eher nach den Präferenzen der Geber einerseits und der Fähigkeit der potentiellen Empfänger, sich für die jeweiligen Entwicklungsziele als attraktive Partner zu präsentieren. Die ehemalige Sowjetunion, und vor allem Russland, gehören bis heute zu wichtigen Förderregionen einer Reihe internationaler Geber, vor allem aus Europa und den USA (vgl. Grant u. Nijman, The Global Cri-

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interpretierten die Autoren der Studie als »nachholende« Modernisierungsbewegung der Ukraine, die Verzögerung wird dabei internen Krisen und Inkonsistenzen der nationalen Politik zugerechnet. Ein gewisser Lernprozess spielte allerdings auch auf Seiten der Geberorganisationen eine entscheidende Rolle. Der zweite Unterschied in der Förderpraxis in der Ukraine und Polen weist in eine ähnliche Richtung. Die Anbindung von Projekten internationaler Geber an Vorgaben aus den Beitritts- und Partnerschaftsabkommen mit der EU (Polen) bzw. an die EU-Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (Ukraine) war für Polen bedeutend stärker und früher ausgeprägt als für die Ukraine.76 Das PKA zwischen der EU und der Ukraine habe für keinen der Geber bei der Konzipierung und Durchführung der Projekte eine Rolle gespielt, so Šumylo, im polnischen Fall sei die Bedeutung des Beitrittsprozesses und die im Beitritts- und Partnerschaftsabkommen formulierten Ziele für die Konzipierung der »technical assistance«-Projekte zentral gewesen – dies galt allerdings vor allem für europäische Geber wie KHF, PHARE (also die EU) und die Friedrich-Ebert-Stiftung, und nur eingeschränkt für nicht-europäische nationale Geber wie USAID und CIDA, die kanadische Entwicklungshilfeagentur. Bemerkenswert ist, dass wiederum multilaterale Geber wie die Weltbank und UNDP Bezug auf die EU-Vorgaben nahmen.77 Dies kann als weiterer Hinweis dafür gelten, dass die Europäisierung der Entwicklungshilfe, zumindest in der Ukraine, später einsetzte als es Deutungen nahe legen, die die Geschichte des Grenzregimes und der ukrainischen Außenbeziehungen von vornherein in einem EUropäisierten Kontext verorten. Dieser Prozess schien weniger eindeutig verlaufen zu sein. Die Gründe für den zunehmenden EU-Fokus der regionalen Akteure sind eher in der regionalen Aneignung der EU-Strategien zu suchen, als in der unhinterfragten Attraktivität der EU für ihre Nachbarn.

sis in Foreign Aid; darin vor allem die Beiträge von Nijman; Holdar; Michalak). Dabei ist allerdings Polen Anfang der neunziger Jahre der größte Empfänger europäischer Entwicklungshilfe gewesen. In den Jahren 2001 bis 2003 jedoch befand sich Russland unter den 20 größten Empfängern bilateraler Hilfe des DFID (DFID (Q), Statistics on International Development, Table 6). Vermutlich lässt sich jedoch die Ausweitung von »technical-assistance«-Programmen auf die Ukraine zu einem gewissen Grad als West-Ost-Transfer von Polen in die Ukraine interpretieren, zum einen, weil sich polnische Akteure selbst, aber auch in der Außenwahrnehmung als Leitbilder und Mittler verstanden und zum anderen, weil eine Reihe gemeinsamer Programme und Organisationen auf eben diesen Transfer gerichtet waren (u. a. PAUCI, Stefan-Batory-Foundation). 76 Gemessen an der Erwähnung der jeweiligen Vereinbarungen in den Projektbeschreibungen vgl. Šumylo. 77 Ebd., S. 54.

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4.2.3 Das Department for International Development in der Ukraine Von der kolonialpolitischen Verantwortung zur neuen transnationalen Weltordnung Die Arbeit des DFID in der Ukraine muss im Zusammenhang mit dem Wandel der britischen Entwicklungspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges betrachtet werden. Die Entwicklung der britischen Entwicklungshilfe ist dabei eng mit der Geschichte der britischen Kolonialpolitik und den globalen Umbrüchen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der sich in den sechziger Jahren ausbreitenden Welle der Dekolonisierung verbunden.78 Bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Überlegungen in der britischen Kolonialpolitik zur Förderung kolonialer Entwicklung und Wohlfahrt intensiviert.79 Insbesondere unter dem Druck der USA, in Reaktion auf deren imperialismuskritische Position,80 setzte verstärkt ein Wandel entwicklungs- und kolonialpolitischer Diskurse in Großbritannien ein. Koloniale Entwicklung wurde nun in wachsendem Maße verstanden als Element der imperialen Verantwortung gegenüber den Kolonien. Erste Institutionalisierungsprozesse und strategische Ausformungen schlugen sich 1940 im ersten Colonial Development and Welfare Act nieder.81 Dieses System kolonialer Entwicklungshilfe wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Dekolonisierung in das System des »Overseas Development«, also der Entwicklungshilfe für die ehemaligen Kolonien inte78 Vgl. dazu auch u. a. Büschel u. Speich; zur britischen Kolonialverwaltung und dem Wandel des britischen Empire und seiner Herrschafts- und Verwaltungspraktiken gibt es eine umfangreiche Forschung, es seien hier nur einige Veröffentlichungen jüngeren Datums genannt: vgl. u. a. Kolsky; Birla; Sherman; Marriott; Magee u. Thompson; Shipway; Wende; Stockwell. 79 Vgl. Morgan. 80 Daniel Maul hat diese Rolle für die Geschichte der International Labour Organisation und frühe Formen der kolonialen Sozialpolitik herausgearbeitet, vgl. Maul. Aus der Geschichtsschreibung zur europäischen Integration liegen eine Reihe von Arbeiten vor, die den engen Zusammenhang zwischen Dekolonisierung und den frühen Konjunkturen des Integrationsprozesses herausstellen, wobei hier zunächst noch ein gewisser kolonialer roll-back in den fünfziger Jahren zu beobachten war. Insbesondere Frankreich versuchte in dieser Zeit, sein Empire zu reformieren, was nicht unbedingt auf die Umstellung von Kolonialpolitik auf Entwicklungshilfe bedeutete, und mit der Vision eines »Eurafrique« die Potentiale europäischer Integration für eine Stärkung seiner Bindungen an Afrika zu nutzen, bevor die europäische Integration als Kompensation für den Verlust des Empire verstanden wurde. Die Suez-Krise 1956 hatte diesen Prozess beschleunigt. Vgl. Shipway; Bitsch u. Boussuat; Migani; Kim; Pacifici. 81 Vgl. Morrissey, Smith u. Horesh, S. 3–5.

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griert.82 Die Einrichtung des Ministry of Overseas Development im Jahr 1964 stand einerseits in Zusammenhang mit der Zunahme entwicklungspolitischer Aktivitäten in Großbritannien und im globalen Maßstab, andererseits war dies eine Reaktion auf die wachsende Komplexität bei der Verwaltung und Koordinierung der technischen Zusammenarbeit. Das Konzept der »technical assistance« wurde in den fünfziger Jahren unter der Ägide der UN und der USA als scheinbar neues Element der Entwicklungspolitik entwickelt. Morrissey u. a. argumentieren jedoch, dass es sich gerade im britischen Fall dabei eher um die Fortsetzung der Tätigkeit der britischen Kolonialverwaltung handelte, die nun allerdings als Entwicklungshilfe neu definiert wurde. Die Hilfe beim Aufbau administrativer Strukturen oder von Bildungseinrichtungen orientierte sich dabei stark an britischen außenpolitischen Vorgaben, deren Traditionen in der kolonialen Vergangenheit wurzelten. Neben der kolonialpolitischen Tradierung war die britische Entwicklungspolitik im Besonderen von der Verknüpfung mit außen- und wirtschaftspolitischen Präferenzen geprägt. Bis in die achtziger und frühen neunziger Jahre hinein war ein Großteil der bilateralen Hilfe gebunden an wirtschaftspolitische und kommerzielle Interessen der britischen Regierung und britischer Unternehmen. Entwicklungshilfe wurde so zum Element der nationalen Wirtschaftsförderung. Die Praxis dieser sogenannten »tied aid« wurde erst im Jahr 2000 unter der Regierung Blair aufgegeben.83 Dies folgte einem weltweiten Trend, wobei Großbritannien hier jedoch am konsequentesten war.84 Die für Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit eingesetzten Mittel nahmen im Verlauf der sechziger bis in die achtziger Jahre hinein zu, wobei ein weltweiter Einschnitt im Zuge der Öl- und Wirtschaftskrise Mitte der siebziger Jahre zu beobachten war. Dieser Anstieg lässt sich vor dem Hintergrund der Dekolonisierung und des sich intensivierenden Systemkonflikts des Kalten Krieges interpretieren. Entwicklungshilfe war für Großbritannien ein zentrales Element im ideologischen Wettbewerb mit dem kommunistischen Entwicklungsmodell und der Versuch, dessen Attraktivität in den ehemaligen Kolonien zu begrenzen. Im Zuge allgemeiner Kürzungen der öffentlichen Ausgaben unter der Regierung Thatcher sanken allerdings auch die Mittel für die britische Entwicklungshilfe, die gleichzeitig verstärkt an ökonomische Interessen gebunden und an neoliberalen Ordnungsvorstellungen orientiert wurde. 82 Ebd., S. 4. 83 Morrissey; White, S. 20. 84 Ebd., S. 19 f.

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Ende der neunziger Jahre, maßgeblich vorangetrieben durch die Regierung Blair, änderten sich die Koordinaten britischer Entwicklungspolitik ein weiteres Mal – nach der Interpretation einiger Autoren grundlegend.85 Oliver Morrissey macht in diesem Zusammenhang drei Transformationen aus: Erstens den Wandel von einer Behörde – der ODA – zu einer selbstständigen Abteilung mit eigenem Minister und Sitz im Kabinett – dem DFID, zweitens die diskursive und strategische Verschiebung von »Hilfe« (aid) zu »Entwicklung« (development) und drittens die Reinterpretation von Entwicklungshilfe weniger als Verwaltung der Mittel, sondern stärker als deren Aushändigung und Freigabe (delivery).86 Die Umbenennung der ODA in DFID im Jahr 1997 kann auch als eine Konsequenz der veränderten Kartierung entwicklungspolitischer Handlungsräume gewertet werden. Mit dem Ende des Kalten Krieges erschienen neue Regionen auf der entwicklungspolitischen Agenda, die nicht zu den ehemaligen Kolonialgebieten gehörten, nun aber vor dem Hintergrund der nach dem Ende des Kalten Krieges erweiterten Logik als neue Handlungsfelder für die westliche und damit auch die britische Entwicklungspolitik definiert werden konnten. Die Umdeutung der ehemaligen »zweiten« Welt der sozialistischen Länder in das entwicklungspolitische Zielgebiet Osteuropa resultierte nicht nur in der enormen Ausweitung der Handlungsfelder für die Entwicklungszusammenarbeit, sondern war für die westliche Gebergemeinschaft auch mit der Herausforderung verbunden, sich mit der Vielfalt der neu entstandenen Staaten auseinander zu setzen. Dabei führte offensichtlich die defizitäre Regionalkenntnis der westlichen Geber zu Friktionen mit den neuen Empfängern.87 Der Fall des Eisernen Vorhangs bedeutete jedoch nicht nur die geografische Ausweitung entwicklungspolitischer Handlungsräume, sondern auch die Transformation entwicklungspolitischer Konzepte und Strategien. Die »assistance to transition«88 wurde zunächst für die postkommunistischen Staaten als entwicklungspolitischer Rahmen entworfen, damit einher ging eine Re-Politisierung der Entwicklungshilfe, die sich nun nicht mehr ausschließlich auf die Stimulierung von Wirtschaftswachstum als Schlüssel zur Entwicklungsförderung konzentrierte, sondern sich auch auf die Transformation politischer Systeme im Sinne einer »good governance« richtete und damit die Integration die-

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Morrissey. Ebd., S. 2. Michalak, S. 122 f. Ners, S. 162.

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ser Staaten in eine neue liberale und transnationale Weltordnung forcierte.89 Die Begrifflichkeit der »countries in transition« wurde in den neunziger Jahren von den ostmitteleuropäischen Transformationsländern auf andere Weltregionen ausgeweitet und bezog sich nun nicht mehr ausschließlich auf die post-kommunistischen Staaten. Die Entkopplung der Entwicklungshilfe von den nationalen wirtschaftlichen Interessen der Geberstaaten, jenes »untying of aid«, das in den neunziger Jahren einsetzte, wurde somit begleitet bzw. ersetzt durch eine neue Form der politischen Konditionalisierung von Entwicklungshilfe – eine Logik, der sowohl die EU-Erweiterungsstrategie als auch die EUNachbarschaftspolitik folgte.

Die ODA und das DFID in der Ukraine Großbritannien begann 1991 als bilateraler Entwicklungshelfer in der Ukraine tätig zu werden. Der Schwerpunkt der britischen Entwicklungshilfe liegt bis heute unbestritten weiterhin auf Afrika und Asien, insbesondere auf den ehemaligen Kolonien. Unter den zwanzig größten Empfängern bilateraler Hilfe befindet sich allerdings auch Russland.90 Zielgebiete des DFID in Ost- und Mitteleuropa sind insgesamt zehn Staaten des ehemaligen Ostblocks, vor allem auf dem Balkan und in Zentralasien und das bereits erwähnte Russland. Zieht man als Grundlage für die Beurteilung der britischen entwicklungspolitischen Präferenzen in Osteuropa die Höhe des länderspezifischen Entwicklungshilfebudgets heran, dann besaß die Ukraine im Vergleich zu Russland für die britische Entwicklungshilfe eine nachgeordnete Bedeutung. In den 15 Jahren zwischen 1991 und 2006 wurden hier 105 Mio. £ investiert, pro Jahr im Schnitt also 7 Mio. £. Gemessen an den Ausgaben für Russland in den Jahren 2001/02 und 2002/03 von 25 bzw. 27 Mio. £91 nimmt sich diese Summe eher bescheiden aus. Vergleicht man allerdings die Höhe der Entwicklungshilfe pro Kopf, so kehrt sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern um: Die Ukraine, mit ca. 46 Millionen Einwohnern, weist dann eine Pro-Kopf-Rate von 6,50 £ auf, Russland, mit ca. 142 Millionen Einwohnern, nur 5,68 bzw. 5,25 £. Unter den osteuropäischen Empfängerstaaten britischer Entwicklungshilfe nahm die Ukraine, wertet man diese Zahlen als Ausdruck entwicklungspolitischer Präferenzen, also 89 So auch Agnew u. Corbridge; Grant u. Nijman, Foreign Aid at the End of the Century, S. 185–187. 90 DFID (Q), Statistics on International Development, Table 6. 91 Ebd.

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einen der vorderen Plätze ein.92 Gleichwohl war das DFID, wie oben bereits ausgeführt, nicht der größte Geber internationaler Hilfe in der Ukraine, sondern rangierte nach den USA, der EU und der EBRD an vierter Stelle. Die entwicklungspolitischen Ziele Großbritanniens in der Ukraine bezogen sich auf drei Bereiche: die Bekämpfung von Armut, die Stärkung der Demokratie und die Verbesserung der Position im internationalen Handel.93 Dabei wuchs gegen Ende der Entwicklungstätigkeit des DFID in der Ukraine im Jahr 2008 die Bedeutung von drei weiteren Dimensionen: die Stärkung von »governance«, die Förderung lokaler Gemeinschaften vor allem durch die Verbesserung lokaler »ownership« und die bessere Integration der Ukraine in internationale Entwicklungshilfesysteme.94 Der Fokus der britischen Entwicklungsarbeit wandelte sich in den 17 Jahren bis zum Rückzug 2008: von der Konzentration auf Wissenstransfers zwischen 1991 und 1997 zur Unterstützung des Transformationsprozesses zwischen 1998 und 2000, der Stärkung von »governance« und der Armutsbekämpfung zwi92 Um die Bedeutung dieser Zahlen im gesamteuropäischen Kontext einzuordnen, kann man sie zunächst zu den Zahlungen an Polen, dem größtem osteuropäischen Empfänger westlicher Entwicklungshilfe in den neunziger Jahren, ins Verhältnis setzen: Zwischen 1990 und 1994 erhielt Polen pro Kopf 25 US-$. Vergleicht man dies wiederum mit der Höhe von Transferzahlungen innerhalb der EU, so wird das weitere Gefälle deutlich: Irland erhielt pro Jahr und Kopf zwischen 1989 und 1993 durchschnittlich 262 US-$ (Angaben aus Ners, S. 163). Diese Angaben beziehen sich allerdings auf die gesamten EU-Mittel, nicht auf bilaterale Programme. Im Kontext der DFID-Förderung in Osteuropa wird jedoch die relative Bedeutung der Ukraine als Empfängerland sichtbar. So erhielt Serbien zwischen 2001 und 2008 ca. 4,3 Mio £ pro Jahr, d. h. 0,58 £ pro Kopf, Moldova erhielt etwa 4 Mio. £ pro Jahr, also 0,93 £ pro Kopf und Bosnien-Herzegowina erhielt seit den frühen neunziger Jahren bis heute ca. 5,25 Mio £ pro Jahr, das sind etwa 1,17 £ pro Kopf (Durchschnittswerte, berechnet nach Angaben des DFID (Q), Where we work). 93 DFID (Q), DFID and Ukraine. 94 DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership, S. 4. Auch bei diesen Termini handelt es sich um Quellenbegriffe, die ich hier nicht ausführlicher im Kontext der politikwissenschaftlichen Governance-Forschung diskutiere – aus Platzgründen und weil es hier weniger um die Identifizierung von Governance-Modellen sondern von Deutungsstrukturen geht (vgl. dazu aber u. a. Benz, Lütz u. Schimank u. Simonis, Handbuch Governance). »Governance« meint in diesem Zusammenhang der Quellen die Art der Organisation und Ausübung von Regierungsführung, angefangen von gewaltenteilig und rechtstaatlich organisierten, parlamentarischen politischen Systemen, die den Grundsätzen von Transparenz, Achtung der Menschenrechte, Verantwortlichkeit und gesellschaftlicher Teilhabe entsprechen. »Ownership« bezeichnet das Prinzip, die jeweiligen Adressaten der Entwicklungshilfe so weit wie möglich in die Entwicklung von Programmen und Projekten, die Identifizierung von Prioritäten und Defiziten und die Umsetzung und Finanzierung der Vorhaben einzubinden.

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schen 2001 und 2005 hin zur Unterstützung der Integration der Ukraine in die EU in den letzten drei Jahren des Wirken des DFID in der Ukraine.95 Drei zentrale Elemente lassen sich im Rückblick auf die Entwicklungsarbeit des DFID und die Begründung seines Rückzugs aus der Ukraine im Jahr 2008 herausarbeiten.96 Zum ersten konzentrierte sich die entwicklungspolitische Strategie des DFID im Laufe der Zeit zunehmend auf regionale und lokale Projekte und Partner. Allerdings erlangte die westukrainische Region erst gegen Ende der neunziger Jahre hierbei eine besondere Bedeutung. Schwerpunkte der Förderung waren der äußerste Osten mit dem Donbass, die Zentralukraine mit der Region um Kiev und der äußerste Westen mit der Region um L’viv. Dies korrespondierte mit den regionalen Schwerpunkten anderer Geber. Zum zweiten zielte diese Arbeit, insbesondere auf der regionalen und lokalen Ebene, auf die Förderung von Wissenstransfers und die Stärkung von Vernetzung, vor allem zwischen der Zivilgesellschaft und den regionalen bzw. lokalen Behörden einerseits und zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen untereinander andererseits. In diesem Kontext stand auch das hier untersuchte Grenznetzwerk. Und zum dritten fällt die zunehmende Bedeutung der Integration der Ukraine in EUropäische Strukturen ins Auge. Als der DFID seine Tätigkeit in der Ukraine im März 2008 beendete, wurde dies mit zwei Argumenten begründet: Einerseits rechtfertigten die Erfolge der bisherigen Entwicklungsarbeit diesen Rückzug. Die Ukraine wurde gleichermaßen nicht mehr als Entwicklungs- sondern als Schwellenland wahrgenommen. Insbesondere die Potentiale lokaler und regionaler Akteure bei der weiteren Umsetzung von Entwicklungsstrategien könnten dabei als maßgeblich gewertet werden. Andererseits wurde die bilaterale Hilfe Großbritanniens in europäische und internationale Förderstrukturen integriert. Die EU-Förderung sei neben jener der Weltbank, der UN und der EBRD ein zeitgemäßer und effizienter Nachfolger der britischen Entwicklungspolitik. Insbesondere die EU-Nachbarschaftspolitik wurde hier als neue und umfassende Form der Fortsetzung dessen gewertet, was die britische Regierung in den letzten Jahren in der Ukraine selbst vorangetrieben hatte. So erklärte der damalige britische Botschafter in der Ukraine, Roland Smith, auf der ersten Konferenz der »Ukrainian-Polish Agency for Regional Development« (UPCBC): »Like all European Union countries, Britain welcomes the European choice, which Ukraine has made and it’s something,

95 DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership, S. 5–7. 96 Vgl. ebd. (den gesamten Bericht).

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which we want to encourage.«97 Dabei machte er bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass die Ukraine unter den neuen östlichen Nachbarn der EU nach deren Osterweiterung eine besondere Rolle spiele.98 Zwei Jahre später, auf der Abschlusskonferenz des Projekts, war die Ukraine in den Augen der britischen Entwicklungshelfer dieser Erwartung gerecht geworden, zumal wenn man die spezifische Situation an der neuen Außengrenze der Union berücksichtige. So erklärte der Nachfolger im Amt des britischen Botschafters in der Ukraine, Robert Brikley: »It is especially rewarding to see that capacities have significantly increased on the Ukrainian side of the border […].«99 Doch nicht nur hatte die Ukraine ihre Position als wichtigster Nachbar der EU bekräftigt, sie war in der Wahrnehmung der Briten durch die Beteiligung an dem grenzüberschreitenden Projekt zu einem Vorreiter bei der Ausgestaltung der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik geworden. Der Leiter des DFID-Büros in der Ukraine zwischen 2003 und 2008, John Stuppel, erklärte 2004: I would also like to mention here today how important the case of Ukraine in the light of European Neighbourhood Policy is in the DFID-wide scale. […] This is a clear sign that Ukraine is considered as a very good example in Eastern Europe how the efforts to bring the standard in legal, administrative, economic, social and democratic spheres closer to those existing in Europe can stimulate the quicker pace of reforms in domestic policy.100 Im Zuge der Ausformung der Europäischen Nachbarschaftspolitik wurden also sukzessive die Strategien und Programme bilateraler, nationaler Entwicklungshilfeagenturen, zumindest der europäischen, verdrängt bzw. EUropäisiert. Für die innen- und außenpolitische Plausibilisierung dieses Prozesses entwickelten die Briten ein Erfolgsnarrativ, in dem ihre Entwicklungsarbeit als wichtiger Vorläufer für die Einführung der Nachbarschaftspolitik und deren Programme beschrieben wurde.101 So lässt sich am Beispiel der Geschichte der britischen Förderpolitik in der Ukraine die Transnationalisierung und Europäisierung der internationalen Entwicklungshilfe prägnant nachvollzie 97 Smith (Q).  98 Ebd.  99 Brikley (Q). 100 Stuppel (Q). 101 So auch die Argumentation von Victoria Reinhardt in Reinhardt. Dabei geht die Entwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik auch auf eine Initiative des damaligen britischen Außenministers Jack Straw zurück [vgl. Straw (Q)].

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hen. Damit einher ging die Einpassung nationaler entwicklungspolitischer Semantiken in den EUropäisierte Diskurs der Nachbarschaftspolitik, der sich semantisch und institutionell von entwicklungspolitischen Bezügen entfernte.102 Die britische Entwicklungsstrategie mit ihren Wurzeln in der kolonialen Vergangenheit, ihrem Fokus auf Armutsbekämpfung und seit dem Ende der neunziger Jahre auf partnerschaftlichen Modellen der Entwicklungszusammenarbeit fügte sich mit ihren neuen Schwerpunkten auf Wissenstransfers und »governance«-Strukturen in die Strategie der EU-Nachbarschaftspolitik. Bei der Fortführung solcher Projekte, die in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit wurzelten und später über EU-Mittel weiter finanziert wurden, wurde dann der Nicht-EU-Ursprung dieser Projekte vergessen. Mit dem Rückzug des DFID aus der bilateralen Förderpolitik in der Ukraine verfolgten die britischen Akteure nun nicht mehr ein eigenes Projekt der Umgestaltung des Raumes, sondern integrierten dieses in ein gemeinsames EUropäisches. Ähnlich, wie es Polen zunehmend gelungen war, seine ostpolitische Version der Raumbeziehungen zu EUropäisieren, d. h., auch auf EU-Ressourcen bei der Verwirklichung des länger angelegten Vorhabens zurückzugreifen, schrieben sich die Briten in dieses gemeinsame Projekt ein. Die Region L’viv entwickelte sich seit 2003 neben Donez’k im Osten zu einer Art Pilotregion der britischen Entwicklungspolitik in der Ukraine. Der Schwerpunkt lag hier auf drei zentralen Problemfeldern.103 Erstens: Im Rahmen des DFID-Programms »Democratising Ukraine« sollten die Beteiligungschancen von Minderheitengruppen an politischen Entscheidungsprozessen gesichert und die Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren gestärkt werden. Dieses Programm wurde parallel in den Oblasten L’viv und Donez’k durchgeführt, später wurden die hier entwickelten Mechanismen und Erfahrungen auch auf andere ukrainische Regionen übertragen. Zweitens: Mit zwei weiteren Projektlinien wurde die Schaffung regionaler und lokaler Entwicklungsagenturen initiiert und gefördert. Diese sollten sich vor allem an der Ausarbeitung von Strategien zur Entwicklung der regionalen und lokalen Wirtschaft beteiligen. Zunächst wurde in L’viv eine solche Agen102 Die Nachbarschaftspolitik der EU wurde weder von der EU noch von den osteuropäischen Empfängern unmittelbar als Entwicklungshilfe in dem Sinne beschrieben, wie dies für außereuropäischen Regionen, insbesondere in den ehemaligen Kolonien der früheren europäischen Imperien, der Fall war. Auch institutionell wurde mit der Einführung des neuen ENPI diese Distanzierung vollzogen: Für die Nachbarschaftsprogramme wurde ab 2007 nicht mehr auf TACIS-Mittel (also Entwicklungshilfe im Sinne der »technical assistance«) zurückgegriffen, sondern ein eigenes Budget dafür eingerichtet. 103 Vgl. im Folgenden DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership.

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tur als unabhängige Organisation eingerichtet, die eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen lokalen Unternehmen, der lokalen Gemeinschaft und den verantwortlichen staatlichen Behörden ermöglichen sollte. Später wurde die Gründung solcher Agenturen in weiteren Kreisen des Oblast L’viv angeregt. Im Rahmen dieses Projekts ging es vor allem um die Vermittlung von Expertise und Praktiken der regionalen Wirtschaftsförderung. Zunächst wurden ukrainische und polnische Experten für die Ausbildung der Mitarbeiter der neuen lokalen Entwicklungsagenturen eingesetzt, die später wiederum selbst ihr Wissen an lokale Unternehmen, Mitarbeiter von NGOs und der kommunalen Selbstverwaltung weitergaben. Diese neu gegründeten Agenturen fungierten also später selbst als Mediatoren und Multiplikatoren regionalpolitischer Expertise, die vom DFID in Zusammenarbeit mit ukrainischen und polnischen Akteuren entwickelt worden war. Drittens: Die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurde für das DFID Anfang des neuen Jahrtausends bedeutsam. Auch hier war es wieder die Region L’viv, die hier als erstes in die Projekte einbezogen wurde. Mit der Gründung der UPCBC-Agency sollte die Vernetzung zwischen ostpolnischen und westukrainischen grenznahen Regionen gefördert werden, um Strategien für den Umgang mit der heranrückenden EU-Osterweiterung zu entwickeln. Dieses Projekt – sozusagen die Keimzelle für das hier untersuchte grenzübergreifende Netzwerk – wurde im Abschlussbericht des DFID als beispielhaft für den Übergang aus der britischen Förderung in die Trägerschaft anderer Geber, in diesem Falle die EU, zitiert. Zwei zentrale Strategien des DFID werden vor diesem Hintergrund deutlich: die Förderung von Vernetzung und die Ausrichtung auf Wissenstransfer. Beide Methoden richteten sich an Gruppen, die aus regionalen sowie nationalen, staatlichen sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren, Experten aus der Ukraine sowie den benachbarten ostmitteleuropäischen Staaten, insbesondere aus Polen, zusammensetzten – bzw. die von dem DFID in dieser Form zusammengebracht wurden. Der DFID erschien als Initiator und Berater in den Anfangsphasen der jeweiligen Programme und wirkte später lediglich unterstützend, aber nicht führend in den entsprechenden Projekten. Es wurden also zu Beginn zentrale Multiplikatoren mit westlicher Expertise, d. h. dem Wissen über »europäische Standards«, ausgestattet und dann in den nationalen und regionalen Kontexten eingesetzt, um auf diese Weise die Verbreitung und lokale Aneignung von Wissen und Praktiken zur Modernisierung von »governance«-Strukturen, zur Demokratisierung gesellschaftlicher Bereiche und zur Initiierung von Wirtschaftswachstum zu befördern.

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Dabei handelte es sich offensichtlich um einen wechselseitigen Lern- und Transferprozess. Unter der Überschrift »Übergabe des Staffelstabs – was wir gelernt haben« wurde betont, dass die Erfahrungen des DFID in der Ukraine »will help us become more effective in other countries, particularly those in earlier stages of economic and social transitition.«104 Die Lektionen fasste der Bericht folgendermaßen zusammen: Erstens habe sich eine engere Kooperation mit den ukrainischen Partnern und eine Lokalisierung der Arbeit des DFID in der Ukraine als zentral erwiesen. Die Unterstützung von Transformationsprozessen ließ sich also offensichtlich nicht aus der Londoner Zentrale steuern. Zweitens sei die Integration lokaler Expertise in die Programme unabdingbar gewesen. Bemerkenswert ist das hier entworfene Verhältnis zwischen »modern« und »lokal«: »A mix of international and local consultancy usually works best because it combines modern ideas and practices with a sound understanding of the local context.«105 Eine weitere Erkenntnis des DFID, gleichwohl ein nicht zufriedenstellend gelöstes Problem, betraf die Verflechtung zwischen den verschiedenen territorialen Ebenen. Zunächst seien auf der lokalen und regionalen Ebene Reformprojekte gestartet worden, die in einem nächsten Schritt auch auf die nationale Ebene ausstrahlen sollten. Wegen der ausgeprägten politischen Instabilität in der Ukraine insbesondere auf der nationalen Ebene habe sich diese Verflechtung jedoch als problematisch erwiesen, sie sei aber die Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der angestrebten Reformziele.106 Weitere Reformanreize, wie die Beitrittsambitionen der Ukraine, könnten darüber hinaus nur dann wirksam werden, wenn sie mit nationalen Prioritäten übereinstimmten. Die entwicklungspolitische Strategie des DFID richtete sich also auf die Verflechtung verschiedener territorialer Ebenen und auf die Transnationalisierung von Wissensnetzwerken mit dem Ziel, regionale, lokale und nationale Akteure zu Motoren der institutionellen und normativen Transformation zu machen. Die regionale und lokale Ebene wurde dabei als Ausgangspunkt der Entwicklung identifiziert, sie wurde gleichermaßen als Laboratorium für künftige Prozesse auf der nationalen Ebene begriffen, jene sollte dann die Nachhaltigkeit der angestrebten Reformen garantieren. »Internationale Expertise«, also die Vermittlung von institutionellen Strukturen, westlichen Werte, Normen und Praktiken, besaß dabei vor allem am Anfang dieses Transformationsprozesses 104 DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership, S. 21. 105 Ebd. 106 DFID (Q), UK-Ukraine Development Partnership, S. 22.

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eine maßgebliche Funktion, die jedoch nur dann als erfüllt betrachtet werden konnte, wenn regionale und lokale Akteure als Mediatoren und eigenständige Träger des Prozesses befähigt werden konnten: Transferring project policy dialogue […] from an international to a national team contributed to the successful delivery of this government agenda. This approach also led to quicker decision making within the project team (e. g. documents did not need to be translated for international experts). Communication channels with the government became more direct and easier. Nevertheless, at the early stages of the project implementation many government partners valued access to international expertise and ideas. The project working within the Lviv [sic!] regional authorities benefited in its early stages from the inputs from international experts, but towards the end a Ukrainian member of the team was appointed as manager. It helped to facilitate greater dialogue with the local partners and help smooth the way to closure of the project.107 Einer ähnlichen Herausforderung sah sich auch die EU bei der Entwicklung der ENP gegenüber, nämlich mehrere territoriale Ebenen, nationale, regionale und lokale Interessenvertreter für die Umsetzung ihrer Politik zu mobilisieren und diese in einen Zusammenhang zu bringen, der sich für sie kontrollieren ließe. Allerdings schienen die britischen Entwicklungshelfer die regionale und zivilgesellschaftliche Arena für ihre eigenen Projekte zu präferieren. Die Transferrichtung – von Wissen, Ideen und Praktiken – verstanden die Briten als auch die EU dabei eher als von außen nach innen gerichtet sowie von unten nach oben, d. h. aus internationalen/westlichen Kontexten in die ukrainischen hinein und von der regionalen und lokalen Ebene auf die nationale. Über die Mechanismen der Aneignung, Modifizierung und Übersetzung in den jeweiligen Aneignungskontexten erfährt man an dieser Stelle noch sehr wenig. Dies wird im Folgenden am Beispiel des grenzüberschreitenden Netzwerks der UPCBCAgency genauer rekonstruiert.

107 Ebd., S. 23.

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Avantgarde an der Grenze

4.3 Avantgarde an der Grenze: Die Polnisch-Ukrainische Agentur für grenzüberschreitende Zusammenarbeit 4.3.1 Die »UPCBC-Agency« und das DFID Die »Polnisch-ukrainische Agentur für grenzüberschreitende Regionalentwicklung« wurde 2001 auf Initiative des DFID gegründet.108 Beteiligt waren vier Regionen, je zwei auf der polnischen und auf der ukrainischen Seite der Grenze: die ukrainischen Oblaste Wolhynien und L’viv sowie die polnischen Woiwodschaften Lublin und Karpatenvorland. Durchgeführt und unterstützt wurde dieses Projekt von einem mit ihren Filialen in ganz Europa vertretenen Politikberatungskonsortium, Bradley Dunbar Associates, mit Sitz in Edinburgh, die insbesondere als Dienstleister im Rahmen von EU-Programmen tätig ist.109 Die Regionen wurden zum Teil durch Abteilungen der jeweiligen Regionalverwaltungen – also durch staatliche Vertreter – in der Agentur repräsentiert. Dies ist für den Oblast Wolhynien der Fall, wo die Oblastverwaltung ein Büro für grenzüberschreitende Angelegenheiten einrichtete. Ähnliche ist dies für die Woiwodschaft Karpatenvorland, wo das Marshallamt in der Abteilung für internationale Beziehungen für die Agentur eine eigene Stelle schuf. Für die 108 Vgl. hier und im folgenden http://www.upcbcagency.org (Zugriff 08. 07. 2009). 109 Die Quellenlage zu Bradley Dunbar ist ausgesprochen dürftig. Weder in den Interviews noch per Internetrecherche ließen sich über die oben genannten Informationen hinaus Hinweise zur Tätigkeit dieses Unternehmens finden. Ob dies auf strategische Überlegungen oder auf eine schlechte Öffentlichkeitsarbeit zurückzuführen ist, kann leider nur vermutet werden. Festzuhalten bleibt die Beobachtung, dass sowohl die EU als auch das DFID für das lokale Management ihrer Programme externe Dienstleister einsetzen, der Kontakt zwischen Entwicklungsförderern und -empfängern also zu einem großen Teil über ein professionalisiertes Beratungspersonal abgewickelt wird. Allerdings tauchen in den Quellen zu den Konferenzen und Einzelprojekten der Agentur die Vertreter von Bradley Dunbar nicht auf, gleichwohl figurieren sie als Urheber der »Impact Study«. Eine ähnliche Rolle spielte eine weltweit tätige Consulting-Agentur (MWH) in der ENPI-Phase ab 2007, die für das sogenannte RCBCI-Projekt (Regional Capacity Building Initiative – Supporting Partner Country participation in ENPI-CBC-Programmes 2007–2013) die Konsortiumsleitung übernahm. MWH wurde als Beratungsagentur für Wasser- und Abfallmanagement 1945 in Kalifornien gegründet und fusionierte im Laufe der Firmengeschichte mit weiteren Beratungsfirmen in Großbritannien und den USA, aus denen Montgomery Watson Harza (MWH) entstand, die sich auf weltweite Beratung für »wet infrastructures« spezialisiert hat (http://www.mwhglobal.com/(Zugriff 20. 06. 2011). Dies ist ein weiterer Fall des »outsourcing«, dessen sich in diesem Fall die EU bei den Nachbarschaftsprogrammen bediente. Das macht einmal mehr deutlich, dass hier nicht nur politische und gesellschaftliche Akteure beteiligt waren, sondern auch Agenturen, denen primär ein wirtschaftliches Interesse unterstellt werden kann und die als Wissens- und Transferdienstleister fungieren.

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Woiwodschaft Lublin und den Oblast L’viv stellt sich die Lage anders dar. Hier sind jeweils zwei Organisationen Mitglied, die sich selbst als NGO bezeichnen, die allerdings eng mit den jeweiligen Regionalverwaltungen verflochten sind. Im Lubliner Fall handelte es sich dabei um »Dom Europy« oder »House of Europe«, das als eigenständige Organisation zwar im selben Jahr entstand, aber unabhängig von der Einrichtung der UPCBC-Agency gegründet wurde.110 Daran waren die Lubliner Regionalverwaltung und die niederländische Partnerregion, die Provinz Gelderland, maßgeblich beteiligt. Die Initiative ging 2001 von der Woiwodschaftsverwaltung Lublin aus. Mitglieder der Organisation sind die Gemeinden der Region – und damit eigentlich keine zivilgesellschaftlichen Akteure im engeren Sinne, obwohl sich die Organisation selbst als NGO beschreibt. Sie fungiert als Beratungs- und Vernetzungs-Stelle, die der kommunalen Ebene vermitteln soll, wie Zugang zu EU-Geldern für kommunale und regionale Projekte erlangt werden kann. Sie stellt also einen wichtigen Multiplikator bei dem Transfer von Semantiken und Strategien zwischen der EU- und der regionalen Ebene dar. Die Woiwodschaft Lublin kooperierte darüber hinaus mit der niederländischen Provinz Gelderland, die auch zahlreiche Projekte von »Dom Europy« finanzierte bzw. dessen Gründung mitinitiiert hatte. Gelderland ist selbst Gründungsmitglied der ersten Euregio, die als Pilotvorhaben für die Euroregionen gilt. Hier fand ein Wissenstransfer statt, der ohne die zentrale Koordinierung durch Brüssel verlief. »Dom Europy« spielte eine wichtige Rolle bei der Strategieplanung der Regionalregierung. Zusammen mit dem Gemeinsamen Sekretariat des Nachbarschaftsprogramms in Warschau wurden Seminare für potentielle Projektpartner aus der Ukraine und Weißrussland durchgeführt. Die Organisation fungierte also auch an dieser Stelle als Multiplikator. Personell war sie eng mit der Regionalregierung vernetzt. Der stellvertretende Leiter des Amtes für Regionalplanung, Ryszard Boguszewski, war gleichzeitig Vorstandsvorsitzender der Organisation, auf seine Anregung hin entstand die regionalpolitische Strategie für die Woiwodschaft, die von »Dom Europy« angefertigt wurde. Ehemalige und aktive Mitarbeiter der Organisation haben u. a. als »externe Experten« für die Begutachtung von Projektanträgen für das Nachbarschaftsprogramm gearbeitet, was in der Arbeit des steering committee, das die Anträge genehmigte, neben der formalen Begutachtung durch das Gemeinsame Sekretariat, eine wichtige Rolle spielte. Im Umfeld bzw. teilweise 110 Die folgende Darstellung basiert auf Interviews in Lublin im November 2006 sowie auf Informationsmaterial der Organisation, vgl. u. a. auf http://www.domeuropy.lubelskie.pl/ (Zugriff 15. 10. 2006).

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Avantgarde an der Grenze

im Konflikt mit dieser Organisation engagierten sich auch andere zivilgesellschaftliche Akteure im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. In L’viv rief das DFID im März 2002 gemeinsam mit der Regionalverwaltung L’viv im Rahmen der neu eingerichteten UPCBC-Agency ARDEI – die »Agency for Regional Development and European Integration« – als gemeinnützige Organisation ins Leben.111 Ihre Aufgabe war die Förderung der regionalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und damit verbunden die Stärkung der grenzüberschreitenden Kooperation mit den polnischen Nachbarn vor dem Hintergrund der herannahenden EU-Osterweiterung. Auch hier standen die Vermittlung von Expertise und Erfahrungen an regionale und lokale Unternehmen und Organisationen im Kontext internationaler Förderstrukturen und die Entwicklung regionalpolitischer Strategien im Vordergrund. Die grenzüberschreitende Kooperation war wie bei »Dom Europy« nicht unbedingt Selbstzweck sondern instrumentell für die regionalpolitischen Entwicklung. Die EU und ihre Erweiterung gaben dabei den Rahmen vor. Diese beiden Organisationen haben sich innerhalb des Netzwerks als die aktivsten erwiesen und waren darüber hinaus in der Lage, ihre Finanzierung auch nach dem Ende der DFID-Förderung zu sichern. Zum einen, weil sie es vermochten, neue Quellen wie die EU-Nachbarschaftsprogramme zu erschließen, was vor allem für ARDEI gelang, und zum anderen, weil sie über zusätzliche externe Partner verfügten, wie die Provinz Gelderland im Falle von »Dom Europy«. Bei diesen beiden Organisationen handelte es sich also um halbstaatliche, bzw. in ihrer Selbstwahrnehmung um zivilgesellschaftliche Akteure, die sich zwar als politisch unabhängig begriffen, sich aber gleichzeitig als Serviceagenturen für die regionalen Behörden verstanden. An der Aushandlung von Strategien und der Produktion von Semantiken innerhalb des grenzüberschreitenden netzwerkförmigen Zusammenhangs waren also auch Akteure beteiligt, die neben oder unterhalb der staatlichen nationalen und regionalen Ebenen arbeiteten. Diese deuteten sich selbst durchaus als Korrektiv zum staatlichen Handeln – vor allem auf der ukrainischen Seite – mitunter auch als Avantgarde, aber auch und vor allem als Interessenvertreter der Region. Bei der Erschließung von Ressourcen für die regionale Entwicklung und bei der Herausbildung von Strategien und Semantiken im Umgang mit der grenznahen Situation wurden demnach nicht nur staatliche Akteure aktiv, sondern auch solche, die zwischen 111 Die Darstellung basiert auf den Informationen der Website http://www.ardei.lviv.ua/ (Zugriff 30. 03. 2008) sowie auf den Interviews in L’viv im April/Mai 2008.

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diesen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft vermittelten. Die Differenzierung staatlich/nicht-staatlich ist in diesem Zusammenhang nur bedingt hilfreich, vielmehr werden Akteure erkennbar, die das Spiel mit räumlichen Bezügen, als auch mit Arenen der Aushandlung beherrschen und dies für die Verwirklichung ihrer Vorstellungen einsetzen. Zwischen 2001 und 2004 war das DFID Teil dieses Spiels. Dabei ging es den britischen Entwicklungshelfern vor allem um Wissenstransfer und Vernetzungsarbeit. Am Beginn stand im März und Mai 2002 ein »Project Cycle Management Training«. Ziel war es hier, Multiplikatoren zu qualifizieren, die in der Region weitere Akteure darin ausbilden sollten, wie Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu entwerfen, zu beantragen und durchzuführen sowie deren Ergebnisse zu kontrollieren seien. Diesem Training folgte im September 2002 ein Seminar zu »Strategic Planning in Administrative Units«. Hier stand die Strategieentwicklung in der regionalen Entwicklungsförderung im Zentrum. Dabei wurden Techniken eingeübt, die sich in späteren Projekten wiederfinden lassen, wie die sogenannte »SWOT«-Analyse, die ursprünglich für betriebswirtschaftliche Planungen entwickelt wurde.112 Im Juli 2003, nachdem in allen vier Regionen bzw. Filialen der Agentur eingerichtet worden waren, organisierte das DFID ein sogenanntes »Team-Building Training«, das über die grundlegende Vermittlung von Wissen hinaus auf die Aktivierung des Netzwerks durch konkrete regionale Kooperationsprojekte zielte. Das DFID hatte einen Fond für Kleinprojekte (»Small Project Fund«) aufgelegt, für den sich Gruppen aus der Region bewerben konnten, und der insgesamt 25.000 £ bzw. jeweils nicht mehr als 2000£ je Einzelprojekt zur Verfügung stellte. In dem »Team-Building Training« wurden aber auch Informationen über zusätzliche Fördermöglichkeiten für die grenzüberschreitende ukrainisch-polnische Kooperation vermittelt. Bis zu diesem Punkt schien die Initiative beim DFID zu liegen, das sich um die Aktivierung des Netzwerks und die Vermittlung von Wissen bemühte. Gleichzeitig hatte das DFID frühzeitig das Ende der Förderphase im Blick hatte und setzte Anreize für regionale Akteure, sich um zusätz112 S – Strengths, W – Weaknesses, O – Opportunities/Chances, T – Threats. Dieses formalisierte Muster kommt u. a. in der »Common Polish-Ukrainian Cross-Border Cooperation Strategy 2005–2015« zum Einsatz. Jenes Raster findet sich auch in der Entwicklung und in der Endfassung des EU-Nachbarschaftsprogramms. Diese Methode der Situationsanalyse wurde ursprünglich für die strategische Unternehmensplanung entwickelt. Die Übertragung dieses Instrumentariums in den Bereich regionalpolitischer Planung – also in soziale und politische Bereiche – ist vermutlich auf die Beteiligung des Beratungskonsortiums Bradley Dunbar Associates zurückzuführen und gleichzeitig Teil eines allgemeineren Trends der Adaption ökonomischer Logiken auf gesellschaftliche und politische Bereiche.

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liche externer Ressourcen zu bemühen. Bereits im Oktober 2003 realisierten regionale Akteure dann netzwerkübergreifende Projekte, wie das »Partner Search Forum«, das – wie alle anderen Seminare auch – in L’viv stattfand. Dieses stand unter der Schirmherrschaft des ukrainischen Premierministers und war Teil des dritten Wirtschaftsforums, das die Regionalverwaltung des Oblast L’viv und die Handelskammer L’viv bis heute jährlich veranstalten.113 Mit diesem regelmäßigen Wirtschaftsforum wollte die Regionalverwaltung regionalen Unternehmen und Organisationen eine Plattform bieten, um sich mit ausländischen Partnern, insbesondere mit jenen aus den unmittelbaren Nachbarstaaten, aber auch aus der Europäischen Union zu vernetzen sowie Investitions- und Förderpotentiale zu identifizieren. Dieses Forum gab es bereits vor dem Start des DFID-initiierten UPCBC-Projektes. Die Regionalverwaltung nutzte 2003 jedoch die zusätzlichen Ressourcen der Agentur, um dem Wirtschaftsforum eine weitere Vernetzungsplattform hinzuzufügen. Das Wirtschaftsforum und das Partner Search Forum wurden mit Blick auf den bevorstehenden EU-Beitritt Polens, Ungarns und der Slowakei ins Leben gerufen. Zentrales Thema und Motivation für das Partner Search Forum war es, den Zugriff auf und die Verwendung von Fördermitteln aus EU-Programmen und Programmen anderer internationaler Geber zu optimieren, weil erstens erwartet wurde, dass diese für die grenznahen Regionen, vor allem der neuen Mitgliedsstaaten, mit dem EU-Beitritt enorm ansteigen würden – hauptsächlich durch die Einführung von INTERREG IIIA.114 Zweitens ging die Klage, dass die Verwendung der Fördermittel bisher ineffektiv und intransparent gewesen sei.115 Die Regionalverwaltung L’viv war entschlossen »to ensure effective utilisation of such funds for the development of our region.«116 Als Hauptursachen für diese Defizite erkannte 113 Vgl. http://www.lcci.com.ua/; http://www.mfa.gov.ua/usa/en/publication/content/20800. htm; sowie für das Forum 2008 http://www.economicforum.lviv.ua/ (Zugriff 10. 06. 2009). 114 INTERREG III ist eine Initiative der EU für die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Regionen, sie wurde aus dem ERDF finanziert (von 2000 bis 2006, INTERREG IV von 2007 bis 2013.). Die neuen Mitgliedsstaaten kamen nach ihrem Beitritt in den Genuss dieser Mittel, die die Unterstützung regionaler Entwicklung aus PHAREMitteln ablöste. INTERREG gliedert sich in drei Stränge der interregionalen Kooperation: A für grenzüberschreitende Zusammenarbeit benachbarter Regionen, B für transnationale Zusammenarbeit, um die Kooperation regionaler, nationaler und lokaler Behörden zu stärken und C für interregionale Zusammenarbeit, bei der es vor allem um die Vernetzung nicht unmittelbar benachbarter Regionen geht. INTERREG-Mittel können nur auf dem EU-Territorium eingesetzt werden, für angrenzende Nicht-EU-Regionen stehen TACISMittel zur Verfügung. In der ersten Phase der EU-Nachbarschaftsprogramme 2004–06 wurde deren Finanzierung aus INTERREG IIIA und TACIS CBC-Mittel zusammengesetzt. 115 Vgl. http://www.upcbcagency.org.ua (Zugriff 10. 06. 2009). 116 Ebd.

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man einerseits den Mangel an Erfahrung mit Projekten im Bereich der grenzüberschreitenden Kooperation, vor allem in Form der »technical assistance« und andererseits die schwach ausgeprägte Vernetzung der potentiellen Partner – aus der Verwaltung, von kleinen und mittelständischen Unternehmen und von NGOs.117 Dieses DFID-Projekt wurde durch zwei internationale Konferenzen begleitet, im Juni 2002 in L’viv und im Juni 2004 in Kiev. Durch das Projekt wurde die Vernetzung in der Region gestärkt und Multiplikatoren ausgebildet. Ein Ergebnis war aber auch einen Studie über die Folgen der EU-Erweiterung für die Region, die von Experten der Bradley Dunbar Associates und des »Business Support Centre NewBizNet«, einer Lemberger Nichtregierungsorganisation, die neben der Handelskammer für die Vernetzung und Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen des Oblast tätig ist, verfasst wurde.118 Hier wurden die Auswirkungen der EU-Erweiterung für die Freizügigkeit von Personen, den informellen grenzüberschreitenden Handel und den formellen Handel zwischen Polen und der Ukraine herausgearbeitet, um daraus mögliche Chancen des polnischen Beitritts für die Region abzuleiten. Außerdem wurde untersucht, wie gut regionale Interessenvertreter über die bevorstehenden Veränderungen informiert waren. Außerdem wurden aus dem oben erwähnten Fond für Kleinprojekte insgesamt zehn solcher Vorhaben gefördert, darunter fünf mit Beteiligung des Oblast L’viv und fünf mit Lubliner Partnern. Die Woiwodschaft Karpatenvorland und der Oblast Wolhynien waren mit zwei respektive vier Projektbeteiligungen weniger erfolgreich bei der Nutzung der Fördermittel.119 In der Startphase des Netzwerkes bis etwa 2002/03 ging es innerhalb des Netzwerks vor allem um den Austausch von Informationen: einerseits über die Folgen der Osterweiterung für die Region, andererseits über die verschiedenen 117 Ebd. 118 Vgl. Effects on Western Ukraine of Poland’s Accession to the EU. 119 Die hier ausgewerteten Daten stammen von der Website der UPCBC-Agency (http://www. upcbcagency.org.ua, Zugriff 01. 07. 2009). Diese Website spiegelte offensichtlich vor allem die ukrainische Perspektive wider, wobei das nicht abschließend beantwortet werden kann. Der Server lag in Polen, die Website wurde auch von dort administriert, leider fehlten sowohl ein Impressum als auch weitere Hinweise auf die Urheberschaft der Beiträge. In der Darstellung auf der Website erschienen polnische Akteure eher marginal. Dies steht allerdings im Widerspruch zu den Daten aus der Auswertung des »Small Project Fund«, hier ist vor allem »Dom Europy«, eine polnische Organisation, aktiv. Vermutet werden kann also, dass die Website vor allem als Marketinginstrument des Oblast L’viv konzipiert wurde, und damit eher Aufschluss über die Deutungen aus ukrainischer Sicht gibt, die Auswertungen hier zusammen mit anderen Daten betrachtet werden müssen.

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regionalpolitischen Strukturen als Grundlage weiterer regionalpolitischer Strategieplanung. Zu diesen Themen wurden Expertisen verfasst, um das Informationsdefizit auszugleichen, das die Beteiligten hinsichtlich der Folgen der Osterweiterung bei sich diagnostizierten. Dabei verhielten sich die ukrainischen Akteure im Wesentlichen reaktiv. Polen wurde in den meisten Fällen entweder als Vorbild oder als Mediator wahrgenommen, das DFID fungierte als Geldgeber aber auch als Vermittler von Expertise und Wissen. Im Folgenden werden die Dynamiken im Netzwerk und die durch sie in Gang gesetzte Produktion raumbezogener Semantiken genauer betrachtet.

4.3.2 Das Spielfeld: Der Wandel von Kooperationslogiken und Deutungen des Netzwerks Hinweise auf den weiteren Kreis der Akteure in diesem Netzwerk, das sich um die UPCBC-Agency gruppierte, ergeben sich aus den Teilnehmerlisten und Programmen der beiden begleitenden Konferenzen in den Jahren 2002 und 2004.120 Zunächst nahmen natürlich an beiden Konferenzen Vertreter aus den vier an der Agentur beteiligten Regionen teil. Die Abschlusskonferenz im Jahr 2004 besuchten etwas mehr Personen (66) als zwei Jahre zuvor (57). Auffallend ist, dass weder Vertreter staatlicher Organe noch zivilgesellschaftlicher Organisationen aus der Woiwodschaft Karpatenvorland die Abschlusskonferenz besuchten. Dies entspricht dem grundsätzlichen Bild, dass Akteure aus der Woiwodschaft Lublin und dem Oblast L’viv stärker miteinander kooperierten bzw. die Ressourcen der Agentur mehr nutzten als jene aus den anderen Regionen. Auf beiden Konferenzen waren darüber hinaus Mitarbeiter des DFID, der EU-Delegation in der Ukraine in Kiev, der britischen Botschaft und nationaler Ministerien aus Polen und der Ukraine anwesend. Etwa ein Fünftel (2002) bzw. ein Sechstel (2004) der Konferenzbesucher vertraten die nationalstaatliche Ebene, im Jahr 2002 ungefähr zu gleichen Teilen von ukrainischer wie polnischer Seite. Ihre Zusammensetzung gibt Hinweise darauf, wie die jeweiligen nationalstaatlichen Vertreter die Agentur wahrnahmen. Die polnische Gruppe setzte sich 2002 aus Botschaftsmitarbeitern aus der Konsulats- und Handelsabteilung sowie einem Vertreter des polnischen Grenzschutzes zusammen, für die 120 Vgl. hier und im Folgenden: Final Conference »Results of DFID Cross Border Agency Project. Integrating the lessons learnt into the European Neighbourhood Instrument in Ukraine«, List of Participants; siehe auch: International Conference des UPCBC-Networks »Ukrainian-Polish Cooperation and Regional Development Under the European Union Enlargement. Challenges and Opportunities«, List of participants.

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Ukraine kamen die Teilnehmer aus dem Außen- und Wirtschaftsministerium, und hier vor allem aus den Abteilungen für europäische Integration, sowie aus der Zollbehörde. Die Bedeutung des DFID-Projektes sahen also beide Seiten im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung, wobei für die Polen offensichtlich Fragen des Grenzschutzes eine Rolle spielten, für die Ukrainer ging es wohl eher um den grenzüberschreitenden Handel. Zwei Jahre später besuchten nur noch zwei Vertreter polnischer Ministerien – des Wirtschafts- und des Innenministeriums, aus den Abteilungen für regionale Entwicklung und insbesondere für das INTERREG-Programm – die Konferenz; die ukrainische Delegation wuchs im Vergleich zu 2002 von sieben auf neun Teilnehmer, wobei sich kein Abgesandter des Außenministeriums mehr darunter fand, dafür aber um so mehr aus dem Wirtschaftsministerium, von der Verkhovna Rada (dem ukrainischen Parlament), dem Umweltministerium und dem Komitee für Fragen des Grenzschutzes. Fragen der polnisch-ukrainischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurden nun also auch vom Parlament als Themenfeld aufgegriffen. Und jenseits von Regionalentwicklung und Europäischer Integration ging es den Ukrainern nun auch um Grenzschutz und Umweltpolitik. Die augenfälligste Verschiebung von der ersten zur zweiten Konferenz war jedoch eine erhebliche Pluralisierung und Ausweitung des Teilnehmerkreises insgesamt. Zunächst spiegelte die Abschlusskonferenz den Wandel des DFIDProjektes: Die Nichtregierungsorganisationen, die sich für diese Konferenz anmeldeten, waren zum großen Teil Partner der vom DFID geförderten Projekte – allerdings ausschließlich die ukrainischen Beteiligten.121 Hinzu kamen Mitarbeiter von TACIS- bzw. EU-Projekten – was ein Hinweis darauf ist, dass der Übergang von der DFID- in die EU-Förderung bereits vorangeschritten war. Dies macht auch die verstärkte Beteiligung der EU-Kommission deutlich: War 2002 der zweite Sekretär der EU-Delegation in Kiev als einziger nach L’viv gereist, kamen 2004 drei Mitarbeiter der Delegation, darunter zwei der Projektkoordinatoren für grenzüberschreitende Projekte. Außerdem waren fast doppelt so viele Vertreter des DFID, sowohl aus der Londoner Zentrale, als auch aus der Leitung und den Unterabteilungen des DFID im Jahr 2004 Teilnehmer der Konferenz – natürlich auch, um die eigenen Verdienste und die der Hilfeempfänger zu würdigen. Die eigentliche Innovation auf der zweiten Konferenz 2004 war jedoch, dass Vertreter zwei weiterer ukrainischer Oblaste – Transkarpatien und Odessa – sowie des weißrussischen Oblast Hrodna eingeladen waren. Für Weißrussland 121 Die Projekte waren durchgängig als polnisch-ukrainische Partnerprojekte angelegt.

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kam ein Abgesandter der staatlichen Universität in Hrodna, für die ukrainischen Oblaste vor allem Repräsentanten der Regionalverwaltung. Auch VÁTI, ein ungarisches gemeinnütziges Unternehmen für Regionalentwicklung und Stadtplanung, das vor allem als Beratungs- und Forschungsdienstleiter für den ungarischen Staat tätig war, schickte drei Mitarbeiter, das ungarische Außenministerium einen weiteren. Auf der Abschlusskonferenz fehlten jedoch Vertreter anderer internationaler Geber, wie PAUCI, USAID und UNDP, die sich 2002 auf der Konferenz vorgestellt hatten.122 Die internationale Reichweite des Netzwerks nahm also bei gleichzeitiger regionaler Ausweitung und Verdichtung ab. Dass ein weißrussischer Vertreter aus Hrodna und eine polnischen Mitarbeiterin der Euroregion Bug die Konferenz besuchten, deutete bereits auf die Reichweite des EU-Nachbarschaftsprogramms hin, dessen Laufzeit 2004 begann. Mit Transkarpatien und Odessa waren zwei Regionen vertreten, die erst mit dem Europäischen Nachbarschaftsprogramm in der Laufzeit 2004 bis 2006 bzw. mit dem European Neighbourhood Instrument 2007 nach dem Ende des ersten Nachbarschaftsprogramm auf Beitreiben der ukrainischen Partner einbezogen wurden. Die Vernetzung mit ihnen begann jedoch schon zu diesem Zeitpunkt. Das Netzwerk begann demnach in kurzer Zeit zu wachsen, d. h. sich in zweierlei Hinsicht räumlich zu erweitern: indem neue Regionen beteiligt wurden, und indem Vertreter weiterer territorialer Ebenen hinzukamen. Außerdem schienen ukrainische Akteure zunehmend Interesse an der Arbeit des Netzwerks zu entwickeln und zeigten verstärkt Präsenz. Und schließlich wurde die Rationalität des Netzwerks bald EUropäisiert. Auch bei den Themen des Netzwerks sowie mit Blick darauf, wie es die Beteiligten deuteten und welche Kooperationslogiken wirksam wurden, lassen sich ebenfalls Verschiebungen ausmachen. Auf der Eröffnungskonferenz im Jahr 2002 ging es vor allem um die Förderung der regionalen Entwicklung vor dem Hintergrund der nahenden EUOsterweiterung. Die Erweiterung wurde für die Regionen zu beiden Seiten der Grenze im Spannungsfeld zwischen »Chancen« und »Herausforderungen« gedeutet. Ziel der ersten Konferenz war es, die vermuteten Informationsdefizite in Bezug auf die Folgen der Osterweiterung, vor allem im Zusammenhang mit der Einführung eines neuen Visaregimes und der Veränderung der regionalpolitischen Koordinaten und Förderprogramme, in Zukunft zu schließen. 122 Vgl. International Conference des UPCBC-Networks »Ukrainian-Polish Cooperation and Regional Development Under the European Union Enlargement. Challenges and Opportunities«, Programme of the Conference.

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Sowohl für die polnischen als auch für die ukrainischen Akteure stellte der bevorstehende Beitritt Polens eine noch schwer abschätzbare Herausforderung dar. Beide Seiten signalisierten das Bedürfnis und die Bereitschaft, sich darauf besser vorbereiten zu wollen, unter Rückgriff auf die Erfahrungen anderer europäischer Länder und mit Unterstützung internationaler Geber. Die wichtigste Ressource, die die beteiligten Akteure mit der Bildung des Netzwerks zu erschließen hofften, waren zunächst also Informationen, mit deren Hilfe die noch nicht genauer zu bestimmenden »Chancen und Herausforderungen« zu bewältigen sein würden.123 Studien zur Folgenabschätzung sollten helfen, eine »informed opinion« zu bilden, »to re-examine and revise the current national and international instruments available to support regions in responding to the challenges ahead and to utilize new opportunities, opened to Ukraine under EU enlargement.«124 Dabei besäße die polnisch-ukrainische Kooperation »at all levels« eine »essential role [… for …] tackling the challenges ahead.«125 Auch für den anwesenden Vertreter der EU-Delegation in Kiev, Francesco Luciani, waren die Folgen der Erweiterung für die benachbarten Länder dies- und jenseits der neuen Außengrenze 2002 offensichtlich noch schwer zu bestimmen. Deswegen zog er sich vorsichtshalber gleich auf eine private Position zurück: »Allow me to speak in a more open manner without any particular mandate from the commission.«126 Zwei Themen spielten nach seiner Wahrnehmung mit Blick auf den Erweiterungsprozess in der Region eine entscheidende Rolle: die verbesserten ökonomischen Chancen für Polen, aber auch für die Ukraine auf der einen Seite, die Einführung des neuen Visaregimes auf der anderen. Die wirtschaftlichen Potentiale des Beitritts müssten aber nicht unbedingt auf beiden wirksam Seiten werden, vorstellbar seien auch Wettbewerbsvorteile für die Ukrainer gegenüber den Polen, die nun an die neuen EU-Regeln gebunden waren. Es könnten insofern vermehrt Friktionen in der Grenzregion entstehen. Dieser Gefahr könnte nach Lucianis Ansicht allerdings durch eine tragfähige Vernetzung über die Grenze hinweg vorgebeugt werden – deshalb begrüßte er die Etablierung der grenzüberschreitenden Agentur. Und dabei komme den Polen eine entscheidende Rolle zu: 123 Vgl. International Conference des UPCBC-Networks »Ukrainian-Polish Cooperation and Regional Development Under the European Union Enlargement. Challenges and Opportunities«, Resolution. Diese Argumentation zieht sich auch durch alle anderen verfügbaren Konferenzbeiträge. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 Luciani (Q).

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We are not to see that in terms of competition, but on the contrary, there is an enormous potential for co-operation, for complementarity. Polish investors, Polish businessmen will have the capacity to create these complementarity, to define different roles of the element of the region.127 Daraus sprach zum einen die Unsicherheit der EU-Kommission bei der Abschätzung der Risiken, die die durch die Erweiterung zu erwartende neue politische Geografie mit sich bringen würde. Diese Unsicherheit war auch das Movens der neuen Nachbarschaftspolitik. Der Vertreter der Kommission richtete seine Hoffnungen auf die polnischen Akteure, zum Gelingen der Erweiterung ohne eine Destabilisierung der Grenzregion beizutragen. Diesen wurde aus der EU-Perspektive die Rolle des Koordinators eines Prozesses zugewiesen, dessen Ausgang zunächst nicht als restlos gesichert gelten konnte. Hier schienen der Kommission flexible Lösungen angebracht, die offensichtlich nur in der Region – und zwar innerhalb des erweiterten EU-Territoriums – entwickelt werden könnten. Beim zweiten Hauptthema – der Einführung des neuen Visaregimes – zeigte sich Luciani weniger offen für Vorschläge aus der Region. Ein Aufschub oder andere Alternativen seien »not a solution, which is acceptable at the moment. It is not something, which is on the table.«128 Dies entsprach der Logik, der sowohl das EU-Migrations- und Grenzregime folgte, als auch die EU-Nachbarschaftspolitik. Flexibilisierung und Kooperation wurden für bestimmte Themenfelder zugelassen, wenn sie aus Sicht der EU zur Stabilisierung ihrer nächsten Nachbarschaft beitragen konnten – dies waren vor allem wirtschaftliche und kulturelle Kooperationsprojekte. Strategien der Exklusion in Reaktion auf die jeweiligen Bedrohungsszenarien und Sicherheitsnarrative erwiesen sich als bedeutend weniger variabel. Potentielle Gefahrenquellen im Gefolge migratorischer oder anderer Ströme aus der oder über die Ukraine wurden zumindest zu Beginn der Erweiterungsphase grosso modo abzuwehren versucht.129 Die Gleichzeitigkeit von ökonomischen Potentialen und visarechtlichen Schwierigkeiten wurde auch von anderen Konferenzbesuchern gleich welcher 127 Ebd. 128 Luciani (Q). 129 Flexiblere Lösungen deuteten sich einige Jahre später an, u. a. im 2008 ausgehandelten Abkommen über den Kleinen Grenzverkehr und im Rahmen der 2009 ins Leben gerufenen Östlichen Partnerschaft. Auch hier bedurfte es offensichtlich eines Lernprozesses bei der EU, um Gefahren besser abschätzen zu können und gegen die Kosten abzuwägen, die eine fortgesetzte Rigidität des Visaregimes für die Außenbeziehungen bedeuten würden.

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institutionellen Herkunft thematisiert. Aus Sicht der Woiwodschaft Lublin ergänzte Miroslav Zlomaniec, Vize-Marschall der Woiwodschaft, den Katalog der Folgen der Erweiterung um einen weiteren Aspekt. Er verwies auf den Prozess der territorialen Neuordnung des polnischen Staates durch die Anpassung an die EU-Regeln zur regionalen und kommunalen Selbstverwaltung.130 Dies umfasste nicht nur die Reorganisation in 16 – statt vorher 49 – polnische Regionen (Woiwodschaften), sondern auch die Anpassung regionaler Planungsvorgänge an »EU-Standards« bei der Entwicklung strategischer Planungen, operativer Programme und konkreter Projekte. Der Erweiterungsprozess hatte also nicht nur Folgen für die Transformation der Grenze an sich, sondern auch für die territoriale Struktur innerhalb des Beitrittsgebietes. Dies schloss auch Methoden zur Erfassung räumlicher Daten,131 Formen regionaler Governance und darüber hinaus die Machtverteilung zwischen der nationalstaatlichen und der regionalen bzw. kommunalen Ebene ein. Auf territoriale Transformationen dieser Art wirkte auch die Europäische Nachbarschaftspolitik hin, gleichwohl mit weniger eindeutigen Effekten, zumindest so lange ein Beitritt nicht in Aussicht gestellt wurde. Neben diesen beiden Aspekten – der noch unsicheren Deutung der Grenze zwischen den Extremen »Chance« und »Problem« und der territorialen Transformation des EU-Gebietes – wurde eine dritte Dimension der regionalen Neuverortung als Folge der Osterweiterung verhandelt: die geopolitische und historische Positionierung der Ukraine als Zwischenland zwischen »Russland« und »Europa«.132 Die Nuancen dieses Narrativs sind interessant. Der britische Botschafter begrüßte die »European choice, which Ukraine has made.«133 Dies 130 Zlomaniec (Q). 131 Das meint u. a. die Übertragung der NUTS-Klassifikation auf Gebiete außerhalb der Union. NUTS steht für »Nomenclature des unités territoriales statistiques« (Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik) und soll die Gebietseinheiten in der amtlichen Statistik der Europäischen Union klassifizieren. Diese Klassifizierung wurde 1980 vom europäischen Amt für Statistik entwickelt, um den Vergleich zwischen regionalen Gebietseinheiten in der EU (bzw. der damaligen EG) und auch außerhalb der Union möglich zu machen. Sie bilden die Grundlage für die Verteilung von Fördermitteln aus den Strukturund Kohäsionsfonds im Rahmen der europäischen Regionalpolitik. Es gibt drei Ebenen dieser Regionen: NUTS-1, -2 und -3, wobei NUTS-3 die kleinste Gliederungsebene ist und sich zumeist auf Landkreise, also die kleinsten subnationalen Einheiten in den jeweiligen Staaten bezieht. Durch die Standardisierung dieser Gliederung wurde versucht, die unterschiedliche Verwaltungsgliederung in den Mitgliedsstaaten nach einheitlichen Maßstäben zu erfassen. Teilweise ist diese Erfassung auch in die nationalstaatlichen Legislaturen übernommen worden. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1059/2003. 132 Vgl. Makarska u. Kerski. 133 Smith (Q).

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habe weitreichende Folgen für den Verlauf des Transformationsprozesses in der Ukraine, Großbritannien unterstütze gemeinsam mit der EU und anderen internationalen, auch nicht-staatlichen Gebern wie der Soros-Foundation diese Entwicklung. Die Zuordnung der Ukraine zu »Europa« stellte aus britischer Sicht also eher einen noch nicht abgeschlossenen Prozess denn eine unumstrittene Tatsache dar, obgleich die Ukraine unter den neuen Nachbarn eine herausragende, modellbildende Stellung besäße.134 Jedoch: »[…] the end point [der Entwicklung] in each case [der drei neuen östlichen Nachbarn Weißrussland, Moldova und Ukraine] is not defined as yet.«135 Dass es sich bei dem Verhältnis zwischen der Ukraine und der EU nicht nur um eine Frage der Annäherung, sondern langfristig um das Ziel der Integration handelt, machte der erste stellvertretende Staatssekretär des ukrainischen Ministeriums für Wirtschaft und Europäische Integration deutlich: »Ukraine’s integration to EU is a natural process, which is based upon the history and culture of our nation.«136 Auch für ihn handelte es sich dabei um einen Weg, der noch zu gehen sei, und um eine Entwicklung, bei der die Außenbeziehungen der Ukraine zur EU Folgen für ihre innenpolitische Transformation hätten. Diesen »natural process« auf der Grundlage historischer und kultureller Faktoren sah er zudem durch ein interessegeleitetes Handeln der ukrainischen Eliten und Bevölkerung flankiert: With a concrete vision of goal [sic!] European countries make efforts to change for better and change for better their neighbours, too. This is why European prospects are so attractive for Ukraine. Our main goal is to reach such standard of living, welfare, democracy, human rights, rule of law, as it is in the EU, and which our western neighbours are approaching now. And the experience of the latter proves, that the dreams come true – if the way to them is carefully planned and followed with persistence.137 Dem »natürlichen Prozess« musste also durch sorgfältige Planung auf die Sprünge geholfen werden. Die Rücknahme der »European choice« sollte mit Verweis auf historische und kulturelle Pfadabhängigkeiten erschwert werden. Gegenläufige Argumente in der innerukrainischen Diskussion galt es zurückzuweisen und nach außen hin dem Integrationswillen zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verleihen. Gleichzeitig lassen diese Äußerungen den Schluss zu, dass 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Bezruchenko (Q). 137 Ebd.

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es der ukrainischen Seite nicht notwendigerweise nur um die Wiederherstellung eines »richtigen« oder »natürlichen« historischen und kulturellen Zusammenhangs ging, sozusagen um die Korrektur der Geschichte, sondern dass sich daran konkrete Erwartungen für den Erfolg der nationalen Entwicklung knüpften. Die EU – oder in der Sprache des Protagonisten hier: »Europa« – schien dabei so einflussreich, dass allein schon das Einrücken in ihre unmittelbare Nachbarschaft segensreiche Wirkung entfaltete. Sozialwissenschaftlich fundierte Unterstützung erhielt diese Sichtweise durch die Präsentation von zwei Vertretern ukrainischer Politikberatungsagenturen. Sie stellten die Ergebnisse einer Studie vor, die die Ost-West-Orientierung der ukrainischen Außenpolitik klären sollte.138 Dabei fielen zunächst die unterschiedlichen Perzeptionen der Eliten und der Bevölkerung ins Auge, die pro-europäische Orientierung sei bei ersterer stärker ausgeprägt, die prorussische hingegen bei letzterer. Auch diese Autoren waren sich sicher: »There is no doubt that Ukraine is a European country.«139 Diese Tatsache liege allerdings nicht für alle anderen Europäer auf der Hand: »However, this ›continental‹ affiliation does not by itself remove the humiliating question, whether we are welcome into the union of leading European countries.«140 Vor allem die politische Elite in der Ukraine sei deshalb skeptisch, ob die EU tatsächlich für eine Mitgliedschaft der Ukraine bereit sei, die Bevölkerung zeige sich optimistischer. Die Bedeutung der Ost-West-Achse sah auch die polnische Seite, hier allerdings vor dem Hintergrund des bereits gesicherten EU-Beitritts. So betonte der Vize-Marschall der Woiwodschaft Lublin: »The general goal of Liubelskie Vojevodship Development Strategy is ›building a bridge between East and West.‹«141 Die Diskussion auf der ersten Konferenz des Netzwerks lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Sowohl die polnischen als auch die ukrainischen Beteiligten beschrieben eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der antizipierten Neuordnung ihrer Region in Folge der EU-Osterweiterung. Sie konstatierten vor allem Informationsdefizite, deren Bewältigung aus den »challenges« »opportunities« werden lassen würde. Diese Unsicherheit wurde auch von der EU-Kommission geteilt, die sie mit der Aufforderung an die Ukrainer kompensierte, den »europäischen Weg« weiter zu gehen. Alle Beteiligten hielten es für notwendig, sich innerhalb des Spannungsfelds zwischen »Europa« und 138 Paskov u. Chaly (Q). 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Zlomaniec (Q). Diese Brücken-Rhetorik verwandten auch Akteure aus dem Oblast L’viv.

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»Russland« zu positionieren. Bei der Bewältigung des Erweiterungsprozesses sollte nicht nur die EU, sondern auch Ressourcen und Akteure aus einem weiteren internationalen Umfeld helfen, diese wurden mit USAID, PAUCI und der Soros-Foundation konkret benannt. Dies erschien zwei Jahre später auf der Abschlusskonferenz des DFID-Projektes in einem anderen Licht. Hier standen der Abschluss des DFID-Projektes und der Übergang in die EU-Förderung, insbesondere durch das neue Nachbarschaftsprogramm auf der Tagesordnung. Es ging nun vor allem um eine Bestandsaufnahme und die institutionelle Weiterentwicklung des Projekts für die EU-Förderung. Die gewichtigste Verschiebung in der Deutung des Netzwerks und seiner Rolle in der Region war die neue Selbstbeschreibung als Vorbild und Avantgarde für andere grenzüberschreitende Regionen im Kontext der Erweiterung und das Selbstverständnis als Vorläufer und neue Trägerstruktur für das 2004 eingeführte EU-Nachbarschaftsprogramm. Das wichtigste Dokument, das auf dieser Konferenz verabschiedet wurde, war somit auch der »Proposal for Information/Contact Points for New Neighbourhood Programme – Poland/Ukraine/Belarus«.142 Im Zentrum standen die folgenden Argumente. Einerseits: The »vision« of the agency, as set out in the Tacis CBC SPF application143 in march 2003, is exactly in line with the needs of the NNP [New Neighbourhood Programme] at this time. […] the Commission and the relevant national authorities should agree that the official contact/information points for the NNP will be the offices of the existing cross-border agency144 (Hervorhebung im Original) Andererseits wurde das Projekt des DFID und die Etablierung der grenzüberschreitenden Agentur als von vornherein geplanter Teil der »pre-NNP«-Phase145 neu gedeutet – dass dies von Anfang an klar gewesen sei, lässt sich aus den vorliegenden Quellen allerdings nicht bestätigen. Die Unterzeichner dieses Vorschlags argumentierten, dass die notwendigen institutionellen Ressourcen und entsprechende Erfahrungen bereits vorhanden seien, um das Nach142 Vgl. unter http://www.upcbcagency.org.ua (Zugriff 25. 06. 2008). 143 Die weitere Strategieentwicklung im Rahmen des Netzwerkes wurde in ein nun von der EU gefördertes Projekt übernommen. 144 Vgl. Proposal for Information/Contact Point for New Neighbourhood Programme – Poland/Ukraine/Belarus. 145 Ebd.

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barschaftsprogramm in der Region zu implementieren. Dieses erschien damit nicht als völlig neue Erfindung, sondern baute auf regionalen Erfahrungen auf und profitierte von ihnen. Deutlich wird, dass sich das Grenznetzwerk als Vorreiter des Nachbarschaftsprogramms und als Modell für andere Regionen, die ins Nachbarschaftsprogramm einbezogen werden sollten, ansah: That the regions not currently involved in the agency and yet covered by the NNP area (Zakarpatiya, Grodno, Brest, Podlaskie, Mazowiecki) would be invited to join the structure as full partners and to benefit from many of the capacity-building activities planned […]146 (Hervorhebung im Original) Die Adressaten dieses Vorschlags von 2004 waren zunächst einmal die nationalen Regierungen Polens und der Ukraine, die mit der EU über das Nachbarschaftsprogramm in Verhandlung standen. Die Europäische Kommission sollte diesen Vorschlag unterstützen.147 Auch die britischen Förderer stützen diese Erfolgsgeschichte und die Deutung des Netzwerks als Avantgarde. Das Projekt sei ein voller Erfolg gewesen, so der britische Botschafter Robert Brikley, und habe vor allem den Transfer von Wissen und Erfahrung in die Region hinein ermöglicht.148 Auch er interpretierte das DFID-Projekt als Vorläufer des Nachbarschaftsprogramms: In particular, the work on the joint Polish-Ukrainian strategy for crossborder development became an effective channel to facilitate support to Ukraine’s interest in the implementation of the Interreg-programme.149 Noch einen enthusiastischen Schritt weiter ging der erste Sekretär der britischen Botschaft in der Ukraine und Leiter der (DFID-) Sektion, John Stuppel: The Project is also well known in Ukraine, Poland and Brussels for its input at a higher political level in the process of design, agreement and review of Programme Document for Poland-Ukraine-Belarus New Neighbourhood Programme for the years 2004–2006, to influence the respective power centres in order to highlight the fact of existence of well-steered network of regional partners, which is now ready to perform the functions of so-cal146 Ebd. 147 Ebd. 148 Brikley (Q). 149 Ebd.

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led Information Points or Contact Points for the benefits of the operation of New Neighbourhood Programme and New Neighbourhood Instrument in Ukraine since 2007.150 Für ihn war das Netzwerk nicht nur der institutionelle Nukleus des Nachbarschaftsprogramms, er sah es darüber hinaus als aktiver Agent für die regionalen Interessen gegenüber der nationalen Ebene und der EU. Stuppel sprach auch einen weiteren Aspekt an, der von anderen Beteiligten auf der Konferenz variiert wurde: Diese regionale Initiative sei ein Vorbild für andere Regionen. Ein Wissenstransfer fand also aus seiner Sicht nicht nur von West nach Ost, sondern auch von der Region weiter nach Osten und gar auf die nationale Ebene statt. Robert Brikley deutete den Besuch ungarischer und weißrussischer Teilnehmer auf der Konferenz in diesem Sinne als den Beginn eines zukünftigen Erfahrungsaustauschs.151 Die polnisch-ukrainische Grenzregion war demnach nicht mehr nur in der Rolle als Lernende zu sehen, sondern als Avantgarde und Unterweiser: The lessons of our project also can be possibly useful not only for the Western border [der Ukraine], but also for the Eastern. We as DFID in our turn are starting to look further Eastern in our CBC activities as well.152 Die stellvertretende Direktorin von ARDEI griff ebenfalls auf diese Interpretation zurück. Im Rahmen der vom Kleinprojektefond geförderten Vorhaben sei die Vernetzung zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren maßgeblich vorangetrieben worden, im Zuge dieser Arbeit habe sich das Projekt als Vorreiter für die gesamte Ukraine, aber auch für das Nachbarschaftsprogramm erwiesen und zwar sowohl im technischen wie im inhaltlichen Sinne. Hier seien Modelle für die Kooperationen und für Ansätze einer Verrechtlichung der grenzüberschreitenden Kooperation entwickelt worden. Als besondere Leistungen des Netzwerkes hob sie dessen internationalen Charakter, die gemeinsame Entscheidungsfindung und die Stabilisierung von partnerschaftlichen Zusammenhängen heraus. Außerdem sei es ein Novum gewesen, dass ukrainische Antragssteller ihre Projekte in ihrer eigenen Sprache einbringen konnten.153 150 Stuppel (Q). 151 Brikley (Q). 152 Stuppel (Q). 153 Mocharska (Q).

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Der Vertreter der EU-Kommission ließ sich hingegen auf diese Rhetorik nicht ein, er präsentierte lediglich das EU-Nachbarschaftsprogramm und betonte die Notwendigkeit, dieses gemeinsam mit den betroffenen Regionen zu entwickeln. Allerdings erweckte er in seinem Vortrag den Eindruck, als gäbe es keine regionalen Traditionen, auf die die EU hätte zurückgreifen können. Vielmehr erschien die Idee der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als eine alleinige Erfindung der neuen EU-Nachbarschaftspolitik.154 Darüber hinaus hatte sich die Deutung der Kooperation zwischen Polen und der Ukraine im Netzwerk gewandelt. Deutlicher als zwei Jahre zuvor stellten sich nun polnische Organisationen als Spiritus Rector des sich stabilisierenden Netzwerks vor, institutionell vor allem begründet durch die Rolle als »lead partner« im Nachfolgeprojekt, dessen Finanzierung durch TACIS CBC übernommen wurde.155 Und hatte man sich 2002 noch gemeinsam mangelnde Erfahrungen eingestanden, so wurde nun nur noch ein Nachholbedarf der Ukraine diagnostiziert.156 Mit der neuen Führungsrolle Polens in diesem Verbund gerieten nun auch Erfahrungen aus der deutsch-polnischen und der polnisch-tschechischen Grenzregion in den Blick. So besuchten 2004 ukrainische Gruppen zu Studienzwecken die Euroregion »Pomerania« und »Śląsk Cieczyński – Těšinské Slezko«.157 Die Selbstdeutung der polnischen Akteure im Grenznetzwerk entspricht der in Kapitel drei entworfenen Zivilisierungsmission à la polonaise. Hier nun zeigte sich, dass diese Rolle auch von der ukrainischen Seite zu großen Teilen akzeptiert wurde – obwohl sich eine gewisse Unzufriedenheit über die Asymmetrien bei der Verteilung von symbolischen wie materiellen Ressourcen beizumischen begann, wie unten auszuführen sein wird. In der Zusammenschau lässt sich die Entwicklung des Netzwerks folgendermaßen charakterisieren: Die Vernetzungsdynamik wurde zu Beginn vom DFID initiiert, er fungierte als Mediator westlichen Wissens, das die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure auf den Umgang mit der territorialen Neuordnung der Grenzregion vorbereiten sollten. Dies traf auf spezifische regionale Konstellationen, die geprägt waren von länger zurückreichenden Traditionen regionaler, grenzüberschreitender Kooperation. Die regionalen Eliten zeigten sich zunächst aufnahmebereit für diese Form der Entwicklungshilfe und inte154 Duflot (Q). 155 Wobei es sich dabei um Gelder handelte, die ausschließlich für das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt werden sollten. 156 Fotek (Q). 157 Matiunin (Q).

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grierten sie in regionale Strategieplanungen. Die EU-Erweiterung und ihre Folgen schienen dabei noch schwer abschätzbar, auch für die EU-Kommission selbst. Anfangs standen Informationsbeschaffung, Meinungsbildung und Vernetzungsarbeit im Vordergrund. Die Erfahrung der Zusammenarbeit mobilisierte dann zunehmend die regionalen Eliten, sich aktiver einzubringen. So ging es dann bald um die Besetzung strategisch bedeutsamer Positionen in dem durch die Nachbarschaftspolitik veränderten Feld. Die regionalen Akteure sahen sich nun nicht mehr nur als Adressaten, sondern als Mitgestalter dieser Politik. Das Netzwerk stabilisierte sich und versuchte dann, weitere Netzwerke – jedenfalls rhetorisch – zu integrieren oder gar zu beeinflussen. Dabei wurde auch die Hierarchie im Netzwerk neu verhandelt – aus der Gleichheit in der Bedürftigkeit erwuchs eine selbstbewusstere Position der Polen als Mediatoren in diesem Prozess.

4.3.3 Der Spieleinsatz: Projektarbeit und Hierarchien im Netzwerk Die polnischen Projektpartner übernahmen die Rolle als Mediatoren oder gar als Koordinatoren im Netzwerk und damit auch für den Übergang ins Nachbarschaftsprogramm vermutlich im Zuge der Umsetzung der Projekte, die vom DFID im Rahmen des Kleinprojektefonds gefördert wurden. Insgesamt waren 34 Anträge bis November 2002 eingereicht worden, zehn wurden bewilligt.158 Laut Sergej Matjunin, 2004 Direktor der polnischen Organisation »Dom Europy«, waren mehr als 50 insgesamt für die Förderung unter TACIS oder durch externe Organisationen wie PAUCI entwickelt worden.159 Von diesen 34 Projektanträgen stammten neun aus dem Oblast L’viv, 15 aus der Woiwodschaft Lublin, fünf aus der Woiwodschaft Karpatenvorland und fünf aus dem Oblast Wolhynien.160 Diese Projekte waren jeweils als grenzüberschreitende Kooperationen angelegt, drei von ihnen als Kooperation zwischen L’viv und Lublin, drei als Kooperation zwischen L’viv und Karpatenvorland, vier als Kooperation zwischen Lublin und Wolhynien. Karpatenvorland und Wolhynien hatten keinen gemeinsamen Antrag eingereicht, sicher auch weil diese beiden Regionen nicht direkt benachbart sind. Da nur der Oblast L’viv und die Woiwodschaft Lublin gemeinsame Grenzen mit allen am Netzwerk beteiligten Regionen besitzen, waren sie offensichtlich auch aus geografischen Gründen für eine allseitige Kooperation am besten aufgestellt. 158 Vgl. Small Project Fond Report; Matiunin (Q). 159 Ebd. 160 Vgl. hier und im Folgenden Small Project Fond Report.

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Eine genauere Betrachtung der Projektbeteiligung und der Bewilligungsquote ergibt folgendes Bild: Der Oblast L’viv war an sechs Projekten beteiligt, hatte also bei 66 % der (mit)eingereichten Projekte Erfolg, für Lublin (mit sieben Projekten) ergibt sich eine Quote von 47 %, für Karpatenvorland (mit drei Projekten) 60 % und für den Oblast Wolhynien (mit vier Projekten) 80 %. Relativ gesehen waren also Lublin und L’viv weniger erfolgreich als die beiden anderen Regionen, allerdings hatten sie mehr Projekte eingereicht als die anderen und waren insgesamt aktiver, sowohl mit Blick auf die Zahl der beantragten wie der bewilligten Vorhaben. Dies unterstreicht die besondere Rolle, die diese beiden Regionen innerhalb der grenzüberschreitenden Kooperation an der Ostgrenze einnahmen, ein Eindruck, der sich auch später im TACISFolgeprojekt und im Rahmen des Nachbarschaftsprogramms bestätigte.161 Die jeweiligen Initiatoren der Projekte lassen sich nur noch schwer rekonstruieren, laut Liubov Mocharska stammten vier der bewilligten Projekte aus L’viv, drei aus Lublin, zwei aus Wolhynien und eines aus Karpatenvorland.162 Der Auswahlprozess im Rahmen des Kleinprojektefonds war ähnlich organisiert wie später im EU-Nachbarschaftsprogramm: Nach einer formalen Begutachtung folgte die Auswahl in einem steering committee, der Projektverlauf wurden dann einem »monitoring« geprüft und die Ergebnisse abschließend evaluiert.163 Bei der Umsetzung des Kleinprojektefonds ging es auch darum, Verfahren für die Auswahl und Koordinierung grenzüberschreitender Projekte zu entwickeln, die als Modelle etabliert werden konnten. Dieses Vorhaben wurde von den Teilnehmern als erfolgreich bewertet.164 Allerdings wurden nach der Auswertung der Ergebnisse für zwei der beteiligten Akteursgruppen Defizite identifiziert: Zum einen falle es der Oblastverwaltung nach wie vor schwer, tragfähige Strategien zu entwickeln und die Budgets für grenzüberschreitende Projekte zu koordinieren.165 Außerdem gebe es immer noch bei der Erarbeitung von Kooperationsverträgen zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren Schwierigkeiten. Zum anderen fehle es Nichtregierungs161 Franke, Die Grenze. 162 Mocharska (Q). 163 Ebd. 164 Ebd. 165 Die Schwierigkeiten vieler Antragsteller, tatsächlich grenzüberschreitende Projekte zu entwickeln, erläuterte auch ein Vertreter des Gemeinsamen Technischen Sekretariats für das Nachbarschaftsprogramm. Die meisten Antragsteller seien nicht in der Lage, einen echten grenzüberschreitenden Nutzen zu identifizieren und – statt die Projekte als zwei zusammengesetzte Vorhaben dies und jenseits der Grenze anzulegen – diese als verflochtene Unternehmungen zu konzipieren (Interview Warschau 1).

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organisationen an Erfahrungen bei der Antragsstellung, sie hätten außerdem Probleme bei der Suche nach geeigneten Partnern und mangelnde Kenntnisse der rechtlichen Kontexte und Mechanismen.166 Die Liste der Monita wurde von einer Vertreterin der ukrainischen Organisation ARDEI vorgetragen und bezog sich auf die Ukraine – offensichtlich schien es wenige Wochen nach dem EU-Beitritt Polens in einem solchen Rahmen nicht mehr ganz passend, über eventuelle Schwierigkeiten polnischer Akteure Rechenschaft abzulegen. Die Vorreiterfunktion dieser Projektarbeit für das zukünftige EU-Nachbarschaftsprogramm wurde auch bei der Evaluierung der Projekte nicht in Frage gestellt. Hier seien Kompetenzen erarbeitet worden, die unmittelbar in den Aufbau von Contact- und Infopoints des Programms transferiert werden könnten, hieß es im Abschlussbericht.167 Das Anschlussprojekt zum Netzwerk unter TACIS-Förderung sollte helfen, die diesbezüglichen Kompetenzen weiter auszubauen.168 Die Themen der Projekte sind ebenfalls jenen sehr ähnlich, die später im EU-Nachbarschaftsprogramm wieder aufgegriffen wurden:169 u. a. die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit in der Region und die Förderung der regionalen Wirtschaft, Umweltschutz, Tourismus und Jugendarbeit sowie der Aufbau institutioneller Strukturen für die Verstetigung der grenzüberschreitenden Kooperation. Dabei ging es bei einer Reihe von Projekten darum, Anschlussanträge vorzubereiten, die innerhalb einer veränderten Förderlandschaft erfolgreich platziert werden könnten. Die regionalen Eliten waren dabei offensichtlich auch bemüht, einen fördermittelgeförderten Arbeitsmarkt zu etablieren, also die Nachfrage nach ihren Kompetenzen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu verstetigen.170 Die avisierten Anschlussförderungen stammten dabei nicht notwendigerweise aus Mitteln der EU, sondern auch aus Quellen anderer trans- oder internationale Geber wie PAUCI. Die Vernetzung zwischen dem wirtschaftlichem, dem zivilgesellschaftlichen und dem staatlichem Sektor war darüber hinaus oftmals Ziel und Ergebnis der Projekte. Typisch für Kleinprojekte der »technical assistance« wurden vor allem Seminare, Studienaufenthalte, Konferenzen und Roundtables organisiert, Infor166 Mocharska (Q). 167 Ebd.; Small Project Fond Report; Matiunin (Q). 168 Vgl. Small Project Fond Report. 169 Neighbourhood Programme Poland-Ukraine-Belarus, Final Document; Neighbourhood Programme Poland-Ukraine-Belarus, Programme Complement; sowie Lista projektów, wybranych do realizacji prez Komitet Sterujący; vgl. zu einer ersten Auswertung Franke, Die Grenze. 170 Ähnlich hat für Zentralasien Ruth Mandel argumentiert (Mandel).

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mationsbroschüren und andere kleine Publikationen sowie Lehrmaterialien entwickelt, Strategiepapiere verfasst und weitere Medien wie Film und Presse genutzt, vor allem für öffentliche Informationskampagnen und sonstige Lobbyarbeit. In einigen Projekten wurden Daten über bestehende oder anzustrebende Kooperationsinitiativen erhoben oder polnisches Informations- und Ausbildungsmaterial ins Ukrainische übersetzt. Obwohl die Projekte sowohl von ukrainischer als auch von polnischer Seite geplant und eingereicht worden waren, in den Projektberichten also kein »lead partner« erkennbar war, wurde in der Art der Umsetzung und Präsentation der Ergebnisse auf der Konferenz die Vorbild- und Führungsrolle der Polen deutlich. Häufig waren die Projekte so angelegt, dass polnische Akteure ihr Wissen weitergaben und westliche Normen und Standards vertraten. Daran anschließend wurden wiederum ukrainische regionale Eliten als Multiplikatoren ausgebildet, die dann selbst in der Region als Trainer tätig werden sollten. Damit wurde ein Gefälle zwischen der Ukraine und Polen angenommen, das auszugleichen die grenzüberschreitende Kooperation helfen sollte. Gleichzeitig gab es aber einzelne Projekte, in denen Gemeinsamkeiten und Synergieeffekte auf beiden Seiten stärker und Asymmetrien weniger betont wurden. Die Rolle externer Akteure, wie beispielsweise des DFID und die von ihm eingesetzten Experten, wurde in den Berichten jedoch nur am Rande – wenn überhaupt – thematisiert. Grundsätzlich ging es hier nicht um die Umsetzung großangelegter Infrastruktur- und anderer Investitionsprojekte, sondern um »technical assistance« als Strategie des Wissens- und Normentransfers. Solche Projekte sind, wie oben schon angemerkt, vergleichsweise preiswert zu haben: Insgesamt gab das DFID für diese zwei Jahre 25.000 £ aus bzw. maximal 2000 £ pro Projekt. Gleichwohl lassen sich in der Gesamtschau Prozesse beobachten, die die Grundlage für die Umsetzung finanziell und technisch aufwändigerer Vorhaben legten. Dies ist zum Ersten die Stärkung der polnischen Akteure in der Grenzregion im Kontext des Erweiterungsprozesses, zum Zweiten die Herausbildung zweier beteiligter Regionen als aktivste Spieler in diesem Netzwerk. Und zum Dritten eigneten sich die regionalen Eliten Techniken des Wissens- und Normentransfers an, deren Objekt sie anfangs selbst waren, um diese nun selbst zum Einsatz zu bringen: gegenüber anderen regionalen Eliten, gegenüber der nationalstaatlichen Ebene und gegenüber der EU. Auf diese Weise wurde das Zusammenspiel der territorialen Ebenen komplexer, diese Verschiebungen eröffneten den Akteuren gleichzeitig neue Möglichkeiten, externe Ressourcen für die Regionalentwicklung zu erschließen, die nach wie vor ungleich verteilt waren.

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4.3.4 »Licking a lollipop through a window«: Dimensionen und Deutungen der Asymmetrie Die Beziehungen an der Grenze wurden von den beteiligten Akteuren auf beiden Seiten nicht als gleichberechtigte wahrgenommen. Die Asymmetrie galt zum einen für das ukrainisch-polnische Verhältnis und zum anderen für jenes zwischen der Region und den internationalen Gebern. Die Interviewpartner hoben aber einen Wandel über die Jahre hinweg hervor, der das einfache WestOst-Gefälle nicht mehr uneingeschränkt plausibel erscheinen ließ. Vielmehr haben eine Reihe von Lern- und Transferprozessen stattgefunden, die diese Deutung fragwürdig werden ließen. So formulierte eine Interviewpartnerin aus der Oblastverwaltung in L’viv: And certainly if you look at the border, on the Polish side and on the Ukrainian side, Poland gets as a member of the European Union much more, many times more money than we get. So what we are building on the border – is it really a good neighbourhood or is it another wall? You can call it silk wall.171 Dieses Problem reflektierten auch die polnischen Vertreter. Ein Mitarbeiter der Regionalverwaltung in Lublin fand für die ukrainische Situation das Bild des »licking a lollipop through a window«172 und führte weiter aus: […] it was not difficult to persuade them [die ukrainischen Partner] to participate in the whole exercise [im EU-Nachbarschaftsprogramm PolenUkraine-Weißrussland], but they were a little bit reserved and they knew from the very beginning that the bulk of money would be spent on the Polish side and that they would have to be just partners for the game.173 In beiden Interviewpassagen wird klar, dass beide Seiten die Asymmetrie der finanziellen und regionalpolitischen Ressourcen der grenzüberschreitenden Entwicklungsförderung als problematisch werteten. Gleichzeitig gab es unterschiedliche Deutungen dieser Differenz. Die ukrainische Seite problematisierte die Ungleichheit der Mittelverteilung und Prioritätensetzung mit Blick auf die 171 Interview L’viv 1. 172 Interview Lublin 1. 173 Ebd.

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geopolitische Ordnung des Kontinents und in Anspielung auf historische und neue Teilungen. Die Verfestigung der Grenze als Barriere wurde hier nicht allein als eine Folge der Ausweitung des Schengen-Raumes gesehen, sondern auch als Ergebnis hierarchischer regionalpolitischer Ordnungsversuche. Im Jahr 2008 – dem Jahr des Interviews – schien dann der Verweis auf den Nachholbedarf der Ukrainer in der grenzüberschreitenden Kooperation und der regionalpolitischen Strategieplanung für die ukrainische Seite als nicht mehr ausreichend, um die Asymmetrie zu legitimieren. Die Gefahren, die aus der Degradierung der Ukraine erwachsen könnten, wurden dabei weniger darin gesehen, dass ukrainische Interessen nicht berücksichtigt würden, sondern dass sich daraus gravierende Probleme für die EU selbst ergeben könnten.174 Die fehlende Beitrittsperspektive sahen ukrainischen Partner zunehmend weniger durch die eigenen Defizite begründet, sondern durch den Egoismus und die Abschottungspolitik der EU. Ein Mitarbeiter der Oblastverwaltung in L’viv formulierte dies 2008 pointiert: Es hat keinen Sinn, sich an die Regeln der EU zu halten ohne Perspektive, ohne Möglichkeit der Mitgliedschaft in der EU. Wir spielen nach ihren Regeln ohne Belohnung, ohne einen Vorteil zu haben. Das ist wie mit einer Frau: Wir wollen ein bisschen spielen, aber heiraten wollen wir nicht.175 Die ukrainischen Akteure setzten sich also zunehmend mit den perzipierten Hierarchien dies- und jenseits der Grenze seit der EU-Osterweiterung kritisch auseinander. Davon unterschied sich die polnische Wahrnehmung. Zwar wurde wie im oben zitierten Interview die Asymmetrie des Verhältnisses reflektiert und in gewisser Form Verständnis für die Frustration der Ukrainer geäußert, der Tonfall lässt jedoch deutlicher eine implizite Akzeptanz des hierarchischen Modells für den Wissens- und Ressourcentransfer von West nach Ost mit Polen als Mittler erkennen.176 Die polnische Deutung des Gefälles zwischen Ost und West nahm aus der regionalen Perspektive zunächst weniger Bezug auf gesamteuropäische Verschiebungen und historische Muster, sondern bettete es in die konkreten regionalen Bezüge und Interessenkonstellationen ein, die nur mittelbar an geopolitische Diskurse gebunden wurden. Die Ukrainer seien aus polnischer Sicht verständlicherweise frustriert, weil sie nur ein kleines Stück 174 Vgl. dazu auch Interview L’viv 2. 175 Ebd. 176 Dies wird auch in anderen Passagen desselben und weiterer Interviews mit polnischen Interviewpartnern deutlich.

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vom Kuchen erhielten und weil sie keine Führungsrolle in den Gesamtprojekt übernehmen könnten, sondern »just partners for the game« blieben. Die Ungleichheit der beiden Partner in der internationalen Entwicklungshilfe und Transformationsförderung spiegelte sich allerdings nicht nur in der Asymmetrie der Mittelverteilung, sondern auch in unterschiedlichen Projektformen. Während auf polnischer Seite, insbesondere nach der EU-Osterweiterung im Rahmen von INTERREG-Programmen, aber auch schon zuvor im Rahmen der PHARE-Förderung, Infrastrukturausbau gefördert wurde, wurden auf der ukrainischen Seite, zumindest bis zur Einführung des ENPI 2007 »soft projects« im Rahmen der »technical assistance« finanziert. Auch dies wurde zunehmend kritisch gesehen. So erläuterte eine Interviewpartnerin von ARDEI in L’viv: But I can really see the difference between the projects that were plain soft projects, you know, people-to-people-contacts and exchange, knowledge exchange and know-how, and projects that have at least a very small investment component.177 Solche Investitionsprojekte, für die sie als Beispiel die Sanierung eines Schulgebäudes anführte, besäßen für die lokalen Akteure eine weitaus größere Bedeutung: So for them, for the community […] they are now more able to participate in next projects, because they can see the difference, you know, somebody walks by the building and sees the windows, rather than just having knowledge […].178 Eine andere Vertreterin der Oblastverwaltung in L’viv, die zuvor an der Gründung von ARDEI beteiligt gewesen war, wurde in Bezug auf die Budgetregeln von TACIS noch deutlicher. Diese Bestimmungen zwangen die regionalen Behörden bei der Durchführung von Infrastrukturprojekten – und dies weniger als Neubau, sondern vielmehr in Gestalt von Verbesserungen der bestehenden Netzwerke, u. a. durch die Aufstellung von Wegweisern und Verkehrszeichen – zur Integration der sogenannten »soft component«, also der Einbeziehung von »technical assistance«. 177 Interview L’viv 3. 178 Ebd.

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So in order to get for example 400.000 € for something you are forced to spend more than 400.000 € for soft component: seminars, trainings, meetings. But here in the neighbourhood [von Polen und Ukrainern] we know each other perfectly well, we communicate on a daily basis. Of course they know that the transfer, the people-to-people-component, cooperation of authorities is very important. But we have done a lot already. […] So frankly speaking, people will just waste 51 % of the total […] Of course conferences will be there, experts will be coming, of course some meeting, public hearing etc. will be done. But it is not the most important for the time being. But TACIS rules forced us to dot hat, which is of course some kind of disappointment.179 Die meisten ukrainischen Interviewpartner ließen an der Bedeutung der Polen als Mediator und Vermittler westlicher Expertise und an ihrer Vorbildfunktion für die Ukraine insgesamt, aber insbesondere für die westukrainischen Regionen wenig Zweifel. Die Kritik aus der westukrainischen Region richtete sich vor allem gegen die Vorgaben westlicher Geber, und hier vor allem der EU. Diese verkenne die Stärke der bereits vorhandenen Kooperationen und verweigere die Förderung konkreter materieller und infrastruktureller Projekte. Die Grenzregion wurde hier präsentiert als bereits funktionierende »neighbourhood«, in die die EU mit ihrer Nachbarschaftspolitik nicht angemessen eingreife. Die Interviewpartner verwiesen auf einen Lernprozess, der als bereits abgeschlossen oder jedenfalls als weit fortgeschritten gelten konnte: »We have done a lot already«. Die anhaltende Fixierung internationaler Geber, auch der EU, auf Projekte der »technical assistance« im Sinne der Förderung von Kooperationen und Wissenstransfers, ohne eine angemessene Ergänzung durch konkrete Investitionsprojekte wurde als Geldverschwendung zurückgewiesen werden. Dieses wachsende kritische Bewusstsein der ukrainischen Partner gegenüber den entwicklungs- und transferpolitischen Strategien der internationalen Geber wurde mehrfach reflektiert. So rekapitulierte die Vertreterin von ARDEI mit Blick auf ihre Tätigkeit im Rahmen solcher Projekte seit Mitte der neunziger Jahre: This time frame [1995 bis 2000] was very strange […] for the most part Ukrainians didn’t apply, so the consortium from other countries, from the European Union countries, which there were less than at this moment, would apply and what we would get was something they thought we needed 179 Interview L’viv 1.

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pretty much. In that respect at that point I don’t, I have to say, I don’t recall any cooperation with the donors. Basically we would receive money and a foreign consultant would come here and show us the know-how and work with us. […] They offered something – which wasn’t bad. […] In very many cases it is something we still use now. […] And the consultants at that time didn’t really know what Ukraine was about and why these subjects and why the Soviet Union and all that stuff. […] I would have to say that the donors [now] are far more open, I would have to say that many of them now have their representatives in Ukraine. […]180 Hier wird ein doppelter, verflochtener Lernprozess beschrieben. Die Interviewpartnerin, die wie eine Reihe weiterer Akteure in dem hier untersuchten Grenznetzwerk bereits längere Zeit in Projekten ausländischer Geberorganisationen, insbesondere im Rahmen der »technical assistance« tätig war und dabei zu Anfang/Mitte der neunziger Jahre vor allem mit US-amerikanischen Organisationen zusammengearbeitet hatte, beschrieb zum einen die Rolle ukrainischer Akteure ähnlich wie die oben zitierte Vertreterin der Oblastverwaltung als zunehmend aktive Teilhabe an der Konzipierung regionaler Projekte. Den ukrainischen Akteuren, so die Deutung a posteriori, sei es zunehmend besser gelungen, eigene Interessen und Bedürfnisse gegenüber internationalen Gebern zu artikulieren. Die Europäische Gemeinschaft als großer multilateraler Entwicklungsförderer, so wird auch in dieser Interviewpassage deutlich, spielte Mitte der neunziger Jahre noch nicht jene herausragende Rolle, wie etwa zehn Jahre später. Es waren aber nicht nur die Ukrainer, die sich in einem Lernprozess der Herausforderung regionalpolitischer Entwicklung im Kontext der internationalen Entwicklungshilfe stellen mussten, sondern auch die bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfeorganisationen selbst, die zunächst einmal Regionalkenntnis entwickeln mussten, um sie für die Förderung von Projekten in einer Region einzusetzen, die bis zum Fall des Eisernen Vorhangs als terra incognita gelten mochte. Offensichtlich versuchten sie dabei, jene Strategien zu übertragen, die sie für andere Weltregionen entwickelt hatten. Erst im Laufe der Zeit wuchs die regionale Expertise, der Kontakt zur Region wurde durch die Einrichtung eigener Büros vor Ort gestärkt und die ukrainischen Partner zunehmend ernst genommen. Diese Neuorientierung in den nationalen Geberorganisationen mag aus deren Sicht im Kontext der Effizienzsteigerung und der optimierten Anpas180 Interview L’viv 3.

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sung an die neuen Herausforderungen der Entwicklungshilfe interpretiert werden. In der westukrainischen Grenzregion ist dieser Prozess jedenfalls von den Akteuren selbst beobachtet worden und wurde dann mit dem eigenen Lernprozess in einen Zusammenhang gestellt. Das West-Ost-Gefälle wurde damit gewissermaßen uneben, es wurde re-interpretiert als bestehend aus verflochtenen Prozessen, in denen es für beide Seiten eine Reihe von Aufgaben zu lösen gab. Diese Verschiebung der Perspektive ermöglichte später eine Stärkung der ukrainischen diskursiven wie strategischen Position.

4.3.5 Welche Grenze? Imaginationen des gemeinsamen Raumes auf dem Weg in die EU-Nachbarschaft Die Strategien der Vernetzung und die Aushandlung der Positionen fanden vor dem Hintergrund spezifischer Deutungen des Raumes dies- und jenseits der ihn gleichzeitig trennenden und zusammenführenden Grenze statt. Anhand von Strategiepapieren und Interviews lässt sich dieser Prozess nachvollziehen. Die Strategiepapiere waren zunächst im Kontext der UPCBC-Agency entstanden. Nach dem Auslaufen der DFID-Förderung wurde die Arbeit daran im Rahmen eines mit TACIS-Mitteln geförderten Projektes fortgesetzt, bei dem die polnische Organsiation »Dom Europy« bereits die Führung übernahm. Die Anpassung an eine Strategieentwicklung nach EU-Muster schien mit der Verabschiedung der gemeinsamen grenzübergreifenden Strategie 2005 vollzogen, die Woiwodschaft Lublin und »Dom Europy« stellten sich in diesem Zusammenhang als Schrittmacher der grenzübergreifenden Entwicklung dar. Angesichts der nahenden EU-Osterweiterung, durch die ihre Außengrenze in die Region hinein verschoben wurde, enthüllte sie ihren Januskopf: Sie erzeugte einerseits einen Kontaktraum mit großen Potentialen für die Regionen zu beiden Seiten und drohte gleichzeitig, die gesellschaftlichen, historischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge durch die Einführung des neuen Visaregimes zu zerschneiden.181 Wie in Kapitel drei verdeutlicht, war diese Gegenüberstellung von Brücke und Barriere eine Spannung, die auch die polnischen nationalen Auseinandersetzungen prägte. Bemerkenswert ist jedoch, wie die regionalen Akteure mit dieser Doppelatur umgingen und welchen Konstellationen sie welche Szenarien zuwiesen. Um es vorweg zu nehmen: Dr. Jekyll und Mr. Hyde wurden räumlich getrennt, ersterer lebte in der Grenzregion, letzterer 181 So u. a. in der Studie: Effects on Western Ukraine of Poland’s Accession to the EU; dies zieht sich durch weitere Strategiepapiere und findet sich ebenfalls in den Interviews.

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eher in Brüssel und Kiev als in L’viv und Lublin. Oder er trat auf in der Figur eines gesichtslosen Migranten, der die Grenzen Europas durchbricht. So betonten die Verfasser der Machbarkeitsstudie zum Nachfolgeprojekt der UPCBC-Agency, dass in der Region nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weitreichende Erfahrungen mit grenzüberschreitenden Projekten und Kooperationsvorhaben gesammelt worden waren und die Schaffung eines grenzüberschreitenden gemeinsamen Handlungsraumes vor allem der Arbeit vieler Akteure aus der Region zu verdanken war. Sie war von unten her entstanden.182 Und auch eine Vertreterin von ARDEI hob in einem Interview hervor, dass die einzelnen Gemeinschaften intensiv zusammenarbeiteten, die größten Hemmnisse für die Zusammenarbeit seien aber in der Brüsseler und Kiever Bürokratie zu suchen, und »[in] the fact that Ukraine is always lagging behind, and we get the money last than Polish who have already applied«.183 Und auch die 2005 veröffentlichte »Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy 2005–2015«184 präsentierte die Region als zusammenhängenden, integrierten Raum – zumindest in Bezug auf die physische Geografie sowie in Bezug auf ihre historische und kulturelle Prägung. Dies wurde auch in verschiedenen Interviews immer wieder betont: Die gemeinsame oder mindestens verwandte Sprache, die gemeinsame Mentalität, die gemeinsame Geschichte qualifizierten den Raum als in sich geschlossen.185 Die Nähe zur Grenze und der Wandel ihres Charakters von einer nationalen zu einer supranationalen wurden dabei eher als Vorteil denn als Manko interpretiert. Die negativen Folgen des neuen Visaregimes wurden vielmehr als zeitlich begrenzt und als nur geringe Beeinträchtigung für die grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Kontakte gesehen, allerdings wurde durchaus eingestanden, dass bestimmte soziale Gruppen, wie die Kleinhändler, sowie Gemeinden direkt an der Grenze von möglichen Nachteilen stärker betroffen sein könnten.186 Viel stärker jedoch unterstrichen die Interviewpartner, dass sich vor allem für die Ukraine neue – insbesondere wirtschaftliche – Möglichkeiten eröffnen würden, z. B. durch sinkende Importzölle in Folge der Anpassung des polnischen Zollregimes an EU-Vorgaben,187 oder durch die Erschließung neuer Kooperationsmöglichkeiten: Ein großer,

182 Studium Wykonalności Projektu, S. 13, S. 19. 183 Interview L’viv 3. 184 Vgl. Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy. 185 Interviews L’viv 3, Lublin 3, L’viv 1. 186 Studie: Effects on Western Ukraine of Poland’s Accession to the EU, S. 13. 187 Ebd., S. 15.

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verheißungsvoller Markt war ein Stück näher gerückt.188 Die Grenzregion als Transmissionsriemen, als Brückenkopf der EU im Osten – wie auch andersherum der Ukraine in der EU – war eine Interpretation auf beiden Seiten.189 Die polnischen Akteure begründeten dies durch die Mitgliedschaft in der EU und die Offenheit der ostpolnischen Region nach Osten.190 Aus ukrainischer Sicht war es jedoch genau diese polnische EU-Mitgliedschaft, die den Polen zum Nachteil gereichen könnte: However, Ukraine is still the largest neighbour and Ukraine has still a lot to offer, plus they [die Polen] have a lot to offer to Ukraine. So some things that they [die Polen] were able to offer, when they were not a member, they have lost […] I think they are now more interested in European Union rather than Ukraine, I think that’s probably the intuition. Because they have to develop more in regards to European standards and European criteria, so I think, that more things, more strength is going that way rather than developing this region, right? Plus I have to say that bureaucracy here is also very high, so if you want to develop something with Ukrainian counterparts, chances are – in investment or building infrastructure – you will encounter quite a few stops on the way. Which is not good again.191 Außerdem konkurrierten häufig zwei weitere räumliche Imaginationen miteinander: jene der europäischen Peripherie und des europäischen Zentrums.192 Die Grenzregion schien beides zugleich zu sein. Dabei war aus polnischer Perspektive die Grenze vor allem für die Ukrainer eine Barriere und die Rückständigkeit des Grenzgebiets trat am ehesten in der Westukraine zu Tage: The Polish-Ukrainian border still remains, especially from the Ukrainian point of view, a significant barrier […] It results mainly from the backwardness in border infrastructure development […] as well as from the double function of the border – as an external border of the state and the European Union.193 188 Interviews L’viv 3, L’viv 1. 189 Interview Lublin 1, Interview L’viv 3; siehe auch Studium Wykonalności Projektu, S. 15; Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy, S. 6. 190 Studium Wykonalności Projektu, S. 15. 191 Interview L’viv 3. 192 Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy, S. 20, S. 26, S. 12. 193 Ebd., S. 5 f.

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Dass es sich um einen gemeinsamen historischen und geografischen Raum handelte, wurde also von beiden Seiten bestätigt, die jeweiligen Positionen in ihm waren aber nicht ganz unumstritten. Der grenzüberschreitende Zusammenhang ließ sich darüber hinaus offensichtlich nur schwer institutionalisieren, also über seine symbolische Existenz hinaus nicht ohne Schwierigkeiten tatsächlich territorial konkretisieren. Diese Strukturen müssten erst geschaffen werden und dafür wurden die Anstrengungen der UPCBC-Agency in einem TACIS-geförderten Projekt fortgesetzt, das den Grenzraum neu gestalten sollte: Die Grenze sollte ein Ort der Begegnung sein, die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Staat gestärkt, Ungleichheiten angeglichen und solcherart ein gemeinsamer europäischer Raum konstituiert werden.194 Die Institutionalisierung, die bereits die UPCBC-Agency zum Ziel hatte, die durch das TACISProjekt fortgesetzt wurde und zu der in der 2005 veröffentlichen gemeinsamen Strategie noch einmal neu angesetzt wurde, sollte sich dabei an den Vorbildern anderer europäischer Regionen – an EU-Binnengrenzen – orientieren.195 Die Innovation der EU sei es gewesen, so die Initiatoren der neuen Strategie, Grenzen zwischen Staaten durchlässig zu machen, gar ganz abzuschaffen. Letzteres sei im polnisch-ukrainischen Fall nicht möglich, dennoch sollten keine Mühen gescheut werden, neue Trennungen zu verhindern.196 Das Vorhaben wurden dabei gleich wieder in Frage gestellt: Die Institutionalisierung sei aufgrund der rechtlichen Defizite und Asymmetrien sowie aufgrund der speziellen Funktion als EU-Außengrenze enorm schwierig, deshalb wurde gleich ein Plan B entwickelt: Wenn schon keine grenzüberschreitende Institutionalisierung, dann doch wenigstens ein Netzwerk, dass sich mühelos in die neuen Nachbarschaftsprogramme einfügen ließe.197 Die Innovation der neuen Strategie ist hier nicht ganz erkennbar, der Fortschritt gegenüber dem DFID-Projekt scheint nur ein kleiner zu sein. Die Geschichte, die die regionalen Eliten für diesen gemeinsamen, vor allem symbolisch und historisch konstituierten Raum entwickelten, begann in der Regel mit dem Ende des zweiten Weltkriegs und entsprach dem zu Beginn dieses Kapitels bereits zitierten Muster: Die mit ihrem heutigen Verlauf am Ende des Krieges festgelegte Grenze trennte seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die beiden Völker, die Gemeinschaften an der Grenze voneinander, die vormals zusammengehört hatten. Nachdem sich der Eiserne Vorhang geöffnet 194 Vgl. Studium Wykonalności Projektu, S. 7. 195 Ebd. 196 Ebd., S. 16. 197 Ebd., S. 25 f.

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hatte, entstand auf gleichsam natürliche Weise wieder ein reger Kontakt zwischen den Gemeinschaften dies- und jenseits der Linie – zum Teil galt es dabei, gegenseitige Stereotypen und andere Hindernisse zu überwinden. In diesem Prozess engagierten sich zu Anfang der neunziger Jahre internationale Geberorganisationen und dann vor allem die Europäische Union, die die Kooperation vorantrieb.198 Was genau den erneuten Austausch über die Grenze hinweg nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wieder in Gang gebracht hatte, dafür wurden unterschiedliche Erklärungen gefunden: das wirtschaftliche Interesse und die Findigkeit der Grenzbewohner einerseits,199 das Bedürfnis nach Aufarbeitung der »historischen Wahrheit«200 andererseits. In den offiziellen Strategiepapieren blieb der Bezug auf die historischen Topoi, die für die Region mobilisiert wurden, relativ vage. So wurde in der oben erwähnten Strategie für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von 2005 bis 2015 das gemeinsame kulturell-historische Erbe eher inventarisiert denn tatsächlich deutend aufgearbeitet. Bemerkenswert ist, was bei dieser Bestandsaufnahme außen vor blieb: beispielsweise der Litschakiwske-Friedhof in L’viv mit den polnischen Soldatengräbern oder die Karmeliterkirche in Przemyśl201 – beides Erinnerungsorte, an denen sich die polnisch-ukrainische Auseinandersetzung um die Interpretation der gemeinsamen Geschichte bis in die späten neunziger Jahre hinein wiederholt entflammt und radikalisiert hatte.202 Undeutlich blieb außerdem, warum eigentlich die Grenze zwischen der ukrainischen SSR und der Volksrepublik Polen abgeriegelt worden und Besuche nur eingeschränkt und mit offiziellen Einladungen möglich waren.203 Die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, insbesondere die Dekaden der Zwischenkriegszeit als eine der problematischsten Perioden in der Geschichte des polnisch-ukrainischen Verhältnisses, wurden ebenso ausgeblendet. Die historischen Traditionen wurden also nur selektiv in die regionalpolitischen Entwürfe eines gemeinsamen Raumes mit einbezogen und Konflikte 198 Vgl u. a. Studium Wykonalności Projektu, S. 13. 199 Ebd., S. 14.; Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy. 200 Interview L’viv 1. 201 Vgl. Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy, S. 25. 202 Siehe dazu u. a. Haase, S. 156–158; Haase, Wust, Knappe u. Grimm, S. 124–126. 203 Obgleich es in den siebziger Jahren ein Visafreiheitsabkommen gab, sah die Praxis offensichtlich anders aus, so jedenfalls wird es in den Interviews geschildert. Anders als an der Grenze DDR-Polen in den siebziger Jahren hatte sich bis 1990/91 zwischen Polen und der Ukraine nicht einmal zeitweise ein offeneres Grenzregime etablieren können. Insofern wurde 1990/91 hier als eine tatsächliche Zäsur, das Ende einer jahrzehntelangen Isolation empfunden.

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oder potentielle Paradoxien an den Rand gedrängt. Bei der Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der fortschreitenden Erweiterung und Integration der EU war die gemeinsame Geschichte ein Arsenal potentieller positiver Attribute, aus dem sich immer dann bedient werden konnte, wenn es galt, ihre herausragende Stellung, meist an die Adresse der EU gerichtet, zu legitimieren. Im regionalen Kontext zeigte sich – anders als im nationalen polnischen Zusammenhang – ein gewisser Eklektizismus. Bei der eifrigen Suche nach touristischen Besonderheiten der Woiwodschaft Lublin wurde dann auch mal ganz unbefangen auf die »long tradition and international meaning« des Majdanek-Museums in Lublin verwiesen. Dieses schloss eine Aufzählung ab, die mit der Nennung der Weltkulturerbe-Stadt Zamość begann und ohne große Schwierigkeiten nach »69 objects of religion [sic!] architecture and 289 manor houses and palaces«204 bei diesem Museum landete. Historisch und kulturell wurde der durch die Grenze konstituierte Raum also als gemeinsamer imaginiert und für regionalpolitische Vorhaben aufbereitet – und zwar begründet aus den Dynamiken in der Region selbst. Dass diese Grenze und ihr Wandel auch die Zerstörung jener Verflechtungen nach sich ziehen konnte, war ein Szenario, das außerhalb dieses Raumes verortet wurde und dessen Ursachen nicht unmittelbar in der Region zu suchen seien, denn: »Schengen is a different case.«205 Dass die Grenze gesichert werden müsse, akzeptierten regionalpolitische Vertreter auf beiden Seiten der Grenze – schließlich handelte es sich nach der Erweiterung um die Außengrenze der Europäischen Union, begehrter Bestimmungsort zahlreicher – außereuropäischer – Migranten. So argumentierte eine Vertreterin der Oblastverwaltung in L’viv und ehemalige Direktorin von ARDEI: [F]rom my head I would say, we should expect this change [die Verstärkung von Kontrollen an der Außengrenze], because many many people would like to take this occasion and just flee somewhere, which nobody wants to have. But time has to pass.206 Ähnlich äußerten sich die Autoren der polnisch-ukrainischen Kooperationsstrategie des Jahres 2005:

204 Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy, S. 25. 205 Interview L’viv 1. 206 Ebd.

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After solving the problem of smuggling and border corruption it would be possible to open local border crossings in the regions of tourist values.207 Und auch die 2002 veröffentlichte Studie des UPCBC-Projektes versuchte die ukrainischen Sorgen zu relativieren, dass sich nun an der undurchlässigen Grenze unzählige Transitmigranten stauen würden. Dies sei in Polen vor dem Beitritt auch nicht geschehen. Allerdings schien es angeraten, die Anstrengungen zur Sicherung der ukrainisch-russischen Grenze zu verstärken, »with the purpose of reducing illegal transit to Ukraine«, das wäre der »best way of dealing with this perceived problem«208. Es waren also weniger illegale Migranten aus der Ukraine, die die Grenzsicherheit bedrohten – in Polen oder der EU beschäftigte Wanderarbeiter aus der Ukraine würden auch trotz der neuen Visabestimmungen entweder mit Arbeitsgenehmigungen oder mit Hilfe von Touristenvisen ihren Tätigkeiten weiterhin nachgehen können.209 Die Gefährdung kam vielmehr von außen und sie materialisierte sich auch nicht unbedingt in der Region: »I wouldn’t say that we have like more, many or more black or yellow faces that you can see at the border.«210 Diese blieben ohnehin in den Auffanglagern der EU, die in Transkarpatien und auf der Krim eingerichtet wurden.211 Diese Deutungen legen Parallelen zu den Externalisierugsversuchen der EU im Rahmen ihrer Grenz- und Migrationspolitik nahe. Auch die Union suchte nach Möglichkeiten, die Risiken zu begrenzen, die sie durch die wachsende Zahl von Migranten heraufziehen sah, und fand Lösungen dafür in den Herkunfts- und Transitregionen. Ähnlich verorteten die regionalen Akteure die mit der Grenze auftauchenden Sicherheitsprobleme weit weg, in vager außereuropäischer Ferne. Das Schengen-Regime als notwendiges Übel der neuen Grenze richtete sich aus der Sicht der regionalen Eliten also nicht gegen die Region selbst. Problematisch waren aber nicht nur die ungleichen Mobilitätsrechte – Polen und andere EU-Bürger benötigten für einen Besuch in der Ukraine nach der einseitigen Abschaffung der Visapflicht 2005 kein Visum mehr – sondern auch die Verlagerung der Kontroll- und Selektionsfunktionen des neuen Grenzregimes.212 Eine Interviewpartnerin aus L’viv berichtete, dass sie auf einer Reise 207 Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy, S. 12. 208 Studie: Effects on Western Ukraine of Poland’s Accession to the EU, S. 9. 209 Ebd., S. 8. 210 Interview L’viv 1. 211 Vgl. dazu auch Interview Kiev 8. 212 Kaufmann.

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nach Deutschland, die sie mit ihrem Mann unternommen habe, in Österreich sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt an einer Tankstelle von Grenzbeamten in Zivil kontrolliert worden sei.213 Das habe sie so das erste Mal erlebt und für sie stellten sich diese Art von Kontrollen als Teil des neuen SchengenGrenzregimes dar. Was sie dabei am meisten irritierte, war, dass die Kontrolleure überraschend und zunächst unerkannt auf sie zukamen: […] another car, not a police car, a private car, just like a private car, blocked our car and two guys in private clothes came up to me and showed me the police ID and started checking our documents. […] Frankly speaking, I prefer if police stops me, than these cars without identification signs on it. It was not a pleasant feeling at all.214 Sie beschrieb das Grenzregime als intransparent und unberechenbar, seine Bedrohlichkeit entsprang der unvorhersehbaren Materialisierung jenseits der Grenze selbst. Durch die fehlenden Zeichen – Uniformen der Grenzschützer, Warnhinweise und entsprechende Grenzarchitektur – wurden Kontrolle und Selektion wurde somit potentiell allgegenwärtig. Wurde die Grenze als Selektionsinstanz räumlich diffus, so war der Grenzraum aus Sicht der regionalen Eliten ebenfalls mitunter ebenfalls eine terra incognita, die es erst noch zu vermessen galt. Darauf deuteten zum einen Bemühungen im Rahmen des DFID- und später des TACIS-Projektes, überhaupt Informationen über diesen Raum zu sammeln. Diese Herausforderung betonte auch die Studie über die Auswirkungen der Erweiterung auf die Ukraine: Einerseits würden statistische Information u. a. über den regionalen Handel schlicht nicht erhoben, andererseits stellte die Illegalität einiger grenzüberschreitender Prozesse und Interaktionen die Datensammler vor große Probleme.215 Ein polnischer Gesprächspartner aus dem Marschallamt in Lublin beschrieb ähnliche Schwierigkeiten. Er führte diese auch auf die Unwilligkeit der ukrainischen Behörden zurück, bei der Beschaffung relevanter Daten für gemeinsame Pla213 Interview L’viv 1. 214 Ebd. 215 Studie: Effects on Western Ukraine of Poland’s Accession to the EU, S. 4, S. 6 u. a. Auch hier ist eine Parallele zu den Problemen zu erkennen, mit denen die EU im Rahmen ihrer Grenz- und Nachbarschaftspolitik umzugehen sich gezwungen sah: die Erfassbarkeit von Prozessen an der Grenze und im Nachbarschaftsraum in den Kategorien zu ermöglichen, die sie auf ihren Binnenraum anwandte (neben der Messbarkeit illegaler Migration betraf das u. a. die Vergleichbarkeit statistischer Daten aus Mitgliedsländern und Drittstaaten sowie die Übertragung der NUTS-Logik auf Räume außerhalb der EU-Grenzen).

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nungen – u. a. für den Infrastrukturbereich – zu kooperieren, häufig hätten sie die Daten einfach noch nicht erhoben. Die polnische Regionalverwaltung sei hier schon viel weiter, sie könne deshalb mit den Planungen sofort loslegen.216 Die Erschließung der Grenzregion, einschließlich der Erhebung raumplanerisch relevanter Daten, sollte, so die späteren Strategiepapiere der Jahre 2004 und 2005, Modellen aus anderen EU-Regionen folgen und sich an die Prinzipien der »Europäischen Charta der grenz- und grenzübergreifenden Regionen«217 anlehnen.218 Bereits 2004 zeigte sich, wie stark diese Anpassung von polnischer Seite bestimmt wurde. Alle rechtlichen Rahmenbedingungen, die in der Machbarkeitsstudie für eine grenzübergreifende Struktur genannt wurden, waren entweder polnische Strategien für Regionalentwicklung219 oder westeuropäische Dokumente bzw. Chartas, denen die Ukraine bislang noch nicht beigetreten war.220 Die Struktur dieser Machbarkeitsstudie folgte darüber hinaus dem ZPORR, dem Integrierten Operativen Programm für Regionalentwicklung Polens.221 Noch deutlicher wurde dies in der 2005 veröffentlichten gemeinsamen Strategie. Wichtig sei, so hieß es hier: [the] use of the Polish pre-accession experiences for the adaptation of the Ukrainian reyons [sic] to the standards of the European Union on their way to the European integration222 Neu war in diesem Zusammenhang der Bezug auf die sogenannte LissabonStrategie der Europäischen Union,223 mit der diese sich auf die Herausforderungen der Globalisierung einzustellen versuchte, und zu einem Vorbild der nachhaltigen Entwicklung im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich zu werden hoffte.224 Es war demnach nicht mehr nur die europäische Integration, die als Rahmen und Motor regionaler und supranationaler Integration 216 Interview Lublin 1. 217 Siehe unter http://www.aebr.net/publikationen/pdfs/Charta_Final_071004.de.pdf (Zugriff 06. 07. 2009). Die Charta wurde 1981 von der 1971 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der europäischen Grenzregionen (AEBR) verabschiedet und 1995 sowie 2004 nach dem Beitritt neuer Grenzregionen aus Ostmitteleuropa überarbeitet. 218 Studium Wykonalności Projektu, S. 10 u. a. 219 Ebd., S. 12. 220 Mit Ausnahme der Euroregion Bug mit ukrainischer Beteiligung sind keine weiteren ukrainischen Grenzregionen Mitglied der AEBR. 221 Studium Wykonalności Projektu, S. 6. 222 Ebd., S. 49. 223 Rat(3); Rat(4); vgl. Rodrigues. 224 Common Polish-Ukrainian Cross-Border Co-Operation Strategy, S. 11.

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gesehen wurde, sondern weltweite Dynamiken und Prozesse zunehmender globaler Verflechtung.225 Bei der Weiterentwicklung der regionalpolitischen Strategien für die grenzüberschreitende Kooperation zwischen 2002 – dem Beginn des DFID-Projekts – und 2005 – bis zum Startschuss für das Europäische Nachbarschaftsprogramm – festigten nicht nur die Polen ihre Rolle als Koordinatoren und Stichwortgeber für die Deutung des gemeinsamen Raumes, sondern wurde auch die Vorgeschichte des Grenznetzwerks zunehmend verdrängt. Dieser Entstehungskontext wurde zwar noch in der Studie von 2004 erwähnt, in der Strategie von 2005 sucht man ihn vergebens. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass diese Strategie- und Raumplanung auf eine polnische Initiative im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung zurückgehe und gefördert sei durch die EU. Andere internationale Geber wurden zunehmend aus der Wahrnehmung und Gestaltung des Raumes verdrängt, die Angelegenheit wurde zu einer innerEUropäischen bei der Gestaltung der neuen Nachbarschaft.

4.3.6 Zusammenfassung In der Zusammenschau lassen sich die Dynamiken bei der Herstellung des EUropäischen Raums an und jenseits der Grenze für das untersuchte regionale Tableau folgendermaßen charakterisieren. An der Modellierung dieses Raums waren Akteure beteiligt, die sich zwar grob der regionalen Ebene, sowie staatlichen und halb- bzw. nicht-staatlichen Arenen zuordnen lassen, allerdings wird eine solche – heuristisch begründbare – Unterscheidung beim Blick auf die strategischen jeux d’echelles der Akteure problematisch. Externe Gestalter dieses Prozesses, wie das DFID und die EU, setzten dabei ein spezifisches In­ strument der Raumerzeugung ein, das als »technical assistance« insbesondere die Vernetzung über die Grenze hinweg fördern und damit gleichzeitig den Transfer von Normen und institutionellen Modellen ermöglichen sollte. Die EUropäisierung der Raumdeutung war im hier untersuchten Fall ein durchaus offener Prozess und nicht der unbestrittene Ausgangspunkt der Entwicklung. Es war nicht von vornherein selbstverständlich, dass die EU zum Fluchtpunkt der Grenzerzählung werden würde. Darüber hinaus verstanden sich die regionalen Akteure schließlich selbst als Avantgarde bei der Erschaffung des vernetzten Raumes und schrieben sich so in den Entwurf eines EUropäischen Ergänzungsraumes ein. Dabei beanspruchten wiederum polnische Akteure 225 Ebd., S. 10.

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eine Führungsposition bzw. bekamen diese zugewiesen. Die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lässt sich so auch als Teil des Projekt einer Zivilisierungsmission à la polonaise verstehen, die bis zu einem gewissen Grad auch von der ukrainischen Seite angenommen wurde, aber die – so sei hier ausblickend angemerkt – in dem Moment Risse bekam, als mit der Einführung des neuen nachbarschaftspolitischen Finanzierungsinstruments ENPI zwar mehr Ressourcen zur Verfügung standen, von der EU aber die Polen nicht mehr selbstverständlich als »lead partner« privilegiert wurden. Die u. a. durch die ungleichmäßige Verteilung der EU-Förderung dies- und jenseits der Grenze manifestierte Asymmetrie hatte die Unzufriedenheit der ukrainischen Partner über ihre Benachteiligung genährt und somit den Boden für die wachsende Kompetitivität an der Grenze bereitet.

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Wandernde Grenze und fragmentierter Ergänzungsraum: Schlussbetrachtung

Bevor die Ergebnisse der Untersuchung abschließend im Zusammenhang betrachtet werden, seien hier zunächst noch einmal die Kapitel zwei bis vier rekapituliert. In Kapitel zwei habe ich für die Entwicklung des EU-Grenz- und Migrationsregime einen Differenzierungsprozess in vier Dimensionen rekonstruiert: Erstens hatte die Europäische Union, nachdem innerhalb des Schengenraums die Kontrollen an den Binnengrenzen aufgehoben worden waren, damit begonnen, eine kohärente Begrifflichkeit für die EU-Außengrenze zu entwickeln. Diese Außengrenze existierte freilich juristisch nach wie vor nicht, und auch deshalb fiel ihr Schutz lange in den Hoheitsbereich der entsprechenden Mitgliedsstaaten. Gleichzeitig verlangte die angestrebte Grenzsicherung eine Identifizierung der je nach Grenzabschnitt spezifischen Sicherheitsbedürfnisse: Landgrenzen erforderten andere Methoden als Seegrenzen, der Umgang mit den östlichen Nachbarn musste anders gestaltet werden als jener mit den südlichen. Die EU hat hier mittlerweile eine nuancierte Terminologie etabliert, die die Grenze sowohl als Linie als auch als gestaffelten Grenzraum fasst, und die mit den variierenden Situationen an der Grenze umzugehen erlaubt. Zweitens hatte sich daran anschließend die politische Geografie dieser Grenze differenziert. Einzelne Deutungen wurden zunächst hinsichtlich der südlichen (See-)Grenzen entwickelt, und dann teilweise auf den östlichen und südöstlichen Grenzabschnitt und die daran anschließende Nachbarschaft übertragen. Dabei mussten jedoch die Deutungen und Angebote wiederum angepasst werden, denn es war klar geworden, dass die Exterritorialisierung des Grenzregimes im Osten nicht zum gleichen Preis zu haben war wie im Süden, die Verlagerung der Kosten für den Grenzschutz also nicht ohne weitere Gegenleistungen zu bewerkstelligen war. Dies galt bereits für den Süden, die (neuen) östlichen Nachbarstaaten drängten nun auf noch bessere Kompensationsangebote, vor allem auf mehr Freizügigkeit. Die EU unterschied bei diesen Angeboten zunehmend zwischen unterschiedlichen Grenzsituationen, und fand dafür abgestufte Begrifflichkeiten. Die EU-Außengrenze lässt sich somit nicht als eine einheitliche »wall around the West« fassen, sie hat vielmehr unterschiedlich dicke Mauern mit unterschiedlich weit offenen Toren.

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Wandernde Grenze und fragmentierter Ergänzungsraum:

Drittens war nicht nur die politische Geografie der Grenze, sondern auch jene der Ergänzungsräume präzisiert worden. Die Verflochtenheit innerer und äußerer Aspekte der Sicherheits-, Grenz- und Migrationspolitik drang zunehmend ins Bewusstsein, die Bedeutung des Ergänzungs- oder Komplementärraums nahm zu. Die EU versuchte dabei einerseits, Ströme und Migrationsrouten in diesem Raum zu beobachten und zu regulieren, andererseits in die Strukturen der angrenzenden Räume einzugreifen. Auf diese Weise sollte der Aufwand der Überwachung und Steuerung direkt an der Grenze verringert werden. Viertens schließlich wurde der Begriff der »border control« zunehmend von dem des »border management« abgelöst. Dies verweist auf ein nuancierteres Verständnis dessen, was das Grenz- und Migrationsregime zu leisten in der Lage sein sollte: Es ging vermehrt um Steuerung, weniger um die grundsätzliche Verhinderung von Migration. Die Kommission hatte dabei zu Anfang des neuen Jahrtausends entdeckt, dass eine effektiv gelenkte Arbeitsmigration Fachkräftemangel wie demografisches Defizit ausgleichen helfen könnte. Mit der Nachbarschaftspolitik begann die Union in einem Moment der »geopolitischen Verflüssigung« nach dem Ende des Kalten Krieges und in Folge ihrer Erweiterung nicht nur eine Deutung der sich wandelnden Weltordnung, sondern auch eine Strategie der Repositionierung in dieser zu entwickeln. Mit dieser Politik entwarf sie einen spezifischen Ergänzungsraum und bemühte sich, diesen zu überformen. Dieser Raum sollte sich als Ressource mobilisieren lassen in einem kompetitiven, als globalisiert beschriebenen Umfeld. Er sollte es der Union ermöglichen, die Potentiale der als neu wahrgenommenen Situation zu nutzen. Der Nachbarschaftsraum wurde zunächst bis etwa 2004 präzisiert, d. h. Russland daraus ausgeschlossen – wenn auch nicht mit letzter Konsequenz, da das ENPI auch für die Russische Föderation geöffnet wurde – und der Kaukasus integriert. Damit gehörten ihm alle EU-Anrainer an, die zunächst noch keine Beitrittsperspektive erhalten sollten. Ab etwa 2007/8 wurden dann regionale Binnendifferenzierungen gestärkt und eine südliche, östliche und südöstliche Dimension eingeführt. Seit 2004 wurden erst mit den Nachbarschaftsprogrammen und schließlich mit dem ENPI Instrumente entwickelt und die entsprechenden Ressourcen bereit gestellt, um die Strategie umzusetzen. Mit den Entwicklungen in Nordafrika seit Ende 2010 geriet diese Politik allerdings in eine schwere Krise. Außer der eigentlichen Um- und Abgrenzung des Nachbarschaftsraumes und seiner regionalen Binnendifferenzierung wurden in die neue Politik verschiedene territoriale Ebenen eingebunden, voneinander unterschieden und

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in einen zweckmäßigen Zusammenhang gebracht. Unter bestimmten Umständen wurden regionale und zivilgesellschaftliche Akteure gegenüber den sonst im Vordergrund stehenden nationalstaatlichen Partnern bevorzugt. Schließlich versuchte die Union, den Raum gleichzeitig zu homogenisieren und zu differenzieren. Wenn mit diesem Raum der Status der Union als bedeutsame Regionalmacht untermauert werden sollte, konnte er prinzipiell ein gemeinsamer sein; gegenüber den Nachbarstaaten sollte er eher – im Sinne einer lange unausgesprochen bleibenden Konditionalitätslogik – differenziert werden. Betrachtet man diese beiden Politikfelder im Zusammenhang wird klar: Nachbarschaftspolitik und Grenz- und Migrationspolitik waren Teil der Bemühung, einen Ort und eine Rolle für die EU in einer neuen Weltordnung zu bestimmen, deren Risiken beherrschbar und deren Chancen nutzbar zu machen. Beide Politiken brachten differenzierte Mechanismen der Öffnung und Schließung der EU-Außengrenze hervor, beide schufen je einen Ergänzungsraum – der allerdings für die beiden Politikfelder nicht deckungsgleich war – und beide grenzten den EUropäischen Raum ab von einem als fragil beschriebenen Umfeld und zwar vor allem nach Süden und Osten, weniger nach Norden und Westen. Beide Strategien sollten ein und dasselbe Problem lösen helfen: Den EU-Raum so zu arrondieren, dass sich die EU in einer unsicher gewordenen Weltordnung behaupten konnte. In Kapitel drei habe ich zunächst aus den historischen Diskursen zur Rolle Polens »im Osten« eine Zivilisierungsmission à la polonaise rekonstruiert. Diese stellte sich als »unimperialer« Entwurf in einem spezifischen Komplementärraum – den »kresy« – dar und wurde in das EUropäische Projekt eingeschrieben. Nicht erst der Beitritt, sondern die Krise der EU um 2002 herum und schließlich der Erfolg Polens bei den Beitrittsverhandlungen wurden übersetzt in den Anspruch auf Mitgestaltung insbesondere des östlichen Ergänzungsraums der EU und ihres Grenzregimes. Dabei wurde aus polnischer Sicht auf verschiedene Raumbezüge zurückgegriffen, um diese Position zu legitimieren: Gegenüber der EU war dies die Vorreiterrolle in Ostmitteleuropa und die Erfahrungen in den »kresy«. Gegenüber den östlichen Nachbarn waren es die Zugehörigkeit zu »Westeuropa« und die Erfolge im Transformationsprozess. Raumsemantiken mit weit zurückreichender historischer Tradition ließen sich als symbolpolitisches Reservoir mobilisieren, um polnische ostpolitische Traditionen in die Gestaltung der Europäischen Nachbarschaftspolitik einzufügen bzw. deren Ausrichtung mitzugestalten. Die Union selbst hatte der polnischen Argumentation der langen Dauer kein ähnlich tief verwurzeltes Narrativ entgegenzusetzen: Die historischen Begrün-

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dungszusammenhänge der EU reichten selten weiter zurück als bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Es ließe sich argumentieren, dass die Union deshalb relativ flexibel auf veränderte Bedingungen – wie den polnischen Beitritt oder die Krisen in Nordafrika – reagieren konnte und ihre Deutungen anzupassen in der Lage war. Dagegen war das polnische Projekt im Osten historisch fest verankert und konnte mit einer gewissen Beharrlichkeit in den EUropäischen Kontext eingefügt werden. Die Polen beanspruchten dabei die Rolle eines Fürsprechers und Mittlers, dies wurde auch von der EU immer deutlicher wahrgenommen und schließlich akzeptiert. Die längerfristige Wirkung der neuen ostpolitischen Dimension der ENP kann hier nicht mehr untersucht werden und muss weiteren Forschungen überlassen bleiben. Es deutete sich jedoch bereits an, dass diese in der Ukraine auf gespaltene Reaktionen stieß. Polen werteten die Einführung der östliche Partnerschaft als einen Beweis für ihre Gestaltungsmacht in der Union, in gewisser Weise als einen Erfolg ihrer Zivilisierungsmission. Diese wurde von den Adressaten in der Ukraine jedoch zunehmend skeptisch gesehen. In Kapitel vier habe ich die Dynamiken bei der Herstellung des EUropäischen Raums an und jenseits der Grenze für das regionale Tableau herausgearbeitet. Hier waren Akteure beteiligt, die sich heuristisch zunächst der regionalen Ebene zuordnen lassen, sowie staatlichen und halb- bzw. nicht-staatlichen Arenen. Diese Unterscheidung wird jedoch beim Blick auf das strategische jeux d’echelles der Akteure problematisch, vor allem hinsichtlich der staatlichen und der nicht-staatlichen Dimension. Hinzu kamen externe Gestalter dieses Prozesses wie das britische DFID, die mit der »technical assistance« ein spezifisches Instrument einsetzten, das die Vernetzung über die Grenze hinweg sowie den Transfer von Normen und institutionellen Modellen fördern sollte. Die EU war nicht von Anfang an der Fluchtpunkt der grenzüberschreitenden Entwicklung gewesen, die EUropäisierung der Raumdeutung konkurrierte mit länger zurückreichenden Traditionen der Kooperation und der Erzählung eines gemeinsamen Raums. Die regionalen Akteure begriffen sich schließlich auch als Vorreiter für das EUropäische Projekt und schrieben sich damit nicht nur in dieses ein, sondern eigneten es sich an und integrierten es in eigene Vorhaben. Die polnischen Akteure wiederum reklamierten eine Führungsposition in der Region nicht nur, sondern bekamen diese sowohl von der EU als auch von den Ukrainern zugesprochen. Damit wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit Teil einer Zivilisierungsmission à la polonaise. Diese wurde allerdings in dem Maße fragil, in dem die Enttäuschung der ukrainischen Akteure

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über die Begrenztheit des Angebots von Seiten der EU wuchs – und auch die Polen als Mitverantwortliche für dieses unbefriedigende Projekt gelten mussten – sodass sich die Konkurrenz um knappe regionalpolitische Ressourcen aus den Fördertöpfen der EU verschärfte. Die Zusammenschau zeigt: Das Territorialisierungsprojekt der Union verband den Entwurf ihrer Grenze mit der Schaffung eines Ergänzungsraums. Die darin zusammengefassten Länder erhielten das »Angebot« einer partiellen Integration in EU-Strukturen, gleichzeitig sollten sie ihre Gesellschaften an die »Standards« der EU anpassen. Es war also nicht vorgesehen, den Raum insgesamt zu integrieren oder ihn vollständig zu transformieren, aber ihn teilweise zu überformen. Auf ihn wurden Funktionen des Grenzschutzes und des Migrationsmanagements übertragen, gleichzeitig wurde versucht, regionale Krisen in diesem Raum einzudämmen, um einen »spill over« in das Gebiet der Union zu verhindern. Außerdem sollte er die Funktion eines Transmissionsriemens für den Export EUropäischer institutioneller Arrangements übernehmen, und damit einen Ausgriff der Union auf weiter entfernte Staaten zu ermöglichen. Der Ukraine kam dabei zu einem gewissen Grad eine Modellfunktion zu, als Experimentierfeld für eine EUropäische Zivilisierungsmission. Die Zuschreibung der Vorbildrolle in der Nachbarschaft sollte zugleich die Begrenztheit des von der Ukraine skeptisch gesehenen Angebots einer privilegierten Nachbarschaft legitimieren. Die Sonderrolle der Ukraine war dabei gleichzeitig Ausdruck der Differenzierung des Nachbarschaftsraums, eine Differenzierung, die auch für das Außengrenzregime bereits erprobt worden war. Bei der Umsetzung dieses Entwurfs an der Grenze, in der untersuchten polnisch-ukrainischen Grenzregion, traf dieses Projekt auf konkurrierende Vorstellungen über die Gestalt und Position dieses Raums innerhalb des EUropäischen Entwurfs. Regionale Traditionen und Semantiken wurden einerseits eingeschrieben in die nachbarschaftspolitischen Deutungen, andererseits musste die Union auch auf Widersprüche aus der Region reagieren– wie beispielsweise durch die Anpassung des ENPI, das nun mehr Einflussmöglichkeiten für Partner aus Drittstaaten vorsah. Die regionalen Akteure registrierten außerdem einen Lernprozess, der in mehrere Richtungen verlief: Nicht nur gewannen ukrainische Akteure eine gewisse Kompetenz im Umgang mit den Anforderungen der EU, sondern auch die Vertreter internationaler und europäischer Organisationen, die sich in der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit engagierten, mussten sich zunehmend eine regionale Expertise aneignen und ihre Vorhaben an die jeweiligen Bedingungen anpassen. Gleichzeitig wur-

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den in der Region auch die Grenzen des nachbarschaftspolitischen Projekts deutlich: mit der zunehmenden Skepsis ukrainischer Akteure bezüglich der Ernsthaftigkeit des Angebots der EU; eine Skepsis, die auch den ursprünglich anvisierten Beitritt in Frage stellen konnte. Die Schaffung ihres Ergänzungsraums war für die EU untrennbar mit der Herstellung ihres Außengrenzregimes verbunden, das für die polnisch-ukrainische Region zunächst eine geringere Durchlässigkeit der Grenze zur Folge hatte. Das nachbarschaftspolitische Projekt, der Entwurf des EUropäischen Ergänzungsraums, führte diese zuerst verweigerte Offenheit dann unter neuen Bedingungen partiell wieder ein. Die Schaffung des Ergänzungsraums begann also mit seiner Aussschließung, die abgestufte Einschließung sollte dann den von der EU präferierten Logiken folgen. Unter diesen Voraussetzungen ließen sich die Vorstellungen der EU demnach nicht einfach nach außen projizieren. Dieser Export wurde durch einen weiteren Umstand noch verkompliziert: Durch die Rolle Polens, das während der Entwicklung dieser Politik zunächst außerhalb und später innerhalb der Union agierte, also nicht mehr zum Ergänzungsraum gehörte, sondern diesen mitzugestalten begann. Es lässt sich dabei von einer gewissen Konkurrenz zwischen den polnischen und den EUropäischen Entwürfen sprechen. Diese Konkurrenz wurde jedoch dadurch entdramatisiert, dass es die polnischen Akteure verstanden, ihr Projekt in das EUropäische zu integrieren – was nicht gleichbedeutend war mit einer Anpassung oder gar einer Auflösung der polnischen Mission. Vielmehr EUropäisierte Polen die in länger zurückreichenden historischen Deutungen verankerten Vorstellungen ebenso, wie die Union Elemente und Angebote aus dem polnischen Repertoire übernahm – es gewissermaßen polono-lithuanisierte (Stefan Troebst). Polen wurde von der Union mehr und mehr eine Rolle des Mediators und Moderators der nachbarschaftspolitischen Strategie im Osten zugesprochen, und damit sowohl die polnische Position gestärkt als auch der Erfolg des EUropäischen Projekts zu sichern versucht. Mit der Einführung einer spezifischen östlichen Dimension in die Nachbarschaft wurde ein zentrales polnisches Anliegen umgesetzt, das allerdings gleichzeitig ausbalanciert wurde von einer symbolisch ähnlich strukturierten südlichen Dimension – der Union für den Mittelmeerraum – die sich gleichwohl weniger dynamisch entwickelte als die östliche. Den polnischen Europapolitikern gelang damit eine doppelte Übersetzungsleistung: ihrer Entwürfe in das EUropäische Projekt hinein und der EUropäischen Forderungen in ihrer eigenen Gesellschaft. Diese verflochtenen, noch unabgeschlossenen Vorgänge zeigen: Bevor von der Entstehung eines neuen Territorialisierungsregimes gesprochen werden

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kann und es möglich wird zu identifizieren, welches sich erfolgreich durchsetzte, ist es zunächst notwendig zu klären, welche Deutungen und Vorschläge überhaupt entwickelt wurden. Diese zu rekonstruieren und die Differenzierungen im Fall des EUropäischen Raums deutlich zu machen, ist Ziel des Buches. Diese Differenzierungsleistung ist nur möglich, wenn die Historizität des Prozesses in den Blick genommen wird, also der Wandel über die Zeit und die Pluralität der Akteure. Dies gilt gleichermaßen für die jüngste Zeitgeschichte, mit der sich diese Studie hauptsächlich befasst hat. Die Beobachtung richtete sich hier auf einen Krisenmoment, in dem die politische Ordnung des Raums in Europa in Fluss geraten war – ein Prozess, der vermutlich nicht erst mit dem Ende des Kalten Krieges einsetzte, aber durch die Osterweiterung der Union für den Kontinent eine beachtliche Dynamik entfaltete. Es kann hier allerdings nur der Anfang der Geschichte von der Herausbildung eines neuen Territorialiserungsregimes erzählt werden. Um stabilisierte Zusammenhänge zwischen den Ebenen zu beobachten, ist es für den hier untersuchten Fall naturgemäß noch zu früh. Erkennbar wird aber ein jeux d’echelles der Akteure, die sich zwar heuristisch einzelnen Raumebenen zuordnen lassen, die aber ständig deren Vielfalt im Blick behalten bzw. diese mit entwerfen und sich bemühen, im Spiel mit ihnen die je eigenen Projekte umzusetzen. Die jüngsten Entwicklungen in der europäischen Nachbarschaft im Süden deuten außerdem darauf hin, dass Territorialisierungsprojekte wie jenes des EUropäischen Ergänzungraums immer wieder unter Druck geraten und gestoppt werden können oder neu justiert werden müssen. Insofern wäre es Aufgabe weiterer Forschungen zu klären, wie der »Erfolg« eines Territorialisierungsprojekts konkret bestimmt werden kann – wenn man die Pluralisierung von Deutungen und Ebenen der Raumproduktionen ernst nimmt, und diese nicht vorschnell in einem abstrakten Entwurf generalisiert. Die Forschungen zum Wandel von Territorialität haben sich bislang zumeist auf eine bestimmte Form der Raumherstellung konzentriert: den Nationalstaat. Ich versuche dagegen zu verdeutlichen, dass man diese Raumproduktionen doppelt pluralisieren muss: in der Betrachtung der Raumebenen wie der Akteure. Die Erforschung von Territorialisierung bedarf zunächst der Entschlüsselung dessen, was in welchen Kontexten und auf welchen Ebenen entworfen wird, um im nächsten Schritt Herrschaftsordnungen im Raum und ihr Dominantwerden erkennen zu können. Raumdeutungen und -herstellungen werden also nicht nur kontingent mit Blick auf die Vielfalt der Ebenen, sondern auch mit Blick auf die Akteure. Diese Kontingenz ist keine Innovation der jüngsten Entwicklungen in der EU. Vielmehr haben gerade die historischen

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Forschungen zu Grenzregionen und auch zu kolonialen Herrschaftspraktiken gezeigt, dass die Erschließung und Durchdringung von Räumen und die damit verbundene Reorganisation von Gesellschaften historisch immer wieder an ihre Grenzen gestoßen ist. Um den Wandel der Ordnung des politischen Raums zu verstehen, muss deshalb von der Gleichzeitigkeit verschiedener Territorialisierungsprojekte ausgegangen werden, um alternative Entwürfe im Blick behalten und den Moment identifizieren zu können, in dem sich einer von ihnen übergangsweise gegen die Mitbewerber durchsetzt.

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Abkürzungen

ACAAs ARDEI ARGO

Agreements on Confromity Assessment and Acceptance of Industrial Products Agency for Regional Development and European Integration Aktionsprogramm für Verwaltungszusammenarbeit in den Bereichen Außengrenzen, Visa, Asyl und Einwanderung AU Afrikanische Union CAP Centrum für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilian-Universität München CARDS Community Assistance for Reconstruction, Development, and Stabilisation (für die Länder Südosteuropas) CBC Cross-Border Cooperation CEFTA Central European Free Trade Organization CEPS Center for European Policy Research CIDA Canadian International Development Agency DCFTA Deep and Comprehensive Free Trade Agreement DFID Department for International Development EBRD European Bank for Reconstruction and Development ECOWAS Economic Community of West African States EG Europäische Gemeinschaft EIB Europäische Investitionsbank EIDHR European Initiative for Democracy amd Human Rights/Generaldirektorat AidCo ENP Europäische Nachbarschaftspolitik ENPI European Neighbourhood Policy Instrument EMP Euro-Mittelmeer-Partnerschaft EU Europäische Union EUROPOL European Police Office FRONTEX Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen FTA Free Trade Agreement GTZ Gesellschaft für technische Zusammenarbeit ILO International Labor Organization IMF International Monetary Fund IOM International Organization for Migration INTERREG Programm der EU für die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Regionen IREX International Research and Exchange Board IPA Instrument for Pre-Accession Assistance ISPA Instrument for Structural Policies for Pre-Accession JTS Joint Technical Secretariat/Gemeinsames Technisches Sekretariat des Nachbarschaftsprogramms KHF Know How Fund KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (ab 1995 OSZE) MD Materiały i Dokumenty

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Abkürzungen

MEDA NATO NGO (N)NP NUTS ODA OECD OSZE PAUCI PHARE PiS PKA PPN PR RABIT SAPARD SIDA SPF SWP TACIS TAIEX UAL ULB/W UKIE UN UNDP UNHCR UNICEF UPCBC- Agency USA USAID VÁTI WTO ZD

Instrument für die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit im Rahmen der Euro-Mittelemeer-Partnerschaft North-Atlantic Treaty Organization Non-Governmental Organization (Neues) Nachbarschaftsprogramm/(New) Neighbourhood Programme Nomenclature des unités territoriales statistiques (Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik der europäischen Gemeinschaften) Overseas Development Administration Organization for Economic Cooperation and Development Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, bis 1995 KSZE Polish-American-Ukraine Cooperation Initiative Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies (EU-Hilfsprogramm für die Länder Ostmitteleuropas) polnische Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit) Partnerschafts- und Kooperationsabkommen Porozumienie Polityki Niepodległościowej (Polnische Allianz für Unabhängigkeit) Przegląd Rządowy Rapid Border Intervention Team Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development Styrelsen för internationellt utvecklingssamarbete (Schwedische Zentralbehörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit) Small Project Fund Stiftung Wissenschaft und Politik Technical Assistance for the Commonwealth of Independent States (EU-Hilfsprogramm für die Nachfolgestaaten der UdSSR) Technical Assistance and Information Exchange Universitätsarchiv Leipzig Ukraine, Litauen, Belarus/Weißrussland Urząd Komitetu Integracji Europejskiej/Büro des Kommittees für europäische Integration der polnischen Regierung United Nations United Nations Development Programme United Nations High Commissioner for Refugees United Nations International Children’s Emergency Fund Ukrainian-Polish Agency for Cross-Border Regional Development United States of America United States Agency for International Development Városépítési Tervező Iroda (ungarische Agentur für Regionalentwicklung und Stadtplanung) World Trade Organization Zbiór Dokumentów

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Quellen

Die Quellen sind den einzelnen Kapitel, in denen sie zitiert werden, zugeordnet. Innerhalb dieser Grundgliederung werden sie für die schnellere Auffindbarkeit noch einmal nach institutionellen Herkünften bzw. Publikationsorten und Autoren unterteilt. 2. Grenzregime und Nachbarschaft: EU-Dokumente Kommission KOM (1998) 701 final, Europäische Kommission: Regelmässiger Bericht der Kommission über Polens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt, 17. 12. 1998. KOM (1999) 509 endg., Europäische Kommission: Regelmässiger Bericht der Kommission über Polens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt, 13. 10. 1999. KOM (2000) 709 endg., Europäische Kommission: Regelmässiger Bericht der Kommission über Polens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt, 08. 11. 2000. KOM (2000) 757 endg., Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Migrationspolitik der Gemeinschaft, 22. 11. 2000. COM (2000) 769 final, European Commission: Green Paper – Towards a European Strategy for the Security of Energy Supply, 29. 11. 2000. COM (2001) 200 final, Joint Communication to the European Council, the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of Regions: A Partnership for Democracy and Shared Prosperity with the Southern Mediterranean, Brüssel, 08. 03. 2011. KOM (2001) 278 endg., Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«, 23. 05. 2001. KOM (2001) 567 endg., Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Aktionsprogramm für Verwaltungszusammenarbeit in den Bereichen Außengrenzen, Visa, Asyl und Einwanderung (ARGO), 16. 10. 2001. KOM (2001) 700 endg., Europäische Kommission: Regelmässiger Bericht der Kommission über Polens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt, 13. 11. 2001. KOM (2001) 672 endg., Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Über eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der illegalen Einwanderung, 15. 11. 2001. KOM (2002) 700 endg., Europäische Kommission: Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt, 09. 02. 2002. KOM (2002) 175 endg., Grünbuch über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen, 10. 04. 2002.

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Interviews Brüssel, März 2006 Interview Brüssel 1 Principal Adviser for European Neighbourhood Policy Generaldirektorat Außenbeziehungen, DGA 2 Europäische Kommission Interview Brüssel 2 RELEX/D/1 – General Coordination, European Neighbourhood Policy Generaldirektorat Außenbeziehungen Europäische Kommission Interview Brüssel 3 Sector Co-ordination Unit (RELEX D.2), European Neighbourhood Policy Generaldirektorat Außenbeziehungen Europäische Kommission Interview Brüssel 4 Dir D/1 European Neighbourhood Policy, General Coordination Generaldirektion Außenbeziehungen Europäische Kommission Interview Brüssel 5 Unité D3 Coordination des mesures à l’égard des régions ultra périphériques CSM2  01/93 Generaldirektorat Regionalpolitik Europäische Kommission Interview Brüssel 6 Unit D1 Territorial Co-operation Generaldirektorat Regionalpolitik Europäische Kommission Interview Brüssel 7 Programme Coordinator EuropeAid A/1 Generaldirektorat AidCo Europäische Kommission Interview Brüssel 8 Center for European Policy Studies

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Quellen

Warschau, März/April 2006 Interview Warschau 1 Wspólny Sekretariat Techniczny/Joint Technical Secretariat Nachbarschaftsprogramm Polen-Weißrussland-Ukraine INTERREG IIIA/TACIS CBC 2004–2006 Interview Warschau 2 Ministerium für Regionalentwicklung, Abteilung INTERREG Initiative Departement Interview Warschau 3 Information & Transparency Unit FRONTEX Interview Warschau 4 Stefan-Batory-Foundation

Lublin, November 2006 Interview Lublin 1 Abteilung für regionale Entwicklung Marschallamt Woiwodschaft Lublin Interview Lublin 2 Abteilung für regionale Entwicklung Marschallamt Woiwodschaft Lublin Interview Lublin 3 »Dom Europy«/»House of Europe« Interview Lublin 4 Universität Lublin, Historisches Seminar Interview Lublin 5 ehemaliger Mitarbeiter »Dom Europy« Interview Lublin 6 ehemaliger Mitarbeiter »Dom Europy«

Kiev, März/April 2008 Interview Kiev 1 International Renaissance Foundation, Director of the European Programme Interview Kiev 2 Center for Peace, Conversion and Foreign Policy of Ukraine

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Quellen

Interview Kiev 3 Polish-American-Ukraine Initiative (PAUCI), Büro Kiev Interview Kiev 4 Polnische Botschaft Kiev Interview Kiev 5 Delegation der Europäischen Kommission in der Ukraine Interview Kiev 6 Delegation der Europäischen Kommission in der Ukraine Interview Kiev 7 OSCE Projektkoordinator in der Ukraine Interview Kiev 8 Deutsche Botschaft, Kiev

L’viv, April/Mai 2008 Interview L’viv 1 L’viv Oblast-Verwaltung Head of the Department for International Cooperation and European Integration of the Main Department of Economy Interview L’viv 2 L’viv Oblast-Verwaltung Department for International Cooperation Interview L’viv 3 Agency for Regional Development and European Integration (ARDEI) Interview L’viv 4 Agency for Regional Development and European Integration (ARDEI) Interview L’viv 5 L’viv Tourist Board Interview L’viv 6 Information and Cross-border Cooperation Support Centre »Dobrosusidstvo« (Infopoint des Nachbarschaftsprogramms Polen-Weißrussland-Ukraine TACIS/INTERREGIIIA 2004–2006)

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Namensregister

Adomeit, Hannes  149 Aliboni, Roberto  131 Andruchowyč, Juri  19 Ashton, Catherine  168 Bachmann, Veit  140 Barth, Boris  45 f. Baud, Michiel  279 f. Belka, Marek  231, 248, 250 Bendiek, Annegret  134, 147 Berdychowska, Bogumiła  261 Bigo, Didier  58, 64, 67, 78 Blair, Tony  295 f. Boguszewski, Ryszard  306 Borodziej, Włodzimierz  215 Böttger, Katrin  130, 167 Bourne, Angela K. 31 Brikley, Robert  300, 320 f. Bush, George W. 289 Campbell, Helen  185 Cichocki, Jacek  210 Cimoszewicz, Włodziemierz  245 Cini, Michelle  31 Conway, Martin  44 Deighton, Anne  26 Delanty, Gerard  28 Delcour, Laure  149 Dipper, Christof  33 Dmowski, Roman  217 f. Duchêne, François  139 f. Eigmüller, Monika  37 Emerson, Michael  131, 144 f., 158 Ferrero-Waldner, Benita  152 f., 176, 180 Galtung, Johan  140 Geremek, Bronisław  240 f., 259 Giedroyc, Jerzy  219, 221, 228, 262 Giertych, Jędrzej  216

Gross, Feliks  225 f. Guiraudon, Virginie  62 f., 185 Hadler, Frank  9, 215, 222 Halecki, Oskar  216, 222 f. Hassner, Pierre  37 Holden, Patrick  142–144, 291 Hübner, Danuta  153 Jaeger, Friedrich  28 Jensen, Ole B. 68 Joas, Hans  28 Jones, Alun  41–43, 50, 141 Juščenko, Viktor  176, 269, 288 Kaczyński, Jarosław  230, 249, 251 Kaczyński, Lech  230, 249 Kaelble, Hartmut  28 Kaiser, Wolfram  25 f., 28 Karakayalı, Serhat  44 Kempe, Iris  158 Kenneweg, Anne C. 10 Kieniewicz, Jan  226–228 Kłoczowski, Jerzy  210 Klemm, Thomas  10 Komlosy, Andrea  38 Komorowski, Bronisław  230 Koneczny, Feliks  216 Kravčuk, Leonid  256 Kruse, Imke  79 Kwaśniewski, Aleksander  207–210, 222, 230 f., 243, 245, 249 f., 262 Larsen, Henrik  41 Lavenex, Sandra  60, 137 f. Lehmkuhl, Dirk  137 Leigh, Michael  185 Lindner, Rainer  149 Lipgens, Walter  26 Luciani, Francesco  314 f. Lukašenko, Alexander  190

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Namensregister

Maier, Charles  35, 38, 237 Manela, Erez  279 Marcinkiewicz, Kazimierz  249 Matjunin, Sergej  323 Maull, Hanns W. 140 McKeown, Adam  58 f. Menkiszak, Marek  255 Mesenhöller, Mathias  9, 215, 222 Meuser, Michael  52 Middell, Matthias  9, 17, 35 Mieroszewksi, Juliusz  219 f. Miller, Alexej  212 f., 220 Miller, Leszek  153, 208 Miłosz, Czesław  261 Milward, Alan  26 Mittag, Jürgen  283 Mocharska, Ljubov  324 Moller, Per Stig  158 Monnet, Jean  139 Morrissey, Oliver  295 f. Nagel, Ulrike  52 Natorksi, Michal  147 f. Naumann, Katja  10, 35 Newman, David  277 Obst, Erich  49 Olszański, Tadeusz  261 Osterhammel, Jürgen  28, 36, 45 f. Paasi, Anssi  40 f., 278 Patel, Kiran  26, 44 Patten, Christopher  158, 174, 185 Pichler, Peter  29 Piłsudski, Józef  217, 219 Piotrowski, Marcin  255 Pomianowski, Jerzy  262 Prodi, Romano  159, 209 Raphael, Lutz  33 Revel, Jacques  17, 63 Richardson, Tim  68 Rjabčuk, Mykola  254 f. Rosati, Dariusz  205–210 Rotfeld, Adam D. 234, 250 Sachsenmaier, Dominic  28 Sahlin, Peter  280

Schneider-Deters, Winfried  166 Scott, James C. 275 Scott, James W. 145, 146, 150, 276 Sidaway, James  140 Sienkiewicz, Bartłomej  209, 260–262 Sikorski, Radosław  242 Smith, Roland  299 Smolar, Aleksander  210 Snyder, Timothy  213 f., 217 Solana, Javier  72, 130, 158, 174, 176 Stasiuk, Andrzej  19 Strange, Susan  142 Straw, Jack  158 f. Stuppel, John  300, 320 f. Šumylo, Olga  291–293 Thatcher, Margaret  295 Thiemeyer, Guido  26 Torpey, John  56 f., 59 Trauner, Florian  79 Troebst, Stefan  9, 47, 348 Trzaskowski, Rafał  246 Tsianos, Vassili  44 Tulmets, Elsa  146, 151 Turner, Frederick Jackson  38 Tusk, Donald  230, 249 Uçarer, Emek  60 Unfried, Berthold  283 van Laak, Dirk  47–49 van Schendel, Willem  279 Varsori, Antonio  26 Verheugen, Günter  154 f., 185, 188 Vobruba, Georg  37, 133–135 Wałęsa, Lech  230 Walldén, Axel  185 Wandycz, Piotr  217 Wawrzonek, Michał  262 Weidenfeld, Werner  158 Wichmann, Nicole  137 f. Wissels, Rutger  185 Wóycicki, Kazimierz  210 Zlomaniec, Miroslav  316 Zolberg, Aristide  78 Zych, Józef  258

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Ortsregister

Afghanistan  110, 112–117, 145 Afrika (siehe auch Nordafrika, Ostafrika, Subsaharisches Afrika, Westafrika, Zentralafrika) 29, 47–49, 74 f., 83, 99, 103, 106–109, 120, 123 f., 142, 272, 297 Ägypten  122–124, 146 f., 157, 164, 168– 170, 190 Albanien  110–112, 114 f., 117 f. Algerien  107, 146 f., 157, 164 Amsterdam  56, 66, 69, 96, 198, 246 Armenien  110–112, 114 f., 117, 123 f., 146 f., 156, 163 f., 172 Asien (siehe auch Südasien, Südostasien, Zentralasien) 58, 75, 79, 82, 109–118, 142, 272, 280, 297 Äthiopien 107 Außengrenze der EU  21, 23, 38, 44, 47, 50, 56, 60, 62, 64, 67–71, 74–76, 78, 81, 84–87, 89 f., 92, 99, 102, 104, 105, 125 f., 157, 161, 168, 174, 196, 202 f., 233, 237, 239, 248, 253, 274, 280, 287, 300, 314, 332, 335, 337, 343, 345 Aserbaidschan  110 f., 113–117, 146, 156, 163 f., 172 Balkan (siehe auch Westbalkan) 69, 71, 73 f., 79, 82 f., 88, 109, 146, 159 f., 297 Bangladesch  111–116, 118 Barcelona  157, 159, 165 f., 198 Barentssee 145 Belarus, siehe Weißrussland Belgien 121 Bosnien und Herzegowina  110–112, 114, 116 f. Brasilien 83 Bratislava 155 Brest 320 Brody 255 Brüssel  9, 51 f., 72, 81, 131, 158, 266, 306, 320, 333 Budapest 66 Bulgarien 185

Bundesrepublik Deutschland, siehe Deutschland Burkina Faso  107 Charkiv 288 China  75, 83, 110, 112–115, 117, 181 Dänemark 72 Danzig 255 DDR 197 Den Haag  74 f., 77, 79, 81, 87, 98, 157, 199 deutsch-polnische Grenze  275 f., 322 Deutschland  14, 33, 47–49, 62, 65, 72, 105, 107, 121, 153, 158 f., 167, 177, 197 f., 201, 203, 215, 217 f., 230, 238, 240, 254, 257 f., 263, 291, 339 Donbass 299 Donez’k 301 Dublin  197 f. Edinburgh 305 Eritrea 107 Estland 273 EU-Außengrenze, siehe Außengrenze der EU Europa/EUropa erhalten in diesem Register keinen eigenen Eintrag, da andernfalls fast jede Seite gelistet werden müsste. finnisch-russische Grenze  40 Finnland  146, 278 Frankreich  16, 49, 62, 72, 103, 107, 121, 123, 128, 157, 159, 165, 167, 171, 179, 184, 199, 201, 203, 213, 248, 256, 266, 280 FYROM  110 f., 113–115, 117 Gelderland  206 f. Genf 209 Georgien  110 f., 113, 115, 117, 147, 156, 163 f., 172 f., 199, 266, 183 Ghana 107

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Ortsregister

Griechenland  107 f., 167, 169, 200 Grodno, siehe Hrodna Großbritannien  15 f., 23, 66, 72, 107, 121, 139, 158, 167, 102 f., 213, 264, 272 f., 284–286, 289, 291 f., 294–302, 304, 308, 311, 316 f., 320, 346 Guinea 107 GUS  148, 160, 162 Habsburger Monarchie  38, 215, 223 Hampton Court  199 Hrodna  312 f., 320 Indien  83, 181 Irak  72, 83, 199 Irland  66, 246 Island 66 Israel  146 f., 157, 164 Italien  27, 103, 107 f., 121, 123 f., 157, 159, 167, 169, 171, 184, 200 Jagiellonisches Reich  211 f., 214 f., 217–219, 221–224, 242, 262 Jalta  220, 240 Japan  111–113, 115, 117, 291 Jordanien  147, 157, 164, 170 Jugoslawien  140, 197 Kamerun 107 Kanada  145, 286, 291, 293 Kanarische Inseln  88, 107, 109, 128 Karibik  75, 82 f. Karpatenvorland (polnische Woiwodschaft) 305, 310 f., 323 f. Kaukasus (siehe auch Südkaukasus) 145, 152, 173, 200, 344 Kasachstan  110–112, 114 f., 117, 123 f., 156 Kiev  9, 15, 51, 165 f., 231, 256, 259, 284, 288, 291, 299, 310–312, 314, 333 Kolumbien  123 f. Kopenhagen  159, 233 f., 237, 245 f., 267 Korea  110, 112 f., 114 f., 117 Kresy  201 f., 212, 215, 224–226, 228–230, 251, 268, 345 Krim  224, 338 Kroatien  111–114, 116, 118, 289 Kirgisistan  110–112, 114 f., 117, 123 f.

L’viv  9, 15, 20, 51, 269, 273, 284, 288, 299, 301 f., 304–307, 309–312, 323 f., 327–329, 333, 336–338 Laeken  70, 72, 83, 157, 198 Lampedusa  108, 128 Lateinamerika  75, 82 f., 108 f., 142, 279 Lettland 273 Libanon  109–111, 113, 115–117, 147, 152, 157, 164 Liberia 73 Libyen  107, 109, 147, 164, 168–170 Lissabon  29, 84, 127 f., 198, 200, 230, 248, 251, 268, 340 Litauen  167, 184, 194, 212, 219 f., 253, 265, 273 London  67, 219, 273, 284, 303, 312 Lublin  9, 15, 20, 51, 210, 213 f., 242, 273, 305 f., 310 f., 316, 318, 323 f., 327, 332 f., 337, 339 Maastricht  68, 198 Macau  110, 112 f., 115–117 Madrid 67 Maghreb 108 Mali  107, 109 Malta  88, 107 f., 128, 157, 167, 169 Marokko  107, 109–111, 113 f., 116 f., 122– 124, 146 f., 152, 157, 162, 164, 170, 190 Masowien 320 Mauretanien  107, 109 Mekong  111–115, 117 Mexiko 145 Mitteleuropa, siehe Ostmitteleuropa Mittelmeerraum  41, 56, 73, 82, 87 f., 103, 106–109, 123, 142, 145 f., 150, 156 f., 159 f., 165–169, 171 f., 183, 197 f., 200, 266 f., 348 Moldova  79, 110–115, 117 f., 135, 146 f., 150, 156, 158, 162, 164, 167, 170–172, 264, 317 Montenegro  110 f., 113 f., 116, 118 Moskau  154, 219 Naher Osten  73, 110–115, 117, 131, 145, 168, 144, 182 New York  67, 198 Niederlande  107, 128, 179, 199, 248, 260, 279, 291, 306 Niger 107

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Ortsregister

Nigeria 107 Nizza  198 f., 230, 246 f., 252, 268 Nordafrika  74, 79, 103, 107–112, 114 f., 117, 122–124, 131, 143, 150, 168, 172, 196, 200, 344, 346 Norwegen 146 Oder 128 Odessa  255, 312 f. Ostafrika  73, 106–109 Österreich  121, 167, 339 Osteuropa  75, 146, 198, 209, 212, 219, 256, 269, 272, 296–298 Ostmitteleuropa  9, 15, 48 f., 64–67, 72, 105, 156, 158 f., 172, 184, 186, 188, 203 f., 208, 210, 223–225, 228 f., 232 f., 240, 244 f., 251 f., 254, 256, 259 f., 268, 275, 285 f., 297, 302, 345 Ostsee  14, 145 Pakistan  110, 112–114, 116 f. Palästina, siehe Palästinensische Gebiete Palästinensische Autonomiebehörde, siehe Palästinensische Gebiete Palästinensische Gebiete  146, 157, 164, 166 Palma 69 Paris  209, 213, 218 f., 221 Persischer Golf  145 Philippinen  110–112, 114–117 Podlachien 320 Polen (siehe auch Polnisch-Litauische Union, Rzeczpospolita) 15, 19, 22 f., 25, 43, 47, 51, 63, 65, 104 f., 121, 135, 143, 147 f., 153, 155, 159, 165–167, 171, 173, 184, 194, 200–275, 278, 280, 286–88, 291–93, 298, 301 f., 305, 307, 309–316, 318, 320, 322–330, 332–342, 345–348 Polnisch-Litauische Union  211–214, 216– 217, 223 f., 228, 241 f. Polnisch-tschechische Grenzregion  322 polnisch-ukrainische Grenzregion  22 f., 43, 51, 254, 271, 274–276, 321, 347 f. Portugal  107, 121, 167 Prag 266 Przemyśl 336 Pyrenäen 280 Ruanda 107 Rumänien 289

Russische Föderation, siehe Russland Russisches Reich, siehe Russland Russland  14, 79, 110–115, 117, 123 f., 129, 145–150, 153–156, 159–163, 166, 172 f., 181 f., 189, 195, 200, 202 f., 206 f., 211– 220, 222–227, 239 f., 253, 255, 257, 260 f., 264, 266 f., 192 f., 297, 316, 318, 338, 344 Rzeczpospolita (polnische Adelsrepublik) 213, 215 f., 222, 225 f., 249 Schengen  38, 56, 60, 63 f., 66 f., 69, 76 f., 104 f., 125, 177, 197 f., 200, 202, 209, 228, 231, 237, 328, 337–339, 343 Schwarzmeerraum  82, 165 f., 182, 200 Schweden  159, 165, 167, 200, 255, 263, 265 f., 289 Senegal  107, 109 Serbien  110 f., 113 f., 116, 118, 289 Sizilien 108 Slowakei  19, 167, 273, 289, 309 Slowenien 273 Söderköping 66 Somalia  73, 107 Sowjetunion  14, 27, 46, 65, 139, 143, 146, 218–221, 226, 239 f., 255 Spanien  100, 103, 107 f., 121, 123 f., 147 f., 157 f., 167, 171, 225, 280 Sri Lanka  110 f., 113–115, 117 Stockholm  75, 81–83, 91, 101, 200 Subsaharisches Afrika  73 f., 169 Sudan 107 Südasien  73, 111 f., 113–115, 117 Südkaukasus  73, 110–117, 123 f., 162 f., 166, 182, 189, 195 Südostasien  73, 109 Südosteuropa 145 Syrien  147, 157, 164, 170 Tadschikistan  110–115, 117, 123 f., 156 Tampere  69 f., 83–85, 92, 96, 102, 157, 198 Tansania  107 f. Transkarpatien (ukrainischer Oblast) 19, 312 f., 338 Transnistrien 168 Tschechische Republik  105, 185, 216, 223, 254, 266 Tschechoslowakei, siehe Tschechische Republik

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400

Ortsregister

Tunesien  122–124, 127, 146 f., 157, 164, 168–170, 190, 198 Türkei  107 f., 110–118, 157, 206 f., 234 Turkmenistan  110–112, 114 f., 117 Ukraine (siehe auch Westukraine, Zentralukraine) 15, 19, 22 f., 43, 51, 79, 104, 110–115, 117 f., 123 f., 135, 146–150, 152, 156, 158, 160, 162, 164, 166 f., 170– 173, 176, 183 f., 190, 192, 195, 198–200, 202, 206 f., 209, 212, 216, 219 f., 226, 231, 234, 238 f., 242, 250 f., 253–272, 274–276, 282, 284, 286–294, 297–315, 317–322, 325–340, 342, 346–348 Ungarn  14, 19, 121, 167, 223, 235, 254, 273, 309, 313, 321 US-mexikanische Grenze  276 USA  23, 27, 38, 58, 72, 78, 98, 131, 143, 145, 150, 263, 291, 294 f., 298, 139–141, 209, 261, 276, 289, 331 Usbekistan  110–112, 114 f., 117, 156 Visegrád  155, 188, 254, 256

Warschau  9, 15, 51, 208, 210, 231, 259, 261, 306 Weimar 256 Weißrussland  110–115, 117, 145–147, 150, 156, 158, 164, 170, 173, 192, 194, 202, 207, 212, 216, 219 f., 238, 251, 253, 255, 264, 268, 272, 306, 312 f., 317, 319–321, 327 Westafrika  73, 82, 106–109 Westbalkan  79, 82, 89, 109–118, 121–124, 159 f. Westeuropa  19, 27, 66, 206, 226, 232, 251, 253, 340, 345 Westukraine  192, 299, 302, 330, 332, 334 Wolhynien  305, 310, 323 f. Zamość 337 Zentralafrika 107–109 Zentralasien  83, 109–118, 122–124, 129, 145, 198, 216, 297 Zentralukraine 299 Zypern 157

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