Die Typen der Inkunabelzeit: Eine Betrachtung [Reprint 2019 ed.] 9783111501161, 9783111135076


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INHALT
Einleitung
Was sagen die Urkunden
Was sagen die Typen
Zur Geschichte der Forschung
Schluß
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Die Typen der Inkunabelzeit: Eine Betrachtung [Reprint 2019 ed.]
 9783111501161, 9783111135076

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DIE TYPEN DER INKUNABELZEIT

DIE TYPEN DER INKUNABELZEIT EINE BETRACHTUNG VON

ERNST CONSENTIUS

1

929

WALTER DE GRUYTER & CO. BERLIN

Alle Rechte vorbehalten — Printed in Germany — Copyright 1929 by Walter de Gruyter & Co.

INHALT Einleitung

Seite

1

Was sagen die Urkunden

i4

Was sagen die Typen

62

Zur Geschichte der Forschung

ia4

Schluß

157

„Die neuere Inkunabelforschung hat das Typenrepertorium als Grundlage für die Ursprungsbestimmung der Wiegendrucke ziemlich anerkannt." K. H a e b l e r .

EINLEITUNG B r a d s h a w — Proctor — Haebler — eine Linie. Henry Bradshaw hatte die Idee, in chronologischer Folge die Inkunabeln nach Ländern, Städten und Druckern anzuordnen und dabei die von den einzelnen Druckern benutzten Typen vollständig zu verzeichnen. Diese Form der Anordnung sollte eine Entwicklungsgeschichte des Druckes geben; es war die historische Ordnung, die sich um so mehr empfahl, als die Type — wie Bradshaw hervorhob — f ü r den Drucker charakteristisch ist, und aus der Type das Werk eines ungenannten Druckers wiedererkannt wird. Bradshaw führte seine Idee an einem Beispiele vor 1 ). Die Anordnung ist klar. Die Übersicht über die Gesamtproduktion jeder Presse, die auf diese Weise gegeben wird, kann überaus nützlich sein, wie das ohne weiteres einleuchtet. Und die von Bradshaw gemachte Beobachtung, daß jeder Drucker ihm eigentümliche Typen benutzte, versprach in den außerordentlich zahlreichen Fällen, bei denen im Druck der Name des Herstellers nicht genannt ist, eine Lösung 2 ). x ) Henry B r a d s h a w , Collected papers. Cambridge 1889. Darin S. 206—2 3 6 : A classified index of the fifteenth century books in the De Meyer collection sold at Ghent, november 1869 u. S. 2 5 8 — 2 8 0 : List of the founts of type and woodcut devices used by printers in Holland in the fifteenth century. 2) B r a d s h a w , a. a. 0., S. 2 1 7 : „ . . . it is very unsafe to attribute this or that book to any particular printer, unless in the case of absolute identity of type with some acknowledged production of the printer to whom it is attributed."

2

Bradshaw-Proctors Idee erhält die methodische Fassung

Robert Proctor griff Bradshaws Idee auf und verwertete sie f ü r den Katalog der Inkunabeln des Britischen Museums. Für jede Presse gab Proctor eine Beschreibung der benutzten Schriften, die eben f ü r diese Werkstatt bezeichnend waren. Kehrten diese Typen in einem Druck wieder, der den Namen des Druckers n i c h t verriet, so waren die Typen f ü r Proctor der Hinweis zur rechten Presse, zum Drucker. — Um die zahlreichen Typen besser auseinanderzuhalten, suchte Proctor f ü r jede Type das Zeilenmaß zu geben. Das war Bradshaw gegenüber ein methodischer Fortschritt 3 ). Bradshaws Gedanke, der die Typen in den entscheidenden Vordergrund gerückt hatte, war durch Proctor auf den Bestand einer großen Sammlung übertragen worden. Die Type verrät nach Bradshaw und Proctor die Herkunft des Druckes. Doch erst eine übersichtliche Anordnung der Typen selbst, die es gestattete von jeder beliebigen Type auszugehen, um durch die Type den Drucker festzustellen, konnte Bradshaws Idee zu einem die Wissenschaft fördernden Hilfsmittel machen. Diese Ordnimg der Typen hatte weder Bradshaw noch Proctor gegeben. Zur wirklich praktischen Verwendung fehlte die methodisch durchdachte Fassung des Gedankens und die Übersicht über die zahllosen Typenformen. Konrad Haebler hat es verstanden, die Typen in geradezu ausgezeichneter Weise zu ordnen und damit der Idee zur praktischen Brauchbarkeit verholfen; er hat, ohne dabei sein eigenes, sehr erhebliches Verdienst irgendwie hervorzuheben, „im wesentlichen nur konsequent durchgeführt und methodisch ausgebaut", worauf Proctor hingewiesen hatte. Haebler schuf 3 ) Robert P r o c t o r , An index to the early printed books in the British Museum, from the invention of printing to the year MD. With notes of those in the Bodleian Library, I. i , London 1898.

Konrad Haeblers Typenrepertorium

3

sein Typenrepertorium der Wiegendrucke 4 ). Haeblers große Tat war die Ordnung. Auch Haebler inventarisierte die Schriftkästen der einzelnen Druckereien und folgte, mit leichter Abänderung, dabei der von Bradshaw als zweckmäßig empfohlenen Ordnung nach Ländern und Städten. Aber, was Haeblers eigenstes Werk bleibt, er gruppierte auch die vielgestalteten Typen vor allem nach der M-Form. D a ß die Form, in der gerade das M auftritt, ein brauchbares Unterscheidungsmittel f ü r die Typen sei, hatte schon Anatole Claudin, unabhängig von Haebler, gesehen. Zu der unterscheidenden M-Form fügte Haebler — nach Proctors Vorgänge — das Zeilenmaß jeder Type, und zwar in verbesserter Messung, die es erlaubt, aus dem angegebenen Maße das genaue Maß f ü r die einzelne Zeile zu finden. Nach M-Form und Zeilenmaß konnte Haebler jede Type bezeichnen. Diese, in tabellarischer Form gebrachte Gruppierung der gesamten Typen der Inkunabelzeit ist der entscheidende, methodische Fortschritt Haeblers. In den Tabellen nannte Haebler bei jeder Type, wie sie sich nach der M-Form und dem Kegelm a ß einordnete, den Namen des Druckers, der diese Type benutzte. Und Haebler begnügte sich in seinen übersichtlichen Tabellen nicht mit diesen beiden Kennzeichen der Type, der M-Form und dem Maße, sondern gab darüber hinaus, f ü r jede Type, kurz beschreibend, Hinweise auf eigentümliche Buchstabengestaltungen usw., die gerade d i e s e Type, f ü r die der Drucker n a m h a f t gemacht wird, auszeichnen. Die Art dieser kurzen Beschreibung der Buchstabenformen innerhalb einer Type mit wenigen Zeichen, u m die Gestalt des 4 ) Konrad H a e b l e r , Typenrepertorium der Wiegendrucke, i. Bd. Halle a. S. igo5 bis 5. Bd. Leipzig 19 2

4

Das Typenrepertorium soll den unbekannten Drucker nennen

Schriftzeichens sinnfällig zu charakterisieren, ist eine ganz hervorragende Leistung. So ist es möglich, von der Gestalt der Type ausgehend, durch den tabellarischen Teil des Typenrepertoriums den Namen des Druckers zu finden. So ist es weiter möglich, durch das im historischen Teil des Typenrepertoriums f ü r jeden Drucker gegebene Inventar seiner Schriftkästen, das auch die von ihm benutzten Initialen aufzählt, eine Kontrolle zu üben, ob die gesamten Typen eines namenlosen Druckes wirklich zu dem festgestellten Material der Presse gehören, der man den Druck zuweisen will. Diese Bestimmung der namenlosen Drucke ist der Zweck des Typenrepertoriums. Durch das Typenrepertorium war die Linie, die von Bradshaw über Proctor führte, zum Abschluß gebracht. Bradshaws Gedanke hatte eine Form gewonnen, die ihm praktische Verwertung sicherte. Es war Haebler gelungen, nach M-Form und Kegelmaß, unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Eigentümlichkeiten, jede Type so klar und scharf in aller Kürze zu beschreiben, daß mit dieser Beschreibung, bei richtiger Benutzung der Tabellen, die betreff ende Type wiedererkannt werden mußte. Ist die Type f ü r den Drucker bezeichnend, oder mit anderen W o r t e n : hat jeder Drucker seine Typen, die ihm allein dienen, oder noch bestimmter gesagt: ist jeder Drucker sein eigener Stempelschneider u n d Schriftgießer — und das ist in der Inkunabelzeit ja ganz selbstverständlich — so m u ß aus der Type, wenn einmal der ganze Schriftenreichtum der Frühdrucke nach M-Formen und Kegelmaßen in übersichtliche Ordnung gebracht ist, wieder der Drucker, der allein diese Typen benutzte, erkannt werden. Das Rätsel, das bisher die namenlosen Drucke aufgegeben, war gelöst! Haeblers Typenrepertorium ist, wie Voullieme sagt, ein „Monumentalwerk". „Während die Bibliographen f r ü h e r bei

Bradshaw nimmt zur T y p e die Druckereigentümlichkeiten

5

der Bestimmung eines nicht firmierten Druckes auf das Probieren angewiesen waren, indem sie auf ihre Typenkenntnis gestützt unterschriebene Drucke mit derselben Type aufsuchen oder die häufig noch mangelhaften Faksimilereproduktionen durchblättern mußten, wird ihnen jetzt durch Haeblers Typenrepertorium ein Weg gewiesen, auf dem sie ohne Um- und Irrwege zu dem erstrebten Ziel geführt werden. An die Stelle des Probierens ist methodisches Fortschreiten getreten. W i r haben jetzt ein Fundament, auf dem wir sicher weiterbauen können" 5 ). Aber — Haebler hatte Bradshaws Gedanken vergröbert; wie das ja leicht kommt, wenn man eine Idee fester formuliert und der Ordnung wegen in Tabellen zwingt. Daß Haebler Bradshaws Wunsche, das Material der einzelnen Drucker Jahr f ü r Jahr, wenn möglich von Monat zu Monat, zu fixieren, nicht gefolgt ist, spricht weiter nicht mit. Denn das bleibt ein frommer Wunsch, der sich keineswegs f ü r alle Drucker auch nur annähernd erfüllen läßt. Bradshaw hatte den Satz aufgestellt, daß die vollständige Übereinstimmung der Type in zwei Drucken f ü r die gleiche Presse spräche. Bradshaw hatte aber auch beobachtet, daß Typen, und zwar völlig übereinstimmende, von verschiedenen Druckern, die sich mit Namen genannt, benutzt waren. Deshalb hatte Bradshaw den sogenannten Druckereigentümlichkeiten seine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Das heißt: er beachtete, ob ein Drucker z. B. ein Titelblatt druckte, oder ein Blatt f ü r den Titel freiließ, er sah auf die Interpunktion, auf die Art und Weise, wie die Signaturen auf den Druckbogen angebracht waren. Und Bradshaw schenkte den Holzschnitten Beachtung, um z. B. aus dem Zustande des Holzstockes, aus 6)

Ernst V o u l l i e m e , im Zentralblatt f . Bibliothekswesen, 28. Jhg. 1 9 1 1 , S. Ix 1.

6

Type und Druckereigentümlichkeiten

dem eine Linie ausgebrochen war, einen Schluß auf die Zeit der Verwendung, zum Zwecke der Datierung, zu ziehen. — Das Problem, einen namenlosen Druck zu bestimmen, stellte sich f ü r Bradshaw doch nicht lediglich als eine reine Typenfrage dar 6 ). Über die sogenannten Druckereigentümlichkeiten sagt Haeblers Typenrepertorium weder in seinem historischen, noch in seinem tabellarischen Teile etwas, und über die Holzschnitte fast nichts 7 ). Die Type war f ü r Bradshaw das Erkennungszeichen f ü r den ungenannten Drucker bei gleichzeitiger Verwendung

an-

d e r e r Kriterien, von denen das Typenrepertorium schweigt. Die Type war f ü r Proctor der Grund, einen namenlosen Druck

einer bestimmten

Werkstatt

zuzuweisen.



„Books

without any printer's name, if evidence f r o m their types or other sources enables them to be assigned to a printer, are placed with the books signed by him" 8 ). — Aber die Wanderung der Typen 6) B r a d s h a w , a.a.O., S. 2 1 8 : „Examination shewed that the type of the two books was identical, and the printer's habits (punctuation, mode of printing signatures, etc.) were also the same in both." 7) Ursprünglich hatte die Beachtung der Druckereigentümlichkeiten mit auf Haeblers Programm gestanden. Vgl. Konrad H a e b l e r , Zur Inkunabel-Forschung: „Die Ähnlichkeit besagt eben für die Frage nach dem Ursprünge einer Type oder eines damit hergestellten Druckwerkes absolut gar nichts, sondern nur dann ist ein Urteil darüber berechtigt, wenn die vollkommene Übereinstimmung nicht nur der Type selbst, sondern auch der gesamten Druckpraxis festgestellt werden kann." (Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel 1901, Nr. 226 v. 27. Sept.) — Allerdings läßt sich die Druckerpraxis eines in Bogen gedruckten Buches nicht auf Einblattdrucke übertragen. Und in demselben Drucke, in dem gleichen Setzerabschnitte, können verschiedene Druckereigentümlichkeiten beobachtet werden. — Die Form der Unterschrift: Datum, Ortsangabe, Nennung des Druckers gehört gewiß zu den Gewohnheiten einer Offizin; aber innerhalb derselben Werkstatt gab es auch hierfür keine feste Praxis. 8). P r o c t o r , Index I. 1. 1898, S. 12.

Proc.tor hält die Entscheidung durch die Type allein für unsicher

7

von einem Drucker zum anderen war auch Proctor nicht unbekannt geblieben. Natürlich auch Haebler nicht. Doch Haebler sah in solchen Wanderungen der Typen, so seltene Ausnahmen, daß sie praktisch kaum in Frage kommen oder den Erfolg der Methode berühren konnten. Haebler meinte: es sei „weit seltener, als man bisher angenommen hat, vorgekommen", „daß eine Druckschrift unverändert von einer Hand in die andere übergegangen ist"9). Das bleibt zu untersuchen10). Für durchaus gesichert sah Proctor eine Zuweisung auf Grund der Typen n i c h t an; zahllose Irrtümer schienen ihm dabei nicht ausgeschlossen. — Proctor hatte im Britischen Museum nicht die volle Übersicht über alle in der Inkunabelzeit benutzten Typen. Das ist ja vielleicht gar nicht mal nötig, um zwei Typen, die man vor sich hat, als übereinstimmend zu erkennen. — Ja, Proctor wies die Möglichkeit, daß der oder jener Drucker der Inkunabelzeit seine Schriften aus einer gewerbsmäßigen Schriftgießerei bezogen hätte, nicht ganz von der Hand11). 9

) H a e b l e r , Typenrepertorium, i . Bd. igo5, S. XII f. ) In den einleitenden Worten zu der Druckprobe seines Typenrepertoriums, die 1904 der Versammlung deutscher Bibliothekare in Stuttgart vorgelegt wurde und auch in Rudolf Haupts Katalog 3 (Halle 190/1), S. 157 f f . abgedruckt ist, wies H a e b l e r auf diese Schwierigkeit hin: „Die Übereinstimmung unter den Typen gewisser weit verbreiteter Formen und der Umstand, daß wenigstens in einzelnen Fällen ganze Typensätze von einer Hand in die andere gewandert sind, macht es gelegentlich außerordentlich schwierig, die geringfügigen Unterscheidungsmerkmale so zu charakterisieren, daß sie ohne die bildliche Anschauung, resp. ohne eine über den Rahmen der Tabellen hinausgreifende weitläufige Erörterung jede Möglichkeit einer Verwechselung ausschließen." u ) P r o c t o r , Index, I. 1. 1898, S. 8: „ . . . the transference of types f r o m one printer to another." — S. 11: „For instance, if a printer ceases work for several years and then recommences with a fresh set of types (e. g. Vindelin of Speier), it is probable that for some reason or other his press had been transferred to another printer, or sold up, or at any rate 10

8

Proctor hatte keinen Beweis für Bradshaws Theorie

Das heißt: für die Richtigkeit der Annahme, daß sich jeder Drucker seine Schrift selbst geschaffen und diese Schrift deshalb f ü r ihn charakteristisch wäre, hatte Proctor keinen B e w e i s ; ebensowenig wie Bradshaw. Vielleicht deshalb — obwohl ihm die Durchforschung des gesamten Typenmaterials am Herzen lag — konnte sich Proctor, als Haebler ihn darum anging, „leider nicht dazu entschließen, an der exakten Vervollkommnung seines Systems mitzuwirken" 12 ). — Proctors Katalog bleibt, sobald man die namenlosen Drucke aus ihm gestrichen, eine sehr schätzenswerte historische Darstellung der Entwicklung des Buchdrucks, die mit Panzers Annalen verwandt ist. Für Haebler wurden die Typen, denen er eine musterhafte Ordnung gegeben, das Kennzeichen, das den ungenannten Drucker verriet. Um den Beweis f ü r die Richtigkeit der von ihm um ein weniges schärfer gefaßten Annahme von Bradshaw und Proctor hatte sich Haebler fürs erste nicht weiter gekümmert. Ob es möglich ist, eine Type nach der M-Form und dem Kegelmaß unter Anzeigimg ihrer sonstigen Eigentümlichkeiten so genau zu beschreiben, daß diese Type nach der gelieferten Beschreibung wiedererkannt werden muß, ist etwas grundsätzlich Verschiedenes von dem Anspruch, durch diese Beschreihad ceased w o r k i n g . . . . There are probably as many errors in one as in the other respect, and a very large number in both." — S. 12: „In all these perplexities regarding the presses there is almost unlimited room for error; as much in the grouping as in the distinction of presses; but in matters of this kind mistakes are not u s e l e s s . . . " — S. i/J: •• the mystery of the types used by the Venetian printers (possibly due to type factories independent of the printers, whence types could be not only bought, but hired)..." 12 ) Konrad H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 27, auch H a e b l e r , Typenrepertorium. 1. Bd. i g o 5 , S.-VIf.

Die Beschreibung der Type zeigt keinen Besitzwechsel an

9

bung auch den Namen oder die Persönlichkeit des Druckers zu ermitteln. Denn, sobald zwei oder mehr Drucker, zeitlich nacheinander oder zugleich, Typen benutzt haben, die auf denselben Stempel zurückgehen und die im Guß den gleichen Kegel erhalten haben, so paßt die Beschreibung sehr wohl auf die T y p e n , aber durch keine Beschreibung wird ein Besitzwechsel der Typen deutlich. Sobald verschiedene Drucker Typen benutzten, die aus einer Quelle stammen, so werden diese Typen wohl ihrem Aussehen nach beschrieben; aber die Type vertritt dann nicht mehr die Persönlichkeit eines bestimmten Druckers. Nur in dem Falle, daß sich jeder Drucker selbst seine Typen geschaffen und diese Typen nicht aus seiner Hand gekommen, kann die Type f ü r den Drucker in d e r Weise charakteristisch sein, daß durch die Type — wie das der ausgesprochene Zweck des Typenrepertoriums ist — der ungenannte Drucker ermittelt wird.

I c h sehe bei meiner Betrachtung von dem sogenannten Sandgußverfahren ab, das möglicherweise e i n e , doch keineswegs die einzige, Vorstufe der Gutenbergschen Erfindung gewesen ist und auch noch später in sehr bescheidenem Umfange geübt sein mochte. Denn mit diesem umständlichen Gußverfahren lassen sich nicht völlig übereinstimmende Buchstabenformen in einiger Menge, wie sie zur praktischen Verwendung nötig ist, liefern. In der Schlußschrift des Catholicon von i46o finden sich die bekannten Worte, die über die technische Herstellung des Drucks einige Auskunft geben; es heißt vom Catholicon: „Non calami stili aut pennae suffragio, sed mira patronarum formarumque concordia, proportione et modulo impressus atque confectus est." — Falk sagt: „Man hat sich die Ubersetzung leicht

10

Schlußsohrift des Catholicon. Messingstempel

gemacht und übertragen: Ebenmaß der Patrizen und Matrizen" 13 ). — So übersetzt auch Aloys Börner"). — Falk meinte, „daß darunter das so notwendige Ebenmaß und die Gleichheit der Kegel (patronae), sowie des auf das obere Ende der Kegel gegossenen ,Bildes' (formae) zu verstehen sei". Dem kommt Gottfried Zedier sehr nahe. Er übersetzt patrona mit „Urbild" und versteht, wohl mit Recht, unter forma die „gegossene Letter". In dem „Urbild" sieht Zedier nicht den Schriftstempel, sondern den durch die Matrize geschlossenen Hohlraum des Gießinstruments, durch den die Letter beim Guß Schriftbild und Kegel zugleich erhält15). Ob in der ersten Zeit, in der das Gießinstrument Anwendung gefunden, die Schriftstempel aus Stahl geschnitten und die Matern in Kupfer abgeschlagen wurden, steht sehr dahin. Wahrscheinlicher waren die ersten Stempel aus Messing und die Matern aus Blei. Messing und Blei, das eine zum Stempel, das andere zur Mater, haben auch später noch, namentlich f ü r die Herstellung größerer Auszeichnungsbuchstaben, die gegenüber der eigentlichen Brotschrift weniger stark gebraucht wurden, Verwendung gefunden. Freilich, eine Mater aus Blei vernutzt sich schnell und fordert bald einen Ersatz. Also wird beim Guß aus der Matrize von Blei, wenn ein gewisser Vorrat an Lettern verlangt wird, e i n Buchstabe, namentlich wenn die vernutzte Mater durch einen neuen Abschlag ersetzt oder gar f ü r den Stempel Ersatz durch Nachschnitt nötig wurde, in der Zeichnung des Schriftbildes n i c h t allemal durchaus dem a n d e r e n Buchstaben genau entsprechen. 13

) F a l k , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 5. Jhg. 1888, S. 310. ) B ö r n e r , ebenda, 43. Jhg. 1926, S. 73. Dazu: B ö r n e r , Die Schlußschrift des Mainzer Catholicon-Drucks von i 4 6 o (Von Büchern und Bibliotheken. Ernst Kuhnert dargebracht. Berlin 1928, S. 5i—55). ") Z e d i e r , im Zentralblatt, '43. Jhg. 1926, S. 3 7 8 f . u

Stahlstempel. Abschluß der Erfindung

11

F ü r den Durandu.9 (Hain 6471), „das erste mit kleiner Werktype gedruckte Buch" 16 ), hat Peter Schöffer „Stahlstempel" geschnitten. Der Stahlstempel, zu dem wieder die Mater aus Kupfer gehört, bedeutete die technische Vollendung von Gutenbergs Erfindung 1 7 ). Erst mit Hilfe des fast unvergänglichen Stahlstempels und der dauerhaften Matrize aus Kupfer — die Firma Joh. Enschede u. Sohn besitzt noch Matern aus der Inkunabelzeit — lassen sich mit dem Gießinstrument (von Fehlgüssen natürlich abgesehen) gleichmäßige, in der Zeichnung des Schriftbildes übereinstimmende Buchstaben in beliebiger Anzahl gewinnen. Der Schlußschrift des Catholicon von i 4 6 o stellte J. G. I. Breitkopf die Unterschrift hinter der Vorrede zum Virgil, Florenz 1472 (Maittaire, Annales. Ed. nova I. 1. 1733, S. 320; Hain 14707) gegenüber. Sie lautet: „Florentiae VII. Idus Novembres MGCCCLXXI Bernardus Cenninus aurifex omnium judicio praestantissimus et Dominicus ejus f [ i l i u s ] , egregiae indolis adolescens expressis ante calibe caracteribus et deinde fusis litteris volumen hoc p r i m u m i m p r e s s e r u n t . . . " Breitkopf sagt: „Keine Unterschrift der ersten Buchdrucker beschreibt so o f f e n und so ordentlich die Wege der Kunst, als diese: durch stählerne, vorher eingeschlagene und hernach gegossene Buchstaben gedruckt" 18 ). 16

) V o u 11 i 6 m e, Die deutschen Drucker des 15. Jahrhunderts. 2. Aufl. Berlin 1922, S. 106. ") Z e d i e r , im Zentralblatt für Bibliothekswesen, 43. Jhg. 1926, S. 363. 18 ) Johann Gottlob Immanuel B r e i t k o p f , Über die Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst. Leipzig 1779, S. 7. — Breitkopf gab dazu die Anmerkung: „Sollte dieß expressis ante calibe caracteribus nichts, als allein die in Stahl geschnittene Stempel bezeichnen wollen: so ist es wohl zweydeutig, aber immer deutlicher, als alle andere dergleichen Anzeigen der neuen Kunst, welche alle Verfasser der damaligen Unterschriften

12

Haebler lehnt gewerbsmäßig« Herstellung von Typen ab

Sobald Gutenbergs Erfindung zum Abschluß gelangt war, wurde mit S t a h l s t e m p e l n

Konrad —

gearbeitet.

Haebler betont in der Frage des Schriftgusses

soweit gewerbsmäßige Herstellung von Lettern dazu dienen

konnte, Druckereien mit gleichförmigem Typenmaterial zu versorgen — : „ B e i der Gelegenheit möchte ich gleich bemerken, daß ich mit Enschedé nicht übereinstimmen könnte,

wenn er

in seinem neuesten Werke, in das ich bis jetzt nur einen flüchtigen Blick zu werfen vermochte, etwa wirklich, wie es mir schien, den Beweis versuchen sollte, eine der verbreitetsten Gruppen der Art [d. h. eine Gruppe, in der „Typen von fast gleicher Beschaffenheit in den Händen von einer Anzahl verschiedener Drucker vorkommen"] gemeinsam auf den Hendrik Lettersnider zurückzuführen 19 ).

Der Umstand, daß ein paar Drucker sich

als Typengießer bezeichnen, hat mehr als einen Forscher, z. B. auch Glaudin in Bezug auf Nie. Wolf in Lyon, zu ganz falschen Auffassungen geführt 20 ). Die Versorgung fremder Druckereien mit fertigem Typenmaterial ist bis zum Ausgang des i 5 . Jahrhunderts eine durchaus ungewöhnliche Erscheinung. Wer j e mals Gelegenheit gehabt hat, Verträge zwischen Druckern

und

Auftraggebern aus dem i 5 . Jahrhundert zu studieren, der wird finden, daß jede Druckerei einen Typengießer als unentbehrlichen

Bestandteil

ihrer Mannschaft aufwies, schon

deshalb,

in große Verlegenheit setzten, mit lateinischen Ausdrücken die Beschäftigung einer Kunst anzudeuten, welche die Römer nicht besessen, und also auch keine Redensarten für solche erfunden hatten, und wodurch in diesen ersten Zeiten die neue Kunst auch nicht so platt verrathen werden möchte." 19) Ch. E n s c h e d é , Fonderies de caractères et leur matériel dans les Pays-Bas du 15e au i ge siècle. Haarlem 1908, S. 7 f f . 20) A. G l a u d i n , Histoire de l'imprimerie en France au 15e et au 16e siècle. Bd. Paris 1 9 1 S . 2 45 f f .

Haebler lehnt gewerbsmäßige Herstellung von Typen ab

13

weil die Typen der ältesten Druckzeit offenbar aus ziemlich weichem Metall hergestellt wurden, sich rasch abnutzten, und deshalb sehr oft erneuert werden mußten" 2 1 ). Über den Härtegrad des Schriftmetalls gehen vielleicht die Ansichten auseinander. Aber gut. Die Urkunden! 2 1 ) Konrad H a e b l e r , Zur Typenkunde des i 5 . Jahrhunderts. (Zeitschrift f. Bücherfreunde, N . F . i , i . 1909, S. i 3 g . ) — Wie Karl S c h o t t e n l o h e r im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 43. J h g . 1926, S. 81 hervorhebt, hat Haebler diesen Aufsatz von 1 9 0 9 noch stark in seinem: Handbuch der Inkunabelkunde, Leipzig 1925, herangezogen.

WAS S A G E N DIE U R K U N D E N „Die mehrfach geäußerte Ansicht, daß es bereits in der F r ü h d r u c k zeit gewerbsmäßige Hersteller von Druckschriften gegeben habe, von denen die Drucker das benötigte Schriftmaterial hätten beziehen können, steht i m vollkommenen Widerspruch m i t d e m , was uns die urkundlichen Quellen erkennen lassen."

K. H a e b l e r .

w ie kam eine Druckerei zustande? — Selbstverständlich sind viele Möglichkeiten o f f e n . Nikolaus Lamperter, ein Drucker oder Druckergesell in Basel, besaß unjustierte Matern, die also vordem noch in keinem Betriebe benutzt waren. Er justierte sie nicht selbst, sondern übergab sie dem Matthiß Riedeler, der auch als Drucker bezeichnet wird, aber eine Zeitlang bei einem Goldschmiede gearbeitet hatte. Mit Riedeler schloß Lamperter Pfingsten i 4 8 o einen Vertrag über eine gemeinsam zu beginnende Druckerei. Wenn die Matern justiert und die Schrift gegossen wäre, wollten auch noch andere, nicht gerade alles gelernte Drucker, der Gesellschaft beitreten. Zum Ankauf des Schriftmetalls gab Riedeler zehn Gulden. Lamperter schoß bedeutend weniger Geld ein; er gab die Matern, die Riedeler herrichten sollte. Das glückte dem Riedeler aber nicht. „Die Kegel so do in die selbigen Matrices gegossen worden, syent gut und recht gewest"; trotzdem waren die Matern ,,nit recht justiert" und die Buchstaben unbrauchbar. Der Fehler lag nicht an den vorhandenen Matern; mit seiner Arbeit hatte sie Riedeler, der sich zuviel zugetraut, „verderpt". Ob Riedeler den Schaden, den er angerichtet, ersetzt hat, darf uns gleichgültig sein. Es ist auch unerheblich, ob die geplante Druckerei wirklich ins Leben trat. Beachtenswert d ü r f t e aber sein, daß zwei Männer, die anscheinend den Stempelschnitt nicht beherrschten, die auch nicht einmal imstande waren —

Unjustierte Matern als Grundlage zur Druckerei

15

auch nicht einer von ihnen — einen Abschlag, eine Mater, für den Guß herzurichten, den Gedanken fassen konnten, eine Druckerei zu beginnen. Hätte Riedeler so viel technische Fertigkeit besessen, die Matern richtig zu justieren, so wäre das Unternehmen möglich gewesen. Es gehörte damals, 148o, nicht mehr die ganze Kunst, wie im allerersten Anfange der Inkunabelzeit dazu, eine Druckerei aufzutun. Selbstgeschaffene Stahlstempel waren dazu nicht mehr nötig 22 ).

E s handelt sich um Möglichkeiten, wie etwa i48o, also während der Blütezeit des Inkunabeldrucks, eine Offizin zustande kommen konnte. Ich verweise auf eine Baseler Urkunde vom 13. März i84o, die in Haeblers Sammlung 23 ) nicht einging. „Zeugenverhör in Sachen Conradus Buwmeister gegen Johannem Meister. — Johannes Wurster sagt aus: Kürzlich, als Johannes Meister und er sich getrennt hätten, habe Cunrat 22 ) Karl S t e h 1 i n , Regesten zur Geschichte des Buchdrucks bis zum Jahre i5oo. Aus den Büchern des Basler Gerichtsarchivs (Archiv f. Gesch. d. deutschen Buchhandels, i i . Bd. Leipzig 1888, S. 5 f f . ) , no i63, 181, 228. — Nikolaus Lamperter, der Drucker und Besitzer jener Matern, welche die Grundlage zu einer neuen Firma geben sollten, erscheint noch i 5 o 5 in den Akten in einer Streitsache mit Wilhelm dem Buchstabengießer. Es ist aus der Aktennotiz nicht ersichtlich, ob Lamperter auch noch i 5 o 5 die technische Hilfe eines Schriftgießers nötig hatte, oder ob der Streit der beiden auf einem anderen Gebiet lag. (Karl S t e h 1 i n , Regesten no 1713 im Archiv f. G. d. dt. Buchhandels, Bd. 1891.) 29 ) Konrad H a e b 1 e r , Schriftguß und Schriftenhandel in der Frühdruckzeit (Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 41. Jhg. 1924, S. 81 — i o 4 ) ; als Sonderdruck: K. H a e b l e r , Schriftguß und Schriftenhandel in der Frühdruckzeit. Einem kleinen Kreise von Freunden der deutschen Schriftgießerei überreicht von der H. Berthold Schriftgießerei A.-G. Leipzig 1925; in englischer Übersetzung: K. H a e b l e r , Typefounding and commerce in type during the early years of printing (Ars typographica, New York Bd. 3 1926, S.3—35).

16

Der Gesell greift, statt des Lohnes, zur Schrift seines Herrn

Buwmeister, welcher ihr beider Diener gewesen, wegen seines Lohnguthabens etwas Streit angehoben. Johannes Meister habe zu demselben gesagt: wenn er auf die ,Geschrifft oder anders, so er von Berchtolden ingenommen hett', verzichten wolle, so wolle er ihm seinen verdienten Lohn bezahlen. Der Zeuge sagt ferner, ,das der selb Buwmeister zu Johannes Meistern gedingt hab, das er j m all Monat dry Gulden geben sölt, und in dasselb Verding syg er gangen viij tag nach Johannes Baptiste nechst verschinen'. — Johannes von Hall sagt aus: Er habe von Johanne» Meistern gehört, daß er versprochen habe, Cunradum Buwmeister f ü r sein Lohnguthaben zu befriedigen" 2 4 ). Also: der Geselle, Konrad Baumeister, hatte als Faustpfand f ü r eine Lohnforderung, eine Schrift seines Herrn Joh. Koch, gen. Meister, an sich genommen. Diese Schrift stammte von einem, der noch bei Gutenberg selbst die Kunst gelernt hatte, von Berthold Ruppel, wie Stehlin den nur mit Vornamen genannten, sicher deutet. D a ß der Geselle gegen Zusicherung einer ratenweisen Befriedigung sein P f a n d fahren ließ 25 ), war seine Dummheit; denn sein Herr kam sehr bald in völligen geschäftlichen Verfall. Die Schrift bedeutete jedenfalls ein Wertobjekt. Wenn sich jeder Drucker seine Schrift selbst geschaffen hätte, wenn es Herkommen gewesen wäre, nur mit selbstgeschaffener Schrift zu arbeiten, so hätte eine f r e m d e Schrift f ü r den Gesellen keinen Wert gehabt. — Die f r e m d e Schrift in der Hand des Gesellen, konnte f ü r ihn sehr wohl der Anfang zu einer eigenen 24 ) Karl S t e h l i n , Regesten no i 3 5 im Archiv f. G. d. dt. Buchhandels, i i . Bd. 1888. 25 ) Die Baseler Gerichte nahmen sich solcher Lohnforderungen tatkräftig an; vgl. z. B. S t e h l i n , Regesten no 6 8 3 im Archiv, 11. Bd. 1888. — Im Jahre i 5 i 8 gibt ein Druckherr seinem Gesellen Bücher und „etlich Gschriften" zum Faustpfande; vgl. S t e h l i n , Regesten no 2 0 8 7 im Archiv, 11\. Bd. 1891.

17

Das Typenrepertorium ist unvollständig

Druckerei

werden,

zu

der

i48o

eben nicht mehr

selbstge-

schaffene Stempel und Matern unbedingt gehörten. Streitigkeiten

wegen rückständigen

Lohnes

der

Gesellen

konnten den Kredit eines Druckherrn unmöglich heben.

Man

darf fragen: wie viele Fälle des zwangsweisen Überganges von Schrift aus einer Hand in die andere werden sich in aller Stille abgespielt haben. An der Schrift erkennt Haebler den Drucker. Auch an der Schrift, die, so wie sie dem einen eben noch gedient, in den Besitz des anderen überging? Und die Schrift, die Konrad Baumeister fast in die Hand bekommen,

stammte von

Berthold

Ruppel. —

In

Haeblers

Typenrepertorium findet sich unter Ruppels Typen keine, die nach M-Form und Kegelhöhe übereinstimmt mit Joh. Meisters Typen, oder mit Joh. Wursters Typen, der mit Meister vereint war, keine Type, die übereinstimmt mit Peter Kollikers Typen, der auch eine Zeitlang mit Meister verbunden war. Sollte das eine Lücke in Haeblers Repertorium sein?

E i n e Lücke, die

der Zuweisung namenloser Drucke die exakte Sicherheit nimmt? Kam denn jeder Besitzwechsel der Typen in die Akten? Und kennen wir alle Akten? Johann Koch, gen. Meister, steckte in solchen Nöten, daß er seinem Geldgeber,

Andriß Bischoff, dem er achthundert

Gulden schuldete, Pfänder geben mußte, darunter auch Druckschriften. Die Pfandübertragung fand nicht durch einen gerichtlichen Akt statt.

Das ist sehr erklärlich.

Joh. Koch hatte j a

nicht nur bei Andriß Bischoff Schulden. Da Joh. Koch seine Schriften aber dringend brauchte, um angefangene Bücher zu Ends zu drucken, schloß er am 20. Dezember ganz verständlich ist —

i48o —

was

vor Gericht mit Bischoff, der sein

Pfandrecht in keiner Weise gefährden wollte, mit richterlicher Genehmigung einen Leihvertrag über die gepfändeten

Schrif-

18

Verpfändete Schriften werden weiterverliehen

ten, oder genauer gesagt: über einen Teil dieser Schriften, die Joh. Koch nun wieder in Gebrauch nehmen konnte, und die trotzdem

dem

Zugriff

jedes

anderen

Gläubigers

entzogen

blieben. Bischoff starb vor dem 26. Oktober 1482. P f a n d ist noch nicht Eigentum. Der verstorbene Bischoff hatte einen Teil der ihm verpfändeten Schriften an Meister Michael Wenßler geliehen! Diese Schriften wollte Joh. Koch zurückhaben. Wenßler sagte vor Gericht aus, daß ihm der verstorbene Bischoff die Schriften tatsächlich geliehen hätte, unter der Bedingung, daß er, Wenßler, sich mit Joh. Koch deshalb verständige.

Mit dem Leihen der Schriften sei Wenßler damals

ein „Gefallen" getan; er hatte also die Schriften nötig gehabt. Und Joh. Koch habe „sich mit dem Leihen der Schriften einverstanden erklärt, unter der Voraussetzung, daß Wenßler ihm ein andres Mal ebenfalls Schriften leihe, falls er deren

be-

dürfe" 26 ). Also war das Leihen der Schriften von einem Drucker an den anderen durchaus nichts Ungewöhnliches; war ein Verfahren, das billiger war —

auch schneller ging —

als selbst

Schriften neu herzustellen. Und das Leihen der Schriften, das die Zuweisung der Type an einen bestimmten Drucker immerhin erschwert, ist noch kein Zeugnis, das etwa gegen das Bestehen von Schriftgießereien spricht.

J a k o b Roller von Frankfurt, in den Baseler Akten regelmäßig

als Drucker

bezeichnet, besaß unjustierte Matern

zu

einer Schrift, die er f ü r den Gebrauch justiert haben wollte. Auch er machte sich nicht selbst an diese Arbeit, sondern wandte 26)

1888.

S t e h l i n , Regesten no i84. 274, 279—282 im Archiv, 11. Bd.

Unjustierte Matern als Grundlage zur Druckerei

19

sich iunächst an Meister Kaspar — „welcher jetzt zu Bariß sei"., -vie im Verlaufe des Prozesses ein Zeuge aussagte — der sich dber bei dem Zustande der Matern geweigert hatte, die Arbteil zu übernehmen. Also wandte sich Jakob Roller weiter an Jlatob Waltzmüller und bestellte bei dem die Arbeit zu einem vereinbarten Lohn und schloß mit ihm darüber einen richtigen Vertrag („Verdingzedel"). Als Waltzmüller, der in den Baseler Akten ebenfalls regelm ä ß i g als Drucker bezeichnet wird, die Matern justiert hatte, daß diraus Buchstaben gegossen und ein Probedruck gemacht werden konnte, verweigerte Roller die Abnahme und Bezahlung. Darüber kam es zum Prozeß. Die Schrift hatte allerdings einen Fehler. Von den Majuskeln paßte das: I und das V nicht zu den übrigen Buchstaben. Doch Meister Kaspar, „der sich auf die Geschrifft am besten verstehe, aber gegenwärtig abwesend sei", hatte erklärt: „Waltzmüller habe aus dem Material mehr zu Stande gebracht, als er selbst vermocht hätte, und habe seinen Lohn wohl verdient". Die erste Instanz verurteilte Roller zur Abnahme und Bezahlung. Der Rechtsstreit kam vor die zweite Instanz, die das erste Urteil aufhob und die Sache neu verhandelte. Es wäre immerhin denkbar, daß Waltzmüller, der doch seine Sache verstand, den Schaden nachträglich noch ausbesserte, nämlich an Stelle der beiden nicht passenden Buchstaben zwei neue, dem Charakter der übrigen Majuskeln sich einfügende Lettern neu schüfe. Vielleicht hätte das sogar schneller zum Ziele, zur Abnahme und Bezahlung der Arbeit, geführt, als ein weiterer Prozeß, dessen Ausgang ungewiß sein mußte. D a ß ein Prozeß Geld kostete, war den Parteien wohlbekannt. Aber Waltzmüller verbesserte die beiden Buchstaben nicht. Die Meister der Druckerei hoben bei der neuen Verhandlung als Grund d a f ü r , daß Waltzmüllers Arbeit nicht voll be-

20

Der Justierer ist kein Stempelschneider

friedigte, hervor: „die Matrices, welche Jacob Roller ihm [d. h. dem Waltzmüller] gegeben, u m die Geschrifft zu machen, seien nicht von einerlei Schrift gewesen, sondern der eine kurz, der andre lang". So ist es erklärlich, daß einzelne Buchstaben zu dem gesamten Schriftbilde nicht paßten. Ein Dritter, Peter Narr — nicht Waltzmüller selbst — hatte einen Probedruck geliefert und ihn ohne jede Künsteleien — ,,on allen Vortteil" — gemacht, wie es in Druckereien bräuchlich sei. Bis auf die beiden auffallenden, unstimmigen Buchstabenformen war an Waltzmüllers Arbeit nichts auszusetzen. ,,Nach dem gemeinen Louff des Justierens" hatte er, wie die Sachverständigen sagten, seinen bedungenen Lohn wohl verdient. Und Waltzmüller machte seinerseits geltend, es sei ja nicht seine Schuld, wenn die Buchstaben nach dem Schriftbilde nicht zu einander paßten; denn „einem Justirer sei es nicht möglich, dergleichen Fehler an denMatricibus zu verbessern". Das heißt: Waltzmüller lehnte es ab, f ü r die unstimmigen Buchstaben neue Stempel zu schaffen, von diesen Stempeln einen neuen Abschlag zu machen und die so neugeschaffenen Matern f ü r seinen Auftraggeber zu justieren. Das wollten die Richter der zweiten Instanz ursprünglich f ü r die Abnahme und Bezahlung der Arbeit zur Bedingung machen. Aber Waltzmüller legte den Verdingzettel vor, nach dem er „bloß das Justiren", nicht auch übernommen hätte, die Schrift selbst „währschaft" zu machen. Es ist bezeichnend, daß Waltzmüller erklärte, die von seinem Auftraggeber und auch von den Richtern ihm zugemutete, weitere Arbeit sei f ü r einen Justierer „nicht möglich". Offenbar überschritt eine derartige, weitergehende Bemühung — durch die der Prozeß überflüssig geworden wäre — seine Fähigkeiten. Da der Verdingzettel nichts davon enthielt, daß Waltzmüller die Schrift „währschaft" zu machen hätte, da Jakob lioller

Arbeitsteilung im Druckereigewerbe

21

eine dahingehende Abrede nicht beweisen konnte, so wurde Roller verurteilt, Waltzmüllers Arbeit abzunehmen und zu bezahlen; denn Waltzmüller hatte ,,wol gejustiert". Diese Verhandlungen in der zweiten Instanz fanden in Basel vom 2 2 . Oktober 1490 bis zum 23. März 1/^91 statt27). In den Akten werden beide Parteien als Drucker bezeichnet. Haebler nennt den Jakob Roller einen „Unternehmer" und den Jakob Waltzmüller einen „Metallarbeiter" 28 ). Weder den einen noch den anderen kennen wir als selbständigen Drucker. Aber wo Roller mit Waltzmüller einen Vertrag geschlossen (,,Verdingzedel") und gegen ihn persönlich klagte, würde die Annahme fehlgehen, in dem Waltzmüller etwa einen Angestellten oder Gesellen in einem Baseler Druckereibetriebe zu sehen; denn dann hätte Roller seinen Auftrag eben dem Inhaber dieser Werkstatt übergeben. Daß der Probedruck, der in der zweiten Instanz vorgelegt wurde, nicht von Waltzmüller stammte, möchte auch noch kein Beweis sein, daß Waltzmüller fälschlich als Drucker in den Akten bezeichnet wurde. In dem Prozeß mußte ein Probedruck, der von einem Unbeteiligten hergestellt war, natürlich eine bessere Beweiskraft haben, als ein Druck, den Waltzmüller selbst gemacht. Waltzmüller erklärte von sich am 21. März 1/191 vor Gericht: „einem Justirer sei es nicht möglich, dergleichen Fehler -— d. h. nach dem Schriftbilde zu den übrigen Buchstaben nicht stimmende Lettern — an den Matricibus zu verbessern". Er bezeichnete sich also als: Justierer und gab in gewisser Weise die Grenzen seiner Fähigkeit an. Will man diese Angabe pressen, so muß man folgern, daß bereits 1490/91 eine weitgehende Spezialisierung zwischen StempelS t e h l i n , Regesten no j35, j65, 790, 794, 8oo, 801 im Archiv, 11. Bd. 1888. 28) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 1. Jhg. 192/1, S. 9 5. 27)

22

Schriftschneider zu Basel

Schneider, selbständigem Justierer, Gießer und Drucker eingetreten war. Ob Roller ein uns n u r unbekannter Drucker, ein Geselle, der sich vielleicht selbständig machen wollte, oder ein „Unternehmer" gewesen, ist f ü r unsere Frage unerheblich. Er hatte unjustierte Matern in seinem Besitz und wollte diese Schrift — den Abschlag von Stempeln, die er offenbar nicht besaß; denn sie werden im Prozeß nicht erwähnt — praktisch verwertbar machen, wollte also eine Schrift, deren Urbild, d. h. die Stempel, in anderer Hand waren, der Buchdruckerei zuführen. Der Mangel seiner Schrift: ein paar nach ihrer Größe oder Zeichnung von den übrigen Buchstaben abweichende Lettern, kommt in außerordentlich vielen Alphabeten der Inkunabelzeit vor. Die Baseler Akten von 1/190/91 lehren, daß Waltzmüller dazumal nicht der einzige sachverständige Arbeiter gewesen, dem unjustierte Matern zur Nutzbarmachung übergeben werden konnten.

V o m IQ . Dezember 15oo eine urkundliche Notiz, die Haebler in seiner Sammlung 29 ) nicht gebracht hat: „Hans Feigerwinter und seine Miteigenthümer verkaufen dem ehrbaren Peter Kreyß, Geschrifftschnider zu Basel, und seiner Ehefrau ein Haus in der Wyssengassen, f ü r 3o Gulden" 30 ). Die Tatsache, d a ß Peter Kreyß verheiratet ist, gestattet noch nicht den Schluß, daß er ein selbständiger Gewerbetreibender gewesen. — Die Baseler Häuser waren natürlich 29

) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 4i. Jhg. 102/1,

S.81—10h. 30

) S t e h l i n , Regesten no n 18 im Archiv, 11. Bd. 1888.

Tägliche Arbeitsleistung eines Schriftgießers

23

sehr verschieden im Werte. Es wechselten damals Häuser zum Preise von 12 Gulden, und darunter, bis zu 63o Gulden, einem Hause auf dem Münsterplatz, den Besitzer. Der Drucker Michael Furter von Augsburg machte sich z. B. mit einem Hause, das 24 Gulden kostete, in Basel seßhaft. — Wenn sich Peter Kreyß mit seinem Weibe ein Haus kaufte, hatte er wohl nicht die Absicht, als wandernder Geselle von Stadt zu Stadt zu ziehen. Er wird „Geschrifftschnider zu Basel" genannt. Also war er nicht neuerdings zugewandert und m u ß seine Kunst auch schon vor i 5 o o in der Stadt ausgeübt haben. W a r er vielleicht im Betriebe einer Baseler Druckerei tätig? Eine Druckerei, die lediglich f ü r den eigenen Bedarf Typen herstellte, konnte einem Schriftschneider schwerlich dauernd Arbeit geben. Auch ein Schriftschneider, der zugleich Schriftgießer war, und vielleicht nur nach seiner vornehmsten Beschäftigung seine Benennung hatte, konnte kaum durch e i n e Druckerei, in deren Betriebe er etwa arbeitete, oder f ü r die er als Heimarbeiter tätig war, sein Brot finden. Denn mit dem Handgießinstrument werden täglich von einem geschickten Gießer zwei- bis viertausend Lettern hergestellt 31 ). Dies Quantum übersteigt, jahraus jahrein gegossen, den Bedarf einer auch stark beschäftigten Druckerei, wenn sie sich allein mit Schriften versorgt und nur an den eigenen Bedarf denkt, ganz beträchtlich. Das Jahr i 5 o o liegt am Ende der Inkunabelzeit. Ich verweise auf Zeugnisse aus früherer Zeit: I m Jahre 1472, oder noch f r ü h e r , war es ein ,,Sigelgraber" Jost Burnhart, bei dem der Drucker Bernhard Richel „etlich Buchstaben" machen ließ. Also stellte Richel diese Buchstaben nicht selbst her und ließ sie auch nicht in seinem Betriebe .von 31 ) Gustav M o r i , Die Schriftgießerei Benjamin Krebs Nachf. Frankfurt a. M. 1 9 1 6 , S. 3 i , 34.

24

Schriftschneider als selbständiger Beruf

seinen angeblich in der Kunst ausgebildeten Gesellen herstellen. Das Siegelgrabergewerbe ist alt und nicht erst mit der Druckerei aufgekommen. Burnhart und Richel hatten gegeneinander Forderungen. Der Siegelgraber f ü r seine Arbeit, Richel f ü r zwei Gulden. Dieser Forderung wegen belegte Richel den Nachlaß des Siegelgrabers am 12. März 1472 mit Beschlag. Auch ein anderer Drucker mit Namen Friedrich — wahrscheinlich Friedrich von Biel — legte auf den Nachlaß Beschlag. Sein Eintrag ist aber im Gerichtsbuche durchstrichen, die Höhe seiner Forderung nicht genannt32). Im Jahre 1^76 klagte Hans Frank von Straßburg, der „Buchstabenschnider", gegen den Baseler Drucker Hans Winterheimer, d. i. Johann Schilling-Solidi aus Winternheim, f ü r den Frank „eine Anzahl Buchstaben gegraben, wofür ihm derselbe laut eines Zedels von seiner eigenen Handschrift etwas Geld schuldig sei". — Dieser Hans Frank von Straßburg dürfte nicht zu der Werkstatt des Johann Schilling gehört haben; denn es wäre ungewöhnlich, daß ein Druckherr mit einem Gesellen, der bei ihm in Lohn und Kost stand, über eine Arbeit, die dem Gesellen zukam, ein schriftliches Abkommen getroffen hätte. Ein Verhältnis von Meister zu Gesellen ist um so weniger anzunehmen, da dieser Hans Frank, der in den Gerichtsbüchern auch als „Buchstabentrucker" bezeichnet wird, für seine Person bei Meister Michel Papiermacher für 110 Gulden Schulden gemacht hatte. Die Schulden ließen den Frank 1478 aus Basel fliehen 33 ). 32

) S t e h l i n , Regesten no 5 im Archiv, 11. Bd. 1888. ) S t e h l i n , Regesten no 5o, 54, 8a, 83, 85, 86, 98 im Archiv, 11. Bd. 1888. — 110 Gulden für Papier sind nicht zu übersehen. Nach Albrecht K i r c h h o f f , Die Entwickelung des Buchhandels in Leipzig bis in das zweite Jahrzehnt nach Einführung der Reformation, Leipzig i 8 8 5 , S. i 3 schloß im Jahre I 5 I 3 der Papiermacher Dominicus Ponat 33

Scihriftschneider und Drucker zugleich

25

Aus den Eintragungen in den Baseler Gerichtsbüchern scheint hervorzugehen, daß der Buchstabenschneider Hans Frank, der f ü r andere gegen Entgelt Buchstaben schnitt, der eine erhebliche Schuld beim Papiermacher Michael Galliziani34) hatte, und der als Buchdrucker bezeichnet wird, ein selbständiges Gewerbe, sowohl als Schriftschneider wie als Buchdrucker betrieben hat. Macht man diesen Schluß, so wären f ü r Basel bereits im Jahre 1 4 7 6 die Anfänge eines eigenen Schriftschneidergewerbes zu suchen. Daß Hans Frank von Straßburg in Haeblers Typenrepertorium nicht genannt ist, daß also seine Typen, mit denen er, wie die Schulden beim Papiermacher zeigen, auch selbst gedruckt hat, aus der Masse der namenloseil Drucke nicht ausgeschieden werden können, ist beachtenswert. Die Verbindung von Schriftschneiderei, Schriftgießerei und Druckerei, die keineswegs befremdet, läßt sich in späterer Zeit, f ü r die das Nachrichtenmaterial reichlicher fließt, häufig nachweisen. Für die Inkunabelzeit will Haebler — allerdings mit Unrecht — in j e d e r Buchdruckerei diese Vereinigung finden. Es fällt Haebler aber auf, daß bei dem Konkurse des Hans Frank keine „auf Vorrat hergestellte Schriften bei ihm gepfändet" wurden 36 ). — Der Erlös der Aktiva, die nicht näher spezialisiert sind, ergab über 2 7 Baseler Pfund. — Mir fällt nicht einmal auf, daß zur Masse keine Stempel und Matern gehörten; denn das sind Stücke, die sich ebenso, wie Schriftmetall, vorher noch zu Geld machen lasisen, und von Hans von Mühlhausen auf der Leipziger Ostermesse mit Lorenz Kune einen Vertrag, auf Grund dessen er ihm ein laufendes Konto mit einem MaximaiKredit von 20 Gulden eröffnete! 84 ) Traugott G e e r i n g , Handel und Industrie der Stadt Basel. Basel 1 8 8 6 , S . 3 i 3 f f . 35 ) Haebler, im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, l\ 1. Jhg. 1 9 2 ^ , S. 89.

26

Das Typenrepertorium ist unvollständig

Frank weiß man, d a ß er geflüchtet ist. Aber — bei wem, wo und wann tauchen die Stempel und Matern, die Frank benutzt hatte, wieder a u f ? Das Typenrepertorium m u ß auch hier, die Antwort schuldig bleiben. In den Gerichtsprotokollen erscheinen die „faulen" Sachen; die ganz erheblich größere Zahl der Geschäfte, die zur beiderseitigen Zufriedenheit der Kontrahenten ihre Erledigung g e f u n den, ist aktenmäßig nicht festgehalten.

-T r a n k f u r t am Main rechnet nach Haeblers Typenrepertorium nicht als Druckort der Wiegendruckzeit. Aber der Rat von F r a n k f u r t befahl im Jahre i / j ^ ö : „von Isenslegels f r a u w e n den Gedruckgezug und was man haben mag", zu beschlagnahmen. Peter Isenslegel, bereits i 4 3 8 als Prokurator genannt, war mit Schulden gestorben. Im August i 4 6 i hatte Isenslegel der Margareta Fust, der Frau des früheren Gesellschafters von Gutenberg, versprochen: zehn Gulden in der nächsten Fastenmesse zu zahlen 36 ). Ich frage nicht, ob diese zehn Gulden etwa eine Restforderung f ü r geliefertes Druckmaterial sind. Aber ich frage: was hat Peter Isensiegel mit seinem Druckapparat gedruckt, und wo ist nach seinem Tode das beschlagnahmte „Gedruckgezug" geblieben? i 4 8 i kam der Druckapparat an Heinrich Kirn, der in F r a n k f u r t Bürger geworden war 37 ). Das Typenrepertorium versagt auch hier. Frankfurter Urkunden nennen im Jahre 1491 z - B. einen Hans Drutmann als „Briefdrucker" und einen „Briefdrucker" 36

) Gustav M o r i , Die Schriftgießerei Benjamin Krebs Nachf. Franfurt a. M. 1 9 1 6 , S. 2 f. 37 ) Walter Karl Z ü 1 c h u. Gustav M o r i , Frankfurter Urkundenbuch zur Frühgeschichte des Buchdrucks. Frankfurt a. M. 1920, S. 2 1 — 2 3 .

Das Typenrepertorium ist unvollständig

27

Hans von Pedersheim 38 ^. Und doch hat es in F r a n k f u r t nach dem Typenrepertorium nicht e i n e Druckwerkstatt gegeben! Wolf Schiltmacher, der seit i 4 8 3 in F r a n k f u r t nachzuweisen ist, war Bierbrauer und Bürger. In seinem Testament vom Jahre IÖ02 vermachte er alle seine „ f o r m e n und patronen zum Druckgetzug gehörig" dem Wilhelm Rudel, der bereits i 4 q 5 als Buchdrucker — aber nicht im Typenrepertorium — erwähnt wird 39 ). Der Bierbrauer Schiltmacher ist nicht der einzige Drucker der Inkunabelzeit, der im Haupt- oder Nebenberuf das Schankgewerbe betrieben hat. An diesen urkundlichen Notizen ist Haebler bei seiner Sammlung vorübergegangen.

L/ienhart Ysenhut klagte im Jahre i 4 8 o in Basel gegen einen Druckergesellen Stoffel auf Bezahlung, dem er „ein geschrifft" f ü r dreizehn Gulden verkauft hatte. Der Beklagte wandte ein: „der Kauf sei geschlossen worden mit der Bedingung, daß er zurücktreten dürfe, falls er den Kauf von Meister Bernhart [Richel] wohlfeiler bekommen könnte". Meister Bernhart wurde verhört. Das Gericht erkannte: „ S t o f f e l der Trucker solle den Kauf halten, wie er denselben mit Lienharten abgeschlossen habe" 40 ). Diese Notiz besagt, d a ß es ein Druckergesell, der sich doch vermutlich selbständig machen wollte, bequemer fand, sich die benötigte Schrift zu kaufen, als sie sich selbst zu schaffen; die Notiz besagt weiter, daß eis in Basel mehr als eine Möglichkeit 58

) ) S. 3. — 40 ) 59

Z ü 1 c h u. M o r i , a. a. 0., S. i , 5 f . ; ebenda, S. 65, Anm. i . Gustav M o r i , Die Schriftgießerei Benjamin Krebs Nachf. 1 9 1 6 , Z ü 1 c h u. M o r i , a. a. 0 . , S. 26, 21\. S t e h l i n , Regesten no i 5 i , 1 5 2 im Archiv, 1 1 . Bd. 1888.

28

Der Geselle kauft sich Schrift

gab, Schriften zu erwerben. Ob diese Schrift in Stempeln, in Matern oder in fertig gegossenen Buchstaben bestand, ergibt unsere Notiz nicht. Unter den Baseler Druckern kennen wir bisher keinen mit dem Vornamen Stoffel. Unsere Aktennotiz lehrt, daß dreizehn Gulden genügten, vielleicht sogar noch weniger, u m eine Schrift als Eigentum in die Hand zu bekommen. Kam dazu noch die Druckerpresse und ein kleiner Kredit beim Papiermacher, so war der Druckherr fertig, der bei einiger vorher erworbener Übung als Setzer, mit einem Material, das er nicht selbst geschaffen, durchaus befriedigende Drucke liefern konnte. „ D a ß das Stechen von Schriften und das Gießen von Lettern wesentliche Bestandteile der buchdruckerischen Ausbildung gewesen sind, ist natürlich selbstverständlich" — sagt Haebler 41 ). „Steht es doch unzweifelhaft fest, daß Schriftgestaltung und Typenguß unbedingt von dem verlangt wurden, der als ein vollkommen ausgebildeter, zur selbständigen Ausübung seines Berufes befähigter Drucker gelten wollte" — sagt Haebler 12 ). Es war „die Schriftgestaltung eine der hauptsächlichsten Fertigkeiten, die von einem technisch voll ausgebildeten Drucker verlangt wurde" — sagt Haebler 43 ). Den Ehrgeiz, als ein technisch vollausgebildeter Meister seiner Kunst zu gelten, hat jedenfalls nicht jeder Drucker der Inkunabelzeit gehabt. 41

) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 4 1 . Jbg. 1 9 2 4 , S. 82. « ) H a e b l e r , a.a.O., S. 82. 43 ) H a e b l e r , a. a. O., S. io4.

Gießinstrument, Matern und Schriften in fremder Werkstatt

29

D a s Ende des Jahres 1 5 o o bedeutete natürlich keinen völligen Umschwung im wirtschaftlichen Leben. Ein Drucker, der bereits eine beträchtliche Zeit vorher an der Presse gestanden, wird mit dem neuen Jahrhundert seine Gewohnheiten nicht durchaus geändert haben"). Des verstorbenen Michael Furter's Nachlaß wurde i 5 i 7 sorgfältig aufgenommen. Das machte allein 2 P f u n d Baseler Pfennige, 9 Schillinge und 1 0 Rappen Gerichtskosten. Denn an f ü n f verschiedenen Stellen mußten die zum Nachlaß gehörenden Stücke aufgesucht werden. Es befanden sich u. a.: „hinder Meister Hans Armbroster j Sack mit Gschriften und ein Instroment"; weiter wieder: „hinder Hanns Armbroster j Sack mit mengerley Schriften, Matrices und ein Instrument, gehört ouch Micheln F u r t e r " ; ferner: „hinder Jergen Giesser dem Truker ein Istrument (sie) einer nüwen Latinischen justierten Geschrift, gehört Micheln Furtter". Und in Furters Werkstatt fand der Gerichtsschreiber: „Item j Antiquum Schrifft, sol Adam Pettri gehören". — In der Werkstatt wurden allerhand Schriften gefunden, auch Matrizen; aber das ausführliche gerichtliche Verzeichnis nennt nicht einen Stempel! Besaß Furter, der seit i 4 8 3 in Basel ansässig war, überhaupt Stempel? Oder hatte er die Stempel schon früher veräußert, weil ihm justierte Matern genügten? — Sind die Matrizen eines Druckers in der Hand des anderen — wie hier — so beweist das jedenfalls: diese beiden Drucker sahen in ihren Typen nicht das mit Sorgfalt zu hütende charakteristische E r kennungszeichen ihrer Offizinen, das Haebler in der Type jedes Druckers zu erkennen glaubt. Und wenn sieh die Baseler Drucker in der Inkunabelzeit selbst, nicht erst nach 15oo, zu Verlagsgesellschaften zusammen" ) S t e h l i n , Regesten no 2002, 2084 im Archiv,

Bd. 1891.

30

Gießinstrument, Matern und Schriften werden vermietet

schlössen — „auf keinem andern Gebiete der Basier Wirtschaft läßt sich eine ähnliche Fülle von capitalistischer Arbeitsvereinigung nachweisen" 45 ) — so dürfte das nicht nur ein Kapitalzusammenschuß, oder die gemeinsame Übernahme eines geschäftlichen Risikos von Fall zu Fall gewesen sein, sondern es liegt einigermaßen nahe, daß sich diese Gesellschafter auch mit ihren Typen, oder Matern gegenseitig ausgeholfen haben. Ein derartiges Inanspruchnehmen eines anderen Druckers ist ja auch außerhalb Basels f ü r die Inkunabelzeit bezeugt und noch dazu unter Druckern, die nicht Gesellschafter waren 46 ). Die geliehene Type, die beide, der Entleiher und der Verleiher benutzten, ist nicht mehr f ü r eine bestimmte Druckerei bezeichnend.

A m 29. Dezember 1490 schrieb der Rat der Stadt Basel nach Straßburg: der Straßburger Buchhändler Veit Yarbbrenner habe vor dem Baseler Gericht gegen den Drucker Michael Wenßler auf Rückerstattung von: „ettlich Matrices, Instrument, Capittalia, gegossen Geschrifft zu zweyen Pressen und was darzu hört", geklagt, die Yarbbrenner und der Buchhändler Arbogast Mor beide dem Wenßler „laut einer Urkunde auf eine bestimmte Zeit um 25 Gulden geliehen hätten". Wenßler aber — wie der " ) Traugott G e e r i n g , Handel und Industrie der Stadt Basel. Basel 1886, S. 328 f. 46) Am 22. Oktober 1482 bat Adolf Rusch brieflich Johann Amerbach in Basel, dem Straßburger Drucker Peter Attendorn Buchstaben f ü r eine Presse abzulassen. Vgl. Charles S c h m i d t , Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken u. der ersten Buchdrucker zu Straßburg. Straßburg 1882, S. 157. Ernst V o u l l i e m e , Peter Attendorn ein Buchhändler und Drucker in Straßburg um 1 4 g o (Aufsätze Fritz Milkau gewidmet. Leipzig 1921, S. 344).

Gießinstrument, Matern und Schriften werden vermietet

31

Baseler Rat schrieb — behaupte dagegen: die genannten Matrizen usw seien sein Eigentum und die Urkunde gefälscht 47 ). Es kommt nicht darauf an, welche Partei: die beiden Buchführer oder der Baseler Drucker, die Wahrheit sagte. Mindestens m u ß das klägerische Vorbringen des Veit Yarbbrenner mit den wirtschaftlichen Gepflogenheiten nicht im Widerspruch gestanden haben. Was er behauptete, muß an sich möglich gewesen sein. Daraus wäre zu folgern: es können Buchhändler, also Personen, die mit der Druckherstellung selbst nichts zu tun haben, sich im Besitze von Druckmaterialien befinden — Stempel werden nicht genannt — und können ihr Material: Matern und fertige Schriften, auf Zeit an einen Drucker, danach an einen zweiten und dritten Drucker usw. vermieten. Jeder dieser Drucker wird die Schriften, die er gemietet, auch gebraucht haben, sonst hätte die Miete f ü r ihn keinen Zweck; und jeder der Drucker konnte mit Hilfe der fremden Matern, sich den ihm gut scheinenden Vorrat an Lettern gießen, oder gießen lassen. Das heißt: die Typen, die aus den nämlichen justierten Matern stammen, die deshalb ihrem Schriftbilde nach nicht von einander abweichen, geben bei gleicher Kegelhöhe — und wiederholt wird zu dem Satz Matern auch das „Instrument" genannt, das die feste Kegelhöhe bedingen kann — kein Unterscheidungsmittel f ü r die verschiedenen Drucker ab, die diese S t e h l i n , Regesten 110 1 2 1 1 im Archiv, 12. Bd. 1889. — Wenßler hatte einen Teil der Sachen, nämlich die „Geschrifft oder Buchstaben" f ü r zwanzig Gulden bei Thoman Wißgerwer, oder Gerwer, und einem anderen versetzt und in einer Tonne nach Straßburg geschickt. Als: Wenßler das Pfand, das mehr als zwanzig Gulden wert war, nicht einlösen konnte, tat das, statt seiner, der Baseler Kaufmann Jakob Steinacher, gen. Algouwer, der dadurch die Schrift als Eigentum erwarb. AberVarbbr&iner und Mor hatten diese „Schrifft in einer Tonnen" mit Arrest belegt. ( S t e h l i n , Regesten no 762, ^kk, 763 im Archiv, 11. Bd. 1888.)

32

Die Werkstatt wird Schulden halber verkauft

Matern etwa nacheinander geliehen haben; ganz bestimmt nicht, wenn die damit hergestellten Drucke keinen Ort und Namen des Druckers verraten.

lVJichael Wenßler, der eine Zeitlang eine angesehene Stellung unter den Baseler Druckern eingenommen, war durch liederliche Wirtschaft in so schwere Schulden geraten, daß sein Zusammenbruch unvermeidlich war. Wenßler m u ß t e aus Basel flüchten, und seine Gläubiger sagten ihm nach, daß er allerlei von seiner Habe mit fortgenommen habe. Jedenfalls sah er sich genötigt, noch vor seinem Konkurse, seinem Hauptgläubiger, dem Baseler Kaufmann Jakob Steinadler, gen. Algouwer, der selbst kein Drucker war, f ü r 203 Gulden seine gesamte Werkstatt zu verkaufen; d. h. „allen und yegklichen Werckzüg und Truckgeschirr, es syent Bressen, Ramen, Formen und sust, mit aller zugehörd, alle sin ußbereitt Geschafften, klein und groß, Matrices und alle annder Bereittschafft und Werckzüg so der D r u c k e r j e gehört" (18. März 1490). In der Druckerei, die nicht mehr sein Eigentum war, arbeiteten W e n ß lers dreiundzwanzig Druckergesellen weiter 48 ). Es m u ß also immer noch ein umfänglicher Betrieb gewesen sein, so daß man fast annehmen möchte, wenn die 253 Gulden den wahren Kaufpreis darstellen, daß einzelne Wertstücke, wie die Schriftstempel, die zum Weiterbetrieb einer Druckerei ja auch nicht nötig sind, vorher entfernt seien 49 ). t8

1888.

) S t e h l i n , Regesten 110 663, 664, 682, 683 im Archiv,

11. Bd.

49 ) Die Druckerei von Andreas Cratander mußten Thomas Platter und seine Gesellschafter 153g mit 800 Gulden bezahlen! (Vgl. Thomas u. Felix P l a t t e r , Zur Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts. Bearbeitet von Heinrich Boos. Leipzig 1878, S. 89.)

Vorübergehende Tätigkeit des Schriftgießers

33

Der Kaufmann Algouwer war der Besitzer der Druckerei 50 ). Was wurde aus den Matrizen und Schriften, die sehr schnell aus der Werkstatt verschwanden, aber immerhin ein Kapital darstellten, das in der Hand eines Geschäftsmannes Verzinsung forderte?

F ü r vier Pressen den erforderlichen Schriftvorrat bei gelieferten Matrizen und bei vorhandenem Gießinstrument herzustellen, nahm einen Schriftgießer f ü r einen Monat in Anspruch 61 ). Wenn Schrift nach vorhandenen Matern in einer Druckerei gegossen wurde — was gewiß in sehr vielen Fällen geschah — so war das eine vorübergehende Tätigkeit. Ein besondere^ Sc'hriftgießer konnte in einer kleinen Druckerei, falls sie keine Schriften an andere Drucker abgab, unmöglich dauernde Beschäftigung finden. Das eigentliche Druckgeschäft, der Umgang mit der Druckerschwärze, das Waschen der Formen, war ein schmutziges Gewerbe 52 ). Wo in der Druckerei ein eigener Schriftgießer tätig war, wird der eine bessere Stellung, als der Druckerknecht oder der Setzer gehabt haben. Und erst recht nahm der Stempelschneider eine höhere Stellung ein. Die Sprache der Akten kann sehr wohl diesen sozialen Unterschied verwischen, und den einen, wie den anderen, einen Drucker nennen; denn schließlich dienen sie alle dem gedruckten ) S t e h l i n , Regesten no 795, 816—818, 871 im Archiv, ix. Bd.

50

1888.

) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 4i- Jhg. IQ24,

51

S.87.

) Thomas und Felix P l a t t e r , a.a.O., S. 89.

52

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Der Schriftgießer in dauernder Stellung

Buche. Aber, es wäre voreilig, wenn die Akten einen Mann als Schriftgießer bezeichnen, und die Akten diesen Mann einem anderen, der als Korrektor a u f g e f ü h r t wird, gegenüberstellen, diese beabsichtigte Differenzierung zu übersehen. Schriftgießer, wie Korrektor, nahmen in einem großen Betriebe eine Sonderstellung ein 63 ). Die Baseler Akten vom Jahre 1/^89 nennen unterm 5. Mai einen „Buchstabengießer" Jakob, der dem „Corrector" Kaspar Grosch zehn Gulden schuldete. Dieser Buchstabengießer verspricht: seine Schuld in Terminen zu zahlen, die z. T. abhängig sind von der Rückkehr des Herrn ,,Niclauws zum Blumen", d. i. der sehr angesehene Druckherr Nikolaus Keßler, bei dem der Buchstabengießer — wie auch Haebler annimmt 51 ) — in Stellung gewesen sein m u ß . Die Rückzahlung der Schuld sollte sich nach dem Versprechen des Schriftgießers auf ein paar Jahre verteilen 55 ). Damit m u ß Kaspar Grosch einverstanden gewesen sein. Der Buchstabengießer Jakob wird bei Nikolaus Keßler also eine dauernde Stellung gehabt haben. Das f ü r vier Pressen erforderliche Druckmaterial ließ sich in e i n e m Monat herstellen. Was an einer Schrift wirklich in Verlust kommen konnte, berechnet ein Vertrag von i 5 g i f ü r er. 11/2 Zentner Schrift mit ein bis zwei P f u n d f ü r zwei Jahre! 56 ) In welcher Zeit eine Schrift „ s t u m p f " wurde, d a f ü r fehlt es an Angaben. W o wollte Nikolaus Keßler mit den Schriftmassen bleiben, die ihm ein eigener Schriftgießer Monat f ü r Monat, Jahr f ü r 63

) Über die Stellung des Korrektors, vgl. z. B. H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. i 3 2 f f . M ) H a e b l e r , im Zentralblatt, ¿ji-Jhg. 192/i, S. 9 5 . 85 ) S t e h l i n , Regesten no 6 1 2 im Archiv, 1 1 . Bd. 1 8 8 8 . 56 ) Archiv f. Geschichte d. deutschen Buchhandels, 1 7 . Bd. 189/i, S. 2 7 9 .

Bedeutende Zinnkäufe von Druckern

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Jahr goß? — Der in Leipzig für Ernst Vögelins Druckerei tätige Schriftgießer Thomas Wilhelm stellte in der Zeit vom Juni bis Mitte Oktober 1576 37 Zentner Schriften im Werte von 925 Gulden fertig 57 ). Im Jahre 1489 kennen wir den Schriftgießer von Nikolaus Keßler wenigstens mit Vornamen. Aus späterer Zeit wissen wir: „ A n Nickel Keßler in Basel lieferte Merten Leubel in Leipzig so bedeutende Quantitäten Zinn, daß der Saldo zu Lasten Keßlers im Jahre i 5 i i 346 f l . betrug" 58 ). Zinn fand zum Schriftguß Verwendung. Dieser Posten, den Nikolaus Keßler und sein Sohn Bernhard gekauft hatten, ist so erheblich, daß er „doch wohl auch auf den geschäftsmäßigen Betrieb des Schriftgusses — nicht bloß für den eigenen Druckereibedarf — hindeutet"59). Der wiederholt genannte Baseler Drucker Michael Wenßler erwarb, als er sich geschäftlich noch sicher fühlte, sächsische Bergwerkskuxe60). Zinn wurde als Zusatz zum Blei und Eisen, dem auch Wismut und Schwerspat beigemengt wurde, als Schriftmetall gebraucht. Wenßler war im Besitze von Bergwerkskuxen, von Anteilen an Zinngruben. Wozu dies Interesse f ü r Metall, das für die Zusammensetzung der Schriftmasse nötig ist, im großen? Stumpfe Schrift wird umgegossen, das Metall geht nicht verloren. Dann und wann ist uns der Schriftvorrat einer Druckerei der Inkunabelzeit bekannt; er. I2Ö Pfund 61 ). Dieses Gewicht A.a.O., 17. Bd. 1 8 9 4 , S. 41. A.a.O., 18. Bd. 1896, S. i 3 f., 10. Bd. 1886, S. i k . 59 j Albrecht K i r c h h o f f , im Archiv f. d. Geschichte des deutschen Buchhandels, 10. Bd. 1886, S. 16. 60) Gustav M o r i , Das Schriftgießergewerbe in Süddeutschland. Stuttgart 192 k, S. 14 f. — Archiv f. Geschichte d. deutschen Buchhandels, 18. Bd. 1896, S. i3. 61) H a e b l e r , im Zentralblatt, 4 1. Jhg. 1924, S. 92. 5')

58 )

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Schriftvorrat der Druckerei

dünkt uns — verglichen mit dem heutigen Schriftvorrat einer auch nur bescheidenen Druckerei — außerordentlich gering. Es fehlt auch nicht an sehr beachtenswerten Berechnungen, die f ü r einzelne Betriebe ein ganz erheblich größeres Gewicht an Typen wahrscheinlich machen68). Inventare aus dem 16. Jahrhundert lehren uns, daß in Druckereien mit einem Schriftvorrat von etwa 1V2 Zentnern f ü r die einzelne Type gearbeitet wurde. Im 16. Jahrhundert wurde der Zentner fertig gegossener Schrift durchschnittlich mit 2 5 Gulden bewertet; Cursiv- und griechische Schrift waren teurer63). Der eigene Schriftgießer im Betriebe von Nikolaus Keßler, die Metallkäufe von Michael Wenßler und Nikolaus Keßler und Sohn sprechen dafür, daß gewerbsmäßige Gießereien mit der Druckerei unter einem Dach vereinigt waren.

i \ icolaus Jenson, von dem eine berühmte Antiqua-Schrift herrührt — ,,das Auge vergnügt sich bey dem Anblicke derselben in des Plinius Naturgeschichte, die dieser Meister gedruckt hat, und die das schöne Ebenmaaß hat, welches zum Muster f ü r alle künftige Schriftschneider in dieser Art dienen konnte"64) — starb im Jahre i 4 8 o in Venedig. In seinem Testamente hatte er über sein gesamtes Druckmaterial verfügt, das unter gewissen Bedingungen die Gesellschaft, der Jenson selbst angehört hatte, erhalten sollte. Aber unter diesem gesamten Druckapparat waren n i c h t zu verstehen: ,,ponzoni, cum quibus 6

s) Adolf S c h m i d t , im Zentralblatt, Jhg. 1897, S. 22 ff. ) Archiv f. Geschichte d. deutschen Buchhandels, 10. Bd. 1886, S. i38 ff., 1 7 . Bd. 1 8 9 4 , S. 38 ff. 64 ) J. G. I. B r e i t k o p f , Nachricht von der Stempelschneiderey und Schriftgießerey. Leipzig 1777, S. 7. 63

Stempel werden zu geschäftlicher Ausnutzung vererbt

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stampantur matres, cum quibus matribus fiunt lit,tere et prohiciuntur, sed omnino ipse testator ipsos ponzonos exceptuavit et exceptuat, ac eos voluit, et vult dominum Petrum Ugelleymer, oompatrem suum dilectissimum, habere debere, et ipsos eidem domino Petro legavit et dimisit" 65 ). Also trennte Jenson das in dem Betriebe befindliche Druckmaterial von den Stempeln, auch von den Stempeln seiner berühmten Antiqua-Schrift. Druckmaterial und Stempel waren f ü r Jenson zwei verschiedene Werte. Die Matern gehörten mit zum Druckmaterial, das der Gesellschaft, der Jenson zu Lebzeiten der Führer gewesen, zustehen sollte; nicht die Stempel. Matern genügten auch vollkommen f ü r die Druckgesellschaft; wer die Matern hatte, konnte fortdauernd den vorhandenen Schriftvorrat umgießen und erneuern. Die Stempel, das Produkt einer mühsamen und gelungenen Arbeit, waren, wie auch Haebler sagt 66 ), ein bedeutendes Wertobjekt. Ich frage: wenn sich jeder Drucker seine Schrift selbst schuf, oder f ü r sein Geld sich eine eigene Schrift schaffen ließ, die f ü r ihn und n u r f ü r ihn allein — nach Haeblers Annahme — bezeichnend blieb, wenn also kein Drucker nach der Schrift eines anderen begehrlich blickte, wenn ferner die M a t e r n der Jensonschen Schriften der Druckereigesellschaft verblieben, d. h. wenn diese Druckerei f ü r ein paar Menschenleben, wenn nicht noch länger, mit Hilfe ihrer Matern sich ihre Schrift ergänzen konnte — ich frage: welchen realen Wert hatten dann die S t e m p e l , die Nicolaus Jenson seinem besten Freunde, M ) Demetrio M a r z i , I tipografi tedeschi in Italia durante il secolo XV in: Festschrift z. öoojährigen Geburtstage v. Joh. Gutenberg, hrsg. von Otto Hartwig. Mainz 1900, S. 433. 66 ) H a e b l e r , im Zentralblatt, Jhg. 1 9 2 S . 90.

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Die geschäftliche Verwertung des Stempels bleibt die Mater

dem Uglheimer, als Beweis seiner besonderen Schätzung vermachte? Nicolaus Jenson war ein Geschäftsmann. Von den Stahlstempeln lassen sich Matern abschlagen und mit Hilfe der Matern Schrift herstellen. Das war Jenson selbstverständlich bekannt. Das steht auch in seinem Testament zu lesen, u m den W e r t der Stempel ins rechte Licht zu rücken. Matern, justiert oder unjustiert, konnten wieder die Grundlage f ü r eine neue Druckerei sein oder den Schriftreichtum einer bestehenden Offizin vermehren. Solche Matern wurden verlangt und gekauft — das Jensonsche Legat hätte sonst f ü r Uglheimer keinen W e r t gehabt; die Stempel wären nutzlos gewesen. Diese Stempel repräsentierten aber einen sehr bedeutenden W e r t ! Aus späterer Zeit haben wir Zeugnisse, daß Schriftgießereien sowohl Matern, wie fertig gegossene Schriften abgaben 67 ). Das Jensonsche Testament beweist, daß die Schrift — sei es als Mater, sei es als gegossene Letter — ein Handelsgegenstand in der Inkunabelzeit gewesen. Wurden Matern abgegeben, so blieb sich natürlich in jedem Falle das Schriftbild der einzelnen Buchstaben völlig gleich; aber der Kegel konnte beim G u ß verschieden ausfallen. Stempel konnten, wie ich meine, nur dann ein Wertobjekt sein, wenn sich die Stempel weiterbenutzen, oder f ü r ihre Weiterbenutzung verkaufen ließen. Die erste Zweckverwertung des Stempels bleibt der Abschlag, die Mater. Mit solcher Verwertung, d. h. mit geschäftsmäßiger Herstellung von Schriften, hat Jenson in seinem Testamente von i 4 8 o ausdrücklich gerechnet. Er nennt den Zweck der Stempel. Diese von Jenson ge67

) Z. B. die Schriftgießerei von Konrad Berner in Frankfurt a. M. ( i 5 g 2 ) . Berner hatte die Egenolff-Sabon-Bernersche Schriftgießerei erheiratet. Vgl. Gustav M o r i , Die Schriftgießerei Benjamin Krebs Nachf. Frankfurt a. M. 1916, S. 5.

Matern als Handelsgegenstand. Matern als Vermächtnis

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wollte, und wie ich hinzufüge: auch nicht ungewöhnliche Verwertung der Stempel, stimmt aber nicht zu der Idee, auf der Haeblers Typenrepertorium aufgebaut ist. Jensons Testament ist eine Urkunde. Urkunden, auch handschriftliche Notizen in den Inkunabeln, soweit es keine Fälschungen ¿sind, haben einen sehr erheblichen kritischen Wert. „Manche mit Sorgfalt und Scharfsinn auf Grund von Typenverwandtschaft aufgebaute Hypothese kann von einer solchen Eintragung völlig über den Haufen geworfen werden" —- sagt Haebler 68 ).

D a s Testament des venetianischen Druckers Johannes Herbort ist vom 4- Oktober i484 datiert. Dies Testament verfügt — soweit es sich um Typen handelt — über ,,duas matres justatas litterarum et formas pertinentes". Des Druckers Bernardinus Stagninus Tochter, Elisabeth, wird damit bedacht 69 ). Auch Haebler nimmt an, daß es sich nicht um zwei einzelne Matrizen gehandelt, sondern um die vollzähligen, zu zwei Typenreihen gehörigen Matern70). Die ,,formae pertinentes" lassen sich nicht wohl auf Stempel deuten. Das tut Haebler auch nicht. Es sind wohl auch keine Gießinstrumente; f ü r jede Maternfolge ein besonderes. Bei der umständlichen Ausdrucksweise der Urkunden sind unter „formae pertinentes" möglicherweise a u c h nur Matern zu verstehen, und es sollten damit ausdrücklich die ganzen Maternfolgen f ü r die beiden Schriften, die selbst als „matres" bezeichnet wurden, hervorgehoben werden. Doch auch das ist unsicher. Vielleicht sind die „formae pertinentes" nur fertiggegossene Lettern, die aus diesen Matern stammten. ) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 176. ) H a e b 1 e r, im Zentralblatt, k 1. Jhg. 192 S. *>) H a e b l e r , a.a.O., S. 94. 68

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Todesfälle, Geschäftsauflösungen usw. machen Schriften frei

Nach dem Typenrepertorium besaß Herbort zwölf verschiedene Typen. Also hatte er vor Abfassung seines Testamentes die Stempel und Matern dieser Typen, bis auf zwei, abgestoßen — sie könnten dann von anderer Seite weiter verwandt sein! — oder er besaß zu diesen Schriften, die in seinem Testament keine Erwähnung finden, n i c h t einmal die Matern, d. h. er hatte diese Schriften geliehen oder fertig bezogen. Johann Herbort verfügte von Todes wegen über zwei Maternfolgen. Haebler hat m. E. durchaus recht, wenn er „den besonderen W e r t " der Matern betont. Mit den Matern, zumal sie justiert waren, konnte ja eine eigene Druckerei begonnen werden. Und wollte die Tochter des Druckers Stagninus sich schwerlich selbst an die Druckpresse stellen — die Matern behielten auch dann ihren Wert, der es rechtfertigt, dieser Vermögensstücke im Testamente besonders zu gedenken. Todesfälle, Zahlungseinstellungen und Konkurse, sowie freiwillige Geschäftsveräußerungen sind f ü r die Inkunabelzeit in ziemlicher Zahl zu verzeichnen. In allen diesen Fällen stellten Matern, und natürlich mehr noch Schriftstempel, Wertobjekte dar, die vielleicht eine Zeitlang unbenutzt blieben, die dann aber doch, da es sich eben u m Werte handelte, in denen erhebliche Arbeit steckte und die f ü r den Betrieb einer Druckerei erwünscht waren, in den meisten Fällen ihre bestimmungsmäßige Verwendung wiedergefunden haben werden. Die Vielheit verschieden-gestalteter Typen, durch die sich die Inkunabelzeit auszeichnet, spricht sicher in hohem Grade f ü r die Unzweckmäßigkeit und die mangelnde Wirtschaftlichkeit des Frühdrucks im ganzen genommen, dem moderne Bestrebungen der „Normierung" f r e m d waren. Da der Wert der Stempel und Matern aber bekannt war, geht es jedoch zu weit, in jedem Drucker der Frühzeit auch den gelernten Stempelschneider und erfahrenen Schriftgießer zu sehen. Die Fähigkeit

Konrad Haeblers Urkundensammlung

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in Stahl zu schneiden und einen Stempel zu schaffen, ist auch keine allgemein erlernbare Kunst, sondern setzt eine sehr spezielle Begabung und eine ungewöhnliche Geschicklichkeit, eine Veranlagung in ganz bestimmter Richtung voraus.

lA_onrad Haebler hat etwa fünfzig Urkunden zusammengetragen, die sich auf die Herstellung der Schrift und die Ausrüstung verschiedener Offizinen mit Typen beziehen71). Sie sollen den Beweis liefern, daß ein Handel mit Schriften im fünfzehnten Jahrhundert noch nicht stattgefunden, daß vielmehr jede Druckerei sich ihre eigenen Schriften selbst hergestellt hat. Was besagen diese Urkunden? Die von Haebler chronologisch aneinandergereihten Zeugnisse suche ich nach ihrem sachlichen Inhalt zu gruppieren:

Drucker nehmen fremde Hilfe, außerhalb ihrer Werkstatt, in Anspruch, um Stempel herzustellen12). Um eine Druckerei zu beginnen, sollen vorhandene Matern von einem Gesellschafter, der eine Zeitlang bei einem Goldschmiede gewesen, justiert werden. Diese Arbeit mißglückt13). Vorhandene unjustierte Matern sollen für den Guß fertiggemacht werden. Die Arbeit übernimmt ein Fremder und führt sie kunstgerecht aus. Die Mängel, welche trotzdem die Schrift hat, liegen in den gelieferten Matern™). n ) H a e b l e r , Schriftguß und Schriftenhandel in der Frühdruckzeit (Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 4 1 . Jhg. 192/i, S. 8 1 — 1 0 / i ) . ,2 ) 1 4 7 2 . Bernhard Richel in Basel u. der Siegelgraber Jost Burnhart. 1/176. Hans Winterheimer (Joh. Solidi) in Basel und Hans Frank. " ) 1 /|8o. Nikolaus Lamparter, Lorenz Meiger, Pancratius Hochberg und der Goldschmiedeknecht Matthias Riedeler in Basel. 71 ) 1 g 0 / 9 1 . Jakob Roller und Jakob Waltzmüller in Basel.

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Das Leben ist zu reich, um es auf eine Formel zu zwingen

Zu einem vorhandenen Druckapparat, bestehend aus: Presse, Setzkasten und zugehörigen Typen — von Matern und Stempeln ist nicht die Rede — wird ein Drucker engagiert15). Ein Drucker verpflichtet sich u. a. einen für vier Pressen genügenden Schriftvorrat herzustellen, wozu ihm von seinem Auftraggeber das benötigte Metall und die Instrumente geliefert werden16). Ein Drucker bringt für ein Unternehmen seine Presse und die erforderlichen Drucklettern, zu denen er wahrscheinlich die Stempel selbst geschnitten, mit. Für neu zu gießende Typen hat er nach Ablauf des Vertrages nur den Metallpreis zu zahlen, falls er die Schriften erwerben will11). Ein Drucker leiht für bestimmte Zeit gegen Entgelt von Geschäftsleuten, die selbst keine ausübenden Drucker sind, Matrizen, Instrumente, Capitalia und gegossene Schrift für zwei Pressen. Stempel werden nicht erwähnt1*). Es wird Schrift verkauft, verpfändet, vermietet, verliehen; die Urkunden sagen nicht, daß es sich um Stempel oder Matern handeltn). — Wenn Schriften verliehen wurden, macht Haebler 75

) 1476. Der Stadtrat von Palermo und Andreas Vyel von Worms. ) i 4 7 5 . Verlagsgesellschaft des Lazarus de la Penna u. a. in Bologna und Andreas Portilia. ") i 4 8 3 . In Valencia; Alfonso de Cordoba. 78 ) 1491. Michael Wenßler in Basel leiht von Veit Varbbrenner und Arbogast Mor in Straßburg. 19 ) 1474- In Genua verkauft Antonius Mathias seine Druckmaterialien an Michele Scopo von Ulm. i48o. In Basel verkauft der Drucker Lienhard Ysenhut eine Schrift an den Druckergesellen Stoffel. 1480. In Basel verpfändet der Drucker Johann Meister Schriften an seinen Geldgeber Andriß Bischoff, der einen Teil der Schriften dem Drucker Wenßler zur weiteren Benutzung aushändigt. 1481. In Neapel übergibt Domenico Caraffa seine Presse und einen Vorrat gegossener Typen für bestimmte Zeit dem Johann Steingamer von Landsberg und Werner Raptor von Marburg. 76

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nicht etwa den Schluß, daß die Type doch nicht charakteristisch und beweisend sei, für den, der mit ihr arbeitet, daß also bei der Zuweisung eines Druckes auf Grund der Type in solchem Falle von einer exakten Sicherheit nicht gesprochen werden könne. Haebler behauptet: der leihweise Übergang der Schrift von einer Hand zur anderen wäre ,,überflässig", oder ,,kaum denkbar", wenn die Schriften ,,ohne weiteres von einem Schriftgießer zu beziehen gewesen wären" (Haebler, a.a.O., S. 92, 100). Haeblers Behauptung stimme ich nicht zu. Im. späten sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, also zu einer Zeit, für die an das Bestehen gewerbsmäßiger Schriftgießereien noch niemand gezweifelt hat, wurden Schriften und Matern gleichfalls von einem Betriebe zum anderen geliehen und vermietet. Dafür gab es immerhin naheliegende Gründe. Ein Drucker berühmt sich seiner Schriften und bittet um ein Privileg, auf das er verzichten will, wenn ein anderer ,,besseres, als er selbst, zu leisten imstande sein würde"m). — Zu einer guten Druckleistung kam es nicht allein auf die Typen an. Und ivenn ein anderer Typen aus denselben Matern besaß, so hatte er die gleiche Schrift, aber noch keine bessere. Es gehörten durchaus nicht immer Stahlstempel zu einer Druckerei. — Druckmaterialien, Pressen und Lettern (von Stempeln und Matrizen ist nichts gesagt) gehen käuflich in den Besitz eines Nichtfachmannes über. Der Besitzer schließt mit i 4 8 3 . In Neapel vermietet Domenico Caraffa erneut sein Material dem Jodocus Hohenstein. er. i / i g i . In Basel verpfändet Michael Wenßler geliehene Schriften an Thoman Wißgerwer in Straßburg. i/ig8. In Valencia entleihen von Jacobo de Vila die Witwe des Lope de la Roca und zwei Drucker auf bestimmte Zeit Lettern im Gewicht von 200 Pfund gegen Entgelt. 80 ) 1470. Antonius Planella erbietet sich, in Mailand eine Druckerei aufzustellen.

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zwei Druckern einen Vertrag, um dies Material nutzbar zu machen81). Infolge Vermögensverfalls, vielleicht auch Tod, geht eine Druckerei in den Besitz eines Buchhändlers über, der sie an einen anderen Buchhändler verkauft, der wieder die Druckerei umgehend an einen Papiermacher und einen Drucker veräußert. Es bildete „alles zum Schriftguß nötige Material einen Bestandteil der Werkstätte"82) — daß Stempel darunter begriffen wären, ist nicht gesagt. Gießinstrument und justierte Matrizen genügten ja vollständig! Um eine Druckerei zu eröffnen, sucht der Unternehmer einen Drucker, der sich dadurch empfiehlt, daß er einen großen „Vorrat von zinnernen Lettern" einbringen will83). An eine Druckerei, die in Betrieb gesetzt werden soll, werden Matern verkauft, auch „Schriftmetall, Matrizen, fertige Schriften und hölzerne Instrumente", oder der Drucker, der seinen Aufenthalt wechselt, verkauft an seinen nichtfachmännischen Gesellschafter sein ganzes Druckgerät, bestehend aus: „Lettern, Matrizen und Instrumenten", nachträglich wohl auch ein „Gießinstrument"; und der Drucker, der verkaufte, wollte dennoch an einem anderen Orte selbst weiter drucken81). Ein Drucker legt eine Probe seiner ,,litterae antiquae" vor M

) 1478. Vertrag des Nicolaus Jacobus de Luciferis von San Severo in Neapel mit Nicolaus Benedicti von Venedig und Johannes Adam de Polonia. 82 ) i5oo. In Toulouse; Druckerei des Heinrich Mayer. e3 ) i486. Michael Svierler von Ulm in Bordeaux und der Drucker Johann Waither von Mindelheim. 84 ) 1476. In Florenz; das Nonnenkloster apud sanctum Jacobum de Ripoli. 1492. In Valencia erwirbt Dr.. Miguel Albert das Druckmaterial von Lambert Palmart. 1492. In Valencia verkauft Johann Rosenbach an den Kaufmann Jacobus de Vila sein Druckgerät.

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und bedingt sich aus, daß er das gesamte Druckzeug, das er für die Gesellschaft, in die er eintritt, herstellen wird, späterhin erwerben könne85). — Wurde diese Bedingung ausdrücklich festgelegt, so muß es doch auch üblich gewesen sein, daß dem Unternehmer, der Gesellschaf t, das Druckmaterial verblieb. Und wenn dem Hersteller der Schrift, bei Austritt aus der Gemeinschaft, das Geld fehlte, die Typen zurückzukaufen, für wen waren dann die Typen charakteristisch? — Handelt es sich hier um selbstgeschaffene Stempel? Ein Drucker schließt auf zehn Jahre einen Vertrag und bringt in die Gesellschaft alles Druckmaterial ein, darunter Matern und „usvegli". Waren das Stempel?*6) Und wie sollte nach zehn Jahren das Druckmaterial geteilt werden? Ein Buchhändler will eine Druckerei errichten und kauft ein Gießinstrument, Punzen und Matrizen. Daß der Verkäufer auch der Hersteller gewesen, daß Punzen und Matrizen ganz neu waren, wird nicht gesagt"). Ein Papierhändler schließt mit zwei Druckereien einen Gesellschaftsvertrag über Druck und Verlag. Der Vorrat der beiden Druckereien an Stempeln, Matrizen, Metall und Gießzeug genügt für die neue Gesellschaft88). Schriftgießer werden vorübergehend, also als herumziehende Gesellen oder wandernde Gewerbetreibende, beschäftigt. Sie übernehmen gelegentlich die Verpflichtung, im Gießen der Buchstaben andere zu unterweisen. Ihre Tätigkeit ist nötig, 85

) 1472. In Mailand; Christoph Valdarffer von Regensburg. ) 1^92. In Ferrara; der Drucker Laurentius Rubeus und Andreas de Grassis. 81 ) i / i g i . In Rarcelona; der Buchhändler Pere Miquel und Juan Rabinell, als Verkäufer. 88 ) i 4 8 o . In Florenz; der Papierhändler Bartolo del f u Domenico di Guido, die Druckerei apud sanctum Jacobum de Ripoli und Nicolaus Laurentii. 86

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um einen Betrieb zu eröffnen. Davon aber, daß sie sich etwa anheischig gemacht: den Stempelschnitt und das Justieren der Matern zu lehren, wird nichts gesagt*9). Ein Druckergehilfe ist Spezialist in der Herstellung von Stempeln, Matern und Gießinstrumenten und lehrt auch einen Genossen, ein Gießinstrument zu schaffen. Er ist bald in dem Betriebe, bald in jenem90). In einer Druckerei, die sechs oder sieben Personen beschäftigt, befindet sich kein Schriftgießer; der muß nachträglich herbeigerufen werden und übernimmt die Herstellung von Stempeln, Matrizen und Gießinstrument91). Ein Schriftgießer ist anscheinend dauernd in einem Be92 triebe beschäftigt ). Von längerer Dauer im Betriebe wird wohl die Tätigkeit eines Schriftgießers gewesen sein, den sein Herr testamentarisch mit einem Legat bedenkt. Vermutlich macht sich dieser Schriftgießer, der sich auch als Typenstecher bezeichnet, später als Drucker selbständig93). Ein Schriftgießer wird urkundlich genannt; aber es läßt sich nicht sagen, ob er in einem Betriebe, vorübergehend oder dauernd, beschäftigt ist, oder ob er selbständig gewesen isi94). 89 ) 1471- In Brescia; Statius de Francia für dreizehn Monate Schriftgießer und Lehrer im Schriftguß. 1472/73. In Padua; Eckhard als „typorum fusor in officina Laurentii Canozii". 1492. In Valencia; Gabriel Brunch von Ungarn für drei Monate. — Die 98 Matrizen, die ihm zum Guß übergeben wurden, können kein vollständiges Inkunabelalphabet darstellen I 90 ) 1 /¿70—1477- Crafto und Stephan Arndes; in Fuligno, Perugia und Rom. 91 ) 1499. Druckerei auf dem Montserrat; der Schweizer Hans Mock. 92 ) 1/189. In Basel der Buchstabengießer Jakob bei Nikolaus Keßler. 93 ) I 5 O 6 / I 3 . In Venedig; Jacomo Todescho bei Aldus Manutius. 9i ) 14g8. In Venedig; Francesco aus Bormio im Veltlin.

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Ein Drucker wird in Dienst genommen, der eidlich seine Fertigkeit im Schriftguß versichert und trotzdem dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. (Also ist Schriftguß durchaus keine Fähigkeit, die jedem Drucker eigen ist.) Oder: trotz der Versicherung, daß ihm der Schriftguß vertraut sei, bedingt sich der Drucker aus, daß er zum Typengießen nicht verpflichtet sein solle. — Vom Stempelschnitt und Herrichten der Matern ist in solchen Fällen gar keine Rede.Si). Ein Betrag für Ausbesserung von Buchstaben erscheint in einer Rechnung. Ob die Ausbesserung in der Druckerei, von dem Drucker selbst, oder von einem Fremden, etwa einem Goldschmiede, geschehen, bleibt ungewiß96). In anderen Druckereien wird wieder das Typenmaterial hergestellt, und zwar auch die dazu nötigen Stempel91). Der an einem Druckunternehmen beteiligte Buchhändler ist bereit, zur Ergänzung des Typenbestandes eine Schriftart ,,anzuschaffen". Die Vermutung liegt nahe, daß diese Schriftart nicht von dem Gesellschafter, dem Drucker selbst, herrührte**). Für rückständige Lohnforderungen verspricht ein Drucker seinem Gesellen nach weiteren drei Dienstjahren eine Druckerpresse und vier verschiedene Sorten Typen — daß es sich bei dem. Versprechen um Stempel, Matern und Gießinstrument gehandelt, ist nicht ersichtlich"). — Aber die Abfindung mit 9S ) 1 4 7 4 . In Bologna; Magister Stefanus Andreoti Merlini von Lecco. 1474. In Parma; Petrus quondam Antonii Torelli. S6 ) 1 4 9 1 / 9 2 . In Toulouse; Abrechnung von Heinrich Mayer und dem Buchhändler Pierre Hongre. a7 ) 1472. In Mailand; Antonius Zarotus und zwei Verlegergesellscliaften. 98 ) i 4 8 g . In Valencia; der Buchhändler Hans Rix von Chur und der Drucker Nikolaus Spindeler. 99 ) 1529. In Barcelona; Johann Rosenbach und Pere Mompezat.

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Die Druckerei eine freie Kunst, an keine Zunft gebunden

Druckmaterial hatte für den Gesellen doch nur einen Zweck, wenn er sich mit diesen Typen seines Herrn selbständig machen wollte. Von Todeswegen wird über Druckmaterial und getrennt davon über Stempel verfügt10°). Von Todeswegen wird über Matern verfügt101). Im Nachlaß befinden sich u. a. Schriften, Formen und „morse"102). Im Nachlaß findet sich Zinn für den Letternguß; die Druckerei war dabei, eine neue Schrift zu gestalten103). Aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zunft, der Hausgenossenzunft in Basel, macht Haebler den Schluß, daß ein Drucker sein eigener Schriftgießer gewesen sein müsse101). Dieser Schluß ist nicht durchaus sicher. Aber, wie Haebler hervorhebt, gehörten die Baseler Drucker ,,in ihrer Mehrzahl nur der Safranzunft" an (Haebler, a.a.O., S.86). Die Safranzunft war die Zunft der Krämer, und zwar der Kleinkaufleute; ihr zählten sich u. a. zu: Drucker, Kartenmaler, Heiligenmaler, Buchführer, Druckerknechte, Buchbinder, Illuminierer105). — Welcher Schluß wäre aus dieser Zunftzugehörigkeit, im Gegensatz zur Hausgenossenzunft, zu ziehen? Wohl der: daß die Mehrzahl der Drucker keine Schriftgießer waren. Aber auch dieser Schluß wäre nicht sicher. Und für die Beweiskraft des Haeblerschen Typenrepertoriums kommt es vor allem darauf an, daß die Drucker nicht nur Schriftgießer, sondern in erster Linie Stempelschneider gewesen und dann ihre 10

°) i/|8o. In Venedig; Nicolaus Jenson. ) 1484- In Venedig; Johannes Herbot. 102 ) i 4 8 4 - In Bologna; Scipione Malpighi. 103 ) i / i 9 9 / i 5 o o . In Sevilla; Meinard Ungut. 104 ) 147B. In Basel; Friedrich von Biel. 1 4 7 8 . In Basel; Michael Wenßler. 105 ) S t e h l i n , Regesten im Archiv, 1 2 . Bd. 1 8 8 9 , S. 4 i f f 101

Die Druckerei eine freie Kunst, an keine Zunft gebunden

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Stempel, oder die abgeschlagenen Matern, nicht aus der Hand gegeben! Im Jahre 1508 setzten die Herren vom Rate in Basel neu fest, was „vormals ouch erkant ist" — nämlich durch Ratserkenntnis vom Jahre lä87loe) — daß alle, die das Gewerbe des Buchdruckens in der Stadt trieben, zünftig sein sollten; aber es stand ihnen frei, die Zunft zu ,,kouffen", die sie wollten — ,,angesechen daz soliches Gewerb fry" — ohne Einspruch anderer Zünfte107). Dieser Beschluß von 1508 stellt keine Neuerung dar. Die Mehrzahl der Baseler Drucker hatte, wie Haebler hervorhebt, die Zunft zum Safran, die Zunft der Kleinhändler, gewählt; das gestattet noch nicht den Schluß, daß sie Stempelschneider und Schriftgießer in eigener Person gewesen. Der gewerbsmäßige Buchbinder, der eben keine ,,freie Kunst" ausübte, gehörte seit 1Ü87 zwangsmäßig in die Safranzunft109). Eine Reihe von Druckern waren zugleich Buchbinder. Andere Drucker hatten die Zunft zum Schlüssel gewählt, d. h. die Zunft der Kaufleute; vielleicht wird man diese Drucker für vermögender ansehen dürfen, als ihre Genossen von der Safranzunft. Wieder andere, es waren nur wenige, gehörten zur Hausgenossenzunft, in der wir Wechsler, Goldschmiede, Kannengießer, Hafengießer, Büchsengießer und Glockengießer finden109j. Und es kam auch vor, daß ein Drucker von einer Zunft zur anderen übertrat. los) Traugott G e e r i n g , Handel und Industrie der Stadt Basel. Basel 1886, S. 33/j. 107 ) S t e h l i n , Regesten no i 8 3 o im Archiv, 14. Bd. 1891. 108 ) S t e h l i n , Regesten no 1188 im Archiv, 12. Bd. 1889. 10£ ») S t e h l i n , Regesten im Archiv, 12. Bd. 1889, S. 8. — Über die Zunftzugehörigkeit der Baseler Druckergesellschaft: Platter, Oporinus, Balthasar Ruch und Ruprecht Winter ( i 5 3 9 ) , von denen keiner den

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Arbeitsteilung und Grenzen der Befähigung

N u r ein verschwindender Bruchteil des wirklichen Lebens ist uns durch Urkunden überliefert. Trotzdem zeigen dies© Zeugnisse, daß das wirtschaftliche Leben nicht auf eine einheitliche Formel zu bringen ist. Eine Druckerei bedarf fremder Hilfe, um Stempel zu schaffen und Matern zu justieren; eine andere Druckereischafft sich ihr Schriftmaterial, vom Stempel begonnen, selbst. Hier werden Stempel geschaffen, dort genügen Matern, die von einem Stempel in beliebiger Zahl zu gewinnen sind; oder nicht einmal Matrizen und ein Gießinstrument, sondern ein Vorrat gegossener Lettern reicht aus, um einen Betrieb zu eröffnen. Der Druckapparat geht durch Kauf oder Erbschaft in die Hand eines unkundigen Geschäftsmannes über, der, um sein Kapital zu nutzen, einen gelernten Drucker in Dienst nimmt. Ein Drucker, der in Pflicht genommen wird und die Leitung einer O f f i z i n übernehmen soll, macht sich anheischig, mit vorhandenen Instrumenten Schrift zu gießen. Ein anderer lehnt selbst diese Verpflichtung ab. Verhältnismäßig f r ü h schon ist eine ausgesprochene Arbeitsteilung zu beobachten. Der eine Schriftgießer ist ein wandernder Gesell, der von einem Betriebe zum anderen zieht; ein anderer hat eine Dauerstellung, oder macht sich mit der Zeit als Drucker selbständig. Es hat gewiß einzelne Gesellen gegeben, die den ganzen Umfang ihrer Kunst voll beherrschten und die scheinbar doch nie zu eigener Selbständigkeit gelangten. Andere waren nur kurze Zeit eigene Druckherren und gingen an ihren Schulden zugrunde. Und, wie die Urkunden sagen, wurden Schriften und Matern, und das keineswegs vereinzelt und als seltene Ausnahme, verliehen, verkauft, verpfändet. Stempelschnitt oder das Schriftgießen verstand, vgl. Thomas u. Felix P l a t t e r , Zur Sittengeschichte des 1 6 . Jahrhunderts. Bearbeitet von Heinrich Boos. Leipzig 1 8 7 8 , S. 89.

Die Mater gibt der Type kein Kennzeichen

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Der Übergang der Schrift von einer Hand in die andere, das Arbeiten mit justierten oder unjustierten Matern, deren Stempel n i c h t im Besitze des Druckers waren, ist „ein ernstes Memento betreffs des Werthes der übermäßig Mode werdenden Typenvergleicherei" — sagte Albrecht Kirchhoff 1 1 0 ); denn vom Stempel lassen sich sehr viele und einander gleiche Matern abschlagen! Eben aus diesem Grunde meinte F. Herrn. Meyer: man müsse ,,im Allgemeinen Schlüssen aus Typenvergleichung ein gerechtfertigtes Mißtrauen entgegenbringen" 111 ).

IN och drei Notizen sind aus Haeblers außerordentlich dankenswerter Sammlung von Urkunden zurückgeblieben, die sich auf drei Drucker beziehen, die als Schriftgießer bezeichnet werden, oder sich selbst Typenstecher nennen. — Das sind: i 4 9 3 in Lyon Nicolaus Wolf, ,,fondeur de lettres", 1496 f f . in Antwerpen Henrick, ,,de Lettersnider", und 1498 wieder in Lyon Jean Fyroben, „fondeur de lettres" 112 ). Vom Jahre 1470 ab, d. h. von der Zeit ab, aus der uns Haebler urkundliche Nachrichten über die Versorgung einzelner Druckereien mit Schriften gegeben, lassen sich, wie gezeigt, sehr wesentliche Unterschiede hinsichtlich der technischen Fertigkeiten der einzelnen Drucker erkennen. Einzelne Gesellen oder Drucker haben die volle meisterliche Beherrschung ihrer Kunst besessen, andere — nach den Urkunden dürfen wir sagen: viele andere — verstanden nicht einmal den Schriftguß mit Hilfe von justierten Matern und vorhandener Gießinstrumente, was nicht gerade eine ganz besondere Befähigung verrät. no) handels, lu) "2)

Albrecht K i r c h h o f f , im Archiv f. Geschichte d. dt. Buch10. Bd. 1886, S. I4I, Anm. 7. F. Herrn. M e y e r , öbenda, 1/,. Bd. 1891, S. 8. H a e b l e r , im Zentralblatt, 4 i . Jhg. 1924, S. 9 8 f .

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Schriftstich und -guß geht der Druckerei voran

Nach Haeblers Annahme kann es nicht als eine Ausnahme gelten, wenn ein Drucker zunächst mit dem Schriftstich und - g u ß anfängt, um erst später eine Druckerei zu eröffnen. Denn Schriftstich und Schriftguß müssen ja notwendig —

ob sich

der Drucker sein Material selbst schafft, oder es von einem andern erwirbt — vorausgegangen sein, bevor mit der Druckerei angefangen werden kann. Die Persönlichkeit, die den Schriftschnitt beherrscht, das Justieren der abgeschlagenen Mater versteht und so viel technische Kenntnisse besitzt, ein Gießinstrument zusammenzusetzen —

alles Arbeiten, die ganz grob und

mit starker Übertreibung gesagt, zur Schlosserei gehören



verfügt über den schwersten Teil der Kunst. Was dieser Mann vom Gießer zu übernehmen hat, ist im Verhältnis nur sehr wenig.

D a ß er sich selbst die Druckerpresse baut113) und so

dem Tischler und Drechsler ins Handwerk kommt,

ist kaum

wahrscheinlich. Das ginge nicht ganz ohne Lehrzeit; dazu hätte der Drucker auch eine zweite Werkstattausrüstung nötig gehabt, die sehr bald —

nach Beginn der Druckerei —

völlig

stillgelegen hätte. Der Betätigung auf verschiedenen handwerklichen Gebieten zugleich, zieht auch der enge Innungsgeist der Zeit gewisse Grenzen. Die E r ö f f n u n g einer eigenen Druckerei ist f ü r den Stempelschneider oder Schriftgießer fast ganz allein eine Kapitalfrage. Stempel oder justierte Matern sind selbstverständlich, wie überdies auch urkundlich bezeugt ist, Wertstücke.

Wer den

Stempel schneidet, kann, als Abschläge, auch Matern an andere verkaufen, noch bevor er eine eigene Druckerei beginnt.

Es

hat darum nichts Überraschendes, wenn ein Typenstecher erst nach Verlauf einiger Zeit als Drucker nachzuweisen ist.

Aber

die Tatsache, daß die Type eines Schriftgießers in anderen 11S )

H a e b l e ' r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 62.

Die Type des Schriftschneiders in fremden Betrieben

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Betrieben wiederzufinden ist, verträgt sich schlechterdings nicht mit Haeblers Annahme, d a ß jeder Drucker sich sein Material, nämlich den Stempel, die Mater und die gegossene Schrift selbst geschaffen, oder dazu einen fähigen Gesellen angenommen habe, der ihm die f ü r ihn charakteristische Type hergestellt hätte. Zunächst: Henric Pieterssoen, die lettersnider 114 ). — W i r kennen aus der Inkunabelzeit nur einen volldatierten Druck von i h m : Antwerpen 28. Aug. i 4 g 6 = Campbell, Annales de la typographie néerlandaise du XVe siècle (La Haye 1874) no. 1026. Alle anderen, bekannten Drucke von ihm, nennen, ebenso wie dieser, in ganz ausführlicher Weise, sozusagen mit Angabe von Straße und Hausnummer, einer wie der andere, unter Hervorhebung der speziellen Tätigkeit dieses Druckers als „lettersnider" seine volle Adresse; aber kein Datum. Kruitwagen sieht in diesen undatierten Drucken von geringem Umfange Reklamemittel f ü r den Absatz der Typen des Henric. Denn die Type, zu der er sich in dem datierten Druck von 1496 bekannt hat, und die bei der von ihm stets betonten speziellen Fähigkeit als Letterstecher — eine Fähigkeit, die nicht allen Druckern eigentümlich war — nur auf ihn zurückgeführt werden kann, findet sich vor 1/I96 bereits in der Hand des Buchdruckers Jacob von Breda in Deventer ( i 4 g 3 ) , in der Hand des Govaert Bac in Antwerpen ( i 4 9 3 ) , in der Hand des Christian Snellaert in Delft ( i 4 9 5 ) , in der Hand der Fratres S. Michaelis in Schoonhoven ( i 4 g 5 ) . Und ganz die gleiche Type finden wir nach i4g6 bei Hendrik Eckert, dem Nachfolger von Snellaert, im Jahre 1498, bei Hugo Jaenszoen van Woerden in Leiden im 1U

) B. K r u i t w a g e n , De incunabeldrukker en lettersteker Henric Pieterssoen, die lettersnider van Rotterdamme (Het Rotterdamsch jaarboekje, 2. Reihe 7. Jhg. 1919, S. 3—38). — Dazu: Ch. E n s c h e d é , Fonderies de caractères. Haarlem 1908, S. 7 f f .

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Gewerbsmäßiger Absatz der Type

Jahre 1498, bei Peter van Os in Zwolle im Jahre Es ist 75 die Lettersnidersche Type M 98. Diese Type und Lettersniders Type M 75 115 finden wir auch bei Hermann Bungart in Köln. — Es handelt sich bei diesen Druckern u m identische Typen; nicht etwa u m Nachschnitte. Die hat es auch gegeben; aber Kruitwagen scheidet die Nachschnitte aus. Also: andere Drucker, in- und außerhalb Hollands, die wir mit Namen kennen, benutzten die Type von Henric Pieterssoen. Diese Tatsache und Kruitwagens weitere Feststellung, daß in der Zeit von x493 bis i 5 4 o allein in den Niederlanden 55% aller holländischen Druckereien sich der Type des Henric Pieterssoen. bedient haben, gibt der speziellen Berufsbezeichnung als „lettersnider", die Henric auch als Drucker sich stets beigelegt hat, eine besondere Bedeutung; man kann sagen: diese ständig wiederkehrende Bezeichnung als „lettersnider" ist die Anpreisung einer besonderen Fähigkeit, eines eigenen Gewerbes. Obwohl dieser Letterschneider als Inkunabeldrucker bekannt ist, wird ein wesentlicher Teil seiner gewerblichen Tätigkeit, die als Drucker nur gering ist — nach dem Erfolge zu schließen — in dem A b s a t z seiner Typen bestanden haben. Ob es fertig gegossene Lettern oder justierte Matrizen gewesen sind, die dieser Letterschneider absetzte — ist gleichgültig. Die Frage ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß dieser Drucker und Stempelschneider von anderen Druckereien zur Anfertigung von Schriftstempeln in Anspruch genommen wurde. Die starke und schnelle Verbreitung, eben der Erfolg seiner Type M76 98 und der anderen von dem „Lettersnider" herrührenden Schriften, schon während der sogenannten Inkunabelzeit selbst, läßt nur den Schluß zu, daß die Arbeitsteilung im Druckgewerbe: Herstellung des Stempels bzw. der Schrift, und Herstellung des Druckes damals keine n e u e Erscheinung gewesen ist, die sich erst langsam und mit der Zeit Bahn brechen

Das Ende der Inkunabelzeit

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m u ß t e . Auf diese Arbeitsteilung ist j a auch aus älteren Urkunden zu schließen. C. P. Burger j r . rechnet, gestützt auf Kruitwagens Ausf ü h r u n g e n , vom Auftreten dieses erfolgreichen Stempelschneiders ab mit einer neuen Periode im Buchdruck, d. h. mit dem Ende der Inkunabelzeit 115 ). Meines Erachtens mit Recht. Denn, wenn in der Hand verschiedener Drucker sich die g l e i c h e Type findet, so stehen diese Drucker doch nicht in dem Maße als selbständig schaffende Meister ihrem Werke gegenüber, wie das f ü r die Inkunabelzeit charakteristisch sein soll116). Die Drucker, die sich der gleichen Type bedienten, haben diese Type nicht m e h r selbständig, jeder f ü r sich, geschaffen, sondern sie aus einer Quelle — sei es als Mater, sei es als fertige Schrift — bezogen. Und diese Quelle nennen wir nach dem heutigen Sprachgebrauch die Schriftgießerei. Aber C. P . Bürger'» Trennungsstrich, der die Inkunabelzeit von einer neuen Periode des Buchdruckes scheidet, scheint m i r doch zeitlich weiter zurückzuverlegen zu sein. D a f ü r sprechen die von Haebler gesammelten Urkunden, die bei einigermaßen aufmerksamer Lesung erkennen lassen, d a ß bei weitem nicht jeder Drucker fähig war, sich eine eigene Schrift, mit dem Stempel begonnen, zu schaffen, wie es doch einem rechten Inkunabeldrucker obliegen m u ß t e ! D a f ü r spricht eine Beobachtung, die Kruitwagen nicht als erster gemacht: „Ook de letterstekerij en -gieterij begon een zelfstandig vak te worden. Zoo vindt men bij een aantal drukkers aan den boven-Rijn (te Bazel, Straatsburg, Spiers, Heidelberg) reeds sedert ongeveer i 4 8 5 een lettersoort, door de vakmenschen aangeduid als M 2 1 90/91, die blijkbaar door eenzelfde lettergieterij is geleverd. Hetzelf de 115

) C. P. B u r g e r jr., De incunabelen in de Bibliothek d. Univ. van Amsterdam. 'sGravenhage 1919, 2. Abt. S. 3. 116 ) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 2.

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Erst Schriftgießer, dann Buchdrucker

treft men iets later aan in groote drukkerscentra zooals Parijs en Venetie" 117 ). Wie liegt der Fall mit dem Schriftgießer Nicolaus Wolf in Lyon. — Haebler vermutet: es werde „Nicolaus Wolf ein Drucker gewesen sein, der die Herstellung von Typen zu seiner Spezialität gemacht hatte, und in seiner Eigenschaft als Schriftgießer in einer der größeren Lyoner Druckereien beschäftigt war". Haebler vermutet: diese Druckerei werde der Betrieb des Johann Trechsel gewesen sein, aus dem Wolf, wie Haebler wieder vermutet, nach Trechsels Tode ausgeschieden sei. Nicolaus Wolf war von 1498 ab jedenfalls als selbständiger Drucker tätig. D a ß Nicolaus Wolf in Lyon bereits i 4 g 3 zur Steuer herangezogen wurde, ist wohl noch kein sicherer Beweis, daß er dazumal ein selbständiger Gewerbetreibender gewesen. — Folge ich der Vermutung Haeblers: Wolf sei jahrelang in dem Betriebe von Trechsel in der Eigenschaft als Schriftgießer tätig gewesen, so m ü ß t e dieser Betrieb, der dauernd einen eigenen Schriftgießer beschäftigte, in der Masse der hergestellten Schriften erstickt sein— falls die gegossenen Schriften nicht an a n d e r e Druckereien abgegeben wurden! Das heißt: nicht Nicolaus W o l f , 117

) K r u i t w a g e n , a. a. 0., S. 7. — Ferner Ii r u i t w a g e n in Tijdschrift voor boek- en bibliotheekwezen, 1911, S. 64: „Het is immers mogelijk, dat twee verschillende drukkers precies dezelfde typen gebruikt hebben, doordat zij hun materiaal van denzelfden lettergieter betrokken, of doordat de eene het aan den andere heeft overgedaan. Zoo kan . . . de type M87 68 mm öfwel van Simon de Luere, öfwel van Bernardinus de Benaliis, beide te Venetie, zijn, daar De Luere's type 6 precies gelijk is aan type 2 r van Benalius." — H a e b l e r s Typenrepertorium, Bd. 3,2 Leipzig 1910, S. 280/1, glaubt für jeden der beiden Drucker im Divis einen Unterschied zu sehen. Simon de Luere: „Divise einfach, klein, ziemlich flach", Bernardinus Benalius: „Divise einfach, ziemlich klein, schräg". Ich lasse die von Haebler beobachtete, von Kruitwagen nicht gesehene, Unterscheidung des Divis außer Betracht, da ich in anderem Zusammenhange von identischen Typen in der Hand verschiedener Drucker, die sich durch Divis oder Rubrum unterscheiden, sprechen werde (vgl. S. 11

Kundenlisten der Schriftgießerei

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sondern Johann Trechsel hätte dann den Absatz gegossener Schriften gewerbsmäßig betrieben. Die Frage: ob die Schrift jedes Druckers f ü r ihn charakteristisch sei, wird dadurch in gleicher Weise verneint; mag Wolf, oder mag Trechsel die Schriften abgesetzt haben. — Eine Vereinigung von Druckerei und Schriftgießerei hat ebensowenig etwas Überraschendes, wie die Beobachtung, daß Herstellung bzw. Kauf von Stempel oder Mater natürlicherweise der Inbetriebnahme einer Druckerei vorangehen muß. Die wesentliche Frage ist die, ob es nötig und ob es gebräuchlich war, daß jede einzelne Druckerei sich Stempel, Matern und Schrift selbst schuf. Die Urkunden verneinen diese Frage, und die Tatsache, daß die gleiche Type in der Hand verschiedener Drucker anzutreffen ist, unterstützt die Aussage der Urkunden in dieser Hinsicht entscheidend. Denn es ist nicht m ö g l i c h , daß die gleiche Type zwei-, drei- oder mehrmal völlig übereinstimmend von verschiedenen Druckern selbständig geschaffen wird. Was sagt L.-H. Labande über den Schriftgießer W o l f ? „Quant à Nicolas Wolf, né à Lutter, dans le duché de Brunswick, il fut un des premiers fondeurs de caractères qui se soient consacrés exclusivement à cette industrie: Neumeister, Balsarin, Klein, Trechsel, de Vingle, Dupré, pour ne citer que ceux-là, furent ses clients. Cependant il était en trop bonne situation pour ne pas essayer de monter lui aussi un atelier typographique. Et de fait il s'y décida et ne parut pas avoir à s'en repentir. Son premier livre connu est du 18 novembre 1U98, et dès cette époque ses éditions se succédèrent avec une rapidité de bon augure"11*). U8

) L.-H. L a b a n d e , L'imprimerie en France au XVe siècle (Festschrift zum 5oojährigen Geburtstage von Joh. Gutenberg, hrsg. v. Otto Hartwig, Mainz 1900, S. 365.)

58

Kundenlisten der Schriftgießerei

Der Fall liegt wie beim Lettersnider. — Weil Wolf sich als Drucker genannt hat, kennen wir seine Typen und können diese Typen auch bei anderen, die sich zu erkennen gegeben, verfolgen. Claudin stellte f ü r s Jahr i 4 g 3 den Nicolaus Wolf in den Steuerlisten als „fondeur de lettres" fest. Das ist immerhin zu beachten. Wichtiger bleibt, daß Wolfs Schriften bei anderen Druckern wiederkehren! ,,Nicolas Wolff a fourni des fontes de caractères à Jean Fabri, à Maréchal et Chaussart, à Jean de Vingle, à Claude Gibolet, à Jacques Maillet, à Perrin Le Masson et autres. Il a gravé et fondu ensuite les premiers caractères grecs, qui ont été employés à Lyon. Il ne se révèle comme imprimeur qu'en 1U98, après la mort de Jean Trechsel. Josse Bade, qui avait été correcteur chez ce dernier, passe dans le nouvel atelier"119). Und Jean Fyroben? 120 ) — Er wird in den Bürgerlisten von Lyon 1498 als „fondeur de lettres" genannt; erscheint aber erst i ö o o und i 5 i 9 als Drucker. Jeder rechte Inkunabeldrucker mußte nach Haeblers Grandsätzen doch wohl als Schriftgießer, wenn nicht gar als Schriftstecher beginnen —- immer war es freilich nicht so! — wenn er sich uns als Drucker bekannt machen wollte. „Le nom du fondeur à cette époque demeurait inconnu. Toujours l'imprimeur était le personnage important, ce qui était naturel, attendu que le public n'avait de rapports directs qu'avec ce dernier" 121 ). 119

) A. C l a u d i n , Histoire de l'imprimerie eil France. Paris 1900 ff., 4. Bd. S. 2 45. 120 ) B a u d r i e r , Bibliographie Lyonnaise. 11. Bd. Lyon, Paris 1914,

5. 160—162. m

) Ch. E n s c h e d é , Fonderies de caractères. Haarlem 1908, S. 7.

Schriftbezug nach dem Jahre 1500

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Es bleibt eine sehr seltene Ausnahme, d a ß ein Drucker der Inkunabelzeit seines Schriftgießers namentlich gedenkt 122 ). Die gleiche Type, die zur nämlichen Zeit in der Hand verschiedener Drucker zu finden ist, bleibt eine Erscheinung, über die Haeblers Methode nicht mit leichter Wendung hinwegsehen kann. Denn es war damals jedenfalls nicht m ö g l i c h , zwei oder drei übereinstimmende Stempelreihen f ü r die Matern identischer Typen zu schaffen. Das lehren die Typen selbst.

I m Jahre IÖ2Ö berühmte sich der Antwerpener Drucker Jehan Thibault in seinem lateinischen Neuen Testament, d a ß er die Cursivschrift, mit der das Buch gedruckt ist, selbst geschnitten habe 123 ). — Wenn das Schriftschneiden, von Anfang an, f ü r jeden Drucker ganz selbstverständlich gewesen wäre (und wir haben aus der Inkunabelzeit ausgezeichnete Typen!), so wäre das Hervorheben der eigenen Typenschöpfung, aus der ein handwerklicher oder künstlerischer Stolz spricht, eine Sache, von der eigentlich kein besonderes Rühmen mehr zu machen gewesen. Das konnte eben j e d e r Inkunabeldrucker! — Aber die Zeit der Wiegendrucke liegt fünfundzwanzig Jahre zurück. Vom Jahre IÖ2Ö die Schriftprobe des Johannes Petreius in Nürnberg 124 ), die nicht ganz so reich an Typen ist, wie die ältere des Erhard Ratdolt (i486) 1 2 5 ). 122 ) Lucas Brandis als Schriftgießer i 4 8 o von Bartholomaeus Ghotan in Magdeburg im Missale Magdeburgense genannt; vgl. E. V o u l l i é m e , Die deutschen Drucker. 1922, S. 92. 123 ) Wouter Nijhoff, L'art typographique dans les Pays-Bas pendant les années i 5 o o à i 5 4 o . 2. Bd. La Haye 1926, S. i5, dazu Tafel. 124 ) K. B u r g e r , Eine Schriftprobe vom Jahre i52Ö. Freunden und Gönnern der Bibliothek des Börsenvereins der deutschen Buchhändler gewidmet von K. B(urger). Kantate 1895. 125 ) Monumenta Germaniae et Italiae typographica, hrsg. von der Direktion der Reichsdruckerei. Berlin 1913, Taf. 5.

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Die Urkunden sprechen gegen Haeblers

Im Jahre i 5 i 9 ,

am 8. Mai, berichtet Luther an Spalatin

von der beabsichtigten Lotter

Methode

Niederlassimg des Druckers

Melchior

d. j . in Wittenberg: „Venit Melchior Lotterus instructus

optimis formularum matricibus, a Frobenio acceptis, paratus apud nos officinam excusoriam instituere"126). Diese drei Notizen, ungefähr aus der gleichen Zeit, deuten an, wie die Schriftversorgimg der Druckereien nach der Inkunabelzeit vor sich ging.

Für die Zeit nach i ö o o paßt die

Haeblersche Annahme, die das wirtschaftliche Leben auf eine einheitliche Formel zu zwingen sucht, durchaus nicht. Aber die Bradshaw-Proctor-Haeblersche Annahme, von dem einen stärker, von dem anderen etwas weniger

stark

betont,

daß jeder Drucker sich seine Schrift selbst hergestellt, oder f ü r sich herstellen ließ, so daß seine Type f ü r ihn charakteristisch' war, eine Annahme, die voraussetzt, daß diese charakteristische Type dann auch f ü r ihre Lebensdauer im alleinigen Besitz dieses Druckers verblieb, findet durch die von Haebler gesammelten Urkunden, auch vor dem Jahre iöoo, keine Stütze. Denn die Urkunden bezeugen, daß die Typen von einer Hand in die andere gingen. Und bei namenlosen Drucken, in deren Bestimmung auf Grund der Type gerade der wissenschaftliche Fortschritt der Haeblerschen Methode gesehen werden soll, f ü r die gerade die Type die exakte Entscheidung liefern soll, ist der mögliche Besitzwechsel aus der Type allein niemals zu schließen. Ob der häufige

Besitzwechsel



wie

Haebler

hervorhebt



von

Drucker zu Drucker stattgefunden, oder ob die Type aus einer Schriftgießerei bezogen wurde, ist dabei ziemlich gleichgültig. Es kommt auf den Besitzwechsel an sich an. Soll die Type das charakteristische

Erkennungszeichen

der

einzelnen

Druckerei

sein, so darf sie überhaupt nicht den Besitzer wechseln. 126)

Martin L u t h e r ' s Briefwechsel. Bearbeitet von E. L. Enders. 2. Bd. Calw u. Stuttgart 1887, S. 28.

Die Urkunden sprechen gegen Haeblers Methode

61

Allein schon das urkundlich nachgewiesene häufige Wandern der Type schränkt den wissenschaftlichen Wert der Haeblerschen Methode in erheblicher Weise ein. Diese Methode, die mit dem Anspruch einer wissenschaftlichen Großtat aufgetreten, ist doch nur eine theoretische Konstruktion, die über wirtschaftliche Möglichkeiten und wirtschaftlichen Zwang hinwegsieht; diese Methode hat von den Urkunden, in der Freude an dem sieghaften Gedanken, der ihrer Konstruktion allein die Stütze ist, keine Notiz genommen — bis es zu spät war. Wer am Schreibtisch diese Zauberformel ersonnen, wer diese Formel seinem Katalog zu Grunde gelegt, wer mit dieser Formel, wie er meint, eine exakte wissenschaftliche Methode aufgebaut, die das Geheimnis der Inkunabeln entschleiert — hat das wirtschaftliche Leben nicht gekannt.

WAS S A G E N D I E

TYPEN

„Die wichtigste Eigentümlichkeit der Wiegendrucke, und diejenige, die für die Inkunabelforschung von der größten Bedeutung ist, ist die Gestalt der Typen." K. Haebler.

W a s sagen die Typen selbst zur Frage der gewerbsmäßigen Herstellung der Schrift? — Ich verstehe unter „Type", entsprechend dem in der Inkunäbelforschung herrschenden Gebrauch, die ganze Reihe von Schriftzeichen: Majuskeln und Minuskeln, Abbreviaturen und Ligaturen, nebst Interpunktionsund Zahlzeichen, sowie Rubrum und Divis, wie sie ein Drucker in einer Schrift verwandte. Diese Summe der Schriftzeichen, das vollständige Buchstabenbild einer Kegelhöhe, wie es f ü r den Satz benutzt wurde, stellt e i n e „Type" dar. Die gotische Schrift besitzt charakteristischere Formen, als die Antiquaschrift; därum gibt sie auch deutlichere Auskunft. Abbildungen der Folge der einzelnen Schriftzeichen einer Type sind vielfach auf dem Wege des Durchpausens hergestellt. Das ist ein nützliches, aber keineswegs durchaus sicheres Verfahren, um das Bild jedes einzelnen Buchstabens wiederzugeben. Die Fehler des Durchzeichners werden bei verhältnismäßig großen Schriftgraden geringer sein, als bei Typen auf kleinem und kleinstem Schriftkegel. Selbstverständlich ist auch die Arbeit des Schriftstechers hinsichtlich der Gleichförmigkeit der Buchstaben, oder der Wiederholung der bei mehreren Buchstaben wiederkehrenden Formen, bei größerem Schriftbilde eine wesentlich leichtere, als die erwünschte Gleichförmigkeit der Schriftzeichnung bei Buchstaben von kleinerem Schriftbilde. In der Inkunabelzeit sind die Minuskeln reich an Abbreviaturen. Und wenn die Minuskel keine Ober- oder Unterlänge hat, ist das Streben des Schriftschneiders offenbar, diese Buchstaben, z. B. das a, das e, das o in genau der gleichen Form

Nicht eine Letter ist im Stempel gleichförmig zu wiederholen

63

f ü r die Abbreviatur zu wiederholen; d. h. der Schriftschneider sucht der Abbreviatur, z. B. dem ä, dem e, dem ö, hinsichtlich der Form des eigentlichen Buchstabens, genau die gleiche Gestalt, wie dem a, dem e, dem o zu geben. Da diese Buchstaben keine Oberlängen haben, bietet das Maß des Schriftkegels den nötigen Raum zur Zeichnung des über den Buchstaben gelegten Abbreviatur-Striches. Der Schriftstecher richtete sich nach dem Vorbilde guter und lesbarer Handschriften, f ü r die der Druck ein Massenersatz sein sollte. Schon um mit seinen Buchstaben ohne weiteres verständlich zu sein, sann der Schriftstecher nicht auf neue, hinsichtlich der Größe und Zeichnung abweichende Formen f ü r die Abbreviaturen. Die gotischen Minuskeln: a, e, o haben innerhalb des Schriftbildes leere Räume, sozusagen Öhre oder Ösen, die sich bei den entsprechenden Abbreviaturen nach der Absicht des Schriftstechers in gleicher Größe und Form wiederholen sollten. Aber die technische Fähigkeit des Schriftschneiders reichte, selbst bei Typen größeren Grades, nicht aus, die Form des a, des e, des o zweimal völlig übereinstimmend im Stempel zu schneiden, daß die Abbreviaturen: ä, c, ö hinsichtlich des Schriftbildes f ü r die Buchstaben selbst, mit der Zeichnung der einfachen Buchstaben übereinkamen. Das ist bemerkenswert127). Diese Beobachtung ist nicht vereinzelt zu machen. Sie läßt sich nicht etwa durch die Annahme erklären: der Besitzer 127

) Dafür mit dem Vorbehalt, der gegenüber durchgezeichneten Alphabeten nötig ist, ein paar Beispiele, die sich leicht vermehren lassen, aus den: V e r ö f f e n t l i c h u n g e n der G e s e l l s c h a f t für T y p e n k u n d e des i 5 . Jahrhunderts (GfT.), 1 9 0 7 f f . — Es wäre wohl besser gewesen, sich statt des Durchpausens eines photographischen Verfahrens zu bedienen, das Wilhelm M o l s d o r f , Die Photographie im Dienste der Bibliographie, mit besonderer Berücksichtigung älterer Drucke (Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, 1 1 . Heft = Beiträge z. Kenntnis des Schrift-, Buch- und Bibliothekswesens, Heft Leipzig 1 8 9 8 ,

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Niciht eine Letter ist im Stempel gleichförmig zu wiederholen

der S c h r i f t habe sich die Abbreviaturen v o n e i n e m f r e m d e n Schriftstecher, d e r sich in die F o r m e n s p r a c h e des übrigen, von i h m n i c h t geschaffenen Alphabetes, nicht völlig eingelebt, n a c h träglich s c h a f f e n lassen u n d bei dieser späteren Arbeit sei dann eben die Ü b e r e i n s t i m m u n g der B u c h s t a b e n f o r m e n nicht ganz erreicht w o r d e n . — E i n e m solchen E r k l ä r u n g s v e r s u c h e steht entgegen, d a ß es sich u m eine d u r c h g e h e n d e E r s c h e i n u n g handelt, u n d d a ß die Abbreviaturen: 5, c, ö wesentliche B e S. 8 3 — 8 9 ) empfiehlt. — Die folgenden Beispiele, die auf die Originaldrucke hinlenken sollen, beziehen sich nur auf Typen mit verhältnismäßig großem Schriftkegel. GfT., Tafel 5 i o , Leipzig: Konrad Kachelofen [ 1 4 8 5 — I 5 I 6 ] , Type i x , 5 Zeilen 85 mm. GfT., Tafel 438, Straßburg: Martin Schott [ 1 4 8 1 — 1 4 9 8 ] , Type 6, 5 Zeilen 72 mm. GfT., Tafel 5 i 2 , Leipzig: Moritz Brandis [ 1 4 8 8 — 1 4 8 9 ] , Type 1, 5 Zeilen 66 mm. GfT., Tafel 982, Basel: Michael Wenßler [ 1 4 7 2 — 1 4 9 1 ] , Type i 5 , 10 Zeilen u 5 m m . GfT., Tafel 498, Basel: Johann Bergmann v. Olpe [ i 4 9 4 — c a . i 5 o o ] , Type 4. 10 Zeilen ca. i o 5 m m . GfT., Tafel 718, Passau: Johann Petri [ i 4 8 5 — i 4 9 3 ] , Type 6, 10 Zeilen 9 3 mm. GfT., Tafe: 1023, Basel: Michael Furter [ 1 4 8 9 — 1 5 1 7 ] , Type 3, 10 Zeilen ca. 9 0 mm. GfT., Tafe 1072, Basel: Drucker des Modus legendi abbreviaturas [ i 4 8 4 ] , Type 1, 10 Zeilen 90 mm. GfT., Tafe 904, Basel: Peter Kollicker [ i 4 8 3 — 1 4 8 5 ] , Type 6, 10 Zeilen ca. 9 0 mm. GfT., Tafe 5q5, Augsburg: Johann Schönsperger [ I 4 8 I — 1 5 . . ] , Type 10, 10 Zeilen ca. 9 0 mm. GfT., Tafel 629, Erfurt: Drucker des Hundorn [ i 4 g 4 ] , Type 1, 10 Zeilen 87 mm. GfT., Tafel 632, Heidelberg: Drucker des Lindelbach [1485—1489], Type x, 10 Zeilen 8 5 mm. GfT., Tafel 1018, Basel: Lienhart Ysenhut [ 1 4 8 9 ? — 1 5 . . ] , Type 2, 10 Zeilen 82 mm.

Nicht eine Letter ist im Stempel gleichförmig zu wiederholen

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standteile des Minuskel-Alphabets darstellen, ohne die für jeden Inkunabeldrucker die Type unvollständig sein würde128). Die Tätigkeit des Schriftzeichners oder des Holzschneiders, der, gegenüber dem Letterschneider, in einem sehr viel bequemer zu bearbeitenden Materiale und zumeist Buchstaben von größeren Abmessungen herstellte, läßt sich nicht ohne weiteres mit der Tätigkeit des Stempelschneiders, der die Patrize in Stahl gräbt, vergleichen. Doch auch beim Holzschneider unterscheidet sich, bei seiner freilich eilfertigeren Arbeit, die Wiederholung des gleichen Buchstabens in der Zeichnung des Schriftbildes vom ersten. Aber, auf den Typenschneider und wieder auf die gotischen Minuskeln: a, e, o und ihre Abbreviaturen: 5, c, 5 zurückzuGfT., Tafel 847, Straßburg: Georg Husner [ i 4 7 3 — i 5 o 5 ] , Type 1, 10 Zeilen 80 mm. GfT., Tafel 911, Erfurt: Paul Wider [ 1 4 8 2 ] , Type 1, 10 Zeil. 75 mm. GfT., Tafel 777, Lübeck: Johann Snell [ i 4 8 o — i 5 i 8 ] , Type 2, 10 Zeilen 74 mm. GfT., Tafel 521, Leipzig: Gregor Boettiger [1/192—1^97], Type 2, 10 Zeilen 70 mm. GfT., Tafel 658, Rostock: Fratres domus horti viridis [ 1 ^ 7 6 — i 5 o o ] , Type 6, 10 Zeilen 70 mm. GfT., Tafel 576, Augsburg: Johann Bämler [ 1 4 7 2 — i 4 g 5 ] , Type 2, 20 Zeilen I36/I3J mm. GfT., Tafel g41, Nürnberg: Hieronymus Hoeltzel [ i 5 o o — 1 0 2 5 ] , Type 2, 10 Zeilen 65 mm. GfT., Tafel i o 3 4 , Basel: Johann Froben [ i 4 g i — 1 5 2 7 ] , Type 5, xo Zeilen ca. 65 mm. GfT., Tafel 655, Nürnberg: Peter Wagner [ i 4 8 3 — i 5 o o ] , Type 7, 10 Zeilen ca. 60 mm. Und so weiter. 128 ) Johann Gottlob Imman. B r e i t k o p f , Über Bibliographie und Bibliophilie. Leipzig 1798, S. 2 3, spricht von der „Verbindung der Vocalen mit den Consonanten in einer Figur" — das sind Abbreviaturen — und hebt hervor, daß „nothwendig fast alle Buchstaben, mehr als einmal, oder noch öfter geschnitten werden, und dadurch einander nothwendig etwas unähnlich werden mußten."

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Der Gebrauch der Kontrapunze ist noch unbekannt

kommen! — So viel ich sehe, hat der Schriftstecher der Inkunabelzeit von der Punze, bzw. Kontrapunze noch keinen Gebrauch gemacht. „ D i e ß recht zu verstehen, muß man wissen, daß schlechte Schriftschneider, welche die Kunst nicht gehörig verstehen, dem Stahle die nöthige Weiche und Härte zu geben, ihre Stempel inwendig in den Holungen des Buchstabens blos mit dem Grabstichel ausarbeiten, dadurch aber der Buchstabe die Rundung und den inwendig glatten Abhang verliert. Der seine Kunst verstehende Stempelschneider hingegen macht einen Gegenstempel, der genau die Hölungen des inwendigen Buchstabens füllt, senkt diesen auf einmal in seinen Stempel ein, und arbeitet das Auswendige mit der Feile vollends weg. O f t ist noch ein zweiter Gegenstempel nöthig, der an dem Orte in den ersten Gegenstempel eingesenkt wird, wo in dem Hauptstempel etwas stehen bleiben soll, wie die Punkte in der Mitte der hebräischen Buchstaben." Soweit Breitkopf 129 ). Der Gegenstempel, der zur Unterstützung f ü r die Herstellung des eigentlichen Stempels, z. B. f ü r den Stempel vom a und ä, vom c und c, vom o und ö, zuerst geschnitten wird, und die Zeichnung der Öhre dieser Buchstaben enthält, „der genau die Hölungen des inwendigen Buchstabens füllt", ist natürlich fürs a derselbe, wie fürs ä usw. Wird mit dem Gegenstempel gearbeitet, und wird der Gegenstempel kunstgerecht, genau senkrecht in den Stempel eingedrückt — das ist nötig — so haben die inwendigen Höhlungen, die Ösen im a und 5 usw. die gleiche Kontur und die gleiche Größe; denn derselbe Gegenstempel dient sowohl fürs a wie fürs ä. Die gleichmäßige und mechanische Festlegung der inneren Linie des Buchstabenbildes 129) J. G. I. B r e i t k o p f , Nachricht von der Stempelschneiderey und Schriftgießerey. Zur Erläuterung der Enschedischen Schriftprobe. Leipzig 1777, S . 8 f . — Neu herausgegeben von Wilhelm Hitzig u. Heinrich Schwarz. Berlin 1925 ( 1 1 . Bertholddruck).

Der Gebrauch der Kontrapunze ist noch unbekannt

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ist aber ein ganz außerordentlicher Gewinn, eine wesentliche Unterstützung, um auch f ü r die äußere Linie des Buchstabens Übereinstimmung zu gewinnen. Arbeitet der Schriftstecher nicht mit dem Gegenstempel, sondern vertieft er nur mit dem Grabstichel die Stellen seines Stempels, die den Höhlungen, den Öhren des Buchstabens entsprechen — ein Verfahren, das nach Breitkopfs Zeugnis von weniger geübten Schriftschneidern auch noch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts geübt wurde! — so ist er allein auf sein Auge und seine sichere Hand angewiesen, daß die sich entsprechenden Ösen in den Buchstaben möglichste Übereinstimmung erhalten. In der Inkunabelzeit waren diese Ösen n i c h t übereinstimmend, weil man damals noch nicht mit Gegenstempeln arbeitete. Das ist auch einigermaßen erklärlich. — Wird mit dem Gegenstempel gearbeitet, und so das Buchstabenbild von innen heraus, im eigentlichen Stempel (von dem die Mater abgeschlagen wurde) entwickelt, so besteht die Gefahr, daß dieser Stempel, beim Einsenken des Gegenstempels, nach den Seiten auseinanderbirst. Es gehört eine „vorzügliche Kunst" dazu, die immerhin seltener anzutreffen ist, dem Stahl des Stempels die nötige Weiche, dem Stahl des Gegenstempels die erforderliche Härte zu geben, sonst kam es dazu, daß der Stahl des Stempels ,,auf den Seiten auswich und borst, wie gemeiniglich zu geschehen pflegt, wenn man Punzen in schlecht erweichten Stahl einsenkt" 130 ). Johann Michael Fleischmann ( 1 7 0 1 — 1 7 6 8 ) , der bekannte und bedeutende Schriftstecher, der besonders in Holland gearbeitet, hatte z. B. an den Lettern Christoph van Dyks, der vor ihm im siebzehnten Jahrhundert in den Niederlanden gelebt, 139

) B r e i t k o p f , a. a. 0., S.

9.

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Übereinstimmende Typen stammen von einem Stempel

eine sachverständige Freude; er hatte f ü r van Dyks Lettern „eine besondere Hochachtung", weil diese Schriften, ebenso wie Fleischmanns eigene, „meist durch Contrapunzen gemacht sind" 131 ). — Der Gebrauch des Gegenstempels war auch nach der Inkunabelzeit nicht ganz allgemein.

Z u r Inkunabelzeit wollte es dem Stecher einer Type, oder sage ich vorsichtig: wollte es einer überaus großen Zahl von Schriftstechern noch nicht gelingen, innerhalb ihrer eigenen Type eine Buchstabenform gleichmäßig zu wiederholen 132 ). Es war dann aber erst recht unmöglich, daß zwei Drucker — die sich angeblich ihre Typen selbst schufen — die ganze Reihe des Alphabets, die Majuskeln, die Minuskeln, die zahlreichen Abbreviaturen und Ligaturen, jeder f ü r sich, der eine nach dem Vorbilde des anderen, Buchstaben f ü r Buchstaben, d. h. etwa hundertfünfzig bis zweihundert Schriftzeichen, die zu einer Type gehören, in den Formen ü b e r e i n s t i m m e n d schufen. 1S1 ) Christoph Gottlieb von M u r r , Journal zur Kunstgeschichte u. zur allgemeinen Litteratur, 3. Th., Nürnberg 1 7 7 6 , S. 20. 132 ) Auf die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der gleichmäßigen Wiederholung einer Form weist H a e b 1 e r in anderem Zusammenhange, bei den Wasserzeichen, selbst hin: „Wenn man bedenkt, daß das Wasserzeichen entsteht als Abdruck einer Drahtfigur, die auf dem Netzwerk des Schöpfrahmens befestigt ist, so ergibt sich ohne weiteres, daß eine absolute Gleichheit der Marke einer bestimmten Fabrik ein Ding der Unmöglichkeit war, denn jede leistungsfähige Fabrik mußte doch mit einer großen Anzahl von Schöpfrahmen arbeiten, und die größte Sorgfalt wäre außerstande gewesen, zu verhindern, daß die einzeln mit der Hand aus einem so spröden Material, wie es der Metalldraht bietet, herzustellenden Figuren in Kleinigkeiten von einander abwichen." ( H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. 38.)

Übereinstimmende Typen: nur e i n Drucker hat den Stempel geschaffen

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Übereinstimmung, Identität, ist natürlich etwas anderes als Ähnlichkeit des Schriftcharakters, die durch Nachschnitt erreicht werden kann. Es folgt daraus: Stimmen zwei Typen bei verschiedenepti Druckern überein, so muß angenommen werden, daß der zweite und alle anderen Drucker, die sich der Type bedienten, diese Type n i c h t selbst geschaffen haben. Nun ist die Übereinstimmung von Typen in der Hand verschiedener Drucker keineswegs selten. Ein Drucker kann vom anderen die Type entliehen, kann von seinem Vorgänger den ganzen Druckapparat übernommen haben, er kann auch gleichzeitig mit dem anderen dieselbe Type benutzt haben. Wenn sein Druck nicht datiert und unterzeichnet ist, wenn also ein Fall vorliegt, wo das Typenrepertorium uns den nichtgenannten Drucker auf Grund der ihm angeblich eigentümlichen Type nennen will, fehlt die Sicherheit der Entscheidung auf Grund der Type, die eben nicht für den einzelnen Drucker individuell und charakteristisch ist. Wir können einzelne Typen übereinstimmend bei verschiedenen Druckern nachweisen, weil sich diese verschiedenen Drucker mit Namen genannt haben. Wir haben aber nicht die Gewißheit, daß sich a l l e Drucker, die von der Type Gebrauch gemacht haben, genannt haben! Ebensowenig, wie wir auch nur annähernd alle Drucke der Inkunabelzeit kennen, ebensowenig kennen wir natürlich sämtliche Druckwerkstätten 133 ). 133 ) Vgl. Einblattdrucke des i 5 . Jahrhunderts. Ein bibliographisches Verzeichnis, hrsg. von der Kommission f ü r den Gesamtkatalog der Wiegendrucke. Halle a. S. 1 9 1 4 = Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, 35./36. Heft. — Eine Zusammenzählung, wie wenige Einblattdrucke z: B. aus Italien bisher bekannt geworden sind — obwohl Italien wirtschaftlich weiter, als alle anderen Länder entwickelt war — dürfte zu dem Schluß führen, daß uns eine Unsumme typographischer Leistungen verloren gegangen oder noch unbekannt ist.

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Übereinstimmende Typen bei verschiedenen Druckern

Der namenlose Druck wird auf Grund der Type einer Offizin zugesprochen, die a u c h diese Type benutzt hat. Daß sich verschiedene Drucker, deren Namen wir kennen, und sicher noch mehr Drucker, die wir als Persönlichkeiten nicht erfassen können, übereinstimmender Typen bedient haben, ist, wie gesagt, nicht so selten. Ich darf auf die Untersuchungsergebnisse eines so feinen Typenkenners, wie Ernst Voullieme es ist, Bezug nehmen und gebe ein paar Notizen von Voullieme zu etlichen Typen. Peter Kollicker in Basel; Type 7. Voullieme sagt: ,,Auszeichnungstype, die nicht nur bei verschiedenen Baseler, sondern auch auswärtigen Druckern (Ulm: Johann Zainer, Memmingen: Albr. Kunne) sich findet." (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des 15. Jahrhunderts 1907 f f . = GfT., Tafel 1071). Peter Kollicker in Basel; Type 2: ,,Größere Missaltype von ungewöhnlichen Formen, die anscheinend ebenso bei Michael Reyser und Ant. Koberger vorkommt." (GfT., Tafel 899). Peter Kollicker in Basel; Type 3: „Kleinere Missaltype, gleichfalls eigenartig, scheint dieselbe Wanderung gemacht zu haben, wie die größere [d.h. Type 2J." (GfT., Tafel900). Johann Amerbach in Basel; Type 6: ,,Große Texttype, die in Basel und Nürnberg mehrfach, auch als Auszeichnungsschrift verwendet, vorkommt." (GfT., Tafel 88U). Johann Amerbach in Basel; Type 11: ,,Oberdeutsche Texttype, die bei einer ganzen Reihe von Druckern vollkommen gleichartig verwendet wird, so daß sich außer geringin den Maßen Unterscheidungsmerkmale fügigen Differenzen kaum feststellen lassen." (GfT., Tafel 887). Cornelis van Zyrickzee in Köln; Type 1: „Reichverzierte Auszeichnungsschrift, die bei verschiedenen ita-

Übereinstimmende Typen bei verschiedenen Druckern

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lienischen und mehreren deutschen Druckern vorkommt." (GfT., Tafel 425). Cornelis van Z y r ickzee in Köln; Type 3: „In Italien weit verbreitete Text- und Auszeichnungsschrift, die in Deutschland nur hier Verwendung gefunden hat." (GfT., Tafel U27). Heinrich Gran in Hagenau; Type 3: „Ziemlich verbreitete deutsche Texttype, vgl. Heidelberg Tafel 1093." (GfT., Tafel 1086). Hieronymus Hoeltzel in Nürnberg; Type 5: „Kleine Texttype, die außer bei einigen deutschen Druckern, besonders auch in Paris in größerem Umfange verwendet ist." (GfT., Tafel 962). Martin Schott in Straßburg; Type 6: „Die Kanontype der Straßburger Missalien scheint bei einer ganzen Anzahl Ober- und niederrheinischer Drucker mit kaum bemerkbaren Unterschieden Verwendung gefunden zu haben." (GfT., Tafel U31). Bei diesen Notizen, die sich ohnei Mühe erheblich vermehren lassen, handelt es sich um identische Typen, die bei einer ganzen Reihe von Druckern übereinstimmend, ohne wahrnehmbare Unterscheidungen, Verwendung gefunden haben. Ob wir a l l e Drucker, die sich dieser Typen bedient haben, mit Namen kennen, steht dahin. — Die identische Type in der Hand verschiedener Drucker geht auf ein und denselben Stempel zurück. Welcher Schluß ist daraus zu ziehen? Gerade die intensive Arbeit der letzten zwanzig Jahre, wie sie z. B. in den dankenswerten Veröffentlichungen der Gesellschaft f ü r Typenkunde des i 5 . Jahrhunderts niedergelegt ist, bringt immer wieder den Nachweis — es ist ganz gleichgültig, welcher Forscher sich mit den Typen befaßt hat — daß

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Die gleiche Type bei verschiedenen Druckern spricht gegen Haebler

eine n i c h t durch Abweichungen und besondere Kennzeichen zu unterscheidende Type von mehr als einem Drucker gebraucht wurde. Was in den letzten zwanzig Jahren an vergleichenden Beobachtungen zutage gefördert ist, steht einigermaßen im Widerspruch zu der Bradshaw-Proctor-Haeblerschen Theorie. Die Methode f u ß t e ursprünglich wohl auf zu geringen Unterlagen und hat, bevor eine umfassende P r ü f u n g stattgefunden, ihre Gesetze fixiert, nach denen sich angeblich die alten Inkunabeldrucker gerichtet haben. Nicht jeder Drucker hat sich die Stempel f ü r seine Typen geschaffen. Darum ist auch die Type nicht ohne weiteres charakteristisch f ü r einen bestimmten Drucker. Es handelt sich bei den herausgehobenen Beispielen um i d e n t i s c h e Typen in der Hand verschiedener Drucker, die sich dieser Typen gleichzeitig oder nacheinander bedient haben. Wären bei diesen Typen unterscheidende Kennzeichen wahrnehmbar — einem so geübten Auge, wie es Voullieme f ü r die Typen hat, wären differenzierende Charakteristika nicht entgangen. Gerade auf A b w e i c h u n g e n im Schriftbilde hat Voullieme seine Aufmerksamkeit gerichtet. Auch d a f ü r ein paar Beispiele. Sie lassen erkennen, daß Voullieme sehr fein und genau zu unterscheiden weiß, zwischen übereinstimmenden Typen und fast übereinstimmenden Typen, bei denen er die angeblich f ü r den Drucker bezeichnenden Merkmale hervorhebt. Günther Zainer in Augsburg; Type 2. Voullieme notiert: ,,Charakteristische fette oberdeutsche Texttype, die von mehreren Druckern so verwendet ist, daß nur gewisse eingesprengte Zutaten annähernd eine Trennung dessen ermöglichen, was dem Einzelnen zugehört." (GfT., Tafel 458). Bernhard Richel in Basel; Type 7: „Texttype von charakteristischen Formen, die fast nur von Baseler Druckern gebraucht worden ist, bei denen sie sich nur durch die geringen

Fast übereinstimmende Typen: angebliche Merkmale

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Größenunterschiede und die Formen des Divis unterscheidet." (GfT., Tafel 700). Bernhard Richel in Basel; Type 6 (deutsch): ,,Deutsche Texttype, die in derselben Größe und ohne formelle Unterschiede bei mehreren Baseler Druckern vorkommt. Für Richel charakteristisch ist ein (aus Type 7) eingesprengtes Mm." (GfT., Tafel 698). Friedrich Creußner in Nürnberg; Type U: ,,Mitteldeutsche Texttype von weiter Verbreitung, die bei Creußner zuerst nur mit dem ihm eigentümlichen runden (B, später dagegen auch mit dem £ mit Mittelpfahl verwendet wird." (GfT., Tafel 649). Martin Schott in Straßburg; Type 7: „Die größere Missaltype mit Fiederung fast bei allen Majuskeln ist in Straßburg und anderwärts (Speyer, Basel, Köln) weit verbreitet; eigenartig bei Schott ist wohl nur das ungefiederte 93". (GfT., Tafel U39). Von der kritischen Bedeutung gewisser eingesprengter Zutaten, geringer Größenunterschiede und abweichender Formen des Divis, von einzelnen Buchstaben, die aus einer anderen Type stammen oder im Laufe der Zeit ein anderes Schriftbild zeigen — später.

D i e ursprüngliche Idee, die dem Typenrepertorium zugrunde liegt: jeder Drucker habe sich seine Type selbst geschaffen, hat Haebler z. T. fallen gelassen; sie wenigstens eingeschränkt. Bei übereinstimmenden Typen haben sich, nach Haeblers Annahme, nicht zwei oder noch mehr Drucker diese Typen selbst geschnitten, sondern jeder, der die Type benutzte, habe

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Der Drucker bereichert übernommene Typen angeblich durch Zutaten

zu der Type — wie sie in seine Hand gekommen, wo der Stempel nur einmal vorhanden ist, bleibt eine Frage f ü r sich — n u r einige f ü r ihn charakteristische Zutaten getan; z.B. einem Buchstaben eine neue Zeichnung gegeben, ein anderes Divis oder Rubrikzeichen genommen; u m durch diese Abweichungen sich von den anderen Benutzern der sonst gleichen Type zu unterscheiden und die Type eben durch diese Veränderungen f ü r sich charakteristisch zu machen. Also hätte der Drucker aus der Reihe der Stahlstempel, die zu einer Type gehören, den einen oder anderen Stempel, deren jeder einen Wert darstellt, verworfen und sich die Mühe gemacht, d a f ü r neue Stempel zu schneiden, die vielfach zum Schriftbilde der übrigen Buchstaben nicht paßten — u m in seiner Type etwas besonderes zu haben! Diese Annahme ist nicht besonders überzeugend. Sie ist auch nicht richtig. Es haben durchaus nicht a l l e Drucker an den Typen, die sie in die Hand bekamen, Änderungen vorgenommen. Ihnen mußten ja auch die Proctor-Haeblerschen Grundsätze, wie sie ihre Typen charakteristisch gestalten und sich selber kenntlich machen sollten, unbekannt bleiben. Ein Drucker, der sich von einem anderen fertige Schriften lieh — eine Tatsache, die urkundlich belegt ist und nicht n u r einmal vorgekommen ist — wollte die geliehene Schrift gebrauchen; er hatte kein Interesse daran, zu dieser fertigen Schrift noch einen einzelnen neuen Stempel zu schneiden; das konnten auch längst nicht alle Drucker, wie urkundlich feststeht! Lag denn bei den Druckern, die angeblich eine Kleinigkeit an einer übernommenen Type änderten, überhaupt die Absicht vor, sich durch eine deratige Variante kenntlich zu machen, über die n u r das f ü r die Type besonders geschulte Auge nicht hinwegsieht? Ein Holzschnitt wäre augenfälliger gewesen —

Sucht sich der Drucker durch Varianten kenntlich zu machen

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n u r wanderten die Holzschnitte von Hand zu Hand. Initialen, die den Druck zierten, wären sinnfälliger gewesen. Aber es ist „durch eine Fülle von Beispielen belegt, daß Initialen und andere dem Buchschmuck dienende Accessoria sich in den Erzeugnissen von mehr als einer Druckerei völlig übereinstimmend vorfinden" 1 3 4 ). Eine Druckermarke könnte jeden Zweifel über die Herkunft des Druckes beseitigen. Und wenn die Drucker gekannt sein wollten, wäre es da nicht am einfachsten gewesen, sie hätten sich namentlich genannt? Bei sehr zahlreichen Drucken, die ohne Angabe des Typographen ans Licht traten, handelt es sich u m die auftragsmäßige Erledigung von Werkdrucken, bei denen der Druckername damals keine Rolle spielte. Bei sehr vielen anderen Drucken, die über die Herkunft keine deutliche Auskunft geben, war es zum mindesten vorsichtig und f ü r den Drucker vorteilhaft, wenn seine Persönlichkeit nicht durch versteckte Künste verraten wurde. Bereits im Jahre ik r } r ] haben wir den ersten Zensurprozeß in Köln gehabt 135 ). Wenn ein Drucker es gut fand, seinen Namen nicht zu nennen, wird er schwerlich darauf bedacht gewesen sein, durch Besonderheiten, mit denen er eine sonst unverändert im ganzen übernommene Type versehen, auf sich hinzuweisen. Die Absicht, eine übernommene Type individuell und charakteristisch umzugestalten, hat nicht überall bestanden. W i r haben reihenweise Typen, die ohne erkennbare Abweichungen 131

) H a e b l e r , Typenrepertorium, i. Bd. Halle a. S. igo5, S. XIII. ) Otto Z a r e t z k y , Der erste Kölner Zensurprozeß. Köln 1906 (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek in Köln, Beiheft 6.) — Vom Jahre i 4 8 6 eine Zensurverordnung des Erzbischofs Berthold von Mainz für die Frankfurter Messe (Albrecht K i r c h h o f f , Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, 1. Bd. Leipzig i 8 5 i , S. 26). — Zensur der Universität in den siebziger und achtziger Jahren des i5. Jahrhunderts ( K i r c h h o f f , a.a.O., 1. Bd. S. 4a—45). 135

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Übereinstimmende Typen bei verschiedenen Druckern

von verschiedenen Druckern benutzt wurden. Dafür habe ich schon einige Beispiele gegeben, und Haebler selbst kann das noch überzeugender sagen. Haebler sagt z. B. von der Druckerei des Cistercienser-Klosters in Zinna: ,,Der Druck des Klosters Zinna verdankt seine Berühmtheit dem reichen Holzschnittschmuck. Der Drucker steht unzweifelhaft in enger Beziehung zu der Offizin des Konrad Kachelofen, denn die Typen sind identisch mit Kachelofens Typen 2 und U." (GfT., Tafel 535). Melchior Lotter in Leipzig: ,,druckt durchgängig mit Typen seines Schwiegervaters Konrad Kachelofen." (GfT., Tafel 6ü0, auch Tafel 523—525, 639). Johann Rosenhach in Barcelona; Type 9: ,,Auszeichnungsschrift in Valencianer Stil, wohl identisch mit der, die Peter Hagenbach in Valencia und in Toledo benutzt hat." (GfT., Tafel 665). Moritz Brandis in Leipzig; Type 2: „Auszeichnungsschrift des Moritz Brandis, die er von Marcus Brandis übernommen hat." (GfT., Tafel 513). Moritz Brandis in Magdeburg; Type 12: „Kleine Texttype wohl identisch mit Type U des Lucas Brandis in Lübeck (Tafel 770), von der sie sogar das verstümmelte U übernommen hat. Nur der Kegel scheint um eine Kleinigkeit geringer zu sein." (GfT., Tafel 926). Marcus Brandis in Leipzig; Type 2: „NorddeutscheAuszeichnungsschrift, die von verschiedenen Vertretern der Brandis'sehen Schule in Leipzig und Magdeburg verwendet worden ist. In den liturgischen Drucken werden dieselben Majuskeln mit Gemeinbuchstaben von zweifacher Größe verwendet." (GfT., Tafel 5oi). Arnold von Cöln in Leipzig; Type 1: „Die weitverbreitete Texttype des Arnold von Cöln weist als charakteristi-

Übereinstimmende Typen bei verschiedenen Druckern

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sches Merkmal nur das einfache, ungefiederte £ auf. Sie dient unverändert später dem Wolf gang Stockei, der offenbar die Offizin des Arnold von Cöln fortsetzt, da er auch dessen Auszeichnungsschrift und sonstige Druckmaterialien übernimmt." (GfT., Tafel 520). Die urkundlichen Zeugnisse der Inkunabelzeit sind ja keineswegs erschöpfend. W i r schließen aus der Verwendung identischer Typen, die ohne unterscheidende Charakteristika von verschiedenen Druckern gebraucht sind, auf eine Geschäftsübernahme oder den Erwerb des Druckapparates durch einen zweiten Drucker, weil sich dieser Drucker genannt hat. Aber, wir haben doch nicht Kenntnis von allen derartigen Geschäftsveränderungen; denn der zweite Drucker hat sich nicht immer genannt. Oder, erscheint eine weitverbreitete Type g l e i c h z e i t i g bei verschiedenen Druckern, so ist nicht gut möglich, von einer Geschäftsübernahme zu sprechen. Und nahm ein Drucker, der sich entsprechend der Haeblerschen Methode zum mindesten durch persönliche Zutaten oder Veränderungen an der fremden Type kenntlich machen sollte, diese Veränderungen nicht vor: können wir ihn, in solchen Fällen, in denen die Charakteristika fehlen, auf Grund der Type noch sicher erkennen? Selbst wenn er zwei Typen im Druck verwandt hat ? J e d e r Drucker konnte sich Schriften leihen. Bei den herausgehobenen Beispielen handelt es sich um identische Typen, die sich in der Hand verschiedener Drucker durch keine Varianten unterscheiden. Haebler sagt: Bei weitgehender Übereinstimmung der Formen sei dennoch ,,während der Wiegendruckzeit jeder einzelne Drucker bestrebt gewesen, seinen Typen in irgendwelchen Son-

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Die prinzipielle Verschiedenheit der Typen ist keine Regel

derformen eine gewisse Eigenart zu bewahren" 136 ). — Das ist, wie an Haeblers herausgehobenen Beispielen gezeigt, nicht ganz richtig. Aber Haebler sagt: „Auf der Erkenntnis der prinzipiellen Verschiedenheit aller Frühdruckschriften hat Robert Proctor sein System der exakten Typenbestimmung aufgebaut" 137 ). — Nur wird die prinzipielle Verschiedenheit a l l e r Frühdruckschriften, d. h. die Grundlage der Proctor-Haebler sehen Methode, von Haebler doch nicht mehr als ganz zutreffend angesehen ; denn Haebler selbst beobachtet völlig identische Typen bei verschiedenen Druckern. Und Proctor ging in der Behauptung von der prinzipiellen Verschiedenheit aller Typen nicht so weit, wie Haebler! Die Wanderung der Type von einer Hand in die andere sah Haebler ursprünglich als einen seltenen Ausnahmefall an. Es sei „weit seltener, als man bisher angenommen hat, vorgekommen" — sagte Haebler im Jahre i g o 5 — „ d a ß eine Druckschrift unverändert von einer Hand in die andere übergegangen ist" 138 ). — Nach den Urkunden, die Haebler 1924 veröffentlichte139), lassen sich diese Wanderungen der Typen n i c h t mehr als Ausnahme-Erscheinungen betrachten. Die Typen wechselten durch Kauf und Miete, durch Erbschaft und Konkurse den Besitzer. Aber — sagt Haebler — „in diesen Fällen stellt es sich m e h r f a c h heraus, daß der zweite Besitzer die Schrift nicht völlig unverändert gebraucht, sondern entweder einen Nachguß auf verändertem Kegel oder eine Ergänzung der Schrift durch abweichende neue Formen vorgenommen hat" 140 ). 136

) Haebler, "') H a e b l e r , Haebler, 139 ) Haebler, S.81 —io4. 140 ) Haebler,

Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 85. a.a.O., S. 87. Typenrepertorium, 1. Bd. Halle a. S. 1905, S.XIIf. im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 4i.Jhg. 1924, Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 86.

Die prinzipielle Verschiedenheit der Typen ist keine Regel

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W e n n sich die angeblich gewollte und beabsichtigte Differenzierung der Type beim Besitzwechsel n u r „ m e h r f a c h " herausstellt, so ist die Veränderung der Type, die in andere Hand geht, noch nicht die Regel, wie sie die Methode fordern m u ß , u m aus den Unterscheidungen der Type einen sicheren Schluß zu ziehen. Falls diese Unterscheidungen bei einer Type fehlen, die mehr als einem Drucker diente — und wir haben durchaus nicht die Möglichkeit, aus einem Druckwerk zu schließen, daß die angewandte Type nicht auch noch in zweiter und dritter Hand gewesen — so m u ß die Sicherheit der Bestimmung nach der Haeblerschen Methode auf Grund der Typen leiden; denn die prinzipielle Verschiedenheit aller Typen ist der Eckstein, auf dem die Methode aufgebaut ist. Haebler spricht z. B. von einer kleinen Textschrift von internationalem Charakter, die i 4 g 5 bis i ö o o in Paris und Lyon ,,bei verschiedenen Druckern so völlig übereinstimmend" verwandt wurde, „ d a ß man hier, wenn irgendwo, an den Bezug fertig gegossenen Schriftenmateriales aus einer gemeinsamen Quelle denken könnte" 1 "). Aus welchem Grunde m ü ß t e man die gleiche Erscheinung zwanzig Jahre f r ü h e r anders erklären? Weshalb hätte man da, bei völlig übereinstimmenden Typen, nicht in der Schriftgießerei die gemeinsame Bezugsquelle zu sehen?

T r o t z d e m bleibt die Anwendbarkeit der Proctor-Haeblerschen Methode vielleicht teilweise bestehen und verspricht bei namenlosen Drucken doch noch eine wissenschaftlich mögliche Zuweisung, wenn die Type spezielle Charakteristika in der H a e b l e r , a.a.O., S.87.

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Sonderformen in übereinstimmenden Typen: Einsprengungen

Hand des Druckers besitzt. — Freilich: auch eine Type mit eigentümlichen Sonderformen kann gewandert sein. Der Zwang wirtschaftlicher Verhältnisse nimmt auf die persönliche Liebhaberei eines Druckers — wenn es eine solche überhaupt war — keine Rücksicht. Wie sehen die Sonderformen einer Type, die mehreren Druckern diente, aus? Günther Zainer in Augsburg; Type 2. Voullieme notiert: ,,Charakteristische fette oberdeutsche Texttype, die von mehreren Druckern so verwendet ist, daß nur gewisse eingesprengte Zutaten annähernd eine Trennung dessen ermöglichen, was den Einzelnen zugehört." (GfT., Tafel 458). Bernhard Richel in Basel; Type 6 (deutsch). Voullieme notiert: ,,Deutsche Texttype, die in derselben Größe und ohne formelle Unterschiede bei mehreren Baseler Druckern vorkommt. Für Richel charakteristisch ist ein (aus Type 7) eingesprengtes M™." (GfT., Tafel 698). Der eingesprengte Buchstabe, der aus einem anderen Schriftkasten desselben Druckers herrührt, der also durch ein Versehen in die Type gekommen ist, wird nicht von Anfang an im falschen Kasten gelegen haben. Er kann auch wieder ausgemerzt sein, kann möglicherweise noch beim Abdruck vom Korrektor beachtet und bei einem Teile der Auflage ersetzt sein. — Der eingesprengte Buchstabe hat keine große Beweiskraft. Denn: „Natürlich kann jede solche Type in reinem Zustande auch ohne die eingesprengten Formen vorkommen" 148 ). Matthias Moravus in Neapel; Type 5. Haebler notiert: ,,Texttype in oberitalienischem Stile, deren Formen weite Verbreitung gefunden haben. Neben dem Maße ist das Fehlen des Divis für die Type des M. Moravus charakteristisch, doch 142

) H a e b l e r , Typenrepertorium, i. Bd. 1905, S. XVIII.

Sonderformen in übereinstimmenden Typen: Divis

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teilt sie selbst diese Merkmale mit der Type 2 des Jodocus Hohenstein." (GfT., Tafel 75ä). Zur Inkunabelzeit ist die Abtrennung einer Worthälfte am Schlüsse der Zeile durch ein Trennungszeichen vom Wortende, das an den Anfang der nächsten Zeile zu stehen kommt, noch kein buchdruckerisches Gesetz. Zur Füllung der Zeile ist das Divis niemals notwendig gewesen; aber aus Bequemlichkeit in ein und demselben Drucke dann und wann verwandt worden; d. h. eine Zeile endet mit dem Divis, eine andere, bei der der Raum knapp ist, bei Worttrennung ohne Divis. War ein Setzer überhaupt gewohnt, o h n e Divis zu arbeiten, so konnte er seiner Gewohnheit, wenn er wanderte und die Druckerei wechselte, treu bleiben; dann blieben die Trennungsstrichel unbenutzt im Schriftkasten. Das im Druck fehlende Divis ist noch kein zwingender Beweis, daß in der Druckerei selbst das Divis gefehlt, und daß die Drucke dieser Offizin am fehlenden Divis erkannt werden müssen. Ist etwa ein geringer Unterschied im Kegelmaße charakteristisch? Bernhard Riehe l in Basel; Type 7. Voullieme notiert: „Texttype von charakteristischen Formen, die fast nur von Baseler Druckern gebraucht worden ist, bei denen sie sich nur durch die geringen Größenunterschiede und die Formen des Divis unterscheidet." (GfT., Tafel 700). Konrad Kachelofen in Leipzig; Type 12. Haebler notiert: „Mitteldeutsche Texttype von weiter Verbreitung. Die Kachelofensche Type ist nur durch das Maß, das Divis und das Rubrum von den nächstverwandten Arten zu unterscheiden." (GfT., Tafel 511). Zunächst der Unterschied im Maße. — Handelt es sich um geringe Differenzen im Kegelmaße, so könnten die auf die stärkere oder schwächere Feuchtung des Druckpapiers, auf den

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Sonderformen in übereinstimmenden Typen: Kegelmaß

Prozeß des Trocknens, überhaupt auf die unterschiedliche Zusammensetzung und Leimung des Papiers zurückzuführen sein143). Geringfügige Differenzen im Kegelmaße bei sonst übereinstimmenden Typen sind kein sicheres kritisches Unterscheidungsmittel. Handelt es sich um größere Maßdifferenzen bei gleichem Schriftbilde der Buchstaben — die Matern stammen also von den gleichen Stempeln — so ist das Gießinstrument auf andere Kegelhöhen eingestellt, oder ein anderes Gießinstrument genommen, das dem Buchstaben einen im Maße abweichenden Körper gab. — Hinsichtlich des Abstandes des einen Buchstabens vom anderen auf der Zeile, hinsichtlich der „Dickte", hatte und hat der Gießer keine Freiheit. Die Doppelbuchstaben, z. B. f f , ss, st, die auf einem Stempel vereinigt sind, schreiben das Maß f ü r den Buchstabenabstand, schreiben die Dickte der Lettern vor. Für die Kegelhöhe behält aber der Schriftgießer, bzw. der Drucker, der sich seine Schriften selbst herstellt, einige Freiheit. So ist eine g r ö ß e r e Differenz in der Kegelhöhe bei sonst übereinstimmenden Typen allerdings als ein kritisches Unterscheidungsmittel zu werten. Oder auch nicht. Es stammen diese Matern von e i n e m Stempel. Und wenn die im Schriftbilde übereinstimmenden Typen gleichzeitig von mehreren Druckern benutzt wurden, konnte nur e i n e r den Stempel, oder richtiger gesagt: die Reihe von Stempeln, von denen die Matern herrühren, besitzen. Die anderen Benutzer der Type mußten sich besten Falles — d. h. wenn sie die Schriften selbst gössen — mit Matern begnügen; was f ü r den Guß von Schriften auch völlig ausreichte und auch heute noch ausreicht. Und j e d e r Drucker konnte nun die Mater unter das 143) H a e b l e r , Typenrepertorium, i. Bd. i g o ö , S . X I f . , 2. Bd. 1908, S. V I ; ferner: H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig iq2Ö, S. 88.

Die Mater verlangt kein festes Kegelmaß

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Gießinstrument klemmen und das Gießinstrument so verstellen, oder ein Gießinstrument von anderer Kegelhöhe wählen, daß ein abweichender Kegel beim Neuguß der Schrift zustande kam! Es läßt sich zwar nicht von jeder Mater jeder beliebige Kegel gießen; aber die Mater verlangt doch auch kein festes Kegelmaß. Das heißt: die von dem Haeblerschen Typenrepertorium für einen bestimmten Drucker nach Schriftbild und Kegelhöhe festgelegte Type, kann d e r s e l b e Drucker bei identischem Schriftbilde auch auf abweichendem Kegel benutzt haben. Das ist garnicht selten vorgekommen. Und hat dieser Drucker, falls er Matern benutzte, die auch andere Drucker in der Hand hatten, die Freundlichkeit gehabt, uns seinen Namen zu verraten, oder hat er ihn verschwiegen — das Kegelmaß scheidet bei einer Type von weiter Verbreitung als sicheres und kritisches Unterscheidungsmittel aus; denn ein jeder Besitzer einer Mater, die vom gleichen Stempel herrührte, konnte identische Typen von verschiedener Kegelhöhe gießen. Und ist es nötig, daß es sich um eine weitverbreitete Type handelt? — Bei keiner im Schriftbilde identischen Type ist abweichende Kegelhöhe ein sicheres Kriterium; denn von j e d e r Mater, auch wenn sie nicht internationale Verbreitung gefunden, läßt sich Schrift mit verändertem Kegel gießen. Abgesehen vom Kegelmaße unterscheiden sich sonst übereinstimmende und identische Typen auch mitunter, oder sage ich lieber häufig, durch besondere Charakteristika; z. B. durch Abweichungen in der Zeichnung einzelner Schriftzeichen, sei es ein Divis, sei es ein Rubrum oder ein einzelner Buchstabe, der bei einem Drucker anders gestaltet auftritt, als in der sonst völlig übereinstimmenden Type, die mehrere Drucker benutzten. Das ist allerdings, und mit Recht, außerordentlich beachtenswert. Auch nur e i n e abweichende Letter, die nicht als un-

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Jedes neue Schriftzeichen verlangt einen neuen Stempel

achtsame Einsprengung anzusehen ist, ein abweichendes Divis, ein anderes Rubrum 1 4 1 ), oder sonst ein Schriftzeichen sind Merkmale, an denen nicht vorbeigegangen werden darf. Z u jedem neuen Schriftbilde, das uns im Druck überliefertist, gehört f ü r den Guß eine Mater; und die Mater konnte damals nur mit Hilfe des Stempels hergestellt werden. Jedes neue Schriftbild setzt also einen neuen Stempel voraus. Bernhard Richel in Basel hatte in seiner Type 7 ein unterscheidendes Divis, Konrad Kachelofen in Leipzig in seiner Type 1 2 neben einem abweichenden Divis auch ein kennzeichnendes Rubrum. Das haben Voullieme und Haebler mit Recht hervorgehoben. Weitere Beispiele werden die Wichtigkeit dieser feinen Charakteristika deutlicher machen.

Wolf gang Stockei in Leipzig; Type U. Haebler sagt: ,,Kleine deutsche Texttype, die bei vielen Druckern mit den gleichen Formen zur Verwendung gelangt ist. Zur Unterscheiund das bandförmige dung kann höchstens das doppelte Divis Rubrum dienen." (GfT., Tafel 6U3). Martin Schott in Straßburg; Type 7. Voullieme sagt: ,,Die größere Missaltype mit Fiederung fast bei allen Majuskeln ist in Straßburg und anderwärts (Speyer, Basel, Köln) weit verbreitet; eigenartig bei Schott ist wohl nur das ungefiederte 33." (GfT., Tafel 1*39). Friedrich Creußner in Nürnberg; Type U. Voullieme sagt: ,,Mitteldeutsche Texttype von weiter Verbreitung, die bei Creußner zuerst nur mit dem ihm eigentümlichen runden (E, später dagegen auch mit dem £ mit Mittelpfahl verwendet wird(GfT., Tafel 6U9). U4

) H a e b l e r , Typenrepertorium, 1. Bd. igo5, S. XXIV: „In bezug auf die Rubriken darf das vor allem nicht vergessen werden, daß ihrem Fehlen keinerlei Beweiskraft innewohnt, da ihre Anwendung bei den meisten Druckern in hohem Grade von dem Vorbilde ihrer Vorlage bedingt war."

Waren die Sonderformen der Type beabsichtigt

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Dieser Friedrich Creußner besaß also in seiner Type 4 ein ihm eigentümliches rundes (£, das für seine Type — nach Voullieme — als charakteristisches Kennzeichen gelten konnte; und Friedrich Creußner war damit nicht zufrieden! Ein Drucker, Jakob Roller in Basel, der Matern erworben und sie justieren ließ, führte durch Instanzen einen Prozeß, weil ein paar aus den justierten Matern gegossene Buchstaben abweichend in der Form waren. (Vgl. oben S. i 8 f . ) Die abweichende Form einiger Lettern hätte doch wohl ein charakteristisches Kennzeichen der Type werden können; der Drucker war damit nicht zufrieden. Wir haben, wie gezeigt, reihenweise die gleichen Typen in der Hand verschiedener Drucker, identische Typen, o h n e differenzierende Charakteristika. Damit waren die Drucker sehr zufrieden! Haebler sagt: auch beim Übergange der Schrift von einer Hand in die andere, lassen sich die Drucker voneinander unterscheiden; „denn jeder dieser Drucker hat in seiner Schrift irgendwelche Nebenformen der Buchstaben in charakteristischer Weise bevorzugt"145). Zu jeder in der Zeichnung abweichenden Nebenform eines Schriftzeichens gehört ein neuer Stempel. Das Typenrepertorium verzeichnet die uns bekannten Typen nach der M-Form, d. h. nach einem Repräsentanten des Schriftbildes, und dem Kegelmaße. Das Typenrepertorium verzeichnet darüber hinaus eine ganze Reihe von Sonderheiten in der einzelnen Type, aber hat es unterlassen, nachzuprüfen, ob diese Sonderheiten einer Type, diese angeblichen Charakteristika, z. B. das Divis, das Rubrum oder ein Buchstabe singuläre Erscheinungen sind, die nur bei d i e s e m Drucker und in d i e s e r Type vorkommen, U6 )

H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 86f.

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Aus der Mater ist keine Sonderform zu gewinnen

also von einem eigenen, nur h i e r benutzten Stempel stammen. — Eine Untersuchung nach dieser Richtung liegt dem Typenrepertorium f e r n ; denn es nimmt als sicher und feststehend an, daß sich der Drucker diese Eigenheiten, ein besonderes Divis usw. höchst persönlich geschaffen, oder doch f ü r diese seine Type habe schaffen lassen. An der M a t e r eine Veränderung des Schriftbildes vorzunehmen, was vielleicht näherliegend scheinen möchte — statt einen neuen Stempel zu schneiden — ist schlechterdings unmöglich. Die Mater ist das Produkt des Stempels. In die Mater ist vertieft der erhaben gearbeitete Stempel eingeschlagen. Die Mater bildet mit ihrer Vertiefung die G u ß f o r m f ü r den Buchstaben. Nur wenn der Stahlstempel an seiner Oberfläche, in die das Schriftbild eingeritzt, eingegraben, eingefeilt wird, glatt poliert ist, daß die Zeichnung des Buchstabens in einer glatten Ebene liegt, kann der Abschlag des Stempels, in der Mater, eine in ihrem Grunde glatte und ebene Gießform abgeben, die durchaus nötig ist, um aus dem glatten, ebenen Grunde der G u ß f o r m , aus der Mater, einen Buchstaben zu gewinnen, der seinerseits an der Oberfläche, im Schriftbilde, eine glatte Ebene darstellt, die sich gleichmäßig dem Druckpapier anfügt und das Schriftbild überträgt. Ein Herumarbeiten an der Mater, zum Zwecke der Veränderung des Schriftbildes, würde den Grund der G u ß f o r m aufrauhen. Die Folge wäre, daß der in dieser F o r m gegossene Buchstabe an seiner Oberfläche, statt glatt und eben zu sein, rissig und uneben, d. h. f ü r den Druck unbrauchbar würde. Nicht einmal ein nachträgliches Glattschleifen der gegossenen Letter könnte da helfen. Und die Mater selbst, an der herumgepfuscht ist, bleibt nur wegzuwerfen 146 ). " 6 ) Daß Stephan Planck in Rom beim Neuguß seiner zumeist gebrauchten Brotschrift an den M a t r i z e n Veränderungen vorgenommen, und der Neuguß „nicht immer aus den gänzlich unveränderten Matrizen

Nicht alle Drucker beherrschen den Stempelschnitt

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Zu jeder in der Zeichnung abweichenden Nebenform eines Schriftzeichens gehört ein neuer Stempel. — Der Stempelschnitt ist aber eine Fähigkeit, die weder damals noch heute, Allgemeingut war. Das läßt sich f ü r jene Zeit auch aus dem Typenbild einzelner Drucker entnehmen. F ü r griechische Worte im Text ließen die Drucker verschiedentlich, zur handschriftlichen Ergänzung, Lücken o f f e n , oder transskribierten das griechische W o r t mit gotischen Lettern. F ü r den Titel oder auch f ü r Kolumnenüberschriften in größerer Schrift wählten die Drucker wiederholt, statt gegossener Lettern, den Holzschnitt. Dieser Ersatz war ihnen immerhin leichter. Deutschen Druckern in Spanien, die gewohnheitsmäßig die Lagen mit fortlaufenden Buchstaben des Alphabets bezeichneten, fehlte in ihrem Schriftkasten das im Spanischen ungebräuchliche: f", sie rückten d a f ü r ein: i und 2 dicht zusammen; aber schufen sich keinen neuen Stempel. Zum Ersatz des im deutschen Texte schließlich nicht zu umgehenden: 2B und tt>, f ü r das der Schriftkasten nicht immer eine eigene Letter, wenigstens nicht in der Auszeichnungsschrift, enthielt, stellten die Drucker häufig ein 1 und ti eng zusammen, oder halfen sich mit ähnlichen Künsteleien. Sie u m gingen die Aufgabe, sich die fehlenden Schriftzeichen zu schaffen. Und doch, in Haeblers Annahme: der Drucker habe sich zu einer fremden Type ihn persönlich charakterisierende Zutaten geschaffen, oder schaffen lassen, steckt eine Wahrheit. — W i r haben ein urkundliches Zeugnis von 1472, daß sich Bernhard Richel in Basel vom Siegelgraber Jobst Burnhart „etlich erfolgt" sei — wie Haebler sagt — bleibt mir unverständlich. ( H a e b l e r , Die deutschen Buchdrucker des i5. Jahrhunderts im Auslande. München

192 k, S. 89.)

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Ergänzung unvollständig gewordener Matern

Buchstaben" habe machen lassen. (Vgl. oben S. 23.) D a ß der Siegelgraber den Stempel zu einem einzelnen Buchstaben, zu einem Rubrikzeichen oder Divis gestochen, wird in dem Zeugnis nicht gesagt. Nach dem Preise zu schließen, sind die „etlich Buchstaben" gewiß keine vollständige Type. Immerhin, wo Matern von Hand zu Hand wanderten, ist es auch ohne urkundliches Zeugnis glaubhaft, d a ß ein Satz Matern einmal unvollständig geworden wäre, daß f ü r ein paar Buchstaben neue Stempel zum Ersatz nötig wurden, die dann f ü r die Type allerdings charakteristisch waren. Aber durch diese urkundliche Notiz ist noch nicht die angebliche Absicht bezeugt, daß diese „etlich Buchstaben" den Zweck haben sollten, den Eigentümer der Schrift kenntlich zu machen, oder anders gesagt: d a ß der Eigentümer Geld daran wandte, um seinen Namen hinter etlichen Buchstaben zu verstecken. E i n neuer Buchstabe hätte f ü r diesen angenommenen Zweck auch genügt 147 ). Matern und mehr noch Stempel sind Wertstücke, die deshalb mit einiger Aufmerksamkeit behandelt sein dürften. D a r u m wird es immer die A u s n a h m e geblieben sein, wenn eine Garnitur Matern unvollständig wurde. Auf diese Ausnahme läßt sich aber keine allgemeine Regel aufbauen. Und bei der weiteren Wanderimg oder geschäftlichen Ausnutzung einer 147

) Adolph Rusch in Straßburg verwandte in seiner Antiqua (Type i ) neben dem regulären: R auch das sogenannte „bizarre R " , „dessen vordere; Hälfte ein A bildet ohne Mittelstrich", und das „eine Art Monogramm der Anfangsbuchstaben seiner beiden Namen": Adolph Rusch, darstellt. Durch diesen monogrammartigen Ruchstaben, den Rusch in den Text einschiebt, soll sich der Drucker, der seinen Namen sonst verschweigt, verraten. (Karl D z i a t z k o , Der Drucker mit dem bizarren R. — Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, 1 7 . Heft = Reiträge z. Kenntnis d. Schrift-, Ruch- u. Ribliothekswesens, Heft 8 Halle a. S. 1 9 0 ^ , S. i 3 — 2 4 . ) Diese Absicht, sich durch eine Sonderform in der Type kenntlich zu machen, steht als Einzelerscheinung da und findet selbst bei den anderen Typen von Rusch keine Wiederholung.

Zusammenfassung

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durch etliche Buchstaben ergänzten Maternfolge wird schwerlich sofort wieder ein Verlust eingetreten sein, so daß die neuen Stempel in kurzem ihre Eigenart, als Charakteristika einer Type zu dienen verloren, oder verlieren konnten.

M i t ein paar Sätzen fasse ich zusammen: Dem Haeblerschen Typenrepertorium liegt die Annahme zugrunde, daß jeder Inkunabeldrucker technisch vollausgebildet und befähigt war, sich seine Typen, erstens die Stahlstempel, weitergehend die justierten Matern und mit Hilfe des Gießinstrumentes seine Lettern selbst zu schaffen, und daß der Übergang der Schrift von einer Hand in die andere ein seltener Ausnahmefall geblieben sei. Ist diese Annahme richtig, so würde die im Druck überlieferte Schriftform etwas durchaus Individuelles und Selbstgeschaffenes darstellen. Und wenn es sich bei der Schrift u m eine eigene Schöpfung des Druckers handelt, die in seiner Hand geblieben, m u ß rückschließend aus dem Druck, aus dem Typenbilde, auch die Persönlichkeit des ungenannten Druckers zu erkennen sein. Diese ursprüngliche Idee hat Haebler nicht aufrecht erhalten. Bei fortschreitender Typenvergleichung wandelte sich ihm die klare Formulierung. Denn nicht allemal schuf sich der Drucker die Type selbst — er begnügte sich, nach Haebler, damit, einer übernommenen Type bestimmte Charakteristika zu geben u n d zwar mit der Absicht, sich durch diese Charakteristika kenntlich zu machen. Wenn schon nicht die ganze Type, so mußten die zur Type gehörigen Varianten, die der Drucker f ü r sich allein geschaffen, f ü r ihn kennzeichnend sein. Bei genauerer Vergleichung der Typen — es war vielleicht ein Fehler, eine feste Formulierung an den Anfang der

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Haeblers Theorie ist nicht allgemein anerkannt

Theorie zu stellen — ergab sich jedoch die Tatsache, daß auch völlig übereinstimmende Typen gleichzeitig, ohne charakterisierende Varianten, in der Hand verschiedener Drucker nachzuweisen waren. Schon diese Feststellung hebt die Allgemeingültigkeit der Methode auf. Denn sobald erwiesen ist, daß sich nicht jeder Inkunabeldrucker seine Typen selbst schuf, kann eine Type, mag sie mit dem Namen eines Druckers verbunden sein oder namenlos auftreten, nicht mehr als Vertreter einer bestimmten Persönlichkeit gelten.

E s liegt der Bradshaw-Proctor-Haeblerschen Theorie eine ideale Konstruktion zugrunde, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, die auch nicht als allgemein gültig angesehen wird. Hier eine abweichende Meinung : ,,Si les premiers imprimeurs ont fondu eux-mêmes leurs caractères, il semble qu'il se soit établi assez vite des fondeurs professionnels auprès de qui l'on venait se fournir de matériel, et parfois le fondeur se bornait à différencier les fontes qu'il livrait à plusieurs en réservant pour chacun quelques lettres particulières, le reste de l'alphabet et des signes leur restant commun. Et puis les confrères ne pouvaient-ils pas se prêter, ou encore se louer des caractères, en acheter d'occasion à Paris, en province, où des ateliers se fermèrent dès avant la fin du XVe siècle ? Certains caractères de Jean Du Pré, de Pierre Levet, d' Antoine Caillaut, à Paris, de Jean Le Bourgeois, de Jacques Leforestier, à Rouen, ont des affinités avec des types employés par Guillaume Le Talleur, sans parler de ceux de Martin Morin, son successeur, et l'on comprend que l'on puisse souvent rester

Gewerbsmäßiger Schriftguß hebt Haeblers Theorie auf

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perplexe en face de livres qui ne sont ni signés, ni marqués, ni datés" — so sagt Pierre Le VerdierliS). Aus den Baseler Urkunden hat Le Yerdier, so viel ich sehe, keine Schlüsse gezogen. Daß unter den Druckern Tausch, Miete und Kauf der Typen stattgefunden, nimmt Le Yerdier als eine Möglichkeit an, die allerdings, wenn man die Urkunden sprechen läßt, zur Gewißheit wird. Aus dem Bilde der Lettern, wie es im Druck festgehalten ist, zieht er seine Folgerungen. „ P a r f o i s le fondeur se bornait à différencier les fontes qu'il livrait à plusieurs" — sagt Le Yerdier. Also gelegentlich, nicht immer, differenzierte der Gießer die Schriftlieferungen, die für verschiedene Drucker bestimmt waren. Haebler sagt: es stelle „sich m e h r f a c h heraus, daß der zweite Besitzer die Schrift nicht völlig unverändert gebraucht" 149 ). Insoweit eine Übereinstimmung zwischen Le Verdier und Haebler. Aber doch eine Grundverschiedenheit in der Auffassung. Le Verdier rechnet mit gewerbsmäßigem Schriftguß — ob der Schriftgießer gleichzeitig auch selbst Drucker gewesen, bleibt unerheblich — Haebler aber lehnt den Gedanken an jeden gewerbsmäßigen Schriftguß ab. Der Drucker soll sich seine Typen, zum mindesten jene die Typen charakterisierenden Sonderformen, die freilich nicht überall nachzuweisen sind, selbst geschaffen haben. Haebler sagt: „Die Frage des Schriftgusses — d. h. des gewerbsmäßigen Schriftgusses — hat f ü r die Inkunabelforschung insofern eine besondere Bedeutung, weil es von ihrer Beantwortung abhängt, ob man die Bestimmung des Ursprungs eines Wiegendruckes nach den darin verwendeten Typen als beweisend anerkennen muß oder nicht" 150 ). 1 4 8 ) Pierre L e Y e r d i e r , L'atelier de Guillaume L e Talleur, premier imprimeur rouennais. Rouen 1916, S. 2 [\. 119 ) Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. 86. " « ) H a e b l e r , a . a . O . , S. 63.

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Liefert der Schriftgießer den Kunden absichtlich Sonderformen

Haeblers Annahme, daß sich die Drucker bezeichnende Charakteristika geschaffen, erscheint mir nicht befriedigend. Denn nicht jede Type, die in der Hand verschiedener Drucker war, hat Sonderformen, und nach den urkundlichen Zeugnissen, die uns vorliegen, besaßen die Drucker sicherlich nicht in ihrer Gesamtheit die Fähigkeit zum Stempelschnitt, der nötig ist, um auch nur ein einzelnes, die Type charakterisierendes Zeichen zu schaffen. Auch Le Verdiers Annahme, daß der Schriftgießer seine Kunden mit absichtlich f ü r den einzelnen reservierten Unterscheidungsformen versorgt hätte — und doch auch nicht in jedem Falle — dürfte ebensowenig befriedigend sein. Die Schriften, die aus der Gießerei oder Druckerei von Hendrik Lettersnider stammen — er war beides: sowohl Gießer, als Drucker — haben z. B. keine besonderen Kennzeichen, die den einzelnen Benutzer charakterisieren könnten. Die Annahme, daß ein Gießer seine Schriftabnehmer mit reservierten Sonderformen ausstattete, erscheint mir abwegig. Denn: die Abnutzungszeit einer Schrift, mithin auch die Zeit, in der eine Nachbestellung der Type nötig sein könnte, ist völlig imbestimmt. Es kann eine Schrift ,,in Jahr und Tag abgenutzt werden, und eine andere in 5o Jahren noch scharf seyn" 161 ). Diese Angabe bezieht sich aufs achtzehnte Jahrhundert. Die Inkunabeldrucker benutzten ein wesentlich härteres Papier, das auch in gefeuchtetem Zustande, die Schrift stärker angreifen mochte. Berücksichtigt man das, und nimmt man f ü r s fünfzehnte Jahrhundert die Lebensdauer der Schrift geringer an, die Grenzzahlen f ü r die Verwendbarkeit der Schrift sagen doch nur, daß es außerhalb jeder Berechnung f ü r die Schrift151

) J . G. I. B r e i t k o p f , Nachricht von der Stempelschneiderey und Schriftgießerey. Leipzig 1 7 7 7 , S. 9.

Liefert der Schriftgießer den Kunden absichtlich Sonderformen

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gießerei lag, in welcher Zeit von einem Kunden eine Nachbestellung kommen würde 162 ). Bei der Ungewißheit, die besonderen Stempel jemals wieder in Gebrauch nehmen zu können — wenn diese Stempel und Matern f ü r einen bestimmten Abnehmer kennzeichnend sein sollten — würde der Schriftstecher, bzw. -gießer, bei der Herstellung solcher Sonderstempel mit einer unproduktiven Mehrarbeit belasset werden, die selbst bei primitiven Formen des Wirtschaftslebens unerträglich sein würde. Jede Sonderf o r m eines Schriftzeichens stellt Arbeit, bzw. Kapital dar, und zwar eine Mehrarbeit oder einen Mehraufwand an Kapital, der zum notwendigen Geschäft n i c h t erforderlich ist. Denn Le Verdier meint: m i t u n t e r lieferte der Schriftgießer diese Sonderformen. Also war es nicht durchaus erforderlich, eine Type mit Varianten zu belasten, um Kunden zu befriedigen. Und welche Garantie hatte der Kunde, welche Garantie haben wir, wenn wir in Sonderformen einer Type Charakteristika f ü r einen bestimmten Drucker sehen, daß die Lieferungszusammensetzung bei der Nachbestellung der Type, die vielleicht erst nach Jahren nötig wurde, von der Schriftgießerei innegehalten wurde? Kunden wechseln, Druckereien haben nur ganz kurze Zeit bestanden, also würden Sonderformen, in denen Mühe und Arbeit steckte, frei. Wurden diese Stempel und Matern verworfen? Gegenüber dem schnellen Vergehen einer Offizin haben Stempel und Matern ein fast ewiges Leben. Ist ein neuer Besitzer der Stempel oder der Gießerei — es kann auch gleichzeitig eine Druckerei gewesen sein — an die ausge152

) Schon früh wurde zum Schriftguß, um die Schriftmasse härter und widerstandsfähiger zu machen, Wismut verwandt. Vgl. Aloys S c h u l t e , Die deutschen Kaufleute und die Anfänge des Buchdrucks in Spanien (Festgabe Friedrich v. Bezold dargebracht. Bonn u. Leipzig 1 9 2 1 , S. 1 7 7 ) .

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Gewerbsmäßiger Schriftguß mit Haeblers Theorie nicht vereinbar

dachte Zusammensetzung der Type für jeden Kunden gebunden? Wird er beachten, daß mitunter diese charakterisierende Auswahl unterbleibt? Kannte ein neuer Besitzer der Stempel, oder auch nur der Matern, die Eigenheiten jeder Schriftlieferung, die vielleicht zehn Jahre oder länger zurücklag, hinsichtlich der Rubrikzeichen, des Divis oder einzelner Buchstaben? Rechnet man mit dem Typenbezuge aus Schriftgießereien, so kann die Schrift für den Drucker nicht mehr charakteristisch sein, und das Typenrepertorium verliert seine Beweiskraft, wie Haebler betont153).

V ielleicht geben die Typen noch weitere und entscheidende Auskunft. In der Inkunabelzeit läßt sich bei ungemein vielen Typen ein Reichtum an Doppelformen der Majuskeln beobachten. Es erscheinen nicht nur Typen mit zwei oder drei verschiedenen Formen des M, es sind Nebenformen aller möglichen Buchstaben vertreten, auch in drei oder vier Varianten. Bei den Minuskeln ist das ebenso. Ich glaube, es war außerordentlich verdienstlich, diese Doppelformen wenigstens für die Majuskeln, wie es u. a. die: Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde getan haben, zu sammeln. Welcher Schluß ist aus der Doppelform zu ziehen? — Es ist zwischen Nebenformen und Nebenformen einer Type ein Unterschied zu machen. Die erste Type ahmte die geschriebene Schrift nach und kopierte auch die dem Schreiber geläufigen Ligaturen und Abbreviaturen, ohne die sich der Schreiber dem Räume der 153

) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 63.

Geschriebene Sohrift das Vorbild für die T y p e

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Zeile nicht anpassen konnte, und die ihm dazu dienten, die Schreibarbeit selbst abzukürzen und mit dem Papiere zu sparen. Bei dieser Nachahmung der geschriebenen Schrift wirkte der erste Druck wie das Faksimile einer sorgfältigen Handschrift. Die Schrift kennt Doppelformen f ü r verschiedene Buchstaben, solche Doppelformen übernahm auch der Drucker. Ein Schreiber liniirte sich seine Blätter und sah, unterstützt durch diese Liniatur, auf das sich gleichbleibende Größenverhältnis der Majuskeln und Minuskeln zu einander. Es lag nicht in der Absicht des Schreibers innerhalb der Zeile, im Texte, Majuskeln von verschiedener Größe zu bringen. Noch weniger dachte der Schreiber daran, seine Schrift mit Buchstabenformen, die einer anderen Schreiberschule geläufig waren, zu durchsetzen. Der gleichmäßige Zeilenabstand wird im Druck durch die feste Kegelhöhe der Buchstaben erreicht. Und auch der Schriftschneider, der sich die Handschrift zum Muster nahm, hatte nicht die Absicht, fremde, im Stile oder in der Größe des Schriftbildes zu den übrigen Buchstaben nicht passende Lettern in seine Type zu bringen. Trotzdem, als der Druck in Massen auftrat, erstarrte die Druckschrift. Die Type konnte sehr bald nicht mehr als Faksimile einer in ihren Formen doch beweglicheren und schmiegsameren Handschrift gelten. Die Drucker verzichteten auch auf die Fülle von Ligaturen, die dem Schreiber gebräuchlich gewesen154). Und die Drucker wählten eine Kegelhöhe von so geringem Maße, daß eine Handschrift in gleicher Größe unmöglich wurde. Also gaben die Drucker den Gedanken an ein 154) Wilhelm M e y e r aus Speyer, Die Buchstaben-Verbindungen der sogenannten gothischen Schrift. Berlin 1897 = Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philol.-histor. Klasse. N. F. 1. Bd., no 6.

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Varianten in der Theuerdanktype von 1517

Faksimile der Schreibschrift auf, wenn auch die Schrift selbst ihr Vorbild blieb. Andererseits wurde in den Schreibstuben gegenüber der einst mit Sorgfalt gepflegten Buchschrift die flüssigere Kanzleischrift vorherrschend, durch die der Unterschied von der Schrift zum Druck, wie er damals geübt wurde, wieder stärker betont wurde. Auch an diese Kanzleischrift hat der Druck, der j a immer sein Vorbild in der Handschrift sah, bewußt angeknüpft. Die Theuerdanktype von i 5 i 7 ist die Kopie der in der Kanzlei Kaiser Maximiiiansi, angewandten kalligraphischen Handschrift. Diese Type sucht mit dem Überreichtum ihrer doppelten, ihrer dreifachen, ihrer vierfachen Formen f ü r denselben Buchstaben; mit den variierenden Unterschieden, welche selbst die Veränderungen festhalten, wie ein und derselbe Buchstabe, etwas abweichend im Bilde, das zweite- und drittemal aus der Feder fließt; mit dem Schwünge der weitausladenden Züge, wie sie der Schreiber zur Rundung und zum Zierrat benutzt, wieder eine getreue Kopie der Handschrift zu geben. Aber: dieser ungemeine Reichtum der Formen, diese Varianten der Buchstaben, die das Satzbild von der Erstarrung lösen, passen im Stile, ihrer Bewegung nach, alle, ohne Ausnahme, durchaus zu einander. Ebensowenig wie der Schreiber hat der Schriftstecher, der sich diese Kanzleischrift zum Muster genommen, f r e m d e Formen in die Schrift eingemischt. Auf die f r e m d e n Formen innerhalb einer Type — f ü r die es in der gepflegten Handschrift kein Vorbild gibt — kommt es hier an. Auf Formen, die hinsichtlich der Größe des Schriftbildes nicht zueinander passen, auf Buchstabenwiederholungen, die im Bildcharakter zum Stile der Type nicht stimmen. Es war, wie gesagt, überaus verdienstlich, auf die gleichzeitig benutzten, unstimmigen Doppelformen der Typen hinzu-

Der Hergang beim Schriftguß

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weisen. Die Freude am Reichtum der wechselnden Formen ist sehr verständlich. Aber die Tätigkeit des sorgfältigen Registrierens verliert einen guten Teil ihres Wertes, wenn jeder Versuch einer Erklärung f ü r diese auffallende Erscheinung vermieden wird. Man vergegenwärtige sich den Vorgang des Gießens. Die Mater wird mit dem Haken unter eine Backe des Gießinstrumentes festgeklemmt, wird noch verschoben, zurechtgeklopft oder feiner eingestellt, daß sich das Buchstabenbild der Mater mit seiner Grundlinie im rechten Abstand vom oberen und unteren Kegelrande befindet. Der Kegel und der Körper der Letter, der mit flüssigem Metall ausgefüllt werden soll, k o m m t zustande, indem die eine Backe des Gießinstrumentes an die andere Backe geschoben wird. Der kantige Raum, der nach dem Zusammenbringen der beiden Teile des Gießinstrumentes noch o f f e n bleibt, bildet den Körper f ü r den Buchstaben, bildet zugleich Kegel und Dickte. Die Mater mit dem vertieften Schriftbilde hat, an der einen Hälfte des zweiteiligen Gießinstrumentes unverrückbar festgehalten, deshalb auch vielfach noch festgebunden, ihren Platz senkrecht unter der Eingußö f f n u n g , die gebildet wird, wenn die beiden Teile des Gießinstrumentes zusammengeschoben werden. Ist die Mater in der richtigen Lage, so wird der betreffende Buchstabe, soviel Abgüsse wie von ihm nötig scheinen, hintereinanderfort gegossen. Bei jedem Guß ruckt der Gießer das Instrument, das er f r e i in der Hand hält, schnell nach unten, u m das flüssige Metall recht in die Vertiefungen der Mater zu zwingen, daß er einen mit allen Strichen und Punkten des Schriftbildes ausgegossenen Buchstaben gewinnt. Heutzutage, und so war es jedenfalls auch vor hundert Jahren, fängt der Gießer gewöhnlich mit d e m : m an. Die drei senkrechten Striche des m geben in ihren Fußpunkten eine brauchbare Grundlinie,

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Einstellen

der Mater.

Grundlinie.

Probegüsse

die sich in demselben Abstände vom oberen und unteren Kegelrande bei allen anderen Buchstaben der T y p e wiederholen muß. Das Abbrechen des Gießzapfens, das Abschleifen der Kanten, das Fertigmachen, gehört hier nicht mehr zur Sache. Klemmt der Gießer die zweite Mater seiner Type unter das Instrument, so hält er nach den ersten Probegüssen inne und vergleicht mit der ersten Letter die zweite. Denn er muß zunächst feststellen, daß bei der zweiten Letter — den G u ß die Mater befestigt hat —

so wie er f ü r

die Grundlinie des neu-

gegossenen Buchstabens mit der Grundlinie der zuerst gegossenen Letter völlig übereinstimmt. Das gleiche Kegelmaß ergibt sich aus dem Gießinstrument. Aber zwei Lettern von gleichem Kegel sind f ü r den Druck noch nicht brauchbar, wenn die Grundlinien nicht übereinstimmend sind. Die Buchstaben würden auf der Zeile tanzen. Und nicht nur hinsichtlich der Grundlinie hat der Gießer

Letter f ü r Letter zu prüfen, er

muß

jeder Letter auch ihre gehörige Dickte, rechts und links vom Schriftbilde den gleichen bei allen Buchstaben übereinstimmenden Raum geben. Es dürfte klar sein, daß für eine brauchbare Schrift die bei allen Lettern einer Type übereinstimmende Grundlinie ein absolutes Erfordernis bleibt. Ist die Mater eines Buchstabens richtig unter das Gießinstrument gebracht, so werden von dieser Mater so viele Abgüsse gemacht, als erforderlich scheinen.

Dann kommt

der

zweite, der dritte Buchstabe usw. an die Reihe. Jedesmal werden bei einem neuen Buchstaben zuerst Probegüsse gemacht, die Stellung der Mater korrigiert und dann die nötige Zahl der Güsse von dem neuen Buchstaben ausgeführt 165 ). 156 ) Die Anzahl der erforderlichen Buchstaben ist ganz verschieden. Um das Jahr 1800 wurden z. B. für einen Zentner Cicero-Fraktur oder

Probegüsse. Unstimmige Nebenformen in der Type

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Schon allein die Buchstaben f ü r Buchstaben erforderliche Kontrolle der Grundlinie zwingt den Gießer immer wieder, den Probeguß neben den fertigen G u ß zu halten. Bei dieser Kontrolle, bei der Schriftbild neben Schriftbild steht, ergibt sich ohne weiteres schon beim Probeguß, ob etwa durch Zufall eine falsche Mater mit einem in der Größe unpassenden Schriftbilde unter die übrigen Matern der Type gekommen ist. Und sollte der Gießer das nicht merken — er gießt die Anzahl, die er von jedem Buchstaben f ü r nötig hält, hintereinander, schon um die Mühe zu sparen, die Mater immer wieder neu einzurichten; der Gießer hat ferner von den bereits gegossenen Buchstaben richtige Güsse zum Vergleichen der Grundlinie usw. vor sich liegen — hat er wirklich einmal eine falsche Form f ü r die richtige gehalten, hat er die Unstimmigkeit übersehen: er gießt dann f ü r seine Schrift den g l e i c h e n Buchstaben von zwei verschiedenen Matern nicht doppelt; bestimmt nicht von drei Matern, die er jede neu einstellen m u ß , so daß in einer Type dreimal derselbe Buchstabe, und zwar in Zeichnung und Größe des Schriftbildes unstimmig zu den anderen Lettern, auftritt. Ja, sollte dem Gießer selbst dies Versehen bei e i n e m Buchstaben der Type vorgekommen sein, den er versehentlich zwei- oder gar dreimal, abweichend in Größe und Charakter aus verschiedenen Matern gießt: es bleibt doch undenkbar, so wie der G u ß bei dauerndem Vergleichen der Probegüsse mit den fertigen Lettern vor sich geht, daß sich dies Versehen bei zwei, drei, vier oder noch mehr Buchstaben einer Type wiederholen sollte. So zahlreiche, unstimmige Nebenformen können nicht mehr als gewollte Charakteristika der einzelnen Drucker anSchwabacher 4 i o o Abgüsse des: e, 2800 des: n, 1900 des: i, 1700 des: r, 1200 des: u, 800 des: m und 5o des: q gerechnet.

100

Unstimmige Nebenformen in der Type

gesehen werden. Das wäre des Guten, oder des Schlechten etwas zu viel156). Der erste Guß und jeder Neuguß einer Type geht rein 156

) D a f ü r ein paar Belege. — Bei Druckern, die nur über eine geringe Zahl von Typen verfügten, ist die Kontrolle, ob etwa Varianten zu einzelnen Majuskeln, unstimmige Doppelformen, durch Mischung der Schriftkästen in die Type gekommen sein können, leichter, als bei Druckern, die sich mehr als ein Dutzend Typen angeblich selbst geschaffen haben. Deshalb werden kleine und kleinste Offizinen hier besseren Aufschluß geben. Der D r u c k e r des A l b e r t u s De a l b o l a p i d e , Zürich [ 1 ^ 7 9 ] , besaß n u r eine Type, Haebler, Typenrepertorium, I. S. 113; eine „kräftige, schöne Antiqua, in die eine Anzahl gotischer Buchstaben aus einer an Augsburg erinnernden M 15 -Type eingesprengt sind" (Voullieme, Die deutschen Drucker, 1922 S. 174)- Die Veröffentlichungen der Gesellschaft f ü r Typenkunde (GfT.), Tafel i 3 i g , geben die Durchzeichnung des Majuskelalphabets ; danach benutzte der Drucker gleichzeitig in seiner einen Type je zwei verschiedene Formen des: E, H, M und T. Der D r u c k e r der W a h l M a x i m i l i a n s I, Stuttgart [ i 4 8 6 ] , besaß zwei Typen, Auszeichnungstype und Textschrift, die bei ihren Größenverhältnissen keine Mischung untereinander möglich machen, Haebler, Typenrepertorium, I. S. i o 4 ; die Texttype: M38 „ist sehr ähnlich, teilweise vielleicht identisch mit der Type 5 des Reutlinger Druckers Mich. G r e y f f ; die Auszeichnungsschrift mit M60 dagegen und der Buchschmuck . . . stammen aus der Presse des Konrad Fyner" (Voulliöme, Die deutschen Drucker, 1922 S. 160). In der Texttype nach GfT., Tafel 1299, je zwei verschiedene Formen des: C, E, F , G u. I. Der D r u c k e r d e s A u g u s t i n u s , Lauingen [ 1 4 7 2 — 7 3 ] , besaß nach Haebler, Typenrepertorium, I, S. 5a nur eine Type, eine Antiqua, in die auch M 13 eingemischt war ( 2 0 Zeilen = 9 6 / 7 m m ) ; in dieser Type nach GfT., Tafel 1109 f f . , je zwei Formen des: A, D, E, H, M, N, R, S, T und drei Formen des: Q. Dieselbe Type, als Type 1*, Haebler, a . a . O . , V. S. 33, als Antiqua rein, auf verändertem Kegel (20 Zeilen = 106 m m ) . — Type 1 mit ihren Mischformen gilt als zweiter Zustand, während die reine Type 1*, den früheren Zustand darstellen soll. Voullieme charakterisiert die Schrift in GfT., Tafel 1 1 0 9 : „Antiqua mit unbeholfenen Formen, die sowohl rein (Tafel 1109) als mit Beimischung gotischer Formen (Tafel 1110, i m ) verwendet wird." — Wenn der Drucker selbst die Matern besaß, die eine einheitliche, reine Schrift ergeben, erscheint es ausgeschlossen, falls er die Schrift selbst goß, daß bei einem Neuguß

Unstimmige Nebenformen in der Type

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und unvermischt, ohne fremde Varianten, aus dem Gießinstrument hervor. Das gilt f ü r beide Fälle, ob sich der Drucker die Schrift auf verändertem Kegel, den er selbst vornahm, sich fremde, unstimmige Formen in die Schrift eindrängen konnten. Der D r u c k e r d e r D a r m s t ä d t e r P r o g n o s t i c a t i o , Mainz [1476—82], besaß vier Typen, Haebler, Typenrepertorium, I. 8.67, V. S. A3. Type 3 mit 68 mm Kegelmaß für 20 Zeilen verträgt keine Mischung mit den anderen größeren Schriften. In Type 3: M8, auch M 6 5 B , also zwei M-Formen, ferner nach GfT., Tafel i i i 5 , je zwei verschiedene Formen des: A, C, E, S — In Type 1: M1S zu 90/1 mm unter anderem nach GfT., Tafel 1113, drei verschiedene Formen des S, je zwei verschiedene Formen des: A, D, F, P. Voullieme, Die deutschen Drucker 1922 S. 112, sagt von Type 1, daß sie „einige Buchstaben aus Schöfferschen Schriften benutzt". Der D r u c k e r des B ü c h l e i n s v o n d e r E r k e n n t n i s d e r S ü n d e , Ingolstadt [1^89], besaß nur eine Type: M" 20 Zeilen 75/76mm; „durchAbnutzung erscheint das M manchmal wieM 93 ; Haebler, Typenrepertorium, I. S. 5o, III. 2 S. 38o. Nach GfT., Tafel n o 3 , in dieser Type zwei verschiedene Formen des M. — In seiner Type ein: I, das unter der Zeile steht. — Der Drucker ist „wegen der Gleichheit seiner Typen mit denen anderer oberdeutscher Städte um das Jahr 148g zu setzen". „Wir kennen von ihm nur das eine Druckwerk" (Voullieme, Die deutschen Drucker, 1922 S. 75). — Daß der Drucker f ü r eine von seinen Majuskeln nicht die rechte Grundlinie gefunden und z. T. mit abgenutztem Materiale arbeitete, spricht nicht dafür, daß er sich selbst seine Schrift gegossen hätte. Heinrich E g g e s t e i n , Straßburg [ i 4 6 6 — 8 3 ] , seine Type 1, nach Haebler, Typenrepertorium, I. S. g3, u. V. S. 58: M8 auch M15 20 Zeilen 126 mm, nach GfT., Tafel 735, in dieser Type auch M27. M27 ist in keiner Type des Heinr. Eggestein sonst vertreten; kann also nicht durch Mischung seiner Schriftkästen in die Type gekommen sein. — Heinr. Eggesteins Type 4, nach Haebler a.a.O., M9 M15 M61 20 Zeilen 99mm; nach GfT., Tafel 739, aber: M9, M " u. M56. Weder M61 noch M56 kann durch Mischung der Schriftkästen in die Type gekommen sein. — In Eggesteins Typen doppelte und dreifache Formen der Majuskeln reichlich vertreten. Konrad H i s t , Speyer [ 1 ^ 9 2 — 1 5 . . ] , seine Type k, nach Haebler, Typenrepertorium, I. S. 90, M21, seltener M9 oder M79 20 Zeilen etwa 90mm; nach Haebler, a.a.O., V. S. 57 in dieser Type noch eine vierte M-Form: nämlich M21, auch M3, M9 M79 20 Zeilen etwa 90 mm. —

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Unstimmige Nebenformen in der Type

im Hause selbst gießt, oder ob die Schrift in einer Schriftgießerei hergestellt wird. Gewiß, dem Schriftschneider glückt nicht jeder Buchstabe Weder M 3 noch M9 kann durch Mischung der Schriftkästen in diese Type gekommen sein. Peter v o n F r i e d b e r g , Mainz [ 1 ^ 9 2 — i 5 o o ] , besaß zwei Textund zwei Auszeichnungstypen, Haebler, Typenrepertorium, I. S. 68, V. S. 43. In der einen Texttype = Type 1, nach GfT., Tafel 1213, vier verschiedene Formen des C. — Von den Auszeichnungstypen sagt Voullieme, Die deutschen Drucker, 1922 S. 114: „Zwei Auszeichnungsschriften, die Proctor mit den Missaltypen Numeisters und Schöffers Type 7 gleichsetzt", während seine zweite Texttype — Type 4 — „mit Schöffers Type 8 übereinzustimmen scheint". Johann S n e l l , Lübeck [ i 4 8 o — i 5 i 8 ] , besaß — abgesehen von vier Textschriften — zwei Auszeichnungsschriften: Type 2 M 61 10 Zeilen etwa 70 m m , Type 6 M™ 10 Zeilen 83/4 mm, Haebler, Typenrepertorium I. S. 62, V. S. 3g. An eine mögliche Mischung der Schriftkästen, bzw. der Matern, ist vielleicht bei den Auszeichnungsschriften zu denken; selbst diese Mischung würde f ü r Type 2 nach GfT., Tafel 777, nicht je drei verschiedene Formen des: C und S ergeben. Joachim W e s t p h a l , Stendal [ i 4 8 8 — 8 9 ] , besaß zwei Text- und zwei Auszeichnungstypen, Haebler, Typenrepertorium, I. S. 91, V. S. 58. Die eine der Auszeichnungstypen — Type 3 — scheidet aus; denn es handelt sich um xylographische Buchstaben (GfT., Tafel 1196), deren Herstellung dem Drucker vermutlich billiger oder bequemer war, als eine selbstgeschaffene Type, zu der Metallstempel nötig sind. — Nach dem Kegelmaße der beiden Textschriften könnten die Matern dieser beiden Typen beim Guß vertauscht werden, das ergäbe zwei Formen f ü r jede Majuskel. Type 1 hat nach Haebler zwei M-Formen: M 91 und ähnlich M79. In dieser Type nach GfT., Tafel 1 1 9 6 (dazu Voullieme, Die deutschen Drucker, 1 9 2 2 S. 1^2) je f ü n f verschiedene Formen des: D und des M, drei verschiedene Formen des S und zwei des U. Martin S c h o t t , Straßburg [ 1 ^ 8 1 — 9 9 ] , besaß acht verschiedene Typen, Haebler, Typenrepertorium, I. S. 96, V. S. 60. Unter diesen Typen eine Antiqua und f ü n f Auszeichnungs- bzw. Kanontypen, die hier ausscheiden. Es verbleiben: Type 1 M79 20 Zeilen 1 0 0 m m und Type 2 M88 20 Zeilen 80 mm. Mit dieser verschiedenen Kegelhöhe können die Schriften schwerlich gemischt werden. In Type 2 nach GfT., Tafel 12 5g, drei verschiedene Formen des: O, zwei des Q. Peter A t t e n d o r n , Straßburg [ i 4 8 g — 9 2 ? ] . Vgl. Haebler, Typen-

Unstimmige Nebenformen in der Type

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beim ersten Male. Er muß einen Buchstaben zwei oder dreimal in Stahl schneiden. Aber er verwirft den schlechten Stempel, noch ehe er eine Mater davon abschlägt. Um zu sehen, was er repertorium, V. S. 64, GfT., Tafel 1279—82. Voullieme, Die deutschen Drucker, 1922 S. 157 f.: „Sein Druckmaterial scheint wegen seiner Formenmischung aus verschiedenen fremden Pressen zusammengekauft zu sein." Besonders Attendorns Type 1 reich an unstimmigen Doppelformen. In Hain* 6274 nennt sich Attendorn als Drucker. Für weitere Drucke, die Voullieme: Peter Attendorn, ein Buchhändler und Drucker in Straßburg um i 4 g o (in: Aufsätze Fritz Milkau gewidmet, 1921 S. 344—353) ihm zuweist, fehlt m. E. die nötige Sicherheit für die Entscheidung. Das Verbindungsglied von Hain* 6274 zu: Berlin Inc. 2318 bildet ein xylographischer, jetzt aber im unteren Teile b e s c h ä d i g t e r Initialbuchstabe von 75 mm. Höhe. Initialen haben aber um so weniger eine volle Beweiskraft, wenn die Textschriften, wie hier, in beiden Drucken nach Form und Kegelmaß durchaus verschieden sind. Es handelt sich auch bei: Berlin Inc. 2318 wieder um eine durch unstimmige Doppelformen bereicherte gemischte Type. Auffallen muß trotz des Überreichtums an entbehrlichen Formen, daß der Drucker — wie Voullieme hervorhebt — kein gotisches K besaß; er ersetzte diesen Buchstaben vielmehr durch ein R. Und bei der Titelschrift (M99 10 Zeilen etwa 76 mm) — Voullieme bemerkt: „erinnert stark an Grüningers Type 17, doch scheint z. B. das Minuskel-ö aus desselben M60-Type herzurühren" — hilft sich dieser Drucker bei dem vierzeiligen Titel, in dem zweimal ein: to zu verwenden war, das erstemal, indem er ein: t ohne Punkt vor ein t> setzt, und das zweitemal, wieder unter Voranstellung eines punktlosen: t durch ein: b, das er um die Oberlänge gekürzt hat. (Vgl. Abbildung des Titels in: Aufsätze Fritz Milkau gewidmet, S. 349-) Voullieme macht hier, wie ich glaube, den richtigen Schluß, daß der Drucker „keinen großen Vorrat an dieser Type besaß". Sicherlich nicht. Die in diesen vier Titelzeilen v i e r m a l verwandten: t> — die möglicherweise noch aus zwei verschiedenen Matern stammen — erschöpften den ganzen Vorrat an diesem Buchstaben. Eine so außerordentlich geringe Zahl von Buchstaben nötigt zu dem Schluß, daß dieser Drucker sich seine Type n i c h t selbst gegossen hat (vom Stechen schon gar nicht zu reden; wäre das Schriftstechen so einfach, so hätte es dem an Formen reichen Drucker auch an keinem eigenen: to gefehlt!); denn kein Gießer wird, wenn er sich die Mühe gemacht, die Mater f ü r die Grundlinie usw. richtig einzustellen, schon beim v i e r maligen Abguß eines Buchstabens das Gießinstrument aus der Hand legen.

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Die Arbeit des Schriftschneiders

geschnitten hat, r u ß t er den Stempel an und drückt den angerußten Stempel aufs Papier; so gewinnt er ohne Zwischenf o r m , ohne Mater, das Bild seines Buchstabens. Immerhin konnte vom Stempel doch einmal die Mater abgeschlagen und selbst justiert sein, und es mochte sich d a n n erst finden, daß der Buchstabe in der Zeichnung nicht genügte und daß ein neuer Stempel nötig wurde. W e n n der Schriftschneider die Mühe an einen neuen Stempel und eine neue Mater wandte, wenn ihn als Künstler die erste Mater nicht befriedigte: er wird die Buchstaben aus der verworfenen Mater nicht neben den Lettern aus der besseren Mater verwandt haben. Ein Schriftstecher, der um einen neuen Buchstaben zu gewinnen, ein Stück Rundstahl zwanzig Stunden glühte, daß der Stahl zunächst weich wurde, der dann das eine Ende kantig und mäßig zugespitzt — vergleichsweise gesagt: wie einen Bleistift mit stumpfer Spitze — anfeilte, die kleine, stumpfe Fläche, die das Schriftbild aufnehmen sollte, glatt polierte, das Bild des neuen Buchstabens mit der Radiernadel in diese glatte Fläche einritzte,, die Ösen und Öhre mit dem Stichel heraushob und die äußeren Linien des Buchstabens mit der Feile herausarbeitete, dann diesen neuen Stempel im Glühofen wieder härtete, in Kupfer abschlug und die Mater endlich justierte — ein Drucker, der zugleich Schriftstecher und Gießer war, und diese Mühe an einen neuen Buchstaben wandte, wollte die von ihm neugeschaffene, verbesserte Form auch im Drucke sehen! Er schmolz die Lettern aus einer verunglückten Mater ein und verwandte das Metall zum neuen G u ß ; sonst hatte er ja von seiner neugeschaffenen, besseren Form gar keinen Nutzen. Und waren etwa nicht alle Lettern von der alten, verworfenen Mater eingeschmolzen, kamen auch noch alte, schlechte Buchstaben in die Hand des Setzers, die selbst vom Korrektor übersehen wurden — in der gleichen Type wiederholte sich das Nebeneinander

Die Hausgießerei kennt keine unstimmigen Nebenformen

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schlechter, unstimmiger Formen neben besseren Lettern nicht bei so und so vielen Buchstaben! Längst nicht jeder Drucker war nach den urkundlichen Zeugnissen, die wir kennen, imstande, sich einen Stempel zu schneiden. In einer Druckerei, die mit erworbenen Matern arbeitete — nach den vorhandenen Urkunden besaß nicht einmal jeder Drucker die Fähigkeit, Schrift zu gießen — war die Garnitur Matern, die zu einer Type gehörte, schwerlich überreich an unstimmigen Nebenformen. Denn jede Mater kostet Geld. Und wo durch Zufall eine Mater in doppelter Zeichnung des Buchstabens vorhanden gewesen sein sollte, da wird sich der Schriftgießer nicht die unnötige Mehrarbeit gemacht haben, außer der Mater, die die bessere Zeichnung trug, noch eine zweite Mater mit schlechtpassendem Schriftbilde unter das Gießinstrument zu klemmen. Gerade f ü r den Hausbetrieb, f ü r die Druckerei, die sich ihre Schriften selbst gießt, ist der Reichtum an Formen und zwar die Fülle u n s t i m m i g e r Varianten zu einzelnen Schriftzeichen innerhalb der Type ein Unding 157 ). l ä 7 ) Nicht j e d e anscheinende Variante im Buchstabenbilde ist auf wirklich abweichende Matern zurückzuführen. Ch. E n s c h e d é , Fonderies de caractères (Haarlem 1908), sagt auf S. 5 : „Afin d'empêcher 1' adhérence de la lettre à la matrice, il est probable qu'on aura légèrement enduit de graisse le creux de cette dernière; or ceci rend illusoire la pureté des contours, et l'on s'explique dès lors aisément pourquoi les lettres sorties des mêmes matrices, mais où le métal en fusion avait pénétré plus ou moins profondément, étaient réellement dissemblables. Seul un homme du métier d'une habileté consommée serait capable de reconnaître si, dans ces conditions, deux caractères analogues sortaient oui ou non de la même matrice." — Wie stark die Veränderung der Konturlinie bei Buchstaben aus den gleichen Matrizen sein kann, zeigt der Vergleich der Originale mit den von Enschedé a. a. 0 . gegebenen Abbildungen, die durch Nachsatz mit neu gegossenen Lettern aus den noch vorhandenen alten Matrizen hergestellt sind. D i e s e Veränderungen des Buchstabenbildes, das aus den gleichen

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Letterpolize. Gießzettel

D i e Anzahl der Güsse, die von jedem Schriftzeichen hergestellt werden mußte, sagen wir für einen Zentner Schrift, stand nicht fest. Die Inkunabelzeit hat den Gießzettel oder die Letterpolize noch nicht gekannt, und konnte sie nicht kennen. Denn lateinischer und deutscher Text wurde großenteils mit gotischen Buchstaben gedruckt. Und Lateinisch verlangt im Verhältnis zu Deutsch, oder jeder anderen Sprache, eine andere Zusammensetzung des Alphabets hinsichtlich der Häufigkeit der einzelnen Buchstaben. Dazu kommen die Ligaturen und Abbreviaturen, die zwei oder drei Buchstaben ersetzen, aber die durchaus nicht in jeder Type gleichmäßig und nach einer festen Regel vertreten sind. Eine Type besteht aus hundertundfünfzig, eine andere aus zweihundert Schriftzeichen. Selbst heute, bei einer sehr viel klareren Zusammensetzung des Druckeralphabets — Abbreviaturen scheiden heute aus — beruht die Letterpolize, d. h. die Angabe, in welcher Anzahl von jeder einzelnen Mater — von der einen mehr, von der anMatrizen stammt, kann und will das Haeblersche Typenrepertorium nicht übermitteln. Beim Guß ergibt sich ferner immer Ausschuß. Der Ausschuß kann bis 5o°/o nach J. G. I. B r e i t k o p f , Nachricht von der Stempelschneiderey und Schriftgießerey (Leipzig 1777) S. 10, betragen. — Für die Entstehung des Ausschusses sucht z. B. Joh. Georg K r ü n i t z ' ökonom.-technolog. Encyklopädie, (i48. Bd. Berlin 1828) S. 527, eine Erklärung zu geben: „Der Gießer schöpft... mit einem kleinen Gießlöffel das flüssige Metall aus dem Schmelzkessel, gießt es in die Form, und zieht sogleich die Form mit einigem Nachdruck etwas hinab. So gering nun auch dieser letzte Handgriff zu seyn scheint, so wichtig ist er doch. Das flüssige Metall erkaltet leicht in der Form, kommt es aber nicht völlig flüssig bis zur Matrice hinab, so prägen sich nicht alle Theile des Buchstabens aus, welches vorzüglich von den kleinen Strichen und Punkten der Buchstaben gilt. Zieht aber der Gießer die Form bei dem Guße der Letter mit aller Schnelligkeit hinab, so schüttelt er so zu tsagen das Metall mit Gewalt in die Vertiefung der Matrice hinein. Bei kleinen Buchstaben, z. B. bei demi i ist dieses um so nöthiger, da eine kleine Metallmasse weit

Defekte. Überschuß

deren erheblich weniger — bestimmtes

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Abgüsse zu machen sind, um ein

Gewichtsquantum

Schrift zu erhalten, das prak-

tisch verwendbar ist, so daß von einem Buchstaben im Verhältnis zum anderen weder zu viel noch zu wenig Abgüsse geliefert werden, selbst heute beruht die Letterpolize lediglich auf vorsichtigen Schätzungen, die bei Benutzung der Schrift zum Druck trotzdem von Fall zu Fall, und sehr häufig, Berichtigungen verlangen.

Es müssen auch heute, je nach dem Text, der zum

Abdruck kommt, f ü r einzelne Buchstaben Nachbestellungen gemacht werden, weil die Zusammensetzimg der Schrift nach einem noch so vorsichtig berechneten Gießzettel nicht genügt, weil sich „Defekte" herausstellen. „Jeder Buchdrucker weiß, was man unter Defekten versteht und er weiß auch aus Erfahrung, daß er ihnen nicht entgehen kann.

Defektbestellungen werden dann nötig, wenn

bei einer Satzarbeit von bestimmten Buchstaben mehr gebraucht

eher kalt wird, als eine große, dessenungeachtet gerathen, aus der gedachten Ursache nicht alle Lettern, und der Gießer muß oft zu seinem Verdruß eine große Anzahl Lettern ausstoßen und wieder einschmelzen; denn bei dem Abdrucke fallen die geringsten Fehler in die Augen." Ob die versuchte Erklärung richtig ist: das flüssige Metall erkalte sehr schnell im Gießinstrument — das doch seinerseits sehr bald erhebliche Wärme in sich aufspeichert — steht dahin. Die Beobachtung, daß der Gießer unmittelbar nach dem Einfüllen des Metalls einen scharfen Ruck ausführte und dadurch das Metall in die Mater drückte, ist jedenfalls nicht falsch. Und die Tatsache, daß beim Handguß in erheblichem Maße Ausschuß entsteht, möchte gleichfalls zutreffend sein. Sind etwa die angeblich f ü r verschiedene Drucker bezeichnenden Charakteristika bei sonst übereinstimmender Type: „Spitze des t auffallend schwach ausgeprägt" (Haebler, Typenrepertorium, I. S. 118/9 no 3: Drucker des Henricus Ariminensis, Straßburg, Type k) gegenüber Typenrepertorium, I. S. 118/9 n 0 2 : Johann und Konrad Hist, Speyer, Type 1 „t mit scharfer Spitze", unter dem Gesichtspunkte der .Ausschußerscheinung zu betrachten?

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Defekte.

Überschuß

werden, als in dem von der Gießerei gelieferten Quantum enthalten sind" 158 ). „Am besten ist es, wenn ein Buchdrucker, wenn er eine Schrift gießen läßt, dem Schriftgießer selbst den Gießzettel dazu macht, oder ihm vorschreibt, wie viel er von jedem Buchstaben bey einer zu gießenden Schrift gießen soll. Dabey muß sich der Buchdrucker nach der Arbeit richten, die er mit derselben Schrift drucken will, und solche Buchstaben, die in dem abzudruckenden Manuscripte häufig vorkommen, auch gleich davon mehr zu gießen aufschreiben. Thut er dieses nicht, und läßt es dem Schriftgießer über, nach dem gewöhnlichen Gießzetteln eine Schrift zu gießen, so wird fast allezeit nöthig seyn, Defekte nachgießen zu lassen. Dieses macht dann dem Schriftgießer so wohl als dem Buchdrucker neuen Aufenthalt. Denn der Gießer muß zu jedem Buchstaben, den er noch einmahl nachgießen muß, die Mater wieder neu in die Weite und Linie richten usw." 159 ). Es ergab sich seinerzeit ganz bestimmt, bei jedem Guß, gegenüber der wirklich im Druck benötigten Zahl der Schriftzeichen, auf der einen Seite ein Überschuß, auf der anderen Seite eine Minderzahl bei einzelnen Lettern. — Der Überschuß ist im Druck nicht wahrzunehmen. In den überzähligen, unbenutzten Lettern steckte nur eine vergebliche Arbeit und " 8 ) Heinrich H o f f m e i s t e r , Die Entstehung einer Schrift (Monographien des Buchgewerbes, 8. Bd. Leipzig 1913), S. 43. 159 ) Chr. G. T ä u b e 1, Allgem. theoret.-pract. Wörterbuch der Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. 2. Bd. Wien i 8 o 5 . Vgl. die „Erinnerung" zur „Schriftguß-Tabelle". — Thurneyßers Faktor mahnte 1576 seinen Herrn, den Gießzettel ja richtig abzufassen (Archiv f. Geschichte des deutschen Buchhandels, 17. Bd. Leipzig 1894, S. 42). Das Beispiel einer groben Zusammensetzimg, bei der die einzelnen Schriftzeichen nach vollen Pfunden abgewogen sind, vom Jahre i 5 g i , vgl. a.a.O., 17. Bd. 1894, S. 280.

Nachguß in der Hausgießerei ergibt keine Nebenformen

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Schriftmetall wurde in ihnen nutzlos festgelegt, wenn diese Lettern nicht wieder eingeschmolzen, oder vielleicht auch, gelegentlich, anders verwandt wurden. — Die zu geringe Zahl einzelner Buchstaben, die Defekte, zwingen die Hausgießerei zum Nachguß der fehlenden Buchstaben. Geschieht dieser Nachguß aus den gleichen Matern (ein Überreichtum an Matern ist, wie bereits ausgeführt, bei dem Drucker, der sein eigener Schriftgießer ist, nicht zu erwarten), so sind auch die Lettern des Nachgusses vom ersten Guß nicht zu unterscheiden. Die Schrift bleibt auch dann, beim Ersatz der Defekte, rein und unvermischt. Aber in den Typen kommen doch unstimmige Doppelformen, Varianten zu einzelnen Buchstaben, die in der Größe und Zeichnung des Schriftbildes nicht zu den übrigen Buchstaben passen vor! Wo bleibt die Erklärung für diese Varianten, die den Typen der Inkunabelzeit einen so außerordentlichen Reichtum an Formen geben? In den unstimmigen Doppelformen ist eine Mischung mit einer zweiten oder dritten Type, oder von Teilen dieser Typen, mit einer ersten Type zu sehen. Diese Mischung der Formen konnte in der Druckerei — ohne Zutun von auswärts — nur zustande kommen, wenn der betreffende Drucker zwei oder drei fertig gegossene Typen von abweichenden Formen, aber mit völlig übereinstimmenden Kegelhöhen besaß; sonst mußten, bei Verwendung ungleicher Kegelhöhen, die Zeilen im Satze krumm werden. Soweit Haeblers Typenrepertorium als Grundlage f ü r den Typenbestand der einzelnen Drucker dienen kann, besaßen zahlreiche Drucker, die z. B. zwei oder drei M-Formen usw. in einer Type brachten, diese verschiedenen Formen n i c h t in eigenen Typen; jedenfalls nicht in Typen von gleicher Kegelhöhe, auch nicht einmal in Größenverhältnissen die sich —

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Ersatz des Defektes von auswärts ergibt Nebenformen

bei Benutzung einer falschen Mater beim Ersatz des Defektes — mit Gewalt auf den gleichen Kegel bringen ließen. Eine Erklärung: die verschiedenen unstimmigen Formen seien aus verschiedenen Schriftkästen einer Druckerei genommen, oder rühren von verschiedenen Garnituren von Matern derselben Druckerei her, ist also nicht überall möglich.

IM ach den Urkunden hat es Drucker gegeben, die nicht fähig waren, einen Stempel zu schneiden, die auch nicht imstande waren, eine justierte Mater richtig unter das Gießinstrument zu bringen. Diese Drucker besaßen dennoch Schrift und druckten. J e geringer ihr Schriftvorrat, um so leichter trat Defekt ein. Wie ersetzten diese Drucker einen Defekt, wenn ihnen keine zweite oder dritte Type von gleichem Kegelmaße zur Hand war? Sie blieben auf fremde Hilfe angewiesen. Hatten sie Matern, so warteten sie vielleicht auf einen wandernden Gesellen, der das Gießen verstand — wenn sie so viel Zeit hatten. Hatten diese Drucker aber keine Matern,., oder drängte die Arbeit, so mußten sie Ersatz suchen, woher er eben möglich war. Bei jedem Drucker, soweit er auch Gießer war, ergab sich beim Guß einer Type ein gewisser Überschuß einzelner Lettern, die dem Drucker selbst nicht dienen konnten. Paßte dieser Überschuß nach Kegelhöhe, Grundlinie usw. zu der Type des anderen Druckers, so konnte er — wenn er gerade die fehlenden Buchstaben enthielt — dazu dienen, die Defekte zu ergänzen. Aber d i e s e Lettern aus einer fremden Druckerei werden durchaus nicht immer im Schriftbilde mit den vorhandenen Lettern der anderen Druckerei übereingestimmt haben. Also kamen Nebenformen und Varianten in die Type d e s Druckers, der n i c h t sein eigener Gießer war.

Ersatz des Defektes von auswärts ergibt Nebenformen

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W i e weit dann dieser Drucker etwa die Pedanterie trieb, beim Ablegen des Satzes die einzelnen Lettern nach dem passenden Schriftbilde zu ordnen und auszuscheiden — u m vielleicht eine Handvoll geliehener Lettern seinem gefälligen Mitbruder zurückzugeben — so daß sein Schriftkasten f ü r die Folge rein blieb, und er f ü r kleinere Druckaufträge, z . B . f ü r Einblattdrucke, mit seiner eigenen Schrift völlig auskam, entzieht sich durchaus unserer Kenntnis. Ein Drucker kann ein paar f r e m d e Lettern gelegentlich benutzt haben — das Aushelfen mit Schriften ist immerhin urkundlich bezeugt — aber diese fremden Zutaten zu seiner Type sind deshalb noch nicht zu einem Charakteristikum geworden, an dem seine Offizin wiedererkannt werden müßte. Konnte ein Drucker, der selbst keine Schrift goß und keine Matern hatte, aus dem Überschuß eines anderen seinen Defekt decken, so daß eine, wenn auch nicht im Schriftbilde gleichmäßige, aber doch im Satze verwendbare Ergänzung seines Letternbestandes eintrat, so wird das, mehr oder weniger, ein Zufall gewesen sein. Nicht n u r der Kegel, sondern auch die Schrifthöhe der fremden Buchstaben m u ß t e mit den eigenen übereinstimmen. In den meisten Fällen wird das, was dem Drucker an einzelnen Schriftzeichen fehlte, und was er nicht nur vorübergehend geliehen haben wollte, durch Neuguß hergestellt sein. Als Probe f ü r den Schriftcharakter, f ü r die Kegel- und Schrifthöhe, die Grundlinie, Dickte usw., mußte er ein paar Lettern einem anderen Drucker übergeben, der mehr technische Geschicklichkeit, als er selbst, besaß. Da mochte der denn sehen, ob er genau die Matern hatte, daß er eine wirklich passende Schrift lieferte. Hatte er solche Matern aber nicht, war er auf andere, in der Zeichnung abweichende Matern angewiesen, so entstanden durch Einfügung der neugegossenen Lettern eben

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Nebenformen, die Defekte ersetzen, sind nicht charakteristisch

doppelte Formen und Varianten. — Und war es auch ein D r u c k e r , der diese Lettern dem anderen lieferte, seine Tätigkeit war in diesem Falle lediglich die des Schriftgießers. Wenn bei einer Type durch Nachlieferung ein Defekt behoben war, wenn dadurch eine gemischte Type entstanden war, die der Drucker behielt, selbst dann bleibt die Mischung dieser Type kein sicheres Erkennungszeichen. Denn es läßt sich, wie gesagt, nicht kontrollieren, wie weit der Drucker beim Ablegen des Satzes die fremden Buchstaben aussortierte und nur im Notfalle wieder gebrauchte. Es läßt sich bei namenlosen Drucken nicht bestimmen, ob der Drucker eine ganze Zeitlang, bevor der Defekt eingetreten, mit seinem ursprünglich einheitlichen Schriftvorrat völlig ausgekommen ist. Es läßt sich auch nicht abschätzen, ob ein neuer Defekt zum zweiten oder dritten Male bei der gleichen Type, und möglicherweise dann durch eine andere Stelle, als das erstemal, behoben werden mußte. Dadurch erhielt die Type desselben Druckers wieder einen anderen Mischungscharakter. Das Typenrepertorium muß natürlich in solchen Fällen mit seinen Angaben versagen. Das Typenrepertorium vermerkt wohl sogenannte Eigentümlichkeiten innerhalb einer Type. Aber: „Absichtlich ist dabei von einer vollzähligen Berücksichtigung aller Buchstaben des Alphabets abgesehen worden, um die Darstellung nicht ungebührlich zu belasten und damit unübersichtlicher zu gestalten"160). In diesem Bescheiden liegt nicht der Fehler des Typenrepertoriums. Bei der Fülle namenloser Drucke ist durchaus nicht jede Lieferung, die einen Defekt ersetzt, durch einen datierten Druck zu belegen. Und selbst die Aufzählung aller beobachteten Doppelformen würde noch keinen 160

) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. 89.

Nebenformen kommen von auswärts in die Type

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zwingenden Beweis f ü r einen bestimmten Drucker abgeben; denn es gibt keinen Druck, durch den uns der g e s a m t e Schriftvorrat einer Druckerei, auch nur hinsichtlich einer Type, r e s t l o s vor Augen geführt wird. Defekt tritt ein, wenn der zum Satz bestimmte Text mehr Buchstaben einer Art verlangt, als im Schriftkasten vorhanden sind. J e nach dem abzudruckenden Text verschiebt sich das Zahlen Verhältnis der Lettern zueinander. Ich spreche hier z. B. von den Typen der Inkunabelzeit und verwende recht oft das Wort ,,Type"; das zwingt den Setzer häufiger, als bei einem anderen Texte, in den Kasten seiner: T und y zu greifen; bei geringem Schriftvorrat sind diese Lettern dann bald vergriffen. Also: weder damals noch heute ist ein gültiges Verhältnis der Lettern zueinander ein f ü r allemal festzusetzen; damals aber noch weniger, als heute. Das Auftreten zahlreicher Buchstaben, die nach Zeichnung und Größe unstimmige Nebenformen innerhalb einer Type darstellen, läßt sich mit Haeblers Annahme, jeder Drucker habe sich seine Schrift, oder doch wenigstens ihre Charakteristika selbst geschaffen, nicht mehr vereinigen. Diese fremden Formen kamen von a u s w ä r t s in die Druckerei. Ob man die Quelle, aus der sie stammten — wenn nicht die Type in ihrem gemischten Zustande schon von einem anderen Drucker übernommen wurde — eine Schriftgießerei, oder eine Druckerei, die auch Schrift abgab, nennt, ist sehr gleichgültig. Vielleicht ist die Vermutung nicht allzu gewagt, daß einheitliche Schrift teurer war, als zusammengewürfelte. Heute, und vor hundert Jahren ebenso, entnimmt die Schriftgießerei Defektbestellungen nicht dem fertig abgezählten Vorrat, der dadurch selbst unfehlbar defekt würde. Damals hatte jeder Drucker, soweit er selbst Schrift goß, einen Überschuß an einzelnen Lettern. Aber es steht sehr dahin,

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Sonderformen in übereinstimmenden Typen: Rubrum

wie viele Drucker der Inkunabelzeit, die Schrift abgaben — das ist vorgekommen; denn mehr als ein Drucker, der Schrift hatte, konnte nicht gießen — sich ganze Typen auf Vorrat hinlegten. Die wirtschaftlichen Unternehmungen jener Zeit waren in ihrer überwiegenden Mehrzahl noch keine Großbetriebe mit starken Kapitalreserven. Vorräte fertig gegossener Typen, die f ü r Abnehmer lagern, würden aber, schon allein des festgelegten Schriftmetalls wegen, ein größeres Betriebskapital verlangen, als Lieferung von Typen lediglich auf Bestellung 161 ).

U n d — in diesem Zusammenhange nochmals: Rubrum und Divis von abweichender Form bei sonst übereinstimmendem Schriftbilde! (Vgl. S. 83 f.) Das übereinstimmende Schriftbild geht auf die gleiche Mater, auf den gleichen Stempel zurück. Bei übereinstimmender Schrift ist an eine gemeinsame Quelle, an die Schriftgießerei, zu denken. Aber die Schrift, wie sie eine Anzahl von Druckern verwandte, ist nicht v ö l l i g übereinstimmend, sie unterscheidet sich durch anders geformtes Rubrum oder Divis. Rubrum und Divis sind ja nicht durchaus wesentliche Teile einer Type, sie können im Drucke auch ganz fehlen, d. h. im Satze nicht verwandt werden; dann verlieren die sonst übereinstimmenden Typen ihre Charakteristika, die angeblich zur Unterscheidung dienen sollen! Und Rubrum und Divis sind überdies zwei Schriftzeichen, die sich zum Charakter 161

) Der Schriftgießer Pancraz Löbinger in Wien konnte noch 1698 eine Bestellung auf Schriften und Matrizen nicht sofort erledigen, da „solche dermahlen verfertigter nicht vorhanden, auch vor t\ oder 5 Monathen nicht völlig könten verfertiget werden". Von jeder Brotschrift wurden nur anderthalb Zentner gewünscht. Der Gießer verlangte im voraus, „zu Verschaffung der Materialien die helffte des geldts"! (Archiv f. Geschichte d. deutschen Buchhandels, 6. Bd. Leipzig 1881, S. 65 f.)

Sonderformen in übereinstimmenden Typen: Divis

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der Type, zur Zeichnung der Buchstaben, so ziemlich neutral verhalten. Wenn die Kegelhöhen stimmen, kann ungefähr jedes Divis und jedes Rubrum zu jeder Schrift gebraucht werden. D a r u m sind gerade diese, im gedruckten Text leicht zu beachtenden Schriftzeichen, Charakteristika von nicht sehr erheblichem Werte. Die sonst übereinstimmende Type ist unmöglich von zwei oder mehr Druckern, von jedem f ü r sich hergestellt, weil schon ein und derselbe Schriftstecher nicht einmal einen einzigen Buchstaben im Stich mit völlig gleichem Bilde wiederholen kann! Die sonst übereinstimmende Type m u ß t e entweder aus einer Schriftgießerei stammen, oder die Matern waren von Hand zu Hand gegangen. Und die sogenannten Charakteristika: Rubr u m und Divis, die das Bild einer Type nicht stören, konnte ein Schriftgießer sehr wohl auch mehreren Druckern, die sich nicht alle genannt haben, liefern; er konnte zwei- oder dreimal dasselbe Rubrum und einmal ein anderes, oder auch zwei- oder dreimal ein anderes zur sonst gleichen Schrift an die verschiedensten Drucker abgeben, die damit ein angeblich sehr persönliches Erkennungszeichen durchaus nicht erhielten.

W as schlechterdings bei der Annahme der eigenen Hausgießerei in jedem Druckereibetriebe nicht zu erklären ist: das Auftreten zahlreicher, unstimmiger und in der Größe des Schriftbildes nicht passender Nebenformen in den Majuskeln einer Type — über die Varianten der Minuskeln fehlt es noch durchaus an Untersuchungen — das findet, wie ich meine, ohne weiteres seine Erklärung, wenn man mit dem Bezüge der Lettern und dem Ersatz der Defekte aus Schriftgießereien rechnet; meinetwegen aus Druckereien, die zugleich die Geschäfte der Schriftgießerei besorgten.

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Nicht jeder Drucker Schriftschneider, nicht einmal Schriftgießer

Es gab gewiß Drucker, welche die Stempel und Matern zu ihren Schriften selbst herstellten und die sich den eigenen Schriftgießer hielten. Das waren Drucker und zugleich Schriftgießer. Der erste Drucker m u ß sicherlich beides in einer Person gewesen sein. Hätte es solche Drucker nicht gegeben, hätten solche Drucker anderen mit ihrer Kunstfertigkeit nicht ausgeholfen — die anderen, die von der Druckerei gerade das Setzen und das Bedienen der Presse verstanden und auf diese immerhin bescheideneren Fertigkeiten ihre Existenz zu gründen suchten, hätten unmöglich einen Druck zustande gebracht. Auf der einen Seite haben wir nach Schriftbild und Kegel völlig identische Typen in der Hand verschiedener Drucker. Auf der anderen Seite kennen wir eine Überfülle nicht zueinander passender Buchstabenformen innerhalb einer Type. Das eine, wie das andere, spricht d a f ü r , daß nicht jeder Drucker sein eigener Schriftschneider gewesen. Die Überfülle unstimmiger Formen zeigt sogar an, daß sehr viele Drucker nicht einmal ihre eigenen Schriftgießer waren. W e n n aber ein Drucker nicht sein eigener Schriftgießer war, so m u ß t e er von anderer Seite die Schrift beziehen, d. h. Schrift kaufen. Und aus dem gemischten Zustande überaus zahlreicher Typen m u ß gefolgert werden, daß Kauf und Verkauf keine seltene Ausnahme gewesen, sondern bereits gewerbsmäßige Formen angenommen hatte. Diese aus dem Bilde der Typen gewonnene Folgerung stimmt überein mit den urkundlichen Zeugnissen. Auch die Typen, wie die Urkunden, beweisen, daß durchaus nicht alle Drucker der Inkunabelzeit vollendete Meister ihrer Kunst gewesen, wie Bradshaw und Proctor u n d Haebler glauben. Eine ungestützte, freie Annahme kann aber nicht gut die Grundlage f ü r eine allgemein-gültige Methode von exakter,

Die Typenforschung als mathematische Wissenschaft

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mathematischer Sicherheit abgeben, die mit Hilfe von ein paar handwerksmäßigen Bestimmungen nach der M-Form und der Kegelhöhe unter Beachtung etlicher Sonderformen in den Typen den materiellen Beweis f ü r die Herkunft des Druckes erbringen, und so das Geheimnis der namenlosen Inkunabel lösen soll.

„ M i . dem Typenrepertorium, das Haebler von xgo5 an herausbrachte, ist die Typenforschung eine fast mathematische Wissenschaft geworden" 162 ). — Also: ein paar rechnerische Erwägungen. Robert Stephanus vollendete i 5 5 o in Paris den Druck seiner großen Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes, zu der drei Typen von verschiedener Kegelhöhe dienten. ,,Nach achtjährigem Schaffen" waren diese drei Typen mit zusammen über elfhundert Schriftzeichen fertig und im Neuen Testament von i 5 5 o zum ersten Male verwandt worden. König Franz I. hatte den griechischen Kalligraphen Angelus Yergecius nach Paris berufen und in Pension genommen. Yergecius schrieb die Buchstaben dem Stecher Claude Garamond vor. Der König hatte die sehr bedeutenden Kosten f ü r die Herstellung der Schrift angewiesen. Die Punzen wurden auch zur Königlichen Münze abgeliefert. Bereits i 5 5 i zog Robert Stephanus wegen Glaubensbedrängnis nach Genf. Er nahm Matern zu allen drei griechischen Typen mit, das war kein allzu schweres Gepäck, und druckte mit daraus gegossenen Schriften weiter. Diese Matern hat die französische Regierung 1 6 1 9 , also nach etwa siebzig Jahren, aus dem Nachlaß der Familie Stephanus in 162

) Ernst Weil (München), 45. Jhg. 1928, S. 1A8.

im Zentralblatt

f.

Bibliothekswesen,

118

Herstellungsdauer einer Type

Genf zurückgekauft. Die Matern müssen demnach noch brauchbar gewesen sein163). Drei griechische Typen, jede mit Ligaturen und Abbreviaturen gegen vierhundert Schriftzeichen, forderten bei königlicher Unterstützung und bei gelieferter Vorzeichnung eine Herstellungszeit von a c h t Jahren. Ein außerordentlich fähiger Schriftstecher, nicht der Drucker selbst, hatte diese Arbeit übernommen. Eine gewöhnliche Inkunabeltype hat hundertfünfzig bis zweihundert Schriftzeichen. Einzelne gotische Typen mit ihren verzierten Buchstaben, ihrer Fiederung und dem schmückenden Beiwerk der Majuskeln, stellen den Stecher durchaus nicht vor eine leichtere Aufgabe. In acht Jahren wäre es damals mithin möglich gewesen, unter günstigen Bedingungen sechs gotische Typen zu schaffen! Es hat jeder Drucker, ,,wie das in der Zeit des F r ü h drucks üblich war, sich sein Schriftmaterial im wesentlichen selbst hergestellt" — sagt Haebler 164 ). In Stahl die Stempel einer Type zu schneiden, bleibt immer ein außerordentlich mühsames Geschäft. Welche Zeit m u ß t e ein Inkunabeldrucker allein auf die Herstellung seiner Typen verwenden, wenn das Typenrepertorium f ü r außerordentlich viele Druckereien einen Bestand auch nur von einem halben Dutzend Typen ausweist? Es kommt bei der Nachrechnung auf 1GS

) Wilhelm M e y e r aus Speyer, Henricus Stephanus über die Regii Typi Graeci (Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-histor. Klasse, N. F. 6. Bd. no 2 Berlin 1902) S. 3 f f . J. G. I. B r e i t k o p f , Nachricht von der Stempëlschneiderey und Schriftgießerey. Leipzig 1777. — Die ganze Schrift handelt von der mühseligen und langwierigen Arbeit des Stempelschnitts. — Ferner : P. D i d o t, l'ainé, Specimen des nouveaux caractères. Paris 1819. Vgl. das „Avis". 1M ) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 34- Jhg. 1917, S. 1.

Typenreichtum einzelner Druckereien

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ein paar Jahre nicht an! Manche Drucker hatten ein Dutzend, auch zwei Dutzend Typen! Die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens ist erst recht zu bezweifeln, wenn eine Druckerei, die nur ganz k u r z e Zeit bestanden, eine ganze Reihe von Typen, von angeblich selbstgeschaffenen Schriften, benutzt hat. Das Typenrepertorium gibt bei seiner klaren Aufzählung der bekannten Offizinen die erwünschte Auskunft über diese kurzlebigen Firmen und ihre Typenvorräte. — Welchen Zweck hatte es f ü r einen Drucker, der nur ein paar Jahre an einem Orte gedruckt, der so kurze Zeit tätig gewesen, daß von einem wechselnden Modeeinfluß, dem er in seinen Typen folgen müßte, nicht gut gesprochen werden kann, sich mit Mühe und Arbeit und Kosten z w e i Typen von gleicher oder fast gleicher Kegelhöhe zu schaffen. Das Typenrepertorium nennt solche Drucker, die sich den kostspieligen Luxus doppelter Auszeichnungs- und doppelter Brotschriften geleistet, denen also jede Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit ihres Betriebes gefehlt haben m u ß . Daß ein Drucker, u m mit dem Papier zu sparen, das noch im sechzehnten Jahrhundert der teuerste Bestandteil bei der Herstellung eines Buches blieb 165 ), zu Typen von immer kleinerem Kegelmaße mit der Zeit überging, wäre verständlich. Die Type auf kleinerem Kegel fordert vom Schriftschneider die größere Kunstfertigkeit. Aber die Herstellung je zweier Stempelreihen, sowohl f ü r gotische wie Antiqua-Schriften, von denen Lettern mit gleichem oder fast gleichem Kegel gegossen wurden, d ü r f t e in den meisten Fällen ein Überfluß und ein ziemlich verschwenderisches Verfahren gewesen sein. Das Typenrepertorium 165 ) C o n s e n t i u s , Von Druckkosten, Taxen und Privilegien im Kurstaat Brandenburg während des 16. u. 17. Jahrhunderts (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 34. Bd. 1922, S. 175 bis 238).

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Kurze Lebensdauer vieler Offizinen

zählt säuberlich diese Typen von fast gleichem Maße, die in sehr kurzlebigen Druckereien verwandt wurden, auf u n d liefert damit Material, das nicht ganz übersehen werden sollte. W i r haben Nachrichten, d a ß einzelne Drucker durch die neue Kunst schnell zu Vermögen gekommen sind; wir haben auch Nachrichten, d a ß so mancher Betrieb sich nicht halten konnte, oder der Drucker schon nach kurzer Zeit die Lust verlor. Daran kann natürlich die Unwirtschaftlichkeit des Betriebes schuld gewesen sein. — W o blieben dann die Stempel und Matern, die nach ein paar Jahren doch nicht wertlos geworden waren? — Die Antwort auf diese Frage verträgt sich nicht mit der Haeblersehen Theorie. Es bleibt das unbestrittene Verdienst Haeblers, daß er in seinem Typenrepertorium durch die sorgfältige und übersichtliche — nach Möglichkeit vollständige — Zusammenstellung der in den einzelnen Druckereien auch nur während ganz kurzer Zeit benutzten Typen (die angeblich von den Druckern selbst geschaffen sein sollen) diesen Weg zur Kritik gezeigt hat. Und will ich sagen: es habe sich n i c h t jeder Drucker „sein Schriftmaterial im wesentlichen selbst hergestellt", sondern ganz im Gegenteil nur zu einer Maternfolge, die er an sich gebracht und von f r e m d e r Hand justieren lassen, dabei aber ein paar, sozusagen, f ü r ihn charakteristische Änderungen an einzelnen Buchstaben — natürlich nicht an den Matern! — vorgenommen oder vornehmen lassen — : die saubere Aufzählung des Typenbestandes f ü r jeden Drucker, der nur ein oder zwei Jahre an der Presse gestanden, drängt in gleicher Weise zu der Frage: was wurde nun weiter aus diesen Matern, die immerhin ein Wertobjekt darstellten? Ganz offensichtlich hat durchaus nicht jeder Drucker eine f r e m d e Type, die er in Gebrauch nahm, durch charakteristische Zutaten bereichert, oder verschlechtert (wie mans nehmen will!);

Weiterer Verbleib der Stempel, Matern und Typen

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denn wir kennen völlig identische Typen in der Hand verschiedener Drucker. Nur wissen wir aus Haeblers Typenrepertorium nicht, ob diese Typen auch noch m e h r Druckern, die sich nicht genannt haben, dienen m u ß t e n ! Mit der Vergleichung der Typen zu arbeiten und aus der Abweichung oder Übereinstimmung der Schriftformen einen Schluß auf den Drucker zu machen, war schon vor Bradshaw, vor Proctor und Haebler nicht ganz neu. Haeblers besondere Leistung, sein außerordentlicher Fortschritt gegenüber a l l e n seinen Vorgängern, bleibt die feine Übersichtlichkeit, mit der er die Typen gruppierte und beschrieb. Diese methodische und umfassende Übersicht, die das Typenrepertorium gibt, hatte vorher gefehlt und jeden Schluß erschwert. Sobald Haeblers Werk in Druckerverzeichnissen mit dem Inhalt aller Schriftkästen und der Dauer der einzelnen Offizinen vorlag, sobald im Typenrepertorium Tabellen nach Schriftform und Kegelhöhe gegeben und das gesamte Typenmaterial in vorher nicht erreichtem Umfange zur Beurteilung dargeboten war, mußten bei einiger Kritik, die u m so leichter ist, je übersichtlicher das Material geordnet ist, die unmöglichen Resultate dieser Aufteilung der Typen, dieser fast mathematisch gewordenen Wissenschaft zutage treten. Nun wäre es, wie ich glaube, an der Zeit gewesen, wenn man diese Wissenschaft weiterhin als Grundlage der Inkunabelkunde gelten lassen wollte, den Beweis f ü r die Richtigkeit der aufgestellten These zu bringen, die eben durch die Ordnung des Typenrepertoriums selbst erschüttert wird. Wenn z. B., nach Haeblers Beobachtung, Sixtus Riessinger die „Eigentümlichkeit" hat, „ d a ß er jeweils nur mit wenigen bestimmten Typen arbeitet, und den Gebrauch einer älteren Schrift stets vollkommen aufgibt, wenn er eine neue einführt. Er hat o f f e n b a r — wie Haebler sagt — niemals über mehr

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Schneller Wechsel im Gebrauch der Typen

als zwei Schriften gleichzeitig verfügt, von denen die eine, die eigentliche Brotschrift, eine Antiqua ist" — 166 ), so spricht diese Eigentümlichkeit Riessingers, das wiederholte Verwerfen seiner Typen, die bei ihm dann verschwinden, nicht f ü r den Besitz eigener Stempel, nicht einmal f ü r den Besitz von Matern. Riessinger, der seiner Kunst wegen hochgeehrt war, kam bei seinem wiederholten und vollkommenen Typenwechsel vielleicht schon mit gegossenen Lettern aus. Jedenfalls n i m m t Haebler von Riessinger a n : er müsse „vorübergehend mit der Werkstätte des Ulrich Han in enger Verbindung gestanden haben, denn er teilt mit dieser . . . . den Besitz einer ungewöhnlich kleinen, mit eigenartigen Formen ausgestatteten Antiqua-Type" 167 ). Aber im Kegel unterscheiden sich diese Typen von Han und Riessinger 168 ). Deshalb ist nicht anzunehmen, d a ß beide einen gemeinsamen Besitz von Lettern unter sich geteilt hätten. W e n n Han und Riessinger, an verschiedenen Orten, beide mit der gleichen, n u r im Kegel unterschiedlichen Type druckten, so kann besten Falles n u r e i n e r die Stempel zur Type besessen haben. Von Riessinger ist das, bei seinem häufigen Typenwechsel, wenig wahrscheinlich, und auch von Ulrich Han ist es durchaus nicht sicher, d a ß er die Stempel besessen. — Ich verweise auf ein Zeugnis von Jakob Wimpfeling, der als Gelehrter mit Straßburger Druckern in engster Verbindung gestanden. Ich zitiere nicht nach dem verschollenen, ungedruckten Traktat W i m p f e lings: De arte impressoria vom Jahre I5O7169), sondern nach Jakob W i m p f e l i n g s : Epithoma r e r u m Germanicarum usque ad 1G6

) Haebler, Auslande. München 167 ) Haebler, 168 ) Haebler, 169) Vgl. Erich Mainz 1925, S. 6.

Die deutschen Buchdrucker des 15. Jahrhunderts im 192 S. 65. a.a.O., S. 64. a.a.O., S. 19. von R a t h , Aufgaben der Wiegendruck-Forschung.

Wimpfeling, De arte impressoria

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nostra tempora, auch: Epithoma Germanorum genannt, in: Vita M. Catonis von C. Nepos (Straßburg, Joh. P r ü ß i5o5»°). Dort sagt Wimpfeling im 65. Kapitel: De inventione celeberrimae artis impressoriae unter anderem: ,,Ita Sixtus Rüsinger argentinus, Neapoli anno. M. cccclxxi. libros quomodo imprimi possint, primus m o n s t r a u i t . . . . Praeterea Vdalricus cognomento han: sub idem f e r m e tempus formas librarias: rem inauditam: nec unquam romanis visam: romam a t t u l i t . . . . " Was bedeuten: „formae librariae", damals in Rom eine ,,res inaudita", die Ulrich Han dorthin gebracht? Diese „ f o r mae" müssen den wichtigsten Teil seiner Druckerei dargestellt haben, oder das Sehenswerteste in seiner Offizin. Sollten es etwa bloß gegossene Lettern gewesen sein? D a f ü r könnte die Schlußschrift des Korrektors zu Wimpfelings Epitome sprechen: „Coacti quoque sumus ob imminentes nundinas Franckfurdenses intra brevissimum tempus id operis f o r m i s excudere". — Sollte Han den Römern, die er in seine Werkstatt sehen ließ, nicht zu ihrem noch weit größeren Erstaunen auch Matern und Stempel vorgewiesen haben? Doch nur, wenn er sie besaß! — Wimpfelings Bericht kann unvollständig sein. Aber Haeblers Beobachtung, daß zwei Drucker: Han und Riessinger, der eine in Rom, der andere in Neapel, bei abweichendem Kegel die g l e i c h e Type benutzten — und wie ich sagen möchte, möglicherweise noch mehr Drucker diese Type in Gebrauch hatten — beweist, daß n i c h t jeder Drucker eigene Stempel besessen, daß also n i c h t jeder Drucker, vom Stempel angefangen, sich seine Typen durchaus selbständig geschaffen. 17

°) Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, Signatur: — W n 6 6 2 0 — .

ZUR GESCHICHTE DERFORSCHUNG I n der Wissenschaft ist selten etwas ganz neu. Die Forschung k n ü p f t an die Überlieferung an. Diese historische Gebundenheit kann als Fessel erscheinen. — Ein Problem, das nicht erst heute auftaucht, hat schon f r ü h e r Antwort gefordert. — Untersuchungsmethoden können verfeinert werden; aber trotzdem keinen Erfolg versprechen, wenn der Weg der Untersuchung, die Einstellung zum Objekt, an sich falsch ist; wenn die Untersuchung nur mit e i n e r Möglichkeit rechnet und viele andere ausschaltet. W i r d in diesem Sinne an Traditionen angeknüpft und — ohne den Blick von der gewollten Richtung abzulenken — der Weg eifrigst fortgeschritten, so wird leicht der Irrtum zum Fundament einer Wissenschaft. Bisweilen löst sich auch die Forschung von jeder Tradition und erlebt dann, jugendlich, Entdeckerfreuden. — Wer so der Forschung dient, hat vielleicht das schönste Gefühl des Glücks. Denn von ihm her schreibt sich das Gesetz, das er allein gegeben. Tritt auf solchem kühnen, unbeirrten Forschergange eine kurze Zeit der Rückschau auf das eigene Werk ein, geht der Blick dann zufällig noch über die eigenen Anfänge hinaus, dann ist es wieder Entdeckerfreude, in der Ferne Weggenossen aus früherer Zeit zu finden, die mit schlechterem Wanderstabe nicht ganz so weit fortgeschritten, doch sichtlich die gleiche Bahn gezogen sind. Auch diese Entdeckerfreude hat Haebler, haben seine Freunde gehabt 171 ). Und Haebler und Haeblers Freunde haben m

) H a e b l e r , Zur Typenkunde des 15. Jahrhunderts. (Zeitschrift f. Bücherfreunde, N. F. 1,1 1909, S. 1 3 6 f f . ) — Ernst F r e y s , Joh. Baptist Bemharts „Gesammelte Schriften", ein Vorläufer von Haeblers Typenrepertorium, in: Wiegendrucke und Handschriften. Festgabe Konrad Haebler dargebracht. Leipzig 1 9 1 9 , S. 145 f f .

Wege der Forschung im 18. Jahrhundert

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von der Kritik, die den alten Weggenossen geworden — geschwiegen.

D a s Problem, das die undatierten Inkunabeln aufgeben, die auch keinen Namen des Druckers nennen, ist alt. — Der eine hat geglaubt, mit dem Papier und dem Wasserzeichen, das es trägt, die Frage nach der Herkunft der Drucke beantworten zu können. — Ein anderer hatte seine H o f f n u n g auf den Holzschnitt gesetzt, der allerdings längst nicht alle Inkunabeln ziert, und die Typen beiseite geschoben. — Wieder ein dritter hat gerade in den Typen, und in den Typen allein, den Schlüssel gesehen, der das versperrte Schloß öffnen soll. „Seit einiger Zeit nimmt man mit mehrerer Zuversicht seine Zuflucht zu den Typen, und schließt aus der größeren Ähnlichkeit derselben auf einerley Drucker, Ort und — heyläufig auf gewisse Jahre. Man erräth zuweilen, was man zu wissen wünscht. Aber dieser Schlüssel ist nur auf einen kurzen Zeitraum passend. Einerley Arten von Lettern kamen bald in mehrere Hände; so bald nemlich nicht mehr jeder Druckerherr seinen eigenen Schriftgießer hatte, den er mit seinen übrigen Mitarbeitern allein ernährte. Wie vielen Zweifeln ist also auch diese Untersuchung ausgesetzt? Nichts davon zu gedenken, daß Buchstaben eine nicht zu unterscheidende Ähnlichkeit haben können, die doch gleichwohl von verschiedenen Meistern gegossen und von verschiedenen Druckern gebraucht worden sind"™). 172 ) Von einem Hülfsmittel, Schriften, die ohne Ort und Drucker erschienen sind, in Ansehung dieser Umstände näher zu bestimmen. (Neue Beyträge zur Litteratur, besonders des 16. Jahrhunderts, von Georg Theodor Strobel. Bd. 2 , 1 Nürnberg u. Altdorf 1 7 9 1 , S. 82.)

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Kritik des 18. Jahrhunderts

Das vom Jahre 1 7 9 1 . — Im Jahre 1 7 9 1 hatte Franc.-Xav. Laire seinen: Index librorum ab inventa typographia ad a. i ö o o chronologice dispositus, in zwei Bänden herausgegeben. Es ist ein Werk, wie Haebler sagt, das „zum ersten Male 179 ) die charakteristischen Merkmale der Frühdrucke, die Art des Satzes, das Aufkommen der Signaturen, das Registrum usw. gewissenhaft verzeichnet, und der Index am Schlüsse des zweiten Bandes enthält in nuce einen Überblick über die meisten der Eigentümlichkeiten, über die der Inkunabelforscher zur Behandlung seines Gegenstandes unterrichtet sein muß. Es ist der Vorläufer eines Handbuchs der Inkunabelkunde, das trotzdem in den folgenden mehr als hundert Jahren nicht geschrieben worden ist" 1 7 1 ). Also ein W e r k von hohem Range. Deshalb hat ein Sachkenner, wie Johann Gottlob Immanuel Breitkopf in seinem kleinen Schriftchen: Über Bibliographie und Bibliophilie (Leipzig 1 7 9 3 ) auf Laire's Werk besondere Rücksicht genommen. Breitkopf, der Schriftgießer und Buchdrucker, und zugleich auf seinem Gebiete ein Gelehrter von einiger Kenntnis war, sagt:

„Das neueste System ist, die Vergleichung der Schriften in den durch Unterschrift kenntbar gemachten Büchern ersten Druckes mit Büchern ohne Unterschrift aus diesem Zeiträume, um dadurch den unbekannten Drucker und Ort des Druckes zu errathen; womit sich sonderlich Laire in seinem Index Librorum ab inuenta Typographia ad An. 500. sehr beschäftiget hat. In Wahrheit, ein mühsames, ermüdendes, aber eben so schwankendes, unsicheres, und fehlschlagendes System. Daß 173

) Emst S c h u l z , Das älteste Handbuch der Inkunabelkunde (Sebast. Jac. Jungendres, Disquisitio in notas characteristicas librorum a typographiae incunabulo ad annum iöoo. impressorum. Noribergae 1740) in: Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel, 1926 Nr. i 6 3 v. 16. Juli. 171 ) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 8.

Johann Gottlob Immanuel Breitkopf

127

eine bloße Okular-Untersuchung täuschend sey: haben viele Liebhaber dieses Systems selbst schon bemerkt, und sind deswegen auf das Abzeichnen [von] dergleichen Schriften auf durchsichtigem Papiere übergegangen.... Die durchgezeichnete Schrift bedeckt die abgezeichnete ganz; sie wird daher nothwendig unvermerkt etwas größer und fetter als die Urschrift, und folglich ist die Abzeichnung niemals so richtig, als sie zu dergleichen Untersuchungen nöthig wäre.... Aber es ist dieses System gleichwohl schwankend, oder überhaupt für unrichtig zu halten, weil die eigentlichen Fortdabey nicht in Erwägung gezogen schritte der Buchdruckerkunst worden sind. Es setzt als unfehlbar voraus, daß jede Buchdruckerey, wenigstens des ersten halben Jahrhunderts, ihre, ihr allein eigenthümliche Schriften, gehabt, die keine andere Druckerey auch besessen habe. Diese Voraussetzung aber ist anzuerkennen. nicht für richtig In dem Vorhergehenden ist bereits bemerkt worden, daß Rewich und Schoiffer zu Maynz, in den Jahren 1Ü86 und 1U92 mit einerley Schrift gedruckt haben175). Man besinne sich, daß bey den Unruhen zu Maynz in den Jahren 1U&2 u. f . die Arbeiter aus den Druckereyen in Maynz sich zerstreuten; daß bald hernach die Buchdruckerey, durch die aus alle den Orten wo sie sich angerichtet hatte, ausgewanderten Kunstglieder, in halb Buchdrucker Europa eingeführet wurde; daß viele der ersten mit ihrer kleinen Geräthschaft von einem Orte zum andern wanderten und nicht allemahl ihre Nahmen unter ihre Producte setzten oder den Ort ihres damaligen Aufenthaltes bemerkten. Dadurch wird ohne Zweifel eine von den Ursachen sich ent175

) Vgl. Joh. Gottl. Imm. B r e i t k ö p f , Über Bibliographie und Bibliophilie. Leipzig 1793, S. 6 f. Ferner: M o s e r im Serapeum, 3. ,Bd. Leipzig 1842, S. 56 ff., besonders S. 67 f f .

128 decken, machen

Arbeitsteilung im Druckereigewerbe

warum sind.

dergleichen

Vergleichungen

nicht

sicher

zu

Hernach ist zu bedenken, daß zwar viele dieser ausgehenden Buchdrucker sich selbst wohl anfangs alles zusammen, Schriftschneider, Schriftgießer und Buchdrucker, wahrscheinlich seyn musten: es folgt aber daraus nicht, daß sie ihren Nebencollegen, die noch weniger Geschicklichkeit im Schriftschneiden als sie selbst hatten, nicht Abschläge von ihren Schriften in Matrizen gegeben hätten; wenn es auch nur geschah, um Geld von ihrer Kunst daraus zu ziehen, welches sie bey ihren Wanderungen so nöthig hatten. Ein so zusammengesetztes Geschäfte, als die Buchdruckerey in ihren vielerley Arbeiten hat, mußte sich nothwendig bald in eben so viele besondere Zweige zertheilen, als ihre zusammengesetzten Theile nothwendig machte. Die neuen Künstler vertheilten sich also bald in Schriftgießer und Buchdrucker; die ersten wieder in Schriftschneider und Schriftgießer; die andern wieder in Buchdrucker und Buchhändler, und die Buchdrucker wieder in Setzer und Drucker. Die Schriftschneider und Schriftgießer konnten, bey ihrer Trennung von der Druckerey, am schwerlichsten an einem fixirten der ersten BuchOrte sich erhalten; denn der Bedürfnisse druckereyen waren so wenige, daß ein Buchdrucker in kurzer Zeit für etliche Jahre mit nöthigen Schriften versorgt war. Sie mußten daher von einem Ort zum andern wandern; der Eine, um seine Abschläge oder Matrizen an andere Buchdrucker zu verkaufen, daß dieser sich derselben in Zeit der Noth bedienen könne; und der Andere, seine Dienste den Buchdruckern anzubiethen, um ihnen aus diesen Matrizen neue Schriften zu gießen"™). 1T6) B r e i t k o p f , Über Bibliographie und Bibliophilie. Leipzig i TOS, S. 2 4 f f .

Wandernde Schriftgießer.

Verkauf von Matern

129

Breitkopf belegt seine Ausführungen über die Spezialisierung im Druckbetriebe nicht mit Zeugnissen im einzelnen. Er gibt Schlüsse, die von seiner Zeit her, aus der immerhin stark konservativen handwerklichen Praxis genommen sind. Damit läßt sich natürlich nicht ein fester Zeitpunkt, von dem ab mit einer Trennung des Druckgewerbes in seine einzelnen Teile zu rechnen wäre, gewinnen. Ein fester Jahrestag ist f ü r diese Trennung, die sich allmählig vollzogen und in so manchen Fällen die Einzelbetriebe wieder in einer Hand vereinigte, überhaupt nicht anzugeben. Immerhin spricht Breitkopf aus persönlicher Kenntnis des Schriftstiches und -gusses, die beide — der eine mehr, der andere weniger — bei den damit verbundenen Schwierigkeiten nicht in weitem Kreise ein handwerkliches Allgemeingut sein konnten. Was Breitkopf noch nicht hatte, haben wir. Wir haben urkundliche Zeugnisse, daß nicht jeder Drucker der Inkunabelzeit ein Stempelschneider gewesen, daß nicht jeder Drucker das Geschick hatte, eine Mater zu justieren, daß Matern verkauft wurden, und Gießer mit dem Auftrage, den erforderlichen Schriftvorrat aus vorhandenen Matern zu gießen, in Dienst genommen wurden. Also entspricht das Bild, das Breitkopf von der Druckerei und den Fähigkeiten der Inkunabeldrucker gibt, dem, was die Urkunden sagen. — Breitkopf fährt fort und zeigt, wie unverändert im Buchdruck die Geschäftspraxis geblieben: „Man darf nicht etwan glauben, daß bey unserer itzigen Verfassung, wo die Menge der Druckereyen in einem kleinen Bezirke eine Anzahl Schriftgießereyen in Beschäftigung setzt, diese Wanderungen der Schriften und der wandernden Schriftgießer ungewöhnlich geworden wären. Noch itzt giebt der Schriftschneider Abschläge von seinen Stempeln an andere Schriftgießereyen, von welchen manche gar keinen Stempel, sondern blos Abschläge oder Matrizen besitzt, die sie aus allen

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Unsicherheit der Datierung

Orten zusammen gebracht hat; und in Reichen und Ländern, welche theils von fixirten Schriftgießereyen zu weit entfernt sind, oder denen fremde Schriften einzuführen untersagt ist, sind diese Wanderungen heyder Arten von Künstlern, besonders der Schriftgießer, noch immer nöthig und gewöhnlich. Ich habe in entfernten Druckereyen, noch in unserer Zeit, vorräthige Matrizen von Schriften, freylich nicht nach dem neuesten Geschmacke, angetroffen, die zu dergleichen zufälligem Gebrauche angewendet worden waren; und an andern Orten, z. E. in Ungarn, Sclavonien, Siebenbürgen und Polen werden noch itzt, sonderlich in den Klöstern, wo kleine Buchdruckereyen befindlich sind, diese reisende Schriftgießer-Gesellen mit Sehnsucht erwartet. An ihren Produkten aber sind freylich auch noch meistens die Kennzeichen der ersten Zeiten der Druckerey gar sehr zu erkennen1''''). Das möchte nichts anderes besagen, als daß die sichere Datierung eines Druckes, der keine Jahreszahl trägt, allein auf Grund der Typen einige Schwierigkeit machen dürfte. Wenn man zur Type das Papier hinzunimmt, ist natürlich der zeitliche Spielraum nicht unbegrenzt, da sich das Papier in hundert Jahren sehr wesentlich verändert hat. Mit dem Jahre i ö o o trat aber auch f ü r den Papiermacher kein plötzlicher Umschwung m

) B r e i t k o p f , a.a.O., S. 26 f., — Isak C o l l i j n charakterisiert die stark gemischte Type der Druckerei des Klosters der hl. Brigitta in Vadstena, das sich auch nach seiner Ansicht diese Schrift nicht selbst geschaffen. Collijn sagt: „Diese im J. 1 ¿495 eingerichtete Klosterdruckerei wurde nach wenigen Monaten ihrer Tätigkeit durch Feuer vernichtet. Die hier verwendete Type ist eine aus verschiedenen Lübecker Missaltypen (Ghotan, Matth. Brandis etc.) zusammengebrachte Mischtype, deren einzelne Buchstaben stark abgenutzt wirken." (GfT., Tafel 4o5.) — Welche selbstgeschaffene Typen besaß die Druckerei des Klosters St. Ulrich u. Afra in Augsburg?(Vgl. E. V o u l l i e m e , Die deutschen Drucker,

1922 S.lt.)

Breitkopf lehnt die T y p e als Kennzeichen für die Druckerei ab

131

in seinem Fabrikationsprozeß ein 178 ). — Breitkopf f a ß t im Hinblick auf das gerühmte W e r k von Laire, in dem die Typenvergleichung zum Zwecke der Bestimmung des Druckers eine so wesentliche Rolle spielt, seine Ansicht dahin zusammen: „Ich glaube nicht, daß mehr Bemerkungen nöthig seyn dürften, um diese bibliographische Bemühung für minder wichtig zu erkennen, als sie bisher gehalten worden; und wenn solche ja noch von einigen Freunden dieser Beschäftigung fortgesetzt werden sollte, wenigstens zu wünschen wäre, daß sie mit mehrerer Vorsicht und Überlegung der Umstände vorgenommen werden möchte"1'19'). Mit mehrerer Vorsicht und Überlegung!

V o r Haebler hat sich jahrelang sehr eingehend Karl Dziatzko, der auch nicht an einer Stelle in Haeblers Handbuch der Inkunabelkunde (1925) genannt ist, mit der Frage der Inkunabelkatalogisierung und der Bestimmung der undatierten namenlosen Drucke beschäftigt 180 ). Auch Dziatzko glaubte, in der Type das Erkennungszeichen f ü r den Drucker zu sehen, wenn er daneben auch von anderen Wegen der Untersuchung, z. B. von den Wasserzeichen einigen Aufschluß erhoffte. Auch Dziatzko fand übereinstimmende Typen in der Hand verschiedener Drucker, so bei den Augs178)

Daß die Typen allein keine sichere Datierung ergeben, darauf hat auch K. H a e b l e r , Verlegermarken des Jean Petit (Halle a. S. 191U) hingewiesen. "») B r e i t k o p f , a.a.O., S. 27. 180) Alfred S c h n e i d e r , Bibliographie der Veröffentlichungen Karl Dziatzko's. (Sammlung bibliothekswissensch. Arbeiten, Heft 17 = Beiträge z. Kenntnis des Schrift-, Buch- und Bibliothekswesens, H. 8, Halle a. S. i g o 4 , S. 1 — 1 2 . )

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Karl Dziatzko als Vorgänger Konrad Haeblers

burgern Anton Sorg und Hans Schobser; eine Übereinstimmung, die auch Johannes Joachim vor ihm richtig bemerkt hatte. Diese übereinstimmende, von zwei Druckern gebrauchte Type gehört etwa in die Jahre 1486/87. Dziatzko sagt: „Wenn es auch in so früher Zeit an einzelnen Orten besondere Schriftgießereien gegeben haben mag, wäre erst noch zu beweisen, daß diese damals schon dieselbe Typenart an verschiedene Besteller lieferten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts scheint in Deutschland der Sinn fürs Individuelle so weit zurückgetreten zu sein"181). Der Bezug der Typen aus Schriftgießereien paßte schlecht zu Dziatzko» Apparat, den er in Göttingen f ü r die Druckerbestimmung, als ein direkter Vorgänger der Haeblerschen Methode, aufgebaut hatte. Haeblers, in formaler Hinsicht, sehr überlegenem Typenrepertorium gegenüber, war dieser Apparat mit faksimilierten und numerierten Alphabeten der Drucker ein Versuch. Auch Dziatzko glaubte an Proctors These von der prinzipiellen Verschiedenheit aller Frühdruckschriften. Daß die gleiche Schrift aus einer Quelle, aus der Schriftgießerei, an verschiedene Drucker geliefert sein könnte — was sich mit Proctors These schwer vereinigen läßt — sollte f ü r Dziatzko erst noch bewiesen werden. Wenn Dziatzko bei zwei Druckern die gleiche Type fand, suchte er diesie Erscheinung so zu deuten, wie sie sich allenfalls noch mit der Proctorschen These verträgt. Dziatzko sagte von Sorgs und Schobsers identischer und gleichzeitig benutzten Type: „Wir müssen daher zwischen den Beiden ein solches näheres Verhältniß annehmen, daß Sorg, der ungleich größere und leistungsfähigere Drucker und Verleger, dem Schobser — m

) K. D z i a t z k o , „Mönch am Kreuze". (Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, 10. Heft, Leipzig 1896 = Beiträge zur Kenntnis des Schrift-, Buch- u. Bibliothekswesens, 3. T. S. 61.)

Dziatzkos Beobachtungen, die zu Proctor nicht passen

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vielleicht aus Gründen der Verwandtschaft, anderer naher Beziehungen oder irgend welcher Gegenleistung — gestattete eigene Verlagsartikel auf einer seiner Pressen, indeß durch lange Zeit nur mit einer bestimmten Schriftart, herzustellen."1*2) Allerdings läßt sich dieser nicht gerade überzeugende Erklärungsversuch, der auch nur eine Annahme bleibt und kein Beweis sein will, bei Dziatzkos eigener Feststellung, daß z. B. 1^88 Joh. de Thwrocz in Brünn mit Typen von Erhard Ratdolt in Augsburg druckte, nicht wiederholen 183 ). Denn diese beiden Offizinen sind räumlich zu weit getrennt. Ähnlichkeit und Gleichheit von Typen sind natürlich sehr wohl zu unterscheiden. Und Gleichheit der Typen, die von verschiedenen Druckern nacheinander benutzt wurden, mag eine andere Erklärung zulassen, als gleiche Typen, die in denselben Jahren in verschiedenen Händen gewesen. Das ist Dziatzko nicht imbekannt geblieben. Dziatzko sagt: „Daß Typen des G. Zainer von Augsburg bei Joh. Blaubirer, Christm. Heyny, Ambr. Keller u. Joh. Schüssler daselbst, solche des Ulr. Zell in Köln bei Konr. von Homborch wiederkehren, ist bekannt. Dasselbe gilt aber von gewissen Typenreihen Mich. Furters und Joh. Frobens, die in Drucken Joh. Amerbachs vorkommen, zum Teil auch unter sich gleich sind. Auch eine Schriftsorte des Joh. Bergmann de Olpe in Basel zeigt zu einer Joh. Amerbachs mehr als Ähnlichkeit. — Nach einer andern Seite hin gilt dasselbe von Typen im Breviarium Bambergense (bei Joh. Pfeyl 1501) im Vergleich mit Typen in Mich. Furter'sehen Drucken aus Basel. — Zwei Typenarten Mich. Wenßlers (aus d. J. 1U79) finden wir nachher bei Alb. 182

) K. D z i a t z k o , a.a.O., S. 6 1 . ) K. D z i a t z k o , Über Inkunabelnkatologisierung. Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, i o . H e f t Leipzig 1 8 9 6 = Beiträge usw. 3. T. S. 99.) 183

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Dziatzko und der Typenbezug aus Schriftgießereien

Kunne von Duderstadt in Memmingen wieder (ib82 u. später). Die Ursachen der Typengleichheit und -ähnlichkeit können in den verschiedenen Fällen natürlich verschiedene sein. Gegen Ende des Jahrhunderts ist nach meiner Überzeugung immer mehr mit der Möglichkeit des Bezuges übereinstimmender Typen aus derselben Schriftgießerei durch verschiedene Drucker zu rechnen."lai) Bei aller Anerkennung der auch f ü r ihn maßgebenden Proctorschen These, daß der ungenannte Drucker aus der Type zu ermitteln sei, hat sich Dziatzko doch auf Grund seiner Beobachtung, daß übereinstimmende Typen von verschiedenen Druckern benutzt wurden, zu einem gewissen Zweifel an der imbedingten Gültigkeit des Proctorschen Satzes durchgerungen. Denn der Bezug von übereinstimmender Schrift durch mehrere aus einer Schriftgießerei, widerspricht ganz und gar der Annahme von der prinzipiellen Verschiedenheit aller Inkunabeltypen. „Die Frage des Schriftgusses — sagt Haebler — hat f ü r die Inkunabelforschung insofern eine besondere Bedeutung, weil es von ihrer Beantwortung abhängt, ob man die Bestimmung des Ursprungs eines Wiegendruckes nach den darin verwendeten Typen als beweisend anerkennen m u ß oder nicht."186) — Dziatzko rechnet mit der M ö g l i c h k e i t des Schriftbezuges aus gemeinsamen Quellen; wenn auch nur gegen E n d e des Jahrhunderts. Also hatte Dziatzko noch die Hoffnung, f ü r einen verhältnismäßigen Zeitraum in den Typen die exakte Unterlage f ü r die Bestimmung des ungenannten Druckers zu finden; aber doch nur: ,,in Verbindung mit der sonst erforderlichen genauen Durchforschung der Inkunabeln" 186 ). Das heißt: die Bestimmung durch die Typen a l l e i n , reichte nach Dziatzkos K. D z i a t z k o , a.a.O., S. 120f. H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 63. " ) K. D z i a t z k o , a.a.O., S. 121. 185 ) 6

Zur Type gehören die Druckereigentümlichkeiten

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Meinung nicht aus. Erst die Durchforschung der Inkunabeln über die Typen hinaus, konnte „ein individualisiertes Urteil über die Thätigkeit der einzelnen Drucker, den Grad ihrer Sorgfalt und Geschicklichkeit, und damit auch ein sicheres Urteil über den W e r t ihrer Leistungen gewinnen lassen" 187 ). Damit treten, wie Dziatzko will, wie auch Bradshaw gefordert, neben die Type; von Fall zu Fall, so viel weitere, sehr verschieden zu wertende Momente, f ü r die sich eine methodische Regel nicht wohl geben läßt, d a ß die Entscheidung, oder die Vermutung über den ungenannten Drucker in ganz erheblicher Weise eine persönliche Ansichtssache jedes Forschers bleiben dürfte. Denn der Grad der Sorgfalt und Geschicklichkeit z. B. eines Druckers, die sogenannte Druckerpraxis, sind schwankende Begriffe, die auch in ein- und derselben Werkstatt nicht dauernd gleich geblieben sein können. Der große Fortschritt der Haeblerschen Methode, durch Festlegung typischer M-Formen und durch das Maß der Kegelhöhen ein eindeutiges Verständigungsmittel über die Gestalt der Typen geschaffen zu haben, das die Type von der individuellen Beurteilung und vergleichenden Beschreibung mit anderen „ähnlichen" Typen befreit, bleibt bestehen. Die Benennung der Type nach dem Haeblerschen System kann zwar niemals eine Abbildung selbst ersetzen. Die wollte Dziatzko mit seinen faksimilierten und numerierten Typenalphabeten geben. Aber, nach Dziatzkos Meinung, sind n e b e n den Typen so viele andere Charakteristika bei jedem Drucke zu berücksichtigen, daß eine Übereinstimmung zweier oder mehr Forscher über alle neben den Typen zu beachtenden Umstände schwerlich zu erreichen ist; d a ß also die Untersuchung des namenlosen Druckes zu höchst individuellen Entscheidungen f ü h r e n m u ß . Treten neben die 187

) K. D z i a t z k o, a. a. 0., S. 121.

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Zur Kontrolle der Type gehört das Wasserzeichen

Type noch weitere, kritisch zu wertende Momente, so verliert das Urteil über den Druck die exakte mathematisch-nachprüfbare Unterlage, die ihr gerade die Haeblersche Methode schaffen, und damit diesen Zweig der Forschimg aus einem dilettantischtastenden Betrachten zur „Wissenschaft" erheben wollte. Mit der Bestimmung der Type allein, ist der namenlose Drucker — sobald verschiedene Drucker gleichförmige Typen benutzt haben — noch nicht ermittelt. Zu der „sonst erforderlichen genauen Durchforschimg der Inkunabeln", die Dziatzko f ü r nötig hielt, gehört zweifelsohne auch die Verwertung der Holzschnitte und der Wasserzeichen. Also all' die verschiedenen Wege, die der eine, die der andere — der eine immer im Widerspruch, oder unter Herabsetzung der Meinung des anderen — f ü r richtig gehalten, um f ü r die namenlose Inkunabel den rechten Vater zu finden, müssen z u g l e i c h beschritten werden, weil die Bestimmung der Type allein k e i n sicheres Resultat verspricht. Die Stellung Dziatzkos zur Verwertung des Wasserzeichens ist lehrreich. — Im Jahre 1 8 9 6 meinte Dziatzko: es wären f ü r einen Inkunabelkatalog „vielleicht Mitteilungen über die Papierwasserzeichen zu machen.... Indeß halte i c h . . . den Nutzen der Ermittelung . . . f ü r nicht xmzweifelhaft, wenigstens bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnis von den Papierwasserzeichen, die dazu erforderliche Arbeit jedenfalls f ü r sehr groß" 188 ). — Im Jahre 1900 wies Dziatzko auf noch nicht veröffentlichte Nachbildungen W . Molsdorfs von „Proben einer Sammlung von Papier-Wasserzeichen der Drucke des i 5 . Jahrhunderts" hin 189 ). — Und im Jahre 1 9 0 1 verlangte Dziatzko 188

^ K. D z i a t z k o , a.a.O., S. 117. ) (K. D z i a t z k o , ) Katalog d. im histor. Saale der K. UniversitätsBibliothek zu Göttingen zur 5oojährigen Geburtstagsfeier Joh. Gutenberg's am 2 Juni 1900 eröffneten Ausstellung. Göttingen 1900, no 189

Die Type allein bestimmt nicht den Ursprung des Druckes

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f ü r den umfassenden Katalog der Wiegendrucke durchaus die Berücksichtigung der Wasserzeichen. Dziatzko sagte: „Erst wenn später von allen Inkunabeln zuverlässige Angaben über die darin verwendeten Papiere vorliegen, werden Schlüsse über die Bezugsquellen der einzelnen Firmen und über die f ü r undatierte Drucke etwa festzustellende Zeit und über manches andere möglich sein" 190 ). Ganz gewiß war f ü r Dziatzko die Type das an erster Stelle stehende Kriterium f ü r die Bestimmung der Inkunabeln. Aber er hatte übereinstimmende Typen bei verschiedenen Druckern in solchem Umfange angetroffen, daß er wenigstens f ü r das Ende des Jahrhunderts mit der Möglichkeit des Bezuges identischer Typen aus Schriftgießereien rechnete. Daher konnte er — jedenfalls f ü r diese Zeit; nein, Dziatzko war ein Philologe und ging mit philologischer Gründlichkeit vor, ausdrücklich f ü r die ganze Wiegendruckzeit! — in der Type allein nicht mehr den Beweis f ü r den Ursprung eines Druckes sehen, und er suchte mindestens nach einem zweiten Hilfsmittel, u m das aus der Type gewonnene Resultat zu kontrollieren. Ob Dziatzkos Beobachtungen hinsichtlich identischer Typen in der Hand verschiedener Drucker in Einzelheiten zu berichtigen sind — ein so feiner Kenner der Type, wie Ernst Voullieme, der mit der Haeblerschen Methode eng verwachsen ist, hat die gleichen Beobachtungen, wie Dziatzko, gemacht! Ich habe schon Beispiele gegeben, d a ß nicht zu unterscheidende, identische Typen von verschiedenen Druckern benutzt wurden. Da die behauptete prinzipielle Verschiedenheit a l l e r Frühdrucktypen das Fundament und der Eckstein ist, auf 19 °) K. D z i a t z k o , Plan eines alle bekannten u. noch zu ermittelnden Wiegendrucke umfassenden Katalogs. (Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, i A . H e f t 1 9 0 1 , S. 7 5 . )

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Übereinstimmung der Typen — prinzipielle Verschiedenheit

dem die Proctor-Haeblersche Methode aufgebaut ist191), lasse ich kurz-zusammengedrängt noch eine Reihe von Beobachtungen folgen, die Voullieme zu danken sind. Man vergleiche: Voullieme, Die deutschen Drucker des i5. Jahrhunderts (2. Aufl., Berlin 1922) in Augsburg; es ist „die einzige S. 2. Johann Schüßler von ihm benutzte Type nicht von der Type 1 des Günther Zainer zu unterscheiden". S. 6. Anton Sorg in Augsburg; es kommt ,,Sorgs Type 3, U auch in Drucken der Joh. Schobser vor". S. 9. Ambrosius Keller in Augsburg; ,,er druckte mit G. Zainers Type 2". in Augsburg; seine ,,Type 1 = S. 9. Hermann Raestlin Günther Zainers Type 2". S. lä. Peter Berg er in Augsburg; seine 2. Type ist„gleich Schönspergers Type Nr. 1". S. iU. Christoph Schnaitter in Augsburg; seine Type 1 hat die „Majuskeln von Kaestlins Type 2"; seine Type 2 ist mit Schaurs Type 2". ,, über einstimmend S. lä. Lucas Zeißenmayer in Augsburg; „Type i, 2 = Schönsperger U, 6". S. 15. Johann Froschauer in Augsburg; „die Texttype 1 mit Mn ist gleich Sorgs Type h, und die zugehörige Auszeichnungsschrift Type 2 ist gleich Sorgs Type 3 und Schönspergers Type 3". S. 25. Johann Schilling-Solidi in Basel; „schon im Jahre 1U81 waren seine Typen in den Händen des Baslers Eberhard Frommolt". S. 29. Ludwig Hohenwang in Basel; „die Type mit Mn, 20 Zeilen = 77 mm, scheint identisch mit Wenßlers 191

) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. 87.

Übereinstimmung der Typen — prinzipielle Verschiedenheit

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Type 11, ist also wahrscheinlich von diesem erworben oder geliehen". S. U3. Drucker des Dictys in Cöln; seine Majuskeln kommen ,,als Nebenformen auch bei Arnold Therhoernen in dessen ältesten Drucken vor". S. U5. Johann K o e l h o f f , d. ä., in Cöln; „seine ersten Typen stimmen so genau mit denen italienischer Drucker, im besonderen des Venetianer Druckers Wendelin von Speyer, überein, daß es naheliegt anzunehmen, daß er dort seine technische Ausbildung und sein Typenmaterial erhalten hat". S. 46. Nicolaus Goetz in Cöln; er lieh dem ,,Münzmeister Erwin von Stege Pressen, Typen und sonstiges Druckgerät". S. U6. Bartholomäus von Unekel in Cöln; es gelangte ,,ein Teil seines Typenvorrats in den Besitz H. Quentells". S. 50. Johannes de Bei in Cöln; vielleicht hat er ,,Type 1 * von Koelhoff erworben". S. 51. Theodoricus Molner und Konrad Welker von Boppard in Cöln; ,,außer fünf datierten Drucken kennen wir noch etwa zwölf Bücher ohne alle Angaben, die wegen der völligen Typengleichheit nicht mit Sicherheit dem einen oder dem anderen dieser beiden Männer zugewiesen werden können". S. 52. Der D rucker der Getzi j den in Cöln; ,,die Type stimmt in den meisten Formen mit Arnold Therhörnens Type 1 überein, doch ist der Kegel etwas kleiner". S. 5U. Johann K o e l h o f f , d. j., in Cöln; ,,einen großen Teil seines vom Vater ererbten Druckmaterials finden wir später im Besitz des Heinrich von Neuß". S. 5h. Hermann Bungart in Cöln; „die Typen 2, 10—12 scheinen aus dem Besitze Renchens zu stammen". S. 59. Nicolaus B echter münze in Eltville; Type 3 scheint „mit Type 2 des Peter Drach in Speyer identisch zu sein"; es ist zu vermuten, „daß nicht Bechtermünze diese Type

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Keine Type spricht in zwingender Weise für eine Druckerei

geschaffen und an Drach abgetreten hat, sondern umgekehrt". — Und so weiter! Voullieme stellt nicht eine prinzipielle Verschiedenheit, sondern in diesen Fällen eine Gleichheit der Typen fest. Die Beobachtungen von Dziatzko, von Voullieme, von Haebler selbst, und von vielen anderen Forschern, beziehen sich auf so zahlreiche Typen, daß es bei der Fülle des von ihnen beigebrachten Materials nicht mehr möglich ist, von nur gelegentlichen Ausnahmen zu sprechen, die den Satz von der prinzipiellen Verschiedenheit aller Inkunabeltypen nicht berühren. Die Fülle der nachweislich in der Hand verschiedener Drucker gewesenen völlig identischen Typen, spricht aber auch gegen den Satz, daß jeder einzelne Drucker, u m sich zu unterscheiden, und seine Werkstatt kenntlich zu machen, an einer überkommenen Type ihn charakterisierende Änderungen vorgenommen habe. Und die von Voullieme und allen anderen gemachte Beobachtung setzt immerhin voraus, daß sich die verschiedenen Drucker, die identische Typen benutzten, zufällig auch mit Namen g e n a n n t haben, oder sonst ihrer Individualität nach zu erfassen waren. Das heißt: ist ein Druck mit keinem Namen verbunden, Hegt also der Fall vor, wo mit Hilfe des Typenrepertoriums die Persönlichkeit des ungenannten Druckers bestimmt werden soll, so fehlt dem Schlüsse auf Grund der Type die Beweiskraft; denn sobald nachgewiesen ist, daß identische Typen von verschiedenen Druckern benutzt wurden, ist eine Type, die sich in zwei Drucken findet, nicht mehr in zwingender Weise f ü r e i n e Offizin in Anspruch zu nehmen. W i r wissen, daß Typen verliehen, verpfändet, verkauft und vererbt wurden. Derartige Vorgänge werden — abgesehen von urkundlichen Zeugnissen, die doch auf eine verbreitete Ge-

Keine Type spricht in zwingender Weise für eine Druckerei

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wohnheit in dieser Hinsicht schließen lassen — nur kenntlich, wenn der Entleiher usw. bei Verwendung der Type seinen Namen nennt. Bei namenlosen Drucken wird die Benutzung einer fremden Type nicht augenfällig. Und j e d e Type kann von Hand zu Hand gewandert sein! Das heißt: ein namenloses buchdruckerisches Erzeugnis wird — falls nicht besondere Umstände hinzutreten — durch das Typenrepertorium nicht mit Sicherheit dem richtigen Drucker zugewiesen. — Das will aber das Typenrepertorium, oder die Proctor-Haeblersche Methode. Ist der Drucker genannt, so hat die methodische Typenbestimmung nach M-Form und Kegelhöhe lediglich den Zweck der einheitlichen Bezeichnung der benutzten Type. Die eigentliche Aufgabe des Typenrepertoriums sollte das nicht sein. (In der Bezeichnung der Typen gehen Proctor und Haebler verschiedene Wege.) Proctor und Haebler hatten sich weitere Ziele gesteckt. Nur kann da ihre Absicht unmöglich zu dem gewünschten sicheren Resultat führen. Ein so ausgezeichneter Beobachter f ü r die Type, wie Ernst Voullieme, der fast sein ganzes Leben in den Dienst dieser einen Sache gestellt, der die vollste Andacht zum Kleinen hat, wie die Type sie fordert, hat in nie ermüdender Arbeit, unverdrossen, Beleg zu Beleg gesammelt und nachgewiesen, daß verschiedene Drucker identische Typen benutzten. Aber Voullieme hat aus der Summe seiner feinen und fleißigen Beobachtungen keinen Schluß zu ziehen vermocht. Diesen Schluß, das „geistige Band", das die Einzelbeobachtungen erst miteinander verknüpft, hat Breitkopf—Laire gegenüber, hat Dziatzko—Proctor gegenüber gefunden, beide bei sehr viel geringeren Unterlagen. Im fünfzehnten Jahrhundert konnten die Stempelschneider, oder doch die große Mehrzahl der Stempelschneider, noch

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Vom Plan des Gesamtkataloges bis zur Drucklegung

nicht einen Buchstaben, seiner Zeichnung nach, völlig übereinstimmend wiederholen. Die übereinstimmende Type, eine Reihe von hundertfünfzig bis zweihundert Schriftzeichen, geht deshalb auf die gleichen Matern, auf die gleichen Stempel zurück.

E i n paar Daten. — Bei der Tagung der deutschen Bibliothekare zu Pfingsten 1900 in Marburg hatte Dziatzko über den: „Plan eines alle bekannten und noch zu ermittelnden Wiegendrucke umfassenden Katalogs" das Referat, Haebler das Korreferat. Ein gedruckter Bericht, der selbstverständlich Bezug nahm auf Dziatzkos frühere Forderungen, d. h. die Beachtung der Wasserzeichen und die Eigentümlichkeiten jedes Wiegendruckes, n e b e n der Type, betonte die sachliche Übereinstimmung des Referenten und Korreferenten 198 ). Dabei kündigte Dziatzko an, daß er als Hilfsmittel f ü r den Katalog „auf Grund des seit langer Zeit gesammelten Materials eine größere Arbeit" vorbereite „über die zweckmäßigste Gruppierung und Gruppenbezeichnung der zahlreichen Typenarten". A m 2 7 . September 1 9 0 1 entwickelte Haebler den Gedanken f ü r sein Typenrepertorium. Damals vertrat Haebler noch den Standpunkt, daß „nicht nur der Type selbst, sondern auch der gesamten Druckpraxis" f ü r die Bestimmung eines namenlosen Druckes Berücksichtigung zu schenken sei199). — Also, Haebler und Dziatzko, die beide ein Typenrepertorium planten, waren in völliger Übereinstimmung. 192

) 1Heft 193 ) no 2 2 6

Dziatzko, in Sammlung bibliothekswissenschaftl. Arbeiten, 1 9 0 1 , S. 6 2 — 7 9 . H a e b l e r , im Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel, 1 9 0 1 v. 2 7 . September.

Vom Plan des Gesamtkataloges bis zur Drucklegung

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Dziatzko starb am i 3 . Januar i g o 3 . Damit war die Bahn f ü r Haebler frei. I m Winter igo/;/o5 wurde die Kommission f ü r den Gesamtkatalog der Wiegendrucke begründet. Haebler stand an der Spitze; und blieb an der Spitze, bis der Druck des Katalogs in Angriff genommen wurde. i g o ö erschien der erste Band des Haeblerschen Typenrepertoriums. Dem Gesamtkatalog war das notwendige Rüstzeug gegeben. Aber: über die Druckerpraxis, die — neben der Type — doch auch berücksichtigt werden sollte (mindestens als Kontrolle zu den typologischen Feststellungen), wird im Typenrepertorium n i c h t s gesagt! — W o das Typenrepertorium sich durchaus nach den Proctorschen Grundsätzen richtet, geriet die deutsche Forschung nun in das unsichere englische Fahrwasser, wählte aber eine von Proctor abweichende Bezeichnung der Type. Seit 1907 erscheinen die Veröffentlichungen der Gesellschaft f ü r Typenkunde, u m dem Typenrepertorium die nötige Anschaulichkeit zu geben. 1925 kam der erste Band des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke, dieses „großen nationalen Unternehmens", als Beweis f ü r die eifrige Arbeit der Kommission heraus. Es ist ein Werk „auf das auch unsere Nachkommen stolz sein können" 194 ). — Der Gesamtkatalog ist der Ersatz f ü r den „Hain", und ganz gewiß reicher und vollständiger als Ludwig Hains Repertorium. Aber Hains Angaben und seine Art der Beschreibung in allerkürzester F o r m brachten „doch beinah alles, was zur typographischen Charakterisierung eines Wiegendruckes erforderlich ist, und ermöglichen eine genaue Kontrolle der durch die textliche 194 ) Erich v o n R a t h , Ernst Voullieme als Inkunabelforscher. Bonn 1 9 2 2 , S. 9.

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Proctor-Haeblers vereinfachte Beweisführung

Beschreibung bedingten Identifizierung" 195 ). Dieser Erfolg ist f ü r eine Bibliographie nicht gering zu werten. Hains Vorzug liegt „in der exakten, schematischen Beschreibung, die jeden Druck eindeutig kennzeichnete und die Unterscheidung auch der ähnlichsten Ausgaben ermöglichte" 196 ). Was der Gesamtkatalog in breiter Fassung über die Angaben von Hains Repertorium hinaus gibt, kann — soweit das Typenrepertorium zur Grundlage dient — noch nicht als ein sicherer Gewinn f ü r die Wissenschaft gelten.

D i e Tatsache, daß die nämliche Type — nicht im Ausnahmefalle — in verschiedenen Händen war und noch weit öfter, als wir festzustellen imstande sind (wenn nämlich der Druck den Namen des Herstellers nicht verrät) einem anderen gedient haben kann; die Tatsache, daß eine Type nicht dauernd allein im Besitze e i n e s Druckers geblieben ist, nimmt der Type die Eigenschaft als charakteristisches Kennzeichen f ü r eine bestimmte Werkstätte. Das Verfahren, auf Grund der Type einen nicht genannten Drucker zu bestimmen, kann ich daher nicht f ü r richtig ansehen. Denn bei diesem Bestimmungsversuche wird die ziffernmäßig nicht geringe Erscheinung, daß Typen von Hand zu Hand wanderten, sei es als fertig gegossene Lettern, sei es als Matern, und auch die Stempel die Besitzer wechselten (die als Wertobjekte nur wieder in Abschlägen Verwendimg finden konnten) zur Vereinfachung der Beweisführung außer Ansatz gelassen. Eine Rechnung, die diese zwar unbekannte, aber erheb195) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S . u . 196) Ernst S c h u l z , Aufgaben und Ziele der Inkunabelforschung. München 192 4, S. 6.

Trennung von Schriftgießerei und Druckerei

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liehe Größe nicht berücksichtigt, verspricht kein sicheres und exaktes Resultat. Proctor und besonders Haebler sind e i n e r Möglichkeit, die sie allein f ü r gegeben hielten, nachgegangen und haben f ü r diese ihre Annahme eine passende Theorie aufgestellt — sie haben aber die F ü l l e der Möglichkeiten, die im wirtschaftlichen Leben selbst liegen, unbeachtet gelassen. Nach ihrer Annahme hat es während der Inkunabelzeit keine Schriftgießereien, die den Schriftguß f ü r andere gewerbsmäßig ausübten, gegeben. — Die Zeit der Wiegendrucke bleibt immer eine Periode der Entwicklung, und nicht einmal heute können wir sagen, daß sich die Schriftgießereien von den Druckereien allemal säuberlich getrennt haben. Erfolgreiche Bemühungen, aus Gründen eines strafferen, innungsmäßigen Zusammenschlusses der Druckereien, die Schriftgießereien 'auszuscheiden, gehören erst ins Ende des siebzehnten und in den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Und auch zu dieser Zeit wurde dem Schriftgießer, wenn er die bedungenen Leistungen erfüllte, die Aufnahme in die Gemeinschaft der Drucker nicht verweigert. Von der Inkunabelzeit kann nur gesagt werden: eine Trennung in zwei selbständige Gewerbe, in Schriftgießereien und Druckereien, hatte sich im großen und ganzen, wenigstens sichtbar, noch nicht vollzogen. Die Schriftgießer waren oder wurden auch Drucker. Chr. Fr. Geßner berichtet zu der Frage: Ob Schriftgießer zugleich die Erlaubnis haben sollen, die Buchdruckerei zutreiben: Vor einigen Jahren habe sich deshalb Streit ereignet, da die Wittenberger Buchdrucker „nach Art ihrer Vorfahren" einen Schriftgießer in Thorn ,,in ihre Gesellschaft aufgenommen" hätten. Die Streitsache sei, ,,mit allgemeiner Einwilligung" von der Nürnberger Buchdruckergesellschaft ,,also entschieden worden:

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•Trennung von Schriftgießerei und Druckerei

Obwohl diese Gemeinschaft der Buchdrucker und Schriftgieser fast hundert Jahr üblich gewesen wäre; so sollten dennoch, zu Vermeidung der Unordnung, und-vieles andern Unheils, so oft daraus entstanden, hinfüro die Schriftgieser unter die Buchdrucker nicht mehr gerechnet werden, sie müsten denn diese Kunst rechtmäsig gelernet haben, und die Gesellen, so sich einer oder der anderen Kunst unterzögen, wären gewöhnlich zu straffen und davon zu jagen"191). Geßner war der Meinung: die Buchdrucker seien, dieser Neuerung wegen, keiner Härte zu beschuldigen, „wenn sie die Schriftgieser in ihre Gesellschaft nicht auf und annehmen wollen. Haben sie aber beydes ordentlich und rechtmäßig erlernet; so wird man ihnen den Platz nicht streitig machen" 198 ). Es blieb also, trotz aller Trennungsbestrebungen auch zu Geßners Zeit —

früher flössen beide Gewerbe ineinander über —

wie sich

durch Beispiele leicht belegen läßt, die Vereinigung von Schriftgießerei und Druckerei möglich.

In der Inkunabelzeit ist von

197 ) (Chr. Fr. Geßner,) Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerei 2. Theil. Leipzig 1740. Anhang, Abschn. XXIX. 198) A . a . O . — Im Jahre 1698 verlangte die Mehrzahl der Baseler Drucker, daß dem Schriftgießer Johann Pistorius in Basel, der auch die Druckerei rechtmäßig gelernt hatte, die Ausübung der Druckerei untersagt, und ihm nur die „Buchstabengießerey so jedoch zimlich nehrhafft, und sehr einträglich," erlaubt würde. Mit ihrer Forderung drangen die Baseler Drucker aber nicht durch. Vgl. (E. H o f f m a n n - Krayer,) Nürnberger Schwabacher. Originalerzeugnis der Haas'schen Schriftgießerei Münchenstein bei Basel (1927). — Es ist beachtlich, daß diese kleine Urkundenpublikation mit Lettern gedruckt ist, die aus „den alten OriginalMatrizen" neugegossen wurden. E. Hoffmann-Krayer sagt: „Im Jahre 1 7 1 8 ist dieselbe Schrift, die f ü r die vorliegenden Druckproben Verwendung gefunden hat und mit der im Jahre 1 7 2 1 das .Nürnberger Formatbuch gedruckt wurde, von dem namhaften Schriftschneider Wilhelm Haas aus Nürnberg nach Basel mitgebracht worden, wo sie der damals schon sehr alten Gießerei einverleibt wurde und sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat."

Handel mit Lettern und Matern

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einer durchgeführten Trennung so wenig die Rede, daß Haebler in j e d e r Druckerei nicht n u r eine Schriftgießerei, sondern noch dazu eine Stempelschneiderei sehen will. So weit gehe ich nach dem Wortlaut der Urkunden nicht. Aber viele Drucker, die zur Inkunabelzeit auch Schriftgießer waren, kennten — selbst ohne daß eine offensichtliche Trennung von Schriftgießerei und Druckerei damals bereits eingetreten war — Matern und fertiggegossene Lettern an andere Drucker, die nicht Schriftgießer, zum mindesten nicht Schriftstecher waren, abgeben. Und aus den in verschiedenen, auch räumlich getrennten Werkstätten benutzten identischen Typen m u ß der Schluß gezogen werden, daß ein Verkehr, daß ein Handel mit Lettern oder Matern stattgefunden. — Von diesem Zeitpunkte an verliert die Type ihre Beweiskraft f ü r einen bestimmten Drucker. Also seit w a n n ? Die schon angeführten, durchaus nicht erschöpfenden Belege über die Benutzimg identischer Typen bei verschiedenen Druckern stammen nicht erst aus den letzten Jahren des f ü n f zehnten Jahrhunderts. Von Claudin habe ich gesprochen (vgl. oben S. 58) ; er sieht den gewerbsmäßigen Schriftguß im Jahre i / j g 3 in Lyon begründet. Auf Enschedé und Kruitwagen ist bereits verwiesen (vgl. S. 12, 53); nicht nur in dem Lettersnider, der zu Ende der Inkunabelzeit auftritt, sondern aus der erheblich f r ü h e r e n Benutzung übereinstimmender Typen am Oberrhein schließt Kruitwagen auf den Bezug von Lettern aus Schriftgießereien. Es ist nicht nötig, nochmals auf Breitkopf, auf Dziatzko und auf Le Verdier. zurückzugreifen. Andere Stimmen mögen zu Worte kommen. M. P eil ecket: „Je veux simplement rapprocher les caractères employés par des ouvriers différents exerçant dans des

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Gewerbsmäßige Abgabe von Typen aus Schriftgießereien

villes fort éloignées les unes des autres, et laisser aux lecteurs le soin de juger si cette similitude de types provient de l'achat de fontes dans une même fabrique, ou si l'ont doit supposer une même origine pour les imprimeurs qui en ont fait usage"199). Ich überlasse es Voulliéme, nötigenfalls seine Beispiele an die Stelle der von Mlle. Pellechet zu setzen und den erforderlichen Schluß zu ziehen. Denn Mlle. Marie Pellechet, deren tätiger Anregung der vorbildliche: Catalogue général des incunables des bibliothèques publiques de France (1897 f f . ) sein Erscheinen verdankt, war — wie Haebler sagt — nur ,,eine begeisterte Dilettantin"200). H. 0. Lange : ,,Betreff s der Art und Weise, wie die alten Buchdrucker sich mit Typen versorgten, tappen wir ganz im Dunklen. Die ältesten sind ohne Zweifel selbst Schriftgießer gewesen; aber es hat kaum lange gedauert, bis Schriftgießen und Buchdrucken sich zu zwei selbständigen Tätigkeiten entwickelten. 1U80 erwähnt Bartholomäus Ghotan in der Schlußschrift zum Missale Magdeburgense, daß die verwendeten Typen von Lucas Brandis' Hand herstammen — Klemming ist der erste, der eine richtige Deutung von den Worten der Schlußschrift gegeben hat — und vieles weist darauf hin, daß Lucas Brandis ein bedeutendes Geschäft mit Buchdruckermaterial betrieben hat. Auch können wir das gleichzeitige Vorkommen derselben Type an mehreren Orten nicht erklären, ohne anzunehmen, daß sie von demselben Schriftgießer herstammt"101). 199 ) M. P e l l e c h e t , Alphabets des imprimeurs du XVe siècle (Revue des bibliothèques, i 3 . Jhg. Paris 1 8 9 3 , S. 1 — i o ) dazu: M. P e l l e c h e t , Quelques alphabets d'imprimeurs au XVe siècle (a.a.O., 1 6 . J h g . 1 8 9 6 , S. 1 2 9 — 1 3 9 ) . so °) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. 16. 201 ) H. 0 . L a n g e , Eine anonyme Hamburger Druckerei von i 5 o a (7. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen wissenschaftl. Anstalten, 2 5. Bd. 1 9 0 7 , Hamburg 1909, S. 20).

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Auch Haeblers eigener Aufsatz: Über Typenwandlungen in der Wiegendruckzeit202) legt dem aufmerksamen Leser den Schluß auf die gewerbliche Tätigkeit des Lucas Brandis als Schriftgießer nahe. Hermann Degering: „Wir sahen ... daß die Type Silbers mit denen des Mathaeus Moravus und Herolts außerordentlich nahe verwandt ist, so nahe, daß man wohl annehmen darf, daß sie alle drei aus derselben Schriftgießerei 203 stammen" ). Gustav M ori sagt von Speyer: „Die bedeutendste Druckerund Verlegerfamilie der alten Bischofsstadt, die Drach, dürften sich während ihrer langen Wirksamkeit (1U77 bis ca. 1515) auch in hervorragendem Maße als Schriftgießer betätigt haben. Dafür spricht nicht Jiur ihr großer Schriftenreichtum, sondern auch der Umstand, daß die von ihr geführten Typenformen sich vielfach im Besitze zeitgenössischer Drucker nachweisen lassen"20*). Aus dem in einer Offizin vorhandenem großen Schriftenreichtum folgere ich noch nicht, daß diese Werkstätte gewerbsmäßig Schriften abgegeben hätte. Aber die von Drach und anderen gleichzeitig benutzten Typen führen auch m. E. zu dem Schluß, daß dieses übereinstimmende Druckmaterial aus einer Quelle stammt. Gustav Mori sagt von dem am 13. April lh!8 verstorbenen Augsburger Drucker Günther Zainer: „Sind über die Schriftgießertätigkeit Zainers auch keine Nachrichten be202 ) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 3 B d . 1917, S. 1 — 1 2 . 20s ) Hermann D e g e r i n g , Wer war der Drucker der Erstausgabe des Vitruv? in: Wiegendrucke und Handschriften. Festgabe Konrad Haebler dargebracht. Leipzig 1 9 1 9 , S. 1 8 7 , ferner S. 204 ) G. M o r i , Das Schriftgießergewerbe in Süddeutschland. Stuttgart 192/i, S. 5o.

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kannt geworden, so darf doch aus der Tatsache, daß seine Typenformen nicht nur bei den zeitgenössischen Augsburger Druckern mit mehr oder weniger Änderungen wiederkehren, sondern auch außerhalb (Krakau und München) nachzuweisen sind, geschlossen werden, daß er wie so viele seiner Zeitgenossen für andere Drucker als Schriftlieferant bezw. Gießer tätig war"20*). Gustav Binz sagt von den mit Berthold Ruppels Type 118 gedruckten Büchern: „Für diese ist Ruppels Name überhaupt nicht bezeugt. Man weist sie ihm zu, weil die Type mit 112 identisch, nur auf einen etwas größeren Kegel gegossen ist, von der für die Inkunabelforschung grundlegenden Anschauung ausgehend, daß in so früher Zeit dieselbe Type nur beim selben Drucker in Gebrauch gewesen sei. Ob dieser Grundsatz uneingeschränkte Geltung beanspruchen darf, soll hier nicht weiter untersucht werden. Das Auftauchen der 36zeiligen Bibel-Type in Bamberg könnte bedenklich stimmen"20*). Die 36zeilige Bibeltype gehört in den Anfang der Inkunabelzeit. Gustav Binz steht mit seinem Bedenken, ob die ProctorHaeblersche Methode ganz sicher gegründet sei, ja nicht allein. Ernst Schulz: ,,Über die typographische Technik und die Praxis der Frühdrucker sind wir durch eine ganze Anzahl eindringender und scharfsinniger Untersuchungen schon weitgehend unterrichtet, doch liegen für viele Punkte noch keine abschließenden Ergebnisse vor. So kann beispielsweise die These, jeder Drucker habe seine Schriften selbst hergestellt, auf der 8°5)

G. M o r i , a . a . O . , S. 3. Gustav B i n z , Die Anfänge des Buchdrucks in Basel. (GutenbergFestschrift, zur Feier des 2 5jährigen Bestehens des Gutenberg-Museums in Mainz, hrsg. v. A. Ruppel, Mainz 1 9 2 5 , S. 38g.) — Binz folgt in der Typenbezeichnung dem von Haebler abweichenden Verfahren des Britischen Museums. 206 )

Haebler contra Haebler

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das von Bradshaw, Proctor und Haebler ausgebaute System der Typenbestimmung beruht, durchaus nicht als gesicherte Erkenntnis, sondern nur als eine Arbeitshypothese angesehen 1 werden, die dringend einer Nachprüfung bedarf'™ ). Der Wert einer Arbeitshypothese, die noch dringend einer Nachprüfung bedarf, ist, wie ich glaube, nicht übertrieben hoch einzuschätzen. Das ist keine „wissenschaftliche Tat" 208 ).

F ü r mich ist es stets eine Freude, wenn ich mich mit dem Altmeister der Typenforschung, mit Konrad Haebler, in Übereinstimmung befinden darf. — Auch f ü r diese Übereinstimmung noch ein paar Belege, die ich Haeblers Werk: ,,Die deutschen Buchdrucker des i5. Jahrhunderts im Auslande" (München 1924) entnehme: Haebler sagt über die Type zweier Kleriker, des Georg Sachsel und Bartholomäus Golsch in Rom ,,lhre Type verrät ziemlich deutlich, woher sie stammt. Es ist eine ziemlich große Antiqua, die aber nicht eine einheitliche originale Struktur aufweist, sondern gemischt ist aus Buchstaben, die teils der Type von Sweinheim und Pannartz, teils derjenigen des Johannes Philippus de Lignamine entnommen sind. Von den erstgenannten Druckern stammen auch ihre griechischen Lettern. Wahrscheinlich sind die beiden Kleriker Werkleute in einer dieser Druckereien, und haben, als Sweinheim das Drucken aufgab, und noch ehe Pannartz sich entschloß, die Tätigkeit allein fortzusetzen, einen Teil von dessen Druckmaterial an sich gebracht und für ihren eigenen Gebrauch zurecht gemacht. Daßt 20T

) Ernst S c h u l z , Inkunabelsammlungen und ihr wissenschaftlicher Wert. Bemerkungen zur Sammlung Vollbehr. München 1927 (Privatdruck), S. 5. 208 ) H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1925, S. 26.

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Haebler contra Haebler

sie nicht imstande waren, dieses Material aus eigener Kraft zu erneuern, zeigt sich darin, daß sie in einem ihrer späteren Drucke einem Varro, De lingua latina (Hain 15853) die griechischen Zitate, die sie anfangs mit griechischen Buchstaben zu drucken' vermocht hatten, hier entweder der handschriftlichen Ergänzung vorbehielten oder aber mit lateinischen Buchstaben setzten". (A.a.O., S.84.) Haebler sagt von Nicolaus Spindeler und Pedro Posa in Barcelona: ,,Diese beiden Drucker haben nämlich da, wo sie unabhängig auftreten, ein auffallend bescheidenes Können auf dem Gebiete des Buchdrucks und insbesondere auf dem der Schriftengestaltung verraten. Trotzdem finden sich in ihrem Besitze mehr als einmal neue, meist vorzüglich gestaltete Typen, und es liegt nahe, anzunehmen, daß ihnen diese von Peter Brun geliefert worden sind. Von Posa kann man geradezu behaupten, daß er immer nur so lange zu drucken imstande war, bis die in seinem Besitz befindlichen Typen durch Abnutzung unbrauchbar geworden waren". (A. a. O., S. 258.) Haebler sagt von Johannes Petri von Mainz, daß der die Druckerei des Nonnenklosters vom heiligen Jakob von Ripoli, mindestens zum Teil, eingerichtet habe. ,,Sicher aber hat er ihr die Matrizen zu ihren Antiquatypen geliefert. Man hatte es zwar im Kloster gelernt, aus den Matrizen die Typen sich selbst zu gießen; dagegen blieb die Klosterdruckerei dauernd in allem, was mit Schriftstecherei und Stempelschnitt zusammenhing, von fremder, und zwar fast ausschließlich von deutscher Hilfe abhängig". (A. a. 0., S. 158.) Haebler_ sagt von Johannes Besicken in Rom: „Man möchte beinahe annehmen, daß Besicken seine Typen nicht selbst geschaffen, sondern in der Hauptsache von anderen übernommen hat. Seine erste gotische Textschrift stammt aus der Werkstatt des Bartholomäus Guldenbeck, seine erste Antiqua

Haebler contra Haebler

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ist identisch mit der Schrift, die Johannes Schönberger zu den Maffeidrucken angewendet hatte. Erst in seinen späteren Drucken werden dann mehr und mehr neapolitanische Einflüsse bemerkbar, die ohne Zweifel den Verbindungen mit neapolitanischen Druckern zuzuschreiben sind". (A. a. 0., S. 102.) Haebler sagt: „Wie die Type des Hieronymus zwischen Sixtus Riessinger und Ulrich Han, die des Wendelinus de Wila zwischen ihm und Guldenbeck, die der Mercuriales Quaestiones zwischen Schenkbecher und Johann Reinhard von Hand zu Hand gegangen ist, so bildet wiederum eine gemeinsame Type das verbindende Glied zwischen den Drucken zweier anderer deutscher Meister, des Johannes Gensberg und des Johann Schurener. Die Type ist eine mittelgroße Antiqua von wenig scharfer Zeichnung, und ruenn sie auch bei beiden Druckern nicht vollständig identisch ist, so daß man bei dem jüngeren Drucker unbedingt einen Neuguß annehmen muß, so reicht die Übereinstimmung doch so weit, daß man behaupten kann, daß dieser Neuguß mit Hilfe der alten Stempel oder Matrizen erfolgt sein muß". (A. a. 0., S. 87.) Haebler sagt von William Caxton, dem ersten Drucker in England, daß er von Colard Mansion in Brügge ,,die nötigen Materialien bezogen hat, mit denen er seine Erstpresse in Westminster errichtet hat". (A. a. 0., S. 275.) Von Caxtons Nachfolger, Wynkyn de Wörde, sagt Haebler, daß er mit denselben Typen, die Caxton gedient, weitergedruckt. „Das mag wohl darin seinen Grund gehabt haben, daß Wynkyn aus eigener Kraft nicht imstande war, seinen Typenbestand zu erneuern. Was er zu Caxtons Schriften hinzugetan hat, sieht ganz so aus, als ob er diese Typen nicht selbständig gestaltet, vielmehr von anderen niederländischen und französischen Druckern fertig bezogen hätte". (A.a.O., S.276.)

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Haebler oontra Haebler

Haebler sagt: „In den jüngeren Wiegendrucken Böhmens kommt eine unbedingte Abhängigkeit vom Nürnberger Buchdruck zu unverkennbarem Ausdruck. Aber auch da ist nicht festzustellen, ob das in der Weise zustande gekommen ist, daß Nürnberger Drucker sich in Böhmen niedergelassen haben, oder ob böhmische Drucker sich von Nürnberg aus mit Schriftmaterial versehen haben". (A. a. 0., S. 282.) Haebler sagt von dem in Vicenza tätigen Stephan Koblinger: „Auch Koblinger druckt zuerst mit jener Antiqua des Hermann Liechtenstein, von der auch Johannes de Vienna Gebrauch machen konnte. Er stattet sich aber dann mit gotischen Schriften aus, die wiederum solchen des Franz Renner in Venedig so völlig gleichen, daß man auch hier mit einem Erwerb fertig gegossener Typen wird rechnen müssen, die Koblinger recht wohl erworben haben könnte, als sich die Renner'sche Offizin im Jahre 1U78 auflöste". (A. a. 0., S. 16U.) Haebler sagt von den Drucken, die Johann Luschner 1U98 in Barcelona ausgehen ließ: „Diese sämtlichen Drucke sind mit Typen, Initialen oder Leisten ausgestattet, die sich auch im Besitze von Johann Rosenbach befunden haben". Luschner druckte dann im Kloster auf dem Montserrat. „Daß aber diese Werkstätte auf dem Montserrat in engsten Beziehungen zu Johann Rosenbach steht, ergibt sich abermals daraus, daß sie dessen Druckmaterialien verwenden kann, daß sie sich, als es sich um eine Ergänzung derselben handelt, nach Perpignan wendet, wo Rosenbach als der einzige dorthin verschlagene Drucker zur Zeit seine Werkstätte einrichtete". (A. a. O., S. 260 f.) Haebler sagt: Georg Wolf von Baden habe in Paris mit Typen von Gering gedruckt, daneben auch mit einer neuen Type. „Die neue Schriftart ist eine kleine gotische Type, eher venetianischen als deutschen Stiles, aber in einer Abart, die ge-

Haebler contra Haebler

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radezu für die Pariser Drucker charakteristisch geworden ist. Sie tritt fast unterschiedslos in einer großen Anzahl der späteren Pariser Druckereien auf, so daß es beinahe den Anschein gewinnt, als ob Lettern dieser Type in Mengen hergestellt, und unterschiedslos an verschiedene Drucker käuflich abgegeben worden seien". (A. a. 0., S. 176)™). Haebler sagt von dem Augsburger Erhard Ratdolt: „Vor seinem Weggang von Venedig hat Ratdolt einen großen Teil seiner Druckmaterialien verkauft.... Auch Typen hat Ratdolt offenbar nach verschiedenen Seiten hin abgegeben, denn wir begegnen solchen einmal bei dem unbekannten Drucker von Salamanca im Westen und im Osten in den Händen von Stahel und Preinlein, die sich allerdings mit Stolz impressores veneti nennen, in Brünn. Nach Augsburg hat er höchstens einen Teil seiner Stempel mitgenommen". (A. a. O., S. 109f.) Haebler sagt von der Lyoner Bartolus-Ausgabe er. 1U82: .,,Die literae venetae der Bartolus-Ausgabe sind nichts anderes, als ein Neuguß einer Ratdoltschen Type auf einem um einige Millimeter verminderten Kegel". (A. a. O., S. 197f.) Und so fort! Es will mir scheinen, daß diese nicht auf Basel bezüglichen Bemerkungen Haeblers, einigermaßen mit den wirtschaftlichen Vorgängen im Druckereigewerbe, wie sie die Baseler Urkunden bezeugen, übereinstimmen. Die Type verrät ihre Herkunft aus fremden Werkstätten. Der Drucker, der sie benutzte, war nicht imstande, aus eigener Kraft eine Type zu schaffen. Drucker, deren Können in bezug auf Schriftgestaltung auffallend bescheiden war, benutzten vorzüglich gestaltete Typen. Matrizen werden geliefert. Typen wurden übernommen und wanderten von Hand zu Hand. Das 209

) Auf diese Type weist auch H a e b l e r , Handbuch der Inkunabelkunde. Leipzig 1 9 2 5 , S. 8 7 hin.

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Haeblers freier Standpunkt seinem Dogma gegenüber

Druckmaterial wurde bezogen und vom Geschäftsnachfolger unverändert weiter benutzt. Eine Druckstätte war von einer anderen, örtlich getrennten, hinsichtlich ihrer Typen unbedingt abhängig. Fertig gegossene Lettern wurden erworben. Bei zwei, bei mehr Druckern finden sich die gleichen Typen. Druckmaterialien wurden verkauft. Gegenüber dem: „Typenrepertorium" zeigen derartige Bemerkungen, wie sie Haebler in seinem Werke: „ D i e deutschen Buchdrucker des i 5 . Jahrhunderts im Auslande" gegeben, das 1 9 2 4 bei Jacques Rosenthal in München erschien, einen sehr viel freieren Standpunkt, den allerdings Haebler selbst, das Jahr darauf, in seinem: „Handbuch der Inkunabelkunde", das 1 9 2 5 in Leipzig bei Karl W . Hiersemann, dem Verleger des: „Gesamtkatalogs der Wiegendrucke", herauskam, wieder verließ. Ich darf von einem Gelehrten, wie Haebler, der zwar sehr schnell produziert, nicht sagen, daß er heute so, und morgen anders schreibt. W i e ich glaube, gibt das Handbuch die strengere, dogmatische Formulierung der Haeblerschen Ideen und ist zum Teil als Einführung in das Typenrepertorium gedacht, dessen Einleitungen sehr kurz gefaßt sind, und als Vorwort f ü r den Gesamtkatalog. So läßt das Handbuch in seinem straffen Gange der Darstellung wohl nur einige Linien, die mit der Methode übereinstimmen, hervortreten und legt sich absichtlich bei der geschichtlichen Darstellung der Typenforschung Beschränkung auf 2 1 0 ). Deshalb bleibt aber das Handbuch, das einem bestimmten Zwecke, der Rechtfertigung der Proctor-Haeblerschen Methode dienen soll, leider einseitig. Es stellt die Druckverhältnisse der Inkunabelzeit so dar, wie sie nach Haeblers Annahme sein sollten — nicht wie sie wirklich waren. 210

) Vgl. Karl S c h o t t e n l o h e r im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, U3. Jhg. 1926, S. 79—82.

SCHLUSS S o l l ich Erich von Rath nicht das Wort geben? Erich von Rath ist der Vorsitzende der Kommission f ü r den Gesamtkatalog der Wiegendrucke. Erich von Rath hat f ü r den ersten Band des: „Gesamtkatalogs" (Leipzig 1925) das einleitende Vorwort geschrieben und darin kurz und knapp auf die „Grundlagen" hingewiesen, „auf denen das Gebäude des Katalogs errichtet werden konnte", nämlich auf Haeblers Typenrepertorium, „auf dessen Angaben die Typenbestimmungen des Katalogs fußen". — Was das Typenrepertorium ist, habe ich vielleicht zu ausführlich gesagt: eine geistreiche Idee, eine Annahme ohne Beweis, eine abstrakte und formelhafte Konstruktion, die mit der Wirklichkeit in Widerspruch steht.

H/rich von Rath hat ein glückliches Wort gefunden: „Ein Werk, das seine Ergebnisse durch solch zweifelhafte Annahmen stützen muß, kann nicht als Fortschritt der Wissenschaft angesehen werden" 211 ). — Dies Wort bezieht sich auf den CosterGutenberg-Streit und soll Zedlers Bemühungen restlos abtun. Gottfried Zedier stützt sich auf das Zeugnis der Kölner Chronik von i499» und Zedier sucht eine Vorstufe der Gutenbergschen Erfindung technisch zu erklären. Diese Vorstufe der Erfindung ist nach Ulrich Zells Angabe, eben in der Kölner Chronik, in Holland zu suchen. — Ich habe mit dem Streit nichts zu tun. — Erich von Raths Wort klingt aber, wie ein Bekenntnis zur Wissenschaft. Darum: W o ist der Beweis f ü r die Richtigkeit der Annahme, die der Haeblerschen Methode zugrunde liegt? 8U ) Erich v o n R a t h , Aufgaben der Wiegendruckforschung. Festvortrag. Mainz i g 2 5, S. 20.

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Der Wert des urkundlichen Zeugnisses

Eine Annahme, die in der Wissenschaft sehr wohl nützlich und brauchbar sein kann, darf den Urkunden nicht Gewalt antun. Gerade im Hinblick auf die von Haebler gesammelten urkundlichen Zeugnisse über: Schriftguß und Schriftenhandel in der Frühdruckzeit 212 ) hebt Erich von Rath den großen Wert, den „die urkundliche Forschung f ü r Probleme der Druckgeschichte hat" 213 ), hervor. Ich stimme Erich von Rath durchaus zu. Schon ein Menschenalter vor Erich von Rath hatte L.-H. Labande, und gewiß nicht als erster, die Losung ausgegeben: ,,chercher davantage dans les fonds d'archives les documents" 214 )! Denn die Beweiskraft der Urkunde ist sehr viel größer, als noch so feinsinnige Annahmen und unbewiesene Kombinationen, die mit der Realität des wirtschaftlichen Lebens nicht übereinstimmen. Deshalb hätte, wie ich glaube, eine umfassende Sammlung der Urkunden, die der Forschung zur festen Grundlage dienen könnten, an die e r s t e Stelle gehört, wenn die Absicht bestand, die Beschäftigung mit der formalen Seite der Wiegendrucke als eine neue Wissenschaft zu erklären — nicht aber eine von der Gestalt der Typen hergeleitete Theorie, die im Laufe der Jahre notgedrungen mannigfache Änderungen erfahren mußte; eine Theorie, die Haebler selbst, f ü r sich, nicht, in allen Fällen bestätigt findet. — „Eine methodische Forschimg hat die unabweisbare Pflicht, sich zunächst auf den Standpunkt der bewiesenen Thatsachen zu stellen"215). 212)

H a e b l e r , im Zentralblatt für Bibliothekswesen, /ji. Jhg. 192 4, S.81—io4. 213) Erich v o n R a t h , Aufgaben der Wiegendruckforschung. Mainz 1925, S. 17. 214) L.-H. L a b a n d e , in der Festschrift zum öoojährigen Geburtstage von Joh. Gutenberg, hrsg. v. Otto Hartwig, Mainz 1900, S. 375. 21ä ) H a e b l e r , im Zentralblatt f. Bibliothekswesen, 19. Jhg. 1902, S. io4.

Der Wert des urkundlichen Zeugnisses

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F ü r die allerdings wohl nötige Urkundensammlung noch zwei Hinweise. Sie sind nicht neu. Aber Haebler hat sie, vielleicht weil sie ihm unwesentlich schienen, in seine Sammlung nicht aufgenommen. Zur Gutenbergfeier im Jahre 1900 stellte Dziatzko in Göttingen u. a. aus: L'abbé R e q u i n , L'imprimerie à Avignon en i44A- Paris L. D u h a m e l , Les origines de l'imprimerie à Avignon. Note s. 1. documents découverts par M. l'abbé Requin. Avignon 1890. L'abbé R e q u i n , Origines de l'imprimerie en France. Avignon ikkk- Extrait du Journal général de l'imprim. et de la librairie. Dazu gab Dziatzko die erläuternde Notiz: „Aus den veröffentlichten Urkunden geht hervor, d a ß ein Prokop Waldvogel, Deutsch-Böhme, in den Jahren ilxkk—46 zu Avignon Lettern verkaufte und gegen Geld die Kunst des künstlichen Schreibens in geheimnisvoller Weise lehrte. Vermuthlich hatte er sie bei Gutenberg in Straßburg gelernt" 216 ). Dziatzko stellte weiter aus: „Abdruck einer Urkunde vom 26. Februar i468, in der sich Dr. Conrad Homery verpflichtet, das von Joh. Gutenberg hinterlassene Druckgerät, welches Ersterem gehörte, n u r in der Stadt Mainz zu gebrauchen und im Falle des Verkaufes einem Mainzer Bürger das Vorkaufsrecht zu lassen. — In : Scriptores hist. Mogunt. ed. Ge. Chr. 216 ) (K. D z i a t z k o , ) Katalog der im histor. Saale der K. UniversitätsBibliothek zu Göttingen zur öoojährigen Geburtstagsfeier Joh. Gutenberg's am 2 J u n i 1 9 0 0 eröffneten Ausstellung. Göttingen 1900, no /ig bis 5o a. Dazu : L.-H. L a b a n d e , in der Festschrift zum 5oojährigen Geburtstage von Joh. Gutenberg, hrsg. v. Otto Hartwig, Mainz 1900, S. 3 ^ 7 f . , 3 7 5 f . — H a e b l e r , Die deutschen Buchdrucker des i 5 . Jahrhunderts im Auslande. München 1924, S. 5.

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Gutenberg druckt mit fremder Type

Joannis. Tom. novus. Mainz 1 7 2 7 S. 4 2 4 - (Auch sonst oft abgedruckt" 217 ). Hinsichtlich dieses Druckgeräts ist von sehr beachtenswerter Seite, von W . Velke, die Ansicht ausgesprochen, daß es selbst erst durch Kauf in die Hand des Dr. Homery gekommen sei. W . Yelke: „ U m es kurz zu sagen: ich nehme an, daß Humery einen Satz Typen, wie er f ü r den Druck des Manifestes ungefähr ausreichte, und zwar von derselben Durandus-Type, mit der die Bullen gedruckt worden waren, von Fust und Schöffer erworben und Gutenberg übergeben hat, der damit Diethers Manifest druckte sowie dessen Brief an den Papst" 218 ). Ich kann von W . Yelkes Annahme ganz absehen. Aus den Urkunden von Avignon und aus der Mainzer Urkunde von i 4 6 8 folgere ich, daß schon in sehr früher Zeit — als die E r findung noch nicht einmal abgeschlossen war — mit der Möglichkeit des Verkaufs von Typen gerechnet werden muß. Von Anfang an war die Type ein beweglicher Besitz. Darum eignet sich die Type nicht als ein sicheres Kennzeichen, das die Persönlichkeit eines ungenannten Druckers bestimmen kann. S17

) D z i a t z k o , a.a.O., no 3 i . 216) W . V e 1 k e , in der Festschrift zum öoojährigen Geburtstage von Joh. Gutenberg, hrsg. v. Otto Hartwig, Mainz 1 9 0 0 , S. 3 3 g .

Aldus D r u c k Berlin S W 6 8

Aus

dem Verlage

von Mai

Walter de Gruyter & Co. 99

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Archiv für Urkundenforschung. Herausgegeben von Dr. K A R L BRANDI, 0. Professor an der Universität Göttingen, Dr. ALFRED HESSEL, a. o. Professor an der Universität Göttingen. Das „Archiv für Urkundenforschung" erscheint in zwanglosen Bänden, die j e nach Bedürfnis mit Abbildungen und Tafeln ausgestattet werden. — Bisher erschienen: Band I—IV j e 15.—, Band V und VI j e 12.—, Band VII 8.—, Band VIII 17.—, Band I X 30.—, Band X kompl. 36.—. Es fehlt in Deutschland, ja fast in der Weltliteratur, an einem Organ für alle Forschungen zur Schriftgeschichte und Schriftverwendung. Wenn die Herausgeber sich zunächst auf die Tironischen Noten beschränkten, so haben sie sich mehr und mehr überzeugen müssen, daß eine planmäßige Erweiterung nicht zu umgehen sei. So werden fortan nicht nur die Probleme des Zusammenhangs von Urkunden und Bücherschrift, die Entstehungsverhältnisse der karolingischen Minuskel und jüngster Kalligraphien, sondern auch die Übergänge zu den verschiedenen Typen der Druckschriften in Betracht gezogen werden müssen.

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Das Buch bei den Griechen und Romern. Zweite, umgearbeitete Auflage. Mit 39 Textabbildungen. 194 Seiten. 1921. (Handbücher der Staatl. Museen zu Berlin, Bd. II.) 2.—, geb. 3.50 Deutsche und lateinische Schrift in den Niederlanden (1350—1650). Von A. HULSHOF. Quart. XXII, 50 Seiten. 1918. (Tabulae in usum Scholarum 9.) 8.— Thomas Murners Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke. Herausgegeben unter Mitarbeit von G. BEBERMEYER, K. DRESCHER, J . LEFFTZ, P. MERKER, M. SPANIER u. a. von FRANZ SCHULTZ. I. Band: a) V o n d e n v i e r K e t z e r n . Herausgegeben von EDUARD FUCHS. Im Druck. b ) D i e B a d e n f a h r t . Herausgegeben von V. VON MICHELS. Groß-Oktav. XLIV, 269 Seiten. 1927. 20.— II. Band: D i e N a r r e n b « s c h w ö r u n g . Herausgegeben von M. SPANIER. Mit einem Brief Murners in Handschriftendruck. GroßOktav. X, 597 Seiten. 1926. 30.— III. Band: D i e S c h e l m e n z u n f t . Herausgegeben von M. SPANIER. Groß-Oktav. 228 Seiten. 1925. 10.— IV. Band: D i e M ü h l e v o n S c h w i n d e l s h e i m u n d Gredt Müllerin Jahrzeit. Herausgegeben von GUSTAV BEBERMEYER. Groß-Oktav. VIII, 205 Seiten. 1923. 6.— V. Band : D i e G e u c h m a t t . Herausgegeben von EDUARD FUCHS. Im Druck. VI. Band: K l e i n e S c h r i f t e n . (Prosaschriften gegen die Reformation.) 1. Teil. Herausgegeben von WOLFGANG PFEIFFER-BELLI. Groß-Oktav. VIII, 200 Seiten. 1927. 10.—

VII. Band: K l e i n e S c h r i f t e n . (Prosaschriften gegen die Reformation.) 2. Teil. Herausgegeben von WOLFGANG PFEIFFER-BELLI. Groß-Oktav. VI, 174 Seiten. 1928. 9.— VIII. Band: Kleine Schriften (Prosaschriften gegen die Reformation.) 3. Teil. Herausgegeben von WOLFGANG PFEIFFER-BELLI. GroßOktav. IV, 192 Seiten. 1928. 12.— IX. Band: V o n d e m g r o ß e n L u t h e r i s c h e n N a r r e n . Herausgegeben von PAUL MERKER. Groß-Oktav. XI, 427 Seiten. 1918. 10.—, geb. 11.— Allenthalben wird die Bedeutung dieser Schriften als Dokument einer bedeutsamen Zeitströmung anerkannt. In der Zeitschrift „Elsaß-Land" heißt es über sie: „Der Text ist aufs sorgfältigste behandelt worden, mit vollem Recht in durchaus konservativem Sinne. Vorzüglich in allen Einzelheiten ist der Kommentar gearbeitet, der, eine quellende und erquickende Fülle sprachund kulturgeschichtlichen Materials darbietend, allen Ansprüchen der gelehrten Welt genügt."

Das Straßburger Würfelbuch von 1529. Faksimiledruck der Erstausgabe. Mit einem Nachwort und Anmerkungen von ALFRED GÖTZE. Klein-Oktav. XIX, 34 Seiten. 1918. (Jahresgaben der Gesellschaft für elsässische Literatur V, 1.) 1.— Alte Einblattdrucke. Herausgegeben von OTTO CLEMEN. Oktav. 77 Seiten. 1911. (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 86.) 2.50 Deutsche Handschriften in ungarischen Bibliotheken. Von ROBERT GRAGGER. Oktav. IV, 56 Seiten. Mit 1 Tafel. 1921. (Ungarische Bibliothek, I. Reihe. 2. Heft.) 1.50 Die deutsche Druckersprache. Von HEINRICH KLENZ. Oktav. XV, 128 Seiten. 1900. 2.— Die graphischen Künste. Von C. KAMPMANN. Vierte, vermehrte und verbesserte Auflage, neubearbeitet von Professor Dr. E. GOLDBERG. Mit 77 Abbildungen und 13 Kunstdruckbeilagen. 138 Seiten. 1927. (Sammlung Göschen, Bd. 75.)

Geb.

1.50

„Eine leichter faßliche gedrängte Ubersicht über die vielseitigen Gebiete der Reproduktionsverfahren besitzen wir nicht. Die Art der Darstellung und die Illustrierung ermöglichen £ine schnelle Orientierung ohne viel Kopfzerbrechen." Zeitschrift für Bücherfreunde.

Der Holzschnitt. Von Dr. MAX J . FRIEDLÄNDER. Mit 94 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Dritte Auflage. Oktav. VII, 230 Seiten. 1926. (Handbücher der Staatlichen Museea zu Berlin.) 4.—, geb. 5 . — „Friedländer schöpft aus dem Quell seines reichen Wissens, schildert die Geschichte des Holzschnitts vom 14. bis 18. Jahrhundert, erläutert an der Hand zahlreicher Abbildungen das Technische und belehrt den Leser über die Gesetze und Grenzen dieser besonderen Kunstgattung." Bergstadt.

Der Kupferstich. Von FRIEDRICH LIPPMANN. Sechste Auflage, herausgegeben von Dr. MAX J . FRIEDLÄNDER, Direktor d. Kupferstichkabinetts in Berlin. Mit 131 Abbildungen. Oktav. VI, 254 Seiten. 1926.

(Handbücher der Staatlichen Museen zu Berlin.) 4.—, geb. 5 . — „Dem Text merkt man es an, daß er von einem gründlichen Kenner des Kupferstiches geschrieben ist.' Deutsche Blätter für erziehenden Unterricht.

Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Dr. PAUL MERKER, o. ö. Professor an der Universität Breslau, und Dr. WOLFGANG STAMMLER, o. ö. Professor an der Universität Greifswald. Erscheint in etwa 20 Lieferungen. Band I: Abenteuerroman—Hyperbel. Lexikon-Oktav. 593 Seiten 1926. 32.—, in Halbleder 41.— Band II: Jambus—Quatrain. Lexikon-Oktav. IV, 754 Seiten. 1926/28. 40.—, in Halbleder 49 — Band III (Schlußband und Register). Erscheint in etwa 8 Lieferungen zu je 4.—. Da9 Kennzeichnende f ü r das Werk ist, daß es sich auf die formale und sachliche Seite der Literaturgeschichte, die Realien derselben beschränkt und die Dichtung als Leistung und Ausdruck eines schöpferischen Individuums nur insoweit berücksichtigt, als es unbedingt erforderlich ist.

Deutscher Kulturatlas. Herausgegeben von Dr. GERHARD LÜDTKE und Dr. LUTZ MACKENSEN, Privatdozent an der Universität Greifswald. Quer-Folio. Etwa 500 Karten. — Jede Karte enthält eine graphische Darstellung und die entsprechende ausführliche Legende. Die Karten sind durch RGMS. geschützt. — Die Karten umfassen folgende Gebiete: Vorgeschichte, Geschichte, Siedlung, Wirtschaft und Verkehr, Religionsgeschichte, Recht, Sprache, Literaturgeschichte, Bildungsgeschichte, Philosophie, Kunstgeschichte, Musik. Die Ausgabe erfolgt außerhalb der Reihenfolge in Lieferungen von je 8 Karten. Jeden Monat eine Lieferung. Subskriptionspreis der Lieferung bei Bezug des ganzen Atlasses 1.60. Die Karten Können auch einzeln, und zwar von 8 Exemplaren an, bezogen werden. Jede Karte —.25. Sammeldecke in Leinen, Format 17x37 cm, 3.—. Bisher liegen aus den Gebieten Literatur, Sprache und Volkskunde u. a. folgende Karten vor: Nr. 144: Die deutschen Druckorte des 15. Jahrhunderts (Verbreitung der Buchdruckerkunst). Nr. 145: Die deutschen Universitäten vor der Reformation. Nr. 152: Deutsche Literatur der vorhöfisch'en Zeit (um 1060—1180). Nr. 158: Der Meistergesang bis zur Reformation. Nr. 241: Entwicklung des Meistergesangs nach der Reformation. Nr. 450: Geltungsbereich der deutschen Sprache der Gegenwart. Nr. 451: Die deutschen Mundarten der Gegenwart I. Nr. 453: Deutsche Sprachinseln. Nr. 452: Die deutschen Mundarten der Gegenwart. Ausführlicher Prospekt auf Wunsch kostenlos.