Die 'Terminshoheit' des Gerichts und das Recht auf Verteidigung: Zur Terminierung und Vertagung der Hauptverhandlung bei Verhinderung des Verteidigers 9783161553110, 9783161553103

§ 137 StPO garantiert dem Angeklagten ein uneingeschränktes Recht auf Beistand eines Verteidigers und somit auch die Anw

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German Pages 378 [379] Year 2017

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
I. Einführende Darstellung der Normen
II. Verlauf der Arbeit
1. Kapitel: Die ständige Rechtsprechung
A. Darstellung der Rechtsprechung
I. Verschiedene Verfahrenssituationen und Rechtsmittel
1. Beschwerde
2. Revision
3. Notwendige Verteidigung
II. Grundsätze der Terminierungsrechtsprechung
1. Überblick der Entscheidungsmaßstäbe
2. Inhaltliche Begründung dieser Maßstäbe
a) Gesetzgeberische Wertung
b) Verhinderung eines zu starken Einflusses des Verteidigers
c) Durchführung und Beschleunigung des Verfahrens
d) Belange der Justiz und der Verfahrensbeteiligten
III. Chronologie der höchstrichterlichen Rechtsprechung
1. 1960er und 1970er
2. BGH v. 21.01.1981 – 2 StR 461/80
3. BGH v. 11.09.1986 – 1 StR 472/86
4. BGH v. 08.01.1988 – 2 StR 449/87
5. BGH v. 06.11.1991 – 4 StR 515/91
6. BGH v. 18.12.1997 – 1 StR 483/97
7. BGH v. 06.07.1999 – 1 StR 142/99
8. BGH v. 12.10.1999 – 4 StR 391/99
9. BGH v. 06.12.2000 – 1 StR 492/00
10. BGH v. 19.01.2006 – 1 StR 409/05
11. BGH v. 20.06.2006 – 1 StR 169/06
12. BGH v. 09.11.2006 – 1 StR 474/06
13. BGH v. 29.08.2006 – 1 StR 285/06
14. BGH v. 20.03.2008 – 1 StR 488/07
15. BGH v. 24.06.2009 – 5 StR 181/09
16. BGH v. 14.07.2010 – 1 StR 123/10
17. Fazit
IV. Abwägungskriterien
1. Zusammenfassende Darstellung
2. Die einzelnen Abwägungsaspekte
a) Anerkannte Verhinderungsgründe
b) Zumutbarkeit der Selbstverteidigung
c) Wahl des Verteidigers
d) Möglichkeit der Verlegung
e) Dauer und Bedeutung der Verzögerung
f) Konstruktive Bemühungen der Verteidigung und des Gerichts
g) Verspätung
h) Untersuchungshaft
i) Ordnungswidrigkeitenverfahren
V. Beispiele zur Terminierungspraxis der unteren Gerichte
VI. Fazit zur Relevanz der Fragestellung
B. Analyse der Rechtsprechung
I. Gesetzesdogmatik
1. Direkte und übertragene Anwendung des § 228 Abs. 2 StPO
a) Anwendungsbereich des § 228 Abs. 2 StPO
(1) Stand der Literatur
(2) Methodische Auslegung
b) Übertragbarkeit der Wertungen
2. Resümee
II. Einbezogenen Belange
1. Recht auf Verteidigung
2. Dem Verteidigungsinteresse entgegenstehende Verfahrensbelange
III. Abwägung und Fürsorge
1. Einfluss der mangelnden Konkretisierung der Interessenlage
2. Abwägung eigener Belange
3. Recht auf Verteidigung als Ermessensbestandteil
IV. Abwägungskriterien
1. Neutralisierende Aspekte
2. Terminauslastung des Gerichts
3. Verschulden
4. Besonderes Interesse am konkreten Verteidiger
5. Zumutbarkeit der Verteidigerabwesenheit
a) Verhältnis zu § 140 StPO
(1) Nähe zu § 140 Abs. 2 StPO
(2) Notwendige Verteidigung – Nicht-notwendige Verteidigung – Entbehrliche Verteidigung?
b) Differenzierungskriterien
(1) Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage
(2) Schwere des Falles
(3) Person des Angeklagten
c) Zumutbarkeit der Selbstverteidigung als Entscheidungsmaßstab
V. Fazit
2. Kapitel: Recht auf Verteidigung
A. Zumutbarkeit der Selbstverteidigung
I. Auslegung des § 137 Abs. 1 S. 1 StPO
1. Wortlaut
2. Systematik
a) Grundgesetzlicher Bezug
(1) Menschenwürde – Art. 1 Abs. 1 GG
(2) Faires Verfahren – Art. 20 Abs. 3 iVm Art. 2 Abs. 1 GG
(3) Unschuldsvermutung – Art. 20 Abs. 3 GG
(4) Rechtliches Gehör – Art. 103 Abs. 1 GG
(5) Effektiver Rechtschutz – Art. 19 Abs. 4 GG
(6) Stellungnahme
b) EMRK
c) § 140 Abs. 2 StPO
(1) Verhältnis zu § 140 Abs. 2 StPO
(2) Rückschlüsse aus § 140 Abs. 2 StPO
3. Historie
4. Telos
5. Fazit
II. Die Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung
1. Grundlagen
a) Ausgangslage
b) Wahrnehmung des Angeklagten
2. Psychische Situation
a) Verdacht
b) Straferwartung
c) Beurteilung der Person
d) Fremde Situation
e) Konfrontation mit Zeugen und Öffentlichkeit
f) Zusammenfassung
3. Verteidigungskompetenzen
a) Einschränkungen durch die Belastung der Hauptverhandlung
b) Einschränkungen durch den Laien-Status
(1) Kommunikation
(2) Rechtskenntnis
4. Einschränkung durch die Verfahrensrolle
5. Fazit
III. Aufgabe und Bedeutung der Verteidigung in der Hauptverhandlung
1. Subjekt des Verfahrens
2. Waffengleichheit
3. Materielle Verteidigung
4. Psychischer Beistand
IV. Objektivität und Fürsorge der Strafverfolgungsbehörden
1. Strafprozessuale Erwägungen
2. Sozialpsychologische Erwägungen
V. Resümee
1. Bedeutung der Verteidigung in der Hauptverhandlung
2. Grundprinzipien des Strafprozesses
a) Unschuldsvermutung
b) Effektive Verteidigung iS der EMRK
3. Differenzierungsmöglichkeiten
a) Systematische Betrachtung
b) Tatsächliche Beurteilungsmöglichkeiten
4. Andere Ausgleichsmöglichkeiten der Selbstverteidigungsdefizite
B. Alternative: Wechsel des Verteidigers
I. Die freie Wahl
1. Rechtslage
2. Bedeutung für effektive Verteidigung
II. Beeinträchtigung der Verteidigung durch einen Wechsel
III. Resümee
C. Fazit
3. Kapitel: Vereinbarkeit eines Terminanspruchs mit anderen Verfahrensbelangen?
A. Beschleunigungsgebot
I. Inhalt und Zweck des Beschleunigungsgebots
1. Das Beschleunigungsgebot zum Schutz des Angeklagten
2. Das Beschleunigungsgebot im öffentlichen Interesse
a) Höchstrichterliche Rechtsprechung
b) Literatur
II. Kritische Ansichten in Rechtsprechung und Literatur
1. Bedenken gegen den Bezug auf das öffentliche Interesse
2. Verhältnis des Beschleunigungsgebots zum Verteidigungsrecht
III. Stellungnahme
1. Abgrenzung zu anderen Verfahrensmaximen
2. Kein Beschleunigungsgebot zu Gunsten des öffentlichen Interesses
3. Kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot
4. Dispositionsrecht des Angeklagten
5. Fazit
B. Durchführung des Verfahrens
I. Durchführbarkeit des Verfahrens
II. Belange der Justiz
1. Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege
2. Überlastung der Strafrechtspflege
a) Datenlage zur Belastung der Justiz
b) Belastung durch Terminierung
3. Alternativen zur Entlastung
4. Zwischenfazit
5. Verhältnis zwischen der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und den Beschuldigtenrechten
6. Zusammenfassung
III. Zügige Durchführung des Verfahrens
1. Zwecke der zügigen Durchführung
a) Rechtsfriede
b) Strafzwecke
(1) Abschreckung
(2) Positive Generalprävention
(3) Individualprävention
(4) Vergeltung
(5) Resümee
c) Beweisführung
d) Belange der Geschädigten
e) Resümee
2. Verzögerung durch einen Terminanspruch
3. Legitimierung der Verteidigungsbeschränkung
a) Verhältnis zur Gesamtverfahrensdauer und anderen Verzögerungen
b) Verhältnis zwischen dem Interesse an der zügigen Durchführung und der Gewährleistung des Beistandsrechts
4. Dauer der Verfahren
IV. Fazit
C. Missbrauch eines Terminanspruchs
I. Möglicher Missbrauch eines Anwesenheitsanspruches
II. Vorgetragene Befürchtungen eines Missbrauchs
1. Konkrete Vorwürfe in der Rechtsprechung
2. Historische Entwicklung
3. Literatur
4. Schlussfolgerung
III. ‚Indizien‘ für Missbrauchsgefahr – Interessenlage
IV. Vergleich mit anderen Rechten der Verteidigung
V. Weitere Widersprüche
VI. Abschließend
D. Fazit
4. Kapitel: Rechtslage de lege lata und ferenda
A. Auslegung der einfachgesetzlichen Normen
I. Vorbereitung der Hauptverhandlung
1. Situation
2. Gesetzeslage – Auslegung des § 213 StPO
a) Wortlaut
b) Systematik
c) Telos
d) Historie
e) Zusammenfassung
3. Stellungnahme
II. Kurzfristige Verhinderung des Verteidigers
1. Situation
2. Gesetzeslage – Abgrenzung § 213 und § 228 Abs. 2 StPO
3. Stellungnahme
III. Verhinderung in der laufenden Hauptverhandlung
1. Situation
2. Gesetzeslage – Auslegung von § 228 Abs. 2 und § 265 Abs. 4 StPO
a) Gesetzliche Regelung der Aussetzung
(1) Auslegung des § 228 Abs. 2 StPO
α. Wortlaut
β. Systematik
γ. Historie
δ. Telos
ε. Fazit
(2) Regelung des § 265 Abs. 4 StPO
α. Wortlaut
ß. Historie
γ. Telos
δ. Systematik
ε. Fazit
b) Gesetzliche Regelung der Unterbrechung
3. Stellungnahme
a) Unterbrechung
b) Aussetzung
(1) Verhältnis von § 265 Abs. 4 StPO und § 228 Abs. 2 StPO
(2) Auslegung des § 228 Abs. 2 StPO
α. Gesetzgeberische Wertung
β. Verantwortungssphäre des Angeklagten
γ. Zweck des § 228 Abs. 2 StPO
(3) Fazit
IV. Zusammenfassung de lege lata
B. Reformüberlegungen
I. Notwendigkeit von Gesetzesänderungen
1. § 213 StPO
2. § 228 Abs. 2 StPO
II. Lösungsansätze in Rechtsprechung und Schrifttum
1. Verhinderung von Terminkollisionen
a) Sorgfältige Terminierung
b) Kommunikatives Gericht
c) Verteidigungsaktivitäten
2. Reaktion auf Verhinderungen
a) Kriterien zur Entscheidung über Terminsanträge
b) Beschwerde gegen Ablehnung eines Verlegungsantrags
3. Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots
4. Missbrauchsgefahr
5. Mehrere Angeklagte
III. Reformvorschlag
1. Terminierung
2. Terminverlegung vor Beginn der Hauptverhandlung
a) Wertungsentscheidung in Form einer Generalklausel
b) Aufzählung gewichtiger Gründe
(1) Differenzierung nach der Bedeutung der Anwesenheit
(2) Gewichtige Gründe, die der Verlegung entgegenstehen
(3) Zeitpunkt der Vertagung
(4) Dauer der Verzögerung
c) Verantwortung des Angeklagten
(1) Verhalten des Verteidigers
(2) Auswahl eines verfügbaren Verteidigers
(3) Auswahl eines terminlich verhinderten Verteidigers
(4) Späte Mandatierung
(5) Verfahrenssabotage
d) Zusammenfassung
3. Vertagung während der laufenden Verhandlung
a) Verhinderung des zuvor gewählten Verteidigers
b) Mandatierung eines neuen Verteidigers
4. Mammutverfahren
Fazit
I. Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts
1. Interessen der Allgemeinheit
2. Interessen der Strafrechtspflege
3. Beschleunigungsgebot
4. Missbrauchsgefahr
II. Rechtspraxis widerspricht gesetzlichen Vorgaben
1. Vor Beginn der Hauptverhandlung
2. Nach Beginn der Hauptverhandlung
III. Ausblick
1. Reformvorschläge
a) Vor Beginn der Hauptverhandlung
b) Nach Beginn der Hauptverhandlung
2. Vergleichbare Verfahrenssituationen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 138 herausgegeben von Rolf Stürner

Francis Kasten

Die „Terminshoheit“ des Gerichts und das Recht auf Verteidigung Zur Terminierung und Vertagung der Hauptverhandlung bei Verhinderung des Verteidigers

Mohr Siebeck

Francis Kasten, geboren 1978; Magister-Studium Geschichte und Sozialwissenschaften an den Universitäten Bielefeld und Wuppertal; Studium der Rechtswissenschaften an der RuhrUniver­sität Bochum; 2006 Erste juristische Staatsprüfung; 2009 Zweite juristische Staatsprüfung; 2016 Promotion; 2016 Richter im Bezirk des LSG NRW und Zuweisung an das Sozialgericht Duisburg.

e-ISBN PDF 978-3-16-155311-0 ISBN 978-3-16-155310-3 ISSN  0722-7574 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ biblio­g raphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi­ kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungs­beständiges Werkdruck­ papier gedruckt und gebunden.

Vorwort „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit.“ Rudolf von Jhering

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2015/2016 als Dissertation angenommen. Der Arbeit liegt der Stand der Literatur und Rechtsprechung im Dezember 2015 zugrunde. Eine Durchsicht der Rechtsprechung mit Stand Mai 2017 hat keine wesentliche Änderung zu dem der Arbeit zugrundeliegenden Stand der Rechtsprechung ergeben. Die Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Herrn Professor Dr. Klaus Bernsmann und wäre ohne die Tätigkeit am Lehrstuhl in dieser Form nicht entstanden. Mein Dank gilt daher dem gesamten Lehrstuhlteam und selbstverständlich insbesondere Herrn Professor Dr. Klaus Bernsmann, dessen große Begeisterung nicht nur für die strafrechtliche Wissenschaft, sondern insbesondere für die Strafverteidigung und dessen vehementes Eintreten für die Rechte des Angeklagten während meiner gesamten Zeit an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität – als Student, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promovend – inspirierend und ansteckend waren. Ein besonderer Dank gebührt sowohl Herrn Professor Dr. Klaus Bernsmann als auch Herrn Professor Dr. Gereon Wolters für die außerordentlich zügige Erstellung des Erst- und des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner für die freundliche Aufnahme in die Schriftenreihe. Neben dem allgemeinen Dank für die gute Zusammenarbeit an das Team des Lehrstuhls gilt mein Dank im Besonderen Ute Knaudt, Bünyamin Kalkan, Jörn Müller und Martin Uhlenbruch für die Unterstützung und gemeinsam verbrachte Zeit. Nicht zuletzt gebührt ein großer Dank natürlich auch allen, die tatkräftig bei der Korrektur der viel zu vielen Seiten mitgeholfen haben.

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Darstellung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Analyse der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 A. Zumutbarkeit der Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Alternative: Wechsel des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Kapitel:  Vereinbarkeit eines Terminanspruchs mit anderen Verfahrensbelangen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Durchführung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 C. Missbrauch eines Terminanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda . . . . . . . . . . . . . . 255 A. Auslegung der einfachgesetzlichen Normen . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Einführende Darstellung der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 II. Verlauf der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Darstellung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Verschiedene Verfahrenssituationen und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . 12 1. Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Notwendige Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Grundsätze der Terminierungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Überblick der Entscheidungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Inhaltliche Begründung dieser Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Gesetzgeberische Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 b) Verhinderung eines zu starken Einflusses des Verteidigers . . . . . 18 c) Durchführung und Beschleunigung des Verfahrens . . . . . . . . 19 d) Belange der Justiz und der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . 20 III. Chronologie der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 21 1. 1960er und 1970er . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. BGH v. 21.01.1981 – 2 StR 461/80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. BGH v. 11.09.1986 – 1 StR 472/86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. BGH v. 08.01.1988 – 2 StR 449/87 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5. BGH v. 06.11.1991 – 4 StR 515/91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 6. BGH v. 18.12.1997 – 1 StR 483/97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 7. BGH v. 06.07.1999 – 1 StR 142/99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 8. BGH v. 12.10.1999 – 4 StR 391/99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 9. BGH v. 06.12.2000 – 1 StR 492/00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

X

Inhaltsverzeichnis

10. BGH v. 19.01.2006 – 1 StR 409/05 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 11. BGH v. 20.06.2006 – 1 StR 169/06 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 12. BGH v. 09.11.2006 – 1 StR 474/06 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 13. BGH v. 29.08.2006 – 1 StR 285/06 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 14. BGH v. 20.03.2008 – 1 StR 488/07 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 15. BGH v. 24.06.2009 – 5 StR 181/09 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 16. BGH v. 14.07.2010 – 1 StR 123/10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 17. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 IV. Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Zusammenfassende Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Die einzelnen Abwägungsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Anerkannte Verhinderungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Zumutbarkeit der Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Wahl des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Möglichkeit der Verlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 e) Dauer und Bedeutung der Verzögerung . . . . . . . . . . . . . . . 44 f) Konstruktive Bemühungen der Verteidigung und des Gerichts . . . 45 g) Verspätung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 h) Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 i) Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 V. Beispiele zur Terminierungspraxis der unteren Gerichte . . . . . . . . . . 55 VI. Fazit zur Relevanz der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

B. Analyse der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Gesetzesdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Direkte und übertragene Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . 63 a) Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . 64 (1) Stand der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (2) Methodische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Übertragbarkeit der Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Einbezogenen Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Recht auf Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Dem Verteidigungsinteresse entgegenstehende Verfahrensbelange . . 71 III. Abwägung und Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Einfluss der mangelnden Konkretisierung der Interessenlage . . . . . 74 2. Abwägung eigener Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Recht auf Verteidigung als Ermessensbestandteil . . . . . . . . . . . 75 IV. Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Neutralisierende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Terminauslastung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Besonderes Interesse am konkreten Verteidiger . . . . . . . . . . . . 80

Inhaltsverzeichnis

XI

5. Zumutbarkeit der Verteidigerabwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Verhältnis zu §  140 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (1) Nähe zu §  140 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) Notwendige Verteidigung – Nicht-notwendige Verteidigung – Entbehrliche Verteidigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Differenzierungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (1) Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Schwere des Falles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (3) Person des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Zumutbarkeit der Selbstverteidigung als Entscheidungsmaßstab . . 86 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 A. Zumutbarkeit der Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Grundgesetzlicher Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) Menschenwürde – Art.  1 Abs.  1 GG . . . . . . . . . . . . . . 91 (2) Faires Verfahren – Art.  20 Abs.  3 iVm Art.  2 Abs.  1 GG . . . . 92 (3) Unschuldsvermutung – Art.  20 Abs.  3 GG . . . . . . . . . . . 93 (4) Rechtliches Gehör – Art.  103 Abs.  1 GG . . . . . . . . . . . . 93 (5) Effektiver Rechtschutz – Art.  19 Abs.  4 GG . . . . . . . . . . . 96 (6) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) §  140 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Verhältnis zu §  140 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (2) Rückschlüsse aus §  140 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Die Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . 102 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Wahrnehmung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Psychische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Verdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Straferwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Beurteilung der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 d) Fremde Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 e) Konfrontation mit Zeugen und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . 113 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

XII

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3. Verteidigungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Einschränkungen durch die Belastung der Hauptverhandlung . . . 115 b) Einschränkungen durch den Laien-Status . . . . . . . . . . . . . . 119 (1) Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (2) Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Einschränkung durch die Verfahrensrolle . . . . . . . . . . . . . . . 130 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Aufgabe und Bedeutung der Verteidigung in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Subjekt des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Materielle Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Psychischer Beistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 IV. Objektivität und Fürsorge der Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . 143 1. Strafprozessuale Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Sozialpsychologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Bedeutung der Verteidigung in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . 149 2. Grundprinzipien des Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Effektive Verteidigung iS der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Differenzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Systematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Tatsächliche Beurteilungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Andere Ausgleichsmöglichkeiten der Selbstverteidigungsdefizite . . . 156

B. Alternative: Wechsel des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Die freie Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Bedeutung für effektive Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Beeinträchtigung der Verteidigung durch einen Wechsel . . . . . . . . . . 160 III. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

3. Kapitel:  Vereinbarkeit eines Terminanspruchs mit anderen Verfahrensbelangen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Inhalt und Zweck des Beschleunigungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Das Beschleunigungsgebot zum Schutz des Angeklagten . . . . . . . 166 2. Das Beschleunigungsgebot im öffentlichen Interesse . . . . . . . . . 169

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XIII

a) Höchstrichterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Kritische Ansichten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 173 1. Bedenken gegen den Bezug auf das öffentliche Interesse . . . . . . . 173 2. Verhältnis des Beschleunigungsgebots zum Verteidigungsrecht . . . . 175 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Abgrenzung zu anderen Verfahrensmaximen . . . . . . . . . . . . . 178 2. Kein Beschleunigungsgebot zu Gunsten des öffentlichen Interesses . . 179 3. Kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . 181 4. Dispositionsrecht des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

B. Durchführung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I. Durchführbarkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Belange der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Überlastung der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Datenlage zur Belastung der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Belastung durch Terminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Alternativen zur Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5. Verhältnis zwischen der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und den Beschuldigtenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Zügige Durchführung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Zwecke der zügigen Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Rechtsfriede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Positive Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (3) Individualprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (4) Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (5) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 d) Belange der Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 e) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Verzögerung durch einen Terminanspruch . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Legitimierung der Verteidigungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . 231 a) Verhältnis zur Gesamtverfahrensdauer und anderen Verzögerungen 231 b) Verhältnis zwischen dem Interesse an der zügigen Durchführung und der Gewährleistung des Beistandsrechts . . . . . . . . . . . . 234 4. Dauer der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

XIV

Inhaltsverzeichnis

C. Missbrauch eines Terminanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Möglicher Missbrauch eines Anwesenheitsanspruches . . . . . . . . . . . 241 II. Vorgetragene Befürchtungen eines Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Konkrete Vorwürfe in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. ‚Indizien‘ für Missbrauchsgefahr – Interessenlage . . . . . . . . . . . . . 247 IV. Vergleich mit anderen Rechten der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . 249 V. Weitere Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 VI. Abschließend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda . . . . . . . . . . . 255 A. Auslegung der einfachgesetzlichen Normen . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Vorbereitung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Gesetzeslage – Auslegung des §  213 StPO . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 d) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Kurzfristige Verhinderung des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Gesetzeslage – Abgrenzung §  213 und §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . . 270 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 III. Verhinderung in der laufenden Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . 272 1. Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Gesetzeslage – Auslegung von §  228 Abs.  2 und §  265 Abs.  4 StPO . . 274 a) Gesetzliche Regelung der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . 274 (1) Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 274 α. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 β. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 γ. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 δ. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 ε. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (2) Regelung des §  265 Abs.  4 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 282 α. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

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XV

β. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 γ. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 δ. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 ε. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 b) Gesetzliche Regelung der Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . 289 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (1) Verhältnis von §  265 Abs.  4 StPO und §  228 Abs.  2 StPO . . . . 292 (2) Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 292 α. Gesetzgeberische Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 β. Verantwortungssphäre des Angeklagten . . . . . . . . . . . 293 γ. Zweck des §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 IV. Zusammenfassung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

B. Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 I. Notwendigkeit von Gesetzesänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. §  213 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. §  228 Abs.  2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 II. Lösungsansätze in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . 299 1. Verhinderung von Terminkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Sorgfältige Terminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Kommunikatives Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Verteidigungsaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Reaktion auf Verhinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Kriterien zur Entscheidung über Terminsanträge . . . . . . . . . . 307 b) Beschwerde gegen Ablehnung eines Verlegungsantrags . . . . . . 309 3. Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots . . . . . . . . . . . . . 309 4. Missbrauchsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 5. Mehrere Angeklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 III. Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Terminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Terminverlegung vor Beginn der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . 315 a) Wertungsentscheidung in Form einer Generalklausel . . . . . . . . 316 b) Aufzählung gewichtiger Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (1) Differenzierung nach der Bedeutung der Anwesenheit . . . . . 316 (2) Gewichtige Gründe, die der Verlegung entgegenstehen . . . . . 317 (3) Zeitpunkt der Vertagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 (4) Dauer der Verzögerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Verantwortung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 (1) Verhalten des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 (2) Auswahl eines verfügbaren Verteidigers . . . . . . . . . . . . 320

XVI

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(3) Auswahl eines terminlich verhinderten Verteidigers . . . . . . 320 (4) Späte Mandatierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (5) Verfahrenssabotage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. Vertagung während der laufenden Verhandlung . . . . . . . . . . . . 325 a) Verhinderung des zuvor gewählten Verteidigers . . . . . . . . . . 325 b) Mandatierung eines neuen Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . 326 4. Mammutverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 1. Interessen der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Interessen der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3. Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4. Missbrauchsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 II. Rechtspraxis widerspricht gesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . 333 1. Vor Beginn der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Nach Beginn der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Vor Beginn der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Nach Beginn der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 336 2. Vergleichbare Verfahrenssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Abkürzungsverzeichnis aA andere Ansicht aaO am angegebenen Ort abgedr. abgedruckt Abs. Absatz Abschn. Abschnitt Abt. Abteilung am Ende aE aF alte Fassung AG Amtsgericht AK Alternativkommentar / Arbeitskreis Anm. Anmerkung AnwBl Anwaltsblatt (Zeitschrift) AnwK AnwaltKommentar AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) ARGE Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins Art. Artikel ausf. ausführlich/ausführlicher BAG Bundesarbeitsgericht BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLGSt Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bd. Band BeckRS Beck online Rechtsprechung Begr. Begründer BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BMI Bundesministerium des Inneren Bundesministerium der Justiz BMJ BRAK-Mitt. Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer (Zeitschrift) bspw. beispielsweise BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BZRG Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister bzw. beziehungsweise DAR Deutsches Autorecht (Zeitschrift) ders. derselbe Diss. Dissertation DJT Deutscher Juristentag

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

DJZ Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Richterzeitung DRiZ EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR-E Einl. Einleitung einschr. einschränkend EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Ergänzungslieferung Erg. Lfg. et al. und andere EuGRZ Europäische Grundrechte Zeitschrift f./ff. folgende FS Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) GA GBA Generalbundesanwalt gem. gemäß GeneralStA Generalstaatsanwaltschaft GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls grds. grundsätzlich Habil. Habilitationsschrift Halbs. Halbsatz HK Heidelberger Kommentar Handkommentar – Gesamtes Strafrecht HK-GS Hrsg. Herausgeber HRRS Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht HStR Handbuch des Staatsrechts iE im Ergebnis INFAS Institut für angewandte Sozialwissenschaften insb. insbesondere iS im Sinne iVm in Verbindung mit JGG Jugendgerichtsgesetz JMBl BB Justizministerialblatt für das Land Brandenburg JMBl NW Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juris PraxisReport Strafrecht jurisPR-StrafR jurisPR-VerkR Juris PraxisReport Verkehrsrecht JURA Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JurW Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) JW Juristische Wochenschau (Zeitschrift) JZ JuristenZeitung Kap. Kapitel KG Kammergericht KJ Kritische Justiz (Zeitschrift) KK Karlsruher Kommentar Kleinknecht-Müller-Reitberger; Loseblattkommentar zur StPO KMR KrimJ Kriminologisches Journal

Abkürzungsverzeichnis

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krit. kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und RechtswissenKritV schaft Lfg. Lieferung LG Landgericht lit. Buchstabe Losebl. Loseblattsammlung LS Leitsatz LSG Landessozialgericht m. mit MAH Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung mAnm. mit Anmerkung Monatsschrift für Deutsches Recht MDR MDR [D] Rechtsprechungsübersicht erstellt von Dallinger in der MDR MschrKrim bis 1935: Monatszeitschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, ab 1953: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform MüKo Münchener Kommentar mwN mit weiteren Nachweisen mzN mit zahlreichen Nachweisen NdsRpfl Niedersächsische Rechtspflege (Zeitschrift) NJ Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenzeitschrift NJW Nr. Nummer NStE Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport NStZ-RR [K] BGH-Rechtsprechungsübersicht erstellt von Roger Kusch in der NStZ-RR NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht OLG Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-NL OVG Oberverwaltungsgericht OWi Ordnungswidrigkeiten OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz RA Rechtsanwalt RG Reichsgericht RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RiStBV Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Rn Randnummer Rspr. Rechtsprechung RStPO Reichsstrafprozessordnung S. Satz / Seite s. siehe Sch/Sch Schönke/Schröder – Kommentar zum StGB Systematischer Kommentar SK sog. sogenannt

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Abkürzungsverzeichnis

SSW Satzger/Schluckebier/Widmaier – StPO-Kommentar Strafverteidiger-Forum (Zeitschrift) StraFo StPO Strafprozessordnung StrafRechtsReport (Zeitschrift) StRR st. Rspr. ständige Rechtsprechung Strafverteidiger (Zeitschrift) StV StVÄG Strafverfahrensänderungsgesetz Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts StVRG SVR Straßenverkehrsrecht (Zeitschrift) u. a. unter anderem UJ Unsere Jugend (Zeitschrift) u. U. unter Umständen v. von VerfG Bbg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg VerfGH Verfassungsgerichtshof VerfGH RP Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz vertief. vertiefend vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkung Vorbem. Vorbemerkung VRS Verkehrsrechtssammlung (Zeitschrift) VRR VerkehrsRechtsReport (Zeitschrift) Wiener Kommentar WK wistra Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht ZAP Zeitschrift für die Anwaltspraxis z. B. zum Beispiel ZEPP Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie ZfS Zeitschrift für Schadensrecht ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe ZPO Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zust. zustimmend

Einleitung Hat der/die Beschuldigte ein Recht auf die Verlegung des Termins der Hauptverhandlung, wenn der/die Verteidiger/in terminlich oder krankheitsbedingt verhindert ist?1 „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen.“

§  137 Abs.  1 S.  1 StPO normiert eines der grundlegenden Rechte des Beschuldigten. Sein Wortlaut ist deutlich und mag die aufgeworfene Frage überraschend erscheinen lassen. So eindeutig das Recht auf Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung gegeben ist, desto unklarer ist jedoch der Anspruch gegenüber dem Gericht, diese Anwesenheit auch tatsächlich zu ermöglichen. In §  228 Abs.  2 StPO findet sich folgende Regelung: „Eine Verhinderung des Verteidigers gibt, unbeschadet der Vorschrift des §  145, dem Angeklagten kein Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen.“

§  228 Abs.  2 StPO wird als gesetzgeberische Entscheidung über das Recht auf die terminliche Anwesenheitsmöglichkeit gesehen. Deshalb wird dessen Quintessenz auf §  213 StPO – der die Terminierung der Hauptverhandlung regelt – übertragen.2 Entsprechend geht die allgemeine Ansicht davon aus, dass die Verhinderung des Verteidigers unabhängig davon, ob sie im Vorfeld der Hauptverhandlung oder während der Hauptverhandlung bekannt wird, kein zwingender

1  Im Folgenden wird mit Rücksicht auf die Kürze und Einfachheit der Formulierungen das sog. generische Maskulinum verwendet. 2  Bspw. BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); so auch AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3; undeutlich: AK-StPO/Schlothauer Vor §  213 Rn.  152; AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  1; vgl. auch OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Hamm SVR 2008, 387 (Rn.  16), insoweit nicht abgedr.; SSW/Grube §  213 Rn.  28 aE.

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Einleitung

Grund für eine andere Terminwahl ist.3 §  213 StPO spricht nach allgemeiner Ansicht dem Vorsitzenden eine ‚Terminshoheit‘ zu.4 Plastisch ausgedrückt: Beauftragt der Beschuldigte nach Erhalt der Anklage einen Verteidiger – den er möglicherweise bereits aus anderen Verfahren kennt oder der ihm empfohlen wurde – und meldet sich dieser Verteidiger zeitnah beim Gericht, kann der Vorsitzende nach herrschender Meinung unabhängig von der terminlichen Verfügbarkeit des Verteidigers terminieren. Teilt der Verteidiger nach erfolgter Terminierung mit, dass er an diesem Tag verhindert ist und bittet um eine Verlegung, besteht nach allgemeiner Ansicht zwar ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, aber kein Anspruch auf eine Verlegung. Ein Verteidiger kann allerdings in der Hauptverhandlung nur verteidigen, wenn er anwesend ist.5 Und teilnehmen kann er nur, wenn keine anderweitigen terminlichen Verpflichtungen entgegenstehen.6 Die Frage der Terminierung und der Terminverschiebung ist also nur oberflächlich eine organisatorische Frage. Sie betrifft das Recht auf Verteidigung und Beistand durch einen Verteidiger des Vertrauens in seinem Kern. Die Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Verteidigung und Voraussetzung für die effektive Ausübung weiterer Verteidigungsrechte (ausf. 2.  Kap.). Daher kann die schlichte Feststellung, dass die Terminierungsregeln das Recht auf Verteidigung einschränken,7 nicht ausreichen. Es ist zu fragen, ob diese Einschränkung der Verteidigung legitimierbar ist. Wie bereits angedeutet, kann ein Konflikt um die Teilnahmemöglichkeit des Verteidigers in verschiedenen Situationen entstehen: Zum einen kann der Verteidiger von Beginn an am Termin verhindert sein. Dies kann sowohl den Verteidiger betreffen, der schon vor der Terminierung mandatiert war, als auch einen erst nach erfolgter Terminierung beauftragten Verteidiger. Des Weiteren 3 

U. a. BVerfG NJW 1984, 862; BGH NJW 1973, 1985 (1986); NStZ-RR 2006, 272; OLG Hamm StRR 2015, 122 (LS); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5; AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3; Graf/Ritscher §  213 Rn.  4, 6; KMR/Hiebl §  137 Rn.  35; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  9; Pfeiffer §  213 Rn.  3; SSW/Grube §  213 Rn.  21, 27; vgl. auch AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  1. 4  U. a. OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); OLG Hamm StV 1990, 56; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177 (178); StV 1997, 402 (403); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); NStZ 2011, 235 (236); LG Hildesheim NJW 1989, 1174; LG Potsdam StraFo 2005, 342 (342); HK-StPO/Julius §  213 Rn.  1; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  8, 12, 17 f.; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  16 „Dispositionsfreiheit“; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  2 ff.; SSW/Grube §  213 Rn.  1. 5  Ferner SVR 2006, 390 (390). 6 Ebenda. 7  So u. a. AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  1; Meyer-Goßner/Schmitt §  137 Rn.  2.

Einleitung

3

kann eine Verhinderung – beispielsweise durch eine Erkrankung – im weiteren Verlauf des Verfahrens eintreten – sowohl vor Beginn der Hauptverhandlung als auch während der Hauptverhandlung. Eine terminliche Verhinderung des Verteidigers kann auch am Tag der Hauptverhandlung eintreten, bspw. wenn die Verhandlung stark verspätet beginnt oder länger als erwartet dauert und der Verteidiger noch Folgetermine wahrzunehmen hat. Eine weitere Konfliktsituation kann entstehen, wenn sich erst während der Hauptverhandlung die Notwendigkeit eines (weiteren) Fortsetzungstermins ergibt. Es bestehen also vielfältige Konstellationen, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit allesamt zu einer Frage führen: Müssen die Strafverfolgungsbehörden die Verhinderung des Verteidigers beachten, um eine effektive Umsetzung des Beistandsrechts gem. §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu gewährleisten? Der Konflikt zwischen dem Interesse des Angeklagten an der Anwesenheit seines Verteidigers und der sog. Terminshoheit des Vorsitzenden bringt zwar stetig neue gerichtliche Entscheidungen hervor (vgl. 1.  Kap., A.), wird jedoch in der Wissenschaft kaum aufgegriffen. Die Anzahl der Autoren, die sich kritisch mit der Rechtslage oder einzelnen Aspekten der Problematik auseinandersetzen, ist übersichtlich.8 Der Übersichtlichkeit der wissenschaftlichen Beiträge steht die Fülle der veröffentlichten Entscheidungen gegenüber, anhand derer die Relevanz des Konflikts deutlich wird.9 Auch in der praxisorientierten Strafverteidiger-Literatur wird auf die alltägliche Bedeutung von Terminierungsentscheidungen und die damit einhergehenden Probleme hingewiesen.10 Die in dieser Arbeit angesprochenen Probleme kommen in vergleichbarer Weise auch in anderen Verfahrensstadien zum Tragen. So bestehen bereits im Ermittlungsverfahren ähnliche Konfliktlagen, da bei verschiedenen Terminen ein theoretisches Anwesenheitsrecht des Verteidigers normiert ist, aber keine oder nur eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten dieses faktisch durchzusetzen (vgl. §§  115; 168c Abs.  5 S.  3; 168d Abs.  1 S.  2; 224 Abs.  1 S.  1; 225  StPO).11 In einer Befragung von Anwälten gaben nur 13  % der Befragten an, dass es Fälle gäbe, in denen sie ihre Anwesenheit bei der richterlichen Vernehmung des §  213; Ferner SVR 2006, 390; Heubel NJW 1981, 2678; Leipold in FS-ARGE Strafrecht. S.  636 (639 f.); E.  Müller in FS-Widmaier, S.  357; Piel in FS-Widmaier, S.  429; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447; Weider StV 1983, 270. 9  So auch Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  27b. 10  AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5; Dahs Rn.  460; Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (831); Malek Rn.  43; Krumm StV 2012, 177 (177); Rueber jurisPR-VerkR 19/2009 Anm.  6; Sommer S.  330 f.; vgl. auch Burhoff VRR 2013, 273; Burmann NZV 1996, 165 (165); Busch VRR 2014, 436 (436 f.); Ferner SVR 2006, 390 (390); Küng-Hofer S.  20; Plähn StV 1991, 152. 11  Vgl. bspw. VerfG Bbg NJW 2003, 2009; VerfGH RP NJW 2006, 3341; Freistühler S.  146 ff.; Freyschmidt/Ignor NStZ 2004, 465 (467); Reformforderung: Ignor/Matt StV 2002, 102 (106). 8 Radtke/Hohmann/Britz

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Einleitung

Beschuldigten im Ermittlungsverfahren als nicht notwendig ansähen.12 Zugleich stellten 33  % der Befragten fest, dass keine Rücksicht auf ihre Verhinderung bei der Terminfindung genommen werde.13 Diese Termine im Ermittlungsverfahren, wie auch im Vollstreckungsverfahren, werden in der vorliegenden Arbeit nicht explizit behandelt. Aus den hier gefundenen Ergebnissen sind jedoch Rückschlüsse auf die Rechtslage im Ermittlungs- oder Vollstreckungsverfahren möglich. Ein weiterer nicht ausführlich behandelter Themenkomplex ist die Verteidigung nach §§  140 ff. StPO. Im Falle der notwendigen Verteidigung ist es ausgeschlossen, dass ohne einen Verteidiger verhandelt wird, bzw. es läge in diesem Falle ein absoluter Revisionsgrund vor (§  338 Nr.  5 StPO). Dennoch stellt sich auch in diesen Verfahren die Frage, ob bei der Terminierung auf den Verteidiger der Wahl Rücksicht genommen werden muss oder ob die Anwesenheit (irgend-) eines Verteidigers ausreichend ist.14 Diese Arbeit beschäftigt sich gleichwohl im Schwerpunkt mit der sog. gewillkürten Verteidigung, da im Bereich der notwendigen Verteidigung zumindest die Anwesenheit eines Verteidigers garantiert wird und die überwiegende Anzahl aller Verfahren vor dem Amtsgericht und somit zumeist ohne Beiordnung nach §§  140 ff. StPO stattfindet. Die Beiordnung des Verteidigers des Vertrauens und der Widerruf der Beiordnung aufgrund von Terminierungsunstimmigkeiten sowie die Konstruktion des sog. Sicherungsverteidigers werden somit nicht explizit behandelt. Dennoch werden in der Analyse der Rechtsprechung auch Verfahren mit notwendiger Verteidigung einbezogen, da insbesondere die höherrechtliche Rechtsprechung ausschließlich auf Verfahren mit notwendiger Verteidigung beruht und sich die Entscheidungsmaßstäbe gleichen. Zur Verwirklichung des Rechts auf Verteidigung reicht nicht allein die Anwesenheit des Verteidigers aus. Notwendig ist die aktive Mitwirkung, die eine ausreichende Vorbereitung voraussetzt.15 Daher muss zur effektiven Umsetzung des Rechts auf Verteidigung nach §  137 Abs.  1 S.  1 StPO bei der Terminierung auch die ausreichende Vorbereitungszeit beachtet werden. Doch auch diese Frage wird in der vorliegenden Arbeit weitestgehend ausgeklammert bleiben.

I.  Einführende Darstellung der Normen Zur Einführung erfolgt zunächst ein kurzer Überblick über die entscheidenden Normen und ihren Zusammenhang: Vogtherr S.  141. Vogtherr S.  142, vgl. dazu auch S.  292 ff., 312. 14  Vgl. bspw. BGH NStZ 2004, 637. 15  MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  140 Rn.  8 mwN. 12  13 

I.  Einführende Darstellung der Normen

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§  137 Abs.  1 S.  1 StPO gewährt dem Beschuldigten einen Anspruch auf Beistand eines Verteidigers während des gesamten Strafverfahrens und somit auch während der Hauptverhandlung. §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist die grundlegende Norm des 11. Abschnitts der StPO (‚Verteidigung‘) und verankert das grundgesetzlich garantierte Recht auf formelle Verteidigung auf einfachrechtlicher Ebene (vertiefend S. 91  ff.).16 Die Rechtsprechung leitet aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO einige Rechte im Rahmen der Hauptverhandlung ab; so das Recht, sich in der Hauptverhandlung jederzeit mit dem Verteidiger beraten zu können und Entscheidungen nach Rücksprache zu treffen.17 Entsprechend muss auf Wunsch des Angeklagten oder des Verteidigers pausiert werden. Um auch in der laufenden Hauptverhandlung die Gelegenheit zur Besprechung zu ermöglichen, muss die Sitzordnung eine direkte und ungestörte Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger zulassen.18 Die Wahrnehmung dieser Rechte setzt die Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung voraus.19 Und die tatsächliche Möglichkeit der Anwesenheit setzt einen Einfluss auf die Terminierung der Hauptverhandlung voraus.20 Diese Einflussmöglichkeit ist zur wirksamen Umsetzung der Rechte aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO auch deshalb relevant, weil §  137 Abs.  1 S.  1 StPO nicht nur den Beistand eines Verteidigers, sondern des gewählten Verteidigers des Vertrauens gewährt (vertiefend S. 157 ff.).21 Die Terminierung der Hauptverhandlung ist im sehr knapp gehaltenen §  213 StPO geregelt: „Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts anberaumt.“

Nach allgemeiner Ansicht umfasst §  213 StPO neben der Zuständigkeit des Vorsitzenden für die erstmalige Festsetzung des Termins (bzw. der Termine) der Hauptverhandlung auch die Ermächtigung zu Umterminierungen vor Beginn der Hauptverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen.22 Da §  213 StPO die 16 

U. a. EGMR v. 19.12.1989 – 9783/82, Kaminski ./. Österreich EGMR-E 4, 450 (468); st. Rspr. des BGH u. a.: BGHSt 42, 15 (20 f.); vgl. auch SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  2 mwN. 17  BGHSt 18, 257 (260); NStZ 2005, 114; OLG Frankfurt/M StV 1991, 296; OLG Köln StV 2010, 67. 18  OLG Köln NJW 1980, 302 (303); Sommer ZAP 1994, 101 (104). 19  MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  22. 20  Ferner SVR 2006, 390 (390); vgl. auch AK-StPO/Stern §  137 Rn.  17; AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  4; HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; HK-StPO/Julius §  137 Rn.  1; KK/Laufhütte/Willnow §  137 Rn.  1; KK/Gmel §  213 Rn.  4b; Pfeiffer §  213 Rn.  2; SSW/Grube §  213 Rn.  21. 21  BVerfGE 39, 156 (163); 63, 380 (390 f.); 64, 135 (149); 66, 313 (318 f.); 68, 237 (255); 110, 226 (253 f.); NJW 1984, 862 (863); NJW 1993, 2301 (2301); ebenso BGHSt 42, 15 (20 f.) jeweils mwN. 22  Graf/Ritscher §  213 Rn.  2; KK/Gmel §  213 Rn.  2; SSW/Grube §  213 Rn.  7, 27.

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Einleitung

Vorbereitung der Hauptverhandlung regelt, kann gegen diese Entscheidung nicht nach §  238 Abs.  2 StPO das Gericht angerufen werden.23 Nach herrschender Ansicht steht dem Vorsitzenden nach §  213 StPO die ‚Terminshoheit‘ zu, in deren Rahmen der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots, organisatorischer Aspekte und der Interessen der Verfahrensbeteiligten den Terminstag, die Uhrzeit und den Ort festsetzt.24 Die Terminierung soll zweckmäßig sein, also einen möglichst reibungslosen, zügigen Verfahrensablauf ermöglichen, welcher die Beteiligten möglichst wenig belastet (vgl. Nr.  116 Abs.  3, 4, 5 RiStBV)25 und der Gesamtheit der bei dem Spruchkörper anhängigen Sachen gerecht werden.26 Dass die Tätigkeit des Vorsitzenden nach §  213 StPO keine rein organisatorische Tätigkeit ist, sondern erheblichen Einfluss auf die Verfahrensbelange hat, wird im Wortlaut der Vorschrift nicht deutlich.27 Im Gegensatz dazu wird in §  228 Abs.  2 StPO explizit auf den Zusammenhang zwischen dem Termin und Verteidigungsbelangen hingewiesen: Eine Verhinderung des Verteidigers gibt, unbeschadet der Vorschrift des §  145, dem Angeklagten kein Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen.

§  228 Abs.  1 StPO regelt die Entscheidungskompetenz über Unterbrechungen und Aussetzungen der laufenden Hauptverhandlung und im Falle der Unterbrechung auch über den Zeitpunkt der Fortsetzung. Über eine Aussetzung oder eine Unterbrechung entscheidet gemäß §  228 Abs.  1 S.  1 StPO das Gericht, bei Unterbrechungen von weniger als drei Wochen der Vorsitzende (§  228 Abs.  1 StPO iVm §  229 StPO) –  wie bei §  213 StPO – nach pflichtgemäßem Ermessen unter Einbeziehung der Verfahrenslage und der legitimen Belange der Beteiligten.28 Obwohl nach unbestrittener Ansicht bereits der erste Absatz dem Gericht bzw. dem Vorsitzenden die Ermessensentscheidung zuspricht – der Angeklagte demnach nur ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung haben

23 

Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  18. U. a. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; StV 1997, 402 (403); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; KMR/ Eschelbach §  213 Rn.  8, 12, 17 f.; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  16 „Dispositionsfreiheit“; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  2 ff.; SSW/Grube §  213 Rn.  1 ff.; krit. Radtke/Hohmann/ Britz §  213 Rn.  1 f., 8. 25  KMR/Eschelbach §  213 Rn.  8; Kühne Rn.  632; zur Terminsstunde: Meyer-Goßner/ Schmitt §  213 Rn.  4. 26  Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10 mwN. 27  Dazu krit. Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  1 f. 28  AK-StPO/Keller §  228 Rn.  2 f.; HK-StPO/Julius §  228 Rn.  3; SK-StPO/Deiters §  228 Rn.  8, 15. 24 

II.  Verlauf der Arbeit

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kann  – stellt der zweite Absatz für den Fall des verhinderten nicht-notwendigen Verteidigers explizit fest, dass kein Anspruch auf Vertagung besteht. Eine weitere Norm, die im Kontext des verhinderten Verteidigers Beachtung findet, ist §  265 Abs.  4 StPO. §  265 StPO bezieht sich ebenfalls auf die laufende Hauptverhandlung und regelt hauptsächlich Hinweispflichten des Gerichts, die ermöglichen sollen, dass sich die Verteidigung auf veränderte Umstände, die sich im laufenden Verfahren ergeben, einstellen kann. Der dritte Absatz enthält die Möglichkeit eines bindenden Antrags auf Unterbrechung oder Aussetzung, um der Verteidigung im Hinblick auf die geänderten Umstände eine ausreichende Vorbereitung zu ermöglichen. Der vierte Absatz regelt ebenfalls die Möglichkeit einer Aussetzung auf Antrag oder von Amts wegen – aber bezieht sich nicht auf eine veränderte Rechtslage, sondern eine veränderte Sachlage und erfasst daher Verfahrenssituationen, die jenseits des Regelungsbereichs der ersten Absätze liegen. Eine solche Verfahrenssituation kann nach allgemeiner Ansicht auch in einer ungenügenden Vorbereitung der Verteidigung oder dem Fehlen des Verteidigers liegen.29 Da die Unterbrechung eine Maßnahme ist, die die Durchführung und den Abschluss des Verfahrens weniger beeinträchtigt als eine Aussetzung, ist nach allgemeiner Ansicht auch eine Unterbrechung möglich.30 Das Recht auf jederzeitigen Beistand eines Verteidigers des Vertrauens aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO steht mit den anderen genannten Normen in Konflikt. Über den Konflikt mit §  137 Abs.  1 S.  1 StPO hinaus ist auch das Zusammenspiel zwischen §  213, §  228 Abs.  2 und §  265 Abs.  4 StPO klärungsbedürftig.

II.  Verlauf der Arbeit Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die derzeitige Rechtspraxis. Daher wird im ersten Teil des ersten Kapitels (A.) zunächst die veröffentlichte Rechtsprechung zum terminlichen Anwesenheitsrecht des Verteidigers in der Hauptverhandlung dargestellt (S. 11–62) und darin auch der Versuch unternommen, die Terminierungspraxis der unteren Gerichte zu beleuchten (S. 55–60). Anschließend erfolgt eine kritische Analyse der Rechtsprechung (B., S. 62–88), welche die Grundlage für die folgenden Kapitel darstellt. Um von der derzeitigen Rechtsprechung zu einer sachgerechten Auslegung der Gesetzeslage de lata zu gelangen und möglicherweise nötige oder sinnvolle 29 

KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80 ff.; SK-StPO/Velten §  265 Rn.  63. AK-StPO/Loos §  265 Rn.  45; AnwK-StPO/Martis §  265 Rn.  13; Graf/Eschelbach §  265 Rn.  51; HK-StPO/Julius §  265 Rn.  19, 21; HK-GS/Brehmeier-Matz §  265 Rn.  6; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  25; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  112; Radtke/Hohmann §  265 Rn.  103; SK-StPO/Velten §  265 Rn.  63 f.; vgl. auch KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  85; Meyer-Goßner/Schmitt §  265 Rn.  39. 30 

8

Einleitung

Änderungen der Rechtslage de ferenda herauszuarbeiten, müssen die Verfahrensgrundsätze und Interessen, welche von Terminierung und Terminverlegung betroffen sind – oder deren Betroffenheit zumindest behauptet wird  – genauer betrachtet werden. Das zweite Kapitel beschäftigt sich daher ausführlich mit dem Recht auf formelle Verteidigung. Um die Bedeutung der Anwesenheit des gewählten Verteidigers in der Hauptverhandlung zu erfassen, wird der Schwerpunkt auf die Perspektive des Angeklagten gelegt (S. 102–136). Dass für die Bedeutung der Verteidiger-Anwesenheit vor allem die Perspektive des Angeklagten bedeutend ist, mag selbstverständlich erscheinen. Faktisch kommen in juristischer Literatur und Rechtsprechung jedoch fast ausschließlich Juristen zu Wort, weshalb die Angeklagten-Perspektive häufig außer Acht bleibt. Wie wichtig es zur Beurteilung von Verteidigungsrechten ist, sich die Situation aus der Perspektive eines Beschuldigten vor Augen zu führen, machen die Ausführungen von Vargha deutlich, der 1879 schrieb: „Wie sehr die auf Beschränkung der Vertheidigungsrechte gerichtete Tendenz zudem eine Verblendung ‚glücksgehärteter‘ Menschen sei, offenbart sich unzweifelhaft aus dem Umstande, dass auch Diejenigen, welche ihr am meisten huldigen, von dem Augenblicke an, als sie selbst oder ihnen nahestehende Personen das Unglück haben, mit einer Strafbehörde in Collision zu gerathen, alsbald ganz anderer Meinung werden und sich für die möglichste Erweiterung der Verteidigungsbefugnisse nicht weniger begeistern als der humanste Rechtsphilosoph (…).“31

Um die Legitimität der Einschränkung des jederzeitigen Beistandsrechts durch Terminsentscheidungen zu überprüfen, müssen zudem die einfach- und höherrechtliche Normierung des Beistandsrechts (S. 89–102), die Aufgaben der formellen Verteidigung in der Hauptverhandlung (S. 136–149) und das Recht auf die freie Wahl des Verteidigers (S. 157–163) einbezogen werden. Im dritten Kapitel wird untersucht, ob dem Interesse an der Anwesenheit des Verteidigers vorbehaltlos entsprochen werden kann, oder ob dies andere Interessen übermäßig beeinträchtigen würde. In der Literatur und Rechtsprechung werden als Verfahrensgrundsätze und Interessen der Allgemeinheit, welche mit dem Anwesenheitsinteresse kollidieren könnten, vor allem das Beschleunigungsgebot (S. 165–189) und die (zügige) Durchführbarkeit von Strafverfahren (S. 190–240) genannt. Im Kontext der Durchführbarkeit des Strafverfahrens ist auch die Belastung der Strafrechtspflege zu beachten. Des Weiteren soll die Gefahr des Missbrauchs einem Terminanspruch entgegenstehen (S. 241–253). Von der im zweiten und dritten Kapitel erfolgten Analyse der Interessenlage ausgehend, werden im vierten Kapitel eine verfassungskonforme Auslegung de 31 

Vargha S.  284.

II.  Verlauf der Arbeit

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lege lata herausgearbeitet und Reformmöglichkeiten vorgeschlagen. Dazu werden im ersten Teil des Kapitels zunächst die unterschiedlichen Verfahrenssituationen, die im Rahmen der behandelten Problematik auftreten können beschrieben und es wird analysiert, welche Interessen jeweils in welcher Weise betroffen sind. Auf dieser Grundlage werden die Auslegungsmöglichkeiten und -grenzen der verschiedenen Normen erfasst und es wird geprüft, ob eine der Interessenlage entsprechende verfassungskonforme Auslegung der beteiligten Normen möglich ist. Der zweite Teil des vierten Kapitels beschäftigt sich mit möglichen Gesetzes­ änderungen. Dazu wird zunächst dargelegt, inwiefern angesichts der zuvor erfolgten Normauslegung Reformbedarf besteht (S. 296–299), um anschließend Reformansätze zu analysieren, die sich der Rechtsprechung und Literatur entnehmen lassen (S. 299–311). Der daran anschließend erarbeitete Reformvorschlag orientiert sich wiederum an den unterschiedlichen Verfahrenslagen, in denen eine Verhinderung des Verteidigers eintreten kann und untergliedert sich dementsprechend in die Betrachtung des Terminierungsvorgangs (S. 312–315), des Rechts auf eine Verlegung vor Beginn der Hauptverhandlung (S. 315–325) und der Verhinderung während einer laufenden Hauptverhandlung (S. 325–327).

1. Kapitel

Die ständige Rechtsprechung Zur Klärung der Rechtslage muss der Stand der Rechtsprechung zur terminlichen Verhinderung des Verteidigers vor und während des Verfahrens erfasst werden. Um einen möglichst genauen Überblick über die derzeitige Rechtspraxis zu bekommen, wird daher zunächst die Rechtsprechung der unterschiedlichen Instanzen in zusammengefasster Form umfassend referiert, um die herausgearbeiteten Entscheidungsstrukturen und -inhalte anschließend zu analysieren und Probleme und Widersprüche dieser Praxis aufzuzeigen.

A.  Darstellung der Rechtsprechung Es gibt eine einheitliche Rechtsprechung bezüglich der Terminverlegung zu Gunsten der Anwesenheit des Verteidigers, die nicht nach den unterschiedlichen Verfahrensstadien unterscheidet.1 Der Anwendungsbereich der Normen wird nicht strikt voneinander unterschieden und die Entscheidungskriterien sind bei §  213; §  228 und §  265 Abs.  4 StPO in etwa gleichlautend (dazu S. 16  f.).2 Zum Teil werden als Maßstab ausschließlich diese Entscheidungskriterien genannt, ohne zu konkretisieren auf welchen Normen die Entscheidung beruht.3 Der vernachlässigte Normbezug erstreckt sich stellenweise auch auf das Recht auf Beistand eines Verteidigers, für dessen Einbezug bisweilen auf das ‚faire Verfahren‘ verwiesen wird anstatt auf §  137 Abs.  1 S.  1 StPO.4 In Entscheidungen, die sich mit einer Verhinderung des Verteidigers vor der Hauptverhandlung beschäftigen, wird häufig auch oder ausschließlich §  228 Abs.  2 StPO als Entscheidungsgrundlage herangezogen.5 So auch Heubel NJW 1981, 2678; E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (359). Krit. dazu Heubel NJW 1981, 2678. 3  Bspw. BGH NStZ 2006, 513; OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294; LG Braunschweig StV 1997, 403; LG Berlin wistra 2001, 79; vgl. auch BayObLGSt 1988, 179, welches zwar §  137 StPO, aber keine entgegenstehende Norm nennt. 4  Bspw. OLG Hamm StV 1989, 100; OLG Köln StV 1990, 257; OLG Frankfurt/M StV 1998, 13; vgl. auch OLG Hamm NStZ 1995, 596; BayObLGSt 2001, 111 (114). 5  U. a. OLG Celle NJW 1965, 2264; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Koblenz VRS 45 1  2 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Aufgrund dieser fehlenden Dogmatik ist die folgende Zusammenfassung der Rechtsprechung nicht nach den einzelnen Normen strukturiert, sondern die zahlreichen Entscheidungen werden als Themenkomplex ‚Verhinderung des Verteidigers‘ betrachtet.6 Zur prozessualen Einordnung der Entscheidungen wird zunächst skizziert, aufgrund welcher Rechtsmittel es zu einer Überprüfung der Terminierungsentscheidung kommen kann. Danach wird ein kurzer Überblick über die grundlegenden Entscheidungsmaßstäbe und ihre Begründung gegeben. Im Anschluss erfolgt ein chronologischer Überblick über die höchstrichterlichen Entscheidungen, um anschließend die konkreten Abwägungskriterien zusammenfassend zu referieren. Abschließend werden beispielhafte Terminierungsentscheidungen der unteren Gerichte dargestellt.

I.  Verschiedene Verfahrenssituationen und Rechtsmittel Die veröffentlichten Rechtsmittelentscheidungen lassen sich in drei Bereiche unterteilen: Entscheidungen über Beschwerden gegen abgelehnte Umterminierungsanträge, Revisionsentscheidungen in Verfahren, in denen die Verteidigung iS des §  140 StPO nicht notwendig war und verschiedene Entscheidungen in Verfahren mit notwendiger Verteidigung. Vereinzelt beschäftigen sich die Gerichte auch aufgrund von Befangenheitsanträgen mit Terminierungsentscheidungen.7 Inhaltliche Unterschiede zwischen den Rechtsmittelsituationen sind kaum auszumachen. In allen Fällen geht die ständige Rechtsprechung von einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung des Vorsitzenden aus und somit liegt der Schwerpunkt der Entscheidungen bei der Abwägung der verschiedenen Interessen, welche nur hinsichtlich einer fehlerfreien Ermessensausübung überprüft werden kann.8 (1973), 284 (285); 52 (1977), 428 (430); BayObLG StV 1983, 270; OLG Oldenburg StV 1991, 152; OLG Zweibrücken StV 1992, 568, BayObLGSt 1994, 95; OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13; BayObLGSt 1998, 144; 2001, 101 (102); OLG Hamm NJW 2006, 2199 (2200); OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (323); OLG Hamm SVR 2008, 387 (388), OLG Braunschweig StRR 2009, 432; insoweit nicht abgedr.; OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  7); LG Koblenz StV 1996, 254; LG Hamburg StV 1989, 340; LG Stuttgart DAR 2012, 38 (39); vgl. zur Verspätung: OLG Düsseldorf StV 1995, 454. 6  Zur fehlenden Dogmatik: E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (359). 7  Z. B. BGH NStZ 2007, 163; BayObLGSt 2001, 111; OLG Naumburg StraFo 2005, 24; OLG Bamberg NJW 2006, 2341; LG Mönchengladbach StV 1998, 533; AG Tiergarten VRR 2014, 316; auch LG Krefeld StV 1995, 426 zur Anhörung in Strafvollstreckungsverfahren. 8  U. a. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; StV 2001, 157; OLG Dresden NJW 2004,

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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1.  Beschwerde In einer Vielzahl der veröffentlichten Entscheidungen werden Landes- und Oberlandesgerichte vor Beginn der Hauptverhandlung als Beschwerdegerichte nach §  304 Abs.  1 StPO tätig. Grundsätzlich wird die Terminierungsentscheidung als eine iS des §  305 S.  1 StPO der Urteilsentscheidung vorausgehende Entscheidung angesehen. Daher war die Statthaftigkeit einer solchen Beschwerde lange umstritten und ist es in geringerem Maße noch immer.9 Mittlerweile ist weit überwiegend anerkannt, dass die Beschwerde „ausnahmsweise“ möglich ist, wenn eine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung bei der Terminierung eine besondere selbständige Beschwer bewirkt.10 Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn eine Verfügung des Vorsitzenden das Recht des Angeklagten, sich des Beistands eines Verteidigers des Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt.11 Manche Gerichte beschränken die Statthaftigkeit der Beschwerde auf Fälle der evident fehlerhaften Ermessensausübung.12 Bei beiden Auslegungen des §  305 S.  1 StPO geht die Statthaftigkeit zwingend mit der Begründetheit der Beschwerde einher.13 Eine andere Ansicht begründet die Statthaftigkeit der Beschwerde mit dem nicht gegebenen Zweck des §  305 StPO: Da nach ständiger Rechtsprechung nur der Antrag in –  nicht vor  – der Hauptverhandlung ein Revisionsgrund sei, wäre kein anderes Rechtsmittel als die Beschwerde gegen die abgelehnte Umterminierung möglich.14 3196 (3197); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473 (Rn.  13, insoweit nicht abgedr.); LG  Potsdam StraFo 2005, 342; vgl. auch LG Hamburg StV 1988, 195 (196). 9  Ablehnend z. B. OLG  Stuttgart Justiz 1980, 361; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127; OLG Hamm StRR 2014, 202 (LS), Rn.  22; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  23 f.; offen: OLG  Brandenburg OLG-NL 1996, 71 (71). 10  U. a. OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Dresden NJW 2004, 3196; OLG Nürnberg StV 2005, 491; OLG München StV 2007, 518; KG StV 2009, 577 (578); OLG Celle NJW 2012, 246; OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (250); zusammenfassend: Krumm StV 2012, 177 (178); weiter: LG Berlin StV 2012, 145, welches sich nur auf Ermessensfehler und nicht auf Beschwer bezieht. 11  U. a. OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Nürnberg StV 2005, 491; OLG München StV 2007, 518; OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); LG Dortmund StV 1998, 14; LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Darmstadt NZV 2006, 442. 12  U. a. OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Dresden NJW 2004, 3196; OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; KG StV 2009, 577 (578); OLG Celle NJW 2012, 246; OLG Hamm StRR 2015, 122 (LS) Rn.  15; LG Braunschweig StV  2014, 335; krit. dazu KK/Laufhütte/Willnow §  137 Rn.  1. 13  Vgl. auch Krumm StV 2012, 177 (178); anders nur OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177, welches auf den geltend gemachten Ermessensfehler abstellt. 14  LG Hamburg StV 1988, 195 (196); LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (112 f.); aA noch

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Bezüglich der Beschwerde gegen Terminierungsentscheidungen besteht kein rechtlicher Unterschied zwischen Strafverfahren und Ordnungswidrigkeitenverfahren (vgl. §  46 Abs.  1 OWiG). Daher wurde die reichhaltige Rechtsprechung zu Terminierungsbeschwerden in OWi-Verfahren in die Auswertung der Rechtsprechung miteinbezogen. Bei Ordnungswidrigkeiten- und Strafbefehlsverfahren kann es neben Beschwerden gegen die Ablehnung eines Umterminierungsantrags zu Beschwerden gegen die Verwerfung eines Einspruchs aufgrund der Abwesenheit des Betroffenen und des Verteidigers kommen (§  412 iVm §  329 Abs.  1 StPO; §  74 Abs.  2 OWiG), wobei die Verhinderung des Verteidigers im Einzelfall eine Entschuldigung für das Ausbleiben des Betroffenen darstellen kann.15 2. Revision Die Ablehnung von Terminsanträgen vor Beginn der Hauptverhandlung ist nach allgemeiner Ansicht kein Revisionsgrund nach §  338 Nr.  8 StPO.16 Dass eine ermessenfehlerhafte Terminierung unter Verstoß des Rechts auf Verteidigung nach §  213 StPO ein relativer Revisionsgrund gem. §  337 StPO sei, wird nur vereinzelt vertreten.17 Die Ablehnung eines Vertagungsantrags nach Beginn der Hauptverhandlung kann gemäß §  338 Abs.  2 StPO beanstandet werden, um die für §  338 Nr.  8 StPO notwendige Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. Des Weiteren kann sich ein Revisionsgrund aus einer gemäß §  265 Abs.  4 StPO von Amts wegen bestehenden Vertagungspflicht ergeben. Diese Pflicht des Gerichts ermöglicht es auch einen vor der Hauptverhandlung gestellten Antrag in die Revisionsentscheidung einzubeziehen.18 In Ordnungswidrigkeitenverfahren ist dagegen nur die Beschwerde gemäß §  79 OWiG möglich. Die Zulässigkeit der Beschwerde ergibt sich in den die Terminierung betreffenden Fälle zumeist aus §  79 Nr.  5 OWiG. Eine – später durch die Revision überprüfbare – Entscheidung während der Hauptverhandlung kann in verschiedenen Konstellationen notwendig werden: OLG Hamm StV 1990, 56, welches auf den Rechtsschutz durch Wiederholung des Antrags in der Hauptverhandlung verweist; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127. 15  U. a. OLG Köln VRS 92 (1997), 261; BayObLGSt 2001, 101 (102 f.); DAR 2001, 83 (83); OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294; KG VRS 127 (2014), 164 (165). 16  U. a. OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Koblenz VRS 45 (1973), 284; OLG Hamm GA 1977, 310 (312); OLG Koblenz VRS 52 (1977), 428 (429); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13; NStZ-RR 1996, 304 (305); vgl. auch BayObLGSt 1996, 94 (95). 17  BayObLGSt 1962, 226 (228); OLG Braunschweig StV 2004, 366; StV 2008, 293 (294); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); HK-GS/Schulz §  213 Rn.  6. 18  U. a. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); BayObLGSt 1996, 94.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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In dem schon genannten Fall der bereits vor der Hauptverhandlung bekannten Verhinderung muss nach Beginn der Verhandlung auf Antrag oder von Amts wegen erneut entschieden werden.19 Zudem kann eine kurzfristige Verhinderung des Verteidigers eintreten oder Terminkollisionen können bei während der Verhandlung terminierten Fortsetzungsterminen auftreten.20 Als Unterfall der kurzfristen Verhinderung kann das verspätete Eintreffen des Verteidigers angesehen werden. 3.  Notwendige Verteidigung In Verfahren ohne notwendige Verteidigung ist die Folge der fehlenden gerichtlichen Berücksichtigung der Verhinderung des Verteidigers zumeist die Durchführung der Verhandlung ohne formelle Verteidigung. Dagegen betreffen Rechtsmittel in Verfahren, in denen die Verteidigung nach §  140 StPO notwendig ist, in aller Regel nicht das Fehlen der formellen Verteidigung, sondern die Abwesenheit eines bestimmten Verteidigers.21 Zudem könnte es in Verfahren, in denen die Verteidigung zwar nach §  140 StPO notwendig war, aber dies vom Tatsachengericht verkannt wurde, zu einer Revisionsrüge wegen der Nichtberücksichtigung der Verhinderung kommen.22 Neben Beschwerden oder Revisionsrügen wegen der Verhinderung des vom Angeklagten mandatierten Verteidigers können Unstimmigkeiten in der Terminierung zu einem Rechtsstreit über die Auswahl des zu bestellenden Verteidigers oder dessen Entpflichtung führen: Die terminliche Verhinderung kann vom Vorsitzenden als ein der Bestellung entgegenstehender Grund angesehen werden (§  142 Abs.  1 S.  2 StPO).23 Auch nach bereits erfolgter Bestellung können Terminierungsschwierigkeiten – über den Wortlaut des §  143 StPO hinaus – zu einer Entpflichtung des betreffenden Verteidigers führen.24 19 

U. a. OLG Frankfurt/M StV 1998, 13; OLG Braunschweig StV 2008, 293. U. a. BGH NJW 1992, 849; NStZ-RR 2007, 81 (82); OLG Hamm NJW 1954, 933; OLG Düsseldorf StV 1995, 69; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107; LG Dortmund StV 1986, 13. 21  U. a. BGH NStZ 2004, 637; OLG  Brandenburg OLG-NL 1996, 71; OLG Saarbrücken NJW-Spezial 2015, 473. 22  Vgl. OLG Hamm GA 1977, 310 (312); NStZ-RR 2001, 107 (108); LG Berlin StV 2012, 145. 23  U. a. BGH MDR [D] 1969, 903; OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2790); Thüringer OLG StV 2009, 576 (577); nur bei längerfristiger, vollständiger Verhinderung: LG Magdeburg StraFo  2014, 421 (Rn.  5), insoweit nicht abgedr.; vgl. auch OLG Frankfurt/M StV 1989, 384; OLG Hamm StRR 2014, 202 (LS). 24  U. a. OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2790); OLG Celle NStZ 2008, 583; Thüringer OLG StV 2009, 576 (577); OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 279 (LS); OLG Koblenz NStZ-RR 2015, 117 (LS); vgl. auch OLG Frankfurt/M StV 1995, 11. 20 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Ebenfalls den notwendigen Verteidiger betreffen Entscheidungen über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, in denen bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Dauer der Untersuchungshaft auch Terminierungsschwierigkeiten beurteilt werden.25

II.  Grundsätze der Terminierungsrechtsprechung 1.  Überblick der Entscheidungsmaßstäbe „Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Hierüber hat er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden.“26

Dieses Zitat wird in einem großen Teil der veröffentlichten Entscheidungen zu Terminierung den konkreten Erwägungen vorangestellt.27 Die Anforderungen an eine Entscheidung zur Terminverlegung werden nahezu wortgleich beschrieben.28 Nach der ständigen Rechtsprechung muss also das Recht auf Beistand des Verteidigers des Vertrauens bei der Terminierung beachtet werden, aber ein Anspruch auf eine Terminverlegung oder eine vorherige Terminabsprache besteht nicht.29 Ebenfalls häufig aufgegriffen wird folgende Formulierung des 1. Strafsenats des BGH: „Zwar soll sich der Angeklagte in der Regel eines Verteidigers seines Vertrauens bedienen können. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Hauptverhandlung unter allen Umständen in der Gegenwart dieses Verteidigers durchgeführt oder zum Abschluß gebracht werden muß.“30

Die gleichen Formulierungen werden mit Nuancen auf die Verhinderung des Verteidigers bezogen, die erst im Termin bekannt wird: 25 

U. a. OLG Hamm NJW 2006, 2788; StV 2006, 481; OLG Naumburg StV 2008, 365. BGH NStZ-RR 2006, 272. 27  U. a. BGH NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (513 f.); NStZ 2007, 163 (164); BayObLGSt 2001, 111 (114); OLG Schleswig ZfS 2015, 172. 28  U. a. BGH NJW 1992, 849; NStZ 2006, 513 (513 f.); NStZ-RR 2006, 272 (272); NStZ 2007, 163 (164); NStZ-RR 2007, 81 (82); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); OLG Hamm NJW 2006, 2199 (2200); StRR 2015, 122 (LS); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473 (Kurzwiedergabe). 29  Neben der unten konkreter erfassten Rspr. u. a. auch AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3, 6; Graf/Ritscher §  213 Rn.  4, 6; KMR/Hiebl §  137 Rn.  27; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  20; Meyer-Goßner/Schmitt §  137 Rn.  2; §  213 Rn.  6 f.; SSW/Grube §  213 Rn.  21, 25, 27. 30  BGH NJW 1973, 1985 (1986). 26 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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„Dem Rechtsstaatsgebot läßt sich jedoch kein Anspruch (…) entnehmen, daß das Gericht unter allen Umständen mit der Verhandlung innehalten muß, wenn der (…) gewählte Verteidiger verhindert ist. (…) Selbst eine bekannte Verhinderung des Verteidigers gibt nach (…) §  228 II StPO dem Betr. in der Regel kein Recht, eine Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Von Rechtsstaats wegen haben nämlich auch die Durchführbarkeit des Verfahrens sowie seine Beschleunigung Gewicht. Diese Ziele sind mit dem Interesse (…) am Beistand des von ihm gewählten Verteidigers in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Ob die Fürsorgepflicht des Gerichts, die u. a. in §  265 IV StPO Ausdruck gefunden hat, gebietet, wegen der Verhinderung eines Verteidigers auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin zu verlegen, damit die Mitwirkung des Verteidigers im Interesse des Betr. möglich wird, ist daher immer im Einzelfall zu entscheiden.“31

Diese Entscheidungsmaßstäbe der ständigen Rechtsprechung wurden vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1983 grundsätzlich bestätigt.32 2.  Inhaltliche Begründung dieser Maßstäbe Diese Entscheidungsmaßstäbe werden –  wenn überhaupt – nur sehr knapp begründet. Wenn der Einbezug der Terminsbelange des Verteidigers begründet wird, wird hierfür zumeist lediglich auf das Recht auf jederzeitigen Verteidigerbeistand (§  137 Abs.  1 S.  1 StPO) verwiesen und bisweilen angefügt, dass dieses grundgesetzlich geschützt sei. Zur Begründung warum das jederzeitige Beistandsrecht nicht zu einem unbedingten Anspruch auf Anwesenheit führt, wird zum einen auf die StPO verwiesen und zum anderen auf entgegenstehende Verfahrensbelange. Diese Begründungen – welche zumeist nur Schlagworte oder Halbsätze sind  – beziehen sich sowohl darauf, dass kein Terminanspruch der Verteidigung normiert sei als auch auf dem Beistandsrecht entgegenstehende Belange. Insoweit spiegeln sich die grundsätzlichen Erwägungen in den Abwägungskriterien des Einzelfalls wider (dazu  IV.). a)  Gesetzgeberische Wertung Vielfach findet sich der Hinweis, dass der Gesetzgeber mit §  228 Abs.  2 StPO die Wertung zum Ausdruck gebracht habe, dass der Beschuldigte keinen Anspruch auf eine Umterminierung habe.33 Die Kodifizierung des §  228 Abs.  2 StPO besage, dass es zu Lasten des Angeklagten gehe, wenn dieser keinen Ver31 

BayObLG NJW 1995, 3134. BVerfG NJW 1984, 862. 33  U. a. BGH NJW 1973, 1985 (1986); NStZ 1981, 231; NJW 1992, 849; NStZ-RR 2007, 81 (82); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); vgl. auch RGSt 11, 173 (175); JurW 1932, 1151; BayObLG NJW 1995, 3134; DAR 2001, 83 (83); OLG Hamm SVR 2008, 387 (Rn.  16), insoweit nicht abgedr. 32 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

teidiger fände, der bereit und in der Lage ist, ihm in der Hauptverhandlung beizustehen.34 Dieser Grundsatz wird teilweise mit dem Argument untermauert, die Ladungsfrist gebe ausreichende Gelegenheit zur Verteidiger-Beauftragung.35 Nach dieser Interpretation des §  228 Abs.  2 StPO ist die Norm Ausdruck einer gesetzgeberischen Wertung, welche auf die Anwendung des §  213 StPO und des §  265 Abs.  4 StPO zu übertragen sei.36 Neben §  228 Abs.  2 StPO wird auch auf §  213 StPO verwiesen, nach welchem dem Vorsitzenden die Terminshoheit zustünde.37 Mehrere BGH-Entscheidungen stellen darüber hinaus ohne Nennung einer Norm fest, dass die Terminierung Sache des Vorsitzenden sei.38 b)  Verhinderung eines zu starken Einflusses des Verteidigers Neben der Bezugnahme auf den Willen des Gesetzgebers wird darauf verwiesen, es könne nicht sein, dass es in der Hand des Verteidigers läge, mit Hinweis auf andere Termine Einfluss auf die Terminierung zu nehmen bzw. eine Unterbrechung oder Aussetzung herbeizuführen.39 Weitüberwiegend wird nicht ausgeführt, warum dies nicht sein könne, sondern das vermutlich darin liegende Argument der Missbrauchsgefahr der Interpretation des Lesenden überlassen. Vereinzelt wird diese Befürchtung offen ausgesprochen.40 Ohne eine Bezugnahme auf den gesetzgeberischen Willen oder eine befürchtete Missbrauchsgefahr kommt der 1.  Senat des Bundesgerichtshofs bei der Begründung aus, es könne nicht sein, dass die Verhinderung des Wahlverteidigers zur Folge habe, dass der Hauptverhandlungstermin nicht stattfände.41 34  U. a. OLG Hamm NJW 1954, 933; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Köln VRS 92 (1997), 261 (262); BayObLGSt 2001, 111 (114). 35  U. a. OLG Hamm NJW 1954, 933; OLG Celle NJW 1965, 2264; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); während der HV: BGH NStZ-RR 2006, 272 (273). 36  OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); BayObLGSt 2001, 111 (114); vgl. auch BGH NStZ-RR 2007, 81 (82); OLG Köln NJW 1968, 954; OLG  Koblenz VRS 45 (1973), 284 (285); BayObLGSt 1998, 144 (145); OLG Koblenz NJW 2006, 2199 (2200); LG Bremen StV 1994, 11 (12). 37  BGH NJW 2008, 2451 (2454); OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128 f.); OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403); 2001, 157; OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); LG Potsdam StraFo 2005, 342. 38  BGH NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (514); NStZ-RR 2006, 272; NStZ 2007, 163. 39  BVerfG NJW 1984, 862 (863); BGH NJW 1973, 1985 (1986); BayObLGSt 1988, 179 (180); vgl. auch BGHSt 15, 306 (308); OLG Hamm StV 1989, 100 (101). 40  OLG Köln JMBl NW 1962, 225 (226); OLG Köln NJW 1968, 954; BayObLGSt 1998, 144 (145). 41  BGH NStZ 1999, 527.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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c)  Durchführung und Beschleunigung des Verfahrens Bei der Aufzählung von Belangen, die dem Interesse an der Anwesenheit des Verteidigers entgegenstehen sollen, wird in allen Entscheidungen ein auf den ersten Blick nahezu identisches Ensemble an Interessen aufgeführt. Nuancen finden sich vor allem bei den unterschiedlichen Formulierungen hinsichtlich des Interesses an der Durchführung des Verfahrens. Vielfach wird dabei vom Interesse des Rechtsstaates an einer ‚Durchführung‘42 bzw. ‚Durchführbarkeit‘43 des Verfahrens gesprochen und im gleichen Atemzug das Interesse an dessen Beschleunigung genannt.44 Eine modifizierte Formulierung ist der Hinweis auf das „staatliche Interesse an der reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens“45 oder auch der Terminus des Interesses an „einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens“.46 Bei der letzten Formulierung wird weder mitgeteilt, um wessen Interesse es sich handelt, noch wann ein Verfahren ‚reibungslos‘ durchgeführt wurde. Dagegen wird ein Subjekt benannt, soweit vom „Interesse der Justiz an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens“47 ausgegangen wird. Ebenfalls mit einem Subjekt versehen ist das vereinzelt genannte „aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Verfahrens und dessen Beschleunigung“.48 Zusammengefasst besteht nach Ansicht der Rechtsprechung ein Interesse des Staates bzw. der Justiz bzw. der Rechtspflege bzw. des Rechtsstaates und daraus abgeleitet der Allgemeinheit an der Durchführung des Verfahrens und insbesondere an der beschleunigten und/oder reibungslosen Durchführung. Zugleich wird angenommen diese Interessen stünden einem Interesse an der Anwesenheit des Verteidigers entgegen. Das Gebot der Verfahrensbeschleunigung wird jedoch auch als eigenständiger Aspekt benannt.49 Teilweise wird nicht das allgemeine Beschleunigungsge42 

U. a. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305). U. a. BVerfG NJW 1984, 862 (863); BayObLGSt 1988, 179 (180); NJW 1995, 3134. 44  U. a. BVerfG aaO; BayObLGSt 1988, 179 (180); NJW 1995, 3134; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305). 45  U. a. OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (157 f.); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); LG Potsdam StraFo 2005, 342. 46  U. a. BayObLGSt 1994, 95 (96); MDR 1996, 955; BayObLGSt 2001, 101 (102); DAR 2001, 83 (83); NStZ 2002, 97; KG NZV 2003, 433 (434); OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); LG Berlin wistra 2001, 79. 47  U. a. OLG Hamm SVR 2008, 387; OLG Koblenz StV 2010, 476 (477). 48  U. a. OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180). 49  BGH NJW 1973, 1985 (1986); GA 1981, 37 (38); NJW 1992, 849; NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (514); NStZ-RR 2006, 272; NStZ 2007, 163; NStZ-RR 2007, 81 (82); NJW 2008, 2451 (2453 f.); OLG Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Frank43 

20

1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

bot als relevanter Abwägungsaspekt angesehen, sondern nur das Vorliegen eines besonderen Beschleunigungsgrundes, wie ein bestehender Haftbefehl oder andere vorläufige Maßnahmen.50 d)  Belange der Justiz und der Verfahrensbeteiligten Bestandteil der Abwägung sollen neben diesen Rechtsprinzipien auch konkrete Belange der Strafjustiz sein; insbesondere die Terminplanung und die Gesamtbelastung des Spruchkörpers.51 Diese beiden Aspekte werden in nahezu allen Entscheidungen erwähnt. Zugleich finden sich jedoch zahlreiche Entscheidungen, die – scheinbar wenig wirkungsvoll – anmahnen, dass ein pauschaler Hinweis auf die angespannte Terminslage des Spruchkörpers nicht ausreiche.52 Neben den Interessen des Gerichts werden als Ermessenskriterien die berechtigten Belange der Beteiligten genannt, wobei diese zumeist abstrakt bleiben.53 Unter diese berechtigten Belange werden auch das Interesse des Angeklagten an der Anwesenheit des Verteidigers und eigene Terminbedürfnisse des Angeklagten gefasst.54 Es können auch entgegenstehende Terminbelange eines Zeufurt/M StV 1997, 402 (403); BayObLG NStZ 2002, 97; KG NZV 2003, 433 (434); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Thüringen VRS 113 (2007), 322 (323); OLG Braunschweig StV 2008, 293; OLG Bamberg StraFo 2011, 232; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (251); OLG Hamm StRR 2015, 122 (LS) Rn.  17; LG Bonn StraFo 1996, 174; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404). 50  OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); vgl. auch BGH NJW 1973, 1985 (1986); OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); KG StV 2009, 577; LG Berlin StV 1995, 239; LG Bonn StraFo 1996, 174; LG Dortmund StV 1998, 14; LG Berlin wistra 2001, 79; LG  Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Oldenburg StV 2010, 479. 51  BGH GA 1981, 37 (38) (nur Gesamtbelastung); NJW 1992, 849 (nur Terminsplanung); NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (514); NStZ-RR 2006, 272; NStZ 2007, 163; NStZ-RR 2007, 81 (82); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Thüringen VRS 113 (2007), 322 (323); OLG Frankfurt/M NStZRR 2014, 250 (250 f.); OLG Schleswig ZfS 2015, 172; LG Bonn StraFo 1996, 174; krit. OLG Braunschweig StV 2012, 721 (insoweit nicht abgedr.). 52  OLG Hamm GA 1977, 310 (312); OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  21); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG Berlin StV 1995, 239; LG Bonn StraFo 1996, 174; LG Verden StV 1996, 255; LG Berlin wistra 2001, 79; StV 2003, 441; LG Oldenburg StV 2010, 479. 53  BGH GA 1981, 37 (38); NJW 1992, 849; NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (514); NStZRR 2006, 272; NStZ 2007, 163; NStZ-RR 2007, 81 (82); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Thüringen VRS 113 (2007), 322 (323); OLG Bamberg StraFo 2011, 232. 54  U. a. OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  7); OLG Frankfurt NStZ-RR

A.  Darstellung der Rechtsprechung

21

gen bestehen.55 Nur vereinzelt wird die Beeinträchtigung des Zeugen durch die Notwendigkeit einer neuen Aussage nach einer Aussetzung als zu beachtender Aspekt erwähnt.56

III.  Chronologie der höchstrichterlichen Rechtsprechung Insgesamt achtzehn veröffentlichte Entscheidungen des Bundesgerichtshofs beschäftigen sich (auch) mit der terminlichen Ermöglichung der Anwesenheit des gewählten Verteidigers. Darunter befinden sich drei erfolgreiche Revisionen wegen der fehlenden Beachtung des Rechts auf Wahlverteidigung bei Terminierungsentscheidungen.57 Hinzu kommen zwei Entscheidungen, in denen das Urteil aus anderen Gründen aufgehoben wurde,58 die Frage also letztlich nicht entscheidend war und ein Beschluss, in dem zwar eine Missachtung der Rechte der Verteidigung festgestellt, diese jedoch als nicht entscheidungsrelevant beurteilt wurde.59 In den restlichen Entscheidungen wurden die Revisionen der Verteidigung zurückgewiesen. Zuvor ergingen vier Urteile des Reichsgerichts, in welchen dieses jeweils entschied, dass in den betreffenden Fällen kein Anspruch auf Vertagung bzw. Unterbrechung aufgrund der Abwesenheit des Verteidigers bestanden hatte. In drei Fällen war der Verteidiger aufgrund eines über mehrere Stunden verzögerten Beginns der Verhandlung abwesend.60 Im vierten Fall trat das Gericht nach Beginn der Urteilsberatung auf Bitten einer Zeugin erneut in die Beweisaufnahme ein, ohne die Rückkehr des Verteidigers abzuwarten.61 In der zeitlich letzten Entscheidung des Reichsgerichts kommt bereits die spätere ständige Rechtsprechung zum Ausdruck: „Der Angekl. und sein Verteidiger hat daher (…) keinen Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung, wenn ihr Beginn sich unerwartet verzögert und der Verteidiger deshalb verhindert ist, ihr bis zum Ende beizuwohnen. Die allgemeine Best. des §  228 Abs.  2 StPO gilt auch für diesen Fall. Es ist nur dem Ermessen des Gerichts anheimgestellt, ob dem Antrag auf Aussetzung stattgegeben werden soll. Billigem Verlangen wird das Gericht Rechnung tragen, wenn dadurch die Belange der Rechtspflege nicht beeinträchtigt werden.“62 2014, 250 (250 f.); OLG Schleswig ZfS 2015, 172 (Rn.  4); OLG Hamm StRR 2015, 122 (LS) Rn.  17. 55  U. a. BGH NJW 1988, 3273. 56  Bspw. OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (109). 57  BGH NStZ 1987, 34; NJW 1992, 849; NStZ 1999, 527. 58  BGH NJW 1965, 2164; NStZ 2009, 650. 59  BGH NStZ-RR 2010, 312. 60  RGSt 1, 235; 11, 173; JurW 1932, 1151. 61  RGSt 28, 413. 62  RG JurW 1932, 1151.

22

1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

1.  1960er und 1970er In der ersten BGH-Entscheidung, die sich mit dem Thema ‚Abwesenheit des Wahlverteidigers‘ hätte beschäftigen können, bezieht sich die (erfolgreiche) Revisionsrüge und somit auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht auf das Fehlen des kurzfristig erkrankten Wahlverteidigers, sondern ausschließlich auf die fehlende Vorbereitung des stattdessen bestellten Sicherungsverteidigers.63 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1968 rügt die Revision zwar die Ablehnung des Vertagungsantrags, der 1.  Senat beschäftigt sich dennoch im Schwerpunkt mit der Rechtmäßigkeit der Pflichtverteidigerbestellung angesichts des Rechts auf den Vertrauensverteidiger. Im Ergebnis wird die Ablehnung des Vertagungsantrags der Wahlverteidigerin und die Verhandlung mit einem Sicherungsverteidiger aufgrund der Inhaftierung des Angeklagten und der nahenden Frist des §  121 StPO trotz vom Gericht verschuldeter später Ladung der Verteidigerin als rechtmäßig bewertet.64 Die dritte veröffentlichte Entscheidung aus dem Jahr 1973 bringt im Kern die bereits genannte und unten genauer dargestellte ständige Rechtsprechung zum Ausdruck: „Zwar soll sich der Angeklagte in der Regel eines Anwalts seines Vertrauens bedienen können (…). Das bedeutet jedoch nicht, daß die Hauptverhandlung unter allen Umständen in Gegenwart dieses Verteidigers durchgeführt oder zum Abschluß gebracht werden muß. Dies ist schon den angeführten gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, die sich mit der Verhinderung des Verteidigers befassen: Gemäß §  228 Abs.  2 StPO gibt eine solche (…) dem Angeklagten kein Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen (…). Der Verteidiger hat es also grundsätzlich nicht in der Hand, unter Hinweis auf andere Aufgaben oder persönliche Gründe eine Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu erzwingen (…). Das schließt andererseits nicht aus, daß das Gericht im Einzelfall auch auf den Zeitplan des Verteidigers Rücksicht nimmt und etwa seiner kurzfristigen Verhinderung – soweit möglich – durch eine Terminsverlegung um wenige Tage oder durch eine Unterbrechung der Hauptverhandlung Rechnung trägt.“65

Stehe nicht nur eine Unterbrechung, sondern eine Aussetzung im Raum, liege die Bestellung eines Sicherungsverteidigers im „wohlverstandenen Interesse“ des inhaftierten Angeklagten.66

63 

BGH NJW 1965, 2164. BGH MDR [D] 1969, 903. 65  BGH NJW 1973, 1985 (1986), Hervorhebungen nicht im Original. 66  BGH aaO. 64 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

23

2.  BGH v. 21.01.1981 – 2 StR 461/80 Eine weitere Revision wurde ebenfalls mit Verweis auf §  228 Abs.  2 StPO abgelehnt, ohne dass dem Urteil eine Interessenabwägung oder ein Hinweis auf §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu entnehmen wäre. Der gewählte Verteidiger war am – erst kurzfristig nötig gewordenen – zweiten und zugleich letzten Verhandlungstag terminlich verhindert, woraufhin ein Sicherungsverteidiger bestellt wurde. Die Begründung entspricht nahezu wortgleich den Ausführungen der gerade referierten BGH-Entscheidung, wonach sich aus §  228 Abs.  2 StPO ergebe, dass trotz des Rechts auf einen Verteidiger der Wahl eine Hauptverhandlung nicht in Gegenwart des Wahlverteidigers stattfinden müsse.67 3.  BGH v. 11.09.1986 – 1 StR 472/86 Anders die zeitlich folgende Entscheidung, in welcher die Revision des Angeklagten mangels im Urteil zu erkennender Abwägung unter Einbeziehung des Rechts aus Art.  6 Abs.  3 lit.  c EMRK erfolgreich war.68 Nach den Ausführungen des 1. Senats ist das Recht auf den Wahlverteidiger ausdrücklich auch neben einer bestehenden Pflichtverteidigung zu beachten.69 Bei einer Verhinderung des gewählten Verteidigers reiche der bloße Hinweis auf die ordnungsgemäße Verteidigung durch den Pflichtverteidiger zumindest dann nicht aus, wenn der Angeklagte mit diesem nicht kommuniziert und dadurch zum Ausdruck bringt, sich nicht ausreichend verteidigt zu sehen.70 4.  BGH v. 08.01.1988 – 2 StR 449/87 Der 2. Senat hingegen sah die Ausübung der Verteidigung durch den nach eigenen Angaben unzureichend vorbereiteten Sicherungsverteidiger trotz des Rechts auf den Verteidiger der Wahl als ausreichend an.71 Die Revision wurde mit der Begründung, dass ein Fehler in der Abwägung nicht bewiesen sei, abgelehnt. Der angegriffenen Entscheidung lag eine Verschiebung des zuvor abgesprochenen Termins aufgrund der Verhinderung zweier Zeugen zu Grunde. Der nicht abgesprochene Ersatztermin kollidierte mit dem Urlaub des Verteidigers, woraufhin statt einer erneuten Verlegung ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. In der Hauptverhandlung beantragten Angeklagter und Staatsanwalt eine Aussetzung, welche im Hinblick auf die Beschleunigung abgelehnt wurde. Stattdes67 

BGH NStZ 1981, 231. BGH NStZ 1987, 34. 69  BGH aaO. 70  BGH aaO. 71  BGH NJW 1988, 3273. 68 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

sen wurde die Hauptverhandlung nach einer fünfzehnminütigen Unterbrechung zur (anscheinend ersten) Besprechung des Pflichtverteidigers mit dem Angeklagten noch am gleichen Tag zu Ende geführt. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt seit zehn Monaten in Untersuchungshaft, und nach Angaben des Gerichts wäre ein neuer Verhandlungstermin erst in vier Monaten möglich gewesen. Dies überrascht angesichts dessen, dass noch im März die Terminierung eines – aufgrund der Verhinderung der Zeugen notwendig gewordenen – Ersatztermins für einen Verhandlungstag im April möglich war, der lediglich eine Woche nach dem ursprünglich vorgesehenen Termin lag. Eine substantiierte Darlegung der Terminsmöglichkeiten lässt das Urteil vermissen. 5.  BGH v. 06.11.1991 – 4 StR 515/91 Im Gegensatz dazu wird in dem Urteil des LG Essen, welches Grundlage der Entscheidung des 4.  Senats war, ausführlich dargelegt, warum innerhalb der Frist des §  229 StPO kein anderer Fortsetzungstermin – der kurzfristig nötig geworden war – möglich gewesen sei. Der 4.  Senat hielt die Terminierung dagegen nicht für alternativlos und gab somit der Revision des Angeklagten statt, da sich das Gericht nicht ernsthaft genug um einen Termin in Anwesenheit der gewählten Verteidigerin bemüht hätte.72 In der Entscheidung wird erneut festgehalten, dass kein Recht auf Umterminierung wegen der Verhinderung des Verteidigers bestehe und auch kein unbedingtes Recht auf den Verteidiger der Wahl. Jedoch wird betont, auch in Fällen der notwendigen Verteidigung müsse das Recht auf den Verteidiger des Vertrauens ernsthaft in die Abwägung einbezogen werden. 6.  BGH v. 18.12.1997 – 1 StR 483/97 Bereits in dem letztgenannten Beschluss waren Versatzstücke der mittlerweile als Standardformulierung genutzten Ausführung des 1. Strafsenats aus dem Jahr 1997 enthalten: „Grundsätzlich hat ein Angekl. das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (…). Daraus folgt aber nicht, daß bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angekl. nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden; allerdings ist er gehalten, über Anträge auf Verlegung des Termins nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen

72 

BGH NJW 1992, 849.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

25

der Prozeßbeteiligten zu entscheiden (…). Für die Beurteilung eines Antrags, die Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers auszusetzen, gilt nichts anderes.“73

Die Revision der Verteidigung wurde hauptsächlich aufgrund mangelnden Vortrags zur Art des kollidierenden Termins abgelehnt, welcher nach Ansicht des Senats nötig gewesen wäre, um die rechtmäßige Ermessensausübung zu überprüfen, namentlich „Gewicht des konkreten Verhinderungsgrundes als auch die Möglichkeit zu dessen Beseitigung, auf die je nach den Umständen des Falles auch das Gericht selbst hinzuwirken gehabt hätte“.74 Des Weiteren wurde die Verhandlung ohne den Wahlverteidiger als rechtmäßig erachtet, da der Angeklagte sich bereits seit 8 Monaten in Untersuchungshaft befand und durch den Pflichtverteidiger „ordnungsgemäß“ verteidigt ge­ wesen sei; Anhaltspunkte für einen Vertrauensbruch seien nicht vorgetragen worden.75 7.  BGH v. 06.07.1999 – 1 StR 142/99 Trotz bestehender Pflichtverteidigung und sich in Untersuchungshaft befindendem Angeklagten war die ein halbes Jahr später vom Senat entschiedene Revision aufgrund der Ablehnung des Umterminierungsantrags des Wahlverteidigers erfolgreich. Der 1. Senat stellt darin erneut fest, dass kein Anspruch auf Vertagung bestehe, jedoch müsse „seitens des Gerichts – u. U. auch durch Absprache mit anderen Gerichten – ernsthaft versucht werden, dem Recht des Angeklagten, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen“.76 Zu der in anderen Entscheidungen erwähnten ‚ordnungsgemäßen Verteidigung‘ durch den Pflichtverteidiger nimmt der Senat keine Stellung, teilt aber in den Gründen mit, dass der Angeklagte nicht mit dem Pflichtverteidiger zusammengearbeitet habe. Ausschlaggebend war, dass der Wahlverteidiger lediglich um eine Verschiebung von Januar auf Februar gebeten hatte, das Verfahren nur zwei Hauptverhandlungstage umfasste und der Verteidiger zahlreiche Ersatztermine genannt hatte. Den maßgeblichen Ablehnungsgrund des erkennenden Gerichts, eine Terminverlegung würde der Kammer erhebliche Schwierigkeiten bereiten, da diese vorübergehend nur mit der Arbeitskraft eines Berichterstatters besetzt sei, gibt

73 

BGH NStZ 1998, 311 (312). BGH aaO. 75  BGH aaO. 76  BGH NStZ 1999, 527. 74 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

der Senat zwar in der Sachverhaltsschilderung wieder, äußert sich hierzu in den Entscheidungsgründen aber nicht.77 8.  BGH v. 12.10.1999 – 4 StR 391/99 Die Entscheidung des 4. Senats aus dem gleichen Jahr betraf ein Verfahren, in dem zwei Verteidiger bestellt worden waren, von denen einer krankheitsbedingt am letzten Verhandlungstag fehlte.78 Die Revision wurde abgelehnt, da das erkennende Gericht nach Ansicht des Senats wegen der Unklarheit der Dauer der Krankheit eine mögliche Aussetzung nach sieben Verhandlungstagen nicht riskieren musste, zumal die Hauptverhandlung vor ihrem Stattfinden bereits zweimal vertagt worden war. Erwähnenswert erscheint die Tatsache, dass ein weiterer Termin für den Fall reserviert war, dass die vorgesehenen acht Verhandlungstage nicht zum Abschluss des Verfahrens ausreichen würden. 9.  BGH v. 06.12.2000 – 1 StR 492/00 Wie bereits in der Entscheidung aus dem Jahr 1997 bemängelt der 1. Senat auch in einer Entscheidung aus dem Jahr 2000,79 dass die Angaben in der Revisionsschrift nicht ausreichend zur Überprüfung der Entscheidung waren – es bedürfe unter anderem genauerer Angaben zu dem kollidierenden Termin, Versuchen der Verlegung dieses Termins und den Ablehnungsgründen des Vorsitzenden. Des Weiteren sprach gegen einen Ermessensfehler, dass der Termin mit dem ersten Wahlverteidiger abgesprochen war und der (später beauftragte) zweite Wahlverteidiger seine Verhinderung erst terminnah mitgeteilt und zudem keinen durchführbaren Alternativtermin benannt hatte. 10.  BGH v. 19.01.2006 – 1 StR 409/05 Auf eben jene Entscheidung aus dem Jahr 1997 bezieht sich der 1.  Senat in einer Entscheidung zum Verteidigerwechsel zwischen zwei Hauptverhandlungstagen.80 Erneut befand sich der Angeklagte in Untersuchungshaft. Darüber hinaus war entscheidungserheblich, dass aufgrund der Frist des §  229 StPO bei einer Terminverlegung nur eine Aussetzung in Betracht gekommen sei und der Angeklagte nach Ansicht des Senats die Situation durch den Verteidigerwechsel und die späte Beauftragung eines neuen Verteidigers selbst verursacht hatte. Daher wurde – unter Hinweis auf einen fehlenden Vortrag zum Vertrauensverlust zum 77 

BGH NStZ 1999, 527. BGH NStZ-RR [K] 2000, 289. 79  Veröffentlicht jedoch erst in StV 2004, 304. 80  BGH NStZ-RR 2006, 272 mit Verweis auf BGH NStZ 1998, 311 (312). 78 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

27

ursprünglichen Wahlverteidiger und späteren Sicherungsverteidiger – erneut auf die Formel der „ordnungsgemäßen Verteidigung“ zurückgegriffen.81 11.  BGH v. 20.06.2006 – 1 StR 169/06 Den gleichen Obersatz und den Hinweis auf die „ordnungsgemäße Verteidigung“ bemüht der 1. Senat in einer – ebenfalls zurückweisenden – Revisionsentscheidung desselben Jahres.82 Nach Ansicht des Senats läge – zumindest bei dem gegebenen Sachverhalt – der Vorzug der Beschleunigung vor dem Recht auf den Verteidiger der Wahl im Rahmen eines prozessordnungsgemäßen Vorgehens des entscheidenden Landgerichts. Die Sachlage war von der Inhaftierung mehrerer Angeklagter, einer hohen Anzahl von Beteiligten –  f ünf Angeklagte, sechs Verteidiger, drei anwaltlich vertretene Nebenklägerinnen und 26 Zeugen – und einer vorangegangenen wochenlangen Terminabsprache mit diesen Beteiligten geprägt. Im Ergebnis war ein Wahlverteidiger an einem von vier Terminen verhindert; dem betroffenen Angeklagten wurde neben der bestehenden Wahlverteidigung ein weiterer Verteidiger bestellt. 12.  BGH v. 09.11.2006 – 1 StR 474/06 Ebenfalls noch im Jahr 2006 erfährt der zu diesem Zeitpunkt bereits etablierte Entscheidungsobersatz eine Ergänzung durch den 1. Senat, der mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festhält, dass in Haftsachen dem Beschleunigungsgebot ein besonders hohes Abwägungsgewicht zufalle.83 Wie schon in den vorhergehenden Entscheidungen wird zunächst festgehalten, dass im Grundsatz der Verteidiger des Vertrauens als Verteidiger fungieren können müsse und der Vorsitzende sich bei der Terminierung ernsthaft bemühen müsse, diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen. Nicht jede Verhinderung des gewählten Verteidigers könne eine Aussetzung zur Folge haben; der Vorsitzende müsse bei seiner Entscheidung die eigene Terminplanung, die Gesamtbelastung des Spruchkörpers, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und die berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten einbeziehen. An diese üblich gewordene Abwägungsformel wird nun angefügt, dass „dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  3 GG) und aus Art.  6 Abs.  1 S.  1 EMRK folgenden Gebot, über eine strafrechtliche Anklage in angemessener Zeit zu verhandeln, und dem in Hinblick auf Art.  2 Abs.  2 S.  2, 3 GG (vgl. auch §  121 Abs.  1 StPO; Art.  5

81 

BGH NStZ-RR 2006, 272 (273). BGH NStZ 2006, 513. 83  BGH NStZ-RR 2007, 81 (82). 82 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Abs.  3 S.  1 Halbs. 2 MRK) zu beachtenden besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen hohes Gewicht zu[komme]“84. Auch in diesem Fall wurde letztlich der vom Angeklagten gekündigte Wahlverteidiger zum Sicherungspflichtverteidiger bestellt und die Revisionsrüge bezüglich der terminbedingten Abwesenheit des neuen Wahlverteidigers mit Hinweis auf die Abwägung und eine im Raum stehende Aussetzung zurückgewiesen. 13.  BGH v. 29.08.2006 – 1 StR 285/06 Anlässlich einer Revisionsrüge wegen der Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden hatte der Senat schon kurz zuvor festgestellt, dass das Beschleunigungsgebot bei Untersuchungshaft Vorrang habe, auch wenn der Angeklagte explizit der Anwesenheit des gewählten Verteidigers eine höhere Bedeutung zumesse.85 Unter dem Aspekt der Beschleunigung sei eine straffe Terminierung von so hohem Rang, dass weder der Einwand, dass eine Verhandlung an zehn aufeinanderfolgenden Werktagen für einen Strafverteidiger kaum ohne Terminkollision zu organisieren sei, noch angebotene zeitnahe Ersatztermine zu einem anderen Ergebnis führen könnten (ausf. S. 51  f.).86 14.  BGH v. 20.03.2008 – 1 StR 488/07 Dementgegen stellte der gleiche Senat in der nachfolgenden Entscheidung fest, dass die Beachtung des Rechts auf den Verteidiger der Wahl „dazu führen [könne], dass die an sich insbesondere in Haftsachen wünschenswerte Verhandlungsdichte (…) nicht zu erreichen ist. (…) Verhinderungen müssen substanziiert dargetan und belegt werden, damit der Vorsitzende der Strafkammer dar­über befinden kann, ob diesen trotz des Beschleunigungsgebots bei der Terminierung Rechnung getragen werden kann. Den Termin der Hauptverhandlung bestimmt am Ende allein der Vorsitzende (§  213 StPO).“87 Des Weiteren legt der Senat ausführlich dar, dass gerade im Zwischenverfahren eines Großverfahrens eine sorgfältige und vorausschauende Terminplanung unter Beachtung des Rechts auf die freie Wahl des Verteidigers von dem Vorsitzenden zu erwarten sei.88 Diese Ausführungen stellen dennoch keine Umkehr zu der bisherigen Rechtsprechung dar; der Senat geht in seinen Gründen nicht auf die beiden zuletzt genannten Entscheidungen ein. Der inhaltliche Unterschied ergibt sich offen84 

BGH NStZ-RR 2007, 81 (82). BGH NStZ 2007, 163. 86  BGH aaO (164 f.). 87  BGH NJW 2008, 2451 (2454). 88  BGH aaO (2453). 85 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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sichtlich aus den unterschiedlichen ‚Angriffsrichtungen‘ der Revisionsrügen. Im vorliegenden Fall wurde eine Rüge wegen der Verfahrensdauer erhoben –  welche mit Hinweis auf das kollidierende Recht auf Wahlverteidigung zurückgewiesen wurde. 15.  BGH v. 24.06.2009 – 5 StR 181/09 In Form eines obiter dictum weist der 5. Senat „darauf hin, dass es bei der grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden stehenden Terminierung nicht bloß darum geht, Terminswünsche des Wahlverteidigers zu bedenken, sondern das Recht des Angekl., sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, in Frage steht. Es muss seitens des Gerichts bei der Planung der Hauptverhandlung wenigstens ernsthaft versucht werden, diesem Recht Geltung zu verschaffen (…). Dies verbietet es in der Regel, Terminsnöte zumal, wie hier, kompromissbereiter Wahlverteidiger ohne Weiteres zu übergehen.“89 Die konkreten Umstände, die zu diesem Hinweis geführt haben, lassen sich der Sachverhaltsschilderung nicht entnehmen. Aufgehoben wurde das Urteil aufgrund der fehlenden Vorbereitungszeit des kurzfristig bestellten Verteidigers, dessen ungenügend vorbereitete Anwesenheit nicht den Voraussetzungen einer Mitwirkung gemäß §  140 Abs.  1 StPO entsprach.90 16.  BGH v. 14.07.2010 – 1 StR 123/10 Aufgegriffen wurde dieser Hinweis vom 1.  Senat, der im folgenden Jahr erstmals explizit zur vorbereitenden Terminabsprache Stellung nahm und ausführte, dass der Termin nach §  213 StPO zwar von dem Vorsitzenden bestimmt werde, es jedoch „gerade in Großverfahren regelmäßig angezeigt [sei], mit den Verfahrensbeteiligten (insbesondere mit den Wahlverteidigern des Vertrauens, […]) die Hauptverhandlungstermine abzustimmen, dies jedenfalls zu versuchen ([…]). Findet der Versuch einer Terminsabsprache nicht statt, muss sich der Vorsitzende bei substantiierten Verlegungsanträgen eines Verteidigers, der das Vertrauen des Angekl. genießt, jedenfalls ernsthaft bemühen, dessen nachvollziehbarem Begehren im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der StrK – und anderer Verfahrensbeteiligter – Rechnung zu tragen.“91 Der Angeklagte war nicht inhaftiert und wurde von zwei Wahlverteidigern verteidigt. Der zweite Verteidiger wurde versehentlich nicht in die Vorbesprechung einbezogen. Auf seinen nachträglichen Hinweis, er sei mittwochs als 89 

BGH NStZ 2009, 650 (651). BGH NStZ 2009, 650. 91  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313). 90 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Universitätsprofessor aufgrund der dort stattfindenden Lehrveranstaltung immer verhindert, entgegnete das Tatgericht, die Verhandlung sei ausschließlich mittwochs möglich: „Die regulären Sitzungstage (Dienstag und Donnerstag) der Strafkammer müssten ‚für die Terminierung von erstinstanzlichen Verfahren zur Verfügung stehen, da nur an diesen Tagen mit der Hauptverhandlung begonnen werden kann‘, sowie zur Verhandlung vorrangiger Haftsachen freigehalten werden. Die Freitage seien durch Anhörungen der Strafvollstreckungskammer, die identisch besetzt sei, belegt. Und montags fänden die Beratungen und Beschlussfassungen der Strafkammer statt.“92 Dies rügt der 1.  Senat als nicht nachvollziehbar unflexibel. Letztlich wurde die Revision dennoch abgelehnt, da trotz dieser Mängel eine Terminsabsprache mit dem Professor aufgrund seiner starken terminlichen Einbindung in Forschung und Lehre dem Senat nicht realisierbar erschien. 17.  Fazit Betrachtet man die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im chronologischen Überblick, so lässt sich keine stringente Entwicklungslinie ausmachen. Dennoch ist eine gewisse Tendenz erkennbar, dem Recht auf Verteidigung bzw. auf die Wahl des Verteidigers mehr Bedeutung beizumessen. Dies bestätigt sich auch bei einer Einbeziehung der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung. Eine sprachliche Änderung ergibt sich ab 2006 durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nachdem dieses in mehreren Entscheidungen das Beschleunigungsgebot – insbesondere in Haftsachen – gestärkt hatte,93 findet sich auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung eine starke Betonung des Beschleunigungsgebots. Auf das Ergebnis der Entscheidungen scheint sich dies jedoch nicht gravierend auszuwirken. Vielmehr löst die Einbeziehung des Beschleunigungsgebots lediglich die zuvor bemühte Formulierung der ‚reibungslosen Durchführung des Verfahrens‘ ab.

IV.  Abwägungskriterien „[Bei der Ausübung des Ermessens] hat [der Vorsitzende] das staatliche Interesse an der reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens und das Interesse des Angeklagten, sich in der Hauptverhandlung des Beistands gerade eines von ihm gewählten und sein besonderes Vertrauen genießenden Verteidigers bedienen zu können, in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.“94 92 

BGH NStZ-RR 2010, 312 (313). BVerfG NStZ 2005, 456; NJW 2006, 668; 2006, 672; 2006, 1336; StV 2006, 81; 2006, 251; 2006, 703 (704); NStZ-RR 2007, 311; StV 2008, 21; 2008, 198 (198). 94  U. a. OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (157 f.); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); 93 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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– soweit die regelmäßig vorgebrachte Ermessensleitlinie. Genauere Maßstäbe lassen sich den Entscheidungen kaum entnehmen. Sowohl eine zusammenfassende Darstellung an dieser Stelle als auch Rechtssicherheit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung für Verteidiger und Angeklagte werden dadurch erschwert, dass – dem Prinzip der Abwägung inhärent – das Zusammenspiel verschiedener Faktoren entscheidend ist, deren Gewicht den Entscheidungen weit überwiegend nicht zu entnehmen ist.95 Die folgende Darstellung beschränkt sich somit zwangsläufig darauf, die in die Abwägung einbezogenen Interessen zu nennen und den Versuch zu unternehmen, eine Tendenz des Abwägungsergebnisses herauszuarbeiten. 1.  Zusammenfassende Darstellung In den jeweiligen Rechtsmittelentscheidungen wird der pflichtgemäße Ermessensmaßstab zumeist mit der Aufzählung folgender Ermessenskriterien umrissen: „Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozeßbeteiligten“.96 Über diese Aspekte hinaus wird teilweise angefügt, dass „die Umstände des Einzelfalls [maßgeblich sind], wobei insbesondere die Bedeutung der Sache, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalls, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung sowie die Fähigkeit des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen, zu berücksichtigen sind.“97 An die Nennung dieser Abwägungsaspekte wird zum Teil noch angefügt, dass „das Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang hat.“, wobei sich diese Formulierung überwiegend in Ordnungswidrigkeitenverfahren findet.98 Andere Entscheidungen gehen hingegen von einer höheren Gewichtung der unverzösinngemäß auch BayObLGSt 1988, 179 (180); 2001, 101 (102); OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); OLG Koblenz StV 2010, 476 (477). 95  Krit. dazu E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (369 f.); vgl. auch Deutscher VRR 2014, 317; Neuhaus StraFo 1998, 84 (87). 96  U. a. BGH NStZ-RR 2006, 272; NStZ 2007, 163 (164); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); KG VRS 127 (2014), 164 (165); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (250 f.); OLG Hamm StRR 2015, 122 (LS) Rn.  16 f.; OLG Saarbrücken NJW-Spezial 2015, 473 (Rn.  13, insoweit nicht abgedr.); OLG Schleswig ZfS 2015, 172; ähnlich BGH GA 1981, 37 (38); NStZ 2006, 513. 97  OLG Koblenz StV 2010, 476 (477); ähnlich u. a. OLG Zweibrücken StV 1984, 148; OLG Thüringen VRS 113 (2007), 322 (323). 98  U. a. BayObLGSt 2001, 101 (102); OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (109) (obiter dictum); LG Berlin wistra 2001, 79; OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21); Bußgeldverfahren: BayObLGSt 1994, 95 (96); MDR 1996, 955; DAR 2001, 83 (83); NStZ 2002, 97; OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); OLG Hamm SVR 2008, 387; OLG Braunschweig StRR 2009,

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

gerten Durchführung des Verfahrens aus.99 In diese Richtung weisen auch Entscheidungen, die betonen, dass §  228 Abs.  2 StPO im Regelfall der Durchführung des Termins gegenüber der Anwesenheit des Verteidigers den Vorzug gibt.100 Dieses Regel-Ausnahme-Argument wird auch bei Entscheidungen vor Beginn der Hauptverhandlung genannt.101 Eine in der Klarheit der Entscheidungsmaßstäbe positive Ausnahme stellt eine Entscheidung des Bayerischen Oberlandesgerichts dar, in welcher festgestellt wird, dass eine Aussetzung nur erfolgen könne, wenn der konkrete Fall nicht dem Zweck des §  228 Abs.  2 StPO unterfiele. Eine Aussetzung müsse also erfolgen, wenn die Gründe für das Nichterscheinen des Verteidigers oder die erst kurzfristig erfolgte Beauftragung des konkreten Verteidigers nicht in der Hand des Angeklagten lagen.102 Es ist fast durchweg entscheidungserheblich, ob über das generelle Recht auf jederzeitigen Verteidigerbeistand hinaus im konkreten Fall spezielle Gründe vorliegen, welche die Anwesenheit des gewählten Verteidigers als besonders wichtig erscheinen lassen. Zu Gunsten des Rechts auf Anwesenheit des gewählten Verteidigers wird vor allem die Zumutbarkeit der Abwesenheit einbezogen. Die Zumutbarkeit richtet sich hauptsächlich nach der Schwierigkeit der Sachund Rechtslage und den zu erwartenden Rechtsfolgen für den Angeklagten (ausf.  2. b]). Trotz des Rechts auf freie Verteidigerwahl wird der Angeklagte darauf verwiesen, dass er bei Verhinderung des Verteidigers einen anderen wählen könne, bzw. das Gericht auch gegen seinen Willen einen anderen oder weiteren Verteidiger bestellen könne (vertief. 2. a], c]).103 Ein möglicher Verteidiger-Wechsel wird somit zur Abwägungsmasse, in der es unter anderem auf das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses ankommt.104 Ein solches wird von den Gerichten zumeist angenommen, wenn der Verteidiger schon 432; OLG Koblenz StV 2010, 476 (477); OLG Hamm ZfS 2010, 649 (Rn.  12); VRR 2013, 272 (272); sinngemäß auch LG Berlin StV 2003, 441. 99  U. a. BGH NStZ 2007, 163; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); Bußgeldverfahren: OLG Düsseldorf StV 1995, 454 (455); vgl. auch HK-StPO/Julius Vor §  213 Rn.  1. 100  U. a. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); Bußgeldverfahren: BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Köln VRS 92 (1997), 261 (262); vgl. auch OLG Hamm GA 1971, 25 (26). 101  Bspw. BayObLG StV 1983, 270; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); OLG Hamm SVR 2006, 388; vgl. auch LG Bremen StV 1994, 11 (12). 102  BayObLGSt 1998, 144 (145); vgl. auch OLG Celle NJW 1965, 2264. 103  BGH NJW 1992, 849; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Koblenz VRS 45 (1973), 284 (285); OLG  Köln VRS 92 (1997), 261 (262); OLG Brandenburg JMBl BB 2005, 96; OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 21; vgl. auch OLG Celle NJW 1965, 2264; aA OLG Hamm StV 1989, 100 (101); krit. LG Hamburg StV 1988, 195 (196). 104  BGH NJW 1992, 849; OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 21; LG Dortmund StV 1998, 14.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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länger in dem Verfahren tätig ist, insbesondere wenn das Verfahren schon über mehrere Instanzen geführt wurde.105 Das heißt, der Verteidiger des Vertrauens wird zumeist mit dem eingearbeiteten Verteidiger gleichgesetzt.106 Als dem Verteidigungsinteresse entgegenstehende Abwägungsaspekte werden vor allem das Beschleunigungsgebot und die ‚Terminslage des Gerichts‘ einbezogen (vgl. schon S. 19  ff.; ausf. 2. d], e]). Auch diese Kriterien bleiben überwiegend vage. In zahlreichen Entscheidungen wird die Relevanz dieser Aspekte betont,107 aber kaum eine Entscheidung wird dadurch konkretisiert, dass auf die tatsächlich bestehende Belastung des konkreten Spruchkörpers eingegangen würde.108 Beim Beschleunigungsgebot wird zwischen dem allgemeinen Grundsatz, Verfahren möglichst zügig durchzuführen, und einem besonderen Beschleunigungsgebot differenziert (ausf. 2. e]). Teilweise wird von den Beschwerde- und Revisionsgerichten gefordert, der Vorsitzende müsse sich vor einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen ernsthaft um eine Überwindung der Terminkollision bemühen.109 Herausstechend sind Ausführungen des Oberlandesgerichts Hamburg, nach welchen eine vernünftige und frühzeitige Terminabsprache ein adäquates Mittel sei, erst gar keinen abwägungseröffnenden Konflikt zwischen der Beschleunigung des Verfahrens und dem Recht auf Verteidigung entstehen zu lassen.110 Zur vorherigen Terminabsprache enthalten zahlreiche Entscheidungen folgenden Leitsatz: „Zwar hat ein Verteidiger kein Recht auf vorherige Terminsabsprache. Wird aber das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt, daß dieser die Termine wegen anderer Verteidigungen nicht wahrnehmen kann, ohne daß er Einfluß auf die Terminsanberaumung hätte nehmen können, ist die Terminsverfügung prozeßordnungswidrig.“111 Auch in diesen Entscheidungen wird also nahegelegt, 105 

OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197). 106  Dies gilt auch bei mehreren mandatierten, aber nur einem ‚aktiven‘ Verteidiger: OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (109) (obiter dictum). 107  Z. B. BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342). 108  Krit. dazu OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); 1998, 13 (14); OLG Braunschweig StV 2012, 721; vgl. auch KG NZV 2003, 433 (434). 109  BGH NJW 1992, 849; NStZ 1999, 527; NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; LG Berlin StV 1995, 239; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); vgl. auch LG Berlin StV 2003, 441. 110  OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); vgl. auch BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  22); LG Berlin StV 1995, 239. 111  U. a. OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158); OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); so auch OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); sinngemäß: OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Braunschweig StV 2008, 293; LG Koblenz StV 1996, 254; LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG  Darmstadt NZV 2006, 442 (443).

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

dass ein Konflikt zwischen den verschiedenen Interessen durch eine Terminabsprache vermieden werden könnte – jedoch nicht ohne explizit zu betonen, dass keinesfalls ein Anspruch auf Terminabsprache bestehe. So kommt es für die genannte Prozessordnungswidrigkeit nicht auf die fehlende Absprache, sondern auf die Interessenabwägung an. Die fehlende Terminabsprache ist nur ein Aspekt innerhalb dieser Abwägung. Entsprechend geht der Leitsatz folgendermaßen weiter: „Das staatliche Interesse an der reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens und das Interesse des Angeklagten, sich in der Hauptverhandlung des Beistands gerade eines von ihm gewählten und sein besonderes Vertrauen genießenden Verteidigers bedienen zu können, [sind] in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.“112 Sobald gegen einen Angeklagten oder mehrere Angeklagte Untersuchungshaft angeordnet wurde, geht nach der ständigen Rechtsprechung das Beschleunigungsgebot dem Recht auf den Vertrauensverteidiger vor (ausf. 2. h]).113 Letztlich entfällt in diesen Fällen das Recht auf die freie Verteidigerwahl fast vollständig, da überwiegend darauf abgestellt wird, dass das Recht auf Verteidigung in der Abwägung nicht überwiege, soweit der Angeklagte anderweitig ‚ordnungsgemäß verteidigt‘ sei.114 2.  Die einzelnen Abwägungsaspekte Nach der knappen Übersicht werden die Abwägungskriterien nun detaillierter dargestellt. Es wurde versucht die veröffentlichte bundesdeutsche Rechtsprechung zur Verhinderung des nicht-notwendigen Verteidigers möglichst umfassend aufzugreifen, wobei kaum thematische Rechtsprechung aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts veröffentlicht ist. Mit Beginn der 1970er Jahre stieg die Anzahl der veröffentlichten Entscheidungen zu diesem Themenkomplex an. Spätestens seit den 1990er Jahren ist ein inhaltlich und quantitativ stabiler Stand der Veröffentlichungen zu erkennen. a)  Anerkannte Verhinderungsgründe Obwohl vereinzelt darauf verwiesen wird, dass es nicht um Terminansprüche des Verteidigers gehe, sondern um das Beistandsrecht des Angeklagten,115 wird 112  U. a. OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (157 f.); so auch OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); sinngemäß: OLG Braunschweig StV 2008, 293. 113  U. a. BGH NJW 1973, 1985 (1986); NStZ 2007, 163; KG StV 2009, 577 (578); einschr. OLG Hamm StV 2004, 642 (643); vgl. auch zum Mitangeklagten OLG Köln StV 2006, 143; Thüringer OLG StV 2009, 576 (577); anders BGH NJW 2008, 2451 (2454). 114  BGH NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (514); 2007, 163 (164); NStZ-RR 2007, 81 (82). 115  BGH NStZ 2009, 650; OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); OLG Düsseldorf JMBl NW

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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durchweg auf den Hinderungsgrund des Verteidigers abgestellt – wobei keine Entscheidungen veröffentlicht sind, in denen kein sachlich begründeter Hinderungsgrund vorlag, sondern höchstens die Dringlichkeit des kollidierenden Termins in Frage gestellt116 oder die unzureichende Konkretisierung der kollidierenden Termine bemängelt wurde.117 Der häufigste Grund für Verlegungsanträge sind kollidierende Hauptverhandlungstermine,118 wobei teilweise zwischen kollidierenden Wahl- und Pflichtverteidigungsterminen differenziert wird.119 In der Regel wird nur ein bereits zuvor terminierter Hauptverhandlungstermin als Verhinderungsgrund akzeptiert.120 Ausnahmen können sich durch die Bedeutung der Verfahren oder die Relevanz der Terminaufhebung – Fortsetzungstermin oder neue Verhandlung; Anzahl der Beteiligten – ergeben.121 Umgekehrt kann es auch bei der Verhinderung durch eine schon zuvor terminierte Hauptverhandlung auf die Bedeutung des anderen Verfahrens, die Relevanz der Anwesenheit des Verteidigers in dem kollidierenden Verfahren und den dortigen Aufwand der Verlegung ankommen.122 Neben Terminkollisionen werden von den Gerichten Krankheit, langfristig vereinbarte Arzttermine und bereits gebuchter Urlaub als Verhinderungsgründe

1983, 95; vgl. OLG Düsseldorf StV 1983, 269 (270); BayObLG StV 1984, 13 (14); OLG  Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLG StV 1985, 6 (7); OLG Braunschweig StV 2012, 721 (Rn.  11) insoweit nicht abgedr.; vgl. auch OLG Koblenz StV 2010, 477 (478). 116  Bspw. Urlaub: BGH NStZ 2007, 163; OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403); Strafverteidigersymposium: BGH NStZ-RR 2007, 81 (82). 117  BGH NStZ 1998, 311 (312); OLG  Brandenburg OLG-NL 1996, 71 (72); OLG Schleswig ZfS 2015, 172; vgl. auch LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 118  BGH StV 2004, 304; OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); 2001, 157 (158); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Braunschweig StV 2008, 293; OLG Koblenz StV 2010, 477; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (250); OLG Saarbrücken NJW-Spezial 2015, 473; LG Hamburg StV 1989, 340; LG München II NJW 1995, 1439; LG Berlin StV 1995, 239; LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); LG Berlin StV 2003, 441 (Nebenklage); LG Frankfurt/M StV 2004, 420; LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315 (Nebenklage); LG Braunschweig StraFo 2008, 430; LG Braunschweig StV  2014, 335 (335). 119  U. a. OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); 1998, 13 (14); OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (251). 120  Vgl. OLG Schleswig ZfS 2015, 172; wobei es für den Zeitpunkt auf die Außenwirkung der Terminierung, also den Zeitpunkt der Ladung ankommen soll: OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492). 121  LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); vgl. auch LG Berlin StV 2003, 441 (Nebenklage). 122  BGH NStZ 1998, 311 (312); LG Frankfurt/M StV 2004, 420; vgl. auch BGH StV 2004, 304.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

anerkannt;123 auch Fortbildungsveranstaltungen oder Studienreisen können von Relevanz sein.124 Ordentliche Professoren können zudem durch Lehrverpflichtungen verhindert sein.125 Ein ebenfalls zu beachtender Faktor ist die Dauer der Anreise.126 Auch beim Versterben des Verteidigers am letzten Wochentag vor dem Verhandlungstermin wurde in einer Entscheidung auf §  228 Abs.  2 StPO verwiesen, jedoch eine Unzumutbarkeit der Verhandlung ohne Verteidiger mangels Vorhersehbarkeit der Situation für den Angeklagten angenommen.127 Sowohl zu dem konkreten Grund der Verhinderung als auch zum besonderen Vertrauensverhältnis muss nach Ansicht der Gerichte substantiiert vorgetragen werden.128 Manchmal wird bei kollidierenden Hauptverhandlungen eine genaue Angabe der Art des Verfahrens und des Gerichts, des Zeitpunkts der Ladung und unter Umständen auch des Aktenzeichens verlangt;129 darüber hinaus vereinzelt auch eine Begründung, warum kein Sozius den kollidierenden Termin wahrnehmen kann.130 Bei Krankheit kann auch eine Angabe der zu erwartenden Dauer der Erkrankung notwendig sein.131 b)  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung Kern vieler Entscheidungen ist die Frage nach der Zumutbarkeit der Durchführung der Hauptverhandlung trotz Verhinderung des Verteidigers. Dabei kann es zum einen auf die Möglichkeit eines Verteidiger-Wechsels ankommen (dazu c]) und zum anderen auf die Möglichkeit der Selbstverteidigung. Die Zumutbarkeit der Selbstverteidigung hängt nach der ständigen Rechtsprechung von 123  Krankheit: OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); BayObLGSt 2001, 101 (102 f.); Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324); OLG Koblenz StV 2010, 476; Arzttermin: BayObLGSt 1994, 95; Urlaub: OLG Celle 1984, 503; OLG Hamm StV 1988, 100; OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); OLG  Hamm NZV  1997, 90 (91); NStZ-RR 2001, 107 (109) (obiter dictum); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Köln DAR 2005, 576 (577); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); LG Oldenburg StV 1990, 299; LG Bonn StraFo 1996, 174; LG Oldenburg StV 2010, 479. 124  BGH NStZ-RR 2007, 81 (82); LG Tübingen StV 1996, 658; LG Berlin wistra 2001, 79. 125  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313). 126  OLG Bamberg NJW 2006, 2341. 127  BayObLG StV 1983, 270. 128  BGH NStZ-RR 2006, 272 (273); 2007, 81 (82); NJW 2008, 2451 (2454); BayObLGSt 1998, 144 (145); OLG Brandenburg JMBl BB 2005, 96; OLG Schleswig ZfS 2015, 172; zum Vertrauensverlust bei Wechsel: BGH NStZ-RR 2006, 272 (273); OLG Stuttgart Justiz 2006, 8 (9); aA LG München II NJW 1995, 1439. 129  BGH NStZ 1998, 311 (312); OLG  Brandenburg OLG-NL 1996, 71 (72); LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); vgl. auch BGH StV 2004, 304. 130  KG v. 30.10.2000 – 3 Ws (B) 487/00; LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 131  BGH NStZ-RR [K] 2000, 289.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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der Vorbereitungsmöglichkeit des Angeklagten und der Schwierigkeit der Verteidigung ab. Vielfach wird zunächst geprüft, ob die Verhinderung des Verteidigers kurzfristig und für den Angeklagten nicht vorhersehbar war, so dass dieser sich nicht auf die Verhandlung in Abwesenheit des Verteidigers vorbereiten konnte.132 War die Abwesenheit des Verteidigers überraschend, reicht dies zumeist nicht für die Feststellung der Unzumutbarkeit aus. Es müssen zusätzliche Gründe vorliegen, aufgrund derer eine besondere Schwierigkeit der Selbstverteidigung gegeben ist.133 Aus der besonderen Schwierigkeit der Selbstverteidigung kann sich jedoch auch unabhängig von der Erwartbarkeit der Situation die Unzumutbarkeit ergeben.134 Eine solche besondere Schwierigkeit kann bestehen, wenn die materielle Verteidigung Fachwissen voraussetzt oder eine besonders schwierige prozessuale Situation vorliegt.135 Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn im Vorfeld konkrete Verteidigungsanträge angekündigt waren oder sich erhebliches Verteidigungsvorbringen aus vorherigen Verteidigungsschriften ergab.136 Ebenfalls als entgangene Verteidigungsmöglichkeit wird ein zuvor angekündigtes Sachverständigengutachten gesehen137 oder in der zweiten Instanz geplante Vorhalte gegenüber Zeugen.138 Unabhängig von angekündigten Verteidigungsvorhaben ist die Schwierigkeit der Sach- und/oder Rechtslage unter Einbezug der Beweislage entscheidend.139 132  U. a. OLG Stuttgart VRS 25 (1963), 66 (67); OLG Celle NJW 1965, 2264; OLG Hamm GA 1971, 25 (26); VRS 47 (1974), 358 (359); OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); BayObLG StV 1983, 270; 1985, 6 (7); BayObLGSt 1988, 3; 1988, 179 (180); OLG  Zweibrücken StV  1992, 568; BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Düsseldorf StV 1995, 69 (70); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180); OLG Koblenz StV 2010, 476; iE aA OLG Düsseldorf GA 1979, 226. 133  Bspw. OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); OLG Hamm GA 1971, 25 (26); BayObLG StV 1983, 270; BayObLGSt 1988, 179 (180); OLG Düsseldorf StV 1995, 69 (70). 134  Bspw. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Hamm BeckRS 2011, 00781; LG  Braunschweig StV  2014, 335. 135  Bspw. Gegenüberstellung: OLG Köln StV 1984, 147. 136  OLG Hamburg MDR 1981, 165; BayObLGSt 1988, 179 (180); OLG München StV 2007, 518; OLG Hamm BeckRS 2011, 00781; vgl. auch OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14): Angeklagter deutete an, dass Verteidiger noch weiter Unterlagen hat. 137  BayObLG NJW 1995, 3134. 138  OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265). 139  U. a. BVerfG NJW 1984, 862; OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); OLG  Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560); OLG Hamm StV 1988, 100; BayObLGSt 1988, 179 (180) (Mitverschulden eines früheren Mitbetroffenen); OLG  Zweibrücken StV  1992, 568; OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (306); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Köln DAR 2005, 576 (576); OLG  Hamm NJW 2006, 2199 (2200); OLG Schleswig ZfS 2015, 172.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Eine schwierige Lage kann bei einem Bestreiten bzw. Nichteinräumen der Täterschaft,140 einer zu erwartenden konfrontativen Verteidigung zwischen Mitangeklagten,141 einer anwaltlich vertretenen Nebenklage142 oder der Einbeziehung eines Sachverständigengutachtens143 vorliegen. Ist der Verteidiger nur während eines Teils der Verhandlung verhindert, soll es nur auf die Relevanz und Schwierigkeit dieses Verfahrensteils ankommen.144 Dass es für die Bewertung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage auf die Sicht des Angeklagten – also zumeist eines juristischen Laien – ankommen muss, wird nur selten ausdrücklich erwähnt.145 Neben der Schwierigkeit der Verteidigung sind die zu erwartenden Folgen des Verfahrens für den Angeklagten wesentlich.146 Die möglichen Folgen bemessen sich hauptsächlich nach der Schwere des Vorwurfs,147 können sich aber auch aus 140  OLG  Zweibrücken StV  1992, 568; BayObLGSt 1994, 95 (96); BayObLG MDR 1996, 955; OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Hamm SVR 2008, 387 (Rn.  16), insoweit nicht abgedr.; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); anders wohl OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (306). 141  OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). 142  OLG Braunschweig StraFo 2004, 242. 143  OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324). 144  BVerfG NJW 1984, 862; BGH NStZ-RR 2007, 81 (82) (Plädoyer); OLG  Zweibrücken StV 1984, 148 (Vernehmung des Entlastungszeugen). 145  OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; vgl. zu §  140 StPO: OLG Köln NStE Nr.  17 zu §  140; OLG Düsseldorf AnwBl 1984, 262 (263). 146  OLG Köln VRS 42 (1972), 284 (285) (Verkehrsdelikt bei Taxifahrer); OLG Hamm VRS 47 (1974), 358 (359) (drohendes Fahrverbot); BayObLG StV 1983, 270 (1500 DM Geldstrafe in erster Instanz); BayObLG StV 1985, 6 (7) (3–4 Monate ohne Bewährung; Führerscheinsperre); BayObLGSt 1988, 179 (180); OLG Düsseldorf StV 1995, 69 (70) (10 Monate in erster Instanz); OLG Hamburg StV 1995, 11 (zu erwartende Haftstrafe); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (306); BayObLG MDR 1996, 955 (700 DM Bußgeld und 1 Monat Fahrverbot); OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180); OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403); OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158); OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (109) (obiter dictum; zu erwartende Haftstrafe); OLG Köln DAR 2005, 576 (577) („erhebliche Folgen“: 125 € Bußgeld, einen Monat Fahrverbot, 4 Punkte); OLG München StV 2007, 518 (berufsrechtl. Konsequenzen); OLG Hamm SVR 2008, 387 (Rn.  16), insoweit nicht abgedr.; OLG Hamm BeckRS 2011, 00781 (Fahrverbot); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (251); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157) (kurzfristige Freiheitsstrafe); LG Darmstadt NZV 2006, 442 (443) (zwei Monate Fahrverbot); LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113) (nicht unerhebliche Bestrafung wegen einschlägiger Vorstrafen zu befürchten); LG Oldenburg StV 2010, 479 (drohendes Fahrverbot); von geringer Bedeutung sind 115,-€ Bußgeld: Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324); LG Braunschweig StV  2014, 335 (335); AG Tiergarten VRR 2014, 316 (317). 147  OLG  Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLGSt 1994, 95 (96); KG NZV 2003, 433 (434); LG Tübingen StV 1996, 658 (fahrlässige Tötung); LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); LG Braunschweig StV  2014, 335 (335) (besonders schwerer Fall des Diebstahls).

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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indirekten –  z. B. zivilrechtlichen  – Folgen ergeben.148 Eine Ausnahme von der ständigen Rechtsprechung stellen Entscheidungen dar, nach welchen gerade bei einer geringen Bedeutung der Sache die Belange der Betroffenen stärker zu gewichten seien.149 In ähnlicher Weise stellte das LG München II fest, dass „[e]ine solche Terminsverlegung im Hinblick darauf, daß es sich lediglich um eine Verkehrsordnungswidrigkeit handelt, jederzeit möglich sein [dürfte].“150 Bei einer vermuteten Befangenheit des Richters kann ein Erscheinen ohne den Verteidiger ebenfalls unzumutbar sein.151 Weitaus seltener als die Schwierigkeit des Verfahrens und die Schwere der Folgen thematisiert, aber ebenfalls ein gängiges Kriterium, ist die Fähigkeit des konkreten Angeklagten zur Selbstverteidigung.152 Vereinzelt wird zur Bewertung der Zumutbarkeit auch das Verhalten des Angeklagten herangezogen; insbesondere ein (fehlender) Widerspruch des Angeklagten gegen die Verhandlung ohne Verteidiger.153 Andererseits existieren Entscheidungen, in denen auch ein Antrag des Angeklagten – zumeist nach einem im Vorfeld durch den Verteidiger gestellten Antrag – keine Auswirkung hatte.154 Die Kriterien der Schwierigkeit der Sach-, Rechts- und Beweislage sowie der Schwere der möglichen Folgen einer Verurteilung werden nicht nur für die Zumutbarkeit der Selbstverteidigung als relevant angesehen, sondern auch für das Interesse an dem konkreten Verteidiger des Vertrauens.155 c)  Wahl des Verteidigers Ob die Verhandlung ohne Verteidiger zumutbar ist, hängt nach Ansicht der Rechtsprechung nicht nur von den sachlichen Möglichkeiten zur Selbstverteidi148 

BayObLG NJW 1995, 3134. OLG Bamberg StraFo 2011, 232; OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  7); vgl. auch LG Oldenburg StV 2010, 479. 150  LG München II NJW 1995, 1439. 151  OLG Hamm NStZ 1995, 596 (597). 152  Verminderte Verteidigungsfähigkeit: OLG Stuttgart VRS 25 (1963), 66 (67) (minderjährig und rechtsunkundig); OLG Hamm StV 1988, 100; BayObLGSt 1988, 179 (180) (79 Jahre alt); OLG  Hamm VRS 74 (1988), 38 (39) (Ausländer ohne Prozesserfahrung); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); wohl auch OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); Betroffener fähig: OLG  Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); überdurchschnittliche Verhandlungsfähigkeit als angeklagter RA: BVerfG NJW 1984, 862. 153  U. a. OLG Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); BayObLGSt 1996, 94 (96); vgl. auch BayObLG StV 1985, 6 (7); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14). 154  Bspw. OLG Stuttgart NStZ 1988, 240 (nur teilweise abgedr.); OLG Braunschweig StRR 2009, 432. 155  OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158); OLG München StV 2007, 518; LG Oldenburg StV 1990, 299. 149 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

gung ab, sondern auch von der Verantwortung für die Abwesenheit des Verteidigers. Auch eine Mitverantwortung des Gerichts für die Terminkollision oder sonstige Verhinderung kann ermessenserheblich sein (dazu noch f]),156 doch hauptsächlich stellen die Gerichte auf die Verantwortungssphäre des Angeklagten ab. Zwar wird gerade in älteren Entscheidungen dargelegt, dass es nur auf das Verschulden des Angeklagten und nicht des Verteidigers ankommen könne, da es um ein Recht des Angeklagten gehe,157 überwiegend wird jedoch das Verhalten (dazu noch f]) und die Verhinderung des Verteidigers dem Verantwortungsbereich des Angeklagten zugerechnet. Denn es liege in der Verantwortung des Angeklagten einen Verteidiger zu finden, der an dem Hauptverhandlungstermin teilnehmen kann.158 Konsequenterweise müsste demnach differenziert werden, ob das Verteidigungsverhältnis vor oder nach der Terminierung begründet wurde.159 Allerdings wird auch bei einer später eintretenden Terminkollision oder einer anderen Verhinderung auf die Verantwortung des Angeklagten für die Auswahl und die Möglichkeit einer neuen Wahl abgestellt, solange keine speziellen Gründe vorliegen, die gegen einen Verteidiger-Wechsel sprechen.160 Ein solcher Grund könne bestehen, wenn die Verhinderung zu kurzfristig für einen Wechsel ist;161 daher geht die Frage nach der Verantwortung des Angeklagten häufig mit dem schon angesprochenen Aspekt der Kurzfristigkeit und Unerwartetheit der Verhinderung einher (vgl. S. 37). Mehrfach wird zur Begründung der Verantwortlichkeit des Angeklagten auf die Frist des §  217 Abs.  1 StPO verwiesen und darauf, dass diese nach Einschätzung des Gesetzgebers zur Wahl und Vorbereitung eines Verteidigers ausreiche.162 Neuere 156  OLG Hamburg MDR 1964, 524; OLG Koblenz VRS 52 (1977), 428 (430), welches ausschließlich bei gerichtlicher Verursachung einen Vertagungsgrund annimmt; OLG Düsseldorf GA 1979, 226; BayObLG StV 1984, 13 (14); OLG Celle StV 1984, 503. 157  OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); OLG Düsseldorf JMBl NW 1983, 95; vgl. OLG Düsseldorf StV 1983, 269 (270); BayObLG StV 1984, 13 (14); OLG  Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLG StV 1985, 6 (7); aA OLG Köln JMBl NW 1962, 225 (226). 158  U. a. OLG Hamm GA 1971, 25 (26); OLG Koblenz VRS 45 (1973), 284 (285); OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG  Köln VRS 92 (1997), 261 (262); BayObLGSt 2001, 111 (114); OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 21; weiter: OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); aA mit Bezug auf Verteidiger des Vertrauens: OLG München StV 2007, 518; OLG Hamm StV 1989, 100 (101). 159  So BayObLGSt 1998, 144 (145); vgl. auch OLG Stuttgart NStZ 1988, 240; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (251). 160  OLG Koblenz VRS 45 (1973), 284 (285); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 21; weiter: OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227). 161  OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560); BayObLGSt 1988, 179 (180); NJW 1995, 3134; OLG Braunschweig StV 2012, 721 (insoweit nicht abgedr.). 162  U. a. OLG Hamm NJW 1954, 933 (933 f.); OLG Celle NJW 1965, 2264 (2264); OLG

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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Entscheidungen erachten hingegen eine fristgemäße Terminierung teilweise als (zu) kurzfristig.163 Besteht bei Terminierung das Mandatsverhältnis bereits, soll jedenfalls bei umfangreichen Verfahren ein Wechsel wegen der Einarbeitungszeit auch schon Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin unzumutbar sein.164 Unabhängig von der verbleibenden Zeit kann die Auswechslung eines besonders gut eingearbeiteten Verteidigers ein Anhaltspunkt für die Unzumutbarkeit des Wechsels sein,165 so, wenn der Verteidiger bereits in vorherigen Instanzen tätig war.166 Gleiches kann beim Vorliegen eines besonders begründeten Vertrauensverhältnisses – zum Beispiel durch vorherige Mandatsverhältnisse167 – der Fall sein168 oder bei einem besonderen Interesse an dem Vertrauensverteidiger.169 In solchen Fällen wird ein Interesse an der konkreten Person des Verteidigers teilweise auch explizit für eine Mandatierung nach bereits erfolgter Terminierung anerkannt.170 Als Indiz gegen die Relevanz der Anwesenheit des konkreten Verteidigers wird durch den Bundesgerichtshof teilweise die Verhinderung selber gewertet. Die Argumentation lautet folgendermaßen: Wäre die Anwesenheit dieses Verteidigers wichtig, dann würde der Verteidiger den Verhinderungsgrund besei­ tigen.171 Vereinzelt wird festgestellt, dass ein Wechsel innerhalb der laufenden Hauptverhandlung nicht oder nur unter besonderen Umständen durch das Beschleunigungsgebot zu rechtfertigen sei, da ein Wechsel zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung der Verteidigung einhergehe.172 Soweit ersichtlich wird nur in drei veröffentlichten Entscheidungen darauf abgestellt, Köln NJW 1968, 954; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); vgl. zum Wechsel: BayObLGSt 1998, 144 (145) ohne explizite Nennung des §  217 StPO. 163  OLG Stuttgart StV 1988, 145 (146); OLG Oldenburg StV 1991, 152; OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21); OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  15). 164  OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158): LG Frankfurt/M StV 2004, 420. 165  OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M aaO; vgl. BGH NJW 1992, 849. 166  OLG München aaO; OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197). 167  OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Hamm StV 2004, 642 (643); LG München II NJW 1995, 1439; LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 168  OLG Stuttgart NStZ 1988, 240; LG Dortmund StV 1998, 14; vgl. auch BayObLG MDR 1996, 955; LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); weiter: LG Oldenburg StV 1990, 299. 169  LG Verden StV 1996, 255. 170  LG München II NJW 1995, 1439; LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 171  BGH NStZ 2007, 163 (165). 172  OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Köln StV 2006, 143 (144) (bzgl. notwendiger Verteidigung); aA BGH NJW 1992, 849.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

dass ein Wechsel des Verteidigers bei geringem Einkommen aus finanziellen Gründen unzumutbar sei.173 Es finden sich auch einzelne Entscheidungen, die ohne Thematisierung eines möglichen Wechsels das Interesse an dem Verteidiger des Vertrauens als gewichtiges Ermessenselement einbeziehen,174 welches auch bei einem zusätzlich bestellten Pflichtverteidiger besteht.175 d)  Möglichkeit der Verlegung Anhand der bisher genannten Kriterien bemisst die Rechtsprechung, ob die Abwesenheit eines Verteidigers oder des konkreten Verteidigers über das grundsätzliche Recht auf Beistand hinaus in besonderem Maße bedeutend ist. Dem wird u. a. die Relevanz der Verlegung gegenüber gestellt, die sich hauptsächlich nach der Dauer der durch die Terminverlegung entstehenden Verzögerung (dazu e])176 und dem Aufwand der Verlegung bemisst.177 Nur einzelne Entscheidungen kommen zu dem Schluss, dass bei festgestellter Unzumutbarkeit der Verhandlung ohne Verteidiger kein Raum mehr für den Einbezug entgegenstehende Aspekte verbleibe.178 Manchen Entscheidungen lässt sich auch die Tendenz entnehmen, dass es nicht auf ein besonderes Interesse an der Teilnahme des Verteidigers ankommen kann, wenn der Verlegung des Termins nichts entgegensteht.179 Häufig wird in Rechtsmittelentscheidungen darauf hingewiesen, dass in der 173 

OLG Hamm StV 1989, 100 (100 f.); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); LG Hamburg StV 1988, 195 (196). 174  OLG Köln DAR 2005, 576 (577); LG Oldenburg StV 1990, 299; 2010, 479; vgl. auch BayObLG MDR 1996, 955; LG Berlin StV 2003, 441; Recht auf Wahlverteidiger nach Verteidigerwechsel: LG Bonn StraFo 1996, 174. 175  OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473. 176  U. a. BGH NStZ 1999, 527; OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG  Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLG MDR 1996, 955; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; BayObLG DAR 2001, 83 (83 f.); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315. 177  U. a. BayObLG StV 1984, 13 (14); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; BayObLG NStZ 2002, 97; Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324); OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); LG München II NJW 1995, 1439; LG Tübingen StV 1996, 658; LG Berlin StV 2012, 145 (Umladung der „bisher form- und problemlos in der Schweiz ladungsfähige[n] Zeugin“ kein unvertretbarer Aufwand); vgl. auch LG Mönchengladbach StV 1998, 533. 178  OLG Koblenz StV 2010, 476 (da Verhinderung kurzfristig); bezgl. „besorgniserregender Geschäftslage“ OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; vgl. auch OLG Köln DAR 2005, 576 (577); LG Verden StV 1996, 255. 179  OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25); LG Hamburg StV 1989, 340; LG Bonn StraFo 1996, 174 (174 f.); vgl. auch OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21); OLG Hamm ZfSch 2010, 649.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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angefochtenen Entscheidung keine konkreten Gründe genannt wurden, die gegen eine zeitnahe neue Terminierung gesprochen hätten,180 sondern höchstens pauschal auf die ‚angespannte Terminslage‘ verwiesen wurde.181 Nur vereinzelt wird statt eines allgemeinen Verweises auf die ‚angespannte Terminslage‘ die konkrete Terminslage der Abteilung oder des Spruchkörpers dargelegt.182 Neben der Terminslage des Spruchkörpers sind für die Mühseligkeit der Verlegung vor allem die Länge des Termins oder die Anzahl der Verhandlungstage183 und die Anzahl der Beteiligten relevant.184 Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Vielzahl an Zeugen zwar zu einem höheren Verlegungsaufwand führt,185 zugleich aber auch zu einer schwierigeren Verteidigungssituation, und somit die Relevanz der Anwesenheit des Verteidigers erhöht.186 Eher selten genannt werden Beeinträchtigungen der Zeugen durch eine Verlegung.187 180  BayObLG DAR 2001, 83; KG NZV 2003, 433 (434); OLG Hamm StV 2004, 642 (643); BeckRS 2009, 23760; 2011, 00781; OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473 (Rn.  15 f., insoweit nicht abgedr.); LG  München II NJW 1995, 1439; vgl. auch BGH NStZ 1999, 527, der sich zu den vorgetragenen Überlastungen der Kammer nicht äußert. 181  OLG Hamm GA 1977, 310 (312); OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Hamm BeckRS 2011, 00781; OLG Braunschweig StV 2012, 721 Rn.  11, insoweit nicht abgedr.; OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG Berlin StV 1995, 239; LG Bonn StraFo 1996, 174; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); LG Berlin wistra 2001, 79; StV 2003, 441; LG Frankfurt/M StV 2004, 420; vgl. auch OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); LG Verden StV 1996, 255; LG Hamburg StV 1989, 340; anders: OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128). 182  BGH NJW 1992, 849; KG NZV 2003, 433 (434); OLG Köln StV 2006, 143 (145); OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  8; vgl. auch BGH NStZ 2006, 513; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; Personalmangel: LG Tübingen StV 1996, 658. 183  U. a. BGH NStZ 1999, 527 (nur zwei Verhandlungstage); KG StV 2009, 577 (578) (11 Tage); LG Oldenburg StV 2010, 479 („keine übermäßige Zeit“). 184  BayObLGSt 1994, 95 (96); MDR 1996, 955; Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324); KG StV 2009, 577 (578) (8 Verteidiger, Vielzahl von Zeugen und Sachverständigen); OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  16); OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  9 (vier Verteidiger); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); LG München  II NJW 1995, 1439; LG Tübingen StV 1996, 658 (verhältnismäßig geringer Aufwand bei 2 Zeugen und einem Sachverständigen); LG Berlin wistra 2001, 79 („lediglich“ zwei Polizeizeugen); StV 2003, 441 (bei 3 Polizeizeugen und einem BVG-Fahrer Verlegung ohne großen Aufwand); LG Braunschweig StraFo 2008, 430 („lediglich“ drei Zeugen). 185  BayObLGSt 1994, 95 (96); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 186  OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); LG Braunschweig StV  2014, 335 (335); vgl. zu §  140 Abs.  2 StPO: OLG Düsseldorf AnwBl 2002, 122; OLG Hamm StV 2009, 85; LG Osnabrück StV 1999, 249. 187  OLG Stuttgart Justiz 2006, 8 (Rn.  15); Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324).

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

e)  Dauer und Bedeutung der Verzögerung Die Dauer der Verzögerung kann sich zum einen aus der Dauer der Verhinderung ergeben und zum anderen aus der Terminslage des Spruchkörpers und des Verteidigers – also der Möglichkeit eines zeitnahen Ersatztermins. Welchen Umfang eine Verzögerung haben muss, die durch die beantragte Verlegung entstehen würde, damit die Ablehnung einer Terminverlegung rechtmäßig ist, wird nicht übereinstimmend beurteilt. Während in einer Entscheidung drei Monate als nicht „gravierend“ angesehen werden,188 wird in einem anderen Fall eine vierwöchige Verschiebung für nicht vertretbar gehalten.189 Im Allgemeinen wird eine Verschiebung zwischen vier und acht Wochen als nicht erheblich angesehen.190 Dauert das Verfahren seit Beginn der Ermittlungen bereits 18 bzw. 21 Monate an, soll auch eine drei- oder viermonatige Verschiebung nicht ins Gewicht fallen.191 Sofern die Verhinderung einen Fortsetzungstermin betrifft, ist selbstverständlich die Unterscheidung zwischen Unterbrechung und Aussetzung erheblich.192 Nach der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung kommt es nicht nur auf die Dauer der Verzögerung an, sondern auch auf die Bedeutung der Verzögerung in dem einzelnen Verfahren.193 Eine unterschiedliche Bedeutung kann sich aus dem bisherigen Verfahrensverlauf ergeben. So wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf die besondere Förderungsbedürftigkeit des Verfahrens aufgrund der zweieinhalb Jahre zurückliegenden Tat ohne weitere besondere Beschleunigungsgründe als ausschlaggebend akzeptiert.194 Andersherum befand das Landgericht Magdeburg, dass eine weitere Verlegung unschädlich sei, da die zu verurteilenden Taten bereits lange zurücklagen.195 Eine drohende Verjährung könnte ebenfalls ein entscheidender Aspekt sein,196 wobei dieses Argu188 

LG Oldenburg StV 2010, 479; so auch LG Braunschweig StV  2014, 335 (335). OLG Hamm NJW 2006, 2199. 190  BGH NStZ 1999, 527 (erbetene Verlegung um ca. einen Monat); OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Berlin StV 2012, 145; aA noch BGH NJW 1973, 1985 (1986) (wenige Tage). 191  LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 192  BGH NJW 1973, 1985 (1986); NStZ-RR 2006, 272 (273); 2007, 81 (82); vgl. auch BGH NStZ-RR [K] 2000, 289. 193  OLG Stuttgart NStZ 1988, 240; Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324); LG Bonn StraFo 1996, 174 (175); LG Verden StV 1996, 255; LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); LG Dortmund StV 1998, 14; LG Berlin StV 2003, 441; LG Düsseldorf StraFo 2003, 425; vgl. LG Hamburg StV 1989, 340; LG Braunschweig StV  2014, 335 (335); s.  auch Nachweise in Fn.  194–200. 194  OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128). 195  LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); ähnlich LG Bremen StV 1994, 11 (12). 196  OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). 189 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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ment vom Beschwerdegericht zurückgewiesen wurde, da im konkreten Verfahren noch neun Monate verblieben seien und die Kammer die nahende Verjährung durch Nichtbetreiben des Verfahrens selbst verursacht habe.197 Ebenso wurde ein drohender Beweismittelverlust als (nicht vorliegender) Aspekt benannt.198 Die Bedeutung der Verzögerung kann sich auch aus dem bereits erwähnten Vollzug von Untersuchungshaft (dazu noch h]) oder anderen vorläufigen Maßnahmen als besonderen Beschleunigungsgründen ergeben.199 Ein besonderes Interesse an der Verfahrensbeschleunigung wird zudem bei Jugend­ verfahren angenommen.200 f)  Konstruktive Bemühungen der Verteidigung und des Gerichts Ergänzend zu der bereits angesprochenen Verantwortung für die Verhinderung (c]) wird auch ein sorgfältiges und kooperatives Verhalten der Verteidigung201 und des Gerichts202 einbezogen. Als sorgfältiges Verhalten des Verteidigers gilt dabei vor allem die rechtzeitige und begründete (s. S. 36) Mitteilung der Terminkollision.203 Eine einhellige Definition der Rechtzeitigkeit findet sich nicht. 197 

OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Oldenburg StV 2010, 479. 199  BGH NStZ 2007, 163 (164); OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); StV 1995, 11 (12); NStZ-RR 1997, 177; OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); KG StV 2009, 577 (578); LG Berlin StV 1995, 239; wistra 2001, 79; LG Frankfurt/M StV 2004, 420; LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Oldenburg StV 2010, 479; LG Braunschweig StV  2014, 335 (335); Frist des §  121 StPO: OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  5. 200  OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 21; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404). 201  BVerfG NJW 1984, 862; OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Hamm StRR  2015, 122 (LS); LG Dortmund StV 1998, 14; LG Frankfurt/M StV 2004, 420; AG Tiergarten VRR 2014, 316 (316); vgl. auch BGH NStZ 2009, 650 (651) (obiter dictum); OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); NStZ-RR 1997, 177; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (109) (obiter dictum); StV 2004, 642 (643). 202  BVerfG NJW 1984, 862; BGH NStZ 1999, 527; NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Hamburg MDR 1964, 524; OLG Koblenz VRS 52 (1977), 428 (430), welches ausschließlich bei gerichtlicher Verursachung einen Vertagungsgrund annimmt; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Celle StV 1984, 503; OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); AG Tiergarten VRR 2014, 316 (317); Gericht muss sich ernsthaft um Überwindung der Terminkollision bemühen: OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); vgl. auch BGH NJW 1992, 849; NStZ 2009, 650 (651) (obiter dictum). 203  OLG  Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); BayObLG MDR 1996, 955; OLG  Zweibrücken StV  1992, 568 (zwei Wochen vorher); OLG  Brandenburg OLG-NL 1996, 71 (72); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); BayObLGSt 2001, 111 (114); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 198 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Teilweise wird lediglich mitgeteilt, dass der Antrag ‚rechtzeitig‘ war.204 In einigen Entscheidungen wird darauf abgestellt, dass das Gericht noch die Möglichkeit hatte, den durch Verlegung freiwerdenden Termin sinnvoll zu nutzen, also ein anderes Verfahren zu terminieren;205 zum Teil wird eine Woche vorher noch als ausreichend angesehen.206 Eine ähnliche Bemessungsgrundlage ist die Frage, ob dem Gericht noch Zeit verbleibt Zeugen auszuladen.207 Soweit ersichtlich wird nur in einer Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass es, wenn der Antrag in diesem Sinne ‚rechtzeitig‘ war, nicht mehr darauf ankomme, ob er auch hätte früher gestellt werden können, soweit keine Hinweise auf eine Verzögerungsabsicht vorlägen.208 In anderen Entscheidungen wird ein Antrag als ‚rechtzeitig‘ angesehen, wenn er so früh wie möglich gestellt wurde.209 Dies wird zumindest dann bejaht, wenn der Antrag direkt nach der Ladung gestellt wurde.210 Wenn die Mandatierung erst nach der Terminierung erfolgte, erachten manche Gerichte einen Antrag direkt nach der Mandatierung für ausreichend, setzen dann aber voraus, dass der Angeklagte sofort nach Erhalt der Ladung einen Rechtsanwalt aufgesucht hat.211 Ausnahmen werden zugelassen, soweit ein sachlicher Grund für die erst später erfolgte Beauftragung bestand.212 Zahlreiche Gerichte nennen als Faktor für die Ermessensfehlerhaftigkeit der Ablehnung eines Verlegungsantrages die Tatsache, dass dies der erste Verlegungsantrag war.213 Zum Teil wird eine bereits zuvor erfolgte Verlegung expli294 (295); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2014, 250 (251); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); LG Bonn StraFo 1996, 174; LG Berlin StV 1995, 239. 204  Bspw. BayObLG MDR 1996, 955; NStZ 2002, 97; OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Koblenz StV 2010, 477 (478); LG Berlin StV 1995, 239. 205  OLG Stuttgart NStZ 1988, 240; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Braunschweig StRR 2009, 432 (433); LG Bonn StraFo 1996, 174 (174 f.); LG Berlin StV 2003, 441; LG Frankfurt/M StV 2004, 420; LG Oldenburg StV 2010, 479; zwei Wochen vorher: LG München II NJW 1995, 1439; AG Tiergarten VRR 2014, 316 (316). 206  OLG Düsseldorf NZV 1995, 39 (40); mehr als eine Woche vorher: OLG Hamm StV 1988, 100 (101). 207  LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113) (12 Tage vor Termin). 208  OLG Hamm StV 1989, 100 (101). 209  OLG Stuttgart NStZ 1988, 240; OLG Brandenburg OLG-NL 1996, 71 (72); OLG Braunschweig StRR 2009, 432 (433); vgl. auch BGH StV 2004, 304; BayObLGSt 2001, 101 (102 f.) zu kurzfristiger Erkrankung. 210  OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  16); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG Braunschweig StraFo 2008, 430; LG Bonn StraFo 1996, 174. 211  U. a. OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); StRR 2009, 432 (433) vgl. auch zu Wechsel während der HV: BGH StV 2004, 304; NStZ-RR 2006, 272 (273). 212  OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21); LG Berlin StV 2012, 145 (145). 213  BayObLGSt 1994, 95 (96); MDR 1996, 955; OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); BayObLGSt 2001, 101 (102 f.); NStZ 2002, 97; OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Hamm BeckRS 2011, 00781; LG Berlin StV

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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zit als negativer Ermessensaspekt benannt.214 Nur sehr vereinzelt wird vertreten, dass auch die mehrmalige Verlegung wegen Verhinderung des Angeklagten oder des Verteidigers das grundlegende Recht auf die Anwesenheit des Wahlverteidigers nicht mindere.215 Neben der ‚rechtzeitigen‘ Mitteilung als grundlegende Anforderung an ein sorgfältiges Verteidigungsverhalten wird die Nennung konkreter, zeitnaher Ersatztermine oder eine sonstige Mitteilung der Terminslage als kooperatives Verhalten bewertet.216 Soweit der grobe Terminierungszeitraum bereits vor Terminierung bekannt ist, soll auch die vorsorgliche Mitteilung von Urlaubszeiten zum sorgfältigen Verhalten gehören.217 Kann der Verteidiger aufgrund terminlicher Überlastung keine ausreichenden Alternativtermine anbieten, wird dies als ein in der Person des Verteidigers liegender Hinderungsgrund der Verteidigerauswahl angesehen.218 Mit der Anforderung, den Verlegungsantrag ‚rechtzeitig‘ zu stellen, korrespondiert auf Seiten des Gerichts die Verantwortung, den Antrag rechtzeitig zu bescheiden.219 Wird ein rechtzeitig gestellter Antrag erst kurz vor dem Verfahren oder erst im Termin abgelehnt, kann ein Erscheinen ohne Verteidiger oder die Wahl eines neuen Verteidigers unzumutbar bzw. unmöglich sein.220 Vereinzelt wurde auch der Zeitpunkt der Terminierung „nur knapp über der gesetzlichen Mindestladungsfrist“ als verlegungsrelevantes gerichtliches Verhalten erachtet, da hierbei eine Terminkollision absehbar sei,221 insbesondere wenn die 1995, 239; 2003, 441; LG Frankfurt StV 2004, 420; weiter LG Braunschweig StraFo 2008, 430 („erst“ zweiter Verlegungsantrag). 214  BayObLGSt 2001, 111 (114); DAR 2001, 83 (83); AG Tiergarten VRR 2014, 316 (316); vgl. auch Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324); iE aA LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315. 215  LG Darmstadt NZV 2006, 442 (443); vgl. auch LG Mönchengladbach StV 1998, 533. 216  Bspw. BGH NStZ 1999, 527; StV 2004, 304; OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); OLG Hamm StV 2004, 642; OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); LG Frankfurt/M StV 2004, 420; LG Braunschweig StraFo 2008, 430; AG Tiergarten VRR 2014, 316 (316). 217  OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177; vgl. auch OLG Hamm StRR  2015, 122 (LS). 218  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  9. 219  OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); s. auch Nachweise der folgenden Fn. 220  OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560); BayObLG DAR [Bär] 1988, 367; OLG  Zweibrücken StV  1992, 568; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG  Hamm NJW 2006, 2199 (2200); Thüringer OLG VRS 113 (2007), 322 (324) (Antrag am Vortag wegen Erkrankung, Ablehnung erst in Verhandlung); OLG Koblenz StV 2010, 477 (in Kombination mit willkürlicher Ablehnung trotz kollidierender HV-Termine); OLG Braunschweig StV 2012, 721 (insoweit nicht abgedr.); vgl. auch OLG Schleswig ZfS 2015, 172. 221  OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  15); ähnlich OLG Oldenburg StV 1991, 152; OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21); vgl. auch OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295): abgesprochener Fortsetzungstermin wurde kurzfristig nach vorne verlegt.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Terminierung in der Urlaubszeit erfolge.222 Entsprechend wurde eine besonders frühe Ladung als Ablehnungsgrund der beantragten Verlegung angesehen.223 Trotz des durchweg betonten Nichtbestehens eines Rechts auf Terminabsprache wird ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten des Gerichts angenommen, wenn Bemühungen um eine Absprache besonders nahegelegen hätten, aber nicht vorgenommen wurden.224 Dabei kann es auch auf die Gleichbehandlung mehrerer Angeklagter im Hinblick auf Terminabsprachen ankommen.225 Den Versuch einer Absprache muss ein Vorsitzender nach dem Landgericht Düsseldorf auch unternehmen, wenn ein besonderes Interesse an dem Verteidiger des Vertrauens besteht, da eine Absprache trotz des Arbeitsaufwandes zumutbar sei, solange dies nur Ausnahmefälle beträfe.226 Nach einer neueren Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ist eine vorherige Abstimmung der Termine „gerade in Großverfahren regelmäßig angezeigt“.227 Vereinzelt wird über solch spezielle Situationen hinaus eine Terminabsprache mit dem Verteidiger zur Überwindung der Terminkollision verlangt, um das Recht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu verwirklichen,228 insbesondere wenn der Verteidiger zuvor um eine Absprache gebeten hatte.229 Die weit überwiegende Anzahl der Entscheidungen belässt es bei dem sibyllinischen Satz, dass kein Recht auf Terminabsprache bestehe, es aber prozessordnungswidrig sein könne, wenn eine fehlende Absprache zu einer Einschränkung des Beistandsrechts aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO führe.230 Wurden mehrere alternative Termine abgesprochen, soll eine Terminkollision nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm in der Verantwortung des Verteidigers liegen, wenn er die Termine zwei Monate nach

222 

OLG Celle StV 1984, 503; OLG Stuttgart NStZ 1988, 240. Ladung zwei Monate vorm Termin: OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  4. 224  Zeitnahe Terminierung: OLG Oldenburg StV 1992, 152; gerichtsbekannte Auslastung der Verteidiger: OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2792); zwischen Weihnachten und Neujahr: LG Hamburg StV 1988, 195 (196); Hauptferienzeit: LG Bonn StraFo 1996, 174 (175). 225  OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). 226  LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 227  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313). 228  OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); LG Berlin StV 1995, 239; vgl. auch BGH NStZ 2009, 650 (651) (obiter dictum); aA wegen Arbeitsaufwand: LG Bonn StraFo 1996, 174 (175). 229  LG Berlin StV 1995, 239; wistra 2001, 79; aA ausführlich: OLG Brandenburg OLGNL 1996, 71 (72); LG Braunschweig StraFo 2008, 430. 230  U. a. OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Frankfurt StV 1997, 402 (403); 2001, 157 (158); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); LG Koblenz StV 1996, 254; LG Dortmund StV 1998, 14 (15); LG Koblenz StV 1999, 593; LG  Potsdam StraFo 2005, 342 (342); LG Darmstadt NZV 2006, 442 (443); LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Oldenburg StV 2010, 479; LG Braunschweig StV  2014, 335; vgl. auch BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473. 223 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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der Absprache anderweitig belegt.231 Andersherum kann es für eine besondere Beachtung der Verteidigerverhinderung sprechen, wenn bereits vereinbarte Termine ohne Rücksprache verschoben werden.232 In einzelnen – vorwiegend landgerichtlichen – Entscheidungen wird auch die bisherige mangelnde Verfahrensförderung durch das Gericht233 und die mehrfache gerichtsseitige Verlegung des Termins234 als Abwägungsaspekt zu Gunsten der Beachtung der Verteidigungsbelange einbezogen. g) Verspätung Eine Verspätung kann seitens des Gerichts oder seitens der Verteidigung vorliegen: Beginnt das Gericht die Hauptverhandlung mit erheblicher Verspätung, kann der Verteidiger durch Folgetermine an der Teilnahme gehindert sein.235 Ebenfalls kann der Verteidiger aufgrund der Unabsehbarkeit des Beginns temporär abwesend sein.236 Grundsätzlich muss sich die Verteidigung nach Ansicht der Rechtsprechung auf einen verspäteten Beginn der Verhandlung einstellen, so dass die Abwesenheit auch in diesen Fällen im Verantwortungsbereich des Angeklagten liegen soll.237 Dennoch kann die Mitverursachung der Situation durch das Gericht in die Abwägung einfließen.238 Dementgegen weist das Oberlandesgericht Düsseldorf darauf hin, dass der Verteidiger nicht länger auf das Gericht warten müsse, als das Gericht auf den Verteidiger.239 Weitaus häufiger beschäftigt sich die Rechtsprechung mit der Verspätung des Verteidigers, die als Fall des unerwarteten Ausbleibens im Termin behandelt wird. Grundsätzlich soll eine fünfzehnminütige Wartezeit der Abwägung zwischen dem Interesse an der Verteidigeranwesenheit und der Durchführung des Verfahrens entsprechen.240 Diese Zeit verlängert sich nach ständiger Rechtspre231 

OLG Hamm SVR 2006, 388. OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); vgl. jedoch BGH NJW 1988, 3273. 233  LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Potsdam StraFo 2005, 342; vgl. auch LG Bonn StraFo 1996, 174 (175) (bisherige Verzögerung beruhte nicht auf Verhalten des Angeklagten); gegenteilig: BGH NStZ-RR [K] 2000, 289. 234  OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25). 235  U. a. RGSt 1, 235; 11, 173; JurW 1932, 1151; OLG Hamburg MDR 1964, 524; OLG Hamm VRS 40 (1971), 49 (49); BayObLG StV 1984, 13; KG NZV 1993, 411. 236  Bspw. OLG Köln StV 1990, 257. 237  RGSt 1, 235; 11, 173; JurW 1932, 1151; OLG Hamburg MDR 1964, 524 (524). 238  OLG Hamburg MDR 1964, 524 (525); OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); BayObLG StV 1984, 13. 239  OLG Düsseldorf AnwBl 1983, 233 (234). 240  U. a. OLG Köln VRS 42 (1972), 284 (285) (in Großstädten); BayObLG MDR 1990, 174; OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 320; OLG Frankfurt/M 232 

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chung, wenn besondere Umstände vorliegen,241 etwa wenn der Verteidiger die Verspätung telefonisch ankündigt oder diese dem Gericht in sonstiger Weise bekannt wird.242 Dies trifft auch dann zu, wenn gerichtsbekannt ist, dass der Verteidiger zuvor einen anderen Gerichtstermin wahrnehmen muss.243 Darüber hinaus muss das Gericht von einer verkehrs- oder terminbedingten Verzögerung ausgehen, wenn der Verteidiger seine Teilnahme am Termin angekündigt hat.244 Von einer verkehrsbedingten Verspätung und somit ebenfalls einer Verlängerung der Wartezeit ist auch auszugehen, wenn es sich um einen auswärtigen Verteidiger handelt.245 Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln muss sich der Vorsitzende vor einem Verwerfungsurteil bei der Geschäftsstelle nach Verspätungs- oder Verhinderungsanzeigen des Verteidigers erkundigen.246 Wie lange eine verlängerte Wartezeit anzudauern hat und ob nach dem Ablauf der Wartezeit ohne Verteidiger verhandelt werden kann, wird nach den bereits geschilderten Ermessensaspekten, insbesondere der Zumutbarkeit für den Angeklagten, beurteilt.247 Besonders beachtet werden muss die Unerwartetheit der Situation und die dadurch fehlende Möglichkeit des Angeklagten, sich auf die Verhandlung ohne Verteidiger vorzubereiten oder einen anderen Verteidiger zu beauftragen.248 Ebenso zu beachten ist die nur unerhebliche Verzögerung des Verfahrens249 und die nur unwesentliche Beeinträchtigung anderer Interessen, wenn das Verfahren am selben Tag –  nur zu anderer Terminstunde – durchgeführt werden kann.250

AnwBl 1984, 108 (109); BayObLG DAR 1988, 367; MDR 1990, 174; OLG Düsseldorf StV 1995, 454; anders noch OLG Hamm NJW 1973, 2311 (2312). 241  Bspw. OLG Frankfurt/M AnwBl 1984, 108 (109): in Ladung falscher Raum in anderem Gebäude angegeben; weitere Nachweise Fn.  242–247. 242  Bspw. OLG Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLG StV 1985, 6 (7); OLG Düsseldorf StV 1995, 454; OLG Köln NZV 1997, 494. 243  Bspw. OLG Köln VRS 42 (1972), 284 (285); OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Zweibrücken StV 1984, 148; OLG Hamm VRS 68 (1985), 49 (50). 244  U. a. OLG Düsseldorf NStZ 1984, 320. 245  U. a. OLG Frankfurt/M AnwBl 1984, 108 (109); BayObLG StV 1985, 6 (7) (unter Hinweis auf zu sorglose Planung des Verteidigers); OLG Düsseldorf StV 1995, 454; aA OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180). 246  OLG Köln NZV 1997, 494. 247  U. a. OLG Köln VRS 42 (1972), 284 (286); OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Zweibrücken StV 1984, 148; BayObLG StV 1985, 6 (7); OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180); OLG Köln NZV 1997, 494; vgl. auch OLG Köln StV 1984, 147. 248  BayObLG StV 1985, 6 (7); OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180). 249  OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Zweibrücken StV 1984, 148. 250  Interessen der nachfolgenden Verhandlungen beachten: OLG Köln VRS 42 (1972), 284 (286); 30 Minuten Verspätung: OLG Zweibrücken StV 1984, 148.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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h) Untersuchungshaft Ein besonders bedeutender Abwägungsaspekt ist die Vollstreckung der Untersuchungshaft; diese kann ausschließlich den Angeklagten betreffen oder zusätzlich oder ausschließlich Mitangeklagte.251 Seit dem 01.01.2010 ist in Fällen vollzogener Untersuchungshaft die Verteidigung gemäß §  140 Abs.  1 Nr.  4 StPO immer notwendig.252 Auch vor der Reform lag in diesen Fällen häufig ein Fall der notwendigen Verteidigung nach §  117 Abs.  4 StPO oder §  140 StPO vor. Daher betreffen die Entscheidungen über die Terminierung bei vollzogener Untersuchungshaft nicht die Anwesenheit eines Verteidigers, sondern der konkreten Person des Verteidigers der eigenen Wahl. Neben dieser rechtlichen Besonderheit besteht statistisch auch ein tatsächlicher Unterschied zu anderen Verfahren. Tendenziell steigt mit der Schwere der Vorwürfe die Anzahl der Hauptverhandlungstage. Statistiken, die dies gesondert für Verfahren mit vollstreckter Untersuchungshaft ausweisen, existieren nicht. Ein Anhaltspunkt ergibt sich aus dem Unterschied zwischen durchschnittlich 1,2 Hauptverhandlungstagen, welche für Strafverfahren am Amtsgericht benötigt werden und 3,8 Tagen für erstinstanzliche Verfahren am Landgericht.253 Auch die Anzahl der Beteiligten ist im Vergleich zu amtsgerichtlichen Verfahren in Verfahren vor dem Landgericht erhöht (ausf. zu diesen Zahlen S. 230  f.). Das hat Auswirkungen auf die Häufigkeit und –  insbesondere bei Fortsetzungsterminen – die Relevanz von Terminkollisionen und wegen der Anzahl der Beteiligten auch auf die Schwierigkeit von Terminverlegungen. Beispielhaft für die Abwägung zwischen dem Recht auf Wahlverteidigung und dem Beschleunigungsgebot unter der Prämisse des Vorrangs der Beschleunigung bei bestehender Untersuchungshaft ist folgender Beschluss des 1.  Strafsenates des BGH:254 Zu Beginn der Hauptverhandlung waren fünf von insgesamt sechs Angeklagten seit vierzehn Monaten in Untersuchungshaft. Im September teilte der Vorsitzende den Verteidigern mit, er beabsichtige, an zehn aufeinanderfolgenden Tagen Ende November und Anfang Dezember zu terminieren. Lediglich ein Verteidiger teilte daraufhin mit, dass er an drei Terminen wegen kollidierender Verhandlungstermine und eines geplanten Urlaubs verhindert sei. Der betreffende Verteidiger schlug zahlreiche nachfolgende Ersatz251 

BGH NStZ 2007, 163; OLG Köln StV 2006, 143 (144); BGH NStZ 2007, 163; OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); Thüringer OLG StV 2009, 576 (577); KG StV 2009, 577 (578); OLG Braunschweig NStZ-RR 2013, 382 (383); OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  6. 252  BT-Drucks. 16/13097 S.  18. 253  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 10 Reihe 2.3, 2012, S.  36, 74. 254  BGH NStZ 2007, 163.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

termine – darunter vier im Dezember – vor. Der Vorsitzende terminierte wie von ihm geplant, mit Ausnahme eines Tages, an dem der Sitzungssaal belegt war, und bestellte dem betroffenen Angeklagten einen weiteren Verteidiger. Der 1.  Senat beurteilte die Terminierung als ermessenfehlerfrei, da auch gegen den Willen des Angeklagten die freie Verteidigerwahl hinter dem zum Schutz der Angeklagten existierenden Beschleunigungsgebot zurückstehen müsse. Dies würde insbesondere – aber nicht nur – dann gelten, wenn weitere Angeklagte in Untersuchungshaft seien. Beim Vollzug von Untersuchungshaft rechtfertige jede Verzögerung der Hauptverhandlung die Ablehnung von Terminanträgen, zumal der „zur Verfahrenssicherung bestellte weitere Pflichtverteidiger zu ordnungsgemäßer Verteidigung […] in der Lage war.“255 Die vorgeschlagenen Ausweichtermine hielt der Senat für unerheblich, da für den Vorsitzenden nicht absehbar gewesen sei, ob die anderen Beteiligten an diesen Terminen zu Verfügung gestanden hätten und ob der Sitzungssaal frei gewesen wäre. Am Rande merkte der Senat noch an, wenn der Verteidiger das besondere Vertrauensverhältnis in seinem Schriftsatz so betone, wäre doch eine Verschiebung des Urlaubs zu erwarten gewesen.256 Die Entscheidung wird zum einen getragen von der Wertung, dass das Beschleunigungsgebot bei Untersuchungshaft auch gegen den Willen des Angeklagten der freien Verteidigerwahl vorgehe257 und zudem von der Ansicht, dass es ausreichend sei, wenn ein anderer Verteidiger zur ‚ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage‘ sei.258 Bemerkenswert sind darüber hinaus zwei Aspekte: Es reichte aus Sicht des 1. Senats aus, dass für den Vorsitzenden nicht sofort erkennbar war, ob die Ausweichtermine durchführbar gewesen wären. Erkundigungen des Vorsitzenden wurden nicht erwartet – entgegen der in anderen Entscheidungen aufgestellten Pflicht des ‚ernsthaften Bemühens‘ eine dem Recht auf Wahlverteidigung genügende Terminierung herbeizuführen. Auch dass ein Abweichen vom vorgesehenen Terminplan durch eine Belegung des Sitzungssaals verursacht wurde, zugleich jedoch bei der Verhinderung eines Verteidigers eine solche Verlegung nicht einmal erwogen wird, trifft beim Senat nicht auf Bedenken. Die Belegung des Sitzungssaals wird ausdrücklich als einzubeziehender Ermessensaspekt benannt.259

255 

BGH NStZ 2007, 163 (164). BGH NStZ 2007, 163 (165). 257  So auch BGH NJW 1973, 1985 (1986) („wohlverstandenen Interesse“ des Angekl.); vgl. jedoch BGH NStZ 1999, 527; KG StV 2009, 577 (578). 258  BGH NStZ 2007, 163. 259  Ähnlich bzgl. Sitzungstagen: KG StV 2009, 577 (578). 256 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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Auch andere Entscheidungen attestieren einen Vorrang des Beschleunigungsgebots in Haftsachen gegenüber dem Recht auf Wahlverteidigung,260 teilweise mit der Einschränkung, dass zuvor zumindest eine Terminabsprache versucht werden müsse.261 Sind mehrere Angeklagte in Untersuchungshaft und eine Vielzahl Verteidiger beteiligt, soll auch die Kombination aus unterlassener Absprache und Ablehnung von Umterminierungsanträgen nicht evident ermessensfehlerhaft sein.262 Neben der Frage, ob sich weitere Mitangeklagte in Untersuchungshaft befinden,263 kommt der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft – vor allem der Frist des §  121 StPO – eine entscheidende Bedeutung zu.264 Eine Ausnahme stellt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm dar, in der trotz Untersuchungshaft eines Mitangeklagten festgestellt wurde, dass die Entpflichtung des schon länger im Verfahren tätigen Verteidigers rechtswidrig war, da weder erkennbar war, dass das Gericht zuvor ernsthaft versucht hätte, dem Anspruch auf den Vertrauensverteidiger gerecht zu werden – z. B. durch Absprache mit dem ‚kollidierenden Gericht‘ –, noch das Gericht ausgeführt habe, warum innerhalb der Frist des §  229 StPO kein anderer Termin möglich gewesen sei.265 Der Verteidiger war lediglich an einem von drei terminierten Tagen verhindert und hatte mitgeteilt, im fraglichen Zeitraum noch freie Kapazitäten zu haben.266 Von der Entpflichtung nach §  143 StPO analog zu unterscheiden ist die terminliche Verhinderung als wichtiger Grund der Nichtbestellung (§  142 Abs.  1 S.  2 StPO), bei welchem geringere Hürden für einen Eingriff in die Wahlfreiheit bestehen sollen: „Dem Gebot, die Hauptverhandlung in Haftsachen beschleunigt durchzuführen, kann auch dadurch entsprochen werden, dass als Verteidiger nur der Rechtsanwalt beigeordnet wird, der zusichern kann, an sämtlichen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen“.267 Der gerade referierten Rechtsprechungslinie stehen andere Entscheidungen entgegen, in denen sich die Verteidigung auf die verzögerte Durchführung des 260  U. a. BGH NStZ 2007, 163; OLG Hamm StV 2006, 481; zusammenfassend: Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (448 ff.); vgl. auch BGH MDR [D] 1969, 903; Hilger StV 2006, 451. 261  BGH NStZ 2006, 513. 262  KG StV 2009, 577 (578). 263  U. a. BGH NStZ 2007, 163; OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); OLG Köln StV 2006, 143 (144); Thüringer OLG StV 2009, 576 (577); KG StV 2009, 577 (578); OLG Braunschweig NStZ-RR 2013, 382 (383); OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  6. 264  U. a. BGH MDR [D] 1969, 903; OLG Hamm StV 2002, 151; KG StV 2009, 577 (578); OLG Koblenz NStZ-RR  2015, 117 (LS) Rn.  5. 265  OLG Hamm StV 2004, 642 (643). 266 Ebenda. 267  BGH NStZ-RR 2007, 149; OLG Hamm NStZ 2011, 235 (236); vgl. auch OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791).

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Verfahrens berief. Sowohl in Entscheidungen zur (Nicht-)Aufhebung des Haftbefehls als auch anlässlich einer Revisionsrüge wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot stellten die Gerichte fest, dass kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen vorläge, wenn der Beginn der Hauptverhandlung oder die Verhandlungsdichte aufgrund der Beachtung des Rechts auf den Verteidiger der Wahl hinter den grundsätzlichen Anforderungen zur zügigen Durchführung von Haftsachen zurückblieben.268 i)  Ordnungswidrigkeitenverfahren Unterschiede in Art und Gewichtung der Abwägungsaspekte sind in Ordnungswidrigkeitenverfahren im Vergleich zum Strafverfahren nicht festzustellen, weshalb die zahlreich veröffentlichte Rechtsprechung zu Ordnungswidrigkeitenverfahren bereits in die obige Darstellung der Abwägungskriterien einbezogen wurde. Warum gerade die OWi-Verfahren einen großen Teil der veröffentlichten Rechtsprechung zur Anwesenheit des nicht-notwendigen Verteidigers ausmachen, lässt sich nur vermuten. Im Zusammenhang mit der statistischen Häufigkeit der formellen Verteidigung bei den verschiedenen Spruchkörpern wurde in den 1980er-Jahren die These geäußert, dass bei Verfahren vor dem Einzelrichter in Verkehrssachen überdurchschnittlich oft ein Verteidiger beteiligt sei, während in allgemeinen Strafverfahren in unterdurchschnittlicher Zahl verteidigt werde.269 Die Vermutung wurde mit der Kostenübernahme durch die Rechtsschutzversicherungen in Verkehrssachen begründet.270 In eine ähnliche Richtung geht die Vermutung, dass die Angeklagten in Verkehrssachen im Vergleich zu einfachen Strafverfahren überdurchschnittlich oft über die notwendigen finanziellen Möglichkeiten einer Beauftragung verfügen. Diese Erklärungen dürften für eine im Vergleich zum Strafverfahren relativ hohe Beteiligungsquote von Verteidigern in OWi-Verfahren sprechen, welche in der Folge einen verhältnismäßig großen Anteil an Entscheidungen zur Frage der Anwesenheit hervorruft. In der erfassten Rechtsprechung gibt es kaum Entscheidungen, die einen abwägungsrelevanten Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren konstatieren. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm soll die Abwägung in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren in der Regel zu Lasten des Verteidigungsinteresses gehen, da ein solches Verfahren dem Straf-

268  BGH NJW 2008, 2451 (2454); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2790); OLG Naumburg StV 2008, 365; OLG Hamm StRR 2014, 449; aA OLG  Hamm StV 2006, 481. 269  Gerlach in FS-Peters, S.  153 (162 f.); Rieß StV 1985, 211 (214). 270  Gerlach aaO; Mützelburg in FS-Dünnebier, S.  277 (279); Rieß aaO.

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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verfahren untergeordnet sei.271 Weniger deutlich ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, nach welcher die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Beschleunigungsgebot dazu führe, dass in Bußgeldverfahren in der Regel ohne Verteidiger zu verhandeln sei.272 Diesen beiden Entscheidungen stehen zwei Entscheidungen entgegen, nach denen besonders bei Ordnungswidrigkeiten von geringer Bedeutung einer Verlegung unproblematisch möglich sei und daher vorgenommen werden solle.273 Trotz der gleichen Entscheidungsmaßstäbe ist in den Entscheidungen zu OWi-Verfahren ein sprachlicher Unterschied feststellbar: Der Begriff der ‚Fürsorge‘ wird stärker betont. Nach einer gängigen Formulierung soll entscheidend sein, ob die „prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichtes [eine Verlegung des Termins] geboten erscheinen“ lasse.274 Noch stärker wird der Fürsorgeaspekt in Entscheidungen hervorgehoben, in denen explizit ein Gegensatz zwischen Fürsorge und Gesetzeslage benannt wird. Es sei anerkannt, „daß es mitunter aus Gründen der Fürsorge für einen Verfahrensbeteiligten geboten sein kann, eine strafprozessuale Vorschrift – hier die Bestimmung des §  228 Absatz II StPO – nicht anzuwenden, obwohl ihre Anwendung rechtsfehlerfrei möglich wäre, um ein faires Verfahren zu gewährleisten“.275

V.  Beispiele zur Terminierungspraxis der unteren Gerichte Im Jahre 1961 befürchtete Koch, die Abwägung zwischen Verteidigungsrecht und zügiger Durchführung des Verfahrens bringe „den Richter nicht selten in unangenehmen Konflikt mit der grundsätzlichen Bereitschaft, dem Anwaltskollegen entgegen zu kommen“.276 Aufgrund dieser Bereitschaft zum Entgegenkommen drohe die praktische Unwirksamkeit des §  228 Abs.  2 StPO.277

271 

OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180). OLG Düsseldorf StV 1995, 454 (455). 273  OLG Bamberg StraFo 2011, 232; LG München II NJW 1995, 1439. 274  U. a. OLG Hamm NStZ 1995, 596; sinngemäß: OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560); BayObLG StV 1984, 13 (13); OLG Hamm StV 1988, 100; OLG  Zweibrücken StV  1992, 568; BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Köln VRS 92 (1997), 261 (262); BayObLGSt 2001, 101 (102); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294 (295); OLG Koblenz StV 2010, 476 (477). 275  OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180); ähnlich: OLG Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); 47  (1974), 358 (359); GA 1977, 310 (311); OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Hamm VRS 74 (1988), 38 (39); StV 1989, 100 (100). 276  Koch JR 1961, 420 (421). 277  Koch aaO. 272 

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Möglicherweise hat sich das kollegiale Verhältnis seitdem geändert.278 Jedenfalls lassen viele Entscheidungen, die sich aus den Sachverhaltsmitteilungen der veröffentlichten Rechtsmittelrechtsprechung ergeben, wenig „Bereitschaft, dem Anwaltskollegen entgegen zu kommen“, erkennen.279 Will man aus der veröffentlichen Rechtsprechung Rückschlüsse auf die tatgerichtliche Terminierungsund Umterminierungspraxis ziehen, muss beachtet werden, dass nur die Entscheidungen, gegen die Beschwerden eingelegt wurden oder die zum Gegenstand von Revisionen wurden, öffentlich werden. Das Bild, welches sich aus der veröffentlichten Rechtsprechung ergibt, dürfte also weitaus negativer sein als die ungefilterte Rechtspraxis. Zugleich führen nicht alle ungerechtfertigten Ablehnungen zu einem entsprechenden Rechtsmittel; es existiert also ein ‚Dunkelfeld‘. Zudem stellt die veröffentlichte Rechtsprechung nur einen Ausschnitt aus der Rechtsmittel-Rechtsprechung dar. Trotz dieser Einschränkungen sollen beispielhaft einige Sachverhalte wiedergegeben werden, um einen Einblick in die Praxis der unteren Gerichte zu ermöglichen und den Alltag der Terminierungsstreitigkeiten jenseits der höhergerichtlichen Rechtsprechung zu beleuchten. Teilweise stellen die Rechtsmittelgerichte fest, dass sich in der angegriffenen Entscheidung kein einziger Aspekt findet, welcher gegen eine andere Terminierung gesprochen hätte280 oder dass der angegriffenen Entscheidung keine Abwägung zu entnehmen ist.281 Mehrfach befindet die höhere Instanz, dass der Verweis auf die angespannte Terminslage „formelhaft“ oder das Argument der Beschleunigung „vorgeschoben“ bzw. „abwegig“ sei.282 Vgl. u. a. Brause NJW 1992, 2865; Burhoff StraFo 2008, 62 (62 f.); Hamm in FSSarstedt, S.  49 (50); Jahn S.  26 ff. 279  Vgl. auch Burhoff VRR 2013, 273; E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (358). 280  OLG Zweibrücken NZV 1996, 162; OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25); OLG Hamm BeckRS 2009, 23760; 2011, 00781; OLG Koblenz StV 2010, 477 (478); OLG Celle NJW 2012, 246 (247); LG Hamburg StV 1989, 340; LG München II NJW 1995, 1439; vgl. auch OLG Hamm GA 1977, 310 (312); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473 (Rn.  15 f.), insoweit nicht abgedr.; LG Bonn StraFo 1996, 174 (174 f.). 281  U. a. OLG Düsseldorf AnwBl 1983, 233 (234); OLG München NStZ 1994, 451; BayObLG DAR 2001, 83; KG NZV 2003, 433 (434); OLG Köln DAR 2005, 576 (576); OLG München StV 2007, 518; OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); KG VRS 127 (2014), 164 (165); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG München II NJW 1995, 1439; LG Koblenz StV 1996, 254; 1999, 593; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); LG Berlin wistra 2001, 79; LG Frankfurt StV 2004, 420. 282  OLG Hamm GA 1977, 310 (312); OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); 11 (12); OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); OLG Hamm BeckRS 2009, 23760; OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Braunschweig StV 2012, 721 (Rn.  11), insoweit nicht abgedr.; OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG Berlin StV 1995, 239; LG Bonn Stra278 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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So auch bei einem Urteil des Landgerichts Ellwangen, das durch das Oberlandesgericht Stuttgart aufgehoben wurde. Es wurde kein Grund benannt, der gegen eine Terminverlegung gesprochen hatte; eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Sowohl der Vertreter der Verteidigerin – welche sich im Urlaub befand – als auch die Angeklagte persönlich hatten einen Verlegungsantrag gestellt.283 Eine Vorsitzende des Amtsgerichts Mayen lehnte einen Verlegungsantrag mit dem Argument ab, der betreffende Verteidiger würde „in jedem Verfahren“ Verlegungsanträge stellen und ein Kanzleikollege könne den Fall übernehmen, da dieser einfach gelagert sei.284 Die Entscheidung über den rechtzeitig gestellten Verlegungsantrag erfolgte erst zwei Tage vor dem Termin.285 Der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Mayen wurde vom Landgericht Koblenz bestätigt.286 In einem anderen Verfahren erkrankte der Verteidiger in der Nacht vor der Berufungsverhandlung und teilte dies am Morgen der Geschäftsstelle mit. Das Gericht verhandelte, ohne der Angeklagten den Grund der Abwesenheit des Verteidigers mitzuteilen, und verwarf am gleichen Tag die Berufung gegen die erstinstanzliche Verurteilung zu zehn Monaten Freiheitsstrafe.287 Ebenfalls eine kurzfristig eingetretene Erkrankung verhinderte in einem Verfahren am Amtsgericht Warburg das Erscheinen des Verteidigers. Die Erkrankung wurde am Morgen der auf 11.00 Uhr terminierten OWi-Verhandlung dem Gericht telefonisch mitgeteilt. Kurz darauf folgte ein um 8.23 Uhr eingegangenes Fax mit einem entsprechenden Terminverlegungsantrag. Die Beschwerde wurde wegen Nichterscheinens des Betroffenen verworfen, da die Erkrankung nicht glaubhaft gemacht worden sei und sich keine Vollmacht in der Akte befunden habe. In der Akte befand sich allerdings ein anwaltlicher Schriftsatz, in dem der Verteidiger die Bevollmächtigung anwaltlich versichert hatte.288 Ebenfalls wegen Nicht-Erscheinens des Betroffenen wurde eine Beschwerde gegen ein Bußgeld am Amtsgericht Cham verworfen.289 Der Verteidiger hatte direkt nach der Terminierung und damit vier Wochen vor dem Termin eine Verlegung wegen eines kollidierenden Hauptverhandlungstermins beantragt. In Fo 1996, 174 (174 f.); LG Berlin wistra 2001, 79; StV 2003, 441; LG Frankfurt/M StV 2004, 420; vgl. auch LG Oldenburg StV 2010, 479; Burmann NZV 1996, 165 (165). 283  OLG Stuttgart NStZ 1988, 240 (nur teilweise abgedr.). 284  OLG Koblenz StV 2010, 477. 285  OLG Koblenz aaO. 286  OLG Koblenz aaO. 287  OLG Düsseldorf StV 1995, 69. 288  OLG Hamm SVR 2008, 387. 289  BayObLG DAR 2001, 83.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

dem Verwerfungsurteil wird dies nicht mitgeteilt, sondern lediglich das Ausbleiben festgestellt. In einem weiteren Bußgeldverfahren wurde das Verfahren vom Amtsgericht Landshut auf 7.55 Uhr terminiert. Der Verteidiger stellte den Antrag, das Verfahren auf die Mittagsstunden zu verlegen, da sowohl er als auch der Betroffene ansonsten aufgrund des langen Anreisewegs am Vorabend anreisen müssten. Der Vorsitzende verfügte daraufhin eine Verlegung auf 9.20 Uhr und teilte mit der Terminsverkündung zugleich mit: „Dieser Termin wird nicht mehr verlegt werden.“ In einer späteren dienstlichen Erklärung führte der Vorsitzende aus, er verhandele Bußgeldsachen an seinen Strafrichtersitzungstagen generell in der Zeit von 7.45 Uhr bis 8.45 Uhr; daher sei keine spätere Terminierung möglich gewesen.290 Um ein Bußgeldverfahren ging es auch bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln.291 In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war der Termin zunächst wegen des bereits gebuchten Familienurlaubs des Betroffenen verlegt worden. Der verlegte Verhandlungstermin fiel nun allerdings auf den Urlaub des Verteidigers. Auf den Verlegungsantrag des Verteidigers hin teilte das Gericht telefonisch mit, der Termin würde nicht verlegt werden, der Betroffene habe die Möglichkeit, sich durch einen anderen Verteidiger verteidigen zu lassen. Daraufhin stellte der Verteidiger erneut einen Verlegungsantrag, in welchem er darauf einging, dass der Betroffene großen Wert auf die Verteidigung durch seinen Verteidiger des Vertrauens lege. Das Gericht reagierte mit der Mitteilung, „dass der Hauptverhandlungstermin nicht noch einmal verlegt werden könne, da er schon einmal auf Antrag des Betroffenen verschoben worden sei“.292 Gleichfalls ein Urlaub des Verteidigers lag einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/M zu Grunde.293 Das Verfahren war nach erfolgreicher Revision an das Landgericht  Frankfurt/M zurückverwiesen worden. Der Verteidiger hatte den Angeklagten bereits in der mehrtägigen erstinstanzlichen Hauptverhandlung und dem Revisionsverfahren verteidigt. Der Angeklagte befand sich in Untersuchungshaft. Im Januar bat der Verteidiger um eine Terminabsprache bezüglich der anstehenden Verhandlung. Er wiederholte diese Bitte mehrfach; zuletzt wies er im März telefonisch auf seinen für Ende Juli gebuchten Jahresurlaub hin. Am selben Tag terminierte der Vorsitzende sechs Hauptverhandlungstermine, von denen drei Verhandlungstage mit insgesamt zwölf geladenen Zeugen in der angegebenen Urlaubszeit lagen. Auf die Beschwerde erwiderte er, „eine weitere Verzögerung ‚nur weil jemand Urlaub machen wolle‘ 290 

OLG Bamberg NJW 2006, 2341. OLG Köln DAR 2005, 576. 292  OLG Köln aaO. 293  OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403). 291 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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sei mit dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen unvereinbar.“ Es sei zumutbar, die Ferien zu verschieben.294 Ein völliges Fehlen der Abwägung widerstreitender Interessen stellte das Oberlandesgericht  Braunschweig in einem Strafbefehlsverfahren fest.295 Das Gericht hatte einen Verteidiger, der das Erlöschen des Mandats dem Gericht zuvor mitgeteilt hatte, zur Hauptverhandlung geladen. Dem Angeklagten selbst konnte die Ladung erst genau 14 Tage vor dem Termin zugestellt werden. Noch am gleichen Tag beauftragte dieser einen neuen Verteidiger, welcher sich sofort bei Gericht als Verteidiger meldete und Akteneinsicht beantragte. Zwei Tage später wurde der neue Verteidiger zum Termin geladen und beantragte daraufhin eine Verlegung wegen zweier kollidierender Hauptverhandlungstermine an anderen Gerichten. Sieben Tage vor dem Termin – und somit fünf Tage nach dem Verlegungsantrag – lehnt das Gericht den Antrag unter Hinweis auf die späte Legitimierung des neuen Verteidigers ab.296 Auch zur Verspätung des Verteidigers finden sich zahlreiche Entscheidungen. So eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf in einem OWi-Verfahren, in welchem das persönliche Erscheinen des Betroffenen nicht angeordnet worden war. Der Verteidiger war durch die Kontrolle bei einem vorherigen JVA-Besuch aufgehalten worden und erschien um 11.05 Uhr zu der auf 11.00 Uhr terminierten Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt war das Urteil bereits verkündet.297 In einem anderen OWi-Verfahren war der Betroffene zwar anwesend, der Verteidiger jedoch wiederrum verspätet. Die Verhandlung wurde eine Minute vor der angesetzten Terminszeit begonnen und war beim Erscheinen des 8  Minuten verspäteten Verteidigers bereits beendet.298 Zwei weitere Fälle des nur knapp zu spät eintreffenden Verteidigers betreffen nicht die Hauptverhandlung, sondern Haftbefehlsanhörungen nach §  115 StPO: Morgens um 8.15 Uhr wurde der gesuchte Beschuldigte in Koblenz festgenommen. Etwa zwei Stunden später (10.11 Uhr) informierte die Polizei den in Trier ansässigen Verteidiger darüber, dass um 11.30 Uhr die Haftbefehlsanhörung stattfände. Der Verteidiger bat in dem Telefonat darum, 15 Minuten auf ihn zu warten, u. a., da es an diesem Tag zu einem Wintereinbruch mit Schneefall gekommen war. Allerdings beträgt bereits die reguläre Fahrtzeit zwischen Trier und Koblenz 75  Minuten. Zusätzlich teilte die Kanzlei die voraussichtliche Verspätung dem Amtsgericht mit. Die Anhörung begann pünktlich um 11.30 Uhr. 294 

SV-Schilderung aaO. OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294). 296 Ebenda. 297  OLG Düsseldorf NStZ 1984, 320. 298  OLG Hamm VRS 74 (1988), 38 (39). 295 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Der Beschuldigte gab an, er wolle zunächst Rücksprache mit seinem Verteidiger halten, machte dann aber dennoch kurze Angaben zur Sache. Als der Verteidiger um 11.47 Uhr eintraf, war die Anhörung bereits beendet und der Haftbefehl verkündet. Das Landgericht und das Oberlandesgericht verwarfen die Beschwerde.299 In dem zweiten Fall wurde ein 16-jähriger Förderschüler wegen Beteiligung an versuchtem Mord und vollendeter schwerer Körperverletzung ‚gegen Mittag‘ vorläufig festgenommen und auf der Polizeiwache vernommen. Der Verteidiger war auf der Polizeiwache anwesend und hatte anschließend der Staatsanwaltschaft und dem Gericht mitgeteilt, er müsse zu einem auswärtigen Termin, könne aber nach Mitteilung innerhalb von einer Stunde wieder vor Ort sein. Gegen 17.45 Uhr teilte die Ermittlungsrichterin der Kanzlei mit, sie wolle in einer halben Stunde den Haftbefehl verkünden. Der Verteidiger rief gegen 18 Uhr zurück und bat die Richterin, eine Dreiviertelstunde zu warten, er sei bereits auf dem Weg. Dies lehnte die Richterin ab. Als der Verteidiger gegen 18.30 Uhr eintraf, war der Beschuldigte nach Verkündung des Haftbefehls bereits auf dem Weg in die Justizvollzugsanstalt. Der Beschuldigte hatte vor der richterlichen Vernehmung gesagt, er wolle auf den Verteidiger warten.300

VI.  Fazit zur Relevanz der Fragestellung Wie dargelegt existiert eine umfangreiche Kasuistik zur Problematik des verhinderten Verteidigers vor und nach Beginn der Hauptverhandlung. Innerhalb dieser Kasuistik haben sich anzuwendende Abwägungskriterien herausgebildet. Daher könnte man annehmen, dass die Rechtslage hinreichend geklärt ist und keiner weiteren Klärung bedarf. Gegen eine solche Annahme sprechen jedoch mehrere Faktoren: Zum Ersten ist der Mangel an Rechtsdogmatik aufgrund der fehlenden Normbezogenheit der Rechtsprechung zu nennen (vgl. S. 11  f.; dazu noch B. I.).301 Eine systematische Klärung der Rechtslage wird von der Rechtsprechung auch dadurch vermieden, dass kaum auf die Rechte des Angeklagten abgestellt wird, sondern vielmehr auf die ‚Rücksichtnahme‘ oder ‚Fürsorge‘ durch das Gericht.302 Statt einer grundsätzlichen Klärung, welche Rechte sich aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO 299 

VerfGH RP NJW 2006, 3341. VerfG Bbg NJW 2003, 2009. 301  So auch Heubel NJW 1981, 2678; E.  Müller in FS-Widmaier, S.  357 (359). 302  Bspw. OLG Celle NdsRpfl 1961, 161; OLG Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); BayObLG StV 1984, 13 (13); NStZ-RR 1997, 179 (180); OLG Köln DAR 2005, 576 (576); vgl. auch Krumm StV 2012, 177 (177); Ausnahme: OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25); krit. Heubel NJW 1981, 2678. 300 

A.  Darstellung der Rechtsprechung

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ergeben und wie §  213 StPO und §  228 Abs.  2 StPO auszulegen sind, finden sich Formulierungen wie die, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass das Gericht im Einzelfall soweit wie möglich auf die Verhinderung Rücksicht nähme.303 Diese Betonung der unsicheren Rechtslage durch die Hervorhebung der ‚Rücksichtnahme im Einzelfall‘ wird durch die Nutzung offener Begriffe, wie ‚zumutbar‘, verschärft.304 Zudem macht die kontinuierlich anhaltende Fülle an Rechtsmittelentscheidungen die alltägliche Relevanz der Thematik an den Strafgerichten deutlich.305 Die spezialisierte Tätigkeit der Strafverteidiger beinhaltet eine Vielzahl von wahrzunehmenden Hauptverhandlungsterminen, und zugleich herrscht an den Gerichten eine Termindichte vor, so dass Konflikte über Termine und (ungeplante) Terminverschiebungen fast unumgänglich sind.306 Die praktische Relevanz wird im Hinblick auf die grundlegenden Verteidigungsrechte des Angeklagten dadurch verstärkt, dass zwar nach der OLG-Rechtsprechung das Beistandsrecht in terminliche Entscheidungen einbezogen werden muss, dies aber nicht durchgängig zu einer entsprechenden Praxis der unteren Gerichte geführt hat (vgl. V.)307 und zudem auch in der OLG-Rechtsprechung durchweg betont wird, dass keinesfalls ein Anrecht auf eine Verhandlung in Anwesenheit des Verteidigers oder auf eine Terminabsprache bestehe.308 Hinzu kommt die eingeschränkte und immer noch umstrittene Rechtschutzmöglichkeit vor Beginn der Hauptverhandlung,309 die zusätzlich zu den rechtlichen Einschränkungen auch zeitlich an Grenzen stößt.310 In vielen Fällen ist der Angeklagte also gezwungen, die Abwesenheit des Verteidigers hinzunehmen. Trotz – oder gerade wegen – einer mehr als umfangreichen Kasuistik ist daher eine genauere Analyse der prozessualen Situationen, in denen Terminfragen das Beistandsrecht beeinträchtigen können, notwendig, die sowohl die betroffe303 

BGH NJW 1973, 1985 (1986). E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (369 f.); Weider StV 1983, 270 (271 f.). 305  Vgl. auch Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  27b; Krumm StV 2012, 177 (177). 306  Heubel NJW 1981, 2678 (2678); Ferner SVR 2006, 390 (390); vgl. auch AK-StPO/ Keller §  213 Rn.  5; Busch VRR 2014, 436 (437); Malek Rn.  43; Sommer S.  330. 307  Dazu deutlich: OLG Düsseldorf StV 1995, 454; vgl. auch KG NZV 2003, 433 (434); E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (358). 308  U. a. OLG Oldenburg StV 1991, 152; BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); BayObLGSt 2001, 111 (114); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342); OLG Braunschweig StV 2008, 293; OLG Bamberg StraFo 2011, 232; OLG Hamm StRR 2015, 122 (LS) Rn.  17; OLG Saarbrücken NJW-Spezial 2015, 473. 309  Krit. dazu Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  15 f.; Kühne Rn.  632; vgl. auch AK-StPO/ Schlothauer Vor §  213 Rn.  152. 310 Vgl. Hohmann in FA Strafrecht Rn.  71; Malek Rn.  4 4. 304 Vgl.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

nen Belange einbezieht, als auch die entsprechenden Normen der StPO und i­ hren konkreten Anwendungsbereich beachtet. Zu diesem Zweck soll nun zunächst die gerade dargelegte ständige Rechtsprechung kritisch betrachtet werden, um anschließend die hinter den Abwägungsaspekten liegenden Verfahrens­ interessen und ihr Verhältnis zueinander genauer zu untersuchen.

B.  Analyse der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zur Terminierung basiert größtenteils auf der Überprüfung von Ermessensentscheidungen. Für den Rechtsuchenden hat dies den Nachteil, dass Ermessensentscheidungen nur sehr bedingt reproduzierbar und prognostizierbar sind. Dieser ermessensimmanente Nachteil für die Rechtssicherheit, welcher eventuell durch die Möglichkeit einer angemessenen Beurteilung des Einzelfalls aufgewogen wird, verstärkt sich durch die Unschärfe der Normanwendung. Eine kritische Betrachtung der Rechtsprechung muss sich daher sowohl mit der Diskrepanz zwischen der Normanwendung durch die Rechtsprechung und der Normfassung der StPO beschäftigen als auch auf die grundsätzlichen Entscheidungsprämissen und ihre Umsetzung anhand der konkreten Abwägungs­ aspekte eingehen.

I. Gesetzesdogmatik In der veröffentlichten Rechtsprechung aus den fünfziger und sechziger Jahren des 20.  Jahrhunderts sind Gerichtsentscheidungen zu finden, die sich um eine klare Normauslegung und Normanwendung bemühen.311 Diese Bemühungen wurden jedoch nicht weitergeführt und später kaum aufgegriffen. Sowohl der vollständig fehlende Normbezug mancher Entscheidungen als auch die unterschiedslose Anwendung der Normen auf verschiedene Verfahrenssituation (vgl. S. 11) ist kritisch zu betrachten. Da der Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO das gem. §  137 Abs.  1 S.  1 StPO jederzeit bestehende Beistandsrecht deutlich einschränkt, ist die Überprüfung der Anwendungsweite des §  228 Abs.  2 StPO bedeutend. Doch auch die Anwendung des §  213 StPO, nach welchem der Vorsitzende eine ‚Terminshoheit‘ haben soll,312 ist zu hinterfragen. Denn aus dem 311  OLG Hamm NJW 1954, 933; OLG Celle NJW 1965, 2264; vgl. auch OLG Köln NJW 1968, 954. 312  Bspw. OLG Hamm StV 1990, 56; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403); NStZ-RR 1997, 177 (178); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); NStZ 2011, 235

B.  Analyse der Rechtsprechung

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Wortlaut der Norm ergibt sich eine solche ‚Terminshoheit‘ nicht zwingend.313 Die überdehnte Wahrnehmung des Wortlauts der Norm wird in einer neueren Entscheidung des 1.  Strafsenats des Bundesgerichtshofs deutlich, der die Norm wie folgt wiedergibt: Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts bestimmt (§  213 StPO).314 Der Senat gibt den Gesetzestext im Wortlaut wieder – mit einer Ausnahme: Das im Gesetzestext enthaltene Verb ‚anberaumt‘ wird in der Formulierung des Senats ersetzt durch das Wort ‚bestimmt‘. Näher am Wortlaut bewegt sich das Oberlandesgericht Frankfurt, welches feststellte, dass der Begriff einer „uneingeschränkten Terminshoheit“ der Strafprozessordnung fremd sei.315 Unscharf erscheint auch die Anwendung des §  265 Abs.  4 StPO und sein Verhältnis zu §  228 Abs.  2 StPO. Ein Einbezug des §  265 Abs.  4 StPO findet ‚lediglich‘ aufgrund der dort normierten Pflicht zur Aussetzung von Amts wegen statt. Wenn die Verhandlung ohne Verteidiger den dargestellten Maßstäben widersprach, jedoch nach Beginn der Verhandlung kein entsprechender Antrag gestellt wurde, kann durch die Einbeziehung des §  265 Abs.  4 StPO ein Revisionsgrund vorliegen (dazu schon S. 14).316 Dies betrifft unter anderem Verfahren, in denen ein vor der Hauptverhandlung durch den Verteidiger gestellter Antrag rechtswidrig abgelehnt wurde und der –  nun unverteidigte – Angeklagte den Antrag in der Hauptverhandlung nicht wiederholt. Inwiefern die Rechtsprechung der Norm im Kontext der Verhinderung des Verteidigers daneben einen weitergehenden inhaltlichen Einfluss – etwa auf die Abwägungsmaßstäbe – zuspricht, bleibt undeutlich. 1.  Direkte und übertragene Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO §  213 StPO findet sich im 5.  Abschnitt der StPO, welcher die Vorbereitung der Hauptverhandlung regelt. Die Norm bezieht sich offenkundig auf die Terminierung der noch nicht begonnenen Hauptverhandlung als Teil der Vorbereitung selbiger. Dagegen finden sich §  228 Abs.  2 StPO und §  265 Abs.  4 StPO im (236); LG Potsdam StraFo 2005, 342 (342); vgl. auch LG Hildesheim NJW 1989, 1174; im Anschluss: HK-StPO/Julius §  213 Rn.  1; SK-StPO4/Deiters §  213 Rn.  8; SSW/Grube §  213 Rn.  1. 313  So auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  8. 314  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313). 315  OLG Frankfurt/M StV 1989, 384 (385); die Entscheidung bezieht sich darauf, dass der Vorsitzende als Begründung für eine Verteidigerauswahl dessen Blanko-Zusicherung, an allen Terminen zu Verfügung zu stehen angab; im Anschluss auch SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  5. 316  Bspw. OLG Hamm NJW 1954, 933 (934); OLG Saarbrücken VRS 25 (1963), 66; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305).

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

6. Abschnitt der StPO, sind also Teil der Regelungen zur Durchführung – nicht Vorbereitung – der Hauptverhandlung. Dieser Unterschied wird bei der Lektüre der Rechtsprechung keinesfalls deutlich, insbesondere, da §  228 Abs.  2 StPO bei Umterminierungsentscheidungen der noch nicht begonnenen Hauptverhandlung – also in den Anwendungsbereich des §  213 StPO – einbezogen wird. Der Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO spricht von der Aussetzung der begonnenen Hauptverhandlung. Jedoch wird §  228 Abs.  2 StPO nach Beginn der Hauptverhandlung gleichermaßen bei Entscheidungen über Aussetzungen und Unterbrechungen angeführt. Die unterschiedlichen Verfahrenssituationen werden lediglich als Ermessensaspekt beachtet (s. S. 44). Aufgrund dieser Divergenzen zwischen Systematik und Wortlaut und der ständigen Rechtsprechung ist zu klären, ob die Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO auf Vertagungen der noch nicht begonnen Hauptverhandlung und Unterbrechungen durch eine entsprechende Auslegung der Norm zu legitimieren ist. Insofern dabei festgestellt wird, dass §  228 Abs.  2 StPO außerhalb seines Anwendungsbereiches in Entscheidungen einbezogen wird, muss zudem die Übertragbarkeit der Wertung des §  228 Abs.  2 StPO auf andere Entscheidungsgrundlagen überprüft werden. a)  Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO (1)  Stand der Literatur In der Literatur findet nahezu keine Auseinandersetzung mit der über Wortlaut und Systematik hinausgehenden Anwendung der Norm statt. Die meisten Kommentierungen erwähnen die Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO auf die Unterbrechung oder die Vertagung der noch nicht begonnenen Hauptverhandlung nicht.317 Schlothauer stellt in seinen Ausführungen zur Terminierung der Hauptverhandlung (§  213 StPO) fest, dass dem Angeklagten gem. §  228 Abs.  2 StPO kein Recht auf eine Aussetzung wegen Verhinderung des Verteidigers zusteht.318 Eschelbach schreibt, es könne „nicht alleine in der Hand des Verteidigers liegen […] eine Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung herbeizuführen“.319 Britz erwähnt die Unterbrechung im Kontext des zweiten 317  AK-StPO/Keller §  228 Rn.  6 ff.; AnwK-StPO/Kirchhof §  228 Rn.  3; Graf/Gorf §  228 Rn.  1 ff.; HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; KK/Gmel §  228 insb. Rn.  11; Pfeiffer §  228 Rn.  3; Eb. Schmidt II §  228; ebenfalls HK-GS/Temming §  228 und SSW/ Grube §  228, die jedoch die ungenaue Bezeichnung von Aussetzung und Unterbrechung als Vertagung durch die Rspr. kritisieren: HK-GS/Temming §  228 Rn.  2; SSW/Grube §  228 Rn.  4. 318  AK-StPO/Schlothauer Vor §  213 Rn.  152. 319  KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28, ohne Quellenverweis; Hervorhebung nicht im Original.

B.  Analyse der Rechtsprechung

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Absatzes,320 während Gmel die Unterbrechung explizit in die Regelung des zweiten Absatzes einbezieht.321 Die Kommentierung des §  137 StPO durch Krekeler und Werner verhält sich nicht explizit zu der Problematik. Ihre Formulierung lässt jedoch den Einbezug der noch nicht begonnen Hauptverhandlung in den Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO zu.322 Auch Heubel, der dezidiert die verschwommene Normanwendung der Rechtsprechung kritisiert, verhält sich zu dieser Problematik nicht, sondern bezieht in seinem Aufsatz ausdrücklich die Vorbereitung der Hauptverhandlung in den Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO ein.323 Deiters und Albrecht führen in ihrer Kommentierung des zweiten Absatzes zwar kurz an, dass sich dieser auf die Aussetzung beziehe; eine Auseinandersetzung mit der entgegenstehenden Rechtsprechung fehlt jedoch.324 Nicht nur dadurch, sondern auch durch Fallbeispiele in der Kommentierung des §  228 Abs.  2 StPO, in denen bereits vor Beginn der Hauptverhandlung das Fehlen des Verteidigers feststand,325 bleibt undeutlich, welche Konsequenzen sich nach Deiters und Albrecht aus dem Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO ergeben sollen, zumal in den Ausführungen zur Unterbrechung auf einen Beschluss des BayObLG verwiesen wird, welcher seinerseits §  228 Abs.  2 StPO als Entscheidungsmaßstab nennt.326 Lediglich Becker macht deutlich, dass §  228 Abs.  2 StPO sowohl nach seinem Wortlaut als auch seiner systematischen Stellung erst nach Beginn der Hauptverhandlung zur Anwendung kommen könne.327 Denn andernfalls handele es sich nicht um eine ‚Aussetzung‘, sondern eine ‚Verlegung‘ des Termins. Dies sei auch noch am Terminstag der Fall, wenn aufgrund des Ausbleibens des Verteidigers nicht in die Verhandlung eingetreten, sondern über eine Vertagung beraten würde.328 Auch für den Zeitraum nach Beginn der Hauptverhandlung differenziert Becker und stellt klar, dass der Wortlaut nur die Aussetzung nennt und somit die Rechtslage bezüglich einer Unterbrechung nicht in §  228 Abs.  2 StPO geregelt sei.329 Nicht auf den Wortlaut, sondern den Zweck der Regelung stellt Keller ab, der grundlegende Unterschiede zwischen der Verfahrenslage vor und nach Beginn der Hauptverhandlung resümiert. Er verweist darauf, dass vor Beginn der Haupt320 Radtke/Hohmann/Britz

§  228 Rn.  19, 21. KK/Gmel §  228 Rn.  11. 322  AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  1. 323  Heubel NJW 1981, 2678 (2678). 324  SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17. 325 Ebenda. 326  SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  15 mit Verweis auf BayObLGSt 1994, 95. 327  Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  21. 328 Ebenda. 329 Ebenda. 321 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

verhandlung die Zwecke des §  228 Abs.  2 StPO – Sicherung der Verfahrensökonomie und Konzentrationsmaxime – nicht gleichermaßen betroffen seien.330 (2)  Methodische Auslegung Wie Becker feststellt, ist der Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO eindeutig. Vereinzelt wurde in historischen Kommentaren unter den Begriff ‚Aussetzung‘ zwar auch der „Fall des Aufschubs einer noch nicht begonnenen Hauptverhandlung“ gefasst;331 dem widersprach allerdings bereits 1913 Rosenberg, welcher konstatierte, dass die §§  227 f. RStPO [aF des §  228 StPO] keinerlei Regelung über die Vertagung der noch nicht begonnenen Verhandlung träfen.332 Selbiger behauptete allerdings in seiner Kommentierung des §  212 RStPO [aF des §  213 StPO]: „Die den Vertheidiger betreffende Bestimmung des §  227 Abs.  2 ist auch auf die Vertagung einer noch nicht begonnenen Hauptverhandlung anwendbar (…)“.333 Es findet sich jedoch weder eine Begründung für diese Annahme, noch stimmen die Motive zur RStPO oder Kommentierungen aus dem 19.  Jahrhundert mit dieser Auslegung überein. Auch das Oberlandesgericht Celle hielt in einer der ersten Entscheidungen zu der Thematik in der BRD fest, dass zumindest die Vertagung der Sache auf den Nachmittag desselben Tages keinesfalls eine Aussetzung, sondern „eine bloße Verlegung“ sei.334 Die vom historischen Gesetzgeber beabsichtigte Abgrenzung zwischen ‚Unterbrechung‘ und ‚Aussetzung‘ ist trotz fehlender Legaldefinition eindeutig:335 Im Entwurf des heutigen §  145 StPO war zunächst vorgesehen, dass das Gericht auf Antrag des Angeklagten die Verhandlung aussetzen müsse. Dieser Entwurf wurde in den Beratungen dahingehend kritisiert, dass dem Gericht mit der Formulierung die Möglichkeit der Unterbrechung genommen würde.336 ‚Aussetzung‘ und ‚Unterbrechung‘ sind Rechtsbegriffe, deren Inhalt in den Beratungen zur RStPO offenkundig inhaltsgleich mit den heutigen Definitionen verstanden wurde. Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber sich dennoch bei der Verabschiedung des §  228 Abs.  2 StPO der Bedeutung des Begriffs ‚Aussetzung‘ nicht bewusst war. Im Gegenteil: Im ersten Absatz desselben Paragraphen wird im ersten Satz die Aussetzung und im zweiten Satz  die Unterbrechung geregelt. Selbst wenn man einem Begriff innerhalb der StPO eine unterschiedliche Be330 

AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5, 9. Thilo (1878) §  227 Rn.  2 mit Verweis auf den Bericht der Justizkommission S.59; sinngemäß auch v.  Schwarze (1878) §  227 Rn.  1; Stiegele (1879) §  227 Nr.  1. 332  Löwe/Rosenberg13 §  227 Rn.  1. 333  Löwe/Rosenberg13 §  212 Rn.  4. 334  OLG Celle NdsRpfl 1961, 161. 335  Vgl. dazu auch BGHSt  48, 183. 336  Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  969 f. (68. Sitzung, Originalprotokoll S.  509 ff.). 331 

B.  Analyse der Rechtsprechung

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deutung zuschreiben könnte, innerhalb eines Paragraphen können einem Begriff nicht unterschiedliche Bedeutungen zukommen. In Bezug auf andere Normen – etwa §  265 Abs.  4 StPO – wird argumentiert, dass das Gericht trotz des Wortlauts ‚Aussetzung‘ zwischen Aussetzung und Unterbrechung nach pflichtgemäßem Ermessen wählen kann, da eine Unterbrechung ein Minus zur Aussetzung darstelle.337 Diese Argumentation trifft auf §  228 Abs.  2 StPO gerade nicht zu. Wenn das Gesetz das Recht des Angeklagten aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO dahingehend einschränkt, dass er keine Aussetzung verlangen kann, ist es keineswegs ein Minus, sondern eine weitergehende Einschränkung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, wenn dem Angeklagten über den Wortlaut hinaus auch kein Anspruch auf eine Unterbrechung zustünde. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Antrag auf Aussetzung gem. §  265 Abs.  3 StPO.338 Diese Schlussfolgerung trifft umso mehr auf das Verhältnis zwischen Aussetzung und Vertagung der noch nicht begonnenen Hauptverhandlung zu. Als Zwischenfazit ist somit festzustellen, dass sich der Anwendungsbereichs des §  228 Abs.  2 StPO auf die Aussetzung einer laufenden Hauptverhandlung beschränkt und dies nicht nur eine vertretbare Auslegung der Norm, sondern – trotz und entgegen der ständigen Rechtsprechung – nach Wortlaut, Systematik und Gesetzgebungsgeschichte zwingend ist. Die Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO auf Vertagungen, Unterbrechungen und auch auf die Verzögerung der Verhandlung wegen Verspätung des Verteidigers widerspricht der Gesetzeslage.339 b)  Übertragbarkeit der Wertungen Da §  228 Abs.  2 StPO nicht die Terminierung oder Umterminierung der noch nicht begonnenen Hauptverhandlung betrifft, sondern diese Vorgänge in den Anwendungsbereich des §  213 StPO fallen, ist des Weiteren zu prüfen, ob die gesetzgeberische Wertung des §  228 Abs.  2 StPO auf die Anwendung des §  213 StPO übertragbar ist, wie es von Rechtsprechung und Teilen der Literatur angenommen wird.340

337 

Ausf. HK-GS/Temming §  228 Rn.  3 mwN. BGHSt 48, 183 (186). 339  Zur Verspätung insoweit auch: HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  22; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17a; SSW/Grube §  228 Rn.  24; einschr. Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  21, 30; aA AK-StPO/Keller §  228 Rn.  8 aE; wohl auch Meyer-Goßner/Schmitt §  228 Rn.  11. 340  Sehr deutlich: OLG Hamm SVR 2006, 388 (Rn.  10); Kropp NStZ 2004, 668 (669); aber z. B. auch OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Hamm NStZ-RR 2010, 283 (Rn.  4); AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3; wohl auch HK-GS/ 338 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

Die zu übertragene gesetzgeberische Wertung soll, wie in Abschnitt  A. (S. 17 f.) beschrieben, darin liegen, dass §  228 Abs.  2 StPO dem Angeklagten das Risiko für die Abwesenheit des Verteidigers zuspricht.341 Neben einer Vielzahl an Entscheidungen, die diese Übertragung ‚stillschweigend‘ vornehmen, stellt das Oberlandesgericht Hamm in einer – insoweit nicht abgedruckten – Entscheidung fest, dass die vom Gesetzgeber in §  228 Abs.  2 StPO zum Ausdruck gebrachte Wertung „erst recht für den Fall einer Terminsverlegung gelten“ muss.342 Eine Begründung für diesen Erst-Recht-Schluss erfolgt in der Entscheidung nicht. In ähnlicher Weise hält Koch §  228 Abs.  2 StPO für die Normierung eines allgemeinen Prinzips.343 Er erläutert jedoch weder warum dieses allgemeingültige Prinzip ausschließlich in §  228 Abs.  2 StPO normiert wird, noch warum es dort normiert wird, wenn es unabhängig von der Normierung Gültigkeit hätte. Eine Übertragbarkeit der Wertung würde voraussetzen, dass in den verschiedenen Prozesssituationen eine Interessenlage vorliegt, auf die die vom Gesetzgeber vorgenommene Interessenabwägung gleichermaßen zutrifft. Damit der vom Oberlandesgericht Hamm behauptete Erst-Recht-Schluss zutreffend wäre, müsste darüber hinaus die Interessenlage vor Beginn der Hauptverhandlung stärker als nach Beginn der Hauptverhandlung gegen eine Beachtung des Verteidigungsinteresses sprechen. Bei einer Aussetzung muss die Verhandlung erneut beginnen; alle bereits vorgenommenen Verfahrenshandlungen und Beweiserhebungen sind quasi ungeschehen. Daher sind nach allgemeiner Ansicht Aussetzungen des Verfahrens zu vermeiden, da eine Wiederholung von Verfahrensteilen sowohl die Prozess­ ökonomie als auch die Belange aller Verfahrensbeteiligten beeinträchtigt und den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in den meisten Fällen verzögert.344 Inwiefern auch die Wahrheitsermittlung durch die erneute Vernehmung bereits vernommener Zeugen betroffen sein könnte, ist soweit ersichtlich bisher nicht untersucht worden, aber sowohl hinsichtlich einer Beeinflussung der ErinTemming §  228 Rn.  9; KK/Gmel §  228 Rn.  11; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  15; vgl. zudem OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128). 341  U. a. OLG Hamm NJW 1954, 933; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); OLG Köln VRS 92 (1997), 261 (262); BayObLGSt 2001, 111 (114); Graf/Gorf §  228 Rn.  6; HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23; Meyer-Goßner/Schmitt §  228 Rn.  10; Radtke/ Hohmann/Britz §  228 Rn.  19; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  20; Heubel NJW 1981, 2678. 342  OLG Hamm SVR 2006, 388 (Rn.  10); ebenso die GeneralStA in gleicher Entscheidung Rn.  6; wortgleich: Kropp NStZ 2004, 668 (669). 343  Koch JR 1961, 420 (420). 344  Statt aller: Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  10.

B.  Analyse der Rechtsprechung

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nerung durch die vorherige Befragung als auch durch die sinkende Motivation der Zeugen vorstellbar. 345 Neben dem allgemeinen Bemühen um eine zügige Verfahrensdurchführung und eine effiziente Prozessökonomie gibt es also ein spezielles Interesse die Aussetzung zur Vermeidung von Wiederholungen zu verhindern. Eine Wiederholung von Verfahrensteilen droht weder bei einer Unterbrechung der Hauptverhandlung noch bei einer Vertagung vor Beginn. Dies unterscheidet diese Verfahrenssituationen erheblich von der Aussetzung des Verfahrens. §  228 Abs.  2 StPO, der sich nur auf die Aussetzung bezieht, kann daher nicht umstandslos als gesetzgeberische Wertung bezüglich der Terminierung insgesamt interpretiert werden. Nach der Konzeption der StPO sind jedoch auch Unterbrechungen – in Dauer und Häufigkeit – möglichst zu vermeiden.346 Die Vermeidung von Unterbrechung ist zur Gewährleistung der Konzentrationsmaxime erforderlich. Die Konzentrationsmaxime soll zur Sicherung des Mündlichkeitsprinzips eine möglichst kompakte Hauptverhandlung ermöglichen, da die Schöpfung des U ­ rteils aus dem ‚Inbegriff der Verhandlung‘ (§  261 StPO) voraussetzt, dass Verfahren in einem kurzen Zeitraum stattfinden, damit die Richter bei der Urteilsfindung alles Gesagte präsent haben können. Die Vermeidung von Unterbrechungen und Aussetzungen zielen also im Kern auf unterschiedliche Verfahrens­ interessen. Daher sind Unterbrechung und Aussetzung unzweifelhaft zwei verschiedene Rechtsinstitute, die sich unterschiedlich auf das Verfahren auswirken und deren Vermeidung unterschiedlichen Verfahrensbelangen dient. Neben der expliziten gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausschließliche Nennung der Aussetzung in §  228 Abs.  2 StPO (vgl.  S. 66 f.) sprechen also auch die unterschiedlichen Auswirkungen und unterschiedlichen Gründe zur Vermeidung von Aussetzung und Unterbrechung gegen eine Übertragung einer Regelung zur Aussetzung auf die Unterbrechung. Muss man somit bereits strikt zwischen Aussetzung und Unterbrechung unterscheiden, ist ‚erst recht‘ weder die Terminierung noch eine Umterminierung vor Beginn der Verhandlung mit der Verfahrenssituation nach Beginn der Verhandlung vergleichbar. Es droht weder eine Wiederholung von Verhandlungsteilen durch eine Aussetzung, noch eine Beeinträchtigung der Konzentrationsmaxime durch eine Unterbrechung.347 In der Rechtsprechung wurde dies soweit ersichtlich nur vom Landgericht Hamburg und andeutungsweise vom Landge345  Bender/Nack/Treuer Rn.  183; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1374 ff.; Wendler/Hoffmann Rn.  14 f.; 25. 346  Allg. Ansicht; vgl. nur Löwe/Rosenberg/Becker §  229 Rn.  1; Peters, Strafprozeß S.  522. 347  So auch AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

richt  Oldenburg indirekt vorgebracht, als die Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen die Terminierung damit begründet wurde, dass ein Antrag in der Hauptverhandlung aufgrund strengerer Bewertungsmaßstäbe nicht in gleicher Weise Erfolg haben könne wie ein Antrag vor der Hauptverhandlung.348 2.  Resümee Die Rechtsprechung basiert auf der These der Terminshoheit des Vorsitzenden und der Annahme, §  228 Abs.  2 StPO enthalte eine gesetzgeberische Wertung, welche sich auf alle Verfahrenslagen beziehe. Entsprechend wird in der Rechtsprechung nicht grundlegend zwischen verschiedenen Verfahrenssituationen unterschieden, sondern die Verfahrenslage nur als ein in das Ermessen einzubeziehender Aspekt betrachtet. Die Annahme der Terminshoheit ergibt sich jedoch nicht zwanglos aus dem Wortlaut des §  213 StPO und §  228 Abs.  2 StPO erfasst weder die Vertagung der Hauptverhandlung vor Beginn noch die Unterbrechung der Hauptverhandlung. Durch die Übertragung des §  228 Abs.  2 StPO auf andere Prozesssituationen ignoriert die Rechtsprechung weitgehend die Verfahrens- und Interessenlage. Dadurch beschränkt die Rechtsprechung die Rechte des Angeklagten aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO weit über den Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO hinaus. Zudem verstellt die mangelnde Unterscheidung zwischen den Normen den Blick auf eine normbezogene Auslegung des §  213 StPO und die im Rahmen der Terminierung bestehenden Interessen. Auch durch die indifferente Anwendung von §  228 Abs.  2 und §  265 Abs.  4 StPO wird eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Normen vermieden. Durch die Anwendung des §  265 Abs.  4 StPO in Fällen, in denen die Aussage des §  228 Abs.  2 StPO nicht angemessen erscheint, wird eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Wertung des §  228 Abs.  2 StPO umgangen und die Frage nach einer verfassungskonformen Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO nicht gestellt. Im Umkehrschluss bedarf eine Klärung der Rechtslage einer eingehenden Betrachtung der betroffenen Verfahrensmaxime und Verfassungsgarantien (3.  Kap.) und einer genaueren Auslegung der einfachgesetzlichen Normen (4.  Kap.  A.).

II.  Einbezogenen Belange Wie gerade referiert (S. 63 ff.) wird bei der flexiblen Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO missachtet, dass in den verschiedenen Prozesssituationen unterschiedliche Verfahrensbelange in unterschiedlicher Weise betroffen sind. Es 348 

LG Hamburg StV 1988, 195 (196); LG Oldenburg StV 1990, 299.

B.  Analyse der Rechtsprechung

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werden zwar in manchen Entscheidungen Verfahrensinteressen benannt, aber diese werden nicht hinsichtlich ihrer Relevanz in der jeweiligen Verfahrenslage konkretisiert. Auch bleibt die Betroffenheit und Bedeutung der jeweiligen Belange undeutlich. 1.  Recht auf Verteidigung Auch im Hinblick auf das jederzeitige Beistandsrecht des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO geht der mangelnde Normbezug mit der kaum vorhandenen Konkretisierung der einbezogenen Belange einher. Teilweise wird nicht einmal §  137 Abs.  1 S.  1 StPO genannt, sondern nur abstrakt das Recht auf Verteidigung. Zudem findet die Eigenschaft des Rechts auf formelle Verteidigung und den Verteidiger des Vertrauens als grundgesetzlich und in der EMRK geschütztes Recht (ausf. S. 91  ff.) in vielen Entscheidungen keine Erwähnung.349 Die fehlende Benennung lässt befürchten, dass die Gerichte bei ihrer Entscheidung dem Recht auf den Beistand des Wahlverteidigers keine ausreichende Bedeutung zumessen. Es finden sich auch keinerlei konkretisierende Ausführungen zur Bedeutung des Beistandsrechts in der Hauptverhandlung. Der von Ferner so prägnant zusammengefassten Tatsache, dass ein Verteidiger nur verteidigen könne, wenn er an der Verhandlung teilnehmen könne,350 wird in den Entscheidungen wenig Beachtung geschenkt. Ob die terminierenden Gerichte die Bedeutung und Voraussetzung von Verteidigungshandeln in der Hauptverhandlung bei ihren Entscheidungen zutreffend erfassen, scheint daher fraglich.351 2.  Dem Verteidigungsinteresse entgegenstehende Verfahrensbelange Nicht nur das Verteidigungsinteresse, auch andere einbezogene Aspekte und Verfahrensbelange werden kaum mehr als schlagwortartig genannt. Ihre konkrete Bedeutung oder die Gefährdung dieser Belange durch eine Terminverschiebung wird kaum ausgeführt. Wie referiert (S. 19) soll neben dem Recht auf Verteidigung und dem Beschleunigungsgebot ein Interesse an der Durchführung des Verfahrens grundlegend für die geltende Rechtslage sein. Dieses Interesse wird unterschiedlichen Subjekten zugeordnet und auch mit unterschiedlichen Adjektiven versehen. Es wird die Durchführung an sich, aber ebenso die zügige, beschleunigte und reibungslose Durchführung genannt. An einer solchen sollen der Staat, die Justiz, die Rechtspflege, der Rechtsstaat und 349  Bspw. BGH NStZ 1981, 231; 2006, 513; NStZ-RR 2006, 272; OLG Dresden NJW 2004, 3196; OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; vgl. Rzepka S.  121 f. 350  Ferner SVR 2006, 390 (390), Anm. zu OLG Karlsruhe VRS 110 (2006), 294; OLG Hamm SVR 2006, 388. 351  Krit. dazu Ferner aaO.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

– aus diesem abgeleitet – die Allgemeinheit ein zu beachtendes Interesse haben. Dieses jeweilige Interesse soll einem Interesse an der Anwesenheit des Verteidigers entgegenstehen. Dass die Bedeutung der grundsätzlichen Durchführbarkeit eines Strafverfahrens aus rechtsstaatlicher Sicht keiner weiteren Erläuterung bedarf, mag hinzunehmen sein. Jedoch wird in der Rechtsprechung weder dargelegt, inwiefern die Durchführbarkeit von Strafverfahren generell durch einen Anspruch auf die terminliche Teilnahmemöglichkeit des Wahlverteidigers verhindert würde, noch inwiefern die Durchführbarkeit des konkreten Verfahren gefährdet würde. Bei der zügigen Durchführung des Verfahrens stellt sich dies genau andersherum dar. Dass eine Verlegung, Unterbrechung oder Aussetzung grundsätzlich zu einer Verzögerung des Verfahrens führen kann, ist offensichtlich. Es fehlt in der Rechtsprechung aber zumeist an Darlegungen, welche Belange durch eine Verzögerung beeinträchtigt würden und ab welchem Umfang einer Verzögerung eine solche Gefährdung eintreten würde. Wenn dies ausnahmsweise in Ansätzen benannt wird, werden die vorgebrachten Annahmen, eine zügige Durchführung wäre aus Gründen der Wahrheitsermittlung oder der Strafzwecke bedeutend, nicht belegt (ausf. dazu S. 206  ff.). Besonders deutlich wird die Problematik bei dem erstaunlich häufig angeführten Interesse an „einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens“.352 Erstaunlich ist die Häufigkeit wegen des naheliegenden Gedankens an den sog. ‚schnellen Prozess‘. Zudem verwundert es, wie wenig erläuterungsbedürftig ein solch abstraktes Interesse aus Sicht der Gerichte zu sein scheint, obgleich doch der Begriff des Interesses zwangsläufig an ein Subjekt gebunden ist. Entsprechend wird in den Entscheidungen nicht mitgeteilt, wann dieses Interesse beeinträchtigt sei. Es drängt sich aber der Eindruck auf, gemeint sei ein Verfahren ohne als störend wahrgenommene Verteidigungsaktivitäten. Ebenso wie bei den fehlenden Ausführungen zur Bedeutung des Beistandsrechts und der Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung, steht auch hier der Eindruck im Raum, die fehlende Konkretisierung der einbezogenen Belange könnte einen Einfluss auf das Abwägungsergebnis haben. Bereits aus der wahllos erscheinenden Zuordnung der genannten Interessen als Interessen des Staates, der Justiz, der Rechtspflege, des Rechtsstaates oder der Allgemeinheit, ergibt sich, dass entweder unklar ist, welche Interessen aus welchen Gründen einbezogen werden oder dass solch gewichtige Begriffe wie ‚das Interesse des Rechtstaates‘ als Platzhalter genutzt werden. Hinter Schlagworten wie dem „Interesse der Justiz an einer reibungslosen Durchführung des Ver352  U. a. BayObLGSt 1994, 95 (96); MDR 1996, 955; St 2001, 101 (102); DAR 2001, 83 (83); KG NZV 2003, 433 (434); OLG Bamberg NJW 2006, 2341 (2342).

B.  Analyse der Rechtsprechung

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fahrens“ verschwimmt, dass auf der Gegenseite der Abwägungsschale vor allem der eigene Arbeitsaufwand des entscheidenden Vorsitzenden steht.353 Hassemer brachte dies in anderem Zusammenhang auf den Punkt, als er einforderte, die Rechtsprechung solle Probleme konkret benennen, statt sie in das ‚um einige Nummern zu große Kleid‘ der ‚Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege‘ zu stecken.354 Nicht nur die Interessen, die einem Anspruch des Angeklagten auf Verteidiger-Anwesenheit grundlegend entgegenstehen sollen, werden kaum näher dargelegt oder gar belegt. Auch inwiefern im Einzelfall das Interesse – beispielsweise an der zügigen Durchführung – betroffen ist, bleibt zumeist sehr vage. So finden sich kaum Entscheidungen, denen man entnehmen könnte, inwiefern dem Gericht eine Verlegung (nicht) möglich gewesen wäre und welchen Zeitraum eine Verzögerung umfasst hätte. Noch seltener setzen sich die Entscheidungen mit der Dauer der Verzögerung im Vergleich zur bisherigen Dauer des Verfahrens und auch den bisherigen ‚Liegezeiten‘ des Verfahrens auseinander.355 So lässt sich beispielsweise dem Sachverhalt einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz entnehmen, dass der Vorsitzende im Berufungsverfahren die Hauptverhandlung kurz nach Eingang der Akten auf ein drei Monate später liegendes Datum terminierte.356 Der kurz darauf gestellte Verlegungsantrag wurde – im Hinblick auf die zügige Durchführung des Verfahrens – abgelehnt. Auch die darauffolgende Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen.357 In den Gründen findet sich kein Hinweis auf die durch das Gericht erfolgte Verzögerung von drei Monaten. Angaben über die Möglichkeiten eines zeitnahen Ersatztermins der immerhin noch elf Wochen entfernten Verhandlung finden sich weder in den Sachverhaltsangaben noch in den Gründen. In negativer Weise auffällig ist auch der unterschiedliche Bewertungsmaßstab in Entscheidungen, die auf einer Rüge der Verteidigung zur Dauer des Verfahrens beruhen (bspw. bei Haftentscheidungen) und in Entscheidungen, bei denen die Abwesenheit des Verteidigers aufgrund der Terminierung gerügt wurde. Bei einem Vergleich der Entscheidungen ist zu resümieren, dass die Bewertung der Bedeutung des Beschleunigungsgebots oder der Gewährung der Teilnahme des Verteidigers des Vertrauens je nach ‚Zielrichtung‘ der Rüge der Verteidigung unterschiedlich auszufallen scheint – und dies jeweils zu Ungunsten der Verteidigungsrüge (vgl. S. 28  f.; 53 f.). Eine Auseinandersetzung Fischer NStZ 1997, 212 (214). Hassemer StV 1982, 275 (280). 355  Vgl. zu Entscheidungen mit Verweis auf Eilbedürftigkeit: Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (836). 356  OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 21. 357  OLG Koblenz aaO. 353 Vgl. 354 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

mit den unterschiedlichen Maßstäben ist den einzelnen Entscheidungen nicht zu entnehmen.

III.  Abwägung und Fürsorge 1.  Einfluss der mangelnden Konkretisierung der Interessenlage Dass sowohl die inhaltlichen Hintergründe der einbezogenen Belange als auch deren Wertigkeit undeutlich bleiben (vgl. II.),358 wirkt sich insbesondere deshalb aus, weil durch die mangelnde Gesetzesdogmatik und Normbezogenheit (vgl.  I.) dem Ermessen des Vorsitzenden eine gewichtige Bedeutung zufällt. Es liegt nach der Rechtsprechung nicht nur jegliche Entscheidung über Termin und Verlegung im Ermessen des Vorsitzenden bzw. des Gerichts, sondern in einer Vielzahl von Entscheidung wird auf eine Terminverlegung aus Fürsorgegründen verwiesen. In den Gesetzgebungsmaterialien kommt dies in der Einschätzung zum Ausdruck, ein ausdrückliches Recht des Angeklagten sei überflüssig, da es selbstverständlich sei, dass die Gerichte einem „billigen Verlagen“ des Angeklagten entsprechen würden.359 Diese Beurteilung ist unter anderem aufgrund der oben dargelegten Terminierungsentscheidungen (S. 55  ff.) so nicht haltbar. Auf genau ein solches Wohlwollen stellt auch der 1.  Senat des Bundesgerichtshofs ab, wenn er davon spricht dass „im Einzelfall“ auf die Verhinderung des Verteidigers „Rücksicht“ zu nehmen sei.360 Dieser Ansicht – sowohl des Gesetzgebers als auch des Bundesgerichtshofs – stehen die jeweils eigenen Ausführungen entgegen, nach denen es notwendig sei, dem richterlichen Ermessen Schranken zu setzen, um zu verhindern, dass das Gericht in dem Bestreben das Verfahren zügig durchzuführen es unterlässt, eigentlich sachgemäße Maßnahmen vorzunehmen.361 Die flexiblen Ergebnisse der Ansicht, dass Anträgen in „vernünftigem Rahmen“ entsprochen werden müsse, soweit keine „ausreichende[n] sachliche[n] Gründe“ entgegenstünden,362 führen zur Rechtsunsicherheit.363 Der Verweis auf ein pflichtgemäßes Ermessen ist nur aussagekräftig, wenn die ins Ermessen ein358 Ähnlich E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (369 f.); krit. auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  9. 359  Motive S.  159 f. 360  BGH NJW 1973, 1985 (1986). 361  Reichensperger in den Beratungen zu §  265 Abs.  3 StPO; in nachfolgender Abstimmung findet die Position eine Mehrheit, Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  880 [Original S.  405]; BGHSt 48, 183 (189), welcher auf die Beratungen der Kommission verweist. 362  OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25). 363  Vgl. auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. H. Rn.  8.

B.  Analyse der Rechtsprechung

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zubeziehenden Aspekte klar benannt und zudem in ihrer Bedeutung und Wertigkeit hinreichend bestimmt sind.364 Eine Ermessensausübung, die zu nachvollziehbaren und reproduzierbaren Ergebnissen führt, ist in der untersuchten Rechtsprechung schwer zu erkennen, weil die schon grundsätzlich flexible Methode der Abwägung mit der Vagheit der einbezogenen Belange kumuliert. 2.  Abwägung eigener Belange Die Belange der Strafrechtspflege sind Bestandteil des übergeordneten Entscheidungsmaßstabs (vgl. S. 20; 71  ff.) und werden – vor allem in Form der Terminplanung und Gesamtbelastung des Spruchkörpers – regelmäßig als konkrete Abwägungsaspekte aufgezählt (s. S. 20; 42  f.). Hinter diesen als objektive Interessen benannten Belangen, stehen (auch) die Interessen des Vorsitzenden, welcher angesichts des hohen Pensenschlüssels auf eine effektive Erledigung der Verfahren angewiesen ist.365 Eine Ermessensentscheidung, bei der eigene Interessen des Abwägenden im Raume stehen, ist mehr als bedenklich.366 Deutlich wird dies an Entscheidungen, denen vom Rechtsmittelgericht attestiert wird, eine Abwägung verschiedener Interessen sei nicht erkennbar oder an Entscheidungen, die als Ablehnungsgrund pauschal auf die Arbeitsbelastung des Spruchkörpers verweisen (s.  S. 56). 3.  Recht auf Verteidigung als Ermessensbestandteil Es stellt sich auch die grundsätzliche Frage, inwiefern das Recht auf Beistand durch einen Wahlverteidiger in der Hauptverhandlung einer Abwägung unterliegen kann. Diese Frage drängt sich vor allem bei einer genaueren Betrachtung des üblichen Abwägungsvorgangs auf: Ein grundlegender Ermessensaspekt in Verfahren ohne notwendige Verteidigung ist die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Durchführung der Hauptverhandlung ohne Verteidiger (vgl. S. 36 ff.). Die Zumutbarkeit der Selbstverteidigung wird anhand verschiedener Kriterien beurteilt (dazu krit. S. 81 ff.). Hat das Gericht festgestellt, dass die Selbstverteidigung unzumutbar ist, wird im Weiteren das Interesse des Angeklagten gegenüber anderen Belangen abgewogen.367 Anders gesagt: Eine durch das Gericht festgestellte Unzumutbarkeit der Verhandlung ohne Verteidiger 364 Vgl. E.  Müller in FS-Widmaier, S.  357 (369); Rzepka S.  229; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. B. Rn.  4 f. 365  Vgl. MAH/Nobis §  10 Rn.  15; Graalmann-Scheerer StV 2011, 696 (698) mit Bedenken zur gerichtlichen Fürsorge und Erledigungsdruck; Fischer NStZ 1997, 212 (214). 366  Vgl. zum Gericht als ‚Partei‘ Fischer StV 2010, 423 (426); zur Feststellung des ‚Missbrauchs‘: Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (31). 367  Vgl. hier nur BVerfG NJW 1984, 862 (863); KMR/Hiebl §  137 Rn.  36 mzN.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

führt nicht zu einer Verlegung der Verhandlung, sondern nur zu einer Abwägung der Verteidigungsinteressen mit anderen Belangen. So soll es unter anderem auch bei einem unerwartet – also unvorbereitet – unverteidigten Angeklagten auf die Abwägung der Interessen ankommen.368 Wie vom Oberlandesgericht  Köln festgestellt wurde, verbleibt jedoch kein Raum mehr für eine weitere Abwägung, wenn die Selbstverteidigung unzumutbar ist.369 Dies zeigt, dass durch die Methode der Abwägung Eingriffe in das Beistandsrecht legitimierbar werden, die das Recht auf Verteidigung grundlegend betreffen. Diese Feststellung korrespondiert mit der in anderen Arbeiten herausgearbeiteten Tendenz, durch die Abwägung Eingriffe in grundlegende Rechte oder Verfahrensgrundsätze zu ermöglichen.370 Dies führt zur Beschränkung von Beschuldigtenrechten, da Prinzipien wie Gerechtigkeit oder Rechtsfrieden den Beschuldigtenrechten gegenübergestellt und somit Interessen der Allgemeinheit mit Einzelinteressen abgewogen werden.371 So resümiert Rahlf, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Spannungsverhältnis zwischen Beschleunigung und freier Verteidigerwahl in Haftsachen das Recht auf freie Verteidigerwahl ins Leere laufen lassen würde, da die Abwägung eine reine Formsache bei vorher schon feststehendem Vorrang der Beschleunigung sei.372 Dies sei besonders deshalb bedenklich, da zu erwarten sei, dass sich die entsprechenden Leitsätze derart verselbstständigen würden, dass mit Verweis auf diese Leitsätze die Verteidigungsbelange auch dann übergangen würden, wenn keine ernstzunehmenden Terminierungsschwierigkeiten beständen.373 In Bezug auf die polizeiliche Vernehmung hat der 5.  Senat des Bundesgerichtshofs festgehalten, dass das Recht auf den Beistand eines Verteidigers so gewichtig sei, dass kein Raum mehr für eine Abwägung verbleibe, wenn dieses Recht verletzt wurde.374 Eine Abwägung sei zudem auch aus Gründen der Rechtssicherheit nicht opportun.375 Dieser Grundsatz, dass wesentliche Grundlagen des Rechts auf Verteidigung nicht der Abwägung unterliegen dürfen, muss gleichermaßen für die Verteidigung in der Hauptverhandlung gelten. Das Recht auf Verteidigung erscheint vor allem deswegen beeinträchtigt, da die Abwägung häufig zu seinen Ungunsten ausfällt. Aber selbst wenn dies nicht 368  U. a. OLG Düsseldorf GA 1979, 226; BayObLG NJW 1995, 3134; OLG Hamm NStZRR 1997, 179 (180); so auch SSW/Grube §  228 Rn.  22. 369  OLG Köln DAR 2005, 576. 370  Dazu Hassemer StV 1990, 328 (331); vgl. auch Köhler ZStW 107 (1995), 10 (16 ff.). 371  Hassemer KritV 1988, 336 (343); vgl. auch Lorenz GA 1992, 254 (278). 372  Rahlf in FS-Widmaier, S.  4 47 (468). 373  Rahlf aaO (471). 374  BGHSt 42, 15 (21 f.). 375  BGH aaO.

B.  Analyse der Rechtsprechung

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der Fall wäre, sondern, wie der historische Gesetzgeber erhoffte, es den Gerichten keine Schwierigkeiten bereiten würde, einem „billigen Verlagen“ des Angeklagten zu entsprechen,376 bliebe der deutliche Verweis auf die ‚Fürsorge‘ des Gerichts zu bedenklich. Denn eine ‚Fürsorgepflicht‘ des Gerichts kann genauso wenig einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch des Betroffenen ersetzen wie mildtätige Almosen einem Anspruch auf soziale Absicherung entsprechen. Rechtsstaatlichkeit beinhaltet durchsetzbare Rechte des Angeklagten und nicht eine Angewiesenheit des Angeklagten auf das Wohlwollen der staatlichen Stellen.377 Dies korrespondiert mit der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Recht auf formelle Verteidigung den Angeklagten in die Lage versetzen soll, die ihn schützenden Prozessvorschriften durchzusetzen – zu deren Einhaltung das Gericht völlig unabhängig vom Agieren der Verteidigung verpflichtet ist (ausf. dazu 2. Kap A.  IV.).378 Ob und wann dem Angeklagten nicht nur ein Wohlwollen, sondern ein Anspruch zusteht, ist daher von erheblichem Belang. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen, die in Betracht ziehen, dass es sich bei der Terminverlegung möglicherweise um ein ‚officium nobile‘ handele379 oder dass dem Angeklagten „das Recht auf Beistand durch einen Verteidiger auch außerhalb der notwendigen Verteidigung aus dem Grundsatz des rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens zustehen kann.“380 In einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft findet sich gar die Annahme, §  228 Abs.  2 StPO sei eine reine Ordnungsvorschrift, die die Rechte des Angeklagten nicht berühre.381

IV.  Abwägungskriterien Doch nicht nur der Vorgang der Abwägung an sich und die hinter der Abwägung stehenden, unzureichend konkretisierten Belange sind problematisch. Es ist auch zu hinterfragen inwiefern die regelmäßig in die Ermessensentscheidung einbezogenen Kriterien als sachgemäße Entscheidungsmaßstäbe überzeugen können.

376 

Motive S.  159 f. Gössel ZStW 94 (1982), 5 (24). 378  BVerfGE 38, 105 (111); 122, 248 (271 f.). 379  OLG Düsseldorf GA 1958, 54. 380  OLG Frankfurt/M StV 1998, 13, Hervorhebung nicht im Original. 381  Prozessdokumentation von Heldmann StV 1981, 82 (83). 377 Vgl.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

1.  Neutralisierende Aspekte Betrachtet man die Kriterien, anhand derer die Rechtsprechung das Interesse an der Anwesenheit des Verteidigers und das Interesse an der Beibehaltung des Termins gewichtet, fällt auf, dass viele Eigenschaften des konkreten Verfahrens zu einer höheren Gewichtung sowohl des Verteidigungsinteresses als auch des Termininteresses führen müssten – sich also letztlich gegenseitig neutralisieren und somit keinen Einfluss auf die Entscheidung haben können. Dennoch werden diese Belange regelmäßig einbezogen, ohne dass dieser Widerspruch thematisiert würde. So erhöhen sich die Schwierigkeit und der Aufwand einen Termin zu verlegen mit der Anzahl der geladenen Zeugen. Allerdings erhöht sich gleichermaßen die Bedeutung der Anwesenheit des Verteidigers, da ein umfangreicherer Verfahrensstoff zu bewältigen ist, zahlreiche Aussagen aufgenommen, bewertet, kritisch hinterfragt und verglichen werden müssen (vgl. S. 43). Das gleiche Dilemma tritt bei der Anzahl der Verhandlungstage auf. Ein Verfahren mit nur einem Verhandlungstag ist leichter zu terminieren und auch zu verlegen als ein Verfahren mit mehreren Verhandlungstagen. Jedoch spricht die Notwendigkeit mehrerer Verhandlungstage für eine umfangreiche Verhandlungsmaterie und/ oder eine schwierige Sach- und Rechtslage. Somit ist zugleich das Verteidigungsinteresse erhöht. In ähnlicher Weise verhält es sich mit Aspekten, die für eine besondere Bedeutung der Beschleunigung sprechen. So wird ein besonderes Interesse an der zügigen Durchführung in Verfahren gegen Jugendliche angenommen. Zugleich sind Jugendliche jedoch im Vergleich zu erwachsenen Angeklagten in ihrer Selbstverteidigungsfähigkeit eingeschränkt. Insbesondere in Verfahren mit vollzogener Untersuchungshaft wird die besondere Wichtigkeit des Beschleunigungsgebots betont und daher als dem Verteidigungsinteresse vorrangig betrachtet. Jedoch ist der inhaftierte Angeklagte grundsätzlich in der Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt (vgl. §  140 Abs.  1 Nr.  4 StPO) und hat zudem aufgrund der zu befürchtenden Haftstrafe ein erhöhtes Interesse an dem Ausgang des Verfahrens. Wenn – wie das Oberlandesgericht Hamm in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausführt – mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft der Freiheitsanspruch des Beschuldigten an Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse gewinnt,382 kann dies gerade nicht erklären, warum die Verteidigungsrechte in dieser Situation geschwächt werden dürfen. Gerade bei länger andauernder Untersuchungshaft – und einer zumeist korrespondierenden hohen Straferwartung – muss der Angeklagte optimale Verteidigungsbedingungen erwarten dürfen. 382 

OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2790).

B.  Analyse der Rechtsprechung

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2.  Terminauslastung des Gerichts Ein regelmäßig einbezogener Aspekt ist die Terminauslastung des Gerichts. Dieser Ermessensaspekt ist bereits deshalb bedenklich, da es sich um einen Belang des Abwägenden handelt und zudem in einer Vielzahl von Entscheidungen eine Terminüberlastung pauschal behauptet wird statt darzulegen, warum Alternativterminierungen nicht möglich sind (vgl. S. 75). Zudem macht der Einbezug der allgemeinen Terminslage des Spruchkörpers und/oder des Gerichts in die Ermessensentscheidung über einen Terminsantrag die Verwirklichung eines dem Angeklagten zustehenden Rechts von einem Faktor abhängig, der sowohl außerhalb der Einflusssphäre des Angeklagten liegt als auch vom konkreten Verfahren unabhängig ist. Die Gültigkeit einer Rechtsposition kann jedoch schwerlich von der aktuellen Ausstattung der Gerichte abhängen.383 Dies widerspricht dem Wesen eines Beschuldigtenrechts und stellt die Wirksamkeit des Rechts in das Ermessen des Haushaltsgebers. Der Staat könnte durch die finanzielle Ausstattung der Gerichte beliebig über Verteidigungsrechte disponieren. Darüber hinaus ist die Bedeutung der terminlichen Überlastung als Ermessensaspekt aus zwei Gründen fraglich: Zum einen müsste genauer untersucht werden, inwiefern eine terminliche Überlastung tatsächlich in dem Umfang vorliegt, wie es nach der Häufigkeit der Entscheidungen in denen die Überlastung ein gewichtiges Entscheidungskriterium ist, den Anschein macht (ausf. S. 195  ff.). An den Oberlandesgerichten werden zahlreiche Zweifel über die Ausschöpfung der terminlichen Möglichkeiten geäußert.384 Auch in der Literatur wird angenommen, dass sich vorgeblich unüberwindbare Terminschwierigkeiten oftmals nur als fehlende Flexibilität der Gerichte herausstellen.385 Zum zweiten stellt unabhängig von der tatsächlichen Termindichte eine Verlegung oder vorherige Terminabsprache zwar einen Arbeitsaufwand für die Gerichte dar, aber erhöht keinesfalls die Termindichte. Die Terminbelastung ist nur in Fällen kurzfristiger Verlegungen beachtenswert, wenn der Termin aufgrund der Kurzfristigkeit nicht mehr anderweitig belegt werden kann. So führte 383  Krit. dazu auch OLG Braunschweig StV 2012, 721 (insoweit nicht abgedr.); vgl. auch BVerfGE 36, 264 (272 ff.); NJW 2006, 668 (671); StV 2015, 39 (41 f.). 384  Vgl. OLG Hamm GA 1977, 310 (312); OLG München NStZ 1994, 451; OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); 11 (12); OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); BayObLG DAR 2001, 83; KG NZV 2003, 433 (434); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); OLG Hamm BeckRS 2009, 23760; OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Hamm BeckRS 2011, 00781; OLG Celle NJW 2012, 246 (247). 385  Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639); vgl. auch Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10.

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

auch das Landgericht Berlin in der Aufhebung einer ablehnenden Entscheidung aus, die Verlegung möge für das Gericht „ungünstig“ sein, aber eine bloße ‚Störung im Betriebsablauf‘ oder ein Arbeitsaufwand zur Umladung sei keine Einschränkung, die auf derselben Ebene wie die Abwesenheit des Verteidigers rangiere.386 3. Verschulden Soweit auf ein Verschulden des Verteidigers an der Verhinderung oder auf das Verteidiger-Verhalten in Bezug auf den Zeitpunkt und die Ausführlichkeit des Terminantrags abgestellt wird, übergeht die Rechtsprechung, dass es sich um ein Recht des Angeklagten zum Schutz des Angeklagten handelt. Die Rechtsprechung rechnet dem Angeklagten das Verteidigerverhalten über die Verantwortung für die Auswahl des Verteidigers zu.387 Eine Begründung für diese Zurechnung findet sich in der Rechtsprechung nicht. Sie wäre aber notwendig, denn im Unterschied zum Zivilprozess (§  85 ZPO) kann im Strafprozess dem Angeklagten das Handeln des Verteidigers, insbesondere ein Verschulden des Verteidigers, grundsätzlich nicht zugerechnet werden.388 Sofern in der Rechtsprechung begründet wird, warum die Verteidiger-Abwesenheit in der Verantwortungssphäre des Angeklagten liegt, wird auf die Verantwortung für die (rechtzeitige) Auswahl eines Verteidigers verwiesen (vgl. S. 17 f.). Das Ausbleiben oder die Verhinderung des Verteidigers letztlich auf die eigenverantwortliche Auswahlentscheidung des Angeklagten zurückzuführen und ihm somit die Verantwortung für die Situation zuzuschreiben, kann aber nur in wenigen Fallkonstellationen überzeugen. Nur wenn schon zum Zeitpunkt der Auswahl eine Verhinderung oder Terminkollision bestand oder zumindest konkret zu erwarten war, die Wahl also im Wissen um die Verhinderung erfolgt, kann eine Verantwortung des Angeklagten für die Verhinderung vorliegen.389 In allen anderen Fällen hatte der Angeklagte keine Möglichkeit die Verhinderung durch eigenes sorgfältiges Handeln zu vermeiden. 4.  Besonderes Interesse am konkreten Verteidiger Doch auch in dem Fall der Wahl trotz Wissens um die Verhinderung kann ein legitimes, zu schützendes Interesse an der Auswahl bestehen. Neben dem Recht 386 

LG Berlin StV 2012, 145 (145). Krit. dazu Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10; SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36. 388  U. a. BVerfG NJW 1991, 351; RGSt 40, 118 (119); BGHSt 25, 89 (92); Meyer-Goßner/ Schmitt §  44 Rn.  18 mwN. 389  So auch SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36. 387 

B.  Analyse der Rechtsprechung

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auf Beistand durch einen Verteidiger besteht ein Recht auf die freie Wahl des Verteidigers und zugleich auf den Verteidiger des Vertrauens (ausf. 2. Kap. B.). Nach der Rechtsprechung kann es neben der Un-/Zumutbarkeit der Selbstverteidigung auch auf das Bestehen eines besonderen Interesses an dem konkreten Verteidiger ankommen. Dabei wird übergangen, dass §  137 Abs.  1 S.  1 StPO eben jenes Interesse an einem konkreten Verteidiger als Recht zuspricht. Soweit ein besonders dargelegtes Vertrauensverhältnis oder eine besonders intensive Einarbeitung in den Fall zur Voraussetzung der Beachtung der Terminbelange dieses Verteidigers gemacht wird, relativiert dies den Anspruch auf das Bestimmungsrecht darüber, wer der Verteidiger der Wahl und des Vertrauens ist. Das Recht auf die subjektive Auswahl des Verteidigers müsste bei der Beurteilung der Wahl eines verhinderten Verteidigers einbezogen werden, und auch bei der Beurteilung der Möglichkeit, einer eingetretenen Verhinderung durch einen Wechsel des Verteidigers zu begegnen. Des Weiteren lassen die meisten Entscheidungen Ausführungen dazu vermissen, ob ein Wechsel über den Eingriff in das Wahlrecht hinaus die Verteidigung beeinträchtigen würde und inwiefern dem Angeklagten die neue Beauftragung eines Verteidigers finanziell zumutbar ist. 5.  Zumutbarkeit der Verteidigerabwesenheit Auch ohne formelle Verteidigung stehen dem Angeklagten die materiellen Verteidigungsrechte der StPO zu. Die Ausübung dieser Rechte obliegt in diesem Falle allein dem Angeklagten. Die Rechtsprechung differenziert zwischen Verfahrenssituationen, in denen eine solche Selbstverteidigung zumutbar ist und solchen, in denen sie unzumutbar ist (S. 36  ff.). Ist eine Selbstverteidigung zumutbar, soll die Anwesenheit des Verteidigers erlässlich sein. Es lässt sich jedoch in der Rechtsprechung weder eine Definition noch eine Umschreibung der ‚Zumutbarkeit‘ einer Selbstverteidigung finden. Legt man allein die Kriterien zu Grunde, die die Rechtsprechung zur Abgrenzung anwendet, ergeben sich zahlreiche Widersprüche. a)  Verhältnis zu §  140 StPO (1)  Nähe zu §  140 Abs.  2 StPO Die Kriterien der Schwierigkeit des Sach- und Rechtslage und der zu erwartenden Folgen einer Verurteilung (s. S. 37  ff.) entsprechen den Kriterien zur Beurteilung der Notwendigkeit der Verteidigung nach §  140 Abs.  2 StPO. Weitere Kriterien des §  140 Abs.  2 StPO werden zwar nicht regelmäßig, aber in einzelnen Entscheidungen genannt; so die eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstvertei-

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

digung oder die fehlende Waffengleichheit aufgrund anwaltlich vertretender Nebenklage.390 Diese parallele Nutzung gleichlautender Kriterien für zwei verschiedene Entscheidungen wird von der Rechtsprechung nicht begründet. Es ist – bis auf seltene Ausnahmen – nicht einmal ersichtlich, ob die Gerichte die doppelte Nutzung der Kriterien bewusst wahrnehmen.391 Entsprechend wurde auch kein Maßstab entwickelt, um die Kriterien für die verschiedenen Anwendungsbereiche differenziert auszulegen. In manchen Entscheidungen wird zwar erwähnt, dass das Beistandsrecht aus §  137 Abs.  S.  1 StPO neben der Regelung des §  140 StPO besteht.392 Dennoch bleibt angesichts der Nutzung gleichlautender Entscheidungsmaßstäbe zu befürchten, dass mit der Entscheidung über das Nichtvorliegen des §  140 Abs.  2 StPO zugleich über die Zumutbarkeit der Selbstverteidigung iS des §  213 StPO, §  228 Abs.  2 StPO und §  265 Abs.  4 StPO entschieden wird.393 Sollte diese Befürchtung zutreffen, verbliebe im Rahmen der Terminentscheidungen kein Raum für das Recht auf Beistand aus §  137 Abs.  S.  1 StPO: Entweder eine Verteidigung ist notwendig iS des §  140 Abs.  2 StPO oder sie ist nicht nur nicht notwendig, sondern trotz §  137 Abs.  1 S.  1 StPO entbehrlich, da eine Selbstverteidigung möglich ist.394 Anhaltspunkte für diese Befürchtung lassen sich der veröffentlichten Rechtsprechung entnehmen. Teilweise wird in den ablehnenden Entscheidungen festgehalten, dass kein Fall der notwendigen Verteidigung bestehe.395 Ebenso wird in einer stattgebenden Entscheidung betont, dass die Anwesenheit eines Verteidigers geboten sei.396 Die Bedeutung dieser Feststellung für das Beistandsrecht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO wird jeweils nicht erläutert. Deutlicher wird das Landgericht Kassel, welches ausführt, die Tatsache, dass der Angeklagte sich ersichtlich selbst verteidigen könne, ergäbe sich aus dem Fehlen von Anhaltspunkte für eine notwendige Verteidigung gem. §  140 Abs.  2 StPO.397 Eine vergleichbare Entscheidung veranlasste das Landgericht Hamburg zu der Anmerkung, angesichts des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO sei der Hinweis, dass keine notwen390 

OLG Braunschweig StraFo 2004, 242. Krit. LG Hamburg StV 1988, 195 (196); Nähe zum Vorliegen des §  140 Abs.  2 StPO wird angesprochen von: OLG Hamm GA 1977, 310 (312); NStZ-RR 2001, 107 (109); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157). 392  BayObLGSt 2001, 101 (102); OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; OLG Köln DAR 2005, 576 (576); LG Berlin StV 2003, 441 (441). 393 Vgl. Malek Rn.  45. 394  Krit. dazu HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21; Weider StV 1983, 270 (272); vgl. auch Schmidt-Leichner NJW 1965, 2164. 395  OLG Frankfurt NStZ-RR 2014, 250 (251); vgl. auch BayObLGSt 1994, 95 (95); OLG Hamm NJW 2006, 2199 (2200); LG Oldenburg StV 1990, 299. 396  LG Verden StV 1996, 255. 397  LG Kassel abgedr. in Heldmann StV 1981, 82 (82). 391 

B.  Analyse der Rechtsprechung

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dige Verteidigung vorliege, in einer ablehnenden Terminentscheidung „sachfremd“.398 Bereits im Jahr 1964 stellte das Oberlandesgericht Celle fest, das Recht aus §  137 Abs.  1 StPO habe „nicht das mindeste“ mit der Notwendigkeit der Verteidigung nach §  140 StPO zu tun und es komme daher für die Entscheidung über eine Aussetzung nach §  265 Abs.  4 StPO keinesfalls auf das Vorliegen einer notwendigen Verteidigung an.399 (2)  Notwendige Verteidigung – Nicht-notwendige Verteidigung – Entbehrliche Verteidigung? Das Oberlandesgericht Celle schloss sich damit dem Oberlandesgericht Oldenburg an, welches 1957 festgestellt hatte, dass es entgegen der Annahme des erkennenden Gerichts für die Aussetzung nach §  265 Abs.  4 StPO nicht auf die Selbstverteidigungsfähigkeit ankommen könne, da dies eine übermäßige Beschränkung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO verursachen würde.400 Wie in dieser Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg angedeutet wird, ist nicht nur die inhaltliche Parallele zu den Kriterien des §  140 Abs.  2 StPO bedenklich, sondern schon die Tatsache, dass im Bereich der nicht-notwendigen Verteidigung erneut eine Differenzierung der Relevanz der Verteidigung seitens des Gerichts vorgenommen wird. Bereits die Generalklausel des §  140 Abs.  2 StPO erfasst nur Verfahren, in denen wegen des Vorwurfs eines Vergehens vor dem Amtsgericht verhandelt wird bzw. in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht (vgl. §  140 Abs.  1 StPO). Nur in diesen Verfahren muss das Gericht gem. §  140 Abs.  2 StPO entscheiden, ob die Verteidigung wegen der Schwere der Tat, der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, der eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten oder wegen einer Kombination dieser Kriterien notwendig ist.401 Ist nach Ansicht des Gerichts keines dieser Kriterien erfüllt, ist die Verteidigung formell nicht notwendig, aber dennoch nach §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ein grundlegendes Recht des Angeklagten. In diesem Bereich – keine notwendige Verteidigung nach §  140 Abs.  1 StPO und keine Schwere der Tat, Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit iS des §  140 Abs.  2 StPO – soll das Gericht nun in einer dritten Stufe erneut über die Bedeutung der Verteidigung in dem Verfahren entscheiden, und dies zudem anhand derselben Kriterien. 398 

LG Hamburg StV 1988, 195 (198); vgl. auch OLG Braunschweig StraFo 2004, 242. OLG Celle NdsRpfl 1964, 234 (235); im Anschluss OLG Celle NJW 1965, 2264. 400  OLG Oldenburg NdsRpfl 1957, 38. 401  Vgl. zur daraus folgenden Auslegung des §  140 Abs.  2 StPO u. a. M. Hahn S.  13; Kortz S.  78. 399 

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Es besteht also aufgrund der Differenzierung des Gerichts in zumutbare und unzumutbare Selbstverteidigung, aber auch aufgrund der Nutzung der Kriterien des §  140 Abs.  2 StPO im Bereich des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, ein deutliches Abgrenzungsproblem zum Komplex der notwendigen Verteidigung. b) Differenzierungskriterien Neben der allzu offensichtlichen Nähe zu §  140 Abs.  2 StPO können die Kriterien, anhand derer die Unzumutbarkeit festgestellt werden soll, bei genauer Betrachtung inhaltlich kaum überzeugen. (1)  Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage Bereits die Annahme, der Vorsitzende könne eine Einschätzung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und in Folge der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung aus der Angeklagtenperspektive vornehmen, ist bedenklich. In einer rechtspsychologischen Studie wurde festgestellt, dass die befragten Richter und Staatsanwälte das unzureichende Wissen von Zeugen über den genauen Ablauf des Verfahrens und speziell der Vernehmungssituation als wenig belastend für die Betroffenen einschätzten.402 In der zugleich vorgenommenen Befragung von Zeugen wurde das Gegenteil festgestellt.403 Dies zeigt, dass viele Juristen kaum eine Vorstellung von der Perspektive und den Belastungen der beteiligten Laien haben. Schon aufgrund dieser nur sehr eingeschränkten Möglichkeit der Perspektivübernahme kann die Einteilung in schwierige und einfach gelagerte Fälle durch den Vorsitzenden nicht überzeugen. Zudem ist zu fragen, in welchen Fällen ein Verfahren aus Sicht eines Laien prozess- und/oder materiell-rechtlich nicht kompliziert ist. Bei der Einordnung einer Sach- und Rechtslage als schwierig iS der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung ist auch zu beachten, dass es um eine Sach- und Rechtslage geht, die nicht so kompliziert ist, dass eine notwendige Verteidigung nach §  140 Abs.  2 StPO vorliegt (vgl. S. 83). Ein gängiges Kriterium zur Annahme der Schwierigkeit der Sache stellt beispielsweise das Bestreiten der Tat dar. Aber auch bzw. gerade beim Zugestehen der Tathandlung kann es bei der Bewertung der Tat auf juristische Feinheiten ankommen, so dass der Angeklagte darauf angewiesen sein kann, dass ein Rechtskundiger die aus Verteidigungssicht günstigen Details hervorhebt. Dies kann sowohl die Subsumtion als auch die Strafzumessung betreffen.404 Busse/Volbert/Steller S.  21. Busse/Volbert/Steller aaO. 404 Vgl. Weider StV 1983, 270 (272). 402  403 

B.  Analyse der Rechtsprechung

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Dazu kommt, dass die Sach- und Rechtslage zu Beginn der Verhandlung nicht immer umfassend beurteilt werden kann. Wichtige Einschätzungsbestandteile könnten sich erst im Laufe der Verhandlung oder ausschließlich aus dem Verteidigungswissen ergeben. Selbst die Einschätzung des Angeklagten, er überblicke die rechtliche Lage, dürfte nicht durchweg zutreffen.405 (2)  Schwere des Falles Ein weiteres Kriterium ist die Schwere des Falles, welche an den zu erwarteten Folgen einer Verurteilung bemessen wird (S. 38  f.). Hier ergeben sich ähnliche Probleme wie bei einer Differenzierung nach der Schwierigkeit der Sachund Rechtslage. Zum einen kann die Sichtweise des Angeklagten auf die Bedeutung des Falles ganz erheblich von einer objektiven Einschätzung abweichen. Der eigene Fall ist schon deshalb bedeutsam, weil es der eigene ist – unabhängig von der Schwere der Folgen. Zum anderen ist die Schwere der Folgen objektiv nur unzureichend zu bestimmen; vielmehr kommt es auf die konkreten Lebensumstände und deren Wahrnehmung durch den Angeklagten an (vgl. auch S. 109  f.).406 Neben den unterschiedlichen Perspektiven ist die gerichtliche Einschätzung der Schwere möglicher Folgen schon deswegen erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt, weil dies teilweise eine Urteilsantizipation und/oder die Kenntnis von Verteidigungswissen voraussetzt.407 Neben diesen Beurteilungsproblemen stellt sich die Frage, ob nicht jede gerichtliche Hauptverhandlung, bei der mit hinreichender Sicherheit (vgl. §  203 StPO) zu erwarten ist, dass der Angeklagte wegen der Begehung einer Straftat schuldig gesprochen und zu einer Kriminalstrafe verurteilt wird, von einer solchen Bedeutung ist, dass eine Selbstverteidigung unzumutbar ist. Immerhin stellt das Strafrecht in den gesellschaftlichen Bemühungen, unerwünschtes und schädigendes Verhalten zu verhindern und auf solches zu reagieren, die ultima ratio dar. Dieser Gedanke verstärkt sich bei einem Blick auf die Anwendung der etablierten Kriterien zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung in Ordnungswidrigkeitenverfahren. Eine Erheblichkeit der Folge kann nach der Rechtsprechung unter anderem in der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots bestehen.408 Wenn jedoch bereits die Verhängung eines Fahrverbots im Rahmen eines Ordnungswidrigkeiten-Verfahrens eine Schwere der Tat indiSo auch M. Hahn S.  107; Tings SVR 2008, 387. Dazu insb. Weider StV 1983, 270 (270); vgl. auch Kortz S.  80; Schellenberg S.  5. 407  HK-StPO/Julius §  140 Rn.  13; Diercks AnwBl 1999, 311 (313); Eisenberg NJW 1991, 1257 (Fn.  57); Molketin AnwBl 1980, 442 (444); Schellenberg S.  5; Weider StV 1983, 270 (272). 408  OLG Braunschweig StRR 2009, 432; OLG Hamm SVR 2008, 387 (Rn.  16), insoweit nicht abgedr.; zwei Monate Fahrverbot: OLG Hamm BeckRS 2009, 23760; OLG Hamm VRS 405 

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ziert, muss konsequenterweise in jedem Strafverfahren die Selbstverteidigung unzumutbar sein – steht hier doch die Verhängung einer Kriminalstrafe im Raum und zudem die Möglichkeit einer Vorstrafe iS des §  53 BZRG. (3)  Person des Angeklagten Die Unzumutbarkeit kann sich nach der Rechtsprechung auch aus Gründen ergeben, die in der Person des Angeklagten liegen (S. 39). Im Umkehrschluss soll die Selbstverteidigung für einen durchschnittlichen Angeklagten somit zumutbar sein. Ausführungen dazu, inwiefern der durchschnittliche Angeklagte sich tatsächlich selber sachgemäß verteidigen kann, finden sich jedoch nirgends. Die Einschätzung vieler Juristen geht im Gegenteil dahin, dass die überwiegende Anzahl der Angeklagten nicht über die nötigen Kompetenzen und Fähigkeiten für ein sachgemäßes, zielführendes Verteidigungshandeln verfügt (ausf. 2. Kap. A. II.).409 Es fehlt nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Kompetenz des durchschnittlichen Angeklagten, sondern auch mit der Frage, ob Einschränkungen, die sich unabhängig von den Fähigkeiten durch die Verfahrensrolle ergeben, eine sachgemäße Selbstverteidigung zulassen (dazu 2. Kap. A. II. 4.). c)  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung als Entscheidungsmaßstab Es bestehen also sowohl aufgrund der Nähe zu §  140 Abs.  2 StPO als auch aufgrund der genutzten Kriterien erhebliche Bedenken, ob eine gerichtliche Beurteilung der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung möglich ist. In einer der wenigen Beiträge, die sich mit der Rechtsprechung zur Terminierung kritisch auseinandersetzen, kommt Weider aus den in diesem Abschnitt dargelegten Gründen zu dem Schluss, dass die Zumutbarkeit der Situation keinesfalls an objektiven Kriterien festgemacht werden kann, sondern allein auf die subjektive Sicht des Angeklagten abzustellen sei.410 Der Angeklagte habe jedoch bereits durch die Beauftragung eines Verteidigers deutlich gemacht, dass er sich nicht in der Lage sieht, sich ohne Verteidiger sachgerecht zu verteidigen. Die Beauftragung gebe dem Angeklagten die Sicherheit, einen rechtlich versierten Beistand zu haben, 47 (1974), 358 (359); LG Darmstadt NZV 2006, 442 (443); Fahrverbot ohne zeitliche Einordnung: OLG Hamm BeckRS 2011, 00781; weiter: LG München II NJW 1995, 1439. 409  U. a. Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103 (strukturelles Autonomiedefizit); Eb. Schmidt II Vor §  137 Rn.  4; Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Dahs Rn.  9, 16, 550; Dürkop in Holtfort, S.  152 (154); Gaede StV 2012, 51 (58); Hammerstein JR 1985, 140 (142); Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (839); v. Hippel (1941) S.  294; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (142); Klemke/Elbs Rn.  466; Kühne Rn.  264.1; Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1232); Müller-Meinigen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (54); Rissel S.  89; Rueber jurisPR-VerkR 19/2009 Anm.  6; Schrepfer S.  118; Vogtherr S.  34; Weider StV 1983, 270 (270, 272). 410  Weider StV 1983, 270 (272).

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der in der Lage sei, zu seinen Gunsten zu intervenieren.411 Diese empfundene Sicherheit müsse der Angeklagte im Falle des Ausbleibens des Verteidigers zu Gunsten des dann umso stärker eintretenden Gefühls der Hilflosigkeit gegenüber der fremden und feindlichen Institution mit unbekannten Interaktionsmechanismen aufgeben. Allein aus dieser emotionalen Lage heraus entstehe eine faktische Unfähigkeit der sachgerechten Selbstverteidigung.412 Über die Bedenken gegen eine gerichtliche Feststellung der Zumutbarkeit und gegen die dabei zugrunde gelegten Kriterien hinaus, stellt sich die Frage, ob eine solche Differenzierung legitimierbar ist. Die StPO gewährt Beschuldigtenrechte für alle Beschuldigten gleichermaßen und enthält keinerlei Ansatz, voraussetzungslos gewährte Verteidigungsmöglichkeiten in einfachen Fällen zu dezimieren.413 Eine Einschränkung des Verteidigungsrechts zu Gunsten eines objektiven Interesses an der zügigen Durchführung ist bei wenig gravierenden Fällen kaum zu begründen. Worin sollte das bedeutende Interesse an einer zügigen Erledigung bestehen, wenn dem Fall keine erhebliche Bedeutung zukommt? Ähnliche Bedenken treffen auch Fälle, die nach Ansicht der Rechtsprechung keine relevanten Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage aufweisen. Diese Fälle dürften in kurzer Zeit zu erledigen sein. Inwiefern kann also eine Verlegung des vermutlich kurzen Termins Schwierigkeiten bereiten und warum sollte solch ein Fall bis zur Hauptverhandlung einen so langen Zeitraum in Anspruch genommen haben, dass zum Zeitpunkt des Hauptverfahrens eine insgesamt zügige Erledigung gefährdet ist? Nach der Bedeutung des Falles kann die Relevanz der Anwesenheit des Wahlverteidigers also keinesfalls bemessen werden. Entweder der Fall ist von Bedeutung – dann ist es auch die Anwesenheit des Verteidigers. Oder der Fall ist objektiv gesehen von geringer Wichtigkeit – dann ist nicht ersichtlich, warum unbedingt am Termin festgehalten werden müsste.414 Sollte solch ein Fall bereits lange Zeit angedauert haben, ist kaum zu begründen, warum die Allgemeinheit ein erhebliches Interesse an der unbedingten Vermeidung einer weiteren Verzögerung haben sollte.415

V. Fazit Neben der kaum normbezogenen Entscheidungsfindung und vor allem dem Einbezug des §  228 Abs.  2 StPO, weit über den Anwendungsbereich des Paragraphen hinaus, ist vor allem die mangelnde Klarheit der betroffenen VerfahrensWeider aaO. Weider aaO. 413 Vgl. Ferner SVR 2006, 390 (391); Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (832). 414  Vgl. OLG Bamberg StraFo 2011, 232; LG München II NJW 1995, 1439. 415  Vgl. LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 411 

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1. Kapitel:  Die ständige Rechtsprechung

belange und ihrer Wertigkeit zu bemängeln. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten werden erheblich eingeschränkt ohne dezidiert zu klären, inwiefern durch die Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers andere gleichwertige Belange beeinträchtigt wären. Sowohl die fehlende Konkretisierung der abzuwägenden Belange als auch die Eigeninteressen der Strafverfahrenspflege und der in ihr tätigen Personen lassen den Verweis auf die gerichtliche Rücksichtnahme zu Gunsten des ‚billigen Verlangens‘ des Angeklagten bedenklich erscheinen. Diese fehlende Auseinandersetzung mit den Verfahrensbelangen spiegelt sich auch in den konkreten Abwägungsgesichtspunkten wider, die zumindest teilweise inhaltlich bedenklich sind und organisatorische Fragen in ein Verhältnis zu grundlegenden Beschuldigtenrechten setzen. Zu prüfen ist also im Folgenden, inwiefern die von der Rechtsprechung genannten Belange überhaupt von der Terminierung betroffen sind und ob ihre Beachtung die Einschränkung des Verteidigungsrechts legitimieren kann. Erst wenn die Interessenlage genauer untersucht wurde, kann festgestellt werden, inwiefern diese mit den bestehenden Normen zu vereinbaren ist und ob die Paragraphen einer entsprechenden Auslegung zugänglich sind.

2. Kapitel

Recht auf Verteidigung Um zu prüfen, ob die Einschränkungen des Beistandsrechts im Kontext von Terminierung, Vertagung, Unterbrechung und Aussetzung sachgemäß und verfassungskonform sind, müssen Inhalt und Bedeutung des Beistandsrechts im Hinblick auf die Teilnahme des Verteidigers an der Hauptverhandlung konkretisiert werden. Ausgangslage der Untersuchung des Rechts auf Verteidigung ist die These der Rechtsprechung, die Beachtung des Rechts auf formelle Verteidigung hänge von der Unzumutbarkeit einer Verhandlung ohne Teilnahme des Verteidigers ab und die Differenzierung zwischen Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit könne durch den Vorsitzenden oder das Gericht getroffen werden. Will man eine Differenzierung der Bedeutsamkeit der formellen Verteidigung vornehmen und diese Differenzierung sachlich begründen, muss man auf den Zweck der formellen Verteidigung Bezug nehmen. Alle Aufgaben des Verteidigers müssten vollständig von dem Angeklagten übernommen werden können, damit ein Ausfall der formellen Verteidigung nicht gleichbedeutend mit einer Einschränkung der materiellen Verteidigung ist. Daher kann es für die Begutachtung der Rechtslage nicht nur auf die einfachgesetzliche Normierung des Verteidigungsrechts ankommen. Erheblich ist die Untersuchung der tatsächlichen Selbstverteidigungsmöglichkeit. Des Weiteren ist zu fragen, inwiefern der Verhinderung des Verteidigers alternativ zur Selbstverteidigung durch die Beauftragung eines anderen Verteidigers adäquat begegnet werden kann und ob der Angeklagte auf diese Möglichkeit verwiesen werden darf.

A.  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung I.  Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO Ausgangspunkt der Untersuchung der Weite des Rechts auf formelle Verteidigung muss §  137 Abs.  1 S.  1 StPO sein, der genau dieses Recht normiert. Daher wird zunächst §  137 Abs.  1 S.  1 StPO hinsichtlich seiner Bedeutung für den Termin der Hauptverhandlung ausgelegt. Zu klären ist nicht, ob dem Angeklagten ein theoretisches Recht auf die Teilnahme des gewählten Verteidigers zu-

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

steht – denn dies ist unzweifelhaft der Fall –, sondern inwiefern ein Recht auf die praktische Durchsetzung der theoretischen Möglichkeit besteht. Daher liegt der Fokus nicht auf dem Anwesenheitsrecht als solches, sondern auf dessen Einschränkbarkeit durch Gesetz und Strafverfolgungsbehörden, oder andersherum: auf dessen tatsächlicher Durchsetzbarkeit seitens der Verteidigung. 1. Wortlaut Der Wortlaut des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist denkbar klar: „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen.“ Dass die Formulierung ‚in jeder Lage‘ die gesamte Hauptverhandlung umfasst, ist offenkundig und allgemein anerkannt. Eine Beschränkung des Beistandsrechts ist dem Wortlaut des §  137 StPO jenseits der Anzahl der Verteidiger (Abs.  1 S.  2) nicht zu entnehmen. Dass die Beistandsleistung in der Hauptverhandlung Anwesenheit voraussetzt, ist – anders als bei der polizeilichen Vernehmung – nie in Frage gestellt worden. Bei der polizeilichen Vernehmung wird teilweise vertreten, die vorherige rechtliche Beratung sei als jederzeitiger Beistand anzusehen.1 Das Wort ‚Beistand‘ reicht jedoch über die rechtliche Beratung hinaus. ‚Beistand‘ verweist auf parteiisches ‚Zur-Seite-Stehen‘. Jemandem beizustehen ist eine aktive Handlung und setzt somit die Anwesenheit voraus. Gerade die formelle Verteidigung in der Hauptverhandlung umfasst nicht nur Rechtsrat, sondern vielmehr die aktive Durchsetzung der Beschuldigtenrechte und beinhaltet dadurch auch psychologischen Beistand, der ebenfalls nur in Anwesenheit erfüllt werden kann (ausf. II. und III.).2 Nicht so offenkundig aus dem Wortlaut ergibt sich das nach allgemeiner Ansicht ebenfalls in §  137 Abs.  1 S.  1 StPO verankerte Recht auf die freie Wahl des Verteidigers. Dieses Recht kann aus dem Begriff ‚sich bedienen‘ abgeleitet werden.3 Diese Formulierung gibt eine aktive Handlung des Beschuldigten vor, welche u. a. in der Auswahl des Verteidigers durch den Beschuldigten besteht. Die Möglichkeit und auch die Zeit einen Verteidiger auszuwählen ist eine zwingende Voraussetzung der Verwirklichung des Rechts auf Verteidiger-Beistand und daher im §  137 Abs.  1 S.  1 StPO enthalten.4

1  Krause StV 1984, 169 (172), der noch weiter geht und vom §  137 StPO als „Grundsatz der Zulässigkeit anwaltlicher Beratung“ spricht; vgl. Schrepfer S.  42 f. mwN. 2  Vgl. BVerfGE 110, 226 (u. a. 253 f.). 3  Vgl. MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  6. 4  So auch AK-StPO/Stern §  137 Rn.  50.

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2. Systematik Die systematische Stellung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO als erste Norm des 11.  Abschnitts zur Verteidigung betont neben dem Wortlaut –  ‚in jeder Lage‘  – die grundlegende Bedeutung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, lässt aber sonst keine weiteren Rückschlüsse auf den Inhalt der Norm zu. In der systematischen Betrachtung fällt die größere Bedeutung daher dem Verhältnis des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu anderen Nomen zu. Innerhalb der StPO ist dabei besonders das bereits angesprochene Verhältnis zur notwendigen Verteidigung für die genauere Bestimmung des Inhalts des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO relevant (vgl. S. 81 ff.; dazu unter c.). Außerhalb der StPO ist vor allem der Einfluss des Grundgesetzes und der EMRK auf die Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO bedeutend. a)  Grundgesetzlicher Bezug Im sog. Herrenchiemsee-Entwurf des Grundgesetzes war als Teil der letztlich in Art.  103 GG normierten Justizgrundrechte eine explizite Normierung des Rechts auf Verteidigerbeistand vorgesehen.5 In den Erläuterungen zum Entwurf wurde ausgeführt, der Anspruch auf einen Verteidiger sei in einem Rechtsstaat auch ohne Normierung selbstverständlich, solle aber aufgrund „der Vorkommnisse in der jüngsten Vergangenheit“ ausdrücklich grundgesetzlich geschützt werden.6 Letztlich wurde dieses Vorhaben zu Gunsten einer konkreter ausgestalteten, einfachrechtlichen Regelung nicht umgesetzt.7 Daher ist seither allgemein anerkannt, dass das Recht auf Verteidiger-Beistand grundgesetzlich garantiert ist,8 jedoch nicht aus welchen Artikeln und Rechtsgrundsätzen des Grundgesetzes sich dies ableitet. (1)  Menschenwürde – Art.  1 Abs.  1 GG Nach der Beurteilung des Bundesgerichtshofs gehört das Recht auf Verteidigung „zu den fundamentalen Attributen menschlicher Würde und zu den grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats.“9 Das Recht auf „umfassende Ver5  Art.  135 des Entwurfs eines Grundgesetzes in: Bericht über den Verfassungskonvent (Hrsg.: Verfassungsausschuss). 6  Bericht über den Verfassungskonvent (Hrsg.: Verfassungsausschuss) S.  94. 7 Dreier/Schulze-Fielitz Art.  103 Rn.  6; v. Münch/Kunig Art.  103 Rn.  15; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Fn.  3. 8  Vgl. dazu nur BVerfGE 66, 313 (318 f.); HK-StPO/Julius §  137 Rn.  1; Löwe/Rosenberg/ Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  2; Meyer-Goßner/Schmitt §  137 Rn.  2; Bernsmann StraFo 1999, 226 (226 f.); Rzepka S.  390. 9  BGHSt 36, 44 (48); NJW 2007, 3010 (3012).

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teidigung“ sei in Art.  1 Abs.  1 GG enthalten, und eine Beschränkung, die dieses „in seinem Wesensgehalt antastet, [dürfte] als Verstoß gegen die Grundnorm des Art.  1 Abs.  1 GG von Verfassungs wegen nicht hingenommen werden. Sie träfe einen obersten in seiner Substanz nicht zur Disposition stehenden Wert.“10 Eine Verankerung in Art.  1 Abs.  1 GG liegt auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahe, nach welcher die Herstellung einer Subjektposition ein wesentlicher Zweck des Beistandsrechts ist.11 Der Angeklagte soll nicht allein Objekt des Verfahrens sein.12 In der Literatur wird eine Herleitung aus Art.  1 Abs.  1 GG vereinzelt als zu konturlos kritisiert.13 (2)  Faires Verfahren – Art.  20 Abs.  3 iVm Art.  2 Abs.  1 GG Überwiegend wird das Recht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren angesehen und dieses wiederum als Teil des Rechtsstaatsprinzip iVm Art.  2 Abs.  1 GG.14 Das Bundesverfassungsgericht, welches diese Ansicht in ständiger Rechtsprechung vertritt, nimmt dabei indirekt Bezug auf Art.  1 Abs.  1 GG, da es die Möglichkeit, dass der Beschuldigte als Subjekt des Verfahrens aktiv auf Verlauf und Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen kann, als Inhalt des Fair-Trial-Prinzips beschreibt.15 In einer Entschei­dung wird explizit auf Art.  1 Abs.  1 GG verwiesen.16 Das Bundesverfassungsgericht sieht das Recht auf ein faires Verfahren als wesentlichen Grundsatz des rechtsstaatlichen Verfahrens an, welches nicht nur eine Selbstbeschränkung des Staates in seinen Mitteln gegenüber dem strukturell unterlegenen Einzelnen beinhalte, sondern als unverzichtbares Element des rechtsstaatlichen Strafverfahrens auch die Möglichkeit des Betroffenen enthalten müsse, die eigenen Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrzuneh10 

BGHSt 36, 44 (48); NJW 2007, 3010 (3012). BVerfGE 63, 380 (390 f.); 70, 297 (322 f.); NJW 1993, 2301 (2302); so auch BGHSt 38, 372 (374); VerfGH RP NJW 2006, 3341 (3343); vgl. auch MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  4; Bernsmann StraFo 1999, 226 (230). 12  U. a. BVerfGE 9, 89 (95); 63, 388 (390); 66, 313 (318). 13 Vgl. Spaniol S.  206 mwN. 14  U. a. BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); 39, 156 (163); 63, 380 (390 f.); 68, 237 (255); 70, 297 (322); 110, 226 (253 f.) mwN; NJW 1984, 862 (863); 1993, 2301 (2301); BGHSt 42, 15 (20 f.); 46, 36 (45); NJW 1992, 849 (849); st. OLG-Rspr.; AK-StPO/Stern §  137 Rn.  16; HKStPO/Julius §  137 Rn.  1; KK/Laufhütte/Willnow §  137 Rn.  1; Meyer-Goßner/Schmitt §  137 Rn.  2; Barton, Mindeststandards S.  57 ff.; Beukelmann NJW-Spezial 2007, 279; Rzepka S.  390, 397; Spaniol S.  211 f., 234 f.; vgl. dazu auch Kortz S.  43 f. mwN; direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip: Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  2; krit. Neuhaus StV 2002, 43 (46). 15  S. Fn.  14; so auch Rzepka S.  116 f.; Spaniol S.  8. 16  BVerfGE 57, 250 (274 f.). 11 

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men und Überschreitungen der Befugnisse staatlicher Stellen kompetent abwehren zu können.17 Vom 5.  Senat des Bundesgerichtshofs wird das Institut der Verteidigung auch als „notwendiger Bestandteil eines rechtsstaatlichen Verfahrens“ bezeichnet,18 vom Bundesverfassungsgericht als „wesentlicher Grundsatz“.19 Eng mit dem fairen Verfahren verknüpft ist das Prinzip der sog. Waffengleichheit.20 Für die Realisierung dieses Prinzips, welches gemeinhin als Bestandteil des fairen Verfahrens benannt wird, ist das Recht auf einen Verteidiger unentbehrlich (dazu mehr S. 139).21 Ein weiterer Ansatz der grundgesetzlichen Herleitung des Rechts auf Verteidigung kombiniert das Recht auf ein faires, aktive Mitwirkung beinhaltendes Verfahren mit dem Recht auf die präventive Abwehr von Eingriffen in das Freiheitsrecht aus Art.  2 Abs.  2 S.  2 GG.22 Dieser Ansatz verfehlt jedoch den Regelungsinhalt von §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, da Verfahren, in denen keine Freiheitsstrafe in Betracht kommt, nicht erfasst würden. (3)  Unschuldsvermutung – Art.  20 Abs.  3 GG Vereinzelt wird vorgebracht, das Recht auf Verteidigung könne aus der verfassungsrechtlich verankerten Unschuldsvermutung abgeleitet werden, da das Verteidigungsrecht dem Schutz des beschuldigten Bürgers vor einer ungerechten und unangemessen Behandlung diene.23 Diese Ansicht wird durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gestützt, in welchem der 2.  Senat ausführt, dass die Unschuldsvermutung in einem engen Zusammenhang mit dem Recht des Beschuldigten, den staatlichen Strafanspruch in einem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren abzuwehren und sich zu verteidigen, stehe.24 (4)  Rechtliches Gehör – Art.  103 Abs.  1 GG Häufig wird eine Herleitung des Rechts auf Verteidigerbeistand aus dem Recht auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG) vertreten, da ein Laie dieses Recht 17  BVerfGE 38, 105 (111) mwN; vgl. auch BVerfGE 70, 297 (323); 110, 226 (253); 122, 248 (271 f.); NJW 1993, 2301 (2301). 18  BGHSt 38, 7 (10). 19  BVerfGE 26, 66 (71). 20  Vgl. BVerfGE 110, 226 (253); ausf. zur Geschichte des Begriffs: E.  Müller NJW 1976, 1063. 21  BVerfGE 110, 226 (253); StV 2002, 578 (580); Bernsmann StraFo 1999, 226 (227); Dahs, Rechtliches Gehör S.  62; Renzikowski in FS-Roxin, S.  1341 (1342); Rissel S.  86; Schrepfer S.  80; vgl. dazu auch Spaniol S.  10 f., 229 ff. 22 Von Spaniol angeführt, aber letztlich abgelehnt S.  225 ff. 23  Neuhaus StV 2002, 43 (45) mwN; Rissel S.  81 f.; vgl. auch Rudolphi ZRP 1976, 165 (166); Schrepfer S.  82 f.; Welp ZStW 90 (1978), 804 (815 f.). 24  BVerfGE 74, 358 (370 f.); vgl. auch BVerfGE 38, 105 (111).

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ohne Rechtsbeistand nicht effektiv wahrnehmen könne und somit das rechtliche Gehör bei einer Verhinderung des Beistands indirekt versagt werde.25 Sowohl die für Laien schwer verständliche rechtliche Situation als auch die psychische Überforderung des Einzelnen vor Gericht (dazu ausf.  II.) gebiete die Einbeziehung eines Rechtsbeistands in das Recht aus Art.  103 Abs.  1 GG.26 Wassermann ergänzt dies mit dem Hinweis, das Recht sei überwiegend für Juristen und nicht für Bürger geschrieben.27 Daher gehöre die Möglichkeit, sich anwaltlicher Unterstützung zu bedienen, zum Kernbereich des Art.  103 Abs.  1 GG.28 Es wird zudem angenommen, nicht nur die Äußerung rechtlicher Ansichten, sondern auch rechtliches Gehör zu Tatsachen setze detaillierte Rechtskenntnisse voraus, um die Relevanz von Tatsachen erkennen zu können.29 Ein weiteres Argument bezieht sich auf den Inhalt des rechtlichen Gehörs, welches nicht nur die Äußerungsmöglichkeit, sondern auch die Beachtung der subjektiven Rechts- und/ oder Tatsachensicht des Betroffenen durch die Gerichte umfasst. Es sei also nicht nur eine Handlungsmöglichkeit garantiert, sondern auch die Chance auf einen ‚Erfolgswert‘ der Äußerung;30 nicht nur die Gelegenheit zur Äußerung, sondern die Möglichkeit einer sachgemäßen Stellungnahme.31 In ähnlicher Weise argumentiert Spaniol, die betont, Art.  103 Abs.  1 GG müsse nicht nur formell, sondern auch materiell gewährleistet sein.32 In diesem Kontext ist zu beachten, dass rechtliches Gehör ausreichende vorherige Information voraussetzt,33 die nach §  147 StPO dem unverteidigten Beschuldigten in geringerem Maße zu Verfügung steht als dem verteidigten Beschuldigten (dazu noch S. 132  f.).34 25 

AK-GG/Wassermann Art.  103 Rn.  28; Jarass/Pieroth Art.  103 Rn.  34; v. Mangoldt/ Klein/Starck/Nolte Art.  103 Rn.  66; Maunz/Düring/Schmidt-Aßmann Art.  103 Rn.  103; AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  1; Dahs, Rechtliches Gehör S.  61 f.; Eschen StV 1981, 365 (367); Eser in FS-Widmaier, S.  147 (153); Gusy AnwBl 1984, 225; Inoue S.  48; Jahn S.  210 ff.; Kopp AöR 106 (1981), 604 (619, 621 f.); Neuhaus StV 2002, 43 (46 f.); Pestke BRAKMitt. 1988, 241 (243) (zum öffentl.-rechtl. Verfahren); Rissel S.  75 f. mwN; B. Schneider ZRP 1985, 209 (210); R. Schneider NJW 1977, 873; vgl. auch Arndt NJW 1964, 2146 (2147); Gössel ZStW 94 (1982), 5 (25); Kühne Rn.  264.1; Vargha S.  286, 290; Reformforderung: Walther in Weigend/Walther/Grunewald S.  329. 26  Maunz/Düring/Schmidt-Aßmann Art.  103 Rn.  103. 27  AK-GG/Wassermann Art.  103 Rn.  28. 28  AK-GG/Wassermann Art.  103 Rn.  28; Inoue S.  49; Kopp AöR 106 (1981), 604 (622). 29  Spaniol u. a. S.  222; vgl. auch Kühne Rn.  720 f. 30 Vgl. Jahn S.  214 f. 31  Dahs, Rechtliches Gehör S.  61; vgl. auch Vargha S.  286. 32  Spaniol S.  220 f. 33  St. Rspr.; u. a. BVerfGE 84, 188 (190); 89, 28 (35); Dreier/Schulze-Fielitz Art.  103 I Rn.  33; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art.  103 Rn.  28, 32 ff. 34  MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  4; Spaniol S.  224; Inoue S.  48; aA Kortz S.  46 f.

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Das Bundesverfassungsgericht hat zwar mehrfach geurteilt, Art.  103 Abs.  1 GG beinhalte kein Beistandsrecht;35 dennoch wird diese Ansicht in den Kommentierungen des Grundgesetzes weit überwiegend vertreten.36 Bedenken gegen die Herleitung aus Art.  103 Abs.  1 GG äußert insoweit nur Kunig aufgrund der 1949 gescheiterten expliziten Normierung des Rechts auf einen Verteidiger in Art.  103 GG. Er hält aber dennoch den Rückgriff auf das faire Verfahren für nicht notwendig, da zumindest Art.  2 Abs.  2 S.  2 GG spezieller sei.37 Die zunächst gemeinsam mit dem rechtlichen Gehör in einem Verfassungsartikel vorgesehene Normierung des jederzeitigen Beistandsrechts wird umgekehrt aber auch als Argument für eine Verortung des Rechts auf Verteidigung in Art.  103 Abs.  1 GG angesehen.38 Allerdings weist Spaniol darauf hin, dass der Verfassungsgeber dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass das rechtliche Gehör und der Verteidigerbeistand zwei verschiedene Prozessgrundrechte seien.39 Das Bundesverfassungsgericht sieht den Zweck des rechtlichen Gehörs in der Wahrung der Würde der Person, welche dadurch gesichert werde, dass der Betreffende nicht alleine Objekt der staatlichen Entscheidung ist, sondern sich zu dieser äußern darf und somit Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen kann.40 Daher ist es nach der Argumentation der Bundesverfassungsgerichts nicht fernliegend, das Beistandsrecht in Art.  103 Abs.  1 GG als Konkretisierung des Art.  1 Abs.  1 GG zu verorten.41 Darauf stellt auch Jahn ab, der zugleich betont, dass sich zwar im Vergleich zur Herleitung der Rechtsprechung keine inhaltlichen Unterschiede ergeben, jedoch das speziellere Recht (Art.  103 Abs.  1 GG) vorzuziehen sei.42

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BVerfGE 9, 124 (132) (Sozialgericht); 31, 297 (301) (Arbeitsgericht); 38, 105 (118); 39, 156 (168); NJW 1984, 862 (863); NJW 1993, 2301 (2302) (Strafvollstreckungsverfahren); ebenfalls BGHSt 37, 168 (Rn.  24), insoweit nicht abgedr.; ausf. dazu Kortz S.  45 ff. 36  AK-GG/Wassermann Art.  103 Rn.  28; Jarass/Pieroth Art.  103 Rn.  34; Maunz/Düring/ Schmidt-Aßmann Art.  103 Rn.  103; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art.  103 Rn.  66; Sachs/ Degenhart Art.  103 Rn.  23; Schmidt-Bleibtreu/Schmahl Art.  103 Rn.  35; Stern/Becker/ Brüning Art.  103 Rn.  36; einschr. v.  Münch/Kunig Art.  103 Rn.  15. 37  v. Münch/Kunig Art.  103 Rn.  15. 38  Jahn S.  211. 39  Spaniol S.  221. 40  BVerfGE 7, 275 (278 f.); 9, 89 (95); 55, 1 (5 f.); dazu ausf. Kopp AöR 106 (1981), 604 (607 f.); vgl. auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Abschn. I. Rn.  75; Dahs, Rechtliches Gehör S.  1 f. 41 In diese Richtung auch Gössel ZStW 94 (1982), 5 (25); zur Kritik am BVerfG: R. Schneider NJW 1977, 873 (insb. 875); zum Verhältnis Art.  1 Abs.  1 GG und Art.  103 Abs.  1 GG Spaniol S.  217. 42  Jahn S.  210 f.

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Nach einer differenzierenden Ansicht soll Art.  103 Abs.  1 GG das Recht auf Verteidigerbeistand dann beinhalten, wenn im Einzelfall das rechtliche Gehör ohne Verteidiger nicht angemessen wahrgenommen werden könne.43 (5)  Effektiver Rechtschutz – Art.  19 Abs.  4 GG Teilweise wird Art.  103 Abs.  1 GG auch in Kontext mit Art.  19 Abs.  4 GG gesetzt. Aus dem Zusammenspiel ergebe sich das Recht auf einen wirksamen Rechtschutz und somit auf eine wirksame Verteidigungsmöglichkeit.44 Der Strafprozess nehme im Rahmen des Art.  19 Abs.  4 GG eine Sonderstellung ein, da im Strafverfahren der Richter schützende, aber zugleich eingreifende Gewalt sei.45 Barton sieht zudem die Verortung im Justizgewährungsanspruch darin begründet, dass die Verteidigung den Beschuldigten vor der ungehemmten Staatsmacht schütze und zugleich die Justiz vor Ungerechtigkeit und der Verurteilung Unschuldiger.46 (6) Stellungnahme Die unterschiedlichen Ansichten zur grundgesetzlichen Verortung des Beistandsrechts widersprechen sich nicht.47 So wird die herrschende Ansicht, dass sich das Beistandsrecht aus dem fairen Verfahren ergebe, soweit ersichtlich von niemanden durchweg abgelehnt, sondern lediglich als zu ungenau kritisiert oder als subsidiär angesehen.48 Auch aus der expliziten Ablehnung einer Verankerung des Beistandsrechts in Art.  103 Abs.  1 GG durch das Bundesverfassungsgericht ergibt sich kein zwingender Widerspruch zwischen den unterschiedlichen Ansätzen. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Ablehnung nicht inhaltlich, und aus Ausführungen des Gerichts ergeben sich durchaus Argumente für einen Zusammenhang des Verteidigungsrechts mit Art.  103 Abs.  1 GG. Es ist somit kein Streitentscheid zwischen den Ansätzen nötig;49 vielmehr verdeutlichen die unterschiedlichen Begründungen einer grundgesetzlichen Garantie die große Bedeutung des Beistandsrechts für die verfassungsmäßig verbürgten Rechte des Angeklagten. Alle in der Diskussion über die Verortung 43  BayObLGSt 1988, 3 (4 f.); Knell-Saller S.  34 ff.; Lantzke JR 1974, 434 (435); Paulus NStZ 1992, 305 (Fn.  105); Spaniol S.  225; vgl. auch Barton, Mindeststandards S.  59. 44  Jahn S.  213; Neuhaus StV 2002, 43 (47); R. Schneider NJW 1977, 873 (873 f.). 45  Barton, Mindeststandards S.  65 ff.; Gusy AnwBl 1984, 225 (226); 46  Barton, Mindeststandards S.  55. 47 Vgl. Beulke, Der Verteidiger S.  86; Jahn S.  210; Neuhaus StV 2002, 43; Rissel S.  79. 48  Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Abschn. I. Rn.  103 ff. mwN; Jahn S.  210; Neuhaus StV 2002, 43 (46); Spaniol S.  212; vgl. auch Rzepka u. a. S.  154 ff.; 176, 226 f. 49  So auch Haffke StV 1981, 471 (476, Fn.  37); vgl. auch Gössel ZStW 94 (1982), 5 (25).

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des Beistandsrechts genannten Werte des Grundgesetzes – Würde der Person und Subjektstatus, faires Verfahren, Unschuldsvermutung, rechtliches Gehör – finden ihre Entsprechung in den Aufgaben der Verteidigung (vertiefend  III.). Somit muss beim Einbezug des Beistandsrechts in die Terminierung nicht nur §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, sondern auch dessen grundrechtliche Garantie beachtet werden, welche in diversen Grundrechten des Beschuldigten enthalten ist. Neben dem subjektiven Recht des Angeklagten kann aus der grundgesetzlichen Garantie des Beistandsrechts auch eine staatliche Verpflichtung zum Aufrechterhalten einer Infrastruktur, die die Ausübung des Rechts gewährleistet, gesehen werden.50 b)  EMRK Anders als im Grundgesetz ist das Recht auf einen Verteidiger in der EMRK explizit garantiert. Art.  6 Abs.  3 lit.  c EMRK normiert das Recht auf den Beistand des Verteidigers des Vertrauens als Spezifizierung des allgemein in Art.  6 EMRK garantierten fairen Verfahrens.51 Das Recht sich durch einen Anwalt effektiv verteidigen zu lassen wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als ein grundlegendes Element des fairen Verfahrens bezeichnet.52 Die Rechtsstellung der EMRK kann mittlerweile als weitgehend geklärt angesehen werden.53 Die Gerichte sind verpflichtet, das nationale Recht so anzuwenden, dass die in der EMRK garantierten Rechte umgesetzt werden; d. h., es besteht eine Verpflichtung zur konventionengerechten Auslegung.54 Daher ist die EMRK bei der Auslegung der StPO zu beachten, kann aber auch zur Konkretisierung des grundgesetzlich geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren herangezogen werden.55 Für die Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO und damit zusammenhängende oder kollidierende Normen des Strafprozessrechts ist insbesondere zu beachten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung betont, dass die EMRK effektive Rechte gewähre.56 Die Konvention habe nicht den Zweck „theoretische oder illusoriBarton, Mindeststandards S.  72. EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien, EGMR-E 1, 480; EGMR v.  09.04.1984 – I/1983/57/87, Goddi ./. Italien, StV 1985, 441 (441); EGMR v. 10.10.2002 – 38830/97, Czekalla ./. Portugal Rn.  60; EGMR v. 19.12.1989 – 9783/82, Kaminski ./. Österreich, EGMR-E 4, 450 (468); vgl. auch Rzepka S.  26. 52  EGMR v. 21.01.1999 – 26103/95, Geyseghem ./. Belgien, NJW 1999, 2353 (2354). 53  Vgl. dazu ausf. Spaniol S.  181 ff. 54  BVerfGE 74, 358 (370); Rzepka S.  131 f. mzN. 55  BVerfGE aaO; ausf. Spaniol S.  181 ff., insb. S.  197. 56  EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien EGMR-E 1, 480 (485 f.); EGMR v.  09.04.1984 – I/1983/57/87, Goddi ./. Italien, StV 1985, 441 (441); EGMR v. 19.12.1989 – 50  51 

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sche Rechte zu gewährleisten, sondern Rechte, die praktisch und effektiv sind“.57 Dieser Grundsatz gelte besonders für das Recht auf Verteidigung, da dieses Recht eine herausragende Stellung in dem für eine demokratische Gesellschaft grundlegenden fairen Verfahren einnehme.58 Im Anschluss an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird Art.  6 Abs.  3 lit.  c EMRK auch vom Bundesgerichtshof als Recht auf wirksame Verteidigung angesehen.59 Die EMRK setzt also nicht nur die Möglichkeit des Beistands, sondern die effektive, d. h. faktische Möglichkeit des Beistands voraus. Denn Beistand bedeutet nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits begrifflich mehr als die bloße formelle Existenz einer Verteidigung.60 Art.  6 Abs.  3 lit.  c EMRK beinhaltet also nicht nur das theoretische Anwesenheitsrecht, sondern die Gewährleistung der faktischen Möglichkeit der Anwesenheit. c)  §  140 Abs.  2 StPO (1)  Verhältnis zu §  140 Abs.  2 StPO Bei der Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist zu beachten, dass die Norm vorwiegend dann zur Anwendung kommt, wenn keine notwendige Verteidigung nach §  140  StPO gegeben ist. Zur Verdeutlichung: Ein Recht auf Anwesenheit seines Verteidigers aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO hat der Angeklagte gerade dann, wenn das Gericht die Beteiligung eines Verteidigers nicht für notwendig erachtet.61 Diese sich völlig zwanglos aus der Strafprozessordnung ergebende Tatsache findet in der Rechtsprechung keine ausreichende Beachtung (dazu schon S. 81 ff.).62 Sowohl die Differenzierung nach Verhandlungen, in denen die Abwesenheit des Verteidigers für den Angeklagten zumutbar oder unzumutbar ist, als auch die Beurteilung dieser Zumutbarkeit anhand der Krite-

9783/82, Kaminski ./. Österreich, EGMR-E 4, 450 (469); EGMR v. 10.10.2002 – 38830/97, Czekalla ./. Portugal Rn.  60; vgl. auch EGMR v. 21.01.1999 – 26103/95, Geyseghem ./. Belgien, NJW 1999, 2353 (2354); dazu auch HK-StPO/Julius Vor §  213 Rn.  1; Demko HRRS 2006, 250 (250) mwN. 57  EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien, EGMR-E 1, 480 (485); im Anschluss EGMR v.  19.12.1989 – 9783/82, Kaminski ./. Österreich EGMR-E 4, 450 (469); vgl. auch EGMR v. 10.10.2002 – 38830/97, Czekalla ./. Portugal Rn.  60. 58  EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien EGMR-E 1, 480 (485). 59  U. a. BGHSt 46, 36 (44) mwN; NJW 1992, 849 (849); NStZ 1999, 527 (527); vgl. auch HK-StPO/Julius Vor §  137 Rn.  1. 60  EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien EGMR-E 1, 480 (485 f.). 61  Deutlich: OLG Celle NdsRpfl 1964, 234 (235); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); ebenso: OLG Oldenburg NdsRpfl 1957, 38. 62  Vgl. auch Burmann NZV 1996, 165 (165).

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rien des §  140 Abs.  2 StPO wird dem Verhältnis von §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu §  140 Abs.  2 StPO nicht gerecht (vgl. S. 81 ff.). (2)  Rückschlüsse aus §  140 Abs.  2 StPO Die Parallelen zu §  140 Abs.  2 StPO können jedoch möglicherweise für eine genauere Bestimmung der Beurteilung einer Selbstverteidigung als ‚zumutbar‘ genutzt werden. Im ersten Kapitel wurde aufgezeigt, dass die Rechtsprechung für die Einordnung einer Verhandlung ohne Verteidiger als zumutbar oder unzumutbar auf die Kriterien des §  140 Abs.  2 StPO zurückgreift, aber nicht ausführt, warum die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und die Schwere der Tat ausreichende Anhaltspunkte für diese Beurteilung bieten. Möglicherweise lässt sich dies anhand der Gesetzesberatungen und -begründungen zu §  140 StPO herausarbeiten. Diese Hoffnung relativiert sich jedoch bei Betrachtung der Materialien. Die Beratungen zum Entwurf des §  140 StPO setzten sich kaum mit den Möglichkeiten der sachgemäßen Selbstverteidigung auseinander. Die Motive zum ersten Entwurf (§  122 RStPO) stellen hinsichtlich der notwendigen Verteidigung darauf ab, dass „je größer das den Angeklagten möglicherweise treffende Straf­ übel ist und je mehr Schwierigkeiten die Entscheidung der Schuldfrage bietet, desto mehr [müsse] es Aufgabe des Verfahrens sein […], dem Angeklagten die ausgiebigen Schutzmittel gegen die Möglichkeit einer unbegründeten Verurtheilung zu gewähren.“63 Dass in anderen Verfahren die Selbstverteidigung eine ausreichende sachgemäße Verteidigung darstellen würde, wird nicht dargetan, sondern die Limitierung der notwendigen Verteidigung auf Verfahren vor den höheren Gerichten unter anderem damit begründet, dass „die Zuordnung von Vertheidigern in allen, auch den geringfügigen Sachen geradezu etwas Unausführbares sei“.64 Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde die Ausweitung der Regelung debattiert, jedoch aus fiskalischen Gründen und in erheblichem Maße wegen der geringen Zahl der Verteidiger an manchen Gerichten abgelehnt.65 Ausführungen, die sich auf die Aufgabe der Verteidigung respektive Selbstverteidigung beziehen, finden sich kaum. Allein Hanauer gab zu bedenken, dass sowohl die Höhe der in Aussicht stehenden Strafe als auch die Qualifikation als Verbrechen nicht als Kriterien geeignet seien, da sich daraus nicht ergebe, ob ein einfaches oder ein kompliziertes Verfahren vorliege und nur dies

Motive S.  99; vgl. zum 3. Entwurf auch Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  143 [Original S.  83 f.]. Motive S.  99; vgl. zum 3. Entwurf auch Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  143 [Original S.  83 f.]. 65  Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  958 ff. [Original S.  496 ff.]; 3.  Bd. 2. Abt., S.  1271 ff. [Original S.  873]; vgl. auch Barton, Mindeststandards, S.  93 Fn.  29. 63 

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für die Notwendigkeit der Verteidigung relevant sei.66 Von dieser Wortmeldung abgesehen finden sich keine Überlegungen zur realistischen Möglichkeit der sachgemäßen Selbstverteidigung. Die Generalklausel des (jetzigen) §  140 Abs.  2 StPO war in den Entwürfen und auch in der letztlich verabschiedeten Fassung weniger konkret als die heutige Fassung. Es war lediglich geregelt, dass das Gericht auch in anderen Fällen als den ausdrücklich geregelten auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger bestellen könne. Eine inhaltlich genauere Bestimmung erhielt die Regelung erst 1939 – und ergänzend 1940 – im Verordnungswege. Seit diesem Zeitpunkt enthält §  140 Abs.  2 StPO die drei Kriterien der Schwere der Tat, der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage und der eingeschränkten Selbstverteidigungsfähigkeit. Eine ähnliche Fassung wurde bereits in der Gesetzgebungskommission zum Neuentwurf der StPO von 1936 bis 1939 diskutiert. In der Begründung zum Entwurf wird angegeben, der Vorsitzende solle über ein möglichst weites Ermessen verfügen und daher sei eine sehr offene Formulierung gewählt worden.67 Während der Beratungen erläuterte der Berichterstatter Löwe, dass die normierten Kriterien den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entsprächen.68 Es ergeben sich aus der Gesetzgebungsgeschichte des §  140 Abs.  2 StPO also keine Anhaltspunkte, anhand derer sich die im Rahmen des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO vorgenommene Differenzierung der Verfahren in solche mit einer zumutbaren und unzumutbaren Selbstverteidigung sachlich begründen ließe. Die Materialien zum §  140  StPO sprechen vielmehr gegen eine solche Differenzierungsmöglichkeit. Den Gesetzesberatungen lässt sich entnehmen, dass keine Differenzierung der Selbstverteidigungsmöglichkeiten angenommen wurde, sondern die Begrenztheit des §  140 StPO aus Sachzwängen herrührte und nicht aus der Ansicht, in den anderen Fällen könnten die Verteidigungsmöglichkeiten durch die Selbstverteidigung voll ausgeschöpft werden. 3. Historie Der Wortlaut des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist seit Einführung der RStPO im 19.  Jahrhundert unverändert. Die spätere Beschäftigung des Gesetzgebers mit der Norm beschränkte sich auf die im zweiten Satz geregelte zahlenmäßige BeHanauer in der Sitzung der Kommission, 2. Lesung, abgedr. in Hahn 3.  Bd. 2. Abt., S.  1271 [Original S.  873]. 67  Begründung zum Entwurf der StPO 1938 S.  79 abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  450. 68  Protokoll der 19. Sitzung der Großen Strafprozeßkommission des Reichsjustizministeriums, abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 2.1 S.  345. 66 

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schränkung. Die Gesetzgebungsgeschichte besteht somit lediglich aus den Beratungen zur Schaffung einer einheitlichen deutschen Strafprozessordnung. Die Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren beschäftigen sich ausschließlich mit der Frage, ob bereits im Ermittlungsverfahren ein Recht auf eine formelle Verteidigung bestehen solle.69 Die formelle Verteidigung war in den bis dahin geltenden Strafprozessordnungen der einzelnen deutschen Staaten ausgeschlossen oder nur eingeschränkt zugelassen und eine Ausweitung wurde von der Wissenschaft seit langem eingefordert.70 Auch die ersten Kommentierungen des §  137 RStPO beschäftigen sich ausschließlich mit dem Vorverfahren.71 Gleiches gilt für Kommentierungen in der frühen Bundesrepublik.72 Gusy resümierte noch in den 80er Jahren des 20.  Jahrhunderts, dass das Beistandsrecht zwar eindeutig die Mitwirkung des Verteidigers an der Hauptverhandlung einschließe, die daraus resultierenden Konsequenzen allerdings kaum erörtert seien.73 Die Auslegung des §  137 Abs.  1 StPO S.  1 zur Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung gewinnt also weder durch die Gesetzgebungsmaterialien noch durch andere historische Quellen an Konturen. 4. Telos §  137 Abs.  1 S.  1 StPO gewährt die umfassende Möglichkeit des Angeklagten, während des gesamten Strafverfahrens auf die Unterstützung der formellen Verteidigung zurückzugreifen. Der Zweck des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist also gleichzusetzen mit dem Zweck der formellen Verteidigung. Diese Zwecke kann man bereits den referierten Verknüpfungen zum grundgesetzlichen Schutz des Angeklagten entnehmen (S. 91 ff.). Der Beistand eines Verteidigers soll den Subjektstatus des Angeklagten herstellen oder sichern, indem mit der Hilfe des Verteidigers aktiv Einfluss auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens genommen werden kann.74 Dem Angeklagten soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich eines versierten Beistands zu bedienen, um dadurch sowohl unrechtmäßiges Handeln der staatlichen Strafverfolgungsbehörden abzu69  Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  141; vgl. auch v.  S chwarze (1878) Vorbem. zu 11. Abschn. S.  274; vgl. auch Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (405 f.). 70  Motive S.  95 ff. 71 Bspw. v. Bomhard/Koller (1879) §  137 Rn.  1; v.  S chwarze (1878) Vorbem. zu 11. Abschn. S.  274, 276; Stenglein (1898) §  137 Rn.  1; Stiegele (1879) §  137 Nr.  1; Thilo (1878) §  137 Rn.  1. 72 Bspw. Erbs (1950) §  137. 73  Gusy AnwBl 1984, 225 (231). 74  BVerfGE 63, 380 (390 f.); 70, 297 (323); 110, 226 (253 f.); BGHSt 38, 372 (374); Hassemer ZRP 1980, 326 (331); Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (404); Spaniol S.  242 f.

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wehren als auch aktiv zu seinen Gunsten streitende sachliche und rechtliche Aspekte ins Verfahren einzubringen oder zu bestärken (ausf. III.). Diese Zwecke setzen in der Hauptverhandlung die Anwesenheit des Verteidigers voraus, da andernfalls durch diesen keine effektive Verteidigung geleistet werden kann. Nach dem Telos des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist somit die Anwesenheit in der Hauptverhandlung zentraler Bestandteil der Norm und nicht nur ein unwesentlicher Nebenaspekt. 5. Fazit §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist eine für die Konzeption des rechtsstaatlichen Strafprozesses denkbar grundlegende Norm, deren umfassende inhaltliche Erfassung hier keinesfalls geleistet werden kann. Festhalten lässt sich in aller Kürze: Der Beistand des Verteidigers setzt seine Anwesenheit voraus und Anwesenheit setzt die terminliche Möglichkeit zur Anwesenheit voraus. Daher ergibt sich aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zwingend ein Einfluss auf Terminierung und Verlegungen.75 Aus der Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ergeben sich keinerlei Einschränkungen des Beistandsrechtes. Im Gegenteil: Durch die grundgesetzliche und menschenrechtliche Implementierung wird der uneingeschränkte Wortlaut des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO noch verstärkt. Daher muss überprüft werden, ob §  137 Abs.  1 S.  1 StPO trotz der Einschränkung, die sich aus Rechtsprechung zur terminlichen Verhinderung ergibt, noch ausreichende Wirkung entfaltet oder die Einschränkungen der Bedeutung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO nicht gerecht werden. Dazu reicht es nicht aus, den Zweck der formellen Verteidigung in allgemeinen Schlagworten zu beschreiben. Erst durch eine Auseinandersetzung mit der Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung können Inhalt und Bedeutung der Anwesenheit des Verteidigers ermessen werden.

II.  Die Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung Nach herrschender Meinung sind die Interessen der Beteiligten und insbesondere das Interesse des Beschuldigten auf Beistand eines Verteidigers in die Entscheidung des Vorsitzenden einzubeziehen.76 In den Entscheidungen und Kom75  So auch HK-StPO/Julius §  137 Rn.  1; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  2a; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  22; SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  35; Gusy AnwBl 1984, 225 (231); vgl. auch AK-StPO/Stern §  137 Rn.  17; AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  4; HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; KK/Laufhütte/Willnow §  137 Rn.  1; KK/Gmel §  213 Rn.  4b; Pfeiffer §  213 Rn.  2. 76  U. a. AK-StPO/Stern §  137 Rn.  17; AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  4; HKStPO/Julius §  137 Rn.  1; KK/Laufhütte/Willnow §  137 Rn.  1; KK/Gmel §  213 Rn.  4b; KMR/

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mentierungen werden diese Abwägungskriterien jedoch nur als Stichwort g­ enannt, ohne dass die Auswirkungen der Entscheidung auf die Verteidigungssituation erläutert würden.77 Bei den Ermessensentscheidungen wird auf die Zumutbarkeit bzw. Unzumutbarkeit der Verhandlung ohne Verteidiger abgestellt. Soll das Kriterium ‚Unzumutbarkeit für den Angeklagten‘ mehr als eine beliebig einzusetzende Formel sein, muss die Perspektive des Angeklagten in den Blick genommen werden. Erst wenn die Perspektive des Angeklagten, seine Situation in der Hauptverhandlung und damit verbunden der Zweck und die Aufgabe der Verteidigung hinreichend deutlich sind, kann sich einer Beurteilung der ‚Zumutbarkeit für den Angeklagten‘ angenähert werden und möglicherweise im Einzelfall eine ansatzweise valide Aussage über die ‚Zumutbarkeit für den Angeklagten‘ getroffen werden. Angesichts dessen, dass der Angeklagte zwingend die Hauptperson des Strafverfahrens ist – ohne ihn fände kein Verfahren statt – findet sich in genuin strafrechtlichen Ausführungen wenig zur Angeklagtenperspektive.78 Die Rechte und die Perspektive des Angeklagten in der Hauptverhandlung werden zumeist unter dem Schlagwort ‚Rechte der Verteidigung‘ abgehandelt. Dies ist nicht nur eine Frage der Formulierung, sondern wirkt sich auf den Blickwinkel aus. Auch in Monographien zur Strafverteidigung finden sich kaum mehr als wenige Schlagworte zur Situation des Angeklagten.79 Die Angeklagtenperspektive dürfte den meisten Juristen unbekannt sein. Valide Daten gibt es soweit ersichtlich nicht, aber es kann unterstellt werden, dass trotz der ubiquitären Kriminalität gerade von jungen Leuten nur eine sehr geringe Anzahl strafrechtlich aktiver Juristen einmal die Rolle des Angeklagten in einer Hauptverhandlung einnehmen musste. Mittelbar kann diese These durch die Häufigkeit von Hauptverhandlungen gegen Personen mit Abitur gestützt werden. Eine Studie zu landgerichtlichen Verfahren in Ballungsgebiete ergab einen Anteil von 11,1  % der Hauptangeklagten mit Abitur oder vergleichbarem Abschluss.80 Beamte, Akademiker oder in freien Berufen tätige Personen machten zusammengerechnet 2  % der Hauptangeklagten aus.81

Hiebl §  137 Rn.  26; Pfeiffer §  213 Rn.  2; SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  35; SSW/Grube §  213 Rn.  21. 77  Vgl. auch Rzepka S.  241. 78  So auch Dürkop S.  9.; Ausnahme: Peters, Justiz als Schicksal, S.  1 ff. 79  Vgl. bspw. Barton Einführung §  1 Rn.  23, Dahs Rn.  543; Klemke/Elbs Rn.  402; Malek Rn.  210; Sommer S.  143 ff. 80  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (195 f.); die Daten beziehen sich auf das Jahr 1994. 81 Ebenda.

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Aus diesen Gründen werden zunächst die Perspektive und Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung betrachtet und erst im Anschluss die sich daraus ergebenden Aufgaben der Verteidigung (Abschnitt III.). 1. Grundlagen Wie erwähnt, findet eine explizite Auseinandersetzung mit der Perspektive des Angeklagten innerhalb der Rechtswissenschaften kaum statt; aber auch soziologische oder psychologische Forschung existiert kaum. Lediglich während der reformorientierten 1960er und 1970er Jahre wurden vereinzelt Forschungsprojekte zur Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung durchgeführt.82 Die Rechtspsychologie belässt es weitgehend bei der Beschäftigung mit Angeklagten als zu begutachtende Täter. Daneben beschäftigen sich die Rechtspsychologie und die Kriminologie mit der Entstehung von Devianz und mit Verurteilten, zumeist in Gestalt von Inhaftierten. Die zeitlich dazwischen liegende Hauptverhandlung wird wenig beachtet. Wenn diese überhaupt untersucht wird, steht das Verhalten der juristischen Akteure in der Verhandlung im Fokus. Eine Zusammenfassung der empirischen Rechtstatsachenforschung zwischen 1990 und 2003 durch Albrecht enthält einzelne Abschnitte zu den verschiedenen Verfahrensbeteiligten, darunter auch Zeugen und Sachverständigen – aber keinen eigenen Abschnitt zum Angeklagten. Albrecht beklagt, dass kaum Forschung zur Sichtweise des Straftäters (sic!) existieren würde.83 Soweit vereinzelt Forschungsprojekte durchgeführt wurden, beschäftigten diese sich überwiegend mit jugendlichen und heranwachsenden Angeklagten und zudem solchen, die zu Jugendstrafen ohne Bewährung verurteilt wurden.84 Dieser Forschungsstand unterstreicht das hier gewählte Vorgehen der expliziten Thematisierung der Angeklagtenperspektive, schränkt aber die Erfassung der Thematik mangels Hintergrundmaterial ein. Für das nachfolgende Kapitel muss daher auf die genannten Forschungsarbeiten, Arbeiten, in denen sich weniger auf empirische Forschung als auf die eigene Berufserfahrung bezogen wird, und Gesprächen des Verfassers mit ehemaligen Angeklagten zurückgegriffen werden. Daneben wird versucht, Erkenntnisse aus Quellen, die sich nicht unmittelbar mit der Situation des Angeklagten beschäftigen, auf die Hauptverhandlung zu übertragen; beispielsweise die Situation des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, die des Zeugen in der Hauptverhandlung und Belastungssituationen jenseits des Strafverfahrens. 82  Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41; Dürkop; Eilsberger MschrKrim 1969, 304; vgl. auch Barton MschrKrim 1988, 93; Peters, Justiz als Schicksal. 83  Albrecht S.  226. 84 Bspw. Dürkop; Eilsberger MschrKrim 1969, 304; vgl. auch G.  Machura/Stirn.

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a) Ausgangslage Auch ohne empirische Forschung lassen sich grundlegende Faktoren zur Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung zweifelsfrei feststellen: Der Angeklagte ist zwingend Objekt des Verfahrens.85 Zur Vermeidung d­ ieses mit Art.  1 Abs.  1 S.  1 GG kollidierenden Begriffs wird diese Position zum Teil als ‚passiv Beteiligter‘ umschrieben.86 Eine dritte Person bzw. Personen entscheiden über die Belange des Angeklagten. Seine Handlungen und auch seine Person werden bewertet. Der Subjektstatus des Angeklagten ist zwar verfassungsrechtlich gefordert (vgl. S. 92; 137  f.), aber ähnlich der Waffen­ gleich­heit strukturell nur in Ansätzen realisierbar. Der Angeklagte ist in der Hauptverhandlung grundsätzlich Laie unter Juristen.87 Das bedeutet eine erhebliche Diskrepanz in der Wahrnehmung der Situation und dem Umgang mit selbiger. Zu dem erheblichen Unterschied zwischen den beteiligten Juristen und dem Angeklagten aufgrund des Objektstatus’ des Angeklagten kommt nicht nur die Wissens- und Erfahrungsdiskrepanz hinzu, sondern auch die Tatsache, dass der konkrete Prozess für die beteiligten Juristen nur einer von vielen ist.88 Während die Vertreter der Staatsanwaltschaft und Richter alltäglich eine Vielzahl von Akten abarbeiten müssen – am Sitzungstag eines Einzelrichters können durchaus bis zu zehn Verfahren terminiert sein – ist für den Angeklagten der Fall immer sein Fall.89 Selbst wenn dieser aus Juristen-Sicht zu den Bagatellfällen zählt, ist er für den Angeklagten von besonderer Bedeutung.90 Auch die Relevanz der Straferwartung stellt sich aus der Perspektive des Angeklagten völlig anders dar als aus der Perspektive des Urteilenden.91 Der Angeklagte – nicht die beteiligten Juristen – hat die Auswirkungen des Verfahrens – auch finanziell – zu tragen.92 85  Dürkop S.  24; E. Müller NJW 1981, 1801 (1806); Müller-Meiningen Jr. in Schuld und Sühne, S.  49 (54); Nickol S.  9; Roxin/Schünemann §  18 Rn.  1. 86  Peters, Strafprozeß S.  82, 203; vgl. auch Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1216); beide Begriffe nutzend: Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J Rn.  66; Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (375). 87  Abgesehen vom Ausnahmefall des angeklagten Juristen. Die Beteiligung von Schöffen am Verfahren ändert dies nicht grundlegend, da diese im öffentlichen Teil der Hauptverhandlung ‚nur‘ als überwiegend passive Beisitzer fungieren und die aktive Verhandlungsleitung den Berufsrichtern obliegt. 88  So auch Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (142); vgl. auch Rottleuthner KJ 1971, 60 (83). 89 Vgl. Peters, Justiz als Schicksal S.  18. 90  Lemke-Küch Rn.  5; MAH/Nobis §  10 Rn.  9; Peters, aaO. 91  Kortz S.  188; MAH/Nobis §  10 Rn.  9. 92  BVerfGE 110, 226 (253); auch für einen Geschädigten kann der Ausgang des Verfahrens selbstverständlich von Bedeutung sein – jedoch weniger ‚materiell‘.

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b)  Wahrnehmung des Angeklagten Wie angedeutet, gibt es eine Nichtwahrnehmung des Angeklagten in Form der fehlenden Beachtung seiner Perspektive und Rolle (S. 102  ff.). Neben dieser Nichtwahrnehmung gibt es jedoch auch eine verbreitete Wahrnehmung: die als ‚Täter‘.93 Nicht nur in der Öffentlichkeit wird der Angeklagte – für den die Unschuldsvermutung gilt – häufig als Täter wahrgenommen. Auch in der Gesetzgebung,94 der juristischen Praxis und der Literatur wird der Angeklagte häufig eher als Krimineller und nicht als ‚Mitbürger unter Tatverdacht‘95 wahrgenommen. Ein bisher – soweit ersichtlich  – nicht beachtetes Phänomen ist die universitäre Ausbildung, aus deren Sachverhalten sich nahezu immer eine Strafbarkeit ergibt und in der die zu beurteilende Person fast durchweg als ‚Täter‘ bezeichnet wird.96 Die Struktur des Strafverfahrens, in dem das erkennende Gericht zuvor über den hinreichenden Tatverdacht entschieden hat (§  203 StPO) und die Hauptverhandlung mit der Verlesung der Anklageschrift beginnt, verstärkt strukturell die Wahrnehmung des Angeklagten als Täter (ausf. IV.).97 Dass eine solche Sichtweise nicht ohne Einfluss auf Gesetzgebung und Anwendung der Gesetze bleibt, dürfte auf der Hand liegen.98 Es kann daher nicht oft genug festgehalten werden, dass der Angeklagte Subjekt und Bürger ist, der einem Tatverdacht ausgesetzt ist, welcher im Rahmen der Hauptverhandlung geklärt werden soll.99 Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gebietet es auch gedanklich einzubeziehen, dass der Angeklagte zwar möglicherweise nicht ‚unschuldig‘ ist, aber auch nicht in der Art und Weise ‚schuldig‘ wie die Anklage dies behauptet.100 Der Verweis auf die Unschuldsvermutung darf jedoch nicht davon ablenken, dass der ‚Schuldige‘ in gleichem Maße ein Anrecht auf eine faire Verhandlung und ein angemessenes Urteil hat,101 und dass ein ‚angemessenes Urteil‘ der Freispruch ist, wenn der Tatvorwurf nicht in rechtsstaatlicher Weise nachgewiesen werden kann.102 Die Betrachtung der Angeklagtenperspektive muss also den Gedanken einbeziehen, Dazu auch Friedmann S.  74. Vgl. kritisch zum ‚Täter‘ in der StPO: Diercks AnwBl 1999, 311; Kühne Rn.  303 f.; Schroeder NJW 2000, 2483; Zaczyk StV 1993, 490 (491). 95  Wohlers GA 2005, 11 (12). 96 Vgl. Röhl S.  377. 97  Bernsmann StraFo 1999, 226 (229). 98 Vgl. Diercks AnwBl 1999, 311 (315); Vargha S.  284. 99  BVerfGE 82, 106; AK Strafprozeßreform S.  27; Weigend ZStW 113 (2001), 271 (291); Peters, Strafprozeß S.  81, 202; Schrepfer S.  82 f. 100  Müller-Meinigen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (49 f.). 101  Degenhart in HStR III Rn.  30; Klemke/Elbs Rn.  35; Rudolphi ZRP 1976, 165 (166); vgl. Neuhaus StV 2002, 43 (45); Müller-Meinigen Jr. aaO. 102  Rudolphi ZRP 1976, 165 (172); Welp ZStW 90 (1978), 804 (817). 93 

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dass die entsprechende Person dem Verfahren möglicherweise materiell-rechtlich zu Unrecht ausgesetzt ist. 2.  Psychische Situation Bereits ein laufendes Strafverfahren stellt für die meisten Beschuldigten eine außerordentliche psychische Belastung dar,103 welche sich in der mündlichen, öffentlichen Hauptverhandlung zuspitzt.104 Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Hauptverhandlung auch für den psychisch und physisch gesunden Angeklagten eine erhebliche psychische und teilweise auch physische Belastung bis Überlastung.105 Bereits ohne die Aufgabe der Selbstverteidigung – also wenn die materielle Verteidigung von einem Verteidiger übernommen wird – ist die Situation vor Gericht für den Angeklagten komplex und häufig überfordernd.106 Dementsprechend stellt bereits das Strafverfahren und speziell die Hauptverhandlung eine informelle Sanktion dar,107 weshalb das Gebot der Verfahrensbeschleunigung besteht (vgl. 3.  Kap. A.).108 Um die sehr spezielle Belastungssituation einer Hauptverhandlung eingehender darlegen zu können, werden im Folgenden die Faktoren, die diese Belastungssituation ausmachen, im Einzelnen betrachtet. Dies ist eine zu Gunsten der Darstellbarkeit vorgenommene, künstliche Auftrennung. Die spezifische Belastung des Angeklagten ergibt sich erst aus dem Zusammenwirken der einzelnen Faktoren.

103  BVerfG NJW 1993, 3254 (3255) mwN; Hanack JZ 1971, 705 (711); Kern MschrKrim 1924, 237 (239); Kohlmann in FS-Pfeiffer, S.  203 (205);  Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (331); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); vgl. Dahs Rn.  16; Giehring in Hassemer/Lüderssen, S.  181 (187); Kloepfer JZ 1979, 209 (214); Küng-Hofer S.  28; Chr. Laue GA 2005, 648 (648); Mansdörfer GA 2010, 153 (153); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (431 f.). 104  Bernsmann in FS-Kriele, S.  697 (709); Dürkop in Holtfort, S.  152 (159) mwN insb. zur englischsprachigen Forschung; Klemke/Elbs Rn.  402, 428. 105  BVerfG NJW 2002, 51 (52). 106  BVerfGE 110, 226 (253) („mit erheblichen Belastungen verbunden“); Bernsmann in FS-Kriele, S.  697 (709); Bernsmann/Gatzweiler Rn.  946 („besondere psychische Belastung“); v.  Hippel (1941) S.  247; Zieger Rn.  149 („extrem schwierigen, bedrohlichen Situation“); vertiefend zu den sozialpsychologischen Dimensionen des Auftretens vor Gericht: Dürkop, insbes. S.  116 ff.; vgl. auch Barton MschrKrim 1988, 93 (97 f.); Klemke/Elbs Rn.  466. 107  Göppinger/Schneider §  31 Rn.  9 f.; Kloepfer JZ 1979, 209 (214); Küng-Hofer S.  28. 108  Vgl. u. a. BT-Drucks. 7/551 S.  34; BVerfG NJW 1992, 2472 (2473); 1993, 3254 (3255 f.) mwN; 1995, 1277 (1277); BGH NJW 1999, 1198 (1198 f.); Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  309; Hanack JZ 1971, 705 (711); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (331 ff.); Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (636 f.); Rzepka S.  46; Sommer StV 2012, 107 (107); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); vgl. auch Küng-Hofer S.  28.

108

2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

a) Verdacht Im Strafverfahren ist der Angeklagte einem Schuldvorwurf ausgesetzt, der durch den Staat – einem aus Sicht des Einzelnen übermächtigen Gegenüber – erhoben wird.109 Dies unterscheidet die Situation des Angeklagten im Strafprozess signifikant von der Situation des Beklagten im Zivilverfahren.110 Dieser Schuldvorwurf ist nicht nur durch die Angst vor den möglichen Rechtsfolgen belastend. Schon alleine die erhobene Anklage – als materialisierte Form des Verdachts – ist ein gesellschaftliches Stigma. So wie prozessual die Anklage nicht nur auf einem einfachen Tatverdacht beruht, sondern auf dem hinreichenden Tatverdacht (§  170 Abs.  1 StPO), so ist auch die öffentliche Wahrnehmung einer Anklage bereits eine teilweise Verurteilung: ‚Irgendwas wird schon dran sein‘.111 Da die fragliche Handlung meist unabhängig von der juristischen Beurteilung gesellschaftlich als ‚unmoralisch‘ bewertet wird, setzt die ausführliche Thematisierung der Handlung in einer Hauptverhandlung den Angeklagten erheblichem Stress aus.112 So ergab eine empirische Untersuchung von Barton, dass in ca. 30  % der Verfahren für den Angeklagten neben dem eigentlichen Urteil auch die ‚Gesichtswahrung‘ ein wichtiges Verteidigungsziel war.113 Nicht erst die Verurteilung, sondern bereits das Verfahren kann langfristige negative Folgen für die berufliche oder soziale Lebensführung bewirken.114 Diese Wirkung der Anklage ist dem Angeklagten zumeist bewusst.115 Dadurch ist unabhängig von einer tatsächlichen gesellschaftlichen Reaktion, z. B. in Gestalt des sozialen Umfeldes, allein die Tatsache, sich einem Verdacht ausgesetzt zu sehen, eine emotionale Belastung. Aus diesem Grund sieht auch der GesetzKlemke/Elbs Rn.  621: vgl. auch Rottleuthner KJ 1971, 60 (83). Nickol S.  8 f. 111 Vgl. Arzt S.  84; Jansen Rn.  183; E. Müller NJW 1981, 1801 (1807); Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1219). 112  Peters, Strafrechtspflege S.  99; vgl. auch Barton MschrKrim 1988, 93 (97 f.); vgl. auch BVerfGE 96, 245 (249); 118, 212 (231). 113  Barton aaO, wobei sich dieses Ergebnis nur eingeschränkt verallgemeinern lässt, da ein überdurchschnittlicher Teil der Verfahren im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung lag; vgl. auch Dürkop in Holtfort, S.  152 (162 f.). 114  Hanack JZ 1971, 705 (711); Kloepfer JZ 1979, 209 (214); Küng-Hofer S.  28; Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (331 f.); Sommer StV 2012, 107 (107); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); vgl. zu Jugendverfahren auch BGHSt 42, 294 (296); Dallinger/Lackner §  48 Rn.  2; Laubenthal/Baier/Nestler Rn.  349. 115  Khostevan S.  112 f.; Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1219); Müller-Meiningen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (52); vgl. auch Barton MschrKrim 1988, 93 (97 f.); Dahs Rn.  16; Eilsberger MschrKrim 1969, 304 (312); Giehring in Hassemer/Lüderssen, S.  181 (187); Sommer StV 2012, 107 (107). 109 

110 Vgl.

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geber eine Aufgabe des Strafverfahrens darin, einen Verdacht möglichst schnell auszuräumen und den Ruf des Betreffenden wiederherzustellen.116 b)  Straferwartung Zu dieser Stigmatisierung aufgrund des Tatverdachts kommt die Angst vor der Strafe. Insbesondere die Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens ist ein stark belastendes Moment.117 So sieht auch die psychologische Forschung die mangelnde Vorhersagbarkeit als einen Indikator für Belastungssituationen an.118 Die Höhe der Straferwartung bleibt für den Angeklagten zumeist undurchsichtig und wirkt sich dadurch zusätzlich verunsichernd aus.119 Der gesetzliche Strafrahmen ist bei den meisten Delikten sehr weit und dem Angeklagten fehlt die forensische Erfahrung, um den eigenen Fall innerhalb dieses Strafrahmen verorten zu können.120 Die Verurteilung greift mehr oder weniger massiv in die Lebensgestaltung des Verurteilten ein. Dabei geht es für den Verurteilten nicht nur um eine Einordnung der Verurteilung als scharf oder mild im Vergleich zu anderen Verfahren oder zum Strafrahmen, sondern um die ganz konkreten Auswirkungen auf die eigene Lebensgestaltung. Wie beeinträchtigend welche Strafe ist, unterliegt keiner objektiven Bewertung, sondern hängt von der konkreten Lebenssituation und subjektiven Wahrnehmung ab.121 Gerade für gerichtsunerfahrene Personen ist nicht nur die mögliche Strafhöhe belastend, sondern schon die Möglichkeit einer Verurteilung an sich.122 Eine Verurteilung beinhaltet eine negative Bewertung durch wichtige Autoritäten der Gesellschaft und somit eine soziale Zurückweisung.123 „Strafe ist“ laut dem BT-Drucks. 7/551 S.  34; vgl. auch Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (332); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (431 f.). 117  BT-Drucks. 7/551 S.  34; Beccaria S.  93; Fuchs S.  29; Khostevan S.  112 f. (Äußerungen von befragten jugendlichen Straftätern); E. Müller NJW 1981, 1801 (1805); Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1218 f.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (431 f.); Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (636 f.); Sommer S.  145; ders. StV 2012, 107 (107); vgl. auch Kohlmann in FS-Pfeiffer, S.  203 (205). 118  Busse/Volbert in Psychologie im Strafverfahren, S.  224 (227); Jerusalem S.  18; vgl. auch Busse/Volbert/Steller S.  27. 119 Vgl. Dahs Rn.  22; Dürkop S.  98; Zieger Rn.  183; bei Jugendlichen zumeist erhöhte Straferwartung: Khostevan S.  110, 196. 120  Dahs Rn.  22; eindrücklicher, persönlicher Bericht eines Jugendlichen über eigene Gerichtsverhandlung in: Dürkop S.  232; Zieger Rn.  183. 121  So auch MAH/Nobis §  10 Rn.  9; R. Schmid in Schuld und Sühne, S.  74 (77); vgl. auch Sommer S.  146. 122  Kortz S.  188. 123  Lind in Verfahrensgerechtigkeit, S.  3 (9); vgl. auch Rudolphi ZRP 1976, 165 (165). 116 

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

Bundesverfassungsgericht „für den Bürger eine der einschneidendsten Formen staatlichen Handelns“,124 welche ein staatliches und sozial-ethisches Unwerturteil ausdrückt.125 Die Angst vor einer Verurteilung unabhängig von der Höhe der Strafe basiert auch auf dem gesellschaftlichen Label ‚kriminell‘. Statusminderung und Stigmatisierung sind mögliche Folgen einer Verurteilung, die zu einer Einschränkung der Lebenschancen führen können.126 Insbesondere die Furcht vor beruflichen Konsequenzen stellt eine Belastung während des gesamten Verfahrens dar.127 Gerade Auszubildende und Studierende äußern häufig die Befürchtung, durch ein einziges Strafverfahren die Möglichkeit zu verlieren, den gerade erlernten Beruf später auszuüben. c)  Beurteilung der Person In Bezug auf künftige Bewerbungen wird befürchtet, dass die vom potentiellen Arbeitgeber vorausgesetzte Eigenschaft ‚Zuverlässigkeit‘ mit der Tatsache einer früheren Verurteilung negativ korreliert wird.128 Auch in der Hauptverhandlung selber wird nicht nur über eine einzelne Handlung geurteilt, sondern auch über die Person des Angeklagten.129 Bei der Verurteilung von Jugendlichen und Heranwachsenden ist die Tat nur Anlass der Verurteilung – ein Einbezug der gesamten Persönlichkeit also vorgesehen (vgl. §  5 JGG). Ein solcher Einbezug findet unter anderem durch den Bericht der Jugendgerichtshilfe statt, der – soweit entsprechende Unterlagen und Informationen vorliegen – die gesamte Biographie, u. a. Jugendhilfemaßnahmen, Familiensituation und Bildungslaufbahn, schildert.130 Doch auch im allgemeinen Strafverfahren werden mehr oder weniger ausführlich biographische Daten abgefragt und im Urteil wiedergegeben. In Verfahren gegen Erwachsene wird zwar nach herrschender Ansicht das sog. Täterstrafrecht abgelehnt.131 Dennoch enthält jede strafrechtliche Verurteilung ein „mit staatlicher Autorität versehe-

124 

BVerfGE 118, 212 (231). BVerfGE 96, 245 (249); 118, 212 (231). 126  Giehring in Hassemer/Lüderssen, S.  181 (187); vgl. auch Arntzen S.  82 f.; Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 127 Vgl. Waßmer aaO. 128  Vgl. bspw. BAG NJW 1999, 3653; LSG Bayern BeckRS 2009, 55350; Joussen NZA 2012, 776. 129  So auch Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (49); vgl. auch Bernsmann in FS-Kriele, S.  697 (709); Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (144 f.); Nickol S.  9. 130  Vgl. zum Erleben des betreffenden Jugendlichen: Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in: Dürkop S.  232. 131  MüKo-StGB/Joecks Einl. Rn.  42; Sch/Sch-Lenckner/Eisele Vorb. zu §§  13 ff. Rn.  3 ff. 125 

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nes, sozial-ethisches Unwerturteil“132 „über Tat und Täter“.133 Dieses Unwerturteil über die Person ist so einschneidend, dass es den Wert- und Achtungsanspruch aus Art.  1 Abs.  1 GG berührt, also die Menschenwürde betrifft.134 Tatund Täterstrafrecht sind nur in einer rechtstheoretischen Diskussion strikt voneinander zu trennen. Zum einen wird die Person bei der Frage der Strafzumessung einbezogen,135 zum anderen enthält – neben dem Unwerturteil – auch der Schuldspruch häufig eine Beurteilung der Person, etwa, wenn Motive einbezogen werden oder eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung stattfindet. In Bezug auf Zeugen wurde festgestellt, dass die Zeugenaussage u. a. deshalb eine psychische Stresssituation darstellt, weil die Situation als Beurteilung der eigenen Person empfunden wird.136 Insbesondere die Infragestellung der Aussage wird als belastende Beurteilung der eigenen Person erlebt.137 Macht man sich den Zweck der Anwesenheitspflicht des Angeklagten bewusst, ist die These, trotz Tatstrafrechts spiele die Beurteilung der Person des Angeklagten eine relevante Rolle,138 kaum von der Hand zu weisen. Denn Zweck der Anwesenheitspflicht ist u. a., dass „dem Tatrichter ein unmittelbarer Eindruck von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen vermittelt und damit die Wahrheitsfindung gefördert werden“ kann.139 d)  Fremde Situation Der Schuldvorwurf und die damit verbundene Straferwartung stellen also eine psychische Belastung dar. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hauptverhandlung, in der dieser Vorwurf abschließend geklärt werden soll, für den Angeklagten eine fremde Situation darstellt, die geprägt ist von einer formellen Inszenierung, auf deren Handlungs- und Sprachrituale die Alltagserfahrungen von Laien kaum anwendbar sind.140 Trotz der theoretischen Öffentlichkeit der meisten Strafprozesse ist für unvorbelastete Angeklagte das Setting der Haupt132 

BVerfGE 96, 245 (249); sinngemäß auch BVerfGE 118, 212 (231). BVerfGE 118, 212 (231) Hervorhebung nicht im Original; sinngemäß auch BVerfGE 96, 245 (249). 134  BVerfGE 118, 212 (231). 135  BVerfG aaO (233); Sch/Sch-Lenckner/Eisele Vorb. zu §§  13 ff. Rn.  7. 136  Busse/Volbert in Psychologie im Strafverfahren, S.  224 (228). 137 Vgl. Busse/Volbert aaO 138  Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (49); vgl. auch Dahs Rn.  488; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (144 f.). 139  BGHSt 26, 84 (90); so auch BVerfGE 118, 212 (233); BGHSt 3, 187 (190); Meyer-Goßner/Schmitt §  230 Rn.  3; deutlich: Nickol S.  9; vgl. auch Peters, Strafprozeß S.  203; krit. Stein ZStW 97 (1985), 303 (325 f.). 140  Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (143); vgl. Dürkop S.  51; Legnaro/Aengenheister, S.  1 f. 133 

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

verhandlung zumeist völlig fremd, für andere Angeklagte immerhin noch undurchsichtig und ungewohnt.141 Die strafrechtliche Hauptverhandlung ist eine von vertrauten sozialen Situationen völlig losgelöste Situation.142 Der Angeklagte ist nicht nur mit dem Ablauf und den formellen Regeln nicht vertraut, sondern auch mit informellen sozialen Regeln hinsichtlich Verhalten, Rollenerwartungen und Kommunikationsstrukturen.143 Während sich die Juristen in ihrem gewohnten Alltag befinden, ist ihr Gegenüber in einer völligen Ausnahmesituation.144 Die Kenntnis des Angeklagten kann durch im Vorfeld der Verhandlung erfolgte Erläuterungen über die Verfahrensbeteiligten, deren Funktionen, den formellen Verfahrensablauf und empfohlenes Verhalten erhöht werden. Kenntnis ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Erfahrung. Ein neues Handlungssetting bleibt ungewohnt und fremd, auch wenn theoretisches Wissen über diese Situation vermittelt wurde (vgl. S. 117  f.). Solch neue Situationen mit unbekanntem Verlauf und Ausgang sind extrem belastend und erfordern eine hohe Stressverarbeitungskompetenz.145 Diese psychische und soziale Herausforderung wird seitens der Justiz nicht vermindert, sondern durch den formellen Ablauf und die rituelle Inszenierung verstärkt.146 Zudem haben der meist erhöhte Richtertisch und der architektonische Aufbau vieler älterer Gerichtsgebäude eine einschüchternde Wirkung.147 Auch die Größe des Verhandlungssaals und die dadurch geschaffene Distanz zwischen den Beteiligten erschwert die Situation, da bedingt durch die Entfernung lauter als sozial üblich gesprochen werden muss, was den Stress erhöht (dazu auch S. 126).148 So empfanden nach einer Umfrage von INFAS 69  % der Befragten die einschüchternde Atmosphäre beim Zivilgericht als abschreckend.149 Diese Einschätzung wurde aus einer vorge141  Dahs Rn.  488; Hammerstein JR 1985, 140 (142); Kaupen/Rasehorn NJW 1971, 497 (498); vgl. Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  17; Vogtherr S.  168 f.; Weider StV 1983, 270 (272); Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in: Dürkop S.  232; vgl. zum Abbau dieser Schwierigkeiten: Soeffner in Recht und Sprache, S.  73 (94 f.). 142 Vgl. Legnaro/Aengenheister, S.  1 f. 143  Dahs Rn.  488; Fuchs S.  27, 81; Hammerstein aaO; Unkenntnis über die verschiedenen Beteiligten: Khostevan S.  100; vgl. Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (50 f.); Legnaro/ Aengenheister, S.  3; Weider StV 1983, 270 (272); Zieger Rn.  203 ff. 144  Peters, Justiz als Schicksal S.  182; vgl. auch Hammerstein aaO. 145  Busse/Volbert in Psychologie im Strafverfahren, S.  224 (227 f.); Jerusalem S.  17 f.; Pfordte/Degenhard §  3 Rn.  3; vgl. Peters, aaO zur Untersuchungshaft. 146 Vgl. Arntzen S.  9; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (143); Legnaro/Aengenheister, S.  3; Raiser S.  318; zu den vielfältigen Diskussionen in den 1970er Jahren: OVG Stuttgart DRiZ 1969, 92; N.N. DRiZ 1969, 250; v. Schlotheim DRiZ 1969, 324; Wassermann in Wassermann S.  13 (36); zusammenfassend: Stehmeyer insb. S.  6 ff. 147  Stehmeyer S.  29, 39 f. 148  Jansen Rn.  168. 149  Nach Wassermann in Wassermann, S.  13 (14); gefragt wurde nach Gründen, die Per-

A.  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung

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stellten Klägerperspektive im Zivilprozess ermittelt. Für den Angeklagten dürfte sich aufgrund der unterlegenen Verfahrensrolle die Atmosphäre in verstärktem Maße in dieser Weise darstellen. Während unbekannte Verhaltensanforderungen – insbesondere bei Personen mit allgemein eingeschränkter Handlungskompetenz und geringem Verhaltensrepertoire150  – bereits zu einem erhöhten Stresslevel führen,151 wird die Interaktionsfähigkeit zusätzlich durch das Wissen um die Diskrepanz zwischen der eigenen Unkenntnis und der Eingeweihtheit der Juristen gehemmt.152 Dazu trägt auch die Fachsprache bei, die neben Kommunikationshürden (dazu ausf. S. 120  ff.) auch eine symbolische Abgrenzung zum Laien beinhaltet.153 Geradezu evident mag die Feststellung erscheinen, dass diese häufig einschüchternde Inszenierung mit den unbekannten Abläufen und Verfahrensregeln nicht nur eine fremde, sondern aus Sicht des Angeklagten auch eine feindselige Umgebung ist.154 Schon der bei Behörden oder Ärzten Hilfesuchende ist vielfach von der ungewohnten Situation und den ihm gegenüberstehenden Fachleuten verunsichert (vgl. S. 118). Der Angeklagte kann sich jedoch nicht damit beruhigen, dass die Situation letztlich Hilfe hervorbringen soll: Die Verhandlung richtet sich gegen den Angeklagten.155 e)  Konfrontation mit Zeugen und Öffentlichkeit Die Belastung durch die Verhandlungssituation kann sich zudem durch ein Zusammentreffen mit (geschädigten) Zeugen und durch die Öffentlichkeit der Verhandlung erhöhen.156 Lempp, der als psychiatrischer Sachverständiger in einem Prozess gegen mehrere Jugendliche und Heranwachsende beteiligt war, berichtet von den Verhaltensveränderungen, die er im Gerichtsaal bei den Angeklagten im Vergleich zu Einzelgesprächen festgestellt hat, und sieht diese Verändesonen von der Geltendmachung einer Forderung vor Gericht abhalten; vgl. auch Kaupen/ Rasehorn NJW 1971, 497 (498). 150  Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1255); vgl. auch Raiser S.  318. 151  Busse/Volbert in Psychologie im Strafverfahren, S.  224 (227 f.); Busse/Volbert/Steller S.  27; vgl. Soeffner in Recht und Sprache, S.  73 (80 f.). 152  Winter/Schumann in Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1972, S.  529 (539 f.); vgl. auch Jerusalem S.  4. 153  Ermert in Recht und Sprache, S.  11 (12); vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  849. 154  Fuchs S.  29, 80 f.; Weider StV 1983, 270 (272); Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in: Dürkop S.  232. 155 Vgl. Legnaro/Aengenheister, S.  12 f. mit dem Hinweis der Sprachregelung: „Verhandlung gegen …“ anstatt bspw.: „Verhandlung wegen dem Vorwurf …“. 156  Eilsberger MschrKrim 1969, 304 (312); Klemke/Elbs Rn.  428, 466; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  18 f.; Stein ZStW 97 (1985), 303 (303); Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in: Dürkop S.  232; vgl. auch Sommer S.  146.

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

rung u. a. in der Öffentlichkeit der Verhandlung begründet.157 Einige Angeklagte, die sich zuvor eingelassen hatten, schwiegen.158 Diejenigen Angeklagten, die redeten, wurden seiner Ansicht nach durch den Showeffekt des Prozesses veranlasst, besonders deutlich entsprechend der ihnen zugeschriebenen Rolle aufzutreten.159 Dies entspricht den Überlegungen, die zu einer grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit der Jugendgerichtsverhandlung geführt haben und die ebenfalls die Belastungen des Angeklagten durch die Öffentlichkeit der Verhandlung aufzeigen.160 f) Zusammenfassung Aus dem Ausgeführten ergibt sich, dass der Ansatz der Rechtsprechung, die Bedeutung der Verteidigeranwesenheit vorwiegend an der erwarteten Strafhöhe zu ermessen, aus Sicht des Angeklagten fehlgeht. Zum einen ist die Bedeutung der Straferwartung subjektiv, zum anderen ist gerade bei bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten die Straferwartung bedeutend geringer, zugleich ist aber gerade bei diesen Personen eine besonders hohes Maß an Verunsicherung durch das Verfahren und die Hauptverhandlung vorhanden.161 Die Zumutbarkeit der Verhandlung ohne Verteidiger darf aufgrund der dargestellten Lage des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht nur anhand des erwarteten Ergebnisses der Verhandlung beurteilt werden. Es ist auch zu beachten, inwiefern die Verhandlung selbst eine – möglicherweise über die formelle Sanktion hinausgehende – Belastung darstellt und inwiefern die Subjektstellung des Angeklagten – die nicht nur das Ergebnis beeinflussen soll, sondern einen Selbstzweck darstellt – ohne Verteidiger gewährleistet ist. 3. Verteidigungskompetenzen Die Situation des Angeklagten in der Hauptverhandlung lässt sich nicht streng in eine psychologische und eine kompetenzorientierte Perspektive aufschlüsseln. Denn die beschriebene psychische Stresssituation wirkt in erheblichem Maße hemmend auf die Handlungskompetenzen ein (dazu a]). Andersherum ist die Stressverarbeitung durch die Handlungskompetenzen bedingt: Je geringer die Kompetenzen sind, desto schlechter ist die Stressverarbeitung. Somit findet eine wechselseitige, negative Beeinflussung statt. Lempp MschrKrim 1998, 125. Lempp aaO (126). 159  Lempp aaO (126). 160  BGHSt 42, 294 (296); Dallinger/Lackner §  48 Rn.  2; HK-JGG/Schatz §  48 Rn.  2; Laubenthal/Baier/Nestler Rn.  349. 161  Kortz S.  188. 157 

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Der hypothetischen Verteidigungskompetenz eines durchschnittlichen Laien kann man sich anhand der im Prozess notwendigen Handlungs- und Wissenskompetenzen annähern (b]). Diese hypothetische durchschnittliche Verteidigungskompetenz wird, wie erwähnt, durch die psychische Belastung eingeschränkt. Darüber hinaus ist fraglich, ob die Kompetenz des durchschnittlichen Angeklagten der Kompetenz des durchschnittlichen Laien entspricht (vgl. S. 123). a)  Einschränkungen durch die Belastung der Hauptverhandlung In der strafrechtlichen Literatur besteht Einigkeit darin, dass durch die emotionale Stressbelastung das Verhalten in der Hauptverhandlung nicht mit den Alltagskompetenzen des Angeklagten übereinstimmt.162 Auch rational denkende, gebildete und artikulationsgeübte Menschen sind mit der Situation häufig überfordert.163 Durch die persönliche Involviertheit ist die Verteidigungsfähigkeit unabhängig von etwaigen Rechtskenntnissen und rhetorischen Fähigkeiten eingeschränkt.164 Schon eine realistische Einschätzung der Sach- und Rechtslage wird durch die mangelnde sachliche Distanz erschwert;165 ebenso die Möglichkeit, eine rational entworfene Prozessstrategie durchgehend einzuhalten.166 Daher wird selbst Anwälten von einer Selbstverteidigung abgeraten.167 Aus der Zeugenpsychologie ist bekannt, dass die Aussagequalität von der emotionalen Verfasstheit des Zeugen abhängig ist und damit auch vom Befragungssetting beeinflusst wird.168 Eine ungewohnte und ggf. als unangenehm empfundene Situation beeinträchtigt das Erinnerungsvermögen von Zeugen.169 162  Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Abschn. J, Rn.  103; Dahs Rn.  543; Dürkop S.  9; Friedmann S.  117; Mehle S.  29; Nickol S.  7; Peters, Strafprozeß S.  212; Peters, Strafrechtspflege S.  99. 163  Löwe/Rosenberg/Kühne aaO; Bernsmann/Gatzweiler Rn.  954; Dahs Rn.  543; Mehle S.  29; Peters, Justiz als Schicksal S.  17; E. Müller NJW 1981, 1801 (1805). 164  Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Abschn. J, Rn.  103; AK Strafprozeßreform S.  39; Beulke StV 2007, 261 (265); Dahs Rn.  9; Gerlach in FS-Peters, S.  153 (167); Hammerstein JR 1985, 140 (142 f.); Kühne Rn.  170; Vargha S.  290 f.; vgl. Schrepfer S.  86 f., 115; Weider StV 1983, 270 (272). 165  SK-StPO/Wohlers §  140 Rn.  37; Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Hammerstein aaO; Schrepfer S.  115; Stein ZStW 97 (1985), 303 (316); Welp ZStW 90 (1978), 101 (116); vgl. auch Beulke, Der Verteidiger S.  42; E. Müller NJW 1981, 1801 (1805). 166  Hammerstein aaO (142); vgl. dazu auch S. 119  f. 167  Beulke, Der Verteidiger S.  42; Schrepfer S.  115; vgl. auch Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Beulke StV 2007, 261 (265); Ermert in Recht und Sprache, S.  11 (13 f.); Kühne Rn.  170; Soeffner in Recht und Sprache, S.  73 (74 f.). 168  MAH1/Endriß/Höfer/Schroth §  48 Rn.  35; Stehmeyer S.  29; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1327. 169  Jansen Rn.  502; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1323, 1336.

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Unabhängig von der subjektiven Motivation erinnert sich der Zeuge in der polizeilichen Vernehmung an weniger Details als in einem vertrauten Gespräch.170 Dies entspricht auch den Erkenntnissen der Lernpsychologie, nach denen bei übermäßiger Aufregung das Gehirn nur eingeschränkt leistungsfähig ist.171 Somit kann davon ausgegangen werden, dass die kognitiven Leistungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung verringert sind. Neben diesen kognitiven Einschränkungen kann die emotionale Belastungssituation weitere Einflüsse auf die Verteidigungskompetenz haben. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unverständlichkeit der Ergebnisfindung kann dazu führen, dass sich die Situation als unbeeinflussbar darstellt, so dass der Angeklagte gar nicht erst versucht, aktiv mitzuwirken.172 Ein solches Verhalten kann vom Gericht als Ignoranz gegenüber dem Verfahren auslegt werden und sich dadurch zu Ungunsten des Angeklagten auswirken. Ebenso kann es vorkommen, dass der Angeklagte aus Schüchternheit oder Überforderung schweigt, dies jedoch als Trotz ausgelegt wird, oder dass Angst und Unsicherheit hinter ‚Frechheit‘ versteckt werden.173 Die Belastungssituation kann bei dem überforderten Angeklagten also nicht nur dazu führen, dass Verteidigungschancen ungenutzt bleiben, sondern einen darüber hinausgehenden negativen Einfluss haben (vgl. S. 110  f.).174 Der von dem Angeklagten als unzureichend wahrgenommene Versuch, sich zu verteidigen, kann wiederum die psychische Belastung in der Situation erhöhen.175 So kann die unzureichende Beurteilungsmöglichkeit der Auswirkung einer Einlassung aufgrund fehlender rechtlicher Kenntnisse und forensischer Erfahrung dazu führen, dass der Angeklagte sich gerne verteidigen möchte, aber aus Angst vor Fehlern schweigt oder etwas sagt, aber unsicher ist, ob die Aussage sich nicht doch belastend auswirkt. Diese erlebte eigene Handlungsunfähigkeit kann zu erheblichen emotionalen Belastungen führen.176 Die Handlungs- und Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten sind also in vielfältiger Weise mit dem subjektiven Erleben der Hauptverhandlung verknüpft. Dies gilt besonders für einen Angeklagten, der zum ersten Mal eine Hauptverhandlung erlebt, also keine Möglichkeit hatte, Handlungskompetenzen Arntzen S.  9; Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (60 f.). Barthel S.  11. 172  Dürkop in Holtfort, S.  152 (156) mwN; dies. S.  57; Fuchs S.  27; Vogtherr S.  34; vgl. auch Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in Dürkop S.  232. 173  Lempp MschrKrim 1998, 125 (126); Oksaar in Wassermann, S.  83 (106 f.); vgl. auch Dahs Rn.  491; Mostar in Schuld und Sühne, S.  128 (133); Rottleuthner KJ 1971, 60 (83). 174  Dahs Rn.  488, 491; Peters, Strafrechtspflege S.  99; Vogtherr S.  168; vgl. ‚mahnend‘ Eisenberg, Beweisrecht Rn.  843. 175 Vgl. Jerusalem S.  4 f. 176  Müller-Meiningen Jr. in Schuld und Sühne, S.  49 (54); Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in Dürkop S.  232; vgl. auch Fuchs S.  27. 170  171 

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durch Erfahrung zu erlangen.177 Dies dürfte mindestens die Hälfte der Angeklagten betreffen; zumindest wurde an Landgerichten in Ballungsgebieten ein Anteil von Angeklagten ohne Vorstrafe in Höhe von 47  % festgestellt.178 Bei einer kleinen Stichprobe am Amtsgericht war von 21 Angeklagten knapp die Hälfte nicht vorbestraft.179 Da abstraktes Wissen Erfahrung nicht ersetzt, kann auch eine gute Vorbereitung auf die Hauptverhandlung fehlende Erfahrung nicht ausgleichen. In Bezug auf die polizeiliche Vernehmung hat der Bundesgerichtshof schon mehrfach festgestellt, dass das theoretische Wissen über Beschuldigtenrechte den Beschuldigten in der ungewohnten und belastenden Situation der Vernehmung nicht ausreichend schützt, wenn dieser die Rechte alleine durchsetzen muss.180 Es reicht also nicht aus, das Wissensdefizit aufzuheben, wenn zusätzlich ein Erfahrungsdefizit und eine psychologische Belastungssituation bestehen.181 Dies wird am Beispiel der vorbereiteten Einlassung deutlich: Selbst wenn die Einlassung zuvor mit dem Verteidiger durchgesprochen wurde, tritt in der Verhandlung schnell eine Überforderung des Angeklagten ein.182 Beispielsweise werden in der Aufregung vorher durchdachte Punkte vergessen.183 Verstärkt wird dies dadurch, dass einige Richter den Angeklagten nicht ausreden lassen,184 sondern durch Fragen unterbrechen oder keinen offenen Einstieg ermöglichen, sondern bspw. fragen, ob die in der Anklage geschilderten Vorgänge sich so zugetragen haben.185 Eine solche Frage kann Angeklagte verunsichern, die geplant hatten chronologisch zu berichten – d. h. mit der aus ihrer Sicht bedeutenden Vorgeschichte und nicht mit der Schilderung der konkreten Tatsituation beginnen wollten.186 So gerät eine für den Angeklagten zuvor planbar erscheinende Situation schnell außer Kontrolle, wenn er nicht über genug Selbst­ 177  Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (51); Busse/Volbert in Psychologie im Strafverfahren, S.  224 (227 f.); vgl. auch MAH/Deckers §  45 Rn.  51. 178  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (198). 179  Hoffmann S.  385 ff. 180  BGHSt 38, 372 (375); 42, 15 (19); vgl. auch BGHSt 38, 214 (222, 224); Vogtherr S.  34; Wohlers JR 2002, 294 (294); Zieger Rn.  117 insb. zu Jugendlichen und Heranwachsenden; vgl. zu Handlungskompetenzen des Beschuldigten in der polizeilichen Vernehmung Giehring in Hassemer/Lüderssen, S.  181 (192). 181  Hammerstein JR 1985, 140 (142). 182  Dahs Rn.  543, 550; Klemke/Elbs Rn.  466; Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  32; Weider StV 1983, 270 (272). 183  Dahs Rn.  543; Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in: Dürkop S.  232. 184  Dahs Rn.  550; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (145); Peters, Justiz als Schicksal, S.  188 f.; vgl. auch Klemke/Elbs Rn.  468; vgl. jedoch Ergebnisse von Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (58). 185 Vgl. Eilsberger MschrKrim 1969, 304 (310); Kallmeyer aaO (145 f.). 186  Friedmann S.  118; Zieger Rn.  204; vgl. zum Hin- und Herspringen in einer Befragung auch: Kallmeyer aaO (149).

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sicherheit und Durchsetzungskraft verfügt, um sich nicht verunsichern zu lassen. Jedem Strafverteidiger dürfte die Erfahrung geläufig sein, dass die in der Vorbereitung der Verhandlung vom Mandaten überzeugend und plausibel vorgetragene Einlassung im Gerichtssaal weit weniger souverän wirkt und wichtige Details weggelassen oder anders dargestellt werden.187 Ähnliche Erfahrungen machten Strafrichter, die im Rahmen einer Fortbildung mit inhaftierten Jugendlichen diskutierten und sich – aufgrund ihrer Erfahrungen mit den kommunikativen Fähigkeiten von Jugendlichen vor Gericht – überrascht zeigten, wie differenziert die Jugendlichen sich in der Diskussion ausdrücken konnten.188 Eine teilweise vergleichbare Kommunikationsstruktur besteht beim Arzt-Patient-Gespräch. Auch hier ist die Kommunikationssituation von der Experten-Laien-Konstellation geprägt, welche sich durch den unterschiedlichen Zugang zur Fachsprache und der beruflichen Alltagssituation auf der einen und der Ausnahmesituation mit persönlicher Betroffenheit auf der anderen Seite auszeichnet.189 Eine weitere Ähnlichkeit zur Situation des Angeklagten liegt in der Hürde, fremden Menschen persönliche Dinge zu berichten. Ein großer Unterschied besteht hingegen in der Zielrichtung des Patienten, der Hilfe erlangen will und die Praxis zumeist aktiv aufsucht, wohingegen die Hauptverhandlung ein erzwungenes Ereignis ist. Auch ist die soziale Rolle eine gänzlich andere (vgl. S. 106  ff.), wenn auch in beiden Fällen eine zumeist unerwünschte. Mit der Übermittlung von Informationen im Arzt-Patient-Gespräch haben sich verschiedene Studien beschäftigt. Sowohl bei der Übermittlung von Informationen, die aus Sicht der Patienten zu erläutern gewesen wären als auch von Informationen, die aus medizinischer Sicht zur umfassenden Unterrichtung des Arztes wichtig gewesen wären, scheinen erhebliche Lücken zu bestehen.190 Werden Patienten in ihrer Schilderung durch Fragen unterbrochen, wird die Schilderung nach der Unterbrechung häufig nicht fortgesetzt und wichtige Informationen werden nicht übermittelt.191 Entsprechend stimmen in über der Hälfte der Fälle Arzt und Patient nicht darin überein, welches das hauptsächliche Gesundheitsproblem des Patienten ist.192 Die beschriebenen Unterschiede zwischen der Gesprächssituation des Patienten und der Kommunikation des Angeklagten mit 187  So auch Dahs Rn.  543, 550; Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  32; Weider StV 1983, 270 (272); vgl. auch Bernsmann/Gatzweiler Rn.  954; Klemke/Elbs Rn.  466 f. 188  Neuland in Wassermann, S.  141 (147). 189 Vgl. Siegrist S.  250 f. 190  Bär S.  10; vgl. auch L.  Geisler S.  17; Stewart/McWhinney/Buck, Journal of the Royal College of General Practitioners 1979, 29, S.  77 ff. 191  Beckman/Frankel, Annals of Internal Medicine 1984, 692 ff.; vgl. auch Langewitz/ Buddeberg-Fischer/Laederach in Psychosoziale Medizin S.  376. 192  Langewitz/Buddeberg-Fischer/Laederach in Psychosoziale Medizin S.  376.

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dem Gericht dürften die Kommunikationssituation für den Patienten im Vergleich zum Angeklagten verbessern. Es ist daher zu vermuten, dass eine Untersuchung des Kommunikationserfolgs des Angeklagten ebenso erhebliche Diskrepanzen zwischen der optimalen Informationsübermittlung und der tatsächlich erfolgten Übermittlung feststellen würde. Die empirische Forschung zum Arzt-Patient-Gespräch kann nur Ansatzpunkte liefern und eine eigenständige Forschung zur Einlassung des Angeklagten nicht ersetzten, an welcher es bisher noch mangelt. Auch wenn keine Einlassung beabsichtigt ist, sind die nötigen Kompetenzen – in diesem Fall die Fähigkeit zu schweigen  – nicht durchweg vorhanden.193 Neben rechtlichen Schwierigkeiten (s.  S. 133) besteht ein äußerer Druck durch die Richter und auch ein innerer Wunsch zu reden.194 Dieser Wunsch ergibt sich sowohl aus dem psychischen Drang sich erklären zu wollen195 bzw. Zeugen-Aussagen entgegentreten zu wollen,196 als auch dem verbreiteten Eindruck, Schweigen wirke wie ein Schuldeingeständnis.197 Die psychischen Anforderungen, sich dem Erwartungsdruck des Gegenübers hinsichtlich einer Äußerung zum Tatvorwurf zu entziehen, sind – wie Beneke und Sickor am falschen Geständnis aufzeigen  – komplex,198 zumal der Vorsitzende trotz der Belehrungspflicht nach §  243 Abs.  5 StPO die Option sich zu äußern – mehr oder weniger dezent – als die näherliegende darstellen kann.199 b)  Einschränkungen durch den Laien-Status Die psychischen Belastungen, denen der Angeklagte in der Hauptverhandlung ausgesetzt ist, schränken also die vorhandene Handlungskompetenz ein. Es ist jedoch bereits fraglich, inwiefern durchschnittliche Angeklagte ohne diese spezifischen Einschränkungen über ausreichende Kompetenzen zur Selbstverteidi193  Vgl. die zugrundeliegenden Sachverhalte u. a. bei BGHSt 38, 372; 58, 302 (302 f.); NJW  1992, 2903 (2904 f.) = BGHSt 38, 291 (dort insoweit nicht abgedr.); NStZ 2004, 450; NJW 2006, 1008 (1009); 2009, 3589; vgl. auch Klemke/Elbs Rn.  646. 194 Vgl. Dahs Rn.  494, 544; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  841 f.; Hoffmann S.  66; Sickor S.  268, 272 ff. mwN. 195  Hohmann in FA Strafrecht Rn.  37; Klemke/Elbs Rn.  435; Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  6; vgl. auch Dahs Rn.  491. 196  Richter II StV 1994, 687 (691 f.). 197  Dahs Rn.  494; Dürkop S.  38; Hohmann in FA Strafrecht Rn.  37; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (144, 146); Malek Rn.  243; Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  6. 198  Beneke S.  38 ff.; Sickor S.  265 ff. 199 Vgl. Dahs Rn.  546; Hoffmann S.  66 ff., insb. S.  71, der darüber hinaus herausarbeitet, dass die Belehrung teilweise mit der Ermahnung zur Wahrheit einhergeht; Khostevan S.  193, Äußerungen eines Richters in Experteninterview zur abnehmenden Geständnisbereitschaft als Problem.

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gung verfügen. Knapp zusammengefasst setzt Verteidigungskompetenz die Kenntnis prozessualer und materieller Nomen und ihrer praktischen Bedeutung voraus sowie ein Verständnis der Sprache des Gerichts und die Möglichkeit, sich selbst adäquat auszudrücken und die Wirkung der eigenen Äußerungen einzuschätzen. Darüber hinaus ist die Fähigkeit zu strategischem Denken nötig – also die Fähigkeit, eine Situation zu überblicken und entsprechende Schlussfolgerungen umzusetzen. Auch wenn hier wiederum aus Darstellungsgründen versucht wird, die notwendigen und vorhandenen Kommunikationskompetenzen getrennt von den erforderlichen Rechtskenntnissen zu betrachten, sind die Kommunikations- und die Wissensebene letztlich nicht aufzutrennen. Dies wird im Folgenden anhand der juristischen Denkweisen deutlich (dazu S. 120  ff.). Hinzu kommt: Je höher die Herausforderungen sind, der Verhandlung sprachlich zu folgen, desto geringer sind die Kapazitäten, zugleich rechtliche Möglichkeiten zu erfassen oder sich gar aktiv einzubringen.200 (1) Kommunikation In der mündlichen Hauptverhandlung liegt der Schwerpunkt der erforderlichen Kompetenzen neben rechtlichen Kenntnissen in der mündlichen Kommunikation.201 Neben der passiven Fähigkeit zur Aufnahme und inhaltlichen Einordnung der Äußerungen anderer Beteiligter müssen eigene Aussagen, Fragen an Zeugen, Stellungnahmen und Anträge adäquat formuliert werden. Die richterliche Sachverhaltsermittlung basiert auf Kommunikation. Der letztlich als prozessuale Wahrheit festgeschriebene Sachverhalt entsteht durch die Interaktion der Verfahrensbeteiligten. Die kommunikativen Vorgänge sind also von hoher Relevanz für den Schuldspruch.202 Die Richter müssen aus den präsentierten Schilderungen die relevanten Fakten herausfiltern, deren Wahrheitsgehalt beurteilen und rechtliche Schlüsse daraus ziehen. Dies setzt zuvor die Präsentation eben jener Fakten voraus. Durch diese Vorgänge sind die Einflussmöglichkeiten auf die Sachverhaltsfeststellung stark von den sprachlichen Handlungsoptionen abhängig.203 Entsprechend wurde in einer Studie eine Korrelation zwischen Redegewandtheit und dem erfolgreichen Einbringen nicht-aktenkundiger Aspekte festgestellt.204 Eisenberg, Beweisrecht Rn.  851. Kühne Rn.  724. 202  Spaniol S.  222; vgl. auch Barton, Einführung §  1 Rn.  34; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  599; MAH/Deckers §  45 Rn.  52 ff. 203  Eisenberg, aaO Rn.  601 ff. mwN; Calliess S.  103 f.; Giehring in Hassemer/Lüderssen, S.  181 (191); Vargha S.  658 f.; Wassermann in Recht und Sprache, S.  40 (56). 204  Winter/Schumann in Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1972, S.  529 (547); vgl. auch Eisenberg, aaO Rn.  602 mwN; MAH/Deckers §  45 Rn.  52 ff. 200 Vgl. 201 Vgl.

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Ohne dies detailliert auszuführen geht eine Reihe von Autoren von einem Mangel an sprachlichen und strategischen Kompetenzen bei den meisten Angeklagten aus.205 Unabhängig von der individuellen Sprachkompetenz beinhaltet die juristische Fachsprache besondere Schwierigkeiten. Die juristische Fachsprache enthält nicht nur Fachausdrücke, die ohne Kenntnis der Begriffe unverständlich sind, sondern in großem Maße Begriffe, die Bestandteile der Alltagssprache sind, aber in der Rechtswissenschaft eine andere Bedeutung haben.206 Herausragend, aber trotzdem nur ein Beispiel unter vielen, ist der Begriff ‚Gewalt‘. Dessen juristische Auslegung „im Zusammenhang des Normgefüges“207 ist für die meisten Laien überraschend. Diese ‚unsichtbaren‘ Fachbegriffe sind Anlass für Missverständnisse und für Laien eine besondere Herausforderung,208 vor allem, da die unterschiedlichen Begriffsinhalte für Laien kaum erkennbar sind.209 Neben den rein begrifflichen Schwierigkeiten besteht eine Besonderheit der juristischen Sprachwahrnehmung in der gedanklichen Umformung von alltagsweltlichen Darstellungen in einen juristischen Sachverhalt. Aus einem Geschehen wird ein Sachverhalt, indem nur die Bestandteile der Erzählung aufgenommen werden, die einem Tatbestand zugeordnet werden. Das bedeutet, es wird nicht zunächst ein Lebenssachverhalt ermittelt, der danach rechtlich beurteilt wird, sondern die Feststellung des Lebenssachverhalts verläuft schon unter dem Filter der strafrechtlichen Relevanz.210 Von der Rechtskenntnis hängt die Unterscheidung der Details eines Geschehens in relevant und irrelevant ab und dadurch auch die Wahrnehmung der in einer Darstellung enthaltenen Details. Es kommt bei diesem Herausfiltern von Informationen und Zuordnen unter Tatbestandsmerkmalen oftmals auf Nuancen an. Dieser Mechanismus wirkt sich nicht nur bei der gedanklichen Aufnahme eines geschilderten Geschehens aus, sondern ist bedeutend für die eigene Darstellung von Geschehnissen und für das

205  Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Dahs Rn.  9, 16, 550; Dürkop in Holtfort, S.  152 (154); Hammerstein JR 1985, 140 (142); Klemke/Elbs Rn.  466; Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1232); Schrepfer S.  118; Vogtherr S.  34; vgl. zum ‚letzten Wort‘ Kühne Rn.  264.1; vgl. auch Nachweise zur Einlassung Fn.  628 ff. 206  Eisenberg, aaO Rn.  848; Dürkop S.  68; Kühne Rn.  724; ausf. Oksaar in Wassermann, S.  83 (98 ff.). 207  BVerfGE 92, 1 (16). 208  Ermert in Recht und Sprache, S.  11 (12); Huth in Recht und Sprache, S.  98 (100). 209  Eisenberg, Beweisrecht Rn.  848. 210  Felder in Sprache des Rechts, S.  133 (insb. 137, 165); vgl. auch Eisenberg, aaO Rn.  852; Flader in Rotter, S.  133; Kühne, Kommunikation S.  50 f.; Rasch/Hinz Kriminalistik 1980, 377 (379 ff.); Wendler/Hoffmann Rn.  70; weitergehend: Calliess S.  97 ff.; vgl. auch Luhmann, Legitimation S.  66, 71.

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Verständnis von Fragen, die an die eigene Person gerichtet werden.211 Für juristisch nicht geschulte Personen ist die Zielrichtung einer Frage häufig unklar.212 Es besteht beim Laien nicht nur die Wahrscheinlichkeit überflüssiger Schilderungen, sondern auch die Gefahr, dass bedeutende Details weggelassen werden oder versehentlich nachteilige Darstellungen erfolgen.213 Bei der Erfassung eines Sachverhalts bestehen vielfältige Möglichkeiten für Missverständnisse, die sich verstärken, je mehr Sprachdifferenzen zwischen den Beteiligten bestehen (dazu noch S.  123 ff.). So kann sich die Aussage, man sei zu einem Ort ‚gelaufen‘, auf die Art der Fortbewegung – zu Fuß – oder auf die Geschwindigkeit – in Abgrenzung zu ‚gehen‘ – beziehen. Da sich die unterschiedliche Bedeutungswahrnehmung nicht nur auf einzelne un- oder missverständliche Wörter der juristischen Fachsprache beschränkt, gibt es wenige Möglichkeiten diesen Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Einzelne Wörter können erläutert werden. Die aufgrund einer Erfahrungs- und Wissensdiskrepanz unterschiedliche Erfassung einer Formulierung ist weitaus schwieriger auszugleichen.214 Plastisch schildert Felder diesen rechtsspezifischen Umgang mit Formulierungen anhand von zwei Entscheidungen zur Nötigung, in denen offensichtlich wird, wie die Sachverhaltsdarstellung die rechtliche Entscheidung antizipiert.215 Die Sachverhaltsschilderung des Landgerichts enthielt die Formulierung, dass der Hauptfeldwebel sich durch eine Sitzblockade „gezwungen sah“ Befehl zum Anhalten zu geben.216 Eine umgangssprachlich nicht ungewöhnliche Formulierung, aus strafrechtlicher Sicht jedoch zwangsläufig mit der Vorwegnahme der später festgestellten Nötigung verbunden. Im selben Verfahren formulierte das Bundesverfassungsgericht, dass eben jener Feldwebel „den Befehl zum Anhalten“ gab.217 Entsprechend hob das Bundesverfassungsgericht die Verurteilung wegen Nötigung auf.218 Neben den geschilderten fachspezifischen Kommunikationshürden besteht eine weitere Kommunikationsbarriere in der Verständigung zwischen Akademikern und Nichtakademikern. Aus den unterschiedlichen sozialen und beruflichen Milieus folgen Kommunikationshürden in Form von Sprach-, BildungsJansen Rn.  218; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  844, 852. Eisenberg, aaO Rn.  852; vgl. MAH/Deckers §  45 Rn.  53 f.; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (149); Rasch/Hinz Kriminalistik 1980, 377 (381 f.); Zieger Rn.  117. 213  Beulke, Der Verteidiger S.  41; Föhrig S.  6 4; Bsp. bei Groß-Bölting/Kaps in FA Strafrecht Rn.  109. vgl. Beneke S.  58 f.; Kallmeyer aaO (142); Sickor S.  249 f. 214  Felder in Sprache des Rechts, S.  133 (148); Wassermann in Recht und Sprache, S.  40 (61 f.); vgl. auch Dürkop S.  169. 215  Felder in Sprache des Rechts, S.  133 (148 ff.). 216  LG Tübingen nach Felder aaO (148). 217  BVerfGE 91, 1 (2); Felder aaO (152). 218  BVerfGE 91, 1; Felder aaO (152). 211 Vgl. 212 

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und Erfahrungsunterschieden.219 Allgemeine Statistiken über Bildungsabschlüsse und Berufe von Angeklagten existieren nicht. Einzelnen Studien sind jedoch Anhaltspunkte zur Sozialstruktur zu entnehmen. Bei einer Beobachtung von 36 Hauptverhandlungen wurden 92  % der Angeklagten beruflich der Unterschicht zugeordnet und 8  % der unteren Mittelschicht.220 In einer Studie zu Verhandlungen vor dem Schöffengericht und Bußgeldverhandlungen wurden 13 der 21 Angeklagten bzw. Betroffenen der Unterschicht zugeordnet, weitere drei der unteren Mittelschicht, wobei von fünf der Mittelschicht zugeordneten Personen vier Betroffene von Bußgeldverfahren waren.221 Eine Aktenanalyse von erstinstanzlichen Verfahren an Landgerichten ergab einen Anteil von lediglich 13,4  % der Hauptangeklagten mit (Fach-)Hochschulreife. Der Anteil der Hauptangeklagten mit einem Sonder- oder Hauptschulabschluss oder ohne jeglichen Schulabschluss betrug 62,6  %.222 Die meisten Autoren gehen auch ohne empirisches Material davon aus, dass ein überwiegender Anteil der Angeklagten der Unterschicht angehört oder manuelle Berufe ausübt.223 Berufsspezifische Unterschiede in der Sprachkompetenz ergeben sich daraus, dass Angehörige nichtmanueller Berufe in größerem Maße daran gewöhnt sind mit Sprache ‚zu arbeiten‘.224 Daher sind Forschungsergebnisse nicht überraschend, welche die Tendenz aufzeigen, dass die aktive Verhandlungsbeteiligung von Angeklagten aus manuellen und nichtmanuellen Berufen unterschiedlich ausfällt.225 Selbst wenn man davon ausginge, dass die Sozialstruktur der Angeklagten dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht, würden bei einem erheblichen Anteil der Angeklagten nicht die Sprachkompetenzen bestehen, die für ein rechtliches Verfahren erforderlich sind. Nach der PIAAC-Studie226 von 2012 erreichen 51,4  % der Bevölkerung in Deutschland nicht die Lesekompetenzstufe 3, welche für das Verständnis von Behördenschreiben erforderlich ist.227 In der bereits erwähnten INFAS-Studie aus dem Jahr 1977 nannten 73  % der Befragten die unverständliche Juristensprache als abschreckenden Faktor für die Erhebung einer zivilrechtlichen Klage.228 Eisenberg, Beweisrecht Rn.  844, 846 ff. Tausch/Langer ZEPP 1971, 283 (285). 221  Hoffmann S.  385 ff. 222  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (195). 223  AK Strafprozeßreform S.  40; Dürkop S.  168 mwN; Kühne Rn.  724 (mind. 90  %); Kühne, Kommunikation, S.  202; Wassermann in Wassermann, S.  13 (33). 224 Vgl. Kühne, Kommunikation, S.  202. 225  Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (55 f.); Winter/Schumann in Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1972, S.  529 (540, 547). 226  Sog. Erwachsenen-PISA-Studie. 227  Ergebnisse von PIAAC 2012 S.  42; Baumann in Sprache des Recht, S.  1 (4 f.). 228  Nach Wassermann in Wassermann, S.  13 (14). 219 

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Nach soziolinguistischen Analysen verfügen Angeklagte, die der Unterschicht angehören, zumeist über einen sog. restringierten Sprachcode, während Juristen über einen sog. elaborierten Sprachcode verfügen.229 Der restringierte Code enthält im Vergleich einen geringeren Wortschatz und somit geringere Differenzierungsmöglichkeiten. Die Formulierungen sind weniger abstrakt und setzen voraus, dass der Zuhörende einen Großteil des Gemeinten antizipiert.230 Dies führt zu Verständigungsproblemen, wenn das Gegenüber im elaborierten Code kommuniziert.231 Daher ist es für den Angeklagten mitunter schwierig, den abstrakten Ausführungen oder Fragen des Gerichts zu folgen, während das Gericht Gefahr läuft, umgangssprachliche Ausdrücke des Angeklagten falsch zu interpretieren.232 Zeugen ist es oftmals anzumerken, wie unverständlich aus ihrer Sicht die beharrlichen Detailfragen der beteiligten Juristen zu einem Geschehen sind, welches aus Sicht des Zeugen in drei Sätzen umfassend geschildert ist.233 Eine bedeutende Kommunikationshürde liegt somit in den unterschiedlichen Sprachebenen der Beteiligten,234 zumal es gerade bei dem Versuch, in der Sprache des jeweils anderen zu kommunizieren, zu Missverständnissen und Fehldeutungen kommen kann und auch die Differenziertheit der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten dadurch sinkt.235 Für eine gelungene Kommunikation ist nicht nur die Sprache als Ausdrucksmittel entscheidend, sondern auch die je nach sozialem Umfeld unterschiedlichen Vorstellungswelten.236 Innerhalb einer Sprache gibt es verschiedene Begriffs- und Vorstellungwelten.237 Erfolgreiche Kommunikation setzt voraus, dass es potentiell möglich ist, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, um dessen Äußerungen aus dessen Erfahrungshintergrund heraus zu verstehen. Laien kennen – unabhängig von der konkreten Lebenserfahrung – die Richterperspektive nicht.238 Umgekehrt kennt zumeist der Richter die Angeklag229  Ausf. Kühne, Kommunikation, S.  141 ff.; Kühne Rn.  725; Legnaro/Aengenheister S.  25. 230  Kühne Rn.  725; Legnaro/Aengenheister S.  25. 231  Kühne Rn.  726. 232 Vgl. Oksaar in Wassermann, S.  83 (106). 233 Vgl. Kühne Rn.  726. 234  Ausf. Kühne, Kommunikation, S.  149 f., 152 f.; Kühne Rn.  726; Wassermann in Wassermann, S.  13 (33); vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  603; Lempp MschrKrim 1998, 125 (125 f.). 235  Arntzen S.  22; Dürkop S.  66 f., 169. 236  D. Peters 1973 nach Dürkop in Holtfort, S.  104 (106); vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  844; MAH/Salditt §  2 Rn.  76; Barton, Einführung §  1 Rn.  36; Egner S.  79; Lempp MschrKrim 1998, 125 (125 f.); Winter/Schumann in Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1972, S.  529 (547). 237  Dürkop S.  170; Peters, Justiz als Schicksal S.  183. 238  Soeffner in Recht und Sprache, S.  73 (84).

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ten-Rolle nicht. Ob der Richter die Perspektive des Angeklagten in Bezug auf das verfahrensrelevante Geschehen einnehmen kann, hängt stark von der Lebenserfahrung des Richters, der sozialen Situation des Angeklagten und dem angeklagten Delikt ab.239 Auch die Bewertung einer Schilderung als plausibel hängt von den eigenen milieuspezifischen Erfahrungswelten ab.240 Im ungünstigsten – und wahrscheinlich nicht seltenen – Fall steht der Angeklagte bei einer Einlassung oder anderen Äußerungen vor der doppelten Herausforderung, die Diskrepanz zwischen elaboriertem und restringiertem Code zu überwinden und zugleich ein Geschehen sprachlich zu vermitteln, welches nicht im Rahmen des Erlebnishorizontes des Richter liegt – und dies zudem vor dem Hintergrund des ihm fremden juristischen Denkens in diffizilen Tatbestandsmerkmalen.241 Die hier beschriebenen Auswirkungen der Milieuzugehörigkeit werden auch durch die bereits herangezogene sozial-medizinische Forschung bestätigt.242 Patienten aus gebildeteren Milieus kommunizieren aktiver und werden vom Arzt mehr einbezogen und unterstützt.243 Bei Nichtmuttersprachlern sind die beschriebenen Kommunikationshürden zusätzlich erhöht, u. a. durch eine verringerte Möglichkeit zu differenzierter Sprachnutzung. Wird in Folge unzureichender Deutschkenntnisse ein Dolmetscher einbezogen, geht mit der meist nur sinngemäßen Übersetzung der Verlust von Ausdrucksfacetten und Detailübermittlung einher. Zur Einordnung der Häufigkeit solcher Sprachprobleme kann die von Dölling/Feltes et al. erstellte Studie zur Verfahrensdauer von Landgerichtsverfahren herangezogen werden.244 Dort wurde in 30  % der Verfahren eine Dolmetscherbeteiligung ermittelt.245 44,5  % der Hauptangeklagten besaßen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.246 Neben den sprachlichen Hürden trägt die erwähnte kommunikationshemmende Gerichtssituation (S.112) zur Verringerung der KommunikationskomD. Peters 1973 nach Dürkop in Holtfort, S.  104 (106); vgl. auch Dahrendorf DRiZ 1965, 5 (6); Dürkop S.  170; S.  232 (persönlicher Bericht eines Strafgefangenen über seine Verhandlung) und S.  240 ff. (Gruppeninterview in JVA); Egner S.  79; Lempp MschrKrim 1998, 125 (125 f.); Röhl S.  374 f. 240  Wendler/Hoffmann Rn.  103; vgl. zum Verständnis als Beurteilungseinfluss Vargha S.  685. 241 Vgl. Kühne, Kommunikation, S.  203, vgl. auch S.  50 f. 242  Siegrist S.  253. 243  Willems et al., Patient Education and Counseling 56 (2005), 139 ff.; Street, Social Science & Medicine 32 (1991), 541 ff.; vgl. auch Mielck/Helmert in Hurrelmann/Razum, S.  493 (507). 244  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103. 245  Dölling/Feltes StV 2000, 174 (174). 246  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (195). 239 

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petenzen des Angeklagten bei. Die Hauptverhandlung weicht erheblich von anderen Interaktionssituationen ab, die zumeist auf einer Gegenseitigkeit beruhen. Im Gerichtsverfahren besteht dagegen eine asymmetrische Kommunikationsstruktur, welche die im Alltag gültigen Kommunikationsregeln teilweise außer Kraft setzt und dadurch verunsichernd wirkt.247 Der Richter hat die Möglichkeit, das Wort zu erteilen und zu entziehen. Äußerungen des Angeklagten werden in einer Weise hinterfragt bzw. durch beharrliches Nachfragen ‚ergänzt‘, wie es den sozialen Regeln eines Gesprächs nicht entsprechen würde.248 Darüber hinaus betrifft die Materie der Kommunikation häufig einen sehr privaten Bereich der eigenen Persönlichkeit. Äußerungen bspw. zu eigenen Unzulänglichkeiten würden eigentlich ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzen, müssen nun aber gegenüber distanzierten Personen getätigt werden.249 Weitere Hürden entstehen durch die räumliche Situation, die eine andere Art des Sprechens als in der Alltagskommunikation erfordert, vor allem eine andere Lautstärke, was viele Personen verunsichert und hemmt.250 Selbst Juristen sind als Angeklagte in einer Hauptverhandlung häufig überfordert, da die Handlungserwartungen und -spielräume in der Angeklagten-Rolle gänzlich andere sind.251 Die strukturell unterlegene Kommunikationssituation kann nicht vollständig durch die vorhandene Fachkompetenz ausgeglichen werden.252 Die bisherigen Ausführungen bezogen sich überwiegend auf die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Gericht bzw. der Staatsanwaltschaft. Zu einer sachgerechten Verteidigung muss der Angeklagte sich jedoch nicht nur dem Gericht gegenüber verständlich machen können und dessen Ausführungen nachvollziehen. Er muss auch in der Lage sein, sachgerechte Fragen an Zeugen zu richten (vgl. dazu auch S. 135). Dies setzt nicht nur Kenntnisse des Prozessstoffs und der rechtlich relevanten Fragen voraus, sondern auch eine Vertrautheit mit Fragetechniken und den rechtlichen Grenzen der Befragung.253 Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (50 f.); Dürkop S.  51; Fuchs S.  28; Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1255); vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  845; Glatzel StV 1982, 283 (284); Hoffmann S.  47; Khostevan S.  112 (Äußerungen von befragten jugendlichen Straftätern); Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  17. 248  Soeffner in Recht und Sprache, S.  73 (86 f.); vgl. Eisenberg, aaO Rn.  855; MAH/Deckers §  45 Rn.  51; Glatzel aaO; Hoffmann S.  97 f. 249 Vgl. Arntzen S.  82; Bernsmann in FS-Kriele, S.  697 (709); Glatzel aaO. 250  Legnaro/Aengenheister S.  23; vgl. auch Dürkop S.  35 f.; Legnaro KrimJ 1991, 272 (273); Stehmeyer S.  39 f. 251  Ermert in Recht und Sprache, S.  11 (13 f.). 252  Eisenberg, Beweisrecht Rn.  855; Soeffner in Recht und Sprache, S.  73 (74 f.). 253  Klemke/Elbs Rn.  1031; Wolff in Die Sprache des Rechts, S.  499 (506 ff.); zur Komplexität der Befragung: MAH/Jansen §  34 Rn.  1, 47 ff., 55 ff.; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  587 ff.; vgl. auch Weider StV 1983, 270 (727). 247 

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Diese Fähigkeiten, über die die meisten Angeklagten nicht ausreichend verfügen,254 sind bedeutend für das Ergebnis der Befragung.255 (2) Rechtskenntnis Neben der starken kommunikativen Prägung der mündlichen Hauptverhandlung darf nicht vergessen werden, dass sowohl der Ablauf der Verhandlung als auch das Ergebnis der Verhandlung auf rechtlichen Regeln und Auslegungen basieren. Somit ist die Rechtskenntnis Kern der erforderlichen Kompetenzen zur aktiven Verteidigung. Die notwendige Kenntnis muss das Verfahrensrecht, das materielle Recht und die Strafzumessungsregeln umfassen. Eine umfassende empirische Untersuchung zu den Rechtskenntnissen von Laien existiert im deutschsprachigen Raum bisher nicht.256 Diese Kenntnisse werden unabhängig vom Strafverfahren von Fachautoren jedoch als gering eingeschätzt.257 Dass die überwiegende Anzahl der Angeklagten nicht über die rechtlichen Kenntnisse zweier juristischer Staatsexamen verfügt und noch weniger über die Kenntnisse spezialisierter und erfahrener Strafrechtler, dürfte selbstverständlich sein. Senge meint gar, dass Polizeibeamte in einer polizeilichen Vernehmung dem in Rechtskenntnissen überlegenen Verteidiger „hilflos ausgeliefert“ seien.258 Im Gegensatz zu dem Angeklagten ist der fragliche Polizeibeamte juristisch ausgebildet und agiert in einer beruflich-professionellen Rolle. Dennoch wird von der Rechtsprechung anhand einer Differenzierung der ‚Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage‘ ermessen, ob eine Selbstverteidigung zumutbar ist (S. 36  ff.). Es wird also unterstellt, dass die Verteidigung in manche Verfahren mit den prozessualen und materiell-rechtlichen Kenntnissen eines Laien sachgerecht zu führen ist. Aufgrund dieser Vorgehensweise der Rechtsprechung bedarf es trotz der offenkundig fehlenden Rechtskenntnisse von Laien zur Verdeutlichung der Selbstverteidigungsmöglichkeiten Ausführungen zu den rechtlichen Kompetenzen von Angeklagten. Einige Autoren stellen fest, dass sowohl das Verfahrensrecht als auch das materielle Recht komplexer geworden sei und Angeklagte überfordere;259 andere sehen grundlegend fehlende Rechtskenntnisse bei Angeklagten.260 Bereits im Hammerstein JR 1985, 140 (142 f.); Klemke/Elbs Rn.  1031. MAH/Jansen §  34 Rn.  49, 55; MAH/Deckers §  45 Rn.  52, 55 mwN; vgl. auch Eisenberg, aaO. 256  Raiser S.  342. 257  Raiser aaO; Unkenntnis über die verschiedenen Beteiligten: Khostevan S.  100. 258  Senge in FS-E. Müller, S.  693 (701). 259  Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103; Dürkop S.  168 mwN; Gaede StV 2012, 51 (58); vgl. Kortz S.  164 zur notwendigen Verteidigung. 260  Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Beulke, Der Verteidiger S.  41 f.; Dahs Rn.  16; Gerlach 254  255 

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Gesetzgebungsprozess wurde diskutiert, dass die Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme nach Zustellung der Anklageschrift einen geringen praktischen Wert habe, weil die Mehrzahl der Angeschuldigten ohne Hilfe eines Verteidigers weder den Inhalt der Anklageschrift, noch den Sinn der Aufforderung verstehe und deshalb auch nicht im Stande sei, sachgemäße Anträge zu stellen.261 In der Hauptverhandlung sind zwar mündliche Erläuterungen und Hinweise durch den Vorsitzenden möglich, dies ist jedoch kein adäquater Ersatz für eigene Rechtskenntnis (vgl. auch IV.). So ist bspw. kaum vorstellbar, dass der Vorsitzende nach der Ablehnung eines Terminantrags mitteilt, dass ein Befangenheitsantrag aufgrund der Ablehnung des Terminantrags nur bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse gestellt werden kann (§  25 Abs.  1 StPO).262 Zudem unterliegen Erläuterungen durch den Vorsitzenden den oben geschilderten Verständnisherausforderungen.263 Auch reicht die Belehrung über formell zustehende Rechte nicht aus, um die Zweckmäßigkeit eines Vorgehens und des strategisch passenden Zeitpunktes zu beurteilen.264 Die Verfahrensvorschriften und – auch im Hinblick auf eine mögliche Revision  – strategisch zu beachtenden Möglichkeiten, die dem Laien unbekannt sind, sind vielfältig.265 Schon die Grundlagen der Verhandlung sind teilweise schwer nachvollziehbar. So bedarf es einer hohen Abstraktion, um zu begreifen, dass gerichtsbekanntes Aktenwissen nicht Bestandteil der Urteilsfindung sein kann, sondern das Urteil ausschließlich aus ‚dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft‘ werden darf.266 Gleiches gilt für die Vorstellung, eine bereits getätigte Aussage könne gedanklich ungeschehen gemacht werden. Eine Aufzählung aller Prozesssituationen, die einer vertieften Kenntnis der strafprozessualen Normen und ihrer herrschenden Auslegung bedürfen, würde zu weit führen; so sei abschließend nur das Beispiel der diffizilen Unterscheidung in FS-Peters, S.  153 (167); Peters, Strafprozeß S.  212; Schrepfer S.  115; Stein ZStW 97 (1985), 303 (308 f.); Welp ZStW 90 (1978), 804 (814); mit Beispielen: MAH/Salditt §  2 Rn.  47 ff.; vgl. zu Verfahrenskenntnissen auch Busse/Volbert/Steller S.  61; Dahs Rn.  488; Kaupen/Rasehorn NJW 1971, 497 (498); Legnaro/Aengenheister S.  1 f.; Neuland in Wassermann, S.  141 (151 f.); regelmäßig intellektuell unterlegen: Föhrig S.  63; zur notwendigen Verteidigung: Mehle S.  184. 261  Protokolle I S.  187 (25. Sitzung). 262  Vgl. OLG Naumburg StraFo 2005, 24; OLG Bamberg NJW 2006, 2341; LG Krefeld StV 1995, 426; LG Mönchengladbach StV 1998, 533. 263 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn.  850a. 264  Vgl. Fallschilderung bei Hoffmann S.  222 ff. 265  Vgl. u. a. MAH/Salditt §  2 Rn.  47 ff.; Neuhaus StV 2002, 43 (47). 266  Vgl. Persönlicher Bericht über eigene Gerichtsverhandlung in Dürkop S.  232; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  841; Hoffmann S.  92.

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zwischen einem zulässigen ‚Vorhalt‘ und einer unzulässigen ‚Verlesung‘ genannt.267 Hinsichtlich des materiellen Rechts wurde bereits die Hürde des juristischen Denkens in Tatbestandsmerkmalen erwähnt (S.  120 ff.). Wie beim Verfahrensrecht gilt auch hier, dass die Kenntnis des Normtextes zum Verständnis der inhaltlichen Bedeutung der Norm nicht ausreicht, sondern weiteres Hintergrundwissen und die Kenntnis der ständigen Rechtsprechung erforderlich sind.268 So ist beispielsweise zur Abgrenzung des §  249 StGB zum §  242 StGB oder einem Körperverletzungsdelikt die Kenntnis einer – bildlich gesprochen – millimetergenau differenzierenden Kasuistik nötig. Als Beispiel mögen die an sich gerissene Handtasche (Überraschungseffekt oder Gewalt?) und die Wegnahme von Statussymbolen wie Rockerjacken oder Fanutensilien ausreichen.269 In einer Untersuchung wurden amtsgerichtliche Verfahren wegen Straßenverkehrsdelikten – als milieuunabhängige Alltagsdelikte – beobachtet und dabei festgestellt, dass vielfach das (Nicht-)Vorliegen von Fahrlässigkeit verfahrensentscheidend war und zugleich bei vielen dieser Verfahren die Unterscheidung zwischen fahrlässigem und nichtfahrlässigem Verhalten für den Laien kaum nachvollziehbar war.270 Die fehlenden materiellen Kenntnisse führen dazu, dass der Angeklagte weder die eigene Einlassung mit ausreichender Sicherheit rechtlich beurteilen kann 271 noch Zeugenaussagen oder Ausführungen von Sachverständigen.272 Entsprechend können Erklärungs-, Frage- und Antragsrechte nicht sachgemäß eingesetzt werden.273 Aus Angeklagtensicht besonders bedeutsam ist die teilweise schwer zu treffende Einschätzung, ob eine vermeintlich entlastende Äußerung oder Frage aus juristischer Sicht möglicherweise belastende Auswirkungen haben könnte.274 Um Defizite in der Rechtskenntnis auszugleichen, hat der Angeklagte die Möglichkeit, sich im Vorfeld auf den Prozess vorzubereiten oder in der HauptNeuhaus StV 2002, 43 (47). So auch Baumann in Sprache des Rechts, 2011, S.  1 (13); vgl. Raiser S.  342. 269  Vgl. zur Gewalt BGH StV 1990, 205 (206), zu Statussymbolen BGH NStZ 2011, 699 (701). 270  Winter/Schumann in Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1972, S.  529 (531). 271  So auch Beulke, Der Verteidiger S.  41; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (142); Bsp. bei Groß-Bölting/Kaps in FA Strafrecht Rn.  109; vgl. auch Beneke S.  58 f.; Dahs Rn.  495; Föhrig S.  64; Peters, Strafprozeß S.  212; Sickor S.  249 f. 272  So auch Beulke, aaO. 273  So auch Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Beulke, aaO; Peters, aaO; vgl. auch Stein ZStW 97 (1985), 303 (308 f.). 274 Vgl. Beneke S.  58 f.; Föhrig S.  6 4; Sickor S.  249 f. 267 Vgl. 268 

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verhandlung nachzufragen – sofern der Vorsitzende nicht von sich aus über rechtliche Möglichkeiten aufklärt (dazu noch IV. 1.). Die Möglichkeiten des Angeklagten, im Vorfeld der Verhandlung die fachliche Kompetenz zu erhöhen, unterliegt allerdings engen Grenzen, da in diesem Rahmen Wissen nur punktuell erarbeitet werden kann, d. h. sich eher auf die Vorbereitung von im Vorfeld erwarteten Anträgen beziehen kann, nicht jedoch auf unvorhergesehene Situationen. Zudem ist abstraktes Wissen nicht mit erfahrungsvertieftem Wissen gleichzusetzen und punktuelles Wissen kann nicht das Verständnis für den Gesamtzusammenhang ersetzen, so wie die Erklärung von Fachbegriffen nicht die fehlende Kenntnis juristischer Denkstrukturen ausgleicht (vgl. S. 121 f.). Sowohl für die Vorbereitung als auch die Nachfragen in der laufenden Verhandlung gilt, dass eine psychische Belastungssituation der denkbar ungünstigste Zeitpunkt zur Aneignung neuen Wissens ist (vgl. auch S. 115 f.).275 Zudem ist aus der Vernehmungspsychologie bekannt, dass Zeugen aus der Furcht ‚dumm‘ zu wirken oftmals nicht nachfragen, wenn sie eine Frage nicht verstanden haben; insbesondere mehrmaliges Nachfragen stellt eine hohe psychische Hürde dar.276 Die Möglichkeit, Wissensdefizite durch Fragen an den Vorsitzende auszugleichen, unterliegt darüber hinaus weiteren Grenzen. Zum einen beschränkt sich diese Option hauptsächlich auf Verfahrensfragen. Des Weiteren ist der Vorsitzende sowohl der materiellen Wahrheitsfindung verpflichtet als auch an einer zügigen Durchführung des Prozesses interessiert und schon daher nur eingeschränkt zur Erfüllung seiner ebenso bestehenden Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten in der Lage (dazu mehr IV.). Angesichts der vielfältigen und komplexen materiell- und prozessrechtlichen Fragen, deren Existenz von dem Angeklagten möglicherweise gar nicht erkannt werden oder die sich erst im Laufe der Verhandlung ergeben, sind diese sehr eingeschränkten Ausgleichsmöglichkeiten keinesfalls zur Erlangung einer adäquaten Verteidigungsfähigkeit geeignet. 4.  Einschränkung durch die Verfahrensrolle Unabhängig von der oben geschilderten psychischen Belastung und den erforderlichen sprachlichen, strategischen und juristischen Kompetenzen ist der Angeklagte durch seine Verfahrensrolle in den Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt.277 Nach ständiger Rechtsprechung schließen sich die Verfahrensrolle des Angeklagten und des Verteidigers gegenseitig aus.278 Ein beschuldigter Barthel S.  11; Huth in Recht und Sprache, S.  98 (101). Arntzen S.  21; vgl. zur emotionalen Bedeutung der Fachsprache Eisenberg, Beweisrecht Rn.  849. 277 Vgl. Beulke, Der Verteidiger S.  43. 278  BVerfG NStZ 1998, 363 (364); OLG Karlsruhe MDR 1971, 320; zu §  137 StPO: 275 

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Rechtsanwalt könne sich nicht selbst als Verteidiger wählen, da der Status des Verteidigers als unabhängiges, mit eigenen Rechten und Pflichten versehenes Organ der Rechtspflege mit der Rolle des Angeklagten offensichtlich unvereinbar sei.279 Auch dürfte selbiger Rechtsanwalt nicht als Verteidiger eines Mitangeklagten tätig werden, da sich nach der Rechtsprechung auch diese Verfahrensrollen ausschließen.280 Bereits aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Verfahrensrolle des Angeklagten die Selbstverteidigungsfähigkeit erheblich einschränkt. Der Angeklagte kann nicht Verteidiger in eigener Sache sein. Über diese Rechtsprechung hinaus bestehen sozial-psychologische Besonderheiten der Rolle und prozessuale Einschränkungen. Zu den sozial-psychologischen Einschränkungen gehört die ggf. notwendige Konfrontation mit dem Gericht. Muss schon der Verteidiger darauf achten, dass ein Konflikt mit dem Gericht – beispielsweise über die Weite der Beweisaufnahme – sich nicht zum Nachteil des eigenen Mandanten auswirkt,281 sind die strategischen Hürden in eine Konfrontation einzutreten für den Angeklagten ungleich höher. Eine weitere Einschränkung besteht bezüglich der Möglichkeit, Verständigungsgespräche iS des §§  257b f. StPO zu führen. So wurde in einer Verfassungsbeschwerde zu §  257c StPO vorgebracht, dem unverteidigten Angeklagten bliebe die Möglichkeit einer Verständigung faktisch verschlossen.282 Die StPO schließt Verständigungsgespräche mit dem Angeklagten zwar nicht aus, dennoch ist die Abwesenheit des Angeklagten bei den sog. Rechtsgesprächen allgemeine Konvention.283 Selbst wenn das Gericht bereit wäre, den Angeklagten einzubeziehen, käme kein Gespräch auf Augenhöhe zustande,284 zumal dem Angeklagten die nötige Erfahrung zur Einschätzung der derzeitigen Verfahrenslage fehlen würde.285 Verschiedene Autoren äußern daher rechtsstaatliche Bedenken gegenüber einer Verständigung ohne Mitwirkung eines Verteidigers.286 OLG  Karlsruhe Justiz 1997, 378; zu §  140 StPO: BGH MDR 1954, 564; OLG Hamm StraFo 2004, 170. 279  BVerfGE 53, 207 (214 f.) mwN; NStZ 1988, 282. 280  BGH StV  1996, 469; OLG Celle NJW 2001, 3564 (3564). 281  Kühne Rn.  745. 282  BVerfGE 133, 168 (Rn.  33). 283  Murmann ZIS 2009, 526 (526, 353); bspw. BVerfGE 133, 168 (Rn.  27); vgl. auch Roxin/ Schünemann §  69 Rn.  10; Satzger in FA Strafrecht Rn.  82; vgl. zur „vertraulichen Besprechung“ Dahs Rn.  178 ff. 284  Vgl. AK-StPO/Stern §  140 Rn.  38; Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Graalmann-Scherer StV 2011, 696 (698); deutlich: Roxin/Schünemann §  69 Rn.  10. 285  So auch Murmann ZIS 2009, 526 (353); vgl. auch Schünemann StraFo 2010, 90 (95). 286  Graalmann-Scherer StV 2011, 696 (698); Schünemann aaO; vgl. auch Roxin/Schünemann §  69 Rn.  10.

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Gerade bei Bagatellverfahren kommt häufig die Anwendung von §§  153 ff. StPO in Betracht. Auch ein Einvernehmen über eine Einstellung nach §  153a Abs.  2 StPO setzt faktisch zumeist die Mitwirkung eines Verteidigers voraus.287 Zudem ist auch hier die Entscheidung, ob einer solchen Verfahrensbeendigung zugestimmt werden sollte, ohne die Erfahrung eines Verteidigers kaum fundiert zu treffen.288 Die sachgerechte Selbstverteidigung scheitert darüber hinaus bereits an der Frage des Akteneinsichtsrechts.289 Einen Anspruch auf Einsicht in die Original­ akte und die Erstellung von Kopien hat nach §  147 StPO ausschließlich der Verteidiger. Der Angeklagte selbst kann Einsicht und Kopien nur über den Verteidiger erlangen.290 Der Verteidiger darf zwar grundsätzlich dem Angeklagten eine Kopie der Akte aushändigen, im Detail ist der Umfang der Weitergabeberechtigung jedoch umstritten.291 Es ist davon auszugehen, dass die meisten Angeklagten nicht über eine vollständige Aktenkopie verfügen.292 Nach der Untersuchung von Vogtherr lehnen 56  % der Verteidiger es ab, dem Mandanten eine vollständige Aktenkopie zu überlassen.293 Lediglich 15  % der Verteidiger überlassen dem Mandanten regelmäßig eine solche Kopie, während 29  % dies nur in Ausnahmefällen machen. Die Einsicht in eine vollständige Aktenkopie in der Kanzlei ermöglichen regelmäßig 9  % der Befragten.294 Vogtherr fasst den Umgang mit der Akte dahingehend zusammen, dass die häufigste Form, den Mandanten über den Akteninhalt zu informieren, die mündliche Zusammenfassung durch den Anwalt sei.295 Die Akteneinsicht ist eine der ersten Tätigkeiten des beauftragten Verteidigers.296 Eine formelle Verteidigung ohne umfassende und ggf. aktualisierte Akteneinsicht ist ein grober Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten eines Verteidigers.297 Die sachgemäße Verteidigung in der Hauptverhandlung setzt nicht nur Ignor/Matt StV 2002, 102 (104). So auch Weider StV 1983, 270 (272); vgl. zu §  154 StPO auch LG Essen StV 1988, 381. 289  Beulke, Der Verteidiger S.  43; Dahs Rn.  16. 290  Die Regelung des Abs.  7 ist kein adäquater Ersatz und zudem auf den grds. verteidigten Angeklagten nicht anwendbar. 291  Ausf. Donath/Mehle NJW 2009, 1399; AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  147 Rn.  11 ff.; vgl. auch BGHSt 29, 99 (103); KK/Laufhütte §  147 Rn.  3, 14; Meyer-Goßner/Schmitt §  147 Rn.  21 ff.; §  265 Rn.  39. 292  Vgl. z. B. BVerfG NJW 1984, 862; Donath/Mehle NJW 2009, 1399 (1399). 293  Vogtherr S.  126. 294  Vogtherr aaO. 295  Vogtherr aaO. 296  Klemke/Elbs Rn.  337; Pfordte/Degenhard §  4 Rn.  13; vgl. Vogtherr S.  116. 297  Klemke/Elbs Rn.  54; Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  4; vgl. auch Hohmann in FA Strafrecht Rn.  11 ff. 287 Vgl. 288 

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die vorbereitende Kenntnisnahme des Akteninhalts voraus, sondern das Vorliegen der Aktenkopie im Moment der Verhandlung. Andernfalls ist die Möglichkeit, gezielte Nachfragen an Zeugen zu richten, erheblich erschwert. Insbesondere für eine Konfrontation des Zeugen mit einer früheren Aussage ist das Vorliegen der Akte unerlässlich.298 Gleiches gilt für Nachfragen zu in der Akte enthaltenen Sachverständigengutachten 299 oder die Möglichkeit, Vorhalte aus der Akte durch andere Verfahrensbeteiligte nachzuvollziehen.300 Wenn bereits ein professioneller Verteidiger nicht ohne Aktenkenntnis agieren sollte, ist nicht ersichtlich, wie die Selbstverteidigung durch einen – mit weniger Kenntnissen ausgestatteten – Laien ohne die umfassende Akteneinsicht sachgemäß sein kann.301 Daher ist das Vorliegen der Akten zur Durchführung einer sachgemäßen Verteidigung nicht nur ausnahmsweise,302 sondern stets erforderlich.303 Dies gebietet schon allein der Grundsatz der Waffengleichheit (vgl. S. 93, 139).304 Ein zumeist übersehenes Problem der Verteidigung ohne Verteidiger ist der nemo-tenetur-se-ipsum-Grundsatz. Durch die herrschende Rechtssicht, dass das Schweigen des Angeklagten ihm nicht negativ zu Last gelegt werden darf, ein sog. Teilschweigen hingegen schon,305 wird die Selbstbelastungsfreiheit bei Abwesenheit eines Verteidigers erheblich gefährdet. Die Verwertung von sog. Teilschweigen unterliegt zwar engen Grenzen,306 da diese jedoch von der Bewertung des Gerichts im Einzelfall abhängen, kann der Angeklagte nur durch einen völligen Verzicht auf Äußerungen sicherstellen, nicht zum ‚Beweismittel gegen sich selbst‘ zu werden.307 Will der Angeklagte schweigen, kann er keine Erklärung nach §  257 Abs.  1 StPO abgeben, denn eine solche Erklärung würde aus dem Schweigen ein Teilschweigen werden lassen.308 Ein Plädoyer des Angeklagten (§  258 Abs.  1 StPO) oder alternativ das ‚letzte Wort‘, liefert den Angeklagten wiederum der Gefahr des Teilschweigens aus.309 Auch eine Zeugenbe298  Kortz S.  62; vgl. auch OLG Düsseldorf SV 2000, 409; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107; OLG Celle NStZ 2009, 175; OLG Köln StraFo 2011, 508; SK-StPO/Wohlers §  140 Rn.  40. 299  Hammerstein JR 1985, 140 (141 f.); vgl. auch Schünemann ZStW 114 (2002), S.  1 (42). 300 Vgl. Dahs Rn.  551. 301  Klemke/Elbs Rn.  101. 302  Vgl. zur notwendigen Verteidigung: HK-StPO/Julius §  140 Rn.  16; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  140 Rn.  40 mzN. 303  Hammerstein JR 1985, 140 (141 f.); Klemke/Elbs Rn.  337; Kortz S.  62. 304  Klemke/Elbs Rn.  101. 305  BGH NStZ 2014, 666 (667); KK/Ott §  261 Rn.  41; Meyer-Goßner/Schmitt §  261 Rn.  17; Klemke/Elbs Rn.  455. 306  BGH NStZ 2011, 357 mwN. 307  So auch Ferner SVR 2006, 390 (390); vgl. Richter II StV 1994, 687 (690). 308 Vgl. Junker/Armatage Rn.  4 44; Malek Rn.  268; Richter II aaO. 309 Vgl. Eser in FS-Widmaier, S.  147 (157); Klemke/Elbs Rn.  779; Malek Rn.  637.

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fragung kann bei ungeschickten Formulierungen als Teileinlassung bewertet werden.310 Er wäre bei Abwesenheit des Verteidigers somit vollständig an einer aktiven Verteidigung gehindert. Doch auch ein Verzicht auf das Recht zu Schweigen löst das Dilemma der Selbstverteidigung nicht. Anerkanntermaßen kann der Vertreter der Staatsanwaltschaft seine eigene Zeugenaussage schwerlich im Plädoyer würdigen.311 Insofern ist nicht vorstellbar, dass der Angeklagte im Plädoyer die eigene Einlassung in überzeugender Weise behandeln kann.312 Rechtlich wurde dieses Problem, soweit ersichtlich, bei der Beurteilung der Selbstverteidigung bisher kaum beachtet. Allerdings finden sich in der Rechtswissenschaft Stimmen, die auf die damit eng verknüpften sozial-psychologischen Schwierigkeiten hinweisen. Nach der Einschätzung von Hammerstein kann sich der Angeklagte nur im Falle eines mit Reue verbundenen Geständnisses selbst verteidigen.313 Läge der Schwerpunkt der Verteidigung darin, das gerichtliche Verfahren zu kritisieren und Mängel in der Anklage aufzuzeigen, würde das Vorbringen durch den Angeklagten negativ auf diesen zurückwirken und solle deshalb dem Verteidiger überlassen werden.314 Gleiches gelte für Entlastungsversuche, die darauf basieren, den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auf einen Dritten zu verschieben.315 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Welp in seiner Einschätzung, dass die Selbstverteidigung der Fremdverteidigung prinzipiell unterlegen sei, da entlastende Argumente, die von dem Angeklagten vorgetragen würden, zumeist selbstgerecht oder verschleiernd wirken würden.316 Weitere Autoren gehen davon aus, dass der Angeklagte in den tatsächlichen wie rechtlichen Ausführungen aufgrund des auf ihm lastenden Vorwurfs weniger überzeugend sei als der – unbeteiligte – Verteidiger.317 Diese Einschätzung wird von der psychologischen Forschung bestätigt, nach der die Überzeugungskraft eines Arguments von der Person, welche das Argument vorträgt, abhängt. Demnach sei eine Person umso überzeugender, je weniger sie im eigenen Interesse handelt und desto sympathischer sie wirke.318 Auch der – bspw. fachlichen – Nähe zwischen vortragender und zuhörender Person soll ein bedeutender EinKlemke/Elbs Rn.  1031; Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  25; vgl. Richter II aaO. Vgl. BGHSt 14, 265 ff. mwN; Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1021 f. 312 Vgl. Malek Rn.  256. 313  Hammerstein JR 1985, 140 (143). 314  Hammerstein aaO; vgl. auch Dahs Rn.  491. 315  Hammerstein aaO. 316  Welp ZStW 90 (1978), 804 (814 ff.). 317  Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Beulke, Der Verteidiger S.  42 f.; Mehle S.  29; Peters, Strafprozeß S.  212; Spaniol S.  63, 76, 243; Vargha S.  291; vgl. auch Dahs Rn.  491. 318  Oswald in Psychologie im Strafverfahren, S.  248 (250). 310  311 

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fluss zukommen.319 Das Kriterium der Sympathie außen vor gelassen, treffen diese Kriterien weit mehr auf den Verteidiger als den Angeklagten zu. Es dürfte kaum jemand ein höheres persönliches Interesse am Prozessausgang haben als der Angeklagte. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass Richter und Verteidiger ähnliche soziale Habitate haben, ist weitaus höher als eine solche Gemeinsamkeit zwischen dem Angeklagten und dem Richter. Eine beruflich-inhaltliche Nähe zwischen Verteidiger und Richter besteht in jedem Fall. Diese psychischen Effekte können zudem aufgrund von durch Rollenzuschreibungen strukturierten Wahrnehmungen der Person – in diesem Fall der Wahrnehmung des Angeklagten als zumindest potentiellen Straftäter  – verstärkt werden.320 Eine ähnliche Problematik besteht hinsichtlich der Befragung von Zeugen.321 Die Notwendigkeit einer solchen Befragung kann nicht nur das Schweigerecht aushebeln, sondern birgt ebenfalls sozial-psychologische Schwierigkeiten. Fragen an Zeugen werden durch das Gericht und den Zeugen unterschiedlich wahrgenommen, je nachdem von wem sie gestellt werden.322 Bereits auf Fragen des Verteidigers reagieren Belastungszeugen oftmals abwehrender als auf Fragen des Vorsitzenden.323 Der Unterschied zu einer Befragung durch den Angeklagten dürfte noch erheblicher ausfallen. Neben diesen Effekten bestehen auch rechtliche Hindernisse: So ist es dem Angeklagten nach §  240 Abs.  2 S.  2 StPO nicht gestattet, Fragen an die Mitangeklagten zu richten;324 auch das sog. Kreuzverhör nach §  239 Abs.  1 S.  1 StPO ist nur dem Verteidiger möglich.325 5. Fazit Die vielfältigen Hindernisse einer sachgemäßen Selbstverteidigung sind offenkundig. Es besteht weitgehende Einigkeit, dass die psychische Ausnahmesituation, rechtliche Unkenntnis und forensische Unerfahrenheit in einer strukturell asymmetrischen Situation zu beträchtlichen Einschränkungen der Verteidigungsfähigkeit führen.326 Hinzu kommen individuelle Einschränkungen, die Oswald aaO. Vgl. zu diesem Phänomen Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1371 mwN. 321 Vgl. Barton, Einführung §  1 Rn.  23. 322  Vgl. MAH/Jansen §  34 Rn.  51, 57; Beulke, Der Verteidiger S.  42 f. 323  Wendler/Hoffmann Rn.  14. 324  Vgl. auch Beulke, aaO S.  43. 325  Vgl. auch Beulke, aaO S.  43; Hammerstein JR 1985, 140 (142); Kortz S.  6 4. 326  Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103 (strukturelles Autonomiedefizit); Eb. Schmidt II Vor §  137 Rn.  4; Barton, Einführung §  1 Rn.  23; v.  Hippel (1941) S.  294; Kallmeyer in Recht und Sprache, S.  139 (142); Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1232); Müller-Meinigen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (54); Rissel S.  89; Rueber jurisPR-VerkR 19/2009 Anm.  6; Weider StV 1983, 270 (272). 319 

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jedoch keine Einzelfälle, sondern eine signifikante Größe sind.327 Unabhängig von Kenntnissen und Fähigkeiten des einzelnen Angeklagten ergeben sich Hindernisse in der Selbstverteidigung zwangsläufig aus der Angeklagten-Rolle. Somit ist auch der überlegt handelnde und juristisch gebildete Angeklagte in der Verteidigung beeinträchtigt. Die Selbstverteidigung ist also im Vergleich zur gemeinsamen Verteidigung durch Angeklagten und Verteidiger in jedem Fall eingeschränkt.328 Ist bereits die vorbereitete Selbstverteidigung defizitär, gilt dies umso mehr für eine Selbstverteidigung ohne Vorbereitungsmöglichkeit, wie sie bei einem kurzfristigen Ausfall des Verteidigers nötig wäre. Aus Sicht des Angeklagten ist die Feststellung des Gerichts, die Selbstverteidigung sei zumutbar, eine Fiktion. Durch die Beauftragung eines Verteidigers hat der Angeklagte die Einschätzung zum Ausdruck gebracht, eine formelle Verteidigung sei erforderlich oder zumindest sinnvoll – eine Verhandlung ohne Verteidiger also nicht zumutbar.329

III.  Aufgabe und Bedeutung der Verteidigung in der Hauptverhandlung Zur Institution der Verteidigung existieren zahlreiche wissenschaftliche und rechtspraktische Ausführungen, so dass zur Verteidigung als solche hier nicht in aller Breite vorgetragen werden muss bzw. kann. Dennoch sind Ausführungen zum Zweck der formellen Verteidigung in der Hauptverhandlung in gebotener Kürze notwendig, da die Möglichkeit das Beistandsrecht zu beschränken nur unter Einbezug der Funktion des Beistands beurteilt werden kann.330 Nach unumstrittener Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Subjektstellung des Angeklagten und die sog. Waffengleichheit unverzichtbare Bestandteile eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens (vgl. S. 91  ff.). Im vorangegangenen Abschnitt wurde jedoch dargelegt, dass dem Strafprozess inhärent ist, dass diese Prinzipien aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht erfüllt sind. Um trotz der faktischen und rechtlichen Einschränkungen des Angeklagten eine Annäherung an die postulierte Subjektposition und Waf327  Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1232); Welp ZStW 90 (1978), 804 (814); vgl. Föhrig S.  63. 328  So auch u. a. Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103; AK Strafprozeßreform S.  39; Hammerstein JR 1985, 140 (141, 143); Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (839); Mehle S.  184; Weider StV 1983, 270 (272); Welp ZStW 90 (1978), 101 (115); vgl. auch Gerlach in FS-Peters, S.  153 (167); Peters, Strafprozeß S.  212. 329  So auch HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21; Kortz S.  188; Weider StV 1983, 270 (272); vgl. OLG Stuttgart VRS 25 (1963), 66 (67); OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560); OLG Hamm VRS 74 (1988), 38 (39); BayObLGSt 1988, 179 (180). 330  So auch Spaniol S.  241; vgl. zudem Beulke, Der Verteidiger S.  34.

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fengleichheit zu erreichen, ist der Beistand eines Verteidigers unerlässlich.331 Vargha trägt hierzu die treffende Allegorie vor, dass genau wie demjenigen, der die Gerichtssprache nicht beherrscht, ein Dolmetscher zur Seite zu stellen ist, zwangsläufig demjenigen, dem Verteidigungsfähigkeiten und Rechtskenntnisse fehlen, ein mit entsprechenden Fähigkeiten und Rechtskenntnissen ausgestatteter Experte zur Seite zu stellen sei.332 Nur so könne der Angeklagte die Verhandlung nicht nur sprachlich, sondern auch sachlich verstehen und vom Gericht mit dem eigenen Verteidigungsvorbringen nicht nur gehört, sondern auch verstanden werde.333 Die Bedeutung und die Aufgaben der Verteidigung ergeben sich spiegelbildlich aus den Defiziten der Selbstverteidigung.334 Dem Recht auf Verteidiger-Beistand kommt eine Schlüsselfunktion zu, da durch dieses Recht vielfach die sachgemäße Wahrnehmung weiterer Beschuldigtenrechte erst ermöglicht wird.335 1.  Subjekt des Verfahrens Subjekt des Verfahrens ist der Angeklagte dann, wenn er Einfluss auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens nehmen kann,336 also die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme am Prozess hat.337 Diese Subjektstellung soll durch das Recht auf Verteidiger-Beistand gesichert werden, da der Beistand Einflussmöglichkeiten im Verfahren vergrößert bzw. ermöglicht.338 Als negative Abgrenzung mag eine Formulierung des Oberlandesgerichts Zweibrücken dienen, nach der es darauf ankomme, ob es dem Angeklagten zuzumuten sei, die Verhandlung ohne Verteidiger „durchzustehen“.339 Der Verfahrensgrundsatz des Subjektstatus So auch u. a. BVerfGE 110, 226 (253); Gössel ZStW 94 (1982), S.  5 (34 f.); Jahn S.  223; Knell-Saller S.  31; E.  Müller NJW 1981, 1801 (1804); Müller-Meiningen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (52); Rzepka S.  397; Vargha u. a. S.  286, 290 f.; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103. 332  Vargha S.  290. 333  Vargha aaO. 334  Bernsmann StV 2000, 40 (40); Beulke, Der Verteidiger S.  40, 42; Friedmann S.  105; Giehring in Hassemer/Lüderssen, S.  181 (213); Peters, Strafprozeß S.  212; Rissel S.  89; Schrepfer S.  114; Welp ZStW 90 (1978), 804 (813); vgl. auch BGHSt 41, 69 (72); Eb. Schmidt II Vor §  137 Rn.  4; Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103; E. Müller NJW 1981, 1801 (1804); Kühne Rn.  170; Spaniol S.  242. 335 Vgl. Schmidt-Leichner Anm. zu BGH NJW 1995, 2164. 336  BVerfGE 26, 66 (71); 63, 380 (390); 70, 297 (323); BGHSt 38, 372 (374). 337  BVerfG StV 2002, 578 (580). 338  BVerfGE 63, 380 (390 f.); 70, 297 (323); 110, 226 (253 f.); BGHSt 38, 372 (374); Hassemer ZRP 1980, 326 (331); Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (404); Spaniol S.  242 f. 339  OLG Zweibrücken StV 1984, 148. 331 

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setzt jedoch voraus, dass der Angeklagte das Verfahren nicht nur ‚erträgt‘, sondern an diesem – soweit er dazu gewillt ist – aktiv teilnimmt. Die aktive Verfahrensteilnahme setzt neben theoretisch bestehenden Verfahrensrechten die Möglichkeit der tatsächlichen Nutzung dieser Rechte voraus. Diese Handlungsfähigkeit ist vom Vorhandensein rechtlicher und tatsächlicher Informationen über den Stand des Verfahrens, die materielle und prozessuale Rechtlage, den möglichen weiteren Verlauf und Handlungsmöglichkeiten abhängig.340 Es bedarf dabei nicht nur sachlicher Informationen, sondern es wird eine Einschätzung der Situation und der daraus resultierenden Verteidigungsoptionen benötigt, welche eine gewisse Erfahrung voraussetzt.341 Daher ist auch bei gleicher Informationslage die Entscheidungsgrundlage je nach An- oder Abwesenheit des Verteidigers eine andere – soweit der Angeklagte kein praktizierender Strafverteidiger ist. Ein weiterer wichtiger Vorteil, den der Verteidiger einbringt, ist die Beratung durch einen Dritten, der nicht nur juristisch versiert ist, sondern die Situation objektiver beurteilen kann als die betroffene Person (vgl. S. 115).342 Auf einer ersten Ebene vermittelt der Verteidiger also Handlungsfähigkeit durch Informationen über die rechtliche Lage und eigene Handlungsoptionen; aber auch über die Handlungsmöglichkeiten anderer Verfahrensbeteiligter sowie die Bedeutung der Handlungen und Äußerungen anderer Beteiligter oder Zeugen und somit auch über den potentiellen Verfahrensverlauf.343 Dabei muss der Verteidiger ggf. auch als Übersetzer der juristischen Information in eine Alltagssprache fungieren.344 Auf einer weiteren Ebene muss der Verteidiger eingeschränkte Handlungskompetenzen des Angeklagten bei der Umsetzung der eruierten Handlungsmöglichkeiten ausgleichen. Beispielsweise durch die Formulierung von Anträgen und Sachvorträgen oder durch die Befragung von Zeugen und Sachverständigen.345 Bezüglich des persönlichen Wissens des Angeklagten muss der Verteidiger eine Einschätzung vornehmen, welche Tatsachen zu einer Entlastung beitragen können und ggf. mit dem Angeklagten eine entsprechende Einlassung vorbereiten.346 Sowohl bei tatsächlichem als auch Vgl. MAH/Salditt §  2 Rn.  47 ff.; Stein ZStW 97 (1985), 303 (308 f.). Vgl. MAH/Salditt §  2 Rn.  47 f.; Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Sommer S.  145. 342  Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Beulke, Der Verteidiger S.  42; Gerlach in FS-Peters, S.  153 (167); E.  Müller NJW 1981, 1801 (1805); Schrepfer S.  115; Stein ZStW 97 (1985), 303 (316). 343  MAH/Salditt §  2 Rn.  47 ff.; Beulke, aaO S.  41 f.; v.  Hippel (1941) S.  297; vgl. Thomas NJW 2004, 555 (558); Zieger Rn.  203 ff. 344  Beulke, aaO S.  42; Oksaar in Wassermann, S.  83 (107); vgl. auch MAH/Salditt §  2 Rn.  47; Barton in FS-E.  Müller, S.  31 (34 f.); Vargha S.  286. 345  Beulke, aaO S.  41 ff.; Schrepfer S.  116. 346  Eb. Schmidt II Vor §  137 Rn.  4; Barton, Mindeststandards S.  51; Beulke, aaO S.  41. 340  341 

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rechtlichem Vorbringen kann dabei eine mögliche Sprachbarriere des Angeklagten durch den Verteidiger überwunden und der Position des Angeklagten somit ausreichendes Gehör verschafft werden.347 Zusammengefasst liegt die Aufgabe des Verteidigers somit darin, sowohl die fehlende Rechtskenntnis als auch die sprachliche, ggf. intellektuelle und soziale Unterlegenheit des Mandanten auszugleichen und dadurch eine angemessene Handlungsfähigkeit herzustellen.348 Die Verteidigung muss nicht nur über Kenntnisse der prozessualen Regeln verfügen bzw. diese vermitteln, sondern muss diese Regeln zu Gunsten des Angeklagten durchsetzen.349 2. Waffengleichheit Ganz ähnlich kann die Aufgabe und Bedeutung der formellen Verteidigung beschrieben werden, wenn man auf die rechtsstaatlich gebotene Waffengleichheit abstellt (vgl. S.  93).350 Im Unterschied zur Sicherung der Subjektstellung liegt hier der Fokus nicht auf den Defiziten des Angeklagten, sondern auf einem Vergleich mit den Möglichkeiten der Anklage. Die Waffengleichheit ist nur ein Postulat, welches wie die Verhinderung der Objektrolle in der strafprozessualen Hauptverhandlung nicht erfüllt werden kann.351 Aufgrund der Struktur der Hauptverhandlung (vgl. dazu S. 145  ff.) und der Ermittlungsbefugnisse und -möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden kann nur versucht werden, in der Hauptverhandlung im Rahmen des Erreichbaren eine möglichst gleiche Augenhöhe herzustellen.352 Dies setzt –  nicht ausreichend, aber notwendig  – voraus, dass nicht nur auf Seiten der Anklage, sondern auch der Verteidigung ein juristisch ausgebildeter, professioneller Akteur agiert.353

347  Beulke, aaO S.  42 f.; Schrepfer S.  118; Vargha S.  286; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  845, 855; MAH/Salditt §  2 Rn.  76; Barton, Einführung §  1 Rn.  36. 348  Vgl. BVerfGE 122, 248 (271 f.); Beulke, Der Verteidiger S.  41 f.; Friedmann S.  105; Gerlach in FS-Peters, S.  153 (167); Zieger Rn.  149. 349  Vgl. BVerfG aaO; Bernsmann StraFo 1999, 226 (230); M. Hahn S.  102; Zieger Rn.  149. 350  Vgl. zur Relevanz der Waffengleichheit: BVerfGE 110, 226 (252). 351  Bernsmann StraFo 1999, 226 (229); Küng-Hofer S.  60; Peters, Strafprozeß S.  210; ausf. E. Müller NJW 1976, 1063 (1065); vgl. auch BVerfGE 122, 248 (272). 352 Vgl. Bernsmann aaO (228); Beulke, Der Verteidiger S.  38; M. Hahn S.  106 f.; v.  Hippel (1941) S.  247; Kortz S.  55. 353  BVerfGE 110, 226 (253); Groß-Bölting/Kaps in FA Strafrecht Rn.  5; Barton, Einführung §  1 Rn.  23; Bernsmann aaO (227 ff.); Beulke, aaO S.  40, 247; Gerlach in FS-Peters, S.  153; M. Hahn S.  102; Rissel S.  86; Vargha S.  293; Walther in Weigend/Walther/Grunewald S.  329 (335); Welp ZStW 90 (1978), 101 (102); vgl. auch Hammerstein JR 1985, 140 (142); Kühne Rn.  173.

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3.  Materielle Verteidigung Neben diesen grundlegenden Maximen eines rechtsstaatlichen Verfahrens darf nicht außer Acht bleiben, dass die Hauptaufgabe des Verteidigers in der materiellen Verteidigung liegt.354 Neben dem Vortrag von Rechtsansichten, wie beispielsweise alternativen Auslegungs- und/oder Subsumtionsmöglichkeiten, kann die Verteidigungstätigkeit in der Verhinderung einseitiger Ermittlungen, dem Vorbringen von entlastendem Material oder der Erschütterung von belastenden Beweismitteln liegen.355 Neben der Klärung der Schuldfrage sind auch Strafzumessungsaspekte zu beachten, deren Vortrag häufig der Verteidigung überlassen bleibt.356 Auch strategische Anträge und für die Revisionsrüge nötige Beantragungen gerichtlicher Entscheidungen können Bestandteil der materiellen Verteidigung sein.357 Obwohl –  wie zur Bedeutung der Verteidigung seit jeher vorgetragen wird  – die materielle Verteidigung durch die Erforschung oder das Hervorheben von für den Angeklagten günstigen Tatsachen die materielle Wahrheitsfindung fördern kann,358 ist zu betonen, dass dies keine primäre Aufgabe des Verteidigers sein kann. Die aktive Mitwirkung an der Wahrheitsfindung ist keinesfalls eine Aufgabe des Verteidigers;359 daher kann die Tätigkeit des Verteidigers nur in ihrer mittelbaren Wirkung zu diesem Effekt führen.360 Der Verteidiger muss parteiisch agieren und beachten, dass der Angeklagte ein Interesse daran haben kann, dass bestimmte Tatsachen nicht ermittelt werden. 354  v.  S chwarze (1878) Vorb. zum 11. Abschn. S.  277; Vargha S.  280; vgl. auch BVerfGE 38, 105 (111). 355  SK-StPO/Velten §  265 Rn.  6; Dahs Rn.  20; Schrepfer S.  119 f.; vgl. auch Barton, Mindeststandards S.  51; Beulke, Der Verteidiger S.  36, 43 f.; Gössel ZStW 94 (1982), 5 (31); Rissel S.  89. 356  Dahs Rn.  20; Schlothauer Rn.  109; Vogtherr S.  171; vgl. auch Mützelburg in FS-Dünnebier, S.  277 (279); Schellenberg S.  36. 357  Vgl. dazu Vogtherr S.  180. 358  U. a. Hahn 3.  Bd. 2. Abt., S.  1532 f.; Berichte der Kommission S.  30 f. zitiert nach v.  Schwarze (1878) Vorb. zum 11. Abschn., S.  274; Begründung zum StPO-Entwurf 1939 S.  7, abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 2.1; BVerfGE 16, 214 (216); BGHSt 13, 337 (343 f.); Eb.  Schmidt II Vor §  137 Rn.  4; Barton, Mindeststandards S.  53 f.; Dahs Rn.  12 ff.; Peters, Strafprozeß S.  213; vgl. auch Mehle S.  187 ff. mwN; zur Betonung dieser Verteidigungsfunktion im NS: Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  273 (281). 359  Vgl. dazu nur v.  S chwarze (1878) Vorb. zum 11. Abschn., S.  277; Bernsmann StraFo 1999, 226 (230); Gössel ZStW 94 (1982), 5 (28, 30); E. Müller NJW 1981, 1801 (1804); Sommer ZAP 1994, 101 (101). 360 Vgl. v. Liszt DJZ 1901, 179, Nachdruck: StV 2001, 137 (138); Mehle S.  190 f.; Nickol S.  14 f. (vgl. jedoch entgegenstehend S.  19 ff.); Rissel S.  91; s. auch Protokolle der großen Strafprozesskommission 1939 S.  11 f. der 18. Sitzung, abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 2.1 S.  336 f.

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Etwas anders verhält es sich mit der Argumentation, dass der Staat ein Interesse am Institut der Verteidigung habe, da die Verteidigung zur prozessordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens und der Verhinderung von Fehlurteilen beitragen könne.361 Trotz der Verpflichtung der Behörden, die Verfahrensregeln und Beschränkungen staatlicher Eingriffe zu beachten, besteht die Tätigkeit des Verteidigers auch darin, unzulässige Eingriffe abzuwehren und die Einhaltung der Verfahrensregeln zu Gunsten des Angeklagten durchzusetzen.362 Dies ist nicht nur zur Erlangung eines rechtlich tragbaren Urteils bedeutend, sondern – unabhängig von der Beweisverwertung – nötig, um die mit dem Verfahren verbundenen Eingriffe in die Handlungsfreiheit, die Privatsphäre und andere Rechte des Beschuldigten so gering wie möglich zu halten.363 4.  Psychischer Beistand Der Verteidiger als parteilicher Beistand in der ungewohnten und tendenziell feindlichen Gerichtssituation fungiert dadurch auch als psychischer Beistand.364 In der Befragung von Vogtherr gaben 93  % der befragten Anwälte an, dass die Betreuung des Mandanten über juristische Belange hinausgehe.365 Im Rahmen der Hauptverhandlung kann dieser psychische Beistand durch Gespräche direkt vor der Verhandlung oder in den Unterbrechungen ausgeübt werden. Doch bereits die reine Anwesenheit eines parteiischen Beistands kann durchaus wörtlich als „zur Seite stehen“ verstanden werden.366 Dem Angeklagten wird im Idealfall die Sicherheit vermittelt, dass er einen parteilichen Beistand hat, der ein Gegengewicht zu den Justizbehörden darstellt und dem er vertrauen kann.367 Dadurch kann auch der ‚weiche‘ Faktor des psychischen Beistands eine Auswirkung auf die Stärkung der Subjektposition haben. Es hängt von den individuell verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten ab, inwiefern eine Situation, die obSo u. a. BGHSt 13, 337 (343 f.); Neuhaus StV 2002, 43 (45); Vargha S.  281; Welp ZStW 90 (1978), 804 (815 f.). 362  U. a. BVerfGE 122, 248 (272); Barton, Mindeststandards S.  51; Bernsmann StraFo 1999, 226 (230); Gössel ZStW 94 (1982), 5 (30 f.); M. Hahn S.  102; Klemke/Elbs Rn.  620; Rissel S.  91; Wendler/Hoffmann Rn.  6. 363 Vgl. Barton, Mindeststandards S.  53 f.; Sommer ZAP 1994, 101 (101). 364  Vgl. u. a. Barton, Einführung §  2 Rn.  38; Beulke, Der Verteidiger S.  42; Dahs Rn.  16; Friedmann S.  84 ff.; Kortz S.  65; Lemke-Küch Rn.  858; Peters, Strafprozeß S.  212; Spaniol S.  62; Vogtherr S.  206 f.; vgl. auch Barton in FS-E.  Müller, S.  31 (34 f.); Bernsmann StraFo 1999, 226 (228). 365  Vogtherr S.  206 f., vgl. auch S.  99. 366  Vgl. BVerfGE 110, 226 (253); Friedmann S.  85 367  Friedmann S.  85; Lemke-Küch Rn.  858; Zieger Rn.  149; vgl. auch BVerfGE 110, 226 (253 f.); Malek Rn.  19. 361 

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jektive Stressfaktoren beinhaltet, subjektiv als Stress erlebt wird.368 Zu diesen individuell verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten gehört auch der Zugang zu Unterstützungsmöglichkeiten.369 Somit kann die Verteidiger-Anwesenheit, durch die unmittelbare Möglichkeit Unterstützung zu erlangen, die subjektiv wahrgenommene Stressintensität verringern und damit zugleich zu einer Stärkung der subjektiv wahrgenommenen Handlungsmöglichkeit führen.370 Dies ermöglicht die Transformation einer theoretisch bestehenden Subjektposition in eine als solche erlebte Subjektposition.371 Die Anwesenheit und das Agieren des Verteidigers hat jedoch nicht nur gegenüber dem Angeklagten, sondern auch gegenüber dem Gericht und der Staatsanwaltschaft eine psychische Wirkung.372 Es kann daher auch als Aufgabe des Verteidigers bezeichnet werden, eine für den Angeklagten erträgliche Verhandlungssituation herzustellen.373 Insofern kann die in der Rechtsprechung gebräuchliche Formulierung, die Subjektrolle setze voraus, dass der Angeklagte „den Gang und das Ergebnis“ des Verfahrens beeinflussen könne,374 dahingehend konkretisiert werden, dass sich das Ergebnis der Verhandlung nicht nur aus dem Urteil –  Schuldspruch und/oder Strafzumessung  – ergibt, sondern ein Erfolg auch darin liegen kann, dass das Verfahren dem Angeklagten als ein faires Verfahren erscheint, in dem er handlungsfähig war, sein Standpunkt Gehör gefunden hat und er nicht als Objekt hilflos ausgeliefert war.375 Diese Erwägungen werden durch eine empirischen Untersuchung bestätigt, nach der die meisten befragten Angeklagten mit der Tätigkeit ihres Verteidigers zufrieden waren, obwohl zugleich eine Vielzahl der Befragten nicht von einem maßgeblichen Einfluss der Verteidigung auf das Urteil ausging.376 Dies ist nur dadurch zu erklären, dass Angeklagte in dem Verteidiger einen psychischen Beistand und einen Interessenvertreter sehen, der ihre Position zumindest zu Gehör bringt – auch wenn dies nichts am Ergebnis ändert.377 Busse/Volbert in Psychologie im Strafverfahren, S.  224 (228). Busse/Volbert aaO. 370 Vgl. Busse/Volbert aaO (236); Weider StV 1983, 270 (272). 371 Vgl. Kortz S.  65; Lemke-Küch Rn.  858. 372  Kortz S.  65; vgl. auch Kühne, Kommunikation S.  84; Tausch/Langer ZEPP 1971, 283. 373  Sommer ZAP 1994, 101 (101); vgl. auch Malek Rn.  19; Peters, Justiz als Schicksal S.  8, 182; Schellenberg S.  62. 374  U. a. BVerfGE 63, 380 (390); BGHSt 38, 372 (374). 375  Vgl. dazu Dürkop S.  95; Fuchs S.  3; Haller/Machura/Bierhoff in Verfahrensgerechtigkeit, S.  111 (130); Luhmann, Legitimation u. a. S.  116 ff.; S.  Machura in Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, S.  195 (209 f., 212 ff.); Neuland in Wassermann, S.  141 (144 f.); Peters, Justiz als Schicksal S.  8, vgl. auch zum Zivilprozess Raiser S.  318. 376  Barton MschrKrim 1988, 93 (98 f.). 377  Barton aaO (100); vgl. dazu auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  845, 855; Hohmann in FA Strafrecht Rn.  38. 368  369 

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Dieses Untersuchungsergebnis macht noch einmal deutlich, welche psychische Ausnahmesituation eine Hauptverhandlung für den Angeklagten darstellt, wenn sich eine Zufriedenheit mit der Verteidigung schon daraus ergibt, dass diese es unabhängig vom Ergebnis vermochte, die verfassungsrechtlich vorgesehene Subjektposition aus Sicht des Angeklagten herzustellen. Die tatsächliche Wahrnehmung der eigenen Subjektposition ist ein wichtiger Bestandteil der rechtlich geforderten Subjektrolle. Der Subjektstatus des Angeklagten darf sich nicht in rechtlich bestehenden Handlungsmöglichkeiten erschöpfen, sondern muss – um mehr als ein reines Ideal zu sein – auch die subjektive Sicherheit, als Subjekt ernstgenommen und gehört zu werden, erfassen. Insofern ist die Aufgabe der Verteidigung nicht losgelöst von der oben beschriebenen Belastungssituation des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu verstehen.378

IV.  Objektivität und Fürsorge der Strafverfolgungsbehörden Dass aufgrund der Verpflichtung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft zu Objektivität und materieller Wahrheitsermittlung die formelle Verteidigung zur Wahrung der Angeklagtenrechte überflüssig sei,379 wird in dieser Konsequenz nicht (mehr) vertreten.380 Trotz der grundlegenden Anerkennung der Institution der Verteidigung hat der Verweis auf diese Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden einen Einfluss auf die Einschätzung der Funktion und Bedeutung der formellen Verteidigung.381 Daher ist zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung als abwägungsentscheidendes Kriterium zu klären, ob die Struktur des sog. reformierten deutschen Strafprozesses dazu führt, dass trotz des Verteidigungsdefizits des Angeklagten (vgl. II.) auf die Anwesenheit des Verteidigers verzichtet werden kann.

Vogtherr S.  2. Benerle in den Beratungen der Kommission (Hahn 3.  Bd. 2. Abt., S.  1273 [Original S.  876]); Nickol S.  25; krit. auf diese Ansicht hinweisend Friedmann S.  80 ff. 380  Vgl. jedoch Meyer-Goßner in FS-Welp, S.  81 (81 f.), der affirmativ anmerkt, dass eine Hauptverhandlung mit oder ohne Verteidiger gleich enden würde, da der Vorsitzende sich bereits anhand der Akten mit dem Fall befasst hat; zur historischen Dimension Gössel ZStW 94 (1982), 5 (11); Salditt StV 1993, 442 (442). 381  Vgl. bspw. BVerfGE 9, 124 (132 ff.) zum Sozialgericht; 63, 45 (63 ff.); Meyer-Goßner in FS-Welp, S.  81 (82, 86); Schlüchter GA 1994, 397 (416 f.); Welp ZStW 90 (1978), 101 (119); krit. dazu Beulke, Der Verteidiger S.  35; Friedmann S.  80 f.; Gaede StV 2012, 51 (52 ff.); Kühne Rn.  171; E.  Müller NJW 1981, 1801 (1804); Sommer S.  41 ff. 378 Vgl.

379 Vgl.

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1.  Strafprozessuale Erwägungen Bereits die Normierung des Verteidigerbeistands in §  137 Abs.  1 S.  1 StPO stellt klar, dass die formelle Verteidigung unabhängig von den Aufgaben anderer Verfahrensbeteiligter ein grundlegender Bestandteil des Strafprozesses ist. Etwaige Pflichten von Gericht und Staatsanwaltschaft können die Bedeutung der Verteidigung nicht schmälern, da durch das Bundesverfassungsgericht gerade die Unabhängigkeit von staatlicher ‚Fürsorge‘ als zentrales Element des Beistandsrechts betont wird. Der Angeklagte solle durch die Unterstützung eines Verteidigers über die Möglichkeit verfügen, Verfahrensverstöße mit der erforderlichen Sachkunde abzuwehren und nicht davon abhängig sein, dass Gericht und Staatsanwaltschaft wie vorgesehen die Angeklagtenrechte schützen und Beteiligungsmöglichkeiten gewähren.382 Denn es ist grundsätzlich zur Abwehr staatlicher Willkür und Verwirklichung des Rechtsstaates nicht ausreichend, dass der Staat gegenüber dem Einzelnen regelgebunden ist, sondern der Einzelne muss die Möglichkeit haben, den Staat aktiv zur Einhaltung dieser Regeln zu drängen.383 Wäre der Schutz des Angeklagten vor Verfahrensverstößen und einer fehlerhaften oder unangemessenen Verurteilung durch die Fürsorgepflicht des Gerichts, den Grundsatz der Amtsermittlung und die Objektivität von Gericht und Staatsanwaltschaft ausreichend gesichert, wäre zudem die Institution der notwendigen Verteidigung nicht erklärlich.384 §  140 StPO besagt, dass in den erfassten Fällen die Mitwirkung eines Verteidigers für die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens so bedeutend ist, dass dies Eingriffe in die autonome Entscheidung des Angeklagten über seine Verteidigung rechtfertigt.385 Mit der Einführung der notwendigen Verteidigung ist daher die Bewertung verbunden, dass die genannten Pflichten der Strafverfolgungsbehörden nicht für eine umfassende Beachtung der Position des Angeklagten ausreichen. Teilweise wird vorgebracht, die formelle Verteidigung sei unter anderem deshalb nicht verzichtbar, weil der Angeklagte sich dem Vorsitzenden oder der Staatsanwaltschaft aus subjektiven Gründen, wie Misstrauen, nicht offen anvertraue und daher ggf. Strafzumessungsaspekte oder andere Tatsachen nicht berücksichtigt werden könnten.386 Es ist jedoch – objektiv – für den Angeklagten zumeist nicht zweckmäßig, sich diesen Personen offen anzuvertrauen.387 Das 382 

BVerfGE 38, 105 (111); 122, 248 (271 f.). U. a. Gössel ZStW 94 (1982), 5 (24). 384  So auch Friedmann S.  83. 385  Krit. dazu Haffke StV 1981, 471 (480 f.); vgl. auch Mehle S.  177 ff. mwN. 386  U. a. AK Strafprozeßreform §  38 f.; Dahs Rn.  9 f.; vgl. auch Inoue S.  52. 387 Vgl. Neuland in Wassermann, S.  141 (142). 383 

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Gericht ist zwar nach allgemeiner Ansicht zur Fürsorge gegenüber dem Angeklagten verpflichtet, aber mindestens gleichermaßen auch zur Wahrheitsermittlung. Eine effektive Berücksichtigung der Interessen des Angeklagten ist dem Gericht also rein faktisch nicht möglich.388 Der Vorsitzende muss Äußerungen des Angeklagten, die dieser zur Entlastung vorgebracht hat, auch dann verwerten, wenn sie sich als belastend herausstellen.389 Ebenso entspricht es nicht der Aufgabenstellung des Vorsitzenden den Angeklagten – außerhalb der Belehrungspflichten – auf ein nachteiliges Prozessvorgehen hinzuweisen, selbst wenn der Vorsitzende bemerkt, dass sich der Angeklagte der Nachteiligkeit seines Handelns oder Unterlassens nicht bewusst ist.390 Daher können weder der Vorsitzende noch andere Verfahrensbeteiligte die Abwesenheit des zur Parteilichkeit verpflichteten Verteidigers ausgleichen. 2.  Sozialpsychologische Erwägungen Die bisherigen Ausführungen, die gegen eine Relativierung der Bedeutung der Verteidigung im sog. reformierten deutschen Strafprozess sprechen, stehen unter der Hypothese, dass Gericht und Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung ergebnisoffen und unparteiisch agieren. Gegenüber dieser Hypothese bestehen deutliche Zweifel. Bereits kurz nach der Einführung der einheitlichen deutschen Strafprozessordnung gab es Stimmen, die in einer Verhandlung nach der Konzeption der StPO Bestandteile eines Parteienprozesses ausmachten.391 Mittlerweile ist vielfach dazu vorgetragen worden, dass die theoretisch vorgesehene Objektivität des Gerichts und der Staatsanwaltschaft nicht der Verfahrensrealität entspricht.392 Zu Beginn der Hauptverhandlung stehen das Gericht und die Staatsanwaltschaft der Tat und der Täterschaft des Angeklagten nicht neutral – also ohne Vorannahme – gegenüber, sondern gehen von einer hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit aus. Andernfalls hätte die Staatsanwaltschaft die Sache nicht anklagen und das Gericht das Verfahren nicht eröffnen dürfen (vgl. Hammerstein JR 1985, 140 (142). Hammerstein aaO; Sickor S.  250; vgl. auch Beneke S.  58 f.; Föhrig S.  264; Neuland

388 Vgl. 389 

aaO.

Vgl. auch Maiwald in FS-Lange, S.  745 (755 f.). v. Liszt DJZ 1901, 179, Nachdruck: StV 2001, 137 (138); Posener (1928) §  228 Nr.  420; ausf. dazu v.  Hippel (1941) S.  224 ff. mwN; vgl. auch Vargha S.  285 ff. 392  U. a. Barton, Einführung §  1 Rn.  26; ders. in FS-E.  Müller, S.  31 (40); Bernsmann StraFo 1999, 226 (228 f.); Beulke, Der Verteidiger S.  35 f.; Friedmann S.  80 ff.; Gaede StV 2012, 51 (52); Kortz S.  57; Mehle S.  44 ff.; Schünemann in FS-Pfeiffer, S.  461 (476); ders. in Verfahrensgerechtigkeit, S.  215; ders. ZStW 114 (2002), S.  1 (51 f.); Wendler/Hoffmann Rn.  4 ff.; bzgl. des Gerichts einschr. Kühne Rn.  172. 390  391 

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§§  170; 203 StPO).393 Grundlage der Hauptverhandlung ist die Anklageschrift – also das von der Staatsanwaltschaft behauptete Tatgeschehen.394 Auch die Beweismittel werden überwiegend entsprechend der Ausgangsthese der Staatsanwaltschaft und anhand der Anklageschrift ‚präsentiert‘.395 Über diese Ausrichtung der Hauptverhandlung hinaus ist das Vorstellungsbild des Vorsitzenden zu Beginn der Hauptverhandlung bereits durch das Lesen der Akte vorgeprägt.396 Diese Vorprägung manifestiert sich neben dem Eröffnungsbeschluss in der Vorbereitung des Verfahrens; darunter die Entscheidung, welche Zeugen vorzuladen sind, wieviel Zeit für die jeweilige Vernehmung voraussichtlich benötigt wird und ob Sachverständige einzubeziehen sind .397 Diese Grundvoraussetzungen jeder Hauptverhandlung führen – auch bei um Unvoreingenommenheit bemühten Vorsitzenden – zu dem sog. Perseveranz-Effekt.398 Dieser Effekt entsteht durch das menschliche Bedürfnis, kognitive Dissonanzen zu vermeiden. Informationen, die der bisherigen Vorstellung entsprechen, werden deutlicher wahrgenommen; Informationen, die das bisherige Vorstellungsbild in Zweifel ziehen, werden eher übersehen, schneller vergessen, in ihrer Bedeutung unterschätzt oder stärker in Zweifel gezogen.399 Dadurch führen die vorherigen, selektiven Informationen und die Verurteilungsprognose zu einer selektiven Wahrnehmung des Prozessgeschehens. Der Vorsitzende unterliegt dem Drang, die eigene Entscheidung – den Eröffnungsbeschluss – zu bestätigen. Diese fern des Strafverfahrens in der Sozialpsychologie erforschten Mechanismen400 wies Schünemann durch empirische Untersuchungen konkret bezüglich der Wahrnehmung des Strafrichters nach.401 Ein ähnlicher Effekt, der sich in der Dissonanz-Forschung ergeben hat, ist die unbewusste nachträgliche 393  So zur Anklage: M. Hahn S.  104; bzgl. des Eröffnungsbeschlusses: Klemke/Elbs Rn.  618; Roxin/Schünemann §  42 Rn.  3; schon für den Anfangsverdacht Mehle S.  43. 394 Vgl. Bernsmann StraFo 1999, 226 (230); Dürkop S.  123; Spaniol S.  232. 395  Vgl. auch Spaniol S.  245; Wendler/Hoffmann Rn.  12. 396  Bernsmann StraFo 1999, 226 (229); Gaede StV 2012, 51 (54); Friedmann S.  81; MüllerMei­ningen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (54); Schünemann ZStW 114 (2002), S.  1 (52); deutlich, wenn auch mit anderer Intention: Meyer-Goßner in FS-Welp, S.  81 (81 f.). 397  Gaede StV 2012, 51 (54); Friedmann S.  81; Kortz S.  58; Müller-Meiningen Jr. aaO; Schünemann aaO (21); Roxin/Schünemann §  42 Rn.  3; Wendler/Hoffmann Rn.  7, 9, 12. 398  Gaede aaO; Klemke/Elbs Rn.  618; Kortz S.  58; Schünemann in Verfahrensgerechtigkeit, S.  215 (insb. 226); ders. ZStW 114 (2002), S.  1 (21 f.); ausf. Mehle S.  44 ff. mzN; auch schon Friedmann S.  81. 399  Aronson/Wilson/Akert S.  185 mwN; ausf. Festinger; Schünemann in Verfahrensgerechtigkeit, S.  215 (217 f., 226 f.); ders. StraFo 2010, 90 (92); ausf. Mehle S.  44 ff., insb. 49; vgl. auch Wendler/Hoffmann Rn.  5 f. 400  Aronson/Wilson/Akert S.  185 f. mwN. 401  Schünemann in Verfahrensgerechtigkeit, S.  215 (219 ff., 226 ff.); vgl. auch Schilderung bei Wendler/Hoffmann Rn.  4 ff.

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moralische Legitimation des eigenen Handelns.402 Dieser Effekt kann sich ebenfalls auf die Bewertung des Inhalts der Hauptverhandlung auswirken. Der urteilenden Person ist bewusst, dass die Durchführung der Verhandlung eine Belastung für den Angeklagten darstellt. Für die Durchführung ist sowohl die Staatsanwaltschaft durch die Anklage als auch der Vorsitzende durch den Eröffnungsbeschluss verantwortlich. Würde sich nun herausstellen, dass der Angeklagte die Strapazen unnötig erlitten hat, würde das eigene Selbstbild als ‚guter Mensch‘ leiden.403 Diese Dissonanz wird vermieden, wenn das Ergebnis der Hauptverhandlung mit der Anklage übereinstimmt. In der schon genannten Studie von Schünemann wurde ein weiterer im Strafprozess wirksamer Effekt bestätigt: Wurde bereits eine Bewertung durch eine in Status und Ausbildung sozial nahestehende Person vorgenommen, besteht die Tendenz, sich dieser Bewertung anzuschließen.404 Insbesondere wenn die Beurteilungsgrundlage unsicher ist, wird die Ansicht anderer Menschen als Entscheidungsmaßstab herangezogen.405 Fatalerweise neigen Personen besonders stark dazu, sich an der Einschätzung einer anderen Person zu orientieren, wenn ihnen bewusst ist, dass ihre Einschätzung bedeutende Folgen – hier: Schuldspruch und Strafausspruch – haben wird.406 Dementsprechend kann sich der Richter in der eigenen Bewertung nicht gänzlich der Einschätzung der Staatsanwaltschaft, nach Aktenlage bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit des Nachweises der Täterschaft (§  170  StPO), entziehen.407 Bereits im Gesetzgebungsverfahren der Strafprozessordnung wurde daher kritisch diskutiert, ob der Abschlussantrag der Staatsanwaltschaft einen Antrag zur Strafhöhe enthalten solle.408 Roxin und Schünemann vermuten, dass dieser Effekt zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft strukturell bedingt besonders stark ausgeprägt sei.409 Nach Ansicht von Schünemann werden die kognitiven Effekte der Unterschätzung von Entlastungsmomenten noch verstärkt, wenn Richter mit Sachverhalten konfrontiert sind, die nicht ihrer eigenen Lebenswirklichkeit entsprechen.410 Die beschriebenen Mechanismen laufen unbewusst ab, sind also durch Aronson/Wilson/Akert S.  204 f. Aronson/Wilson/Akert S.  204 f. zur drastischeren Situation der Folter; Paeffgen/ Wasserburg GA 2012, 535 (537). 404  Schünemann in Verfahrensgerechtigkeit, S.  215 (223 ff.). 405 Vgl. Aronson/Wilson/Akert S.  261 ff. 406  Aronson/Wilson/Akert S.  264 f. mwN. 407  Schünemann in Verfahrensgerechtigkeit, S.  215 (223 ff.); ähnlich: M. Hahn S.  105 mwN. 408  Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  874 f. 409  Roxin/Schünemann §  69 Rn.  2; vgl. auch Paeffgen/Wasserburg GA 2012, 535 (537). 410  Schünemann in FS-Pfeiffer, S.  461 (476). 402 

403 Vgl.

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die Beteiligten nur in geringem Maß zu vermeiden.411 Einen verstärkenden Effekt dürften die hohe Anzahl der an Amtsgerichten durchgeführten Verfahren und der empfundene Zeitdruck haben,412 da kognitive Prozesse auf Effizienz ausgelegt sind.413 Boy und Lautmann stellten in einer Studie jedoch auch bewusste Effekte fest.414 Ein erheblicher Anteil der nach Hauptverhandlungen interviewten Richter äußerte, der Fall sei nach Aktenlage klar gewesen, sie hätten in der Hauptverhandlung keine neuen Informationen oder höchstens Informationen zur Täterpersönlichkeit erwartet.415 Neben dem von der Art der Information unabhängigen Perseveranz-Effekt kann es zu weitergehenden kognitiven Verzerrungseffekten durch den Verfahrensstoff kommen. Eine emotionale Ablehnung der aufzuklärenden und abzuurteilenden Tat geht zumeist mit einer emotionalen Ablehnung des Täters einher. Dies kann zu einer negativen Voreingenommenheit gegenüber der Person, die als mutmaßlicher Täter angesehen wird, führen (vgl. S. 106).416 Von mehreren Autoren wird ausgeführt, dass es angesichts des Verfahrensziels der Wahrheitsermittlung naheliegend sei, dass die Strafverfolgungsbehörden die prozessualen Regeln zum Schutze des Angeklagten oft „als lästige Fesseln“417 empfinden würden.418 Daher sei die Beteiligung des Verteidigers, dem die Aufgabe zufalle, zu Gunsten des Angeklagten die Justizförmigkeit des Verfahrens durchzusetzen, zur tatsächlichen Umsetzung der Unschuldsvermutung unerlässlich.419 Die Vertreter der Staatsanwaltschaft treffen die beschriebenen Mechanismen in ähnlicher Weise, aber durch ihre Rolle innerhalb des Strafverfahrens ungleich stärker.420 Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es, Straftaten aufzuklären und zu verfolgen. Entsprechend ist sie auf der Suche nach einem Täter; sie versucht, einen bestehenden Anfangsverdacht zu erhärten.421 Diese Zielrich411  Aronson/Wilson/Akert S.  183, vgl. auch S.  71; Schünemann ZStW 114 (2002), S.  1 (21 f.). 412 Vgl. Müller-Meiningen Jr. in Schuld und Sühne S.  49 (54); Wendler/Hoffmann Rn.  5 f. 413 Vgl. Aronson/Wilson/Akert S.  6 4, 73 mwN. 414  Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41. 415  Boy/Lautmann in Wassermann, S.  41 (59); vgl. Meyer-Goßner in FS-Welp, S.  81 (81 f.). 416 Vgl. Friedmann S.  74; Schrepfer S.  87; Sommer S.  151. 417  Eb. Schmidt. II Vor §  137 Rn.  6. 418  Dahs Rn.  10; Gaede StV 2012, 51 (54); Klemke/Elbs Rn.  37; Vargha S.  289; vgl. auch Maiwald in FS-Lange, S.  745 (749). 419  Eb. Schmidt. II Vor §  137 Rn.  6 f.; Dahs Rn.  11. 420  Hammerstein JR 1985, 140 (143); Kortz S.  58 mwN; Schaefer in FS-Rieß, S.  491 (502); auch schon v. Hippel (1941) S.  246; vgl. auch AK Strafprozeßreform §  38 f. 421  Bernsmann StraFo 1999, 226 (228); Dahs Rn.  10; M. Hahn S.  103; Mehle S.  43 f., 188; Wendler/Hoffmann Rn.  5, 14.

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tung führt dazu, belastende Momente stärker zu beachten als entlastende.422 Obwohl der deutsche Strafprozess formell nicht als Parteienprozess ausgestaltet ist, ist die Staatsanwaltschaft – spätestens ab Anklageerhebung – die ‚Gegenseite‘.423 Dies stellt sich vor allem aus Sicht des Angeklagten so dar, ist aber auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt – andernfalls ergäbe der vom Bundesverfassungsgericht postulierte Anspruch auf die sog. ‚Waffengleichheit‘ keinen Sinn.424 Die Wahrnehmung des Prozessgeschehens und die Vornahme von Ermittlungshandlungen sind also in erheblichem Maß von Vorannahmen geprägt, die je nach Verfahrensrolle unterschiedlich sind. Hieraus ergibt sich die Gewichtigkeit der aktiven Verteidigung, z. B. durch Einflussnahme auf die Zeugen-Befragung, trotz der gesetzlichen Neutralität des Gerichts.

V.  Resümee Über die beschriebenen Aufgaben und Funktionen der formellen Verteidigung besteht in Literatur und Rechtsprechung im Unterschied zur Frage der Grenzen des zulässigen Verteidiger-Handelns und der rechtlich-dogmatischen Stellung des Verteidigers weitgehende Einigkeit.425 Dennoch scheint sich die Relevanz und Vielfältigkeit der dem Ausgleich der Schwächen der Beschuldigtenposition dienenden Aufgaben der formellen Verteidigung in der Rechtsprechung zur Terminierung nicht widerzuspiegeln. Die grundrechtsrelevante Bedeutung der Verteidiger-Anwesenheit wird zwar als Abwägungsaspekt einbezogen, jedoch fehlt eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Angeklagten, das  ungewollte  Fehlen des Verteidigers durch die Selbstverteidigung auszugleichen. Aber auch die rechtliche Bedeutung des Verteidigungsrechts kommt in der Rechtsprechung nicht immer deutlich zum Ausdruck. 1.  Bedeutung der Verteidigung in der Hauptverhandlung Die mangelnde Beachtung der Bedeutung der formellen Verteidigung in der Hauptverhandlung mag unter anderem daher rühren, dass die Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung ein kaum diskutiertes Thema ist. Sowohl AK Strafprozeßreform §  38 f.; Bernsmann aaO (228 f.); Beulke, Der Verteidiger S.  35; M. Hahn S.  103; Kortz S.  57; Kühne Rn.  138 mwN; vgl. auch Schaefer in FS-Rieß, S.  491 (502); Schünemann ZStW 114 (2002), S.  1 (21). 423  AK-StPO/Stern Vorbem. §  137 Rn.  14; Beulke, Der Verteidiger S.  35 mwN; Kortz S.  57; Kühne Rn.  171; vgl. auch Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  874 f.; Schünemann in FS-Pfeiffer, S.  461 (478); Wendler/Hoffmann Rn.  5. 424  Vgl. u. a. BVerfGE 110, 226 (253); StV 2002, 578. 425  So auch Beulke, Der Verteidiger S.  50. 422 

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

bei der Ausarbeitung der StPO im 19. Jahrhundert als auch bei späteren Reformvorhaben wurden hauptsächlich die Rechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren diskutiert.426 Reformvorschläge wurden und werden mit der unzureichenden Regelung der Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren und der gestiegenen Bedeutung des Ermittlungsverfahrens begründet.427 Unbestritten haben die durchgeführten Ermittlungen einen bedeutenden Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens.428 Eine Verurteilung kann jedoch nur erfolgen, wenn ihre Grundlage aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft wird. Nur die Beurteilung des Geschehens, wie es sich nach der Beweisaufnahme und der Bewertung der zulässigen Beweise darstellt, kann einen Schuldspruch tragen. Daher bleibt trotz der Bedeutung des Vorverfahrens die Hauptverhandlung der ‚Höhepunkt‘ des Strafverfahrens.429 Die Tätigkeit des Verteidigers vor der Hauptverhandlung kann das Agieren in der Hauptverhandlung – u. a. Antragsstellung; Zeugenbefragung; Abgabe von Erklärungen; Beratung des Angeklagten in unerwarteten Situationen – nicht ersetzen.430 Unabhängig von möglichen Anwesenheitsrechten im Ermittlungsverfahren ist daher die Durchsetzbarkeit der Anwesenheit in der Hauptverhandlung von elementarer Bedeutung für den Einfluss der Verteidigung auf das Ergebnis des Verfahrens. Die Bedeutung der Hauptverhandlung als Kern des Strafverfahrens ist gleichbedeutend mit dem Gewicht der Verteidigung in diesem Verfahrensstadium. 2.  Grundprinzipien des Strafprozesses Die Garantie des Beistandsrechts durch Grundgesetz und EMRK wird in der Rechtsprechung zwar regelmäßig genannt, aber die daraus folgende besondere Bedeutung des Beistandsrechts findet sich in den Erwägungen häufig nicht wieder. 426  Vgl. u. a. Motive S.  95 ff.; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  17 ff.; v.  S chwarze (1878) Vorbem. zu 11. Abschn. S.  274; Beulke, Der Verteidiger S.  244 ff.; Eckpunktepapier der Bundesregierung, StV 2001, 314; Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  141; Däubler-Gmelin StV 2001, 359 (361); Beschlüsse des 65. DJT, NJW 2004, 3241 (3244); Friedmann S.  150; Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (405 f.); Satzger StraFo 2006, 45 (46 f.) mit Ausnahme der Debatte über eine Limitierung des Beweisantragsrechts. 427  U. a. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Rn.  17; Beulke, Der Verteidiger S.  144 f.; Däubler-Gmelin StV 2001, 359 (361); Satzger StraFo 2006, 45 (47). 428  Dazu u. a. Peters, Fehlerquellen II S.  195; Kühne Rn.  175; Rieß in FS-Schäfer, S.  155 (208). 429  BVerfGE 64, 135 (148); 74, 358 (372); 86, 288 (318); AnwK-StPO/Kirchhof Vorb. zu §§  226 ff. Rn.  1; KK/Hannich Vorb. zum 6. Abschn. Löwe/Rosenberg/Becker Vor §  226 Rn.  3; Meyer-Goßner/Schmitt Vor §  226 Rn.  1; Bernsmann ZRP 1994, 329 (330); Kühne Rn.  714; vgl. auch Vargha S.  426. 430 Vgl. Bernsmann ZRP 1994, 329 (330); Vargha S.  426.

A.  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung

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a) Unschuldsvermutung So wird u. a. kaum beachtet, ob das Prinzip der Unschuldsvermutung in der Rechtsprechung zur terminlichen Verhinderung verwirklicht wird. Der Unschuldsvermutung kommt nach einhelliger Meinung als Teil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang zu und ist daher eine im gesamten Verfahren zu beachtende Maxime.431 Der Angeklagte ist als potentiell Unschuldiger zu behandeln, dem es ermöglicht werden muss, sich gegen den bestehenden Verdacht zu verteidigen und „den staatlichen Strafanspruch in einem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren abzuwehren.“432 Der Strafprozess findet im öffentlichen Interesse statt und legt dem verdächtigten Bürger zu Gunsten des Rechtsfriedens das Sonderopfer auf, das Verfahren bis zur Klärung des Verdachts zu dulden.433 Daher ist das Verfahren von den Strafverfolgungsbehörden so zu führen, dass das Sonderopfer auch im Falle des Freispruchs legitimiert werden kann.434 Somit muss bis zu einer Verurteilung eine größtmögliche Zurückhaltung beim Eingriff in die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden.435 Bis zur Verurteilung ist der Angeklagte nicht Täter, der Einschränkungen seiner Rechte aufgrund der begangenen Tat hinzunehmen hat, sondern Verdächtiger, der die Einschränkung seiner Rechte zur Klärung des vermuteten Tatgeschehens hinzunehmen hat. Aus alldem folgt, dass der Staat nicht nur Eingriffe in Rechte des Angeklagten soweit wie möglich zu unterlassen hat, sondern dass er ebenso verpflichtet ist, den verfahrensbedingten psychischen Stress (vgl. S. 107  ff.) soweit wie möglich abzumildern.436 Dies umfasst die Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers an der Hauptverhandlung (vgl.  S. 141  ff.), Wobei diese selbstverständlich nicht nur im Hinblick auf die psychische Belastung, sondern auch zur effektiven Verteidigung gegen den Schuldvorwurf gewährleistet sein muss. b)  Effektive Verteidigung iS der EMRK Auch die Garantien der EMRK werden von der Rechtsprechung zwar einbezogen, jedoch fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des 431 

BVerfGE 19, 342 (347); 74, 358 (370); 82, 106 (114) mwN; Sachs/Degenhart Art.  103 Rn.  46; Löwe/Rosenberg/Kühne Einl.  J. Rn.  74; Diercks AnwBl 1999, 311 (312 f.). 432  BVerfGE 74, 358 (371); vgl. Degenhart in HStR III Rn.  35; Kahlo KritV 1997, 183 (202). 433  So auch Köhler ZStW 107 (1995); 10 (21); Schlothauer StV 1981, 443 (447); vgl. auch AK Strafprozeßreform §  51; Zaczyk StV 1993, 490 (491); Stein ZStW 97 (1985), 303 (303) mwN. 434 Vgl. Rudolphi ZRP 1976, 165 (166, 169). 435 Vgl. Diercks AnwBl 1999, 311 (313); Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1206 f.); Rissel S.  81; Roxin/Schünemann §  1 Rn.  5; Rudolphi ZRP 1976, 165 (166); Schrepfer S.  82 f. 436 Vgl. Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1219). Stein ZStW 97 (1985), 303 (303 f.).

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach „die Konvention nicht den Zweck hat, theoretische oder illusorische Rechte zu gewährleisten, sondern Rechte, die praktisch und effektiv sind. Dies gilt insbesondere für Rechte der Verteidigung im Hinblick auf die herausragende Stellung, die das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren in einer demokratischen Gesellschaft einnimmt, von dem jene Rechte abgeleitet sind.“437 Der Angeklagte müsse „konkret und wirklich“ verteidigt werden.438 Nach diesen Grundsätzen muss die Verfahrensposition des Angeklagten so gestalten sein, dass es ihm möglich ist, die Verteidigungsrechte in der Hauptverhandlung tatsächlich umzusetzen.439 Sowohl zur tatsächlichen Umsetzung der Rechte zur materiellen Verteidigung als auch für eine effektive Gewährung des Rechts auf formelle Verteidigung muss die aktive Teilnahme des Verteidigers an der Hauptverhandlung ermöglicht werden.440 Zumeist beziehen sich die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf den Bereich der notwendigen Verteidigung. Doch genau wie es bei §  140 StPO nicht ausreicht, dass ein Verteidiger anwesend ist, sondern eine ‚Mitwirkung‘ des Verteidigers notwendig ist, muss das Recht auf Beistand aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO über die Existenz eines Verteidigers hinaus die faktische Anwesenheit in der Hauptverhandlung als Grundlage für einen tatsächlichen Beistand beinhalten. Denn eine effektive Verteidigung setzt die ununterbrochene Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung voraus.441 Effektiv gewährt der Staat das Recht auf freie Verteidiger-Wahl und Beistand in der Hauptverhandlung nur, wenn er die Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung nicht nur gestattet, sondern sie auch terminlich ermöglicht, soweit dies in seiner Möglichkeit steht. Daher muss das Recht auf Anwesenheit zu seiner effektiven Gewährung zwangsläufig auch einen Einfluss auf den Termin beinhalten. Darüber hinaus kann von der effektiven Gewährung eines Rechts nur gesprochen werden, wenn dieses Recht von dem Angeklagten auch tatsächlich durchgesetzt werden kann.442 Dazu muss er einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch haben und nicht lediglich auf eine Rücksichtnahme oder Fürsorge des Gerichts hoffen dürfen. 437  EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien, EGMR-E 1, 480 (485); im Anschluss EGMR v.  19.12.1989, Kaminski ./. Österreich, EGMR-E 4, 450 (469); EGMR v. 10.10.2002 – 38830/97, Czekalla ./. Portugal Rn.  60; vgl. auch EGMR v. 21.01.1999 – 26103–95, Geyseghem ./. Belgien, NJW 1999, 2353 (2354). 438  EGMR v. 09.04.1984 – I/1983/57/87, Goddi ./. Italien, StV 1985, 441 (441). 439 Vgl. Hassemer ZRP 1980, 326 (330). 440  Vgl. EGMR v. 13.05.1980 – 6694/74, Artico ./. Italien EGMR-E 1, 480 (485 f.). 441  So auch Rzepka S.  405. 442  Vgl. BGHSt 38, 372 (375) in Bezug auf Vernehmung; zu Rechten aus dem GG Haffke StV 1981, 471 (477).

A.  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung

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3. Differenzierungsmöglichkeiten Neben der These, der Angeklagte dürfe keinen Anspruch auf die terminliche Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers haben, ist Kern der ständigen Rechtsprechung, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Zumutbarkeit der Selbstverteidigung möglich sei. Aus den bisherigen Ausführungen dieses Kapitels ergibt sich jedoch das Gegenteil. a)  Systematische Betrachtung Neben der Funktion des Verteidigers als psychischer Beistand (III. 4.), welche der Angeklagte schlechterdings nicht selbst wahrnehmen kann, sondern die höchstens im Einzelfall überflüssig sein könnte, wurde in den Abschnitten II. und III. ausgeführt, dass die Selbstverteidigung gegenüber der Verteidigung durch den Verteidiger immer defizitär ist. Da somit die Teilnahme eines Verteidigers immer sachgemäß ist,443 kann sie im Hinblick auf die Verfahrensrechte des Angeklagten nicht gegen den Willen des Angeklagten als entbehrlich eingestuft werden. ‚Unterhalb‘ des §  140 Abs.  2 StPO verbleibt sowohl aus inhaltlichen als auch aus systematischen Gründen kein Raum für eine weitere Differenzierung durch das Gericht. Schon bei der Entscheidung nach §  140 Abs.  2 StPO drängt sich die Frage auf, wann die Sach- und Rechtslage aus Sicht eines vom Verfahren betroffenen Laien nicht komplex sein sollte und wann die Verteidigungsfähigkeit des realen Angeklagten im Vergleich zum gedachten umfassend informierten, laienhaft-rechtskundigen, überlegt-handelnden Angeklagten nicht eingeschränkt sein sollte (vgl. II).444 Auch die Diskussion, ab welcher Höhe eine Freiheitsstrafe erheblich ist,445 dürfte aus Sicht der meisten Angeklagten nicht nachvollziehbar sein, da auch eine kurze Freiheitsstrafe einschneidende Folgen für den familiären Zusammenhalt, das Sozial- und Berufsleben und die psychische Verfasstheit des Angeklagten haben kann.446 Umso mehr stellt sich die Frage, wann diese Kriterien nicht vorliegen sollten, wenn im Rahmen des §  137 Abs.  1 S.  1 443  Vgl. u. a. Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. J. Rn.  103; AK Strafprozeßreform S.  39; Gaede StV 2012, 51 (58); Hammerstein JR 1985, 140 (141, 143); Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (839); Kortz S.  171 f.; Mehle S.  184; Nickol S.  18 f.; Rieß in FS-Reichjustizamt, S.  373 (404); Spaniol S.  63 f.; Weider StV 1983, 270 (272); Welp ZStW 90 (1978), 101 (115). 444  Vgl. u. a. AK Strafprozeßreform §  49; Kortz S.  164; weitergehend: Barton, Mindeststandards, S.  93 Fn.  29; tatsächlich erfolgen nur ca. 10  % der Beiordnungen aufgrund von §  140 Abs.  2 StPO: Vogtherr S.  203, 234. 445  Vgl. MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  140 Rn.  29 f. mzN. 446  MAH/Nobis §  10 Rn.  9; Egner S.  78; vgl. auch R. Schmid in Schuld und Sühne, S.  74 (77).

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

StPO an die Differenzierungskriterien zwangsläufig geringere Voraussetzungen geknüpft werden müssen als bei der Beurteilung nach §  140 Abs.  2 StPO. Doch auch unabhängig von den Beurteilungskriterien ist eine gerichtliche Differenzierung aus systematischen Gründen ausgeschlossen. Dort, wo das Gericht die Verteidigung nicht für notwendig hält, greift §  137 Abs.  1 S.  1 StPO. Damit verbietet es sich, die nicht-notwendige Verteidigung als überflüssige Verteidigung anzusehen.447 Das Gericht hat seine Beurteilung, dass eine Selbstverteidigung ausreichend sei, bereits im Rahmen des §  140 Abs.  2 StPO getroffen. Daher kann es für die Beurteilung der Bedeutung der Verteidiger-Anwesenheit im Rahmen des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO nur noch auf die Einschätzung des Angeklagten ankommen. Wenn die formelle Verteidigung nach den Regelungen der StPO eine so immense Bedeutung hat, dass sie gem. §  140 StPO – unabhängig von individuellen Defiziten des Angeklagten – auch gegen den Willen des Angeklagten möglich ist, kann es kaum überzeugen, dass umgekehrt in Verfahren, die nicht von §  140 StPO erfasst werden, die Mitwirkung so unerheblich sein soll, dass die Verhandlung gegen den ausdrücklichen Willen des Angeklagten ohne Verteidiger stattfinden kann. Dies gilt insbesondere, da offenkundig bei der Abfassung des §  140 StPO nicht angenommen wurde, dass in den anderen Fällen die Verteidigung nicht notwendig sei, sondern lediglich aus pragmatischen Gründen eine Begrenzung des §  140 StPO auf besonders bedeutende Fälle vorgenommen wurde (dazu S. 99  f.). b)  Tatsächliche Beurteilungsmöglichkeiten Aus der Gesetzessystematik ergibt sich also, dass auf die Beurteilung des Angeklagten abgestellt werden muss. Dieser bringt regelmäßig durch die Beauftragung eines Verteidigers zum Ausdruck, dass er sich eine Selbstverteidigung nicht zutraut und/oder sich nur durch einen Verteidiger adäquat verteidigt sieht.448 Durch einen Terminverlegungsantrag wird diese Aussage noch einmal bestätigt und bekräftigt.449 Vereinzelt wurde dies auch von Gerichten so beurteilt,450 dennoch hat diese Argumentation bisher wenig Aufmerksamkeit erlangt und die genannten Entscheidungen haben keine weitergehende Resonanz erfahren. Es finden sich lediglich zwei Entscheidungen, die umgekehrt schlussfolgern, aus dem fehlenden expliziten Widerspruch des Angeklagten in der Schmidt-Leichner NJW 1965, 2164. So auch Weider StV 1983, 270 (272); vgl. auch OLG Saarbrücken VRS 25 (1963), 66 (67); HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21. 449  OLG Düsseldorf StV 1982, 559 (560). 450  OLG Düsseldorf aaO; OLG  Hamm VRS 74 (1988), 38 (39); BayObLGSt 1988, 179 (180); vgl. auch OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14). 447 

448 

A.  Zumutbarkeit der Selbstverteidigung

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Verhandlung ergebe sich, dass dieser sich eine Selbstverteidigung zugetraut habe.451 Nicht nur die Gesetzessystematik, sondern auch die gängigen Beurteilungskriterien zeigen, dass die Beurteilung der Relevanz der Verteidiger-Anwesenheit bei dem Angeklagten liegt. Der Angeklagte hat naturgemäß eine direkte Einschätzungsbasis über die eigene Verteidigungskompetenz und die persönliche Bedeutung des Verfahrens, während der Vorsitzende bis zur Hauptverhandlung zumeist nicht einmal einen kurzen persönlichen Eindruck von der Person des Angeklagten gewinnen konnte. Die Einschätzung des Angeklagten, es müsse ein Verteidiger anwesend sein, kann sich aus einer grundsätzlichen Einstellung zur Zweckmäßigkeit der formellen Verteidigung ergeben.452 Die Entscheidung kann aber auch auf dem Wissen zum konkreten Fall oder der eigenen Person beruhen. Die Relevanz des Verfahrens und eines etwaigen Urteils für die persönliche Lebenssituation sowie die Schwierigkeit der Verteidigung beurteilt der Angeklagte aufgrund der Kenntnisse von Verteidigungsinterna möglicherweise gänzlich anders als der Vorsitzende.453 Die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten hat auch eine Rückwirkung auf die tatsächliche Selbstverteidigungsfähigkeit. Die Stressresistenz einer Person bestimmt sich nur teilweise aufgrund objektiver Eigenschaften der Person; größtenteils ist die subjektive Einschätzung der notwendigen Fähigkeiten entscheidend.454 Demnach kann die Verteidigungsfähigkeit zwar möglicherweise an objektiven Faktoren wie Sprachkenntnissen und Schulbildung festgemacht werden, aber die Beurteilung durch den Angeklagten selbst kann davon stark abweichen. Und eben diese subjektive Beurteilung ist entscheidend für die Fähigkeit des Angeklagten, tatsächlich in der Hauptverhandlung handlungsfähig zu sein.455 Neben der Beurteilung durch das Gericht und der durch den Angeklagten ist eine weitere mögliche Beurteilungsperspektive die des Verteidigers. Dieser kennt mindestens die Verteidigungssituation und ggf. auch den Angeklagten besser als das Gericht. Wenn – wie es der Bundesgerichtshof in Bezug auf §  145 Abs.  3 StPO formuliert – nur der Verteidiger als selbstständiges Organ der Rechtspflege selbst beurteilen kann, ob er ausreichend vorbereitet ist,456 dann liegt es nahe, dass das Gericht sich nicht über die Einschätzung des Verteidigers 451 

OLG Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); KG NZV 1993, 441. Dürkop S.  63 zur Relevanz der Verteidigung aus Laiensicht. 453  So auch Weider StV 1983, 270 (272); vgl. zu §  140: HK-StPO/Julius §  140 Rn.  12; Eisenberg NJW 1991, 1257 (Fn.  57). 454  Jerusalem S.  28 f. 455 Vgl. Weider StV 1983, 270 (272). 456  BGH NStZ 2009, 650; vgl. auch BGHSt 13, 337 (343). 452 Vgl.

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

als selbstständiges Organ der Rechtspflege, dass die eigene Anwesenheit nicht entbehrlich ist, hinwegsetzen kann.457 4.  Andere Ausgleichsmöglichkeiten der Selbstverteidigungsdefizite Ein Rückgriff auf die Fürsorgepflicht des Gerichts oder die Objektivität der Staatsanwaltschaft ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung nicht möglich, da dies die Verteidigung gerade nicht entbehrlich macht (IV.). Die formelle Verteidigung kann nicht durch den Einbezug der Schutzmöglichkeiten durch Dritte als entbehrlich beurteilt werden, sondern nur wenn der Angeklagte in der Lage wäre als handlungsfähiges, ernstzunehmendes Subjekt in der Hauptverhandlung zu agieren, iS der Waffengleichheit ‚auf Augenhöhe‘ zu kommunizieren und die Verteidigung sachgemäß und effektiv wahrnehmen könnte. Es ist jedoch keinesfalls auszuschließen, dass bei der gerichtlichen Beurteilung der Entbehrlichkeit der Verteidiger-Anwesenheit die Ansicht, zum Schutze der Angeklagtenrechte seien Gericht und Staatsanwaltschaft ausreichend, eine Rolle spielt. Durch eine solche Sichtweise auf den Strafprozess und seine Beteiligten wird der Verteidiger-Anwesenheit bei der Abwägung möglicherweise eine niedrigere Bedeutung zugemessen. Insbesondere wenn die Beteiligung des Verteidigers nicht als wesentlicher Verfahrensbestandteil, sondern als Störfaktor auf dem Weg zur Erlangung eines gerechten Urteils empfunden wird,458 kann dies die Abwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung erheblich beeinflussen.459 Eine Möglichkeit, trotz Verhinderung des gewählten Verteidigers eine formelle Verteidigung zu erlangen ist die Teilnahme eines anderen Verteidigers. Es bleibt also zu klären, inwiefern diese Alternative zur Gewährung des Rechts auf Beistand und effektive Verteidigung ausreichend ist, d. h., inwiefern eine Terminverlegung mit Hinweis auf diese Verteidigungsalternative versagt werden kann.

Bernsmann StraFo 1999, 226 (227). Burhoff StraFo 2008, 62 (62 f.); Burmann NZV 1996, 165 (165); Egner S.  95; Gaede StV 2012, 51 (54); Pfordte/Degenhard §  1 Rn.  31; Ventzke StV 1997, 543 (543 f.); vgl. auch Meyer-Goßner in FS-Welp, S.  81 (86); beispielhaft: Brause NJW 1992, 2865 (2866, 2869); zum Jugendverfahren: C.  Geisler NStZ 2002, 449 (450); Khostevan S.  193 (Praktiker-Interviews). 459 Vgl. Gaede StV 2012, 51 (53); Zwiehoff JR 2006, 505 (509). 457 Vgl.

458 Vgl.

B.  Alternative: Wechsel des Verteidigers

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B.  Alternative: Wechsel des Verteidigers Neben der Teilnahme des gewählten Verteidigers und der Durchführung der Hauptverhandlung ohne Verteidiger besteht die dritte Möglichkeit in der Auswahl eines anderen Verteidigers. Die alternative Auswahl könnte zum einen bereits vor Mandatierung geschehen, wenn schon feststeht, dass der Vertrauensverteidiger zum Termin verhindert ist. Nach erfolgter Mandatierung könnte bei Verhinderung entweder ergänzend ein weiterer Verteidiger beauftragt werden oder ein Wechsel stattfinden. Um zu erschließen, ob der Angeklagte auf diese Alternative verwiesen werden kann, wenn er an der Verteidigung durch den ursprünglich ausgewählten Verteidiger festhalten möchte, muss geklärt werden, ob Beeinträchtigungen der materiellen Verteidigung zu befürchten sind und ob andere Beschuldigtenrechte beeinträchtigt würden.

I.  Die freie Wahl 1. Rechtslage §  137 Abs.  1 S.  1 StPO gewährt dem Angeklagten auch die freie Wahl des Verteidigers (dazu schon S. 90).460 Das Recht auf die freie Wahl ist nicht nur einfachrechtlich geregelt, sondern auch das grundgesetzlich garantierte Verteidigungsrecht beinhaltet – allgemein anerkannt und mehrfach durch das Bundesverfassungsgericht explizit ausgesprochen – das Recht auf den frei gewählten Verteidiger.461 Mit dem Recht auf die freie Auswahl soll die Verteidigung durch den Vertrauensverteidiger gewährleistet werden, welche wiederum Voraussetzung für eine effektive Verteidigung ist (dazu ausf. S. 158  ff.).462 Das Recht des Angeklagten auf die Anwesenheit seines Verteidigers des Vertrauens ist nach 460 

AK-StPO/Stern §  137 Rn.  16; HK-StPO/Hiebl §  137 Rn.  1; KK/Laufhütte §  137 Rn.  1; KMR/Hiebl §  137 Rn.  27, 31. 461  BVerfGE 39, 156 (163); 63, 380 (390 f.); 64, 135 (149); 66, 313 (318 f.); 68, 237 (255); 110, 226 (253); NJW 1984, 862 (863); 1993, 2301 (2301); 2001, 3695 (3696); StV 2002, 578 (580); BGHSt 8, 194 (198); 39, 310 (310); 42, 15 (20 f.); NJW 1992, 849 (849); NStZ 1999, 527 (527); NStZ 2009, 650 (651); st. OLG-Rspr; HK-StPO/Julius §  137 Rn.  1; KK/Laufhütte/ Willnow §  137 Rn.  1; SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36 f.; Gusy AnwBl 1983, 225 (226); Knell-Saller S.  32 f.; Krumm StV 2012, 177 (178); Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (463) mwN; Rzepka S.  397; vgl. auch BT-Drucks. 10/1313 S.  21. 462  BVerfGE 39, 156 (163); 110, 226 (253 f.); StV 2002, 578 (580); BGHSt 45, 367 (371); NStZ 1998, 530 (531); OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213; HK-StPO/Julius §  137 Rn.  1; SKStPO/Wohlers §  142 Rn.  14; Beulke, Der Verteidiger S.  40; Gusy AnwBl 1983, 225 (226); Haffke StV 1981, 471 (477, 480, 482); Kühne Rn.  183; A. Müller JR 1996, 124 (126); Welp ZStW 90 (1978), 101 (102); vgl. auch Spaniol S.  255.

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Teil des fairen Verfahrens.463 Unabhängig von der Vertrauensstellung ist die freie Auswahl des Verteidigers ein Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art.  2 Abs.  1 GG.464 Folgt man der verbreiteten Ansicht, dass das Beistandsrecht Bestandteil des Art.  103 Abs.  1 GG ist (s. S. 93  f.), ergibt sich schon aus der Eigenschaft des rechtlichen Gehörs als einem höchstpersönlichen Grundrecht das Recht auf die freie Verteidiger-Wahl.465 Teilweise wird für die verfassungsrechtliche Garantie zwischen dem Beistandsrecht und dem Wahlrecht differenziert. Nach dieser Ansicht soll das Wahlrecht nur durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art.  2 Abs.  1 GG geschützt sein.466 Dies kann jedoch aufgrund der grundlegenden Bedeutung des Vertrauensverhältnisses für eine effektive Verteidigung nicht überzeugen. Es kann zwar zwischen freier Wahl und Vertrauensstellung differenziert werden, aber beides hängt unstrittig eng zusammen (s. 2.). Entsprechend wurde bereits 1958 durch das Bundesverfassungsgericht betont, dass bei der Bestellung eines Verteidigers nach §  142 Abs.  1 StPO dem Wunsch des Angeklagten in der Regel entsprochen werden müsse.467 Diese Sichtweise wurde seither kontinuierlich gestärkt, u. a. durch gesetzgeberische Reformen des §  142 StPO.468 Weit überwiegend wird die freie Wahl der konkreten Person des Verteidigers zudem als zentraler Bestandteil des Art.  6 Abs.  3 lit.  c EMRK angesehen.469 Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass Art.  6 Abs.  3 lit.  c EMRK die Anwesenheit des frei gewählten Verteidigers in der Hauptverhandlung verlangt.470 2.  Bedeutung für effektive Verteidigung Aus den Aufgaben der formellen Verteidigung (A.III.) ergibt sich die Bedeutung des Wahlrechts für die effektive Ausübung der Verteidigung471 Das Wahlrecht soll das Recht auf den Vertrauensverteidiger schützen,472 hat aber auch eine ei463 

BVerfG NJW 1984, 862 (863). BVerfGE 39, 156 (166); auch Spaniol S.  255 f. 465  R. Schneider NJW 1977, 872 (874). 466  Knell-Saller S.  32 f.; Kortz S.  47. 467  BVerfGE 9, 36 (38). 468  Einfügung des jetzigen Abs.  1 S.  1 und 2 durch das StVÄG 1987; vgl. dazu OLG Hamm StV 1987, 478; Schlothauer StV 1981, 443; zuletzt: 2. Opferrechtsreformgesetz v.  29.07.2009, BGBl I 2280; BT-Drucks. 10/1313 S.  21; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 3695 (3696). 469  U. a. OLG Köln DAR 2005, 576 (577); HK-StPO/Julius Vor §  137 Rn.  1; §  137 Rn.  1; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10; Rzepka S.  66; soweit ersichtlich aA ausschließlich SKStPO/Schlüchter (Losebl. Stand Okt 1994) §  228 Rn.  19. 470  U. a. BGH NStZ 1987, 34 (34); NJW 1992, 849 (849); NStZ 1999, 527 (527). 471  Vgl. BVerfG StV 2002, 578 (580); Knell-Saller S.  31; Welp ZStW 90 (1978), 804 (819). 472  BVerfGE 110, 226 (253 f.); StV 2002, 578 (580); OLG Köln DAR 2005, 576 (577); OLG 464 

B.  Alternative: Wechsel des Verteidigers

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genständige Bedeutung, da zur Subjektstellung die Entscheidungsfreiheit darüber gehört, wer als vertrauenswürdig und kompetent anzusehen ist.473 Mit der Wahl des Verteidigers kann auch eine Vorentscheidung zum Verteidigungsziel und/oder zur Verteidigungsstrategie einhergehen. Diese Entscheidung ist fraglos ebenfalls ein relevanter Aspekt der Subjektstellung. Entsprechend wird von Verteidigern als häufigstes Motiv für eine Mandatsauflösung durch den Mandanten das Gefühl falsch vertreten zu werden vermutet.474 Auch auf die Frage nach Spannungssituationen zwischen ihnen und dem Mandanten wird an erster Stelle eine Differenz über die Verteidigungsstrategie genannt.475 Unzweifelhaft ist die Vertrauensstellung elementar für die psychische Beistandsfunktion (vgl. S. 141  ff.). Aber auch für die Effektivität der materiellen Verteidigung und die Stärkung der Subjektstellung ist das Vertrauensverhältnis ein grundlegender Faktor.476 Die Effektivität der Verteidigung ist abhängig von der Kommunikation zwischen Verteidiger und dem Angeklagten.477 Der Verteidiger ist auf Wissen des Angeklagten, welches möglicherweise für die Schuldfrage oder die Strafzumessung bedeutend ist, angewiesen.478 Eine möglichst offene und konstruktive Kommunikation setzt aber eine Vertrauensstellung des Verteidigers voraus.479 Einer solchen bedarf es auch um die Interessen des Angeklagten zu erfahren.480 Lediglich zu vermuten, welche Verfahrensziele der Angeklagte verfolgt, würde dem Subjektstatus des Angeklagten widerspreDresden NJW 2004, 3196 (3197); deutlich: OLG Karlsruhe StV 2010, 477; HK-StPO/Julius §  137 Rn.  1; AK Strafprozeßreform §  41; Beulke, Der Verteidiger S.  45; Gusy AnwBl 1984, 225 (226); Haffke StV 1981, 471 (477, 480, 482); Welp ZStW 90 (1978), 101 (102 f.). 473  Vgl. BVerfGE 63, 380 (390 f.); Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (404). 474  Vogtherr S.  111. 475  Vogtherr S.  101. 476  So auch BVerfGE 39, 156 (163); 110, 226 (253 f.); StV 2002, 578 (580); BGHSt 45, 367 (371); NStZ 1998, 530 (531); OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  6; SK-StPO/Wohlers §  142 Rn.  14; MAH/Salditt §  2 Rn.  33; AK Strafprozeßreform §  41; Beulke, Der Verteidiger S.  40; Gusy AnwBl 1984, 225 (226); Haffke StV 1981, 471 (477, 480, 482); Kühne Rn.  183; A. Müller JR 1996, 124 (126); Welp ZStW 90 (1978), 101 (102). 477  Dazu u. a. BGHSt 13, 337 (343 f.); MAH/Salditt §  2 Rn.  33; Bernsmann StV 2000, 40 (40); A. Müller aaO; Schlothauer StV 1981, 443 (446); Spaniol S.  255; Welp aaO. 478  BGHSt 13, 337 (343 f.); Hohmann in FA Strafrecht Rn.  26; MAH/Salditt §  2 Rn.  76; Barton, Einführung §  8 Rn.  11; Dahs Rn.  20; Friedmann S.  75, 126; A. Müller aaO; Rissel S.  89 f.; Schellenberg S.  36; Schlothauer Rn.  109; ders. StV 1981, 443 (446); Sommer S.  143 ff.; Spaniol S.  255; Vargha S.  606; Weider StV 1983, 270 (272); Welp aaO; vgl. bereits RGSt 77, 153 (155); dazu auch Eb. Schmidt II Vor §  137 Rn.  4; 479  Dazu u. a. AK Strafprozeßreform §  41; Beulke, Der Verteidiger S.  40; Schlothauer StV 1981, 443 (446); Spaniol S.  255; Welp aaO; vgl. auch BGHSt 45, 367 (371). 480  BGHSt 13, 337 (343 f.); RGSt 77, 153 (155); AK Strafprozeßreform §  41; Barton in FSE.  Müller, S.  31 (37); ders., Einführung §  8 Rn.  12; Sommer S.  143 f.

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

chen.481 Auch die Aufgabe, der Stimme des Beschuldigten Gehör zu verschaffen (vgl. S. 93  ff.; 120  ff.; 136  ff.), kann der Verteidiger nur erfüllen, wenn er zuvor die Sicht der Dinge aus Angeklagtenperspektive erfahren hat.482 Eine auf Vertrauen basierende offene Kommunikation und eine Verständigung aufgrund bereits gewachsener Kommunikationsstrukturen sind insbesondere in der Hauptverhandlung, in der ggf. zeitnah auf Ereignisse reagiert werden muss, für die effektive Führung der Verteidigung bedeutend.483

II.  Beeinträchtigung der Verteidigung durch einen Wechsel Bereits aus dieser Bedeutung des (gewachsenen) Vertrauensverhältnisses ergibt sich eine Gefahr der Beeinträchtigung der Verteidigung durch einen erzwungenen Wechsel. In Fällen, in denen keine ausreichende Zeit für eine neue Auswahl mehr zu Verfügung steht, würde sich diese Beeinträchtigung verstärken. Bei einer kurzfristigen Verhinderung bestünde – wenn überhaupt – nur die Möglichkeit, ohne jegliche Auswahl auf einen anderen Verteidiger zurückzugreifen. Das Wahlrecht und vor allem die Möglichkeit einer Vertrauensbildung würden also gänzlich entfallen. Somit kann die Beauftragung eines anderen Verteidigers nur bei einer im Voraus absehbaren Verhinderung in Betracht kommen.484 Die Suche nach einem neuen Verteidiger, der das Vertrauen des Angeklagten genießt und zugleich bereit und zeitlich in der Lage ist die Verteidigung kurzfristig zu übernehmen, ist zeitaufwendig.485 Ist ein solcher Verteidiger gefunden, benötigt die angemessene Vorbereitung eine weitere Zeitspanne.486 Die Vorbereitungsmöglichkeit ist zwingender Bestandteil des Verteidigungsrechts, da eine sachgemäß geführte Verteidigung nicht nur die Anwesenheit eines Verteidigers voraussetzt, sondern die auf ausreichender Vorbereitung beruhende Mitwirkung.487 Eben jene angemessene Vorbereitungszeit dürfte einem ersatzweise einspringenden Verteidiger in vielen Fällen fehlen. Daher ist ein Wechsel ohne Gefahr einer Beeinträchtigung der Verteidigung nur möglich, sofern sich die Verhinderung im Rahmen einer vorausplanenden Terminierung in ausreichendem Zeitabstand zum Hauptverhandlungstermin ergeben hat. Welcher 481  AK-StPO/Stern Vorbem. §  137 Rn.  18; E. Müller NJW 1981, 1801 (1804); Künzel StV 1981, 464 (465); Thomas NJW 2004, 555 (557 f.); vgl. auch Dahs Rn.  24 f.; Sommer ZAP 1994, 101 (101). 482  Künzel StV 1981, 464 (465). 483  MAH/Salditt §  2 Rn.  33. 484  Vgl. MAH/Salditt §  2 Rn.  33. 485  Vgl. BGH NJW 1958, 1736 (1737); OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21). 486  Vgl. BGH NStZ 2009, 650; OLG Naumburg StV 2008, 365. 487  St. Rspr. zu §  140 StPO: u. a. BGH NStZ 1983, 281; 2009, 650.

B.  Alternative: Wechsel des Verteidigers

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Zeitabstand ausreichend ist, kann nur im Einzelfall anhand des Umfangs des Verfahrensstoffes und der prozessualen und materiell-rechtlichen Schwierigkeiten beurteilt werden, unterliegt in der Regel jedoch der Einschätzung des Verteidigers.488 Das absolute Minimum stellt hierbei die Frist des §  217 StPO dar.489 Bei einem Wechsel in der laufenden Hauptverhandlung wird die benötigte Zeit durch die Fristen des §  229 StPO nur in seltenen Fällen zu Verfügung stehen. Unabhängig von der fehlenden Vorbereitungszeit ist ein Wechsel zu diesem Zeitpunkt mit erheblichen Nachteilen für die sachgemäße Verteidigung verbunden.490 Die bereits durchgeführten Verhandlungsteile könnten dem neuen Verteidiger nur vom Hörensagen durch den Mandanten oder den bisherigen Verteidiger übermittelt werden. Um dem Verteidiger einen eigenen Eindruck von den – im Plädoyer zu würdigenden – Beweismitteln zu ermöglichen, müssten Teile der Beweisaufnahme wiederholt werden.491 Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen ist dem Angeklagten ein Wechsel oder eine zusätzliche Mandatierung finanziell zumeist nicht oder nur unter unangemessenen Anstrengungen möglich.492 Auch dieser faktische Hinderungsgrund ist für eine realistische Beurteilung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten und zur effektiven Gewährleistung der Verteidigungsrechte zu beachten. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten sind ohnehin durch die jeweiligen finanziellen Möglichkeiten bestimmt. Viele Angeklagte verfügen nur über eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten, welche sich u. U. durch den Prozess – etwa durch Verdienstausfall – und durch eine etwaige Verurteilung weiter verschlechtern.493 Diese bestehende Chancenungleichheit 494 würde durch einen Verweis auf einen Wechsel noch verschärft.

III.  Resümee Den Angeklagten im Falle der Verhinderung des Verteidigers auf einen Wechsel zu verweisen, würde also das Recht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO und grundgesetzliche und menschenrechtliche Garantien einschränken. Dabei ist zu be488 

Vgl. BGH NStZ 2009, 650 (650) mit Verweis auf das unabhängige Organ der Rechtspflege. 489  Vgl. OLG Celle NJW 1965, 2264. 490  BGH VRS 26 (1964), 46 (47); OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (108); OLG Köln StV 2006, 143 (144); AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  5; vgl. auch MAH/Salditt §  2 Rn.  33. 491  BGH VRS 26 (1964), 46 (47); NJW 2000, 1350; vgl. auch OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (108). 492  So auch OLG Hamm StV 1989, 100 (101); OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (14); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); vgl. auch BGH NJW 1958, 1736 (1737). 493  Vgl. u. a. Helms in Holtfort, S.  167 (167 f.); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 494  AK Strafprozeßreform §  25; vgl. auch Welp ZStW 90 (1978), 101 (103, 105 ff.).

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

achten, dass das Recht auf den Verteidiger des Vertrauens nur ein Teilaspekt ist: Garantiert wird die Freiheit der Wahl.495 Entsprechend liegt die Entscheidung wem er vertraut, aus welchen Gründen er dies tut und auch durch wen er sich sachgerecht verteidigt fühlt, im Beurteilungsspielraum des Angeklagten.496 Gerade in der Auswahl des Verteidigers verwirklicht sich der Subjektstatus durch die Ausübung der Autonomie.497 Autonomie bedeutet u. a. über Art und Qualität der Verteidigung anhand ggf. subjektiver Kriterien und Wertungen zu entscheiden. Bestandteil des Rechts auf freie Verteidiger-Wahl ist daher nicht nur die Wahl, sondern auch die Unüberprüfbarkeit dieser Wahl anhand von objektiven Kriterien.498 Der im Kontext der notwendigen Verteidigung durch die Rechtsprechung häufig vorgetragene Hinweis auf die ‚anderweitige ordnungsgemäße Verteidigung‘499 geht daher fehl.500 Die bei der Bestellung des notwendigen Verteidigers durch den Gesetzgeber in den letzten Jahren vorgenommene stärkere Gewichtung des Auswahlrechts des Angeklagten501 muss auch bei der Auslegung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO – welcher schon immer das Wahlrecht beinhaltete – beachtet werden. Somit kann der Schutz des Vertrauensverhältnisses nicht auf ein besonderes Vertrauensverhältnis beschränkt werden. Wer Verteidiger des Vertrauens ist, bestimmt sich – schon allein weil Vertrauen kein objektiver Begriff ist – subjektiv.502 Die Wahl eines bestimmten Verteidigers lässt unwiderleglich vermuten, dass dies der Vertrauensverteidiger ist.503 Eine Überprüfung durch das Gericht ist nicht möglich und würde zudem aufgrund der notwendigen Darlegung der 495  Vgl. u. a. OLG Hamm StV 1989, 100 (101); LG Oldenburg StV 1990, 299; deutlich: HKGS/Schulz §  213 Rn.  4. 496  Deutlich: OLG Koblenz StV 2010, 477; vgl. auch BGH NStZ 1987, 34; HK-GS/Schulz §  213 Rn.  4; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  6; Deutscher VRR 2014, 317; Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (833); Klemke/Elbs2 Rn.  111. 497 Vgl. Schlothauer StV 1981, 443 (446 ff.). 498  So auch Haffke StV 1981, 471 (477); vgl. auch MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  6; Schlothauer StV 1981, 443 (446). 499  BGH NStZ 1998, 311 (312); 2006, 513 (514); NStZ-RR 2006, 272; NStZ 2007, 163 (164 ff.); NStZ-RR 2007, 81 (82). 500  Vgl. BGH NStZ 1987, 34; 1999, 527; NStZ 2004, 637; OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  9. 501  BVerfGE 9, 36 (38); NJW 2001, 3695 (3696); Einfügung des jetzigen Abs.  1 S.  1 und 2 durch das StVÄG 1987; vgl. dazu OLG Hamm StV 1987, 478; Schlothauer StV 1981, 443; zuletzt: 2. Opferrechtsreformgesetz v. 29.7.2009, BGBl I 2280; BT-Drucks. 10/1313 S.  21. 502  OLG Köln DAR 2005, 576 (577); Schlothauer aaO (446); vgl. auch MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  6; A. Müller JR 1996, 124 (126); Klemke/Elbs Rn.  48. 503  Vgl. LG München II NJW 1995, 1439 (1439); Schlothauer aaO (446); vgl. zu §  140 StPO: LG  Zweibrücken VRS  110 (2006), 118 (119); Klemke/Elbs2 Rn.  111.

C. Fazit

163

Gründe des Vertrauens bzw. der Wahl möglicherweise zur Offenlegung von Verteidigungsinteressen und -überlegungen zwingen.504 Die Hintergründe eines Vertrauensverhältnisses können vielfältig sein. Die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses nur aufgrund der Länge des Mandatsverhältnisses zu bemessen (vgl. S. 41), greift jedenfalls zu kurz.505 Insbesondere kann ein Vertrauensverhältnis bereits vor der konkreten Mandatierung bestehen. Entsprechend ist das Recht auf den Vertrauensverteidiger nicht nur bei einer später eintretenden Verhinderung zu beachten, sondern auch bei der Beauftragung eines Verteidigers, dessen Verhinderung bereits feststeht.506 Auch eine Differenzierung danach, ob zu dem Zeitpunkt, an dem die Verhinderung dem Angeklagten bekannt wird, die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hat und noch ausreichend Zeit für die Suche und die Vorbereitung zur Verfügung steht, ist aufgrund des Rechts auf die freie Wahl des Verteidigers und des Rechts auf den Verteidiger des Vertrauens nicht möglich.

C.  Fazit Das Recht auf formelle Verteidigung ist als „rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit“507 für die vorbereitende Terminierung und spätere Entscheidungen über den Termin der Verhandlung grundlegend. Dabei ist zu beachten, dass die ausschließliche Selbstverteidigung gegenüber der Verteidigung durch einen Verteidiger immer defizitär ist, es somit keine überflüssige, sondern nur eine iS der StPO nicht-notwendige Verteidigung gibt.508 Es ist rechtsstaatlich bedenklich, wenn der Angeklagte auf eine weniger effektive Form der Verteidigung verwiesen wird, weil diese nach Ansicht des Gerichts ausreichend sei. Soll das Recht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO effektiv gewährt werden und über das Recht aus §  140 StPO hinausgehen, verbleibt kein Spielraum für eine gerichtliche Differenzierung in Verfahren mit unzumutbarer und zumutbarer Selbstverteidigung. Nicht nur die durch das Gericht vorgenommene Beurteilung der Zumutbarkeit der Selbstverteidigung, sondern auch die gerichtliche Beurteilung eines besonderen Interesses an der konkreten Person des Verteidigers stellt eine wesentliche Einschränkung des Beistandsrechts dar. Nicht nur bei der Frage, ob Schlothauer aaO (446). Vgl. OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (112 f.); LG  Dortmund StV 1998, 14 (14). 506 Vgl. Krumm StV 2012, 177 (178). 507  Bernsmann StraFo 1999, 226 (226 f.). 508  Schmidt-Leichner Anm. zu BGH NJW 1995, 2164; Vargha u. a. S.  290 f.; vgl. auch Gerlach in FS-Peters, S.  153 (167). 504 Vgl. 505 

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2. Kapitel:  Recht auf Verteidigung

eine Selbstverteidigung ausreichend ist, sondern auch bei der Auswahl des Verteidigers ist die Beurteilung durch den Angeklagten entscheidend.509 Liegt die Einschätzung sowohl der Gewichtigkeit der formellen Verteidigung als auch der Bedeutung der Anwesenheit des konkret mandatierten Verteidigers bei dem Angeklagten, verbleibt kaum Raum für eine Ermessensentscheidung des Gerichts. Das Gericht müsste die terminliche Möglichkeit der Anwesenheit des Verteidigers der Wahl zwingend beachten. Die Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass einem solchen Recht auf die Anwesenheit des Verteidigers der Wahl andere Verfahrensbelange entgegenstehen (vgl. u. a. S. 16  ff.; S. 71  ff.). Zur umfassenden Beurteilung der Rechtlage muss somit im Weiteren überprüft werden, ob und ggf. wie intensiv diese Belange durch einen terminlichen Anspruch des Angeklagten eingeschränkt oder gefährdet würden. Ist eine Gefährdung anderer Belange feststellbar, muss zudem das Verhältnis zum Recht auf Verteidigung geklärt werden (vgl. S. 74  ff.).

509 

So auch Junker/Armatage Rn.  372.

3. Kapitel

Vereinbarkeit eines Terminanspruchs mit anderen Verfahrensbelangen? Die Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung ist ein elementarer Bestandteil des Rechts auf Verteidigung, welches wiederum für ein rechtsstaatliches Verfahren grundlegend ist. Eine Verhandlung ohne den Verteidiger gegen den Willen des Angeklagten schränkt dieses Recht erheblich ein; daher müssten für eine solche Einschränkung entsprechend gewichtige Gründe vorliegen und nicht lediglich organisatorische Erwägungen. Denn die Einschränkung des Beistandsrechts bedarf der Begründung und nicht die effektive Gewährung dieses Rechts. Sowohl einem Anspruch auf terminliche Ermöglichung der Anwesenheit entgegenstehend als auch als Aspekte der Ermessensentscheidung werden die Belange der Rechtspflege und anderer Beteiligter genannt, außerdem das Beschleunigungsgebot und das Interesse an einer Durchführung des Verfahrens, die zügig und reibungslos sein soll (s.  S. 19  ff.). Zudem soll ein Anspruch auf terminliche Beachtung der Verteidigungsbelange zur Verhinderung des Missbrauchs eines solchen Rechts ausgeschlossen sein (s.  S. 18).

A.  Beschleunigungsgebot In der Begründung, warum eine Anwesenheit des Verteidigers nicht zwingend ermöglicht werden kann, und auch in den konkreten Erwägungen des Einzelfalls nimmt das Beschleunigungsgebot eine zentrale Stellung ein (vgl. S. 19  f.; 44  f.). Um zu prüfen, ob das Beschleunigungsgebot den Ausschluss des Rechts legitimiert und um das Gewicht des Gebots in der Abwägung zu ermessen, muss zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff des Beschleunigungsgebots zu verstehen ist. Zudem ist zu untersuchen, ob das Beschleunigungsgebot mit einem Terminanspruch kollidieren würde und ob das Gebot in diesem Falle schwerer als das Verteidigungsrecht wiegen würde. Zu diesem Zweck wird zunächst zusammenfassend referiert, was in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft unter dem Begriff verstanden wird und zu welchem Zweck dieses Gebot bestehen soll. Im Anschluss werden kritische Beiträge der Litera-

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

tur zum Zweck des Beschleunigungsgebots und insbesondere zu dem Verhältnis zum Recht auf Verteidigung aufgegriffen, um nachfolgend die aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

I.  Inhalt und Zweck des Beschleunigungsgebots 1.  Das Beschleunigungsgebot zum Schutz des Angeklagten Das Beschleunigungsgebot ist als subjektives Recht des Beschuldigten in Art.  6 Abs.  1 EMRK garantiert und damit auch im deutschen Strafverfahren zu Gunsten des Angeklagten zu beachten.1 Aus dem Grundgesetz (Art.  2 Abs.  1 iVm Art.  20 Abs.  3 GG) ergibt sich als Bestandteil eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens ebenfalls das Recht des Beschuldigten auf eine beschleunigte Durchführung des gesamten Strafverfahrens.2 Auch aus der Pflicht des Staates, Eingriffe möglichst gering zu halten, kann eine Verpflichtung zur schleunigen Durchführung des Verfahrens abgeleitet werden.3 Das Beschleunigungsgebot zum Schutz der Beschuldigten besteht, da sowohl das Verfahren als auch der für die Dauer des Verfahrens auf dem Beschuldigten lastende Verdacht erhebliche psychische, ökonomische und soziale Beeinträchtigungen verursachen kann (vgl. dazu S. 107 ff.).4 Der Entwurf zur Strafprozessreform von 1975 wurde u. a. damit begründet, dass dem Bürger ein schnelles Verfahren zur Verfügung gestellt werden solle, da Unschuldige möglichst schnell von dem Verdacht befreit werden sollen und ihr öffentlicher Ruf zügig wiederhergestellt werden müsse.5 Aber auch gegenüber Schuldigen bestehe eine Verpflichtung zur Achtung der Würde der Person, welche es verbiete, Betroffene länger als nötig einer Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens 1  BVerfG NJW 1993, 3254 (3256); 1995, 1277 (1278); BGH NJW 1999, 1198 (1199); SKStPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  118; Ignor/Bertheau NJW 2008, 2209 (2209); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (636 f.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (431). 2  BVerfG NJW 1992, 2472; 1993, 3254 (3256); 1995, 1277 (1277); 2003, 2225 (2225); NStZ 2005, 456 (456); 2006, 680 (681); SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  118; Piel in FS-Widmaier, S.  429 (431) mwN; Schroth NJW 1990, 29 (29 f.); vgl. auch BGHSt 26, 1 (4). 3  Kloepfer JZ 1979, 209 (214); vgl. auch BT-Drucks. 7/551 S.  34. 4  U. a. Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  309; SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Egner S.  59; Hanack JZ 1971, 705 (706); Kern MschrKrim 1924, 237 (239); Kindhäuser S.  215; Kohlmann in FS-Pfeiffer, S.  203 (205 f.); Kloepfer JZ 1979, 209 (214); Krehl/ Eidam NStZ 2006, 1 (1); Küng-Hofer S.  28; Chr.  Laue GA 2005, 648 (648); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (331 f.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (431 f.); Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (636 f.); Rzepka S.  46; Schmitt StraFo 2008, 313 (313); Schroth NJW 1990, 29 (30); Sommer StV 2012, 107 (107); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); vgl. BVerfG NJW 1992, 2472 (2473); einschr. Albrecht NJ 1994, 396 (396). 5  BT-Drucks. 7/551 S.  34.

A. Beschleunigungsgebot

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auszusetzen.6 Dementsprechend richtet sich das Beschleunigungsgebot an die Strafverfolgungsbehörden,7 bei welchen nur vorübergehende überlastungsbedingte Erledigungsengpässe auftreten dürfen.8 Liegt eine solche Belastungssituation der Justizorgane aufgrund ungewöhnlicher Umstände vor, müssen erhebliche Anstrengungen und geeignete Maßnahmen zur Beendigung des Überlastungszustands ergriffen werden, um der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Anspruch aus Art.  6 Abs.  1 EMRK gerecht zu werden.9 Wann ein Verfahren entsprechend dem Beschleunigungsgebot durchgeführt wurde, bemisst sich nicht nach einer absoluten Zeitspanne, sondern anhand der im Einzelfall notwendigen Zeit zur ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens.10 Das Verfahren ist ohne jede vermeidbare Verzögerung durchzuführen.11 Dies bedeutet, dass die Beschleunigung nicht zu einem ‚kurzen Prozess‘ führen soll, sondern zu einer angemessenen, zügigen Bearbeitung ohne ‚Qualitätsverlust‘.12 Auch bezüglich der Terminierung bestehen keine gesetzlichen Fristen, so dass im Einzelfall entschieden werden muss, wann der Rahmen der angemessenen Verfahrensförderung zeitlich überschritten ist.13 In der Regel 6 Ebenda.

7  BVerfG NJW 1984, 967 (967); 1993, 3254 (3255); 2003, 2225 (2225); NStZ 2005, 456 (456); NStZ-RR 2005, 346 (347); BGH NStZ 1992, 229 (230); NJW 1999, 1198 (1199); KMR/ Eschelbach Vor §  213 Rn.  40, 43; Beulke, Strafprozessrecht Rn.  26; Eidam JZ 2009, 318 (320); Harms in Verhandlungen des 68. DJT, N  11 (18); deutlich: Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (638 f.); Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (276 f.); Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (642); I. Roxin StV 2010, 437 (439); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (359); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (insb. 174 f.). 8  EGMR v. 01.07.1997 – 20950/92, Probstmeier ./. Deutschland, NJW 1997, 2809 (2810); BGH StraFo 2005, 24; KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  46; vgl. auch EGMR v. 21.06.1983 – 8130/78, Eckle ./. Deutschland, EuGRZ 1983, 371 (382); EGMR v. 13.07.1983 – 8737/79, Zimmermann u. Steiner ./. Schweiz, NJW 1984, 2749; BVerfG NJW 1984, 967 (967). 9  EGMR v. 16.09.1996 – 20024/92, Süßmann ./. Deutschland, EuGRZ 1996, 519; EGMR v.  01.07.1997 – 20950/92, Probstmeier ./. Deutschland, NJW 1997, 2809 (2810); Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  325 mwN. 10  EGMR v. 28.06.1978 – 6232/73, König ./. Deutschland, NJW 1979, 477 (479); BVerfG NStZ-RR 2005, 346 (347); BGH NJW 2008, 2451 (2453); SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Fezer in FS-Widmaier, S.  177 (179); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (636 ff.); Peters, Strafprozeß S.  210; Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (637); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (159); vgl. auch Kühne Rn.  276 f. 11  BVerfG NJW 1992, 2472 (2473); Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20 f. 12  KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  40; Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (635); vgl. auch Kühne Rn.  268; Piel in FS-Widmaier, S.  429 (436); I. Roxin StV 2003, 377 (377 f.); Tepper­ wien NStZ 2009, 1 (1). 13  Vgl. BVerfG NJW 1992, 2472 (2473); KMR/Eschelbach §  213 Rn.  3; ausf.: Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (171 ff.).

168

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

sollte die Terminierung unverzüglich nach der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen.14 Aufgrund des Grundrechts der persönlichen Freiheit muss der Beschleunigungsgrundsatz bei einem bestehenden Haftbefehl besondere Beachtung finden.15 Dies wurde durch das Bundesverfassungsgericht bereits 1966 festgestellt und seit 2005 vermehrt und deutlich in den Blickpunkt gerückt.16 Dieses sog. besondere Beschleunigungsgebot ist ausdrücklich in Art.  5 Abs.  3 S.  2 EMRK festgeschrieben. Gesetzliche Fristen zur Terminierung bestehen aber auch hier nicht; eine mittelbare Frist bietet lediglich §  121 StPO.17 Allerdings ergeben sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewisse Richtwerte: Dauert die Untersuchungshaft bereits ein Jahr an, kann eine Verzögerung von vier bis sechs Wochen eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots darstellen.18 Nur in Ausnahmefällen darf die Zeitspanne zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens und Beginn der Hauptverhandlung drei Monate überschreiten.19 Zudem muss eine ausreichende Verhandlungsdichte erreicht werden; dies betrifft den Abstand der Verhandlungstage und die Dauer der einzelnen Verhandlungstage.20 Um eine angemessene Verhandlungsdichte zu erreichen, müssen alle personellen und sachlichen Mittel des Gerichts ausgeschöpft21 und die Hauptverhandlung vorausschauend vorbereitet werden.22 Nach Ansicht des 1. Senats des Bundesgerichtshofs ist im Hinblick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen die Ablehnung von Umtermi14 

KMR/Eschelbach §  213 Rn.  3; SSW/Grube §  213 Rn.  24. BVerfGE 46, 194 (195); NStZ 2005, 456 (456); NJW 2006, 668 (669); 2006, 672 (672); StV 2006, 81 (84); 2008, 198 (Rn.  40); BGH NStZ 1998, 311 (312); Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (276) mwN; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (461). 16  BVerfGE 20, 45 (50); NStZ 2005, 456; NJW 2006, 668; 2006, 672; 2006, 1336; StV 2006, 81; 2006, 251; 2006, 703 (704); NStZ-RR 2007, 311; StV 2008, 21; 2008, 198 (Rn.  41); vgl. dazu zusammenfassend Schlothauer StV 2009, 578 und Krehl/Eidam NStZ 2006, 1. 17  Vgl. BVerfG NJW 2006, 1336 (1338); StV 2006, 251 (252 f. – Höchstgrenze); 2007, 644; BGH MDR [D] 1969, 903; Fezer in FS-Widmaier, S.  177 (178); Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (277). 18  BVerfG NStZ 2000, 153 (154); NJW 2006, 672 (674); StV 2006, 81; 2008, 198 (Rn.  39); vgl. auch BVerfG NJW 2006, 1336 (1339); Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (277 ff.). 19  BVerfG NJW 2006, 672 (674); NStZ-RR 2007, 311 (313); StV 2008, 198 (Rn.  40). 20  EGMR v. 03.04.2003 – 49746/99, Cevizovic ./. Deutschland, StV 2005, 136 (138); ausf. BVerfG NJW 2006, 672 (676 ff.); StV 2006, 81 (85); 2008, 198 (Rn.  49 ff.); vgl. dazu auch OLG Düsseldorf StV 2012, 420; Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (279 f.); Schlothauer StV  2009, 578. 21  Vgl. Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  13; Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (278). 22  U. a. OLG Hamburg NJW 2006, 2792; StraFo 2007, 26; OLG Oldenburg StraFo 2008, 26. 15 

A. Beschleunigungsgebot

169

nierungsanträgen zur Vermeidung jeglicher Verzögerung rechtmäßig.23 Eine Entscheidung, welche die Beschleunigung in den Vordergrund stelle, sei ermessenfehlerfrei (ausf. S.  51 f.).24 Ob der 1. Senat damit tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte, dass letztlich jeder Eingriff in Beschuldigtenrechte legitim sei, sofern er das Beschleunigungsgebot in den Mittelpunkt stelle, scheint fraglich. Jedenfalls besteht in der Rechtsprechung die Tendenz, im Falle der vollzogenen Untersuchungshaft dem Beschleunigungsgebot einen Vorrang gegenüber dem Recht auf Wahlverteidigung einzuräumen.25 Eine weitere Steigerung der Bedeutung des Beschleunigungsgebots tritt ein, wenn sich mehrere Angeklagte in Untersuchungshaft befinden und daher Anträge eines Angeklagten zugleich die Dauer der Untersuchungshaft anderer Mitangeklagter betreffen können.26 Auch bei anderen vorläufigen, belastenden Maßnahmen, wie eine Unterbringung, ein dinglicher Arrest oder ein Führerscheinentzug, liegt nach ständiger Rechtsprechung eine besondere Eilbedürftigkeit vor.27 2.  Das Beschleunigungsgebot im öffentlichen Interesse Es wird allgemein angenommen, dass neben dem Recht des Beschuldigten auf eine Verfahrenserledigung in angemessener Zeit auch ein Beschleunigungsgebot aus öffentlichem Interesse bestehe.28 Überwiegend wird das öffentliche Interesse am Beschleunigungsgebot jedoch nicht als gleichrangig angesehen,29

23 

BGH NStZ 2007, 163 (164); vgl. auch BGH NStZ 1998, 311 (3120). BGH NStZ 2007, 163 (164). 25  So auch Eidam JR 2007, 211 (211 f.); Hilger StV 2006, 451; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (448); vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 311 (314). 26  BVerfG StV 2006, 451 m. krit. Anm. Hilger; BGH NStZ 2006, 460 (61); 2007, 163 (164); OLG Köln StV 2006, 143 (144); KG StV 2009, 577 (578). 27  OLG Köln StV  2015, 418; LG Hildesheim NJW 1989, 1174; LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Oldenburg StV 2010, 479; vgl. auch BVerfG NJW 1993, 3254 (3255); 2003, 2225 (2225); Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; Tepperwien NStZ 2009, 1 (3 f.). 28  U. a. Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; Meyer-Goßner/Schmitt Einl Rn.  160; SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Beukelmann NJW-Spezial 2007, 279 (279); Beschlüsse des 60.  DJT NJW 1994, 3075 (3078); Eidam JR 2007, 211 (211); ders. JZ 2009, 318 (320); Harms in Verhandlungen des 68. DJT, N  11 (18); Kindhäuser S.  215; Krehl/Eidam NStZ 2006, 1 (5); Kudlich, Gutachten zum 68. DJT, S.  16; Landau NStZ 2011, 537 (545); ders. in FS-Hassemer, S.  1073 (1074, 1085); Neuhaus StraFo 1998, 84 (86); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (438 f.); I. Roxin StV 2010, 437 (438); Schlothauer StV 2009, 578 (579); Schmitt StraFo 2008, 313 (313 f.); Trüg StV 2010, 528; Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (359); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 29  So aber: Koch JR 1961, 420; nicht explizit: Beschlüsse des 60.  DJT NJW 1994, 3075 (3078); Eidam JZ 2009, 318 (320); undeutlich: Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; Waßmer aaO. 24 

170

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

sondern nur als Nebenaspekt des im Wesentlichen zum Schutze des Beschuldigten bestehenden Gebots.30 a)  Höchstrichterliche Rechtsprechung Die höchstrichterliche Rechtsprechung bleibt an dieser Stelle denkbar unkonkret. So findet sich in mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Formulierung, dass das Beschleunigungsgebot „nicht zuletzt“ im Interesse des Beschuldigten bestehe.31 Über Jahrzehnte werden in den Entscheidungen jedoch keine anderen Rechte oder Interessen, denen das Beschleunigungsgebot dienen soll, genannt. Erst in einer Entscheidung der ersten Kammer des zweiten Senates aus dem Jahr 2006 wird kurz mitgeteilt, dass das Beschleunigungsgebot vorwiegend zum Schutze des Angeklagten bestehe, daneben jedoch zur Ermöglichung einer „unverfälschten Beweisgrundlage“ und Realisierung der general-präventiven Aspekte des staatlichen Strafanspruches auch im öffentlichen Interesse liege.32 Die Kammer verweist hinsichtlich des Ziels der Sicherung der Beweisgrundlage auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.05.1981, welche sich jedoch nicht mit dem Zweck des Beschleunigungsgebots auseinandersetzt, sondern lediglich mit der Bedeutung der materiellen Wahrheit im Strafprozess.33 Wortlautgleich greifen im Jahr 2009 zwei Entscheidungen des zweiten Senats die genannte Entscheidung auf, begründen die Annahme einer objektiven Dimension aber nicht.34 Ähnlich andeutungshaft bleiben die Entscheidungen des BGH, in denen mehrmals – mit Verweis auf die jeweils vorherige Entscheidung – mitgeteilt wird, das Beschleunigungsgebot diene nicht nur den Belangen des Angeklagten, sondern auch öffentlichen Interessen.35 Eine Erläuterung findet nicht statt. Im zeitlich ersten Beschluss teilt der 3.  Strafsenat anlässlich der stark eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten mit, das Beschleunigungsgebot diene zwar in erster Linie dem Schutz des Angeklagten, es bestehe aber auch ein öffentliches Interesse, die erhobenen Beschuldigungen innerhalb einer U. a. BVerfG NStZ 2006, 680 (681); Meyer-Goßner/Schmitt Einl Rn.  160; Beukelmann aaO; Kudlich, aaO, S.  14, 16; Landau NStZ 2011, 537 (545); Pfeiffer aaO (332); Piel aaO; I.  Roxin aaO; Schlothauer aaO; Schmitt aaO. 31  BVerfGE 63, 45 (69); NJW 1984, 967 (967); 1992, 2472 (2472); 1993, 3254 (3255); 2003, 2225 (2225); 2003, 2897 (2897). 32  BVerfG NStZ 2006, 680 (681). 33  BVerfGE 57, 250. 34  BVerfGE 122, 248 (273); NJW 2010, 592 (593). 35  BGH NStZ 1992, 229 (230) mit Verweis auf: BGHSt 35, 137 (139) mit Verweis auf: BGHR StPO §  37 Abs.  2 Mehrfachverteidigung 1 (= BGHSt 34, 371) mit Verweis auf: BGHSt  26, 228 (232). 30 

A. Beschleunigungsgebot

171

angemessenen Zeit zu klären.36 In der Bundestags-Drucksache, auf die dieser Beschluss als Quelle verweist, wird zur Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten mitgeteilt, dass sowohl aufgrund des Beschleunigungsgebots (Art.  6 EMRK) als auch des Interesses an einer wirksamen Strafverfolgung ein dringendes Bedürfnis bestehe, eine Verhinderung des Verfahrens durch eine herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit zu verhindern.37 Die nicht weiter begründete Ansicht des 3.  Senats, das Beschleunigungsgebot diene dem Schutz des Angeklagten und dem öffentlichen Interesse, wird vom zitierten Dokument des Rechtsausschusses des Bundestages gerade nicht belegt. Der Rechtsausschuss spricht von dem Beschleunigungsgebot und dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. b) Literatur Vertreter der Literatur sehen neben dem Schutz des Angeklagten das Beschleunigungsgebot zumeist als notwendig an, um die Rechtsordnung zu bewahren38 oder den Rechtsfrieden wiederherzustellen.39 Nur durch ein schleuniges Verfahren sei der Zweck des Strafverfahrens zu erreichen, die durch einen Strafverdacht erschütterte Normakzeptanz der Gesellschaft wiederherzustellen.40 Eine lange Verfahrensdauer könne das Ansehen der Justiz und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Justiz schädigen.41 Sowohl die general- als auch die spezialpräventive Wirkung sei bei einem zeitnahen Urteil höher.42 Insbesondere die täterbezogenen Strafzwecke würden sich über die Zeit relativieren,43 weshalb die Strafe möglichst zeitnah zur Tat erfolgen solle.44 Empirische Belege der Auswirkung der Beschleunigung auf die Strafzwecke werden nicht vorgebracht.

36 

BGHSt 26, 228 (232). BT-Drucks. 7/2989 S.  5. 38  Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333 f.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432 f.); Schlothauer StV 2009, 578 (579). 39  Hillenkamp JR 1975, 133 (134); Landau NStZ 2011, 537 (545); ders. in FS-Hassemer, S.  1073 (1075); Schmitt StraFo 2008, 313 (313); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 40  Chr.  Laue GA 2005, 648 (658). 41  Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); vgl. auch Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  309. 42  SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Kindhäuser S.  215; Landau NStZ 2011, 537 (545); ders. in FS-Hassemer, S.  1073 (1075 f.); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Schroth NJW 1990, 29 (30), der jedoch nicht vom Beschleunigungsgebot, sondern nur von der nachteiligen Wirkung überlanger Strafverfahren spricht; Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 43  Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333 f.). 44  Koch JR 1961, 420 (421). 37 

172

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Der Beschleunigungsgrundsatz soll Nachteile für die Wahrheitsermittlung vermeiden, also drohende Beweismittelverluste oder -beeinträchtigungen verhindern, die beispielsweise in der nachlassenden Erinnerung von Zeugen liegen könnten.45 In diesem Kontext betont Peters, dass dies auch ein Interesse des Beschuldigten sei, der durch eine späte Bekanntgabe des Verdachts möglicherweise am Nachweis von entlastenden Momenten gehindert sei.46 Die Bekanntgabe des Verdachts ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Beginn der Hauptverhandlung, sondern mit der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens (zur Beweisführung noch S. 221  ff.). Nicht zweckorientiert, sondern rechtsdogmatisch leitet Trüg die „objektive Dimension“ des Beschleunigungsgebots daraus ab, dass das Beschleunigungsgebot Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sei.47 Auch nach Landau ergibt sich die „objektive Dimension“ des Beschleunigungsgebots aus dem Rechtsstaatsprinzip, da dieses auch die staatliche Pflicht zur Gewährleistung einer funk­ tionstüchtigen Strafrechtspflege enthalte.48 Inwiefern die Annahme einer objektiven Dimension des Beschleunigungsgebots zur Sicherung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege notwendig ist, teilt Landau nicht mit. Eine von Deiters vorgebrachte Interpretation des Beschleunigungsgrundsatzes bezieht sich auf die Notwendigkeit, in möglichst kurzer Terminabfolge zu verhandeln, um ein Urteil aus dem Inbegriff der Verhandlung (§  261 StPO) zu ermöglichen;49 dieser Ansatz wurde jedoch in der Folgeauflage revidiert.50 Auch andere Autoren sehen die Konzentrationsmaxime als Teilaspekt des Beschleunigungsgrundsatzes an.51 Nicht zuletzt soll im Hinblick auf Ressourcenschonung ein Kosteninteresse an der Verfahrensbeschleunigung bestehen,52 wobei der Einbezug von Kosteninteressen überwiegend kritisch betrachtet 45 

KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  40; Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; SKStPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Albrecht NJ 1994, 396 (396); Hillenkamp JR 1975, 133 (134); Kindhäuser S.  215; Koch JR 1961, 420 (420 f.); Krehl/Eidam NStZ 2006, 1 (1); Kudlich, Gutachten zum 68. DJT S.  16; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1074 f.); Neuhaus StraFo 1998, 84 (86); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (332 f.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432); Roxin/Schünemann §  16 Rn.  3; Schlothauer StV 2009, 578 (579); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); vgl. auch LG  Görlitz NStZ-RR 2006, 315. 46  Peters, Strafprozeß S.  210; auf ihn berufend auch Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (332); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (161). 47  Trüg StV 2010, 528 (528 f.), der einer Einschränkung von Beschuldigtenrechten mit dem Argument der Beschleunigung dennoch kritisch gegenüber steht. 48  Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1079). 49  SK-StPO 4/Deiters §  213 Rn.  4. 50  SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  4. 51  Knauer StraFo 2007, 309 (309); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (636); Volk/ Engländer S.  174, 178 f.; vgl. auch Kühne Rn.  269. 52  Albrecht NJ 1994, 396 (396); Kudlich, Gutachten zum 68. DJT S.  16.

A. Beschleunigungsgebot

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wird.53 Neben diesen Interessen der Allgemeinheit könnte seitens der Geschädigten ein Beschleunigungsinteresse bestehen, da eine überlange Verfahrensdauer eine Belastung insbesondere für geschädigte Zeugen darstellen soll.54

II.  Kritische Ansichten in Rechtsprechung und Literatur Um das Verhältnis zwischen Beschleunigungsgebot und Recht auf Verteidigung zu klären, muss zunächst zwischen dem Beschleunigungsgebot zu Gunsten des Beschuldigten (vgl. I. 1) und anderen Begründungen der Notwendigkeit einer beschleunigten Verfahrensdurchführung (vgl. I. 2) differenziert werden. Neben dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen dem Beschleunigungsgebot und dem Verteidigungsrecht stellt sich auch die Frage, inwiefern ein Anspruch auf terminliche Beachtung der Verteidiger-Verhinderung tatsächlich einen verzögernden Effekt hätte und ob ein solcher nicht anderweitig aufgelöst werden könnte.55 Da sich diese Fragestellung gleichermaßen bei dem Interesse an der zügigen und reibungslosen Durchführbarkeit des Verfahrens ergibt, wird diese Frage erst im Abschnitt B. vertieft (B., III. 2.). 1.  Bedenken gegen den Bezug auf das öffentliche Interesse Zur Notwendigkeit der Beschleunigung aufgrund eines drohenden Beweismittelverlustes (s. S. 170; 172) finden sich angesichts der häufig lang andauernden Ermittlungsverfahren kritische Stimmen in der Rechtsprechung. Es sei fraglich, warum gerade in den letzten Wochen des Verfahrens der entscheidende Erinnerungsverlust eintreten sollte.56 In einer anderen Entscheidung wird klargestellt, dass ein drohender Beweismittelverlust nur dann ein Ermessensaspekt sein könne, wenn er konkret zu befürchten sei.57 Trüg bezweifelt, dass das Beschleunigungsgebot der Wahrheitsermittlung dienen könne, da zahlreiche Regelungen, die einer Beschleunigung entgegenstünden, die rechtmäßige Beweisermittlung und somit die materielle Wahrheitserforschung sichern sollen.58 53  Piel in FS-Widmaier, S.  429 (433); Rieß NStZ 1994, 409 (409 f.); Tepperwien in FS-Widmaier, S.  583 (596); Wohlers GA 2005, 11 (13). 54  BVerfG NJW 2010, 592 (593, 595); KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  40; Albrecht aaO; Piel aaO (432 f.); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (161), vgl. auch Busse/Volbert/Steller S.  24 ff. 55  Vgl. z. B. OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793), OLG Oldenburg StraFo 2008, 26; dazu auch Kühne Rn.  268; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1076); Piel aaO (440); I. Roxin GA 2010, 425 (434). 56  LG Bremen StV 1994,11 (12); vgl. auch LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 57  LG Oldenburg StV 2010, 479. 58  Trüg StV 2010, 528 (530 f.); vgl. auch Kern MschrKrim 1924, 237 (240); Chr.  Laue GA 2005, 648 (659).

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Auch hinsichtlich der Bedeutung des Beschleunigungsgebots für die Strafzwecke werden Bedenken geäußert. Imme Roxin nimmt an, dass ein langer, ausführlicher Prozess eine ebenso nachhaltige Wirkung auf die Generalprävention haben könne wie ein kurzer Prozess.59 Zudem könne das Interesse am Rechtsfrieden nur durch die Beachtung der Beschuldigtenrechte erreicht werden.60 Andere Autoren weisen auf die fehlende empirische Fundierung der Annahme, die Beschleunigung sei für die Strafzwecke von Bedeutung, hin (dazu ausf. S. 209  ff.).61 Neben diesen Bedenken gegenüber einer objektiven Dimension des Beschleunigungsgebots wird vor allem in der Rechtsprechung ein solches öffentliches Interesse zwar angenommen, jedoch in seiner Bedeutung relativiert, indem die Gesamtdauer des Verfahrens oder das (nicht-) verfahrensfördernde Verhalten des Gerichts entgegengesetzt wird.62 Verschiedene Stimmen der Literatur nehmen zwar ein öffentliches Interesse an der beschleunigten Durchführung des Verfahrens an, halten es aber für zwingend erforderlich, dieses öffentliche Interesse deutlich vom Beschleunigungsgebot zu Gunsten des Beschuldigten zu unterscheiden, um nicht zu verschleiern, welche Interessen gegeneinander aufgewogen werden.63 Diese Differenzierung sei nötig, da das allgemeine Interesse an der Beschleunigung seine Grenzen in den Verteidigungsrechten finde und nicht dazu tauge, die Verteidigungsrechte einzuschränken.64 Ein anderer Ansatz, der ebenfalls grundsätzlich ein Beschleunigungsgebot im öffentlichen Interesse annimmt, sieht die Einschränkung von Verteidigungsrechten nicht durch das Gebot legitimiert, da ein rechtsstaatliches Verfahren einschließlich der aktiven Umsetzung von Verteidigungsrechten zwangsläufig zu einem längeren Verfahren führen würde. Dies sei keine unverhältnismäßige, rechtsstaatswidrige Verzögerung, sondern eine sachlich nachvollziehbare, rechtsstaatlich begründete Verzögerung.65 Zum Interesse an einer Beschleunigung zur KostenI. Roxin StV 2010, 437 (440); dies. GA 2010, 425 (435). I. Roxin StV 2010, 437 (440); dies. GA 2010, 425 (435). 61  Albrecht NJ 1994, 396 (396); Degener in FS-Dencker, S.  23 (43 ff.); Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18); ausf. bzgl. Jugendverfahren: Mertens jugendsozialarbeit aktuell 113 (2013) S.1. 62  Explizit u. a. OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158); 2001, 157 (158); vgl. auch BGH NStZ 1998, 530 (531); LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Düsseldorf StraFo 2003, 425; LG Potsdam StraFo 2005, 342; dazu auch Ferner SVR 2006, 390 (390). 63  Deutlich: Rieß NStZ 1994, 409 (409 f.); ebenso: Kudlich, Gutachten zum 68. DJT, S.  13; Roxin/Schünemann §  16 Rn.  3; Schlothauer StV 2009, 578 (579). 64  Roxin/Schünemann aaO; Schlothauer aaO; vgl. auch Eidam JZ 2009, 318 (320); Meyer-Goßner/Schmitt Einl. Rn.  160. 65  Chr.  Laue GA 2005, 648 (653 ff.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (436, 438 f., 444); Tepperwien NStZ 2009, 1 (5). 59 

60 

A. Beschleunigungsgebot

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reduktion hält Kühne fest, dass die Prozessökonomie als subsidiäres Prinzip nie auf Kosten anderer Verfahrensprinzipien erreicht werden dürfe.66 2.  Verhältnis des Beschleunigungsgebots zum Verteidigungsrecht Zentraler Bestandteil der kritischen Stellungnahmen zum Verhältnis zwischen dem Beschleunigungsgebot und den Verteidigungsrechten ist die deutliche Kritik daran, dass die Rechtsprechung zwei höherrechtliche Garantien zum Schutze des Beschuldigten gegeneinander abwäge.67 Vielfach wird betont, dass das Beschleunigungsgebot zu Gunsten des Beschuldigten nicht die Einschränkung von Beschuldigtenrechten legitimieren könne.68 Ausführlich äußert sich Rzepka zu der Problematik und führt aus, die Besonderheit der Situation, in der Garantien für Beschuldigte gegeneinander gestellt werden, könne gar nicht überbetont werden.69 Dieses Vorgehen der Rechtsprechung beruhe darauf, dass Grundrechte Dritter nicht in gleich starkem Maße zur Einschränkung des Beschuldigtenrechts zu Verfügung stünden und auch organisatorische Gründe und Zweckmäßigkeitserwägungen nicht durchweg überzeugend eingesetzt werden könnten, so dass hilfsweise auf die Beschleunigung zu Gunsten des Beschuldigten als kollidierendes Recht zurückgegriffen würde.70 Nach dieser Analyse der Rechtsprechung würde das Beschleunigungsgebot als Argument vorgetragen, sei aber nicht der eigentliche Grund der Entscheidungen.71 Ähnlich argumentieren mehrere Autoren, die bemängeln, dass in Vergessenheit gerate, dass der Angeklagte Grundrechtsträger sei und einen Anspruch auf Beschleunigung habe, jedoch keinesfalls Verpflichtungsadressat des grundgesetzlich verankerten Beschleunigungsgebots sei.72 Ebenfalls auf der grundlegenden Feststellung, dass zwei Beschuldigtenrechte betroffen sind, beruht der Ansatz, das Beschleunigungsgebot der Disposition des Angeklagten zu unterstellen. Es stünden ausschließlich Rechte des AngeKühne, Kommunikation S.  73 f. HK-StPO/Julius §  213 Rn.  8; Hilger StV 2006, 452 (453); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639); Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (465 f.); Rzepka S.  107 f., 136; Schlothauer StV 2009, 578 (579); Wohlers NJW 2010, 2470 (2470 f.); vgl. auch MüKo-StPO/Thomas/ Kämpfer §  137 Rn.  6; Beulke StV 2009, 554 (556); Eidam JZ 2009, 318 (320); in sich widersprüchlich: SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  8, 10. 68  Eidam JZ 2009, 318 (320); Kudlich, Gutachten zum 68. DJT, S.  15; Michalke StV 2008, 228 (230) mit Verweis auf EMRK StV 2005, 136 ff.; Pfordte in FS-Widmaier, S.  411 (426); Scheffler GA 2005, 449 (453). 69  Rzepka S.  107. 70  Rzepka S.  107 f., 136. 71  Rzepka S.  107 f., 136; Tepperwien NStZ 2009, 1 (5). 72  Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (638 f.); Malek Rn.  4 4; I. Roxin StV 2010, 437 (439); vgl. auch Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18). 66  67 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

klagten gegeneinander; daher habe der Angeklagte die Entscheidungskompetenz, den Beschleunigungsgrundsatz punktuell hinter dem Recht auf Wahlverteidigung zurückstehen zu lassen.73 Gerichte, welche gegen den Willen des Angeklagten dem Beschleunigungsgebot den Vorrang einräumten, würden über dessen Kopf hinweg entscheiden und den Angeklagten somit zum Objekt des Verfahrens degradieren.74 Einige Autoren ziehen aus den bisher vorgetragenen Erwägungen den Schluss, das Beschleunigungsgebot könne nur Vorrang gegenüber der Teilnahme des Wahlverteidigers haben, wenn Mitangeklagte in Haft sind und zuvor durch Terminabsprachen versucht wurde, die beiden Grundsätze vorausschauend in Einklang zu bringen.75 Dass nur das Beschleunigungsgebot zu Gunsten von inhaftierten Mitangeklagten ein ausreichender Grund sein könne, das Recht auf Teilnahme des Wahlverteidigers einzuschränken, wird auch in mehreren Gerichtsentscheidungen vertreten.76 Sind Mitangeklagte inhaftiert, wird zudem vorgetragen, dass das Mittel der Verfahrensabtrennung zur Verwirklichung aller Beschuldigtenrechte zumindest geprüft werden solle.77 Eine differenzierte Ansicht zur Disposition bei mehreren Angeklagten vertritt Imme Roxin: Sind alle Angeklagten in Untersuchungshaft oder alle auf freiem Fuß, seien die Mehrheitsverhältnisse entscheidend; ist dagegen nur ein Teil der Angeklagten inhaftiert, falle allein diesen die Entscheidungskompetenz zu.78 Schlothauer sieht es bei übereinstimmenden Verteidigungszielen der Mitangeklagten keineswegs als unwahrscheinlich an, dass auch die Mitangeklagten – aufgrund des Interesses an einem eingespielten Verteidigerteam – einer Verzögerung zustimmen würden.79 73  Burhoff StraFo 2008, 62 (69); Malek Rn.  4 4; Rahlf in FS-Widmaier, S.  4 47 (467, 470 f.); I.  Roxin StV 2010, 437 (441); dies. GA 2010, 425 (438 f.); Schlothauer StV 2009, 578 (579); Sommer S.  334; Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18 f.); wohl auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  16; einschr. HK-GS/Schulz §  213 Rn.  4; Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (640). 74  Rahlf in FS-Widmaier, S.  4 47 (466 f.); vgl. auch Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440). 75  HK-StPO/Julius §  213 Rn.  8; Rahlf in FS-Widmaier, S.  4 47 (468); Schlothauer StV 2009, 578 (579 f.); vgl. auch SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  10; Hilger StV 2006, 451 (453); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (442); Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (280); vgl. dazu auch OLG Hamm StV 2004, 642 (643). 76  OLG Köln StV 2006, 143 (144); KG StV 2009, 577 (578); vgl. auch OLG Hamm StV 2004, 642 (643). 77  HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Fn.  100; Hilger StV 2006, 451 (452); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, 2009, S.  636 (640); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (442); Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (468); I. Roxin StV 2010, 437 (441); dies. GA 2010, 425 (439); Schlothauer StV 2009, 578 (580); vgl. auch OLG Köln StV 2006, 143 (144). 78  I. Roxin StV 2010, 437 (441); dies. GA 2010, 425 (438 f.). 79  Schlothauer StV 2009, 578 (580).

A. Beschleunigungsgebot

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Eine weitere Argumentation gegen die Begrenzung von Verteidigungsrechten durch das Beschleunigungsgebot, die in gleicher Weise auch bezüglich des öffentlichen Interesses an der Beschleunigung vorgebracht wurde, bezieht sich auf den konkreten Inhalt des Beschleunigungsgebots. Das Beschleunigungsgebot soll Verzögerungen durch das Nichtbetreiben von Verfahren verhindern, aber nicht rechtsstaatlich begründete Verfahrensverzögerungen (s.  S. 174).80 Entsprechend vertritt Piel die Ansicht, ein Eingriff in die freie Verteidigerwahl sei nur in sehr engen Ausnahmen zulässig – nämlich bei offensichtlicher Verschleppungsabsicht oder einer derartigen terminlichen Überlastung des Verteidigers, dass auch bei redlichem Bemühen des Gerichts keine Terminierung möglich sei.81 Soweit die Rechtsprechung bemängle, dass große Wirtschaftsverfahren kaum noch ohne Verzögerung durchführbar seien, verweist Piel auf Mängel seitens der Justiz und dementsprechend zur Lösung auf justizinterne, organisatorische Maßnahmen.82 In ähnlicher Weise merkt Imme Roxin an, dass der Staat verpflichtet sei, unnötige Verfahrensverzögerungen durch eine bessere Ausstattung zu vermeiden und keinesfalls durch die Beschränkung von Verteidigungsrechten.83 Ebenfalls auf praktische Lösungen des – seiner Ansicht nach nur vermeintlichen – Konflikts verweist Leipold.84 Weitüberwiegend bestehe gar keine Kollision des Beschleunigungsgebots mit dem Recht auf freie Verteidigerwahl, da nur eine temporäre Verhinderung vorliege und fraglich sei, ab welchem Zeitraum eine Verzögerung überhaupt maßgeblich sein könne. Der Verteidiger sei zumeist nicht über den ganzen Zeitraum hinweg verhindert, sondern es bestehe lediglich eine Verhinderung an den vorgegebenen Sitzungstagen, während der Verteidiger an anderen Wochentagen sehr wohl zu Verfügung stehe.85 Somit beruhe die vorgebliche Kollision der Rechte nicht auf einer faktischen Kollision, sondern auf einer mangelnden Flexibilität der Gerichte, welche wiederum auf einem Fehlverständnis der Ausrichtung des Beschleunigungsgebots beruhen würde.86 Julius gibt zu bedenken, dass ein grundsätzlicher Vorrang der Beschleunigung gegenüber der Mitwirkung des gewählten Verteidigers nicht immer tatsächlich zur Beschleunigung führen müsse, da auch die Mitwirkung eines ein-

Piel in FS-Widmaier, S.  429 (436, 438 f., 444); Tepperwien NStZ 2009, 1 (5). Piel aaO (441 f.). 82  Piel aaO (440 f.). 83  I. Roxin StV 2010, 437 (439). 84  Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639). 85  Leipold aaO (639). 86  Leipold aaO (639 f.); vgl. auch Piel aaO (440). 80  81 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

gearbeiteten Verteidigers beschleunigende Effekte, wie eine effektiv gestaltete Hauptverhandlung, beinhalten würde.87

III. Stellungnahme 1.  Abgrenzung zu anderen Verfahrensmaximen Um den Einfluss des Beschleunigungsgebots auf die Terminierung zu beurteilen, muss zunächst der Inhalt des Beschleunigungsgebots möglichst konkret erfasst werden. Soweit die Konzentrationsmaxime und das Beschleunigungsgebot als zwei Ausprägungen der gleichen Sache dargestellt werden,88 vermischt dies zwei verschiedene Prozessgrundsätze und führt zur Unschärfe beider Begriffe.89 Eine zügig und gut strukturiert durchgeführte Hauptverhandlung mit einer engen Termindichte entspricht beiden Geboten. Die beiden Prozessgrundsätze stellen also insoweit die gleichen Anforderungen an die Verfahrensgestaltung. Dennoch können sich die Anforderungen der beiden Prinzipien diametral entgegenstehen.90 Die Konzentrationsmaxime dient der Schöpfung des Urteils aus dem direkten Eindruck der Hauptverhandlung (vgl. §  261  StPO).91 Um den zur Verwirklichung des §  261  StPO benötigten zeitlichen Verhandlungszusammenhang zu sichern, schreibt §  229 StPO zeitliche Grenzen für die Unterbrechung der laufenden Hauptverhandlung vor.92 Wird ein Fortsetzungstermin benötigt und kann dieser nicht innerhalb der Frist des §  229 StPO durchgeführt werden, führt dies zur Aussetzung und damit zum wiederholenden Neubeginn der Verhandlung. Dies entspricht den Zwecken der konzentrierten Durchführung der Hauptverhandlung und widerspricht zumeist elementar dem zügigen Abschluss des Verfahrens.93 Daher sind Beschleunigungsgebot und Konzentrationsmaxime voneinander abzugrenzen. Der Schöpfung des Urteils aus dem Inbegriff der Verhandlung dient nur die Konzentrationsmaxime.94 87  HK-StPO/Julius §  213 Rn.  8 mit Verweis auf BGH NJW 2008, 2451 (2453) und OLG Hamm StV 2004, 642 (643); vgl. auch SSW/Grube §  213 Rn.  25; K. A. Laue S.  314. 88  So SK-StPO 4/Deiters §  213 Rn.  4; Kindhäuser S.  220; Knauer StraFo 2007, 309 (309); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (636); Volk/Engländer S.  174, 178 f. 89  Vgl. auch OLG Köln StV 2006, 143 (144), welches klar zwischen Beschleunigungsgebot und Konzentrationsmaxime differenziert. 90  Vgl. auch Kühne Rn.  273. 91  Beulke, Strafprozessrecht Rn.  381; Fezer S.  143; Hanack JZ 1971, 705 (710); Peters, Strafprozeß S.  552; Roxin/Schünemann §  44 Rn.  7; Schünemann StraFo 2010, 90 (93). 92  BGH NJW 2006, 3077 (3078) mwN. 93  Hanack aaO; Kühne Rn.  273; vgl. auch BGH NJW 2006, 3077 (3078); Bernsmann ZRP 1994, 329 (330); Chr.  Laue in Dölling/Feltes et al. S.  9 (17); Schellenberg S.  217. 94  Hanack aaO.

A. Beschleunigungsgebot

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Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen der Beschleunigung des Verfahrens und der Justizentlastung bzw. Ressourcenschonung. Teilweise wird beides durch die gleichen Maßnahmen gefördert, aber teilweise widersprechen sich beide Interessen – vor allem, wenn die Erfüllung des Beschleunigungsgebots einen höheren Ressourceneinsatz erfordert.95 Daher ist es ausgeschlossen, dass das Interesse an einer Ressourcenschonung Bestandteil des Beschleunigungsgebots sein kann. 2.  Kein Beschleunigungsgebot zu Gunsten des öffentlichen Interesses Interessen der Allgemeinheit oder der Justiz an einer Beschleunigung mögen bestehen (vgl. dazu ausf. S. 206 ff.), aber diese sind nicht unter den Begriff des Beschleunigungsgebots zu subsumieren. Zur Klarheit des Begriffs muss dieser auf den Schutz des Angeklagten vor vermeidbarer Belastung durch das Strafverfahren begrenzt werden. Dieser Schutz ist als höherrechtlich verankertes Beschuldigtenrecht eine besonders gewichtige Verfahrensmaxime und führt dazu, dass das Beschleunigungsgebot einen besonders scharfen Abwägungsaspekt darstellt. Dieses Gewicht im Rahmen einer Interessensabwägung wird ausgenutzt, wenn auch andere Interessen unter den Begriff gefasst werden. Eine fehlende Differenzierung allgemeiner und individueller Belange führt zu einer Unklarheit der betroffenen Interessen und dieses ‚Segeln unter falscher Flagge‘ – wie Rieß es bildhaft formuliert – dazu, dass Interessen wie den Justizressourcen ein weitaus höheres Gewicht in der Abwägung verschafft wird, als dies bei einer klaren Trennung und Nennung der Belange der Fall wäre.96 Dass in den Entscheidungen zur Terminierung und Terminverlegung zumeist nicht benannt wird, in wessen Interesse das Beschleunigungsgebot besteht, und häufig die Durchführbarkeit und die Beschleunigung des Verfahrens zusammenhängend genannt werden (s.  S. 19), stärkt den Verdacht der strategischen Nutzung des Beschleunigungsgebots.97 Eine solche Nutzung unterstellt das Oberlandesgericht Bamberg, wenn es in einer Entscheidung „das vorgeschobene Argument des Tatrichters“, einer Umterminierung stünde die Verfahrensbeschleunigung entgegen, als „abwegig“ bezeichnet.98 Auch die pauschalen Verweise auf eine ‚angespannte Terminslage‘ wirken kaum wie eine ernstzunehRieß NStZ 1994, 409 (410). Rieß NStZ 1994, 409 (409 f.); Wohlers NJW 2010, 2470 (2471): ‚Etikettenschwindel‘. 97  Vgl. dazu auch Gaede NJW 2009, 608, der von einer ‚Scheinargumentation‘ spricht; Knauer StraFo 2007, 309 (315), der einen Konflikt zwischen BGH und BVerfG konstatiert; Michalke StV 2008, 228 (229), die meint, der BGH habe die Vorzüge des Beschleunigungsgebots als Argumentationshilfe erkannt; Tepperwien NStZ 2009, 1 (5); vgl. auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. B. Rn.  25. 98  OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233). 95 Vgl. 96 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

mende Abwägung zwischen zwei Beschuldigtenrechten.99 Die Rechtsprechung zur Terminierung bezieht zwar Interessen der Justiz als Abwägungsaspekte ein, aber der Verweis auf das Beschleunigungsgebot hat demgegenüber Vorzüge, da – wie Rzepka es ausdrückt – das Beschleunigungsgebot der „größere Sympathieträger“ ist.100 Der Verdacht verdichtet sich dadurch, dass insbesondere bei Haftentscheidungen ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot verneint wird, wenn es aufgrund der Verhinderung eines Verteidigers zu einer Verfahrensverzögerung gekommen ist,101 zugleich aber viele Gerichte auf dem Vorrang der Beschleunigung gegenüber der Anwesenheit des Verteidigers beharren, sobald die Entscheidung sich mit einer Terminverlegung zugunsten des Rechts auf Verteidigung beschäftigt (vgl.  S.  51 ff.).102 Aus dem von der Rechtsprechung etablierten besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen ergibt sich deutlich, dass es sich beim Beschleunigungsgebot ausschließlich um ein subjektives Recht des Beschuldigten handelt.103 Denn das öffentliche Interesse an der zügigen Verfahrenserledigung kann sich in keiner Weise auf die Dauer der Untersuchungshaft beziehen.104 Argumente, welche dafür sprächen, dass es sich bei einem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Verfahrens um einen Teil des grundsätzlich zum Schutze des Angeklagten bestehenden Beschleunigungsgebots handele, finden sich hingegen keine. Vielmehr ergeben sich auch aus der Rechtsprechung bei genauer Betrachtung Anhaltspunkte für eine klare Trennung der beiden Aspekte. So wird von Landau eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Beleg zur objektiven Dimension des Beschleunigungsgebots herangezogen.105 Diese Entscheidung führt die wahrheitssichernde Funktion eines zügigen Verfahrens an – spricht aber in diesem Kontext gerade nicht vom Beschleunigungsgebot.106 Auch wenn man die Verweisungskette der BGH-Rechtsprechung zu ihrem Ursprung verfolgt (s.  S. 170), ergibt sich, dass es sich um zwei verschiedene Aspekte des rechtsstaatlichen Verfahrens handelt und nicht um zwei Schutzrichtungen des Beschleunigungsgebots. In der ständigen Rechtsprechung 99  Vgl. dazu u. a. OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); 1998, 13 (14); LG Oldenburg StV 2010, 479; Burmann NZV 1996, 165 (165); Krumm StV 2012, 177 (182). 100  Rzepka S.  225 f.; vgl. auch Scheffler GA 2005, 449 (453 f.). 101  Vgl. OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2790); OLG Köln StV 2006, 145 (146); OLG Naumburg StV 2008, 365; OLG Frankfurt/M StV 2012, 612 (613); OLG Hamm StRR 2014, 449; vgl. auch BVerfG StV 2006, 81 (85); NStZ-RR 2007, 311 (314); BGH JR 2006, 297; NJW 2008, 2451 (2454); KG StV 2009, 534; krit. OLG Oldenburg StraFo 2008, 26. 102 Vgl. Beukelmann NJW-Spezial 2007, 279. 103  Vgl. auch Schlothauer StV 2009, 578 (579). 104  So auch I. Roxin GA 2010, 425 (439). 105  Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1080). 106  BVerfGE 57, 250 (280).

A. Beschleunigungsgebot

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zur Terminierung findet sich diese Differenzierung ebenfalls wieder. Sowohl das Beschleunigungsgebot als auch die Durchführbarkeit des Verfahrens werden als zu beachtende Abwägungsaspekte genannt (s. S. 19  f.), womit zum Ausdruck gebracht wird, dass es sich dabei um zwei verschiedene Abwägungsinteressen handelt. Daher ist zunächst festzuhalten, dass unter dem Begriff ‚Beschleunigungsgebot‘ ausschließlich die von der Justiz gegenüber dem Angeklagten zu gewährleistende Verfahrensdurchführung ohne vermeidbare Verzögerung zu verstehen ist.107 3.  Kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot Da das Beschleunigungsgebot nur den Schutz des Angeklagten erfasst, drängt sich – vorbehaltlich eines tatsächlichen Antagonismus zwischen Beschleunigungsinteresse und Verteidigungsinteresse  – die Erkenntnis auf, dass zwei Rechte zum Schutze des Angeklagten gegeneinander gestellt werden (vgl. S. 175  f.; ausf. S. 185 ff.). Lässt man diesen Aspekt für einen Moment außen vor, stellt sich dennoch die Frage, ob eine Terminierung entgegen der Terminbelange des Verteidigers mit dem Beschleunigungsgebot gerechtfertigt werden kann. Das Beschleunigungsgebot kann ausschließlich dann eine hinreichende Begründung für eine Maßnahme oder eine Regelung sein, wenn andersherum gedacht – also beim Fehlen der Regelung oder Unterlassen der Maßnahme – ein Verstoß gegen den Anspruch auf die zügige Verfahrensdurchführung vorliegen würde. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liegt bei einer sachlich unnötigen Verzögerung des Verfahrens durch die Strafverfolgungsbehörden vor.108 Wird ein Termin im Interesse der Verteidigung verlegt, liegt daher gleich aus zwei Gründen kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor: Zum einen liegt keine sachlich unangemessene Verzögerung vor, sondern eine durch das Recht auf Verteidigung sachlich begründete Verzögerung.109 Es mag nicht in allen Fällen eindeutig sein, ob eine Verzögerung sachlich geRieß NStZ 1994, 409 (410); I. Roxin GA 2010, 425 (436); dies. StV 2010, 437; Wohlers NJW 2010, 2470 (2471); zur ungenügenden Trennung staatlicher und individueller Interessen auch Stein ZStW 97 (1985), 303 (312 f.). 108  U. a. BVerfG NStZ-RR 2005, 346 (347); BGH NStZ 1992, 229 (230); KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  41 ff.; Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  316; Beulke, Strafprozessrecht Rn.  26; Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (642); vgl. auch Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (638 f.); Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (276 f.); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (359). 109  So auch Krehl/Eidam NStZ 2006, 1 (6); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (444 f.); vgl. KMR/Eschelbach §  213 Rn.  3; Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  21; vgl. auch OLG Hamm StV 2012, 612 (613). 107 Vgl.

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

rechtfertigt ist oder nicht.110 Die Beachtung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf den jederzeitigen Beistand eines Verteidigers und der Wahlfreiheit der Person des Verteidigers kann jedoch schwerlich als unsachgemäß qualifiziert werden. Zum anderen liegt grundsätzlich keine Verzögerung durch Strafverfolgungsbehörden vor.111 Das Beschleunigungsgebot soll den Angeklagten im Kern vor einer übermäßigen Dauer des Verfahrens schützen, welche durch Untätigkeit der Justizbehörden entsteht (s. S. 166 ff.).112 Eine Verzögerung, die in der Sphäre des Angeklagten begründet ist, kann den staatlichen Organen grundsätzlich nicht zugerechnet werden und begründet daher keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot.113 Inwiefern eine Verzögerung, die ihre Wurzeln in einem Verhalten des Angeklagten hat, den Behörden ausnahmsweise dennoch zugerechnet werden kann, entscheidet sich gemäß der ständigen Rechtsprechung danach, ob die Strafverfolgungsbehörden die Verzögerung hätten vermeiden können und müssen.114 Eine auf Verzögerung angelegte Verteidigungsstrategie ist dem Gericht nicht anzulasten.115 Im Zusammenhang mit Terminierungsanträgen könnte ausnahmsweise eine gerichtliche Verzögerung bei einer Verursachung des Verlegungsantrags durch das Gericht gegeben sein, z. B. durch eine kurzfristige Terminierung ohne vorherige Rücksprache oder eine fehlende vorausschauende Terminplanung bei Verfahren mit mehreren Verhandlungstagen.116 Ein weiteres Beispiel findet sich in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, wo der fragliche Fortsetzungstermin erst durch einen Fehler der Staatsanwaltschaft nötig geworden war.117 Eine zurechenbare Verzögerung durch das Gericht könnte auch vorliegen, wenn ein berechtigter So Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1087). OLG Hamm StRR 2014, 449; vgl. auch BVerfG NJW 2003, 2225 (2225); StV 2006, 81 (85); Beulke, Strafprozessrecht Rn.  26; Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  22; Eidam JZ 2009, 318 (320); I. Roxin GA 2010, 425 (439). 112  U. a. Fezer in FS-Widmaier, S.  177 (179); Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (643 f.); I.  Roxin aaO (insb. 432) mwN. 113  EGMR v. 21.06.1983 – 8130/78, Eckle ./. Deutschland, EuGRZ 1983, 371 (380 f.); Mansdörfer GA 2010, 153 (161); I. Roxin aaO (433); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (360); vgl. auch BVerfG NJW 1992, 2472 (2473); NStZ-RR 2005, 346 (347); SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Eidam JZ 2009, 318 (320); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (175); Wohlers NStZ 2010, 2470 (2471). 114  BVerfG NStZ 2005, 456 (456 f.); StV 2006, 703 (704); BGH JR 2006, 297 (298); dazu auch KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  43; Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (277). 115  BVerfG StV 2006, 81 (85); vgl. auch EGMR v. 21.06.1983 – 8130/78, Eckle ./. Deutschland, EuGRZ 1983, 371 (380 f.). 116  Vgl. u. a. BVerfG StV 2008, 198 (Rn.  55); OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2792 f.); OLG  Oldenburg StraFo 2008, 26; LG Dortmund StV 1986, 13. 117  OLG Koblenz StV 2003, 519. 110  111 

A. Beschleunigungsgebot

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Verlegungsantrag des Verteidigers deswegen zu einer erheblichen Verzögerung führt, weil seitens des Gerichts nur eine sehr langfristige Terminverlegung möglich ist (s. S. 228  f.). Diese Beispiele sind jedoch nur Ausnahmefälle, während grundsätzlich die Verzögerung im Bereich des Angeklagten liegt. Anders wäre es, wenn eine zurechenbare Verzögerung des Verfahrens durch die Reaktion der Strafverfolgungsbehörden auf das Verhalten des Angeklagten entstehen würde.118 So wird vertreten, eine Verzögerung, die sich aus dem Verhalten des Angeklagten ergibt, sei den staatlichen Organen dann zuzurechnen, wenn diese die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Förderung des Verfahrens nicht genutzt hätten.119 Nach dieser Ansicht könnte dem Gericht eine Verzögerung aufgrund der Bewilligung des Umterminierungsantrags zugeschrieben werden. So sah das Oberlandesgericht Hamm einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot – zumindest beim inhaftierten Angeklagten – bei einer Verzögerung durch die Verhinderung des Verteidigers als gegeben an.120 Das Oberlandesgericht entschied, es dürften nur verfahrensimmanente, unvermeidliche Umstände zu einer späteren Terminierung führen. Terminschwierigkeiten des Verteidigers stellten zum einen keinen verfahrensimmanenten Umstand dar und seien zum anderen kein Umstand, der nicht durch das Gericht vermeidbar gewesen wäre, denn das Gericht hätte bei Verhinderung des Verteidigers einen anderen Verteidiger bestellen müssen.121 Dem widerspricht jedoch eine spätere Entscheidung des Oberlandesgerichts, nach der die Terminierungsdichte dem Gericht bei Rücksichtnahme auf Termine des Verteidigers nicht zuzurechnen sei.122 Folgt man der Ansicht, das Gericht müsse im Rahmen der prozessualen Regeln Verzögerungen durch Angeklagtenverhalten verhindern, kann dies nur eine entsprechende Auslegung bestehender StPO-Normen – wie §  228 Abs.  2 StPO – begründen. Nicht durchgreifend ist diese Argumentation jedoch bei der Frage, ob das Beschleunigungsgebot das Bestehen dieser Norm – und den darin liegenden Eingriff in die Angeklagtenrechte – rechtfertigt. Ebenso wenig kann eine Verpflichtung des Gerichts, im Rahmen der prozessualen Regeln Verzögerungen zu verhindern, eine Ausdehnung dieser Regelungen begründen. Die geschilderte Ansicht stellt jedoch keinen praktikablen Maßstab zur Ermittlung eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot dar. Es fehlt an der 118  So OLG Nürnberg wistra 2011, 478 (480); vgl. auch Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639 f.). 119  Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  22; Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  332; Kloepfer JZ 1979, 209 (209). 120  OLG Hamm StV 2006, 481; vgl. auch BVerfG StV 2008, 198 (Rn.  55). 121  OLG Hamm aaO (481 f.). 122  OLG Hamm StRR 2014, 449.

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Abgrenzung, wo die Verpflichtung des Gerichts, Verzögerungen durch Verteidigungshandeln zu verhindern, enden soll. Nahezu jede Verteidigungsmaßnahme nimmt Zeit in Anspruch – und sei es nur die Zeit, welche die Stellung eines Antrags oder die Äußerung einer Frage dauert. Letztlich müsste das Gericht zur Wahrnehmung seiner Pflicht das Verteidigungsverhalten in sachgemäßes und unsachgemäßes Verhalten unterteilen und letztgenanntes verhindern. Damit würde über das Beschleunigungsgebot eine umfassende Kontrolle der Verteidigungsstrategie durch das Gericht konstruiert, welches der Unabhängigkeit der Verteidigung widerspricht.123 Davon abgesehen steht der Annahme, das Gericht wäre für Verzögerungen durch Verteidigungsrechte verantwortlich, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Wenn „Verfahrensverzögerungen, welche der Beschuldigte selbst, sei es auch durch zulässiges Prozeßverhalten, verursacht“ hat, in der Regel nicht zur einer Verletzung der Rechte des Beschuldigten durch eine überlange Verfahrensdauer führen sollen,124 ist nicht ersichtlich, wie eine Berücksichtigung der Verteidigerverhinderung auf Verlangen des Beschuldigten hin zu einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führen kann – will man den Prüfungsmaßstab nicht in rechtsstaatlich bedenklicher Weise je nach Zielrichtung des Rechtsmittels aufspalten (vgl. S. 180). Letztlich kann ein Verstoß also nur in einer Verursachung des Terminantrags durch die Strafverfolgungsbehörden oder in einer verzögernden Reaktion auf einen Terminantrag bestehen. Somit kann das Beschleunigungsgebot grundsätzlich der Berücksichtigung von Terminen der Verteidiger nicht entgegenstehen, da keine sachlich unangemessene Verzögerung des Verfahrens durch die Strafverfolgungsbehörden vorliegt.125 Dies betrifft sowohl den Einbezug des Beschleunigungsgebots in konkrete Ermessensentscheidungen als auch die Legitimation der gesetzlichen Regelungen. Einen Einfluss hat der Anspruch des Angeklagten auf eine zügige Durchführung des Verfahrens ‚nur‘ auf die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, sich im Rahmen der Terminierung – u. a. durch eine vorrausschauende Terminplanung und ausreichende Terminkapazitäten – um eine zeitnahe und strukturierte Terminierung zu bemühen.

Vgl. BVerfGE 34, 293 (302); BGH NStZ 1998, 311 (312); Beulke, Der Verteidiger S.  123; A. Müller JR 1996, 124 (125). 124  BVerfG NJW 1984, 967 (967); 1993, 3254 (3255); vgl. auch BVerfG NJW 1992, 2472 (2473); 2003, 2897 (2897); NStZ-RR 2005, 346 (347); Tepperwien NStZ 2009, 1 (2). 125  Vgl. auch OLG Hamm StRR 2014, 449; I. Roxin StV 2010, 437 (438); dies. GA 2010, 425 (431 ff.); Wohlers NStZ 2010, 2470 (2471). 123 

A. Beschleunigungsgebot

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4.  Dispositionsrecht des Angeklagten Nimmt man dennoch hypothetisch einen Konflikt zwischen dem Recht auf Verteidigung und dem Recht auf Beschleunigung an, ist letztlich entscheidend, wie der Angeklagte die eigenen Interessen in der konkreten Situation bewertet.126 Erachtet der Angeklagte die Anwesenheit des gewählten Verteidigers als gewichtig und nimmt dafür eine Verzögerung in Kauf, ist nicht ersichtlich, warum dies dem ‚wohlverstandenen Interesse‘ des Angeklagten widersprechen sollte.127 Inwiefern das ‚wohlverstandene Interesse‘ eindeutig für den Vorrang der Beschleunigung spräche,128 bleibt die Gegenansicht zu erklären schuldig.129 Der Angeklagte ist der Berechtigte des Beschleunigungsgebots130 und kann somit entscheiden, ob er eine Verzögerung zu Gunsten der Anwesenheit seines Wahlverteidigers in Kauf nimmt.131 Diese Ansicht wird von zwei frühen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts gestützt, wonach der Angeklagte auf die Anwesenheit des Verteidigers jedenfalls dann rechtserheblich verzichten könne, wenn er zuvor über die Möglichkeit eines Aussetzungsantrages aufgrund der kurzfristigen Verhinderung des Verteidigers informiert wurde.132 In diesem Falle müsse das Gericht nicht aus Fürsorgegründen aussetzen.133 Wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung spontan auf die Anwesenheit des Verteidigers verzichten kann, warum soll eine im Vorfeld der Hauptverhandlung – also mit erheblich mehr Bedenkzeit und Beratungsmöglichkeiten – abgegebene gegenteilige Erklärung nicht rechtserheblich sein?134 So auch Burhoff StraFo 2008, 62 (69); Malek Rn.  44; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (467, 470 f.); I.  Roxin StV 2010, 437 (441); Schlothauer StV 2009, 578 (579); Sommer S.  334; Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18 f.); wohl auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  16; vgl. auch LG Dortmund StV 1998, 14 (14). 127  KG StV 2009, 577 (578); LG Dortmund StV 1998, 14; vgl. BGH NStZ 1999, 527; so auch Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18). 128  BGH NJW 1973, 1985 (1986); vgl. auch Föhrig S.  24. 129 Vgl. Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440); krit. zur Formulierung Scheffler GA 2005, 449 (454). 130  Vgl. BGH NStZ 2007, 163; Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (638 f.); Malek Rn.  44; Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (276 f.); I. Roxin StV 2010, 437 (439); dies. GA 2010, 425 (433); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (359). 131  So auch Burhoff StraFo 2008, 62 (68); Malek Rn.  4 4; I. Roxin StV 2010, 437 (441); dies. GA 2010, 425 (438 f.); Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18 f.); wohl auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  16; einschr. Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (280); vgl. auch Mansdörfer GA 2010, 153 (161); Sommer StV 2012, 107 (107, 110); trotz Nennung in der Sachverhaltsschilderung in den Gründen übergangen: BGH NStZ 1999, 527. 132  BayObLGSt 1962, 226 (227 f.); StV 1985, 6 (7). 133  BayObLGSt 1962, 226 (227 f.); StV 1985, 6 (7). 134  Vgl. LG Dortmund StV 1998, 14; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  10. 126 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Einem rechtserheblichen Verzicht auf das Beschleunigungsgebot könnte nur eine fehlende Disponibilität entgegenstehen. Prinzipiell sind alle subjektiven Rechte disponibel. Ausnahmen von dieser Regel sind begründungsbedürftig und nur in einem engen Rahmen möglich.135 Eine Ausnahme könnte vorliegen, wenn das Beschleunigungsgebot nicht nur zu Gunsten des Angeklagten bestünde oder wenn der Schutz des Angeklagten der Disponibilität entgegenstehen würde. Hinsichtlich der Ansicht, einer Disposition stünden öffentliche Interessen entgegen,136 sei abschließend auf die Ausführungen zum Inhalt des Beschleunigungsgebots (S. 179 ff.) verwiesen. Auch die Belange möglicher Mitangeklagter lassen das Dispositionsrecht nicht gänzlich entfallen, sondern schränken dieses ausschließlich in bestimmten Fällen ein: Es müssen mehrere Angeklagte betroffen sein und es dürfen keine übereinstimmenden Dispositionserklärungen der Mitangeklagten vorliegen. Insofern kann diese Fallkonstellation die Dispositionsmöglichkeit nicht grundlegend, sondern nur in vereinzelten Fällen ausschließen. Allerdings ist die Ermöglichung der Teilnahme des gewählten Verteidigers auch gegenüber den Mitangeklagten eine sachlich begründete Verzögerung (vgl. S. 181). Selbst wenn sich nicht alle Mitangeklagten mit einer Verzögerung einverstanden erklären, liegt daher nicht zwingend ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot zu Gunsten der Mitangeklagten vor. Ein Verstoß kommt nur in Betracht, wenn die Strafverfolgungsbehörden die Mitangeklagten nicht ausreichend gegen unsachgemäße Verzögerungen schützen. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn kein sachlicher Grund für die Verhinderung des Verteidigers vorliegt. Im Umkehrschluss kann die Einschränkung des Verteidigungsrechts nur in diesem Fall mit Verweis auf das Beschleunigungsgebot legitimiert werden. Ein weiterer Ausnahmefall könnte wegen der überragenden Bedeutung des Freiheitsrechts vorliegen, wenn der betreffende Angeklagte auf freiem Fuß ist, die Mitangeklagten jedoch in Untersuchungshaft. Auch paternalistische Begründungen für einen Ausschluss des Dispositionsrechts überzeugen nicht. Für ein rechtsstaatliches Strafverfahren ist der Subjektstatus des Angeklagten grundlegend (s. S. 91). Elementarer Bestandteil des Subjektstatus’ ist die Möglichkeit eigene Entscheidungen zu treffen, die eigenen Interessen zu gewichten und ggf. auf die Ausübung bestimmter Rechte bewusst zu verzichten. Eine staatliche Entscheidung darüber, welches zweier kollidierender Rechte des Anklagten in seinem ‚wohlverstandenen Interesse‘ liegt, greift in die Autonomie des Angeklagten ein und spricht ihm seinen Sub135  Mansdörfer GA 2010, 153 (161); vgl. zur Einwilligung: Jescheck/Weigend S.  376 f.; Lenckner GA 1985, 295 (302); Roxin AT I §  13 Rn.  12 ff. 136  Meyer-Goßner/Schmitt Einl. Rn.  160; Chr.  Laue GA 2005, 648 (649); Trüg StV 2010, 528 (529).

A. Beschleunigungsgebot

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jektstatus ab.137 Es ist nicht ersichtlich, warum gerade an dieser Stelle des Verfahrens der Angeklagte nicht zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung in der Lage sein sollte und daher zu seinem Schutz in die Autonomie eingegriffen werden müsste. Im Rahmen der Verständigung wird dem Angeklagten eine eigenverantwortliche Entscheidung über das Ablegen eines Geständnisses zugemutet,138 dessen Vor- und Nachteile durch die Unwägbarkeiten der noch ausstehenden Beweiserhebung und gerichtlichen Beweisbeurteilung weitaus schwerer einzuschätzen sind als die Entscheidung, ob eine Verzögerung hinzunehmen ist. Auch Rechtsmittelentscheidungen oder das Akzeptieren eines Strafbefehls sind Entscheidungen mit erheblichen Folgen, die im Verfahren getroffen werden müssen. Dies sind nur wenige Beispiele der zahllosen Entscheidungen im Rahmen eines Strafverfahrens, die zukunftserhebliche Bedeutung für den Angeklagten haben. Einen weiteren Ansatz, der zu einem Ausschluss der Dispositionsmöglichkeit führen könnte, vertritt Broß. Er legt zur Begründung einer objektiven Dimension des Beschleunigungsgebots dar, dass die im Strafverfahren relevanten Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern objektive Werteentscheidungen seien.139 Demnach sei das Beschleunigungsgebot als objektiver Wert zu verstehen, jedoch nicht, weil dieses im öffentlichen Interesse bestehe, sondern weil der Staat zu Gunsten des Angeklagten verpflichtet sei, diese Grundsätze einzuhalten.140 Dieser Argumentation lässt sich jedoch nur eine staatliche Verpflichtung entnehmen und keine Rechtfertigung für Eingriffe in Beschuldigtenrechte. Für die nicht-notwendige Verteidigung kommt es auf die Situation des inhaftierten Angeklagten nicht an (vgl. §  140 Abs.  1 Nr.  4 StPO), dennoch sei darauf hingewiesen, dass auch der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte freiverantwortlich über die eigenen Belange entscheiden können muss.141 Auch der Inhaftierte ist Subjekt des Verfahrens und kann – anders als es einer Entscheidung des 1.  Senats des Bundesgerichtshofs zu entnehmen ist – die eigenen Interessen bewerten.142

137 Ähnlich Bernsmann in FS-Kriele, S.  697 (708); Stein ZStW 97 (1985), 303 (313 f.); Welp ZStW 90 (1978), 101 (116 ff.); vgl. auch Maiwald in FS-Lange, S.  745 (750 f.); E. Müller NJW 1981, 1801 (1804). 138  Vgl. BVerfGE 133, 168 (Rn.  36, 40); Weigend ZStW 113 (2001), S.  269 (301). 139  Broß StraFo 2009, 10. 140  Broß aaO (10 f.). 141  KG StV 2009, 577 (578); I. Roxin GA 2010, 425 (438 f.); Schlothauer StV 2009, 578 (579); vgl. BGH NStZ 1999, 527. 142  Vgl. dem entgegen BGH NStZ 2007, 163 (164); auch BGH NJW 1973, 1985 (1986).

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

5. Fazit Das Beschleunigungsgebot besteht zum Schutze des Angeklagten. Das Interesse des Angeklagten an der unverzögerten Durchführung des Verfahrens kann keine Begründung zur Einschränkung des Rechts auf Verteidigung sein. Ein Recht des Angeklagten gegenüber einem anderen Recht des Angeklagten gegen seinen Willen zu bevorzugen, degradiert den Angeklagten zum Objekt einer staatlichen Entscheidung und verstößt somit gegen Art.  1 Abs.  1 GG. Dem Angeklagten steht als autonomes Prozesssubjekt eine Dispositionsbefugnis zu.143 Die ‚Inanspruchnahme‘ des Beschleunigungsgebots als Begrenzung des Verteidigungsrechts scheitert auch daran, dass bei der Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers der Wahl keine sachlich unangemessene Verzögerung vorliegt. Eine solche ist jedoch Voraussetzung eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Das Beschleunigungsgebot kann somit aus rechtlichen Erwägungen einem Anspruch auf die tatsächliche Anwesenheit des Verteidigers nicht entgegenstehen, sondern höchstens eine Verzögerung unter den Vorbehalt des informierten Einverständnisses stellen.144 Voraussetzung für eine autonome Entscheidung sind ausreichende Informationen, d. h. eine entsprechende Aufklärung durch die beteiligten Juristen.145 Abwegig und destruktiv ist der Ratschlag von Föhrig, erst nach erfolgter Terminierung den Angeklagten über die durch die Verhinderung des Verteidigers verursachte Verzögerung zu informieren, um den Verteidiger für zukünftige Verfahren vor dem gleichen Spruchkörper ausschließlich präventiv zu disziplinieren.146 Eine Verzögerung des Verfahrens durch den Angeklagten kann diesem nur hinsichtlich des eigenen Anspruchs auf Beschleunigung angelastet werden und nicht im Hinblick auf andere Verteidigungsrechte.147 Somit ist das Beschleunigungsgebot grundsätzlich keine Begründung für Einschränkungen der Teilnahmemöglichkeit des frei gewählten Verteidigers.148 Eine Situation, in der eine gerichtliche Abwägung zwischen dem Beschleunigungsgebot und dem Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (467 f.). Vgl. SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  10; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (466 f.); I.  Roxin GA 2010, 425; vgl. auch Pieroth/Hartmann StV 2008, 276 (280). 145 Vgl. Bernsmann in FS-Kriele, S.  697 (709 ff.); Pieroth/Hartmann aaO. 146  Föhrig S.  24 f. 147  Vgl. zum Beweisantrag EGMR v. 03.04.2003 – 49746/99, Cevizovic ./. Deutschland, StV 2005, 136 (138); auch dies nur eingeschränkt: Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (643). 148  So auch Pfordte in FS-Widmaier, S.  411 (426); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440); Malek Rn.  44; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (465 ff.); vgl. auch HK-StPO/Julius §  213 Rn.  8; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  6; Eidam JZ 2009, 318 (320); I.  Roxin StV 2010, 437 (439); Wohlers NJW 2010, 2470 (2470 f.); Michalke StV 2008, 228 (230). 143 Vgl. 144 

A. Beschleunigungsgebot

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Recht auf die Anwesenheit des freigewählten Verteidigers nötig werden könnte, kann nur in einem Verfahren mit einer Mehrzahl von Angeklagten entstehen. Allerdings darf die Dispositionsbefugnis des Angeklagten nicht über die Pflicht der Gerichte hinwegtäuschen, sowohl das Recht auf Verteidigung als auch das Recht auf Beschleunigung als grundlegende Verfahrensgarantien zu beachten.149 Ein Verzicht des Angeklagten auf eines dieser Rechte kann nur das letzte Mittel sein, soweit alle anderen Möglichkeiten, einen Konflikt zwischen den verschiedenen Interessen des Angeklagten zu verhindern, ausgeschöpft sind. Keinesfalls darf die Rechtsprechung mit Verweis auf eine ‚Wahlfreiheit‘ eigene Bemühungen unterlassen.150 Dies zu betonen, legen die zahlreichen Verfahren nahe, bei denen im Rahmen der Terminierungsentscheidung auf einen Konflikt zwischen Verteidigungsinteresse und Beschleunigung abgestellt wurde, ohne dass gerichtliche Bemühungen zur Auflösung des Konflikts ersichtlich gewesen wären.151 Jenseits der Bemühungen des konkreten Vorsitzenden sei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Richtervorbehalt hingewiesen: Der Staat hat die Verantwortung die Strafverfolgungsbehörden so einzurichten, dass Beschuldigtenrechte wirksam umgesetzt werden können.152 Dies bedeutet, eine dauerhaft angespannte Terminslage darf nicht untätig hingenommen werden.153 Genauso wie es notwendig ist klarzustellen, dass der Beschuldigte kein Verpflichteter des Beschleunigungsgebots ist, muss darauf beharrt werden, dass die Strafverfolgungsbehörden Verpflichtete sind und Rechte des Beschuldigten nicht wegen fehlender Ausstattung eingeschränkt werden dürfen. Die Spruchkörper, die Präsidien und der Haushaltsgesetzgeber sind verpflichtet, für ausreichende Ressourcen und eine entsprechende Organisation der Ressourcen zu sorgen (dazu u. a. S. 195  ff.).154 149  So auch Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (640); Hilger StV 2006, 451 (453); vgl. auch OLG Oldenburg StraFo 2008, 26; HK-StPO/Julius §  213 Rn.  8; I. Roxin StV 2010, 437 (439). 150  Vgl. KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  29; Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  21; Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639 f.). 151  Z. B. OLG Frankfurt/M StV 1995, 11; OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); OLG Oldenburg StraFo 2008, 26; LG Düsseldorf StraFo 2003, 425; auch Ferner SVR 2006, 390 (390). 152  BVerfGE 103, 142 (155 f.); NJW 2007, 1444; vgl. dazu auch BGH NJW 2007, 2567 (LS). 153  BVerfGE 36, 264 (272 ff.); NJW 2006, 672 (674 ff.); so auch BGH StraFo 2005, 24; vgl. auch EGMR v.  13.07.1983 – 8737/79, Zimmermann u. Steiner ./. Schweiz, NJW 1984, 2749; EGMR v. 16.09.1996 – 20024/92, Süßmann ./. Deutschland, EuGRZ 1996, 519; EGMR v.  01.07.1997 – 20950/92, Probstmeier ./. Deutschland, NJW 1997, 2809 (2810); BVerfG NJW 2006, 668 (671); StV 2015, 39 (41 f.). 154  BVerfG NJW 2006, 672 (674 ff.); Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  324 f.;

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

B.  Durchführung des Verfahrens Neben dem Beschleunigungsgebot soll nach Ansicht der Rechtsprechung die Sicherung der Durchführung des Verfahrens einem Terminanspruch entgegenstehen. Die zu sichernden Belange werden dabei nur als Schlagworte eingebracht ohne genauere Ausführungen zu den konkret befürchteten negativen Auswirkungen. Lässt man das kaum zu konkretisierende und rechtsstaatlich kaum zu legitimierende Interesse an einer ‚reibungslosen‘ Durchführung des Verfahrens außen vor, kann man drei verschiedene Aspekte zusammenfassen (vgl. S. 19  ff.): die Durchführbarkeit des Verfahrens (I.), die Arbeits- bzw. Terminbelastung der Justiz (II.) und die zügige Durchführung des Verfahrens (III.).

I.  Durchführbarkeit des Verfahrens Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat „die Durchführbarkeit des Strafverfahrens und seine Beschleunigung“ gegenüber der Anwesenheit des Verteidigers „Gewicht“.155 Es dürfe nicht in allein in der Hand des Verteidigers liegen, mit Hinweis auf kollidierende Termine eine Unterbrechung oder Aussetzung herbeizuführen.156 Inwiefern nicht nur die zügige Durchführung des Verfahrens, sondern die gesamte Durchführbarkeit des Verfahrens durch einen Terminanspruch beeinträchtigt würde, wird aus diesen und anderen Ausführungen der Rechtsprechung nicht deutlich. Da das Topos der ‚Durchführbarkeit des Verfahrens‘ in ständiger Praxis auch als Abwägungsaspekt bei solchen Terminierungsentscheidungen genannt wird, in denen ein sachlich begründeter Antrag des Verteidigers vorliegt, kann nicht ausschließlich die Gefahr einer absichtlichen Verfahrensverhinderung gemeint sein. Daher muss die Gefährdung der Durchführbarkeit des Verfahrens getrennt von Missbrauchs-Befürchtungen betrachtet werden,157 womit es bei der Frage bleibt, wann und wodurch eine Gefahr für die Durchführbarkeit des Verfahrens bestehen soll. Einer der wenigen Beiträge, die auf eine Gefährdung der Durchführbarkeit des Verfahrens eingehen, ist von Schlothauer, der feststellt, es gäbe neben dem im Mittelpunkt stehenden Beschleunigungsinteresse des Angeklagten auch ein öffentliches Interesse an Beschleunigung in dem Sinne, dass keine dauerhafte Rees in FS-Müller-Dietz, S.  627 (644); Waßmer ZStW 118 (2006), S.  159 (163); vgl. auch Fezer in FS-Widmaier, S.  177 (178 f.); Beschlüsse des 68. DJT, S.  11; Scheffler MschrKrim 1985, 67 (68). 155  BVerfG NJW 1984, 862 (863). 156  BVerfG aaO; ebenso: BGHSt 15, 306 (308); NJW 1973, 1985 (1986). 157  Vgl. auch Wohlers NJW 2010, 2470 (2472), der eine Vermischung des Missbrauchsund des Funktionsfähigkeitstopos kritisiert.

B.  Durchführung des Verfahrens

191

Verschiebung des Verfahrens mit der Konsequenz des Entfalls eines Urteils möglich sein dürfe.158 In diesem Fall solle das grundsätzlich bestehende Dispositionsrecht des Angeklagten entfallen.159 Schlothauer sieht diese Ausführungen jedoch als praxisirrelevante, rein theoretische Überlegungen an.160 Zudem existiert noch eine Umschreibung von Deiters, der meint, das Recht des Angeklagten auf den Beistand des Verteidigers des Vertrauens habe „seine Grenze dort, wo seine Berücksichtigung mit einer sachgerechten Durchführung des Strafverfahrens nicht mehr in Einklang gebracht werden kann.“161 Dies soll dann der Fall sein, wenn Schwierigkeiten bei der Terminierung zu einer ungewissen Verzögerung des Verfahrens führen würden.162 Demnach könnte man von einer Gefährdung der Durchführbarkeit des Verfahrens sprechen, wenn keine ‚normale‘ Verzögerung des Verfahrens, sondern eine, deren Ende unabsehbar ist, zu befürchten ist. Letztlich ähneln die Ausführungen von Deiters denen von Schlothauer, sind jedoch allgemeiner gehalten. Weitere Versuche, die Gefährdung der Durchführung des Verfahrens aufgrund der Terminierungsentscheidung zu konkretisieren, lassen sich nicht finden. Nimmt man die Formulierung ‚Durchführbarkeit des Verfahrens‘ ernst, kann es ‚nur‘ auf die Eröffnung, Durchführung und den Abschluss der Hauptverhandlung durch ein Urteil ankommen. Die ‚Durchführbarkeit‘ des Verfahrens enthält im Unterschied zum Interesse an einer zügigen Durchführung des Verfahrens keine zeitliche Komponente außer jener, die das Verfahren an sich undurchführbar machen würde, wie eine Verjährung oder das Versterben des Angeklagten. Jenseits einer denkbaren, gesondert behandelten, bewussten Prozessverhinderung (C.), gibt es zwar theoretisch Fälle, in denen die Verhinderung des Verteidigers zur Undurchführbarkeit des Verfahrens führt. Zu denken wäre beispielsweise an einen dauerhaft erkrankten Verteidiger, welcher dennoch die Stellung als Verteidiger beibehält. Eine praktische Relevanz ergibt sich aus diesen Überlegungen jedoch nicht. Die Gefährdung des Abschlusses eines Verfahrens durch einen Anspruch des Angeklagten auf die terminliche Teilnahmemöglichkeit des Wahlverteidigers ist marginal und keinesfalls dazu geeignet, einen solchen Anspruch generell auszuschließen.

Schlothauer StV 2009, 578 (579). Schlothauer aaO. 160  Schlothauer aaO. 161  SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  9. 162 Ebenda. 158  159 

192

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

II.  Belange der Justiz Auch wenn die Durchführbarkeit des konkreten Verfahrens nicht gefährdet ist, könnte möglicherweise eine Beeinträchtigung der Strafrechtspflege gegeben sein. Eine solche Beeinträchtigung könnte zu befürchten sein, wenn es durch eine Stärkung des Anwesenheitsrechts zu einer Vielzahl von Terminverlegungen käme oder ein erhöhter Arbeitsaufwand bei der Terminierung zu einer Überlastung der Strafrechtspflege führen würde. Im Gegensatz zu anderen Diskussionen über Verteidigungsrechte findet sich der Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege durch eine Überlastung der Justiz aufgrund ‚übermäßiger‘ Verteidigung in Beiträgen zur Terminierung nicht sehr prominent. Dies mag daran liegen, dass eine Stärkung des Anspruchs auf eine Terminverlegung oder eine Terminabsprache kaum zur Diskussion steht. Dass Befürchtungen einer Beeinträchtigung der Strafrechtspflege einem durchsetzbaren Anspruch auf eine Anwesenheit des Verteidigers entgegengebracht würden, ist erwartbar. So spricht bspw. Julius in den Erläuterungen zur Abwägungsentscheidung des Vorsitzenden vom „Funktionsinteresse der Justiz“ als zu beachtenden Belang.163 Mit den negativen Aspekten einer Terminverlegung aus richterlicher Sicht beschäftigt sich Schellenberg, der neben den möglicherweise beeinträchtigten Interessen anderer Verfahrensbeteiligter und dem Beschleunigungsgebot vor allem den richterlichen Terminkalender und den Arbeitsaufwand der Geschäftsstellen betroffen sieht.164 Auch in einzelnen gerichtlichen Entscheidungen kommt dieser Aspekt zur Sprache. Das Oberlandesgericht Köln meint, ein Anspruch des Angeklagten auf Beachtung der Terminkollisionen des Verteidigers „würde zu dem mit einer geordneten Strafrechtspflege nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen, dass kurzfristig freiwerdende Termine nicht mehr aufgefüllt werden könnten, weil diese den Verteidigern nicht langfristig genug vorher mitgeteilt werden konnten.“165 Solche Bedenken werden allerdings vom Oberlandesgericht Bamberg als abwegig angesehen.166 Das Landgericht Bonn befürchtet, ein genereller Anspruch auf Terminabsprache würde zu einem erhöhten Arbeitsaufwand führen, der aufgrund des Geschäftsanfalls der Strafabteilungen am Amtsgericht nicht zu bewältigen sei.167 Weniger deutlich, aber in ähnlicher Weise äußert sich das Landgericht Düsseldorf.168 163 

HK-StPO/Julius §  213 Rn.  4. Schellenberg S.  39 f. 165  OLG Köln StV 2006, 145. 166  OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); vgl. auch LG Oldenburg StV 2008, 479. 167  LG Bonn StraFo 1996, 174 (175). 168  LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 164 

B.  Durchführung des Verfahrens

193

1.  Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege Nach dem Bundesverfassungsgericht folgt aus dem Rechtsstaatsgebot eine Pflicht des Staates, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu gewährleisten.169 Der Begriff der ‚Funktionsfähigkeit‘ oder ‚Funktionstüchtigkeit‘ der Strafrechtspflege dient zur (Mit-)Begründung zahlreicher Entscheidungen zum Strafprozessrecht.170 Zumeist wird in den Entscheidungen nicht ausgeführt, was dieser Begriff beinhaltet und – als Kehrseite – wodurch die Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden könnte. Die Funktionsfähigkeit wird als (mit)entschei­ dender Aspekt u. a. in Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung,171 zum Umfang der Beweisaufnahme,172 zur Anwesenheit(-spflicht) des Angeklagten,173 über Beweisverwertungsverbote,174 über das Anwesenheitsrecht eines Zeugenbeistands,175 über Zeugnisverweigerungsrechte,176 zur Präklusion von Verteidigungsrechten177 und über Beschlagnahmeverbote178 genannt. Auch die Festlegung einer Altersgrenze zur Handlungsfähigkeit eines Nebenklägers soll dem Erhalt der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege dienen.179 Naheliegender Weise ist anzunehmen, dass die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege dann eingeschränkt wäre, wenn die Funktionen der Strafrechtspflege nicht mehr (ausreichend) erfüllt werden könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es Aufgabe des Strafprozesses „den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten.“180 Der Staat sei demgemäß gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, um „der Gerechtigkeit […] zum Durchbruch“ zu verhelfen.181 Der Schutz elementarer Rechtsgüter erfordere, „dass Straftäter im 169  BVerfGE 41, 246 (250); so auch Gössel ZStW 94 (1982), 5 (26); Chr.  Laue GA 2005, 648 (653). 170  Vgl. dazu auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Abschn. H. Rn.  11 mzN. 171  BVerfGE 133, 168; BVerfG NJW 1987, 2662 (2662 f.). 172  BGH NJW 2013, 1545 (Rn.  11). 173  BVerfGE 41, 246 (250); 51, 324; BGHSt 56, 298 (Rn.  18); NStZ-RR 2008, 285 (285). 174  BVerfGE 80, 367; 130, 1; NJW 2009, 3225; BGHSt 53, 294 (Rn.  35); 56, 138 (Rn.  25); VerfGH Berlin JR  2010, 339. 175  BVerfG StraFo 2010, 243 (244). 176  BVerfGE 33, 367; 38, 312; NJW 1996, 1587; OLG Koblenz NStZ-RR 2008, 283 (284). 177  BVerfGE 122, 248; BGH NJW 2005, 2466. 178  BGHSt 43, 300 (303); vgl. auch BVerfGE 77, 65. 179  KG NStZ-RR 2011, 22 (24). 180  BVerfGE 122, 248 (270); 133, 168 (Rn.  56). 181  BVerfGE 33, 367 (383); 122, 248 (272); 130, 1 (26); 133, 168 (Rn.  57); NJW 2010, 592 (593); vgl. auch BVerfGE 51, 324 (343).

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden.“182 Aus dem „Prinzip der Rechtsstaatlichkeit“, der „Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen“ und der „Gleichbehandlung aller in Strafverfahren Beschuldigten“ folge die Notwendigkeit, dass eingeleitete Verfahren fortgesetzt und zu Ende geführt würden.183 Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs sind an dieser Stelle nicht weiterführend, da undurchsichtig bleibt, welchen Inhalt der Bundesgerichtshof der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zuspricht, wenn er von der „Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und [der] Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs“184, bzw. „dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege und effektiven Strafverfolgung“185 schreibt. Der verfassungsrechtlich begründete Topos der ‚Funktionsfähigkeit‘ wird, insbesondere als Antagonist zu Schutznormen des Beschuldigten, in der Literatur vielfach kritisiert.186 Lässt man diese Kritik zunächst außen vor und geht davon aus, dass die dargestellten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zutreffen, würde das Erfordernis der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege sowohl die Durchführbarkeit des einzelnen Strafverfahrens beinhalten als auch die Funktionsfähigkeit der Institutionen der Strafrechtspflege. Im Kontext des vorliegenden Themas ist eine Auseinandersetzung mit einer Gefahr für die Durchführbarkeit des konkreten Verfahrens wie dargelegt vernachlässigungswürdig (s. S. 190 f.). Zu einer möglichen Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Institutionen der Strafrechtspflege durch einen Terminanspruch finden sich außer den genannten vereinzelten Gerichtsentscheidungen (s.  S. 192) keine konkreten Ausführungen. Die Gefahr für die Strafrechtspflege durch einen Einfluss der Verteidigung auf die Terminierung fügt sich kaum in die oben aufgeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur ‚Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege‘ ein. Denn die Frage der Terminierung ist eine rein organisatorische, die auf den Inhalt der Verhandlung und das Ergebnis der Verhandlung ‚nur‘ insoweit einen Einfluss hat, als die Verhandlung unter Beteiligung des Verteidigers stattfinden 182 

BVerfGE 122, 248 (272 f.); 133, 168 (Rn.  57); vgl. auch BVerfGE 46, 214 (222 f.); 51, 324 (343). 183  BVerfGE 51, 324 (343 f.); 133, 168 (Rn.  57); ähnlich BVerfGE 46, 214 (223). 184  BGHSt 56, 298 (Rn.  18), Hervorhebung nicht im Original. 185  BGHSt 56, 138 (Rn.  25), Hervorhebung nicht im Original. 186  Z. B. Dallmeyer HRRS 2009, 429 (433); Grünwald JZ 1976, 767 (772 f.), Anm. zu BGHSt 26, 228; Hassemer StV 1982, 275; ders. KritV 1988, 336 (342); Jahn S.  189 ff.; Riehle KJ  1980, 316; Spaniol S.  237 f.

B.  Durchführung des Verfahrens

195

könnte. Bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen dieses auf die Sicherung der wirksamen Strafrechtspflege verwiesen hat, ging es im Kern um das Interesse an der materiellen Wahrheitsermittlung, die beispielsweise durch Zeugnisverweigerungsrechte oder Beweisverwertungsverbote gefährdet schien.187 Die Gefährdung, die im Rahmen der Terminierung vorgetragen wird bzw. stillschweigend als gegeben vorausgesetzt wird, liegt hingegen allein in der Überlastung der personellen Ressourcen der Justiz. Es liegt also kein absolutes Hindernis vor, wie es ein Beweisverwertungsverbot zur Erlangung genau dieses Beweises wäre. 2.  Überlastung der Strafrechtspflege Soweit es sich bei der vorgetragenen Gefahr um eine Frage von Kapazitäten handelt, kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Erweiterung der Kapazitäten in den Händen des Staates liegt. Die Bereitstellung funktionsfähiger Justizorgane ist nicht nur eine organisatorische Aufgabe, sondern auch eine Haushaltsverantwortung der zuständigen Staatsorgane.188 Entsprechend führt auch das Bundesverfassungsgericht aus, der Staat könne sich gegenüber dem Angeklagten nicht auf eine Überlastung der Justiz berufen, da es Teil der Rechtsstaatsgarantie sei, die notwendigen Mittel zu Verfügung zu stellen.189 Der jeweilige Gerichtspräsident habe die erforderlichen Maßnahmen zu treffen und die Gemeinschaft die erforderlichen Mittel bereitzustellen.190 Eine Überlastung des Gerichts sei kein ‚schicksalhaftes Ereignis‘.191 Die Feststellung, dass der Angeklagte nicht die Verantwortung für die Geschäftslage des Gerichts trägt, findet sich vereinzelt in Entscheidungen zu Terminverlegungen wieder.192 Angesichts der Verantwortung des Staates für eine nicht nur funktionierende, sondern eine an rechtsstaatlichen Grundsätzen und Garantien ausgerichtete Strafrechtspflege (dazu noch S. 203 ff.) kann durch den Hinweis auf eine unzureichende Ausstattung der Gerichte nicht ohne Weiteres in elementare Verteidigungsrechte des Angeklagten eingegriffen werden.193 In dieser Weise argumentiert auch Albrecht, der auf den Gedanken abstellt, dass wer den Notstand in vermeidbarer Weise herbeigeführt hat, sich nur eingeschränkt auf den Notstand Vgl. u. a. BVerfGE 33, 367; 80, 367; 130, 1; dazu auch Hassemer StV 1982, 275 (275). Vgl. u. a. Rieß StraFo 2000, 364 (367); I. Roxin GA 2010, 425 (434). 189  BVerfGE 36, 264 (272 ff.); StV 2015, 39 (41 f.). 190  BVerfGE 36, 264 (272 ff.). 191  BVerfGE 36, 264 (275). 192  OLG Braunschweig StV 2012, 721 insoweit nicht abgedr.; vgl. auch OLG Braunschweig StraFo 2004, 242 (242). 193 Ähnlich Krumm StV 2012, 177 (182); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440). 187  188 

196

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

berufen könne.194 Eine Abwägung mit Rechten des Beschuldigten sei erst dann zu legitimieren, wenn die Funktionsfähigkeit tatsächlich bedroht sei und die Bedrohung zudem nicht durch andere Maßnahmen abgewendet werden könne.195 Auch Rieß hält die Überlastung der Justiz als Legitimation für Einschränkungen der Betroffenenrechte für inakzeptabel, da die ausreichende Ausstattung der Justiz eine Pflicht des Staates sei.196 Dies gelte zumindest so lange, wie die Ausgaben für die Justiz im Staatshaushalt nicht außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit zur Bedeutung der Pflicht des Staates zur Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege stünden. Er ergänzt diese Ansicht mit dem Hinweis auf die Haushaltszahlen, nach denen 3  –  4  % des Gesamthaushalts der Länder und unter 0,2  % des Bundeshaushalts für die Justiz – nicht alleine die Strafjustiz – aufgewendet würden.197 Neben dem nicht von der Hand zu weisenden Argument, dass die Ressourcen der Justiz nicht feststehend, kein ‚Schicksal‘, sondern den Aufgaben und Belastungen der Justiz anzupassen sind, stellt sich, wie Albrecht es andeutet, die Frage, inwiefern eine derartige Überlastung der Justiz, die eine Funktionsfähigkeit bedrohen würde, überhaupt zu befürchten ist. a)  Datenlage zur Belastung der Justiz Eine Überlastung der Justiz wird in der Bundesrepublik seit mindestens 50 Jahren durchgängig beklagt,198 und eine faktische Basis dieser Klagen wird ebenso langandauernd bezweifelt.199 Verschiedene Untersuchungen, die sich mit den Zahlen der Justizstatistiken auseinandersetzten und sich auf unterschiedliche Zeiträume von Beginn der 1970er Jahre bis Ende der 1990er Jahre beziehen, konnten keine oder nur leicht gestiegene Belastungszahlen feststellen und kommen alle zu dem Resümee, dass keine besorgniserregende Überlastung der Strafjustiz feststellbar sei.200 194 

Albrecht NJ 1994, 396 (399).

195 Ebenda.

Rieß StraFo 2000, 364 (367). Rieß aaO; vgl. auch Meyer-Goßner/Ströber ZRP 1996, 354 (357). 198  BT-Drucks. 10/1313 S.  1; BT-Drucks. 12/1217; Laufhütte in FS-Salger, S.  337; Müller-Meiningen Jr. in Schuld und Sühne, S.  49 (60); Schünemann StraFo 2010, 90 (94); Wohlers NJW 2010, 2470 (2470) mwN; vgl. auch BVerfGE 133, 168 (Rn.  3) mwN; Brause NJW 1992, 2865; Freyschmidt/Ignor NStZ 2004, 465 (466); zur Reform-Historie Kempf StV 1997, 208 (208) mwN; entsprechende Diskurse inkl. der Verantwortungszuweisung an die Verteidigung existierten wohl schon in der Weimarer Republik: Friedmann S.  72 f. 199  Peters, Justiz als Schicksal S.  184; Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (11 f.); ders. ZStW 113 (2001), 271 (273); Schünemann ZStW 114 (2002), 1 (24); Klemke/Elbs Rn.  793. 200  Feltes in Dölling/Feltes et al., S.  63 (63 ff.); Gössel, Gutachten zum 60. DJT, S.  12 f.; 196 

197 

B.  Durchführung des Verfahrens

197

Betrachtet man die aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamtes, werden diese Ergebnisse bestätigt. Rieß schlägt als Indikator für eine Überlastung der Justiz nicht die absolute Anzahl der Verfahren vor, sondern die sog. Restquote, also die Anzahl der Verfahren, die am Ende des Jahres noch unerledigt sind im Vergleich zu der Zahl der Neueingänge in dem betreffenden Jahr.201 Bezogen auf diese Restquote lassen die aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamts keine besorgniserregende Belastung erkennen, sondern einen Abbau der anhängigen Verfahren. 2012 standen 741.027 Neuzugänge an deutschen Strafgerichten 749.668 erledigte Verfahren gegenüber. Auch 2011 lag die Zahl der Erledigungen über zweitausend Verfahren höher als die Zahl der Neuzugänge. Aufgeschlüsselt nach Gerichten zeigt sich, dass an den Landgerichten und Oberlandesgerichten niedrige Restquoten vorhanden sind, die oben genannte Zahl der Mehr­erledigungen also aus den Erledigungen der Amtsgerichte herrührt.202 Bei einer Gesamtbetrachtung der letzten fünfzehn Jahre ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Restquote an den Amtsgerichten ist fast durchgehend negativ; lediglich in drei Jahrgängen ist eine positive Restquote feststellbar, wobei diese im Maximum bei 5.572 Verfahren liegt.203 Die Anzahl der Neuzugänge an den Amtsgerichten sank seit 2003 nach einem starken Anstieg kontinuierlich und lag im Jahr 2012 weit unter dem Niveau zu Beginn des Anstiegs im Jahr 1995.204 An den Landgerichten lag innerhalb von fünfzehn Jahren in acht Jahrgängen eine positive Restquote vor; allerdings betrug diese im Maximum 304 Fälle – bei einer gleichzeitigen Erledigungszahl von jeweils ca. 14.000 Verfahren pro Jahrgang.205 Eine Statistik, die einen Aufschluss über den Zeitraum zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens und Beginn der Hauptverhandlung geben würde und dadurch möglicherweise Rückschlüsse auf einen Terminierungsstau zulassen würde, existiert nicht. Entgegen der allgemein beklagten Überlastung der Justiz lässt sich somit zumindest für den Bereich des Hauptverfahrens anhand verschiedener Studien für die Jahre 1971 bis 2000 und den vom statistischen Bundesamt bis 2013 herausgegebenen Zahlen weder eine Überlastung noch eine erheblich angestiegene Belastung der Gerichte feststellen. Kempf StV 1997, 208 (209); Kudlich, Gutachten zum 68. DJT S.  19 f.; Rieß in FS-Sarstedt, S.  253 (264 ff.); vgl. auch Barton in FS-Bemmann, S.  524 (528); Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (11 f.). 201  Rieß in FS-Sarstedt, S.  253 (269 f.). 202  https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Rechtspflege/Gerichtsverfahren/Tabellen/Gerichtsverfahren.html, abgerufen am 08.07.2014. 203  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, Fachserie 10 Reihe 2.3, 2012, S.  14 f. 204  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO, S.  13. 205  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO, S.  52 f.

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

b)  Belastung durch Terminierung Hinsichtlich der Belastung der Justiz ist zudem zu beachten, dass ein Anspruch auf Anwesenheit des Verteidigers nicht zu mehr Hauptverhandlungsterminen führen würde, sondern lediglich in manchen Fällen eine Umterminierung nötig werden würde.206 Das heißt, eine Belastung könnte sich nur aus einem Anstieg der Arbeitsbelastung bei der Vorbereitung der Verfahren durch vorzunehmende Terminabsprachen oder Terminverlegungen ergeben. Daneben kann es bei einer kurzfristigen Verhinderung des Verteidigers dazu kommen, dass ein freiwerdender Termin nicht neu belegt werden kann. Dies führt dennoch nicht zu einer Erhöhung der Anzahl der insgesamt durchzuführenden Termine. Die Höhe der möglicherweise entstehenden Arbeitsbelastung lässt sich nicht abschließend feststellen. Anhaltspunkte ergeben sich aus der Anzahl der beteiligten Verteidiger und der durchschnittlich erhobenen Terminanträge der Verteidigung. Nur wenn der Angeklagte sich überhaupt eines Verteidigers bedient, steht eine Terminabsprache im Raum. Auch Terminanträge der Verteidigung setzen die Existenz einer formellen Verteidigung voraus. Ein nicht unerheblicher Teil der amtsgerichtlichen Verfahren findet hingegen gänzlich ohne Beteiligung eines Verteidigers statt. Der Anteil der Verfahren, in denen in der Hauptverhandlung kein Verteidiger auftrat, lag im Jahr 2012 an den Amtsgerichten bei 52  %.207 Bei Verfahren vor dem Jugendrichter wurde für die Jahre 1971 bis 1983 sogar ein Anteil von 80  % der Hauptverhandlungen ohne formelle Verteidigung ermittelt.208 Bei amtsgerichtlichen Verfahren, in denen eine formelle Verteidigung bestand, nahmen durchschnittlich 1,1  Verteidiger pro Verfahren – nicht pro Angeklagtem – teil.209 Auch in erstinstanzlichen Verhandlungen vor dem Landgericht hat die überwiegende Mehrheit der Angeklagten (98  %) nur einen Verteidiger.210 Nach der Studie von Dölling/Feltes et al. richtet sich die Hauptverhandlung in 75,3  % der Verfahren gegen nur einen Angeklagten; nur in 10  % der Verfahren gab es drei oder mehr Angeklagte.211 Somit ist in der weit überwiegenden Anzahl der Gerichtsverfahren – wenn überhaupt – ein Verteidiger tätig. Bei der statistischen Analyse der Belastung der Gerichte durch Verteidigungsbelange muss beachtet werden, dass der weitaus größte Anteil der erstinstanzlichen Strafverfahren am Amtsgericht durchgeführt wird. Von den gesam206  207 

Vgl. OLG Frankfurt/M StV 1993, 6 (6); LG Oldenburg StV 2008, 479. Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 10 Reihe 2.3, 2012,

S.  36. 208  Rieß StV 1985, 211 (212), der dies als „rechtspolitisch beunruhigend“ (214) bezeichnet; s. auch Ostendorf/Sommerfeld JGG Grdl. z. §§  67–69 Rn.  6 mwN. 209  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  36. 210  Dölling/Feltes StV 2000, 174 (175). 211  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (114).

B.  Durchführung des Verfahrens

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ten im Jahr 2012 an Amts- und Landgerichten erledigten Verfahren und durchgeführten Hauptverhandlungen wurden 98  % am Amtsgericht erledigt bzw. durchgeführt.212 Die Anzahl der Beschuldigten und die Anzahl der Hauptverhandlungstage ist in Verfahren am Landgericht durchschnittlich höher als in Verfahren am Amtsgericht. Dennoch relativiert sich die Verteilung der Gesamtbelastung kaum, wenn man anstatt der Gesamtzahl der Verfahren die Anzahl der Angeklagten oder der Hauptverhandlungstage betrachtet. Gegen 97,7  % der Angeklagten wurden Verfahren vor dem Amtsgericht geführt und 94,1  % der Hauptverhandlungstage sind Hauptverhandlungstage am Amtsgericht.213 Daten zur Häufigkeit von Terminsanträgen wurden in zwei verschiedenen Studien erhoben. Nach einer Aktenanalyse von Vogtherr kam es in 14  % der Verfahren, in denen mindestens ein Verteidiger beteiligt war, zu Umterminierungsanträgen; dabei wurde in 39 von 41 Verfahren nur ein einziger Antrag gestellt.214 Anzeichen für vorherige Terminabsprachen konnte Vogtherr in 18  % der Akten ausmachen.215 Allerdings relativiert er die Übertragbarkeit dieses Ergebnisses, da es sich bei einer überdurchschnittlichen Anzahl der untersuchten Akten um „schwerere Verfahren“ handele.216 In der späteren Studie von Dölling/ Feltes et al. wurden lediglich in 4,9  % der Landgerichtsverfahren in Ballungsgebieten Umterminierungsanträge festgestellt, wobei Anträge vor und nach Beginn der Verhandlung zusammengezählt wurden.217 Im Vergleichsbezirk des Landgerichts Karlsruhe waren es nur 2,7  %.218 Umterminierungen – unabhängig vom Anlass – fanden in 14,7  % der Verfahren in den Ballungsgebieten statt. Knapp 10  % der Verfahren wurden einmal umterminiert, 3,7  % zweimal und lediglich 1,1  % der Verfahren häufiger. Im Vergleichsbezirk lagen die Quoten merklich niedriger.219 Ebenfalls untersucht wurde die Anzahl der Unterbrechungen und Aussetzungen aufgrund eines Antrages eines Verfahrensbeteiligten. Demnach wurden in den Ballungsgebieten 92,1  % der Verfahren nicht unterbrochen. In 5,7  % kam es zu einer, in 2,2  % zu mehr als einer Unterbrechung. Im Vergleichsbezirk lag der Anteil der Verfahren ohne Unterbrechung bei 98,6  %. Die Zahl der Aussetzungen liegt niedriger: 3,9  % (Vergleichsbezirk 1,4  %) der Verfahren wurden einmal ausgesetzt; zwei Aussetzungen wurden in 0,9  % (0  %) 212 

Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  15, 36, 53, 74. Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  24, 36, 62, 74. 214  Vogtherr S.  250 f. 215  Vogtherr aaO. 216  Vogtherr aaO, ohne genauere Angaben zu den Tatvorwürfen und Umfang der Fälle. 217  Dölling/Feltes StV 2001, 174 (175); Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (157). 218  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (157). 219  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (188 f.). 213 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

der Verfahren festgestellt.220 Eine Aufschlüsselung, welche Verfahrensbeteiligten diese Anträge gestellt haben, lässt sich der Studie nicht entnehmen. Aus den Zahlen ergibt sich ein überschaubarer Umfang der möglichen Belastung durch einen Terminierungsanspruch. Am Amtsgericht entfällt jeglicher Aufwand in der Hälfte der Verfahren bereits aufgrund der fehlenden formellen Verteidigung. In der anderen Hälfte der Verfahren sind weit überwiegend lediglich die terminlichen Belange eines einzigen Verteidigers zu beachten. Dies umfasst bereits 98  % der erstinstanzlichen Verfahren. Doch auch in den erstinstanzlichen Verfahren am Landgericht ist in der überwiegenden Anzahl der Verfahren (ca. 75  %) nur ein Verteidiger beteiligt. Auch die Menge der Umterminierungsanträge ist mit unter 5  % überschaubar. Es ist also nicht zu erwarten, dass sich aufgrund eines Anspruchs auf Beachtung der terminlichen Belange eine derartige Überlastung der Gerichte ergeben würde, dass dies die Funktionsfähigkeit der Strafgerichte gefährden würde. 3.  Alternativen zur Entlastung Selbst wenn man eine solche Gefährdung annehmen würde, müsste zunächst geprüft werden, ob keine alternativen Möglichkeiten bestehen, dieser Gefährdung entgegenzuwirken als die Einschränkung grundlegender Verteidigungsrechte. Hinsichtlich des Mangels an anderweitigen Abwendungsmöglichkeiten bestehen erhebliche Bedenken. Die Möglichkeiten, die Strafrechtspflege zu entlasten in aller Breite und Tiefe zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Zahlreiche Juristen und verschiedene Gremien haben sich bereits mit dieser Frage beschäftigt.221 Daher werden in gebotener Kürze nur Möglichkeiten aufgezeigt, die als Alternativen zur Einschränkung der Verteidigung bestehen. Vorgeschlagen wird unter anderem eine Stärkung des ultima-ratio-Gedankens in Form einer Entkriminalisierung von Bagatelldelikten und einer Ausweitung der Erledigungsmöglichkeiten außerhalb der Hauptverhandlung.222 In der Diskussion um die Gründe der Dauer der Strafverfahren und Belastung der GeDölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (188). Vgl. nur Zusammenfassung bei Bernsmann ZRP 1994, 329 (332) und Chr.  Laue in Dölling/Feltes et al., S.  12, beide mwN; Verhandlungen des 60. DJT mit Gutachten Gössel; Verhandlungen des 68. DJT mit Gutachten Kudlich. 222  12. und 13. Beschluss des 68. DJT, S.  11; Albrecht NJ 1994, 396 (399); Bernsmann ZRP 1994, 329 (332); Faust in Verhandlungen des 68. DJT, N 39 (42); Gössel, Gutachten zum 60. DJT, S.  54 ff.; Klemke/Elbs Rn.  795; Chr.  Laue in Dölling/Feltes et al., S.  12; Linden in Verhandlungen des 60. DJT, M 35 (40 f.); Peters, Justiz als Schicksal S.  184; Rieß StraFo 2000, 364 (368); Thomas in Verhandlungen des 68. DJT, N  25 (33); Weigend, in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (15); vgl. auch Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (358 f.). 220  221 

B.  Durchführung des Verfahrens

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richte wird vor allem kritisch angemerkt, dass immer mehr gesellschaftliche Bereiche kriminalisiert werden und gerade in den neu erfassten Bereichen eine anwendungsunfreundliche Kodifizierung zu umfangreichen Verfahren mit einem großen und schwer zu subsumierenden Verfahrensstoff führt.223 Da der zeitlich größte Teil des Strafverfahrens vom Ermittlungsverfahren eingenommen wird, wird teilweise favorisiert, den Schwerpunkt einer Reformdiskussion auf das Ermittlungsverfahren zu fokussieren, da eine mögliche Entlastung innerhalb des Hauptverfahrens nur eine marginale Auswirkung hätte.224 Als wesentliche Voraussetzung für eine effiziente Durchführung von Strafverfahren wird immer wieder die ausreichende personelle und materielle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden genannt;225 dies umfasst auch die effektive Nutzung technischer Mittel.226 Die Effizienz der Bearbeitung hängt jedoch nicht nur an der Ausstattung, sondern auch der Organisation der Abläufe und Aufgabenzuweisungen 227 sowie der sachgemäßen Vorbereitung der einzelnen Hauptverhandlungen, um diese effektiv durchzuführen.228 Im Bereich der Organisation 223  Beschlüsse des 68. DJT, S.  11; Kohlmann in FS-Pfeiffer, S.  203 (206); Kudlich, Gutachten zum 68. DJT S.  20 f.; Schünemann ZStW 114 (2002), 1 (25); Wohlers NJW 2010, 2470 (2470) mwN; vgl. auch BVerfGE 133, 168 (Rn.  3) mwN; BT-Drucks. 8/976 S.  16; Albrecht NJ 1994, 396 (400); Kempf StV 1997, 208 (209 ff.); Rieß StraFo 2000, 364 (368); Faust in Verhandlungen des 68. DJT, N 39 (40); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (358 f.); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (166). 224  Albrecht NJ 1994, 396 (400) mwN; Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (13); vgl. auch Einzelfallbeschreibungen bei Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (274 f.). 225  14. Beschluss des 68. DJT, S.  11; Gemeinsame Kommission DRiZ 1989, 241; Faust in Verhandlungen des 68. DJT, N 39 (39 ff.); Fezer in FS-Widmaier, S.177 (178 f.); Harms in Verhandlungen des 68. DJT, N  11 (12); Kühne Rn.  274; Scheffler MschrKrim 1985, 67 (68); ders. GA 2005, 449 (466 f.); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (358 f.); vgl. auch BVerfGE 133, 168 (Rn.  3) mwN; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  6; Harms in Verhandlungen des 68. DJT, N  11 (12); Kloepfer JZ 1979, 209 (209); Kohlmann in FS-Pfeiffer, S.  203 (206); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (166); Wohlers NJW 2010, 2470 (2470) mwN; krit. Linden in Verhandlungen des 60. DJT, M 35 (36). 226  Vgl. Gemeinsame Kommission DRiZ 1989, 241; Barton StV 1996, 690 (694); Dölling in FS-Meyer-Goßner, S.  101 (111); Faust in Verhandlungen des 68. DJT, N 39 (39 f.); Gössel, Gutachten zum 60. DJT, S.  15; Scheffler GA 2005, 449 (466); P.  Tiedemann S.  31; Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (21). 227  BVerfG NJW 2006, 672 (674 ff.); Gemeinsame Kommission aaO; Dölling aaO; Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (180 f.); Fezer in FS-Widmaier, S.177 (178 f.); Gössel, aaO; Jescheck JZ 1970, 201 (204); Kühne Rn.  274; Linden in Verhandlungen des 60. DJT, M 35 (35 f.); Weigend aaO; wohl auch Arenhövel/Otte DRiZ 2010, 227 (230); vgl. auch BVerfG StV 2006, 81 (85 f.); Ignor/Matt StV  2002, 102 (104); Klemke/Elbs Rn.  794. 228  Barton StV 1996, 690 (694); Ignor/Matt StV 2002, 102 (106 f.); Klemke/Elbs Rn.  794; vgl. auch Schellenberg S.  13 f.

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

und Ausstattung ist nicht nur an den staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Bereich zu denken, sondern auch an die Organisation und Ausstattung der Verwaltung.229 Bei einer Durchsicht der Rechtsprechung zur Beschleunigung finden sich zahlreiche Beispiele von Verzögerungen, die rein organisatorischer Natur waren, wie Zustellungen und Aktenübersendungen.230 Das heißt, das Verfahren könnte allein durch eine Verringerung der Liegezeiten einer Akte in Geschäftsstellen und Poststellen erheblich verkürzt werden.231 Barton stellte fest, dass zwischen Datum der Revisionsbegründung und Eingang der Akten bei der GBA rund 12 Wochen liegen.232 Eine durchschnittliche Akte braucht für den Weg nach Karlsruhe länger als die gesamte nachfolgende Bearbeitung der Akte durch die GBA andauert.233 In den verschiedenen Modellprojekten zur zügigen Durchführung ausgewählter Strafverfahren – meist im Jugendbereich  – wurde ein besonderes Augenmerk auf die interne Organisation, insbesondere die fernmündliche Kommunikation, schnelle Aktenwege und zügige Zustellungen gelegt, was eine schleunige Durchführung erst ermöglichte.234 4.  Zwischenfazit Anhand der verfügbaren Zahlen lässt sich weder eine steigende Belastung der Strafgerichte noch eine kontinuierlich bestehende Überlastung der Strafjustiz feststellen, die eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege befürchten lassen müsste.235 Rieß brachte in die Diskussion um die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege den Gedanken ein, die Funktion des Strafprozesses könne nicht nur durch eine reale Überlastung beeinträchtigt werden, sondern auch durch die öffentliche Wahrnehmung tatsächlich nicht bestehender Überlastung.236 Zur Erfüllung der Aufgabe der Strafrechtspflege, Rechtsfrieden wiederherzustellen sei es wichtig, wie die Leistungsfähigkeit der Strafjustiz von 229 

BVerfG NJW 2006, 1336 (1339); StV 2006, 81 (85 f.); Gemeinsame Kommission aaO; Dölling aaO; Faust in Verhandlungen des 68. DJT, N 39 (39 f., 42); Kuchenbauer 1995, S.  28, 40 zitiert nach: Törnig in Dölling/Feltes et al, S.  71 (79); Jescheck JZ 1970, 201 (204); Scheffler GA 2005, 449 (466); Weigend aaO; vgl. auch LG Oldenburg StV 2010, 479. 230  Bspw. BVerfG NStZ 2005, 456 (457); NJW 2006, 1336 (1339); StV 2006, 81 (86); LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Mönchengladbach StV 1998, 533 (533); LG Frankfurt/M StV  2014, 758; vgl. auch OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); LG Berlin StV 2003, 441 (441). 231  Kuchenbauer 1995, S.  28, 40 zitiert nach: Törnig in Dölling/Feltes et al, S.  71 (79). 232  Barton StraFo 1998, 325 (327). 233  Barton aaO 234  K. A. Laue S.  94 f., 100 f., 126; Khostevan S.  158, vgl. jedoch S.  148; Stahlmann-Liebelt in Schnelle Reaktion, S.  123 (124); P.  Tiedemann S.  28 ff. 235  So auch Hassemer StV 1990, 328 (331); Rieß NStZ 1994, 409 (411). 236  Rieß aaO (410 f.); vgl. auch BVerfGE 133, 168 (Rn.  57).

B.  Durchführung des Verfahrens

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der Allgemeinheit empfunden würde.237 Mit der Bekämpfung einer ‚gefühlten‘ Beeinträchtigung der Strafrechtpflege eine Einschränkung der Beschuldigtenrechte zu legitimieren, erscheint rechtsstaatlich indiskutabel. Zudem kann dieses Argument auch andersherum gewendet werden. So führt Müller-Dietz aus, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege beinhalte im Wesentlichen auch das Vertrauen in die Strafrechtspflege, und dieses Vertrauen werde bei einer Vernachlässigung des fairen Verfahrens gefährdet.238 Eine subjektiv wahrgenommene Überlastung taugt also nicht zur Einschränkung von Verteidigungsrechten. Ein weiterer Einwand gegen einen Anspruch auf terminliche Ermöglichung der Anwesenheit könnte darin liegen, dass zwar bisher keine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Justiz bestehe, diese aber durch eine solche Erweiterung der Verteidigungsrechte – besser gesagt: den Wegfall der Einschränkung – ausgelöst werden könnte. Einem solchen Einwand wäre schon deshalb mit Skepsis zu begegnen, weil sich in einer Vielzahl von Diskussionen über Verteidigungsrechte pauschal auf eine Gefahr bezogen wurde, die sich empirisch nicht bestätigen lässt (vgl. S. 196 f.), so dass diese Befürchtungen an Plausibilität verloren haben. Zum anderen erscheint es kaum gerechtfertigt aufgrund einer bloßen Vermutung über mögliche Auswirkungen Beschuldigtenrechte einzuschränken, zumal zuvor zu prüfen wäre, ob eine Umsetzung dieses Anspruchs möglich wäre, die die Beanspruchung der Justiz mitbedenkt. Und letztlich verbleibt es bei der Feststellung, dass zu Gunsten der Funktionsfähigkeit der Justiz höchstens dann Beschuldigtenrechte eingeschränkt werden könnten, wenn keine anderen Möglichkeiten bestünden der Gefahr entgegen zu wirken.239 Dass keinerlei alternative Möglichkeiten bestehen, kann jedoch nicht festgestellt werden. Da es keine innerprozessualen Problemlagen sind, die zur Diskussion stehen, sondern ‚lediglich‘ eine organisatorische Frage, kann zum einen eine höhere Ausstattung der Justiz angeführt werden. Doch auch jenseits der Ressourcenverteilung wurden bereits eine Vielzahl von Entlastungsvorschlägen in den Raum gestellt (s. S. 200 ff.). Dass der Schutz der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege einem Terminanspruch zwingend entgegenstünde, ist somit mehr als fraglich. 5.  Verhältnis zwischen der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und den Beschuldigtenrechten Auch das Verhältnis zwischen dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und den Beschuldigtenrechten spricht gegen die Möglichkeit, letzRieß aaO; vgl. auch BVerfG aaO. Müller-Dietz ZStW 93 (1981), 1177 (1269). 239 Vgl. Albrecht NJ 1994, 396 (399). 237 

238 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

tere zu Gunsten des ersteren einzuschränken. Eine funktionsfähige Strafrechtspflege im Sinne des Rechtsstaates ist nur eine Strafrechtspflege, welche an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichtet ist.240 Dies ergibt sich schon daraus, dass sich die staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung einer wirksamen Strafverfolgung aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet und sich somit zwingend auf die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen ergo die Beschuldigtenrechte achtenden Verfahrens bezieht. Schon umgangssprachlich stellt ein ‚kurzer Prozess‘ eher eine Gefährdung, denn eine Sicherung der Zwecke der Strafrechtspflege dar.241 Unbestritten ist der Anspruch auf jederzeitigen Beistand eines Verteidigers wesentlicher Bestandteil des rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. S. 91 ff.).242 So wurde schon in den Erläuterungen des Herrenchiemsee-Entwurfs des Grundgesetzes festgehalten, dass der Anspruch auf einen Verteidiger in einem Rechtsstaat selbstverständlich sei.243 Wenn man also die Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung als Teil des rechtsstaatlichen Verfahrens ansieht, kann die Ermöglichung dieser Anwesenheit kaum dem Interesse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege entgegenstehen.244 Das Bundesverfassungsgericht hat zudem die ‚Gerechtigkeit‘ als Ziel des Strafprozesses in die Begründung der grundgesetzlich gebotenen Aufrechterhaltung einer funktionierenden Strafrechtspflege eingebracht.245 Gerechtigkeit als Verfahrensziel kann aber keinesfalls von einem gerechten Verfahren abgetrennt werden.246 Angesichts dessen wird offenkundig, dass die ‚Funktionstüchtigkeit‘ der Strafrechtspflege nicht in Konkurrenz zur Anwesenheit des Strafverteidigers stehen kann, will man nicht die Funktion der formellen Verteidigung und die Stellung des Angeklagten im Prozess grundlegend in Frage stellen. Entsprechend interpretieren verschiedene Stimmen der Literatur die vereinzelt vom Bundesverfassungsgericht genutzte Formulierung von den ‚Erfordernissen einer an rechtsstaatlichen Gewährleistungen ausgerichteten Strafrechtspflege‘247 als inhaltli-

240  U. a. Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. Abschn. H. Rn.  13; Hassemer StV 1982, 275 (278 f.); Chr.  Laue GA 2005, 648 (656 f.); Lorenz GA 1992, 254 (278); Rieß StraFo 2000, 364 (368); Roxin/Schünemann §  1 Rn.  7. 241  Vgl. BVerfGE 133, 168 (Rn.  58 f.); BGH NJW 2013, 1545 (Rn.  11); Küng-Hofer S.  30 f.; Paeffgen/Wasserburg GA 2012, 535 (535). 242  U. a. BGHSt 38, 7 (10); „notwendiger Bestandteil“; vgl. auch Bernsmann StraFo 1999, 226 (230); Kortz S.  171 f.; Salditt StV 1993, 442 (442). 243  Bericht über den Verfassungskonvent (Hrsg.: Verfassungsausschuss) S.  94. 244 Vgl. Neuhaus StV 2002, 43 (45); Spaniol S.  238. 245  BVerfGE 33, 367 (383); 133, 168 (Rn.  57); NJW 2010, 592 (593); vgl. auch Rzepka S.  216 f. 246  Vgl. auch Spaniol S.  237 f. 247  BVerfGE 77, 65 (76, 82).

B.  Durchführung des Verfahrens

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che Distanzierung von einer Einschränkung der Beschuldigtenrechte zum Schutz der ‚funktionstüchtigen Strafrechtspflege‘.248 6. Zusammenfassung Sowohl die allgemeine Gefahr einer Beeinträchtigung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege durch eine Überlastung als auch die Herbeiführung einer solchen Gefahr durch einen Einfluss der Verteidigung auf die Terminierung bleibt denkbar unkonkret.249 Die Anzahl der Hauptverhandlungstermine würde sich nicht erhöhen. Auch die Arbeitsbelastung durch Terminansprachen oder Terminverlegungen bliebe angesichts der Zahl der Verteidiger pro Verfahren überschaubar. Zu Recht wurde in der Literatur mehrfach vorgebracht, dass ein Eingriff in Verteidigungsrechte zumindest voraussetzen würde, dass tatsächlich ein Zusammenbruch der Strafrechtspflege bevorstünde.250 Darüber hinaus muss beachtet werden, dass es dem Staat obliegt, die zur Durchführung von Strafverfahren benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, eine Überlastung im Regelfall also durch eine entsprechende Ausstattung aufzulösen ist und nicht die Beeinträchtigung von Verteidigungsbelangen verlangt. Hinzu kommt, dass die Rechte des Angeklagten der Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht entgegenstehen, sondern zwingender Bestandteil sind. Eine ggf. entstehende Überlastung der Justiz müsste somit aufgrund der tatsächlichen Einflusssphären und rechtlichen Pflichten durch die Gerichte und ggf. den Haushaltsgeber aufgefangen werden. Wie Grünwald bereits 1976 vorbrachte, bedeutet die Verfassungsgarantie der Rechtsstaatlichkeit die Beschränkung der Durchsetzung der Interessen von Staat und Allgemeinheit zum Schutz des Einzelnen und nicht andersherum die Einschränkung der Verfahrensrechte des Einzelnen zur Durchsetzung der öffentlichen Interessen.251

III.  Zügige Durchführung des Verfahrens Die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege soll auch den Abschluss von Strafverfahren in angemessener Zeit umfassen.252 Das öffentli248  Lorenz GA 1992, 254 (277 f.); Neuhaus StV 2002, 43 Fn.  30; zurückhaltend Löwe/ Rosenberg/Kühne Einl H Rn.  10; krit. Rieß StraFo 2000, 364 (364 f.). 249 Vgl. Wohlers NJW 2010, 2470 (2471 f.). 250  Albrecht NJ 1994, 396 (399); Hassemer StV 1982, 275 (280); Wohlers aaO. 251  Grünwald JZ 1976, 767 (772 f.). 252  U. a. BVerfGE 41, 246 (250); 122, 248 (273); 130, 1 (27); StV 2009, 673 (673); NJW  2010, 592 (593); Beschlüsse des 68. DJT, S.  9; Landau NStZ 2011, 537 (545); Chr.  Laue GA 2005, 648 (657 f.); Rieß NStZ 1994, 409 (409); Schroth NJW 1990, 29 (30); Trüg StV 2010, 528 (529).

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

che Interesse an einer zügigen Durchführung des Verfahrens soll einem unbedingten Anwesenheitsrecht des Verteidigers entgegenstehen, wird aber auch in konkreten Verfahren in die Ermessensentscheidung über Terminsanträge einbezogen (vgl. S. 19; 44  f.). Um zu begutachten, ob ein Interesse der Allgemeinheit an einer zügigen Durchführung des Strafverfahrens das Interesse des Angeklagten an der Anwesenheit des gewählten Verteidigers dispensieren kann, ist zu untersuchen, welche Interessen der Allgemeinheit durch eine zügige Durchführung geschützt werden (1.), inwiefern diese Interessen durch einen Terminanspruch beeinträchtigt würden (2.) und letztlich inwieweit dies die Einschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten legitimieren kann (3.). Da das Beschleunigungsgebot nur die zügige Durchführung des Verfahrens zum Schutze des Beschuldigten umfasst (vgl. S. 179 ff.), sind auch die Belange, die zuweilen als Begründung für eine objektive Dimension des Beschleunigungsgebots genannt werden (s.  S. 169 ff.) einzubeziehen. 1.  Zwecke der zügigen Durchführung Die ersten historischen Quellen zur zügigen Durchführung des Strafverfahrens beziehen sich alleine auf den Schutz des Angeklagten, so Art.  40 der Magna Charta von 1215 und der Habeas Corpus Act von 1679. Heute scheint jedoch das Interesse der Allgemeinheit an der zügigen Durchführung von Strafverfahren durchweg anerkannt (vgl. S. 169). Das Bundesverfassungsgericht führt regelmäßig aus, die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sei innerhalb einer solchen Zeitspanne nötig, in der „die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann“.253 „Unnötige Verfahrensverzögerungen“ würden „nicht nur die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage“ stellen, sondern auch das „öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess“ beeinträchtigen, „da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden“ könne.254 In einer einzelnen Entscheidung wird zudem erwähnt, dass überlange Verfahren eine Belastung für Opfer von Straftaten darstellten.255 Diese Belastung wird dahingehend spezifiziert, dass für die Dauer des Verfahrens die betroffene Person im Unklaren darüber gelassen werde, ob sie (erneut) zum Geschehen aussagen müsse.256 Aufgrund der Formulierung und dem dortigen Verweis ist anzunehmen, dass die Beden253  BVerfGE 122, 248 (273); im Anschluss BVerfGE 130, 1 (27); StV 2009, 673 (673); NJW  2010, 592 (593). 254 Ebenda. 255  BVerfG NJW 2010, 592 (593). 256  BVerfG NJW 2010, 592 (595).

B.  Durchführung des Verfahrens

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ken sich nur teilweise auf die Länge des Verfahrens beziehen, denn die in Bezug genommene Entscheidung hat eher die Problematik einer möglichen Wiederholung der Hauptverhandlung im Blick.257 a) Rechtsfriede Die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, „die Rechtsgemeinschaft [müsse] die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen“258 können, verweist auf das Ziel des Strafverfahrens, den Rechtsfrieden wiederherzustellen, indem auf eine begangene Normverletzung eine staatliche Reaktion folgt. Dies kann auch durch die Klärung eines bestehenden Tatverdachts geschehen, deren Ergebnis die rechtsverbindliche Feststellung ist, dass keine Normverletzung begangen wurde oder zumindest nicht durch die verdächtigte Person. Daher muss das Verfahrensziel des Rechtsfriedens getrennt von etwaigen Strafzwecken betrachtet werden. Auch Vertreter der Rechtswissenschaft nehmen in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht an, dass die Wiederherstellung des Rechtsfriedens nach einer Verletzung des sozialen Friedens durch eine Straftat eine zügige Verfahrensdurchführung und ein zeitnahes Urteil voraussetze.259 Ein überlanges Verfahren würde das Ansehen der Strafrechtspflege beeinträchtigen.260 Jescheck geht – angesichts der von ihm wahrgenommenen „permanenten Rechtslosigkeit an den Universitäten“ im Zuge der sog. 68er-Bewegung – weiter und sieht „Gewalt und Selbsthilfe sofort offen hervortreten“ sobald der Staat seine Rechtsprechungsaufgabe „nicht in angemessener Zeit erfüllt“.261 Einen anderen Aspekt des Rechtsfriedens führt Hilllenkamp an, der anmerkt, dass zumindest bei geringen bis mittelschweren Straftaten der Rechtsfrieden nach einiger Zeit wiederhergestellt sei und dann durch eine Hauptverhandlung eher gestört als hergestellt werde – sowohl aus Sicht des Angeklagten als auch der Allgemeinheit.262 257 

BVerfGE 122, 248 (274) auf welche von BVerfG NJW 2010, 592 (595) verwiesen wird. S.  Fn.  253. 259  Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  3; Hillenkamp JR  1975, 133 (134); Landau NStZ 2011, 537 (545); ders. in FS-Hassemer, S.  1073 (1075); Chr.  Laue GA 2005, 648 (658); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333 f.); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432 f.); Rieß NStZ 1994, 409 (409); Schlothauer StV 2009, 578 (579); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Schroth NJW 1990, 29 (30); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 260  Löwe/Rosenberg/Esser EMRK  A rt.  6 Rn.  309; Berz NJW 1982, 729 (730); Küng-Hofer S.  27; Linden in Verhandlungen des 60. DJT, M 35 (35); zum Beschleunigungsgebot: Pfeiffer aaO; Waßmer aaO (160 f.); vgl. auch Löwe/Rosenberg/Esser EMRK Art.  6 Rn.  309; Schmitt aaO. 261  Jescheck JZ 1970, 201 (204); vgl. auch Küng-Hofer S.  22. 262  Hillenkamp JR 1975, 133 (134); so auch Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075). 258 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Hassemer sieht gerade in dem Ziel der Herstellung von Rechtsfrieden den Grund dafür, die Rechte des Beschuldigten nicht gegen die Zwecke des Strafverfahrens aufzurechnen.263 Er bringt mit Bezugnahme auf Hegel vor, dass eine Rechtspflege, deren Ziel der Rechtsfriede sei, langfristig nur effektiv sein könne, wenn das Verfahren faire Regeln beinhalte und gegenüber dem Beschuldigten einhalte, da nur ein solches Verfahren zu einem Vertrauen in die Rechtspflege führe und das Vertrauen aufrechterhalte.264 Der liberalen Ansicht von Hassemer mag möglicherweise die gesellschaftliche Realität entgegen gehalten werden, dass die Rechtsgemeinschaft vor allem dann befriedet sei, wenn es zu Verurteilungen komme.265 Das Rechtsprechungsmonopol ist jedoch genau aus dem Grund dem Staat überantwortet, um ein emotions- und vergeltungsgeleitetes Bestrafungsbedürfnis zu Gunsten eines möglichst objektiven Verfahrens einzuschränken. Daher darf ein rechtsstaatliches Verfahren einem Verurteilungsinteresse nicht uneingeschränkt entsprechen. Die Aufgabe, Rechtsfrieden herzustellen beinhaltet, das Strafverfahren in einer vom zu beurteilenden Ereignis distanzierten Weise durchzuführen.266 Zudem kann der Zweck des Strafverfahrens, Rechtsfrieden herzustellen nur durch einen sorgfältig durchgeführten Prozess erreicht werden, weshalb die Fixierung auf einen schnellen Prozess zur Erreichung des Rechtsfriedens zu einseitig ist.267 Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass der Begriff des ‚Rechtsfriedens‘ ein allseitiger ist. Dies wird vor allem im Bereich des Zivilprozesses deutlich, wo im Idealfall ein Streit zwischen zwei Personen durch das Urteil eines objektiven Dritten endgültig beigelegt wird, weil beide Parteien ihre Sichtweise darlegen konnten und somit ermöglicht wird, dass auch der Unterlegene das Ergebnis akzeptiert.268 Auf das Strafrecht übertragen kann dem Ziel des Rechtsfriedens also nur entsprochen werden, wenn die Art des Verfahrens es auch dem Angeklagten möglich macht, das Ergebnis zu akzeptieren. Dies setzt voraus, dass das Verfahren fair durchgeführt wurde und der Angeklagte den Eindruck gewinnen konnte, die eigene Position habe Gehör gefunden.269 Zusammengenommen kann der Zweck des Hassemer StV 1982, 275 (279). Hassemer StV 1982, 275 (279); vgl. dazu auch Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. B. Rn.  48 f.; Ignor JURA 1994, 238 (241); Lind in Verfahrensgerechtigkeit, S.  3 (8 ff.). 265 Vgl. Landau NStZ 2007, 121 (127). 266  In Bezug auf das Schnellverfahren Schünemann NJW 1968, 975 (976); im Anschluss Bandisch StV 1994, 153 (158); Neumann StV 1994, 273 (275); vgl. auch Degener in FS-Dencker, S.  23 (49 f.); Mertens S.  72. 267 Vgl. Chr.  Laue GA 2005, 648 (661); I. Roxin GA 2010, 425 (435). 268 Vgl. Raiser S.  318. 269  Vgl. Löwe/Rosenberg/Kühne Einl. B. Rn.  48 f.; Barton, Einführung §  1 Rn.  33; Dürkop S.  95; Ensoldt in den Beratungen der Kommission, abgedr. bei Hahn 3.  Bd. 2. Abt., S.  1272 [Original S.  874]; Fuchs S.  3; Jahn S.  215 f.; Khostevan S.  117 mwN; Lind in Verfah263 

264 

B.  Durchführung des Verfahrens

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Strafverfahrens, Rechtsfrieden herzustellen also nur durch einen sorgsam durchgeführten Prozess erreicht werden.270 Dementsprechend kann dieser Verfahrenszweck kein Interesse an einem kurzen Prozess begründen.271 Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang zu beachten, welche Funktion das Strafverfahren einnimmt. Im Unterschied zum Zivilrecht besteht ein Strafurteil ausschließlich in einer nachträglichen, beurteilenden Reaktion, die die zugrundeliegende Rechtsverletzung weder aufhebt noch eine tatsächliche Entschädigung oder Wiedergutmachung beinhaltet. In anderen Rechtsgebieten kommt einer zeitnahen Bearbeitung eine weitaus bedeutendere Funktion zu, da eine Rechtsverletzung unter Umständen bis zum klärenden Urteil andauert oder sich vertieft. Im Strafrecht wirkt sich die Länge des Verfahrens dagegen vor allem negativ auf den Angeklagten aus, in dessen Rechtsgüter durch das Verfahren eingegriffen wird. Die ursprüngliche Rechtsgutsverletzung, auf der das Verfahren basiert, ist schon abgeschlossen und kann auch durch das Urteil nicht aufgehoben werden. Eine Vertiefung der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Abwarten steht ebenfalls nicht zu befürchten. Auch Pfeiffer verweist darauf, dass die Strafe „ihrer Natur nach“ immer zu spät komme. Allerdings zieht er daraus den Schluss, dass sie – wenn auch zu spät – zumindest nicht noch später erfolgen dürfe.272 Diese Schlussfolgerung überzeugt nicht, da die strafrechtsimmanente ‚Verspätung‘ absolut ist und durch eine zeitnahe Verfahrensdurchführung nicht relativiert würde. b)  Strafzwecke Die Ansicht, eine Strafe sei wirksamer, wenn sie der Tat ‚auf dem Fuße‘ folge, hat eine lange Tradition und noch immer eine weite Verbreitung.273 Bereits Beccaria vertrat diese These, und im Weiteren wurde unter anderem der Entwurf für eine Strafprozessordnung von 1939 mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunirensgerechtigkeit, S.  3 (10 ff.); Neuland in Wassermann, S.  141 (144 f.); Peters, Justiz als Schicksal S.  8; Luhmann, Legitimation u. a. S.  116 ff.; vgl. auch S.  Machura in Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, S.  195 (209 f., 212 ff.). 270  So auch Roxin/Schünemann §  1 Rn.  5; vgl. auch Tepperwien in FS-Widmaier, S.  583 (598). 271  So auch Chr.  Laue GA 2005, 648 (661); I. Roxin GA 2010, 425 (435); Tepperwien aaO. 272  Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333); im Anschluss Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075). 273  Nachweise zum BVerfG s. u. a. Fn.  253; vgl. zur Rechtwissenschaft u. a. SK-StPO/ Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Kindhäuser S.  215; Koch JR 1961, 420 (421); Küng-Hofer S.  24 ff.; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075 f.); ders. NStZ 2011, 537 (545); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333 f.); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Schroth NJW 1990, 29 (30); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160).

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

gung in dieser Weise begründet.274 In der Gesetzesbegründung zum StPO-Reformgesetz von 1973 wird ausgeführt, warum ein schnelles Verfahren im Sinne der Allgemeinheit sei: Je schneller Verfahren beendet würden, umso weniger Straftaten würden begangen. Schnelle Verfahren seien also ein effektiver Schutz der Allgemeinheit vor Verbrechen.275 Dies folge daraus, dass eine zeitnahe Strafandrohung ernster genommen würde. Wer wisse, dass die Strafe auf dem Fuße folge, würde eher vor der Tat zurückschrecken als derjenige, der damit rechne, dass durch ein langes Verfahren die Vollstreckung hinausgeschoben werden könne.276 Des Weiteren sei die Rückfallanfälligkeit geringer, umso eher Vollzugs- oder Bewährungsmaßnahmen ergriffen würden. Ein schnelles Verfahren würde also die Resozialisierungschance erhöhen.277 Zudem werde die Individualprävention dadurch gestärkt, dass der Beschuldigte je kürzer der Abstand zwischen Tat, Verurteilung und Strafvollstreckung sei, weniger Gelegenheit habe, innerhalb dieser Zeit erneut straffällig zu werden.278 Seitens der Rechtswissenschaften wird zumeist allgemein darauf verwiesen, dass ein zügiges Verfahren die general- und spezialpräventiven Wirkungen der Sanktionen und des Strafverfahrens stärken solle.279 Einzelne Autoren führen aus, die positive Spezialprävention werde dadurch beeinträchtigt, dass durch Verdrängungs- und Neutralisierungsmechanismen die Erinnerung an die Tat verblasse und dadurch die verhängte Strafe nicht mehr „zu Reue und Umkehr“ bewegen würde.280 In ähnlicher Weise wird angenommen, eine Strafverhängung nach langer Verfahrensdauer habe keinen „Lerneffekt“ mehr,281 da der Täter die Strafe nicht mehr als sinnvolle Maßnahme begreifen könne bzw. das Urteil nicht mehr als „gerecht“ wahrnehme.282 Berz geht davon aus, die „‘Ansprechbarkeit‘“ gehe durch einen größeren zeitlichen Abstand verloren.283 Darüber hinaus wird – ähnlich der oben zitierten Reformbegründung – das zügige

Beccaria S.  94; Begründung zum Entwurf einer StPO 1938 S.  5 abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  376. 275  BT-Drucks. 7/551 S.  34. 276  BT-Drucks. aaO S.  34 f. 277  BT-Drucks. aaO S.  35. 278  BT-Drucks. aaO S.  35. 279  Bspw. SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Kindhäuser S.  215; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075 f.); ders. NStZ 2011, 537 (545); Schmitt StraFo 2008, 313 (314). 280  Küng-Hofer S.  26 f.; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1076); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160); im Anschluss: Schmitt StraFo 2008, 313 (314); häufig mit Verweis auf: Kern MschrKrim 1924, 237 (238). 281  Schroth NJW 1990, 29 (30); ähnlich Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1076). 282  Jescheck JZ 1970, 201 (204); Schroth aaO. 283  Berz NJW 1982, 729 (730). 274 

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Verfahren als notwendig für die negative Generalprävention angesehen.284 Auch der normstabilisierende Effekt der positiven Generalprävention werde am wirksamsten durch eine zeitnahe Bestrafung erreicht.285 Auf den Strafzweck der Vergeltung zielt wohl die Formulierung ab, dass der Täter sich nicht längere Zeit des staatlichen Strafanspruchs entziehen dürfe.286 Auch Hillenkamp und Landau stellen auf den Strafzweck der Vergeltung ab, der durch eine lange Verfahrensdauer gefährdet sei, da sich das Strafbedürfnis schnell verlieren würde.287 Es wird zudem vorgebracht, dass es „dem Rechtsbrecher“ umso eher möglich sei, sich „dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane zu entwinden“ „je länger sich die Bestrafung hinausziehe“.288 Eine Begründung für diese These erfolgt – wie auch bei den vorherigen Annahmen – nicht. Im Unterscheid dazu gehen die Motive zur RStPO zwar von der Notwendigkeit einer schnellen Strafe im Hinblick auf die Strafzwecke aus, beziehen dies jedoch alleine auf den Zeitablauf zwischen Verurteilung und Vollstreckung der erkannten Strafe. Es würde „unbestritten“ das Ansehen der Strafjustiz geschmälert und die „Bedeutung der Strafe selbst abgeschwächt“, wenn es „dem Verur­ theilten möglich [sei], sich längere Zeit der Strafvollstreckung zu entziehen.“289 Wie bereits hinsichtlich der vermeintlich objektiven Dimension des Beschleunigungsgebots erwähnt, äußern verschiedene Autoren Kritik an dem fehlenden empirischen Nachweis der positiven Auswirkung eines zügigen Verfahrens auf die Strafzwecke (siehe S. 174).290 Degener spricht in diesem Zusammenhang von „deutlich vorwissenschaftlich strukturierten“ Aussagen,291 Weinschenk von einer „Volksweisheit“.292 Dennoch finden sich Auseinandersetzungen damit, dass ohne Begründung davon ausgegangen wird, dass ‚die Strafe auf dem Fuße folgen müsse‘, nur vereinzelt. Berz aaO (729); Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Kern MschrKrim 1924, 237 (238 f.); Küng-Hofer S.  24 f.; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075 f.); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Schroth NJW 1990, 29 (30); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (160). 285  Berz aaO (729 f.); Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1076); Schroth NJW 1990, 29 (30); Waßmer aaO. 286  Koch JR 1961, 420 (421). 287  Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Landau NStZ 2011, 537 (545); vgl. auch ders. in FS-Hassemer, S.  1073 (1075). 288  Kern MschrKrim 1924, 237 (239); Küng-Hofer S.  26; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075). 289  Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  293 [Original S.  249]. 290  So Albrecht NJ 1994, 396 (396); Degener in FS-Dencker, S.  23 (43 ff.); Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (17 f.); Weinschenk UJ 42 (1990), 151 (155); krit. zur Empirielosigkeit in der Generalprävention Schumann/Berlitz/Guth/Kaulizki S.  5. 291  Degener in FS-Dencker, S.  23 (43). 292  Weinschenk UJ 42 (1990), 151 (155). 284 

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(1) Abschreckung Die Idee der ‚Abschreckung‘ beruht darauf, dem Handlungsanreiz, der für die strafbare Handlung spricht, eine negative Konsequenz der Handlung entgegenzusetzen, um den Handlungsimpuls zu verringern. Somit basiert das Konzept der Abschreckung auf der Annahme einer bewussten oder unbewussten Kosten-Nutzen-Rechnung des potentiellen Delinquenten. Die These, dass diese Kosten-Nutzen-Wirkung des Strafrechts eine möglichst kurze Zeit zwischen Tat und Strafe voraussetzt, wurde von Beccaria 1766 in wenigen Sätzen begründet.293 Die für die Abschreckung notwendige Verknüpfung von Tat und Strafe sei eine abstrakte Idee und als solche vom menschlichen Verstand abhängig. Gerade einfachere Menschen neigten jedoch dazu, nur die unmittelbaren und nächsten Verknüpfungen zu beachten und nicht alle verwinkelten Aspekte zu durchdenken. Daher gehe von diesen einfacheren Menschen grundsätzlich eine größere Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Handelns aus. Daraus ergebe sich die große Relevanz der zeitlichen Nähe von Tat und Strafe, damit der Gedanke an die Vorteile der Tat mit dem Gedanken an die Strafe verknüpft sei. Eine längere zeitliche Dauer habe eine Entfernung dieser beiden Gedanken voneinander zur Folge.294 Selbstverständlich ist diese Folgerung – trotz ihrer allgemeinen Rezeption – nicht. Beccaria und seinen Rezipienten fehlt eine Begründung, warum allgemein kürzere Verfahren im konkreten Einzelfall die Abschreckungswirkung erhöhen. Die These, eine gedankliche Verknüpfung zwischen Strafe und Tat könne nur durch eine kurze Zeitabfolge entstehen, ist weder zwingend noch empirisch belegt. Unabhängig von der Kürze oder Länge des Verfahrens nehmen Personen, die Zeugen einer Straftat werden, zunächst immer eine momentane Straflosigkeit des Geschehens wahr, da zwingendermaßen kein noch so kurzes Strafverfahren direkt im Anschluss an die Begehung der Tat eine Verurteilung erwirken kann.295 Die zunächst nicht erfolgte Reaktion muss also nachträglich der Tat zugeordnet werden. Diese Verknüpfung wird durch das Verfahren und das Urteil hergestellt, da die Verurteilung sich auf eine konkret bestimmte Handlung bezieht. Zudem setzt die Wirksamkeit des Abschreckungsprinzips voraus, dass mögliche Folgen der Handlung vor ihrer Durchführung antizipiert werden. Dabei ist zu bedenken, dass es sich eben nur um eine mögliche – und keine sichere – Folge handelt. Bedeutend für die Folgenabwägung ist also die subjektiv eingeschätzte Entdeckungswahrscheinlichkeit. Wird bereits keine ‚erfolgreiche‘ Beccaria S.  94. Beccaria S.  94. 295  Vgl. auch Verrel in FS-Heinz, S.  521 (528). 293 

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B.  Durchführung des Verfahrens

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Strafverfolgung erwartet, ist die potentielle Strafe und somit auch ihre potentielle zeitliche Nähe kaum relevant. Entsprechend haben Untersuchungen eine höhere Relevanz der Wahrscheinlichkeit der Entdeckung von Tat und Täterschaft als der Strafhöhe für eine Prävention durch Abschreckung festgestellt.296 Ein Einfluss auf die Abschreckungswirkung der Strafverfolgung wird vor allem bei drei Faktoren diskutiert: Sanktionshöhe, Sanktionswahrscheinlichkeit und Sanktionsgeschwindigkeit. In kriminologischen Studien konnte nur hinsichtlich der Sanktionswahrscheinlichkeit ein positiver Befund festgestellt werden.297 Fasst man mehrere internationale Studien, die sich u. a. mit der Frage der Präventionswirkung der Geschwindigkeit einer Sanktion beschäftigt haben, zusammen, ist die Erkenntnislage offen.298 Die Hälfte der Studien – die allerdings allesamt im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts durchgeführt wurden – konnte einen Rückgang der Verstöße nach geänderter Sanktionsgeschwindigkeit feststellen, die andere Hälfte nicht. Neben der Uneindeutigkeit des Befunds ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse fraglich: Die Studien untersuchten eine sofortige Reaktion im Vergleich zu einer später erfolgenden Reaktion; also nicht ein zügig durchgeführtes Verfahren im Vergleich zu einem langsamer durchgeführten Verfahren. Des Weiteren unterscheidet sich bei der untersuchten Sanktionierung an Ort und Stelle durch die einschreitenden Polizeibeamten nicht nur der Zeitpunkt der Sanktion, sondern auch der Vorgang der Sanktionierung.299 Die persönliche Konfrontation mit einem Polizeibeamten ist nicht gleichzusetzen mit einem späteren schriftlichen Bußgeldbescheid. Hillenkamp stellt fest, dass die bereits von Beccaria aufgestellte Behauptung der Nützlichkeit der zeitnahen Strafe einer empirischen Bestätigung immer noch entbehre, aber zweifelt indes nicht an deren Richtigkeit.300 Statt einer empirischen Begründung bemüht er – mit Verweis auf Hommel, 1778 – die Transzendenz: Trotz der zu erwartenden Hölle werde auf Erden deshalb so viel gesündigt, weil die zu erwartenden Qualen nicht alsbald nach den begangenen Taten vollzogen würden. Aus dieser Offensichtlichkeit zeige sich, dass die Abschreckung nur dann Gewicht habe, wenn das Risiko einer schnellen Bestrafung bestehe.301 Neben der Tatsache, dass Glaube keinesfalls Empirie ersetzen kann, mag der Hinweis auf die Sünde trotz höchster – immerhin ewiger – StrafBliesener/Thomas ZJJ 2012, 382 (385); Meier, Kriminologie S.  263 ff.; vgl. auch Meier, Sanktionen S.  27, 197 f., 199; bei Jugendlichen: Khostevan S.  238; Schumann/Berlitz/ Guth/Kaulitzki S.  45 ff., 163; Zieger Rn.  28 mwN. 297  Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382 (385) mwN. 298  Bliesener/Thomas aaO. 299  Bliesener/Thomas aaO mwN. 300  Hillenkamp JR 1975, 133 (135). 301  Hillenkamp aaO (135). 296 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

androhung entgegen der Folgerung von Hillenkamp eher Bedenken daran wecken, ob das Konzept der Abschreckung durch Strafe überhaupt einen erheblichen Effekt hat. Denn letztlich ist nicht nur die Relevanz der zeitlichen Komponente, sondern bereits die Frage, inwieweit die potentielle Strafe eine kriminalitätsverhindernde Wirkung ausstrahlt, nach der derzeitigen Forschungslage fraglich.302 (2)  Positive Generalprävention Hinsichtlich der Generalprävention ist zudem zu erwägen, ob nicht gerade ein ausführlich durchgeführter Prozess einen größeren – sowohl abschreckenden als auch normbestätigenden – Eindruck hinterlässt als der eilig durchgeführte Prozess.303 Im Hinblick auf die positive Generalprävention ist ein bereits im Kontext des Ziels der Wiederherstellung des Rechtsfriedens ausgeführter Aspekt (S. 208  f.) zu erwähnen: Ein positiver Bezug zur Rechtsordnung setzt ein Vertrauen in die Strafrechtspflege voraus. In dieser Hinsicht trägt ein die Rechte des Angeklagten wahrendes Verfahren zur Erreichung der Strafzwecke bei.304 (3) Individualprävention Auch die Relevanz der schnellen Strafe für die Individualprävention wird zumeist nur behauptet und kaum begründet. Nur wenige Autoren haben sich mit der These kritisch auseinandergesetzt. Die durchgeführten Studien konnten durchweg keinen positiven Effekt auf die Individualprävention durch zügige bzw. zügigere Verfahren feststellen.305 Soweit ersichtlich existieren bisher nur zwei Untersuchungen, die versuchen, anhand der Materialien der deutschen Strafverfolgungsbehörden den Effekt der Dauer des Verfahrens auf die Individualprävention zu untersuchen. In beiden Studien aus dem Bereich des Jugendstrafrechts konnte kein positiver Effekt der Beschleunigung auf die Rückfallrate festgestellt werden.306 Neben diesen Studien, die sich explizit der Frage der Wirkung der Verfahrensdauer widmen, erhob Tiedemann im Rahmen einer Aktenanalyse u. a. Daten zur Rückfallquote nach einem beschleunigten Verfahren iS 302  Vgl. z. B. Zusammenfassung bei Eifler S.  14 mzN; Meier, Kriminologie S.  263 ff.; BMI/BMJ, Sicherheitsbericht, S.  685 mwN; bei Jugendlichen: Khostevan S.  238; Schumann/ Berlitz/Guth/Kaulitzki S.  9 ff. mwN, 42 ff., 161. 303 Vgl. I. Roxin GA 2010, 425 (435). 304  Hassemer StV 1982, 275 (279); im Anschluss Ignor JURA 1994, 238 (241). 305  Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382; Degener in FS-Dencker, S.  23; Mertens jugendsozialarbeit aktuell 113 (2013), 1 (2); P.  Tiedemann S.  54; Verrel in FS-Heinz, S.  521 (526, 528); zusammenfassend Tausendteufel/Ohder S.  17. 306  Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382; Verrel in FS-Heinz, S.  521; vgl. auch K. A. Laue zu Intensivtäter-Modellprojekt S.  347 ff.

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des §§  417 ff. StPO.307 Sie stellt fest, dass die Verurteilten teilweise innerhalb einer Woche wieder strafrechtlich in Erscheinung traten; in drei Fällen sogar nach wenigen Stunden. Tiedemann bezweifelt daher einen spezialpräventiven Effekt des beschleunigten Verfahrens, kommt aber bei dieser Frage, die nicht den Kern der Untersuchung betrifft, zu keinem abschließenden Ergebnis.308 Ein Rückgriff auf die psychologische und pädagogische Forschung lässt ebenfalls keine Feststellung eines positiven Effekts der ‚schnellen Strafe‘ zu.309 Zwar gehen manche psychologische Theorien von einer hohen Relevanz des zeitlichen Faktors für Lerneffekte aus;310 die entsprechenden Studien sind jedoch zum einen Tierexperimente und zum anderen geht es in den Untersuchungen um Zeitabstände von wenigen Sekunden oder Minuten.311 Die Ergebnisse und entsprechenden Theorieansätze werden innerdisziplinär als zu vereinfachende Reiz-Reaktions-Abläufe kritisiert.312 Bei den genannten Lern-Vorgängen handelt es sich um Konditionierung ohne Einfluss des bewussten Lernens.313 Entsprechend wird in der Pädagogik eine sofortige Reaktion zumeist nur bei Kleinstkindern als Wirksamkeitskriterium angenommen.314 Eine Übertragung auf das Strafrecht ist wegen der komplexen psychologischen Vorgänge, die ggf. zu einem strafbaren Handeln führen, kaum möglich.315 Das Reiz-Reaktions-Lernen von Tieren kann keinesfalls auf erwachsene Menschen übertragen werden.316 Auch der in Rede stehende Zeitfaktor von maximal einer Stunde kann als Zeitrahmen eines Strafverfahrens nicht zur Diskussion stehen.317 Trotz Kritik an den auf Konditionierung abstellenden Lerntheorien gehen auch andere Ansätze der Psychologie und Pädagogik von einem Effekt der zeitlichen Komponente beim bewussten Lernen durch Strafe aus. Dieser zeitliche Effekt soll darin liegen, dass er die notwendige Verknüpfung zwischen Handlung und Reaktion herstellen könne, dies aber vor allem bei sehr kurzen Zeitspannen.318 Diese Verknüpfung könne jedoch auch durch andere Faktoren, wie P.  Tiedemann S.  54. P.  Tiedemann aaO. 309  Mertens jugendsozialarbeit aktuell 113 (2013), 1 (2). 310  Zusammenfassend Degener in FS-Dencker, S.  23 (44 ff.) mwN. 311  Zusammenfassend Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382 (384); Degener aaO (44 ff.); Mertens S.  46 jeweils mwN. 312  Zusammenfassend Degener aaO (46 ff.); Mertens S.  42 f. jeweils mwN. 313  Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382 (384). 314  Zusammenfassend Mertens S.  84 f.; so auch Verrel in FS-Heinz, S.  521 (527); vgl. auch Gabriel in Schnelle Reaktion, S.  13 (17). 315  So auch Degener in FS-Dencker, S.  23 (49 f.). 316  So auch Degener aaO. 317  So auch Degener aaO; Mertens S.  84 f.; vgl. auch Verrel in FS-Heinz, S.  521 (528). 318  Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382; Degener aaO (44 ff.) mwN; vgl. auch Beccaria S.  95. 307 

308 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

einer inneren Kohärenz zwischen Handlung und Folge,319 hergestellt werden.320 Im Bereich des Strafrechts liegt eine Verknüpfung immer schon zwingend durch das Urteil, welches eine Strafe für eine bestimmte Handlung begründet, vor, insbesondere wenn das Urteil verständlich begründet wird.321 Bereits vor dem Urteil findet in der Hauptverhandlung eine sehr explizite und ausführliche Thematisierung des zugrunde liegenden Vorwurfs statt, so dass kaum davon ausgegangen werden kann, dass im Strafverfahren eine Verknüpfung zwischen Handlung und Strafe fehlen könnte.322 Zudem nimmt die Pädagogik an, dass der Lerneffekt des Strafens vor allem durch die Sanktionswahrscheinlichkeit bedingt wird. Wird ein Verhalten nur gelegentlich bestraft, sei dies aus lerntheoretischer Sichtweise unwirksam.323 In der juristischen Literatur setzen sich vor allem Mertens und Degener mit dem Erkenntnisstand der Psychologie auseinander. Beide ziehen hinsichtlich der These, dass die Strafe auf dem Fuße folgen müsse, ein kritisches Fazit und sehen positive Effekte zeitnaher Urteile auf die Strafzwecke als nicht erwiesen an.324 Mertens geht nach seiner kritischen Auseinandersetzung mit den psychologischen Lerntheorien noch einen Schritt weiter und nimmt im Bereich der Jugendstrafverfahren einen positiven spezialpräventiven Effekt durch später durchgeführte Verfahren an.325 Der Damoklesschwert-Effekt eines erwarteten Verfahrens dürfe nicht unterschätzt werden.326 Jugendliche würden teilweise versuchen, durch einen positiven Lebenswandel (Rückkehr zur Familie; Therapie; Ausbildungsbeginn; Aussprache mit Geschädigten) vor Beginn des Verfahrens Milderungsgründe zu schaffen.327 Wirft man den Blick auf das JGG wird die These von Mertens bekräftigt. Mit der sog. Vorbewährung nach §§  61 ff. JGG gibt es ein Instrument, welches genau auf diesen Effekt abzielt. Eine ähnliche Wirkung hat die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung nach §  27 JGG. Sowohl die Anwendung von §§  61 ff. JGG als auch die Bewährung nach §  27  JGG werden als äußerst erfolgreich eingeschätzt.328 Da bei den genannten Maßnahmen im Unterschied zur Strafaussetzung zur BeDreikurs/Cassel S.  66 f. Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382; Degener in FS-Dencker, S.  23 (43 ff.) mwN; vgl. auch Beccaria S.  95; vgl. auch Tausendteufel/Ohder S.  112. 321 Vgl. Mertens S.  78. 322  Vgl. auch Mertens/Murges-Kemper ZJJ 2008, 356. 323  Bliesener/Thomas ZJJ 2012, 382. 324  Degener aaO (43 ff.); Mertens jugendsozialarbeit aktuell 113 (2013), 1. 325  Mertens jugendsozialarbeit aktuell 113 (2013), 1 (4 f.). 326  Mertens aaO. 327  Mertens aaO; vgl. auch Feuerhelm/Kügler in Schnelle Reaktion, S.  103 (107); Khostevan S.  168 (Praktiker-Interviews), Mertens/Murges-Kemper ZJJ 2008, 356 (358 f.). 328  Flümann insb. S.  264 ff.; Ostendorf/Ostendorf JGG Grdl. z. den §§  27–30 Rn.  4 mwN. 319 Vgl. 320 

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währung dem Verurteilten nicht bekannt ist, welche Länge eine bei Nichtbewährung erfolgende Jugendstrafe hätte, gibt es eine gewisse Vergleichbarkeit zur Ungewissheit der noch ausstehenden Hauptverhandlung. Die These des Damokles-Effekts könnte ebenfalls durch die oben schon zitierte empirische Studie von Bliesener und Thomas gestützt werden, da diese nicht nur keinen positiven Effekt einer kürzeren Verfahrensdauer auf die Rückfallquote feststellen konnte, sondern einen leichten gegenteiligen Effekt.329 Bliesener und Thomas stellen dafür zwei Erklärungen in den Raum: Zum einen die Vermutung eines Damokles-Effekts, von welchem Bliesener und Thomas jedoch nicht überzeugt sind, und zum anderen die Vermutung, dass der gemessene Effekt der besseren Legalbewährung bei längerer Verfahrensdauer durch eine Selektion der Gerichte verursacht werden könnte, die möglicherweise aus ihrer Sicht drängendere Verfahren bevorzugt behandelt würden.330 Unabhängig von der Zeitspanne, die bis zum Prozess vergeht, besteht die Vermutung, dass ein ausführlicher Prozess eine mindestens ebenso eindrückliche Wirkung entfalten könne wie ein schnell beendeter Prozess.331 Ein weiterer bereits hinsichtlich des Rechtsfriedens angesprochener Aspekt liegt in der Akzeptanz des Urteils durch den Angeklagten, welche im Falle eines Schuldspruchs zur positiven Spezialprävention beitragen kann.332 Eine solche ‚Annahme‘ des Urteils wird durch die Wahrnehmung, das Verfahren sei fair gewesen und die eigene Position sei durch eine sachgemäße Verteidigung zu Gehör gebracht worden, erleichtert.333 Soweit die Notwendigkeit einer schnellen Strafe für die Individualprävention nicht nur als Schlagwort genannt, sondern begründet wird, wird zumeist auf die sog. Neutralisierungstechniken hingewiesen, welche die Wirksamkeit einer späten Bestrafung verhinderten. Demnach könnten vor allem Jugendliche durch die Verdrängungs- und/oder Rechtfertigungsmechanismen hinsichtlich der eigenen Tat, die Strafe nicht mehr als Konsequenz des eigenen Handelns ‚akzeptieren‘.334 Diese Annahme wird durch vergleichende Interviews von jugendliBliesener/Thomas ZJJ 2012, 382 (387 f.). Bliesener/Thomas aaO (388); vgl. dazu Khostevan S.  165, 221 f. 331  Vgl. zu Abschreckung: I. Roxin GA 2010, 425 (435). 332  Haller/Machura/Bierhoff in Verfahrensgerechtigkeit, S.  111 (112); Khostevan S.  117 mwN; Lind in Verfahrensgerechtigkeit, S.  3 (10). 333 Vgl. Dürkop S.  95; Fuchs S.  3; Jahn S.  215 f.; Khostevan S.  117 mwN; Lind aaO (10 ff.); Neuland in Wassermann, S.  141 (144 f.); Peters, Justiz als Schicksal S.  8; Wendler/Hoffmann Rn.  26; Luhmann, Legitimation u. a. S.  116 ff.; vgl. auch S.  Machura in Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, S.  195 (209 f., 212 ff.). 334  Sehr knapp: Jescheck JZ 1970, 201 (204); Küng-Hofer S.  26 f.; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1076); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Schroth NJW 1990, 29 (30); Waßmer 329 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

chen Verurteilten über die Wahrnehmung der Verhandlung gestützt.335 Des Weiteren wird eine Effektivität der zeitlichen Nähe einer Verurteilung angenommen, weil das Risiko von zwischenzeitlichen gegenteiligen Reaktionen – also das Verhalten bestärkenden Folgen – verringert werde.336 Anders gesagt, je schneller der Negativeffekt einer Handlung – Strafe – eintrete, desto weniger wirksam sei die Bestärkung des Verhaltens durch positive Folgen, wie materielle Vorteile oder Prestigegewinn. Diesen theoretisch begründeten Argumentationen sind die dargelegten empirischen Ergebnisse entgegenzuhalten. Zudem kommt es für die Verhinderung der beschriebenen Effekte vor allem auf eine zeitnahe Reaktion an, die dem mutmaßlichen Täter die Strafverfolgung zur Kenntnis bringt, und weniger auf die endgültige Verurteilung. Die sog. Neutralisierungstechniken bestehen in einer subjektiven Rechtfertigung oder zumindest Entdramatisierung des eigenen Handelns, etwa durch die Leugnung des Unrechts der Tat oder eine Verschiebung des Vorwurfs auf das Opfer oder äußere Umstände.337 Der zeitliche Effekt ist also keinesfalls Kern der Neutralisierungstechniken. Der Zeitablauf kann lediglich die eigentlichen psychologischen Mechanismen unterstützen. Dies setzt jedoch voraus, dass die fragliche Episode als etwas Vergangenes wahrgenommen wird. Das Wissen um ein laufendes Strafverfahren hingegen aktualisiert den Tatkomplex und seine Folgen. Auch wird mit dem Wissen um die Strafverfolgung den positiven Effekten der Tat ein Negativeffekt – nämlich die Belastungen durch das Verfahren und das Wissen um eine ggf. bevorstehende Strafe  – entgegengesetzt.338 Es kommt für die psychologische Verarbeitung daher zunächst auf die Eröffnung des Verfahrens als wahrnehmbare staatliche Reaktion an.339

ZStW 118 (2006), 159 (160); zu Jugendlichen: Chr. Pfeiffer S.  95 f.; vgl. auch Kern MschrKrim 1924, 237 (238). 335  Khostevan S.  102, 245. 336  Vgl. Zusammenfassung des Ansatzes von Skinner bei Mertens S.  42, 74; knapp auch bei: Schmitt StraFo 2008, 313 (314). 337  Sykes S.  307 ff. 338  Vgl. zu ‚Warneffekt‘: Göppinger/Schneider §  31 Rn.  9; zur Bedeutung des Erwischt-werdens Feuerhelm/Kügler in Schnelle Reaktion, S.  103 (117 f.); Khostevan S.  113 (Äußerungen von befragten jugendlichen Straftätern). 339  Vgl. zu Jugendlichen: Mertens S.  61; Mertens/Murges-Kemper ZJJ 2008, 356 (357); auch Verrel in FS-Heinz, S.  521 (528); vgl. zur ‚Überhöhung‘ des Richters auch Tausend­ teufel/Ohder S.  55, 112.

B.  Durchführung des Verfahrens

219

(4) Vergeltung Neben der General- und Individualprävention wird auf den Strafzweck der Vergeltung mit der Begründung verwiesen, ein verzögertes Verfahren würde den Strafzweck gefährden, da sich das Strafbedürfnis schnell verliere.340 Neben den grundsätzlichen Bedenken, die einer Bedeutung der Vergeltung für strafprozessuale Fragen entgegenstehen,341 spricht die Feststellung, dass sich das Strafbedürfnis über die Zeit verliere, nicht zwingend für eine zügige Durchführung des Verfahrens. Zweck des staatlichen Strafmonopols ist auch die Versachlichung und Entemotionalisierung des Strafverfahrens, zu welchem nicht nur die Übertragung der Aufgabe auf den Staat beiträgt, sondern auch die zeitliche Distanz zur Tat.342 Daher kann die Feststellung, dass das Strafbedürfnis schnell abnehme, ebenso ein Argument gegen die zügige Durchführung des Verfahrens sein, da der Zeitablauf zu eben jener Entdramatisierung beiträgt.343 (5)  Resümee Die Annahme, dass die Strafe auf dem Fuße folgen müsse, ist so eingängig, dass eine Auseinandersetzung damit kaum stattfindet und die Ausführungen zu dieser These sich zumeist nicht nur auf wenige Worte beschränken,344 sondern mitunter auch nicht durchdacht wirken. Das Vorbringen, dass durch den Zeitablauf der Täter nicht mehr zur „Reue und Umkehr“ bewegt werde,345 verkennt die Aufgabe von Strafe. ‚Reue‘ ist eine innere Einstellung, die ggf. einen Strafzumessungsgrund darstellen,346 aber deren Erreichung kein Strafgrund sein kann.347 Des Weiteren wird teilweise nicht hinreichend zwischen der zügigen Durchführung des Verfahrens bis zum Urteil und der zügigen Vollstreckung der erkannten Strafe differenziert.348 Es finden sich auch Darlegungen, in denen nicht bedacht wird, dass andere Faktoren als die Zeit bei der beschriebenen Wirkung eine Rolle spielen könnten (vgl. schon S. 213). So legt Berz zu Gunsten des Faktors Zeit dar, dass im Falle eines Verkehrsdelikts die negative Prävention wirksamer sei, wenn der Fahrer sofort nach oder sogar bei der NormverHillenkamp JR 1975, 133 (135); Küng-Hofer S.  26; Landau NStZ 2011, 537 (545); vgl.  auch ders. in FS-Hassemer, S.  1073 (1075). 341  Vgl. nur Scheffler MschrKrim 1985, 67 (67). 342  Ähnlich: Mertens/Murges-Kemper ZJJ 2008, 356 (359); vgl. auch Gabriel in Schnelle Reaktion, S.  13 (17). 343 Vgl. Kern MschrKrim 1924, 237 (238, Fn.  1). 344  Krit. Mertens S.  17. 345  S. Fn.  280. 346  BGH NStZ 2006, 96. 347  Vgl. zur Sühne Jakobs S.  19. 348 Bspw. Küng-Hofer S.  26 f.; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075). 340 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

letzung von einem Polizeibeamten angehalten und an Ort und Stelle verwarnt werde, als wenn dieselbe Person sechs Wochen später einen Anhörungsbogen oder einen Bußgeldbescheid in ihrem Briefkasten vorfände.349 Berz bezieht die – von ihm vermutete – höhere ‚Ansprechbarkeit‘ auf die Formel ‚die Strafe folgt auf dem Fuße‘ zurück und lässt den interpersonellen Effekt außer Acht. Er geht nicht darauf ein, dass es für die meisten Personen weitaus unangenehmer sein dürfte, von einer Person – zudem einer uniformierten Autoritätsperson – in direkter Konfrontation auf einen Fehler hingewiesen zu werden, als einen weitgehend unpersönlichen Brief zu erhalten, der keinerlei Effekt eines sozial indignierenden ‚Erwischt-werdens‘ beinhaltet.350 Es wird auch kaum diskutiert, ob es für die erhoffte Wirkung der schnellen Reaktion auf die Schnelligkeit des Urteils ankommt oder nicht vielmehr auf den Zeitpunkt der ersten staatlichen Reaktion. Angesichts dessen, dass unbestritten das gesamte Strafverfahren und somit bereits die polizeilichen Ermittlungen eine psychische und soziale Belastung darstellen (vgl. S. 107  ff.),351 läge es nahe, diese erste negative Folge einer strafbaren Handlung bei einer Diskussion um die Auswirkung von Zeit auf die Strafzwecke einzubeziehen.352 Die Verhängung und Vollstreckung einer Strafe setzt zunächst den Beginn eines Strafverfahrens voraus. Unabhängig von der Frage, was von potentiellen Straftätern mehr befürchtet wird – das Erwischt-werden oder das Strafurteil – geht das Erwischt-werden zwingend dem Strafurteil zeitlich voraus und ist notwendige Voraussetzung für ein Strafurteil. Aus verschiedenen Untersuchungen ergibt sich, dass die Art oder Höhe einer möglichen Strafe kaum eine Bedeutung für die Abschreckungswirkung einer Verbotsnorm hat, sondern sich die persönliche Risikoeinschätzung vielmehr nach der Gefahr der Entdeckung richtet.353 Wenn jedoch schon die Höhe der möglichen Strafe kaum einen Einfluss auf die Abschreckungswirkung hat, ist es kaum wahrscheinlicher, dass der Zeitpunkt dieser Strafe einen signifikanten Unterschied für die Prävention ausmacht. Darüber hinaus übersieht die Selbstverständlichkeit, mit der die Strafzwecke als Begründung für die Notwendigkeit eines zügigen Verfahrens herangezogen werden, dass die Strafzwecke, ihre Legitimation und ihre Erfüllung

Berz NJW 1982, 729 (730). Göppinger/Schneider §  31 Rn.  9; K. A. Laue S.  100. 351  U. a. KMR/Hiebl §  137 Rn.  6; Göppinger/Schneider §  31 Rn.  9; Mertens S.  109; Eisenberg, JGG §  45 Rn.  18. 352  Zum Jugendverfahren: Khostevan S.  244; Mertens/Murges-Kemper ZJJ 2008, 356 (357); Verrel in FS-Heinz, S.  521 (528); vgl. Naucke zur Generalprävention Rn.  192. 353  Khostevan S.  94, 238; Nickel DRiZ 1994, 377 (378 f.); Schumann/Berlitz/Guth/Kaulitzk u. a. S.  162. 349 

350 Vgl.

B.  Durchführung des Verfahrens

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durch das Strafrecht keineswegs selbstverständlich sind.354 Warum eine Person delinquent wird, warum oder wann nicht, kann nicht endgültig geklärt werden.355 Entsprechend ist auch die Wirkung von Strafrecht auf Delinquenz umstritten und in der empirischen Wissenschaft ungeklärt. Gesteht man sich dieses große Feld des Unwissens ein, kann es kaum seriöse Folgerungen über die Auswirkung eines zügigen oder langandauernden Verfahrens geben. Aus theoretischen Überlegungen können Argumente sowohl für als auch gegen die größere Wirksamkeit eines zügigen Verfahren angeführt werden. Belässt man es nicht bei einer theoretischen Argumentation, muss man feststellen, dass die bisherige empirische Forschung die These der Notwendigkeit der schnellen Strafe keinesfalls unterstützt. Auch der Einbezug der Erkenntnisse anderer Wissenschaften führt nicht zu dem zwingenden oder auch nur naheliegenden Schluss der größeren Wirksamkeit eines schnellen Verfahrens. Hinzu kommt, dass hinsichtlich der Generalprävention nicht einmal die tatsächliche Verfahrensdauer relevant ist, sondern allein die Wahrnehmung der möglichen Verfahrensdauer. Schon in Fachkreisen korreliert die Wahrnehmung nicht mit der tatsächlichen Verfahrensdauer (vgl. S. 237 ff.). Der Verzerrungseffekt in der Öffentlichkeit dürfte entsprechend größer sein. Zusammengenommen ist ein Einfluss auf die Strafzwecke, der nur vermutet wird, ein schwacher Rechtfertigungsgrund für eine Verfahrensgestaltung, die die Verteidigungsrechte des Angeklagten maßgeblich beeinträchtigt. c)  Beweisführung Neben den Befürchtungen des Bundesverfassungsgerichts, dass die Verfahrensverzögerung das „öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess“ beeinträchtige, „da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden“ könne,356 wird auch in der Rechtswissenschaft zur Begründung des Prinzips des zügigen Verfahrens auf die Sicherung der Wahrheitsermittlung verwiesen.357 Teilweise wird ergänzend vorgebracht, dass die Erinnerungsfähigkeit von Zeugen im Laufe der Zeit nachlasse358 bzw. 354  Vgl. zur Legitimation des staatlichen Strafens und der Strafzwecke z. B. Jakobs S.  6 ff.; Naucke Rn.  138 ff. jeweils mzN. 355  Vgl. dazu z. B. Bliesener in Bliesener/Köhnken/Lösel, S.  37 (39 ff.); Meier, Kriminologie §  3, §§  6 f.; Naucke Rn.  176 ff, 187. 356  BVerfGE 122, 248 (273); im Anschluss BVerfGE 130, 1 (27); StV 2009, 673 (673); NJW  2010, 592 (593). 357  U. a. Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  20; SK-StPO/Rogall Vor §§  133 ff. Rn.  119; Albrecht NJ 1994, 396 (396); Krehl/Eidam NStZ 2006, 1 (1); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432); Schlothauer StV 2009, 578 (579); Schmitt StraFo 2008, 313 (314). 358  Hillenkamp JR 1975, 133 (134); Kindhäuser S.  215; Koch JR 1961, 420 (420 f.); Krehl/

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

sich verfälsche.359 Vereinzelt wird auch auf das Risiko des Versterbens von Personen verwiesen360 oder auf den Wegfall von Beweismitteln,361 wobei es hier an der Konkretisierung fehlt, welche Beweismittel – jenseits des Versterbens von Zeugen – durch Zeitablauf in Gänze entfallen sollten. Neben Zeugen kommen als Beweismittel Sachverständigengutachten, Augenscheinsobjekte und Urkunden in Betracht. Zwar ist der (teilweise) Verlust dieser Beweismittel durch Zeitablauf vorstellbar, jedoch kaum soweit der Zeitablauf ‚nur‘ die Dauer des Hauptverfahrens nach einem bereits ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungsverfahren betrifft, in welchem mögliche Augenscheinsobjekte oder Urkunden gesichert wurden. Auf eine zügige Durchführung des Hauptverfahrens zur Sicherung der materiellen Wahrheitsermittlung kann es also nur bei dem Beweismittel ‚Zeuge‘ ankommen. Ähnlich wie bei den Strafzwecken wird die Bedeutung des zügigen Verfahrens vor allem einer Alltagstheorie – ‚Erinnerung verblasst mit Zeitablauf‘ – entnommen. Aufgrund der Selbstverständlichkeit dieser Annahme wird die These kaum hinterfragt oder versucht, sie ggf. durch Erkenntnisse anderer Wissenschaftsbereiche zu belegen. Tatsächlich kann die Grundannahme, dass Zeit einen negativen Einfluss auf die Gedächtnisleistung hat, kaum bestritten werden. Wendet man sich jedoch der spezifischen Gedächtnisleistung ‚Zeugenaussage‘ zu, verliert die Grundannahme erheblich an Überzeugungskraft. Nach den Erkenntnissen der Aussagepsychologie ist die Fehlerhaftigkeit von Wahrnehmungen, Erinnerungen an diese und Wiedergabe dieser Erinnerungen eine weitaus größere Belastung für die Wahrheitsermittlung als eine Erinnerungseinbuße durch Zeitablauf.362 Bereits dadurch relativiert sich die Bedeutung des Zeitablaufs für die Wahrheitsermittlung. Des Weiteren tritt der stärkste Erinnerungsverlust bereits kurz nach der Tat ein.363 Nach den ersten Stunden und Tage sinkt die Erinnerungsleistung nur noch sehr langsam.364 Empirische Versuche zu dem Einfluss von Zeitablauf auf Zeugenaussagen beschäftigen sich vorwiegend mit der Wiedererkennung einer Person. In einer Studie wurde festgestellt, Eidam NStZ 2006, 1 (1); Küng-Hofer S.  23; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1074 f.); Neuhaus StraFo 1998, 84 (86); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432); Pfeiffer in FS-Baumann, S.  329 (333); Roxin/Schünemann §  16 Rn.  3; Schroth NJW 1990, 29 (30); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (161). 359  Neuhaus aaO; Waßmer aaO. 360  Schroth aaO. 361  Waßmer aaO; vgl. auch LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  109; Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432). 362  Ausf. zu Wahrnehmung und Erinnerung Bender/Nack/Treuer Rn.  6 ff.; Wendler/Hoffmann Rn.  167 ff.; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1394; Jansen Rn.  512, 515, 517 mwN. 363  Jansen Rn.  533; Sporer/Sauerland/Kocab in Bliesener/Köhnken/Lösel, S.  156 (167). 364  Jansen Rn.  533; so auch Chr.  Laue GA 2005, 648 (659).

B.  Durchführung des Verfahrens

223

dass die Wiedererkennungsrate bei einer Lichtbildvorlage kurz nach der Begegnung bei 70  % lag, aber bereits nach zwei Stunden auf knapp über 50  % gesunken war und dieser Wert sich nach 24 Stunden nicht weiter verschlechtert hatte.365 Einen ähnlichen Effekt gab es bei den Fehlidentifikationen, die von 18  % zu Beginn nach zwei Stunden auf 58  % anstiegen und sich nach 24 Stunden sogar leicht relativierten und ‚nur‘ noch bei 53  % lagen.366 Studien, die einen für Strafverfahren realistischen Zeitraum erfassen, wurden bisher nicht erstellt.367 Neben diesen generellen Einschränkungen der Bedeutung des Zeitablaufs für die Qualität von Zeugenaussagen muss hinsichtlich der zeitlichen Konstanz einer Erinnerung nach der Art der zu speichernden Information differenziert werden.368 Die kognitive Psychologie beschäftigt sich in ihren Experimenten vorwiegend mit der Erinnerung an bewusst gelerntes Wissen.369 Aus diesen Ergebnissen, wie z. B. die Ebbinghaus’sche Gedächtniskurve,370 können kaum Folgerungen für Zeugenaussagen gezogen werden, da ein rationales, absichtliches Auswendiglernen in der Art der Gedächtnisleistung keinesfalls mit der Erinnerung an erlebte Ereignisse zu vergleichen ist. Aber auch bei Erinnerungen an wahrgenommenes Geschehen gibt es deutliche Unterschiede: Handelte es sich um eine plötzliche Wahrnehmung oder ein längeres Geschehen; war die Situation emotional, ggf. sogar bedrohlich oder eher alltäglich; war dem Zeugen schon im Moment der Wahrnehmung bewusst, dass es sich um eine wichtige, ggf. sogar strafrechtlich relevante Wahrnehmung handelt? Nach Jansen gehört die Erinnerung an die Abfolge von Interaktions- oder Ereignissequenzen zu den kurzfristigsten Erinnerungen; komplexe Abläufe seien schon nach wenigen Tagen vergessen.371 Insbesondere emotionale und/oder ungewöhnliche Ereignisse werden jedoch besonders gut auch noch nach einem langen Zeitraum erinnert.372 Dies betrifft vor allem von dem Zeugen als Straftaten wahrgenommene Situationen.373 Bei alltäglichen Routine-Wahrnehmungen findet dagegen mangels subjektiver Relevanz kaum eine Erinnerungsspeicherung statt, d. h.,

Sporer/Sauerland/Kocab in Bliesener/Köhnken/Lösel, S.  156 (167). Sporer/Sauerland/Kocab aaO. 367  Sporer/Sauerland/Kocab aaO. 368 Vgl. Jansen Rn.  483 ff. mwN. 369  Vgl. bspw. Anderson 6. und 7. Kapitel mwN. 370 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht Rn.  1394. 371  Jansen Rn.  487. 372  Bender/Nack/Treuer Rn.  145 f.; Jansen Rn.  497 ff., 536 mwN; Wendler/Hoffmann Rn.  148, 171, 177 ff., 181; vgl. auch zu Stresssituationen: Milne/Bull S.  24 f. mzN. 373  Wobei allerdings unabhängig vom Vergessen bei der Wahrnehmung von Gewalt und/ oder Waffen andere Details der Situation schlechter wahrgenommen werden; vgl. dazu nur Milne/Bull S.  25 f. mzN. 365 

366 

224

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

die Information dringt erst gar nicht bis ins sog. episodische Gedächtnis vor.374 Entsprechend wäre eine Vernehmung nach sechs Wochen genauso wenig vielversprechend wie nach zwölf Wochen. Ebenso wie die Wirkung des Ermittlungsverfahrens bei der Wirksamkeit der Strafzwecke bedacht werden muss (vgl.  S. 220), ist auch im Hinblick auf den Verlust von Erinnerungen durch Zeitablauf der Einfluss des Ermittlungsverfahrens zu beachten. Informationen, die einmal gespeichert wurden – also nicht bereits wegen vermeintlicher Irrelevanz aussortiert wurden – bleiben abrufbar, wenn die Verbindungen zu ihnen aktiv bleiben.375 Das bedeutet, dass Vernehmungen im Ermittlungsverfahren bewirken, dass die Wahrnehmungen, nach denen gefragt wurde, für einen späteren Abruf besser zugänglich bleiben. Der Begründung eines objektiven Interesses an dem zügigen Verfahren zum Schutze der Beweislage mangelt es somit an einer differenzierten Betrachtung der Erinnerungsleistung, da nur pauschal auf die Faustformel Zeit = Vergessen verwiesen wird. Nach den referierten Erkenntnissen der Aussagepsychologie handelt es sich bei dem Vergessen nicht um einen zeitlich-linearen Effekt. Die Erinnerungskurve hat durch ihren schnellen Abfall zu Beginn vor allem für das Ermittlungsverfahren eine hohe Bedeutung und weniger für die nachfolgende Hauptverhandlung. In ähnlicher Weise mangelt es auch der Argumentation, die Aussagen seien wahrheitsgetreuer, wenn den Zeugen keine Zeit verbliebe, die Auswirkung ihrer Aussage zu überdenken und die Aussage entsprechend zu modifizieren,376 an einer differenzierten Betrachtung des Strafverfahrens. Diese Annahme kann keine Bedeutung für die Durchführung einer gerichtlichen Verhandlung erlangen, sondern ist ggf. bei der polizeilichen Ermittlungstätigkeit zu beachten. Der These, dass dem Zeitpunkt der Hauptverhandlung ein bedeutender Einfluss auf die materielle Wahrheitsermittlung zukommt, stehen also erheblich Bedenken entgegen. Neben diesen grundsätzlichen Bedenken muss beachtet werden, dass ein negativer Einfluss des Zeitablaufs auf die Qualität einer Zeugenaussage nur dann Bedeutung erlangen kann, wenn es in dem konkreten Strafverfahren auf eine noch vorhandene Erinnerung von Zeugen ankommt, die durch weiteren Zeitablauf verschlechtert werden könnte. Obwohl dies nicht in allen Verfahren der Fall ist, wird der drohende Gedächtnisverlust als Begründung für die Notwendigkeit der zügigen Verfahrensdurchführung in allen

374  Bender/Nack/Treuer Rn.  55 ff., 118, 125; Milne/Bull S.  26 f.; Wendler/Hoffmann Rn.  171, 177 ff.,188. 375  Wendler/Hoffmann Rn.  178; vgl. auch Bender/Nack/Treuer Rn.  192; Milne/Bull S.  29. 376  Küng-Hofer S.  24; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1075).

B.  Durchführung des Verfahrens

225

Strafverfahren herangezogen.377 Der Anteil der amtsgerichtlichen Verfahren ohne Vernehmung von Zeugen lässt sich nicht feststellen. Für erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten in den Ballungsgebieten wurde ein Anteil von 20  % der Hauptverhandlungen ohne Vernehmungen ermittelt.378 Es ist also in einer durchaus erheblichen Anzahl von Verfahren ausgeschlossen, dass ein möglicher Erinnerungsverlust eine Bedeutung für die Wahrheitsermittlung erlangen könnte. Pauschal anzunehmen, das öffentliche Interesse an dieser Wahrheitsermittlung stünde wegen der Gefahr der zeitlichen Verzögerung einem Anspruch auf die Teilnahmemöglichkeit des Verteidigers entgegen, ist daher nicht vertretbar, sondern kann – höchstens – angeführt werden, wenn es tatsächlich auf die Aussage von Zeugen in der Hauptverhandlung ankommt. Doch selbst dann ist die Gefährdung für die Wahrheitsermittlung kaum begründbar. d)  Belange der Geschädigten Neben den bisher betrachteten Begründungen wird – jedoch weitaus seltener – auf das Interesse der Geschädigten, im Speziellen der geschädigten Zeugen verwiesen.379 Vereinzelt wird ausgeführt, das Interesse an einer zügigen Verfahrensdurchführung ergebe sich durch das Interesse an schneller Bestrafung und Schadenswiedergutmachung sowie der Vermeidung einer (Vertiefung der) Sekundärtraumatisierung durch eine überlange Verfahrensdauer.380 Das vorgebrachte Bedürfnis einer zügigen Bestrafung wird von den entsprechenden Autoren nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert. Entgegen der allgemeinen Erwartung wurde in einer Studie zu Bedürfnissen von Opfern von Straftaten festgestellt, dass die Bestrafung kein wichtiges Anliegen der Opfer ist.381 Entsprechend kann auch nicht von einem hohen Bedürfnis einer möglichst schnellen Bestrafung ausgegangen werden. Im Hinblick auf die zu vermeidende Sekundärtraumatisierung ist zu beachten, dass hierbei nicht primär auf die zeitliche Dauer des Verfahrens, sondern auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage abgestellt wird.382 Abgesehen davon, dass sich die vorgetragenen Befürchtungen teilweise auf den Umfang der 377  Vgl. krit. Chr.  Laue GA 2005, 648 (659); insgesamt krit. zur Wahrheit als Verfahrensziel und deren Ermittlung in der Verhandlung: Spaniol S.  243. 378  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (116 f.). 379  KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  40; Bünger NStZ 2006, 305 (310); Beschlüsse des 60.  DJT NJW 1994, 3075 (3078); Beschlüsse des 68. DJT, S, 9; Küng-Hofer S.  30; Piel in FS-Widmaier, S.  429 (432 f.); vgl. auch Schellenberg S.  39. 380  Albrecht NJ 1994, 396 (396); Schmitt StraFo 2008, 313 (314); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (161). 381  Greves/Hellmers/Kappes in Bliesener/Köhnken/Lösel, S.  198 (206). 382  Basdorf StV 1995, 310 (312).

226

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

Hauptverhandlung beziehen, lassen sich auch bezüglich dieser Annahme wenige und vor allem keine bestätigenden empirischen Untersuchungen finden. Studien, die sich explizit mit der Belastung von Geschädigten durch die Länge des Verfahrens beschäftigen, wurden kaum und nur zu Kindern als Opferzeugen erstellt. Aus diesen Studien ergibt sich kein eindeutiger negativer Effekt eines langen Verfahrens. Die festgestellte Belastung lag hauptsächlich in der Stresssituation kurz vor der Verhandlung, die durch das Ungewisse der anstehenden Verhandlung und die Unsicherheit aufgrund der Erwartungen an das eigene Verhalten ausgelöst wurde.383 Die Belange der Zeugen sind also vor allem dann gewahrt, wenn ein mehrmaliges Erscheinen vor Gericht und insbesondere eine mehrmalige Aussage vermieden wird. Aus dieser Sicht ist es weitaus relevanter, Aussetzungen zu vermeiden als einen möglichst schnellen Verhandlungsbeginn zu gewährleisten.384 Inwiefern das Interesse an der Vermeidung von Belastungen durch die Durchführung des Verfahrens einen bedeutenden Einfluss auf Verfahrensgrundsätze haben kann, muss differenziert werden. Wie auch in der Rechtsprechung festgestellt wurde, kann die Vermeidung einer erneuten Aussage nur dann ein gewichtiger Ermessensaspekt sein, wenn der Inhalt der Aussage für den Zeugen in besonderem Maße belastend ist; so etwa bei schweren Gewalt- oder Sexualstraftaten zu Lasten des Zeugen.385 Als Begründung für eine generelle Einschränkung der Verteidigungsrechte zur zügigeren Durchführung von Verfahren können die Interessen von Geschädigten nicht überzeugen. Denn neben den schon referierten Bedenken gegen die Bedeutung dieses Interesses weisen zahlreiche Verfahren keine in ihren Individualrechten verletzten Geschädigten auf; beispielsweise Verfahren, die lediglich die mutmaßliche Verletzung von Interessen der Allgemeinheit oder Rechtsgütern juristischer Personen betreffen. e)  Resümee Die Annahme, es bestehe ein allgemeines Interesse an der zügigen Durchführung des Verfahrens und dieses Interesse würde die Einschränkung der Anwesenheitsmöglichkeit des Verteidigers legitimieren, kann bei genauer Betrachtung nicht durchweg überzeugen. Sofern die Bedeutung des zügigen Verfahrens für den Schutz der aufgeführten Belange – Rechtsfriede, Strafzwecke, Wahrheitsermittlung und Schutz der Geschädigten – überhaupt erläutert wird, beziehen sich die Ausführungen auf Alltagstheorie und nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Die durchgeführten empirischen Studien stützen diese AnnahBusse/Volbert/Steller S.  24 ff. Vgl. auch BVerfGE 122, 248 (274); NJW 2010, 592 (595). 385  BVerfGE 122, 248 (274); OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 (109). 383 

384 

B.  Durchführung des Verfahrens

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men keineswegs. Neben alltagstheoretischen Annahmen findet sich die Argumentation mit extremen Einzelfällen. So nennt Hillenkamp in seinen Ausführungen zur Verfahrensverzögerung als Beispiel ein zehn Jahre andauerndes Ermittlungsverfahren.386 Wenn in einem solchen Verfahren Einbußen des Rechtsfriedens, der Strafzwecke und der Wahrheitsermittlung zu verzeichnen sind, kann daraus nicht die Notwendigkeit hergeleitet werden, Terminverschiebungen zu Gunsten der Verteidiger auszuschließen. Berz bezieht sich auf Verfahren zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Shoah, welche die Schwierigkeiten gezeigt hätten, die der Erinnerungsverlust von Zeugen mit sich brächte.387 Nicht nur die Art des zu bezeugenden Geschehens und die Tatsache, dass es über zehn Jahre dauerte, bevor Ermittlungsbehörden in West-Deutschland überhaupt tätig wurden, machen aus dem angeführten Beispiel einen Sonderfall, der keineswegs zur Begründung allgemeiner Verfahrensgrundsätze taugt. Des Weiteren finden sich in den Ausführungen zum öffentlichen Interesse an einer zügigen Durchführung kaum Versuche, eine für die Wahrung der vorgebrachten Zwecke relevante Zeitspanne zu ermitteln. So ist beispielsweise laut dem Bundesverfassungsgericht ein Strafanspruch innerhalb einer solchen Zeitspanne nötig, in der „die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann“.388 Daraus ergibt sich jedoch nicht, um welche Zeitspanne es sich handelt. Es bedürfte jedoch konkreter Anhaltspunkte, anhand derer bemessen werden kann, welcher Umfang einer Terminverschiebung so erheblich ist, dass die vorgebrachten Belange erheblich gefährdet würden. Die Strafe ‚folgt‘ unabhängig von der terminlichen Verfügbarkeit des Verteidigers keinesfalls ‚auf dem Fuße‘. Der Hauptverhandlung gehen das polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche Zwischenverfahren voraus. Bei einem Verfahren, welches rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen soll, liegt zwangsläufig – und berechtigterweise – eine gewisse Zeitspanne zwischen Tat und Urteil. Die Wahrnehmung, dass die Strafe eine Reaktion auf das begangene Unrecht ist, muss sich daher aus dem Verfahren und dem Urteil ergeben und nicht aus einem zeitlichen Zusammenhang. Aus den gleichen Gründen findet die Hauptverhandlung nicht innerhalb der Zeitspanne statt, in der die kognitiv qualitativsten Zeugenaussagen zu erwarten wären. Daher kann es für ein – hypothetisch angenommenes – öffentliches Interesse an der zügigen Durchführung zum Schutz der angesprochenen Belange keinesfalls darauf ankommen, ob das Hauptverfahren letztlich sechs oder zehn Monate nach der Anklageerhebung abgeschlossen ist – vor allem Hillenkamp JR 1975, 133 (135). Berz NJW 1982, 729 (730). 388  BVerfGE 122, 248 (273); im Anschluss BVerfGE 130, 1 (27); NJW 2010, 592 (593). 386  387 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

dann nicht, wenn man beachtet, dass der zeitlich größere Teil des Verfahrens vom Ermittlungsverfahren eingenommen wird (vgl. dazu S. 231  f.). So stellte das Landgericht Bremen pointiert fest, dass es nicht ersichtlich sei, warum in einem seit 18 Monaten andauernden Strafverfahren ausgerechnet in den letzten zwei Monaten ein Erinnerungsverlust eintreten sollte.389 2.  Verzögerung durch einen Terminanspruch Nimmt man trotz der aufgeführten Bedenken an, es gäbe ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit an der zügigen Durchführung des Verfahrens, steht damit noch nicht fest, ob dieses Interesse durch einen Anspruch auf Anwesenheit des Verteidigers beeinträchtigt würde. Ein Verfahren kann durch eine beantragte Terminverlegung im Ergebnis verlängert werden, wenn ein Hauptverhandlungstermin auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird. Es kann aber auch ein Alternativtermin gefunden werden, der keine oder nur eine unerhebliche Verzögerung bewirkt. Ebenso könnte die Gefahr einer Terminverlegung durch eine vorherige Terminabsprache vermieden werden;390 wobei es auch bei einer Absprache zu einer Verzögerung aufgrund der terminlichen Verhinderung eines Verteidigers kommen kann. Abstrakt lässt sich also nicht feststellen, inwiefern die Teilnahme des Verteidigers andere Belange beeinträchtigen könnte. Die konkrete Verzögerung kann nur in jedem einzelnen Verfahren festgestellt werden. Dennoch gibt es mehrere Aspekte, die dazu beitragen, die Befürchtungen einer erheblichen Verfahrensverzögerung durch einen Anspruch auf die Teilnahmemöglichkeit des Verteidigers zu relativieren. Durch einen solchen Anspruch würden nur die äußeren Rahmenbedingungen der Verhandlung beeinflusst werden – nämlich der Zeitpunkt. Der Inhalt der Verhandlung und somit die Gesamtdauer der Hauptverhandlung sind nicht betroffen. Zudem setzt ein Anspruch auf Beachtung der Terminbelange des Verteidigers voraus, dass an dem Verfahren ein Verteidiger beteiligt ist. Ein nicht unerheblicher Teil der Amtsgerichtsverfahren findet jedoch gänzlich ohne Beteiligung eines Verteidigers statt (vgl. S. 198). Wenn ein Verteidiger mandatiert ist und zudem terminlich verhindert ist, ist dieser üblicherweise nicht über Monate verhindert, sondern lediglich an einzelnen Terminen nicht verfügbar.391 Letztlich liegt der Eintritt einer Verzögerung und die Dauer dieser Verzögerung somit nicht allein in 389 

LG Bremen StV 1994, 11 (12); vgl. auch LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); OLG Hamburg NJW 2006, 2792; OLG Koblenz StV 2010, 477 (478); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (640); E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370); Schlothauer Rn.  179; vgl. auch BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); LG Braunschweig StraFo 2008, 430; KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  6. 391  So auch Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639). 390 

B.  Durchführung des Verfahrens

229

der Person des Verteidigers begründet, sondern hängt ebenso von den terminlichen Möglichkeiten des Gerichts ab.392 So hatte beispielsweise in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm der Verteidiger ausdrücklich mitgeteilt, im fraglichen Zeitraum noch freie Kapazitäten zu haben; dennoch hielt das Gericht ohne Angabe von Gründen einen alternativen Termin innerhalb der Frist des §  229 StPO für nicht möglich.393 In einem anderen Verfahren hatte das Landgericht eine Aufhebung der Haftbefehle, welche im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot beantragt worden waren, mit dem Hinweis abgelehnt, die Verzögerung sei in erheblichem Maße durch die angespannten Terminkalender der Verteidiger zustande gekommen. Das Oberlandesgericht Oldenburg stellte daraufhin fest, dass letztlich an nur neun von dreiundvierzig vom Gericht vorgeschlagenen Terminen verhandelt worden war, obwohl die Verteidiger an fast allen Terminen zur Verfügung gestanden hatten.394 Rahlf verweist beispielhaft auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts  Köln, in der die gerichtliche Begründung von einer Verzögerung durch die Verteidigung ausgeht.395 Aus der Entscheidung wird aber nicht deutlich, inwiefern das Verfahren durch die Verteidigung verzögert wurde, wohingegen sich der Sachverhaltsschilderung entnehmen lässt, dass zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung wegen einer Überlastung der Kammer ein Zeitraum von sechs Monaten lag.396 Neben den terminlichen Ressourcen des Spruchkörpers können Terminierungsschwierigkeiten und dadurch ausgelöste Verzögerungen aufgrund personeller und organisatorischer Defizite der Geschäfts- und Poststellen entstehen. Wird die bereits erfolgte Terminentscheidung erst mit erheblicher Verzögerung dem Verteidiger zugestellt, steigt die Gefahr von Terminkollisionen und sinkt die Möglichkeit eines zeitnahen Alternativtermins.397 Neben der terminlichen Auslastung des Verteidigers und des Gerichts hängt die Möglichkeit einer zeitnahen alternativen Terminierung erheblich von dem Umfang des konkreten Verfahrens ab. Bei den höchstrichterlich entschiedenen Verfahren, aus denen die Leitsätze zur Terminierung hervorgingen, handelte es sich überwiegend um sog. Umfangsverfahren, die nicht nur von einer erhebli392  So auch Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1076); Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440); I. Roxin GA 2010, 425 (434). 393  OLG Hamm StV 2004, 642 (643). 394  OLG Oldenburg StraFo 2008, 26. 395  Rahlf in FS-Widmaier, S.  4 47 (455 f.) mit Bezug auf OLG Köln v. 30.10.1990 – 2  Hes  146/90, insoweit nicht abgedr. in MDR 1991, 662. 396 Ebenda. 397  Vgl. u. a. KG StV 2009, 577 (578); LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Mönchengladbach StV 1998, 533 (533).

230

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

chen Anzahl an Verhandlungstagen geprägt waren, sondern sich auch durch die Beteiligung zahlreicher Verteidiger auszeichneten.398 Diese Verfahren bilden nicht die Realität des amtsgerichtlichen Alltags ab. Für die Schwierigkeit einer Terminierung oder Umterminierung unter Beachtung der Verteidigungsbelange kommt es – neben der Belastung der Gerichte – vor allem auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage des konkreten Verfahrens und der Anzahl der Beteiligten an. Im Jahr 2012 dauerte eine amtsgerichtliche Hauptverhandlung durchschnittlich 1,1 Verhandlungstage.399 Anders ausgedrückt: Der Anteil der Verhandlungen, die innerhalb des ersten Hauptverhandlungstages erledigt werden konnten, betrug 96,1  %.400 Weitere 3  % der Verfahren benötigten zwei Hauptverhandlungstage.401 Der Begriff ‚Hauptverhandlungstag‘ darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verhandlung keineswegs einen Tag in Anspruch nimmt. An einem amtsgerichtlichen Verhandlungstag wird eine Vielzahl von Verfahren erledigt. Bei Verfahren am Landgericht ist von einer Verhandlungsdauer zwischen drei und vier Stunden auszugehen.402 Verfahren mit mehr als einem Angeklagten stellen die Ausnahme dar. Im Jahr 2012 richteten sich 91  % der amtsgerichtlichen Verfahren gegen eine Person. Weitere 6,8  % entfielen auf Verfahren mit zwei Angeklagten und 1,5  % auf Verfahren mit drei Angeklagten. Mehr als drei Personen waren in 0,7  % der Verfahren angeklagt.403 An den Landgerichten waren im selben Jahr in erstinstanzlichen Verfahren durchschnittlich 1,4 Personen angeklagt, wobei in 78  % aller Verfahren nur eine Person angeklagt war.404 Der Anteil der Verfahren, die sich gegen maximal zwei Angeklagte richteten betrug 90  %. In 4,8  % der Verfahren waren mehr als drei Personen angeklagt.405 Weit überwiegend werden Verfahren also gegen eine Person geführt. Theoretisch könnte sich der Angeklagte zwar mehrerer Verteidiger bedienen (vgl. §  137 Abs.  1 S.  1 StPO), tatsächlich hat die große Mehrheit der Angeklagten aber höchstens einen Verteidiger. Wie erwähnt, finden über die Hälfte der amtsgerichtlichen Verfahren gänzlich ohne Verteidiger statt (S.  198) und die restlichen Verfahren mit 1,1 Verteidiger pro Verfahren.406 Auch an ca. 75  % der erstinstanzlichen Verhand398 

399 

S.  1. Kap., A. III.; vgl. auch Föhrig S.  24. Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 10 Reihe 2.3, 2012,

S.  36. 400  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO. 401  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO. 402  Vgl. Zahlen bei Arenhövel/Otte DRiZ 2010, 227, 270 (228 f.); Dölling/Dittmann/Laue/ Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (107 f.). 403  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  24. 404  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  62. 405  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  62. 406  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  36.

B.  Durchführung des Verfahrens

231

lungen vor dem Landgericht nimmt nur ein Verteidiger teil.407 Neben der Anzahl der Verteidiger ist für die Komplexität der Terminierung oder einer Verlegung die Zahl der sonstigen Beteiligten relevant (vgl.  S. 43). In Verfahren vor dem Amtsgericht nahmen 2012 in 1,84  % der Verfahren Nebenkläger bzw. Vertreter der Nebenklage teil. In 2,6  % der Verfahren waren Sachverständige zugegen.408 Bei Verfahren, die in erster Instanz vor dem Landgericht verhandelt wurden, lagen die Zahlen etwas höher.409 Die Zahl der Zeugen je amtsgerichtlichem Verfahren bzw. der Anteil der Verfahren ohne Zeugenvernehmung lässt sich nicht feststellen. Für erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten wurde in den Ballungsgebieten ein Anteil von 20  % ohne Vernehmungen ermittelt.410 In 10  % der Verfahren wurde nur ein Zeuge befragt; in weiteren 10  % zwei Personen. Der Median der Zeugen-Befragungen lag bei vier Personen und der Durchschnitt bei 6,5.411 Obwohl eine Verzögerung durch die terminliche Verhinderung des Verteidigers und ggf. der Umfang dieser Verzögerung nur im jeweils einzelnen Verfahren festzustellen ist, kann festgehalten werden, dass eine mehr als unerhebliche Verzögerung bei einer Verhinderung des Verteidigers nicht zwingend ist. Terminverschiebungen können durch vorherige Absprachen vermieden werden. Der zeitliche und personelle Umfang der meisten Hauptverhandlungen lässt eine flexible Termindisposition zu. Die Dauer der Verzögerung wird bei Verlegungen erheblich vom Gericht und nur teilweise von der Verteidigung beeinflusst. 3.  Legitimierung der Verteidigungsbeschränkung Nimmt man trotz der unter 1. und 2. erfolgten Ausführungen an, dass ein öffentliches Interesse an der zügigen Durchführung bestünde und die Verzögerung durch Terminverlegungen im Verantwortungsbereich des Verteidigers liegen würde, ist damit noch nicht geklärt, ob dies ein ausreichender Grund wäre, die Anwesenheitsmöglichkeit des Verteidigers einzuschränken. a)  Verhältnis zur Gesamtverfahrensdauer und anderen Verzögerungen In den meisten Entscheidungen zu Terminverlegungen fehlen Angaben zum Umfang der in Aussicht stehenden Verzögerung, zu den Faktoren, auf denen dieser Umfang beruht, zur bisherigen Verfahrensdauer und den Gründen für diese Dauer. Solche Ausführungen wären jedoch zur Beurteilung des Termin­ Dölling/Feltes StV 2000, 174 (175). Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  36. 409  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aaO, S.  74 ff. 410  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (116 f.). 411 Ebenda. 407 Vgl. 408 

232

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

interesses des Angeklagten sinnvoll, da das Hauptverfahren im Vergleich zum Ermittlungsverfahren nur einen geringen Anteil der Gesamtdauer ausmacht.412 Für das Ermittlungsverfahren ergab sich aus der Studie von Dölling/Feltes et al. eine durchschnittliche Dauer von 10 Monaten.413 Das Zwischenverfahren war im Durchschnitt in Ballungsgebieten nach vier Monaten abgeschlossen.414 Das Hauptverfahren dauerte im Durchschnitt in den Ballungsgebieten dreieinhalb Monate, wobei der Median bei zwei Monaten lag.415 Das Hauptverfahren nahm damit 20  % der Gesamtdauer des Verfahrens ein.416 Neben der Ermittlung der statistischen Werte wurden in der Studie auch die zehn längsten Verfahren der Stichprobe im Einzelnen untersucht. In diesen Verfahren war die lange Dauer hauptsächlich auf die Dauer des Ermittlungsverfahrens zurückzuführen.417 Bezieht man den bisherigen Verfahrensverlauf ein, ist es zweifelhaft, ob die – hypothetisch angenommene – Gefährdung öffentlicher Interessen durch die temporäre Verhinderung des Verteidigers verursacht wird. Zwar kann durch die Beachtung der Verteidigungsbelange das Verfahren verzögert werden, jedoch relativiert sich die Bedeutung dieser Verzögerung erheblich, wenn sie in ein Verhältnis zur Gesamtdauer des Verfahrens gesetzt wird.418 Dass die Verzögerung durch eine Terminverlegung im Rahmen der Gesamtdauer des Verfahrens betrachtet werden muss, wird auch durch die Rechtsprechung zum Beschleunigungsgebot nahegelegt. Der Bundesgerichtshof nimmt einen Verstoß gegen Art.  6 Abs.  1 EMRK nicht schon bei einer unsachgemäßen Verfahrensverzögerung an, sondern erst wenn die Gesamtlänge des Verfahrens einen unangemessenen Umfang erreicht hat.419 Die einzelne Verzögerung soll demnach keinen Verstoß darstellen, sondern ‚ausgleichsfähig‘ sein.420 Überträgt man diese Bewertung auf die Verzögerung durch eine Terminverlegung, ist diese nicht relevant, wenn das Verfahren insgesamt in einem dem Umfang der Sache angemessenen zeitlichen Rahmen beendet werden kann. Das bedeutet: Wenn das Verfahren trotz der terminlichen Verhinderung des Verteidigers 412  Vgl. dazu auch Albrecht NJ 1994, 396 (400) mwN; Trüg StV 2010, 528 (529 f.); Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (13, 19); vgl. auch Einzelfallbeschreibungen bei Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (274 f.). 413  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (105). 414  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (105). 415  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (106). 416  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (106). 417  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO (274 ff.). 418  So auch LG Düsseldorf StraFo 2003, 425; vgl. auch LG Stuttgart DAR 2012, 38 (39); LG Berlin StraFo 2014, 382; Hillenbrand ZAP Fach 22, 2015, 831 (836); Trüg StV 2010, 528 (529 f.); Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358 (358 f.); vgl. auch BVerfG StV 2006, 81 (85 f.). 419  BGH NStZ-RR 2002, 219; StV 2010, 228 (Rn.  33); NStZ-RR 2011, 239 (240). 420  BGH StV 2010, 228 (Rn.  33).

B.  Durchführung des Verfahrens

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in einem überschaubaren Zeitraum zu Ende geführt werden kann, wirkt sich die Verzögerung nicht erheblich auf öffentliche Verfahrensinteressen aus. Nimmt das Verfahren jedoch schon ohne die Verzögerung durch eine Verhinderung des Verteidigers einen erheblichen Zeitraum in Anspruch, ist nicht anzunehmen, dass ausgerechnet durch diese eine Verzögerung die öffentlichen Belange beeinträchtigt werden.421 Selbst wenn man eine mitursächliche Beeinträchtigung annähme, könnte das Verfahren bei einer langen Dauer des Ermittlungsverfahrens durch die Ablehnung der Terminverlegung nur in so geringem Maße beschleunigt werden, dass zweifelhaft ist, ob die Einschränkung der Verteidigung im Vergleich zum angestrebten Zweck angemessen ist. Des Weiteren könnte die Verantwortung der Strafverfolgungsbehörden für die lange Dauer des Vor- und Zwischenverfahrens oder eine Verlängerung des Hauptverfahrens durch eine fehlende Verfahrensförderung der Strafverfolgungsorgane oder eine erhebliche Verzögerung durch die Gerichtsorganisation bzw. -ausstattung422 dazu führen, dass hinsichtlich der Ablehnung von Terminanträgen der Rechtsgedanke der Verwirkung oder des venire contra factum proprium, d. h. das treuwidrige Verhalten gegen eigenes vorangegangenes Tun, herangezogen werden muss. Zumindest, wenn Belange der Strafverfolgung als Ablehnungsgründe vorgebracht werden, ist dies naheliegend. Die Problematik lässt sich anhand eines schon erwähnten Verfahrens des Landgerichts Bremen illustrieren: Das Gericht traf trotz eines über Monate ausbleibenden Sachverständigengutachtens keine diesbezüglichen verfahrensfördernden Maßnahmen, lud anschließend erst Ende Oktober zur bereits Anfang September terminierten Hauptverhandlung und lehnte den Umterminierungsantrag des Verteidigers mit der Begründung ab, ein neuer Termin stünde erst wieder Ende Januar zur Verfügung.423 Dieses Beispiel enthält mehrere sich auch in anderen Verfahren wiederfindende Verzögerungsursachen, die in der Sphäre des Gerichts liegen. Diese Aspekte werden jedoch teilweise der Verteidigung angelastet und insgesamt dem Anspruch des Angeklagten auf Beistand entgegengehalten. Neben der Verzögerung durch das verspätet erstattete Gutachten hat das Gericht durch die um fast zwei Monate verzögerte Ladung die Wahrscheinlichkeit einer Terminkollision erheblich erhöht.424 Auch die (abgelehnte) weitere Verzögerung um zwei Monate läge nicht, wie vom Amtsgericht vorgetragen, allein in der Verantwor421  Vgl. bspw. OLG Frankfurt/M StV 1993, 6; LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113); LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 422  Bspw. OLG Frankfurt/M StV 1993, 6; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Mönchengladbach StV 1998, 533 (533); LG Berlin StV 2003, 441 (441); LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 423  LG Bremen StV 1994, 11 (12). 424  Deutlich dazu der SV des OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); ähnlich: OLG Nürn-

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

tung des Verteidigers. Der Verteidiger war lediglich an dem konkreten Verhandlungstermin verhindert. Dass ein Ersatztermin erst zwei Monate später möglich gewesen wäre, lag in der Verantwortungssphäre des Gerichts. Auch wenn keine vorherige mangelnde Verfahrensförderung vorliegt, muss beachtet werden, dass die Verzögerung nicht alleine durch die Verhinderung des Verteidigers bewirkt wird, sondern die Terminslage des Gerichts entscheidend dazu beiträgt. Diese Verantwortungsverteilung muss bei der Erwägung, ob eine Einschränkung der Verteidigung zur Verhinderung von Vertagungen legitimierbar ist, beachtet werden.425 b)  Verhältnis zwischen dem Interesse an der zügigen Durchführung und der Gewährleistung des Beistandsrechts Die Effizienz des Verfahrens kann nicht als isoliertes Ziel betrachtet werden (dazu schon u. a. S. 203  f.). Ein effizientes Verfahren, welches die Rechtsordnung stärkt, kann immer nur ein Verfahren sein, welches zugleich einen effizienten Schutz der Individualinteressen beinhaltet.426 So wie ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nur bei einer sachwidrigen Verzögerung durch die Strafverfolgungsorgane vorliegt, kann es auch hinsichtlich des allgemeinen Interesses an einem zügigen Verfahren nur auf die Vermeidung von sachwidrigen Verzögerungen ankommen.427 Die effektive Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung und somit des Beistands eines Wahlverteidigers ist hingegen ein sachlich begründeter Verzögerungsgrund.428 So schloss auch der mit dem Ziel der Beschleunigung von Strafverfahren erarbeite Gesetzentwurf zum 1.  StVRG explizit alle Maßnahmen aus, die in schutzwürdige Belange des Beschuldigten eingreifen würden. Denn es sei Aufgabe des Verfahrensrechts den „Unschuldigen vor Verurteilung zu bewahren, die Menschenwürde und die Rechte auch des Schuldigen auf ein faires Verfahren zu gewährleisten, ihm eine Einwirkung auf die Wahrheitsfindung und den Gang des Verfahrens zu ermöglichen, auch seine Interessen bestmöglich zu wahren und sein Vertrauen in die Objektivität des Gerichts sicherzustellen (…).“429 berg StV 2005, 491 (492); LG Mönchengladbach StV 1998, 533 (533); LG Berlin StV 2003, 441 (441). 425  Vgl. auch Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440). 426  U. a. Hilger in FS-Salger, S.  319 (324); Lorenz GA 1992, 254 (278). 427  So auch Chr.  Laue GA 2005, 648 (661 f.); vgl. zudem Piel in FS-Widmaier, S.  429 (436, 438 f.); Tepperwien NStZ 2009, 1 (5). 428  In diese Richtung auch Chr.  Laue aaO; Sommer StV 2012, 107 (111); vgl. auch BGH NJW 2008, 2451 (2453) mwN; Bernsmann ZRP 1994, 329 (330); Piel aaO (436); Tepperwien aaO; Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (166 f.). 429  BT-Drucks. 7/551 S.  36.

B.  Durchführung des Verfahrens

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Die im Interesse der Allgemeinheit zu beachtenden Verfahrensbelange und das Beistandsrecht sind also nicht gegeneinander aufzuwiegen, sondern soweit als möglich gemeinsam zu verwirklichen.430 Die Aufgabe, einen Konflikt zwischen diesen Belangen abzuwenden, kann nicht auf den Verteidiger übertragen werden, da dieser zumeist nicht über die Möglichkeit verfügt, den Konflikt aufzulösen.431 Hauptursache terminlicher Verhinderungen sind kollidierende Hauptverhandlungstermine (vgl. S. 35). In diesem Fall besteht auf Seiten des Verteidigers nur die Handlungsoption, sich für ein Verfahren zu entscheiden – was zwangsläufig die Verteidigungsrechte in dem anderen Verfahren beeinträchtigt. Bei einer Erkrankung dürfte die Unvermeidbarkeit der Verhinderung offenkundig sein. Hindert ein vor der Terminierung geplanter Urlaub den Verteidiger an der Anwesenheit, wäre auch diese Verhinderung nur unter Beeinträchtigung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Verteidigers zu vermeiden.432 Das Gericht hat verschiedene Möglichkeiten, um das Beistandsrecht und zugleich ein zügiges Verfahren zu gewährleisten. Zum einen könnte die Zügigkeit des Verfahrens insgesamt stärker gefördert werden; dadurch könnte eine mögliche Verzögerung durch die Verteidigung im Hinblick auf das allgemeine Interesse an der Verfahrenserledigung toleriert werden (vgl.  dazu S. 232).433 Zum anderen könnte bei einer temporären Verhinderung des Verteidigers eine Verzögerung zumeist dennoch verhindert oder zumindest minimiert werden, wenn die gerichtsinterne Organisation und Ausstattung einen zeitnahen Alternativtermin zulassen würde (vgl. S.  228 f.). Dabei ist an eine Geschäftsverteilung zu denken, die eine größere Verfügbarkeit von Terminen sicherstellt,434 aber auch eine größere terminliche Flexibilität hinsichtlich Wochentagen und Uhrzeiten.435 Soweit organisatorische Verbesserungen nicht ausreichen, muss über die schon im II. Abschnitt angesprochene höhere Ausstattung bzw. Entlastung des Terminplans durch eine Gesamtentlastung der Strafjustiz nachgedacht werden.436 Terminprobleme können vom Gericht auch durch die Art der Vornahme der Terminierung vermieden werden. Eine Terminkollision kann bereits im Vorfeld verhindert werden, indem gerade in Verfahren mit mehreren Verhandlungstagen und/oder mehreren beteiligten VerteiHilger StV 2006, 451 (453). So auch Hilger StV 2006, 451 (452 f.). 432  Zum Zweck des Urlaubs für Arbeitnehmer: EuGH NJW 2012, 290 (292); vgl. auch KG OLGSt StPO §  112 Nr.  17 (Rn.  16); KG v. 17.06.2015 – 4 Ws 48/15 – 141 AR 235/15 (Rn.  21); Dahs Rn.  460; Sieg StV 1985, 451 (452). 433  Vgl. zum Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot BGH NStZ-RR 2002, 219; StV  2010, 228 (Rn.  33); NStZ-RR 2011, 239 (240). 434  Vgl. BVerfG NJW 2006, 672 (674 ff.). 435  Vgl. BGH NStZ-RR 2010, 312; Föhrig S.  23; Krumm StV 2012, 177 (178). 436 Vgl. Hilger StV 2006, 451 (453); I. Roxin StV 2010, 437 (439). 430 Vgl. 431 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

digern frühzeitig terminiert wird und zudem durch eine sorgfältige Planung das nachträgliche Hinzufügen von Fortsetzungsterminen möglichst vermieden wird.437 Denn bei nachträglich hinzugefügten Fortsetzungsterminen ist es angesichts der Terminauslastung von Gericht, Verteidigung und anderen Beteiligten und den Fristen des §  229 StPO naheliegend, dass es zu Terminierungsproblemen kommt. Daher sollte bereits von Beginn an ausreichend Zeit angesetzt werden und bspw. nicht mit einer schnellen Erledigung durch ein umfassendes Geständnis des Angeklagten kalkuliert werden.438 Die vorausschauende Terminplanung wurde durch die höhergerichtliche Rechtsprechung mehrfach angemahnt und festgestellt, dass ein Konflikt zwischen Beschleunigung und Verteidigeranwesenheit dadurch weitestgehend vermieden werden könne.439 Diesen Aspekt greift auch Schlothauer auf, der die Terminierung einer auf elf Verhandlungstage angesetzten Hauptverhandlung mit acht Verteidigern ohne Rücksprache mit diesen zweieinhalb Wochen vor Verhandlungsbeginn als „naiv“ bezeichnet.440 Neben der frühzeitigen Terminierung – zu der auch die umgehende Mitteilung der Terminierung gehört – 441 können Terminkollisionen durch eine vorherige Terminabsprache vermieden werden (ausf. noch 4. Kap., S. 300 ff.; 312 ff.).442 Wie aufwändig eine solche Absprache und wie wahrscheinlich eine Terminfindung in allseitigem Einverständnis ist, hängt von der Anzahl der zu findenden Termine und der Anzahl der Beteiligten ab. Wie auch das Oberlandesgericht Hamm befand, ist es bei kurzen Verhandlungen „nicht glaubwürdig“, dass die ‚angespannte Terminslage‘ keinen Termin in Anwesenheit des Verteidigers zulässt.443 Verfahren mit schwierigen Terminierungsbedingungen – also einer Vielzahl von Verhandlungstagen und zugleich einer Vielzahl von Beteiligten – sind eine seltene Ausnahme. Es ist also denkbar, das Verfahren insgesamt zu beschleunigen und dadurch eine mögliche Verzögerung durch eine terminliche Verhinderung des VerteidiNegativ-Bsp.: LG Dortmund StV 1986, 13; vgl. auch Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (639 f.); Schellenberg S.  13 f. 438  Vgl. dazu OLG Köln StV  2014, 32 (34). 439  BGH NJW 2008, 2451 (2453); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); OLG Oldenburg StraFo 2008, 26; OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2  Ss  (B)  101/12 (Rn.  22); vgl. auch OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12). 440  Schlothauer Anm. zu KG StV 2009, 577. 441  Gemeinsame Kommission DRiZ 1989, 241 (241); vgl. OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); LG Bremen StV 1994, 11 (12); LG Berlin StV 2003, 441 (441). 442  So u. a. KMR/Eschelbach §  213 Rn.  8; Leipold in FS-ARGE Strafrecht, S.  636 (640); E.  Müller in FS-Widmaier, S.  357 (insb. 370); Schlothauer Rn.  179; vgl. auch BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Hamburg NJW 2006, 2792; LG Braunschweig StraFo 2008, 430. 443  OLG Hamm BeckRS 2009, 23760. 437 

B.  Durchführung des Verfahrens

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gers auszugleichen. Daneben bestehen Möglichkeiten einer Terminierung, die den Anspruch auf Verteidiger-Beistand beachtet und dennoch nicht zu einer erheblichen Verzögerung führt. Die Möglichkeit einer zeitnahen Terminierung unter Berücksichtigung der Verteidigungsbelange darf dabei nicht an fehlenden Mitteln der Gerichte scheitern.444 Den Gerichten obliegt es, auf fehlende Ressourcen aufmerksam zu machen und nicht unter Hinnahme eines Mangels die Rechtsprechung den Gegebenheiten anzupassen. 445 4.  Dauer der Verfahren Bereits nach den bisherigen Ausführungen ist kaum zu legitimieren, dass ein öffentliches Interesse an der zügigen Durchführung des Verfahrens die Möglichkeit der Anwesenheit des Verteidigers einschränkt. Dennoch soll zur realistischen Einordnung der Verfahrensdurchführung noch kurz auf die allgemeine Dauer von Verfahren eingegangen werden, da in der Diskussion zumeist auf Großverfahren abstellt wird und die dortige Terminierungslage keineswegs mit dem Alltag der amtsgerichtlichen Terminierungsschwierigkeiten übereinstimmt.446 Im Jahr 2012 war ein erstinstanzliches Verfahren vor dem Amtsgericht durchschnittlich 3,8  Monate bis zur Erledigung anhängig.447 84,9  % der Verfahren waren innerhalb eines halben Jahres erledigt; 95,8  % innerhalb von einem Jahr.448 Da eine Vielzahl der im ersten Kapitel referierten Beschwerdeentscheidungen aus Bußgeldverfahren stammt, sei noch angefügt, dass Bußgeldverfahren durchschnittlich 2,9 Monate anhängig waren.449 1,8  % der Bußgeldverfahren waren über ein Jahr anhängig; über 6 Monate dauerten 10,8  % der Verfahren.450 Aufgrund der im Vergleich komplexeren Sachverhalte dauern erstinstanzliche Landgerichtsverfahren zumeist länger als Verfahren, die am Amtsgericht verhandelt werden. Aus diesem Grund bezieht sich die bereits genannte Untersuchung von Dölling/Feltes et al. ausschließlich auf Verfahren vor dem Landgericht.451 Demnach lag in den 1990er Jahren die Gesamtdauer der Verfahren vor BVerfGE 36, 264 (275); NJW 2006, 668 (671); I. Roxin StV 2010, 437 (439); vgl. auch Wohlers GA 2005, 11 (13); vgl. auch Scheffler MschrKrim 1985, 67 (68). 445  BVerfG StV 2015, 39 (41); KMR/Eschelbach §  213 Rn.  6; vgl. auch Wohlers NJW 2010, 2470 (2470). 446 Vgl. Bernsmann ZRP 1994, 329 (330). 447  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, Fachserie 10 Reihe 2.3, 2012, S.  40. 448  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO S.  40. 449  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO S.  48. 450  Errechnet nach Zahlen des Statistischen Bundesamts, aaO S.  48. 451  Dölling in Dölling/Feltes et al., S.  9 (10). 444 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

dem Landgericht gleichbleibend bei knapp über sechs Monaten mit erkennbaren Unterschieden zwischen den einzelnen Bundesländern.452 Insgesamt kann den vorliegenden Daten weder eine erhebliche Steigerung der Dauer von Strafverfahren noch eine durchschnittlich überlange Dauer entnommen werden.453 Nach Aussage Döllings bieten die Untersuchungsergebnisse der unter anderem von ihm durchgeführten Studie keinen Anlass zur Sorge über die Lage der Strafverfahrenspflege.454 Dass komplexe und/oder umfangreiche Verfahren in kürzester Zeit zu Ende geführt würden, könne legitimer Weise nicht erwartet werden.455 Zu dem gleichen Fazit kommt Weigend anlässlich der Beratungen des 60. Deutschen Juristentages.456 Wenn trotz dieser Zahlen eine überlange Dauer der Verfahren beklagt wird,457 dürfte dies an einer Verzerrung der Wahrnehmung durch die Fixierung auf einzelne Verfahren liegen. Gerade die Prozesse, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, sind überdurchschnittlich häufig Verfahren mit langer Verfahrensdauer.458 Der überwiegende Teil der stattfindenden Verfahren sind jedoch alltägliche Verfahren mit einfachen Sachverhalten.459

IV. Fazit Ein Anspruch auf die Ermöglichung der Anwesenheit des Verteidigers würde weder mit öffentlichen Interessen noch mit Belangen der Strafrechtspflege derart kollidieren, dass dies die Verhandlung ohne Verteidiger legitimiert. Da die Verhinderung des Verteidigers grundsätzlich eine temporäre ist, besteht keine Gefahr für die Durchführung des Verfahrens. Theoretisch vorstellbare Ausnahmefälle genügen nicht zur generellen Dispensation von Verteidigungsrechten. Die behauptete Bedeutung der Dauer eines Strafverfahrens für die Wahrung des Rechtsfriedens, die Erfüllung der Strafzwecke und die Wahrheitsermittlung lässt sich nicht bestätigen. Entsprechend kann nicht festgestellt werden, ab wel452  Feltes in Dölling/Feltes et al., S.  63 (66 ff.) unter Rückgriff auf die Zahlen des statistischen Bundesamtes. 453  So auch Heinrich S.  2 ff.; Jahn S.  36 f.; Kempf StV 1997, 208 (208). 454  Dölling in Dölling/Feltes et al., S.  284 (285). 455  Dölling aaO. 456  Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (12 f.). 457  Jescheck JZ 1970, 201 (204); Hanack JZ 1971, 705 (705); Kloepfer JZ 1979, 209 (209); Kohlmann in FS-Pfeiffer, S.  203 (203 ff.); Linden in Verhandlungen des 60. DJT, M 35 (35); vgl. auch BT-Drucks. 7/551 S.  34; BT-Drucks. 8/976; zur Reformgeschichte der StPO: Chr.  Laue in Dölling/Feltes et al., S.  12; zur historischen Debatte: Küng-Hofer S.  1 f. mwN. 458  So auch Bernsmann ZRP 1994, 329 (330); Dölling in FS-Meyer-Goßner, S.  101 (111); Rieß in FS-Sarstedt, S.  253 (271); vgl. auch Jahn S.  36 f.; Rieß NStZ 1994, 409 (411). 459 Vgl. Albrecht NJ 1994, 396 (399).

B.  Durchführung des Verfahrens

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chem Umfang einer Verzögerung diese Belange so erheblich gefährdet wären, dass die Verteidigungsinteressen zurückstehen müssten. Hinsichtlich der Überlastung der Gerichte besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den vorgebrachten Befürchtungen und tatsächlich feststellbaren Gefahren. Zudem könnte einer Überlastung anders als durch eine Einschränkung von Verteidigungsrechten begegnet werden. Der Ausschluss der Gewährleistung der Anwesenheit lässt sich mit diesen Befürchtungen jedenfalls nicht begründen. Bei den befürchteten Terminierungsschwierigkeiten ergibt sich ebenfalls eine wenig dramatische Situation, wenn man die Datenlage betrachtet. Angesichts dessen, dass in 96,1 % der amtsgerichtlichen Verfahren nur ein Verhandlungstermin benötigt wird und nur in 48 % der Verfahren überhaupt ein Verteidiger – und dann zumeist tatsächlich nur einer – beteiligt ist, ist kaum vorstellbar, dass in einer erheblichen Anzahl an Verfahren langfristige Terminschwierigkeiten durch die Verhinderung des Verteidigers ausgelöst werden. In sog. Mammutverfahren können solche Schwierigkeiten entstehen. Dabei handelt es sich jedoch um Ausnahmefälle, die nicht dazu führen dürfen, Verteidigungsrechte in allen Verfahren einzuschränken. Zudem muss eine durch Terminierungsschwierigkeiten verursachte Verzögerung in Relation mit der Dauer des restlichen Verfahrens gesetzt werden.460 Zudem darf nicht übersehen werden, dass die Frage der Terminierung die Rahmenbedingungen der Verhandlung und nicht die Inhalte der Verhandlung betrifft. Diese Rahmenbedingungen sind nicht absolut, sondern werden durch die Organisation und Ausstattung der Gerichte bestimmt. Da die zur Aufgabenerfüllung ausreichende Ausstattung der Gerichte in der Verantwortung des Staates liegt, kann eine rein ökonomische Problemlage kein durchgreifendes Argument zur Beschränkung der Verteidigung sein.461 Insgesamt liegt die Dauer des konkreten Verfahrens weitaus stärker in den Händen der Strafverfolgungsbehörden als in denen der Verteidigung. Die Verantwortungssphäre der staatlichen Stellen ist auch zu beachten, da sich das Interesse an der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und der zügigen Verfahrensdurchführung auf ein rechtsstaatliches – also insbesondere die Beschuldigtenrechte gewährendes – Verfahren bezieht. So wie das Beschleunigungsgebot kein schnelles Verfahren um jeden Preis gebietet, kann es auch beim öffentlichen Interesse an einem zügigen Verfahren nur auf die Vermeidung unsachgemäßer Verzögerungen ankommen. Dementgegen macht die gebräuchliche Formulierung des Interesses an einer ‚reibungslosen Durchführung‘ des Verfahrens deutlich, dass die vorge460 

So auch LG Düsseldorf StraFo 2003, 425; LG Bremen StV 1994, 11 (12). Vgl. BVerfGE 36, 264 (272 ff.); im Anschluss deutlich: BVerfG NJW 2006, 668 (671); Kühne Rn.  268; vgl. auch BVerfGE 103, 142 (155); StV 2015, 39 (42); Meyer-Goßner/Ströber ZRP 1996, 354 (357). 461 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

brachte Notwendigkeit, die zügige Durchführung des Strafverfahrens zu schützen, auf der unangemessenen Wahrnehmung von Verteidigungsrechten als Störfaktor auf dem Weg zwischen Anklage und Urteil beruht.462 Statt einer sachlich angemessenen Dauer des Verfahrens – d. h. so schnell wie möglich und so langsam wie nötig – legt die Formulierung das Interesse an einem möglichst konfliktlosen und einfachen Verfahren offen.463 Da die Verteidigung jedoch integraler Bestandteil des Strafverfahrens ist, kann in der Beteiligung der Verteidigung keine unsachgemäße Behinderung oder Verzögerung des Verfahrens gesehen werden (dazu schon S.  181 f.).464 Eine Verteidigung, die unter dem Vorbehalt steht, dass sie keinerlei Verzögerung beinhalten darf, ist keine Verteidigung im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens.465 Zusammengefasst steht also ebenso wenig fest, dass durch eine spätere Durchführung der Hauptverhandlung legitime Interessen beeinträchtigt würden, noch dass eine Verzögerung nicht durch andere Maßnahmen als eine Einschränkung der Verteidigung zu verhindern wäre. Die derzeit herrschende Ablehnung eines unbedingten Anwesenheitsrechts des Verteidigers beruht auf lediglich vermuteten Gefährdungen. Zudem hätten diese Belange – wenn sie denn gefährdet wären – keinen unbedingten Vorzug vor den Verteidigungsinteressen des unter der Unschuldsvermutung stehenden Angeklagten, welche durch das allgemeine Interesse an einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege gestärkt werden.466 So erklärte der Bundesgerichtshof, dass das Recht auf Verteidigung ein wirksames sein müsse und grundsätzlich Vorrang gegenüber staatlichen Interessen, wie dem Interesse an einer ‚funktionierenden Strafrechtspflege‘, genieße.467 Ein rechtsstaatlich geführter Prozess und die damit verbundene Gewährung von Verteidigungsrechten nehmen zwangsläufig sowohl Zeit als auch Ressourcen in Anspruch.468 Dass Strafverfahren nicht in kürzester Zeit erledigt werden können und zwangsläufig einen gewissen – auch ökonomischen – Aufwand für staatliche Einrichtungen mit sich bringen und dieser möglicherweise durch die Nutzung von Beschuldigtenrechte erhöht wird, muss hingenommen werden. Gaede StV 2012, 51 (57); Hamm NJW 1993, 289 (291). So auch Klemke/Elbs Rn.  77; vgl. auch Neuhaus StV 2002, 43 Fn.  30. 464 Vgl. Hassemer StV 1982, 275 (279); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (436, 438 f.). 465 Vgl. Mauz, Gesellschaftliche Bedingungen von Strafverteidigung, 2. Strafverteidigertag Hamburg, 1973 zitiert nach Kempf StV 1997, 208 (211). 466  Vgl. BVerfG NJW 1984, 967 (967); Salditt StV 1993, 442 (442). 467  BGH StV 1998, 246 (246). 468  Bernsmann ZRP 1994, 329 (330); Paeffgen/Wasserburg GA 2012, 535 (535); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (436); Tepperwien NStZ 2009, 1 (5); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (166 f.). 462 Vgl. 463 

C.  Missbrauch eines Terminanspruchs

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C.  Missbrauch eines Terminanspruchs Neben der allgemeinen Befürchtung einer Verzögerung oder gar Verhinderung des Verfahrens aufgrund terminlicher Schwierigkeiten bei der Gewährung eines Anspruchs auf Terminverlegung wird auch die Gefahr des Missbrauchs eines solchen Rechts als Grund gesehen, dieses Recht nicht zu gewähren.

I.  Möglicher Missbrauch eines Anwesenheitsanspruches Was genau unter Rechtsmissbrauch im Strafprozess zu verstehen ist, ist im Detail umstritten, im Kern jedoch geklärt. Als Missbrauch eines Rechts wird der zweckwidrige oder zweckentfremdete Einsatz dieses Rechts im Rahmen der formell zugestandenen Befugnisse definiert.469 Ein anderer Ansatz stellt nicht auf den Zweck des einzelnen Rechts, sondern den Zweck des Verfahrens ab.470 Aus welchem Zweck ein Recht verliehen wurde und wann eine Nutzung des Rechts nicht mehr dem Zweck entspricht, mag im Einzelfall Diskussionen auslösen, im Hinblick auf die vorliegende Frage bereitet dies jedoch keinerlei Schwierigkeiten. Wird dem Angeklagten ein Recht auf Terminverlegung zugestanden für den Fall, dass sein Verteidiger terminlich verhindert ist, läge ein Missbrauch des Rechts in der absichtlichen Herbeiführung oder reinen Behauptung einer Verhinderung. Auch die nach erfolgter Terminierung vorgenommene Auswahl eines Verteidigers ausschließlich aus dem Grund, dass dessen bestehende Termine mit dem Hauptverhandlungstermin kollidieren würden, wäre eine missbräuchliche Nutzung des Anwesenheitsanspruchs. Vorstellbar sind durchaus Fälle, die in dem gerade genannten Sinne zweckwidrig, aber dennoch nicht ‚verteidigungsfremd‘ sind. Wurde beispielsweise ein zur sachgemäßen Vorbereitung der Verteidigung gestellter Verlegungs- oder Unterbrechungsantrag abgelehnt und danach als ‚Ersatz‘ ein entsprechender Antrag wegen Verhinderung des Verteidigers gestellt, bezweckt dieser vorgeschobene Antrag eine sachgemäße Verteidigung und keine Verfahrensverzögerung.471 Nach der Missbrauchsdefinitionen, die nicht auf den Zweck des konkreten Rechts abstellt, sondern darauf, ob verfahrenswidrige Zwecke oder verfahFahl S.  723; Heinrich S.  17; Kudlich S.  21; Küng-Hofer S.  123; Niemöller StV 1996, 501 (502) mwN; Spaniol S.  277 mwN; Weber GA 1975, 289 (295); vgl. auch Kempf StV 1996, 507 (508); Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.  206; krit. Kühne StV 1996, 684 (685). 470  BGHSt 38, 111 (113); BGHSt 51, 88 (93); SK-StPO/Wohlers Vor §§  137 ff. Rn.  60; im Anschluss Pfister StV 2009, 550 (551); krit. dazu Fahl S.  723; vgl. auch Abdallah S.  90 ff.; Rüping JZ 1997, 865 (868). 471  Vgl. dazu OLG  Köln JMBl NW 1962, 225 (226); zu Verlegungsantrag zur Vermeidung der Öffentlichkeit: Pfordte/Degenhard §  15 Rn.  108. 469 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

rensfremde Verteidigeraktivitäten vorliegen,472 wäre ein solcher Antrag nicht als missbräuchliche Nutzung des Anwesenheitsanspruchs zu charakterisieren.

II.  Vorgetragene Befürchtungen eines Missbrauchs In der veröffentlichten Rechtsprechung zur Terminierung und den Kommentierungen des §  228 Abs.  2 StPO findet sich immer wieder der Hinweis, das Stattfinden eines Termins dürfe nicht in der Hand des Verteidigers liegen.473 Teilweise wird auch die etwas deutlichere Formulierung genutzt, dem Verteidiger dürfe nicht die Möglichkeit eröffnet werden, unbegründete Aussetzungswünsche zu erzwingen.474 1.  Konkrete Vorwürfe in der Rechtsprechung Weitüberwiegend werden die genannten Formulierungen einem Anspruch auf Terminverlegung entgegengesetzt, ohne dass im zugrundeliegenden Verfahren der konkrete Verdacht eines missbräuchlichen Vorgehens geäußert würde. Eines der wenigen veröffentlichten Verfahren, in welchem die terminierende Vorsitzende scheinbar einen solchen Verdacht hegte, war ein Strafbefehlsverfahren am Amtsgericht Mayen.475 Der Verteidiger hatte einen Tag nach erfolgter Ladung mitgeteilt, er habe einen kollidierenden Hauptverhandlungstermin an einem anderen Gericht und beantragte eine Neuterminierung. Zwei Wochen später und damit zwei Tage vor dem Termin teilte das Gericht mit, der Termin bleibe bestehen. Neben dem Hinweis darauf, dass es sich um einen einfach gelagerten Fall handele, den ein Kanzleikollege übernehmen könne, stützte die Vorsitzende die Ablehnung darauf, dass der betreffende Rechtsanwalt in „jedem“ Verfahren am betreffenden Amtsgericht ein Terminverlegungsantrag stelle.476 In einem anderen Verfahren hatte der neue Wahlverteidiger aus terminlichen Gründen im Vorfeld der Hauptverhandlung um eine Verlegung des Ter472  Vgl. BVerfG NJW 2006, 668 (670); Däubler-Gmelin StV 2001, 359; Nehm/Senge NStZ 1998, 377 (380). 473  U. a. BVerfG NJW 1984, 862 (863); BGH NJW 1973, 1985 (1986); BayObLGSt 1988, 179 (180); OLG Düsseldorf StV 1995, 454 (454); vgl. auch BGHSt 15, 306 (308); NJW 1988, 3273; OLG Stuttgart NJW 1979, 559 (559 f.); OLG Hamm StV 1989, 100 (101); AG Tiergarten VRR 2014, 316 (Rn.  21); KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  28; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  108; Löwe/ Rosenberg/Esser Art.  6 EMRK Rn.  731 „wäre einer Verschleppung des Verfahrens Tür und Tor geöffnet“; vgl. auch BayObLGSt 1998, 144 (145). 474  OLG Köln JMBl NW 1962, 225 (226); NJW 1968, 954; AK-StPO/Stern §  137 Rn.  19. 475  OLG Koblenz StV 2010, 477. 476  OLG Koblenz aaO (477).

C.  Missbrauch eines Terminanspruchs

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mins um zwei Monate gebeten. Das Gericht terminierte nicht um, sondern bestellte –  da ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag  – einen Sicherungsverteidiger. Der Wahlverteidiger erschien auch an Tagen zur Verhandlung, an denen er zuvor angegeben hatte, verhindert zu sein.477 Das Revisionsgericht sah sich veranlasst, von einer „hier (angeblich) bei der Mandatserteilung“ bereits bestehenden Verhinderung zu schreiben und darüber hinaus festzuhalten, dass der Verteidiger es nicht in der Hand habe, „unter Hinweis auf – angebliche oder wirkliche – Terminverhinderung beliebig eine Verlegung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu erzwingen“.478 Weitere Entscheidungen dieser Art sind in der veröffentlichen Rechtsprechung nicht enthalten. In den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs, in denen dieser festhält, dass ein Sicherungsverteidiger dann zu bestellen sei, wenn „der Verteidiger die zur reibungslosen Durchführung der Hauptverhandlung erforderlichen Maßnahmen nicht treffen kann oder nicht treffen will“,479 da andernfalls der Verteidiger das Gericht „mit der Behauptung, durch andere unaufschiebbare Aufgaben verhindert zu sein, immer wieder zu Unterbrechungen der Hauptverhandlung (…) zwingen“ könne,480 bieten die Sachverhaltsschilderungen keinen Anlass anzunehmen, der Verteidiger wolle das Verfahren durch behauptete Verhinderungen torpedieren. Den Versuch, ein solches Bild zu zeichnen stellt Sieg bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/M fest.481 Sieg führt aus, es sei für den besprochenen Beschluss „symptomatisch“, dass dort angegeben wird, der Rechtsanwalt „sei ‚nicht bereit gewesen‘“ an dem fraglichen Termin zu erscheinen, statt mitzuteilen, dass er wegen eines geplanten Urlaubs – während der üblichen Winterferienzeit – verhindert war.482 Teilweise wird die Befürchtung vorgetragen, der Angeklagte könne das Verfahren durch einen Wechsel des Verteidigers kurz vor der Hauptverhandlung oder gar einen mehrfachen Wechsel bewusst verzögern.483 Aber auch für diese Variante findet sich kein konkreter Verdacht in der veröffentlichten Rechtsprechung. In einer Entscheidung des BayObLG wird zwar mitgeteilt, dass der Angeklagte kurz vor der Hauptverhandlung den Verteidiger wechselte und zudem einen neuen Verteidiger wählte, der am Termin verhindert war, aber Anhaltspunkte für die Motivation dieses Vorgangs wurden nicht mitgeteilt.484 477 

OLG Stuttgart NJW 1979, 559. OLG Stuttgart aaO (559 f.); im Anschluss: Fahl S.  598. 479  BGHSt 15, 306 (309); NJW 1973, 1985 (1985), Hervorhebung nicht im Original. 480  BGHSt 15, 306 (308); ähnlich BGH NJW 1973, 1985, Hervorhebung nicht im Original. 481  Sieg StV 1985, 451 (452), Anm. zu OLG Frankfurt/M StV 1985, 450 482  Sieg aaO. 483  AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  6. 484  BayObLGSt 1998, 144 (145 f.). 478 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

2.  Historische Entwicklung In den Gesetzgebungsmaterialien zu §  228 Abs.  2 StPO finden sich solche Befürchtungen noch nicht. Die Einschränkung des §  137 Abs.  1 StPO durch die Regelung des §  228 Abs.  2 StPO wurde zwar mit befürchteten Terminschwierigkeiten begründet, jedoch wurde die Gefahr der tatsächlichen Verhinderung von Strafverteidigern gesehen und nicht behaupteter Verhinderungen.485 In den Beratungen zum §  228 Abs.  2 StPO wurde zwar auf die Diskussionen zum §  145 StPO Bezug genommen,486 in welchen auch die durch einen Verteidigerwechsel bewusst herbeigeführte Aussetzung angesprochen worden war.487 Der Verweis auf die Beratungen zum §  145 StPO ist jedoch allgemein gehalten und nimmt keinen konkreten Bezug auf diese Diskussion.488 Inwiefern bei der Abfassung des §  228 Abs.  2 StPO Missbrauchsbefürchtungen eine Rolle spielten, kann daher nicht abschließend geklärt werden. Die später abgefasste Gesetzesbegründung nennt eine solche Befürchtung jedenfalls nicht und spricht somit gegen die Relevanz solcher Überlegungen bei der Verabschiedung des §  228 Abs.  2 StPO. Ähnlich stellt sich die Situation bei §  265 StPO dar. In den Beratungen zu §  265 Abs.  1–3 RStPO wurden Befürchtungen „schikanöse[r] Vertagungsanträge“ geäußert, wenn man auf die Einschätzung des Angeklagten abstellen würde, ob er aufgrund der geänderten Anklage mehr Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung bedürfe.489 Auf §  265 Abs.  4 StPO, der den Fall des ausbleibenden Verteidigers erfasst, wurde diese Diskussion nicht bezogen. Erst in der Rechtsprechung der Bundesrepublik finden sich die eingangs zitierten Formulierungen. Wodurch sich diese Sichtweise auf den Regelungszweck des §  228 Abs.  2 StPO gewandelt hat, ist nicht ersichtlich. Scheinbar geht der Leitsatz nicht auf ein konkretes Verfahren zurück, in welchem eine solche Verteidigungsstrategie vermutet wurde. Die erste veröffentlichte Entscheidung, welche eine solche Formulierung enthält, ist aus dem Jahr 1962 – also zeitlich vor der um sich greifenden Diskussion um die ‚dysfunktionale‘ Verteidigung, welche mit den Prozessen im Kontext der 68er-Bewegung begann und sich während der Verfahren gegen Mitglieder der RAF verschärfte.490

485 

Motive S.  159; aufgrund der geringen Anzahl der Anwälte und der noch geringeren Anzahl der als Strafverteidiger tätigen Anwälte. 486  Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  982 (69 Sitzung, Original S.  525). 487  Hahn aaO, S.  969 f. (68 Sitzung, Original S.  509 ff.). 488  Hahn aaO, S.  982 (69 Sitzung, Original S.  525). 489  Motive S.  193; ebenfalls Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  210. 490  Vgl. dazu nur E. Müller NJW 1981, 1801 mzN; zur Historie vor dieser Entwicklung s.  Abdallah S.  32 ff.

C.  Missbrauch eines Terminanspruchs

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3. Literatur Auch in der im weiteren Zeitverlauf zumeist unter dem Stichwort der ‚Konfliktverteidigung‘ bis heute nicht abebbenden Debatte, die sich von sog. politischen Verfahren auf die Strafverteidigung als solche ausdehnte,491 ist die Behauptung einer terminlichen Verhinderung als Beispiel einer dysfunktionalen Verteidigungsstrategie kaum präsent.492 Lediglich die Habilitationsschrift von Fahl, welche sich umfassend mit allen Varianten des Rechtsmissbrauchs im Strafprozess durch alle Verfahrensbeteiligte beschäftigt, nennt auch die Möglichkeit, eine ungerechtfertigte Aussetzung durch eine terminliche Verhinderung oder durch einen kurz vor oder während der Verhandlung herbeigeführten Verteidigerwechsel zu erreichen, wobei er als Beispiel lediglich auf das oben schon genannte Verfahren des BayObLG (S. 243) verweist.493 Neben rechtswissenschaftlichen Werken zur dysfunktionalen Verteidigung existiert richterliche Praktikerliteratur zur zügigen Durchführung der Hauptverhandlung trotz ‚störender‘ Verteidigung. Heinrich, der in seiner Handreichung zahlreiche Situationen erfasst hat, widmet der Thematik des terminlich verhinderten Verteidigers keinen vollständigen Satz.494 Als eigenständiges Beispiel erwähnt er kurz den „‚plötzlich‘“ zum Abschluss der Verhandlung erkrankten Verteidiger.495 Schellenberg, der ebenfalls ein hauptsächlich an Vorsitzende gerichtetes Werk zur Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung geschrieben hat, mahnt ausdrücklich davor, vorschnell von einer nur vorgeschobenen Verhinderung auszugehen.496 Nur Artkämper und Föhrig besprechen die Terminierungsproblematik etwas ausführlicher, wobei Artkämper überwiegend auf Föhrig verweist. Nach den von Föhrig berichteten Erfahrungen könnten die „zunächst völlig unabkömmlichen Verteidiger“ dennoch am Termin teilnehmen, wenn der Vorsitzende jeglichen Terminkompromiss ablehnt, da sie „sich plötzlich unter größten Schwierigkeiten denn doch noch freizumachen wussten“.497 Ähnlich der referierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (S. 242 f.) geht Föhrig offenkundig davon aus, dass die zuvor geltend gemachte Verhinderung nicht bestand. Letztlich stellt er bei der ProbleVgl. bspw. Berg DRiZ 1994, 380; Fischer NStZ 1997, 212 (213); Hamm in FS-Sarstedt, S.  49; Kühne StV 1996, 684; Nehm/Senge NStZ 1998, 377 (377); Weber GA 1975, 289 (289 f.); kurze Zusammenfassung bei Jahn S.  27 ff.; Chr.  Laue in Dölling/Feltes et al., S.  12 (60 ff.) jeweils mzN; Wissenschaftliche Monographien: Abdallah; Fahl; Grüner; Jahn; Kudlich; Anleitungsbücher für Richter/innen: Artkämper; Föhrig; Heinrich. 492  Am Rande: Fischer NStZ 1997, 212 (213 f., 217). 493  Fahl S.  350, 597 f. 494  Heinrich S.  115. 495  Heinrich S.  152. 496  Schellenberg S.  40 Fn.  16. 497  Föhrig S.  24. 491 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

matik der Terminfindung jedoch weniger darauf ab, dass bewusste Verzögerungsstrategie stattfänden, als dass die Anwaltschaft „sich stets mehr auf den Teller“ lade als sie „aufessen kann“,498 also notorisch terminlich überlastet sei.499 Dass es sich nach seiner Einschätzung bei mitgeteilten Verhinderungen nicht um kollusive Versuche der Verfahrenssabotage handelt, wird auch daran deutlich, dass Föhrig als Gegenstrategie die –  nachträgliche  – Information des Angeklagten über die Verzögerung durch den Verteidiger vorschlägt.500 Neben den Verweisen auf Föhrig referiert Artkämper eine Entscheidung des Kammergerichts, deren Sachverhalt er stark verkürzt wiedergibt.501 Nach der Schilderung von Artkämper bat der Verteidiger um eine Terminverschiebung aufgrund des Todes seiner Mutter und trat dennoch am gleichen Tag in anderer Sache auf.502 Ob die Mutter tatsächlich verstorben war, lässt die Schilderung von Artkämper offen. Erst ein Blick in die Originalentscheidung klärt auf, dass keine Anzeichen für eine missbräuchlich behauptete Verhinderung vorliegen. Der Verteidiger war – nach dem Versterben seiner Mutter – in der anderen Sache lediglich aufgetreten, da es sich um eine schnell zu erledigende Bußgeldsache handelte, bei der der Betroffene nicht mehr erreicht werden konnte, um ihm die Verhinderung des Verteidigers mitzuteilen.503 4. Schlussfolgerung Aus der veröffentlichten Rechtsprechung zur Terminierung und den Veröffentlichungen zur Diskussion um eine ‚Konfliktverteidigung‘, lässt sich keine virulente Praxis der vorgeschobenen Verhinderungsgründe entnehmen und somit auch kaum erklären, was zur standardmäßigen Aufnahme dieses Arguments in die Rechtsprechung geführt hat. Das Vorbringen einer bestehenden Missbrauchsgefahr belässt es also bei der Vermutung einer Gefahr, ohne ihr Bestehen zu konkretisieren (vgl. dazu schon B.). Selbst die wenigen Beispiele, in denen die Missbrauchsbefürchtungen ausgeführt werden, tragen diese Befürchtungen keineswegs. Die Feststellung, der ‚angeblich‘ verhinderte Verteidiger komme später dennoch zum angesetzten Termin, muss nicht zwingend bedeuten, die Verhinderung sei vorgeschoben gewesen. Mindestens genauso wahrscheinlich hat der Verteidiger tatsächlich „unter größten Schwierigkeiten“504 andere Termine verlegt oder delegiert. Föhrig S.  24. Im Anschluss: Artkämper Rn.  261. 500  Föhrig S.  24 f. 501  Artkämper Rn.  185. 502 Ebenda. 503  KG NStZ 1988, 178. 504  Ironische Formulierung von Föhrig S.  24. 498 

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C.  Missbrauch eines Terminanspruchs

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Die routinemäßig vorgetragene Gefahr des Missbrauchs eines Verlegungsanspruchs trotz mangelnder Beispiele eines Missbrauchs korrespondiert mit der umfangreichen Diskussion zur sog. Konfliktverteidigung, die in keinem Verhältnis zur strafgerichtlichen Praxis steht.505 In mehreren Untersuchungen wurden zum einen kaum Verfahrensverzögerungen festgestellt, die auf einer sabotierenden Verteidigungsstrategie beruhten, und zum anderen klargestellt, dass die strafgerichtliche Praxis eher von einer passiven Verteidigung geprägt ist.506 Daten zu zweckwidrigen Umterminierungsanträgen lassen sich den genannten Studien nicht entnehmen, jedoch ist die Vermutung nicht fernliegend, dass es sich mit dem Verhältnis zwischen vorgetragener und tatsächlicher Gefahr des Missbrauchs von Umterminierungsanträgen ähnlich verhält wie mit dem allgemeinen Vorwurf der sabotierenden Verteidigung. In einer Studie zur Dauer von Strafverfahren am Landgericht wurden neben der statistischen Erhebung zahlreicher Merkmale die zehn längsten Verfahren der Stichprobe im Einzelnen untersucht, welche sämtlich bis zum rechtskräftigen Abschluss über sieben Jahre andauerten.507 In keinem dieser Verfahren wurde eine Terminunstimmigkeit mit der Verteidigung vermerkt.

III.  ‚Indizien‘ für Missbrauchsgefahr – Interessenlage Dass sich derzeit kaum Fälle finden lassen, in denen zumindest der Verdacht eines missbräuchlichen Verlegungsantrages besteht, lässt noch nicht die Gefahr der zweckwidrigen Nutzung eines Verlegungsanspruches de lege ferenda entfallen. Daher muss neben dem Versuch einer empirischen Annäherung an eine derzeit bestehende Gefahr auch eine Gefahr bei veränderter Rechtslage antizipiert werden. Die Formulierung, das Stattfinden des Termins dürfe nicht in der Hand des Verteidigers liegen, impliziert die Vermutung, dass andernfalls eine Verschiebung des Termins nicht nur in der Hand, sondern auch im Interesse des Verteidigers läge. Dafür müsste die Verzögerung des Verfahrens zunächst dem Mandanteninteresse entsprechen. Die Annahme, dass eine Verzögerung und damit Verlängerung des Verfahrens im Interesse des Beschuldigten liegt, wi505  Krit. dazu u. a. Bernsmann ZRP 1994, 329 (331); ders. StraFo 1999, 226 (228); Gaede StV 2012, 51 (53); Hamm NJW 1993, 289 (297); Jahn S.  36 f.; Peters, Strafrechtspflege S.  83 f.; Weigend ZStW 113 (2001), 271 (273); Wohlers NJW 2010, 2470 (2472); vgl. auch Heinrich S.  1. 506  Barton StV 1984, 394 (395 ff.); Däubler-Gmelin StV 2001, 359; Dölling in Dölling/ Feltes et al., S.  284 (284); Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (125 ff., 159 ff., 274 ff.); Dölling/Feltes StV 2001, 174 (175); Nehm/Senge NStZ 1998, 377; Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  71 (77 f.); Vogtherr S.  298. 507  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (274 ff.).

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

derspricht grundlegend dem allgemein anerkannten und bedeutenden Verfahrensgrundsatz des Beschleunigungsgebots. Das Beschleunigungsgebot besteht zum Schutze des Angeklagten, da sowohl das laufende Verfahren als auch der ungeklärte Verdacht eine große zeitliche, soziale, ggf. wirtschaftliche und psychische Belastung darstellt (ausf. S. 107  ff.). Neben diesen Belastungen können weitere Einschränkungen durch vorläufige Maßnahmen bestehen. Es ist davon auszugehen, dass regelmäßig nicht die Verzögerung des Verfahrens, sondern dessen baldiger Abschluss im Interesse des Beschuldigten liegt.508 Entsprechend wird in der Praktikerliteratur Strafverteidigern empfohlen, Anträge, die zu einer Aussetzung führen können, nur nach reiflicher Überlegung zu stellen, um keine unnötigen Nachteile und höheren Kosten für den Mandanten zu verursachen.509 Auch in Bezug auf die Terminierung der Hauptverhandlung wird auf das Interesse des Mandanten an einem möglichst baldigen Termin hingewiesen.510 Dass in Einzelfällen die genannten negativen Effekte des laufenden Verfahrens nicht auftreten und der Beschuldigte in diesem Fall eine erwartete Strafe ggf. hinauszögern möchte,511 kann nicht die Gefahr einer bewussten Verzögerung in sämtlichen Verfahren begründen. Die Annahme, der Beschuldigte wolle die Strafe hinauszögern, setzt zudem voraus, dass der Beschuldigte mit einer Verurteilung rechnet – eine Vermutung, die mit der Unschuldsvermutung kollidiert. Regelmäßig wird der Angeklagte nicht nur kein Interesse an einer Verlängerung des Verfahren haben, sondern ebenso kein Interesse daran, das über ihn urteilende Gericht zu verärgern.512 Zu diesen Mandanteninteressen, die einer bewussten Verzögerung entgegenstehen, kommen eigene Interessen der Verteidiger, die ebenfalls gegen die Durchführung bewusst verfahrenshindernder Maßnahmen sprechen. In den meisten Verfahren sind ortsansässige Verteidiger tätig.513 Durch die regelmäßige ‚Zusammenarbeit‘ kann es zu kollegialen Verhältnissen zwischen örtlichen Verteidigern und Richtern kommen, welche dazu führen können, dass ein Kon508  So u. a. auch Egner S.  59; Freyschmidt/Ignor NStZ 2004, 465 (468), Khostevan S.  112 f. in Bezug auf befragte jugendliche Straftäter. 509  AnwK-StPO/Martis §  265 Rn.  16; Malek Rn.  142; vgl. auch AK-StPO/Stern Vorbem. §  137 Rn.  44. 510  Schlothauer Rn.  179. 511  So Albrecht NJ 1994, 396 (396); Dahs Rn.  67; Landau in FS-Hassemer, S.  1073 (1074); weiter, jedoch wenig überzeugend: Kohlhaas ZPR 1974, 7 (8); ihm zustimmend: Hillenkamp JR 1975, 133 (135); Küng-Hofer S.  29 f. 512 Vgl. Dahs Rn.  460; Jahn S.  26 f.; Kühne Rn.  745; Malek Rn.  47; Mützelburg in FSDünne­bier, S.  277 (281 f.); in seinem Praxisbuch für Richter explizit auf die grds. Unzulässigkeit einer Strafverschärfung und Ausnahmen hinweisend: Heinrich S.  201 ff. 513  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (125 f.): 80  %; Vogtherr S.  192, 210: 75–88 %.

C.  Missbrauch eines Terminanspruchs

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flikt mit dem Gericht im Hinblick auf zukünftige Verfahren unbewusst oder strategisch gescheut wird.514 Dabei sei auch auf die Realität der im Durchschnitt eher passiven Verteidigung zu verwiesen (s. S. 247). Aus finanzieller Sicht liegt die Verhinderung der Hauptverhandlung ebenfalls nicht im Interesse des Verteidigers.515

IV.  Vergleich mit anderen Rechten der Verteidigung Sowohl die bisherigen Erfahrungen als auch die Interessen der Verfahrensbeteiligten weisen somit nicht auf eine drängende Gefahr der zweckwidrigen Nutzung eines Rechts auf Terminverlegung hin. Auszuschließen ist eine solche Nutzung dennoch nicht. Dies trifft allerdings auf alle Verfahrensrechte oder Handlungsmöglichkeiten der Verteidigung und anderer Verfahrensbeteiligter zu. Offenkundig kann die Konsequenz nicht sein, alle Verteidigungsrechte und somit das Institut der Verteidigung als Ganzes abzuschaffen. Soweit jedoch eine Vielzahl von Verteidigungsrechten gewährt wird, ist zu fragen, warum gerade das Recht auf die terminliche Anwesenheitsmöglichkeit des Verteidigers in der Hauptverhandlung aufgrund eines möglichen Missbrauchs dieses Rechts nicht gewährt werden sollte. Es sind zwei Begründungen möglich. Ein solcher Anspruch könnte im Vergleich zu anderen Rechten der Verteidigung verzichtbarer sein. Oder es könnte eine spezifische, also überragende Missbrauchsgefahr besteht. Dass die Möglichkeit der Anwesenheit des Verteidigers in der Hauptverhandlung grundlegend für die Subjektposition des Angeklagten und die effektive Nutzung des Rechts auf Verteidigung ist, wurde bereits ausführlich dargelegt (2. Kap.). Von einer besonders leichten Verzichtbarkeit kann keinesfalls ausgegangen werden. Auch eine überragende Gefahr einer missbräuchlichen Nutzung konnte anhand der bisherigen Erfahrungen (vgl. II.) und der Interessenlagen (vgl. III.) nicht festgestellt werden. Ein signifikanter Unterschied des Terminierungsanspruchs zu anderen Verteidigungsrechten wie Frage- und Erklärungsrechten oder dem Beweisantragsrecht liegt darin, dass nicht der innere Ablauf der Verhandlung beeinflusst wird, sondern die äußeren Rahmenbedingungen. Aus diesem Unterschied ergibt sich jedoch keine größere Gefahr eines Missbrauchs oder eine intensivere Auswirkung einer missbräuchlichen Nutzung. Eher ist das Gegenteil der Fall. Die Feststellung einer zweckwidrigen Nutzung der genannten Verteidigungsrechte kann sich zumeist nur aus der subjektiven Zielrichtung der Verteidigungsmaßnahme Dürkop in Holtfort, S.  152 (162); Kühne Rn.  476; Thomas in Verhandlungen des 68.  DJT, N 25 (30); vgl. auch Klemke/Elbs 81 f.; vgl. zum vertrauensvollen Verhältnis: Dahs Rn.  178 ff. 515  Burmann NZV 1996, 165 (165); Schellenberg S.  40 Fn.  16. 514 

250

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

ergeben.516 Das Gericht kann also nur Vermutungen darüber anstellen. Subjektive Zielsetzungen sind durch das Gericht zwar auch bei materiell-rechtlichen Subsumtionen zu beurteilen, jedoch betrifft hier die Motivation des Handelns die geschützte Verteidigungssphäre. Das heißt, will ein Verteidiger einen bestehenden Verdacht ausräumen, wird dies häufig mit der Preisgabe von Verteidigungsinterna einhergehen.517 Ob der Verteidiger terminlich verhindert ist, ist hingegen – zumindest in Bezug auf die anerkannten Verhinderungsgründe (vgl. S. 34 ff.) – eine objektive und keine subjektive Tatsache. Die Verhinderung – z. B. eine kollidierende Hauptverhandlung oder Erkrankung – könnte also im konkreten Verdachtsfall nachgewiesen werden;518 wenn auch anzumerken ist, dass ein Nachweis im Regelfall nicht einem adäquaten Umgang mit Erklärungen des Verteidigers entspricht.519 Ein weiterer Unterschied liegt in der Auswirkung einer möglichen missbräuchlichen Nutzung. Beim extensiven Gebrauch von Antragsrechten in der Hauptverhandlung wird die Befürchtung geäußert, ein ganzer Spruchkörper könne durch ein einzelnes Verfahren aufgrund des Umfangs der zu bearbeitenden Anträge und der erheblichen Verlängerung der Hauptverhandlung blockiert werden.520 Im Falle der sachwidrigen Nutzung eines Terminantrags würde zwar möglicherweise die Dauer des Hauptverfahrens verlängert und der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens verzögert, jedoch nicht die Dauer der Hauptverhandlung selber. Ein Termin, der nicht stattfindet, bindet keine Arbeitskräfte. Im günstigsten Falle kann an diesem Termin ein anderes Verfahren durchgeführt werden, womit die Gesamtbelastung des Spruchkörpers also in keiner Weise betroffen wäre. Selbst wenn dies aus organisatorischen Gründen nicht möglich wäre, sind die Mitglieder des Spruchkörpers nicht blockiert, sondern können anderweitig nötige Tätigkeiten durchführen. Gerade an Verhandlungstagen, an denen mehrere Verfahren hintereinander terminiert sind, dürfte der kurzfristige Ausfall eines Verfahrens zumeist für eine Entlastung der anderen Verfahren und möglicherweise eine zügigere Durchführung sorgen, wenn durch eine so ermöglichte längere Verhandlungsdauer Fortsetzungstermine unnötig werden.521

516  Berg DRiZ 1994, 380 (383); Niemöller StV 1996, 501 (504); krit. dazu Hassemer in FS-Meyer-Goßner, S.  127 (141); K. Meyer JR 1980, 219 (220). 517  Vgl. bspw. Scheffler GA 2005, 449 (460 f.). 518 Vgl. Schellenberg S.  40. 519  Vgl. OLG Hamm SVR 2008, 387. 520  U. a. LG Wiesbaden StV 1995, 239 (240); Berg DRiZ 1994, 380 (382); Justizminister-Konferenz StV 1982, 325 (326); vgl. auch BGH StV 2006, 113 (114); Hassemer in FSMeyer-Goßner, S.  127 (140 f., 143). 521  Vgl. auch Schellenberg S.  216.

C.  Missbrauch eines Terminanspruchs

251

V.  Weitere Widersprüche Daneben sprechen zwei Aspekte, die nicht ausschließlich die Terminierung betreffen, sondern auch die allgemeine Diskussion um Missbrauch von Verteidigungsrechten, gegen einen Ausschluss eines Verteidigungsrechts aufgrund einer Missbrauchsgefahr. Zum einen widerspricht die –  im Hinblick auf die Empirie übertriebene  – Angst vor einer sachwidrigen Nutzung von Verteidigungsrechten den Grundlagen des Strafprozesses.522 Es ist inkonsequent, den Verteidiger als Organ der Rechtspflege anzusehen, ihm aber dennoch mit generellem Misstrauen zu begegnen und ihm nicht die gleiche Achtung entgegenzubringen wie anderen Organen der Rechtspflege.523 Bereits die Gesetzgebungs-Kommission zur StPO hielt fest: „Der beste Schutz wird allerdings darin liegen, daß die Gesetzgebung der Vertheidigung die ihr gebührende Stellung im Verfahren eingeräumt und ihr mit demjenigen Vertrauen entgegenkommt, welches am Meisten geeignet ist, die Neigung zu Mißbräuchen zu verhindern und den Widerwillen gegen sie zu verstärken. Das Mißtrauen reizt zu Mißbräuchen an, das Vertrauen sichert einen würdigen Gebrauch.“524 Eine Veröffentlichung im Vorfeld des sog. Stammheim-Prozesses sagte Verfahrenssabotagen durch die Verteidiger voraus, welche „sich von angeblichen ‚Faschisten‘ verprügeln lassen“ würden, um anschließend terminverhindernde Verletzungen zu „markieren“.525 Wenig überraschend ist die Vorhersage trotz des sicherlich außergewöhnlichen Prozesses nicht eingetreten. Gegenwärtig würde wohl kaum jemand ein solch überbordendes ‚Engagement‘ von Verteidigern erwarten. Grundsätzlich ist der Angeklagte zur Verfahrensverzögerung durch die Ausnutzung eines Anspruchs auf terminliche Ermöglichung der Verteidiger-Anwesenheit jedoch auf eine solche ‚Mitarbeit‘ des Verteidigers angewiesen. Ein wenig anders stellt sich die Situation bei der Terminverhinderung durch die Auswahl des Verteidigers oder den kurzfristigen Wechsel des Verteidigers dar. Dennoch bestehen auch hier über die bereits dargestellten Gründe hinaus weitere Zweifel an der Relevanz solcher missbräuchlichen Nutzungen. Zum einen gebietet es insbesondere die Unschuldsvermutung, nicht nur den Verteidiger, sondern auch den Angeklagten als Prozesssubjekt ernst zu nehmen Holtfort in Holtfort, S.  37 (37 f.); Müller-Meinigen Jr. in Schuld und Sühne, S.  49 (59 f.); vgl. BGHSt 13, 337 (345); vgl. auch Ferner SVR 2006, 390 (390); Schmidt-Leichner Anm. zu BGH NJW 1995, 2164. 523 Vgl. Bernsmann StraFo 1999, 226 (227); Freyschmidt/Ignor NStZ 2004, 465 (466); E.  Müller NJW 1981, 1801 (1807). 524  Aus Bericht der Kommission S.  30 f. zitiert nach v.  S chwarze (1878) Vorbem. zu 11. Abschn., S.  274 f. 525  Baader-Meinhof-Report, S.  124. 522 

252

3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

und ihm nicht generell den Missbrauch der Verfahrensrechte zu unterstellen.526 Zum anderen wäre eine sachwidrige Nutzung des Anspruchs allein durch den Angeklagten nur in einem sehr beschränkten Umfang möglich. Der Angeklagte könnte zwar durch einen Verteidiger-Wechsel einen Terminausfall herbeiführen, aber eine mehrmalige Durchführung dieser Strategie würde nicht nur schnell an finanzielle Grenzen stoßen, sondern bedürfte wiederum der Mitwirkung – dann nicht nur eines, sondern mehrerer – Verteidiger. Es dürfte schwerfallen, nach mehrmaligem Wechsel kurz vor dem jeweiligen Termin einen Anwalt zu finden, der bereit ist, das Mandat zu übernehmen. Ein weiterer Aspekt, der von vielen Autoren betont wird, ist der Hinweis, dass die Diskussion um den Missbrauch von Rechten im Strafverfahren nicht auf Verteidiger-Verhalten beschränkt werden dürfe, da auch Richter und Staatsanwälte Befugnisse überdehnten oder zweckwidrig einsetzten.527 Die staatliche Macht der Strafverfolgung trägt die Gefahr des Machtmissbrauchs in sich.528 Dies gilt nicht nur, weil Macht grundsätzlich die Tendenz der Ausdehnung inne wohnt, sondern weil gerade lautere Motive wie die Herstellung von Gerechtigkeit die Versuchung beinhalten, Regelungen zu umgehen oder auszudehnen.529 Diese grundsätzlichen Erwägungen finden sich auch im Kontext der Verzögerung des Verfahrens wieder. Die Ergebnisse der Studie von Dölling/ Feltes et al. zeigen ein anderes Bild als das des verschleppenden Verteidigers. Die Studie kam nicht nur zu dem Gesamtfazit, dass kaum (absichtliche) Verzögerungen durch Verteidiger festgestellt werden konnten,530 sondern stellte auch fest, dass 12,2  % der Beweisanträge der Anklage wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt wurden.531 Daher erscheint die Lösung, einer vermuteten Missbrauchsgefahr durch die Verteidigung dadurch zu begegnen, dass man dem Vorsitzenden eine unüberprüfbare ‚Terminshoheit‘ zuspricht und zum Schutz des Angeklagten die diffuse Fürsorgepflicht des Gerichts ausreichen lässt, kaum sachgerecht.532

So auch Schlothauer StV 1981, 443 (447). U. a. Abdallah S.  19 ff.; Fischer NStZ 1997, 212 (214); Freyschmidt/Ignor NStZ 2004, 465 (466); Hamm NJW 1993, 289 (297); Heinrich S.  4 f.; Fahl S.  6 ff. mzN, S.  724; Kempf StV 1997, 208 (208); Kühne Rn.  723.1; ders. StV 1996, 684 (684); Peters, Strafprozeß S.  80; Rüping JZ 1997, 865 (869); Waßmer ZStW 118 (2006), 159 (167 f.); Zwiehoff JR 2006, 505 (505); zu strukturellen Unterschieden: Kühne StV 1996, 684 (687 f.). 528  Vgl. nur Degenhart in HStR III Rn.  30; Fischer StV 2010, 423 (426); Peters, Strafprozeß S.  80; Zwiehoff JR 2006, 505 (507). 529  Peters Strafprozeß S.  80; vgl. auch BGHSt 42, 15 (20). 530  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig in Dölling/Feltes et al., S.  103 (169). 531  Dölling/Dittmann/Laue/Törnig aaO. 532 Vgl. Fischer NStZ 1997, 212 (215); Zwiehoff JR 2006, 505 (505). 526  527 

D. Fazit

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VI.  Abschließend Wie gezeigt bestehen erhebliche Zweifel an der Relevanz einer Missbrauchsgefahr, sowohl hinsichtlich der Häufigkeit als auch der Erheblichkeit der Auswirkungen. Bei der Beurteilung des Risikos einer missbräuchlichen Nutzung muss zudem betont werden, dass die Wahrheitsermittlung und Urteilsfindung nicht direkt betroffen sind, sondern ‚nur‘ eine zeitliche Verzögerung im Raum steht. Im Durchschnittsfall ist durch eine Verzögerung keine schwerwiegende Beeinträchtigung von Verfahrensbelangen zu erwarten (s.  S. 206  ff.). Daher ist das Risiko einer solchen Verzögerung aus rechtsstaatlicher Sicht eher hinzunehmen als das Risiko einer ungerechtfertigten Beeinträchtigung der Möglichkeit, sich unter Beistand des gewählten Verteidigers gegen prozessuale oder materielle Fehlentscheidungen sachgemäß wehren zu können.533 Zudem wäre es möglich, die Gefahr einer missbräuchlichen Nutzung dadurch zu verringern, dass ein Anspruch auf Terminverlegung nicht unbegrenzt gewährt wird, sondern – beispielsweise ähnlich dem §  244 Abs.  3 S.  2 StPO – unter dem Vorbehalt der sachgemäßen Nutzung steht. Neben dem Beweisantragsrecht finden sich in der StPO zahlreiche andere Normen, die solche Beschränkungen enthalten.534 Der explizite Ausschluss eines Anspruchs ist also nicht die einzige Regelungsmöglichkeit, um Missbrauchsbefürchtungen zu begegnen.535 Zusammengefasst reicht die eher geringe Gefahr, dass in einzelnen Verfahren ein Anspruch missbraucht werden könnte, keinesfalls aus, um die Ermöglichung der Anwesenheit als grundlegendstes Beistandsrecht in sämtlichen Verfahren unter das Fürsorgeermessen des Gerichts zu stellen,536 zumal kaum Verhandlungsressourcen blockiert würden und die Verhinderung eine sachlich festzustellende Tatsache ist.

D.  Fazit Die Eingangsfrage dieses Kapitel war, ob ein Anspruch des Angeklagten auf die terminliche Ermöglichung der Teilnahme des gewählten Verteidigers mit anderen Verfahrensbelangen zu vereinbaren wäre. Das Beschleunigungsgebot steht einem solchen Anspruch nicht generell entgegen, sondern könnte nur im Einzelfall zu einer Einschränkung des Anspruchs führen, wenn mehrere Personen in einem Verfahren angeklagt sind. Des WeiteKern MschrKrim 1924, 237 (248); K. Meyer JR 1980, 219 (200). Zusammenstellung bei: Niemöller StV 1996, 501 (501). 535  Vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S.  206. 536 Vgl. Bernsmann ZRP 1994, 329 (331); Rüping JZ 1997, 865 (868). 533 Vgl. 534 

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3. Kapitel:  Vereinbarkeit mit anderen Belangen

ren kann das Beschleunigungsgebot eine Rolle bei der genauen Ausgestaltung des Anspruchs spielen, da Verzögerungen aufgrund der Verhinderung des Verteidigers ggf. unter dem Vorbehalt der Einwilligung des Angeklagten stehen. Auch die Befürchtungen des Missbrauchs sprechen nicht grundlegend gegen die Gewährung dieses Rechts, sondern können ebenfalls lediglich bei der genauen Ausgestaltung berücksichtigt werden. Dass Interessen der Allgemeinheit durch einen Anspruch auf terminliche Ermöglichung der Anwesenheit erheblich beeinträchtigt würden, konnte nicht festgestellt werden. Neben den Zweifeln an der Erheblichkeit des zügigen Verfahrens für Interessen der Allgemeinheit muss berücksichtigt werden, dass Aufgaben des Strafprozesses wie der Erhalt des Rechtsfriedens nur durch Verfahren erfüllt werden können, die den Schutz der Individualrechte beinhalten. Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Justiz ist nicht zu befürchten. Auch erhebliche Terminierungsschwierigkeiten sind nur in seltenen Ausnahmefällen zu befürchten. Die Gefahr der Verzögerung von Verfahren könnte durch Maßnahmen der Justiz verkleinert werden. Bei den Belangen der Justiz, die betroffen sein könnten, geht es um Kosten- und Organisationsbelange. Beide legitimieren die Einschränkung grundlegender Verteidigungsrechte nicht. Staatliche Stellen sind zwar verpflichtet, möglichst kostenschonend zu arbeiten, jedoch kann die Gewährleistung von Prozessgrundsätzen nicht unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit stehen kann.537 Die Verpflichtung zur Ressourcenschonung kann sich nur auf die Auswahl zwischen Alternativen beziehen, die keine Einschränkung von Rechten mit sich bringen.538 Daher sind organisatorische Interessen bei Terminentscheidungen zu beachten, können aber das Recht auf Verteidigerbeistand nicht wesentlich einschränken.539 Es verleibt also nach eingehender Betrachtung möglicher entgegenstehender Gründe bei dem Resümee des 2. Kapitels. Der Anspruch des Angeklagten auf effektive Gewährung des Beistandsrechts hat zu Folge, dass eine Verhinderung des Verteidigers regelmäßig dazu führt, dass die Verhandlung an einem anderen Termin durchgeführt werden muss.

Kühne Rn.  281 ff. So auch Kühne Rn.  281 ff. 539  Vgl. OLG Köln DAR 2005, 576 (577); OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); Hüls jurisPR-StrafR 17/2011 Anm.  1; vgl. auch Wendler/Hoffmann Rn.  25 mit grds. Bedenken gegen den Einwand der Justizinteressen. 537 Vgl. 538 

4. Kapitel

Rechtslage de lege lata und ferenda Nachdem sowohl das Interesse des Angeklagten an der Anwesenheit des Verteidigers als auch die Belange, die durch die Ermöglichung dieser Anwesenheit beeinträchtigt werden könnten genauer untersucht wurden, kann im Weiteren geklärt werden, inwiefern die herausgearbeitete Interessenlage und der Einfluss höherrechtlicher Normen mit den geltenden Regelungen der StPO in Einklang zu bringen sind. Soweit eine solche Übereinstimmung nicht gegeben ist, stellt sich entsprechend die Frage nach einer möglichen Änderung der betroffenen Normen. Doch auch wenn die momentane Fassung der Normen verfassungskonform sein sollte, ist zu prüfen, ob eine Reform der Paragraphen sachgemäß wäre.

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen Eine grundlegende Kritik der ständigen Rechtsprechung ist die fehlende Normbezogenheit bzw. undifferenzierte Anwendung von Normen (s. S. 62 ff.). Die Übertragung der Wertung des §  228 Abs.  2 StPO auf andere Verfahrenssituationen ist inhaltlich unangemessen (s. S. 67 ff.). Die Verfahrenssituationen vor und nach Beginn der Hauptverhandlung unterscheiden sich grundlegend und auch die Differenzierung zwischen einer Unterbrechung und einer Aussetzung der bereits begonnenen Hauptverhandlung ist elementar. Eine sachgemäße Lösung erfordert daher eine differenzierte Betrachtung der Verfahrenslagen und der jeweils beeinträchtigten Belange.

I.  Vorbereitung der Hauptverhandlung 1. Situation In der Vorbereitung der Hauptverhandlung muss der Zeitpunkt des Beginns der Verhandlung bestimmt werden und ggf. weitere Termine, wenn die Verhandlung voraussichtlich länger als einen Tag dauern wird. Die terminlichen Belange der Verteidigung können zum einen durch eine vorherige Terminabsprache einbezogen werden und zum anderen durch eine spätere Verlegung des Termins

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

auf einen entsprechenden Antrag hin. Eine vorherige Terminabsprache stellt zunächst die terminliche Verfügbarkeit des Verteidigers sicher, kann aber spätere Verlegungsanträge nicht gänzlich ausschließen. Eine Verhinderung – bspw. durch Erkrankung – kann auch noch nach der Terminierung eintreten. Zudem setzt eine Absprache voraus, dass sich zum Zeitpunkt der Terminierung bereits ein Verteidiger bei Gericht gemeldet hat. Neben der erstmaligen Mandatierung nach bereits erfolgter Terminierung, kann eine Verhinderung auch durch eine nach der Terminierung vorgenommene zusätzliche oder alternative Mandatierung – also einen Wechsel des Verteidigers – entstehen. Sowohl eine vorherige Absprache des Termins als auch eine nachträgliche Verlegung des Termins betreffen weder die Prozessökonomie noch die Konzentrationsmaxime.1 Auch die Belange möglicher Zeugen wären höchstens rudimentär betroffen. Eine vorherige Absprache hätte keinerlei nachteilige Folgen für Zeugen. Eine Verlegung nach bereits erfolgter Ladung würde möglicherweise eine terminliche Umdisponierung notwendig machen. Eine Belastung durch ein mehrmaliges Erscheinen bei Gericht wäre hingegen nicht gegeben. Eine längere Dauer der Hauptverhandlung wäre ebenfalls nicht zu befürchten. Teilweise könnte sich die Gesamtdauer des Verfahrens durch einen späteren Beginn der Hauptverhandlung verlängern. Bei einer nachträglichen Verschiebung der Verhandlung durch einen Umterminierungsantrag wäre eine solche Verlängerung des Gesamtverfahrens wahrscheinlich, aber nicht zwingend. Eine vorherige Terminabsprache würde die Wahrscheinlichkeit verringern. Die Termindichte des Spruchkörpers würde sich nicht ändern, da die Anzahl der Termine nicht steigen würde.2 Freiwerdende Termine könnten größtenteils anderweitig genutzt werden. Nimmt man an, die terminlichen Belange der Verteidigung würden nicht einbezogen und der Verteidiger wäre terminlich verhindert, stellt sich die Situation des Angeklagten folgendermaßen dar: Bei einer bereits im Vorfeld feststehenden Verhinderung des Verteidigers verbliebe dem Angeklagten die Möglichkeit, sich (ggf. unter zur Hilfenahme des Verteidigers) auf eine Selbstverteidigung vorzubereiten oder einen anderen Verteidiger zu beauftragen. Vor allem die zweite Option ist abhängig von den finanziellen Mitteln des Angeklagten, aber auch der noch zur Verfügung stehenden Zeit. Darüber hinaus würde dies zu einem Eingriff in die (ggf. bereits ausgeübte) Wahlfreiheit führen und teilweise eine Verteidigung durch den Vertrauensverteidiger verhindern. Ein Wechsel würde hinsichtlich der Suche nach einem neuen Verteidiger und den gemeinsamen Vorbereitungsgesprächen einen erneuten Arbeitsaufwand verursachen. 1  2 

So auch AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5. Dazu bspw. OLG Frankfurt/M StV 1993, 6 (6).

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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2.  Gesetzeslage – Auslegung des §  213 StPO Die vorbereitende Terminierung und auch eine Terminverlegung im Vorfeld der Verhandlung fallen in den Regelungsbereich des §  213 StPO.3 Es ist also zu untersuchen, welche Aussagen zur Terminbestimmung §  213 StPO enthält und ob Auslegungsmöglichkeiten bestehen, die der herausgearbeiteten Interessenlage – insbesondere der effektiven Verwirklichung des Beistandsrechts – entsprechen. „Weder der Beschuldigte noch der Verteidiger haben einen Anspruch auf eine vorherige Terminabsprache, denn die Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung ist nach §  213 Sache des Vorsitzenden.“4 Soweit die gängige Kommentierung des §  213 StPO. Eine Begründung dieser Rechtslage und eine Auseinandersetzung mit der Norm erfolgen in der Literatur zumeist nicht. Lediglich die Kommentierung der Norm durch Britz, der die allgemeine Auslegung in Frage stellt, beschäftigt sich ausführlicher mit der Norm.5 Britz bemängelt die bisher unzureichende Bearbeitung der inhaltlichen Bedeutung der Norm und hält als Zwischenergebnis fest, dass eine als „sakrosankt“ erachtete „‚Terminshoheit‘ (…) mehr als überkommen“ sei.6 Die hohe praktische Relevanz der Norm bliebe hinter dem „dürftigen“ Wortlaut verborgen.7 So sei das Ansetzen eines Termins nur auf den ersten Blick ein vor allem formal-organisatorischer Vorgang; tatsächlich würden wichtige Verfahrensgrundsätze und Rechte der Verfahrensbeteiligten tangiert.8 Dagegen hält Jäger fest, soweit sich der Vorsitzende innerhalb des rechtmäßigen Ermessens bewege, würden durch die Terminsentscheidung keine geschützten Rechtspositionen der Verfahrensbeteiligten beeinträchtigt.9 Auch Aufsätze, die sich mit dem Inhalt des §  213 StPO auseinandersetzen existieren kaum. Kropp äußert sich zur Überprüfung der Terminierungsentscheidung und bedauert, dass durch die Rechtsprechung zur Terminsbestim3 

AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  6; Graf/Ritscher §  213 Rn.  6; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  20; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  15; Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  14; SSW/ Grube §  213 Rn.  7, 27; so auch schon: v. Bomhard/Koller (1879) §  212 Rn.  2; Feifenberger (1926) Rn.  2; Löwe/Rosenberg13 §  212 Rn.  3; Schwarz (1939) §  213 Rn.  2; Stenglein (1898) §  212 Rn.  3; Thilo (1878) §  212 Rn.  2. 4  KMR/Hiebl §  137 Rn.  27; vgl. auch AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3 f.; Graf/Ritscher §  213 Rn.  4; KK/Laufhütte/Willnow §  137 Rn.  1; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  9; Löwe/ Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10; Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  6; Pfeiffer §  213 Rn.  2; SKStPO/Deiters §  213 Rn.  6; SSW/Grube §  213 Rn.  21, 25. 5 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  1 f. 6 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  2. 7 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  2. 8 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  1. 9  Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  16.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

mung von der ‚Hoheit‘ wenig übrigbleibe.10 Nach seiner Ansicht verstoße die herrschende Auslegung, dass die Terminierung nach §  213 StPO eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden und diese ausnahmsweise durch eine Beschwerde angreifbar sei, gegen den Wortlaut.11 §  213 StPO regele lediglich die Zuständigkeit und normiere keineswegs eine Ermessensentscheidung.12 Die Problematik des verhinderten Verteidigers habe der Gesetzgeber ausschließlich in §  228 Abs.  2 StPO geregelt und die dortige Wertung, dass dem Angeklagten kein Recht auf eine Aussetzung zustehe, müsse erst recht für den Fall der Terminverlegung im Rahmen des §  213 StPO gelten.13 a) Wortlaut Wie bei der Analyse der Rechtsprechung kurz erwähnt (s.  S. 62 f.), ergibt sich der in der Rechtsprechung weit verbreitete und auch in der Literatur genutzte Begriff der ‚Terminshoheit‘14 bzw. der ‚Dispositionsbefugnis‘ oder ‚Dispositionsfreiheit‘15des Vorsitzenden aus dem Wortlaut der Norm nicht.16 Neben dem Oberlandesgericht Frankfurt, welches mitteilt, dass der Begriff einer „uneingeschränkten Terminshoheit“ der Strafprozessordnung fremd sei,17 scheint auch Deiters, der noch in einer Vorauflage von einer durch das Gesetz eingeräumten Terminshoheit schrieb, von dem Begriff Abstand nehmen zu wollen und schreibt nun an gleicher Stelle von der „Befugnis, den Termin zu bestimmen“.18 Doch auch ein ‚bestimmen‘ ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm nicht. Der Termin wird von dem Vorsitzenden ‚anberaumt‘ – weder bestimmt, noch hoheitlich bestimmt. Der Wortlaut der Regelung enthält keine Aussage darüber, auf welcher Kropp NStZ 2004, 668 (668). Kropp aaO (668 f.). 12  Kropp aaO (668 f.). 13  Kropp aaO (669). 14  Bspw. OLG Hamm StV 1990, 56; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); OLG Frankfurt/M StV 1997, 402 (403); NStZ-RR 1997, 177 (178); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); NStZ 2011, 235 (236); LG Hildesheim NJW 1989, 1174; LG Potsdam StraFo 2005, 342 (342); HK-StPO/Julius §  213 Rn.  1; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  17; SK-StPO4/Deiters §  213 Rn.  8; SSW/Grube §  213 Rn.  1; einschr. AK-StPO/Keller §  213 Rn.  2. 15  OLG Hamm MDR 1975, 245; OLG  Stuttgart VRS 59 (1980), 360 (362); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  16. 16  So auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  8; vgl. auch AK-StPO/Keller §  213 Rn.  2. 17  OLG Frankfurt/M StV 1989, 384 (385); die Entscheidung bezieht sich darauf, dass der Vorsitzende als Begründung für eine Verteidigerauswahl dessen Blanko-Zusicherung an allen Terminen zu Verfügung zu stehen angab; im Anschluss auch SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  5. 18  SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  8; vgl. auch BGH NStZ-RR 2010, 312 (313), dazu schon S.  62 f. 10  11 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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Basis der Vorsitzende diese Anberaumung vornimmt; also welche Kriterien maßgeblich sind und ob mögliche Termine zuvor mit anderen Beteiligten abzusprechen sind.19 Die Formulierung verhält sich hinsichtlich des Entscheidungsprozesses neutral. Der Begriff ‚Terminshoheit‘ dagegen „entbehrt“ wie E. Müller herausstellt, „gesetzlicher Konturen“ „und insinuiert eine Omnipotenz, die den Sinn für Proportionen trüben kann“.20 Neben diesen von E.  Müller vorgebrachten Bedenken gegen die herrschende Auslegung vertreten auch das Oberlandesgericht Hamm und Kropp die Ansicht, dass sich aus dem Wortlaut kein Ermessen des Vorsitzenden ergebe und §  213 StPO eine reine Zuständigkeitsnorm darstelle.21 Daraus wird allerdings nicht auf weniger, sondern auf mehr Entscheidungsbefugnis des Vorsitzenden geschlossen: Da kein Ermessenspielraum vorliege, sei dieser auch nicht im Beschwerdeweg überprüfbar.22 Der Wortlaut des §  213 StPO kann als ausschließliche Zuständigkeitsregelung für eine ausführende Tätigkeit verstanden werden, die keine weitergehende Machtzuschreibung enthält. Die Annahme einer weitergehenden Entscheidungsbefugnis über eine Einschränkung der Rechte aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ergibt sich aus dem Wortlaut nicht – eine solche Annahme widerspricht dem Wortlaut allerdings auch nicht. b) Systematik §  213 StPO ist die zweite Norm des 5.  Abschnitts der StPO, in dem die Vorbereitung der Hauptverhandlung geregelt ist. Die Vorbereitung der Hauptverhandlung ist im Wesentlichen dem Vorsitzenden übertragen und dient einer strukturiert und effizient durchgeführten Hauptverhandlung:23 „In dem Verfahrensabschnitt zwischen der Eröffnung des Hauptverfahrens und der Hauptverhandlung macht die StPO dem Vorsitzenden zur Pflicht, alles zu tun, um die Nachteile einer ungenügend vorbereiteten Hauptverhandlung abzuwenden und ihren reibungslosen Ablauf zu sichern.“24

Betrachtet man die Regelung unter diesem Aspekt, spricht dies nicht gegen die oben angedeutete Auslegung des §  213 StPO als organisatorisch geprägte Norm. Im 5.  Abschnitt wird überwiegend geregelt, durch wen welche VorbereitungsSo auch Krumm StV 2012, 177 (177). E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (357). 21  OLG Hamm SVR 2006, 388 Rn.  10 (insoweit nicht abgedr.); Kropp NStZ 2004, 668 (668 f.). 22  OLG Hamm aaO (insoweit nicht abgedr.); Kropp aaO. 23  Vgl. u. a. KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  7; Eb.  Schmidt II Vor 5. Abschn. Rn.  7. 24  BGH MDR 1966, 427 – Entscheidung zu Ermittlungen im Zwischenverfahren. 19 

20 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

aufgaben vorzunehmen sind. Diese Vorbereitungsaufgaben können als ausführende Tätigkeiten mit einem relativ geringen Maß an Entscheidungsmacht wahrgenommen werden. Ein Vergleich mit §  228 Abs.  2 StPO spricht zudem für einen Anspruch auf die terminliche Ermöglichung der Verteidigeranwesenheit. Der Gesetzgeber hat einen solchen Anspruch in §  228 Abs.  2 StPO explizit ausgeschlossen und zwar ausschließlich bezüglich der Aussetzung einer laufenden Verhandlung (s. S. 63 ff.). Aus dieser begrenzten und expliziten Regelung kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass ein solcher Anspruch im Regelungsbereich des §  213 StPO besteht. c) Telos Die systematische Stellung des §  213 StPO ist auch zentral für die teleologische Auslegung. Da §  213 StPO Bestandteil der Vorbereitung der Hauptverhandlung ist, muss der Zweck der Vorbereitung bei der Auslegung der Norm beachtet werden. Welchem Zweck die Zuständigkeitsverteilung des 5.  Abschnitts dient, wird im Schrifttum selten erläutert. Explizit äußert sich allein Deiters, nach welchem dem Vorsitzenden die ‚Terminshoheit‘ zur „Wahrung strafverfahrensrechtlicher Zwecke“ eingeräumt wurde und daher nicht zur Disposition der Beteiligten stehen dürfe.25 Von der sehr abstrakten Formulierung Deiters abgesehen, kann zur Bestimmung des Zwecks nur auf die allgemeine Ausrichtung des 5.  Abschnitts – Vorbereitung der Hauptverhandlung als dienender Vorgang – Bezug genommen werden (vgl. b]). Die Aufgabe des Vorsitzenden wird darin gesehen, die Verhandlung so vorzubereiten, dass sie effektiv durchgeführt werden kann und Verzögerungen und Störungen der Verhandlung vermieden werden.26 Da die Terminierung der effektiven Vorbereitung dient, erfordert sie eine Einschätzung der Dauer der Verhandlung und der einzelnen Verhandlungsbestandteile zur Einplanung der entsprechenden Zeiträume.27 Diesem Zweck entspricht es, dass die Leitung der Hauptverhandlung und die terminliche Vorbereitung der Hauptverhandlung in einer Hand liegen. Die effektive Durchführung der Hauptverhandlung ist jedoch kein Selbstzweck, sondern sichert die Konzentrationsmaxime, die Verfahrensökonomie und den Beschleunigungsgrundsatz. Damit die Vorbereitung diesen Grundsät25 

SK-StPO4/Deiters §  213 Rn.  8. U. a. BGH MDR 1966, 427; KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  2; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  8; Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  7; Eb. Schmidt II Vorb. zum 5.  Abschn. Rn.  7; SSW/Grube §  213 Rn.  1. 27  RiStBV Nr.  116: KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  7; Löwe/ Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  7; SSW/Grube §  213 Rn.  1; vgl. auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  7, 10. 26 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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zen entspricht, muss sie Vorsorge zur Vermeidung von Unterbrechungen und Aussetzungen beinhalten. Daher ist ein größerer Vorbereitungs- und ggf. Zeitaufwand im Vorfeld hinzunehmen, wenn dies letztlich der zügigen Durchführung der Hauptverhandlung dient.28 Diese Anforderung an die Vorbereitung der Hauptverhandlung wird in der derzeitigen Auslegung des §  213 StPO wenig berücksichtigt. Lediglich die Zulässigkeit der Beschwerde (vgl. S. 13  f.) wird vereinzelt auf den Vorteil für die effektive Durchführung der Verhandlung gestützt.29 Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die – ggf. erfolgreiche – Wiederholung eines Verlegungsantrags in der Hauptverhandlung mangels Beschwerdemöglichkeit die Vorbereitung einer effektiven Durchführung der Hauptverhandlung konterkarieren würde.30 Die Ansicht von Kropp, wonach ausschließlich der Vorsitzende den Termin bestimmt und Beschwerden dagegen ausgeschlossen sind,31 würde zwar ebenfalls eine ungestörte Durchführung der Hauptverhandlung ermöglichen, sich jedoch zuungunsten der Gesamtdauer des Verfahrens auswirken. Nach Kropp dient die fehlende Beschwerdemöglichkeit dem Beschleunigungsgebot.32 Eine Überprüfung der Terminierungsentscheidung könne in der Revision erfolgen.33 Damit würde eine fehlerhafte Terminentscheidung, die zur Abwesenheit des Verteidigers geführt hat, aufgrund der erfolgreichen Revision zu einer Neuverhandlung führen und die fehlende Beschwerdemöglichkeit würde somit nicht zur Beschleunigung, sondern zur Verlängerung des Strafverfahrens beitragen. Der vorbereitende Charakter der Norm wird insbesondere übergangen, wenn nicht deutlich zwischen Verlegungsanträgen nach §  213 StPO und §  228 StPO unterschieden wird.34 Dies nivelliert die signifikanten Unterschiede der Verfahrenslage vor und nach Beginn der Hauptverhandlung.35 Der Konzentrationsmaxime und der Prozessökonomie ist vor allem dann gedient, wenn die Hauptverhandlung möglichst kompakt durchgeführt werden kann. Eine umfassende 28  29 

BGH NJW 2008, 2451 (2453). AK-StPO/Keller §  213 Rn.  9; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  24; Schlothauer Rn.  180

Fn.  5. 30  So aber u. a. Erbs (1950) §  213 Nr.  1; Eb. Schmidt II §  213 Rn.  3; vgl. auch SK-StPO/ Deiters §  213 Rn.  16 ff.; zur Rspr. s. S. 13  f. 31  Kropp NStZ 2004, 668 (669). 32  Kropp aaO. 33  Kropp aaO. 34  Zur Rspr. siehe u. a. S. 11; zum Schrifttum u. a. AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3; HK-StPO/Julius §  213 Rn.  5; HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; KK/Gmel §  228 Rn.  11; SK-StPO/ Deiters §  213 Rn.  16 hält einen Antrag nach §  228 StPO ausdrücklich bereits vor Beginn der Hauptverhandlung als zulässig an; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  15; SSW/Grube §  213 Rn.  28 aE. 35  Dazu deutlich: AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

‚Terminshoheit‘ des Vorsitzenden sichert aber vor allem eine zügige Durchführung der Terminierung, nicht zwangsläufig die zügige Durchführung der Verhandlung. Können etwaige Terminskonflikte nicht vor der Hauptverhandlung geklärt werden, verlagert sich der Konflikt in die Hauptverhandlung und führt ggf. zu einer Verlängerung oder – durch Aussetzung oder Revision – Wiederholung der Hauptverhandlung. Zusätzliche rechtliche Schwierigkeiten und zeitliche Verzögerungen können entstehen, wenn aufgrund der Verhinderung des Verteidigers ein neuer Verteidiger tätig wird, der einer ausreichenden Vorbereitungszeit bedarf.36 Die einvernehmliche Klärung der Terminsbelange während der Vorbereitungszeit entspricht also dem Zweck des 5. Abschnitts, nämlich der konzentrierten Durchführung der Hauptverhandlung und der zügigen Durchführung des gesamten Verfahrens. Diese Schlussfolgerung trifft nicht nur auf den Anspruch auf eine Terminverlegung zu, sondern auch auf die Terminabsprache. Wird ohne Absprache mit dem Verteidiger terminiert, kann zur Gewährleistung der Verteidigungsrechte eine Vertagung nötig werden. Um den Verlegungsaufwand, dadurch ggf. entstehende Terminschwierigkeiten des Spruchkörpers und bereits vor der Hauptverhandlung entstehende Konflikte zu vermeiden, ist es zweckmäßig, sich bereits vor der Terminierung der Verfügbarkeit des Verteidigers zu versichern.37 Rücksprache mit dem Verteidiger zu halten, widerspricht auch nicht den Aufgaben und der Rolle des Vorsitzenden bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung. Zur Auswahl der zu ladenden Zeugen, der Beschaffung anderweitiger Beweismittel und einer sachgemäßen Zeitplanung, inklusive der ggf. gestaffelten Ladung der Zeugen, muss der Vorsitzende die Akte hinreichend genau kennen.38 Es liegt nicht fern, eine ähnliche Pflicht zum informierten Handeln bei der Terminierung anzunehmen. So wie eine effektive Zeitplanung Aktenkenntnis erfordert, erfordert eine effektive Terminierung das Wissen um die Verfügbarkeit des Verteidigers.39 Dass eine solche Vorbereitung der Hauptverhandlung unter Umständen mehr Zeit in Anspruch nimmt, ist als sachgemäße Verzögerung hinzunehmen, da dies der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung dient und ggf. später eintretende Verzögerungen verhindert.40 36 

Vgl. OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2790). Vgl. KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; SSW/Grube §  213 Rn.  25; E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (357, 370). 38  BGH NJW 2008, 2451 (2453); Löwe/Rosenberg/Jäger Vor §  213 Rn.  7; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10; vgl. auch KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  12. 39  So auch KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; vgl. auch Pfeiffer Vorb. zum 6. Abschn. Rn.  2; SSW/Grube §  213 Rn.  25. 40  Vgl. BGH NJW 2008, 2451 (2453); KMR/Eschelbach Vor §  213 Rn.  42; KMR/Eschelbach §  213 Rn.  3; Sommer StV 2012, 107 (111). 37 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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Eine Auslegung der Norm, die von einer Terminshoheit des Vorsitzenden ausgeht, entspricht somit nicht dem Zweck des §  213 StPO. d) Historie Die Terminierung durch den Vorsitzenden war bei Inkrafttreten der RStPO in §  212 RStPO geregelt; der Wortlaut war identisch mit der heutigen Norm. Im Gegensatz zur heutigen Rechtslage oblag die Vorbereitung der Hauptverhandlung hauptsächlich der Staatsanwaltschaft. Nur einzelne Aufgaben – wie die Terminierung – wurden dem Vorsitzenden zugewiesen.41 Die Motive zur RStPO führen diesbezüglich aus, dass die Vorbereitung der Hauptverhandlung der Staatsanwaltschaft zu übertragen sei, die Terminsbestimmung jedoch eine „Amtsverrichtung“ des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts bleiben solle.42 Nähere Erläuterungen dazu, wie die Terminsbestimmung vorzunehmen sei, enthalten die Motive nicht. Zur Begründung der Zuständigkeitsregelung wird auf die Motive zu §  31  RStPO verwiesen.43 Dort wird erläutert, dass die Staatsanwaltschaft bei Zustellungen und Vollstreckungen mitwirken solle, um die Gerichte zu Gunsten ihrer Kernaufgabe – der Rechtsprechung – zu entlasten. In einzelnen Konstellationen sei es jedoch effektiver, wenn der Richter bestimmte Maßnahmen direkt veranlasse, z. B. bei der Umsetzung von Entscheidungen des Untersuchungsrichters.44 Überträgt man diese Erläuterung auf die Regelung der Terminierung, könnte dies bedeuten, dass die Terminierung dem Vorsitzenden aus Gründen organisatorischer Effizienz überlassen wurde. In diesem Fall wäre damit eine hauptsächlich organisatorische Aufgabenzuweisung verbunden und keine weitreichende Entscheidungsbefugnis. Eine alternative Interpretation der gesetzgeberischen Entscheidung wäre die Annahme, die Zuständigkeitszuweisung sei aufgrund einer in der Zuständigkeit mitenthaltenden Terminshoheit erfolgt. Zu dieser Auslegungsalternative finden sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte in den Motiven. Gründe, die aus Sicht des Gesetzgebers gegen einen Einfluss der Verteidigung auf die Terminierung sprechen würden, ergeben sich aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht. Die Beratungen zur formellen Verteidigung beschäftigen sich in den verschiedenen Entstehungsstufen der Strafprozessordnung weit überwiegend mit dem Ermittlungsverfahren.45 Ein Einfluss der Verteidigung auf die Terminierung wurde nicht diskutiert und entsprechend auch keine AsHahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  175. Motive S.  143 f. 43  Motive S.  144. 44  Motive S.  37. 45 Vgl. Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  141; Rieß in FS-Reichsjustizamt, S.  373 (405 f.). 41 Vgl. 42 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

pekte, die einem solchen Einfluss entgegenstehen könnten. In einem Vorentwurf war vorgesehen, dass die Terminierung durch den Vorsitzenden den Eröffnungsbeschluss ersetzt, der als übertriebene Förmlichkeit angesehen wurde.46 Entsprechend beziehen sich die Diskussionen darüber, inwiefern die Verteidigung die Möglichkeit haben solle, Anträge zur Terminsanberaumung zu stellen, inhaltlich auf mögliche Rechtsmittel gegen den Eröffnungsbeschluss und nicht gegen den Termin als solchen.47 Der Entstehungsgeschichte lassen sich also keine konkreteren inhaltlichen Vorgaben für die Terminierungsentscheidung entnehmen. Aus der Materiallage ergeben sich allerdings Anhaltspunkte für eine Auslegung, nach der die Bestimmungsbefugnis des Vorsitzenden eine vor allem organisatorische Bedeutung hat. In den Kommentaren zur RStPO wird der heutige gebräuchliche Begriff der ‚Terminshoheit‘ nicht verwandt. In Anlehnung an die Wortwahl der Motive wird von der ‚Amtsverrichtung‘ des Vorsitzenden gesprochen.48 Einhellig entnehmen die Autoren dem §  212 RStPO die Befugnis zur Terminverlegung auf Antrag oder von Amts wegen.49 Ausschließlich Löwe hält zur Ablehnung eines Verlegungsantrags einen Gerichtsbeschluss für notwendig, da die Ablehnung des Antrags die Rechte des Antragsstellers berühren würde.50 Die damals herrschende Ansicht lehnte dies ab, da die Möglichkeit bestehe, durch eine Wiederholung des Antrags im Termin eine Gerichtsentscheidung herbeizuführen.51 Diese Ansicht korrespondiert mit der späteren Rechtsprechung, nach der eine Beschwerde gegen den Terminentscheid nicht statthaft sei, da die Möglichkeit bestehe, den Antrag in der Verhandlung zu wiederholen.52 Mögliche Gründe für eine Verlegung werden in den historischen Kommentierungen nicht genannt. Jedoch weist Thilo auf bei der Terminierung zu beachtenden Interessen hin.53 Er nennt die Kollision von Terminen der Staatsanwaltschaft, wenn diese mehreren erkennenden Kammern zugewiesen ist und

46 

Protokolle I S.  186 (25. Sitzung).

47 Ebenda.

Thilo (1878) §  212 Rn.  2. v. Bomhard/Koller (1879) §  212 Rn.  2; Feifenberger (1926) Rn.  2; Löwe/Rosenberg13 §  212 Rn.  3; Schwarz (1939) §  213 Rn.  2; Stenglein (1898) §  212 Rn.  3; Thilo (1878) §  212 Rn.  2. 50  Löwe (1879) §  212 Rn.  3. 51  Feifenberger (1926) Rn.  2; Löwe/Rosenberg13 §  212 Rn.  3; Schwarz (1939)  §  213 Rn.  2; Stenglein (1898) §  212 Rn.  3; vgl. auch v. Bomhard/Koller (1879) §  212 Rn.  2 52  U. a. OLG  Stuttgart Justiz 1980, 361; OLG Hamm StV 1990, 56; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127; dazu ablehnend: LG Hamburg StV 1988, 195 (196). 53  Thilo (1878) §  212 Rn.  2. 48  49 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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die ausreichende Vorbereitungszeit für den Angeklagten.54 Schwarze hält fest: „Eine vorherige Vernehmung mit dem Staatsanwalte und dem Vertheidiger, welche in anderen Gesetzen vorgeschrieben ist, erscheint passend.“55 e) Zusammenfassung Eine Diskussion über Zweck und Inhalt des §  213 StPO hat bisher nicht stattgefunden, weder bei Verabschiedung der Norm noch zu einem späteren Zeitpunkt.56 Die von der Rechtsprechung angenommene ‚Terminshoheit‘, ergibt sich aus der Auslegung der Norm nicht zwingend. Auch inhaltliche Entscheidungskriterien der Terminierung lassen sich §  213 StPO nicht entnehmen. Die von der gängigen Interpretation des §  213 StPO abweichende These, §  213 StPO regele lediglich die Zuständigkeit und beinhalte keine darüberhinausgehende Entscheidungsbefugnis, ist mit Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Telos der Norm in Einklang zu bringen.57 Die Zuständigkeit des Vorsitzenden bedeutet eindeutig und nach dem Wortlaut der Norm zwingend, dass er letztlich den Termin verbindlich festlegt und den übrigen Beteiligten mitteilt. Die Partizipation anderer Beteiligter am Zustandekommen des Termins ist dadurch nicht ausgeschlossen. Aus dem Wortlaut und der Gesetzgebungsgeschichte lassen sich nur geringe Anhaltspunkte für eine Konkretisierung des Norminhalts entnehmen. Gewichtiger ist dagegen die teleologische Betrachtung des §  213 StPO und des 5.  Abschnitts. Neben den bereits aufgeführten Zwecken müssen zur näheren Bestimmung der Anforderungen an eine Terminierung weitere Prozessgrundsätze und Beschuldigtenrechte, insbesondere das Recht auf Verteidigerbeistand, einbezogen werden.58 3. Stellungnahme §  213 StPO enthält keine inhaltlichen Bestimmungen über den Vorgang der Terminierungsentscheidung und darüber, welche Aspekte in die Entscheidung einzubeziehen sind. Dagegen schreibt §  137 Abs.  1 S.  1 StPO als Implementierung grundgesetzlicher und europäischer Individualrechte vor, dass das Beistands54 Ebenda.

v. Schwarze (1878) §  212. So auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  2; E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (359); vgl.  neben oben angegebenen Gesetzgebungsmaterialien und historischen Kommentaren zur frühen BRD: Erbs (1950) §  213 Nr.  1; Eb. Schmidt II §  213. 57  Vgl. Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  1 f. 58 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  1 f.; vgl. auch HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; KK/Gmel §  213 Rn.  4b; Pfeiffer §  213 Rn.  2; SSW/Grube §  213 Rn.  21; Hilger StraFo 1992, 136 (137). 55 

56 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

recht und dessen effektive Umsetzung bei der Auslegung von StPO-Normen zu beachten sind. Da es möglich ist, §  213 StPO so auszulegen, dass dem Vorsitzenden die letztendliche Festlegung des Termins zufällt, aber keine weitergehende Befugnis, beeinträchtigte Verteidigungsbelange zu bewerten, ist diese Auslegung des §  213 StPO und die damit verbundene Verpflichtung, die Teilnahme des Verteidigers terminlich zu ermöglichen, vorzugswürdig. Eine einseitige Terminbestimmung durch den Vorsitzenden ist nicht mit dem Recht auf effektive, formelle Verteidigung in Einklang zu bringen. Effektiv gewährt der Staat das Recht auf Beistand in der Hauptverhandlung und freie Verteidigerwahl nur, wenn er die Anwesenheit des Verteidigers nicht nur gestattet, sondern sie auch terminlich ermöglicht.59 Daher muss das Recht auf Anwesenheit zu seiner effektiven Gewährung zwangsläufig einen Einfluss auf den Termin beinhalten. Darüber hinaus kann von der effektiven Gewährung eines Rechts nur gesprochen werden, wenn dieses Recht von dem Angeklagten auch tatsächlich durchgesetzt werden kann.60 Er muss einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch haben und nicht lediglich auf eine Rücksichtnahme oder Fürsorge des Gerichts hoffen dürfen. Eine Gewährleistung der terminlichen Anwesenheit des Verteidigers ist grundsätzlich durch zwei Maßnahmen zu erreichen. Durch eine Terminabsprache wäre es möglich, die Anwesenheit des Verteidigers zu ermöglichen, ohne andere Verfahrensbelange zu beeinträchtigen (vgl. S. 255  f.). Wurde keine Absprache vorgenommen, z. B., weil zum Zeitpunkt der Terminierung noch kein Verteidigungsverhältnis bestand, oder entsteht die Verhinderung des Verteidigers erst nach der Terminierung, ist die Gewährleistung der Verteidigungsinteressen durch eine Terminverlegung möglich. Auch bei einer Verlegung wären in der Regel kaum Beeinträchtigungen anderer Interessen zu befürchten (vgl.  S. 206  ff.; 255  f.). Durch eine zwingende Beachtung der Verteidigungsbelange in Form der Absprache oder der Verlegung wären im Regelfall also keine gleichwertigen, entgegenstehenden Interessen in erheblichem Maße betroffen (vgl. 3. Kapitel). Hinzukommt, dass ein solches Ergebnis nicht nur mit der methodischen Auslegung des §  213 StPO vereinbar ist (vgl. 2.), sondern insbesondere dem Zweck des §  213 StPO entspricht (vgl. 2. c., S. 260  ff.). §  228 Abs.  2 StPO widerspricht dieser Auslegung des §  213 StPO nicht, da die Regelung des §  228 Abs.  2 StPO einen anderen Anwendungsbereich betrifft. Die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO kann aufgrund der unterschiedlichen Verfahrenssituationen nicht übertragen werden (vgl. S. 67  ff.). Die Normierung So auch Gusy AnwBl 1984, 225 (231). Vgl. BGHSt 38, 372 (375) in Bezug auf Vernehmung; zu Rechten aus dem GG: Haffke StV 1981, 471 (477). 59 

60 

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des §  228 Abs.  2 StPO stützt e  contrario vielmehr den Anspruch auf eine Terminverlegung bei einer Verhinderung des Verteidigers. Aus diesem Umkehrschluss ergibt sich, dass die fehlende explizite Normierung eines Terminanspruches, der Existenz eines solchen Anspruchs nicht entgegensteht. Zudem ist auf die Argumentation von Freyschmidt und Ignor zu verweisen, ein Einfluss auf Termine im Ermittlungsverfahren müsse nicht explizit normiert werden, da ein solcher bei einem bestehenden Anwesenheitsrecht selbstverständlich gegeben sei, denn ohne einen solchen Termineinfluss ergebe das Anwesenheitsrecht keinen Sinn.61 Dies trifft gleichermaßen auf die Hauptverhandlung zu. Dass die momentan herrschende Ansicht der ‚Terminshoheit‘ des Vorsitzenden zu kurz greift, ergibt sich schon aus der vielfältigen Rechtsprechung zu Terminverlegungsanträgen und den zu beachtenden Faktoren. Vereinzelten Entscheidungen lassen sich zudem Andeutungen einer alternativen Bewertung des §  213  StPO entnehmen. So findet sich die Formulierung, dass die Terminbestimmung dem Vorsitzenden „obliegt“.62 Eine Obliegenheit ist jedoch eine Aufgabe und keine Bestimmungsbefugnis. Das Oberlandesgericht  Frankfurt/M beschränkte in einer Entscheidung die ‚Terminshoheit‘ darauf, dass dem Vorsitzenden die Zweckmäßigkeitsbeurteilung unterliege und stellte bereits in einer früheren Entscheidung fest, dass der Begriff einer ‚uneingeschränkten Terminshoheit‘ der Strafprozessordnung fremd sei.63 Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm soll §  213  StPO nur die Zuständigkeit regeln und keine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden beinhalten.64 Eine alternative Auslegung des §  213 StPO wird auch durch eine Formulierung des 1.  Senates des Bundesgerichtshofs gestützt: „Den Termin der Hauptverhandlung bestimmt am Ende allein der Vorsitzende (§  213 StPO).“65 ‚Am Ende‘ – also möglicherweise nach einem Abstimmungsprozess mit den Verteidiger. Zusammengenommen führt die methodische Auslegung des §  213 StPO (2.) und die differenzierte Betrachtung der von der Terminierung möglicherweise betroffenen Belange (1.; vgl. auch 2. und 3. Kapitel) zu dem Schluss, dass der Vorsitzende sachgemäßen Anträgen der Verteidigung entsprechen muss. Ob der Angeklagte, statt eine Terminverlegung in Kauf zu nehmen, auf die Anwesenheit verzichtet oder einen anderen Verteidiger beauftragt, ist die EntscheiFreyschmidt/Ignor NStZ 2004, 465 (467). OLG Frankfurt/M StV 1989, 384 (385); OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492); KMR/ Eschelbach §  213 Rn.  17; vgl. auch zur Vorbereitung insgesamt: KK/Gmel Vor §  213 Rn.  4; Meyer-Goßner/Schmitt Vor §  212 Rn.  1. 63  OLG Frankfurt/M StV 1989, 384 (385); 1997, 402 (403). 64  OLG Hamm SVR 2006, 388 Rn.  10 (insoweit nicht abgedr.); wortgleich Kropp NStZ 2004, 668 (668 f.). 65  BGH NJW 2008, 2451 (2454). 61 

62 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

dung des Angeklagten, nicht des Gerichts. Entsprechend sind bei Vertagungen nicht nur geringfügige Verzögerungen in Kauf zu nehmen,66 da außer dem Beschleunigungsgebot zum Schutz des Angeklagten keine weiteren erheblichen Belange gefährdet sind. Eine Ausnahme käme lediglich in Betracht, wenn der Angeklagte einen Verteidiger wählt, der in absehbarer Zeit nicht verfügbar ist, also eine erheblich ins Gewicht fallende Verzögerung entstehen würde und der Angeklagte dies durch seine Wahl zu verantworten hat (vgl. dazu S. 320  ff.). Bei der Gewährleistung des Rechts auf Beistand des frei gewählten Verteidigers muss auch beachtet werden, dass das Recht auf die freie Wahl nicht mit der einmalig ausgeübten Wahl erlischt.67 §  137 StPO umfasst auch das Recht auf einen Wechsel des Verteidigers, weshalb die Terminsbelange eines neuen Verteidigers beachtet werden müssen.68 Die Anforderungen an die Terminsbestimmung durch den Vorsitzenden müssen zudem berücksichtigen, dass eine staatliche Verpflichtung besteht, sowohl das Beistandsrecht als auch das Beschleunigungsinteresse des Angeklagten zu beachten. Daher sollte die Terminierung bereits unter Berücksichtigung der Terminslage des Verteidigers erfolgen,69 da dies die Wahrscheinlichkeit einer Verfahrensverzögerung durch eine nachträglich notwendig werdende Terminverschiebung minimiert (vgl. S. 255  f.). Im Ergebnis ist §  213 StPO so auszulegen, dass der Vorsitzende zwar den Termin festlegt, aber dies unter Beachtung der Interessen des Angeklagten tun muss. Dabei sind das Interesse an der Anwesenheit des gewählten Verteidigers und das Beschleunigungsinteresse unabhängig voneinander einzubeziehen. Neben der Gewährleistung dieser Beschuldigtenrechte muss sich die Terminsbestimmung an einer konzentrierten Durchführung der Hauptverhandlung unter möglichst geringer Beeinträchtigung der Belange aller Verfahrensbeteiligten orientieren. Eine Differenzierung der Relevanz der Verteidiger-Anwesenheit durch das Gericht ist nicht möglich. Aufgrund des freien Wahlrechts des Angeklagten und fehlender entgegenstehender gleichwertiger Belange, ist zudem auch keine Differenzierung danach möglich, ob zum Zeitpunkt der Terminierung das Verteidigungsverhältnis bereits bestand oder die Mandatierung erst danach – und möglicherweise in Kenntnis der Terminkollision  – erfolgte.70

66 

So AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3. Vargha S.  317; Welp ZStW 90 (1978), 101 (114). 68  OLG München StV 2007, 518; LG Bonn StraFo 1996, 174; einschr. jedoch BGH NStZRR 2006, 272 (273). 69  Vgl. KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; Pfeiffer Vorb. zum 6. Abschn. Rn.  2. 70  Vgl. auch OLG Braunschweig StRR 2009, 432 (433). 67 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

269

II.  Kurzfristige Verhinderung des Verteidigers 1. Situation Eine Verhinderung des Verteidigers kann nicht nur, wie auf S. 255  f. beschrieben, im Voraus vorliegen, sondern kann auch erst am Vortag oder Tag der Verhandlung eintreten. Die Verhinderung besteht in diesen Fällen zumeist in einer Erkrankung. Um in diesen Fällen eine Teilnahme des Verteidigers zu ermöglichen, müsste der Termin also kurzfristig aufgehoben und ein neuer Termin angesetzte werden. Genau wie bei der langfristig bekannten Verhinderung wären durch die Verschiebung der Verhandlung die Konzentrationsmaxime nicht und die Verfahrensökonomie nur unerheblich betroffen, da die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hat. Andere Verfahrensbeteiligte wären insoweit betroffen, als sie den Termin reservieren mussten, möglicherweise bereits zum Termin erschienen sind und somit einen gewissen Aufwand erbringen mussten. Eine Belastung von Zeugen durch eine Vernehmung wäre noch nicht entstanden. Gleichwohl könnte bei geschädigten Zeugen eine psychische Belastung durch die erwartete Vernehmung eintreten. Die Durchführung der Hauptverhandlung würde bei der Beachtung der Verhinderung zwangsläufig zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Welchen Umfang die zeitliche Differenz hätte, ist zum einen von der Dauer der Erkrankung und zum anderen von den terminlichen Möglichkeiten der Beteiligten, insbesondere des Spruchkörpers abhängig. Dass sich die Dauer des Gesamterfahrens durch eine Vertagung der Hauptverhandlung verlängert ist wahrscheinlich, aber nicht sicher feststellbar, da die Gesamtdauer von zahlreichen weiteren Faktoren abhängt. Aus Sicht des Spruchkörpers besteht ein Unterschied zur obigen Situation darin, dass der Termin nicht mehr zur Terminierung einer anderen Sache genutzt werden kann. Allerdings muss insoweit die Praxis der Amtsgerichte beachtet werden, eine Vielzahl von Verfahren an einem Sitzungstag zu terminieren, wobei die Termindichte häufig zu Verschiebungen nachfolgender Verfahren führt. Durch eine solche ungeplante Verschiebung der Terminstunde kann es wiederum zu einer Verhinderung des Verteidigers durch Kollisionen mit Folgeterminen kommen.71 Teilweise führt der enge Zeitplan auch dazu, dass Folgetermine nötig werden, obwohl das Verfahren bei einem ausreichenden Zeitfenster am gleichen Tag zu Ende geführt werden könnte. Daher führt der Ausfall einzelner Termine nicht zwangsläufig zu Terminlücken, sondern teil71 

Bspw. RGSt 1, 235; 11, 173; JurW 1932, 1151; OLG Hamburg MDR 1964, 524; OLG  Hamm VRS 40 (1971), 49 (49); BayObLG StV 1984, 13; KG NZV 1993, 411; vgl. Heubel NJW 1981, 2678 (2678).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

weise ‚lediglich‘ zu einer termingerechten Durchführung der Folgeverfahren oder kann im günstigsten Falle sogar Fortsetzungstermine überflüssig machen. Im weitesten Sinne vergleichbar mit der kurzfristigen Verhinderung ist die Verspätung des Verteidigers. Allerdings besteht in diesen Fällen neben der Vertagung die Möglichkeit, lediglich zu späterer Stunde zu beginnen und ggf. ein eigentlich nachfolgendes Verfahren vorzuziehen, so dass negative Auswirkungen verringert oder ganz vermieden werden können. Wird trotz der Verhinderung des Verteidigers die Verhandlung durchgeführt, sind die für den Fall der langfristig bekannten Verhinderung aufgezeigten Möglichkeiten des Angeklagten (S. 256) aufgrund der Kurzfristigkeit kaum umsetzbar. Durch die bereits eingetretene Verhinderung des Verteidigers könnte dieser kaum bei einer Vorbereitung der Selbstverteidigung behilflich sein. Auch verbliebe dem Angeklagten wenig bis keine Zeit sich selbst vorzubereiten oder einen anderen Verteidiger zu beauftragen. Selbst wenn der gewählte Verteidiger sich um einen alternativen Verteidiger kümmern würde, wäre die freie Verteidigerwahl stark eingeschränkt; eine Vertrauensbildung könnte in der Kürze der Zeit nicht mehr stattfinden und auch eine Einarbeitung des Verteidigers und dazu nötige gemeinsame Vorbereitungsgespräche wären nur sehr eingeschränkt möglich (vgl. 2. Kap. B.). 2.  Gesetzeslage – Abgrenzung §  213 und §  228 Abs.  2 StPO Vor Beginn der Hauptverhandlung können drei Situationen unterschieden werden: Der Zeitraum bis zur Terminierung bzw. Bekanntmachung der Terminierung, der Zeitraum zwischen Terminierung und Stattfinden der Hauptverhandlung und der Zeitraum unmittelbar vor dem Termin. Während dieses gesamten Zeitraums bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung ist §  213 StPO die einschlägige Norm, also auch wenn am Tag des ersten Hauptverhandlungstermins die kurzfristige Verhinderung des Verteidigers bekannt wird. Der Anwendungsbereich von §  213 StPO ergibt sich in Abgrenzung zu §  228 Abs.  2 StPO eindeutig aus der systematischen Stellung der beiden Normen und dem Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO (dazu ausf. S. 63  ff.). Hinsichtlich der methodischen Auslegung ist also auf die erfolgten Ausführungen zu §  213 StPO zu verweisen (S. 257 ff.). 3. Stellungnahme Ist die Verhinderung des Verteidigers bereits vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt, richtet sich die Rechtslage nach §  213 StPO und keinesfalls nach §  228 Abs.  2 StPO. Tritt der Vorsitzende in Kenntnis der Abwesenheit des Verteidigers in die Hauptverhandlung ein, um den Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO zu eröffnen, ist dies eine willkürlich herbeigeführte Verschlechterung der

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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Rechtslage des Angeklagten, welche dem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren widerspricht.72 Wurde bereits vor der Verhandlung ein Verlegungsantrag nach §  213 StPO gestellt, kann sich die erstmalige oder erneute Entscheidung über diesen Antrag in der Hauptverhandlung nicht an §  228 Abs.  2 StPO orientieren.73 Auch auf den Fall der kurzfristigen Verhinderung ist die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO nicht zu übertragen. Die Verfahrenssituation ist eine andere als in der laufenden Hauptverhandlung und entsprechend ist die Interessenlage nicht gleichzusetzen (s.  S. 269  f.). Die Gegenansicht, die die Normierung des §  228 Abs.  2 StPO als gesetzgeberische Wertung für jegliche Situation des verhinderten Verteidigers ansieht, übergeht stillschweigend, dass der Gesetzgeber mit dem Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO explizit einen konkreten Fall – nämlich die Aussetzung der laufenden Verhandlung – geregelt hat (vgl. S.  66 f.). Bei der kurzfristigen Verhinderung kann im Gegensatz zur vorbereitenden Terminierung dazu kommen, dass die Interessen Dritter beeinträchtigt werden, und auch eine Verfahrensverzögerung wird häufig nicht zu vermeiden sein (s.  S. 269  f.). Dies führt jedoch nicht zu einer anderen Interessenabwägung als bei der vorbereitenden Terminierung, da auch die Verteidigungsinteressen in erheblicherem Maße als bei einer langfristig bekannten Verhinderung betroffen sind. Nach herrschender Ansicht kann dem Angeklagten die Verantwortung für die Verhinderung des Verteidigers zugeschrieben werden, da der Angeklagte aufgrund der Frist des §  217 StPO eine ausreichende Möglichkeit hatte, einen terminlich verfügbaren Verteidiger zu beauftragen.74 Im Umkehrschluss muss eine Verhinderung, bei der dem Angeklagten die Frist des §  217 StPO nicht mehr zu Verfügung steht, zu einer Vertagung der Verhandlung führen.75 Der Angeklagte hätte in dieser Situation keinerlei Möglichkeit eine alternative Verteidigung vorzubereiten und hatte auch keine Möglichkeit die Situation im Vorfeld zu verhindern, Es liegt also keinerlei Obliegenheitsverletzung durch den Angeklagten vor. Das Beistandsrecht und auch die Möglichkeit der Selbstverteidigung wären in einer solchen Situation ohne die Vertagung der Verhandlung faktisch aufgehoben. Dieser wesentlichen Beeinträchtigung des Verteidigungsrechts stehen keine ebenso erheblichen Einbußen grundlegender Verfahrensbe72 

Vgl. Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  21 Vgl. OLG Köln VRS 92 (1997), 261. 74  U. a. OLG Hamm NJW 1954, 933 (933); OLG Celle NJW 1965, 2264; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  20; Heubel NJW 1981, 2678 (2678); Koch JR 1961, 420 (421); vgl. auch BayObLGSt 1998, 144 (145). 75  Vgl. OLG Celle NJW 1965, 2264 (2264); HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; Weider StV 1983, 270 (270 f.); zur Verspätung des Verteidigers: OLG Zweibrücken StV 1984, 148. 73 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

lange gegenüber. Rein organisatorische Interessen anderer Beteiligter oder des Gerichts rangieren keinesfalls auf gleicher Ebene wie die Ermöglichung des Verteidigerbeistands. Eine Verlängerung des Verfahrens hat keine so erhebliche negative Auswirkung (vgl. 3. Kap.), dass die effektive Gewährleistung des Beistandsrechts dahinter zurückstehen müsste; dies insbesondere deshalb, da – anders als bei der Gefahrenabwehr – das staatliche Handeln nicht in kürzester Zeit erfolgen muss, sondern ‚lediglich‘ bereits eingetretene Verletzungen nachträglich aufgearbeitet werden.76

III.  Verhinderung in der laufenden Hauptverhandlung 1. Situation Eine Verhinderung während eines laufenden Hauptverhandlungstages kann durch einen verspäteten Beginn der Verhandlung (vgl. S. 269) oder eine unvorhergesehene Dauer der Verhandlung in Verbindung mit kollidierenden Folgeterminen des Verteidigers eintreten.77 Vereinzelt kann es auch zum Wiedereintritt in die Beweisaufnahme kommen, nachdem der Verteidiger sich nach dem Plädoyer bereits entfernt hat.78 An langen Verhandlungstagen kann eine Verhinderung auch dadurch entstehen, dass sich eine bestehende gesundheitliche Beeinträchtigung des Verteidigers im Laufe des Tages bis zur Arbeitsunfähigkeit steigert.79 In Verfahren mit mehreren Hauptverhandlungstagen kann darüber hinaus eine kurzfristige Verhinderung zwischen den Terminen eintreten. Eine weitere Fallgruppe sind Fortsetzungstermine, deren Notwendigkeit sich erst während der laufenden Verhandlung ergibt.80 Tritt eine Verhinderung ein, sind die Folgen davon abhängig, ob die Beachtung der Verhinderung zu einer Unterbrechung oder einer Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde (vgl. §  229 Abs.  4 StPO). Dass statt einer Unterbrechung eine Aussetzung erfolgt, kann in der Dauer der Verhinderung – beispielsweise eine Erkrankung – begründet sein oder in der fehlenden Möglichkeit, einen Termin im zeitlichen Rahmen des §  229 Abs.  1, 2 StPO zu finden. In diesem Fall könnte eine Aussetzung ggf. durch einen sog. Schiebetermin verhindert werden, welcher jedoch nur in engem Rahmen ein fristwahrender Verhandlungstermin iS des §  229 StPO ist.81 So auch Köhler ZStW 107 (1995); 10 (21 f.). RGSt 1, 235; 11, 173; JurW 1932, 1151. 78  RGSt 28, 413; OLG Stuttgart VRS 25 (1963), 66. 79  Vgl. bspw. BGH NJW 1973, 1985; OLG Frankfurt/M StV 1994, 288. 80  Bspw. BGH NJW 1992, 849; NStZ-RR 2001, 107; auch LG Dortmund StV 1986, 13, wo die Notwendigkeit weiterer Termine jedoch offenkundig war. 81  Vgl. u. a. BGH NStZ 2012, 343; 2014, 220; StraFo 2011, 395. 76 

77 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

273

Eine Unterbrechung verlängert zumeist das Verfahren und beeinträchtigt die Konzentration der Hauptverhandlung. Ansonsten besteht hinsichtlich der Belange der Justiz und Dritter kein Unterschied zur Verhinderung vor Beginn der Hauptverhandlung (vgl. I. und II). Die Aussetzung des Verfahrens soll nach der Konzeption des §  229 StPO die Konzentration der Hauptverhandlung sichern, indem diese erneut durchgeführt wird. Dies kann – bei entsprechender Terminplanung – zu einer dann insgesamt kürzeren und konzentrierteren Hauptverhandlung führen.82 Allerdings verlängert sich in diesem Fall mit großer Wahrscheinlichkeit die Dauer des Gesamtverfahrens durch die Wiederholung bereits durchgeführter Verhandlungsteile. Die Verfahrensökonomie wird beeinträchtigt und ggf. müssen Zeugen sich erneut für die Durchführung des Verfahrens zur Verfügung stellen. Allerdings kann hinsichtlich des Ausmaßes der Belastungen der Justiz und der Verfahrensbeteiligten danach differenziert werden, wie lange vor der Aussetzung bereits verhandelt wurde und welche Verhandlungsteile doppelt durchgeführt werden müssten.83 Führt die Aussetzung nicht dazu, dass Teile der Beweisaufnahme zweifach durchgeführt werden, steht die Aussetzung der Unterbrechung gleich.84 Nach Beginn der Hauptverhandlung stehen einem Anspruch auf Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers also mehr Gründe entgegen als vor Beginn der Verhandlung.85 Doch auch die Situation des Angeklagten stellt sich in einer laufenden Hauptverhandlung anders dar. Sie ähnelt hinsichtlich der Alternativen und der Herausforderung, diese Alternativen in sehr knapper Zeit zu organisieren, der Sachlage bei einer kurzfristigen Verhinderung,86 wobei sich die Möglichkeiten bei einer Verhinderung während des laufenden Verhandlungstages noch einmal drastisch reduzieren. Darüber hinaus hätte ein ggf. einspringender Verteidiger den bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung nicht in eigener Person wahrgenommen. Hierin liegt – neben der Kürze der Vorbereitungszeit – eine Beeinträchtigung der sachgemäßen Verteidigung,87 die sich gleichermaßen wie die Beeinträchtigung anderer Belange nach dem bisherigen Umfang der Verhandlung bemisst.88

82 

Vgl. OLG Köln StV 2006, 143 (144 f.). BGHSt 52, 24 (29 f.); OLG Köln StV 2006, 143 (144 f.). 84  BGH aaO. 85  So auch AK-StPO/Keller §  213 Rn.  9. 86  Vgl. OLG Hamm NJW 1954, 933 (934). 87  Vgl. u. a. BGH VRS 26 (1964), 46 (47); OLG Zweibrücken NZV 1996, 162 (163); OLG  Hamm NStZ-RR 2001, 107 (108); OLG Köln StV 2006, 143 (144). 88  Vgl. BGHSt 52, 24 (29 f.). 83 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

2.  Gesetzeslage – Auslegung von §  228 Abs.  2 und §  265 Abs.  4 StPO Mit Beginn der Hauptverhandlung ist grundsätzlich der Anwendungsbereich des §  228 StPO eröffnet. Es muss jedoch zwischen einer Unterbrechung und einer Aussetzung differenziert werden. Der Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO ist erheblich enger als die momentane Anwendung der Norm (s.  S. 64  ff.). Der Wortlaut des zweiten Absatzes bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Unterbrechung. Eine Übertragung der gesetzgeberischen Wertung des zweiten Absatzes auf den ersten Absatz widerspricht der Konzeption der Norm. Als Ausnahmevorschrift, die erheblich in die Verteidigungsrechte aus §  137 Abs.  1 S.  1 SPO eingreift, ist eine extensive Auslegung nicht möglich. a)  Gesetzliche Regelung der Aussetzung Regelungen zur Aussetzung im Zusammenhang mit der Verteidigung finden sich zum einen in §  228 Abs.  2 StPO und zum anderen in §  265 Abs.  4 StPO. Um die gesetzliche Regelung einer Aussetzung zum Zweck der Teilnahme des Verteidigers zu analysieren, sind also eine Auslegung beider Normen und eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen ihnen notwendig. (1)  Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO Nachdem festgestellt wurde, dass der Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO auf die Aussetzung der bereits begonnenen Hauptverhandlung beschränkt ist, sollen im Folgenden die Möglichkeiten und Grenzen der Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO in Bezug auf diesen – im Vergleich zur derzeitigen Rechtsprechung engen – Anwendungsbereich untersucht werden. α.  Wortlaut Auf den ersten Blick erscheint der Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO kaum auslegungsbedürftig. Unzweifelhaft erfasst der Wortlaut den Antrag auf Aussetzung aufgrund der Verhinderung des Verteidigers und somit auch eine Verhinderung des Verteidigers, die in ihrer Dauer die Frist des §  229 StPO überschreitet. Fraglich ist hingegen, ob die Situation erfasst ist, in der durch die Verhinderung des Verteidigers lediglich eine Unterbrechung notwendig werden würde, aber aus anderen Gründen – etwa der Terminslage des Gerichts – eine Fortsetzung der Verhandlung innerhalb der Frist des §  229 StPO nicht möglich ist. Ist der Verteidiger nicht längerfristig, sondern nur an einem konkreten Termin verhindert, kann nicht die Rede davon sein, dass der Angeklagte die Aussetzung der Verhandlung „verlangt“. Genau dies setzt der Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO jedoch voraus. Seitens des Angeklagten steht in diesen Fällen nur eine Unterbre-

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275

chung im Raum. Trotz des zunächst eindeutig erscheinenden Wortlauts, ergibt sich also bereits hier die Möglichkeit einer engeren Auslegung. β.  Systematik Zur systematischen Auslegung ist zunächst die Stellung der Regelung innerhalb des §  228 StPO – also das Verhältnis zum ersten Absatz – zu untersuchen. Gemäß §  228 Abs.  1 StPO entscheidet über eine Aussetzung oder eine Unterbrechung das Gericht bzw. der Vorsitzende. Wie bei §  213 StPO wird diese Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Einbeziehung der Verfahrensbelange und der legitimen Interessen der Beteiligten getroffen.89 Obwohl nach einhelliger Ansicht also bereits der erste Absatz dem Gericht bzw. dem Vorsitzenden Ermessen zuspricht – der Angeklagte demnach nur ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hat – schließt der zweite Absatz einen Anspruch speziell für den Fall des verhinderten nicht-notwendigen Verteidigers aus. Ein eigener Regelungsgehalt ergibt sich folglich nur, wenn §  228 Abs.  2 StPO so ausgelegt wird, dass er das Recht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO einschränken soll, um zu verhindern, dass §  137 Abs.  1 S.  1 StPO das Ermessen aus §  228 Abs.  1 StPO auf null reduziert. Dagegen meint Keller, aus dem zweiten Absatz ergebe sich lediglich – wie beim ersten Absatz – eine Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung aller Belange ohne ein spezielles Regel-Ausnahme-Verhältnis.90 In dem Fall hätte der zweite Absatz jedoch keine eigenständige Bedeutung. Ein eigener Regelungsgehalt wäre gegeben, wenn §  228 Abs.  2 StPO so ausgelegt würde, dass die Verhinderung des Verteidigers keinesfalls beachtet werden muss. Diese Auslegung würde zwar das Verhältnis zwischen dem ersten und zweiten Absatz erklären, jedoch die restlichen Normen der StPO außer Acht lassen und damit der besonderen Stellung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO widersprechen.91 Demnach ergibt sich aus dem Zusammenspiel von §  228 Abs.  1, §  228 Abs.  2 und §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, dass der zweite Absatz des §  228 StPO als Wertung zu verstehen ist, welche das im ersten Absatz normierte Ermessen zu Ungunsten des Angeklagten beeinflusst, jedoch Raum für den Einbezug des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO als Ermessensaspekt lässt.92 Dies entspricht im Ergebnis un89  AK-StPO/Keller §  228 Rn.  3; HK-StPO/Julius §  213 Rn.  3; KK/Gmel §  228 Rn.  2; KMR/Eschelbach §  228 Rn.  15, 13; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  8, 12; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  8, 15; SSW/Grube §  228 Rn.  7. 90  AK-StPO/Keller §  228 Rn.  7. 91  Vgl. AnwK-StPO/Krekeler/Werner §  137 Rn.  4; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17. 92  Ähnlich: SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17.

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gefähr der gängigen Rechtsprechungspraxis. Offen bleibt dabei indes das genaue Verhältnis zwischen §  228 Abs.  2 StPO und §  137 Abs.  1 S.  1 StPO, also die Frage inwiefern §  137 Abs.  1 S.  1 StPO das gerichtliche Ermessen einschränkt. Daneben ist das Verhältnis zwischen §  228 Abs.  2 StPO und §  265 Abs.  4 StPO fraglich. Dieses Verhältnis kann jedoch erst nach der Betrachtung beider Normen geklärt werden (dazu S. 292). γ.  Historie Der aktuelle Wortlaut des §  228 Abs.  2 StPO war bei Verabschiedung der RStPO in §  227 Abs.  2 enthalten. Der historische Gesetzgeber der RStPO hielt es im Unterschied zum Inhalt vorheriger Prozessordnungen für erlässlich, mögliche Unterbrechungsgründe zu enumerieren und beschränkte sich auf die Regelung der zulässigen Unterbrechungsdauer.93 Hingegen erschien es notwendig „keinen Zweifel bestehen zu lassen, daß eine Behinderung des Vertheidigers dem Angeklagten kein Recht gebe, den Aufschub der Verhandlung zu verlangen.“94 Zur Begründung wurde ausgeführt, dass „ohne diese Vorschrift […] das Gericht häufig in die Lage versetzt werden [würde], die Verhandlung vertagen zu müssen, weil eine Kollision verschiedener gleichzeitig zu erledigender Geschäfte bei Rechtsanwälten oft vorkommt. Von solchen Zufällen darf aber der Geschäftsgang der Gerichte nicht abhängig gemacht werden, vielmehr muß es dem Angeklagten selbst überlassen bleiben, auf die Möglichkeit derselben von vorn herein Bedacht zu nehmen.“95 Ein gesetzlich geregelter Schutz der Interessen des Angeklagten wurde für entbehrlich erachtet, weil nur Fälle der nicht-notwendigen Verteidigung betroffen seien und „anzunehmen [sei], daß die Gerichte einem billigen Verlangen des Angeklagten um Aufschub der Sache keine Schwierigkeiten bereiten werden“.96 Der Gedanke, eine Regelung einzuführen, nach der ein Anspruch dann bestünde, wenn die Verhinderung dem Angeklagten bzw. dem Gericht so spät bekannt wurde, dass kein Ersatz mehr erlangt werden konnte, wurde daher verworfen.97 Eine solche Regelung bestand in der Lübecker Verordnung (§  178) und sowohl damals als noch aktuell in Österreich (§  226 Abs.  3).98 Eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass damals in vielen Oberlandesgerichtsbezirken ein Mangel an Rechtsanwälten und insbesondere an Strafverteidigern bestand,99 der Angeklagte also eine Terminkollision 93 

Motive S.  159.

94 Ebenda. 95 Ebenda. 96 

Motive S.  159 f. Motive S.  160; vgl. Thilo (1878) §  227 Rn.  4. 98  Motive S.  160; vgl. Thilo (1878) §  227 Rn.  4. 99  Vgl. Motive S.  100; Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  968. 97 

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zwar in „Bedacht nehmen“, aber oftmals nicht durch eine andere Wahl verhindern konnte, erfolgt in den Motiven nicht. Die zur Einführung der RStPO veröffentlichten Kommentierungen enthalten im Vergleich zu den Motiven kaum Weiterführendes. Bei v. Schwarze findet sich in einer Kommentierung des Paragraphen auf knapp über einer Seite kein einziges Wort zum zweiten Absatz. V. Bomhard und Koller erwähnen lediglich kurz den in den Motiven angeregten Umgang der Gerichte mit einem billigen Verlangen des Angeklagten.100 Auch Thilo gibt in seiner Kommentierung größtenteils wortlautgetreu die Motive wieder, ergänzt allerdings den Wortlaut der Motive mit der Einschränkung, dem Verlangen auf eine Verschiebung sei zu entsprechen, „wenn es sonst mit der Geschäftsvertheilung verträglich ist und sonstige gewichtige Bedenken nicht dagegen sprechen“.101 Das Reichsgericht verstand §  228 Abs.  2 StPO dahingehend, dass jegliche Abwesenheit des Verteidigers der Risikosphäre des Angeklagten unterfalle. Eine Differenzierung anhand des Grundes der Abwesenheit (vgl. δ, S. 280) wurde nicht vorgenommen.102 Einen gegenteiligen Weg schlug die Gesetzgebungskommission für einen Neuentwurf der StPO 1936 ein. Im damaligen Entwurf war einheitlich für die notwendige und die nicht-notwendige Verteidigung eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden über eine Unterbrechung oder Aussetzung für den Fall vorgesehen, dass der Verteidiger ausbleibt, sich während der Verhandlung entfernt, die Verteidigung ablehnt oder nicht fortführen kann.103 Neben einer speziellen Regelung für die notwendige Verteidigung war zudem für alle Verfahren eine dem §  145 Abs.  3 StPO entsprechende Möglichkeit vorgesehen.104 In den nachfolgenden Entwürfen (1937, 1938, 1939) wurde diese Regelung wieder auf die notwendige Verteidigung beschränkt.105 Den Fall des ausbleibenden nicht-notwendigen Verteidigers sah man in einer dem §  265 Abs.  4 StPO entsprechenden Norm (§  79)106 miterfasst und eine gesonderte Regelung deshalb als entbehrlich an.107 In den Erläuterungen des §  79 wird der Fall des ausbleiv. Bomhard/Koller (1879) §  227 Rn.  4. Thilo (1878) §  227 Rn.  4. 102  RGSt 1, 235; 11, 173; 28, 413; JW 1931, 1151. 103  §  60 Abs.  1 StPO-Entwurf 1936 (Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  27). 104  §  60 Abs.  4 StPO-Entwurf 1936 (Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  27). 105  Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  113, 184, 231, 307. 106  §  79: „Der Vorsitzende unterbricht die Hauptverhandlung oder setzt sie aus, wenn es notwendig ist, um Anklage oder Verteidigung besser vorzubereiten oder die Sache weiter aufzuklären, oder wenn andere Gründe es erfordern.“ (Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  309 f.) 107  Begründung des 2. Entwurfs 1939, abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  414; Protokollen der großen Strafprozeßkommission des Reichsjustizministeriums, abgedr. in Schubert III. Abt. Bd. 2.1. S.  198 (S.  12 des Protokolls der 11. Sitzung). 100  101 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

benden oder verhinderten Wahlverteidigers explizit als Anwendungsbereich genannt.108 Der vom Gesetzgeber beabsichtigte Norminhalt lässt sich durch die Beratungen und Motive nicht eindeutig erkennen. Da die Motive jedoch darauf hinweisen, dass der Angeklagte bezüglich möglicher Terminkollisionen Vorsorge treffen solle und zugleich festhält, dass die Norm eine Aussetzung bei einem gerechtfertigten Anliegen des Angeklagten nicht verhindern solle, kann der Entstehungsgeschichte eine Differenzierung anhand der Verantwortung des Angeklagten bzw. seiner Abwendungsmöglichkeiten entnommen werden. Diese Sichtweise wurde zwar in der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht übernommen, findet sich aber in den Beratungen über eine Neufassung der StPO wieder. δ.  Telos Neben dem Ansatz, §  228 Abs.  2 StPO solle Verfahrensverzögerungen, die durch „Nachlässigkeiten“ des Angeklagten entstehen könnten, verhindern,109 wird auch vorgebracht, §  228 Abs.  2 StPO habe den Zweck, eine Verzögerung durch den Verteidiger zu verhindern: „Der Verteidiger hat es also grundsätzlich, nicht in der Hand, unter Hinweis auf andere Aufgaben oder persönliche Gründe eine Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu erzwingen.“110 Gingen die Beratungen zur RStPO noch davon aus, dass aufgrund des Mangels an Verteidigern und somit deren terminlicher Überlastung keine Rücksicht auf die Verhinderung des Verteidigers genommen werden könne, entstand in der BRD die Ansicht, Zweck des §  228 Abs.  2 StPO sei die Verhinderung der Sabotage des Verfahrens durch Angeklagten und Verteidiger.111 Zumeist wird als Zweck des §  228 Abs.  2 StPO jedoch allgemeiner formuliert: Neben den allgemeinen Regelungen zur Möglichkeit der Unterbrechung und Aussetzung (§§  228, 229 StPO) solle §  228 Abs.  2 StPO die Verzögerung Schubert III. Abt. Bd. 1. S.  422 f. HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4. 110  U. a. BVerfG NJW 1984, 862 (863); BGH NJW 1973, 1985 (1986); BayObLGSt 1988, 179 (180); OLG Düsseldorf StV 1995, 454 (454); vgl. auch BGHSt 15, 306 (308); NJW  1988, 3273; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Stuttgart NJW 1979, 559 (559 f.); OLG  Hamm StV 1989, 100 (101); AG Tiergarten VRR 2014, 316 (Rn.  21); KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  28; Löwe/Rosenberg/ Stuckenberg §  265 Rn.  108; Löwe/Rosenberg/Esser Art.  6 EMRK Rn.  731 „wäre einer Verschleppung des Verfahrens Tür und Tor geöffnet“; vgl. auch BayObLGSt 1998, 144 (145). 111  OLG Köln JMBl NW 1962, 225 (226); OLG Köln NJW 1968, 954; BayObLGSt 1998, 144 (145); AK-StPO/Stern §  137 Rn.  19 u. a. „Erzwingung unbegründeter Aussetzungswünsche“. 108 

109 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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des Verfahrens durch den Angeklagten verhindern.112 Dies soll nach herrschender Ansicht der Beschleunigung des Verfahrens dienen.113 Teilweise wird vertreten, die Regelung diene darüber hinaus der Konzentrationsmaxime.114 Die Konzentrationsmaxime soll zur Sicherung des Mündlichkeitsprinzips eine möglichst kompakte Hauptverhandlung gewährleisten, da die Schöpfung des Urteils aus dem ‚Inbegriff der Verhandlung‘ (§  261 StPO) – nach der theoretischen Konzeption der StPO – voraussetzt, dass Verfahren in einem kurzen Zeitraum stattfinden, damit die Richter bei der Urteilsfindung alles Gesagte präsent haben können. Daher würde ein Schutz der Konzentrationsmaxime voraussetzen, dass §  228 Abs.  2 StPO nicht Aussetzungen, sondern Unterbrechungen verhindern würde. Da dies nicht der Fall ist, kann Zweck der Regelung nicht die Gewährleistung der Konzentrationsmaxime sein. Es ist zu vermuten, dass der Verweis auf die Konzentrationsmaxime auf der fehlenden Unterscheidung der verschiedenen Verfahrenssituationen bei der Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO beruht (vgl.  S. 64 f.). Dieses Manko setzt sich in anderen Erläuterungen des §  228 Abs.  2 StPO fort: Nach den Ausführungen in Kommentierungen und Entscheidungen soll eine Verzögerung des Verfahrens dadurch verhindert werden, dass es zu Lasten des Angeklagten gehen soll, wenn er keinen Verteidiger findet, der bereit und in der Lage ist, ihn zu verteidigen.115 Dies soll auch die Wahl eines Verteidigers, der an dem Termin verhindert ist, umfassen.116 Die Abwesenheit eines Verteidigers liege in der Verantwortung des Angeklagten, da die Ladungsfrist des §  217 Abs.  1 StPO diesem genug Zeit gebe, einen – auch terminlich – verteidigungsbereiten Verteidiger zu beauftragen.117 Die Verhinde-

112  U. a. BayObLGSt 1998, 144 (145); AK-StPO/Stern §  137 Rn.  19; HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; HK-GS/Temminger §  228 Rn.  9; KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; Meyer-Goßner/Schmitt §  228 Rn.  10; SSW/Grube §  228 Rn.  20. 113  U. a. OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); AK-StPO/Stern §  137 Rn.  19; KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  19; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt §  228 Rn.  10. 114  AK-StPO/Keller §  213 Rn.  5; Heubel NJW 1981, 2678; vgl. auch Graf/Gorf §  228 Rn.  4. 115  U. a. OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 304 (305); jeweils mwN: KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23; Meyer-Goßner/Schmitt §  228 Rn.  10; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  19; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  20; Heubel NJW 1981, 2678. 116  HK-GS/Temminger §  228 Rn.  9; KMR/Eschelbach §  228 Rn.  28; Löwe/Rosenberg/ Becker §  228 Rn.  24; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  19. 117  OLG Hamm NJW 1954, 933 (933); OLG Celle NJW 1965, 2264; OLG Köln NJW 1968, 954; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  20; Heubel NJW 1981, 2678 (2678); vgl. auch Koch JR 1961, 420 (421).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

rung des Verteidigers liege somit in der Risikosphäre des Angeklagten.118 Diese Umschreibung des Aussagegehalts des §  228 Abs.  2 StPO bezieht sich auf die Situation und das Verhalten des Angeklagten vor Beginn der Hauptverhandlung. Die Verhinderung des Verteidigers nach Beginn der Verhandlung – also im zeitlichen Regelungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO – dürfte nur selten mit der Verteidigerwahl des Angeklagten in Verbindung zu bringen sein. In Abgrenzung zu dieser Zweckbeschreibung, die nicht mit dem Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO korrespondiert, betonen andere Kommentare, §  228 Abs.  2 StPO setze voraus, dass das Nichterscheinen in die Verantwortungssphäre des Angeklagten falle.119 Danach solle §  228 Abs.  2 StPO keine Anwendung auf den überraschend unverteidigten Angeklagten finden, um zu gewährleisten, dass zwar Verfahrensverzögerungen, aber nicht eine effektive Verteidigung verhindert würden.120 Diese Konkretisierung des Zwecks geht häufig mit einer Abgrenzung zu §  265 Abs.  4 StPO einher. Demnach sollen nur Fälle, in denen die Abwesenheit des Verteidigers im Verantwortungsbereich des Angeklagten liegt, dem §  228 Abs.  2 StPO unterfallen; wohingegen Fälle, in denen die Abwesenheit auch für den Angeklagten überraschend ist, er sich also auf die Mitwirkung des Verteidigers verlassen durfte, im Anwendungsbereich des §  265 Abs.  4 StPO liegen sollen (dazu noch S. 287  ff.).121 Eine solch enge, teleologische Auslegung vertraten in den 1950er und 1960er Jahren auch vereinzelte Oberlandesgerichte. Das Oberlandesgericht Oldenburg differenzierte 1956 danach, ob die Abwesenheit des Verteidigers für den Angeklagten voraussehbar war oder nicht.122 §  228 Abs.  2 StPO basiere darauf, dass der Angeklagte nach Ansicht des Gesetzgebers vor der Hauptverhandlung ausreichend Möglichkeit hätte seine Verteidigung sicherzustellen und daher die vorhersehbare Abwesenheit des Verteidigers in Kauf nehmen müsse.123 Sei der Angeklagte jedoch unerwartet unverteidigt, müsse das Gericht die Verhandlung in der Regel aussetzen, da §  137 StPO es verbiete, für die Aussetzungsentscheidung nach der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten zu differenzie118 

Graf/Gorf §  228 Rn.  6; HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  19; SSW/Grube §  228 Rn.  20. 119  HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  24; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; vgl. auch HK-GS/Temminger §  228 Rn.  9. 120  SSW/Grube §  228 Rn.  19 ff.; Heubel NJW 1981, 2678 (2678). 121  Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  22 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt §  228 Rn.  12; SKStPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  19 ff.; vertiefend: Heubel NJW  1981, 2678 (2678); einschr. Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  21, der beide Normen parallel für anwendbar hält; aA OLG Düsseldorf GA 1979, 226. 122  OLG Oldenburg NdsRpfl 1957, 38. 123  OLG Oldenburg aaO.

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ren.124 Das Oberlandesgericht Celle hielt 1965 fest, §  228 Abs.  2 StPO, §  265 Abs.  4 StPO und §  137 Abs.  1 StPO ständen in einem Widerstreit.125 Im darauffolgenden Jahr konkretisierte das Gericht seine Ausführungen: Grundgedanke des §  228 Abs.  2 StPO sei die Verantwortung des Angeklagten für die rechtzeitige Wahl eines Verteidigers. Dieser Regelungszweck und damit auch die Rechtsfolge des §  228 Abs.  2 StPO greife nicht, wenn die Verhinderung in Form einer Erkrankung erst nach der Wahl des Verteidigers eintrete.126 Zudem führte das Gericht aus, der Zweck des §  228 Abs.  2 StPO würde für dessen Anwendung voraussetzen, dass bei Kenntnis der Verhinderung noch der Zeitraum des §  217 Abs.  2 StPO bis zum Hauptverhandlungstermin verbleibe, um einen Ersatzverteidiger zu finden.127 Das Oberlandesgericht Saarbrücken nahm für die Situation der überraschenden Verhinderung einen Fall des §  265 Abs.  4 StPO an, ohne sich mit dem Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO auseinanderzusetzen.128 ε.  Fazit Wie gezeigt gibt es Bemühungen um eine konkretisierende Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO, welche der ausufernden Anwendung entgegentritt. Jedoch beziehen sich diese Ausführungen ausschließlich auf den Normzweck und lassen den Wortlaut außer Acht. Dadurch fehlt bei den Äußerungen zu den sich aus dem Normzweck ergebenden Einschränkungen ein Einbezug des generellen Anwendungsbereichs des §  228 Abs.  2 StPO. §  228 Abs.  2 StPO betrifft ausschließlich die Aussetzung der begonnenen Hauptverhandlung – nicht die Umterminierung vor Beginn der Verhandlung. Nimmt man also die Schlussfolgerungen aus dem Wortlaut und dem Telos der Norm zusammen, verbleiben nur wenige Verfahrenssituationen, die von §  228 Abs.  2 StPO erfasst werden. Bleibt der Verteidiger nach einem im Vorfeld abgelehnten Umterminierungsantrag am Terminstag aus, betrifft dies den Anwendungsbereich des §  213 StPO, denn die Hauptverhandlung hat noch nicht begonnen. Die Hauptverhandlung in dieser Situation zu eröffnen, um dann festzustellen, dass ein Fall des §  228 Abs.  2 StPO vorliegt, wäre eine willkürliche Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO. Kommt es zu einer Verhinderung während der Verhandlung, muss zunächst festgestellt werden, ob die Verhinderung eine Aussetzung nötig macht 124 

OLG Oldenburg aaO. OLG Celle NdsRpfl 1964, 234. 126  OLG Celle NJW 1965, 2264. 127  OLG Celle aaO; ebenfalls: Weider StV 1983, 270 (270 f.); ähnlich, aber für kürzeren Zeitraum: OLG Hamm NJW 1954, 933 (934); aA OLG Düsseldorf GA 1979, 226. 128  OLG Saarbrücken VRS 25 (1963), 66. 125 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

oder eine Unterbrechung ausreicht. Reicht eine Unterbrechung nicht aus, ist grundsätzlich der Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO eröffnet. Soweit es sich um den ersten Prozesstag handelt und die Verhinderung vor dem Aufruf zur Sache bekannt wird, steht allerdings das Kriterium des Beginns der Verhandlung einer Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO entgegen. Nach dem Aufruf der Sache würde formell zwar eine Aussetzung vorliegen, hinsichtlich der Verfahrensökonomie bestünde jedoch kein Unterschied zur Vertagung vor Beginn der Hauptverhandlung.129 Daher liegt angesichts der Interessenlage eine entsprechende Reduktion des §  228 Abs.  2 StPO nahe. Fälle, in denen eine Verhinderung während der Hauptverhandlung überraschend eintritt, sind nicht vom Zweck der Norm umfasst und würden nach der oben ausgeführten teleologischen Betrachtung dem §  265 Abs.  4 StPO unterfallen. Letztlich verbleiben Fälle, bei denen der Verteidiger an einem sich erst während der Verhandlung ergebenden Fortsetzungstermin verhindert ist. Genau in diesen Fällen, die dem Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO nach seinem Wortlaut tatsächlich entsprechen, liegt jedoch zumeist keine oder eine nur geringe Verantwortung des Angeklagten und des Verteidigers an der Verhinderung vor.130 Vor allem hat der Angeklagte die Situation nicht durch die Wahl eines zeitlich verhinderten Verteidigers verursacht – auch hier bestehen also Zweifel, ob der Fall vom teleologischen Anwendungsbereich der Norm erfasst ist. (2)  Regelung des §  265 Abs.  4 StPO Nach allgemeiner Ansicht erfasst die ‚veränderte Sachlage‘ iS des §  265 Abs.  4 StPO auch das Ausbleiben des Verteidigers.131 Vereinzelt wird die – für die Rechtsfolge unerhebliche – Frage aufgeworfen, ob es sich dabei um eine direkte oder – aufgrund des Einbezugs der ‚Verfahrenslage‘ in den Begriff ‚Sachlage‘ – analoge Anwendung handelt.132

129 

Vgl. BGHSt 52, 24 (29 f.) zum Verhältnis von Unterbrechung und Aussetzung. Vgl. OLG Hamm NJW 1954, 933 (934). 131  U. a. BayObLGSt 1962, 226 (227 f.); OLG Celle NJW 1965, 2264; BayObLG StV 1983, 270; OLG Zweibrücken StV 1984, 148; OLG Düsseldorf StV 1995, 69 (69); AnwK-StPO/ Martis §  265 Rn.  13; Graf/Eschelbach §  265 Rn.  47; HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21; KK/Kuckein §  265 Rn.  31; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  25; Meyer-Goßner/Schmitt §  265 Rn.  42a; SK-StPO/Velten §  265 Rn.  63; SSW/Rosenau §  265 Rn.  42; Heubel NJW 1981, 2678 (2679); vgl. auch BGH NJW 1965, 2164. 132 Radtke/Hohmann/Radtke §  265 Rn.  106; vgl. auch KMR/Paulus (5. Erg. Lfg.) §  228 Rn.  16. 130 

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α.  Wortlaut Der Wortlaut des §  265 Abs.  4 StPO ist sehr allgemein gehalten. Tatbestandliche Voraussetzung ist eine ‚Veränderung der Sachlage‘. Aufgrund der Formulierung ‚auch sonst‘ wird ersichtlich, dass der vierte Absatz die anderen Absätze des §  265 StPO ergänzen soll. Somit ist die im vierten Absatz genannte ‚Sachlage‘ weit auszulegen, um dieser Auffangfunktion gerecht zu werden.133 Die Feststellung einer ‚Veränderung‘ erfordert einen Vergleich mit der Sachlage zu einem früheren Zeitpunkt. Dieser Vergleichsmaßstab ist bei den ersten drei Absätzen die rechtliche Bewertung zum Zeitpunkt der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung (vgl. §§  199 ff. StPO). Auch bei der Verfahrenslage iS des §  265 Abs.  4 StPO gibt es Anwendungsfälle, die einen Vergleich der Lage bei Eröffnung des Hauptverfahrens mit einem späteren Verfahrensverlauf ermöglichen; so ein erst im Laufe der Verhandlung benannter Zeuge oder hinzugezogener Sachverständiger.134 Ob die Abwesenheit des Verteidigers eine ‚Veränderung‘ ist, ist mit diesem Vergleichsmaßstab nicht festzustellen. Hier kann Veränderung nur aus der Perspektive des Angeklagten festgestellt werden: Konnte der Angeklagte entgegen der tatsächlich eingetretenen Situation zuvor von der Anwesenheit des Verteidigers ausgehen? Dies dürfte bei einer erst kurz vor der Verhandlung bekannt gewordenen oder im Laufe der Verhandlung eingetretenen Verhinderung zu bejahen sein.135 Die von der Rechtsprechung teilweise unter §  265 Abs.  4 StPO subsumierte Situation, in der bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung aufgrund der Verhinderung des Verteidigers ein Terminantrag gestellt – und abgelehnt – wurde (vgl. S. 14), ist schwerlich unter den Wortlaut zufassen. Liegt eine veränderte Sachlage vor, „hat das Gericht“ die Verhandlung auszusetzen, wenn dies „zur genügenden Vorbereitung (…) der Verteidigung angemessen erscheint“.136 Entgegen der allgemeinen Ansicht137 ist die Rechtsfolge also keine Ermessensentscheidung des Gerichts.138 Nach dem Wortlaut muss das Gericht das Verfahren aussetzen, sofern dies zur Vorbereitung der Verteidigung ‚angemessen erscheint‘. Da die Feststellung, ob dies ‚angemessen er133 

Vgl. Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  99; SK-StPO/Velten §  265 Rn.  60. Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  104 mw Bsp. 135  So bspw. OLG Stuttgart VRS 25 (1963), 66 (67); OLG Celle NdsRpfl 1964, 234. 136  §  265 Abs.  4 StPO, Hervorhebung nicht im Original. 137  U. a. RGSt 61, 217 (221); OLG Celle NJW 1965, 2264; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  75; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  25; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  98; Radtke/Hohmann/Radtke §  265 Rn.  103. 138  SK-StPO/Velten §  265 Rn.  63; andeutungsweise auch KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80: Pflicht zur Aussetzung, wenn Verhandlung unzumutbar – Stuckenberg geht dennoch im Weiteren von Ermessen aus: Rn.  83. 134 

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scheint‘, wiederum eine Abwägung des Einzelfalls erfordert, scheinen aus der allgemeinen Annahme, die Rechtsfolge sei eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung, im Ergebnis keine Unterschiede zu folgen. Allerdings ergeben sich bei der Möglichkeit der Überprüfung der Entscheidung Unterschiede.139 β.  Historie Der Wortlaut des §  265 StPO ist seit der Verabschiedung der RStPO unverändert. Lediglich die Nummerierung hat sich 1924 geändert; zuvor war die Norm unter §  264 RStPO zu finden. Aus den Materialien zur RStPO lässt sich nicht entnehmen, welche Fallgruppen der Gesetzgeber bei der Schaffung des vierten Absatzes im Blick hatte. Die Erläuterungen in den Motiven der Kommission und die Protokolle der Beratungen beziehen sich ausschließlich auf die ersten drei Absätze.140 Beabsichtigt war wohl ein möglichst weiter Anwendungsbereich.141 Das Reichsgericht bezog 1926 den vierten Absatz erstmals auf die Beeinträchtigung der Verteidigung durch das Ausscheiden eines Mitverteidigers (aus rechtlichen Gründen).142 1932 folgte eine weitere Entscheidung, nach welcher eine veränderte Sachlage iS des §  265 Abs.  4 StPO vorliege, wenn dem inhaftierten Angeklagten erst zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt wird, dass sein Antrag auf Pflichtverteidigung abgelehnt wurde und ihm somit keine Zeit verbleibt, dagegen Beschwerde einzulegen oder einen Wahlverteidiger zu beauftragen.143 Möglicherweise aufgrund dieser Rechtsprechung war in den StPO-Entwürfen 1936–1939 eine dem §  265 StPO entsprechende Norm vorgesehen, deren Wortlaut jedoch noch weiter gefasst war. Demnach sollte der Vorsitzende die Hauptverhandlung unterbrechen oder aussetzen, wenn dies notwendig sei, um „Anklage oder Verteidigung besser vorzubereiten oder die Sache weiter aufzuklären, oder wenn andere Gründe es erfordern.“144 Diese Formulierung sollte ausdrücklich auch die Situation des abwesenden Wahlverteidigers erfassen.145 Die genannten Entscheidungen des Reichsgerichts wurden im Schrifttum der BRD zunächst kaum aufgegriffen. Eb. Schmidt nennt als Anwendungsfall für eine Beeinträchtigung der Verteidigung nur die kurzfristige Mandatsniederle139 

Vgl. SK-StPO/Velten §  265 Rn.  63. Motive S.  156 f. (Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  209 f.); Hahn 3.  Bd. 2. Abt., S.  1375 ff. 141  v. Schwarze (1878) §  264 Rn.  12. 142  RG JW 1926, 1218 m. zust. Anm. Oetker und Mamroth; vgl. auch RGSt 71, 353 (354), Entscheidung nach §  264 StPO; jedoch wg. Verkennung der notwendige Verteidigung durch das Gericht. 143  RG JW 1932, 406 f. mAnm. Hoche. 144  §  79 StPO-Entwurf (Schubert III. Abt. Bd. 1 S.  309 f.) 145  Schubert III. Abt. Bd. 1. S.  422 f. 140 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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gung;146 Erbs den Verteidigerwechsel.147 Lediglich Geier rezipierte die Entscheidungen des RG ausführlich.148 Der Bundesgerichtshof bezog sich erstmals im Jahr 1965 in einem Verfahren mit kurzfristiger Verhinderung des Verteidigers auf §  265 Abs.  4 StPO.149 Der Senat begründete die Aufhebung des Urteils jedoch mit der unzureichenden Vorbereitungszeit für den Vertreter des eigentlichen Wahlverteidigers und nicht mit dem Fehlen des erkrankten Wahlverteidigers (vgl. S. 22).150 Zuvor hatten bereits mehrere Oberlandesgerichte die Abwesenheit des Verteidigers als veränderte Sachlage iS des §  265 Abs.  4 StPO beurteilt oder dies zumindest geprüft.151 Das Oberlandesgericht Oldenburg nahm – in Abgrenzung zu §  228 Abs.  2 StPO – eine Verpflichtung des Gerichts zur Aussetzung für den Fall des unerwartet unverteidigten Angeklagten an.152 Kurz nach dem genannten BGH-Urteil beschäftigte sich das Oberlandesgericht Celle explizit mit dem Anspruch auf Aussetzung aufgrund des unverschuldeten, kurzfristigen Ausbleibens des Verteidigers und kam zu dem Ergebnis, dass neben §  265 Abs.  4 StPO auch §  137 StPO und §  228 Abs.  2 StPO einzubeziehen seien.153 Dieser Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle, welche sich differenziert mit den Normen auseinandersetzt, folgte die dargestellte, genauso reichhaltige wie undogmatische Kasuistik (vgl. 1.  Kap.). Die Gesetzgebungsgeschichte ist wenig ergiebig, lässt jedoch vermuten, dass die Norm – dem Wortlaut entsprechend – als Auffangregelung konzipiert war und die Anwendung des §  265 Abs.  4 StPO auf den ausbleibenden Verteidiger dem gesetzgeberischen Willen zumindest nicht widerspricht. Die Historie der Rechtsprechung und des Schrifttums lässt erkennen, dass die Anwendung des §  265 Abs.  4 StPO auf den ausbleibenden Verteidiger zwar frühzeitig und unwidersprochen angenommen wurde, jedoch nicht zu einer ausdifferenzierten Dogmatik geführt hat. γ.  Telos Die Formulierung – ‚zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint‘ – weist auf den Zweck der Regelung hin. Der Zweck des gesamten §  265 StPO wird in der Sicherung der sachgemäßen VerEb. Schmidt II §  265 Rn.  24. Erbs (1950) §  265. 148  Löwe/Rosenberg/20 Geier §  265 Rn.  13. 149  BGH NJW 1965, 2164. 150  BGH aaO. 151  OLG Oldenburg NdsRpfl 1957, 38; OLG  Köln JMBl NW 1962, 225; OLG Saarbrücken VRS 25 (1963), 66; OLG Celle NdsRpfl 1964, 234 (234 f.). 152  OLG Oldenburg NdsRpfl 1957, 38. 153  OLG Celle NJW 1965, 2264. 146  147 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

teidigung und dadurch des fairen Verfahrens gesehen.154 Bei dieser Beschreibung des Telos wird jedoch übergangen, dass sich der vierte Absatz unterschiedslos auf Anklage und Verteidigung bezieht. §  265 Abs.  4 StPO soll auch ein konkretisierter Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der gerichtlichen Fürsorgepflicht sein.155 Die Beschreibung des Zwecks der Norm ist somit genauso unspezifisch wie der Wortlaut. Dass sich weder aus der Gesetzgebungsgeschichte noch anderen Veröffentlichungen Konkreteres zum Zweck der Norm ergibt, beruht vor allem auf der Position der Regelung. Der Zweck der ersten drei Absätze des Paragraphen ist ausreichend konkretisiert. Sie sollen die Subjektstellung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und die effektive Verteidigung sichern.156 Überraschende Entscheidungen sollen verhindert werden. Durch Informationspflichten des Gerichts und das Recht auf Aussetzung im Falle einer geänderten gerichtlichen Einschätzung der Rechtslage soll dem Angeklagten eine ausreichende Möglichkeit des rechtlichen Gehörs gewährt werden.157 In diese Ausrichtung der Norm fügt sich der vierte Absatz nicht ohne Weiteres ein. Die Anwendung des vierten Absatzes auf den verhinderten Verteidiger schützt zwar auch die effektive Verteidigung, aber in einer gänzlich anderen Ausrichtung als die hauptsächlich auf die Bedeutung von Informationen ausgerichteten ersten drei Absätze. Faktisch beruht der Anwendungsbereich des §  265 Abs.  4 StPO vor allem auf einer vielfältigen, jedoch unsystematischen Kasuistik, während eine systematische rechtswissenschaftliche Beschäftigung mit §  265 Abs.  4 StPO nicht vorhanden zu sein scheint. Es existiert lediglich ein Aufsatz von Heubel, in welchem dieser versucht, den Zweck des §  265 Abs.  4 StPO zu erfassen und darüber den Anwendungsbereich der Regelung zu bestimmen. Er fasst den Zweck des vierten Absatzes dahingehend zusammen, dass das Gericht dafür zu sorgen habe, dass durch die Verfahrensgestaltung die Verteidigungsmöglichkeiten nicht verkürzt würden.158 Daraus folgert er eine Anwendbarkeit des §  265 Abs.  4 StPO auf den überraschend unverteidigten Angeklagten.159

154 

KK/Kuckein §  265 Rn.  1; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  1 mwN. OLG Celle NJW 1995, 2264; BayObLG NJW 1995, 3134; Graf/Eschelbach §  265 Rn.  1; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  25; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  5. 156  U. a. KK/Kuckein §  265 Rn.  1. 157  U. a. Graf/Eschelbach §  265 Rn.  1 ff.; vgl. auch Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  209 (Motive S.  156). 158  Heubel NJW 1981, 2678 (2678 f.). 159  Heubel aaO. 155 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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δ.  Systematik Neben der gerade angesprochenen Beziehung des §  265 Abs.  4 StPO zu den ersten Absätzen des Paragraphen stellt sich für eine systematische Betrachtung des §  265 Abs.  4 StPO vor allem die Frage nach dem Verhältnis zu §  228 Abs.  2 StPO. In der Kommentarliteratur wird häufig ausgeführt, §  228 Abs.  2 und §  145 Abs.  3 StPO regelten das Ausbleiben des Verteidigers nicht abschließend,160 aber die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO müsse in die Anwendung des §  265 Abs.  4 StPO auf den Fall des fehlenden Verteidigers miteinbezogen werden.161 Teilweise wird versucht, eine systematische Abgrenzung der Anwendungsbereiche von §  265 Abs.  4 StPO und §  228 Abs.  2 StPO zu entwickeln. Auch der gerade genannte Aufsatz von Heubel versucht, eine solche Abgrenzung zu leisten.162 Soweit eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche vorgenommen wird, basiert diese überwiegend auf der Beschränkung des Anwendungsbereichs von §  265 Abs.  4 StPO auf den Fall des überraschend unverteidigten Angeklagten.163 Eine solche Einschränkung findet eine Stütze in der Wortlautauslegung (‚Veränderung‘, s. S. 283). Dieses Wortlautargument wird in den Kommentierungen jedoch nicht genannt.164 Sofern eine Begründung erfolgt, besteht diese in dem Verweis auf die Unzumutbarkeit der Situation für den Angeklagten,165 bzw. auf die Unabwendbarkeit der Situation durch den Angeklagten, wenn dieser von der Verfahrenslage überrascht wird (vgl. S. 278  ff.).166 Eine etwas andere Abgrenzung stellt nicht auf das Kriterium ‚überraschend‘ ab, sondern bezieht sich auf den Zweck des §  228 Abs.  2 StPO, wonach §  228 Abs.  2 StPO nur Fälle erfasse, die in der Verantwortungssphäre des Angeklagten liegen.167 So leitet beispielsweise Julius den Anwendungsbereich des §  265 Abs.  4 StPO direkt aus der Umkehrung des von ihm vertretenen Anwendungsbereiches des §  228 Abs.  2 StPO 160  Graf/Eschelbach §  265 Rn.  47; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; Löwe/Rosenberg/ Stuckenberg §  265 Rn.  106; Radtke/Hohmann/Radtke §  265 Rn.  112; SSW/Rosenau §  265 Rn.  44. 161  Graf/Eschelbach §  265 Rn.  47; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  106; Radtke/ Hohmann/Radtke §  265 Rn.  112. 162  Heubel NJW 1981, 2678. 163  KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  21; SSW/Grube §  228 Rn.  22; Heubel NJW 1981, 2678 (2678 f.); Schlothauer Rn.  189; vgl. auch AnwK-StPO/ Kirchhof §  228 Rn.  3; Graf/Eschelbach §  265 Rn.  47; Meyer-Goßner/Schmitt §  265 Rn.  42a; Pfeiffer §  265 Rn.  14. 164  Angedeutet jedoch von Heubel NJW 1981, 2678 (2679). 165  Vgl. KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; Meyer-Goßner/Schmitt §  265 Rn.  42a. 166  Vgl. AK-StPO/Loos §  265 Rn.  4 4. 167  HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23 ff.; SK-StPO/ Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  19 ff.; vgl. auch HK-GS/Temming §  228 Rn.  9.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

ab.168 Dies führt jedoch größtenteils zu den gleichen Ergebnissen. Nach dieser Ansicht ist §  265 Abs.  4 StPO anwendbar, wenn die Situation nicht auf einer Nachlässigkeit oder Absicht des Angeklagten beruht – also ebenfalls, wenn die Situation überraschend eintritt oder bei Kenntnis der Situation nicht ausreichend Zeit verbleibt.169 Ein inhaltlicher Unterschied zur erstgenannten Ansicht kann sich lediglich in Verfahren ergeben, in denen das Gericht eine Verantwortung für die Situation trägt.170 Entsprechend wird teilweise zwar nach Verantwortungsbereichen des Angeklagten differenziert, die Verhinderung, die außerhalb des Verantwortungsbereiches des Angeklagten liegt, jedoch als eine Situation umschrieben, die der Angeklagte „weder voraussehen noch abwenden konnte“;171 letztlich also wiederum auf den überraschend unverteidigten Angeklagten abgestellt. Die Unzumutbarkeit und die Unabwendbarkeit sind jedoch auch Kriterien, die von Rechtsprechung und Kommentarliteratur als Kriterien genannt werden, um innerhalb des Anwendungsbereichs des §  265 Abs.  4 StPO zu entscheiden, ob eine Fürsorgepflicht zur Aussetzung besteht. Aufgrund dieser ‚Doppelverwertung‘ kann eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche anhand dieser Kriterien nicht überzeugen. So ist beispielsweise nach Stuckenberg und auch Kuckein – der allerdings §  228 Abs.  2 StPO nicht erwähnt – der Anwendungsbereich eröffnet, wenn die Verteidigungsmöglichkeit durch das Ausbleiben verschlechtert ist, ohne dass der Angeklagte das Ausbleiben vorhersehen oder abwenden konnte.172 Zugleich nennen beide Autoren die Verantwortung des Angeklagten als Ermessenskriterium: Die Ablehnung eines Aussetzungsantrags soll nicht gegen die Fürsorgepflicht des Gerichts verstoßen, wenn die Verantwortung für das Ausbleiben im Bereich des Angeklagten liegt.173 Der Eindruck, dass hier nicht die Anwendungsbereiche der Normen, sondern die Rechtsfolgen der Normen abgegrenzt werden, drängt sich auf. Ist die Situation für den Angeklagten überraschend und nicht von ihm zu vertreten, ist die Durchführung der Verhandlung unzumutbar – §  265 Abs.  4 StPO ist anzuwenden. Liegt die Situation im Verantwortungsbereich des Angeklagten, bzw. konnte er sich auf die Lage einstellen oder sie vermeiden, ist der Anwendungs168 

HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; §  265 Rn.  21. HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  24 f., 27 f.; Heubel NJW 1981, 2678. 170  HK-StPO/Julius §  265 Rn.  21; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  24 f., 27; Heubel aaO. 171  KK/Kuckein §  265 Rn.  31; SSW/Grube §  228 Rn.  22; ähnlich Heubel aaO. 172  KK/Kuckein §  265 Rn.  31; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  80; ähnlich AnwK-StPO/ Kirchhof §  228 Rn.  3. 173  KK/Kuckein §  265 Rn.  31; KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  83; ähnlich Heubel aaO (2679). 169 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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bereich von §  228 Abs.  2 StPO eröffnet und die Verhandlung ohne Verteidiger durchzuführen.174 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Heubel bei seiner Analyse der Rechtsprechung.175 Er stellt fest, dass je nach Ergebnis entweder nur auf §  228 Abs.  2 StPO oder nur auf §  265 Abs.  4 StPO Bezug genommen wird – ohne die jeweils andere Norm zu erwähnen.176 Die von der Rechtsprechung und Kommentarliteratur genannten Abwägungskriterien innerhalb der Normen stellen sich folglich bei näherer Betrachtung als Abgrenzungskriterien zwischen den Normen dar.177 Besonders deutlich wird dies bei den Ausführungen von Meyer-Goßner, der nicht ausschließlich auf das Kriterium ‚überraschend‘ abstellt, sondern auch auf sonstige unzumutbare Situationen. Demnach könne auch bei der vorherigen Ablehnung eines Terminantrags eine unzumutbare Beeinträchtigung vorliegen und „uU entgegen §  228  II auch bei bloßer Verhinderung des Verteidigers“ §  265 Abs.  4 StPO anwendbar sein.178 ε.  Fazit Als Auffangregelung sind dem §  265 Abs.  4 StPO keine inhaltlichen Kriterien zu entnehmen, wann eine Aussetzung zur genügenden Vorbereitung der Verteidigung angemessen erscheint. Nach dem Wortlaut liegt nahe, dass von der Regelung Fälle der kurzfristigen Verhinderung erfasst werden.179 Da §  265 Abs.  4 StPO ausschließlich während der laufenden Hauptverhandlung anwendbar ist, sind letztlich nahezu alle Verhinderungen, die zu diesem Zeitpunkt auftreten, kurzfristig. Lediglich bei einer bereits am vorherigen Prozesstag bekannten Verhinderung zu einem Fortsetzungstermin könnte fraglich sein, ob der Zeitabstand ausreicht, damit aus Sicht der Angeklagten keine kurzfristige Situation vorliegt. Klärungsbedürftig bleibt das Verhältnis zu §  228 Abs.  2 StPO, da die Ansätze der Rechtsprechung und Literatur nicht zu stringenten Ergebnissen kommen. b)  Gesetzliche Regelung der Unterbrechung Der historische Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, Gründe für eine Unterbrechung zu normieren.180 §  228 Abs.  1 StPO regelt die Zuständigkeit für 174 

Vgl. OLG Köln JMBl NW 1962, 225 (266); Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  25. Heubel aaO (2678). 176  Heubel aaO (2678). 177  Deutlich: Radtke/Hohmann/Radtke §  265 Rn.  112; SSW/Grube §  228 Rn.  19 ff. 178  Meyer-Goßner/Schmitt §  265 Rn.  42a. 179  Vgl. OLG Saarbrücken VRS 25 (1963), 66; OLG Celle NdsRpfl 1964, 234. 180  Motive S.  159. 175 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

die Entscheidung über Unterbrechungen und §  229 StPO die mögliche Dauer von Unterbrechungen. §  228 Abs.  2 StPO ist auf die Unterbrechung nicht anwendbar (s. S. 64  ff.). Dagegen erfasst §  265 Abs.  4 StPO nach allgemeiner Ansicht als Minus zur Aussetzung auch die Unterbrechung, wenn diese ausreichend ist, um die Belange der Verteidigung iS des §  265 Abs.  4 StPO zu wahren.181 Nur vereinzelt wird für die Unterbrechung allein auf §§  228 Abs.  1, 229 StPO abgestellt.182 Die Ermessensentscheidung über eine Unterbrechung richtet sich also nach §  228 Abs.  1 StPO iVm §  265 Abs.  4 StPO. §  228 Abs.  1 StPO enthält keinerlei inhaltliche Vorgaben oder Einschränkungen. §  265 Abs.  4 StPO stellt hingegen auf die Angemessenheit für eine sachgemäße Verteidigung ab. Eine Unterbrechung muss also erfolgen, wenn ansonsten keine sachgemäße Verteidigung gewährleistet wäre. Dies ist im Fall des abwesenden Verteidigers – wie im 2. Kapitel ausführlich dargelegt – grundsätzlich gegeben. 3. Stellungnahme Wird die Verhinderung des Verteidigers erst während der laufenden Hauptverhandlung bekannt, betrifft dies den Anwendungsbereich des §  228 StPO. Hingegen ist der Anwendungsbereich nicht eröffnet, wenn die Hauptverhandlung bereits in Kenntnis der Verhinderung eröffnet wird (s.  S. 270). Der Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO ist erheblich enger, als die momentane Anwendung der Norm (s. S. 64  ff.). a) Unterbrechung Ist der Verteidiger kurzfristig verhindert, so dass er nach einer Unterbrechung wieder an der Verhandlung teilnehmen kann, ist die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO nicht beachtlich. Eine Übertragung ist wegen der Unterschiede zwischen Unterbrechung und Aussetzung nicht sachgemäß. Die Unterbrechung der Verhandlung führt häufig zu einer Verlängerung des Verfahrens. Aufgrund der maximalen Unterbrechungsfristen handelt es sich dabei jedoch nicht um eine erhebliche Verzögerung – insbesondere im Verhältnis zur Gesamtdauer des Verfahrens. Die dadurch unter anderem betroffene Konzentrationsmaxime wird durch §  229 StPO geschützt. Die Regelung des §  229 StPO bringt die Einschätzung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die Schöp181  AK-StPO/Loos §  265 Rn.  45; AnwK-StPO/Martis §  265 Rn.  13; Graf/Eschelbach §  265 Rn.  51; HK-StPO/Julius §  265 Rn.  19, 21; HK-GS/Brehmeier-Matz §  265 Rn.  6; Löwe/ Rosenberg/Becker §  228 Rn.  25; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  112; Radtke/Hohmann §  265 Rn.  103; SK-StPO/Velten §  265 Rn.  62, 64. 182  KMR/Stuckenberg §  265 Rn.  85.

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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fung des Urteils aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ausreichend gesichert wird, wenn die in §  229 StPO angegebenen Unterbrechungszeiträume nicht überschritten werden. Neben den Fristen des §  229 StPO sollen zur Sicherung der Konzentrationsmaxime Unterbrechungen insgesamt vermieden werden; sie müssen also ausreichend sachlich begründet sein (dazu S. 69). Eine Unterbrechung der Verhandlung zur Gewährung der Teilnahme des Verteidigers der Wahl ist ein sachlicher Grund. Die effektive Verteidigung ist bei einer Abwesenheit des Verteidigers erheblich beeinträchtigt. Da keine gleichwertigen Interessen oder Verfahrensgrundsätze in erheblicher Weise betroffen sind, ist einem sachgemäßen Antrag der Verteidigung bzw. des Angeklagten zu entsprechen. Wenn das Ausbleiben des Verteidigers nicht sachlich begründet ist, kann eine Unterbrechung im Hinblick auf das Verteidigungsinteresse des Angeklagten dennoch die einzig fehlerfreie Ermessensentscheidung sein, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Angeklagte mit dem Verteidiger kollusiv zusammengewirkt hat. Denn auch in dieser Situation wäre das Recht auf Verteidigung ohne Unterbrechung in erheblichem Maße betroffen, während bei einer Sicherung des Rechts auf Verteidigung andere Verfahrensbelange nicht erheblich beeinträchtigen würden. Neben der Interessenlage spricht auch die Gesetzessystematik für eine in aller Regel vorzunehmende Unterbrechung zur Gewährleistung der Verteidigung. Der historische Gesetzgeber hat in §  228 Abs.  2 StPO ausdrücklich und ausschließlich die Aussetzung aufgeführt (vgl. S.  66 f.). Dadurch ist nicht nur die Unterbrechung nicht von §  228 Abs.  2 StPO erfasst, sondern aus der ausdrücklichen Begrenzung des zweiten Absatzes auf die Aussetzung kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass bei einer Verhinderung des Verteidigers ein Recht auf Unterbrechung besteht. Dies entspricht dem gesetzgeberischen Willen, der mit §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ausdrücklich das jederzeitige Beistandsrecht normiert hat und eine Ausnahme nur für den Fall der Aussetzung ins Gesetz aufgenommen hat. Wird zur Gewährleistung des Beistandsrechts die Verhandlung unterbrochen, ist damit zwingendermaßen die Festsetzung eines neuen Verhandlungstermins verbunden, der die Teilnahme des Verteidigers ermöglicht. b) Aussetzung Kann die Anwesenheit des gewählten Verteidigers nur durch eine Aussetzung gewährleistet werden, sind andere Verfahrensbelange als bei der Unterbrechung betroffen und die gesetzliche Vorgabe des §  228 Abs.  2 StPO muss beachtet werden.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

(1)  Verhältnis von §  265 Abs.  4 StPO und §  228 Abs.  2 StPO Eine schlüssige Anwendung von §  228 Abs.  2 StPO und §  265 Abs.  4 StPO ergibt sich, wenn man davon ausgeht, dass bei einer Abwesenheit des Verteidigers, die sich nicht im Vorfeld, sondern während der Verhandlung ergibt, immer der Anwendungsbereich von §  265 Abs.  4 StPO eröffnet ist und Aussetzungsentscheidungen ausschließlich nach dieser Norm getroffen werden. §  228 Abs.  2 StPO ist keine Regelung zur Aussetzung, sondern lediglich eine Wertung hinsichtlich der einzubeziehenden Ermessenskriterien. Das heißt, die Entscheidung nach §  265 Abs.  4 StPO, ob eine Aussetzung zur Gewährleistung der sachgemäßen Verteidigung angemessen ist, muss zum einen die Wertung des §  137 Abs.  2 S.  1 StPO berücksichtigen und zum anderen die des §  228 Abs.  2 StPO. (2)  Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO Es ist offenkundig, dass in vielen Fällen eine Verhandlung trotz Verhinderung des Verteidigers den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht gerecht wird. Entsprechend ist es mittlerweile allgemeine Ansicht, dass §  228 Abs.  2 StPO nicht zwangsläufig zur Nichtbeachtung der Verhinderung führen kann. Statt sich um eine enge, gesetzes- und verfassungskonforme Auslegung zu bemühen, wird der Problematik lediglich mit einem Verweis auf die gerichtliche Fürsorgepflicht begegnet, wonach „es mitunter aus Gründen der Fürsorge für einen Verfahrensbeteiligten geboten sein kann, eine strafprozessuale Vorschrift – hier die Bestimmung des §  228 Absatz  II StPO – nicht anzuwenden, obwohl ihre Anwendung rechtsfehlerfrei möglich wäre, um ein faires Verfahren zu gewährleisten“.183 Durch diese Rechtsansicht – expliziter Ausschluss eines Vertagungsanspruchs durch §  228 Abs.  2 StPO und zugleich Gebot einer Vertagung aufgrund von Verfahrensgrundsätzen –, ist die Praxis durch vage Ermessensaspekte geprägt, die selbst für die Situation des unvorbereitet – weil überraschend – unverteidigten Angeklagten eine klare Rechtslage vermissen lässt.184 Es ist daher zu prüfen, ob alternativ eine engere Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO möglich ist, die den Ansprüchen eines rechtsstaatlichen Verfahrens genügt.

183  OLG Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); GA 1977, 310 (311); VRS 74 (1988), 38 (39); OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 (180); vgl. auch OLG Hamm VRS 47 (1974), 358 (359); OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Hamm StV 1989, 100 (100). 184  Krit. Weider StV 1983, 270 (270 f.).

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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α.  Gesetzgeberische Wertung §  228 Abs.  2 StPO wird zumeist nicht anhand seines Wortlautes angewandt, sondern als allgemeine gesetzgeberische Wertung betrachtet. Eben jene gesetzgeberische Wertung in Form der Erwägungen des historischen Gesetzgebers lässt Bedenken aufkommen, ob die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO mit einem rechtsstaatlichen Verfahren vereinbar ist. Der historische Gesetzgeber stellte bei der Begründung des §  228 Abs.  2 StPO darauf ab, dass ein Anspruch auf Rücksichtnahme von Terminkollisionen die Gefahr häufigerer Vertagungen von Verhandlungen berge, da Terminkollisionen bei Rechtsanwälten häufiger vorkommen würden. Daher sei es dem Angeklagten selber zu überlassen diese Gefahr „von vornherein in Betracht zu nehmen“.185 Welche Maßnahmen der Angeklagte treffen sollte, wenn er die Gefahr in Betracht gezogen hat, lässt sich den Motiven nicht entnehmen. Eine weitergehende Diskussion, inwiefern dies einen Eingriff in das Recht auf jederzeitigen Beistand des Verteidigers darstellt und ob ein solcher Eingriff verhältnismäßig wäre, fand nicht statt. Dies ist umso problematischer, als die Motive an anderer Stelle Auskunft darüber geben, dass an einigen Gerichtsorten zu wenig oder gar keine Strafverteidiger ansässig seien.186 Die Möglichkeit des Angeklagten, einen anderen Verteidiger zu wählen dürfte somit – unabhängig von etwaigen finanziellen Hürden – gering gewesen sein. Auch der Zeitpunkt der Verhinderung – während der laufenden Hauptverhandlung – lässt dem Angeklagten kaum alternative Handlungsmöglichkeiten. Dem Angeklagten wird also die Tragung eines Risikos zugewiesen, ohne dass dieser eine ausreichende Möglichkeit hätte diesem Risiko zu begegnen. Die fehlende Auseinandersetzung mit den tatsächlichen und rechtlichen Konsequenzen des §  228 Abs.  2 StPO führt dazu, dass die Gesetzesbegründung und die gesetzgeberische Wertung im Hinblick auf das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Verteidigerbeistand kaum überzeugen können. β.  Verantwortungssphäre des Angeklagten Ein unkritischer Bezug auf die gesetzgeberische Wertung des §  228 Abs.  2 StPO ist nach modernen rechtsstaatlichen Ansprüchen daher nicht weiterführend. Eine Rechtslage, die dem Angeklagten einen Verantwortungsbereich für die An- oder Abwesenheit des Verteidigers zuweist, welchen dieser in keiner Weise ausfüllen kann, widerspricht elementar den Grundsätzen der EMRK. Eine Verantwortung des Angeklagten kann nur soweit bestehen wie er einen

185 

186 

Motive S.  159. Motive S.  100; Hahn 3.  Bd. 1. Abt., S.  968.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

tatsächlichen Einfluss auf die Gegebenheit hat.187 Eine verfassungskonforme Auslegung darf §  228 Abs.  2 StPO nur dann anwenden, wenn das Ausbleiben des Verteidigers in der Hand des Angeklagten liegt, also von dem Angeklagten willkürlich herbeigeführt wurde.188 Betrachtet man die Verantwortung des Angeklagten für eine Aussetzung, kann zwischen dem Einfluss auf die Aussetzung als solche und dem Einfluss auf die Verhinderung differenziert werden. Es gibt Konstellationen, in denen der Angeklagte die Aussetzung keineswegs ‚verlangt‘, sondern die mögliche Aussetzung zwar von der Verhinderung des Verteidigers beeinflusst ist, aber seitens der Verteidigung eine Unterbrechung ausreichen würde. Dies ist bei einer nur kurzen Verhinderung des Verteidigers der Fall und ebenfalls, wenn die Terminierung eines Fortsetzungstermins nötig wird, der Verteidiger innerhalb der Frist des §  229 StPO freie Terminkapazitäten hat, aber an dem vom Gericht anvisierten Termin verhindert ist. In diesen Fällen ist es nicht sachgerecht, die Aussetzung der Verantwortungssphäre des Angeklagten zuzuweisen, da die Aussetzung vornehmlich durch die organisatorischen Belange des Spruchkörpers herbeigeführt wird. Solch organisatorische Belange liegen vollkommen außerhalb der Einflusssphäre des Angeklagten. Der Staat und seine Organe sind verpflichtet, die Strafrechtspflege so einzurichten, dass Strafverfahren ohne vermeidbare Beeinträchtigungen von Verfahrensbelangen und Rechten der Beteiligten durchführbar sind. Diese Verantwortung kann nicht auf den Angeklagten übertragen werden. Sowohl in diesen Fällen als auch in den Fällen, in denen die Aussetzung tatsächlich durch die Verteidigung verursacht wurde, wird zur Begründung der Einschränkung des Beistandsrechts zumeist auf die Verantwortung des Angeklagten für die Wahl des Verteidigers und die durch §  217 StPO ausreichend gegebene Möglichkeit der Wahl und Vorbereitung verwiesen.189 Die Situation, dass der Angeklagte nicht rechtzeitig vor Beginn der Verhandlung einen zeitlich verfügbaren Verteidiger beauftragt, wird von §  228 Abs.  2 StPO jedoch gerade nicht erfasst. §  228 Abs.  2 StPO greift erst in der laufenden Hauptverhandlung – also in einer Situation, in der zu Beginn der Verhandlung ein gewählter Verteidiger verteidigungsbereit war, aber im Verlauf der Verhandlung eine Verhinderung eingetreten ist. Für eine Reaktion auf die eingetretene Verhinderung verbleibt dem Angeklagten in diesem Moment zumeist kein ausreichender Zeitraum.190 187 

Vgl. SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36. OLG Celle NJW 1965, 2264; BayObLGSt 1998, 144, (145); vgl. auch KMR/Paulus (5.  Erg. Lfg.) §  228 Rn.  12; Löwe-Rosenberg/Becker §  228 Rn.  32 f.; SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36; Radtke/Hohmann/Radtke §  265 Rn.  112; SK-StPO/Deiters §  228 Rn.  17. 189  KK/Gmel §  228 Rn.  11; SSW/Grube §  228 Rn.  20; s. auch Fn.  115. 190 Vgl. Weider StV 1983, 270 (170 f.). 188 

A.  Auslegung der einfachgesetzlichen Normen

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γ.  Zweck des §  228 Abs.  2 StPO Entgegen der herrschenden Ansicht liegt also in den von §  228 Abs.  2 StPO erfassten Fällen zumeist gerade keine Verantwortung des Angeklagten vor. Dennoch wird §  228 Abs.  2 StPO von dem legitimen Zweck der Verhinderung von Aussetzungen und somit der Vermeidung einer erheblichen Belastung der Prozessökonomie und der Verfahrensbeteiligten getragen. Dieser im Vergleich zur Verfahrenslage des §  213 StPO größeren Bedeutung einer ungestörten Verfahrensdurchführung steht aber eine ebenso gestiegene Bedeutung der Anwesenheit des gewählten Verteidigers gegenüber (s.  S. 272  f.). Im Unterschied zu §  213 StPO enthält §  228 Abs.  2 StPO zwar eine Gewichtung dieser Interessen. Diese Gewichtung widerspricht allerdings der herausgearbeiteten Interessen­ lage (vgl. 2. und 3.  Kap.). Angesichts der erheblichen Einschränkungen der Verteidigung bei einem Ausfall des Verteidigers während der laufenden Hauptverhandlung und der tatsächlich bestehenden Verantwortungsbereiche und Abwendungsmöglichkeiten muss eine verfassungsgemäße und konventionengerechte Auslegung zu einer erheblichen Reduktion des §  228 Abs.  2 StPO führen.191 Das Beistandsrecht muss nicht nur zwingend in die Entscheidung einbezogen werden, es überwiegt in aller Regel auch. Nach der Konzeption der StPO sind Aussetzungen so weit als möglich zu vermeiden – also nur in Kauf zu nehmen, wenn sie sachlich begründet und nicht vermeidbar sind (dazu S. 68). Die Gewährleistung des Beistandsrechts ist ein sachlicher Grund. (3) Fazit §  265 Abs.  4 StPO verpflichtet das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Verhandlung auszusetzen, wenn dies zur sachgemäßen Verteidigung erforderlich ist. Da die Verteidigung beim Ausbleiben des Verteidigers wesentlich beeinträchtigt ist, liegt diese Voraussetzung bei der Verhinderung des Verteidigers in der Regel vor. Neben dem effektiven Schutz des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ist bei der Anwendung des §  265 Abs.  4 StPO auch §  228 Abs.  2 StPO zu beachten. §  228 Abs.  2 StPO muss jedoch dahingehend ausgelegt werden, dass eine Zuschreibung einer Verantwortungssphäre, die tatsächliche Möglichkeit dieser Verantwortung gerecht zu werden und die Beeinträchtigung der Verteidigungsposition durch eigene Maßnahmen abzuwenden voraussetzt. Ist eine solche Möglichkeit nicht gegeben, überwiegt das Interesse des Angeklagten an der ef-

191 

Vgl. KMR/Paulus (5. Erg. Lfg.) §  228 Rn.  12; Radtke/Hohmann/Radtke §  265 Rn.  112; SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  37; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; im Ansatz auch Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23.

296

4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

fektiven Verteidigung das hauptsächlich prozessökonomisch begründete Interesse an einer Durchführung der Verhandlung.

IV.  Zusammenfassung de lege lata Da §  213 StPO dem Vorsitzenden lediglich die Zuständigkeit für die Terminierung zuschreibt, aber keine Befugnis verleiht, das Beistandsrecht des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO einzuschränken, sind bei der Terminierung zwingend die terminlichen Belange der Verteidigung einzubeziehen. Wurde eine Terminierung vorgenommen, die die Anwesenheit des gewählten Verteidigers verhindern würde, ist der Termin bei einem sachgemäßen Antrag zu verlegen. Dies gilt auch, wenn der Angeklagte in Kenntnis der Terminskollisionen einen Verteidiger beauftragt, da dem Angeklagten ein freies Wahlrecht zusteht und keine gleichrangigen Verfahrensbelange erheblich beeinträchtigt werden. §  228 Abs.  2 StPO ist weder direkt noch als Wertungsmaßstab in Entscheidungen vor Eröffnung der Hauptverhandlung einzubeziehen. Wird das Verfahren in Kenntnis der Verhinderung des Verteidigers eröffnet, verbleibt es ebenfalls beim Ausschluss des §  228 Abs.  2 StPO, da eine willkürliche Einschränkung des Verteidigungsrechts vorliegt und keine anderen Verfahrensbelange betroffen sind als kurz vor Eröffnung der Verhandlung. Ist die Verhandlung in dem Zeitpunkt, zu dem die Verhinderung bekannt wird, bereits eröffnet, muss gem. §  265 Abs.  4 StPO iVm §  228 Abs.  1 StPO und §  137 Abs.  1 S.  1 StPO versucht werden, das Beistandsrecht durch eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Nur wenn eine Unterbrechung nicht ausreichend ist, muss ggf. eine Aussetzung erfolgen und somit §  228 Abs.  2 StPO einbezogen werden. §  228 Abs.  2 StPO ist jedoch verfassungskonform teleologisch auszulegen, so dass eine Verhandlung ohne formelle Verteidigung eine Verantwortung des Angeklagten für die Verfahrenslage voraussetzt. In der Regel ist die Verhandlung nicht gegen den Willen des Angeklagten ohne den gewählten Verteidiger durchzuführen.

B.  Reformüberlegungen I.  Notwendigkeit von Gesetzesänderungen Wie aufgezeigt können die Normen, welche die Terminierung, Vertagung, Unterbrechung und Aussetzung der Hauptverhandlung betreffen, so ausgelegt werden, dass einige der im ersten Kapitel aufgezeigten Kritikpunkte behoben werden. Dennoch ist zu prüfen, ob gesetzgeberische Reformen sachgemäß wären.

B.  Reformüberlegungen

297

1.  §  213 StPO Der Wortlaut des §  213 StPO lässt ausreichend Raum für eine verfassungsgemäße, das Beistandsrecht des Angeklagten wahrende Anwendung des §  213 StPO. Auch andere Auslegungsmittel stehen dem nicht entgegen. Eine klarstellende Reform des Wortlautes erscheint dennoch zweckmäßig. §  213 StPO enthält keine inhaltlichen Maßstäbe zur Terminfindung. Die bisherige Rechtspraxis hat nicht zu einer klaren Ausarbeitung der zu beachtenden Interessen und deren Wertigkeit geführt. Daher scheint trotz des Einbezugs von §  137 Abs.  1 S.  1 StPO eine gesetzgeberische Klarstellung der zu beachtenden Belange sinnvoll zu sein, um eine ausreichende Rechtssicherheit zu erlangen.192 Denn obwohl §  213 StPO keine Aussage über eine ‚Terminshoheit‘ enthält, wird eine solche in die Norm hineingelesen. Trotz einiger Rechtsmittelentscheidungen, die dezidiert betonen, dass die Terminslage des Spruchkörpers kein pauschaler Ablehnungsgrund von Terminsanträgen sei, wird kontinuierlich zu Lasten des Verteidigungsrechts entschieden und sachgemäße Abwägungen werden in Entscheidungen nicht deutlich (vgl. S. 42 f.; 56).193 Dies spricht dafür, dass die langjährige Praxis der ‚Terminshoheit‘ zu ihrer Reformierung einer ausdrücklichen Klarstellung bedarf, denn dass sich die Rechtspraxis bei gleichbleibendem Wortlaut des §  213 StPO grundlegend ändert, ist zu bezweifeln.194 Die Einschätzung des Gesetzgebers, „daß die Gerichte einem billigen Verlangen des Angeklagten um Aufschub der Sache keine Schwierigkeiten bereiten werden“, weshalb es keiner entsprechenden gesetzlichen Verankerung bedürfe,195 hat sich nicht durchweg bestätigt. Da Objektivität, Neutralität und Sicherung von Angeklagtenrechten und vor allem Fehlerfreiheit von den Strafverfolgungsbehörden nicht durchweg zu erwarten sind (vgl. S. 143  ff.),196 darf die Sicherung von bedeutenden Verteidigungsrechten nicht ausschließlich in der Fürsorgepflicht der Gerichte liegen.197 Dies gilt insbesondere, wenn – wie bei der Terminierung – die Interessen der Strafrechtspflege anerkannter Bestandteil der Abwägungsaspekte sind und zudem die konkreten Interessen des Vorsitzenden bezüglich der eigenen Arbeitsabläufe und des eigenen Arbeitsaufwands betroffen sind. Auch wenn diese Abwägung sachgemäß vorgenommen wird, wird der zwangsläufige Einbezug der Eigeninteressen des Abwägenden aus Sicht des So auch E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (359, 370). Bspw. BayObLG DAR 2001, 83; KG NZV 2003, 433 (434); LG München II NJW 1995, 1439, weitere Nachweise: S.  43, Fn.  180 ff.; S.  56, Fn.  280 ff. 194  So auch E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370). 195  Motive S.  159 f. 196  Dazu OLG Düsseldorf StV 1995, 454 (455); vgl. zur Polizei: BGHSt 42, 15 (18 ff.). 197 Vgl. Hillenkamp JR 1975, 133 (134). 192  193 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

Angeklagten häufig als Willkür erscheinen und dadurch das Ansehen des Gerichts und das Prozessklima beeinträchtigen. Auch die derzeit unklare Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die Ablehnung eines Terminsantrags einzulegen (s. S. 13 f.)198 bedarf einer gesetzgeberischen Klarstellung.199 Die Möglichkeit, eine Ablehnung erst in der Hauptverhandlung durch Gerichtsbeschluss überprüfen zu lassen und später in der Revision zu rügen,200 entspricht keinesfalls den Ansprüchen der Verfahrensökonomie und des Beschleunigungsgebots, da hierdurch die Gefahr von Unterbrechung und Aussetzungen geschaffen wird.201 Auch eine Wiederholung des Verfahrens nach Zurückverweisung durch die Revisionsinstanz ist dem Interesse an einem ökonomischen und zügigen Verfahren abträglich. Gerade wenn es dem Angeklagten auf eine schnelle Erledigung des Verfahrens ankommt und keine weiteren Instanzen angestrebt werden, wird er bei Terminschwierigkeiten faktisch auf die Durchsetzung seines Beistandsrechts verzichten müssen.202 Es ist somit trotz der referierten Auslegungsmöglichkeit eine eindeutige gesetzgeberische Wertung notwendig,203 um klarzustellen, dass dem Beschuldigten nicht das Recht auf Beistand eines Verteidigers zustehen „kann“204, sondern zusteht. Ein Gesetzgebungsprozess beinhaltet zudem den Vorteil, dass Vor- und Nachteile einer möglichen Lösung offen diskutiert werden müssen, wohingegen eine gerichtliche Praxis, die im Schwerpunkt aus Abwägungen besteht, sich durch die Vagheit der Entscheidungen einer Auseinandersetzung entzieht und Änderungen der Praxis oft schwer nachzuvollziehen sind.205 2.  §  228 Abs.  2 StPO Die gleichen Erwägungen, die im Rahmen des §  213 StPO für eine ausdrückliche Regelung und einen expliziten Einbezug des Rechts auf den Wahlverteidiger sprechen, treffen auch auf die Rechtslage nach Beginn der Hauptverhandlung zu. Allerdings drängt bei §  228 Abs.  2 StPO nicht nur die Tatsache, dass ein Wohlwollen des Gerichts kein adäquater Ersatz für durchsetzbare Rechte Vgl. u. a. für Unzulässigkeit der Beschwerde: KMR/Eschelbach §  213 Rn.  23 f.; Kropp NStZ 2004, 667; Schellenberg S.  17. 199  Vgl. AK-StPO/Schlothauer Vor §  213 Rn.  152 f. 200  So bspw. OLG Hamm StV 1990, 56 (56); OLG Düsseldorf VRS 90 (1996), 127 (128); vgl. auch Eb. Schmidt II §  213 Rn.  2 f. 201  Vgl. OLG Stuttgart Justiz 2006, 8 (Rn.  13); AK-StPO/Keller §  213 Rn.  9; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  24; Schlothauer Rn.  180 Fn.  5. 202 Vgl. Malek Rn.  4 4. 203  So auch E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370). 204  So das OLG Frankfurt/M StV 1998, 13 (13). 205 Vgl. Hamm in FS-Sarstedt, S.  49 (50 f.). 198 

B.  Reformüberlegungen

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ist, auf eine Reform. Eine verfassungskonforme Auslegung des §  228 Abs.  2 StPO ist zwar möglich, widerspricht aber dem Wortlaut. So wurde in mehreren Entscheidungen klar formuliert, dass der eigentlich anwendbare §  228 Abs.  2 StPO im konkreten Verfahren nicht anzuwenden sei, da §  228 Abs.  2 StPO dem fairen Verfahren widersprechen würde.206 Zugleich ist der Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO bei einer engen Auslegung, die Wortlaut, Systematik und Telos einbezieht, so stark eingeschränkt, dass die Regelung lediglich zu Unklarheit der Rechtslage beiträgt und kaum zur Sicherung von Verfahrensbelangen. Zudem legt die bisherige extensive – über Wortlaut und Systematik hinausgehende, eine weitgehende Einschränkung der Beschuldigtenrechte  in Kauf nehmende – Anwendung des §  228 Abs.  2 StPO eine gesetzliche Klarstellung nahe. Auch die unklare Abgrenzung zwischen §  213, §  228 Abs.  2 und §  265 Abs.  4 StPO spricht für eine deutlichere Regelung.

II.  Lösungsansätze in Rechtsprechung und Schrifttum Trotz der im ersten Kapitel skizzierten Kritik an der ständigen Rechtsprechung soll zur Entwicklung von Reformvorschlägen untersucht werden, ob den referierten Entscheidungen Lösungsmöglichkeiten zu entnehmen sind. Auch im Schrifttum werden trotz der bisher nicht ausführlich geführten Diskussion zumindest zu verschiedenen Teilaspekten des Themenkomplexes Lösungsansätze angesprochen. 1.  Verhinderung von Terminkollisionen a)  Sorgfältige Terminierung Insbesondere bei Verfahren mit einer Vielzahl von Verhandlungstagen wird in der Rechtsprechung auf eine möglichst frühzeitige, vorausschauende Terminierung zur Vermeidung von Terminkollisionen hingewiesen.207 Auch in der Literatur wird vorgetragen, dass die Gefahr von Terminkollisionen sinke, je früher die Terminierung bekannt gegeben werde.208 Bedenken gegen eine frühe Terminierung bringt das Oberlandesgericht Köln vor: Eine generelle frühzeitige Ter-

206 

U. a. OLG Hamburg MDR 1964, 524; OLG Hamm VRS 41 (1971), 45 (46); 47 (1974), 358 (359); OLG Hamm GA 1977, 310 (311); OLG Hamburg MDR 1981, 165; OLG Hamm VRS 74 (1988), 38 (39); StV 1989, 100 (100); NStZ-RR 1997, 179 (180). 207  Vgl. u. a. BGH NJW 2008, 2451 (2453); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); OLG Oldenburg StraFo 2008, 26. 208  Hilger StV 2006, 451 (453); Schlothauer StV 2009, 578 (580).

300

4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

minierung würde den Anforderungen der Rechtspflege widersprechen, da dann die Möglichkeit entfalle, kurzfristig freiwerdenden Termine zu füllen.209 b)  Kommunikatives Gericht Unabhängig von der Terminfindung sah der 68.  DJT in einer „klare[n] und sinnvolle[n] Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten“ einen geeigneten Weg, zügige Verfahren und eine Gewährleistung des Beschleunigungsgebots zu erreichen.210 Auch die 2014 und 2015 im Auftrag des Bundesjustizministeriums tagende Expertenkommission befürwortet eine organisatorische Kommunikation vor Beginn der Hauptverhandlung.211 Dies korrespondiert mit der Feststellung von Weigend, es handele sich bei den Diskussionen um Beschleunigung und Überlastung der Justiz eher um eine Auseinandersetzung über die Herrschaft im Gerichtssaal.212 Entsprechend schlägt er einen Abbau der Konfrontation als effektive Verbesserungsmöglichkeit vor.213 Speziell für die Terminierung weist E.  Müller auf die Möglichkeit und die Vorzüge eines stärker kommunikations- als hoheitsbetonten Vorgehens hin.214 Er spricht dabei pointiert von einem ‚Terminmanagement‘ statt einer ‚Terminshoheit‘ des Vorsitzenden als Paradigma des §  213  StPO.215 Eine sehr konkrete Form einer solchen Kommunikation sind verschiedene Formen der Terminabsprache, welche in Rechtsprechung und Schrifttum häufig als konstruktive Umgangsform genannt werden. Bereits v.  Schwarze vermerkte in seiner Kommentierung des §  212 RStPO, welche insgesamt nur drei Sätze umfasste: „Eine vorherige Vernehmung mit dem Staatsanwalte und dem Vertheidiger (…) erscheint passend.“216 Küng-Hofer hält es in Anlehnung an Dahs für ein ‚Relikt obrigkeitsstaatlichen Denkens‘, dass die Prozessbeteiligten sämtliche persönlichen und beruflichen Belange der gerichtlichen Terminbestimmung unterzuordnen haben und sieht in der vorausschauenden Terminabsprache eine effektive Möglichkeit, Verfahrensverzögerungen durch ansonsten nötig werdende Terminverlegungen zu verhindern.217 In ähnlicher Sichtweise bezeichnet eine

209 

OLG Köln StV 2006, 145. Beschlüsse des 68. DJT, S.  11. 211  Bericht der Expertenkommission S.  113 f. 212  Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (13); vgl. auch Barton in FS-Bemmann, S.  524 (537 f.). 213  Weigend aaO (31). 214  E. Müller in FS-Widmaier, S.  357. 215  E. Müller aaO (357). 216 v. Schwarze (1878) §  213. 217  Küng-Hofer S.  20; mit Bezug auf Dahs Rn.  460. 210 

B.  Reformüberlegungen

301

Vielzahl von Autoren die Terminabsprache als ‚zweckmäßig‘218 und beschreibt sie als verbreitete Praxis in Großverfahren.219 Vertiefend wird ausgeführt, Terminabsprachen entsprächen einer sorgfältigen Vorbereitung zur effektiven Durchführung der Hauptverhandlung.220 Genauso wie der Vorsitzende zur Aufstellung eines Verhandlungsplans und zur sachgemäßen Ladung der Zeugen über eine ausreichende Aktenkenntnis verfügen sollte, setze die Terminierung Kenntnisse über die Verfügbarkeit der Beteiligten voraus.221 Teilweise werden nach dem allgemeinen Hinweis auf die Zweckmäßigkeit der Absprache spezielle Verfahren gesondert betrachtet. So ist nach Eschelbach gerade bei mehrtägigen Hauptverhandlungen unter Beteiligung von auswärtigen Verteidigern eine Absprache „geboten“.222 Meyer-Goßner meint, in Verfahren mit schwierigen Beweislagen und einem seit langem eingearbeiteten Verteidiger könne eine Terminabsprache notwendig sein.223 Andere Autoren betonen die Notwendigkeit frühzeitiger Terminabsprachen in Haftsachen 224 oder bei umfangreichen Verfahren.225 Etwas zurückhaltender formuliert es Gmel, der schreibt, in „umfangreichen Haftsachen“ würde sich eine Absprache „anbieten“.226 Weitergehend deuten manche Autoren eine Pflicht des Vorsitzenden an, den Termin zur Gewährleistung des Beistandsrechts und der Wahlfreiheit mit dem Verteidiger abzustimmen.227 So liegt nach Leipold die frühzeitige Terminsabsprache im Verantwortungs- und Aufgabenbereich des Gerichts, da dieses verpflichtet sei, dem Beschleunigungsgebot und dem Recht auf Verteidigung zu entsprechen.228 Julius und Britz vertreten die Ansicht, dass mindestens der Versuch einer Absprache aufgrund der Bindung des Vorsitzenden an das Grundge218  Graf/Ritscher §  213 Rn.  4; KK/Gmel §  213 Rn.  4; KMR/Hiebl §  137 Rn.  27 („empfiehlt es sich dringend“); KMR/Eschelbach §  213 Rn.  8; Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  6; Pfeiffer §  213 Rn.  2; SSW/Grube §  213 Rn.  25; Krumm StV 2012, 177 (177); Kühne Rn.  632; aus Richtersicht: Schellenberg S.  14; vgl. auch Busch VRR 2014, 436 (437); Föhrig S.  22, 24. 219  Graf/Ritscher §  213 Rn.  4; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  11; Meyer-Goßner/ Schmitt §  213 Rn.  6; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  6; SSW/Grube §  213 Rn.  25; Dahs Rn.  460; Heinrich S.  190; Krumm StV 2012, 177 (177). 220  KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; SSW/Grube §  213 Rn.  25; aus Richtersicht: Schellenberg S.  14. 221  KK/Hannich Vor §  213 Rn.  4; vgl. auch BGH NJW 2008, 2451 (2453). 222  KMR/Eschelbach §  213 Rn.  9. 223  Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  6. 224  Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  13. 225  AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  4; KK/Gmel §  213 Rn.  4; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  6. 226  KK/Gmel §  213 Rn.  4. 227  HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  22; Pfeiffer §  213 Rn.  2; Hilger StV 2006, 451 (453); vgl. auch LG Braunschweig StV 1997, 403 (404). 228  Leipold in FS-ARGE, S.  636 (640).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

setz und die EMRK verpflichtend sei.229 Auch Beukelmann geht davon aus, dass zur Gewährleistung des Beschleunigungsgebots und zugleich des Rechts auf freie Verteidigerwahl die Freiheit des Vorsitzenden aus §  213 StPO eingeschränkt werden müsse und Hauptverhandlungstermine zum einen frühzeitig mitzuteilen seien und zum anderen abgesprochen werden sollten.230 Wie schon erwähnt, plädiert E. Müller für eine ausdrückliche Regelung, dass sich der Vorsitzende um eine Terminabsprache ernsthaft bemühen müsse.231 Ein solches Vorgehen sei „konfliktverringernd und letztlich zeitsparend“.232 Brause hält eine Kooperation mit dem Wahlverteidiger für notwendig; dies dürfe aber nicht zu einer Verschiebung „auf den Sankt Nimmerleinstag“ führen.233 Auch von verschiedenen Gerichten wurde betont, dass eine frühzeitige Terminabsprache ein adäquates Mittel sei, erst gar keinen Konflikt zwischen der Beschleunigung des Verfahrens und dem Recht auf den Verteidiger des Vertrauens entstehen zu lassen.234 Später als unauflösbar beschriebene Terminkonflikte – und daraus folgend eine Abwägung zwischen zwei verfassungsrechtlich garantierten Beschuldigtenrechten  – hätten durch vorausschauende Planung vermieden werden können.235 Nach einer Entscheidung des 1.  Senats des Bundesgerichtshofs ist eine Verlängerung des Zwischenverfahrens durch eine vorherige Terminabstimmung hinzunehmen, da dies keine unsachgemäße Verzögerung sei, sondern eine sinnvolle Maßnahme zur effektiven Vorbereitung der Hauptverhandlung, welche auch dem Recht auf die freie Verteidigerwahl Rechnung zu tragen habe.236 Teilweise wird eine Absprache zumindest bei bestimmten Verfahren als sinnvoll angesehen. So sei in sog. Großverfahren laut dem 1. Senat eine Absprache „regelmäßig angezeigt“.237 Andere Entscheidungen beziehen sich auf Fälle, in denen eine Kollision überdurchschnittlich wahrscheinlich sei, beispielsweise bei einer Terminierung in den Sommer- oder Weihnachtsferien oder einer noch fristgerechten, aber dennoch kurzfristigen Terminierung.238 229 

HK-StPO/Julius §  213 Rn.  4, 8; Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  10. Beukelmann NJW-Spezial 2007, 279 (280). 231  E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370). 232  E. Müller aaO; ähnlich: Busch VRR 2014, 436 (437). 233  Brause NJW 1992, 2865 (2866). 234  OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2  Ss  ( B)  101/12 (Rn.  22); vgl. auch OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12); NStZ-RR 1997, 177; OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); LG Berlin StV 1995, 239; zurückhaltend: OLG  Hamm NStZ 2011, 235 (236). 235  OLG Hamm StV 1990, 56; OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793). 236  BGH NJW 2008, 2451 (2453). 237  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313). 238  OLG Oldenburg StV 1992, 152; OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2792); OLG Naum230 

B.  Reformüberlegungen

303

Vereinzelt wird eine Absprache auch als notwendig angesehen, wenn bekanntermaßen ein besonderes Interesse an dem konkreten Verteidiger besteht.239 Des Weiteren wird vorgebracht, zumindest bei einer schon eingetretenen Terminkollision liege es nahe, den zweiten Terminierungsversuch zuvor abzusprechen.240 Die Terminabsprache wird auch in Verhältnis zu möglichen Verlegungsanträgen gesetzt. So referiert Meyer-Goßner, dass die Terminabsprache nicht verpflichtend, aber zweckmäßig sei. Habe keine Absprache stattgefunden, müsse der Vorsitzende sich bei einem substantiierten Verlegungsantrag des Verteidigers ernsthaft um die Berücksichtigung der vorgetragenen Belange bemühen.241 Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung, die ebenfalls keine Pflicht zur Absprache sieht, aber die unterlassene Absprache als erheblich für die Behandlung späterer Verlegungsanträge ansieht.242 Dennoch rechtfertigt nach dem Oberlandesgericht München eine Terminabsprache mit dem vorherigen Verteidiger keine pauschale Verweigerung einer Umterminierung gegenüber dem neuen Verteidiger.243 Die meisten Äußerungen zur Terminabsprache beziehen sich auf die Terminierung vor Beginn der Hauptverhandlung. Allerdings sind Absprachen in der laufenden Verhandlung gleichermaßen zweckmäßig, um Aussetzungen zu vermeiden.244 Gerade an den unteren Gerichten bestehen hingegen Bedenken hinsichtlich des Arbeitsaufwands regelmäßig vorzunehmender Rücksprachen.245 Diese Bedenken teilt das Landgericht Braunschweig, weist aber darauf hin, dass es beim „nachvollziehbaren“ Verzicht auf Absprachen „zwangsläufig“ in einer gewissen Anzahl von Fällen zu Terminkollisionen und somit der Notwendigkeit von Terminverlegungen komme.246 Kropp sieht eine erhebliche organisatorische Belastung der Amtsgerichte, wenn diese „mit jedem Rechtsanwalt im Bundesgebiet Terminsabsprachen durchführen“ müssten.247 Andererseits wird vorgebracht, dass eine Terminabsprache auch für die Gerichte vorteilhaft sei, da so arbeits-

burg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  23); LG Hamburg StV 1988, 195 (196); LG Bonn StraFo 1996, 174 (175); vgl. auch OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); OLG Celle StV 1984, 503; OLG Stuttgart NStZ 1988, 240; OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233). 239  LG Düsseldorf StraFo 2003, 425; vgl. auch LG Stuttgart DAR 2012, 38 (39). 240  Vgl. OLG Frankfurt/M StV 1995, 11 (12). 241  Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  6. 242  U. a. OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158); OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); OLG Nürnberg StV 2005, 491 (492). 243  OLG München StV 2007, 518. 244  Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  11; vgl. auch BGH NJW 1992, 849. 245  LG Bonn StraFo 1996, 174 (175); LG Düsseldorf StraFo 2003, 425. 246  LG Braunschweig StraFo 2008, 430. 247  Kropp NStZ 2004, 668 (669).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

aufwendigere Vertagungsanträge vermieden würden.248 Entsprechend kam auch eine gemeinsame Kommission von Richtern und Anwälten zu dem Ergebnis, dass Verlegungsanträge durch vorherige telefonische Terminabsprachen verringert werden sollten, da Absprachen weniger Zeit und Aufwand bedeuten würden.249 Dies entspricht auch Schellenbergs Ausführungen zur Hauptverhandlung, in der er seine dringende Empfehlung zur Terminabsprache mit dem Hinweis verknüpft, dies würde trotz des organisatorischen Aufwands nicht nur dem Vorsitzenden, sondern auch den Geschäftsstellen und Schreibdiensten „Ärger und Aufwand“ ersparen.250 c) Verteidigungsaktivitäten In Verteidigerliteratur wird häufig empfohlen, aktiv bei dem jeweiligen Vorsitzenden um Absprache nachzusuchen.251 Dabei wird die Erfahrung geäußert, dass Vorsitzende solchen Bitten regelmäßig nachkämen.252 Schlothauer geht davon aus, dass dies unter anderem daher rühre, dass eine telefonische Terminabsprache weniger Arbeitszeit koste als spätere Verlegungsanträge und empfiehlt genau wegen dieses geringen Arbeitsaufwands für das Gericht die telefonische Absprache.253 Zudem werde das gerichtliche Verfahren dann nicht schon vor Beginn durch Machtkämpfe zwischen Gericht und Verteidigung belastet.254 Nehme das Gericht von sich aus oder nach einer schriftlichen Bitte des Verteidigers telefonischen Kontakt auf, sei vom Gericht nur ein Kommunikationsversuch zu erwarten.255 Daher legen sowohl Schlothauer als auch Klemke/Elbs dem Verteidiger einen zügigen Rückruf nahe.256 Ferner hält einen Rückruf nicht für ausreichend, sondern meint, der Verteidiger müsse für eine ständige Erreichbar-

248  OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  23); Burmann NZV 1996, 165 (166); Busch VRR 2014, 436 (437); E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370); Kühne Rn.  632; Malek Rn.  43; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  23; Schlothauer Rn.  179. 249  Gemeinsame Kommission DRiZ 1989, 241 (241). 250  Schellenberg S.  14. 251  AK-StPO/Schlothauer Vor §  213 Rn.  151 ff.; Dahs Rn.  460; Junker/Armatage Rn.  371; Klemke/Elbs Rn.  643; MAH/Kempf/Dannenfeldt §  6 Rn.  32; MAH/Krause §  7 Rn.  22; MAH/ Nobis §  10 Rn.  42; Malek Rn.  43; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  23; Schlothauer Rn.  179; vgl. auch KMR/Eschelbach §  213 Rn.  8; weitergehend: Hohmann in FA Strafrecht Rn.  69 f.; einschr. Ferner SVR 2006, 390 (391) in geeigneten Fällen. 252  Klemke/Elbs Rn.  6 43; Schlothauer Rn.  179; Sommer S.  331 f.; vgl. auch Dahs Rn.  460; Plähn StV 1991, 152. 253  Schlothauer Rn.  179. 254  Schlothauer aaO; vgl. auch Koch JR 1961, 420 (421). 255  Klemke/Elbs Rn.  6 43; Schlothauer Rn.  179a. 256  Klemke/Elbs aaO; Schlothauer aaO.

B.  Reformüberlegungen

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keit oder verbindliche Terminvereinbarungen durch Mitarbeiter sorgen.257 Zumindest für den Fall der notwendigen Verteidigung sieht das Oberlandesgericht Frankfurt/M diese Vorgaben als zu eng an.258 Das Oberlandesgericht ließ ausdrücklich offen, wie oft der Vorsitzende versuchen müsse den Verteidiger zu erreichen und welche Vorkehrungen der Verteidiger zur Gewährleistung einer zügigen Terminabsprache treffen müsse, jedoch sei ein einziger Versuch der telefonischen Absprache nicht ausreichend. Dem Verteidiger müssten zumindest ein bis zwei Tage Reaktionszeit zugestanden werden.259 Die Einschätzung von Pfordte und Degenhard bezüglich der Absprache-Praxis ist differenziert. Demnach sei es an den Landgerichten mittlerweile weitverbreitet, dass die Vorsitzenden ihrerseits Termine telefonisch absprechen würden. An den Amtsgerichten erwarte ein Großteil der Vorsitzenden jedoch aus „falsch verstandenem Standesbewusstsein“ oder auch aus „Bequemlichkeit“, dass die Verteidigung sich schon melden müsse, wenn sie etwas wolle.260 Manche Vorsitzende seien auch bei persönlicher oder telefonischer Kontaktaufnahme seitens der Verteidigung nicht zu einer Absprache bereit, weil sie „es aus unerfindlichen Gründen überhaupt nicht für erforderlich halten, auf die Belange der Verteidigung einzugehen“.261 Andere Autoren teilen die Einschätzung der unterschiedlichen Praxis an Land- und Amtsgerichten,262 bzw. die Erfahrung, dass manch Vorsitzender zu keinerlei Entgegenkommen bereit sei.263 Alternativ zur Terminabsprache werden einseitige Tätigkeiten der Verteidigung empfohlen, wie das Einreichen von Terminübersichten 264 oder die Mitteilung längerer Abwesenheit.265 Zumindest bei Verlegungsanträgen wird die gleichzeitige Mitteilung von zeitnahen Alternativterminen oder die Einreichung einer Terminübersicht von den Gerichten als Entscheidungsaspekt angesprochen.266 Auch Ferner empfiehlt die Mitteilung freier Termine, spricht jedoch auch die Schwierigkeit der ‚Reservierung‘ dieser Termine an.267 Einen praktikablen Umgang mit dieser Problematik sieht er darin, mit dem Gericht abzuspre-

Ferner SVR 2006, 390 (391). OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). 259  OLG Frankfurt/M aaO. 260  Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  23. 261  Pfordte/Degenhard aaO. 262  Hohmann in FA Strafrecht Rn.  71; MAH/Nobis §  10 Rn.  42; vgl. auch Sommer S.  331. 263  Burhoff VRR 2013, 273; Dahs Rn.  460; Plähn StV 1991, 152. 264  Dahs Rn.  460; Krumm StV 2012, 177 (177); MAH/Nobis aaO; Sommer S.  331. 265  AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  7. 266  Rspr.-Nachweise S. 47, Fn.  216 ff.; vgl. AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  7; Plähn StV  1991, 152. 267  Ferner SVR 2006, 390 (391). 257 

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chen, wie lange Termine freigehalten werden können bzw. müssen.268 Vor einer Freigabe der Termine solle eine Rücksprache mit dem Gericht stattfinden.269 Aus ähnlichen Erwägungen stößt die Idee, bereits mit Anklagezustellung mögliche Termine vorzugeben 270 auf Kritik, da dies zu einer wochenlangen Blockade von Terminen führe, die lediglich ‚mögliche Termine‘ seien.271 2.  Reaktion auf Verhinderungen In der Rechtsprechung finden sich zahlreiche Vorschläge, wie seitens des Gerichts eine Kollision der zügigen Verfahrensfortführung mit der Anwesenheit des Verteidigers vorgebeugt oder eine eingetretene Kollision aufgehoben werden kann. So könnten zur Vermeidung einer Aussetzung andere Termine des Spruchkörpers aufgehoben werden, um einen Fortsetzungstermin innerhalb der Frist des §  229 StPO zu finden. Der 1. Senat des Bundesgerichtshofs, welcher dies als theoretische Alternative genannt hatte, lehnt diesen Ansatz jedoch wegen der unakzeptablen Verzögerung des aufgehobenen Verfahrens ab.272 Im Falle eines besonderen Beschleunigungsgebots wegen eines bestehenden Haftbefehls sieht – nicht nur – das Bundesverfassungsgericht die Aufhebung von Terminen in Nicht-Haftsachen zu Gunsten der Haftsache zur Vermeidung der Aussetzung und auch im Rahmen der Terminierung als zu bedenkende Möglichkeit an.273 Sowohl in der Rechtsprechung als auch der Literatur wird eine Absprache der ‚kollidierenden Gerichte‘ untereinander als effiziente Lösung von Terminkollisionen vorgeschlagen.274 Allgemeiner gehalten findet sich in zahlreichen Entscheidungen die Formulierung, das Gericht müsse sich um eine Überwindung der Kollision ernsthaft bemühen.275 Dieses ernsthafte Bemühen könnte beispielsweise in einer flexibleren Nutzung der Wochentage bestehen,

Ferner SVR 2006, 390 (391). Ferner aaO. 270  Vgl. OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2788). 271  AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  4. 272  BGH NStZ-RR 2007, 81 (82). 273  BVerfG NJW 2006, 672 (675) mit insoweit zustimmender Anm. Hilger StV 2006, 451 (453); OLG Düsseldorf, StV 2001, 695 (697); OLG  Hamm StV 2006, 481 (482); Leipold in FS-ARGE, S.  636 (640); aA BGH NStZ-RR 2007, 81 (82); OLG Köln StV 2006, 143 (144). 274  OLG Düsseldorf NZV 1995, 39 (40); OLG Hamm StV 2004, 642 (643); KMR/Eschelbach §  213 Rn.  13; Krumm StV 2012, 177 (179); Schellenberg S.  42 f. 275  U. a. BGH NJW 1992, 849; NStZ 1999, 527; NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Frankfurt/M StV 1995, 9 (10); OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; OLG Hamm StV 2004, 642 (643); OLG Braunschweig StV 2008, 293 (294); OLG Saarbrücken NJW-Spezial  2015, 473; OLG Oldenburg StV 2015, 156 (157); LG Berlin StV 1995, 239; LG Braunschweig StV 1997, 403 (404); vgl. auch LG Berlin StV 2003, 441. 268  269 

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d. h. in einer Verschiebung von Sitzungstagen oder ausnahmsweise durchgeführten zusätzlichen Sitzungstagen.276 a)  Kriterien zur Entscheidung über Terminsanträge Paulus betont, dass die Zumutbarkeit der Verhandlung ohne Verteidiger keinesfalls den Regelfall darstelle. Nur ausnahmsweise könne dies der Fall sein, wenn der Angeklagte es in vorwerfbarer Weise unterlassen habe, einen Verteidiger zu beauftragen oder eine Beauftragung zu spät vorgenommen habe und zusätzlich die Sache aus Sicht des Angeklagten weder von erheblicher Bedeutung sei noch eine schwierige Sach- oder Rechtslage darstelle.277 Nicht auf die Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Angeklagten, sondern vielmehr des Verteidigers stellt Gusy ab, der annimmt, eine nachträgliche Verhinderung sei dann verlegungserheblich, wenn den Verteidiger keine Schuld an der Verhinderung treffe und der Angeklagte bis zum Termin keinen gleichwertigen Ersatz auftreiben könne.278 Hiebl bezieht das Verhalten des Verteidigers dahingehend ein, dass dieser darlegen müsse, warum die Terminkollision seitens der Verteidigung nicht auflösbar sei.279 Ein anderer Ansatz geht nicht von der Verantwortung der Verteidigung aus, sondern fragt danach, ob seitens des Gerichts erhebliche Gründe vorliegen, die einer Verlegung entgegenstehen. So nimmt Hüls an, dass in der Regel einem Antrag auf Terminverlegung entsprochen werden müsse. Die Ablehnung einer Terminverlegung bedürfe besonderer Gründe und könne nicht ohne Weiteres auf organisatorische Belange des Gerichts gestützt werden.280 Auch nach Wohlers müssen besondere Gründe gegeben sein und zudem der Rahmen der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, um eine Beeinträchtigung des Rechts aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu legitimieren.281 Auch Simon schlägt vor, es müsse zunächst festgestellt werden, ob einer beantragten Terminverlegung gewichtige Gründe entgegenstünden, z. B. die spätere Unverfügbarkeit von Zeugen.282 Wenn solche Gründe vorlägen, müsste im zweiten Schritt die Möglichkeit der Selbstverteidigung geprüft werden.283 Die276  BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Celle NdsRpfl 2001, 196; Hilger StV 2006, 451 (453); Krumm StV 2012, 177 (178); Leipold in FS-ARGE, S.  636 (639 f.); vgl. auch Föhrig S.  23, 25. 277  KMR/Paulus (5. Erg. Lfg.) §  228 Rn.  12; ähnlich OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265). 278  Gusy AnwBl 1984, 225 (231). 279  KMR/Hiebl §  137 Rn.  27. 280  Hüls jurisPR-StrafR 17/2011 Anm.  1. 281  Vgl. SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  37. 282  Simon S.  82 f. 283  Simon aaO.

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se – am Rande vorgebrachte – Ansicht scheint jedoch nicht gänzlich durchdacht. So nennt Simon als gewichtigen Grund auch die Prozessverzögerung ohne auszuführen, ab wann eine Verzögerung erheblich ist oder ob nach den Gründen der Verzögerung differenziert werden kann.284 Vor allem sieht er keine weitere Abwägung der entgegenstehenden Gründe mit der Möglichkeit der Selbstverteidigung vor, sondern folgert aus der unzureichenden Selbstverteidigung die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung. Er übergeht also die bestehende Wahlverteidigung und lässt außer Acht, dass der Vorsitzende das Vorliegen einer notwendigen Verteidigung nach §  140 Abs.  2 StPO unabhängig von einer Verhinderung des Wahlverteidigers prüfen muss. Ein weiterer Ansatz richtet sich nach dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Verhinderung bzw. des Verlegungsantrags. So setzt nach Kirchhof ein erfolgreicher Vertagungsantrag voraus, dass dieser so schnell wie möglich gestellt wird und auch der Angeklagte die Mandatierung so schnell wie möglich vorgenommen hat.285 Auch das Landgericht Magdeburg meint, wenn der Vortrag des Angeklagten, welche Belange dem Termin entgegen stehen, so spät vorgebracht wird, dass eine Abwägung der verschiedenen Interessen durch das Gericht nicht mehr möglich ist, könne das Gericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass der Terminierung keine wesentlichen Belange entgegen stehen.286 Der Vortrag müsse zudem ausreichend ausführlich sein.287 Umgekehrt kann der entscheidende zeitliche Faktor in der Möglichkeit liegen, nach Bekanntwerden der Verhinderung einen neuen Verteidiger zu beauftragen. Eine solche Regelung war vor In-Kraft-Treten der RStPO in der Lübecker StPO (§  178) enthalten. Auch in Österreich existierte zu diesem Zeitpunkt eine wortlautgleiche Regelung, die unverändert fortbesteht (§  226 Abs.  3 StPO). Demnach darf die noch nicht begonnene Hauptverhandlung wegen einer Verhinderung des Verteidigers nur dann vertagt werden, wenn „das Hindernis dem Angeklagten oder dem Gericht so spät bekannt wurde, dass ein andere Verteidiger nicht mehr bestellt werden konnte.“ Nach der Kommentierung der Norm bedeutet die Regelung jedoch nicht, dass in Fällen der frühzeitig bekannten Verhinderung keine Vertagung möglich sei, sondern drückt nur eine entsprechende Wertung aus, an der sich das Gericht orientieren soll.288 Der Ansatz, dem Angeklagten zumindest dann ein Recht auf Verlegung zuzusprechen, wenn zur Beauftragung eines (neuen) Verteidigers nicht die Frist des §  217 StPO zu VerSimon S.  82 f. Vgl. AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  6. 286  LG Magdeburg StraFo 1997, 112 (113). 287 Ebenda. 288  WK-StPO/Schwaighofer 233. Lfg. §  226 Rn.  17. 284  285 

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fügung stand, findet sich auch in der Rechtsprechung und Literatur wieder.289 Eine frühe Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vertritt eine solche Einschränkung des §  228 Abs.  2 StPO und sieht neben dieser ‚Fristen-Lösung‘ eine Einschränkung des Beistandsrechts als rechtmäßig an, wenn der Angeklagte schuldhaft zur Situation beigetragen hat.290 Auch die Dauer der im Raum stehenden Verzögerung könnte ein bedeutender zeitlicher Aspekt sein. So kann man möglicherweise danach abgrenzen, ob die Verhandlung in einem absehbaren Zeitrahmen durchgeführt werden kann oder die Verschiebung auf „unbestimmte Zeit“ erfolgen würde.291 b)  Beschwerde gegen Ablehnung eines Verlegungsantrags Britz sieht eine Verbesserung der Rechtslage in der klaren Regelung der Beschwerdemöglichkeit gegen Terminierungsentscheidungen.292 Eine geregelte Beschwerde hätte seiner Ansicht nach einen Einfluss auf den Einbezug von Verteidigungsbelangen bei Terminierungsentscheidungen.293 Auch andere Autoren bemängeln die ungenügende Rechtsmittellage, die den Schutz des Beistandsrechts nur ungenügend gewährleiste und prozessökonomisch kontraproduktiv sei.294 3.  Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots Im Hinblick auf die Beeinträchtigung der zügigen Verfahrensdurchführung durch eine Verhinderung des Verteidigers werden Lösungen zum Einbezug des Beschleunigungsgebots vorgetragen. Konkret ist die schon im dritten Kapitel angesprochene Möglichkeit der Einwilligung des Angeklagten zu nennen (s. S. 175 f.).295 Nach dem Konzept von Deiters müsste das Gericht den Angeklagten darauf hinweisen, dass es durch eine terminliche Verhinderung des Verteidigers zu Verzögerungen komme.296 Pieroth und Hartmann halten eine explizite Nachfrage durch den Vorsitzenden zumindest bei inhaftierten Ange289  OLG Hamm NJW 1954, 933 (933 f.); OLG Celle NJW 1965, 2264 (2264); Weider StV  1983, 270 (270 f.); vgl. auch HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; Löwe-Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23 f.; Heubel NJW 1981, 2678 (2678 f.). 290  OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265). 291  BGH NJW 1973, 1985 (1986). 292 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  15 f. 293 Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  15 f.; vgl. auch Scheffler GA 2005, 449 (455). 294  AK-StPO/Keller §  213 Rn.  9; Malek Rn.  4 4; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  24; Schlothauer Rn.  180 Fn.  5; vgl. auch Zwiehoff JR 2006, 505 (507). 295  Vgl. dazu KG StV 1996, 10 (11); vgl. auch BayObLGSt 1962, 226 (227 f.); StV 1985, 6 (7). 296  SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  10.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

klagten für notwendig.297 Wegen des vorliegenden Interessenskonflikts reiche in diesem Fall eine Erklärung des Verteidigers im Namen des Mandanten nicht aus.298 Ralph bezieht das Konzept des ausdrücklichen Einverständnisses nicht nur auf die Terminverlegung, sondern auch auf den Fall der Terminabsprache, falls sich diese wegen der terminlichen Belastung des Verteidigers als schwierig erweise.299 4.  Missbrauchsgefahr Beulke sieht es als ausreichend an, §  228 Abs.  2 StPO auf Missbrauchsfälle zu beschränken.300 Haffke versucht – nicht explizit im Kontext der Terminierung – Alternativen aufzuzeigen, um einer Missbrauchsgefahr von Verteidigungsrechten zu begegnen, ohne das betreffende Recht gänzlich in Frage zu stellen.301 Er regt eine Differenzierung zwischen Normalverfahren und Umfangsverfahren an. Bei Normalverfahren bedürfe es keiner Missbrauchsabwehr, da Verzögerungen hinnehmbar seien.302 Zusätzlich sei zu klären, wann ein Verhalten des Verteidigers dem Beschuldigten zugerechnet werden könne.303 Nicht nur laut Haffke bedürfe es objektiver Kriterien, anhand derer ein Missbrauch festzustellen sei, damit die Missbrauchsabwehr nicht ihrerseits missbraucht würde.304 Zudem wird darauf abgestellt, dass zur Rechtsklarheit ein Verbot missbräuchlichen Verhaltens nur dann greifen könne, wenn der Zweck der Rechtsnutzung ausschließlich prozesswidrig sei,305 also ausschließlich darauf abziele, eine Klärung des Sachverhalts in angemessener Zeit und justizförmiger Weise und eine gerichtliche Entscheidung zu verhindern.306 Dabei solle die Darlegungslast beim Gericht liegen, welches einen Rechtsmissbrauch behaupte.307 5.  Mehrere Angeklagte Eine besonders schwierige Verfahrenslage besteht bei Verfahren gegen mehrere Angeklagte; insbesondere, wenn gegen alle oder einzelne Angeklagte UntersuPieroth/Hartmann StV 2008, 276 (280). Pieroth/Hartmann aaO. 299  Ralph in FS-Widmaier, S.  4 47 (467). 300  Beulke, Der Verteidiger, S.  48. 301  Haffke StV 1981, 471 (483). 302  Haffke aaO (483 f.). 303  Haffke aaO (484). 304  Haffke aaO (483); ebenfalls: Rudolphi ZRP 1976, 165 (169, 172); vgl. auch Weber GA  1975, 289 (300). 305  Niemöller StV 1996, 501 (505); Rudolphi ZRP 1976, 165 (172). 306  Burhoff StraFo 2008, 62 (64 f.). 307  Hamm NJW 1993, 289 (297); Niemöller StV 1996, 501 (Fn.  68). 297  298 

B.  Reformüberlegungen

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chungshaft vollstreckt wird. In diesen Fällen erhöht sich die Gefahr von Terminkollisionen aufgrund der Anzahl der beteiligten Verteidiger und somit auch die Schwierigkeit einer einvernehmlichen Terminfindung. Darüber hinaus muss das (ggf. besondere) Beschleunigungsgebot zu Gunsten der Mitangeklagten beachtet werden. Wie im 3. Kapitel angesprochen, werden für Fälle, in denen eine Kollision zwischen dem Beistandsrecht des einen Angeklagten und dem Beschleunigungsgebot zu Gunsten von inhaftierten Mitangeklagten besteht, Verfahrensabtrennungen zur Verwirklichung der Rechte aller Angeklagten angeregt (S. 176).308 Der Konflikt könne auch durch das informierte Einverständnis der Mitangeklagten mit einer Verzögerung gelöst werden.309 Die bereits angesprochenen Möglichkeiten des Gerichts, Konflikte zu vermeiden oder aufzulösen, gelten naheliegender Weise insbesondere für schwierige Verfahrenslagen; so z. B. die Absprache mit anderen Gerichten über kollidierende Termine.310

III. Reformvorschlag Die höchstrichterliche Rechtsprechung beschäftigte sich fast ausschließlich anhand von Mammutverfahren mit vielen Beteiligten und einer hohen Anzahl von Hauptverhandlungstagen mit der Terminierung.311 Auch die wissenschaftliche Diskussion zur Verteidigung und ihren Grenzen nimmt vor allem diese Verfahren in den Blick. Der Verteidigungsalltag kommt in der Auseinandersetzung kaum vor.312 Eine Konzeption von Verfahrensregeln sollte sich jedoch nicht an Ausnahmefällen orientieren, sondern am Gerichtsalltag.313 Selbstverständlich müssen Verfahrensregeln auch Umfangsverfahren durchführbar machen, aber sie dürfen nicht den Schwerpunkt der Debatte ausmachen. Daher orientieren sich die folgenden Überlegungen zunächst am Normalfall, und erst abschließend werden die gefundenen Ergebnisse auf umfangreiche Verfahren bezogen.

308  OLG Köln StV 2006, 143 (144); HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn §  137 Fn.  100; Burhoff StraFo 2008, 62 (69); Leipold in FS-ARGE, S.  636 (649); Malek Rn.  44; Rahlf in FS-Widmaier, S.  447 (468); I. Roxin StV 2010, 437 (441); Schlothauer StV 2009, 578 (579); Sommer S.  334; Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (18 f.); wohl auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  16. 309  Schlothauer StV 2009, 578 (580). 310  BGH NStZ 1998, 311 (312); 1999, 527 (527); OLG Hamm StV 2004, 642 (643); vgl. auch Schellenberg S.  42 f. 311  Vgl. S. 21  f f. mwN; vgl. auch OLG Köln StV 2006, 463; Föhrig S.  24. 312  So auch Barton, Mindeststandards, S.  17 ff.; Rieß NStZ 1994, 409 (411); bspw. Föhrig S.  24. 313 Vgl. Rieß in FS-Sarstedt, S.  253 (271); Rüping JZ 1997, 865 (868).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

1. Terminierung Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass das Gericht die Bedeutung der Teilnahme des Verteidigers nicht beurteilen kann, muss dies zu einem zwingenden Einfluss des Verteidigers auf die Terminierung führen. Fraglich ist, wie dies in Anbetracht der oben aufgeführten Bedenken gegen einen solchen Einfluss konkret ausgestaltet sein könnte. Um eine tatsächliche Teilnahmemöglichkeit des Verteidigers in der Hauptverhandlung zu gewährleisten, sind bei der Terminplanung grundsätzlich zwei Optionen denkbar: Die Kommunikation vor der Terminierung oder ein Anspruch auf antragsgemäße Verlegung. Die Terminierung unter Einbezug der Verfügbarkeit des Verteidigers erfasst jedoch nicht alle Situationen (s. S. 255  f.). Diese beiden Optionen stehen also in einem kumulativen, nicht in einem alternativen Verhältnis (vgl. S. 315). Die vorausplanende Kommunikation könnte von der Verteidigung ausgehen. Der Vorschlag, Verteidiger mögen Terminübersichten bei dem jeweiligen Vorsitzenden einreichen (s. S. 305  f.), ist jedoch wenig praktikabel. Sofern dem Verteidiger keine genaueren Informationen zum ungefähren Zeitraum der Terminierung und zum Zeitpunkt der Terminierungsentscheidung vorliegen, müssten Termine in einem unbestimmten Zeitraum über eine unbestimmte Dauer freigehalten werden. Die Mitteilung etwaiger Termine oder Abwesenheitszeiten setzt zumindest die Kenntnis des ungefähren Terminierungszeitraums voraus.314 Nach der Anklageerhebung entscheidet der Vorsitzende über den Fortgang des Verfahrens. Es obliegt dem Vorsitzenden, anhand der Akten zu entscheiden, ob das Verfahren eröffnet wird, welche Zeugen zu laden sind und einzuschätzen, welchen Zeitraum die Verhandlung in etwa in Anspruch nehmen wird (vgl. S. 262 ff.). Genau aus diesen Gründen liegt die Terminierung in den Händen des Vorsitzenden – nicht als Hoheitsbefugnis, sondern als organisatorische Tätigkeit, die eines Wissensvorsprungs vor anderen Verfahrensbeteiligten bedarf.315 Daher ist es sachgemäß, dass eine Verständigung über mögliche Termine im Vorfeld der Terminierung nicht von der Verteidigung ausgeht, sondern von dem Vorsitzenden. Naheliegend ist also die Normierung einer Verpflichtung des Vorsitzenden zur Terminabsprache.316 Angesichts der Tatsache, dass 98  % der Verfahren vor den Amtsgerichten stattfinden, 96,1  % der dortigen Verfahren nur einen Hauptverhandlungstermin benötigen und zugleich nur in 314 

So auch OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 177. Vgl. KK/Gmel Vor §  213 Rn.  4; Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  1 f.; E.  Müller in FS-Widmaier, S.  357 (357), der vom „Terminmanagement“ spricht. 316  So auch HK-StPO/Julius §  213 Rn.  4, 8; Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  10; Beukelmann NJW-Spezial 2007, 279 (280); Leipold in FS-ARGE, S.  636 (640); E.  Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370); Piel in FS-Widmaier, S.  429 (439).; vgl. auch HK-GS/Schulz §  213 Rn.  3; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer §  137 Rn.  22; Pfeiffer §  213 Rn.  2. 315 

B.  Reformüberlegungen

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48  % der amtsgerichtlichen Verfahren eine formelle Verteidigung besteht und diese weitüberwiegend nur durch einen Verteidiger ausgeübt wird (vgl. S.  198; 230), ist davon auszugehen, dass es in aller Regel möglich ist, eine Terminierung im allseitigen Einverständnis durchzuführen. Sollte aufgrund der terminlichen Belastung des Verteidigers nur eine zeitlich entfernte Terminierung möglich sein, müsste eine solche im Verantwortungsbereich des Verteidigers liegende Verzögerung mit dem Einverständnis des Mandanten erfolgen. Allerdings ist davon auszugehen, dass bei frühzeitigen Terminabsprachen Terminierungsschwierigkeiten zu vermeiden sind.317 Der Problematik der ‚Terminreservierungen‘ durch die Verteidigung müsste dadurch begegnet werden, dass der Vorsitzende zeitnah nach der Rückmeldung des Verteidigers terminiert und diese Verfügung durch die Geschäftsstellen auch zügig umgesetzt wird.318 Keinesfalls kann es, wie vom Oberlandesgericht Hamm entschieden,319 im Risikobereich der Verteidigung liegen, alle Termine über Monate freizuhalten. Dies würde offensichtlich zu einem Erliegen der Kanzlei führen oder – als Abhilfereaktion – dazu, dass der Verteidiger einem Vorsitzenden auf Anfrage keineswegs alle freien Termine mitteilen würde. Gegen eine verpflichtende Absprache könnte die dadurch verursachte Arbeitsbelastung für die Vorsitzenden sprechen. Über die momentan bereits ausgeübte Praxis der Terminabsprachen gibt es keinerlei empirische Kenntnisse, allerdings berichten die meisten Verteidigerhandbücher von der Erfahrung, dass auf das Ersuchen auf Absprache regelmäßig eingegangen werde (s.  S. 304). Die Absprache scheint für viele Vorsitzende also keine unzumutbare Belastung darzustellen. Zudem erspart die Absprache spätere Unstimmigkeiten über den Termin und somit auch den damit verbundenen Arbeitsaufwand der erneuten Terminentscheidung und möglicher Terminverlegungen.320 Sieht man eine verbindliche Absprachepflicht als zu große Belastung oder Einschränkung der Vorsitzenden an, käme als Alternative eine Regelung in Betracht, dass die Absprache vorgenommen werden sollte, aber nicht verpflichtend ist. Bei Unterlassen der Absprache müsste ein zwingendes Recht auf Terminverlegung bestehen.321 Allerdings steigt bei der späteren Verlegung die Gefahr von Verfahrensverzögerungen, so dass die Beachtung des Beschleunigungsgebots für die Verpflichtung der Absprache spricht.322 Es ist auch eine differenzierte Lösung 317 

So u. a. OLG Hamburg NJW 2006, 2792. So auch Gemeinsame Kommission DRiZ 1989, 241 (241). 319  OLG Hamm SVR 2006, 388. 320  So auch Burmann NZV 1996, 165 (165); Schlothauer Rn.  179. 321 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  6; vgl. auch LG Braunschweig StraFo 2008, 430. 322  Vgl. OLG Hamm StV 1990, 56; OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); Beukelmann 318 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

denkbar, nach der nur dann auf eine Absprache verzichtet werden kann, wenn die Terminslage des Spruchkörpers ausreichend flexibel ist, um eine spätere Verlegung zeitnah zu ermöglichen. In diesem Falle wäre nur eine geringe Beeinträchtigung des Beschleunigungsgebots gegeben, die hinnehmbar erscheint. Jedoch kann eine Terminverlegung neben der Verzögerung auch zu unnötigen terminlichen Dispositionen anderer geladener Personen führen. Es ist davon auszugehen, dass der Angeklagte und die Zeugen an einem Werktag zumeist terminlich nicht verfügbar sind und somit ihre Verfügbarkeit zu dem Termin aktiv herstellen müssen. Wird der Termin bereits kurze Zeit später verlegt – lediglich aus dem Grund, dass eine Terminierung ohne Terminabsprache erfolgt ist – wird den Betroffenen eine unnötige mehrmalige Termindisposition zugemutet. Sowohl im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot als auch die größtmögliche Schonung der beruflichen und persönlichen Belange der Beteiligten ist somit die vorherige Absprache vorzuziehen. Neben der Möglichkeit einer kurzen telefonischen Rücksprache könnte eine Absprache, die möglichst wenig richterlichen Arbeitsaufwand verursacht, in Form einer schriftlichen Mitteilung des vorgesehenen Termins erfolgen. Diesen Termin bestätigt der angeschriebene Verteidiger entweder durch das Empfangsbekenntnis oder er übersendet zeitnah freie Alternativtermine in dem abgefragten Zeitraum. Ggf. könnte auch eine kurze Frist für eine Terminbestätigung gesetzt werden, so dass bei fehlender Antwort von einem Einverständnis auszugehen ist. Bestätigt der Verteidiger den Termin, kann die Geschäftsstelle sogleich die bereits erfolgte Terminierung an alle zu Ladenden zustellen, ohne dass eine weitere richterliche Tätigkeit notwendig wird. Es bestehen also Möglichkeiten, sich vor der Terminierung der Verfügbarkeit des Verteidigers zu versichern, deren organisatorischer Aufwand überschaubar ist. Hinsichtlich der befürchteten hohen Arbeitsbelastung ist zudem zu bedenken, dass eine verpflichtende Absprache nur Verfahren betreffen würde, in denen bereits zum Zeitpunkt der Terminierungsentscheidung ein Verteidiger gemeldet ist. Vor allem müsste der Vorsitzende nicht, wie Kropp effektheischend vorträgt, mit ‚jedem Rechtsanwalt bundesweit‘ eine Terminabsprache vornehmen,323 sondern ausschließlich mit dem im konkreten Verfahren mandatierten Verteidiger – wobei in Zeiten der Fernkommunikation der Arbeitsaufwand von Terminabsprachen ohnehin ortsunabhängig sein dürfte. Die effektive Umsetzung des Beistandsrechts könnte also durch eine Pflicht des Vorsitzenden, sich vor der Terminierung der Verfügbarkeit des mandatierNJW-Spezial 2007, 279 (279 f.); Busch VRR 2014, 436 (437); Leipold in FS-ARGE, S.  636 (640); E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (370). 323  Kropp NStZ 2004, 668 (669).

B.  Reformüberlegungen

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ten Verteidigers zu versichern gewährleistet werden. Das Beistandsrecht wäre gleichermaßen gewährleistet, wenn keine Pflicht zur vorherigen Absprache bestünde, aber ein zwingendes Verlegungsrecht. Da die zweite Möglichkeit die Gefahr von Verzögerungen und eine unnötige Belastung der Zeugen beinhaltet, ist die Verpflichtung zur Absprache vorzuziehen.324 Zudem muss der Anspruch rechtlich durchsetzbar sein.325 Dazu darf der Angeklagte nicht auf die Revision verwiesen werden.326 Dies würde aufgrund der formellen Anforderungen an eine Revision und der Voraussetzung des Beruhens dem Angeklagten ein unnötiges Risiko aufbürden und hinsichtlich des Interesses der zügigen Verfahrensbeendigung, des Beschleunigungsgebots und der Prozessökonomie völlig kontraproduktive Wirkungen zeigen.327 Da die Terminierung nicht den Ablauf und den Inhalt der Verhandlung betrifft, sondern alleine den Zeitpunkt der Verhandlung, wird durch eine zulässige Beschwerde nicht über einen Streitgegenstand entschieden, der sachlich Bestandteil des gerichtlichen Urteils ist.328 2.  Terminverlegung vor Beginn der Hauptverhandlung Wenn zum Zeitpunkt der Terminierung noch kein Verteidiger mandatiert war, besteht die Möglichkeit einer vorherigen Absprache nicht. Dies dürfte gerade in kleineren Verfahren häufig vorkommen, da viele Angeklagte dazu neigen bis zur Anklage auf eine Einstellung hoffen, so dass sich die Terminierung durch den Vorsitzenden häufig mit der Suche und Mandatierung eines Verteidigers zeitlich überschneiden dürfte.329 Auch zu diesem Zeitpunkt muss das Recht auf freie Verteidiger-Wahl gewährleistet werden. Solange – wie im Regelfall – keine erheblichen Gründe entgegenstehen, gibt es keinen Anlass den Angeklagten auf die Wahl eines zeitlich verfügbaren Verteidigers zu verweisen. Auch nach erfolgter Absprache kann die Verlegung des terminierten Verhandlungsbeginns zur Gewährleistung des Beistandsrechts notwendig werden, wenn nachträglich eine Verhinderung des Verteidigers (bspw. durch Krankheit) eintritt oder ein Wechsel des Verteidigers vorgenommen wird. Auch in diesen Fällen darf der Anspruch auf Beistandsrecht nicht in wesentlichem Maße eingeschränkt werden, zumal wenn bereits ein Mandatsverhältnis besteht. So im Ergebnis auch Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  2; 10; ähnlich E. Müller in FS-Widmaier, S.  357 (357, 370). 325  Vgl. Radtke/Hohmann/Britz §  213 Rn.  15 f. 326 Vgl. Zwiehoff JR 2006, 505 (507). 327  Vgl. OLG Stuttgart Justiz 2006, 8 (Rn.  13); AK-StPO/Keller §  213 Rn.  9; Pfordte/Degenhard §  14 Rn.  24; Schlothauer Rn.  180 Fn.  5. 328  Vgl. zu §  305 S.  1 StPO: Meyer-Goßner/Schmitt §  305 Rn.  1 mwN. 329 Vgl. Vogtherr S.  83: 26 % der Mandatierungen nach Zulassung der Anklage. 324 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

a)  Wertungsentscheidung in Form einer Generalklausel Grundsätzlich muss auch nach der Terminierung das Beistandsrecht effektiv ermöglicht werden und daher ein rechtlich gesicherter Anspruch auf eine Verlegung bestehen. Eine Möglichkeit, die Verteidigungsbelange zu beachten, aber zugleich Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit von Verfahren und des Missbrauchs eines Verlegungsanspruchs zu begegnen, ist die Normierung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses. In einer solchen Regelung müsste zur Klärung der Rechtslage mindestens eine gesetzgeberische Wertung zur besonderen Beachtung des Beistandsrechts zum Ausdruck gebracht werden. Denkbar wäre die Regelung, dass die Teilnahme des gewählten Verteidigers terminlich zu ermöglichen ist und im Einzelfall zu begründen ist, warum ausnahmsweise dem Recht auf Verteidiger-Beistand nicht entsprochen werden konnte. Eine solche Formulierung findet sich beispielsweise in einer Entscheidung des Landgerichts Berlin, welches festhält, dass das Beistandsrecht uneingeschränkt auch im Falle der nicht-notwendigen Verteidigung bestehe und die gerichtliche Terminierung hierauf Rücksicht nehmen müsse, „soweit nicht entgegenstehende Gesichtspunkte von vorrangiger Bedeutung zu beachten sind.“330 Ein an diese Entscheidung angelehnter Wortlaut würde zwar eine Gewichtung zum Ausdruck bringen, allerdings wäre dennoch ein weites Ermessen gegeben, welches angesichts der bisherigen Rechtspraxis (vgl. insb. S. 55  ff.) nicht sachgemäß ist. Dehnbare Formulierungen, wie bspw. die des Oberlandesgerichts Naumburg, Anträgen müsse in „vernünftigem Rahmen“ entsprochen werden, soweit keine „ausreichende[n] sachliche[n] Gründe“ entgegenstünden,331 bieten nach der Analyse der bisherigen Rechtspraxis keine ausreichende Rechtsicherheit (dazu ausf. S. 74 ff.; 296 ff.). b)  Aufzählung gewichtiger Gründe Daher ist eine konkrete Ausformulierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses einer offenen Generalklausel vorzuziehen. Dies setzt voraus, dass sich Ausnahmefälle definieren lassen, in denen eine Verhandlung in Abwesenheit des gewählten Verteidigers durch den Schutz anderer Verfahrensbelange legitimiert wäre. (1)  Differenzierung nach der Bedeutung der Anwesenheit Eine gerichtliche Differenzierung des Gewichts der Verteidigeranwesenheit anhand der Bedeutung des Verfahrens oder der Möglichkeit einer sachgerechten 330  331 

LG Berlin StV 2003, 441. OLG Naumburg StraFo 2005, 24 (25).

B.  Reformüberlegungen

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Selbstverteidigung ist nicht möglich. Auch eine Differenzierung danach, ob ein spezielles Interesse an der Person des Verteidigers besteht, würde einer effektiven Gewährung der Beschuldigtenrechte nicht entsprechen. Es käme lediglich eine Ausnahme für Verfahren in Betracht, in denen das Interesse an dem Beistand des Verteidigers offenkundig gering ist und zugleich erhebliche Gründe einer Vertagung entgegenstehen. Es sind jedoch kaum Verfahren vorstellbar, die aus Sicht des Angeklagten einfache und unbedeutende Bagatellverfahren sind und in denen zugleich besonders gewichtige Belange Dritter oder der Allgemeinheit durch eine Verlegung gefährdet sind. Ein Bagatellverfahren aus Sicht des Angeklagten dürfte auch für Dritte und/oder die Allgemeinheit ein Bagatellverfahren sein. (2)  Gewichtige Gründe, die der Verlegung entgegenstehen Eine andere Möglichkeit ist es auf besonders gewichtige entgegenstehende Gründe abzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass solche entgegenstehende Belange konkretisiert sein müssten, tatsächlich gefährdet sein müssten und in ihrer Wertigkeit dem Verteidigungsinteresse entsprechen müssten. Ein allgemeiner Verweis auf das Interesse an einem zügigen Verfahren oder die Arbeitsbelastung des Spruchkörpers reicht nicht aus. Untersucht man die veröffentlichte Rechtsprechung auf konkret benannte Belange, welche in besonderem Maße gegen eine Verlegung sprechen würden, findet sich die Befürchtung des Verjährungseintritts.332 Dies ist grundsätzlich ein triftiger Grund für ein besonderes öffentliches Interesse an der zügigen Durchführung des Verfahrens. Häufig dürfte dieser Begründung jedoch die bisherige Verschleppung des Verfahrens durch die Strafverfolgungsbehörden entgegenstehen,333 wodurch eine Einschränkung des Verteidigungsrechts zu Gunsten von Interessen der Allgemeinheit gegen das faire Verfahren verstoßen würde (vgl. S. 233). Des Weiteren wurde die ausnahmsweise vorliegende Gefahr eines absoluten Beweisverlusts genannt334 – dies könnte im Ausnahmefall ein erheblicher Grund sein, aber zugleich ein praktisch kaum vorkommender (vgl. S. 221 f.). (3)  Zeitpunkt der Vertagung Eine weitere mögliche Differenzierung ist der Zeitpunkt der anstehenden Verlegung. Eine Regelung, die darauf abstellt, wäre jedoch nicht interessengerecht. Tritt eine Verhinderung erst kurz vor der Verhandlung auf, sind die Interessen 332 

OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). Vgl. OLG Frankfurt/M StV 2001, 157 (158). 334  LG Görlitz NStZ-RR 2006, 315; LG Oldenburg 2010, 479. 333 

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

der Strafrechtspflege und ggf. der Zeugen betroffen, da eine kurzfristige Verlegung nötig würde und der freiwerdende Termin möglicherweise nicht neu besetzt werden könnte.335 Zugleich wäre aber die Beeinträchtigung der Verteidigungsinteressen besonders hoch, so dass – wie bei einer Differenzierung nach der Bedeutung des Verfahrens – mit der gesteigerten Relevanz der Verlegung aus Sicht der Allgemeinheit sich zugleich auch die Relevanz aus Sicht der Verteidigung erhöht und somit die Belange der Strafrechtspflege im Vergleich zum Interesse des Angeklagten nicht schwerer wiegen (vgl.  S. 269  ff.).336 Ähnlich verhält es sich bei einer Differenzierung anhand der Möglichkeit des Angeklagten, bei einer Verhinderung des Verteidigers alternative Maßnahmen zur sachgemäßen Verteidigung zu ergreifen. Bei einer kurzfristigen Verhinderung sind die Alternativen sehr eingeschränkt und keinesfalls ein gleichwertiger Ersatz. Bei einer absehbaren Verzögerung beständen zwar alternative Möglichkeiten. Diese würden jedoch ebenfalls das Beistands- und Wahlrecht erheblich einschränken und zugleich stehen bei einer absehbaren Verhinderung keine erheblichen Gründe der Verlegung entgegen, da in diesem Falle das Gericht rechtzeitige Termindispositionen treffen kann – sowohl hinsichtlich des betroffenen Verfahrens als auch anderer Verfahren, welche auf den freiwerdenden Termin gelegt werden können (vgl. S. 255 f.). (4)  Dauer der Verzögerung Ein weiteres häufig genanntes Kriterium ist die Dauer der Verzögerung.337 Dies als Entscheidungskriterium zu etablieren, würde jedoch voraussetzen, in sachlicher Weise zu konkretisieren, wann eine Verzögerung erheblich ist. Eine solche Konkretisierung ist der Rechtsprechung bisher nicht gelungen, und auch der Literatur, welche die zügige Durchführung des Strafverfahrens als allgemeines Interesse ansieht, lassen sich keine tragfähigen Anhaltspunkte entnehmen. Darüber hinaus ist die Dauer der Verzögerung, welche durch die Verteidigung verursacht wird zumeist schwer zu bestimmen. Ob eine zeitnahe Neuterminierung möglich ist, hängt in den meisten Fällen mindestens auch von der Flexibilität des Spruchkörpers ab. Würde man unabhängig von der Verantwortung allein auf die Möglichkeit einer zeitnahen Neuterminierung abstellen, wäre jede Verhandlung ohne den Verteidiger rechtmäßig, sobald der Spruchkörper ‚austerminiert‘ ist. Es muss bei der Interessenbewertung jedoch einen Unterschied darstellen, ob der gewählte Verteidiger in den nächsten sechs Monaten terminlich 335 

Vgl. OLG Braunschweig StRR 2009, 432 (433) Weider StV 1983, 270 (272). 337  Vgl. z. B. OLG Dresden NJW 2004, 3196 (3197); AnwK-StPO/Kirchhof §  213 Rn.  3, 5; KK/Gmel §  213 Rn.  4b; SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  7. 336 Ähnlich

B.  Reformüberlegungen

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überlastet ist oder ob der Verteidiger lediglich an dem konkreten Termin verhindert ist, aber das Gericht sich nicht in der Lage sieht, einen Ersatztermin innerhalb der nächsten sechs Monate zu finden. Ansonsten würden Verteidigungsrechte willkürlich – nämlich anhand der vom konkreten Verfahren völlig unabhängigen Ausstattung und Auslastung des Gerichts und der Geschäftsverteilung – eingeschränkt. c)  Verantwortung des Angeklagten Den bisher betrachteten Möglichkeiten ist gemeinsam, dass sie die effektive und sachgemäße Verteidigung anhand von Verfahrenseigenschaften einschränken würden. Dies ist angesichts der staatlichen Verpflichtung, das Beistandsrecht umfassend zu gewähren nicht sachgemäß und entspricht auch kaum den Begründungen für die jetzige Rechtspraxis, die größtenteils darauf abstellen, dass das Verfahren nicht durch den Angeklagten oder die Verteidigung verzögert werden soll. Daher stellt sich die Frage, ob eine Einschränkung der Anwesenheitsmöglichkeit durch die Verantwortung des Angeklagten begründet werden kann. Dies würde voraussetzen, dass der Angeklagte die Möglichkeit hatte die Situation abzuwenden. Denn eine Differenzierung aufgrund der Verantwortung des Angeklagten kann keine Zuschreibung der Risikosphäre beinhalten, die nicht beachtet, ob der Angeklagte dieses Risiko tatsächlich trägt. Die Einflussmöglichkeit des Angeklagten beschränkt sich auf die Auswahl des Verteidigers. Über die Termine können nur das Gericht, ggf. das kollidierende Gericht und ggf. – bei außergerichtlichen Terminen – der Verteidiger disponieren. (1)  Verhalten des Verteidigers Das Verhalten des Verteidigers liegt nicht in der Verantwortung des Angeklagten,338 da nach allgemeiner Ansicht der Verteidiger nicht weisungsgebunden ist und im Strafprozessrecht grundsätzlich ein Verschulden des Verteidigers dem Angeklagten nicht zugerechnet wird.339 Dass es nicht auf das Verhalten des Verteidigers ankommen kann, ergibt sich auch aus einer Entscheidung des 5.  Senats des Bundesgerichtshofs, der deutlich macht, dass es nicht um ein gerichtliches Entgegenkommen gegenüber dem Verteidiger und seinen Terminen gehe, son-

338 

Vgl. OLG Zweibrücken StV 1984, 148; OLG Celle NJW 1965, 2264 (2265); BayObLG StV 1985, 6 (7); OLG Braunschweig StV 2012, 721 Rn.  11, insoweit nicht abgedr.; AK-StPO/ Loos §  265 Rn.  44; HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; Löwe/Rosenberg/Jäger §  213 Rn.  10; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg §  265 Rn.  109; Radtke/Hohmann/Britz §  228 Rn.  21; SKStPO/Wohlers §  137 Rn.  36. 339  So auch HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; vgl. AK-StPO/Loos §  265 Rn.  4 4.

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

dern um die Gewährleistung des Rechts des Angeklagten auf den Verteidiger des Vertrauens.340 Spaniol ist dennoch der Ansicht, dass ein Verhalten des Verteidigers zu einer ‚Verwirkung‘ von Verteidigungsrechten des Angeklagten führen kann, wenn der Angeklagte zu einer sachgerechten Selbstverteidigung in der Lage ist.341 Diese Ansicht ist abzulehnen, da es nicht möglich ist, eine Differenzierung anhand der Möglichkeit einer sachgemäßen Selbstverteidigung vorzunehmen. Führt nach Ansicht des Gerichts ein Verhalten oder eine Überlastung des Verteidigers zu einer erheblichen Verzögerung, ist lediglich auf die informierte Zustimmung des Angeklagten hinsichtlich des Beschleunigungsgebots zu achten (s. S. 188  f.).342 (2)  Auswahl eines verfügbaren Verteidigers Nach ständiger Rechtsprechung soll der Angeklagte die Verantwortung der Auswahl eines Verteidigers tragen und zwar eines Verteidigers, der auch zeitlich zur Verteidigung bereit ist. Beauftragt der Angeklagte also rechtzeitig einen verteidigungsbereiten Verteidiger, ist diese Obliegenheit erfüllt. Tritt nach der Wahl eine Verhinderung ein, trägt der Angeklagte dafür keine Verantwortung.343 Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob nach der Terminierung eine Verhinderung eintritt oder die Verhinderung dadurch zu Stande kommt, dass das Gericht eine Absprache mit dem mandatierten Verteidiger unterlassen hat. Würde man in diesen Fällen eine Verantwortung für die Verhinderung annehmen, würde dem Angeklagten nicht nur die Verantwortung für die Wahl eines verfügbaren Verteidigers auferlegt, sondern ein Verteidigerwechsel zur Obliegenheit erklärt. Damit läge nicht nur eine Einschränkung der freien Wahl vor, sondern auch eine Beeinträchtigung des bestehenden Mandatsverhältnisses. Des Weiteren wäre das Verteidigungsinteresse des Angeklagten durch einen Wechsel beeinträchtigt (s. S. 160  f.). Zudem ist es widersinnig, wenn dem Angeklagten die besonders sorgsame – da frühzeitige – Erfüllung der ihm zugeschriebenen Obliegenheit – Wahl eines verteidigungsbereiten Verteidigers – zum Nachteil gereichen würde. (3)  Auswahl eines terminlich verhinderten Verteidigers Die Verantwortung des Angeklagten kann also höchstens darin bestehen, bei Kenntnis des Termins einen Verteidiger auszuwählen, der am Termin verfügbar 340 

BGH NStZ 2009, 650 (651). Spaniol S.  171 f. 342  Vgl. SK-StPO/Deiters §  213 Rn.  10; Ralph in FS-Widmaier, S.  4 47 (467). 343  So auch SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36. 341 

B.  Reformüberlegungen

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ist. Nach herrschender Ansicht soll die Frist des §  217 StPO dem Angeklagten dafür ausreichende Möglichkeit geben, so dass die Beauftragung seiner Risikosphäre unterfällt.344 Die Frist des §  217 StPO wird jedoch selbst von den Gerichten teilweise als zu knapp bewertet.345 Die Länge der Frist hat sich seit über 100 Jahren nicht verändert und die darin liegende gesetzgeberische Wertung bezog sich auf andere gesellschaftliche Verhältnisse. Aufgrund der geringen Anzahl der an einem Gericht zugelassenen Rechtsanwälte war kaum eine Auswahltätigkeit gegeben. Je größer der ‚Markt‘ der Verteidiger ist, desto eher muss dem Angeklagten die Möglichkeit gegeben werden, ausreichende Zeit auf die Auswahl der richtigen Person zu verwenden. Zudem dürfte der Verfahrensstoff und der entsprechende Umfang der Akte bereits aufgrund der vielfältigeren technischen Möglichkeiten erheblich zugenommen haben, so dass auch dies in einigen Verfahren die lediglich siebentägige Frist des §  217 StPO als zu knapp bemessen erscheinen lässt. Unabhängig von der Frist des §  217 StPO kann dem Angeklagten nicht die Verantwortung auferlegt werden, eine Terminkollision durch die Auswahl des Verteidigers zu vermeiden. Müsste der Angeklagte bei der Beauftragung auf die Terminierung Rücksicht nehmen, läge darin eine unangemessene Einschränkung der freien Wahl.346 Organisatorische Belange sollten nicht das entscheidende Auswahlkriterium sein, um einen Verteidiger des Vertrauens zu suchen. Das Oberlandesgericht Celle formulierte im Jahr 1965, es läge keine übermäßige Beschränkung des Rechts aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO vor, wenn der Angeklagte schuldhaft zur Situation beigetragen hätte. Ein Verschulden kann jedoch nicht in der Ausübung der Rechte des Angeklagten liegen, und die freie Wahl des Verteidigers ist ein wesentliches Recht des Angeklagten. Zudem würde die Beauftragung eines Verteidigers, der am Termin verhindert ist, nur einen Verlegungsantrag zur Folge haben. Ein solcher Antrag würde zunächst einmal ‚lediglich‘ einen gewissen Arbeitsaufwand durch Neuterminierung und Umladungen auslösen und ggf. eine geringe zeitliche Verzögerung verursachen. Eine erhebliche zeitliche Verzögerung des Verfahrens würde nur eintreten, wenn der Spruchkörper sich nicht in der Lage sieht, eine zeitnahe Neuterminierung vor344  U. a. OLG Hamm NJW 1954, 933 (933); OLG Celle NJW 1965, 2264; OLG Köln NJW  1968, 954; OLG Düsseldorf GA 1979, 226 (227); Graf/Gorf §  228 Rn.  6; HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; HK-GS/Temming §  228 Rn.  9; Löwe/Rosenberg/Becker §  228 Rn.  23; Radtke/ Hohmann/Britz §  228 Rn.  19; SK-StPO/Deiters/Albrecht §  228 Rn.  17; SSW/Grube §  228 Rn.  20; Heubel NJW 1981, 2678 (2678); Koch JR 1961, 420 (421); vgl. auch OLG Köln VRS 92 (1997), 261 (262); BayObLGSt 1998, 144 (145). 345  Vgl. OLG Celle StV 1984, 503; OLG Bamberg StraFo 2011, 232 (233); OLG Oldenburg StV 1991, 152; vgl. auch Dahs Rn.  458. 346  Vgl. dazu SK-StPO/Wohlers §  137 Rn.  36; Piel in FS-Widmaier, S.  429 (443).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

zunehmen oder wenn der Verteidiger über einen längeren Zeitraum nicht verfügbar ist. Eine Überlastung des Spruchkörpers liegt jedoch nicht in der Risikosphäre des Angeklagten.347 Eine Verantwortung des Angeklagten für eine erhebliche Verzögerung könnte also nur in der Wahl eines Verteidigers liegen, der über mehrere Monate terminlich überlastet ist.348 (4)  Späte Mandatierung Ein Verschulden kommt in Betracht, wenn der Angeklagte seinen Obliegenheiten nicht nachkommt, also sich trotz frühzeitiger Ladung erst kurz vor der Verhandlung um einen Verteidiger bemüht oder kurz vorher den Verteidiger wechselt.349 Ein solches Vorgehen würde zum einen in der Verantwortung des Angeklagten liegen und zum anderen die Gefahr einer Verfahrensverzögerung und einer Beeinträchtigung von Interessen Dritter durch eine – dann kurzfristig – nötig werdende Verlegung erhöhen. Es können allerdings durchaus Sachgründe für einen kurzfristigen Verteidigerwechsel vorliegen, die vom Gericht nicht zu überprüfen sind (vgl. S. 162 f.). Auch dass eine Beauftragung vermeintlich ‚zu‘ spät erfolgt, könnte durch eine besonders lange Suche begründet sein und nicht ausschließlich durch eine schuldhaft verzögert begonnene Suche.350 Zudem kann das späte Aufsuchen eines Verteidigers durch eine Überforderung mit dem Verfahren, also durch psychologische oder finanzielle Hemmschwellen, begründet sein.351 Diese Gründe liegen zwar in der Risikosphäre des Angeklagten, dennoch ist es fraglich, ob die Verweigerung einer Vertagung allein aufgrund dieses vorwerfbaren Verhaltes angemessen ist. Auch wenn der Angeklagte die Vorbereitung des Verfahrens nicht in optimaler Weise durchführt, verbleibt es bei der erheblichen Einschränkung des Verteidigungsrechts, da Angeklagte in der überwiegenden Anzahl nicht zu einer sachgemäßen Selbstverteidigung in der Lage sind. Es verbleibt auch bei der Verpflichtung des Staates, die Unschuldsvermutung ernst zu nehmen und somit die Beeinträchtigung des Angeklagten bis zu einer Verurteilung soweit als möglich zu verschonen. Und es verbleibt dabei, dass Verfah347  So auch OLG Braunschweig StraFo 2004, 242; StV 2012, 721 (insoweit nicht abgedr.); OLG Naumburg v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12 (Rn.  21); vgl. BVerfG StV 2015, 39 (42); OLG Köln StV 2006, 143 (145); Löwe/Rosenberg/Esser Art.  6 EMRK Rn.  324 f.; Piel in FS-Widmaier, S.  429 (440). 348 Vgl. Koch JR 1961, 420 (421). 349  Ähnlich HK-StPO/Julius §  228 Rn.  4; vgl. OLG Hamm MDR 1972, 254; AnwK-StPO/ Kirchhof §  213 Rn.  6; Koch aaO; Krumm StV 2012, 177 (177). 350  Bsp. der sachlich begründeten späten Mandatierung bei OLG München NStZ-RR 2006, 20 (21). 351 Vgl. S.  Machura in Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, S.  195 (207).

B.  Reformüberlegungen

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rensbelange oder Interessen Dritter, die ebenso gewichtig wie das Verteidigungsrecht sind, zumeist nicht oder nur unerheblich beeinträchtigt werden. Statt ausschließlich auf die Verantwortung des Angeklagten für eine späte Verteidiger-Beauftragung abzustellen, sollte die Verantwortlichkeit des Angeklagten eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Ablehnung einer Vertagung sein. Kumulativ zu der Verantwortlichkeit des Angeklagten müssen besondere Gründe gegen eine Vertagung sprechen, also eine im Einzelfall konkrete Gefährdung erheblicher Interessen feststellbar sein.352 Allein der Arbeitsaufwand der Vertagung oder die Verzögerung des Verfahrens, ohne dass besondere Gründe eine besonders zügige Durchführung des konkreten Verfahrens erfordern, kann nicht ausreichen. Eine solche Regelung wäre zwar interessengerecht, allerdings verspricht eine Differenzierung anhand kaum bestimmbarer zeitlicher Grenzen wie einer ‚rechtzeitigen Ladung‘ oder einem ‚kurzfristigen Wechsel‘ wenig Rechtsicherheit. Da kaum entgegenstehende, gleichwertige Interessen gefährdet sind (vgl. 3.  Kap.), könnte eine solche Regelung entbehrlich sein, auch wenn eine Verantwortung des Angeklagten feststellbar ist. Neben im Einzelfall theoretisch denkbaren, aber praktisch wenig erheblichen entgegenstehenden Interessen kann eine Beeinträchtigung allgemeiner Interessen nur durch eine dauerhafte Verschiebung, d. h. eine faktisch auf unbestimmte Zeit undurchführbare Verhandlung, vorliegen. Eine solche Verschiebung des Verfahrens auf unbestimmte Zeit könnte durch die befürchtete Verfahrenssabotage, also einem Missbrauch des Verlegungsrechts, herbeigeführt werden. Alternativ zur gerade erwogenen Regelung, die auf die Verletzung der Obliegenheiten des Angeklagten und den zusätzlich vorliegenden erheblichen Beeinträchtigungen gewichtiger Interessen durch eine Vertagung abstellt, ist also eine Regelung zur Verhinderung von Verfahrenssabotagen denkbar. (5) Verfahrenssabotage In der StPO finden sich bereits Regelungen, die einer befürchteten Verfahrenssabotage entgegentreten sollen. Eine prominente Regelung ist die des §  244 Abs.  3 S.  2 StPO, wonach ein Beweisantrag abgelehnt werden kann, „wenn der Antrag zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellt ist“. Auch §  231a StPO soll verhindern, dass der Angeklagte die Hauptverhandlung verhindert oder verzögert. Nach dieser Norm ist eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten dann möglich, wenn dieser sich vorsätzlich und schuldhaft in einen verhandlungsunfähigen Zustand versetzt und damit wissentlich die Durchführung der Hauptverhandlung verhindert. Es reicht nach §  231a StPO also nicht aus, 352 Vgl.

Krumm StV 2012, 177 (177 f.).

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4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

dass die Abwesenheit in der Verantwortungssphäre des Angeklagten liegt, sondern eine verhandlungshindernde Situation muss vorsätzlich herbeigeführt worden sein. Eine Differenzierung des Anspruchs auf eine Terminverlegung aufgrund der Motivlage wird auch in der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung erwähnt. So würde nach Rzepka eine konventionengerechte Rechtslage bestehen, wenn eine Ausnahme zur Verhandlung in Anwesenheit des Verteidigers ausschließlich dann zulässig sei, „wenn das Verhalten des Verteidigers (ggfs. im Einvernehmen mit seinem Mandanten) nur den Schluß zuläßt, daß er die Durchführung der Hauptverhandlung zu verhindern sucht.“353 Das Oberlandesgericht Hamm legt in einer stattgebenden Beschwerdeentscheidung Wert auf die Feststellung, dass keine Anhaltspunkte für eine Verzögerungsabsicht erkennbar gewesen seien.354 Piel nennt die ersichtliche Verschleppungsabsicht und eine terminliche Überlastung des Verteidigers, die trotz redlicher Bemühungen aller Beteiligten keine Terminierung zulässt und die die Annahme des Mandats sorgfaltspflichtwidrig erscheinen lässt, als einzige Ausnahmen, in denen ohne den Verteidiger verhandelt werden könne.355 Der Missbrauch des Rechts auf eine Terminverlegung läge zum einen vor, wenn eine Verhinderung absichtlich herbeigeführt oder lediglich behauptet wird. Bei einem sachlich begründeten Antrag auf Verlegung kann dies ausgeschlossen werden. Ein Missbrauch ist also bereits ohne eine gesonderte Regelung ausgeschlossen, wenn ein Verlegungsrecht für den Fall der sachlich begründeten Verhinderung gewährt würde. Dies trifft eindeutig auch auf mehrfache Verlegungsanträge zu. Es mag dem Vorsitzenden ungünstig erscheinen,356 aber im Einzelfall kann es dazu kommen, dass sachliche Verhinderungsgründe gehäuft auftreten.357 Wählt der Angeklagte einen Verteidiger aus, welcher am Termin verhindert ist, läge eine missbräuchliche Nutzung nur dann vor, wenn dies ausschließlich zum Zweck der Verschleppung geschieht. Ein Indiz für eine solche Motivation wäre gegeben, wenn der Angeklagte einen Verteidiger wählt, der nicht nur an einem Termin verhindert ist, sondern insgesamt kaum verfügbar. In solchen Fallkonstellationen liegt jedoch ein ebenso starkes Gegenindiz vor. Die bei einem Verteidiger langfristig bestehende terminliche Überlastung dürfte auf der Qualität oder zumindest Beliebtheit dieses Verteidigers beruhen und somit ist beim Fehlen weiterer Anhaltspunkte zu unterstellen, dass die Auswahl aus diesem Grund und nicht aufgrund einer Verschleppungsabsicht vorgenommen wurde. Rzepka S.  405, Hervorhebung im Original. Vgl. OLG Hamm StV 1989, 100 (101). 355  Piel in FS-Widmaier, S.  429 (441 f.). 356  Vgl. BayObLGSt 2001, 101; DAR 2001, 83. 357  Vgl. LG Darmstadt NZV 2006, 442 (443). 353 

354 

B.  Reformüberlegungen

325

Eine andere Fallgruppe ist die sehr kurzfristige Wahl oder der kurzfristige Wechsel des Verteidigers. Auch ein solches Verhalten des Angeklagten ist nur ein Anhaltspunkt und keineswegs ausreichend, um eine Verschleppungsabsicht festzustellen. Denn es können sachliche Gründe für ein solches Vorgehen vorliegen.358 Zudem entstehen aufgrund einer einmaligen Umterminierung keine erheblichen Belastungen. Sowohl ein stärkeres Indiz für eine Verschleppungsintention als auch eine relevante Beeinträchtigung der Verfahrenserledigung in absehbarere Zeit würde bei einer mehrfachen Neumandatierung terminlich verhinderter Verteidiger vorliegen. Dies dürfe eine eher selten vorliegende Verfahrenskonstellation sein und würde eine Ausnahmeregelung zur Ablehnung von Verlegungsanträgen darstellen, die tatsächlich sicherstellt, dass es bei Ausnahme des grundsätzlich bestehenden Anspruchs auf Verlegung bleibt. d) Zusammenfassung Wird im Vorfeld der Verhandlung eine Verlegung des Termins nötig, um die Teilnahme des Verteidigers zu ermöglichen, muss der Vorsitzende auf einen sachlich begründeten Antrag eine solche Umterminierung vornehmen. Zur Bestimmung des neuen Termins sind wiederum die inhaltlichen Grundlagen der Terminierung zu beachten (vgl. S. 312 ff.). Eine ausnahmsweise Ablehnung des Antrags setzt eine pflichtgemäße Abwägung im Einzelfall voraus und kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn durch eine besonders späte Mandatierung trotz frühzeitiger Terminierung eine kurzfristige Verlegung verursacht würde und zudem erhebliche Interessen der Allgemeinheit oder Dritter durch eine Verzögerung im konkreten Fall besonders beeinträchtigt würden oder wenn der Angeklagte bewusst in verzögernder Absicht einen verhinderten Verteidiger wählt. 3.  Vertagung während der laufenden Verhandlung a)  Verhinderung des zuvor gewählten Verteidigers Hat der Angeklagte vor Beginn der Verhandlung einen Verteidiger gewählt und ist dieser zu Beginn der Verhandlung anwesend, liegt eine Verhinderung des Verteidigers im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht in der Verantwortungssphäre des Angeklagten. Der Angeklagte hat seine Obliegenheit zur rechtzeitigen Wahl erfüllt (vgl. S. 320 ff.) und hat in der Regel keine Möglichkeit einer Verhinderung während des Verfahrens entgegen zu wirken. Mit der Mandatierung hat der Angeklagte zum Ausdruck gebracht, dass er eine formelle Vertei358  Vgl. zur widerlegbaren Vermutung einer Verschleppungsabsicht bei §  244 StPO BVerfG NJW 2010, 592.

326

4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

digung als sachgemäße Verteidigung ansieht.359 Eine Verhandlung ohne Verteidiger würde in dieser Situation die Rechte des Angeklagten unangemessen beeinträchtigen. Es obliegt in der konkreten Situation dem Spruchkörper, durch eine flexible Terminierung die Aussetzung zu verhindern360 und unabhängig von der konkreten Situation obliegt es dem Präsidium dem Spruchkörper eine ausreichende Flexibilität zu ermöglichen und dem Haushaltsgesetzgeber für eine ausreichende Ausstattung der Gerichte zu sorgen.361 Des Weiteren ist bei kollidierenden Hauptverhandlungsterminen durch eine gerichtsinterne Kommunikation eine Aussetzung durch die Vertagung der kollidierenden – aber noch nicht begonnenen – Hauptverhandlung zu vermeiden. Um Aussetzungen wegen der Erkrankung des Verteidigers zu vermeiden, wäre darüber hinaus eine Aufnahme des Verteidigers in die Personengruppe des §  229 Abs.  3 StPO möglich.362 b)  Mandatierung eines neuen Verteidigers Dem Angeklagten steht auch während der laufenden Hauptverhandlung das Recht auf die Wahl aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO zu. Er kann zu diesem Zeitpunkt erstmalig einen Verteidiger mandatieren, aber auch eine zusätzliche oder alternative Mandatierung vornehmen. Auch in diesen Fällen liegt nicht zwingend eine bewusste Verfahrenssabotage vor, sondern es können sachliche Gründe für dieses Handeln bestehen. Beispielsweise kann eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen den Ansichten des Angeklagten und des Verteidigers erst in der Verhandlung entstanden sein. Oder der unverteidigte Angeklagte bemerkt – möglicherweise aus Naivität oder Selbstüberschätzung – erst in der Verhandlung, dass es einer formellen Verteidigung bedarf, etwa weil er die Bedeutung des Verfahrens unterschätzt oder die Selbstverteidigungsfähigkeit überschätzt hat.363 Im Unterschied zu der erst in der Verhandlung auftretenden Verhinderung des gewählten Verteidigers ist in diesen Fällen eine Verantwortung des Angeklagten gegeben. Die Verantwortung kann aber nicht zu einer völligen Einschränkung des Wahlrechts des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO führen. Entsprechend den Ausführungen zur Verfahrenslage vor Beginn der Hauptverhandlung ist es auch hier Weider StV 1983, 270 (272); vgl. auch OLG Saarbrücken VRS 25 (1963), 66 (67). Meyer-Goßner/Schmitt §  213 Rn.  4. 361  Vgl. BVerfGE 36, 264 (272 f., 275); NJW 2006, 668 (671); StV 2015, 39 (41 f.). 362  Vgl. zur grds. Lockerung von §  229 auch Bernsmann ZRP 1994, 229 (330 f.); Weigend in Verhandlungen des 60. DJT, M 11 (21) mwN; vgl. zur Erkrankung des Angeklagten: BTDrucks. 10/1313 S.  26. 363 Vgl. M. Hahn S.  107; Peters, Strafprozeß S.  212. 359 

360 Vgl.

B.  Reformüberlegungen

327

interessengerecht, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu etablieren. Im Unterschied zur Rechtslage vor Beginn der Verhandlung ist zu beachten, dass Aussetzungen grundsätzlich zu vermeiden sind. Die Anforderungen an die Annahme einer missbräuchlichen Nutzung könnten somit niedriger sein, soweit eine Aussetzung herbeigeführt wird. Eine Unterbrechung zur Ermöglichung der Verteidigeranwesenheit ist jedoch in aller Regel sachgemäß. Da die Entscheidung über Unterbrechungen und Aussetzungen nach §  228 Abs.  1 StPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht, besteht bereits jetzt die Verpflichtung, das Recht aus §  137 Abs.  1 S.  1 StPO in die Entscheidung einzubeziehen und das Verfahren zu unterbrechen oder auszusetzen, wenn dies zur Gewährleistung der Verteidigung sachgemäß ist. Allerdings erscheint es auch hier angemessener explizit festzuhalten, dass in der Regel die Teilnahme des Verteidigers der Wahl zu ermöglichen ist und Ausnahmen nur für den Fall der Verfahrensverschleppungsabsicht oder eines eindeutigen Überwiegens entgegenstehender Interessen möglich sind (vgl. S. 325). 4.  Mammutverfahren Die bisher herausgearbeiteten Regelungsmöglichkeiten standen unter dem Vorbehalt, dass sie eine Durchführung des sog. Normalverfahrens unter Teilnahme des Verteidigers ermöglichen sollen (s. S. 311 f.). Die Terminfindung wird schwieriger und die Gefahr von Verhinderungen größer je mehr Personen beteiligt sind und desto mehr Verhandlungstage benötigt werden. Eine genaue Definition, ab wann Verfahren als Umfangsverfahren bezeichnet werden können, existiert nicht. Ein Anhaltspunkt ist die Anzahl der benötigten Hauptverhandlungstage. Feltes wählt als Abgrenzungsmerkmal das Überschreiten von 50 Hauptverhandlungstagen.364 In einem Vergleich der Statistiken der Jahre 1982, 1990 und 1997 stellt er fest, dass trotz insgesamt steigender Hauptverhandlungstage pro Verfahren in diesem Zeitraum der Anteil der Verfahren mit mehr als 50 Verhandlungstagen gleichbleibend bei 0,2  % lag.365 Auch 2012 lag der Anteil weiterhin konstant bei 0,2  %.366 Bei erstinstanzlichen Verfahren am Amtsgericht – also außerhalb des Regelungsbereichs des §  140 Abs.  1 StPO – dürfte der Anteil weitaus niedriger sein. Verfahren, die aufgrund ihres Umfangs besondere Terminierungsherausforderung beinhalten, gehören also nicht zum gerichtlichen Alltag. Um auch in diesen Verfahren das Beistandsrecht des Angeklagten zu gewähren – und es besteht kein Grund, Angeklagtenrechte gerade in einem Feltes in Dölling/Feltes et al. S.  63 (69). Feltes in Dölling/Feltes et al. S.  63 (69) unter Rückgriff auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. 366  Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3, 2012, S.  74. 364  365 

328

4. Kapitel:  Rechtslage de lege lata und ferenda

umfangreichen Prozess in geringerem Maße zu gewähren – kommt der frühzeitigen Terminabsprache eine erhebliche Bedeutung bei. Eine solche ist in aller Regel geeignet, auch in umfangreichen Verfahren einen Konflikt zwischen dem Recht auf den Wahlverteidiger und der zügigen Verfahrensdurchführung zu vermeiden.367 Haben sich im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren noch nicht für alle Angeklagten Verteidiger gemeldet, ist es sinnvoll, nicht bereits mit Eröffnung zu terminieren, sondern zunächst weitere Verteidiger-Meldungen abzuwarten. Dabei könnten bisher unverteidigte Angeklagte mit Zustellung der Anklage oder spätestens des Eröffnungsbeschlusses auf den vorgesehenen Zeitpunkt der Terminierung aufmerksam gemacht werden, um entsprechende Vorkehrungen zu treffen Sowohl während der Terminabsprache als auch bei nachträglich auftretenden Schwierigkeiten sind vom Gericht besondere Anstrengungen zu unternehmen, um die effektive Gewährung des Rechts auf den Wahlverteidiger zu ermöglichen.368 Dazu gehört eine flexible Termingestaltung369 und die Absprache mit anderen Gerichten, um ggf. kollidierende Hauptverhandlungstermine zu verlegen.370 Da es sich nur um einzelne Verfahren handelt, sind besondere Anstrengungen zumutbar. Zur Verdeutlichung der noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten mag das bereits oben referierte Verfahren als Beispiel dienen, in dem der Verteidiger an einem von zehn terminierten Hauptverhandlungstagen verhindert war und dem Gericht vier Alternativtermine im gleichen Monat anbot, welche das Gericht nicht zu prüfen bereit war.371 Es darf nicht übersehen werden, dass eine längere Vorbereitungszeit und ein dadurch möglicherweise späterer Beginn der Hauptverhandlung dazu beitragen kann, die Hauptverhandlung von Terminstreitigkeiten zu entlasten und Aussetzungen vorzubeugen.372 Da die für allgemeine Verfahren vorgeschlagenen Regelungen in Einzelfällen sachlich begründete Ausnahmefälle zulassen, erscheint keine weitergehende Regelung für Umfangsverfahren nötig. Es obliegt den Gerichten Verfahren so zu gestalten, dass die Angeklagtenrechte unterschiedslos in allen Verfahren umfassend gewährt werden.

367 

So BGH NJW 2008, 2451 (2453); OLG Hamm NJW 2006, 2788 (2791); OLG Hamburg NJW 2006, 2792 (2793); OLG Oldenburg StraFo 2008, 26. 368 Vgl. Hilger StV 2006, 451 (453). 369  Vgl. BGH NStZ-RR 2010, 312 (313); OLG Celle NdsRpfl 2001, 196; Meyer-Goßner/ Schmitt §  213 Rn.  4. 370  Vgl. BGH NStZ 1998, 311 (312); 1999, 527 (527); OLG Hamm StV 2004, 642 (643). 371  BGH NStZ 2007, 163. 372 Vgl. Hilger StV 2006, 451 (453).

Fazit Zur sachgemäßen und effektiven Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers stets unerlässlich. Dass Angeklagte dies anders sehen, etwa weil sie sich überschätzen, die Situation unterschätzen oder sich keine Gedanken über eine möglichst optimale Verteidigung machen,1 ist aufgrund der Autonomie der Angeklagten hinzunehmen. Aber die Angeklagten, die sich der Hilfe eines Verteidigers bedienen möchten, müssen hierzu die Möglichkeit haben. Dazu wären, angesichts der beschränkten finanziellen Mittel vieler Angeklagter, Reformen im Beiordnungsrecht oder eine Reformierung der Prozesskostenhilfe nötig.2 Vor allem muss aber die Teilnahme des Verteidigers des Vertrauens an der Hauptverhandlung faktisch ermöglicht werden und darf nicht an organisatorischen Fragen scheitern. Das Recht auf Beistand wird in §  137 Abs.  1 S.  1 StPO ‚jederzeit‘ garantiert. Zudem verlangt die EMRK, das Beistandsrecht nicht nur theoretisch, sondern effektiv und tatsächlich zu gewähren. Kann der Verteidiger nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen, wird das Beistandsrecht wesentlich eingeschränkt. Eine solche Einschränkung wäre nur zulässig, wenn dies zur Vermeidung elementarer Beeinträchtigungen anderer Verfahrensbelange notwendig und zugleich verhältnismäßig wäre.

I.  Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts Die Einschränkung des Beistandsrechts müsste – sowohl allgemein als auch im einzelnen Verfahren – durch entgegenstehende Belange sachlich begründet sein. Dies setzt voraus, dass entgegenstehende Belange eine entsprechende Wertigkeit haben und nicht anders zu verwirklichen sind. Hammerstein JR 1985, 140 (141). AK Strafprozessreform §  25; Beulke, Der Verteidiger S.  47; Gerlach in FS-Peters, S.  153; Gössel ZStW 94, (1982), 5 (34 f.); Hammerstein JR 1985, 140 (141) mwN; Haffke StV 1981, 477 (478 f.); Hassemer ZRP 1980, 326 (330); Inoue S.  189 ff.; Kortz S.  193 ff.; Kühne Rn.  196 ff.; Mehle S.  372 ff.; R. Schneider NJW 1977, 873 (874); Spaniol S.  335; Weigend ZStW 113 (2001), 271 (296) mwN; vgl. auch HK-StPO/Julius Vor §  137 Rn.  1. 1 Vgl. 2 Vgl.

330

Fazit

Allen Gründen, die einem Terminanspruch entgegengehalten werden, ist gemeinsam, dass ihr Antagonismus zum Beistandsrecht pauschal behauptet wird, ohne die Beeinträchtigung durch einen Terminanspruch genauer darzulegen. Nach derzeitigem Stand der Forschung lassen sich die befürchteten Beeinträchtigungen nicht bestätigen. Sowohl aus tatsächlichen als auch rechtlichen Erwägungen legitimieren die vorgebrachten Verfahrensbelange eine Verhandlung ohne Verteidiger nicht. 1.  Interessen der Allgemeinheit Eine Gefährdung der Durchführbarkeit des Verfahrens durch einen Terminanspruch ist kaum vorstellbar und daher zu vernachlässigen. Wird die terminliche Verfügbarkeit des Verteidigers bereits vor der Terminierung beachtet und verfügen die Gerichte über ausreichende Flexibilität zur ausnahmsweisen kurzfristigen Neuterminierung bei einer nachträglich eintretenden Verhinderung, ist auch keine erhebliche Verzögerung des Verfahrens zu befürchten. Für eine ausreichende Ausstattung und effektive Organisation der Gerichte zu sorgen, ist eine Verpflichtung der staatlichen Organe. Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, dass durch eine Verzögerung Interessen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigt würden. Die zügige Durchführung des Verfahrens soll nach allgemeiner Ansicht die Wirksamkeit der Strafzwecke und den Rechtsfrieden sichern und die materielle Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung gewährleisten. Es bestehen jedoch ernsthafte Zweifel, inwiefern diese Zwecke durch eine Verzögerung beeinträchtigt würden und ab welchem Ausmaß der Verzögerung eine Gefährdung eintreten würde. Selbst wenn dies feststehen würde, wäre eine Einschränkung der Verteidigung nur dann verhältnismäßig, wenn der Umfang der Verzögerung im Vergleich zur Gesamtdauer des Verfahrens von Bedeutung ist. Die reine Vermutung einer Beeinträchtigung kann keinen durchgreifenden Grund zur Beschränkung des Beistandsrechts darstellen. Sofern in Extremfällen erheblicher Verzögerungen eine solche Beeinträchtigung mit größerer Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann als in Durchschnittsverfahren oder in einzelnen Verfahren sogar an konkreten Gegebenheiten festgemacht werden kann, begründet dies keinen grundsätzlichen Widerspruch zum Recht auf effektive Ermöglichung der Anwesenheit. Ein genereller Anspruch auf Beachtung der terminlichen Belange, welcher begründete Ausnahmen zulässt, lässt ausreichend Spielraum zur Bewältigung von Extremfällen. Darüber hinaus kann sich ein allgemeines Interesse an der (zügigen) Durchführung von Strafverfahren zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens nur auf einen rechtsstaatlichen Prozess beziehen, nicht auf den sog. ‚kurzen Prozess‘.

I.  Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts

331

Ein rechtsstaatlich geführtes Verfahren beinhaltet die Gewährung von Verteidigungsrechten. Das Interesse einer zügigen Verhandlung richtet sich auf die Vermeidung vermeidbarer Verzögerungen, nicht auf die Einschränkung von Verteidigungspositionen,3 denn ein rechtsstaatliches Verfahren nimmt zwangsläufig Zeit in Anspruch.4 Eine erhebliche Beeinträchtigung allgemeiner Belange durch die Gewährung eines durchsetzbaren Rechts auf Verteidiger-Anwesenheit ist im Ergebnis also nicht feststellbar. Darüber hinaus müsste ein Interesse der Allgemeinheit das Interesse an einer wirksamen Verteidigung überwiegen, um eine generelle Einschränkung des Beistandsrechts zu legitimieren. Gerade bei der Abwägung von Interessen der Allgemeinheit mit Interessen des Einzelnen ist erhebliche Vorsicht walten zu lassen, da die Gefahr besteht, allein durch die zahlenmäßig immense Überlegenheit ‚der Allgemeinheit‘ Individualrechte gänzlich zu nivellieren.5 2.  Interessen der Strafrechtspflege Rechte des Gerichts oder des Vorsitzenden können für die Einschränkung von Verteidigungsrechten nicht von Belang sein. Die ‚Terminshoheit‘ des Vorsitzenden ist kein Recht, welches beeinträchtigt werden könnte. Interessen der Strafrechtspflege können nur als Ausfluss von Interessen der Allgemeinheit Beachtung finden. Eine Belastung der Strafrechtspflege könnte in einer höheren Terminbelastung der Spruchkörper oder der Erhöhung der Arbeitsbelastung bestehen. Eine höhere Arbeitsbelastung außerhalb der Hauptverhandlung wird durch die Organisation von Terminverlegungen oder Terminabsprachen befürchtet. Dagegen wird zu Recht eingewandt, dass eine kurze telefonische Absprache weit weniger Arbeitsbelastung mit sich bringt als die Beschwerde gegen einen abgelehnten Verlegungsantrag oder gar eine Revision –  und somit eine ggf. erneute Hauptverhandlung.6 Die Terminslage der Gerichte kann nur bei einer kurzfristigen Verhinderung belastet werden. Wird bereits im Vorfeld auf die Terminbelange der Verteidigung Rücksicht genommen, bewirkt dies keine Erhöhung der Gesamtzahl der Termine. Ergibt sich eine Verhinderung erst nach der Terminierung, aber noch in ausreichendem Abstand zur Verhandlung, können freiwerdende Termine noch mit anderen – möglicherweise eilbedürftigen – Verfahren Chr.  Laue GA 2005, 648 (661 f.). Paeffgen/Wasserburg GA 2012, 535 (535). 5  Vgl. u. a. Ignor JURA 1994, 238 (241); Köhler ZStW 107 (1995), 10 (18 f.); vgl. auch Hassemer StV 1982, 275 (277). 6  Burmann NZV 1996, 165 (166). 3 Vgl. 4 

332

Fazit

belegt werden. Insoweit entsteht also keine stärkere Terminbelastung der Gerichte, sondern es wird eine Beschleunigung eines anderen Verfahrens herbeigeführt.7 Dass ein Termin nicht neu belegt werden kann oder durch vorher und nachher terminierte Verhandlungen aufgefüllt wird, betrifft nur einen geringen Teil der Verhinderungen. Auch in diesen Fällen kann die Arbeitszeit selbstverständlich dennoch genutzt werden. Ein positiver Einfluss der Stärkung der Rechtsposition der Verteidigung vor Beginn der Hauptverhandlung könnte zudem in der Vermeidung von Terminanträgen in der laufenden Hauptverhandlung liegen. Die Gefahr eine erheblich erhöhten Arbeits- oder Terminbelastung ist also gering. Würde eine solche Gefahr vorliegen, könnte sie nur dann einen Einfluss auf das Beistandsrecht haben, wenn der Beeinträchtigung der Arbeit der Gerichte nicht anderweitig begegnet werden könnte. Zudem müsste die Beeinträchtigung der Strafrechtspflege gegenüber dem Verteidigungsrecht überwiegen oder zumindest gleichrangig sein. Die Arbeits- und die Terminbelastung betreffen eine Beeinträchtigung der Gerichte, die ausschließlich im ökonomischen Bereich liegt. Die inhaltliche Tätigkeit ist nicht betroffen. Die Ressourcen des Gerichts sind kein unveränderbarer Faktor. Die Ressourcen der Gerichte können zwar nicht grenzenlos erweitert werden, aber ein lediglich erhöhter Aufwand muss in Kauf genommen werden, um wesentliche Verteidigungsrechte zu gewähren.8 Der Staat ist gerade bei einer aus Sicht des Einzelnen so übermächtigen Angelegenheit wie der Strafverfolgung zur Zurückhaltung bei der Einschränkung von subjektiven Rechten verpflichtet. Entsprechend verbietet es sich, Rechte des Einzelnen einzuschränken, wenn keine elementare, sondern eine bloß organisatorische Beeinträchtigung der staatlichen Organe zu befürchten ist.9 Terminressourcen sind effizient zu nutzen und personelle Ressourcen sachgemäß einzusetzen. Die grundsätzliche Verpflichtung, öffentliche Mittel ökonomisch zu nutzen bezieht sich jedoch nur auf die Auswahl zwischen Alternativen, die hinsichtlich der Umsetzung von Verfahrensgrundsätzen gleichwertig sind. Dies ist bei der Einschränkung des Beistandsrechts nicht der Fall. 3. Beschleunigungsgebot Auch die Beachtung des Beschleunigungsgebots steht der terminlichen Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers nicht entgegen. Das BeschleunigungsgeLG Oldenburg StV 2008, 479; Burmann NZV 1996, 165 (166). Vgl. BVerfGE 36, 264 (272 ff.); StV 2015, 39 (41 f.); Albrecht NJ 1994, 396 (399); Köhler ZStW 107 (1995), 10 (18 f.); Meyer-Goßner/Ströber ZRP 1996, 354 (357); Rieß StraFo 2000, 364 (367). 9 Vgl. Köhler ZStW 107 (1995), 10 (18 f.). 7  8 

I.  Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts

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bot besteht ausschließlich zum Schutz des Angeklagten vor einer unnötigen Belastung durch die Dauer des Verfahrens. Dadurch ist aus gleich drei Gründen ausgeschlossen, dass das Beschleunigungsgebot die Ablehnung eines Terminanspruchs begründen könnte. Adressat des Beschleunigungsgebots sind ausschließlich die Strafverfolgungsbehörden – nicht der Angeklagte, nicht die Verteidigung. Das Verteidigungsrecht mit Hinweis auf den Schutz des Angeklagten einzuschränken, ist widersprüchlich und paternalistisch. Das Beschleunigungsgebot untersagt unnötige, also unsachgemäße Verfahrensverzögerungen. Verursacht die Gewährleistung des Beistandsrechts eine Verzögerung, ist dies eine sachgemäße Verzögerung. Zudem ist der Anspruch auf eine beschleunigte Durchführung des Verfahrens ein subjektives Recht des Angeklagten. Damit steht die Abwägung, ob der Anwesenheit des Verteidigers mehr Bedeutung zukommt als der unverzögerten Durchführung des Verfahrens, dem Anklagten zu. 4.  Missbrauchsgefahr Die Befürchtungen eines Missbrauchs des Anwesenheitsrechts lassen sich empirisch nicht untermauern und widersprechen in der überwiegenden Anzahl der Fälle der Interessenlage. Sie taugen auch deshalb nicht zur Begründung für den allgemeinen Ausschluss eines Terminanspruchs, da ein solcher Terminanspruch einen sachlich begründeten Verlegungsantrag voraussetzt und somit die missbräuchliche Nutzung weitgehend ausschließt. Eine lediglich in Extremfällen denkbare Verfahrenssabotage durch ständigen Verteidigerwechsel lässt sich auch ohne eine generelle Einschränkung des Verteidigungsrechts verhindern (Vgl. S. 330; ausf. S. 323  ff.).

II.  Rechtspraxis widerspricht gesetzlichen Vorgaben Durch die terminliche Ermöglichung der Anwesenheit des Verteidigers werden keine ebenso gewichtigen Interessen erheblich beeinträchtigt. Das Recht auf Beistand durch einen frei gewählten Verteidiger besteht jederzeit und ist während der Hauptverhandlung besonders bedeutend. §  137 Abs.  1 S.  1 StPO gewährt dieses Recht für alle Verfahren ohne eine Differenzierung nach der Bedeutung und Schwierigkeit der Fälle. All dies zusammengenommen führt dazu, dass es keine sachgemäßen Ermessenskriterien gibt, anhand derer das Gericht differenzieren könnte, ob eine Verhandlung ohne Verteidiger möglich ist oder nicht. Die in ständiger Rechtsprechung praktizierte Abwägung führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit, da weder die Wertigkeit der abgewogenen Interessen deutlich wird, noch die Interessen selber klar benannt werden. Wird auf der einen Seite kaum deutlich, dass es sich um eines der grundlegendsten Angeklag-

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Fazit

tenrechte handelt, welches zur Erfüllung der durch das Grundgesetz und die EMRK an den Strafprozess gestellten Anforderungen bedeutend ist, verschwimmt auf der anderen Seite hinter Schlagworten wie dem „Interesse der Justiz an einer reibungslosen Durchführung des Verfahrens“, dass auf der Gegenseite der Abwägungsschale vor allem der eigene Arbeitsaufwand des entscheidenden Vorsitzenden steht. Zudem ist die herrschende Gesetzesanwendung widersprüchlich. Es ist anerkannt, dass in vielen Fällen eine Verhandlung ohne Verteidiger nicht dem fairen Verfahren entspricht und somit –  t rotz §  228 Abs.  2 StPO  – nicht rechtmäßig ist. Zugleich wird §  228 Abs.  2 StPO weit über seinen normierten Anwendungsbereich hinaus angewandt und so das Recht aus §  137 Abs.  2 S.  1 StPO weiter als gesetzlich vorgesehen eingeschränkt. Legt man die für die Verhandlung in Anwesenheit des Verteidigers relevanten Normen nach der üblichen Methodik und unter Beachtung von Grundgesetz und EMRK aus, kommt man zu folgendem Ergebnis: 1.  Vor Beginn der Hauptverhandlung §  213 StPO beinhaltet keine ‚Terminshoheit‘, sondern die Zuständigkeit des Vorsitzenden für die Terminierung unter Berücksichtigung der Verfahrensinteressen und Belange der Beteiligten. Aufgrund der Bedeutung des Beistandsrechts ist die Terminierung so vorzunehmen, dass die Anwesenheit des Verteidigers der Wahl tatsächlich möglich ist. §  213 StPO erfasst sowohl die erste Terminierung als auch alle Verschiebungen des Termins vor Eröffnung der Verhandlung. Auch nach erfolgter Terminierung muss die Verhinderung des Verteidigers zwingend berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für eine kurzfristige Verhinderung des Verteidigers. Hier mögen aufgrund der Kurzfristigkeit organisatorische Beeinträchtigungen entstehen, jedoch ist gerade aufgrund der Kurzfristigkeit das Verteidigungsinteresse des Angeklagten in erhöhtem Maße betroffen, so dass das Verteidigungsrecht dennoch gegenüber anderen Interessen überwiegt. 2.  Nach Beginn der Hauptverhandlung Erst nach der Eröffnung der Hauptverhandlung ist §  228 StPO anwendbar. Eine Eröffnung der Hauptverhandlung trotz Ausbleibens des Verteidigers ist eine bewusste Umgehung der Rechte des Angeklagten, wenn nunmehr auf die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO verwiesen wird. Grundsätzlich ist §  228 Abs.  1 StPO iVm §  265 Abs.  4 StPO einschlägig. Die Einbeziehung des §  137 Abs.  1 S.  1 StPO führt bei einer sachlich begründeten Verhinderung des Verteidigers zur Verpflichtung die Verhandlung zu unterbrechen, da eine Ermessensreduzie-

I.  Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts

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rung auf null vorliegt. Wenn das Ausbleiben nicht sachlich begründet ist, kann eine Unterbrechung im Hinblick auf den Schutz des Angeklagten dennoch dem pflichtgemäßen Ermessen entsprechen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Angeklagte mit dem Verteidiger kollusiv zusammengewirkt hat. Denn zu entscheiden ist nicht über einen Terminanspruch des Verteidigers, sondern über die Verteidigungsrechte des Angeklagten. §  228 Abs.  2 StPO ist nur dann in die Entscheidung nach §  265 Abs.  4 StPO einzubeziehen, wenn die Verhinderung des Verteidigers eine Aussetzung notwendig werden lässt. Ist der Verteidiger innerhalb der Frist des §  229 StPO verfügbar, führt nicht die Verteidigung, sondern der Spruchkörper die Aussetzung herbei. Nach herrschender Ansicht wird die in §  228 Abs.  2 StPO enthaltene Einschränkung des Verteidigungsrechts durch die Verantwortung des Angeklagten gerechtfertigt. Die Verantwortung des Angeklagten liegt nach insoweit zutreffender allgemeiner Ansicht in der Auswahl des Verteidigers. Ist der Verteidiger zunächst verfügbar und tritt während der Hauptverhandlung eine Veränderung der Lage ein, so liegt diese Entwicklung in der Regel nicht in der Verantwortung des Angeklagten. Die Wertung des §  228 Abs.  2 StPO trifft somit auf die allermeisten Anwendungsfälle nicht zu, so dass regelmäßig auch im grundsätzlichen Anwendungsbereich des §  228 Abs.  2 StPO eine Verhandlung in Abwesenheit des Verteidigers einem rechtsstaatlichen Verfahren widerspricht.

III. Ausblick 1. Reformvorschläge a)  Vor Beginn der Hauptverhandlung Um das verfassungsgemäße Recht auf jederzeitigen Verteidigerbeistand effektiv zu gewähren und die derzeit vor allem auf rechtsunsicherer Abwägung beruhende Rechtsprechung zu konkretisieren, empfiehlt sich eine klarstellende Regelung, die eine zwingende Beachtung der Verfügbarkeit des Verteidigers bei der Terminierung vorschreibt. Um spätere Verlegungen und damit einhergehende Verzögerungen oder Belastungen Dritter zu vermeiden, ist eine Terminabsprache vorzunehmen. Des Weiteren sollte ein Anspruch auf Terminverlegung normiert werden, der besteht, wenn nach erfolgter Terminierung eine Verhinderung eintritt. Auch wenn der Verteidiger erst nach erfolgter Terminierung gewählt wird, muss einem sachgemäßen Antrag auf Verlegung in der Regel entsprochen werden, da die Freiheit der Wahl nicht durch rein organisatorische Belange eingeschränkt werden darf. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist eine Ablehnung des An-

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Fazit

trags nach pflichtgemäßem Ermessen möglich, wenn von einer bewussten Verfahrenssabotage durch den Angeklagten auszugehen ist. b)  Nach Beginn der Hauptverhandlung Die Regelung des §  228 Abs.  2 StPO ist zu streichen, da sie die Verteidigung erheblich und sachlich unangemessen beeinträchtigt. Tritt eine Verhinderung erst während der laufenden Verhandlung ein, liegt dies in aller Regel nicht in der Verantwortung des Angeklagten. Unterbrechungen sind zur Ermöglichung der Teilnahme des Verteidigers hinzunehmen. Aussetzungen sind möglichst zu vermeiden, aber in Ausnahmefällen ebenfalls hinzunehmen, da die Gewährleistung einer sachgemäßen Verteidigung ein hinreichender Grund zur Aussetzung ist. Die Strafverfolgungsbehörden müssen über eine ausreichende Ausstattung und Flexibilität verfügen, um Aussetzungen so weit als möglich zu verhindern. Ebenso ist die Aufnahme des Verteidigers in die Personengruppe des §  229 Abs.  3 StPO zu erwägen. Wählt der Angeklagte während der Hauptverhandlung einen neuen Vertei­ diger, liegt eine mögliche Verhinderung im Risikobereich des Angeklagten. Dies kann bei der Entscheidung über eine Aussetzung berücksichtigt werden, dennoch muss das Verteidigungsrecht in der Regel gewährleistet werden. In Ausnahmefällen kann allerdings eine Verhandlung ohne (den neuen) Verteidiger sachgemäß sein. Daher ist gesetzlich festzuhalten, dass eine Aussetzung im Ermessen des Gerichts liegt, welches in der Regel die Teilnahme zu ermöglichen hat. 2.  Vergleichbare Verfahrenssituationen Die gefundenen Ergebnisse können weitestgehend auch auf die effektive Umsetzung von Anwesenheitsrechten im Ermittlungs- und Vollstreckungsverfahren übertragen werden. Auch im Ermittlungsverfahren müssen bestehende Rechte wirksam sein und somit die Anwesenheit nicht nur theoretisch erlaubt, sondern auch praktisch ermöglicht werden. Ausreichende Gründe, die einer Beachtung der Terminslage des Verteidigers entgegenstehen, liegen nur während der ersten Tage nach einem möglichen Tatgeschehen vor, da hier die Ermittlungen durch eine Zeitverzögerung beeinträchtigt werden können (vgl. S. 221  ff.). Trotz des Interesses an einer zügigen Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen ist auch in den ersten Tagen soweit als möglich auf die terminliche Verhinderung Rücksicht zu nehmen. Teilt der Verteidiger mit, später am Tage zu Verfügung zu stehen, muss eine Vernehmung, richterliche Anhörung oder Gegenüberstellung aufgeschoben werden (vgl. S. 59).

I.  Keine ausreichenden Gründe zur Einschränkung des Beistandsrechts

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Des Weiteren muss die herausgearbeitete Interessenlage auch bei der notwendigen Verteidigung beachtet werden. Soweit der Verteidiger nur temporär terminlich verhindert ist und nicht über eine unabsehbare Zeit unabkömmlich, stellt die Verhinderung weder einen wichtigen Grund iS des §  142 Abs.  1 S.  2 StPO dar noch legitimiert sie eine Entpflichtung in analoger Anwendung des §  143 StPO.10

10  So auch LG Magdeburg StraFo  2014, 421 (Rn.  5), insoweit nicht abgedr.; vgl. MüKoStPO/Thomas/Kämpfer §  142 Rn.  13 mwN.

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Sachregister § 137 StPO  4 f., 48, 60 f., 71, 81 ff., 89 ff., 152 ff., 157, 161 f., 163, 265 f., 268, 275, 291 f., 295 f., 326 f., 333 f. §§ 140 ff. StPO  siehe notwendige Verteidigung §§ 153 ff. StPO  132 § 213 StPO  5 f., 12, 17 f., 62 f., 70, 257 ff., 270, 297 f., 299 ff., 334 § 228 Abs. 2 StPO  6 f., 17 f., 21 ff., 32, 60 f., 63 ff., 244, 260, 266 f., 270 f., 274 ff., 298 f., 310, 334 f., 336 § 229 StPO  178, 272 ff., 290 f., 326 § 275b f. StPO  siehe Verständigung § 265 Abs. 4 StPO  7, 14, 18, 63, 244, 277 f., 280 ff., 292, 295, 334 f. Art. 103 GG  91, 93 ff., 158 Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK  23, 27, 71, 97 f., 151 f., 158, 293 f., 301 f., 329 Abwägung  siehe Ermessen Akteneinsicht  132 f. Aussetzung  6 f., 44, 63 ff., 178, 199, 226, 272 ff., 291 ff., 327 Befangenheit  12, 28, 39 Beschleunigung  19 f., 27 f., 30, 45, 51 f., 53 f., 76, 78, 165 ff., 260, 268 Beschwerde  siehe Rechtsmittel Deal  siehe Verständigung Effektive Verteidigung  97 f., 151 f., 158 ff., 265 f., 329 Erinnerung  222 ff. Erkrankung  22, 26, 35 f., 57, 191, 256, 269, 272, 281, 326 Ermessen  12 f., 30 f., 55 f., 62, 74 ff., 179 f., 257 ff., 275 f., 283 f., 297, 333

Ermittlungsverfahren  3 f., 101, 201, 222 ff., 227 f., 336 Finanzielle Aspekte  41 f., 54, 81, 161, 249, 252, 256, 322; siehe auch Ressourcen Fürsorge  17, 55, 60 f., 74 ff., 144 f., 252, 260, 280, 288, 297, 329 Geschädigte  173, 206 f., 225 f., 269 Großverfahren  siehe Umfangsverfahren Jugendliche  78, 104, 110, 113 f., 198, 214 ff. Kollidierende Verhandlungstermine  35 f., 53, 235, 242, 272, 306, 319, 326, 328 Konzentrationsmaxime  69, 172, 178, 256, 260 ff., 269, 273, 279, 290 f. Laie  38, 84, 93 f., 105, 111 ff., 153 Mammutverfahren  siehe Umfangsverfahren Missbrauch  18, 190, 241 ff., 177, 182, 241 ff., 278, 310, 316, 322 ff., 327, 333 Mitangeklagte  38, 51 ff., 131, 135, 169, 176, 186, 310 f. Nebenklage  27, 38, 81 f., 231 Notwendige Verteidigung  4, 15 f., 22 ff., 35, 51 ff., 66, 81 ff., 98 ff., 144, 153 f., 158, 162, 187, 244, 277, 305, 337. Ordnungswidrigkeiten  14, 31, 54 f., 85 f., 237 Rechtsmittel  12 ff., 152, 261, 266, 298, 309, 316

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Sachregister

Ressourcen  79, 172, 174 f., 177, 179, 189, 192, 195 f., 201 ff., 235, 237, 239 f., 254, 318 f., 326, 332 Revisionsbegründung  25 ff. Sabotage des Verfahrens  siehe Missbrauch Selbstbelastungsfreiheit  133 f.  Strafzwecke  170 f., 174, 206, 209 ff. Subjektstatus  92, 95, 97, 101, 105 f., 136 ff., 141 ff., 159, 162, 186 ff., 251 f. Terminabsprache  16, 23, 27, 29 f., 33 f., 48 f., 53, 79, 176, 192, 198 f., 228, 236, 255 f., 262 ff., 265 f., 300 ff., 310, 312 ff., 328 Terminplanung  28, 160, 184, 235 f., 260 ff. Umfangsverfahren  27 ff., 51, 229 f., 239, 310 f., 327 f. Unschuldsvermutung  93, 106 f., 145 ff., 151, 248, 251 f., 322 Unterbrechung  6 f., 44, 63 ff., 178, 199, 255, 272 ff. 281 f., 289 ff., 327 Untersuchungshaft  16, 20, 22, 24 ff., 34, 51 ff., 78, 168 f., 176, 180, 186 f., 310 f. Urlaub  23, 35 f., 47 f., 51 f., 58 f., 235

Verständigung  131 Verschleppungsabsicht  siehe Missbrauch Verteidigungswissen  85, 138 f., 155 f., 159 f., 162 f., 250 f. Vertrauen  32 f., 36, 41 f., 81, 97, 141 f., 157 ff., 162 f., 270 Vorbereitung der Verteidigung  4, 7, 22 f., 29, 33, 36 f., 40 f., 160 f., 177 f., 241 f., 256, 262, 265, 270, 273 Vorbereitung der Hauptverhandlung  63, 145 f., 168, 198, 201, 255 ff., 299 ff. (Freie) Wahl des Verteidigers  21 ff., 32 ff., 39 ff., 47 51 ff., 81 f., 90, 157 ff., 256, 268, 270, 279 f., 315, 320 ff. Wahrheitsfindung  140, 145, 148, 170, 172 f., 221 ff. Wechsel  26, 32, 40 f., 81, 157, 160 ff., 243, 245, 251 f., 256, 273 Zeugen  20 f., 23, 27, 37, 43, 46, 78, 126, 135, 172 f., 221 ff., 256, 269, 273 Zwecke des Strafverfahrens  170 f., 202 f., 204, 206 ff.