Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des nicht-militärischen Vorgesetzten: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu Artikel 28 IStGH-Statut [1 ed.] 9783428533428, 9783428133420

Haften zivile Vorgesetzte, wenn sie Straftaten ihrer Untergebenen nicht verhindern?Nora Karsten untersucht in einer brei

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German Pages 465 Year 2010

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Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des nicht-militärischen Vorgesetzten: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu Artikel 28 IStGH-Statut [1 ed.]
 9783428533428, 9783428133420

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Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 54

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des nicht-militärischen Vorgesetzten Von Nora Karsten

Duncker & Humblot · Berlin

NORA KARSTEN

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des nicht-militärischen Vorgesetzten

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von C l a u s K r e ß, C o r n el i u s Ne s t l e r J ü r g e n S e i e r, M i c h a el Wa l t e r S u s a n n e Wa l t h e r, T h o m a s We ig e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 54

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des nicht-militärischen Vorgesetzten Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu Artikel 28 IStGH-Statut

Von Nora Karsten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Wintersemester 2008/2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-13342-0 (Print) ISBN 978-3-428-53342-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83342-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Nach der mündlichen Prüfung wurde die in der Zwischenzeit ergangene Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale und die erste Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs zu Art. 28 IStGH-Statut, die Entscheidung über die Anklagevorwürfe im Fall Bemba vom 15. Juni 2009, eingearbeitet. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Weigend für die hervorragende Betreuung der Dissertation. Mein Dank gilt ebenfalls Prof. Dr. Claus Kreß für die Erstellung des Zweitgutachtens. Ich danke auch Prof. Dr. Jörg Arnold, der mich nicht nur zu einer Dissertation ermutigt hat, sondern auch bei der Suche und Vermittlung des richtigen Doktorvaters behilflich war. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe „Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften“. Mein Dank gilt vielen weiteren Menschen, die mir bei der Erschließung der ausländischen Rechtsordnungen geholfen haben. Namentlich nennen möchte ich Prof. Dr. Merab Turawa, ohne den viele Fragen des georgischen Rechts offen geblieben wären, Dr. Tatjana Lesnieva-Kostareva für die Unterstützung bei der Erarbeitung des russischen Rechts, Dr. Emily Silverman für wichtige Tipps zum US-amerikanischen Recht sowie Prof. Dr. Frank Höpfel für die freundliche Hilfe bei der Erschließung der Literatur zum österreichischen Recht. Meinem „Doktorbruder“ Dr. Boris Burghardt, der ungefähr zur gleichen Zeit eine Dissertation zur Vorgesetztenverantwortlichkeit verfasst hat (Die Vorgesetztenverantwortlichkeit im völkerrechtlichen Straftatsystem, Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2008), danke ich für viele anregende Diskussionen in Berlin. Schließlich schulde ich meinem Mann Mike Korherr großen Dank, da ich ohne sein Verständnis und seine Unterstützung die Dissertation neben meiner Beschäftigung am Jugoslawien-Tribunal nicht hätte zum Abschluss bringen können. Den Haag, im Januar 2010

Nora Karsten

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

Erster Teil

Entstehung und Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

29

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . I. Geburt der Command Responsibility: Der Fall Yamashita . . . . . . . . . . . . II. Das Tokio-Urteil und die Urteile gegen Flick und Röchling . . . . . . . . . . III. Kodifizierung der Command Responsibility: Art. 86 Abs. 2 ZP I . . . . . . ˇ elebic´i-Urteile . . . IV. Dogmatisierung der Command Responsibility: Die C 1. Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zivile Vorgesetzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) De jure und de facto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatsächliche Kontrolle (Effective control) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wissenselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterlassenselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anwendbarkeit der Command Responsibility auf zivile Vorgesetzte . . .

29 29 31 34 38 40 40 41 42 43 44 45

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale . . . . . . . . . . . I. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals . . II. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung des Ruanda-Tribunals . . . . . . . III. Das Konzept des zivilen Vorgesetzten in der Rechtsprechung der Adhoc-Tribunale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 47 53 57 59

Zweiter Teil

Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Artikel 28 IStGH-Statut A. Allgemeines zur Auslegung des Römischen Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wortlaut des Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematische Stellung des Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entstehungsgeschichte des Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 62 64 65

8

Inhaltsverzeichnis

B. Normanalyse des Artikel 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die gemeinsamen Merkmale des Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektive Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgesetzter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorgesetzte und Untergebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorgesetzte de jure und de facto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strukturelle und tatsächliche Vorgesetztenstellung . . . . . . . . . . dd) Militärische und nicht-militärische hierarchische Strukturen b) Tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterlassen des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbrechen durch Untergebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderliche und angemessene Maßnahmen, in der Macht des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhinderung oder Unterbindung der Verbrechen oder Übergabe an Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbrechen als Folge des Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wissen oder Nicht-Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 28 und Art. 30 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die unterschiedlichen Merkmale nach Artikel 28 a) und b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusätzliches objektives Merkmal: Art. 28 b) ii) IStGH-Statut . . . . . . . 2. Unterschiedliche subjektive Merkmale: Art. 28 a) i) IStGH-Statut und Art. 28 b) i) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit und Modifizierungen in Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68 69 69 69 70 71 76 76 80 80 81 82 83 85 85 86 87 87 88 91

Dritter Teil

Rechtsvergleich

93

Erstes Kapitel Vorgesetztenverantwortlichkeit im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht

93

A. Allgemeines zum Strafrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz . . .

95

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 4 VStGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen und Art. 28 b) i) IStGH-Statut . . . . . . . . a) Dolus directus und Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dolus eventualis und Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98 100 100 101 103 104 105

Inhaltsverzeichnis

9

4. Begriff des militärischen und zivilen Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 13 VStGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut . . . 3. Subjektive Voraussetzungen und Art. 28 b) i) IStGH-Statut . . . . . . . . 4. Begriff des militärischen und zivilen Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schweizer Reformvorhaben zur Vorgesetztenverantwortlichkeit . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut . . . 3. Subjektive Voraussetzungen und Art. 28 b) i) IStGH-Statut . . . . . . . . 4. Begriff des militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten . . . . . IV. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . .

107 107 107 109 110 112 116 117 118 120 122 124 124

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften . . . . . . . . . . I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland: Mangelnde Dienstaufsicht nach § 41 dWStG . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkungen: Grenzen der Aufsichtspflicht – Militärischer Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen: Fahrlässigkeit ausreichend . . . . . . . . d) Begriff des militärischen Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgesetztenverantwortlichkeit im österreichischen Militärrecht . . . . 3. Vorgesetztenverantwortlichkeit im schweizerischen Militärrecht . . . . a) Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 114 a schweizMilStG-E b) Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 139 schweizMilStG (Plünderung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 109 schweizMilStG . . . d) Der Fall Niyonteze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amtsträgerhaftung in Österreich und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschehenlassen einer rechtswidrigen Tat eines Untergebenen nach § 357 Abs. 1 Var. 3 dStGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkungen: „wenn die Tat die zur Aufsicht und Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft“ – Straftat „im Amt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen: Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des Vorgesetzten/Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern III. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spezialgesetzliche strafrechtliche Haftung des Betriebsinhabers, insbesondere im Recht des unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 126 126 127 128 129 130 131 131 131 133 133 134 136 136 136 137 138

139 140 141 143 144 144

10

Inhaltsverzeichnis a) Strafrechtliche Haftung des Betriebsinhabers nach §§ 4 Abs. 2, 15 Abs. 2 dUWG a. F. und Art. 14 schweizUWG a. F. . . . . . . . . . . b) Haftung des Betriebsinhabers nach § 19 öUWG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fragmentarisch kodifizierte Geschäftsherrenhaftung in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ordnungswidrigkeiten- bzw. verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung des Betriebs-/Unternehmensinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung des Betriebs-/Unternehmensinhabers nach § 130 OWiG aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektive Haftungseinschränkung: „die den Inhaber betreffen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Subjektive Voraussetzungen: Vorsatz oder Fahrlässigkeit . . . . dd) Begriff des Betriebs- bzw. Unternehmensinhabers . . . . . . . . . . b) Haftung des Betriebsinhabers nach Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG und § 9 Abs. 6 öVerwStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln . . I. „Unterlassung der Verhinderung einer Straftat“ nach § 286 öStGB . . . . . II. Haftung wegen des Nichtverhinderns von Straftaten nach Regeln des unechten ungeschriebenen Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Amtsträger als Garanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeitsbereich und dienstliche Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unternehmensleiter als Garanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Geschäftsherrenhaftung“ in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Bührle-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeitsbereich – Betrieblicher Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung des Unternehmensleiters in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektive Haftungseinschränkung: Betriebsbezogenheit und Geschäftsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln des unechten Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I. Haftung von Amtsträgern als Vorgesetzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 II. Haftung von Unternehmensleitern als Vorgesetzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Inhaltsverzeichnis

11

Zweites Kapitel Vorgesetztenverantwortlichkeit im französischen Strafrecht A. Das französische Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Völkerstrafrecht in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeines zum Strafrecht in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 213-4-1 frzStGB-E . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Haftungseinschränkung: „alors que ce crime était lié à des activités relevant de sa responsabilité ou de son contrôle effectifs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen: „savait [. . .] ou a délibérément négligé de tenir compte d’informations qui l’indiquaient clairement“ . . . . . . . a) Fahrlässigkeit im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 28 b) i) IStGH-Statut und Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB . . . . . . 4. Der Begriff des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 462-7 frzStGB-E . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften . . . . . . . . . . I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht: Art. L. 122-4 frzMilG 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Haftungseinschränkung: Kriegsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Begriff des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . . II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern: Art. 432-5 frzStGB . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Haftungseinschränkung: in Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung der Funktionen oder Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Amtsträger als Vorgesetzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern III. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bloße Auferlegung von Geldstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Direktorenhaftungsklauseln: Art. L 541-48 frzUmweltGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen: Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des Leitungspersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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194 195 195 197 199 199 200 200 201 201 202 202 203 203 203 204 205 205 206 207 207 207 208 209 209 209 210 210

12

Inhaltsverzeichnis

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln . . I. Keine commission par omission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtverhindern von Straftaten nach Art. 223-6 Abs. 1 frzStGB . . . . 2. Subsumtion unter Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Direktorenhaftung – Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen (responsabilité du fait d’autrui) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Haftungseinschränkung: Bei Verrichtung der Unternehmenstätigkeit (à l’occasion de fonctionnement de l’entreprise) . . . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leiter eines reglementierten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Delegierung – Keine Doppelverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln . . . . . . . . . . . . .

210 210 211 212 213 215 216 217 221 221 222

E. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Drittes Kapitel Vorgesetztenverantwortlichkeit im russischen, belorussischen und georgischen Strafrecht A. Der I. II. III.

225

postsowjetische Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reform der Strafgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl der Vertreterländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines zum postsowjetischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verbrechensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Aufbau der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objekt, objektive Seite – Subjekt, subjektive Seite . . . . . . . . . . . . . b) Dreistufiger Aufbau in Georgien – Vierstufiger Aufbau in Russland und Belarus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterlassensdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 227 229 234 234 237 237 239 239

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut: Anmerkung im georgischen Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Subjektive Voraussetzungen: Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begriff des Befehlshabers und anderer Führungspersonen . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . .

241 243 244 245 246 247

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften . . . . . . . . . . . I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung des militärischen Vorgesetzten in Russland . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . .

248 248 248 249 250

Inhaltsverzeichnis

13

c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des militärischen Befehlshabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Unterlassen während eines bewaffneten Konflikts“: Art. 137 Abs. 1 belorussStGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkung: Im Rahmen der Befugnisse – Bewaffneter Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des Vorgesetzten und Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gesellschaftliche Gefährlichkeit – Geringfügigkeit . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern: „Pflichtvergessenheit/ Unterlassen im Dienst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundtatbestand der Pflichtvergessenheit und des Unterlassens im Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteile des Obersten Gerichts der UdSSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 425 belorussStGB „Unterlassen im Dienst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeit – Dienstwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 250 250

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln . . I. Haftung nach den Grundsätzen des unechten ungeschriebenen Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Haftungseinschränkung: Rechtspflicht zum Handeln – Gesellschaftliche Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besondere Teilnahmeformen: Das „Geschehenlassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschehenlassen im russischen Gesetzbuch von 1845 und im sowjetischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschehenlassen im postsowjetischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251 251 252 253 254 255 256 256 256 258 261 262 263 263 264 264 265 267 267 267 268 270 270 271

E. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im russischen, belorussischen und georgischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

14

Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel Vorgesetztenverantwortlichkeit im US-amerikanischen, kanadischen und englischen Strafrecht

274

A. Der angloamerikanische Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 I. Umsetzungsgesetze in England und Kanada – Blockadegesetze der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Allgemeines zum Straf- und Militärstrafrecht in den USA, Kanada und England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. England: „Verantwortlichkeit des Befehlshabers und eines anderen Vorgesetzten“ (Abschnitt 65 brit-IStGHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive, haftungseinschränkende Merkmale: „the crimes concerned activities that were within the effective responsibility and control of the superior“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen: „consciously disregarded information which clearly indicated“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begriff des militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten . . . . . . II. Kanada: „Pflichtverletzung durch einen militärischen Befehlshaber/ Vorgesetzten“ (breach of responsibility, Abschnitt 5 und 7 kanadIStGHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive, haftungseinschränkende Merkmale: „the offence relates to activities for which the superior has effective authority and control“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht-militärische Vorgesetzte: „consciously disregards information that clearly indicates“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Militärische Befehlshaber: Criminal negligence . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begriff des militärischen Befehlshabers/Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . .

282

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften und -regeln I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Command Responsibility in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Yamashita und Medina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Artikel 77, 92 US-MilGB: Beteiligung und Pflichtvernachlässigung (dereliction of duty) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Feldhandbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Command Responsibility in England und Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . . II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern und Unternehmensleitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307 307 307 307

282 283

284 285 288

291 295

297 298 301 302 304 305

308 311 312 314 314

Inhaltsverzeichnis 1. USA: Lehre vom Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer doctrine) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive, haftungseinschränkende Merkmale: Zuständigkeitsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung: strict liability und verschuldensabhängige Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) US-Modellstrafgesetzbuch: Rücksichtslosigkeit – willentliche Blindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. England: Direktorenhaftung (director’s liability) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeitsbereich . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriff des Direktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kanada: Direktorenhaftung (director’s liability) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern und Unternehmensleitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungspflichten aus Gesetz oder aus dem Recht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzpflichten und Überwachungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fallgruppe der „Kontrollgewalt“ (power to control) . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strikte Haftung und stellvertretende Haftung (strict liability, vicarious liability) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . .

15

316 316 318 319 319 321 323 324 325 328 328 331 332 337 338 338 338 340 343 347 350

E. USA: Command Responsibility und Schadensersatz für Menschenrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 F. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im US-amerikanischen, englischen und kanadischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

4. Teil

Gesamtbetrachtung und Auslegung von Artikel 28 IStGH-Statut

360

A. Der Kern der Vorgesetztenverantwortlichkeit und die besonderen Haftungsvoraussetzungen des Art. 28 b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter in nationalen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

16

Inhaltsverzeichnis I.

Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut in innerstaatliches Recht . . . . . . . . 1. Wörtliche Umsetzung und modifizierende Umsetzung . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzungsvorschriften und nicht-militärische Vorgesetzte . . . . . . . . . a) Normierung objektiver Merkmale wie Art. 28 b) ii) IStGH-Statut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichende subjektive Voraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter – Beschränkung auf bestimmte Gruppen von nicht-militärischen Vorgesetzten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sondervorschriften und Sonderregeln der Vorgesetztenverantwortlichkeit für nicht-militärische Vorgesetzte in den nationalen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sondervorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern . . . . . . . . . . . a) Sondervorschriften und Sonderregeln der Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Haftungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln, insbesondere des ungeschriebenen, unechten Unterlassens . . . . . . . . 1. Straftatverhinderungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handlungspflichten von Vorgesetzten in Behörde und Betrieb . . . . . . a) Aufsichts- und Kontrollpflichten über Personen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überwachungs- und Kontrollpflichten vermittelt über Sach- oder spezifische Betriebsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln . . . . . . . . . . . . .

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C. Exkurs: Ansätze einer Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Objektive Haftungseinschränkungen: Zuständigkeitsbereich und Unternehmensnützlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Subjektive Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begriff des Amtsträgers und Geschäftsherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

388 391

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391 392 393 393

Inhaltsverzeichnis

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D. Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 I. Kein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter vor Inkrafttreten der Umsetzungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 II. Auswirkung des Fehlens eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes . . . . . . . . 396 E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Heranziehung innerstaatlichen Strafrechts als Auslegungshilfe . . . . . . . . II. Die objektive Haftungseinschränkung nach Art. 28 b) ii) IStGH-Statut („crimes concerned activitities that were within the effective responsibility and control of the superior“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung auf den tatsächlichen Zuständigkeitsbereich . . . . . . . . . 2. Organisationsbezogenheit der Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die subjektiven Voraussetzungen nach Art. 28 IStGH-Statut . . . . . . . . . . 1. Das Vorsatz-Fahrlässigkeits-Problem der Vorgesetztenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unterschiede zwischen Art. 28 a) i) IStGH-Statut und Art. 28 b) i) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Begriff des nicht-militärischen Vorgesetzten – Die Abgrenzung zwischen einem militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten . . . . 1. Militärische und nicht-militärische Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung 1: Militärisch als Attribut der regulären Streitkräfte . . . . . 3. Auslegung 2: Militärische Befehlsbefugnisse wie in regulären Streitkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auslegung 3: Militärisch als Ausrichtung auf den bewaffneten Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. (Materieller) Grund für die Vorgesetztenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . 1. Beherrschung von Sachgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beherrschung spezifischer Betriebsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beherrschung von Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeinwohlgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beherrschung einer hierarchischen Organisationsstruktur . . . . . . . . . .

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400 400 404 409 409 411 415 415 417 418 420 421 422 422 423 423 424 425

Ausblick: Artikel 28 b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

Einleitung Das Völkerstrafrecht befasst sich mit den „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“.1 Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (Römisches Statut, IStGH-Statut), das am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, nennt in diesem Zusammenhang Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression.2 Den völkerrechtlichen Verbrechen ist es eigen, dass die konkrete Einzeltat jeweils im Kontext „systematischer und organisierter Gewalt“3 steht. Völkerrechtliche Verbrechen werden zumeist eingebettet in staatliche oder nicht-staatliche Organisationsstrukturen begangen. Selten sind sie das Werk von Einzeltätern, sondern ohne die Unterstützung, Förderung oder zumindest Duldung von dahinter stehenden Machtapparaten oft gar nicht denkbar. So erklärt sich das Bedürfnis, nicht nur die unmittelbaren oder ausführenden Täter, sondern auch die Führungspersonen zur Verantwortung zu ziehen, selbst wenn sie lediglich als „Schreibtischtäter“ aktiv oder passiv im Hintergrund gewirkt haben.4 Zum ersten Mal in der Geschichte wurden im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess5 und im Tokioter Kriegsverbrecherprozess6 Führungspersonen aus Militär, Politik und Wirtschaft vor internationalen Gerichten zur 1 Präambel Abs. 4 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 10.12. 1998, BGBl. 2000 II, 1394, UNTS No. 38544; auch „Römisches Statut“ genannt. 2 Art. 5 IStGH-Statut, allerdings mit Einschränkung hinsichtlich des Verbrechens der Aggression. 3 Auch „internationales Element“ genannt; Werle, Völkerstrafrecht, S. 34 Rn. 80 ff. 4 Das Bedürfnis äußerte sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg, als die „Commission on the Responsibility of the Authors of War and Enforcement of Penalties“ in ihrem Bericht an die vorbereitende Friedenskonferenz in Versailles im März 1919 die gerichtliche Verfolgung derjenigen Personen vorschlug, die Kriegsrechtsverletzungen entweder angeordnet oder nicht verhindert haben, Report of the Commission on the Responsibility of the Authors of War and and Enforcement of Penalties, abgedruckt in: AJIL 1920, 95. 5 International Military Tribunal, The Trial of German Major War Criminals, 23 Bde., 1945–1951; Amtlicher Text des Nürnberger Urteils im Hauptkriegsverbrecherprozess in deutscher Sprache: Das Urteil von Nürnberg, 6. Aufl., 2005. 6 Röling/Rüter, International Military Tribunal for the Far East, 1977; Pritchard/ Zaide, The Tokyo War Crimes Trial. The International Military Tribunal for the Far East, Judgment, Official Transcript, 1981.

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Einleitung

strafrechtlichen Verantwortung gezogen. Mittlerweile konzentrieren sich auch die Anklagebehörden der in den Jahren 1993 und 1994 geschaffenen internationalen Ad-hoc-Tribunale in Den Haag und Arusha auf die Führungseliten im ehemaligen Jugoslawien bzw. in Ruanda.7 Da Führungspersonen Verbrechen nur selten eigenhändig begehen, gilt es, eine strafrechts-dogmatische Verknüpfung zu den unmittelbar ausführenden Tätern herzustellen. Dies kann in militärischen Zusammenhängen über den Nachweis einer Befehlskette geschehen (Anstiftung, mittelbare Täterschaft). Doch auch wenn keine Befehle ausgegeben wurden, kann die Verantwortung einer Führungsperson gerade in ihrer Untätigkeit liegen. Es kann nämlich als gleichermaßen strafwürdig angesehen werden, wenn Führungspersonen in stark hierarchisch geprägten Organisationsstrukturen untätig bleiben, wenn Untergebene Straftaten begehen (strafbares Unterlassen). Zunächst hat sich die Auffassung, dass Führungspersonen eine erweiterte Verantwortung für das Handeln ihrer Untergebenen tragen, in Bezug auf militärische Befehlshaber durchgesetzt. Nicht nur sollten sie für ihre kriegsrechtswidrigen Befehle verantwortlich sein, sondern auch für ein Untätigbleiben im Falle von Kriegsrechtsverstößen ihrer untergebenen Soldaten. Unter dem Begriff Command Responsibility wurde fortan eine Haftung des Befehlshabers für solche Taten seiner Untergebenen verstanden, die dieser nicht verhindert oder die er durch sein Untätigsein ermöglicht hatte. Präzedenzfall ist das Verfahren gegen den japanischen General Yamashita: Im Februar 1946 verurteilte ihn eine amerikanische Militärkommission wegen der Kriegsverbrechen, die ihm unterstellte Soldaten bei der Eroberung von Manila begangen hatten, zum Tode. Im Jahre 1977 wurde die Command Responsibility in Art. 86 Abs. 2 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen erstmals ausdrücklich kodifiziert.8 Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit finden sich zudem in den Statuten der Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda, sowie anderer Gerichtshöfe.9 Mit Inkrafttreten von Art. 28 IStGH-Statut liegt nun die bisher um7

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in einer Resolution von Ende März 2004 sogar ausdrücklich die Anweisung erteilt sicherzustellen, dass nur noch oberste Führungspersonen angeklagt werden (UN Doc. S/RES/1534 (2004)). 8 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (ZP I) vom 8.6.1977, vgl. unter www. icrc.org/ihl, dt. Fassung: BGBl. 1990 II, S. 1551. 9 Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut (UN Doc. S/RES/827 (1993), Annex, vgl. unter www.icty.org); Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut (UN Doc. S/RES/955 (1994), Annex, vgl. unter www.ictr.org). Vgl. auch Art. 6 Abs. 3 des Statuts des Gerichtshofs für Sierra Leone (UN Doc. S/2002/246 www.sc-sl.org) oder Art. 3 Abs. 2 des Statuts des Tribunals für Libanon (UN Doc. S/RES/1757 (2007), www.un.org/apps/news/ infocus/lebanon/tribunal/).

Einleitung

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fangreichste und komplexeste Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vor. Die Ad-hoc-Tribunale haben durch ihre Rechtsprechung der Vorgesetztenverantwortlichkeit seit über zehn Jahren zu einer rasanten Entwicklung verholfen. Die Doktrin wurde auch auf zivile bzw. nicht-militärische Vorgesetzte ausgedehnt, obwohl diese in den Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit, die bis zum Inkrafttreten von Art. 28 IStGH-Statut vorlagen, nicht ausdrücklich erwähnt werden. Seit einiger Zeit wird auch der allgemeinere Begriff Superior Responsibility (Vorgesetztenverantwortlichkeit) bevorzugt gebraucht. Das Römische Statut unterscheidet zum ersten Mal zwischen militärischen, de facto militärischen und anderen, nicht-militärischen Vorgesetzten. Art. 28 IStGH-Statut lautet in der deutschen Fassung:10 „Neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieses Statuts für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen gilt folgendes: a) Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehls- beziehungsweise Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Truppen auszuüben, wenn i)

der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umständen hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, und

ii) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner oder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen. b) In Bezug auf unter a nicht beschriebene Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisse ist ein Vorgesetzter strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen auszuüben, wenn i)

der Vorgesetzte entweder wusste, dass die Untergebenen solche Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht ließ;

10 Die deutsche Fassung ist nicht verbindlich, wird hier allein aus sprachlichen Gründen herangezogen. Vgl. englische Fassung im 2. Teil A. 1.

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Einleitung ii) die Verbrechen Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen, und iii) der Vorgesetzte nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.“

Art. 28 b) IStGH-Statut scheint die nicht-militärischen Vorgesetzten einem im Vergleich zu militärischen Vorgesetzten weniger strengen Maßstab zu unterwerfen.11 Die Ad-hoc-Tribunale gehen hingegen davon aus, dass für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte dieselben Haftungsvoraussetzungen gelten, wobei sie diese Einschätzung allerdings recht losgelöst von innerstaatlichen Rechtsordnungen getroffen haben. Verurteilungen von nichtmilitärischen Vorgesetzten gibt es überdies nur wenige. Die genauen Unterschiede der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter im Vergleich zu militärischen Vorgesetzten sind daher noch nicht geklärt.12 Dies hängt auch damit zusammen, dass Art. 28 IStGH-Statut Ergebnis eines politischen Kompromisses13 und sehr komplex formuliert ist.14 Es fällt auf, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut eine zusätzliche objektive Voraussetzung für nicht-militärische Vorgesetzte normiert. Nicht-militärische Vorgesetzte haften, wenn „die Verbrechen Tätigkeiten betreffen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen.“ Darüber hinaus sind auch die subjektiven Haftungsvoraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte verändert. Nach Art. 28 b) i) IStGH-Statut müssen sie entweder gewusst haben, dass Untergebene Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder sie müssen „eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht“ gelassen haben. Wegen der unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 IStGH-Statut stellt sich schließlich die Frage, worin sich militärische von nicht-militärischen Vorgesetzten unterscheiden. Auch diese Frage wurde noch nicht untersucht, da es bisher keine Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Behandlung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten gab. 11 Sehr besorgt in dieser Hinsicht ist Vetter, YJIL 2000, 93 f., 103, 141. Vetter ist der Ansicht, dass Art. 28 IStGH-Statut auf zivile Vorgesetzte weniger abschreckende Wirkung haben wird. Vgl. auch Cryer, Prosecuting International Crimes, S. 325: „highly unfortunate retreat from requirements of customary law“. 12 Vgl. erste Analysen des Art. 28 IStGH-Statut durch Ambos, in: Cassese et al., The Rome Statute, Bd. 1, S. 848 ff.; Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28; Sliedregt, S. 179–191. 13 Zur Entstehungsgeschichte des IStGH-Statuts vgl. Lee (Hg.), The International Criminal Court, 1999. 14 Vgl. Weigend, in: Festschrift für Roxin, S. 1396.

A. Ziel der Untersuchung

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Da die internationale Ebene kaum Hilfestellung für die Klärung der aufgeworfenen Fragen bietet, ist es sinnvoll und geboten zu untersuchen, inwieweit eine Verantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter in innerstaatlichen Rechtsordnungen verankert und anerkannt ist, und ob eine derartige Haftung im Vergleich militärischen Vorgesetzten erschwert oder verändert ist. Eingehende Untersuchungen liegen bisher nicht vor.15

A. Ziel der Untersuchung Ziel der Arbeit ist es zu untersuchen, ob sich aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter ableiten lässt. Dabei wird sich zeigen, dass eine Verantwortlichkeit nicht-militärischer Führungspersonen für Straftaten ihrer Untergebenen in innerstaatlichen Rechtsordnungen nicht vollkommen unbekannt ist. Dies gilt auch in Rechtsordnungen, die keine Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut erlassen haben. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen Bereich gibt es jedoch nicht. Oft ist eine strafrechtliche Haftung nur in spezifischen Bereichen oder nur für spezifische Rechtsverletzungen anerkannt. Am Schluss der Arbeit wird Art. 28 IStGH-Statut unter Zuhilfenahme der untersuchten Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut sowie anderer innerstaatlicher Vorschriften oder Haftungsfiguren zur Vorgesetztenverantwortlichkeit ausgelegt. Die Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung sprechen dafür, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut die Haftung einerseits auf den Zuständigkeitsbereich des Vorgesetzten beschränkt, d.h. auf die sachlichen, fachlichen, örtlichen und zeitlichen Grenzen der Führungsgewalt und Kontrolle verweist. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut hat insoweit allerdings nur Warnfunktion, da derartige Grenzen der Führungsgewalt und Kontrolle auch bei militärischen Vorgesetzten zu beachten sind. Darüber hinaus sprechen die Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung dafür, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut andererseits eine Organisationsbezogenheit der Straftaten der Untergebenen voraussetzt. Im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen und Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut lässt sich unter 15 Eingehende Untersuchungen liegen bisher nicht vor. Vereinzelte Hinweise auf die Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter in innerstaatlichen Rechtsordnungen beispielsweise bei Ambos, in: Cassese et al., The Rome Statute, S. 841–846; Singh, Hastings International and Comparative Law Review 2004–2005, 292–297 (Dieser Aufsatz hält allerdings nicht, was der Titel „Criminal Responsibility for Non-State Civilian Superiors Lacking De jure Authority: A Comparative Review of the Doctrine of Superior Responsibility and Parallel Doctrines in National Criminal Law“ verspricht, da hauptsächlich auf Bandenkriminalität abgestellt wird).

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Einleitung

Zuhilfenahme der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung wenig ableiten. Der Standard „should have known“ in Art. 28 a) i) 2. Alt. IStGHStatut findet allerdings in den untersuchten Umsetzungsvorschriften wenig Rückhalt. Schließlich werden Vorschläge gemacht, wie militärische, de facto militärische und nicht-militärische Vorgesetzte voneinander abgegrenzt werden können. Im Ergebnis wird vorgeschlagen, dass ein taugliches Unterscheidungskriterium in einem Verständnis von militärisch liegt, das das Charakteristische des Militärischen in der Ausrichtung der jeweiligen Einheit oder Organisation auf den Einsatz von Waffengewalt in Kriegs- oder Konfliktsituationen sieht. Ein nicht-militärischer Vorgesetzter i. S. v. Art. 28 b) IStGHStatut ist demnach eine Person, die in einer Einheit oder Organisation, die nicht auf den Einsatz von Waffengewalt als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist, eine gegenüber anderen Personen übergeordnete Stellung einnimmt.

B. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit kann nicht alle Fragen der Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen Bereich abschließend klären. Ausgehend von Art. 28 IStGH-Statut konzentriert sich die Arbeit auf die folgenden Fragen: • Ist eine Strafbarkeit nicht-militärischer Vorgesetzter für Straftaten ihrer Untergebenen in innerstaatlichen Rechtsordnungen anerkannt? Gibt es objektiv haftungseinschränkende Merkmale? Unter welchen subjektiven Voraussetzungen sind nicht-militärische Vorgesetzte strafbar? Welches Verständnis von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten liegt zugrunde? • Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Ergebnissen der rechtsvergleichenden Untersuchung für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit, für die objektiven und subjektiven Haftungsvoraussetzungen des Art. 28 b) IStGH-Statut und für ein Begriffsverständnis des militärischen, des de facto militärischen und des nicht-militärischen Vorgesetzten ziehen? Dabei klammert die Untersuchung die Variante der unterlassenen Maßregelung oder Bestrafung nach Begehung der Straftat bzw. die unterlassene Weiterleitung der Angelegenheit an die zuständigen Behörden (Art. 28 b) iii) 2. Alt. IStGH-Statut) aus. Nur am Rande behandelt wird auch die Frage der Kausalität, die nicht nur im Rahmen der Vorgesetztenverantwortlichkeit, sondern auch allgemein im Falle des Unterlassens in den innerstaatlichen Rechtsordnungen teils äußerst umstritten ist.

B. Gang der Untersuchung

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Diese Einschränkungen sind unerlässlich, um die Untersuchung trotz der weit gefassten Untersuchungsmaterie, die neben dem allgemeinen (Kern-) Strafrecht die Einbeziehung von so unterschiedlichen Rechtsgebieten wie dem Militär-, Unternehmens-, Umwelt- und Wirtschaftsrecht sowie dem Ordnungswidrigkeiten- und Verwaltungsstrafrecht erfordert, handhabbar zu halten. Den soeben aufgeworfenen Fragen wird wie folgt nachgegangen: Zunächst die Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerrecht, von ihrer Entstehung im Fall Yamashita bis zu ihrer Dogmatisierung in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale skizziert. Sodann wird analysiert, unter welchen Voraussetzungen die Ad-hoc-Tribunale Vorgesetzte im nichtmilitärischen Bereich aufgrund ihrer Vorgesetztenverantwortlichkeit verurteilt haben (Erster Teil). Es folgt eine Analyse von Art. 28 IStGH-Statut im Vergleich und unter Berücksichtigung der Vorgängervorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in den Statuten der Ad-hoc-Tribunale und im Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen sowie unter Berücksichtigung der bisherigen einschlägigen Rechtsprechung internationaler Tribunale zur Vorgesetztenverantwortlichkeit (Zweiter Teil). Den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet eine rechtsvergleichende Untersuchung, die Aufschluss darüber geben soll, unter welchen Voraussetzungen nicht-militärische Vorgesetzte in innerstaatlichen Rechtsordnungen für Straftaten ihrer Untergebenen strafrechtlich haften (Dritter Teil). Es werden die Rechtsordnungen folgender Länder untersucht: – Deutschland, Österreich, Schweiz; – Frankreich; – Russland, Belarus und Georgien; – England und Wales, USA und Kanada. Die ausgewählten Länder decken verschiedene Rechtskreise16 ab. Die Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Frankreichs repräsentieren den kontinental-europäischen Rechtskreis. Der common law Rechtskreis ist durch England und Wales, die USA und Kanada vertreten. Darüber hinaus wird der in völkerstrafrechtlich motivierten Rechtsvergleichen bisher kaum beachtete „postsowjetische Rechtskreis“,17 eine Untergruppe des kontinental-europäischen Rechtskreises, vertreten durch Russland, Belarus und Georgien, einbezogen. 16 Zur Einteilung der Rechtskreise vgl. David/Grasmann, Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, 2. Aufl., 1988; David/Brierley, Major Legal Systems of the World Today, 3. Aufl., 1985. 17 Fairchild/Dammer, S. 55 f.

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Die Auswahl der einzelnen Länder innerhalb der Rechtskreise rechtfertigt sich nicht nur durch dogmatische Unterschiede, sondern auch durch unterschiedliche Reaktionen auf das Römische Statut. So hat Deutschland ein Völkerstrafgesetzbuch in Kraft gesetzt, das drei Paragrafen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit enthält, während Frankreich und Österreich trotz Ratifizierung bisher noch keine Umsetzungsvorschriften erlassen haben.18 Großbritannien und Kanada haben das Römische Statut ratifiziert und auch besondere Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit erlassen; die USA haben sich hingegen vom Römischen Statut völlig distanziert. Russland und Belarus stehen dem Statut ebenfalls distanziert gegenüber. Georgien hingegen hat das Römische Statut ratifiziert und auch eine Umsetzungsvorschrift zu Art. 28 IStGH-Statut erlassen. Besonderes Gewicht liegt im Rahmen dieser Arbeit auf der Analyse der Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut. Denn aus diesen Vorschriften lassen sich wichtige Rückschlüsse für die Anerkennung der Vorgesetztenverantwortlichkeit ziehen. Die Analyse der Vorgesetztenverantwortlichkeit in den innerstaatlichen Rechtsordnungen ist freilich breiter angelegt. Sie ist nicht auf Umsetzungsvorschriften beschränkt, sondern bezieht andere innerstaatliche Vorschriften oder Haftungsfiguren mit ein, die eine Verantwortlichkeit von nicht-militärischen und auch von militärischen Vorgesetzten für das Verhalten ihrer Untergebenen normieren. Die Untersuchung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Vorgesetzte im nicht-militärischen Bereich für Straftaten ihrer Untergebenen strafrechtlich haften, erfordert schon deshalb einen breiten Ansatz, weil bisher nicht geklärt ist, worin sich militärische von nicht-militärischen Vorgesetzten unterscheiden. In die Gruppe der nicht-militärischen Vorgesetzten können sowohl Staats- und Regierungschefs, Politiker, Bürgermeister, Polizisten, aber auch Betriebsleiter oder Firmenchefs fallen. Innerhalb dieser Gruppen sind die Übergänge zudem fließend: Vorgesetzte in zivilen Polizeieinheiten können beispielsweise bei deren Militarisierung zu (de facto) militärischen Vorgesetzten avancieren, genauso wie die Staats- und Regierungschefs im Kriegsfall in vielen Rechtsordnungen zu Oberbefehlshabern der Streitkräfte werden. Eine trennscharfe Untersuchung allein der nicht-militärischen Vorgesetzten ist daher weder durchführbar noch sinnvoll. Die gesamte Arbeit durchzieht daher die Frage nach der Abgrenzung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten. Denn von dieser Abgrenzung, die durch die Kategorie der de facto militärischen Vorgesetzten (Art. 28 a) IStGH-Statut) erschwert ist, hängt es ab, welche Personen überhaupt als nicht-militärische Vorgesetzte i. S. v. Art. 28 b) IStGH-Statut zu 18 Die Schweiz hatte ebenfalls bei Abgabe der Arbeit noch keine Umsetzungsvorschriften in Kraft gesetzt.

B. Gang der Untersuchung

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behandeln sind und möglicherweise veränderten Haftungsvoraussetzungen unterliegen. Dies bringt es mit sich, der Untersuchung einen vorläufigen und weiten Begriff des nicht-militärischen Vorgesetzten zu unterlegen. Am Ende der Arbeit werden nicht nur Vorschläge für eine Auslegung von Art. 28 b) IStGH-Statut gemacht, sondern auch eine Begriffsbestimmung bzw. Abgrenzung des (de facto) militärischen vom nicht-militärischen Vorgesetzten vorgestellt (Vierter Teil). Die rechtsvergleichende Untersuchung der Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen Bereich konzentriert sich auf zwei Gruppen, zum einen auf die Gruppe der „Amtsträger“ und zum Zweiten auf die Gruppe der „Unternehmensleiter“, um einerseits den staatlich-öffentlichen und andererseits den privatwirtschaftlichen Bereich abzudecken und möglicherweise dogmatische Unterschiede zu erhellen. Die innerstaatlichen Rechtsordnungen werden insoweit neben einer knappen Analyse des Militär(straf)rechts auf Vorschriften und Haftungsfiguren untersucht, die einer Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern bzw. Unternehmensleitern gleichkommen. Die Untersuchung umfasst dabei sowohl eine Haftung von Vorgesetzten aufgrund von Sonderdelikten und -regeln wie auch aufgrund allgemeiner Grundsätze, insbesondere nach den Grundsätzen des ungeschriebenen Unterlassens. Es ist notwendig, der rechtsvergleichenden Untersuchung ein Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit zu unterlegen. Denn nur mit Hilfe eines Kernverständnisses lässt sich entscheiden, ob Vorschriften oder Haftungsfiguren den Charakter einer Vorgesetztenverantwortlichkeit haben, auch wenn sie bisher im innerstaatlichen Strafrecht nicht als solche diskutiert wurden. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass die dogmatische Einordnung der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit (Sonderdelikt oder Begehungsmodalität)19 und andere Fragen, wie die der Kau19 Die zu Art. 28 IStGH-Statut ergangenen Umsetzungsvorschriften verfolgen unterschiedliche Lösungen, vgl. 3. Teil, 1. Kap. B., 2. Kap. B., 3. Kap. B., 4. Kap. B. Die Frage, ob es sich bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit um ein Sonderdelikt oder um eine Begehungsmodalität handelt, hat insbesondere durch neuere Urteile des Jugoslawien-Tribunals erneute Diskussionen hervorgerufen, vgl. Prosecutor v. Halilovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.2005, Para. 54; Prosecutor v. Hadžihasanovic´ & Kubura, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.3.2006, Para. 75; Prosecutor v. Oric´, Urteil der Verhandlungskammer v. 30.6.2006, Para. 293. Die Frage, ob es sich bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit um eine Begehungsform oder um ein Sonderdelikt handelt, ist überdies in den Berufungsschriften im Fall Oric´ problematisiert. Da die Berufungskammer die Verurteilung von Oric´ wegen Art. 7(3) JStGH-Statut aufhob, gibt es allerdings keine weitere Auseinandersetzung mit dieser Frage in dem Berufungsurteil. Vgl. auch Burghardt, S. 407 ff., S. 459, demzufolge es sich bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit um „eine dritte Form strafrechtlicher Verantwortlichkeit“ handelt.

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salität,20 noch nicht abschließend geklärt sind. Im Rahmen der Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut im Zweiten Teil wird ein Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit herausgearbeitet, das diese Fragen offen lässt. Nach dem Kernverständnis hat eine innerstaatliche Vorschrift oder Haftungsfigur den Charakter der Vorgesetztenverantwortlichkeit, soweit zumindest folgende Haftungsvoraussetzungen gelten: der Täter hat eine (strukturelle und tatsächliche) Vorgesetztenstellung gegenüber Untergebenen inne; mindestens einer seiner Untergebenen ist im Begriff eine Straftat zu begehen oder hat sie bereits begangen; der Täter hat diese Straftat nicht verhindert oder im nachhinein bestraft, obwohl er von den Straftaten wusste oder hätte wissen müssen/können.

20 Dies ist insbesondere in der Konstellation des Nichtbestrafens problematisch. Vgl. zur Frage der Kausalität bspw. Triffterer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 448; Triffterer, LJIL 2002, 179–205. Vgl. zur Frage der Kausalität auch die kürzlich ergangene Entscheidung der Vorverfahrenskammer des IStGH im Fall Bemba, die ein Element der Kausalität in Art. 28 IStGH-Statut bejaht und fordert, dass sich das Risiko der Verbrechensbegehung durch das Unterlassen des Vorgesetzten erhöht hat, Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 424, 425.

Erster Teil

Entstehung und Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit I. Geburt der Command Responsibility: Der Fall Yamashita Die Vorgesetztenverantwortlichkeit hat ihre Ursprünge im militärischen Bereich. Der Fall Yamashita gilt als Präzedenzfall1 für die Command Responsibility. Im Dezember 1945 verurteilte eine US-amerikanische Militärkommission den japanischen General T. Yamashita wegen der durch seine Soldaten bei der Eroberung von Manila begangenen Straftaten zum Tode. Yamashita wurde vorgeworfen, er sei seiner „Pflicht als Befehlshaber“ nicht nachgekommen, seine Soldaten zu kontrollieren und habe damit die Gräueltaten „erlaubt“.2 Die Besonderheit des Falles lag darin, dass Yamashita die Gräueltaten nicht befohlen hatte und während der Kämpfe um Manila auch nicht einmal anwesend war, sondern in seinem Hauptquartier in den Bergen weilte. Die zu entscheidende Rechtsfrage lautete in den Worten des als Rechtsmittelinstanz angerufenen US-amerikanischen Supreme Court:3 „The question then is whether the law of war imposes on an army commander a duty to take such appropriate measures as are within his power to control the troops under his command for the prevention of the specified acts which are violations of the law of war and which are likely to attend the occupation of hostile territory by an uncontrolled soldiery, and whether he may be charged with personal responsibility for his failure to take such measures when violations result.“4 1

Cassese, International Criminal Law, 2. Aufl., S. 237. „[W]hile commander of armed forces of Japan at war with the United States of America and its allies, unlawfully disregarded and failed to discharge his duty as commander to control the operations of the members of his command, permitting them to commit brutal atrocities and other high crimes against people of the United States and of its allies and dependencies, particularly the Philippines; and he . . . thereby violated the laws of war.“ vgl. in: AJIL 1946, 437 f. 3 In re Yamashita, 327 U.S. 1 (1945); AJIL 1946, 433. Ein zunächst beim Supreme Court der Philippinen eingelegtes Rechtsmittel blieb ebenfalls erfolglos. 4 327 U.S. 1, 25 (1945); AJIL 1946, 438. 2

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

Der Supreme Court bejahte, dass es eine Pflicht des Befehlshabers gebe, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um seine Truppen zu kontrollieren und von der Begehung von Kriegsrechtsverletzungen abzuhalten. Damit war die sogenannte Command Responsibility in der Welt.5 Das Urteil im Fall Yamashita6 fand teilweise Zustimmung,7 wird aber bis heute noch teilweise heftig kritisiert.8 Die Kritik bezieht sich vor allem auf den fehlenden Nachweis der Kenntnis des Generals von den Gräueltaten, was die Doktrin in die Nähe einer verschuldensunabhängigen Haftung (strict liability) bringe.9 Ungeachtet der Kritik wurde der Fall Yamashita jedoch immer wieder zitiert, und auf diese Weise zunächst zur wichtigsten Quelle für die Existenz der Command Responsibility.10 Schon in den Nürnberger Nachfolgeverfahren11 nahmen einige Militärgerichte Bezug auf den Fall Yamashita.12 Im Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht wies das Gericht eine verschuldensunabhängige Vorgesetztenverantwortlichkeit zurück, führte aber im Hinblick auf das erforderliche Verschulden wenig präzise aus, das Versäumnis des Vorgesetzten müsse eine „persönliche Nachlässigkeit“ darstellen, die einer „mutwilligen, unmoralischen Nichtbeachtung“ und „stillschweigender Zustimmung“ gleichkomme.13 5 Teilweise wird die Command Responsibility Doktrin auf alte chinesische Quellen zurückgeführt; Bassiouni/Mantikas, S. 351. 6 Richter Murphy kritisierte eine derartig konstruierte Verantwortlichkeit als „präzedenzlos“; insbesondere sei nicht einmal nachgewiesen, dass Yamashita Kenntnis von den Gräueltaten seiner Truppen gehabt hatte; Richter Rutledge stimmte in seinem Sondervotum zu; vgl. 327 U.S. 1, 28, AJIL 1946, 446, 458; bereits das War Crimes Office in Manila hatte kritisiert: „They have nothing on him at all. They’re trying to establish a new theory – that a commanding officer is responsible, if his troops violate the laws of war, regardless of whether he ordered the violations or even knew of them. Under such a principle, I suppose even McArthur should be tried. It is bad law . . .“; vgl. Herde, S. 156. 7 Kuhn, AJIL 1950, 561. Martinez plädiert dafür, das „Schreckgespenst“ Yamashita zu begraben, hält aber dennoch einen Standard „duty to know“ für ausreichend, Martinez, JICJ 2007, 648, 649, 664. 8 Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 426; Damaška, American Journal of Comparative Law 2001, 481; Herde, S. 150 ff.; Lael, S. 121; Landrum, MLR 1995, 297; Prévost, HRQ 1992, 337 mit der zusätzlichen Kritik des Rassismus. 9 So Parks, MLR 1973, 37. 10 Vetter, YJIL 2000, 106: „most cited and discussed post-World-War II case“. 11 In der Charta für den Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg war keine Command Responsibility-Vorschrift enthalten. Im Hauptkriegsverbrecherprozess spielte die Doktrin auch keine Rolle. Vgl. auch Lippman, Tulsa Journal of Comparative and International Law 2001, 15 ff. 12 Ausdrücklich: U.S. v. Pohl et al., Urteil des U.S. Militärtribunals v. 3.11.1947, TWC, Bd. V, 1011; U.S. v. List et al. (Geiselmordprozess), Urteil des U.S. Militärtribunals v. 19.2.1948, TWC, Bd. XI, 1256.

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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II. Das Tokio-Urteil und die Urteile gegen Flick und Röchling Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für den Fernen Osten in Tokio verurteilte einige hochrangige Militärs und Politiker wegen ihres Unterlassens, gegen Gräueltaten einzuschreiten, mit folgender Begründung (Anklagepunkt 55): „They deliberately and recklessly disregarded their legal duty to take adequate steps to secure the observance and prevent breaches of the laws and customs of war.“14

Dieser Anklagepunkt lässt sich als Umschreibung der Vorgesetztenverantwortlichkeit lesen,15 obwohl das Kriegsverbrechertribunal in Tokio ebenso wenig wie die Militärgerichte in Deutschland die Grundlagen und Voraussetzungen einer Command Responsibility diskutierte. Von Bedeutung für diese Arbeit ist, dass einige zivile Kabinettsmitglieder aufgrund des Anklagepunkts 55 verurteilt wurden. Nicht nur der Oberbefehlshaber der japanischen Streitkräfte in Zentralchina Iwane Matsui wurde aufgrund dieses Anklagepunktes verurteilt, sondern auch der japanische Außenminister Koki Hirota. Hirota sei zur Zeit der Massenvergewaltigung und des Massakers in Nanking seiner Pflicht nicht nachgekommen, im Kabinett darauf zu bestehen, dass umgehend gegen die Gräueltaten eingeschritten werde, oder sonstige Maßnahmen zu ergreifen.16 Das Tribunal erläuterte, dass ein Kabinettsmitglied die Verantwortung für die Straftaten übernehme, wenn es nicht gegen sie einschreite. Soweit ein Minister sich machtlos sehe, gegen die Straftaten einzuschreiten, käme schließlich auch ein Rücktritt in Frage.17 Aufgrund von Anklagepunkt 55 wurden auch der Außenminister Mamoru Shigemitsu und der Premierminister Hideki Tojo verurteilt. Das Urteil des Tokioter Kriegsverbrechertribunals wird daher als wichtiger Nachweis für die Anwendbarkeit der Command Responsibility auf nicht-militärische Vorgesetzte gewertet.18 Genauer gesagt, könnte es als 13 U.S. v. von Leeb et al. (OKW-Prozess), Urteil des U.S. Militärtribunals v. 28.10. 1948, TWC, Bd. XI, 544: „it must be a personal neglegt amounting to a wanton, immoral disregard of the action of his subordinates amounting to acquiescence.“ 14 Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Bd. 1, S. 70 f. 15 Teils „negative Strafbarkeit“ genannt, Minear, S. 67. 16 Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Bd. 20, 49.791: „Hirota was derelict in his duty in not insisting before the Cabinet that immediate action be taken to put an end to the atrocities, failing any other action open to him to bring about the same result.“ 17 Pritchard/Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, Bd. 20, 48.445, 48.446. 18 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 357.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

Nachweis für die Anwendbarkeit der Doktrin auf die Gruppe der „Amtsträger“ dienen, einer in dieser Arbeit besonders betrachteten Gruppe nicht-militärischer Vorgesetzter. Ob die Angeklagten vor dem Tokio-Tribunal als militärisch oder nichtmilitärisch einzuordnen sind, lässt sich aber bei genauerem Hinsehen nicht ganz einfach feststellen. So stellt sich die Frage, ob Hideki Tojo, ein General der Armee, der in den entscheidenden Kriegsjahren Premierminister war, militärischer oder nicht-militärischer Amtsträger war. Aus dem Bekleiden eines militärischen Ranges folgt möglicherweise nicht automatisch die Qualifizierung als militärischer Vorgesetzter.19 Unter den 28 Angeklagten des Tokio-Prozesses waren außer Hideki Tojo noch weitere Personen, die zwar einen militärischen Rang bekleideten, aber allein „zivile“ Ministerposten, wenn auch in einem Kriegskabinett, besetzten.20 Diese Angeklagten könnten trotz ihres militärischen Ranges als „nicht-militärisch“ einzustufen sein, jedenfalls, soweit sie nicht wegen ihrer Tätigkeit oder Position in der Armee verurteilt wurden.21 Unabhängig von dieser Frage stellt das Urteil des Tokioter Kriegsverbrechertribunals nur einen schwachen Nachweis für die Anerkennung der Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen, staatlichen Bereich dar, weil ein Vorgesetztenverhältnis der Angeklagten zu den ausführenden Tätern nicht diskutiert wurde und auch wohl nicht existierte. So war beispielsweise Hirota kein Vorgesetzter der japanischen Soldaten in Nanking und es standen ihm daher keine Eingriffsbefugnisse zu.22 Richter Röling mahnte daher in seinem abweichenden Votum, dass nur diejenigen, in deren Zuständigkeits- und Machtbereich die Straftaten begangen wurden, auch wegen des Anklagepunktes 55 haftbar gemacht werden könnten. Darüber hinaus ist es 19 So bekleideten von den 28 Angeklagten 18 militärische Ränge. Ohne militärischen Rang waren neben den Außenministern Koki Hirota und Mamoru Shigemetsu die Außenminister Shigenori Togo und Yosuke Matsuoka, der Leiter der Informationsabteilung im Außenministerium Toshio Shiratori, die Finanzbeamten Naoki Hoshino und Okinoro Kaya, der Jurist und Politiker Kiichiro Hiranuma, Philosoph Shumei Okawa sowie der „Lordsiegelbewahrer“ Koichi Kido. Vgl. zu den einzelnen Personen Osten, S. 37 ff., vgl. auch Wenqi, S. 375 Fn. 9. 20 Dies betrifft nicht nur die verschiedenen Kriegsminister, die in der Tat alle zugleich militärische Ränge bekleideten; Teiichi Suzuki war Generalleutnant, aber zur Zeit der angeklagten Taten war er Mitglied des Kabinetts als Minister ohne Geschäftsbereich; Kuniaki Koiso war General der Armee, aber fungierte als Kolonialminister, Generalgouverneur von Korea bzw. sogar zeitweise ebenfalls als Premierminister. 21 Vgl. 4. Teil E. IV. 22 Das Ad-hoc-Tribunal für Jugoslawien wertete die Befugnisse Hirotas als „language indicating powers of persuasion rather than formal authority to order action to be taken“, Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.1.1998, Para. 376.

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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erwähnenswert, dass Außenminister Hirota sogar das zuständige Kriegsministerium befasst hatte, sich letztlich aber trotz gegenteiliger Berichte auf deren „Versicherungen“ verlassen hatte, dass alles in Ordnung sei.23 Neben dem Urteil des Tokioter Kriegsverbrechertribunals werden auch die Verfahren gegen die Industriellen Friedrich Flick et al.24 und Hermann Röchling et al.25 als Nachweis für eine Anwendbarkeit der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf nicht-militärische Vorgesetzte herangezogen.26 In beiden Fällen ging es um die Verantwortung für Zwangsarbeit zur Zeit des Nationalsozialismus. Diese beiden Urteile könnten auf die Anwendbarkeit der Doktrin auf die in dieser Arbeit besonders betrachteten zweiten Gruppe der nicht-militärischen Vorgesetzten, die Gruppe der „Betriebsleiter“, hinweisen. Während sich in dem Flick-Urteil allerdings kaum brauchbare Ausführungen für eine Command Responsibility finden lassen,27 führt das Berufungsgericht im Fall Röchling et al. aus, dass Röchling und andere Mitglieder des Direktoriums wie Gemmingen-Hornberg, der Vorsitzende des Direktoriums, sich nicht für die Anordnung der Zwangsarbeit zu verantworten hätten, sondern dafür, dass sie diese „zugelassen“ hätten, obwohl sie Möglichkeit und Befugnisse gehabt hätten, sich für humanere Arbeitsbedingungen einzusetzen.28 Wiederum bleibt aber die Frage des Vorgesetztenverhältnisses offen und fraglich.29 Insgesamt hat die skizzierte Nachkriegs-Rechtsprechung der Command Responsibility zwar zur Anerkennung verholfen, zu einer Fundierung der 23

Minear, S. 71. U.S. v. Friedrich Flick et al., Urteil des U.S. Militärtribunals v. 22.12.1947, TWC, Bd. VI, 1187, 1202. 25 The Government Commissioner of the General Tribunal for the Military Government for the French Zone of Occupation in Germany v. Hermann Röchling et al., Anklageschrift und Urteil des Militärtribunals der französischen Besatzungszone in Deutschland v. 2.7.1948, TWC, Bd. XIV, 1061 ff.; Berufungsurteil v. 25.1. 1949, TWC, Bd. XIV, 1088 ff. 26 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.1.1998, Para. 361 ff. und Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 262 f. 27 U.S. v. Friedrich Flick et al., Urteil des U.S. Militärtribunals v. 22.12.1947, TWC, Bd. VI, 1187, 1202: Flick’s „approval“. 28 The Government Commissioner of the General Tribunal for the Military Government for the French Zone of Occupation in Germany v. Hermann Röchling et al., Berufungsurteil v. 25.1.1949, TWC, Bd. XIV, 1136: „permitted the abuses“, „intervene and render the abuses less severe“. 29 So hatte Gemmingen-Hornberg zwar gute Kontakte zu den verantwortlichen Stellen des Werkschutzes, stand jedoch in keinem Vorgesetztenverhältnis zu Mitgliedern des Werkschutzes. Vgl. aber auch Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 263; Radtke, S. 578–582. 24

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

Grundlagen oder Klärung der Haftungsvoraussetzungen hat sie jedoch wenig beigetragen. In Bezug auf nicht-militärische Vorgesetzte kann sie, sowohl in Bezug auf den staatlichen Amtsträgerbereich wie auch auf den (privat-)wirtschaftlichen Bereich, ebenfalls bloße Anhaltspunkte liefern. III. Kodifizierung der Command Responsibility: Art. 86 Abs. 2 ZP I Die Command Responsibility wurde zum ersten Mal im Jahre 1977 im Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen (ZP I) ausdrücklich niedergelegt.30 Die Genfer Konventionen von 1949 enthielten noch keinen Hinweis auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Vorgesetzten für den Fall des Unterlassens.31 Art. 86 ZP I hat folgenden Wortlaut: „1. The High Contracting Parties and the Parties to the conflict shall repress grave breaches, and take measures necessary to suppress all other breaches, of the Convention or of this Protocol which result from a failure to act when under a duty to do so. 2. The fact that a breach of the Conventions or of this Protocol was committed by a subordinate does not absolve his superiors from penal or disciplinary responsibility, as the case may be, if they knew, or had information which should have enabled them to conclude in the circumstances at the time, that he was committing or was going to commit such a breach and if they did not take all feasible measures within their power to prevent or repress the breach.“32 30 Für Art. 86 ZP I hatte sich insbesondere auch Belarus stark gemacht; vgl. Bothe/Partsch/Solf, Art. 86, S. 524. 31 Art. 129 des III. Genfer Abkommens; Art. 146 des IV. Genfer Abkommens; allein Art. 13 des III. Genfer Abkommen erwähnt ein Unterlassen: „Jede rechtswidrige Handlung oder Unterlassung des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in seinen Händen befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist untersagt und gilt als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens.“ 32 Die deutsche Fassung lautet (BGBl. 1990 II, 1551 ff.): „1. Die Hohen Vertragsparteien und die am Konflikt beteiligten Parteien ahnden schwere Verletzungen und treffen die erforderlichen Maßnahmen, um alle sonstigen Verletzungen der Abkommen oder dieses Protokolls zu unterbinden, die sich aus einer Unterlassung ergeben, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht. 2. Wurde eine Verletzung der Abkommen oder dieses Protokolls von einem Untergebenen begangen, so enthebt dies seine Vorgesetzten nicht ihrer strafrechtlichen beziehungsweise disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn sie wußten oder unter den gegebenen Umständen auf Grund der ihnen vorliegenden Informationen darauf schließen konnten, daß der Untergebene eine solche Verletzung beging oder begehen würde, und wenn sie nicht alle in ihrer Macht stehenden, praktisch möglichen Maßnahmen getroffen haben, um die Verletzung zu verhindern oder zu ahnden.“

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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Art. 87 ZP I hat folgenden Wortlaut:33 „1. The High Contracting Parties and the Parties to the Conflict shall require military commanders, with respect to members of the armed forces under their command and other persons under their control, to prevent and, where necessary, to suppress and to report to competent authorities breaches of the Conventions and of this Protocol. 2. In order to prevent and suppress breaches, the High Contracting Parties to the conflict shall require that, commensurate with their level of responsibility, commanders ensure that members of the armed forces under their command are aware of their obligations under the Conventions and this Protocol. 3. The High Contracting Parties and Parties to the conflict shall require any commander who is aware that subordinates or other persons under his control are going to commit or have committed a breach of the Conventions or of this Protocol, to initiate such steps as are necessary to prevent such violations of the Conventions or this Protocol, and, where appropriate, to initiate disciplinary or penal action against violators thereof.“

Aus den beiden Vorschriften geht hervor, dass Vorgesetzte für das Verhalten ihrer Untergebenen verantwortlich sind und gegebenenfalls auch strafrechtlich haften sollen. Die „Rechtspflicht zum Handeln“ (duty to act), von der Art. 86 Abs. 1 ZP I spricht, ist in Art. 87 ZP I näher beschrieben. Art. 87 ZP I nennt allerdings allein Pflichten „militärischer Befehlshaber“. Die beiden Vorschriften sind daher im Fall militärischer Vorgesetzter zusammen zu lesen.34 Teilweise wird überdies Art. 43 ZP I hinzugezogen, der von „verantwortlicher Führung“ (responsible command) spricht. Im engeren Sinne ist die Command Responsibility jedoch in Art. 86 Abs. 2 ZP I nie33 Die deutsche Fassung lautet (BGBl. 1990 II, 1551 ff.): „1. Die Hohen Vertragsparteien und die am Konflikt beteiligten Parteien verlangen von den militärischen Führern im Hinblick auf die ihrem Befehl unterstellten Angehörigen der Streitkräfte und die übrigen Personen in ihrem Befehlsbereich [unter ihrer Kontrolle], Verletzungen der Abkommen und dieses Protokolls zu verhindern, sie erforderlichenfalls zu unterbinden und den zuständigen Behörden anzuzeigen. 2. Um Verletzungen zu verhindern und zu unterbinden, verlangen die Hohen Vertragsparteien und die am Konflikt beteiligten Parteien von den militärischen Führern, in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich sicherzustellen, dass die ihrem Befehl unterstellten Angehörigen der Streitkräfte ihre Verpflichtungen aus den Abkommen und diesem Protokoll kennen. 3. Die Hohen Vertragsparteien und die am Konflikt beteiligten Parteien verlangen von jedem militärischen Führer, der erfahren hat, daß Untergebene oder andere ihm unterstellte Personen eine Verletzung des Abkommens oder dieses Protokolls begehen werden oder begangen haben, daß er die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Verletzungen anordnet und gegebenenfalls ein Disziplinar- oder Strafverfahren gegen die Täter einleitet.“ 34 De Preux, in: Pilloud, Commentary on the Additional Protocols, Art. 86 Rn. 3541.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

dergelegt, der nicht von militärischen, sondern ganz allgemein von „Vorgesetzten“ (superior) spricht. Anerkannt ist daher, dass Art. 86 Abs. 2 ZP I einen breiteren Anwendungsbereich hat und nicht allein auf militärische Vorgesetzte zugeschnitten ist.35 Die Formulierung von Art. 86 Abs. 2 ZP I diente als Vorbild für zeitlich nachfolgende Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit. Die Entwürfe der International Law Commission (ILC) und der sogenannte Siracusa-Entwurf36 lehnen sich in ihrer Formulierung eng an Art. 86 Abs. 2 ZP I an.37 Dies gilt auch für die entsprechenden Vorschriften der Statute der Ad-hocGerichtshöfe: Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut lautet:38 „The fact that any of the acts referred to in articles 2 to 5 of the present Statute was committed by a subordinate does not relieve his superior of criminal responsibility if he knew or had reason to know that the subordinate was about to commit such acts or had done so and the superior failed to take the necessary and reasonable measures to prevent such acts or to punish the perpetrators thereof.“ 35 De Preux, in: Pilloud, Commentary on the Additional Protocols, Art. 86 Rn. 3544: „concept of the superior is broader and should be seen in terms of hierarchy encompassing the concept of control.“ 36 Vgl. Art. 12 des Draft Code 1991 der ILC (YbILC 1991, Bd. II, Teil 2, 94–97): „The fact that a crime against the peace and security of mankind was committed by a subordinate does not relieve his superiors of criminal responsibility, if they knew or had information enabling them to conclude, in the circumstances at the time, that the subordinate was committing or was going to commit such a crime and if they did not take all feasible measures within their power to prevent or repress the crime.“ Art. 6 des Draft Code 1996 der ILC lautet: „The fact that a crime against the peace and security of mankind was committed by a subordinate does not relieve his superiors of criminal responsibility, if they knew or had reason to know, in the circumstances at the time, that the subordinate was committing or was going to commit such a crime and if they did not take all necessary measures within their power to prevent or repress the crime.“ Art. 33 b Abs. 3 des Siracusa Draft 1994 lautet: „The fact that a crime under this Statute was committed by a subordinate does not relieve his superiors of criminal responsibility, if they knew or had reason to know, under the circumstances of the time, that the subordinate was committing or was going to commit such a crime and if they did not take all necessary measures within their power to prevent or repress the crime.“ 37 Für weitere völkerrechtliche Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vgl. ICRC, Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, S. 3733 ff. 38 Die deutsche Fassung lautet: „Die Tatsache, dass eine in den Artikeln 2 bis 5 des vorliegenden Statuts genannten Tat durch einen Untergebenen begangen wurde, enthebt den Vorgesetzten nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn er wusste oder hätten wissen müssen, dass der Untergebenen diese Tat begehen würde oder begangen hat, und wenn der Vorgesetzte es versäumt hat, die notwendigen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Taten zu verhindern oder die Täter dafür zu bestrafen.“

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut und Art. 6 Abs. 3 SLStGH-Statut haben einen fast identischen Wortlaut.39 Durch die Beibehaltung der einkleidenden Formulierung „[Es] enthebt einen Vorgesetzten nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn“ (does not relieve a superior) wird bereits deutlich, dass sich die Vorschriften an Art. 86 Abs. 2 ZP I orientieren.40 Auch die Vorbereitungskommission für ein Statut für den Internationalen Gerichtshof (Preparatory Committee for the Establishment of an International Criminal Court) legte einen Entwurf vor, in dem diese Fassung als eine mögliche Alternative vorgestellt wurde.41 Diese Fassung hat sich allerdings letztlich nicht durchgesetzt. Durch die Übernahme des allgemeinen Begriffs „Vorgesetzter“ (superior) in die genannten Vorschriften wird deutlich, dass es nicht allein um militärische Befehlshaber geht, sondern dass der Begriff wie in Art. 86 Abs. 2 ZP I weit zu verstehen ist. Die International Law Commission erläutert, dass der Begriff „Vorgesetzter“ weit genug sei, um neben militärischen Befehlshabern auch andere zivile öffentliche Stellen (civilian authorities) zu umfassen, die eine ähnliche Befehlsposition innehätten und in ähnlicher Weise Kontrolleüber Untergebene ausübten.42 Der militärischen Befehlskette stellte die Kommission eine Regierungshierarchie gegenüber.43 Die nicht-militärischen Vorgesetzten werden hier folglich mit Amtsträgern in staatlichen Hierarchien in Verbindung gebracht. Einen Bezug zu nicht-militärischen Vorgesetzten in Betrieb und Unternehmen stellte erst das Ad-hoc-Tribunal für Jugoslawien im Fall Cˇelebic´i her, indem es Bezug auf die bereits erwähnten Urteile gegen die Industriellen Flick und Röchling nahm.44 Die Urteile der Verhandlungs- und Be39

Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut lautet: „The fact that any of the acts referred to in articles 2 to 4 of the present Statute was committed by a subordinate does not relieve his superior of criminal responsibility if he knew or had reason to know that the subordinate was about to commit such acts or had done so and the superior failed to take the necessary and reasonable measures to prevent such acts or to punish the perpetrators thereof.“ 40 Die Ad-hoc-Gerichtshöfe haben die Kommentarliteratur zu Art. 86 ZP I bei der Auslegung der Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit herangezogen; z. B. Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 390 ff. 41 Vgl. Wortlaut von Art. 25 des Entwurfs der Vorbereitungskommission für ein Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in 2. Teil A. III. 42 ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its Fortyeighth Session. Commentary on the Draft Code of Crimes against Peace and Security of Mankind, S. 26. 43 Ibid.: „in the military chain of command or the governmental hierarchy“. 44 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 359 ff.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

rufungskammer im Fall Cˇelebic´i haben überdies maßgeblich zur bis dahin fehlenden Dogmatisierung der Vorgesetztenverantwortlichkeit und Klärung der Haftungsvoraussetzungen beigetragen, die im folgenden Abschnitt nachgezeichnet wird. IV. Dogmatisierung der Command Responsibility: ˇ elebic´i-Urteile Die C Die Command Responsibility erlebte in der Rechtsprechung der Ad-hocTribunale einen regelrechten Aufschwung. Die Ad-hoc-Tribunale haben sich in einer ganzen Reihe von Fällen45 mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit auseinandergesetzt und dabei einen wesentlichen Beitrag zur Dogmatisierung der Command Responsibility geleistet. Obwohl bei weitem nicht alle Fragen geklärt sind, hat sich ein dreischrittiger Prüfungsaufbau durchgesetzt, der im Folgenden kurz skizziert wird.46 Bereits in Art. 86 45 Prägend aus der Rspr. des Jugoslawientribunals vor allem: Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998 und Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001; daneben aus der Rspr. des Jugoslawien-Tribunals: Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.6.1999 und Urteil der Berufungskammer v. 24.2.2000, Prosecutor v. Blaškic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000 und Urteil der Berufungskammer v. 29.7.2004; Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001; Prosecutor v. Krštic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.8.2001; Prosecutor v. Kvocˇka, Kos, Radic´, Žigic´, Prcac´, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001; Prosecutor v. Naletilic´&Martinovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.3.2003; Prosecutor v. Brd¯anin, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.9.2004; Prosecutor v. Strugar, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.1.2005, und Urteil der Berufungskammer v. 17.7.2008; Prosecutor v. Halilovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.2005 und Urteil der Berufungskammer v. 16.10.2007; Prosecutor v. Hadžihasanovic´ & Kubura, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.3.2006 und Urteil der Berufungskammer v. 22.4.2008; Prosecutor v. Oric´, Urteil der Verhandlungskammer v. 30.6.2006, und Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2008; Prosecutor v. Milutinovic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2009, vgl. www.icty.org. Aus der Rspr. des RStGH: Prosecutor v. Akayesu, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.9.1998, Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.5.1999 und Urteil der Berufungskammer v. 1.6.2001; Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 7.6.2001 und Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2002; Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer v. 27.1.2000; Prosecutor v. Ntakirutimana & Ntakirutimana, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.2.2003; Prosecutor v. Semanza, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.5.2003; Prosecutor v. Kajelijeli, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.12.2003 und Urteil der Berufungskammer v. 23.5.2005; Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 3.12.2003 und Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007; vgl. www.ictr.org. Vgl. zur Rechtsprechung der Ad-hoc-Gerichtshöfe in Verfahren gegen nicht-militärische Vorgesetzte unter B.

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Abs. 2 ZP I lassen sich drei prägende Elemente der Command responsibility erkennen:47 Der Angeklagte muss „Vorgesetzter“ (superior) sein; es müssen ihm Untergebene unterstellt sein. Des Weiteren muss der Vorgesetzte wissen oder darauf schließen können, dass seine Untergebenen internationales Recht verletzt haben oder im Begriff waren zu verletzen. Schließlich muss der Vorgesetzte es unterlassen haben, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um die Verletzungen des internationalen Rechts zu verhindern oder zu unterbinden. Die Ad-hoc-Tribunale haben diese drei Elemente der Command Responsibility als Haftungsvoraussetzungen übernommen bzw. bestätigt. Das Jugoslawien-Tribunal hat sich zum ersten Mal im Fall Delalic´ et al.48 mit der Command Responsibility auseinandergesetzt. In dem Fall ging es um die Verantwortung für Misshandlungen und Morde in einem bosnischen Gefangenenlager bei Cˇelebic´i, weshalb der Fall meist als „Fall Cˇelebic´i“ zitiert wird. Das Urteil der Verhandlungskammer vom 16. November 1998 war das erste Urteil eines internationalen Gerichtshofs zur Vorgesetztenverantwortlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Gemeinsam mit dem Urteil der Berufungskammer in demselben Fall vom 20. Februar 2001 kann es als maßstabsbildend für die Command Responsibility angesehen werden. Spätere Urteile der Ad-hoc-Gerichtshöfe greifen regelmäßig auf die Ausführungen im Fall Cˇelebic´i zurück. Die Verhandlungskammer stellte folgende drei Elemente des Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut heraus: „1. Die Existenz eines Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisses. 2. Der Vorgesetzte wusste oder hatte Grund zu wissen, dass die strafbare Handlung begangen werden würde oder schon begangen worden war. 3. Der Vorgesetzte versäumte es, die notwendigen und erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die strafbare Handlung zu verhindern und die Täter dafür zu bestrafen.“49 46 Die Darstellung konzentriert sich hier auf die mittlerweile als unumstritten geltenden Elemente. In Abschnitt B. wird die Rechtsprechung der Ad-hoc-Gerichtshöfe zu nicht-militärischen Vorgesetzten genauer analysiert. 47 De Preux, in: Pilloud, Commentary on the Additional Protocols, 1987, Art. 86 Rn. 3543. 48 Vgl. Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11. 1998 und Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001. 49 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 346: (i) the existence of a superior-subordinate relationship; (ii) the superior knew of had reason to know that the criminal act was about be or had been committed; and (iii) the superior failed to take the necessary and reasonable measures to prevent the criminal act or punish the perpetrator thereof.

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1. Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis Erste Voraussetzung ist die Existenz einer Vorgesetzten-UntergebenenVerhältnisses. Gleich im Fall Cˇelebic´i hatte die Verhandlungskammer zu der Frage Stellung zu nehmen, ob zivile Vorgesetzte nach der Command Responsibility haften.50 Zum anderen nahm die Kammer zu der Frage Stellung, ob der Vorgesetzte rechtlich normierte Befugnisse gegenüber seinen Untergebenen besitzen muss, oder ob es ausreichend ist, dass er, wenn auch nicht de jure, so doch tatsächlich, de facto, wie ein Vorgesetzter Kontrolle über die Untergebenen ausübt. a) Zivile Vorgesetzte Die erste Frage nach der Anwendbarkeit auf nicht-militärische Vorgesetzte bejahte die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i. Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut beziehe sich nicht allein auf militärische Befehlshaber, sondern auch auf Personen in nicht-militärischen Positionen mit Vorgesetztenbefugnissen.51 Zur Begründung nahm die Kammer zum einen Rückgriff auf die bereits erläuterte Nachkriegsrechtsprechung. Sowohl das Tokio-Tribunal habe nicht nur militärische Befehlshaber, sondern auch Kabinettsmitglieder wie die Außenminister Hirota und Shigemetsu sowie den Premierminister Tojo wegen der Nichtverhinderung der von japanischen Truppen begangenen Straftaten verurteilt. Zudem seien Nachkriegsurteile gegen die Industriellen Flick und Röchling ergangen.52 Zum anderen bezog sich die Kammer auch auf den allgemeinen Begriff des „Vorgesetzten“ (superior) in Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut, der zivile Vorgesetzte umfasse. Sie verwies dabei zudem auf den engen Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 JStGH-Statut53, der auf Staats- und Regierungschefs bzw. öffentliche Bedienstete Bezug nehme.54 Wie der Verweis auf die Urteile gegen Flick und Röchling zeigt, beschränkte die Verhandlungskammer die 50 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 355 ff. 51 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 363: „Article 7 (3) extends not only to military commanders but also to individuals in non-military positions of authority.“ 52 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 357 ff. 53 Nach Art. 7 Abs. 2 JStGH-Statut enthebt die amtliche Stellung, ob als Staats-, Regierungschef oder Amtsträger, den Betreffenden nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und führt nicht zur Strafmilderung. 54 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 356.

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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Gruppe der nicht-militärischen Vorgesetzten aber nicht auf die in Art. 7 Abs. 2 JStGH-Statut genannten „Amtsträger“, sondern öffnete Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut bereits für eine Anwendung auf die Gruppe der „Unternehmensleiter“, obwohl es in dem zu entscheidenden Fall, wie erläutert, um ein Kriegsgefangenenlager ging. Die Gruppe der Unternehmenleiter spielt allerdings in der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals bisher ersichtlich keine Rolle, im Gegensatz zu der Rechtsprechung des Ruanda-Tribunals.55 b) De jure und de facto Zur Frage, ob die Befehls- und Führungsgewalt rechtlich begründet sein muss, also zur Frage der de jure oder de facto Vorgesetzten, führte die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i aus, dass es nicht auf die formale oder rechtlich gesicherte Stellung als Vorgesetzter ankomme, sondern darauf, dass der Vorgesetzte eine tatsächliche Führungsposition innegehabt und tatsächliche Kontrolle ausgeübt habe. Die Tatsache, dass in Jugoslawien während des Krieges die alten formalen Strukturen zusammengebrochen seien und neue und improvisierte Kontroll- und Kommandostrukturen entstanden seien, stehe einer Anwendung der Vorgesetztenverantwortlichkeit prinzipiell nicht entgegen. Personen in diesen informellen Strukturen seien nicht von einer Vorgesetztenverantwortlichkeit ausgeschlossen, bloß weil es an einer formalen rechtlichen Autorität fehle:56 „Formal designation should not be considered to be a necessary prerequisite for Command Responsibility to attach, as such responsibility may be imposed by virtue of a person’s de facto, as well as de jure, position as a commander. While the terms of the Statute offer little guidance in relation to this issue, it is clear that the term ‚superior‘ is sufficiently broad to encompass a position of authority based on the existence of de facto powers of control.“57

Das Tribunal zog neben dem Fall Röchling auch das Verfahren gegen das Oberkommando der Wehrmacht und das Verfahren gegen die Generäle in Südeuropa sowie das Verfahren gegen Mummenthey (Pohl et al.) als Nach55 Verurteilungen von Unternehmensleitern aufgrund von Art. 7 Abs. 3 JStGHStatut gibt es nicht; sie sind auch nicht zu erwarten, da, soweit ersichtlich, keiner der Angeklagten der Gruppe der „Unternehmensleiter“ zugerechnet werden kann. Das Ad-hoc-Tribunal für Ruanda hatte jedoch beispielsweise über die Vorgesetztenverantwortlichkeit eines Direktors einer Teefabrik zu entscheiden: Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer v. 27.1.2000, vgl. zur Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte zudem unter B. 56 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 354. 57 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 370, 371.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

weis dafür heran, dass formal-rechtliche Kompetenzen nicht Voraussetzung für die Vorgesetztenverantwortlichkeit sind.58 Die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i bestätigte die Ausführungen der Verhandlungskammer zur de facto Führungsposition in ihrem Urteil von Februar 2001 ausdrücklich.59 c) Tatsächliche Kontrolle (Effective control) Das hierarchische Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen ist maßgeblich durch den Begriff der Kontrolle (control) geprägt. Die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i leitete dies u. a. aus dem Wortlaut von Art. 87 des ZP I ab, der von „Personen unter der Kontrolle des Vorgesetzten“ spricht.60 Dies sei auch bei einem Vorgesetzten, der aufgrund seiner de facto Führungsposition der Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliege, zu beachten.61 Die Verhandlungskammer führte sodann den Begriff der „tatsächlichen Kontrolle“ (effective control) ein, der von der Berufungskammer aufgegriffen und bestätigt wurde62 und zum zentralen und prägenden Begriff in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale63 zur Vorgesetztenverantwortlichkeit geworden ist: „It is the Trial Chamber’s view that, in order for the principle of superior responsibility to be applicable, it is necessary that the superiors have effective control over the persons committing underlying violations of international humanitarian law, in the sense of having the material ability to prevent and punish the commission of these offences.“64

Ein Vorgesetzter unterliege nur dann der Vorgesetztenverantwortlichkeit, wenn er tatsächliche Kontrolle in dem Sinne über seine Untergebenen ausübt, dass er die tatsächliche Möglichkeit hat, Straftaten zu verhindern oder zu bestrafen. Es hafte nicht, wenn die Schwelle ausreichender tatsächlicher Kontrolle nicht erreicht sei.65 Die Berufungskammer stimmte zu.66 58

Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 372 f. 59 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 195, 266. 60 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 354, 371. In der amtlichen deutschen Übersetzung wurde dies allerdings mit Personen in ihrem Befehlsbereich übersetzt. 61 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 377. 62 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 196 ff. 63 Vgl. Urteile in Fn. 45, S. 38. 64 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 378 (Hervorhebung hinzugefügt).

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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2. Wissenselement Das Wissenselement der Command Responsibility hat zwei Alternativen: Entweder wusste der Vorgesetzte, dass seine Untergebenen Straftaten begehen oder begangen haben, oder aber „er hatte Grund es zu wissen“ (had reason to know). Aktives Wissen kann durch direkten Beweis oder indirekten Beweis (circumstantial evidence) nachgewiesen werden. Anhaltspunkte können Anzahl, Art, Umfang und Zeit der Begehung der Taten, Anzahl und Art der involvierten Truppen, Ort der Begehung sowie Aufenthaltsort des Angeklagten usw. sein.67 Im Hinblick auf die zweite Alternative „Grund haben zu wissen“ (had reason to know) orientierte sich die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i an Art. 86 ZP I und erklärte es nicht für ausreichend, dass der Vorgesetzte von den Verbrechen „hätte wissen sollen“ (should have known).68 Es sei erforderlich, dass dem Vorgesetzten Informationen vorlagen, aus denen er hätte schließen können, dass Straftaten begangen würden.69 Zu dem Stand des Völkergewohnheitsrechts in dieser Frage wollte die Verhandlungskammer keine Aussage treffen.70 Die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i stellte insbesondere klar, dass die Vorgesetztenverantwortlichkeit keine verschuldensunabhängige Haftung (strict liability) darstelle.71 Auch gehe es nicht um eine Pflicht zu wissen (duty to know).72 Die Berufungskammer73 bestä65 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 377: „While the Trial Chamber must at all times be alive to the realities of any given situation and be prepared to pierce such veils of formalism that may shield those individuals carrying the greatest responsibility for heinous acts, great care must be taken lest an unjustice be committed in holding individuals responsible for the acts for others in situations where the link of control is absent of too remote.“ 66 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 197. 67 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 386; bei der Aufzählung handelt es sich um eine Liste der Expertenkommission, Final Report of the Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 UN Doc. S/1994/674 (1992), Para. 58. 68 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 390 ff. Bei der Schaffung von Art. 86 ZP I war ein „should have known“-Standard, der vom IRK und den USA vorgeschlagen worden war, abgelehnt worden. 69 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 393: „information was in fact available to him which would provide notice of offences committed by his subordinates.“ 70 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 393. 71 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 239.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

tigte die Auslegung der Verhandlungskammer zum Standard „Grund haben zu wissen“ und erklärte: „A superior will be criminally responsible through the principles of superior responsibility only if information was available to him which would have put him on notice of offences committed by subordinates.“74

3. Unterlassenselement Als drittes Element muss der Vorgesetzte es unterlassen haben, die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um die Straftaten der Untergebenen zu verhindern oder die Untergebenen zu bestrafen. Die erste Alternative „Verhindern“ bezieht sich auf den Zeitpunkt, bevor die Straftaten begangen wurden; bei der zweiten Alternative „Bestrafung“ hingegen sind die Verbrechen bereits begangen und können nicht mehr verhindert werden. Welche Maßnahmen ein Vorgesetzter in der konkreten Situation hätte vornehmen müssen, könne nur im Einzelfall entschieden werden, erklärte die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i.75 Die jeweiligen Maßnahmen müssen aber in der Macht des Vorgesetzten und tatsächlich möglich gewesen sein.76 Andererseits brauche der Vorgesetzte keine rechtliche Befugnis zur Vornahme der Maßnahmen zu haben.77 So wie es für die Qualifizierung 72 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 226: „knowledge may be presumed [. . .] if he had the means to obtain the knowledge but deliberately refrained from doing so.“ Vgl. auch Prosecutor v. Blaškic´, Urteil v. 29.7.2004, Para. 406: „the Appeals Chamber considers that the mental element ‚had reason to know‘ as articulated in the Statute, does not automatically imply a duty to obtain information. The Appeals Chamber emphasizes that responsibility can be imposed for deliberately refraining from finding out but not for negligently failing to find out.“ 73 Die Verhandlungskammer im Fall Blaškic ´ hielt demgegenüber mit Verweis auf die Nachkriegsrechtsprechung den Standard „hätte wissen sollen“ (should have known) für ausreichend: Prosecutor v. Blaškic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000, Para. 332. Die Berufungskammer im Fall Blaškic´ korrigierte dies mit Verˇ elebic´i-Urteil: Prosecutor v. Blaškic´, Urteil v. 29.7.2004, Para. 62, weis auf das C 64: „the authoritative interpretation of the standard of ‚had reason to know‘ shall remain the one given in the Cˇelebic´i Appeal Judgement.“ 74 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 241. 75 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 394. 76 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 394. 77 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 395. Dies hatte die International Law Commission noch gefordert, vgl. ILC, Report of the International Law Commission and the Work of its Forty-eighth Ses-

A. Entstehung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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als Vorgesetzter nicht erforderlich sei, diese Position de jure innezuhaben, reiche auch mit Blick auf die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen aus, dass ihre Ergreifung tatsächlich möglich ist. Das internationale Recht verpflichte allerdings nicht zur Vornahme des Unmöglichen.78 Die Frage, ob die unterlassenen Maßnahmen zu der Begehung der Straftaten in kausaler Verbindung stehen müssen, verneinte die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i.79 Möglicherweise sei ein kausaler Nexus der Vorgesetztenverantwortlichkeit „inhärent“, wenn es um das Nichtverhindern von Straftaten gehe. In der Alternative der Nichtbestrafung von bereits begangenen Straftaten sei allerdings eine kausale Verbindung nicht denkbar.80 V. Anwendbarkeit der Command Responsibility auf zivile Vorgesetzte Die Urteile im Fall Cˇelebic´i waren maßstabsbildend für die Vorgesetztenverantwortlichkeit. Insbesondere hat sich die Dreiteilung als Prüfungsaufbau in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale rasch durchgesetzt. Die Urteile im Fall Cˇelebic´i erklärten überdies zum ersten Mal die Command Responsibility auf zivile Vorgesetzte anwendbar. Auch bei zivilen Vorgesetzten komme es vor allem darauf an, ob der Vorgesetzte eine Führungsposition innehatte, die es ihm ermöglichte, tatsächliche Kontrolle (effective control) über Untergebene auszuüben. Die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i setzte mit Verweis auf die Ansicht der ILC hinzu, zivile Vorgesetzte müssten „in ähnlicher Weise“ wie militärische Vorgesetzte Kontrolle ausüben: „The doctrine of Command Responsibility extends to civilian superiors only to the extent that they exercise a degree of control over their subordinates which is similar to that of military commanders.“81

Die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i ergänzte dies um den Zusatz „im Wesentlichen ähnliche Kontrollbefugnisse“ (substantially similar powers of sion, Draft Code for Crimes against the Peace and Security of Mankind, Commentary, S. 26. 78 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 395. 79 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 398: „Notwithstanding the central place assumed by the principle of causation in criminal law, causation has not traditionally been postulated as a conditio sine qua non for the imposition of criminal liability on superiors for their failure to prevent and punish offences committed by their subordinates.“ 80 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 399 f. 81 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 378.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

control).82 Sie erwog sodann bei der Diskussion der subjektiven Voraussetzungen mögliche unterschiedliche Voraussetzungen für militärische und zivile Vorgesetzte,83 ohne jedoch dazu näher Stellung zu nehmen.84 Die Frage, ob es unterschiedliche Voraussetzungen für militärische und nichtmilitärische Vorgesetzte gibt, haben die Kammern im Fall Cˇelebic´i insoweit noch nicht abschließend entschieden.85 Dies geschah erst in der nachfolgenden Rechtsprechung.

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale Die Ad-hoc-Tribunale bestätigten die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf nicht-militärische Vorgesetzte in einigen Urteilen, die dem Fall Cˇelebic´i nachfolgten.86 In einem Urteil von Februar 2001 erklärte die Verhandlungskammer des Jugoslawien-Tribunals im Fall Kordic´ und Cerkez bereits, dass die Frage der Anwendbarkeit der Doktrin auf nicht-militärische Vorgesetzte „nicht umstritten“ sei.87 Das Ruanda-Tribunal war zunächst zögerlicher in der Anwendung der Command Responsibility auf nicht-militärische Vorgesetzte. So hielt es die Übertragung auf zivile Vorgesetzte wie den Bürgermeister (bourgmestre) Akayesu für fragwürdig (contentious)88 und stützte sich dabei auf das Sondervotum des Richters Röling im Tokio-Urteil, der die Command Responsibility, wie erwähnt, nur in sehr „eingeschränktem Maße“ anwenden wollte.89 In dem Urteil im Fall Kayishema & Ruzindana von Mai 1999 er82

Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para.

197. 83 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 240: „Civilian superiors undoubtedly bear responsibility for subordinate offences under certain conditions, but whether their responsibility contain identical elements to that of military commanders is not clear in customary international law.“ 84 Die Berufungskammer konnte auf Ausführungen verzichten, weil es bereits an einer Vorgesetztenstellung fehlte. 85 Boelaert-Suominen, VJIL 2001, 771; Williams, CLF 2003, 384. 86 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Berufungskammer v. 24.3.2000, Para. 76; Prosecutor v. Brd¯anin, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.9.2004, Para. 281, Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer v. 27.1.2000, Para. 148: „non seulement aux militaires, mais également à toute personne exerçant une fonction civile et investie d’une autorité hiérarchique“. 87 Prosecutor v. Kordic ´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 407. 88 Prosecutor v. Akayesu, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.9.1998, Para. 491. Dieses Urteil ist noch vor dem Cˇelebic´i-Urteil ergangen.

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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kannte das Ruanda-Tribunal die Anwendbarkeit der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf zivile Vorgesetzte sodann ebenfalls ausdrücklich an.90 Sucht man nach Urteilen der Ad-hoc-Tribunale, die sich mit der Verantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter befassen, so fällt auf, dass trotz der großen Anzahl der auf Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut bzw. Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut gestützten Anklagen sich die Gerichtshöfe dennoch nicht ausführlich mit der Anwendbarkeit der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf zivile Vorgesetzte bzw. deren Haftungsvoraussetzungen befasst haben. I. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals Es gibt neben den Urteilen im Fall Cˇelebic´i nur eine Handvoll Urteile des Jugoslawien-Tribunals, in denen die Kammern zur Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter ausdrücklich und vertieft Stellung genommen haben. Dies hat unterschiedliche Gründe: Es gibt zum einen Fälle, in denen zwar Anklage wegen Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut erhoben wurde, die Kammern aber wegen des Schuldbekenntnisses der Angeklagten auf eine Auseinandersetzung mit der Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit verzichten konnten. Es ergingen nur Urteile über die Höhe der Strafe (Sentencing Judgements).91 Dies gilt beispielsweise für Biljana Plavšic´, eine der Präsidenten der ausgerufenen serbischen Republik Bosnien-Herzegowina (spätere Republika Srspka), die auch nach Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut angeklagt worden war,92 und eine Reihe weiterer Angeklagter.93 Im Hinblick auf Plavšic stellt sich die weitergehende 89

Pritchard/Zaide, Tokyo War Crimes Trial: „Considerations of both law and policy, of both justice and expediency, indicate that this responsibility should only be recognized in a very restricted sense.“ Vgl. bereits I. 1. 90 Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.5.1999, Para. 213: „not a contentious one“, vgl. hierzu auch Williams, CLF 2003, 367. 91 Nach Rule 62 bis der Prozessordnung des Tribunals (Rules of Procedure and Evidence) muss das Schuldbekenntnis freiwillig und eindeutig sein und in Kenntnis und Verständnis der Anklagepunkte abgegeben werden, und es muss eine ausreichende Tatsachenbasis für die Verbrechen und die Beteiligung des Angeklagten geben. 92 Prosecutor v. Plavšic ´ , Anklageschrift v. 3.4.2000, Para. 41; Prosecutor v. Plavšic´, Urteil der Verhandlungskammer über die Höhe der Strafe v. 27.2.2003. 93 Prosecutor v. Todorovic ´ , Urteil der Verhandlungskammer über die Höhe der Strafe v. 31.7.2001 (Polizeichef von Bosanski Samac); Prosecutor v. Sikirica et al., Urteil der Verhandlungskammer über die Höhe der Strafe v. 13.11.2001 (Kommandant; Schichtwärter im Keraterm-Lager, vgl. aber bspw. Para. 19); Prosecutor v.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

Frage, ob sie überhaupt als zivile Vorgesetzte anzusehen gewesen wäre. Denn insbesondere hatte das Präsidialkollegium, dem Plavšic´ angehörte, das Oberkommando über die bosnisch-serbische Armee im Frieden wie im Krieg, so dass militärische Befehlsgewalt bestand. Ähnliches gilt auch für Radovan Karadžic´.94 Teilweise wurden Führungspersonen aus nicht-militärischen Bereichen auch gar nicht wegen Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut angeklagt. Dies betrifft Milan Babic´,95 Blagoje Simic´,96 Goran Hadžic´97, und auch Vojislav Šešelj.98 Des Weiteren kam es teilweise wegen des Todes der Angeklagten nicht zu einer Auseinandersetzung mit der Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Dies betrifft neben Slobodan Miloševic´,99 dem wohl bekanntesten Angeklagten des Jugoslawien-Tribunals, auch Slavko Dokmanovic´100, den Vorsitzenden (Präsidenten) des Gemeindegebiets Vukovar, der möglicherweise als nicht-militärischer Vorgesetzter hätte eingestuft werden können. Schließlich haben einige Kammern in ihren Urteilen auf eine Diskussion von Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut und deren Voraussetzungen im Fall ziviler Vorgesetzter ausdrücklich verzichtet. Milomir Stakic´101 war Vorsitzender Deronjic´, Urteil der Verhandlungskammer über die Höhe der Strafe v. 30.3.2004, Para. 14–19 (Präsident des Krisenstabes Bratunac, kurz vor der Anhörung wurde in der Anklage-schrift die superior responsibility gestrichen); Prosecutor v. Ivica Rajic´, Urteil über die Höhe der Strafe der Verhandlungskammer v. 8.5.2996, Para. 8, 11. 94 Prosecutor v. Karadžic ´ , Dritte überarbeitete Anklageschrift, 27.2.2009, Para. 33 fasst die verschiedenen Funktionen, die Karadžic´ innehatte, zusammen. 95 Prosecutor v. Babic ´ , Urteil über die Höhe der Strafe der Verhandlungskammer v. 29.6.2004. Milan Babic´ war Vorsitzender des Exekutivrats des „Serbischen Autonomen Gebiets Krajina“. Er bekannte sich für schuldig und beging nach seiner Verurteilung am 5.3.2006 Selbstmord. 96 Prosecutor v. Blagoje Simic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 17.10.2003 (Politiker und Vorsitzender der Partei SDS in Bosanski Samac und späterer Vorsitzender der Gemeindeversammlung). 97 Prosecutor v. Hadžic ´ , Anklageschrift v. 21.5.2004. (Präsident des „Serbischen Autonomen Gebiets Slawonien, Baranja und West-Srem“ und Präsident der „Republik Srpska Krajina“). 98 Prosecutor v. Šešelj, Anklageschrift v. 14.2.2003 (Gründer der „Serbischen Tschetnik Bewegung“ und Präsident der „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS)). 99 Prosecutor v. Slobodan Miloševic ´ , Zweite überarbeitete Anklageschrift v. 22.11.2002, Verfahrenseinstellung nach dem Tod von Miloševic´ am 11.3.2006. Miloševic´ übte allerdings wie Plavšic die Funktion als Oberbefehlshaber der Streitkräfte aus, so dass sich ebenfalls die Frage nach der Einordnung als militärischer oder ziviler Vorgesetzter gestellt hätte. 100 Prosecutor v. Dokmanovic ´ , Erste überarbeitete Anklageschrift v. 3.4.1996, Zweite Anklageschrift v. 2.12.1997, Verfahrenseinstellung am 15.7.1998 (Präsident des Gemeindegebiets Vukovar).

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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des Krisenstabes in Prijedor und wegen Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut angeklagt. Allerdings verzichtete die Verhandlungskammer auf genauere Ausführungen zu Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut, da die Verantwortlichkeit von Stakic´ besser durch Art. 7 Abs. 1 JStGH-Statut102 charakterisiert sei bzw. eine Verantwortlichkeit nach Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut dahinter zurücktrete.103 Diese Auffassung vertrat ebenfalls die Verhandlungskammer im Urteil im Fall Milan Martic´, einem hochrangigen politischen Führer der kroatischen Serben in der Krajina,104 und wohl (stillschweigend) auch die Verhandlungskammer im Urteil gegen den Vorsitzenden des bosnisch-serbischen Parlaments der Republika Srpska, Momcˇilo Krajišnik.105 Auch der jugoslawische Premierminister Nikola Šainovic´, den die Verhandlungskammer als „politischen Koordinator“ der Vertreibungen im Kosovo bezeichnete, wurde wegen Art. 7 Abs. 1 JStGH-Statut (als Mitglied eines gemeinsamen kriminellen Unterfangens (joint criminal entreprise)) und nicht wegen Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut verurteilt.106 Eine Gruppe der bisher entschiedenen Fälle zur Vorgesetztenverantwortlichkeit, in denen die Angeklagten nicht eindeutig dem Militär oder militärischen Bereich zugeordnet werden können, bilden die Urteile gegen Kommandanten von Kriegsgefangenen- oder Internierungslagern. Die Kammern des Jugoslawien-Tribunals haben in Bezug auf diese Angeklagten allerdings zumeist offen gelassen, ob diese als zivile oder militärische Vorgesetzte anzusehen sind.107 Bereits im Fall Cˇelebic´i blieb in Bezug auf den Angeklagten Zdravko Mucˇic´, den Kommandanten des bosnischen Kriegsgefangenen101 Prosecutor v. Stakic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 31.7.2003 (Stakic war Präsident der Gemeindeversammlung und des Krisenstabes von Prijedor). 102 Art. 7 (1) des JStGH-Statuts lautet: „A person who planned, instigated, ordered, committed or otherwise aided and abetted in the planning, preparation or execution of a crime referred to in articles 2 to 5 of the present Statute, shall be individually responsible for the crime.“ 103 Prosecutor v. Stakic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 31.7.2003, Para. 463 ff., 467. 104 Prosecutor v. Martic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 12.6.2007, Para. 434 (Martic´ hatte verschiedene Positionen inne: Polizeichef von Knin, Verteidigungsminister und Innenminister der SAO Krajina, stellvertretender Kommandeur der Territorial Defence der SAO Krajina, Präsident der Republik Krajina). 105 Prosecutor v. Krajišnik, Urteil der Verhandlungskammer v. 27.9.2006. In dem Urteil fehlt jegliche Auseinandersetzung mit Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut. Vgl. auch Berufungsurteil v. 17.3.2009. 106 Prosecutor v. Milutinovic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2009, Bd. 3, Para. 426, 427, 458–477. In Bezug auf die Sexualverbrechen erklärte die Kammer, dass Šainovic´ diese nicht als Folge des gemeinsamen kriminellen Unterfangens vorhersehen konnte, und verneinte zugleich auch eine Verantwortlichkeit als Vorgesetzter, da Šainovic´ auch nicht Grund gehabt hätte, von diesen Verbrechen zu wissen, Para. 472.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

lagers, trotz der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage der Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut auf zivile Vorgesetzte, letztlich offen, ob er als zivil oder militärisch eingestuft wurde.108 Problematisiert wurde die Frage im Fall Zlatko Aleksovski, da die Verteidigung darauf abgestellt hatte, dass Aleksovski lediglich ein ziviler Aufseher (civilian warden) im Gefängnis Kaonik gewesen sei, der nicht vom Verteidigungs-, sondern vom Justizministerium berufen worden sei.109 Die Verhandlungskammer hielt diesen Punkt für nicht erwiesen, aber auch für nicht entscheidungserheblich, da auch zivile Vorgesetzte bei tatsächlicher Führungsgewalt über die unmittelbaren Täter nach Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut hafteten.110 Auch die Berufungskammer ließ die Frage nach der Einstufung Aleksovskis mit derselben Begründung offen.111 Die Verhandlungskammer machte allerdings Ausführungen zu der Voraussetzung der Strafgewalt bei zivilen Vorgesetzten. Während die Strafgewalt im militärischen Bereich Ausfluß der Befehlsbefugnis sei, gelte dies im zivilen Bereich nicht. Dort gebe es keine Disziplinarbefugnisse gegenüber Untergebenen, die mit denen im militärischen Bereich vergleichbar wären. Die Befugnis zur Maßregelung und Bestrafung sei daher bei zivilen Vorgesetzten nicht ausschlaggebend, es reiche die Möglichkeit aus, dass sie Berichte an zuständige Behörden übermitteln können, die ein Untersuchung- oder Ermittlungsverfahren bzw. disziplinarische oder strafrechtliche Maßnahmen wahrscheinlich machten.112 Auch in Bezug auf Milorad Krnojelac, den Kommandanten des KP Dom Gefängnisses in Focˇa, hatte die Verteidigung anfänglich vorgebracht, Krnojelac sei lediglich ein „ziviler Aufseher“ bzw. nur mit technischen Aufgaben im Gefängnis befasst gewesen.113 Obwohl die Verhandlungskammer den 107 Auch hier endeten einige Fälle aufgrund des Schuldbekenntnisses der Angeklagten mit einem Urteil nur über die Höhe der Strafe, vgl. Prosecutor v. Sikirica et al., Urteil der Verhandlungskammer über die Höhe der Strafe v. 13.11.2001 (Keraterm Lager). 108 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 377 und Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 182 ff. 109 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.6.1999, Para. 91, Urteil der Berufungskammer v. 24.3.2000, Para. 66, 68. 110 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.6.1999, Para. 103. 111 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Berufungskammer v. 24.3.2000, Para. 76: „Appeals Chamber takes the view that it does not matter whether he was a civilian or military superior.“ 112 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.6.1999, Para. 78: „Although the power to sanction is the indissociable corollary of the power to issue orders within military hierarchy, it does not apply to the civilian authorities.“

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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Angeklagten nicht ausdrücklich als zivilen Vorgesetzten bezeichnete, stellte sie im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen fest, dass „derselbe Wissensstandard für zivile und militärische Vorgesetzte erforderlich sei“.114 Eindeutiger war der Status der Kommandanten des Lagers Omarska, das offiziell durch Anordnung des Polizeichefs von Prijedor errichtet worden war.115 Miroslav Kvocˇka war stellvertretender Kommandant und wie fast alle Angeklagten in diesem Fall Zivilpolizist.116 Die Verhandlungskammer erklärte, dass vier der fünf Angeklagten durchaus gewisse Führungsgewalt im Lager ausgeübt hätten, hat aber keinen der Angeklagten aufgrund seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit verurteilt.117 In Bezug auf Milojica Kos, einen Schichtleiter, hielt es die Kammer beispielsweise nicht für erwiesen, dass er in dem „notwendigen Maße tatsächliche Kontrolle“ (effective control) über Wärter ausgeübt habe, die die Straftaten begangen haben.“118 Wo genau die Schwelle ausreichender Kontrollgewalt für die „zivilen“ (civilian) Wärter lag, insbesondere ob sie anders zu bestimmen war als bei militärischen Vorgesetzten, erläuterte die Kammer nicht. Vielmehr ging die Kammer wohl von identischen Haftungsvoraussetzungen für militärische und zivile Vorgesetzte aus.119 Was die Frage der Strafgewalt betrifft, so stützte sich die Kammer auf die bereits im Fall Aleksovski geäußerte Auffassung, dass ein Vorgesetzter nicht selbst die Strafgewalt innehaben müsse, sondern es ausreichend sei, dass er die Pflicht habe, die zuständigen Behörden zu informieren.120 Ebenso vertrat die Kammer die Auffassung, dass eine Haftung nach Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut hinter eine Haftung nach Art. 7 Abs. 1 JStGH-Statut zurücktrete.121 113 Prosecutor v. Krnojelac, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.3.2002, Para. 98, Fn. 278. Die Berufungskammer hatte sich mit den subjektiven Haftungsvoraussetzungen vor allem in tatsächlicher Hinsicht zu befassen, vgl. Urteil der Berufungskammer v. 17.9.2003, Para. 149, sie hielt Krnojelac überdies auch als Vorgesetzten für Folterungen an den Insassen verantwortlich, vgl. Para. 171. 114 Prosecutor v. Krnojelac, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.3.2002, Para. 94. 115 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 17. 116 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 4. 117 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 410, 465 f., 570. 118 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 502. 119 Prosecutor. v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 316. 120 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 316.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

Lässt man die Verfahren gegen Gefängnis- und Lagerkommandanten beiseite, gibt es bisher nur eine kleine Anzahl von Urteilen, in denen als „zivil“ (civilian) eingestufte Vorgesetzte wegen Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut angeklagt waren und in denen sich die Kammern auch inhaltlich mit der Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit auseinandersetzten. Es handelt sich um das Verfahren gegen Dario Kordic´, einen Politiker mit „ernormer Macht und Einfluss in Zentralbosnien“,122 sowie das Verfahren gegen den Politiker und Vorsitzenden des Krisenstabes der selbsternannten Autonomen Republik Krajina, Radoslav Brd¯anin, den die Kammer ebenfalls ausdrücklich als zivilen Vorgesetzten bezeichnete.123 Schließlich ist auch das Urteil gegen Ljube Boškoski, den mazedonischen Innenminister, zu nennen.124 Keiner der drei Angeklagten wurde allerdings als Vorgesetzter zur Verantwortung gezogen. Sowohl bei Brd¯anin wie bei Kordic´ scheiterte eine Verurteilung aufgrund der Vorgesetztenverantwortlichkeit daran, dass sie trotz einflussreicher Stellung keine tatsächliche Kontrolle (effective control) über die jeweiligen Täter ausgeübt und nicht die Macht gehabt hätten, die Straftaten zu verhindern.125 Aus den Urteilen lässt sich nicht herauslesen, dass die Kammern im Hinblick auf die ihrer Ansicht nach „zivilen Vorgesetzten“ einen anderen Maßstab angelegt hätten, als er für militärische Befehlshaber gilt. Die Kammer im Fall Brd¯anin betonte nochmals, dass zivile Vorgesetzte denselben Haftungsvoraussetzungen unterliegen wie militärische Vorgesetzte.126 Die Verhandlungskammer im Fall Kordic´ mahnte abschließend, dass bei der Wertung des gegen Zivilpersonen vorliegenden Beweismaterials „große Vorsicht an den Tag zu legen ist“, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden.127 121 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 412, 465 f. Die Angeklagten wurden als Teilnehmer eines „gemeinsamen kriminellen Unterfangens“ (joint criminal enterprise) nach Art. 7 Abs. 1 JStGH-Statut verurteilt. 122 Prosecutor v. Kordic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 838 (hohe Parteiämter). Vgl. Besprechung des Urteils, Nybondas, Netherlands International Law Review 2003, 59–81. 123 Prosecutor v. Brd anin, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.9.2004, Para. ¯ 275, Fn. 733. 124 Prosecutor v. Boškoski & Tarc ˇ ulovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 10. Juli 2008. 125 Prosecutor v. Kordic ´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 840, 841, Prosecutor v. Brd¯anin, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.9.2004, Para. 372 ff. 126 Prosecutor v. Brd anin, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.9.2004, Para. ¯ 281, allein die Strafgewalt sei bei zivilen Vorgesetzten anders zu bestimmen, nämlich als Fähigkeit, eine Untersuchung durch Berichte an zuständige Behörden in Gang zu setzen.

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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Der Fall Boškoski ist besonders erwähnenswert, weil die Kammer alle Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeit prüfte. Sie erklärte, dass der mazedonische Innenminister Ljube Boškoski Vorgesetzter der Polizei war und auch von Verbrechen einer Polizeisondereinheit in einem mehrheitlich von Albanern bewohnten Dorf wusste oder zumindest hätte wissen können.128 Damit hielt sie eine Vorgesetzenverantwortlichkeit eines Innenministers für Straftaten von Polizeieinheiten grundsätzlich für möglich. Sie sprach Boškoski aber vom Vorwurf frei, als Vorgesetzter die Verbrechen nicht angemessen untersucht und die Täter nicht bestraft zu haben, weil er in gewissem Umfang Bericht an die zuständigen Behörden erstattet hatte. Die Tatsache, dass es letztendlich zu keiner nennenswerten Untersuchung und Strafverfolgung kam, habe außerhalb des Einflussbereichs Boškoskis gelegen.129 II. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung des Ruanda-Tribunals In der Rechtsprechung des Ruanda-Tribunals gibt es eine Reihe von Urteilen, die sich mit der Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit „ziviler“ Vorgesetzter auseinandersetzen. Wie in einigen Verfahren vor dem Jugoslawien-Tribunal konnte das Ruanda-Tribunal teilweise wegen des Schuldbekenntnisses des Angeklagten auf eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage verzichten. Dies gilt beispielsweise für das Verfahren gegen Jean Kambanda, den Premierminister der Interimsregierung von Ruanda von April bis Juli 1994.130 Teilweise waren Angeklagte nicht wegen Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut angeklagt oder die Anklage wurde zurückgezogen.131 Anders als in der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals gibt es aber eine ganze Anzahl von Angeklagten aus dem nicht-militärischen Bereich, die sich wegen Art. 6 Abs. 3 RStGH verantworten mussten. So wurden einige Bürgermeister,132 Präfekte und Minister unter anderem auch wegen Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut angeklagt, weil sie Massaker nicht 127

Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 841: „Great care must be taken in assessing the evidence to determine Command Responsibility in respect to civilians, lest an injustice is done.“ 128 Prosecutor v. Boškoski & Tarc ˇ ulovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 10. Juli 2008, Para. 515–517, vgl. aber auch Para. 389, 390. 129 Prosecutor v. Boškoski & Tarc ˇ ulovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 10. Juli 2008, Para. 536. 130 Prosecutor v. Kambanda, Urteil der Verhandlungskammer über die Höhe der Strafe v. 4.9.1998. 131 Prosecutor v. Ndindabahizi, Urteil der Berufungskammer v. 16.1.2007, Para. 4 m. w. N.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

verhindert hätten.133 In fast allen Fällen lehnten die Kammern eine Haftung nach Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut ab und begründeten dies überwiegend damit, dass die Angeklagten keine tatsächliche Kontrolle (effective control) über die jeweiligen Täter ausgeübt hätten.134 Im Fall Bagilishema stellte die Berufungskammer klar, dass der Grad der erforderlichen tatsächliche Kontrolle für militärische und zivile Vorgesetzte gleich sei, aber dass damit nicht zugleich impliziert sei, dass tatsächliche Kontrolle durch einen zivilen Vorgesetzten notwendigerweise in gleicher Weise wie durch einen militärischen Vorgesetzten ausgeübt werde.135 Der Präfekt Clément Kayishema wurde aufgrund von Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut verurteilt. Die Verhandlungskammer war der Ansicht, dass er tatsächliche Kontrolle über die Täter verschiedener Massaker ausgeübt hatte. An den Massakern beteiligt waren sowohl Bürgermeister, Soldaten, Gemeindepolizisten, Mitglieder der paramilitärischen Interahamwe oder einfache bewaffnete Zivilpersonen.136 Dass der Nachweis der „tatsächlichen Kontrolle“ in diesem Fall gelang, lag allerdings maßgeblich daran, dass Kayishema an der Organisation und Durchführung der meisten Massaker selbst beteiligt war. Die zusätzliche Verurteilung aufgrund von Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut wirkt daher angesichts der aktiven Beteiligung Kayishemas überflüssig.137 Im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen nahm die Verhandlungskammer im Fall Kayishema Bezug auf Art. 28 b) IStGH-Statut und er132 Zur Funktion und Stellung des bourgmestre in Ruanda vgl. Prosecutor v. Akayesu, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.9.1998, Para. 58 ff. 133 Prosecutor v. Akayesu, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.9.1998 (bourgmestre, Taba commune); Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 7.6.2001 und Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2002 (bourgmestre, Mabanza commune), Prosecutor v. Kayishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999 und Urteil der Berufungskammer v. 1.6.2001 (Präfekt Kibuye Prefecture); Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki, Imanishimwe, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.2.2004 und Urteil der Berufungskammer v. 7.7.2006 (Bagambiki war Präfekt von Cyangugu). 134 Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki, Imanishimwe, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.2.2004, Para. 677 (Bagambiki); Prosecutor v. Niyetegeka, Urteil der Verhandlungskammer v. 16.5.2003, Para. 476 (Informationsminister), Prosecutor v. Kamuhanda, Urteil v. 22.1.2004, Para. 569 (Erziehungsminister). 135 Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2002, Para. 52. 136 Prosecutor v. Kayishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999, Para. 476, 501, 506. Vgl. Besprechung Wenqi, S. 373 ff. 137 Zahar, LJIL 2001, 598: „almost absurd“. Aus der Tatsache, dass Kayishema einige Massaker „orchestriert hatte“, schloss die Verhandlungskammer darüber hinaus, dass er auch ein anderes Massaker, bei dem er persönlich nicht anwesend war und das er auch nicht befohlen hatte, hätte verhindern können. Prosecutor v. Kayishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999, Para. 516.

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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klärte die dort normierten unterschiedlichen subjektiven Voraussetzungen für „instruktiv“.138 Dieser Auffassung ist jedoch keine Kammer des Jugoslawien- oder Ruanda-Tribunals in der späteren Rechtsprechung gefolgt. Anhaltspunkte für unterschiedliche Haftungsvoraussetzungen für zivile Vorgesetzte gibt es – abgesehen von dieser Äußerung der Kammer im Fall Kayishema – nicht. In der Rechtsprechung des Ruanda-Tribunals finden sich nicht nur Urteile gegen zivile Vorgesetzte, die der Gruppe der „Amtsträger“ zugeordnet werden können, sondern auch einige Urteile gegen zivile Vorgesetzte in anderen, staatsferneren Bereichen wie den Massenmedien, politischen Parteien, Betrieben (Teefabrik) bzw. Krankenhäusern. Die Berufungskammer im Fall Nahimana, Barayagwiza und Ngeze verwarf ausdrücklich das von der Verteidigung vorgebrachte Argument, dass allein zivile Vorgesetzte in staatlichen oder öffentlichen Institutionen der Haftung unterlägen.139 Eine Verurteilung des (faktischen) Krankenhausdirektors Gérard Ntakirutimana aufgrund von Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut scheiterte allerdings daran, dass dieser, nach Ansicht der Kammer, keine tatsächliche Kontrolle (effective control) über den Personalchef des Krankenhauses ausgeübt hatte.140 Grundsätzlich erschien der Kammer aber eine Vorgesetzenverantwortlichkeit im Krankenhaus denkbar. Dies gilt ebenfalls für Radiosender und Parteien. Jean-Bosco Barayagwiza war nach Auffassung der Verhandlungskammer „die Nummer 2“ im Radiosender RTLM, der mit vielen Beiträgen den Hass unter den ethnischen Gruppen geschürt und der auch Aufrufe zur Vernichtung der Tutsi verbreitet hatte.141 Sie hielt Barayagwiza für strafrechtlich verantwortlich, weil er keine Maßnahmen ergriffen habe, um Völkermordtaten zu verhindern. Wiederum wird diese Feststellung allerdings mit aktivem Tun verknüpft. So formulierte die Kammer, dass Barayagwiza wegen seiner aktiven Tätigkeit im Management des Radiosenders und wegen seines Versäumnisses, die Tötungen zu verhindern, aufgrund von Vorgesetztenverantwortlichkeit hafte.142 138

Prosecutor v. Kayishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999, Para.

227 f. 139 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007, Para. 785. 140 Prosecutor v. Ntakirutimana (Gérard & Elizaphan), Urteil der Verhandlungskammer v. 21.2.2003, Para. 437, 438. 141 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 3.12.2003, Para. 949, 958–960. 142 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 3.12.2003, Para. 973: „For his active engagement in the management of RTLM prior to 6 April, and his failure to take necessary and reasonable measures to prevent the killing of Tutsi civilians instigated by RTLM.“

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

Die Berufungskammer hielt diese Formulierung für „uneindeutig“ und hob die Verurteilung wegen Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut auf, da es im relevanten Zeitraum an tatsächlicher Kontrolle gefehlt habe.143 Dass auch die Berufungskammer allerdings grundsätzlich eine Vorgesetztenverantwortlichkeit in einem Radiosender für möglich hielt, zeigt sich schon daran, dass sie die Verurteilung von Ferdinand Nahimana, eines weiteren Leiters des Radios, aufgrund von Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut aufrecht erhielt.144 Nach Ansicht der Verhandlungskammer haftete Barayagwiza auch als Vorgesetzter für die von seiner Partei unterstützte Miliz, soweit deren Aktivitäten im Einklang mit seinen Direktiven als Parteichef standen. Er sei oft bei Demonstrationen und Blockaden dabei gewesen und habe deren Aktionen auch angeführt.145 Auch hier bezieht sich die Kammer zugleich auf aktives Verhalten. Wegen dieser unzulässigen Doppelverurteilung hob die Berufungskammer auch die Verurteilung wegen Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut auf.146 Das Urteil der Verhandlungskammer enthält allerdings einige interessante Aussagen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in einer politischen Partei: Die Kammer erklärte, dass die Parteiführung nicht für alle Handlungen ihrer Parteimitglieder oder -anhänger hafte, da in einer politischen Partei, anders als in einer Regierung, im Militär oder in einer Unternehmensstruktur, die Mitglieder nicht durch ihren Beruf oder ihre Anstellung an die Entscheidungen der Parteiführung gebunden seien. Doch sei es denkbar, dass eine Parteiführung bestimmte Verhaltensweisen diktiere. Soweit Mitglieder diesen Anweisungen folgen, könne auch die Parteiführung zur Verantwortung gezogen werden.147 Mit anderen Worten, in einer politischen Partei fehlt es in der Regel an einer Vorgesetztenstellung der Parteiführung. Wiederum hält es die Kammer aber nicht für ausgeschlossen, dass eine Partei auf Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnissen fusst. Der Fall Musema endete mit einer Verurteilung nach Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut. Alfred Musema war Direktor einer Teefabrik in der Präfektur Kibuye. Angestellte der Teefabrik beteiligten sich an einer ganzen Reihe von Massakern. Die Verhandlungskammer war der Auffassung, dass Mu143 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007, Para. 631, 636. 144 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007, Para. 822, 834, 856, 857. 145 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 3.12.2003, Para. 976, 977. 146 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007, Paras 667, 882, 883, 1003. 147 Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 3.12.2003, Para. 976.

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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sema als Vorgesetzter tatsächliche Kontrolle (effective control) über seine Angestellten ausgeübt habe, aber nichts zur Verhinderung der Straftaten unternommen habe.148 Ebenfalls habe er es zugelassen, dass die Angestellten der Teefabrik und auch Mitglieder der paramilitärischen Interahamwe Fahrzeuge der Teefabrik als Transportmittel nutzten.149 Die Führungsgewalt Musemas über die Angestellten leitete die Kammer aus der „rechtlichen und finanziellen Kontrolle“ ab; insbesondere habe Musema mit der Entlassung der Angestellten aus der Teefabrik drohen können, um sie an der Begehung von Straftaten zu hindern.150 Wie im Fall Kayishema war Musema an den Angriffen und Massakern jedoch selbst beteiligt oder zumindest anwesend, so dass er jeweils bereits wegen Art. 6 Abs. 1 RStGH-Statut (Befehligen, Begehen bzw. Beihilfe) verurteilt wurde.151 Eine zusätzliche Verurteilung wegen Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut war daher wiederum überflüssig. III. Das Konzept des zivilen Vorgesetzten in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale Da die Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in den Statuten der Ad-hoc-Tribunale nicht zwischen militärischen und zivilen Vorgesetzten unterscheiden, und die Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale ebenfalls davon ausgeht, dass dieselben Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeit für militärische und zivile Vorgesetzte gelten, wurden die Begriffe „militärischer“ und „ziviler (civilian) Vorgesetzter“ in der Rechtsprechung bisher nicht näher definiert. Aus der Verwendung der Begriffe „militärischer Vorgesetzter“ und „ziviler Vorgesetzter“ in den Urteilen ergibt sich daher auch kein schlüssiges Konzept des militärischen bzw. zivilen Vorgesetzten. Es lassen sich allein einige Anhaltspunkte gewinnen. Nur auf den ersten Blick scheint es, dass die Bezeichnung als militärischer oder ziviler Vorgesetzter von dem beruflichen Werdegang des Angeklagten abhängt und die Ad-hoc-Tribunale Angeklagte dann als „zivil“ einstufen, wenn sie keine militärische Ausbildung oder keinen militärischen Titel oder Rang haben. So wurde beispielsweise Tihomir Blaškic´, ein Befehlshaber des „kroatischen Verteidigungsrates“ (HVO), der im April 1992 aufgestellten Armee der bosnischen Kroaten, als „militärischer Befehls148 Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer 894 f., 899 f., 905 f., 914 f., 919 f., 925 f. 149 Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer 896, 921. 150 Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer 880. 151 Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer 891, 897, 903, 912, 917, 922.

v. 27.1.2000, Para. v. 27.1.2000, Para. v. 27.1.2000, Para. v. 27.1.2000, Para.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

haber“ verurteilt.152 Blaškic´ hatte bereits eine militärische Karriere in der jugoslawischen Volksarmee und in der kroatischen Armee hinter sich, bevor er Kommandeur der bosnisch-kroatischen Armee wurde.153 Andererseits wurde Vinko Martinovic´, der auf keinen militärischen Werdegang zurückblicken konnte, ebenfalls als „regulärer militärischer Befehlshaber“ der bosnisch-kroatischen Armee bezeichnet.154 Die Kammer wies insbesondere das Argument der Verteidigung zurück, Martinovic´ sei ein ziviler oder nur quasi-militärischer Vorgesetzter gewesen.155 Auch Mladen Naletilic´ wurde als „Befehlshaber“ bezeichnet.156 Die Einstufung als „militärischer“ oder „ziviler Vorgesetzter“ scheint daher eher von dem Charakter der Einheit oder Organisation abzuhängen, in der eine Person eine Vorgesetztenstellung einnimmt, und nicht von dem beruflichen Werdegang dieser Person oder einem bekleideten militärischen Rang. Dies bedeutet, dass auch „zivile Personen“ zu militärischen Vorgesetzten avancieren können, wenn sie in einer militärischen Einheit eine Vorgesetztenstellung einnehmen. In der Tat prüfte das Jugoslawien-Tribunal beispielsweise, ob der Politiker Dario Kordic´157 eine Befehlshaberposition in der bosnisch-kroatischen Armee innegehabt hatte. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass Kordic´ zwar Einflussmöglichkeiten in militärischen Angelegenheiten gehabt und sogar Befehle gezeichnet habe, jedoch insgesamt keine tatsächliche Kontrolle über die Truppen ausgeübt habe.158 Das Tribunal schlussfolgerte, dass Kordic´ nicht in die Befehlskette eingegliedert und durchweg „Zivilist geblieben“ war.159 Kommt es folglich für die Kategorisierung als „militärisch“ oder „zivil“ auf die jeweilige Organisation, Institution oder Einheit an, stellt sich die weitergehende Frage, welche Organisationen, Institutionen oder Einheiten in die eine oder andere Kategorie gehören. Militärische Einheiten par excel152 Prosecutor v. Blaškic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000, Para. 261, 721, 723. 153 Prosecutor v. Blaškic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000, Para. 766. 154 Prosecutor v. Naletilic ´ and Martinovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.3.2003, Para. 101. 155 Prosecutor v. Naletilic ´ & Martinovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.3.2003, Para. 99, 101. 156 Prosecutor v. Naletilic ´ & Martinovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.3.2003, Para. 94, 116, 141. 157 Prosecutor v. Kordic ´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 838. 158 Prosecutor v. Kordic ´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 839–841. 159 Prosecutor v. Kordic ´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 839.

B. Zivile Vorgesetzte in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale

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lence sind wohl die Streitkräfte, auch wenn sie erst im Laufe des Konflikts entstanden und nicht den Status einer regulären staatlichen Armee haben. Die Kammer im Fall Naletilic´ und Martinovic´ bezeichnete die bosnischkroatische Armee beispielsweise als „de facto Armee“.160 Die Bürgermeister in Ruanda, sowie Ntakirutima, Barayagwiza und Musema wären hingegen als zivile Vorgesetzte einzustufen, soweit es um ihre Vorgesetztenstellung innerhalb der „zivilen Institutionen“ Gemeinde, Krankenhaus, Partei, Radiosender oder Fabrik ging. Wie angemerkt, ist aber fraglich, ob Angeklagte wie Musema noch als zivile Vorgesetzte anzusehen sind, wenn sie bewaffnete Gruppen anführen. Soweit diese bewaffneten Gruppen eine gewisse Stabilität haben, dürfte es für die Einordnung ihrer Anführer unerheblich sein, dass einige Mitglieder (und ihr Anführer) zugleich noch einer anderen zivilen Organisation angehören. Schwierig erweist sich auch die Einordnung der Lager- und Gefängnisfälle. Hier hat das Jugoslawien-Tribunal, wie erwähnt, den Status der Angeklagten meist offen gelassen. Auch die Einordnung der Polizei ist nicht einfach, insbesondere soweit es um deren Militarisierung geht. So bezeichnete das Ruanda-Tribunal den Bürgermeister Bagilishema als zivilen Vorgesetzten der Gemeindepolizei; diese sei allerdings „militaristisch“ gewesen.161 Die Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale kann insoweit nur Anhaltspunkte für eine Bestimmung und Abgrenzung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten liefern.162 IV. Zusammenfassung Die den Cˇelebic´i-Urteilen nachfolgende Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale hat bestätigt, dass die Vorgesetztenverantwortlichkeit auch auf zivile Vorgesetzte anwendbar ist, wobei jedoch kaum Verurteilungen ziviler Vorgesetzter aufgrund von Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut oder Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut vorliegen. Sowohl Vorgesetzte im staatlichen Bereich als auch im Unternehmensbereich waren wegen Vorgesetztenverantwortlichkeit angeklagt. Eine Verurteilung scheiterte im Ergebnis aber zumeist an der fehlenden tatsächlichen Kontrolle (effective control) über die unmittelbaren Straftäter. Es zeigt sich insofern, dass gerade der Nachweis einer tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle im nicht-militärischen Bereich schwer 160

Prosecutor v. Naletilic´ & Martinovic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.3.2003, Para. 99, 101. 161 Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 7.6.2001, Para. 171. 162 Vgl. Diskussion unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale und der Ergebnisse des Rechtsvergleichs unter 4. Teil E. IV.

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1. Teil: Entwicklung der Vorgesetztenverantwortlichkeit

zu führen ist. Es lässt sich aber nicht erkennen, dass die Kammern in Bezug auf zivile Vorgesetzte bei der Einschätzung der tatsächlichen Kontrollgewalt über Untergebene einen niedrigeren oder höheren Maßstab angelegt hätten als bei militärischen Befehlshabern. Wie der Berufungskammer der RuandaTribunals klargestellt hat, ist derselbe Grad an Kontrolle erforderlich und allein die Art und Weise, wie Kontrolle ausgeübt wird, kann bei militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten unterschiedlich sein. Tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle wurde allerdings bei nicht eindeutig militärischen Vorgesetzten meist nur dann als erwiesen angesehen, wenn die Angeklagten gleichzeitig an der Organisation und Durchführung der Straftaten der Untergebenen beteiligt waren; gerade in diesen Fällen tritt aber die Haftung als Vorgesetzter, die auf Unterlassen beruht, hinter der aktiven Beteiligung zurück. Was die Vorgesetztenverantwortlichkeit ziviler und militärischer Vorgesetzten nach den Statuten der Ad-hoc-Tribunale betrifft, so gelten nach gefestigter Rechtsprechung dieselben Haftungsvoraussetzungen. Dies haben die Kammern im Anschluss an das Berufungsurteil im Fall Cˇelebic´i klargestellt und sich daher mit dem Begriff des zivilen Vorgesetzten und der Abgrenzung von einem militärischen Vorgesetzten nicht näher auseinandersetzen müssen. Es gibt aber Anhaltspunkte in der Rechtsprechung dieser Tribunale, dass die Bezeichnung von Vorgesetzten als „militärisch“ oder „zivil“ von der jeweiligen Organisation oder Einheit abhängt, der der Vorgesetzte zugehörig ist. In Art. 28 IStGH-Statut finden sich die durch die Ad-hoc-Tribunale herausgearbeiteten Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeit wieder. Ausdrücklich hat die Voraussetzung der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle Niederschlag gefunden (effective command/authority and control). Darüber hinaus wurde anstelle der Alternative der unterlassenen Bestrafung die allgemeinere Formulierung gewählt „Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorlegen“ (submit the matter to the competent authorities). Art. 28 IStGH-Statut normiert darüber hinaus zusätzliche bzw. abweichende Haftungsvoraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte. Im folgenden Teil wird Art. 28 IStGH-Statut einer Normanalyse unterzogen.

Zweiter Teil

Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Artikel 28 IStGH-Statut A. Allgemeines zur Auslegung des Römischen Statuts Das Römische Statut trifft wenig Aussagen über die Art und Weise der Auslegung der einzelnen Vorschriften.1 Da es sich bei dem Römischen Statut um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, sind die allgemeinen Auslegungsregeln für völkerrechtliche Verträge in Art. 31, 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVRK)2 anwendbar.3 Nach Art. 31 WVRK ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte des Ziels und Zweckes auszulegen.4 Nach Art. 32 WVRK können als ergänzende Auslegungsmittel die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsschlusses (travaux préparatoires) herangezogen werden. Nach Art. 31 Abs. 3 WVRK können schließlich auch jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung des Vertrages und seiner Bestimmungen, jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, sowie jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz berücksichtigt werden. Schließlich ist eine Völkerrechtsnorm nach dem „Grundsatz gewohnheitsrechtskonformer Auslegung“5 im Lichte und in Übereinstimmung mit Völkergewohnheitsrecht auszulegen. 1 Art. 9 Abs. 1 IStGH-Statut bestimmt, dass die „Verbrechenselemente“ bei der Auslegung und Anwendung von Art. 6–8 IStGH-Statut helfen sollen. Nach Art. 21 Abs. 3 IStGH-Statut muss jede Auslegung und Anwendung des Rechts mit den international anerkannten Menschenrechten vereinbar sein und darf den Grundsatz der Gleichberechtigung nicht verletzen. Neben diesem Grundsatz der „menschenrechtskonformen Auslegung“ ergeben sich weder aus den Verbrechenselementen noch aus dem Statut genaue Auslegungsregeln. 2 Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge v. 23.5.1969, BGBl. 1985 II, S. 927. 3 Kittichaisaree, S. 50. 4 Die wörtliche, systematische und teleologische Auslegung sind überdies völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, so dass im gesamten Völkerstrafrecht der klassische Kanon der Auslegungsmethoden gilt.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Art. 28 IStGH-Statut wird im Folgenden zunächst von seinem Wortlaut und seiner Logik und Systematik her interpretiert. Soweit ein Merkmal bereits in den Vorgängervorschriften, insbesondere in Art. 7 Abs. 3 JStGHStatut bzw. Art. 6 Abs. 3 RStGH-Statut vorhanden war, wird auch die entsprechende Auslegung durch die Ad-hoc-Tribunale zum Vergleich hinzugezogen. Hilfsweise wird auf die Vorarbeiten der Vorbereitungskommission sowie die Arbeiten der Staatenkonferenz verwiesen. Die ersten Angeklagten vor dem Internationalen Strafgerichtshof waren nicht wegen Art. 28 IStGH-Statut angeklagt. Am 30. März 2009 wurde aber auf Anregung der Vorverfahrenskammer eine überarbeitete Anklageschrift gegen Jean-Pierre Bemba Gomba eingereicht, die sich auch ausdrücklich auf Art. 28 IStGH-Statut stützt.6 Am 15. Juni 2009 hat die Vorverfahrenskammer sodann in ihrer Entscheidung über die Vorwürfe gegen Bemba Gomba zu Art. 28 a) IStGH-Statut Stellung genommen und die auf Vorgesetztenverantwortlichkeit gestützten Vorwürfe gegen ihn bestätigt.7 Auf diese ersten Ausführungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu Art. 28 IStGH-Statut wird ebenfalls im Folgenden Bezug genommen. I. Wortlaut des Art. 28 IStGH-Statut Art. 28 IStGH-Statut lautet in der englischen Fassung:8 „In addition to other grounds of criminal responsibility under this Statute for crimes within the jurisdiction of the Court: (a) A military commander or person effectively acting as a military commander shall be criminally responsible for crimes within the jurisdiction of the Court committed by forces under his or her effective command and control, or 5

Werle, Völkerstrafrecht, S. 65 Rn. 162. Die Vorverfahrenskammer hatte eine Überarbeitung angeregt, da die vorgelegten Beweise auf Vorgesetztenverantwortlichkeit hindeuteten, und die Anhörung daraufhin ausgesetzt; Prosecutor v. Bemba, Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 61(7)(c)(ii) des Rom-Statuts, 3.3.2009, Para. 41–49. 7 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, S. 184, 185. 8 Im Rahmen der Arbeit wird mit der verbindlichen englischen Fassung gearbeitet und teilweise zusätzlich auf die ebenfalls verbindlichen (Art. 128 IStGH-Statut) französischen und russischen Fassungen zurückgegriffen. Aus sprachlichen Gründen werden die Vorschriften des Römischen Statuts auf deutsch zitiert. Art. 28 IStGH-Statut lautet in der deutschen, nicht-verbindlichen Fassung: „Neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieses Statuts für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen gilt folgendes: a) Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit 6

A. Allgemeines zur Auslegung des Römischen Statuts

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effective authority and control as the case may be, as a result of his or her failure to exercise control properly over such forces, where: (i) That military commander or person either knew or, owing to the circumstances at the time, should have known that the forces were committing or about to commit such crimes; and (ii) That military commander or person failed to take all necessary and reasonable measures within his or her power to prevent or repress their commission or to submit the matter to the competent authorities for investigation and prosecution. (b) With respect to superior and subordinate relationships not described in paragraph (a), a superior shall be criminally responsible for crimes within the jurisdiction of the Court committed by subordinates under his or her effective authority and control, as a result of his or her failure to exercise control properly over such subordinates, where: (i)

The superior either knew, or consciously disregarded information which clearly indicated, that the subordinates were committing or about to commit such crimes;

(ii) The crimes concerned activities that were within the effective responsibility and control of the superior; and des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehls- beziehungsweise Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Truppen auszuüben, wenn i) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umständen hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, und ii) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner oder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen. b) In Bezug auf unter Buchstabe a nicht beschriebene Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisse ist ein Vorgesetzter strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen auszuüben, wenn i) der Vorgesetzte entweder wusste, dass die Untergebenen solche Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht ließ; ii) die Verbrechen Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen, und iii) der Vorgesetzte nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.“

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut (iii) The superior failed to take all necessary and reasonable measures within his or her power to prevent or repress their commission or to submit the matter to the competent authorities for investigation and prosecution.“

II. Systematische Stellung des Art. 28 IStGH-Statut Art. 28 IStGH-Statut befindet sich in Teil 3 des Römischen Statuts „Allgemeine Grundsätze des Strafrechts“ (Art. 22–33 IStGH-Statut). In diesem Teil 3 des Statuts sind nicht nur allgemeine Grundsätze zu finden,9 sondern auch Vorschriften, die auch in Teil 2 „Gerichtsbarkeit, Zulässigkeit und anwendbares Recht“ gepasst hätten, weil sie Aussagen zur Gerichtsbarkeit oder zum anwendbaren Recht treffen.10 Weiterhin finden sich in Teil 3 des Statuts Vorschriften, die man mit einem „Allgemeinen Teil des Strafrechts“11 in Zusammenhang bringen kann, weil sie allgemein für alle im Statut aufgezählten Verbrechen gelten und allgemeine Voraussetzungen für eine Strafbarkeit normieren.12 Art. 28 IStGH-Statut ist in der Mitte dieses eklektischen Teils 3 platziert. Systematische Bezüge lassen sich zum einen mit der unmittelbaren Vorgängervorschrift Art. 27 IStGH-Statut herstellen. Art. 27 IStGH-Statut erkennt weder die amtliche Eigenschaft einer Person noch Immunitäten als Ausschlussgründe für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit an. Damit kommt grundsätzlich eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut in Betracht, so kann man das Statut weiterlesen. Über diesen allgemeinen Zusammenhang hinaus dürften die beiden Vorschriften allerdings nur eine gemeinsame Schnittmenge haben. Denn weder müssen Personen mit amtlicher Eigenschaft oder Immunitätsanspruch notwendigerweise zugleich „Vorgesetzte“ im Sinne von Art. 28 IStGH-Statut sein, noch liegt es auf der Hand, den Begriff „Vorgesetzter“ per se auf Amtsträger zu beschränken. Die einleitenden Worte „neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit“ (in addition to other grounds of criminal responsibility) 9 So ist hier der Grundsatz nullum crimen – nulla poena (Art. 22 Abs. 1, Art. 23, Art. 24 IStGH-Statut) niedergelegt. Der Grundsatz ne bis in idem (Art. 20 IStGHStatut) findet sich allerdings in Teil 2 des Statuts. 10 Art. 26 IStGH-Statut (ratione personae), Art. 27 IStGH-Statut (Immunitäten). In gewisser Weise gilt dies auch für die Verjährungsvorschrift des Art. 29 IStGHStatut. 11 Weigend, in: Festschrift für Roxin, S. 1386. 12 Dies gilt für die Vorschriften zu subjektiven Tatbestandsmerkmalen (Art. 30 IStGH-Statut), zu Ausschlussgründen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (Art. 31 IStGH-Statut), zum Tat- und Rechtsirrtum (Art. 32 IStGH-Statut) sowie zu Anordnungen Vorgesetzter (Art. 33 IStGH-Statut) und schließlich für Art. 25 IStGH-Statut, der Vorschrift zur individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit.

A. Allgemeines zur Auslegung des Römischen Statuts

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deuten an, dass Art. 28 IStGH-Statut ergänzende oder Sonderregelungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit trifft. Insoweit muss Art. 28 IStGHStatut schließlich im Vergleich und Zusammenhang mit der Zentralnorm für die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit, mit Art. 25 IStGH-Statut gelesen werden.13 Die Stellung von Art. 28 IStGH-Statut im Römischen Statut spricht für die Einordnung der Vorgesetztenverantwortlichkeit als Begehungsform und gegen die Einordnung als eigenständiges Delikt.14 III. Entstehungsgeschichte des Art. 28 IStGH-Statut Die Vorbereitungskommission für die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs (Preparatory Committee for the Establishment of an International Criminal Court) erarbeitete einen Entwurf für ein Statut, der der Diplomatischen Konferenz zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs vorlag, die vom 15. Juni bis 17. Juli 1998 in Rom stattfand.15 In diesem Entwurf war die Vorgesetztenverantwortlichkeit als Art. 25 wie folgt gefasst: „Article 25 Responsibility of [commanders] [superiors] for acts of [forces under their command] [subordinates] [In addition to other forms of responsibility for crimes under this Statute, a [commander] [superior] is criminally responsible] [A [commander] [superior] is not relieved of responsibility] for crimes under this Statute committed by [forces] [subordinates] under his or her command [or authority] and effective control as a result of the [commander’s] [superior’s] failure to exercise properly this control where: a) the [commander] [superior] either knew, or [owing to the widespread commission of the offences] [owing to the circumstances at the time] should have known, that the [forces] [subordinates] were committing or intending to commit such crimes; and b) the [commander] [superior] failed to take all necessary and reasonable measures within his or her power to prevent or repress their commission [or punish the perpetrators thereof].“16 13 Auf das Konkurrenzverhältnis von Art. 28 und Art. 25 IStGH-Statut wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. 14 Vgl. Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals zu dieser Frage, Einleitung, Fn. 19, S. 27. 15 Vgl. zum Ablauf der Konferenz Kirsch/Robinson, in: Cassese et al., The Rome Statute, Bd. 1, S. 67–91 und Lee (Hg.), The International Criminal Court, 1999. 16 Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court to the United Nations Diplomatic Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court Rome 16 June-17 July 1998 v. 14.4.1998, UN Doc. A/CONF. 183/2/Add.1, abgedruckt in: Bassiouni, The Legislative History, Bd. 2, S. 212.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Auffällig ist, dass der Vorschlag noch nicht die charakteristische Zweiteilung für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte enthält, sondern einen einheitlichen Standard normiert.17 Die Zweiteilung und damit verbundenen unterschiedlichen Standards für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte geht auf einen Vorschlag der Delegation der USA während der Verhandlungen in Rom zurück.18 In diesem Vorschlag wurde zwischen militärischen Befehlshabern (commanders) und zivilen Vorgesetzten (civilian superiors) unterschieden. Die Delegation der USA argumentierte, dass der Unterschied zwischen militärischen und zivilen Vorgesetztem in Art und Umfang ihrer Autorität liege, da es in zivilem Kontext beispielsweise kein vergleichbares Sanktionensystem gebe, wie es militärischen Befehlshabern zur Verfügung stehe. Militärische Befehlshaber sollten schon bei Fahrlässigkeit (negligence) haften, weil sie über „tödliche Gewalt“ (lethal force) verfügten, während zivile Vorgesetzte nur über Bürokratie walteten.19 Ein Fahrlässigkeitsmaßstab sei für zivile Vorgesetzte nicht angemessen.20 Im Hinblick auf das Erfordernis in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut argumentierte die Delegation, dass zivile Vorgesetzte für ihre Untergebenen nur bei der Arbeit und nicht für Taten außerhalb der Arbeitsstelle haften sollen, während militärische Befehlshaber für ihre Truppen zu allen Zeiten verantwortlich seien.21 Die durch das Gesamtkomitee der Konferenz (Committee of the Whole) beauftragte Arbeitsgruppe für die allgemeinen Grundsätze griff den Vorschlag der USA auf22 und entwickelte hieraus im Wesentlichen23 die schließlich als Art. 28 IStGH-Statut verabschiedete Vorschrift. Erwähnens17

Auch die Vorentwürfe der Vorbereitungskommission (Article C) und der Zutphen-Entwurf (Article 19) enthielten noch nicht die Zweiteilung; vgl. abgedruckt in: Bassiouni, The Legislative History, Bd. 2, S. 213–214. 18 United States of America: Proposal regarding Article 25 vom 16.6.1998, UN Doc. A/CONF.183/C.1/L.2, Official Records, Bd. III, F. Documents of the Committee of the Whole, S. 258. 19 Summary Records of the Plenary Meetings, UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, Para 67, 68. 20 United States of America: Proposal regarding article 25 v. 16.6.1998, UN Doc. A/CONF.183/C.1/L.2, Official Records, Bd. III, F. Documents of the Committee of the Whole, S. 258. 21 Summary Records of the Plenary Meetings, UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, Para. 68. Vgl. auch UN Doc. A/CONF/183./C.1/SR.23, 3.7.1998, Para. 2, 10. 22 Working Paper on Article 25 v. 25.5.1998, UN Doc. A/CONF.183/C.1/ WGGP/L.7/REV.1, Official Records, Bd. III, F. Documents of the Committee of the Whole, S. 252 f. 23 Die Überarbeitungskommission (Drafting Committee) nahm, soweit ersichtlich, nur sprachliche Änderungen vor (z. B. „shall be responsible“, „that person“) sowie eine Umnummerierung der Artikel.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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wert erscheint, dass es in der Arbeitsgruppe zu extensiven Diskussionen über die Vorschrift kam, und die Arbeitsgruppe selbst die erarbeitete Vorschrift als „recht delikaten Kompromiss“24 bezeichnet.

B. Normanalyse des Artikel 28 IStGH-Statut Art. 28 IStGH-Statut gliedert sich in die großen Regelungsblöcke unter a) und b). Die beiden Blöcke sind dabei ähnlich strukturiert und beginnen mit folgendem Chapeau, also folgender einkleidenden Formel: „[. . .] shall be criminally responsible for crimes within the jurisdiction of the Court committed [. . .] under his effective authority and control as the case may be, as a result of his or her failure to exercise control properly [. . .], where [. . .].“25

In einer weiteren Gliederungsebene i), ii) – im Fall des Art. 28 b) IStGHStatut zusätzlich iii) – sind sodann die Bedingungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit – das „Wenn“ (where) – näher beschrieben, wobei diese sich ebenfalls sehr ähneln. Art. 28 a) ii) und Art. 28 b) iii) IStGH-Statut sind vom Wortlaut sogar fast identisch gefasst. Insgesamt haben die beiden großen Regelungsblöcke zu mehr als zwei Drittel einen identischen Wortlaut. Wegen dieser umfangreichen Textdoppelung ist Art. 28 IStGH-Statut eine sehr lange Vorschrift. Durch diese normgeberische Entscheidung für zwei Regelungsblöcke trotz weitgehender Überschneidungen erhält gerade die Abgrenzung zwischen a) und b) ein besonderes Gewicht. Die Schwerpunktsetzung aber ist bei der Analyse einer Vorschrift, die wie das Art. 28 IStGH-Statut zwischen Staaten ausgehandelt wurde, oft aussagekräftig, da dogmatische Stringenz und normative Eleganz in Verhandlungsprozessen nur selten erreicht werden kann. Die großen Blöcke Art. 28 a) und Art. 28 b) IStGH-Statut sind über den Begriff des „militärischen Befehlshabers“ (military commander) voneinander abgegrenzt. Während die Regelung zu a) für „militärische Befehlshaber“ oder für „tatsächlich als militärische Befehlshaber handelnde Personen“ (person effectively acting as a military commander) gilt, findet die Regelung unter b) auf solche Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisse Anwendung, die nicht unter a) beschrieben sind. Art. 28 b) IStGH-Statut ist also negativ abgegrenzt. 24 Report of the Working Group on General Principles of Criminal Law v. 18.6.1998, UN Doc. A/CONF.183 /C.1/WGGP/L.4, Official Records, Bd. III, F. Documents of the Committee of the Whole, S. 253, 255. 25 Die deutsche Fassung des Chapeau lautet: „ist [. . .] strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die [. . .] unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle [. . .] auszuüben, wenn [. . .].“

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Art. 28 b) IStGH-Statut ist aber nur dann anwendbar, wenn überhaupt ein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis (superior-subordinate relationship) vorliegt. Der Begriff „Vorgesetzter“ (superior) umfasst folglich auch den Begriff des „Befehlshabers“ (commander) und ist daher als Oberbegriff zu verstehen. Gleichermaßen ist der Begriff „Untergebene“ (subordinate) als Oberbegriff einzuordnen, der auch die „Truppen“ (forces) als besondere Gruppe von Untergebenen einschließt. I. Die gemeinsamen Merkmale des Art. 28 IStGH-Statut Die gemeinsamen Merkmale für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte können in objektive und subjektive Merkmale unterteilt werden. Art. 30 IStGH-Statut stellt die Zentralnorm für subjektive Merkmale dar und gilt „sofern nichts anderes bestimmt ist“ (unless otherwise provided). Die subjektiven Merkmale des Art. 28 IStGH-Statut können folglich als Sonderregelungen zu Art. 30 IStGH-Statut verstanden werden.26 Für objektive Merkmale gibt es keine Zentralnorm im Römischen Statut.27 Die objektiven und subjektiven Merkmale sind teilweise im Chapeau, teilweise in den Untergliederungspunkten normiert. Aus der Formulierung des Chapeau „ist strafrechtlich verantwortlich [. . .], wenn“ (shall be criminally responsible [. . .] where) könnte man folgern, dass die Haftungsvoraussetzungen allein den Untergliederungspunkten zu entnehmen sind und der Chapeau nur die Rechtsfolge festlegt und Hinweise auf die allgemeine ratio der Vorschrift enthält. Andererseits wird in den Untergliederungspunkten auf Voraussetzungen des Chapeau Bezug genommen, wenn beispielsweise von dem „betreffende[n] militärische[n] Befehlshaber“ (that military commander) oder von „diese[n]/solche[n] Verbrechen“ (such crimes) die Rede ist. Ein Rückgriff auf den Chapeau ist also erforderlich. Mit der Verteilung der objektiven und subjektiven Merkmale auf den Chapeau und die Untergliederungspunkte kann auch keine Art Zwei-StufenPrüfung verbunden sein, in der zunächst die Voraussetzungen des Chapeau und anschließend in einer zweiten Prüfungsstufe die weiteren Voraussetzungen der Untergliederungspunkte zu prüfen wären.28 Denn bei der Prüfung 26

Vgl. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 692; Piragoff, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 30 Rn. 14. 27 Die Vorbereitungskommission (Preparatory Committee) schlug mit Art. 28 des Entwurfs eine solche Norm vor, die aber nicht verwirklicht wurde, weil u. a. keine Einigkeit über eine Definition des Unterlassens erzielt werden konnte; vgl. Schabas, An Introduction to the ICC, 2004, S 109 f.; Saland, S. 212 f. 28 Hiervon scheint Triffterer auszugehen, vgl. Triffterer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 449.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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des objektiven Merkmals „Versäumnis“ käme es zu einer unpraktischen Aufspaltung. Da a) ii) und b) iii) das Versäumnis des Vorgesetzten näher konkretisieren, macht es wenig Sinn, in einer ersten Stufe zunächst in abstrakter Weise das Versäumnis ordnungsgemäßer Kontrolle zu prüfen. Da Art. 28 IStGH-Statut ein Produkt politischer Verhandlung ist, kann aus dem Aufbau nicht ohne Weiteres auf eine dogmatische Prüfungsfolge geschlossen werden. Aussagekraft kommt eher der Schwerpunktsetzung zu. Unter dieser Prämisse kann man die Aufteilung nur so verstehen, dass die Untergliederungspunkte besondere Merkmale der Vorgesetztenverantwortlichkeit herausstellen. Aus der Hervorhebung des Verhaltens (actus reus) und der subjektiven Voraussetzungen (mens rea) lässt sich insoweit der Schluss ziehen, dass in den Untergliederungspunkten eine Art „Tatbestandskern“ der Vorgesetztenverantwortlichkeit normiert ist.29 1. Objektive Merkmale a) Vorgesetzter Zentralbegriff des Art. 28 ist der Begriff „Vorgesetzter“. Aus der einleitenden Formulierung des Chapeau in Art. 28 b) IStGH-Statut „unter a) nicht beschriebene Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisse“ ergibt sich, wie erläutert, dass der Begriff „Vorgesetzter“ Oberbegriff für „Befehlshaber“ (commander) und andere Vorgesetzte (superiors not described) ist. Das Römische Statut definiert den Begriff des Vorgesetzten nicht. Doch steht der Begriff des Vorgesetzten in engem Zusammenhang mit dem Begriff des Untergebenen (Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis): Vorgesetzter ist, wer Untergebene hat. aa) Vorgesetzte und Untergebene Es gibt keinen Vorgesetzten ohne Untergebene. Der Begriff „Untergebener“ fungiert als Oberbegriff für „Truppen“ (forces) und andere Untergebene (subordinates not described). Dies hat auch die Verhandlungskammer des Jugoslawien-Tribunals im Fall Cˇelebic´i ausdrücklich ausgesprochen: „The law does not know a universal superior without a corresponding subordinate. The doctrine of Command Responsibility is clearly articulated and anchored on the relationship between superior and subordinate.“30 29 Die ILC stellt ebenfalls diese beiden Voraussetzungen als die zwei entscheidenden Kriterien für eine Haftung heraus: Report of the ILC on the work of its 48 session, Commentary on the Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, Commentary Art. 6, S. 26.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Aus dem Begriff „Untergebener“ (subordinate) ist abzulesen, dass eine solche Person eine niedrigere Stellung hat als der Vorgesetzte. Vorgesetzte und Untergebene stehen in einem Verhältnis von Über- und Unterordnung. Das hierarchische Verhältnis gehört zum Kern der Vorgesetztenverantwortlichkeit.31 Es spielt keine Rolle, ob der Vorgesetzte selbst wiederum einem Vorgesetzten unterstellt ist. Schon bei der Einführung von Art. 87 ZP I bestand Einigkeit darüber, dass die Pflichten des Vorgesetzten sowohl Personen der obersten Führungsebene wie auch Führungspersonen mit nur einer Handvoll Untergebenen treffen sollten.32 Es gibt auch keine Hinweise, dass der Vorgesetzte immer der „unmittelbare Vorgesetzte“ sein muss.33 In einer Hierarchie kann eine Person daher auch Vorgesetzter über mehrere Ebenen von Untergebenen sein, die wiederum in Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnissen stehen. Es können daher auch mehrere Vorgesetzte für die Straftaten derselben Untergebenen haften.34 bb) Vorgesetzte de jure und de facto Art. 28 IStGH-Statut enthält keine ausdrückliche Aussage darüber, ob die Vorgesetzten-position rechtlich begründet sein muss, also sich beispielsweise aus Gesetz, Dienstordnung oder formaler Ernennung ergeben muss. Art. 28 a) IStGH-Statut stellt aber dem „militärischen Befehlshaber“ „eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person“ (effectively acting as a military commander) gleich. Hieraus könnte man schließen, dass sich die Vorgesetztenposition eines militärischen Befehlshabers nicht notwendigerweise auf eine formale Rechtsgrundlage zurückführen lassen muss. Zugleich könnte damit im Umkehrschluss gelten, dass der Begriff „militärischer Befehlshaber“ den Status als de jure militärischer Befehlshaber meint. In diesem Sinne scheint auch die Vorverfahrenskammer des IStGH im Fall Bemba die Begriffe „militärischer Befehlshaber“ und „tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person“ zu verstehen.35 30 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 647. 31 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil v. Verhandlungskammer v. 25.6.1999, Para. 78. 32 De Preux, in: Pilloud, Commentary to the Additional Protocols, Art. 87 Rn. 3553. 33 So auch die ILC, Report of the ILC on the work of its 48th session, Commentary, Art. 6 of the Draft Code 1996, YbILC 1996 I, S. 26. 34 Prosecutor v. Blaškic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000, Para. 303. 35 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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Die Unterscheidung zwischen Vorgesetzten de jure und Vorgesetzten de facto wurde von den Ad-hoc-Tribunalen herausgearbeitet und entwickelt. Allerdings war diese Unterscheidung noch nicht mit der zusätzlichen Qualifizierung „militärisch“ bzw. „nicht-militärisch“ verbunden. Zudem unterscheiden die Ad-hoc-Tribunale oft nicht zwischen der Stellung als de facto Vorgesetzter und der ausgeübten tatsächlichen Kontrolle (effective control). Eine genauere Untersuchung zeigt aber, dass zwischen der eingenommenen Vorgesetztenstellung, die de facto oder de jure bestehen kann, und der ausgeübten Kontrollgewalt (effective control) zu unterscheiden ist. cc) Strukturelle und tatsächliche Vorgesetztenstellung Es stellt sich zunächst die Frage, worin sich die Überordnung des Vorgesetzten bzw. die Unterordnung des Untergebenen manifestiert. Diese Frage ist bei den de facto Vorgesetzten entscheidend, weil das hierarchische Verhältnis nicht wie bei den de jure Vorgesetzten formalisiert ist. Man kann folglich nicht am Dienstgrad oder der Dienststellung ablesen, ob eine Person in einer Hierarchie höher steht als eine andere Person. Die Position als de facto Vorgesetzter kann sich nur aus den tatsächlichen Verhältnissen ergeben. Die Ad-hoc-Tribunale haben die Vorgesetzteneigenschaft an der Führungsposition (position of authority) und an besonderen Kontrollbefugnissen (control) gegenüber Untergebenen festgemacht. Der Vorgesetzte muss tatsächlich in der Lage sein (materially able), das Verhalten der Untergebenen durch Befehle und Anordnungen zu steuern und zu kontrollieren. Diese Ausführungen zur Führungsgewalt und tatsächlichen Kontrolle sind dabei nicht nur auf den Fall der de facto Vorgesetzten bezogen, sondern gelten als allgemeine Voraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit.36 Im Gegensatz zu Art. 7 Abs. 3 JStGH-Statut und Art. 6 Abs. 3 RStGHStatut sind in Art. 28 IStGH-Statut nunmehr diese beiden zentralen Voraussetzungen, die tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle („effective command and control, or effective authority and control“), ausdrücklich benannt. Sie erscheinen explizit in Art. 28 IStGH-Statut, obwohl mit der Formulierung „effectively acting as a military commander“ in a) Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 408, 409: „military commander“ referring to de jure commanders who are formally or legally appointed to carry out military functions, whereas a „person effectively acting as military commander“ means to cover persons „not elected by law to carry out a military commander’s role“, i. e. de facto military commanders. 36 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 196.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

bereits auf die Möglichkeit eines de facto Vorgesetzten hingewiesen ist. Dies spricht dafür, die „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ als gesondertes Merkmal zu diskutieren. Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba listet ebenfalls die Stellung als „militärischer oder de facto militärischer Befehlshaber“ und die „tatsächliche Befehls-/Führungsgewalt und Kontrolle“ als gesonderte Voraussetzungen des Art. 28 a) IStGH-Statut auf.37 Allerdings trennt die Vorverfahrenskammer bei der Analyse und Bewertung des Beweismaterials nicht mehr zwischen den beiden Voraussetzungen, sondern diskutiert diese gemeinsam, aufgrund ihrer „Wechselbeziehung“.38 Es erscheint allerdings bedeutsam, die beiden Voraussetzungen gedanklich voneinander zu trennen. Würde man die de facto Vorgesetzten allein durch das Merkmal der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“ gegenüber Untergebenen definieren, so fiele die Prüfung der objektiven Merkmale „Vorgesetzter“ und „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ zusammen. Besondere und eigenständige Bedeutung erlangte die Prüfung des Merkmals „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ dann allein im Fall des Vorgesetzten de jure.39 Andererseits ist die Eigenschaft, Vorgesetzter de jure zu sein, gerade keine (zusätzliche) Voraussetzung für die Vorgesetztenverantwortlichkeit. Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass der Begriff des Vorgesetzten sich in der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“ über Untergebene erschöpft, und der Prüfung des objektiven Merkmals „Vorgesetzter“ als solches keine eigenständige Bedeutung zukäme. Es hätte dann auch formuliert werden können: „A person shall be criminally responsible for crimes within the jurisdiction of the Court committed by other persons under his or her effective control, as a result of his or her failure to exercise control properly over such persons, [. . .] Wer tatsächliche Kontrolle über Personen ausübt, ist strafrechtlich verantwortlich für von diesen Personen begangene der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, wenn diese als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, [. . .].“ 37

Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 407. 38 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 445. 39 Fenrick meint wenig überzeugend, auf das Merkmal „effective command and control“ komme es an, wenn zwischen mehreren Befehlsketten die tatsächlich praktizierte Befehlskette zu bestimmen ist; vgl. Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28 Rn. 5.

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Gegen die Gleichsetzung von tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle mit dem Begriff des Vorgesetzten spricht aber folgende Überlegung: Es geht bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht darum, jede Person zur Verantwortung zu ziehen, die zum Zeitpunkt der Begehung von völkerrechtlichen Verbrechen irgendwie in der Lage war, diese Verbrechen zu verhindern.40 Genauso wenig wie ein allgemeiner Tatbestand der „unterlassenen Hilfeleistung“ im Völkergewohnheitsrecht anerkannt ist,41 fände auch ein solcher allgemeiner Tatbestand der „unterlassenen Verbrechensverhinderung“ keine Stütze.42 Ein kurzer Blick auf die einschlägige Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale zur Vorgesetztenverantwortlichkeit zeigt, dass die Personen, die als de facto Vorgesetzte eingestuft wurden, wenn auch ohne förmliche Ernennung, so doch regelmäßig innerhalb einer mehr oder weniger institutionalisierten Struktur oder Einheit tätig waren, in der sie Leitungsfunktionen wahrnahmen. Es spricht daher einiges dafür, dass dem Begriff des Vorgesetzten ein strukturelles Element innewohnt. Dies gilt zum einen für die Gruppe der Vorgesetzten in der Armee und anderen militärischen Einheiten. Neben den de jure Befehlshabern der Jugoslawischen Volksarmee43 oder der bosnischserbischen Armee44 haftete beispielsweise General Radislav Krstic´, der kurzzeitig die Rolle als de facto Befehlshaber des Drina Corps übernommen hatte.45 Auch die faktischen Anführer außerhalb regulärer Streitkräfte agierten in (para)militärischen Einheiten, die eine institutionalisierte Struktur hatten.46 Dies gilt des Weiteren auch für die Gruppe der faktischen Lagerˇ elebic´i,47 in den Lagern Omarska und Keraterm48 bzw. kommandanten in C im Kaonik Gefängnis.49 Ebenfalls waren die Angeklagten mit Amtsträgerfunktionen in institutionalisierten Strukturen tätig, seien es die Bürgermeis40 Ebenso Burghardt, S. 164; anders wohl Arnold, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 2. Aufl., S. 826, Rn. 89. 41 Weltz, S. 157. 42 Weigend, ZStW 2004, 1003: aus Können folgt noch kein normatives (und strafbewehrtes) Müssen. 43 Bspw. Prosecutor v. Strugar, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.1.2005. 44 Bspw. Prosecutor v. Mladic ´ , Anklageschrift v. 14.11.1995. 45 Bspw. Prosecutor v. Krštic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 2.8.2001, Para. 328, 625; Urteil der Berufungskammer v. 19.4.2004 (Zunächst de facto, später de jure Befehlshaber). 46 Bspw. Interahamwe, Prosecutor v. Serushago, Urteil der Verhandlungskammer v. 5.2.1999, Para. 28, 29. 47 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998. 48 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 2.11.2001, Para. 344. 49 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil der Verhandlungskammer v. 25.6.1999, Para. 103. ff., 101, Urteil der Berufungskammer v. 30.5.2001.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

ter und Präfekten in Ruanda,50 oder die Minister der selbsternannten Republiken in Kroatien bzw. Bosnien und Herzegowina.51 Schließlich lässt sich auch bei den als Vorgesetzte angeklagten Personen aus nicht-militärischen und nicht-staatlichen Bereichen sagen, dass diese einer Einheit oder Organisation zugehörig waren. Dies gilt für Ntakirutimana im Hinblick auf die Institution Krankenhaus oder Barayagwiza und Nahimana, soweit es um ihre Stellung im Radiosender ging.52 Obwohl ebenfalls nicht ausdrücklich diskutiert, scheint auch die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba die Einbindung des Vorgesetzten in eine Einheit vorauszusetzen, indem sie militärische Vorgesetzte mit regulären Regierungstruppen, bewaffneten Polizeieinheiten, irregulären Truppen, paramilitärischen Einheiten und bewaffneten Widerstandsbewegungen n Verbindung bringt.53 Die Vorgesetztenverantwortlichkeit scheint daher die zusätzliche Voraussetzung in sich zu tragen, dass die Führungsgewalt und Kontrolle innerhalb einer Einheit, Institution oder Organisation mit hierarchischem Aufbau bestehen muss. Schon nach allgemeinem Begriffsverständnis gehört der Begriff des „Vorgesetzten“ (superior) in den Kontext hierarchisch strukturierter Institutionen wie der Armee, Behörden, Verwaltungsapparate oder Betriebe.54 In Übertragung der Argumentation der Ad-hoc-Tribunale, dass die Vorgesetztenstellung de jure und de facto bestehen kann, lässt sich argumentieren, dass die jeweilige Einheit, Institution oder Organisation ebenfalls keine formal-rechtliche Verankerung haben muss, sondern de facto existieren kann. Paramilitärische Gruppen wie die Interahamwe in Ruanda und neuartige Verwaltungsstrukturen wie beispielsweise der „Rat der Serbischen 50

Bspw. Prosecutor v. Akayesu, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.9.1998, Para. 4, 57, 58, Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Verhandlungskammer v. 7.6.2001, Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999. 51 Bspw. Prosecutor v. Babic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 29.6.2004, Prosecutor v. Plavšic´, Urteil über die Höhe der Strafe der Verhandlungskammer v. 27.2.2003. 52 Prosecutor v. Musema, Urteil der Verhandlungskammer v. 27.1.2000; Prosecutor v. Ntakirutimana (Gérard & Elizaphan), Urteil der Verhandlungskammer v. 21.2. 2003; Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 3.12.2003 und Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007. 53 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 410. 54 Vgl. Oxford English Dictionary: „superior“ bedeutet „1. A person of higher rank or dignity; one who is above another or others in social or official station; esp. a superior officer or official.“

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Bevölkerung im Gebiet Prijedor“55 stellen derartige hierarchische Einheiten dar. Es muss sich auch nicht um staatstragende Institutionen des policy level56 handeln, wie die Fälle der Gefangenenlager zeigen. Aus einigen Äußerungen der Ad-hoc-Tribunale lässt sich auch herauslesen, dass trotz des Verzichts auf eine formal-rechtliche Begründung der Vorgesetztenposition doch das Erfordernis einer strukturellen Einbindung nicht aufgegeben wird. Beschreibungen von „organisierten Strukturen“57 finden sich in fast allen Urteilen der Ad-hoc-Tribunale. Die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i führte beispielsweise aus: „In many contemporary conflicts, there may be only de facto, self-proclaimed governments and therefore de facto armies and paramilitary groups subordinate thereto. Command structure, organised hastily, may well be in disorder and primitive. To enforce the law in these circumstances requires a determination of accountability not only of individual offenders but of their commanders or other superiors who were, based on evidence, in control of them, without however, a formal commission or appointment.“58

Es spricht daher Einiges dafür, dass dem Begriff des Vorgesetzten ein strukturelles Element innewohnt.59 Der Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliegen daher von vornherein nur Personen, die in einer Einheit oder Institution mit einer stabilen Struktur eine übergeordnete Position gegenüber anderen untergebenen Personen einnehmen, die mit Funktionen als Vorgesetzter einhergeht. Weder muss dabei die übergeordnete Stellung de jure legitimiert sein noch muss die Einheit oder Institution als solche de jure bestehen. Ob der Vorgesetzte im Rahmen dieser Einheit seine Führungsbefugnisse gegenüber den ihm unterstellten Personen auch tatsächlich ausgeübt hat und ausüben konnte, ist erst eine zweite Frage bei der Prüfung der Vorgesetztenverantwortlichkeit. In Abgrenzung zu dieser strukturellen Vorgesetztenstellung könnte man von der tatsächlichen Vorgesetztenstellung (effective control position) sprechen.

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Prosecutor v. Stakic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.7.2003, Para. 61. Vgl. Nachweise und Diskussion bei Ambos, in: Cassese et al., The Rome Statute, S. 855, 829. 57 Prosecutor v. Mladic ´ & Karadžic´, Überprüfung der Anklage nach Rule 61 v. 11.6.1996, Para. 65–66; Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 428; Prosecutor v. Stakic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.7.2003, Para. 419. 58 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 193. 59 So auch Burghardt, S. 171 ff. 56

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

dd) Militärische und nicht-militärische hierarchische Strukturen Eine strukturelle Vorgesetztenstellung hat daher eine Person, die in einer hierarchisch strukturierten Einheit, Institution oder Organisation, die militärisch oder nicht-militärisch sein kann, eine gegenüber anderen Personen übergeordnete Stellung einnimmt. Während dies recht leicht in klassischen Strukturen wie der Armee zu zeigen ist, ist der Nachweis bei informellen Gruppierungen naturgemäß schwieriger. Er kann jedoch über die Titulierung einer Person,60 aus Anordnungen oder aus der Unterzeichnung von Dokumenten61 oder aus anderen Indizien geschlossen werden. Ebenso wie bei den de jure Vorgesetzten ist bei Bejahung der faktischen Vorgesetzteneigenschaft einer Person noch wenig über die tatsächliche Handlungsmacht und -fähigkeit dieser Person ausgesagt. Diese Frage steht nach hier vertretener Auffassung erst bei dem Merkmal „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ (tatsächliche Vorgesetztenstellung) im Mittelpunkt. b) Tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle Sowohl in Art. 28 a) wie auch in Art. 28 b) IStGH-Statut ist vorausgesetzt, dass die Untergebenen unter der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“ (effective authority and control) des Vorgesetzten standen; in Art. 28 a) IStGH-Statut ist der Begriff „Befehlsgewalt“ („command“) hinzugesetzt. Die Formulierung „Befehls- beziehungsweise Führungsgewalt“ („command or authority“) ist dabei nicht als echte Alternative gemeint, sondern bezieht sich auf die zwei Vorgesetztentypen in Art. 28 a) IStGH-Statut. Dies wird schon durch den gleichen Wortstamm deutlich. So bezieht sich der Begriff der „Befehlsgewalt“ (command) auf „militärische Befehlshaber“ (commander). Der Begriff „Führungsgewalt“ ist daher als allgemeinerer Begriff den de facto militärischen Befehlshabern zuzuordnen. Ebenso besitzt er Gültigkeit für die nicht-militärischen Vorgesetzten nach Art. 28 b) IStGH-Statut.62 60 Prosecutor v. Furundžija, Urteil der Verhandlungskammer v. 10.12.1998. Para. 76 ff.: „boss“. 61 Prosecutor v. Kordic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 421 ff.; Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 672. 62 Fenrick bezieht „effective command and control“ hingegen auf alle militärischen Vorgesetzten und „effective authority and control“ auf militärische Befehlshaber in Besatzungszonen; vgl. in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28 Rn. 7, 8: Diese Auslegung ist zu stark dem Begriff der militärischen „Kontrolle“ verhaftet, vgl. bspw. „Control“ in: NATO, Glossary of Terms and Definitions, AAP-6 (2004), www.nato.int/docu/stanag/aap006/aap6.htm (Juni

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Die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i hat den Begriff der Befehlsgewalt63 für unproblematisch erklärt: „ ‚Command‘, a term which does not seem to present particular controversy in interpretation normally means powers that attach to a military superior.“64

In diesem Sinne versteht auch die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba den Begriff der „Befehlsgewalt“.65 Jeweils ist der Begriff „Kontrolle“ (control) neben den der Befehls- oder Führungsgewalt hinzugesetzt. Der Begriff Kontrolle erscheint ein weiteres Mal in den Chapeaux, wo es heißt: als Folge des Versäumnisses [. . .], eine ordnungsgemäße Kontrolle [. . .] auszuüben (as a result of his or her failure to exercise control properly). Die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i verstand „Kontrolle“ als einen Begriff, der weiter sei als der der Befehlsgewalt und auch Befugnisse eines zivilen Vorgesetzten umfassen könne.66 Kontrolle kann aber in Art. 28 IStGH-Statut nicht als allgemeiner Oberbegriff67 gemeint sein,68 der die Befehls- und Führungsgewalt umfasst; denn sonst würde die Verknüpfung „Führungsgewalt und Kontrolle“ (effective authority and control) keinen Sinn machen. Dem Begriff der Kontrolle ist folglich eigenständige Bedeutung zuzumessen. Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba erklärte das in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale entwickelte Konzept der tatsächlichen Kontrolle (effective control) ausdrücklich für anwendbar, aber sah es ebenfalls erforderlich an, den zusätzlichen Begriffen „tatsächliche Befehlsbzw. Führungsgewalt“ eine eigenständige Bedeutung zuzumessen, „um Redundanz im Text zu vermeiden“.69 Nach Auffassung der Kammer verwei2009): „authority over part of the activities of subordinate organizations or other organizations not normally under his command“. 63 Bantekas weist auf verschiedene Typen von Befehlsgewalt (policy command, strategic command, operational command, tactical command) hin, Bantekas, AJIL 1999, 578 f.; Bantekas, Principles, S. 99 ff. 64 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 196. 65 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 413. 66 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 196. 67 Vgl. aber Sliedregt, S. 149. 68 So aber Ambos, in: Cassese et al., The Rome Statute, S. 857: „umbrella term“. 69 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 413.

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sen „Befehlsgewalt“ und „Führungsgewalt“ auf die Art und Weise, wie Kontrolle ausgeübt wird.70 In ähnlicher Weise hatte bereits die ICTR Berufungskammer im Fall Bagilishema erklärt, dass der Grad der Kontrolle für militärische und zivile Vorgesetzte gleich sei, aber dass damit nicht zugleich impliziert sei, dass tatsächliche Kontrolle durch einen zivilen Vorgesetzten notwendigerweise in gleicher Weise wie durch einen militärischen Vorgesetzten ausgeübt werde.71 Wie bereits erwähnt, haben die Ad-hoc-Tribunale den Begriff der „effektiven Kontrolle“ geprägt und als tatsächliche Möglichkeit, die Verbrechensbegehung zu verhindern oder zu bestrafen definiert (material ability to prevent or punish).72 Nicht ausreichend ist es, wenn der Vorgesetzte lediglich Einfluss auf die Untergebenen nehmen kann, selbst wenn es sich um substantiellen Einfluss handelt. Dies hat ebenfalls die Berufungskammer im Fall Cˇelebic´i festgestellt: „customary law has specified a standard of effective control, although it does not define precisely the means by which the control must be exercised. It is clear, however, that substantial influence as a means of control in any sense which falls short of the possession of material abilities to prevent subordinate offences or to punish the subordinate offenders, lacks sufficient support in State practice and judicial decisions.“73

Mit „Kontrolle“ ist daher eine starke Form der Einwirkung auf das Verhalten von Untergebenen gemeint. Bei einer bloßen Einflussnahme ist noch ungewiss, ob der mit der Einflussnahme angestrebte Erfolg tatsächlich eintritt. Im Falle der Kontrolle über das Verhalten von Untergebenen, so kann man folgern, muss daher die Einwirkung zu einem hohen Grad erfolgsversprechend sein. Wer kontrolliert, kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Verhalten und dessen Fortgang bestimmen. Die tatsächliche Kontrolle über Untergebene muss dabei Ausfluss der Führungsgewalt des Vorgesetzten sein (authority to control the actions of subordinates),74 d.h. die Kontrolle muss durch oder mittels der Führungs70 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 413–417. 71 Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2002, Para. 52. 72 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 378. 73 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 265 f. 74 Prosecutor v. Delalic et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 354.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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gewalt ausgeübt werden. „Führungsgewalt“ bezieht sich auf die Mittel und Methoden, mit denen das Verhalten der Untergebenen kontrolliert werden kann. Die Führungsgewalt bestimmt sich wiederum im Rahmen der jeweiligen hierarchisch strukturierten Einheit oder Organisation, der Vorgesetzte und Untergebene zugehören. Im speziellen Fall der Befehlsgewalt in militärischen Einheiten ist dies die Befugnis des Vorgesetzen, den Untergebenen „Befehle“ (orders) zu erteilen, im Fall der Führungsgewalt innerhalb nichtmilitärischer Einheiten kann allgemeiner von „Anordnungen“ (orders) gesprochen werden (vgl. Art. 33 IStGH-Statut).75 Führungsgewalt meint daher die innerhalb einer Einheit oder Organisation zugewiesene Macht, den Untergebenen verbindliche und von diesen anerkannte Anordnungen erteilen zu können.76 Dies dürfte zugleich implizieren, dass es um eine im weitesten Sinne kommunikative und wohl meist „nicht-körperliche“ Einwirkung auf die Untergebenen geht. In Bezug auf Art. 87 ZP I ist von der Fähigkeit des Vorgesetzten die Rede, eine entsprechende „Einstellung“ zu schaffen (creating the appropriate frame of mind).77 Nicht ausreichend ist es, das Verhalten der Untergebenen durch Hypnose oder etwa körperliche Gewalt zu kontrollieren,78 es sei denn die Anwendung körperlicher Gewalt gehört gerade zu den institutionellen Befugnissen des Vorgesetzten. Die Kontrolle über Untergebene muss gerade durch die Führungsgewalt ausgeübt werden.79 Es reicht dabei nicht, dass der Vorgesetzte durch verbindliche Befehle und Anordnungen auf das Verhalten der Untergebenen Einfluss nehmen kann, sondern diese müssen darüber hinaus durchsetzbar sein80 und den gewünschten Erfolg nicht nur versprechen, sondern nahezu gewiss erscheinen lassen. 75 In der englischen Version wird nicht zwischen Befehl und Anordnung unterschieden (order), in der russischen Version wird ebenfalls nur der Begriff prikaz (Befehl) verwendet. 76 Vgl. auch Burghardt, S. 172, der treffend formuliert: „die Befehlserteilung [muss] als Nutzung einer strukturellen Befugnis bzw. Möglichkeit erscheinen“. 77 De Preux, in: Pilloud, Commentary on the Additional Protocols, Art. 87 Rn. 3560. 78 Die Verhandlungskammer im Fall Hadžihasanovic ´ & Kubura erwog allerdings, dass die Mujahedin-Einheiten durch Gewalt hätten gestoppt werden können, Prosecutor v. Hadžihasanovic´ and Kubura, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.3. 2006, Para. 1466–1472. Triffterer lässt auch die gewaltsame Verbrechensverhinderung zu, Triffterer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 454. 79 Unzutreffend daher Sliedregt: „Command needs to be exercised through control“, S. 152. Genau andersherum: control needs to be exercised through command. 80 Die ILC hat zwischen „legal competence“ und „material possibility“ unterschieden. Da das Können im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut nicht „rechtlich“ normiert sein muss, wäre besser von „competence“ als Erläuterung für die Führungsgewalt und „material possibility/ability“ als Erläuterung für die Kontrolle zu sprechen. Report ICL 1996, S. 38 paras. 5 f. = YbILC 1996 II 2, S. 26.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Sowohl die Kontrolle wie auch Führungsgewalt muss in tatsächlicher Weise („effective“) ausgeübt werden.81 Die Führungsgewalt des Vorgesetzten muss tatsächlich aktualisierbar sein. Untergebene stehen nur dann unter der „tatsächlichen Kontrolle“ eines Vorgesetzten, wenn sie die Anordnungen auch tatsächlich (mit hoher Wahrscheinlichkeit) realisieren. c) Unterlassen des Vorgesetzten Was das Verhalten des Vorgesetzten angeht, so spricht Art. 28 IStGH-Statut von einem „Versäumnis“, eine ordnungsgemäße Kontrolle über Untergebene auszuüben (failure to exercise control properly over subordinates). Es handelt sich folglich um ein Unterlassen, das bestraft wird. Das Römische Statut enthält keine allgemeine Vorschrift über Tun und Unterlassen.82 In Art. 28 a) ii) bzw. b) iii) IStGH-Statut ist dieses Unterlassen näher beschrieben83 als Versäumnis des Vorgesetzten, alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um Verbrechen zu verhindern, zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen (failed to take all necessary and reasonable measures within his or her power to prevent or repress their commission or to submit the matter to the competent authorities for investigation and prosecution). aa) Verbrechen durch Untergebene Es geht um Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs unterliegen. Es muss sich also um die in Art. 5 IStGH-Statut aufgezählten Verbrechen – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Aggression – handeln.84 81 „Tatsächlich“ (effective) bezieht sich sowohl auf Führungsgewalt und auf Kontrolle. 82 Auf der Staatenkonferenz konnte keine Einigkeit über den Entwurf der Vorbereitungskommission zur Frage des Unterlassens erzielt werden. 83 Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba erklärte ebenfalls, dass die Formulierung im Chapeau zusammen mit Art. 28 Buchstabe a) ii) gelesen werden müsse, Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 422. 84 Schon vor Verabschiedung des Römischen Statuts war geklärt, dass die Command Responsibility sich nicht allein auf Kriegsverbrechen bezieht, obwohl die Verteidigung dies in einigen Fällen vor dem Jugoslawien-Tribunal dies bestritten hatte: vgl. Boelaert-Suominen, VJIL 2001, 772 f.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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Art. 28 IStGH-Statut formuliert, dass die Untergebenen die Verbrechen „begangen haben“ (committed). Das Jugoslawien-Tribunal hat in einigen neueren Entscheidungen und Urteilen erklärt, dass der Begriff „begehen“ (commit) weit zu verstehen sei und grundsätzlich alle Begehungsformen, also auch Anstiftung und Beihilfe, in Frage kommen.85 Damit wurde die Reichweite der Vorgesetztenverantwortlichkeit entscheidend erweitert. Der Vorgesetzte soll auch dann strafrechtlich verantwortlich sein, wenn er nicht verhindert, dass seine Untergebenen beispielsweise zu Völkerstraftaten anstiften oder eine Gruppe unterstützen, die gemeinsam Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen wollen. Nicht vollkommen geklärt scheint, wofür der Vorgesetzte in diesen Konstellationen haftet. Sofern der Vorgesetzte letztlich für die Haupttat eines ihm nicht unterstellten fremden Dritten haftet, zu der seine Untergebenen beispielsweise nur Beihilfe geleistet haben, stellt dies eine deutliche Haftungserweiterung dar. Die dogmatische Einordnung der Vorgesetztenverantwortlichkeit als Begehungsmodalität stößt in diesen Fällen jedenfalls an ihre Grenzen.86 bb) Erforderliche und angemessene Maßnahmen, in der Macht des Vorgesetzten Der Vorgesetzte muss es unterlassen haben, die in seiner Macht stehenden „erforderlichen“ und „angemessenen“ Maßnahmen (necessary and reasonable measures within his or her power) zu ergreifen. Sowohl die Erforderlichkeit wie auch die Angemessenheit der Maßnahmen bestimmen sich im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut im Hinblick auf das Ziel der Verbrechensverhinderung (bzw. Bestrafung von Tätern). Erforderlich ist, was die Begehung von Verbrechen verhindert, also jede Handlung, die die Untergebenen bei der Vorbereitung oder Durchführung von Verbrechen stoppt. Da ganz unterschiedliche Maßnahmen als erforderlich angesehen werden können, wird der Kreis der in Betracht kommenden Maßnahmen weiter eingeschränkt. Die Maßnahmen müssen „angemessen“ sein und „in der Macht“ des Vorgesetzten (within his or her power) stehen. Der Vorgesetzte ist nicht verpflichtet, Unmögliches zu vollbringen. 85 Prosecutor v. Boškoski & Tarc ˇ ulovski, Entscheidung der Verhandlungskammer über den Antrag der Anklagebehörde zur Anklageerweiterung v. 26.5.2006, Para. 18 ff.; Prosecutor v. Oric´, Urteil der Verhandlungskammer v. 30.6.2006, Para. 295 ff.; Prosecutor v. Blagojevic´ & Jokic´, Urteil der Berufungskammer v. 9.5.2007, Para. 280; Prosecutor v. Nahimana et al., Urteil der Berufungskammer v. 28.11.2007, Para. 485–486. 86 Vgl. auch Burghardt, S. 407 ff., S. 459, demzufolge es sich bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit um „eine dritte Form strafrechtlicher Verantwortlichkeit“ handelt.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Bereits die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i erklärte, dass die Angemessenheit der Maßnahmen sich insbesondere durch die tatsächlichen Fähigkeiten des Vorgesetzten (material possibility) bestimmt.87 Welche Maßnahmen in der konkreten Situation erforderlich und angemessen gewesen wären, kann jedenfalls nicht abstrakt beantwortet werden. Hierauf hat bereits die Verhandlungskammer im Fall Cˇelebic´i hingewiesen.88 Es kommt auf den Einzelfall an. cc) Verhinderung oder Unterbindung der Verbrechen oder Übergabe an Strafverfolgungsbehörden In Art. 28 IStGH-Statut werden drei Unterlassungen unterschieden. Entweder ergreift der Vorgesetzte nicht die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen, um Verbrechen „zu verhindern“ oder um sie „zu unterbinden“ (to prevent or repress their commission); oder er legt die Angelegenheit den zuständigen Behörden nicht zur Untersuchung und Strafverfolgung vor“ (submit the matter to the competent authorities for investigation and prosecution).89 In den Vorgängervorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit war die Variante „bestrafen“ (punish) genannt. Die Ad-hoc-Tribunale hatten jedoch zu Recht angemerkt, dass Vorgesetzte (insbesondere nicht-militärische) oftmals keine punitiven und disziplinarrechtlichen Befugnisse innehaben und es daher ausreichend ist, wenn sie durch Übermittlung der Sache an die zuständigen Behörden eine Untersuchung oder disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Verfolgung in Gang setzen können.90 Art. 28 IStGH-Statut hat deshalb die allgemeinere Formulierung übernommen. Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba hat aber klargestellt, dass trotz der allgemeinen Formulierung ein mit Strafbefugnissen ausgestatteter Vorgesetzter selbst zur Bestrafung verpflichtet ist.91 87 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 395; Vgl. auch Prosecutor v. Blaškic´, Urteil der Berufungskammer v. 29.7.2004, Para. 417. Die Berufungskammer im Fall Halilovic´ hat die Begriffe kürzlich wie folgt umschrieben (Prosecutor v. Halilovic´, Urteil der Berufungskammer v. 16.10.2007, Para. 63): „ ‚necessary‘ measures are the measures appropriate for the superior to discharge his obligation (showing that he genuinely tried to prevent and punish) and ‚reasonable‘ are those reasonably falling within the material powers of the superior.“ 88 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 394. 89 Die Begriffe „prevent“ und „repress“ finden sich bereits in Art. 86 Abs. 2 ZP I; in Art. 87 Abs. 1 ZP I hingegen „prevent“ und „suppress“ vgl. hierzu De Preux, in: Pilloud, Commentary on the Additional Protocols, Art. 86 Rn. 3538 f. 90 Prosecutor v. Aleksovski, Urteil v. 25.6.1999, Para. 78. Vgl. auch 1. Teil B. I.

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Welche Maßnahmen der Vorgesetzte ergreifen muss, hängt vom Zeitpunkt ab: Verbrechen können nur „verhindert“ oder „unterbunden“ werden, wenn sie noch nicht vollendet sind. Der Unterschied zwischen „verhindern“ und „unterbinden“ besteht ebenfalls in zeitlicher Hinsicht:92 Im Fall der Verbrechensverhinderung hätten die Untergebenen bereits zurückgehalten werden können, bevor Tathandlungen begonnen haben oder bevor die Schwelle des strafbaren Versuchs überschritten wurde. Verbrechen von Untergebenen werden hingegen „unterbunden“, wenn sie bereits die Schwelle des Versuchs überschritten haben.93 Wenn die Taten bereits vollendet sind, müssen die Handlungen des Vorgesetzten darauf ausgerichtet sein, die Angelegenheit den zuständigen Behörden vorzulegen. Die Behörden müssen in die Lage versetzt werden, echte Untersuchungen durchzuführen und gegebenenfalls ein faires Strafverfahren einzuleiten.94 Mit der Übermittlung an zuständige Behörden kann jedoch nicht das zeitlich frühere Versäumnis, die Taten der Untergebenen zu verhindern, kompensiert werden.95 d) Verbrechen als Folge des Unterlassens Art. 28 IStGH-Statut formuliert ausdrücklich, dass der Vorgesetzte für Verbrechen verantwortlich ist, die als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle auszuüben (as a result of his or her failure to exercise control properly). Dies scheint zunächst auf einen kausalen Zusammenhang hinzuweisen, in dem Sinne, dass das Unterlassen des Vorgesetzten die Taten der Untergebenen verursacht haben muss.96 Es gibt im Römischen Statut keine Vorschrift zur Kausalität. Eine solche wurde von einigen Delegationen der Vorbereitungskommission für entbehr91 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 441, 442. 92 Neuner will „repress“ hingegen mit „ahnden“ übersetzen; „ahnden“ soll bedeuten, dass der Vorgesetzte die Untergebenen disziplinarrechtlich bestrafen soll; vgl. Neuner, in: National Legislation Incorporating International Crimes, S. 131 ff. 93 Vgl. auch Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts v. 15.6.2009, Para. 439: „stop ongoing crimes from continuing to be committed“. Die Kammer weist überdies daraufhin, dass daraus ebenfalls eine Pflicht zur Bestrafung entsteht. 94 Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28 Rn. 14. 95 Prosecutor v. Blaškic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000, Para. 336. 96 Weigend, Nouvelles Etudes Pénales 2004, 331.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

lich gehalten.97 Die Ad-hoc-Tribunale haben über einen „inhärenten kausaler Nexus“98 spekuliert, aber letztlich die Kausalität nicht als Voraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit angesehen. Bei einer Analyse von Art. 28 IStGH-Statut kann der eindeutige Zusatz „als Folge“ („as a result“) jedoch nicht ignoriert werden. Für den Fall, dass der Vorgesetzte Maßnahmen nicht ergriffen hat, die die Taten der Untergebenen verhindert oder unterdrückt hätten, erscheint eine kausale Verbindung möglich.99 Im Fall, dass der Vorgesetzte keine Maßnahmen ergriffen hat, um die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, ist Kausalität jedoch nicht denkbar. Denn ein Verhalten kann nicht einen bereits eingetretenen Erfolg nachträglich verursachen. Von Kausalität kann nur gesprochen werden, wenn die Ursache zeitlich vor der Wirkung liegt. Eine kausale Verbindung ist daher höchstens im Verhältnis zu späteren weiteren Straftaten von Untergebenen denkbar. Das Jugoslawien-Tribunal sieht in der Tat den Grund der Bestrafungsalternative darin, dass die Untergebenen durch eine unterlassene Bestrafung zu weiteren Taten ermuntert oder angestiftet werden könnten.100 Der Vorgesetzte haftet aber im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut allein für die bereits begangenen Taten.101 Eine kausale Verknüpfung kann daher allein zwischen den Verbrechen der Untergebenen und dem Unterlassen des Vorgesetzten, diese Verbrechen zu verhindern oder zu unterbinden, bestehen, nicht aber zwischen den Verbrechen der Untergebenen und dem Unterlassen des Vorgesetzen, die zuständigen Behörden einzuschalten. 97 Die Vorbereitungskommission hatte mit Art. 28 Abs. 3 des Entwurfs folgenden Vorschlag vorgelegt: „A person is only criminally responsible under this Statute for committing a crime if the harm required for the commission of the crime is caused by and [accountable] [attributable] to his or her act or omission.“ 98 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 399, 400. 99 Für das Erfordernis von Kausalität: Bassiouni, Crimes against humanity, S. 372; ders., The Law of the International Criminal Tribunal, S. 350. 100 Prosecutor v. Blaškic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 3.3.2000, Para. 337; Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 371. 101 Teilweise wird vertreten, dass die kausale Verknüpfung beispielsweise in Form einer vorherigen Absprache zwischen Vorgesetztem und Untergebenen erforderlich ist: Sliedregt, S. 173, die aber einräumt, dass dies in den seltensten Fällen nachweisbar sein wird; vgl. überdies zur Kausalität Triffterer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 448; Triffterer, LJIL 2002, 203, der zwei Unterlassungen unterscheidet: Eine erste soll in der Unterlassung allgemeiner Aufklärung und Schulung liegen, eine zweite Unterlassung sodann vor Begehung der konkreten Taten. Auf diese Weise wird aber nur eine ganz allgemeine Verknüpfung konstruiert, die eher auf die ratio der Vorgesetztenverantwortlichkeit hinweist denn auf ein Haftungsmerkmal.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba hat zu der schwierigen Frage der Kausalität Stellung genommen und festgestellt, dass Art. 28 IStGH-Statut ein „Element der Kausalität“ enthält, das sich allerdings nur auf die Straftatverhinderungspflicht beziehe,102 da es unlogisch wäre, bei den anderen Varianten anzunehmen, dass diese rückwirkend die Straftaten bewirkt hätten. Andererseits erkannte die Kammer auch eine „kausale Wirkmacht“ (causal impact) dieser Versäumnisse auf die Begehung von zukünftigen Verbrechen an, da Bestrafung ein unerlässlicher Beitrag zur Verhinderung zukünftiger Verbrechen sei.103 Die Kammer verwarf eine condition sine qua non-Kausalität, da diese ohnehin bei Unterlassen nicht mit empirischer Sicherheit festgestellt werden könne. Nach Auffassung der Kammer verlangt Art. 28 IStGH-Statut aber, dass das Unterlassen des Vorgesetzten das Risiko der Begehung der angeklagten Verbrechen erhöht hat.104 2. Subjektive Merkmale a) Wissen oder Nicht-Wissen Die Untergliederungspunkte Art. 28 a) i) und b) ii) IStGH-Statut enthalten je zwei Alternativen: Entweder wusste der Vorgesetzte, dass die Untergebenen Verbrechen begingen oder im Begriff waren zu begehen, oder er wusste es nicht. Insoweit laufen die subjektiven Voraussetzungen für militärische und andere Vorgesetzte parallel und können als gemeinsame Voraussetzungen diskutiert werden. Die Alternative, dass der Vorgesetzte wusste, dass Untergebene Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren (Art. 28 a) i) 1. Alt./b i) 1. Alt. IStGH-Statut), wirft keine besonderen Schwierigkeiten auf. Der Begriff „wissen“ (know) bedeutet nach der Legaldefinition in Art. 30 Abs. 3 IStGH-Statut das Bewusstsein, dass ein Umstand vorliegt oder dass im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eine Folge eintreten wird.105 Der Vor102 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 424. 103 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 424. 104 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 425, 426. 105 Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba erklärte allerdings, dass das Wissen i. S. v. Art. 30 Abs. 3 IStGH-Statut nicht dasselbe sei wie in Art. 28 IStGH-Statut, da sich Art. 30 Abs. 3 allein auf Beteiligungsformen nach Art. 25 IStGH-Statut be-

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

gesetzte muss sich folglich darüber bewusst gewesen sein, dass Verbrechen begangen wurden oder aber dies im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse geschehen würde.106 Was die jeweils zweite Alternative in den Untergliederungspunkten a) i) und b) i) betrifft, so ist ihnen gemeinsam, dass der Vorgesetzte nicht wusste, dass die Untergebenen Verbrechen begingen oder im Begriff waren zu begehen. Die Alternative normiert sodann jeweils einen Maßstab unterhalb der Schwelle des positiven Wissens. Damit endet aber auch die Gemeinsamkeit.107 b) Art. 28 und Art. 30 IStGH-Statut Nach Art. 30 IStGH-Statut sind „Vorsatz und Wissen“ (intent and knowledge) erforderlich. Eine Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs hat vor kurzem in einer Entscheidung ausgeführt, dass der schwierig formulierte108 Art. 30 IStGH-Statut sowohl dolus directus ersten und zweiten Grades als auch dolus eventualis umfasst.109 Die Kammer unterschied insbesondere zwei Formen des dolus eventualis: Soweit das Risiko, dass eine Person durch ihr Tun oder Unterlassen die objektiven Merkmale eines Verbrechens realisiert, wesentlich (substantial) ist, soll schon aus dem Bewusstsein dieser Person über das Risiko und aus der Entscheidung, trotzdem zu handeln oder nicht zu handeln, der Schluss zulässig sein, dass diese Person die Realisierung der objektiven Merkmale akzeptiert hat (accept). Wenn andererseits das Risiko der Realisierung der objektiven Merkmale gering ist, muss die Person eindeutig und ausdrücklich zum Ausdruck gebracht haben, dass sie es akzeptiert, dass durch ihr Handeln oder Unterlassen die objektiven Merkmale eines Verbrechens realisiert werden.110 ziehe, Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 479. Ein konzeptioneller Unterschied dürfte damit aber nicht verbunden sein. 106 Dem Jugoslawien-Tribunal zufolge kann Wissen mit Hilfe der Anzahl, der Art, des Umfangs, der Zeit der Begehung der Taten, usw. nachgewiesen werden. Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 386. Ebenso von Fenrick herangezogen, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28 Rn. 10. 107 Zu den unterschiedlichen subjektiven Voraussetzungen siehe unter 2. 108 Kritisch bspw. Weigend, Nouvelles Etudes Pénales 2004, S. 326, 327; Kelt/ von Hebel, in: The International Criminal Court, S. 30 ff. versuchen eine Differenzierung nach Intensität und Umfang. 109 Prosecutor v. Lubanga Dyilo, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe, 29.1.2007, Para. 351–355. Werle/Jessberger, JICJ 2005, 52, 53 hingegen: dolus eventualis nur außerhalb von Art. 30 IStGH-Statut.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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Art. 30 IStGH-Statut gilt nur, „soweit nichts anderes bestimmt ist“ (unless otherwise provided). Da Art. 28 IStGH-Statut besondere subjektive Merkmale normiert, dürfte insoweit Art. 30 IStGH-Statut nicht zur Anwendung kommen.111 Allerdings normiert Art. 28 IStGH-Statut allein im Hinblick auf das Merkmal „Verbrechensbegehung durch Untergebene“ besondere Voraussetzungen. Dieses Merkmal ist nicht als objektive Bedingung der Strafbarkeit zu verstehen,112 also in dem Sinne, dass es keinerlei Entsprechung auf subjektiver Seite bedürfte. Es ist wie ein Tatumstand formuliert: Wissen oder Nicht-Wissen „dass Untergebene solche Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren“. Es dürfte aber auch im Hinblick auf den Taterfolg gelten, dass die Untergebenen, die im Begriff sind, Straftaten zu begehen, bei Untätigbleiben des Vorgesetzten dies auch tatsächlich tun werden. Was die übrigen Merkmale der Vorgesetztenverantwortlichkeit betrifft, so dürfte es bei den allgemeinen Regeln des Art. 30 IStGH-Statut bleiben. So muss sich beispielsweise ein Vorgesetzter über seine strukturelle und tatsächliche Vorgesetztenstellung im Klaren sein. II. Die unterschiedlichen Merkmale nach Artikel 28 a) und b) IStGH-Statut 1. Zusätzliches objektives Merkmal: Art. 28 b) ii) IStGH-Statut Nach Art. 28 b) ii) IStGH-Statut ist für nicht-militärische Vorgesetzte vorausgesetzt, dass die Verbrechen „Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächlicher Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“ (the crimes concerned activities that were within the effective responsibility and control of the superior). Eine Entsprechung in dem für militärische Vorgesetzte geltenden Regelungsblock a) gibt es nicht. Diese zusätzliche Voraussetzung scheint die Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter von erschwerten objek110 Prosecutor v. Lubanga Dyilo, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe, 29.1.2007, Para. 353, 354. 111 Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba erklärte überdies, dass es einen Unterschied zwischen dem Wissen i. S. v. Art. 30(3) und Art. 28 Buchstabe a) IStGHStatut gebe, da das kognitive Element in Artikel 30 nur auf Beteiligungsformen nach Artikel 25 anwendbar sei. Nach Artikel 30 sei, anders als bei Artikel 28 erforderlich, dass eine Person sich über die Folgen ihrer eigenen Handlungen bewusst sei. Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 479. Ein grundsätzlicher Unterschied dürfte damit aber nicht verbunden sein, wenn auch der Bezugspunkt des Wissens bei Art. 30 IStGH-Statut ein anderer also bei Art. 28 IStGH-Statut ist. 112 So auch Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 693. Triffterer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 446.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

tiven Bedingungen abhängig zu machen. Vergleichbare Haftungsbeschränkungen werden, wie erläutert, in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale nicht diskutiert. Was dieses Merkmal bedeutet, ob und auf welche Weise es sich bei nicht-militärischen Vorgesetzten haftungseinschränkend auswirkt, ist noch nicht geklärt.113 Teilweise wird darauf verwiesen, dass nicht-militärische Vorgesetzte ihre Untergebenen nicht „rund-um-die-Uhr“ beaufsichtigen müssen. Es wird insoweit vorgeschlagen, dass nicht-militärische Vorgesetzte tatsächliche Kontrolle über ihre Untergebenen nur während der Arbeit oder nur bei arbeitsbezogenen Tätigkeiten ausüben müssen.114 Diesen Aspekt hatte auch die Delegation der USA bei den Vertragsverhandlungen in Rom zum Ausdruck gebracht,115 ohne dabei allerdings auf eine gesicherte völkergewohnheitsrechtliche Basis Bezug zu nehmen. Teilweise wird Art. 28 b) ii) IStGH-Statut auch mit einem Kausalitätserfordernis in Verbindung gebracht.116 Andererseits wird diesem Merkmal oft keine besondere Bedeutung beigemessen.117 Die sich anschließende rechtsvergleichende Untersuchung von Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut und anderer Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit in den nationalen Rechtsordnungen richtet den Blick insbesondere auf haftungseinschränkende Voraussetzungen, um so die Bedeutung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut einschätzen zu können. 2. Unterschiedliche subjektive Merkmale: Art. 28 a) i) IStGH-Statut und Art. 28 b) i) IStGH-Statut Art. 28 a) i) und b) i) IStGH-Statut normieren überdies in ihrer jeweils zweiten Alternative (Nicht-Wissen) unterschiedliche subjektive Maßstäbe. 113 Mundis, in: International Criminal Law Developments, S. 256: „Only the passage of time will tell, if these provisions constitute new customary law“: siehe auch Vetter, 25 YJIL 2000, 120: „remains unclear until construed by the ICC.“ 114 Ambos, in: Cassesse et al., The Rome Statute, S. 858; Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28, Rn. 22: „while at work or while engaged in work-related activities“; Vest, Genozid, S. 283: „müssen den betreffenden zivilen Verantwortungsbereich beschlagen“; Werle, Principles, Rn. 378, S. 132: „limits in place and time“. 115 Summary Records of the Plenary Meetings, UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, Para. 68. Vgl. auch UN Doc. A/CONF/183./C.1/SR.23, 3.7.1998, Para. 2, 10. 116 Langston, ICLR 2004, 161 (ohne weitere Begründung); Vest, Genozid, S. 283–284; Vetter, YJIL 2000, 119, 120 (ablehnend). Das Kausalitätserfordernis ist bereits durch die Formulierung „as a result“ im Chapeau abgebildet. 117 Ambos, Das internationale Strafrecht, S. 153; Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 130; Sliedregt, S. 183.

B. Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut

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Wenn militärische und tatsächlich als militärische Vorgesetzte handelnde Personen nichts von den Verbrechen der Untergebenen wussten, so reicht es, dass sie „aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umstände hätten wissen müssen“ (owing to the circumstances at the time, should have known), dass die Untergebenen Verbrechen begehen. Nicht-militärische Vorgesetzte hingegen müssen „eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht“ gelassen haben (consciously disregarded information which cleary indicated). Art. 28 IStGH-Statut normiert damit zum ersten Mal nicht nur zusätzliche objektive Haftungsvoraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte, sondern auch zum ersten Mal unterschiedliche subjektive Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte. Die Festlegung unterschiedlicher subjektiver Standards war auf der RomKonferenz ein umstrittener Punkt. Die Delegationen aus Argentinien, Kanada und auch aus Deutschland sprachen sich für einen einheitlichen Standard aus. Die Delegation aus den USA hingegen warb für unterschiedliche Standards und konnte sich damit schließlich durchsetzen.118 Wie erwähnt, hielt die Verhandlungskammer des Ruanda-Tribunals im Fall Kayishema & Ruzindana diese Regelung des Römischen Statut bereits für beachtenswert,119 ohne dass andere Kammern diesem Votum allerdings gefolgt worden wären.120 Ungeklärt ist daher, wie die Kompromißformel letztlich zu verstehen ist. Der Standard „hätte wissen sollen“ (should have known) weist seinem Wortlaut nach auf Fahrlässigkeit (negligence) hin.121 Dies hat nun auch die Vorverhandlungskammer im Fall Bemba erklärt.122 Der Standard „hätte wissen sollen“ meint nach Auffassung der Vorverfahrenskammer, dass der Vorgesetzte sich fahrlässig nicht auf den Stand der Dinge gebracht hat und sich nicht Gewissheit verschafft hat, dass seine Untergebenen Straftaten begehen. Ausdrücklich schließt sich die Vorverfahrenskammer der Verhandlungskammer des Jugoslawientribunals im Fall Blaškic´ an,123 obwohl die Berufungskammer in demselben Fall einen „should-have-known“ Standard und eine „Pflicht zu wissen“ (duty to know) als unvereinbar mit dem im 118

Sliedregt, S. 142; Ambos, in: Cassesse et al., The Rome Statute, S. 849. Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999, Para. 227 f. 120 Vgl. 1. Teil B. II. 121 Ambos, Internationales Strafrecht, S. 154; Piragoff, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 30 Rn. 14 Fn. 21; Schabas, An Introduction to the ICC, S. 107; Weigend, ZStW 2004, 1022; Werle, Principles, Rn. 384, S. 134. 122 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 429, 432. 123 Ibid., 15.6.2009, Para. 432. 119

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

Statut des Jugoslawientribunals niedergelegten Standard „Grund haben zu wissen“ (had reason to know) abgelehnt hat.124 Die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs ist sich über die entgegenstehende ständige Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale bewusst, verweist aber auf die Intention der Verfasser des Rom-Statuts, militärische Vorgesetzte stärker in die Pflicht zu nehmen, und verschiebt eine eingehendere Diskussion auf eine spätere Entscheidung.125 Da die Vorverfahrenskammer zu dem Schluss kam, dass genügend Beweise vorliegen, dass Bemba von den Straftaten seiner Untergebenen tatsächliche Kenntnis hatte, konnte sie auf eine eingehendere Diskussion der should-have known Alternative verzichten.126 Das letzte Wort über den umstrittenen should-have-known-Standards und dessen völkergewohnheitsrechtliche Fundierung scheint daher noch nicht gesprochen. Was die Kompromißformel für nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 b) i) IStGH-Statut betrifft, so gibt es hier wenig Hinweise auf deren Bedeutung. Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba nimmt keine Stellung zu den Voraussetzungen des Art. 28 b) IStGH-Statut. In der völkerstrafrechtlichen Literatur werden, zumeist ohne nähere Begründung, ganz verschiedene Standards in die Diskussion gebracht: „mehr als Fahrlässigkeit“,127 bewusste Fahrlässigkeit,128 bewusste und grobe Fahrlässigkeit,129 aber auch dolus eventualis,130 „willentliche Blindheit“ (wilful blindness),131 „Rücksichtslosigkeit“ (recklessness),132 ein Standard „zwischen Wissen und recklessness“,133 und aktuelles oder erwiesenes (constructive) Wissen.134 124

Prosecutor v. Blaškic´, Urteil der Berufungskammer v. 29.7.2004, Para. 62,

406. 125 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 434: „such a difference, which the Chamber does not deem necessary to address in the present decision“. 126 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 489. 127 Werle, Principles Rn. 385, S. 134. 128 Weltz, S. 266. 129 Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, S. 154 (ohne weitere Begründung). 130 Weigend, ZStW 2004, 1024 (nach deutschem Verständnis dolus eventualis). 131 Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 132; Langston, ICLR 2004, 160 (ohne Begründung); Sliedregt, S. 188; Vetter, YJIL 2000, 124 ˇ elebic´i); Weigend, ZStW 2004, 1023. (Bezug auf C 132 Lippman, Tulsa Journal of Comparative and International Law 2001, 89: „gross and wanton recklessness“; Martinez, JICJ 2007, 659 (ohne weitere Begründung); Piragoff, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 30 Rn. 14 Fn. 21 (ohne weitere Begründung); O’Reilly, American University International Law Review 2004, 87: „reckless-type conscious disregard.“

C. Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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Die rechtsvergleichende Untersuchung von Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut sowie anderer Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit widmet sich daher in einem weiteren Schwerpunkt der Frage, welche subjektiven Merkmale diese Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit voraussetzen und ob es unterschiedliche subjektive Standards für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte gibt.

C. Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit und Modifizierungen in Art. 28 IStGH-Statut Die sich anschließende rechtsvergleichende Untersuchung, ob und unter welchen Voraussetzungen nicht-militärische Vorgesetzte in nationalen Rechtsordnungen für Straftaten ihrer Untergebenen haften, setzt notwendigerweise ein Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit voraus. Denn nur mit Hilfe eines Kernverständnisses lässt sich entscheiden, ob bestimmte Haftungsfiguren des nationalen Strafrechts einer Vorgesetztenverantwortlichkeit gleichkommen, auch wenn sie weder so benannt noch bisher als solche diskutiert wurden. Die Analyse von Art. 28 IStGH-Statut unter Berücksichtigung der Vorgängervorschriften und der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale hat gezeigt, dass der Kern der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit in der Vorgesetztenstellung liegt. Vorgesetztenverantwortlichkeit ist zum einen nur innerhalb einer Organisation, Institution oder Einheit mit stabiler Struktur denkbar. Insoweit kann von einer „strukturellen Vorgesetztenstellung“ gesprochen werden. „Strukturelle Vorgesetztenstellungen“ sind nicht nur in militärischen, sondern gleichermaßen in nicht-militärischen Bereichen anzutreffen. Es ist auch nicht erforderlich, dass die strukturelle Einbindung rechtlich legitimiert ist, eine faktische Existenz dieser Organisationen und Einheiten ist insoweit ausreichend. Darüber hinaus muss der Vorgesetzte tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über die ausführenden Täter ausgeübt hatten, was als „tatsächliche Vorgesetztenstellung“ bezeichnet werden kann. Es ist das Verdienst der Ad-hoc-Tribunale, diese Haftungsvoraussetzung klar herausgearbeitet zu haben. Vorgesetzte müssen die tatsächliche Möglichkeit haben, die Straftaten ihrer Untergebenen zu verhindern oder diese zu bestrafen. Diese tatsächliche Vorgesetztenstellung hat in Art. 28 IStGH-Statut Niederschlag gefunden. Die Begriffe „tatsächliche Befehlsgewalt und Kontrolle“ beziehen 133 Ambos, in: Cassese et al., The Rome Statute, S. 870: „between knowledge and recklessness“. 134 Schabas, An Introduction to the ICC, S. 107. Nicht eindeutig Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28 Rn. 20.

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2. Teil: Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 IStGH-Statut

sich dabei auf (de jure) militärische Vorgesetzte, die Begriffe „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ auf nicht-militärische bzw. auch de facto militärische Vorgesetzte. Des Weiteren handelt es sich bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit um eine Haftung wegen Unterlassens. Der Vorgesetzte haftet, wenn er Straftaten seiner Untergebenen nicht verhindert oder im nachhinein nicht angemessen darauf reagiert hat. Zudem lässt sich festhalten, dass es sich bei bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht um eine verschuldensunabhängige Haftung handelt. Die genauen subjektiven Voraussetzungen einer Vorgesetztenverantwortlichkeit lassen sich jedoch schwer fassen. Besondere subjektive Voraussetzungen werden in Bezug auf die Straftaten der Untergebenen aufgestellt. Sowohl aus Art. 86 Abs. 2 ZP I wie aus den Vorschriften in den Statuten der Adhoc-Tribunale geht hervor, dass der Vorgesetzte haftet, wenn er von den Straftaten wusste, aber auch wenn er davon hätte wissen können/müssen. Eine Vorschrift kann folglich dann als Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit angesehen werden, wenn zumindest folgende Haftungsvoraussetzungen gelten: der Täter hat eine (strukturelle und tatsächliche) Vorgesetztenstellung gegenüber Untergebenen inne; mindestens einer seiner Untergebenen war im Begriff, eine Straftat zu begehen oder hat diese bereits begangen; und der Täter hat diese Straftat nicht verhindert oder im nachhinein bestraft, obwohl er von der Straftat wusste oder hätte wissen müssen/können.

Dritter Teil

Rechtsvergleich Erstes Kapitel

Vorgesetztenverantwortlichkeit im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht Deutschland, Österreich und die Schweiz werden in diesem Teil als Vertreterländer des kontinental-europäischen Rechtskreises untersucht. Sie bilden eine erste Untergruppe dieses Rechtskreises,1 da sich das Strafrecht der drei Länder sehr ähnelt.2 Alle drei Länder haben das Römische Statut früh unterzeichnet und nach Erlass von Gesetzen über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof schließlich auch ratifiziert: Die Schweiz unterzeichnete das Statut bereits am 18. Juli 1998; zur Ratifikation kam es nach Zustimmung der Bundesversammlung am 12. Oktober 2001. Ein im Juni 2001 beschlossenes Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof ist seit dem 1. Juli 2002 in Kraft.3 Österreich unterzeichnete das Römische Statut am 7. Oktober 1998 und ratifizierte es am 28. Dezember 2000; ein Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof4 ist seit dem 1. Oktober 2002 in Kraft. Die schweizerischen und österreichischen Gesetz regeln die Überstellung von Personen an den Gerichtshof und andere Formen der Zusammenarbeit, enthalten aber kein materielles Völkerstrafrecht. In beiden Ländern gibt es gesetzgeberische Bemühungen zur Anpassung des materiellen Rechts, in der Schweiz sind sie bereits weit fortgeschritten.5 1

Zu Frankreich und zum postsowjetischen Rechtskreis des kontinental-europäischen Rechtskreises vgl. 2. Kap. und 3. Kap. 2 Jescheck/Weigend, S. 102 zum Erlass der österreichischen und deutschen Strafgesetzbücher. 3 ZISG v. 21.6.2001, SR 351.6. Vgl. auch Wyss, ZStrR 2002, 130 ff. 4 öBGBl I 135/2002; dazu: Gartner, in: The Rome Statute and Domestic Legal Orders, Bd. II, S. 31–51. 5 Mitteilung des österreichischen Bundesjustizministeriums von März 2005, http:// www.justiz.gv.at/vorhaben (Juni 2009); Mitteilung des schweizerischen Bundesamtes

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Klarstellungsbedarf sieht man vor allem bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Kriegsverbrechen, die bisher nur nach allgemeinen Tatbeständen wie Mord, Totschlag u. ä. strafbar sind. In Österreich und auch in der Schweiz ist Völkermord zwar bereits im Strafgesetzbuch erfasst. Kriegsverbrechen sind im schweizerischen Militärstrafgesetz (schweizMilStG) im Rahmen von Generalklauseln, insgesamt aber nur „rudimentär“,6 geregelt. In Österreich sind Kriegsverbrechen nur nach den allgemeinen Tatbeständen des Strafgesetzbuchs erfassbar.7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit können bisher sowohl in Österreich wie auch in der Schweiz ebenfalls nur nach allgemeinen Tatbeständen wie Mord, Totschlag usw. geahndet werden.8 Umsetzungsbedarf sieht man bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit.9 Da in Österreich und in der Schweiz bislang keine spezielle Umsetzungsvorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in Kraft ist, wird die Strafbarkeit des Vorgesetzten im Rahmen dieser Arbeit nach bisher geltendem Strafrecht untersucht. Vorliegende Reformvorschläge werden ebenfalls berücksichtigt.10 Deutschland unterzeichnete das Römische Statut am 10. Dezember 1998 und ratifizierte es am 11. Dezember 2000.11 Anders als in der Schweiz und Österreich wurde nicht nur ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem für Justiz v. 23.4.2008, http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/sicherheit/ ref_gesetzgebung/ref_intern__strafgerichtshof.html (Juni 2009), Der Bundesrat hat am 23.4.2008 eine Botschaft zur Anpassung des Strafrechts verabschiedet, am 4.3. 2009 hat der Nationalrat den Entwurf mit wenigen Änderungen angenommen. 6 Vest, ZStrR 2003, 49. 7 Vgl. tabellarische Gegenüberstellung der nach Art. 8 IStGH-Statut strafbaren Kriegsverbrechen und Straftatbestände des öStGB bei Zerbes, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 3, S. 178 ff. 8 Österreich: Gartner, in: The Rome Statute and Domestic Legal Orders, Bd. I, S. 52; Schweiz: Vest, ZStrR 2003, 54, 51: weist darauf hin, dass der Gesetzgeber aber schon einen neuen 12. Titel geschaffen habe, indem der Tatbestand neben dem Völkermord seinen Platz finden sollte. 9 In der Schweiz sieht man beim Handeln auf Befehl und bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit Klarstellungsbedarf, vgl. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Ergänzende Massnahmen im Bereich des Strafrechts zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Vorentwurf und Erläuternder Bericht, August 2005, S. 26; auch Vest hält den Erlass einer Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit für wünschenswert, Vest, ZStrR 2003, 74. Für Österreich sieht Zerbes hingegen keinen dringenden Umsetzungsbedarf, da Vorgesetzte nach allgemeinen Regeln haften, Zerbes, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 3, S. 141 ff. 10 Der eidgenössische Vernehmlassungsentwurf „Änderungen des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes sowie weiterer Bundesgesetz zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs“ des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements von August 2005 enthält eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit, die unter B. III. genauer untersucht wird.

A. Allgemeines zum Strafrecht

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Internationalen Strafgerichtshof12 erlassen, sondern darüber hinaus ein eigenständiges Völkerstrafgesetzbuch (VStGB).13 In diesem nur 14 Paragrafen umfassenden Gesetzbuch sind gleich drei Paragrafen der Vorgesetztenverantwortlichkeit gewidmet. Diese werden in diesem Teil untersucht. Dabei stehen die Fragen im Vordergrund, ob die zusätzlichen bzw. von Art. 28 a) IStGH abweichenden Voraussetzungen des Art. 28 b) i) bzw. ii) IStGHStatut für nicht-militärische Vorgesetzte umgesetzt wurden oder ob andere haftungseinschränkende Kriterien normiert wurden. Überdies wird untersucht, ob es Anhaltspunkte für eine Unterscheidung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten gibt.14

A. Allgemeines zum Strafrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz Das deutsche, das österreichische und das schweizerische Strafrecht haben gemeinsame rechtshistorische und -philosophische Wurzeln15 und ähneln einander sehr stark. Deshalb werden sie in der rechtsvergleichenden Literatur oft „in einem Atemzug“ genannt.16 Das Strafrecht ist in Deutschland im Strafgesetzbuch (im Folgenden: dStGB)17 kodifiziert; überdies enthalten zahlreiche Nebengesetze Strafvorschriften (sog. nicht-kodifiziertes Strafrecht18). Das Militärstrafrecht findet sich im Wehrstrafgesetz19 (im Folgenden: dWStG). In der Schweiz ist der Großteil des Strafrechts im Schweizerischen Strafgesetzbuch20 (im Folgen11 Vgl. zum Engagement Deutschlands im Zusammenhang mit dem IStGH detaillierter Gropengießer/Kreicker, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen. Bd. 1, S. 50 ff. Vgl. allgemein zur Umsetzung Weigend, in: Gedächtnisschrift Vogler, S. 197 ff. 12 Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, Art. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, dBGBl. 2002 I, S. 2144 ff. Zudem IStGH-StatutsG, das das Zustimmungsgesetz i. S. v. Art. 59 Abs. 2 GG darstellt, dBGBl.2000 II, S. 1393. 13 Vom 26.2.2002, dBGBl. 2002 I, S. 2254 ff. 14 Vgl. sogleich B. I., II. 15 Vgl. Darstellung bei Stratenwerth, S. 19 ff., 26. 16 Neumayer, in: Einführung in die großen Rechtssysteme, S. 54, 55. 17 Strafgesetzbuch v. 15.5.1871, RGBl 1871, 127; Neugef. durch Bek. v. 13.11.1998, dBGBl I, S. 3322; zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.12.2007, dBGBl I, S. 3198. 18 Jescheck/Weigend, S. 109. 19 Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957, dBGBl I, 298; Neugef. durch Bek. v. 24.5.1974, dBGBl. I, S. 1213. 20 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21.12.1937, in Kraft seit 1.1.1942, SR 311.0.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

den: schweizStGB) kodifiziert. Im Januar 2007 ist eine Generalrevision des Allgemeinen Teils in Kraft getreten.21 Das Militärstrafrecht ist im Militärstrafgesetz22 (im Folgenden: schweizMilStG), das Verwaltungsstrafrecht im Verwaltungsstrafgesetz23 (im Folgenden: schweizVerwStG) niedergelegt. Auch in Österreich stellt das Strafgesetzbuch24 (im Folgenden: öStGB) die Hauptquelle des Strafrechts dar. Militärstrafrecht findet sich im Militärstrafgesetz25 (im Folgenden: öMilStG), das Verwaltungsstrafrecht im Verwaltungsstrafgesetz (im Folgenden: öVerwStG).26 Ansatzpunkte für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit finden sich sowohl in den Strafgesetzbüchern und Militärstrafgesetzen als auch im Verwaltungsstrafrecht bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht der drei Länder. Nennenswerte dogmatische Unterschiede zwischen den drei Strafrechtsordnungen bestehen beispielsweise in der Teilnahmedogmatik. So wird in Deutschland und der Schweiz zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden, während Österreich ein Einheitstätersystem27 kennt. Erwähnenswert ist ferner die strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen, die in der Schweiz im Oktober 200328 und in Österreich im Januar 200629 Eingang in das Strafrecht gefunden hat, in Deutschland hingegen bisher nicht anerkannt ist. Die Unterlassensdogmatik ist in Deutschland, in Österreich und der Schweiz sehr ähnlich. Alle drei Rechtsordnungen kennen „echte“ und „unechte“ Unterlassensdelikte.30 Von echten Unterlassungsdelikten ist die Rede, 21 Im Dezember 2002 verabschiedete das Parlament einen neuen Allgemeinen Teil (BBl. 2002, 2840 ff.). 22 Militärstrafgesetz vom 13.6.1927, SR 321.0, als in sich geschlossenes Gesetz mit eigenem Allgemeinem Teil. 23 Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 22.3.1974, SR 313.0. 24 Bundesgesetz vom 23.1.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), öBGBl. Nr. 60/1974 (i. d. F. BGBl. I Nr. 152/2004). 25 Bundesgesetz vom 30.10.1970 über besondere strafrechtliche Bestimmungen für Soldaten (Militärstrafgesetz – MilStG), öBGBl. Nr. 344/1970, in Kraft seit 1.1.1971. 26 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG, öBGBl. Nr. 52/1991 (WV). 27 Fabrizy, in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 12 Rn. 5 ff.; ausführlich Engert, Einheitstäter oder getrennte Behandlung von Täter und Teilnehmer?, 2005; Schöberl, Die Einheitstäterschaft als europäisches Modell, 2006. 28 Art. 100quater/quinquies schweizStGB, eingef. durch Bundesgesetz v. 21.3.2003 (Terrorismusfinanzierung), in Kraft seit 1.10.2003; vgl. zum Unternehmensstrafrecht Heine, ZStrR 2003, 24 ff. 29 Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, VbVG), öBGBl. I Nr. 151/2005, in Kraft seit 1.1.2006; vgl. dazu Skribe, Das neue Unternehmensstrafrecht, Loseblatt: Stand April 2007.

A. Allgemeines zum Strafrecht

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wenn ein Strafgesetz einen Verstoß gegen eine Gebotsnorm ausdrücklich unter Strafe stellt, zumeist ohne dass der Eintritt eines Erfolges vorausgesetzt ist. Unechte Unterlassensdelikte sind dagegen nicht ausdrücklich im Strafgesetz unter Strafe gestellt, weil sie als „Spiegelbild“ der Begehungsdelikte und als Gegenstück zu den Erfolgsdelikten strafbar sind.31 In Deutschland und auch der Schweiz wird neuerdings teilweise die Bezeichnung „einfache“ und „qualifizierte“32 Unterlassungsdelikte bevorzugt. Die Unterlassungsdelikte sollen nicht nach dem formalen Kriterium der Festlegung in einem Gesetz, sondern nach der Bedeutung des Tatbestandserfolges unterschieden werden (materielles Kriterium).33 Qualifizierte Unterlassensdelikte setzen einen Erfolg als Tatbestandsmerkmal voraus, während sich einfache Unterlassensdelikte in der bloßen Untätigkeit erschöpfen bzw. der Eintritt eines Erfolges nicht zum Tatbestand gehört.34 Auf die ausdrückliche Festlegung der Strafbarkeit in einem Strafgesetz soll es folglich nicht ankommen. Es wird kritisiert, dass dieses formale Kriterium wenig Unterscheidungskraft hat.35 Bisher hat die Unterscheidung in „echte“ und „unechte“ Unterlassensdelikte keine besonderen Probleme aufgeworfen, weil die gesetzliche Festlegung von nach neuer Terminologie „qualifizierten Unterlassungsdelikten“ selten war36 und damit die „unechten Unterlassensdelikte“ faktisch den „qualifizierten“ entsprachen. Nicht zuletzt die ausdrückliche Normierung eines unechten Unterlassensdelikts für Vorgesetzte im deutschen Völkerstrafgesetzbuch (§ 4 VStGB) macht jedoch nunmehr die Notwendigkeit einer exakteren begrifflichen Unterscheidung sichtbar. Im Rahmen dieser Arbeit wird die alte Terminologie „echt/unecht“ verwendet, wenn die Normierung 30

Dtld.: Jescheck/Weigend, S. 601, 605; Österreich: Fuchs, S. 318; Schweiz: Stratenwerth, S. 420 ff. 31 Jescheck/Weigend, S. 601. Die Ansicht, dass in diesem Fall eine Verbotsnorm greift, sei allerdings unzutreffend, da bei unechten Unterlassensdelikten das Gebot zur Erfolgsabwendung die „Gebotsnorm“ darstellt. 32 Im postsowjetischem Rechtskreis wird ebenfalls diese „materielle“ Unterscheidung bevorzugt, man spricht von „reinen“ und „gemischten“ Unterlassensdelikten, vgl. 3. Teil, 3. Kap. A. Die Strafbarkeit des Unterlassens. 33 Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 16. 34 Jescheck, in: Beiträge zum Strafrecht, S. 364; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 13 Rn. 8, 10; Schünemann, ZStW 1984, 303; Weltz, S. 100 (teilweise allerdings doch alte Terminologie); Schweiz: Stratenwerth, S. 424, allerdings für alte Terminologie, da dadurch die Problemfälle mangelnder tatbestandlicher Umschreibung besser herausgehoben würden. 35 Schünemann, ZStW 1984, 302, Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 13 Rn. 8 ff. 36 Vgl. bisher bspw. schon § 225 Abs. 1 3. Var. dStGB (Misshandlung Schutzbefohlener).

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

in einem Gesetz in Frage steht, die neue Terminologie „qualifiziert/einfach“, sofern es um das Erfordernis eines Tatbestandserfolgs geht.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Im deutschen VStGB ist die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht wie Art. 28 IStGH-Statut in einer Norm, sondern in drei verschiedenen Normen geregelt: § 4 VStGB befasst sich mit dem Vorgesetzten, der Straftaten seiner Untergebenen nicht verhindert hat; § 13 VStGB enthält ein gesondertes Delikt der Aufsichtspflichtverletzung und § 14 VStGB ein gesondertes Delikt der Meldepflichtverletzung.37 Die Umsetzungsvorschriften haben folgenden Wortlaut: § 4 Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter 1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung. 2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. § 13 Verletzung der Aufsichtspflicht 1) Ein militärischer Befehlshaber, der es vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt, einen Untergebenen, der seiner Befehlsgewalt oder seiner tatsächlichen Kontrolle untersteht, gehörig zu beaufsichtigen, wird wegen Verletzung der Aufsichtspflicht bestraft, wenn der Untergebene eine Tat nach diesem Gesetz begeht, deren Bevorstehen dem Befehlshaber erkennbar war und die er hätte verhindern können. 2) Ein ziviler Vorgesetzter, der es vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt, einen Untergebenen, der seiner Anordnungsgewalt oder seiner tatsächlichen Kontrolle untersteht, gehörig zu beaufsichtigen, wird wegen Verletzung der Aufsichtspflicht bestraft, wenn der Untergebene eine Tat nach diesem Gesetz begeht, deren Bevorstehen dem Vorgesetzten ohne weiteres erkennbar war und die er hätte verhindern können. 3) § 4 Abs. 2 gilt entsprechend. 4) Die vorsätzliche Verletzung der Aufsichtspflicht wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, die fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflicht wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. 37 Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch versteht die Vorgesetztenverantwortlichkeit somit sowohl als Begehungsform wie auch als Sonderdelikt.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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§ 14 Unterlassen der Meldung einer Straftat 1) Ein militärischer Befehlshaber oder ein ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, eine Tat nach diesem Gesetz, die ein Untergebener begangen hat, unverzüglich der für die Untersuchung oder Verfolgung solcher Taten zuständigen Stelle zur Kenntnis zu bringen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. 2) § 4 Abs. 2 gilt entsprechend.

Die drei Vorschriften enthalten unterschiedliche Strafrahmen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VStGB ist §13 Abs. 2 dStGB nicht anwendbar, d.h. der Täter wird ohne die Milderungsmöglichkeit des § 49 dStGB nach den in den §§ 6 ff. VStGB ausgewiesenen Strafrahmen, die bis zur lebenslangen Freiheitsstrafe reichen, bestraft. Die §§ 13, 14 VStGB enthalten dagegen eigene Strafrahmen, die diese Straftaten als „Vergehen“ i. S. v. § 12 dStGB qualifizieren.38 Das Völkerstrafgesetzbuch bleibt bewusst hinter den Vorgaben des Römischen Statuts zurück: Die Kombination, dass ein Vorgesetzter (fahrlässig) nichts von den Straftaten seiner Untergebenen wusste und diese nicht an die zuständigen Behörden gemeldet hat, bleibt nach deutschem Völkerstrafgesetzbuch straflos.39 Begründet werden die Abweichungen damit, dass Unrecht und Schuld gering ausfallen.40 Gerade die von Art. 28 IStGH-Statut erfassten Fahrlässigkeits-Kombinationen enthalten zudem folgende Besonderheit: Obwohl dem Vorgesetzten bloß Fahrlässigkeit41 vorzuwerfen ist, soll er doch wie ein Täter eines Vorsatzdeliktes haften,42 also wegen vorsätzlichen Völkermordes usw. bestraft werden. Aus deutscher Sicht ist dies zum einen logisch nicht konstruierbar43 und zum anderen eine „klare Überdehnung der strafrechtlichen Haftung“.44 Besonders krass wirkt die Überdehnung, wenn der Vorgesetzte Straftaten, von denen er nichts wusste, nicht an die zuständigen Behörden gemeldet hat. Den Vorgesetzten in diesem Fall wie einen Vorsatztäter haften zu lassen, ist mit dem Schuldgrundsatz unvereinbar.45 Nicht nur aus deut38 Die Straftaten sind daher nicht unverjährbar (§ 5 VStGB), und auch das Weltrechtsprinzip (§ 1 VStGB) findet auf sie keine Anwendung. 39 Es ergeben sich daher doch Strafbarkeitslücken; anders Satzger, S. 228. Auch eine Bestrafung nach allgemeinem Strafrecht ist in diesen Fällen nicht möglich; Gropengießer/Kreicker, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, S. 298, 299. 40 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BR-Drs. 29/02, S. 41. 41 Dabei wird davon ausgegangen, dass Art. 28 IStGH-Statut (zumindest Art. 28 Buchstabe a ) 2. Alt. IStGH-Statut) einen Fahrlässigkeitsmaßstab festlegt. 42 Schabas, EuJCCC 1998, 417: „crime of intent by negligence“. 43 Weigend, in: Festschrift für Roxin, S. 1397: „Diese Friktionen sind auch mit großem dogmatischem Scharfsinn nicht aufzulösen“. 44 Weigend, in: Festschrift für Roxin, S. 1396.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

scher Sicht wird daher die undifferenzierte Gleichbehandlung in Art. 28 IStGH-Statut kritisiert.46 Die Lösung des Völkerstrafgesetzbuchs hat nicht nur Lob erhalten,47 sondern auch bereits Nachahmer gefunden.48 Im Folgenden stehen § 4 VStGB und § 13 VStGB im Mittelpunkt. § 14 VStGB wird nicht untersucht.49 Da die Untersuchung im Hinblick auf die Reichweite und den Gehalt von Art. 28 b) IStGH-Statut erfolgt, wird im Schwerpunkt untersucht, ob §§ 4, 13 VStGB unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen für militärische und zivile Vorgesetzte normieren und wie militärische und zivile Vorgesetzte voneinander unterschieden werden bzw. ob es Anhaltspunkte für eine Abgrenzung gibt.50 I. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 4 VStGB 1. Allgemeines Das Völkerstrafgesetzbuch spaltet Art. 28 IStGH-Statut auf und löst dabei zugleich die dogmatische Unsicherheit51 bei der Einordnung der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf. § 4 VStGB erfasst den Fall, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen nicht daran hindert, eine Tat nach dem Völkerstrafgesetzbuch (§§ 6 ff. VStGB) zu begehen. Obwohl es sich bei einem Nichteinschreiten eines Vorgesetzten gegen Straftaten seiner Untergebenen der Sache nach um Beihilfe handeln kann, wird diese ausdrücklich als Unterlassens-„Täterschaft“ eingestuft („wie ein Täter“).52 Da nach der „zentra45

Weigend, ZStW 2004, 1026; Werle, JZ 2001, 891. Cassese, International Criminal Law, 2. Aufl., S. 243; Cryer, in: The Permanent International Criminal Court, S. 258 f. 47 Cassese, International Criminal Law, 1. Aufl., S. 206: „excellent German Bill on the Code of Crimes Against International Law“; Gropengießer/Kreicker, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, S. 299: „deutlich überlegen“. 48 Bspw. Schweden, vgl. Cornils, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 2, S. 230 f.: vgl. auch Kreicker, S. 235. 49 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Konstellation des Nichtverhinderns: vgl. bereits Einleitung und Einleitung des rechtsvergleichenden Teils. 50 Vgl. umfassende und gründliche Untersuchung der §§ 4, 13, 14 VStGB durch Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, §§ 4, 13, 14 VStGB. 51 Dogmatisch steht die Vorgesetztenverantwortlichkeit zwischen strafbarer Teilnahme (Beihilfe) und Täterschaft durch Unterlassen, Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 15; Ambos, Der Allgemeiner Teil des Völkerstrafrechts, S. 824; Radtke, in: Festschrift für Egon Müller, S. 590–592; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 467. Vgl. auch Fn. 20. 52 Dieselbe Regelungstechnik findet sich beispielsweise bei § 357 dStGB, dazu unter C. II. 46

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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len Umschaltnorm“53 des § 2 VStGB das allgemeine Strafrecht nur Anwendung findet, sofern §§ 1, 3 bis 5 VStGB keine besonderen Regelungen treffen, ist § 4 VStGB als speziellere Vorschrift anzusehen, so dass sich die Vorgesetztenverantwortlichkeit für Völkerrechtsverbrechen ausschließlich nach dem Völkerstrafgesetzbuch richtet.54 § 4 VStGB ist ein qualifiziertes Unterlassensdelikt. Die Begehung der Straftaten durch Untergebene stellt sich im Rahmen der Vorschrift als Tatbestandserfolg dar. Zu diesem Tatbestandserfolg muss das Unterlassen des Vorgesetzten in quasi-kausaler oder hypothetisch kausaler Verbindung stehen. Dies bedeutet, dass die Straftaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht begangen worden wären, wenn der Vorgesetzte gehandelt hätte bzw. eingeschritten wäre. Somit sind die Haftungsvoraussetzungen gegenüber Art. 28 IStGH-Statut erhöht, der zumindest nach Auffassung der Vorverfahrenskammer im Fall Bemba nur eine Risikoerhöhung erfordert.55 Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass ein Handeln des Vorgesetzten die Straftat verhindert hätte, ist er nach § 4 VStGB nicht strafbar.56 Obwohl die Formulierung aus Art. 28 a) ii) bzw. b) iii) IStGH-Statut nicht wortwörtlich übernommen wurde, verlangt auch § 4 VStGB, dass der Vorgesetzte „alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen“ ergreift, die ihm zur Verfügung stehen. Denn nach allgemeinen Unterlassensgrundsätzen haftet eine Person nur dann, wenn sie die erforderliche und gebotene Handlung zur Erfolgsabwendung nicht vorgenommen hat. Was erforderlich und geboten ist, bestimmt sich nach objektiven Kriterien, wobei es auf den Einzelfall ankommt.57 2. Keine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut Der schlank gehaltene § 4 VStGB verzichtet auf die Übernahme der Formulierung in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, dass die Straftaten „Tätigkeiten 53

Werle, JZ 2001, 886. Für die Anwendung des allgemeinen Strafrechts bleibt insofern noch Raum, als § 4 VStGB nur im Falle der im Völkerstrafgesetzbuch genannten Verbrechen (§§ 6, 7, 8–12 VStGB) eingreift; Gropengießer/Kreicker, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, S. 294 f. meinen, dass darüber hinaus auch in Beschützergaranten-Fällen noch Raum für §§ 13, 357 dStGB bliebe. Für eine in Bezug auf Vorgesetzte abschließende Regelung zu Recht Zimmermann, ZRP 2002, 101. 55 Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 425, 426. 56 Vgl. Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 53. 57 Jescheck/Weigend, S. 616 f. 54

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“. Fraglich ist, warum der deutsche Gesetzgeber gerade diese Voraussetzung, die unterschiedliche Haftungsvoraussetzungen für zivile Vorgesetzte im Vergleich zu denen für militärische Vorgesetzte anzuzeigen scheint, für entbehrlich hielt.58 Unwahrscheinlich ist, dass der Gesetzgeber zivile Vorgesetzte im Rahmen von § 4 VStGB ohne die Einschränkung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, also strenger als Art. 28 IStGH-Statut haften lassen wollte. Eine derartige Abweichung wäre wie die Aufspaltung von Art. 28 IStGH-Statut wohl begründungsbedürftig gewesen und hätte sich in der Gesetzesbegründung niedergeschlagen. Denkbar ist, dass die Voraussetzung bereits in einem anderen Merkmal enthalten ist oder sich nach allgemeinen Grundsätzen ergibt, und daher auf eine Doppelung oder Wiederholung verzichtet werden sollte. In Betracht kommt die Voraussetzung der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“ in § 4 Abs. 2 VStGB. Von „tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle“ kann man, wie erläutert, sprechen, wenn ein Vorgesetzter Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam erteilen kann und Gewähr für deren Befolgung besteht.59 Die Führungsgewalt und Kontrolle kann nun personenbezogen im Hinblick auf die Untergebenen bestimmt werden (unterstellte Soldaten einer Einheit, Angestellte einer Abteilung) oder aber auf einen Zuständigkeits- oder Verantwortungsbereich („Verantwortung“), in dem der Vorgesetzte Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam aussprechen kann. Dieser Bereich kann sachlich, fachlich, örtlich oder zeitlich begrenzt sein. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut könnte ebenfalls diesen Aspekt der Führungsgewalt und Kontrolle, also den Zuständigkeits- und Aufgabenbereich des Vorgesetzten, besonders herausstellen. Dass dies allein im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte geschieht, könnte damit begründet sein, dass in nicht-militärischen Bereichen Verantwortlichkeiten weniger personal als sachlich bzw. fachlich oder auch örtlich und zeitlich bestimmt und auch begrenzt werden. Damit wäre andererseits nicht ausgeschlossen, dass eine derartige Zuständigkeitsbestimmung auch bei militärischen Vorgesetzten eine Rolle spielt. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut hätte folglich nur deklaratorische Bedeutung. Er würde herausstellen, dass die Vorgesetzten gerade in ihrem jeweiligen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über Untergebene ausüben müssen. 58

Aus der Gesetzesbegründung geht nichts hervor. Vgl. 2. Teil B. I. 1. b). Weigend zufolge betrifft Führungsgewalt im Unterschied zu Befehlsgewalt die Fälle, in denen der Vorgesetzte stärker aufgrund persönlicher Eigenschaften Autorität genießt; Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 29. 59

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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Nach diesem Verständnis erübrigt sich im Rahmen von § 4 VStGB eine Wiederholung oder besondere Heraushebung bei den zivilen Vorgesetzten. Da militärische und zivile Vorgesetzte im Rahmen von § 4 VStGB nach denselben Voraussetzungen haften, gilt dieses breitere Verständnis von Führungsgewalt und Kontrolle auch im Hinblick auf militärische Vorgesetzte. Das erscheint auch vor dem Hintergrund des deutschen Wehrrechts geboten, wonach Vorgesetzte nicht in jeder Hinsicht für ihre Untergebenen zuständig und verantwortlich sind. Die Vorgesetztenverordnung (VorgV)60 kennt verschiedene Vorgesetztentypen: Der „unmittelbare Vorgesetzte i. S. v. § 1 Abs. 1 VorgV hat die allgemeine Befugnis, den ihm unterstellten Soldaten in und außer Dienst Befehle zu erteilen. Der Fachvorgesetzte i. S. v. § 2 VorgV ist hingegen ein Soldat, dem nach seiner Dienststellung die Leitung des Fachdienstes von Soldaten obliegt. Er hat nur die Befugnis, im Dienst und zu fachdienstlichen Zwecken Befehle zu erteilen. Ein Vorgesetzter mit besonderem Aufgabenbereich i. S. v. § 3 VorgV schließlich ist ein Soldat, dem nach seiner Dienststellung ein besonderer Aufgabenbereich zugewiesen ist. Er hat im Dienst die Befugnis, anderen Soldaten Befehle zu erteilen, die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig sind. Wenn sich dies allerdings aus seinem Aufgabenbereich ergibt, hat er Befehlsbefugnis auch gegenüber Soldaten, die sich nicht im Dienst befinden.61 Zur Bestimmung der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle ist daher zum einen zu fragen, ob der Vorgesetzte tatsächlich im Hinblick auf die jeweiligen Personen Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam aussprechen konnte, für deren Erfüllung Gewähr bestand, und zum Zweiten, ob es sich auch in sachlicher bzw. fachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht um einen („Verantwortungs“-)Bereich handelte, in dem der Vorgesetze derartige Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam erteilen konnte. 3. Subjektive Voraussetzungen und Art. 28 b) i) IStGH-Statut Nach § 4 VStGB haftet ein Vorgesetzter nur, wenn er vorsätzlich gehandelt hat. Dies ergibt sich aus § 2 VStGB i. V. m. § 15 dStGB. Nach § 15 dStGB ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, soweit nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Fahrlässigkeit auf Seiten des Vorgesetzten reicht daher für eine Haftung nach § 4 VStGB nicht aus. Zu beachten ist bei einem Vergleich von § 4 VStGB und Art. 28 IStGHStatut, dass Art. 28 IStGH-Statut besondere subjektive Voraussetzungen 60

Vorgesetztenverordnung v. 4.6.1956 (i. d. F. v. 7.10.1981), dBGBl I, S. 1129. Die VorgV kennt überdies den Vorgesetzten aufgrund Dienstgrades (§ 4), Vorgesetzten aufgrund besonderer Anordnung (§ 5) und den Vorgesetzten aufgrund eigener Erklärung (§ 6). 61

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dem Wortlaut nach nur im Hinblick auf die Tatsache, dass Untergebene Straftaten begehen oder im Begriff sind zu begehen, normiert.62 Im Rahmen von § 4 VStGB gilt ein einheitlicher Maßstab: Vorsatz muss im Hinblick auf alle objektiven Tatbestandselemente vorliegen.63 Ein Vorgesetzter muss nicht nur vorsätzlich untätig bleiben, sondern er muss es auch wissen oder konkret für möglich halten, dass er die Straftat durch Ausübung seiner Führungsgewalt und Kontrolle verhindern kann.64 Zudem muss er auch seine Position als Vorgesetzter kennen.65 a) Dolus directus und Art. 28 IStGH-Statut Ein Vorgesetzter haftet nach § 4 VStGB daher zum einen, wenn er durch sein Untätigbleiben gerade erreichen wollte, dass die Untergebenen Straftaten begehen (Absicht, dolus directus I). Er haftet zum Zweiten auch, wenn er sicher wusste, dass Untergebene Straftaten begehen, und wenn er sie nicht daran hinderte (Wissen, dolus directus II). Wissen meint dabei nicht, dass der Vorgesetzte die Straftat in allen Einzelheiten kennt, sondern es ist ausreichend, dass er eine bevorstehende Straftat „in ihren wesentlichen tatsächlichen Umrissen vorausgesehen“66 hat. Dieser letzte Fall korrespondiert mit der Alternative „Wissen“ in Art. 28 a) i) 1. Alt. bzw. b) i) 1. Alt. IStGH-Statut. Es fragt sich, ob Art. 28 IStGH-Statut auch ein zielgerichtetes Wollen, wie bei der Absicht (dolus directus I) vorausgesetzt, umfasst. Dagegen könnte sprechen, dass Art. 28 IStGH-Statut im Hinblick auf die Straftaten gerade die kognitive Komponente herausstellt, nämlich dass der Vorgesetzte von den Straftaten wusste, bei der Absicht aber der Willensfaktor dominiert und der Wissensfaktor nur in abgeschwächter Form vorliegen muss.67 Andererseits haftet nach Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut ein Vorgesetzter auch, wenn er zwar nicht von den Straftaten wusste, sondern allein Informationen bewusst außer acht ließ, und nach Art. 28 a) i) 2. Alt. IStGH-Statut auch, wenn er nur von den Straftaten hätte wissen sollen. Art. 28 IStGH-Statut kennt folglich auch eine Haftung bei herabgesetzter kognitiver Schwelle. Es ist daher nicht ersichtlich, warum ein Vorgesetzter, 62

Vgl. 2. Teil B. I. 2. Jescheck/Weigend, S. 295; Kühl, Strafrecht, S. 65. 64 Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 58. 65 Ein Irrtum über die Vorgesetzteneigenschaft schließt den Vorsatz nach § 16 dStGB aus, da es sich um eine besondere Tätereigenschaft handelt. 66 Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 56, 57 mit weiteren Überlegungen für den Fall abweichender Tatbegehung. 67 Jescheck/Weigend, S. 297. Der Täter muss den Erfolgseintritt zumindest für möglich halten. 63

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dem es sogar darauf ankam, dass seine Untergebenen Straftaten begehen, von der Haftung ausgenommen sein sollte. Daher spricht viel dafür, dass Art. 28 IStGH-Statut auch Absicht (dolus directus I) auf seiten des Vorgesetzten erfasst. b) Dolus eventualis und Art. 28 IStGH-Statut Von besonderer Bedeutung ist schließlich die dritte Vorsatzform des dolus eventualis. Ein Vorgesetzter haftet nach § 4 VStGB auch, wenn er es ernstlich für möglich gehalten hat, dass seine Untergebenen Straftaten begehen (soweit er dies nicht verhindert), und wenn er sich damit abgefunden hat. Fraglich ist, wie sich dolus eventualis zu den in Art. 28 IStGH-Statut normierten subjektiven Voraussetzungen verhält. Die Vorsatzform dolus eventualis ist zunächst strenger als der für militärische Vorgesetzte normierte Standard „hätte wissen sollen“ (should have known) in Art. 28 a) i) 2. Alt. IStGH-Statut, da dieser seinem Wortlaut nach „Fahrlässigkeit“ umschreibt.68 Wie erläutert, kann ein Vorgesetzter nach deutschem Recht nicht wegen eines Vorsatzdelikts bestraft werden, wenn ihm nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Wenn ein militärischer Vorgesetzter nicht von den Straftaten seiner Untergebenen gewusst hat, sondern nur hätte wissen sollen, kann er nicht nach § 4 VStGB, sondern nur nach § 13 VStGB zur Verantwortung gezogen werden.69 Insofern bleibt § 4 VStGB hinter Art. 28 a) IStGH-Statut zurück. Wie sich dolus eventualis zu dem Standard „bewusstes Außerachtlassen eindeutiger Informationen“ in Art. 28 b) i) IStGH-Statut verhält, ist nicht klar. Der deutsche Gesetzgeber hat keine Erklärungen abgegeben, ob er Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut als Umschreibung des dolus eventualis versteht. Wenn der Standard des Römischen Statuts der („bewussten“) Fahrlässigkeit im deutschen Strafrecht entspricht, könnten sich fahrlässig handelnde nicht-militärische Vorgesetzte nicht nach § 4 VStGB, wohl aber nach § 13 VStGB strafbar machen. Sollte der Standard in Art. 28 b) i) IStGH-Statut hingegen mit dem dolus eventualis vergleichbar und damit von § 4 VStGB erfasst sein, bliebe eine mögliche Strafbarkeit nach § 13 VStGB ebenfalls bestehen. In diesem Fall wäre die deutsche Vorgesetztenverantwortlichkeit folglich sogar weiter als Art. 28 IStGH-Statut, weil zivile Vorgesetzte auch bei fahrlässigem Handeln verfolgt und bestraft werden könnten, wenn auch nur aufgrund eines Vergehens mit weit niedrigeren Strafen. 68 Vgl. Prosecutor v. Lubanga Dyilo, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe, 29.1.2007, Para. 358, 359 und Nachweise in Fn. 284. 69 Vgl. Analyse von § 13 VStGB sogleich unter II.

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Gemeinsamkeiten zwischen der Vorsatzform dolus eventualis und Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut bestehen zunächst darin, dass der Vorgesetzte sich jeweils darüber bewusst gewesen sein muss, dass Untergebene möglicherweise Straftaten begehen. In Art. 28 b) i) IStGH-Statut nimmt der Vorgesetzte bewusst Informationen nicht zu Kenntnis, die auf Straftaten hinweisen.70 Das Bewusstsein reicht aber für dolus eventualis nicht aus. Es kommt nach deutschem Verständnis außerdem darauf an, ob der Vorgesetzte sich mit den Straftaten abfindet.71 Ein mit dolus eventualis handelnder Täter muss sich mit dem Erfolg, wenn er ihn auch nicht „innerlich billigt“, doch „abgefunden“ haben. Soweit der Vorgesetzte darauf vertraut hat, dass alles gut ausgeht, handelt der Vorgesetzte lediglich bewusst fahrlässig. Im deutschen Strafrecht erfolgt die bekanntlich umstrittene Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und dolus eventualis vor allem mit Hilfe der voluntativen Komponente.72 Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut enthält keine Hinweise auf die voluntative Komponente. Dies macht einen Vergleich schwierig. Allerdings lassen sich, auch nach deutschem Verständnis, aus der kognitiven Einstellung des Täters Rückschlüsse auf dessen voluntative Einstellung ziehen. Je ernster der Täter die Gefahr einschätzt, umso schwieriger ist es für ihn, noch auf einen guten Ausgang zu hoffen.73 Nach Art. 28 b) i) IStGH-Statut weisen die Informationen „eindeutig“ darauf hin, dass Untergebene Straftaten begehen oder bereits begangen haben. Der Vorgesetzte weiß in dieser Alternative mangels Kenntnisnahme zwar nicht genau darüber Bescheid, dass und unter welchen Umständen seine Untergebenen Straftaten begehen. Andererseits dürfte es nicht ausreichen, dass der Vorgesetzte sich bloß über eine entfernte Möglichkeit bewusst ist, dass die zur Verfügung stehenden Informationen darauf hinweisen könnten, dass seine Untergebenen im Begriff sind, Straftaten zu begehen oder begangen haben. Der Vorgesetzte muss vielmehr um die Brisanz der ihm zur Ver70

Weigend, ZStW 2004, 1023. Überwiegend wird in der deutschen Rechtsprechung und Wissenschaft neben der kognitiven Komponente nicht auf eine derartige voluntative Komponente verzichtet; vgl. Kühl, Strafrecht, S. 63 f., der die voluntative Komponente aus dem „Wesen“ des Vorsatzes begründet. 72 Teilweise wird dieses Bewusstsein über die „konkrete Möglichkeit“ schon als ausreichend angesehen, um dolus eventualis anzunehmen (sog. „Vorstellungs- oder Möglichkeitstheorie“); Vgl. Nachweise und umfassenden Überblick über den Meinungsstand bei Roxin, Strafrecht. AT, Bd. I, § 12 Rn. 35 ff. 73 Weigend, ZStW 1981, 667, 668 meint, das „Ernstnehmen“ sei allein ausschlaggebendes Kriterium; 669: Alles andere wäre „psychologische Akrobatik“. Weigend, ZStW 2004, 1023, 1024; Roxin, Strafrecht. AT, Bd. I, S. 448, 450; Vgl. auch Prosecutor v. Lubanga Dyilo, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe, 29.1.2007, Para. 353, 354. 71

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fügung stehenden Informationen wissen. Er muss sich über die ernsthafte und naheliegende Möglichkeit im Klaren sein, dass aus den Informationen hervorgeht, dass seine Untergebenen konkrete Straftaten begehen oder begangen haben. Die Kenntnis um die Brisanz der Informationen bzw. das „Ernstnehmen“ der Gefahr spricht aber für dolus eventualis. Mit anderen Worten: Je ernster der Vorgesetzte die Gefahr nimmt, als je brisanter er die vorliegenden Informationen einstuft, umso schwieriger wird es für ihn, dennoch auf einen guten Ausgang zu vertrauen. Insgesamt spricht daher viel dafür, dass Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut mit dolus eventualis im deutschen Recht vergleichbar ist. Die Vorgesetztenverantwortlichkeit für zivile Vorgesetzte geht nach deutschem Völkerstrafgesetzbuch daher insoweit über die Vorgaben des Art. 28 b) i) IStGH-Statut hinaus, als ein ziviler Vorgesetzter neben § 4 VStGB zusätzlich nach § 13 VStGB haften kann, und zwar auch aufgrund Fahrlässigkeit. Der Gesetzgeber wollte wohl sichergehen, dass Art. 28 b) IStGH-Statut in jedem Fall, also auch, wenn man Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut als Umschreibung der Fahrlässigkeit versteht, umfassend umgesetzt ist. 4. Begriff des militärischen und zivilen Vorgesetzten Schließlich stellt sich die Frage, welches Konzept des Vorgesetzten § 4 VStGB zugrunde liegt und ob § 4 VStGB Hinweise für eine Abgrenzung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten enthält. Nach § 4 Abs. 1 VStGB haften sowohl „militärische Befehlshaber“ wie „zivile Vorgesetzte“. Der Begriff „Vorgesetzter“ dient als Oberbegriff, was sich aus der Überschrift von § 4 VStGB „Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter“ ableiten lässt. Die Begriffe „militärisch“ und „zivil“ werden in § 4 VStGB nicht ausdrücklich definiert. Im Rahmen von § 4 VStGB ist die Unterscheidung auch ohne Bedeutung, da militärische und zivile Vorgesetzte gleich behandelt werden. Sie wird aber im Rahmen von §§ 13, 14 VStGB relevant und wird daher im folgenden Abschnitt diskutiert.74 II. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 13 VStGB 1. Allgemeines Mit § 13 VStGB liegt eine zweite Norm vor, mit der Art. 28 IStGH-Statut in das deutsche Recht umgesetzt wird. Nach § 13 VStGB haftet ein Vor74

Vgl. unten II. 4.

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gesetzter, wenn er es unterlässt, einen Untergebenen unter seiner Befehlsgewalt bzw. Anordnungsgewalt und seiner tatsächlichen Kontrolle gehörig zu beaufsichtigen. Der Vorgesetzte haftet wegen der Verletzung seiner Aufsichtspflicht, wenn ein Untergebener eine Straftat begeht, die er hätte verhindern können. Die Aufsichtspflicht kann vorsätzlich oder fahrlässig verletzt werden. Mit dieser Norm trägt der deutsche Gesetzgeber dem Schuldgrundsatz Rechnung, das insbesondere bei bloßer Fahrlässigkeit keine Haftung wegen eines durch Untergebene begangenen Vorsatzdeliktes erlaubt. § 13 VStGB verwendet für militärische Vorgesetzte den Begriff der „Befehlsgewalt“, für zivile Vorgesetzte aber nicht wie in § 4 VStGB den Begriff der „Führungsgewalt“, sondern den Begriff der „Anordnungsgewalt“. Ein inhaltlicher Unterschied dürfte damit aber nicht verbunden sein, vielmehr scheint der Wechsel in der Terminologie sprachlichen Gründen geschuldet zu sein.75 Erstaunlicherweise legt § 13 VStGB aber fest, dass der Untergebene unter der Befehls-/Anordnungsgewalt oder Kontrolle gestanden haben muss, während es sowohl in § 4 VStGB wie auch in Art. 28 IStGH-Statut Führungsgewalt und Kontrolle heißt. Dem Wortlaut nach würde ein Vorgesetzter schon haften, wenn er Untergebene irgendwie faktisch kontrolliert, auch wenn er keine Befehle oder Anordnungen ihnen gegenüber aussprechen kann. Innerhalb von Art. 28 IStGH-Statut ist es aber gerade Voraussetzung, dass die Kontrolle Ausfluss der Befehls-/Führungs-/ Anordnungsgewalt ist.76 Andererseits würde auch ein Vorgesetzter haften, der nur die Befugnis hat, Befehle und Anordnungen auszusprechen, aber diese Befugnis nicht im Sinne faktischer Kontrolle ausübt. Dies kann nicht gewollt sein. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich um ein Versehen des Gesetzgebers handelt.77 Nach § 13 VStGB haftet der Vorgesetzte wegen einer Aufsichtspflichtverletzung, wenn Untergebene Straftaten begehen.78 Zugleich wird voraus75 So lässt sich der Begriff „authority“ in der Tat nicht leicht ins Deutsche übersetzen. In § 4 Abs. 2 VStGB heißt es: „Führungsgewalt ausüben“. 76 Vgl. 2. Teil B. I. 2. b). 77 So auch Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 8, 12, der einen Zusammenhang mit Art. 28 Buchstabe b) ii) IStGH-Statut erwägt, dies letztlich aber auch verwirft. 78 Dem Gesetzgeber zufolge soll es sich bei § 13 VStGB um ein echtes Unterlassungsdelikt handeln (BT-Drs 14/8524, S. 36) wobei die Begehung von Straftaten durch Untergebene als objektive Bedingung der Strafbarkeit ausgestaltet sein soll (daher Formulierung „wird . . . bestraft, wenn der Untergebene eine Tat nach diesem Gesetz begeht“). Aufgrund seiner gesetzlichen Niederlegung ist § 13 VStGB „echtes“ Unterlassensdelikt. Die Einordnung als „qualifiziertes“ Unterlassensdelikt hängt davon ab, ob man die Begehung von Straftaten als tatbestandlichen Erfolg wertet oder nur als bloß objektive Bedingung der Strafbarkeit. Dies kann nur durch Auslegung ermittelt werden. Weigend führt zutreffend aus, dass die Begehung von Straf-

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gesetzt, dass er diese Straftaten hätte verhindern können (§ 13 VStGB a. E.). 2. Keine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut Der deutsche Gesetzgeber hat wie in § 4 VStGB darauf verzichtet, ausdrücklich festzulegen, dass eine Beaufsichtigungspflicht nur besteht, soweit Tätigkeiten betroffen sind, die in die „tatsächliche Verantwortung und Kontrolle“ des Vorgesetzten fallen. Wie bei § 4 VStGB könnte die Voraussetzung der „tatsächlichen Verantwortung und Kontrolle“ aber bereits in dem Merkmal „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ enthalten sein, in dem Sinne, dass dieses nicht nur hinsichtlich der untergebenen Personen zu bestimmen ist, sondern auch hinsichtlich des Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs des Vorgesetzten. Ein Vorgesetzter kann jedenfalls nur für einen Bereich eine Pflicht zu gehörigen Beaufsichtigung haben, in dem er auch tatsächliche Befehls-/Anordnungsgewalt und Kontrolle besitzt bzw. ausüben kann. Grundsätzlich wird eine Aufsichtspflicht des militärischen Vorgesetzten weiter reichen als die eines zivilen Vorgesetzten. Sie kann, wie erwähnt, nach deutschem Wehrrecht insbesondere auch das außerdienstliche Verhalten seiner Untergebenen betreffen79 und „endet nicht am Kasernentor“.80 Eine Totalüberwachung wird jedoch nicht verlangt.81 Für zivile Vorgesetzte wird die Pflicht zur Beaufsichtigung hingegen regelmäßig auf Dienstbereich, Dienstzeit und Dienstort beschränkt sein. Es sind allerdings auch weiter reichende Aufsichtspflichten denkbar.82 Es kommt hier auf die jeweilige Institution, Einheit oder Organisation an und auch auf die konkreten Umstände. So können Vorgesetzte beispielsweise in Kriegs- oder Krisenzeiten sachlich, zeitlich oder örtlich umfassendere Aufsichtspflichten haben. taten kein unrechtsexternes Merkmal darstellt, weil sie sowohl objektiv durch die Voraussetzung der Hinderungsmöglichkeit wie auch subjektiv durch die Erkennbarkeit mit dem Verhalten des Vorgesetzten verbunden ist. Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 13 VStGB Rn. 3; in Bezug auf Art. 28 IStGH-Statut Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 693; Triffterer, in: Festschrift Lüderssen, S. 446. 79 Vgl. beispielsweise auch § 10 Abs. 2 dSG, wonach der Vorgesetzte die Pflicht zur Dienstaufsicht hat und für die Disziplin seiner Untergebenen verantwortlich ist. Vgl. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41, Rn. 7, 10. 80 In Bezug auf § 41 dWStG, Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 7. 81 So auch Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 13 VStGB Rn. 17, der wie bei Art. 28 IStGH-Statut das Merkmal „erforderliche und angemessene Maßnahmen“ hineinlesen will. 82 Die Aufsichtspflicht muss nicht rechtlich normiert sein, sondern kann de facto bestehen, vgl. Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 13 VStGB Rn. 13.

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3. Subjektive Voraussetzungen und Art. 28 b) i) IStGH-Statut Nach § 13 VStGB haftet der Vorgesetzte, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig seiner Aufsichtspflicht nicht nachkommt. Anders als bei § 4 VStGB reicht Fahrlässigkeit aus. Dies gilt sowohl für militärische wie auch für zivile Vorgesetzte, so dass die Vorgesetztenverantwortlichkeit nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuchs bei den zivilen Vorgesetzten insoweit über Art. 28 b) IStGH-Statut hinausgeht,83 als es eine – wenn auch eine milder bestrafte – Fahrlässigkeitshaftung für zivile Vorgesetzte gibt. Eine vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzung liegt vor, wenn der Vorgesetzte mindestens mit dolus eventualis gehandelt hat. Der Vorgesetzte muss Vorsatz im Hinblick auf alle Tatbestandselemente haben.84 Hinsichtlich des Erfolges – der Begehung von Straftaten durch Untergebene – besteht aber eine Besonderheit. Dem Gesetzeswortlaut zufolge muss das Bevorstehen von Straftaten dem Vorgesetzten „erkennbar“ gewesen sein. Damit wird auf einen Fahrlässigkeitsmaßstab abgestellt. Denn bei Fahrlässigkeit muss der tatbestandliche Erfolg für den sorgfaltswidrig handelnden Täter „vorhersehbar“, d.h. erkennbar gewesen sein.85 Vorhersehbarkeit oder Erkennbarkeit bestimmen sich sowohl objektiv wie subjektiv.86 Der Täter muss in seiner konkreten Lage auch nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten den tatbestandlichen Erfolg im Ergebnis, wenn auch nicht in den Einzelheiten vorhergesehen haben können.87 Dieser Maßstab ist auch im Rahmen von § 13 VStGB anzuwenden. Gerade bei der „Erkennbarkeit“ differenziert § 13 VStGB nun zwischen militärischen und zivilen Vorgesetzten. Für zivile Vorgesetzte liegt die Schwelle höher, weil für diese die Straftatbegehung „ohne weiteres erkennbar“ gewesen sein muss. Der deutsche Gesetzgeber hat hier wohl versucht, die erhöhten subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 b) i) IStGH-Statut doch in irgendeiner Art und Weise abzubilden. Denn sonst wären die Haftungsvoraussetzungen für militärische und zivile Vorgesetzte identisch ausgefallen. Damit hätte sich auch das Problem der Abgrenzung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten erledigt. 83

Vorausgesetzt, man versteht Art. 28 Buchstabe b) i) 2. Alt. IStGH-Statut als dem dolus eventualis entsprechend. Vgl. oben I. 1. 84 Vgl. hilfreiche Aufschlüsselung bei Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 13 VStGB Rn. 24. Weigend will allerdings den Vorsatz nicht auf die Hinderungsmöglichkeit beziehen, sondern versteht die Hinderungsmöglichkeit als objektive Voraussetzung der Strafbarkeit. 85 Jescheck/Weigend, S. 563. 86 BGHSt 49, 1, 5. 87 BGH NStZ 2001, 478; BGH NStZ 1992, 333, 335 m. w. N.

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Das Merkmal „ohne weiteres erkennbar“ deutet auf eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit hin, während für militärische Vorgesetzte bereits Fahrlässigkeit ausreichend ist („erkennbar“). Das deutsche Strafrecht kennt als verschiedene Schweregrade der Fahrlässigkeit die (einfache) Fahrlässigkeit und die Leichtfertigkeit. Leichtfertigkeit setzt einen groben Sorgfaltspflichtverstoß voraus.88 Man kann den Zusatz „ohne weiteres“ daher so verstehen, dass ein ziviler Vorgesetzter nur haftet, wenn er es leichtfertig unterlassen hat, die Untergebenen zu beaufsichtigen. Die Leichtfertigkeit ergibt sich aus der unschweren Erkennbarkeit der bevorstehenden Straftaten. Leichtfertigkeit impliziert allerdings kein Bewusstsein. Insoweit setzen die deutschen Vorschriften keine Form der bewussten Fahrlässigkeit voraus. Nochmals sei betont, dass zivile Vorgesetzte damit anders als in Art. 28 b) i) IStGH-Statut bereits bei (wenn auch gesteigerter) Fahrlässigkeit haften. Die Formulierung „ohne weiteres erkennbar“ lässt sich nicht als dolus eventualis auslegen.89 Soweit folglich eine Kombination von Vorsatz und Fahrlässigkeit bei § 13 VStGB möglich ist (vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzung bei Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Straftatbegehung), zeigt sich eine Parallele zu den im deutschen Strafrecht bekannten Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen, bei denen ebenfalls hinsichtlich der Handlung Vorsatz (oder Fahrlässigkeit) und hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit ausreichend ist.90 Eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung liegt schließlich vor, wenn der Vorgesetzte bei hinreichender Sorgfalt hätte erkennen können, dass er eine Aufsichtspflichtverletzung begeht und dass insbesondere Untergebene dabei sind, Straftaten zu begehen.91 Im Hinblick auf den Erfolg – die Begehung von Straftaten durch Untergebene – bestehen insoweit keine abweichenden Voraussetzungen. Die fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung stellt 88 Die Leichtfertigkeit entspricht dabei der groben Fahrlässigkeit des Zivilrechts, vgl. BGHSt 14, 240, 255. 89 Weigend erwägt, Art. 28 Buchstabe b) i) IStGH-Statut als „Auslegungshilfe“ heranzuziehen, räumt aber auch ein, dass ein „bewusstes Außerachtlassen“ bei unbewusster Fahrlässigkeit nur schwer nachzuvollziehen ist. 90 Überwiegend wird bei diesen Kombinationsdelikten angenommen, dass die für die Fahrlässigkeit erforderliche Sorgfaltspflichtverletzung in Bezug auf den Erfolg schon in der vorsätzlichen Handlung liegt, so dass (wie bei § 13 VStGB) nur noch Vorhersehbarkeit erforderlich ist, BGHSt 24, 213; BGH NStZ 2001, 478: hinsichtlich der schweren Folge nur Vorhersehbarkeit; Jescheck/Weigend, S. 571; vgl. auch Wessels/Beulke, Rn. 693, S. 268 m. w. N., die aber zumindest bei erfolgsqualifizierten Delikte auch Erkennbarkeit des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs fordern. 91 Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 13 VStGB Rn. 28. Im Hinblick auf die Vorgesetztenposition fordert Weigend allerdings Wissen, da schon nach dem Wortlaut Fahrlässigkeit nicht ausreichend sei.

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daher eine Art Fahrlässigkeit-Fahrlässigkeit-Kombination dar. § 13 VStGB geht somit in der Variante der fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung über Art. 28 IStGH-Statut hinaus. Eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung wird wegen der geringeren Schuld aber milder bestraft als die vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzung.92 4. Begriff des militärischen und zivilen Vorgesetzten § 13 VStGB normiert unterschiedliche Haftungsvoraussetzungen für militärische und zivile Vorgesetzte. Anders als in § 4 VStGB kommt es daher auf die Unterscheidung zwischen „militärischen“ und „zivilen Vorgesetzten“ an. § 13 Abs. 3 VStGB verweist auf § 4 Abs. 2 VStGB. § 4 Abs. 2 VStGB enthält allerdings nur wenige Hinweise auf eine mögliche Abgrenzung: Militärischen Vorgesetzten stehen demnach Personen gleich, die tatsächliche Befehls-/Führungsgewalt und Kontrolle über Truppen ausüben; zivilen Vorgesetzten stehen Personen mit entsprechender Führungsgewalt und Kontrolle in zivilen Organisationen oder Unternehmen gleich. § 4 Abs. 2 VStGB stellt somit zum einen klar, dass es nicht auf eine förmliche Ernennung als Vorgesetzter (de jure) ankommt, sondern dass auch de facto Vorgesetzte der Haftung unterliegen.93 Militärische Vorgesetzte werden darüber hinaus mit „Truppen“ in Verbindung gebracht, zivile Vorgesetzte mit „zivilen Organisationen“ und „Unternehmen“. Die Begriffe „militärisch“ und „zivil“ bestimmen sich folglich über die jeweilige „Einheit“ („Truppen“, „zivile Organisation“, „Unternehmen“), in der Vorgesetzte ihre übergeordnete Stellung ein- oder wahrnehmen. Darüber hinaus ist zugleich verdeutlicht, dass eine Vorgesetztenposition überhaupt nur in einer „Einheit“ mit einem gewissen Maß an festgefügter Struktur denkbar ist, was bei der Analyse von Art. 28 IStGH-Statut als „strukturelle Vorgesetztenstellung“ bezeichnet wurde.94 Der für zivile Vorgesetzte relevante Begriff des „Unternehmens“ verweist auf den (privat-)wirtschaftlichen Bereich. So kommen als „zivile Vorgesetzte in Unternehmen“ beispielsweise Geschäftsführer oder leitende Angestellte in Betrieben in Betracht. Der zweite Begriff der „Organisation“ ist hingegen sehr unspezifisch. So könnten sowohl Behörden und Ministerien wie auch Parteien, Gewerkschaften oder Wohlfahrtsverbände unter den Be92

§ 13 Abs. 4 VStGB. Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/8524, S. 19; Bundesministerium der Justiz, Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Einführung der Völkerstrafgesetzbuchs – mit Begründung, 2001, S. 37. 94 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a), b); so wohl auch Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 19. 93

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griff „Organisation“ fallen. Ohne den Zusatz „zivil“ würde der weite Begriff „Organisation“ wohl auch militärische Verbände erfassen. Der weite Begriff der „Organisation“ hat daher zur Folge, dass die entscheidende Abgrenzung zwischen militärischen und zivilen Vorgesetzten doch weiterhin von dem Begriff „militärisch“ abhängt. Ob ein Vorgesetzter als „zivil“ einzustufen ist, richtet sich daher – sofern es sich nicht um den eindeutig nicht-militärischen Unternehmensbereich handelt – nach der Reichweite der Begriffe „militärisch“ bzw. „Truppe“. Ob unter den Begriff „Truppen“ nur die regulären oder de jure Streitkräfte eines Staates fallen oder auch inoffizielle Kampfverbände, paramilitärische Einheiten oder militarisierte Polizeieinheiten, ergibt sich nicht unmittelbar aus § 4 VStGB. Der Begriff „Truppe“ bezieht sich jedenfalls nicht allein auf die deutsche Bundeswehr, da nach § 1 VStGB die Vorschrift auch auf Taten außerhalb des örtlichen und persönlichen Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts anwendbar ist. Für eine enge Auslegung, dass es militärische Vorgesetzte nur in den regulären Truppen eines Staates (oder einer internationalen Organisation) gibt, könnte das Verständnis des „Vorgesetzten“ und „Soldaten“ im deutschen Wehrrecht sprechen.95 Der Begriff „Vorgesetzter“ ist im deutschen Soldatengesetz (dSG)96 definiert: Nach § 1 Abs. 5 dSG ist „Vorgesetzter“, wer befugt ist, einem Soldaten Befehle zu erteilen.97 „Soldat“ ist, wer auf Grund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht (§ 10 Abs. 1 Satz 1 dSG). Interessant ist, dass der Vorgesetzte nicht selbst Soldat sein muss. Befehlsbefugnis und damit Vorgesetzteneigenschaft haben auch der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister (Art. 115 b, 65 a GG). Auf sie findet das Wehrstrafgesetz Anwendung.98 Es gibt folglich militärische Vorgesetzte, die keine Soldaten sind, diese müssen jedoch über „Soldaten der Bundeswehr“ Befehlsbefugnis 95 Gegen eine Heranziehung des deutschen Militärrechts ließe sich einwenden, dass § 4 VStGB nicht lediglich Taten erfassen will, die im Bereich der Bundeswehr stattgefunden haben, sondern nach § 1 VStGB weltweit anwendbar ist. Allerdings versperrt das Weltrechtsprinzip nicht eine „systemimmanente“ Auslegung innerhalb des deutschen Rechtssystems und ein deutsches Verständnis von Rechtsbegriffen, sondern besagt nur, dass die deutsche Rechtsnorm ohne Einschränkung auf die Staatsangehörigkeit des Täters/Verletzten oder den Tatort Anwendung findet. Eine Heranziehung des deutschen Militärrechts ist daher nicht per se ausgeschlossen. 96 Gesetz über die Rechtsstellung des Soldaten (Soldatengesetz), Neufassung v. 30.5.2005, dBGBl. I, 1482. 97 Die Vorgesetztenverordnung (v. 4.6.1956 i. d. F. v. 7.10.1981, dBGBl. I, S. 1129) definiert die Befehlsbefugnis der Vorgesetzten näher. 98 Walz, in: Soldatengesetz, § 1 Rn. 56; Nach § 1 Abs. 2 dWStG gilt das Wehrstrafgesetz „für Straftaten, durch die militärische Vorgesetzte, die nicht Soldaten sind, ihre Pflichten verletzen“ (§§ 31 bis 41 dWStG).

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ausüben.99 Das deutsche Wehrrecht kennt schließlich den „de facto“ oder „faktischen Soldaten“ als eine Person, die am Dienst der Bundeswehr teilnimmt, obwohl kein wirksames Wehrdienstverhältnis zustande gekommen ist.100 Ein de facto Soldat muss seinen Dienst tatsächlich angetreten haben und in die Streitkräfte eingegliedert sein.101 Auch hier geht es folglich um die regulären Streitkräfte. Das skizzierte Verständnis des (faktischen) Vorgesetzten und Soldaten könnte dafür sprechen, dass es militärische Vorgesetzte i. S. d. Völkerstrafgesetzbuchs ebenfalls nur in regulären Streitkräften gibt. Probleme ergeben sich bei dieser engen Auslegung allerdings insoweit, als Vorgesetzte in militärischen Verbänden außerhalb der regulären Streitkräfte, beispielsweise in paramilitärischen Einheiten, dann unpassenderweise als „zivile Vorgesetzte“ oder „Vorgesetzte in zivilen Organisationen“ eingestuft werden müssten oder es zu Strafbarkeitslücken käme. Dies spricht dafür, den Begriff „Truppe“ weit auszulegen und auch irreguläre militärische Einheiten einzubeziehen. Dies wiederum hat zur Folge, dass es auch innerhalb des Völkerstrafgesetzbuchs auf ein materielles Verständnis von „militärisch“ ankommt, weil der Begriff „militärisch“ nicht allein nach formellen Kriterien wie der Zugehörigkeit zu oder Eingliederung in die regulären Streitkräfte bestimmbar ist.102 Der Begriff „militärisch“ wird im deutschen Recht nicht häufig verwendet. Er erscheint aber beispielsweise in dem Grundgesetzartikel, der sich mit der Bundeswehr befasst. Nach Art. 87 a Abs. 1 GG werden Streitkräfte zur Verteidigung aufgestellt. Nach Art. 87 a Abs. 4 Satz 1 GG können diese Streitkräfte unter bestimmten Umständen auch zur Bekämpfung „organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ eingesetzt werden. Hier wird der Begriff „militärisch“ folglich mit dem Begriff der „Bewaffnung“ in Zusammenhang gebracht. Man könnte das Wesensmerkmal des „Militärischen“ folglich in der Bewaffnung sehen. Allerdings dürfte die Bewaffnung als solche bei näherem Hinsehen allein nicht ausreichen. Denn beispielsweise sind auch Polizeibeamte bewaffnet.103 Soweit eine Einheit wie die 99

Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, § 1 WStG Rn. 6. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 1 Rn. 13; Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, § 1 WStG Rn. 17; Walz: in: Soldatengesetz, § 1 Rn. 36 ff. 101 Scherer/Alff, Soldatengesetz, § 1 Rn. 25; Walz, in: Soldatengesetz, § 1 Rn. 38 spricht von „Nicht-Soldaten“, wenn überhaupt kein Statusakt vorliegt. 102 Vgl. 4. Teil E. 103 Kritisch auch Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 21, ob allein die Bewaffung als Spezifikum des Militärischen ausreicht. 100

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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Polizei nur zur Selbstverteidigung oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung mit Waffen ausgestattet ist, wird man sie nicht als „militärisch“ einstufen können. Art. 87 a Abs. 4 GG scheint zwar weiterhin davon auszugehen, dass es eine „militärische“ Art der Bewaffnung gibt („militärisch bewaffnet“). Auch die Polizei verfügt jedoch über Waffen, wie sie auch die Streitkräfte verwenden. Allein auf die Art der Waffen kann daher nicht abgestellt werden.104 Man könnte das Wesen des „Militärischen“ daher im Einsatz bzw. der Einsetzbarkeit von Waffengewalt erkennen. Genauer gesagt, könnte für das „Militärische“ nicht der tatsächliche oder aktuelle Einsatz, sondern der aktualisierbare Einsatz von Waffengewalt in einem Krieg oder Konflikt charakteristisch sein. Als „militärisch“ wäre eine Einheit folglich einzustufen, wenn sie um der Durchführung von Kampfhandlungen willen existiert, wenn sie auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist.105 Dieses Verständnis führt zu vernünftigen Lösungen und sollte § 13 VStGB zugrundegelegt werden. Bewaffnete Gruppen, die keine potentiellen Kriegs- oder Konfliktparteien darstellen, sind demnach als nicht-militärische Einheiten einzustufen. Polizisten würden beispielsweise nicht in die Kategorie der militärischen Vorgesetzten fallen. Sie haften nur dann nach § 13 VStGB wegen unterlassener Aufsichtspflichtverletzung, wenn für sie „ohne weiteres erkennbar“ war, dass ihre Untergebenen Straftaten begingen. Etwas anderes würde gelten, wenn Polizeieinheiten „militarisiert“ und als „Kampftruppe“ eingesetzt werden. Andererseits sind auch bewaffnete Widerstandsund Befreiungsbewegungen oder „organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische“, wie sie Art. 87 a Abs. 4 GG vor Augen hat, nach diesem 104 Dürig weist darauf hin, dass es weniger auf die jeweilige Art der Waffen ankommt, weil auch die Polizei über Waffen verfüge, die auch den Streitkräften zur Verfügung stehen. Vielmehr gehe es „um den Eindruck, den die Bewaffnung der Gesamtheit der Aufständischen macht“, Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 87a Rn. 122; vgl. ebenfalls Hernekamp, in: von Münch, GG-Kommentar, Art. 87 a Rn. 43, der einerseits auf die Kriegswaffenliste (Anlage zum Kriegswaffenkontrollgesetz) verweist, andererseits ebenfalls einräumt, dass nicht formal darauf abgestellt werden könne, welche Waffen gewöhnlich der Polizei oder den Streitkräften zuzuordnen sind. 105 Vgl. ähnliche Begriffsbestimmung bei Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 23, der allerdings die Orientierung auf den bewaffneten Einsatz „gegenüber einer externen Bedrohung des Staates (oder eines staatsähnlichen Gebildes)“ zur Voraussetzung machen will, wobei es um die „Stabilisierung einer territorialen Herrschaft“ gehen soll. Das zusätzliche Merkmal der „externen Bedrohung“ kann aber u. U. zu Problemen bei internen bewaffneten Konflikten führen. Es wäre dann denkbar, dass der Anführer einer bewaffneten Einheit in einem zwischenstaatlichen Konflikt nach Art. 28 Buchstabe a) IStGH-Statut, im Bürgerkrieg aber nur nach Art. 28 Buchstabe b) IStGH-Statut haftet.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Verständnis als militärische Einheiten bzw. „Truppen“ einzuordnen, weil sie um des Kampfes gegen eine gegnerische Partei willen bestehen. Anführer derartiger Gruppierungen unterliegen der Vorgesetztenverantwortlichkeit als Vorgesetzte, die nach § 4 Abs. 2 VStGB einem militärischen Befehlshaber gleichstehen. Sie haften bereits nach § 13 VStGB, wenn für sie „erkennbar“ war, dass ihre Untergebenen Straftaten begingen. III. Schweizer Reformvorhaben zur Vorgesetztenverantwortlichkeit In der Schweiz wurde im August 2005 ein Entwurf für Umsetzungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf („Vernehmlassungsentwurf“106) „Änderungen des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes sowie weiterer Bundesgesetze zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs“ des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements107 hat im Frühjahr 2007 breite Zustimmung gefunden108 und enthält folgende Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit, die als Art. 264 k in das Strafgesetzbuch eingefügt werden soll: „1) Der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach dem zwölften Titelbis oder dem zwölften Titelter begeht oder begehen wird, und der nicht angemessene Massnahmen ergreift, um diese Tat zu verhindern, wird nach der gleichen Strafandrohung wie der Täter bestraft. Verhindert der Vorgesetzte die Tat fahrlässig nicht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. 2) Der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach dem zwölften Titelbis oder dem zwölften Titelter begangen hat, und der nicht angemessene Massnahmen ergreift, um die Bestrafung des Täters sicherzustellen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.“109 106 Der Bundesrat hat im Frühjahr 2007 von den Vernehmlassungsergebnissen Kenntnis genommen und das EJPD beauftragt, eine Botschaft auszuarbeiten. Vgl. zum Vernehmlassungsverfahren, Cottier, S. 221 f. 107 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Ergänzende Massnahmen im Bereich des Strafrechts zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Vorentwurf und Erläuternder Bericht, August 2005 (im Folgenden: EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005), im Internet unter http://www. ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/sicherheit/ref_gesetzgebung/ref_intern__strafge richtshof.html (Juni 2009). 108 Mitteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) v. 10.3.2007, http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/sicherheit/ref_gesetzge bung/ref_intern__strafgerichtshof.html (Juni 2009). 109 Entwurf eines Bundesgesetzes über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (im Folgenden: Gesetzesentwurf, BBl 2008, 3973, http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/ sicherheit/ref_gesetzgebung/ref_intern__strafgerichtshof.html (Juni 2009). Im Vernehmlassungsentwurf, Bundesgesetz über Änderungen des Strafgesetzbuches und

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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Um eine gleichlautende Vorschrift soll auch das schweizerische Militärstrafgesetz110 ergänzt werden.111 1. Allgemeines Die knapp gefassten Vorschriften verdeutlichen, dass eine schweizerische Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit ebenso wie die deutschen Vorschriften nicht mit den Doppelungen und teils unnötigen Wiederholungen des Art. 28 IStGH-Statut belastet werden soll. Der Vorgesetzte ist strafbar, wenn er „nicht angemessene Maßnahmen ergreift“, um Straftaten zu verhindern, die ihm unterstellte Personen begehen (Art. 264 k Abs. 1 schweizStGB-E). Überdies haftet er, wenn er die Personen nicht bestraft oder eine Ahndung der Straftaten nicht sichergestellt hat (Art. 264 k Abs. 2 schweizStGB-E). Hier übernimmt der Entwurf folglich die Formulierung aus Art. 28 a) ii)/b) iii) IStGH-Statut und verzichtet auf eine Verkürzung. Als Straftaten kommen die des zwölften Titelsbis oderter des schweizerischen Strafgesetzbuchs in Betracht. Bisher befindet sich im Strafgesetzbuch nur ein zwölfter Titelbis mit der Überschrift „Straftaten gegen die Interessen der Völkergemeinschaft“, der allein das Verbrechen „Völkermord“ (Art. 264) enthält. Mit dem Entwurf für ein Bundesgesetz soll der zwölfte Titelbis um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergänzt werden. Zudem soll ein zwölfter Titelter mit der Überschrift „Kriegsverbrechen (Schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten)“ entstehen, der Kriegsverbrechen enthält.112 Soweit ersichtlich, wären damit weitgehend alle in Art. 6 ff. IStGH-Statut genannten Straftaten erfasst. des Militärstrafgesetzes sowie weiterer Bundesgesetze zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (im Folgenden: Vernehmlassungsentwurf), ebenfalls im Internet unter http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/ sicherheit/ref_gesetzgebung/ref_intern__strafgerichtshof.html (Juni 2009), noch Artikel 264duodecies. 110 Vom 13.6.1927, SR 321.0. 111 Entwurf für Art. 114 a schweizMilStG (im Vorentwurf und Erläuternden Bericht noch Art. 112octies schweizMilStG): „1) Der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach dem sechsten Abschnitt oder dem sechsten Abschnittbis begeht oder begehen wird, und der nicht angemessene Massnahmen ergreift, um diese Tat zu verhindern, wird nach der gleichen Strafandrohung wie der Täter bestraft. Verhindert der Vorgesetzte die Tat fahrlässig nicht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. 2) Der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach dem sechsten Abschnitt oder dem sechsten Abschnittbis begangen hat, und der nicht angemessene Massnahmen ergreift, um die Bestrafung des Täters sicherzustellen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.“

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Der Vorgesetzte haftet nach Art. 264 k schweizStGB-E als Täter eines Unterlassensdelikts. Nach der in Schweiz gängigen Terminologie handelt es sich um ein echtes Unterlassensdelikt,113 weil der Straftatbestand im Gesetzbuch niedergelegt ist. Darüber hinaus dürfte es sich bei Art. 264 k schweizStGB-E auch um ein qualifiziertes Unterlassensdelikt handeln, da die Straftaten der Untergebenen als Tatbestandserfolg ausgestaltet sind, der durch das Unterlassen des Vorgesetzten kausal herbeigeführt werden muss. Andererseits geht Art. 264 k schweizStGB-E nicht davon aus, dass der Vorgesetzte die jeweiligen Straftaten durch Unterlassen begangen hat. Nach dem Entwurf zu Art. 264 k schweizStGB-E wird ein Vorgesetzter nicht „wie ein Täter“ der Straftaten, sondern nur „nach der Strafandrohung für einen Täter“ bestraft. Ebenfalls kann man dieses Verständnis aus den Erläuterungen zu der Vorschrift herauslesen, wonach die Bestrafung des Vorgesetzten nicht „für das durch den Untergebenen begangene Verbrechen, sondern wegen der Verletzung der Pflichten des Vorgesetzten“114 erfolgt. Ein ähnliches Verständnis liegt, wie erwähnt, auch der neueren Rechtsprechung einiger Verhandlungskammern der Ad-hoc-Tribunale zugrunde.115 2. Keine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut Die schweizerische Entwurfsvorschrift enthält keine Art. 28 b) ii) IStGHStatut entsprechende Formulierung, dass die Straftaten „Tätigkeiten betrafen, die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“. Anders als bei den deutschen Umsetzungsvorschriften ist es auch nicht möglich, diese Voraussetzung aus dem Merkmal „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ herauszulesen, da auch dieses in den Schweizer Umsetzungsvorschriften nicht ausdrücklich normiert werden soll. Der Entwurf spricht allein von einem „Vorgesetzten“ und einer „ihm unterstellten Person“. Damit stellen die Schweizer Umsetzungsvorschriften die in dieser Arbeit als „tatsächliche Vorgesetztenstellung“ bezeichnete Voraussetzung116 nicht besonders heraus. Den Erläuterungen zufolge kommt es bei der Vor112

Gesetzesentwurf Art. 264 b bis Art. 264 j; im Vernehmlassungsentwurf noch Art. 264ter bisundecies. Im Anschluß an diese Vorschriften soll dann in einem zwölften Titelquater die Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit sowie Vorschriften zum Handeln auf Befehl, Auslandstaten sowie zum Ausschluss der Immunität zu finden sein. 113 Stratenwerth, S. 424, der sich für diese alte Terminologie ausspricht, da dadurch die Problemfälle mangelnder tatbestandlicher Umschreibung besser herausgehoben würden. 114 EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 103. 115 Vgl. Fn. 19, S. 27. 116 Vgl. 2. Teil B. I. 1. b).

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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gesetztenverantwortlichkeit jedoch auf die tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle an.117 Insoweit ist die Voraussetzung der Befehls-/Führungsgewalt, Verantwortung und Kontrolle aus dem Tatbestandsmerkmal „Vorgesetzter“ bzw. „unterstellte Person“ herauszulesen. Im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte führen die Erläuterungen zum Entwurf darüber hinaus Folgendes aus: Politische Leitfiguren, wirtschaftliche Führungspersonen und höhere Beamte sollen nur haften, wenn die Verbrechen „einen Konnex zu den spezifischen Aufgaben der entsprechenden Organisationen, Betriebe und Behörden aufweisen“. Verbrechen, die „aus privaten Motiven außerhalb dieser Einheiten verübt werden“, könnten dem Vorgesetzten nicht zugerechnet werden.118 Die Erläuterungen weisen dabei darauf hin, dass auch die Unternehmenshaftung nach Art. 100quater StGB an Straftaten anknüpft, welche in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks begangen werden.119 Hier wird folglich ein spezifischer Bezug zur Organisation, Betrieb oder Behörde zur Voraussetzung gemacht. Es fragt sich, ob die Schweizer Vorschriften somit eine zusätzliche objektive Haftungseinschränkung normieren oder ob diese Voraussetzung auch in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut enthalten ist. Die in den Schweizer Vorschriften vorausgesetzte Organisations-, Behörden- bzw. Betriebsbezogenheit ist jedenfalls verschieden von dem Kriterium der „tatsächlichen Verantwortung und Kontrolle“ in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut. Denn es sind die Straftaten, die einen spezifischen Bezug zu der Organisation, Behörde oder Betrieb haben müssen. Wie bei der Analyse der deutschen Umsetzungsvorschriften herausgestellt,120 dient das Kriterium der „tatsächlichen Verantwortung und Kontrolle“ hingegen zur Qualifizierung der (tatsächlichen) Vorgesetztenstellung. Selbst wenn die Straftaten einen Bezug zur jeweiligen Organisation haben, ist damit noch nicht gesagt, dass der Vorgesetzte tatsächliche Verantwortung und Kontrolle hatte und den Straftätern in seinem Zuständigkeitsbereich Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam erteilen konnte. Man könnte die Voraussetzung einer Organisationsbezogenheit der Straftaten insoweit aus Art. 28 b) ii) IStGH-Statut herauslesen, als dieser normiert, dass „die Straftaten Tätigkeiten betrafen, die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“. Deutlicher als in der englischen Fassung (crimes concerned activities) kommt in der französischen Fassung („ces crimes étaient liés à des activités“) zum Ausdruck, dass es um eine Verbindung zwischen den Straftaten und den Tätigkeiten 117 118 119 120

EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102, 103. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102, Fn. 279. Vgl. 1. Kap. B. I. 2.

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von Untergebenen geht. Bei den Tätigkeiten kann es sich aber nur um die Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Einheit oder Organisation handeln, in der sie in einem hierarchischen Verhältnis zum Vorgesetzten stehen. Man könnte die Formulierung in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut daher insoweit verstehen, dass die Straftaten „mit Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation in Zusammenhang stehen“ bzw. „Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation betreffen“ müssen. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut enthielte insoweit möglicherweise zwei objektive Haftungseinschränkungen, zum einen die Voraussetzung, dass der Vorgesetzte in fachlicher bzw. sachlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht tatsächlich zuständig war („in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“), zum Zweiten, dass die Straftaten einen spezifischen Bezug zu den Tätigkeiten der Untergebenen in der Organisation aufweisen (Straftaten betreffen Tätigkeiten). Dieser Frage wird bei der Auslegung von Art. 28 b) IStGH-Statut am Ende der Arbeit näher nachgegangen.121 3. Subjektive Voraussetzungen und Art. 28 b) i) IStGH-Statut Nach Art. 264 k schweizStGB-E soll sowohl eine vorsätzliche wie fahrlässige Pflichtverletzung strafbar sein. Nach Art. 264 k Abs. 1 Satz 1 schweizStGB-E soll der Vorgesetzte strafrechtlich haften, wenn er es vorsätzlich unterlässt, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um Straftaten zu verhindern. Dies ergab sich nach altem Strafgesetzbuch aufgrund allgemeiner Regel nach Art. 18 Abs. 1 schweizStGB a. F., wonach allein vorsätzliche Verübung strafbar ist, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Vorsätzlich verübte nach Art. 18 Abs. 2 schweizStGB a. F. ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Wollen ausführte. Wie im deutschen Strafrecht ist die Definition des dolus eventualis und insbesondere die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit Gegenstand ausgiebiger Dispute und verschiedener Theorien.122 Nun hat mit der Generalrevision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuchs eine Legaldefinition des dolus eventualis Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden. Nach Art. 12 Abs. 2 Satz 2 schweizStGB n. F. soll dolus eventualis vorliegen, wenn der Täter die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt.123 Auf diese Formel hatten sich 121

Vgl. näher zur Auslegung von Art. 28 Buchstabe b) ii) IStGH-Statut 4. Teil

E. II. 122

Vgl. Darstellung bei Stratenwerth, S. 189 ff. Schweizerisches Strafgesetzbuch. Änderung vom 13.12.2002, BBl. 2002, 2840 ff., in Kraft getreten am 1.1.2007. 123

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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Rechtsprechung und Literatur zuletzt weitgehend einigen können.124 „Inkaufnahme“ der Gefahr ist dabei gleichbedeutend mit einem „Sich-Abfinden“.125 Insbesondere hatte auch das Schweizer Bundesstrafgericht klargestellt, dass dem mit dolus eventualis handelnden Täter der tatbestandliche Erfolg auch unerwünscht sein kann.126 Wie auch in Deutschland von der herrschenden Meinung vertreten, soll die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit mit Hilfe des voluntativen Elements erfolgen. Denn wer einen Erfolg als möglich ansieht, könne sich immer noch innerlich darauf verlassen, dass alles gutgehen werde.127 Allerdings ist auch in der Schweiz anerkannt, dass es umso unwahrscheinlicher ist, auf einen guten Ausgang zu hoffen, je ernster der Täter die Gefahr nimmt. Außerdem hält es auch das Schweizer Bundesstrafgericht für zulässig, auf das Vorliegen der voluntativen Komponente zu schließen, wenn sich dem Täter der Erfolg seines Verhaltens als so wahrscheinlich aufdränge, dass sein Verhalten vernünftigerweise nur als Inkaufnahme dieses Erfolges ausgelegt werden könne.128 Wie in Deutschland muss sich der Vorsatz auf alle objektiven Tatbestandselemente beziehen. Im Hinblick auf die Straftaten verlangt Art. 264 k schweizStGB-E, dass der Vorgesetzte von diesen „weiss“. Insoweit dürfte direkter (dolus directus II)129 erforderlich sein, in Übereinstimmung mit Art. 28 a) i) 1. Alt. und b) i) 1. Alt. IStGH-Statut („Wissen“). Alle Vorgesetzten unterliegen der strafrechtlichen Haftung, wenn sie von der (bevorstehenden) Straftatbegehung wissen. Es wird nicht zwischen militärischen und zivilen Vorgesetzten unterschieden. Zugleich sind sowohl militärische wie zivile Vorgesetzte nach Art. 264 k Abs. 1 Satz 2 schweizStGB-E auch bei Fahrlässigkeit strafbar. Die Fahrlässigkeit war schon im alten schweizerischen Strafgesetzbuch legaldefiniert.130 Nach der Generalrevision des Allgemeinen Teils befindet sich nun in Art. 12 Abs. 3 schweizStGB n. F. eine fast gleichlautende Vorschrift im Strafgesetzbuch: 124

Stratenwerth, S. 192 m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur. Die Formel wurde fast gleichzeitig vom deutschen BGH (BGHSt 7, 363) und vom schweizerischen Bundesgericht (BGE 81 IV 202) entwickelt; Trechsel, S. 100. 126 BGE 96 IV 100 f. 127 BGE 69 IV 80: wer „frivol auf Nichteintritt selbst eines für wahrscheinlich gehaltenen Erfolges vertraut, handelt nicht mit Eventualvorsatz.“ 128 BGE 109 IV 140. 129 Trechsel, S. 100. 130 Nach Art. 18 Abs. 3 schweizStGB (a. F.) beging ein Täter ein Verbrechen oder Vergehen fahrlässig, wenn „der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. (. . .) Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.“ 125

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„Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.“

Art. 264 k Abs. 1 Satz 2 schweizStGB-E erfasst den Fall, dass der Vorgesetzte die Tat fahrlässig nicht verhindet. Den Erläuterungen zufolge bedeutet dies, dass der Vorgesetzte aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen und der Umstände hätte wissen müssen, dass seine Untergebenen Straftaten begingen oder begehen würden, die er hätte verhindern können.131 Zu betonen ist nochmals, dass dieser Fahrlässigkeitsmaßstab nicht nur für militärische, sondern auch für zivile Vorgesetzte gilt. Bei Fahrlässigkeit ist jedoch aufgrund des geringeren Verschuldens eine niedrigere Strafe vorgesehen (Art. 264 k Abs. 1 Satz 2 schweizStGB-E). Die Erläuterungen zu Art. 264 k schweizStGB-E weisen darauf hin, dass es allerdings Unterschiede zwischen militärischen und zivilen Vorgesetzten bei der Informationsbeschaffung gebe. So könnten sich nur militärische Vorgesetzte „auf eine hierarchische Struktur verlassen“, die ihnen „leichteren Zugang zu Informationen“ verschaffe.132 Bei zivilen Vorgesetzten sei deshalb eine höhere Schwelle zur Begründung der Verantwortlichkeit angesetzt. Mit anderen Worten, zivile Vorgesetzte erlangen nicht ohne Weiteres Kenntnis von den strafbaren Handlungen der ihnen unterstellten Personen. Der schweizerische Gesetzgeber hat es allerdings nicht für notwendig befunden, unterschiedliche Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte im Gesetzesentwurf festzulegen. 4. Begriff des militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten Der schweizerische Entwurf für eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit verzichtet auf eine Unterscheidung zwischen „militärischen“, „de facto militärischen“ und „anderen Vorgesetzten“, wie sie Art. 28 IStGH-Statut vorgibt, sondern verwendet nur allgemein den Oberbegriff „Vorgesetzter“. Der Begriff „Vorgesetzter“ soll den Erläuterungen zufolge weit ausgelegt werden. Mit diesem Begriff sollen insgesamt vier verschiedene Kategorien von Vorgesetzten erfasst sein:133 „– Erstens militärische Kommandanten mit tatsächlicher Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kontrolle über Truppen; 131 132 133

EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 103. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 103. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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– Zweitens Zivilpersonen, welche tatsächlich als militärische Befehlshaber handeln, d.h. welche die Befehlsgewalt über die Truppen haben; – Drittens zivile Vorgesetzte mit tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle über nichtmilitärische Einheiten; diese dritte Vorgesetztengruppe soll beispielsweise Vorgesetzte in zivilen Behörden, politischen Parteien oder Wirtschaftsbetrieben erfassen;134 und – Viertens Vorgesetzte, die einen militärischen Rang bekleiden, aber keine militärische Kommandogewalt, sondern zivile Führungsgewalt und Kontrolle ausüben.“

Die ersten beiden Gruppen werden dabei mit Art. 28 a) IStGH-Statut und die beiden letzten Gruppe mit Art. 28 b) IStGH-Statut in Verbindung gebracht.135 Für die Gruppe der „militärischen Vorgesetzten“ in Art. 28 a) IStGH-Statut ist nach diesem Verständnis folglich die Befehls-/Führungsgewalt über „Truppen“ konstitutiv. Auf den militärischen Rang soll es nicht ankommen. Ebenso wird in der Begründung zum Schweizer Entwurf klargestellt, dass auch ein vom Rang her militärischer Vorgesetzter wegen fehlender Befehls-/Führungsgewalt über Truppen als nicht-militärischer Vorgesetzer im Sinne von Art. 28 b) IStGH-Statut eingestuft werden kann. Dies soll beispielsweise für Sektionschefs oder Kreiskommandanten in der zivilen Militärverwaltung gelten.136 Auf den schwierigen Grenzfall, wie ein Vorgesetzter in paramilitärischen Einheiten oder militarisierten Polizeieinheiten einzustufen ist, gehen die Erläuterungen zum Schweizer Entwurf hingegen nicht ein. Auf die genaue Zuordnung von Vorgesetzten in irregulären Einheiten kommt es ja im Schweizer Entwurf nicht an, weil dieser in den Haftungsvoraussetzungen nicht zwischen „militärischen“ und „nicht-militärischen“ Vorgesetzten differenziert, sondern einen einheitlichen Haftungsmaßstab festlegt. Wie in den deutschen Umsetzungsvorschriften kann man jedoch die Frage stellen, ob derartige irreguläre Einheiten unter den Begriff der „Truppen“ fallen und Vorgesetzte damit der in den schweizerischen Erläuterungen genannten zweiten Vorgesetztengruppe zugehörig sind.137 Dafür spricht, dass paramilitärische Einheiten sonst als „nicht-militärische Einheiten“ im Sinne der dritten Vorgesetztengruppe eingeordnet werden müssten, die beispielsweise zivile Behörden, politische Parteien oder Wirtschaftsbetriebe erfassen soll. Das Verständnis von „Truppe“ ist daher auch im Rahmen der schweizerischen Vorschriften weit. 134 135 136 137

EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 103. Vgl. I. 4.

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Anhaltspunkte, was eine Truppe bzw. militärische Einheit ausmacht, bietet indirekt die dritte Vorgesetztengruppe, in die Sektionschefs oder Kreiskommandanten der zivilen Militärverwaltung fallen. Diese werden als „nicht-militärische Vorgesetzte“ eingestuft. Dies ist damit zu erklären, dass die Militärverwaltung nicht die Aufgabe hat, die Schweiz unter Einsatz von Waffengewalt zu verteidigen.138 Ebensowenig obliegt diese Aufgabe den Vorgesetzten der vierten Vorgesetztengruppe, in die Vorgesetzte in zivilen Behörden, politischen Parteien oder Wirtschaftsbetrieben fallen. Das bei den deutschen Umsetzungsvorschriften entwickelte Verständnis einer militärischen Einheit könnte daher auch den schweizerischen Vorschriften zugrunde liegen.139 Als „Truppe“ oder „militärisch“ ist eine Einheit folglich einzustufen, wenn sie um der Durchführung von Kampfhandlungen willen existiert, wenn sie auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist. IV. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut in Österreich Da in Österreich bislang keine Entwürfe für Umsetzungsvorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vorliegen, die bereits analysiert werden könnten, wird die Strafbarkeit des Vorgesetzten in Österreich allein nach bisher geltendem Strafrecht untersucht. V. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz sollen nicht nur militärische, sondern auch nicht-militärische Vorgesetzte der Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliegen. Dabei haben die Gesetzgeber sowohl Vorgesetzte im Bereich der öffentlichen Verwaltung wie auch in der privaten Wirtschaft im Blick. Das Problem, wie militärische und nicht-militärische Vorgesetzte voneinander zu unterscheiden sind, insbesondere wie paramilitärische Einheiten oder die (militarisierte) Polizei einstufen sind, sind die Gesetzgeber nicht ausdrücklich angegangen. Aus den Vorschriften geht aber hervor, dass die Qualifizierung des Vorgesetzten sich nach der Einheit oder Organisation richtet, der der Vorgesetzte zugehörig ist, insbesondere nach der Reichweite des Begriffs „Truppe“, der für militärische Einheiten zentral ist. Es wurde vorgeschlagen, als eine Einheit dann als „militärisch“ oder „Truppe“ einzustufen, wenn sie um der Durchführung von Kampfhandlungen willen 138 Nach Art. 121 schweizMilG sind die Kreiskommandanten und Sektionschefs für die Bearbeitung von Kontrolldaten und für den Verkehr mit Wehrpflichtigen zuständig. 139 Vgl. I. 4.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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existiert, wenn sie auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist. Weder die deutschen noch die schweizerischen Vorschriften setzen Art. 28 b) ii) IStGH-Statut ausdrücklich um. Die deutschen Umsetzungsvorschriften beschränken sich auf die Normierung des Merkmals der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“, das als Kernvoraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit gelten kann. Soweit man das Merkmal der „tatsächlichen Verantwortung und Kontrolle“ in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut als bloß deklaratorische Herausstellung des fachlichen bzw. sachlichen, örtlichen und zeitlichen Aspekte der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“ versteht, verzichten die deutschen Umsetzungsvorschriften insoweit allein auf eine besondere Hervorhebung dieses Merkmals im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte. Die schweizerischen Umsetzungsvorschriften verzichten sogar auf eine ausdrückliche Umsetzung des Merkmals der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“. Doch ist auch innerhalb der schweizerischen Umsetzungsvorschriften Voraussetzung, dass der Vorgesetzte die tatsächliche Möglichkeit hatte, Straftaten zu verhindern, weil er tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über die Untergebenen und ihre Tätigkeiten ausübte. Aus den Erläuterungen zu den schweizerischen Vorschriften geht überdies hervor, dass die Straftaten der Untergebenen einen „Konnex“ zu der Organisation haben müssen. Damit wird eine Organisationsbezogenheit zur Voraussetzung gemacht, die in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut möglicherweise durch den Halbsatz „wenn . . . Straftaten Tätigkeiten betreffen“ ebenfalls zum Ausdruck gebracht wird. Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so normieren die schweizerischen Vorschriften anders als Art. 28 IStGH-Statut keine unterschiedlichen Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte, die deutschen Vorschriften nur leicht abweichende Voraussetzungen in § 13 VStGB. Nicht-militärische Vorgesetzte unterliegen sowohl nach den deutschen wie auch schweizerischen Vorschriften bei Vorsatz (mindestens dolus eventualis), aber auch bei Fahrlässigkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Aus deutscher und schweizerischer Sicht lässt sich Art. 28 b) i) IStGH-Statut als Umschreibung des dolus eventualis verstehen. Nach diesem Verständnis gehen die Vorschriften, die eine Haftung des nicht-militärischen Vorgesetzten auch bei Fahrlässigkeit zulassen (§ 13 VStGB und Art. 264 k Abs. 1 Satz 2 schweizStGB-E), folglich über Art. 28 b) IStGH-Statut hinaus. Wegen des geringeren Unrechts ist allerdings eine niedrigere Strafe vorgesehen.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften Im Folgenden wird untersucht, ob es unabhängig von den Umsetzungsvorschriften weitere Vorschriften gibt, die eine Haftung des militärischen Vorgesetzten (1.), sowie der in dieser Arbeit besonders in den Blick genommenen Gruppen der „Amtsträger“ (2.) und „Unternehmensleiter“ (3.) für Straftaten ihrer Untergebenen vorsehen. Dabei geht es wiederum um die Fragen, ob Unterschiede in der Haftung militärischer und nicht-militärischer Vorgesetzter auszumachen sind, insbesondere ob, wie in Art. 28 b) IStGHStatut, zusätzliche haftungseinschränkende oder von der Haftung militärischer Vorgesetzter abweichende Voraussetzungen normiert sind. Außerdem ist das zugrundeliegende Verständnis eines militärischen bzw. nicht-militärischen Vorgesetzten von besonderem Interesse. I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht Im deutschen und schweizerischen Militärrecht ist der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nur teilweise verankert, im österreichischen Strafrecht gibt es keine gesonderte Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter. 1. Deutschland: Mangelnde Dienstaufsicht nach § 41 dWStG In Deutschland kommt die Vorschrift des § 41 dWStG einer Vorgesetztenverantwortlichkeit am nächsten:140 „1) Wer es unterläßt, Untergebene pflichtgemäß zu beaufsichtigen oder beaufsichtigen zu lassen, und dadurch wenigstens fahrlässig eine schwerwiegende Folge (§ 2 Nr. 3) verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. 2) Der Versuch ist strafbar. 3) Wer die Aufsichtspflicht leichtfertig verletzt und dadurch wenigstens fahrlässig eine schwerwiegende Folge verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. 4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

140 § 33 dWStG „Verleiten zu einer rechtswidrigen Tat“ hat zwar Ähnlichkeit mit dem später untersuchten § 357 dStGB, aber enthält gerade die Alternative „Geschehenlassen“ nicht, so dass die Vorschrift mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit wenig gemein hat.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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a) Allgemeines § 41 dWStG hat zumindest teilweise die Qualität einer Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Der Vorgesetzte macht sich wie bei § 13 VStGB141 wegen einer „mangelhaften Dienstaufsicht“ strafbar. Die Pflicht zur Dienstaufsicht ist beispielsweise in § 10 Abs. 2 dSG niedergelegt,142 wonach der Vorgesetzte insbesondere für die Disziplin seiner Untergebenen verantwortlich ist. Die Aufsichtspflicht soll sicherstellen, dass die Untergebenen ihrerseits ihre Dienstpflichten ordnungsgemäß erfüllen. Pflichtverletzungen Untergebener zum Nachteil des Dienstherrn und zum Nachteil Dritter sollen verhindert werden.143 Dabei können die Dienstpflichtverletzungen der Untergebenen auch Straftaten darstellen.144 Insofern kann die Dienstaufsichtspflicht auch den Charakter einer Überwachungspflicht bzw. Pflicht zur Verhinderung von Straftaten haben.145 Zugleich besteht die Dienstaufsichtspflicht auch zum Schutz der Untergebenen, so dass es Überschneidungen mit der Fürsorgepflicht gibt, die in § 10 Abs. 3 dSG146 normiert ist.147 Insgesamt ist die Dienstaufsichtspflicht somit sowohl nach innen ausgerichtet, weil sie einerseits eine „reibungslose Durchführung des [. . .] Dienstbetriebes garantieren“148 soll, als auch nach außen ausgerichtet, weil sie Dritte vor Schaden bewahren soll. Der Vorgesetzte haftet nur dann strafrechtlich für eine Dienstaufsichtspflichtverletzung, wenn eine schwere Folge nach § 2 Nr. 3 dWStG eingetreten ist, worunter das Gesetz eine „Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe, Leib und Leben eines Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert“ versteht. Wiederum zeigt sich, dass es nicht allein um die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr geht, sondern auch um die Verhinderung von Gefahren, die von Soldaten der Bundeswehr für Dritte ausgehen können. Die Gefährdung jedes beliebigen Menschen stellt bereits eine schwere Folge dar.149 Unter den Begriff 141 Vgl. B. II.; die Parallele zwischen § 41 dWStGB und § 13 VStGB stellte auch der Gesetzgeber heraus; vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/8524, S. 36: „Im Anschluss an § 130 OWiG und § 41 WStG . . .“ 142 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 4: dieselbe Dienstaufsichtspflicht nach § 10 Abs. 2 SG und § 41 dWStG. 143 BVerwGE 53, 178 = NZWehrR 1977, 97; BVerwG DVBl. 1987, 747 = NZWehrR 1987, 120. 144 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 12; Stauf, Wehrrecht II, § 41 WStG Rn. 4 jeweils mit Verweis auf RMG 14, 48. 145 Stauf, Wehrrecht I, § 10 SG Rn. 4. 146 § 10 Abs. 3 dSG lautet: „Er [Der Vorgesetzte] hat für seine Untergebenen zu sorgen.“ 147 Scherer/Alff, Soldatengesetz, § 10 Rn. 8, 9. 148 Stauf, Wehrrecht I, § 10 SG Rn. 4.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

„schwere Folge“ lassen sich daher auch die völkerrechtlichen Verbrechen i. S. v. Art. 6 ff. IStGH-Statut, §§ 6 ff. VStGB subsumieren.150 Wie bei § 13 VStGB muss die schwere Folge in kausaler Beziehung zu der Aufsichtspflichtverletzung stehen.151 Ohne den Eintritt einer schweren Folge liegt ein bloßes Dienstvergehen vor.152 § 41 dWStG ist nach Abs. 4 subsidiär und spielt daher im deutschen Strafrecht insgesamt eine geringe Rolle.153 Gegenüber §§ 4, 13 VStGB tritt § 41 dWStG nunmehr ebenfalls zurück.154 b) Objektive Haftungseinschränkungen: Grenzen der Aufsichtspflicht – Militärischer Bezug § 41 dWStG normiert wie Art. 28 a) IStGH-Statut im Hinblick auf militärische Vorgesetzte kein zusätzliches einschränkendes Erfordernis, dass die Straftaten Tätigkeiten betreffen, die in den tatsächlichen Verantwortungsund Kontrollbereich des Vorgesetzten fallen, wie Art. 28 b) ii) IStGH-Statut dies bei nicht-militärischen Vorgesetzten voraussetzt. Wie weit die Dienstaufsichtspflicht im konkreten Fall reicht, ist eine Frage der Befehlsbefugnis.155 Die Aufsichtspflicht eines Vorgesetzten besteht nach deutschem Militärrecht jedenfalls nicht nur innerhalb des Dienstes. Sie endet nicht „am Kasernentor“.156 So hat beispielsweise, wie erwähnt, ein „unmittelbarer Vorgesetzter“ per definitionem nach § 1 Abs. 1 VorgV die allgemeine Befugnis, „in und außer Dienst“ Befehle zu erteilen. Des Weiteren hat auch ein Vorgesetzter mit einem besonderen Aufgabenbereich nach § 3 VorgV u. U. Befehlsgewalt gegenüber Soldaten, die sich nicht im Dienst befinden.157 Andererseits kann die Befehlsbefugnis auch beschränkt sein, z. B. bei Fachvorgesetzten i. S. v. § 2 VorgV, die allein die Befugnis haben, im Dienst und zu fachdienstlichen Zwecken Befehle zu er149

Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 2 Rn. 60. Allerdings dürfte § 14 VStGB insoweit die speziellere Vorschrift sein. 151 Anders noch die Vorgängervorschrift § 147 MilStGB, wonach die Verletzung der Aufsichtspflicht ohne den Eintritt irgendwelcher Folgen strafbar war. 152 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 1. 153 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 1; Stauf, Wehrrecht I, § 10 SG Rn. 6. 154 Soweit es nicht um die Begehung von völkerrechtlichen Verbrechen geht, kann die Vorschrift aber noch Bedeutung erlangen. 155 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 7. 156 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 7; Stauf, Wehrrecht I, § 10 SG Rn. 5; Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, § 41 Rn. 4. 157 Vgl. B. I. 2. 150

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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teilen. Im Hinblick auf § 41 dWStG kommt es folglich auf die Bestimmung der fachlichen, zeitlichen und örtlichen Grenzen der Aufsichtspflicht an. Wie bei der Analyse der deutschen Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut ausgeführt könnte dieser Gedanke möglicherweise auch Art. 28 b) ii) IStGH-Statut zugrundeliegen.158 Des Weiteren hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil einen „militärischen Bezug“ zwischen der mangelnden Dienstaufsicht und der schweren Folge i. S. v. § 2 Nr. 3 dWStG gefordert.159 Es führte aus, dass es allein Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, „besonderen Gefährdungen entgegenzuwirken, die sich im Bereich militärischer Einrichtungen oder Unternehmungen aufgrund für den Militärdienst typischer Tätigkeiten erfahrungsgemäß ereignen können.“160 Ein derartiger militärischer Bezug fehle bei Rechtsverletzungen auf dem Gebiet der Geldverwaltung – in dem konkreten Fall war dem Vorgesetzten vorgeworfen worden, aufgrund mangelnder Überwachung Untreuehandlungen eines untergebenen Soldaten ermöglicht zu haben.161 Damit wird folglich ein militärischer Bezug oder, allgemeiner gesprochen, eine Organisationsbezogenheit der Straftaten verlangt. Wie im Hinblick auf die Schweizer Umsetzungsvorschriften ausgeführt, könnte eine derartige Organisationsbezogenheit auch in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte eine Rolle spielen, soweit dort vorausgesetzt ist, dass die „Straftaten Tätigkeiten betrafen“, für die der Vorgesetzte tatsächliche Verantwortung und Kontrolle hatte.162 c) Subjektive Voraussetzungen: Fahrlässigkeit ausreichend Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so differenziert § 41 dWStG zwischen der Verletzung der Aufsichtspflicht, für die Vorsatz (Abs. 1) oder Leichtfertigkeit (Abs. 3) erforderlich ist, und der schweren Folge, für die Fahrlässigkeit ausreichend ist. § 41 dWStG lässt folglich wie Art. 28 a) i) IStGH-Statut Fahrlässigkeit im Hinblick auf den Tatbestandserfolg ausreichen. 158

Vgl. Ausführungen unter B. I. 2. BGH NJW 1978, 2206, 2207 = NZWehrR 1978, 228. 160 BGH NJW 1978, 2207. Vgl. auch BVerwG DVBl. 1987, 747, das ausgeführt, dass der Vorgesetzte nur für das „militärisch belangreiche Verhalten seiner Untergebenen“ außerhalb des Dienstes die Verantwortung trage; Scherer/Alff, Soldatengesetz, § 10 Rn. 9. 161 Zu recht kritisch zur Ablehnung des militärischen Bezugs, Dau, in: Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, W 50, § 41 WStG Rn. 3. 162 Vgl. oben B. I. 2. 159

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Bei einer vorsätzlichen Aufsichtspflichtverletzung genügt dolus eventualis, eine leichtfertige Aufsichtspflichtverletzung verlangt einen gesteigerten Grad an Fahrlässigkeit. Im Hinblick auf die schwere Folge ist es ausreichend, dass der Vorgesetzte den Eintritt der schweren Folge sorgfaltswidrig nicht erkannte.163 d) Begriff des militärischen Vorgesetzten Vorgesetzter ist nach § 1 Abs. 5 dSG, wer befugt ist, einem Soldaten Befehle zu erteilen. Die Vorgesetztenverordnung (VorgV)164 differenziert zwischen Vorgesetztenverhältnissen auf Grund der Dienststellung oder des Dienstgrades, auf Grund besonderer Anordnung und auf Grund eigener Erklärung. § 41 dWStG gilt für alle Vorgesetztentypen.165 § 41 dWStG gilt aufgrund von § 1 Abs. 2 dWStG auch für militärische Vorgesetzte, die keine Soldaten sind. In diese Gruppe fallen, wie erläutert, beispielsweise der Verteidigungsminister und der Bundeskanzler (Art. 115 b, 65 a GG).166 Fraglich ist, ob § 41 dWStG allein de jure Vorgesetzte erfasst oder auch de facto Vorgesetzte.167 Das deutsche Wehrrecht kennt, wie erwähnt, den „de facto“ oder „faktischen Soldaten“ als eine Person, die am Dienst der Bundeswehr teilnimmt, obwohl kein wirksames Wehrdienstverhältnis zustande gekommen ist.168 Die Befehle eines de facto Soldaten bzw. Vorgesetzten sind nach allgemeiner Ansicht wirksam. Dies wird damit begründet, dass er mit Eingliederung in die Bundeswehr die Autorität der ihm zugewiesenen Dienststellung erworben hat.169 Ein de facto Soldat soll sich aber keiner militärischen Straftat schuldig machen können.170 Dies wird damit begründet, dass es keinen besonderen strafrechtlichen Begriff des Soldaten gebe, sondern im Wehrstrafrecht der verwaltungsrechtliche Begriff des Soldaten i. S. v. § 1 Abs. 1 SG gelte, wonach Soldat ist, wer aufgrund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht.171 Die Abgren163

Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 14, 16. Vorgesetztenverordnung v. 4.6.1956 (i. d. F. v. 7.10.1981), dBGBl I, S. 1129. 165 Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 41 Rn. 3. 166 Vgl. B. II. 4. 167 Auch der Verteidigungsminister und der Bundeskanzler sind ja de jure Vorgesetzte. 168 Vgl. B. II. 4. 169 Stauf, Wehrrecht I, § 1 SG Rn. 5; Scherer/Alff, Soldatengesetz, § 1 Rn. 47. 170 Stauf, Wehrrecht I, § 1 SG Rn. 5; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 1 Rn. 2; Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, § 1 Rn. 17 mit Verweis auf OLG Celle MDR 1962, 327; OLG Oldenburg NZWehrR 1963, 132. 164

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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zung zwischen Militärstrafrecht und Zivilstrafrecht erfolgt in Deutschland folglich allein nach formalen Kriterien des Verwaltungsrechts. Eine Haftung eines de facto Vorgesetzten nach § 41 dWStG scheidet aus. 2. Vorgesetztenverantwortlichkeit im österreichischen Militärrecht Im österreichischen Militärstrafgesetz gibt es keine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit. In dem Kapitel „Straftaten gegen die Pflichten von Vorgesetzten und Ranghöheren“ findet sich lediglich eine Vorschrift über die Vernachlässigung der „Obsorgepflicht“. So ist ein Vorgesetzter nach § 33 öMilStG strafbar, wenn er „die ihm obliegende Sorge für die Erhaltung und Schonung der ihm unterstellten Soldaten gröblich vernachlässigt und dadurch fahrlässig eine schwere Körperverletzung oder eine Körperverletzung mit Dauerfolgen eines Soldaten herbeiführt.“ Eine § 41 dWStG entsprechende Vorschrift, die ausdrücklich eine Aufsichtspflicht zur Verhinderung von Rechtsverletzungen durch Untergebene normiert, fehlt im österreichischen Militärstrafgesetz. Dem Wortlaut zufolge bezieht sich § 33 öMilStG nur auf Rechtsverletzungen, die gegen untergebene Soldaten begangen werden.172 Obwohl es denkbar ist, dass ein untergebener Soldat durch einen anderen untergebenen Soldaten verletzt wird, kann man doch § 33 öMilStG wohl auch nicht indirekt als Aufsichtspflichtverletzung gegenüber untergebenen Soldaten interpretieren. Ein militärischer Vorgesetzter haftet in Österreich insoweit nur nach allgemeinen Regeln.173 3. Vorgesetztenverantwortlichkeit im schweizerischen Militärrecht a) Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 114 a schweizMilStG-E Im schweizerischen Militärstrafrecht gibt es bisher ebenfalls keine allgemeine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit.174 Im Zuge der Anpassung des schweizerischen Strafrechts an das Römische Statut soll ein 171 Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, § 1 Rn. 17; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, § 1 Rn. 2. 172 Auch die Kommentarliteratur geht nicht darauf ein, ob § 33 öMilStG den Vorgesetzten zum Einschreiten gegen Rechtsverletzungen durch untergebene Soldaten verpflichtet, vgl. Mayerhofer, Nebenstrafrecht, § 33 öMilStG; Foregger/Kunst, Militärstrafgesetz, § 33 öMilStG. Unklar Klincok, S. 144–145. 173 Vgl. unter D. 174 Vgl. EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 114; Switzerland, in: Societé internationale de droit militaire et de droit de la guerre, Compatibility of national legal systems with the statute of the permanent international court (ICC), Bd. 1, 2003, S. 438.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

neuer Art. 114 a in das schweizerische Militärstrafgesetz eingefügt werden.175 Da dieser denselben Wortlaut wie der für das zivile Strafrecht vorgeschlagene Art. 264 k schweizStGB-E hat, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.176 Es stellt sich aber die Frage, wann Art. 264 k schweizStGB-E und wann Art. 114 a schweizMilStGB-E zur Anwendung kommen soll. In den Erläuterungen zu den Entwürfen wurden verschiedene Varianten vorgeschlagen, jedoch eine Zuständigkeitsverteilung präferiert, die vor allem an die Eigenschaft des Täters anknüpft: Zivilpersonen schweizerischer Staatsangehörigkeit und ausländische Personen (zivil und militärisch) sollen sich in Friedenszeiten vor der Schweizer Ziviljustiz verantworten müssen. Für Angehörige der Schweizer Armee (täter- und opferseitig) soll in Friedenszeiten die Militärjustiz zuständig sein. In Kriegszeiten hingegen soll die Zuständigkeit insgesamt an die Militärjustiz überwiesen sein.177 Es kommt daher ebenfalls auf die Unterscheidung zwischen einer Militär- und einer Zivilperson an. Aus den Erläuterungen wird deutlich, dass der Begriff der Militärperson rein formal als Zugehörigkeit zur Schweizer Armee bestimmt wird. Ein Vorgesetzter der Schweizer Armee ist folglich der Militärjustiz unterstellt. Dies schließt aber nicht aus, dass die Gerichte ihn als zivilen Vorgesetzten im Sinne der Entwurfsvorschriften einstufen könnten. Denn wie aus den Erläuterungen hervorgeht, sollen beispielsweise Vorgesetzte in der Schweizer Militärverwaltung Vorgesetzte i. S. v. Art. 28 b) IStGH-Statut sein.178 Andererseits ist es auch denkbar, dass ein Zivilgericht, das in Friedenszeiten für Zivilpersonen zuständig ist, eine solche Zivilperson als militärischen Vorgesetzten i. S. der Umsetzungsvorschriften einstuft. 175 Der Entwurf für Art. 114 a schweizMilStG (im Vorentwurf und Erläuternden Bericht noch Art. 112octies schweizMilStG) lautet: „1) Der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach dem sechsten Abschnitt oder dem sechsten Abschnittbis begeht oder begehen wird, und der nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Massnahmen ergreift, um diese Tat zu verhindern, wird nach der Strafandrohung, die auf den Täter Anwendung findet, bestraft. Verhindert der Vorgesetzte die Tat fahrlässig nicht, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis. 2) Der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach dem sechsten Abschnitt oder dem sechsten Abschnittbis begangen hat, und der nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Massnahmen ergreift, um diese Tat zu ahnden oder die Bestrafung des Täters sicherzustellen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bestraft.“ 176 Vgl. III. Schweizer Reformvorhaben zur Vorgesetztenverantwortlichkeit. Grund für diese doppelte Umsetzung ist die spezifische Zuständigkeitsverteilung zwischen der Zivil- und der Militärjustiz in der Schweiz. 177 EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 45–53. 178 EJPD, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, 2005, S. 102.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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b) Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 139 schweizMilStG (Plünderung) Im Militärstrafgesetz findet sich eine auf den speziellen Fall der Plünderung bezogene Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit. Art. 139 Abs. 1 Satz 1, 2 schweizMilStG lauten: „1) Wer in Kriegszeiten oder im aktiven Dienst plündert, insbesondere in Kriegszeiten unter Benützung des Kriegsschreckens fremdes Gut wegnimmt oder jemandem abnötigt oder Gewalt an fremdem Gut verübt, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten bestraft. Dieselbe Strafe trifft den Vorgesetzten, der seinen Untergebenen die Plünderung erlaubt oder gegen die Plünderung nicht einschreitet.“

Ein Vorgesetzter179 haftet nach Art. 139 Abs. 1 Satz 2 schweizMilStG für das Nichteinschreiten gegen Plünderungen seiner Untergebenen wie ein Täter. Obwohl es sich der Sache nach um eine Teilnahme handeln kann, wird sie (wie bei § 4 VStGB, § 357 dStGB) zur Täterschaft hochgestuft.180 Besondere haftungseinschränkende Merkmale sind in Art. 139 schweizMilStG nicht festgelegt. In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz vorausgesetzt. Dies ergibt sich aus Art. 15 Abs. 1 schweizMilStG, da das schweizerische Militärstrafgesetz einen eigenen Allgemeinen Teil enthält.181 Grundsätzlich genügt wie im zivilen Strafrecht dolus eventualis.182 Fahrlässigkeit ist mangels ausdrücklicher Erwähnung ausgeschlossen. Ein Haftung nach Art. 139 Abs. 1 Satz 2 schweizMilStG ist daher im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen im Vergleich zu Art. 28 a) IStGH-Statut erschwert. c) Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 109 schweizMilStG Eine Vorgesetztenverantwortlichkeit kann im schweizerischen Recht auch über Art. 109 schweizMilStG i. V. m. Art. 86 Abs. 2 ZP I hergeleitet werden.183 Art. 109 schweizMilStG ist als ein generalklauselartiger Blanketttatbestand ausgestaltet: 179 Wie im deutschen Recht ist eine Person im schweizerischen Recht „Vorgesetzter“, wenn sie einem Untergebenen verbindliche Weisungen bzw. Befehle zu erteilen befugt ist. Popp, Kommentar zum Militärstrafgesetz, vor Art. 61 Rn. 9 mit Verweis auf Entscheidung des Militärkassationsgerichts MKGE III 66 Erw. A. 180 Hauri, Militärstrafgesetz, Art. 139 Rn. 5: „Die Teilnahme wird zum selbständigen Delikt.“ 181 Der allgemeine Teil ähnelt allerdings dem des zivilen Strafrechts im Strafgesetzbuch sehr, Hauri, Militärstrafgesetz, Vorbemerkungen zum MStG Rn. 4, 6, 7. 182 Vgl. zur Diskussion des dolus eventualis, Hauri, Militärstrafgesetz, Art. 15 Rn. 6 ff.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

„Wer den Vorschriften internationaler Abkommen über Kriegführung sowie über den Schutz von Personen und Gütern zuwiderhandelt, wer andere anerkannte Gesetze und Gebräuche des Krieges verletzt, wird, sofern nicht schärfere Strafbestimmungen zur Anwendung gelangen, mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.“

Eine Verletzung von Art. 86 Abs. 2 ZP I durch einen Vorgesetzten kann über Art. 109 schweizMilStG zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Dabei legt die militärstrafrechtliche Lehre Art. 86 ZP I weit aus. So sollen zum einen nicht nur die militärischen Vorgesetzten erfasst sein, sondern auch „Vorgesetzte in denjenigen Zweigen des Staatsdienstes, die sich direkt oder indirekt mit diesen Belangen befassen“, d.h. auch Beamte der Militärverwaltung.184 Wie erwähnt, werden Beamte der Militärverwaltung in den schweizerischen Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut als nicht-militärische Vorgesetzte behandelt. Zum Zweiten sollen auch die subjektiven Voraussetzungen Art. 86 Abs. 2 ZP I entnommen werden und Art. 15 schweizMilStG dahinter zurücktreten. Bewusste Fahrlässigkeit soll allerdings die unterste Schwelle darstellen.185 Insgesamt sind die Haftungsvoraussetzungen sehr vage. d) Der Fall Niyonteze Art. 109 schweizMilStG spielte eine Rolle im Fall Niyonteze, wenn auch ein Bezug zur Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht direkt hergestellt wurde. Schweizer Militärgerichte186 verurteilten den ruandischen Bürgermeister von Mushubati, Niyonteze, der mit seiner Familie in die Schweiz geflohen war, wegen Kriegsverbrechen. Es handelte sich um den ersten Fall, in dem ausländische Gerichte auf der Basis des Weltrechtsprinzips eine Verurteilung wegen Kriegsverbrechen im Ruanda-Konflikt ausgesprochen haben.187 Dem Angeklagten Niyonteze war neben Mord, Anstiftung zum Mord und der Verletzung der Genfer Konventionen und der anerkannten Gesetze und 183 Popp, Kommentar zum Militärstrafgesetz, Art. 109 Rn. 37. Switzerland, in: Societé internationale de droit militaire et de droit de la guerre, Compatibility of national legal systems with the statute of the permanent international court (ICC), Bd. 1, 2003, S. 439, vgl. Auch Garraway/Kleffner, in: ebd., S. 64 f. 184 Popp, Kommentar zum Militärstrafgesetz, Art. 109 Rn. 37. 185 Popp, Kommentar zum Militärstrafgesetz, Art. 109 Rn. 37. 186 Tribunal militaire, Division 2 (Divisionsgericht Lausanne), Urteil v. 30.4.1999; Tribunal militaire d’appel 1A (Militärappellationsgericht Genf) Urteil v. 26.5.2000; Tribunal militaire de cassation (Militärkassationsgericht), Urteil v. 27.4.2001; Urteile des Militärappellations- und Militärkassationsgerichts unter www.vbs.admin.ch (Juni 2007, Ausdrucke bei Verf. dieser Arbeit). 187 Reydams, AJIL 2002, 231, vgl. ebenfalls Sassòli, SZIER 2002, 151 ff.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Gebräuche des Krieges188 insbesondere189 auch das Versäumnis vorgeworfen worden, die Tötungen von Tutsis und gemäßigten Hutu in seiner Gemeinde nicht verhindert oder gestoppt zu haben.190 Damit wurde die Anklage der Sache nach auch auf die Vorgesetztenverantwortlichkeit gestützt. Allerdings geschah dies wohl nicht ausdrücklich.191 Keines der Militärgerichte diskutierte die Vorgesetztenverantwortlichkeit, sondern nur eine „Vernachlässigung von Pflichten“ (violation des devoirs du bourgmestre).192 Das Militärdivisionsgericht in Lausanne stellte fest, dass die Vernachlässigung von Pflichten kein Kriegsverbrechen darstelle. Niyonteze habe nicht alles getan, was man von ihm als Bürgermeister hätte erwarten können, um die Massaker zu verhindern oder einzudämmen. Die Unterlassungen seien jedoch im Lichte seines aktiven bzw. Gesamtverhaltens zu sehen.193 Das Militärappellations- und das Militärkassationsgericht referierten diese Passagen lediglich194 und gingen nicht näher auf die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit ein.195

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Nach dem blankettartig gefassten Art. 109 schweizMilStG. Vgl. zu Art. 109, Hauri, Militärstrafgesetz. Kommentar, Art. 109: teilweise Generalklausel, teilweise Blankettnorm. 189 Eine spätere Erweiterung der Anklage wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Grundlage des Völkergewohnheitsrechts wies das Divisionsgericht mit der Begründung zurück, dass diese nach nationalem Strafrecht nicht strafbar seien, Völkergewohnheitsrecht aber keine unmittelbare Anwendung finde. Art. 264 schweizStGB ist erst am 15.12.2000 in Kraft getreten. 190 Tribunale militaire de cassation, Urteil v. 27.4.2001: „enfin il n’aurait pris aucune mesure pour empêcher le massacre dans sa commune de la population tutsie ou hutue modérée.“ 191 Die Anklage bzw. das Urteil des Divisionsgerichts sind, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht. 192 Reydams meint, dass die Anklage möglicherweise wegen eines Irrtums nicht zwischen dem Konzept der Vorgesetztenverantwortung und einer Pflichtvernachlässigung trennte, Reydams, AJIL 2002, 236: „perhaps the Prosecutor confused this point with the principle of superior or Command Responsibility“. 193 Vgl. Tribunale militaire d’appel, Urteil v. 26.5.2000, S. 25: „Ils ont également retenu que l’accusé n’avait pas fait tout ce que l’on pouvait attendre de lui, en sa qualité de bourgmestre, pour empêcher ou réduire les massacres, mais que ces omissions devaient être mises en relation directe avec le comportement actif et global de l’accusé et n’était pas constitutives d’infractions complémentaires à celles retenues.“ 194 Tribunale militaire d’appel, Urteil v. 26.5.2000, S. 25, 31; Tribunale militaire de cassation, Urteil v. 27.4.2001, S. 33 im Hinblick auf die Strafzumessung. Das Urteil des Militär-Divisionsgerichts beruhte ja nicht auf der Vorgesetztenverantwortlichkeit bzw. Pflichtvernachlässigung, Sassòli, SZIER 2002, 175. 195 Die Gerichte nahmen aber Bezug auf Prosecutor v. Akayesu, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.9.1998.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

4. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht In Deutschland und in der Schweiz ist eine Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter teilweise anerkannt. In Deutschland wird nach § 41 dWStG eine Aufsichtspflichtsverletzung militärischer Vorgesetzter geahndet. Wie im Rahmen von Art. 28 a) IStGH-Statut unterliegen die Vorgesetzten auch bei Fahrlässigkeit der strafrechtlichen Haftung. Während die Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter im deutschen Recht durch §§ 4, 13, 14 VStGB nun umfassend geregelt ist, gibt es nach bisherigem Schweizer Recht noch keine zufriedenstellende Regelung. Durch die Beschränkung der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf den speziellen Fall der Plünderung bleibt insbesondere Art. 139 Abs. 1 Satz 2 schweizMilStG deutlich hinter Art. 28 a) IStGH-Statut zurück. In subjektiver Hinsicht sind die bisher geltenden schweizerischen Vorschriften dabei strenger als Art. 28 a) IStGH-Statut. Die vage Herleitung über Art. 109 schweizMilStG soll nun durch den neuen Art. 114 a schweizMilStG-E auf eine klarere gesetzliche Grundlage gestellt werden. Art. 114 a schweizMilStG-E soll auf Angehörige der Schweizer Armee in Friedens- und Kriegszeiten Anwendung finden. Ausländische Militärangehörige können sich in Friedenszeiten nach Art. 264 k schweizStGB-E, in Kriegszeiten ebenfalls nach Art. 114 a schweizMilStG-E strafbar machen. Diese Aufteilung nach formeller Zugehörigkeit des Angeklagten zur Schweizer oder einer ausländischen Armee ist eine reine Zuständigkeitsregel. Die materiellrechtliche Qualifizierung als „militärischer“ oder „nicht-militärischer Vorgesetzter“ im Sinne der Entwurfsvorschriften ist damit noch nicht präjudiziert. Erwähnenswert ist überdies, dass im deutschen Recht zum Teil ein militärischer Bezug der Straftaten der untergebenen Soldaten gefordert und damit eine Organisationsbezogenheit der Straftaten verlangt wird, wie sie möglicherweise auch in Art. 28 b) ii) IStGH, allerdings im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte zur Voraussetzung gemacht wird.196 II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern 1. Amtsträgerhaftung in Österreich und der Schweiz Weder im österreichischen noch im schweizerischen Strafgesetzbuch gibt es einen Straftatbestand, nach dem Amtsträger für Straftaten ihrer Untergebenen strafrechtlich haften, die sie nicht verhindert haben. In den Kapiteln über die Amtsdelikte sind im Wesentlichen Bestechungsdelikte nieder196

Vgl. 4. Teil E. II.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

137

gelegt.197 Art. 286 öStGB, der das Nichtverhindern von Straftaten unter Strafe stellt, ist nicht speziell auf Amtsträger zugeschnitten, sondern als Jedermann-Delikt gefasst.198 Art. 286 öStGB wird daher erst im Abschnitt D. untersucht. 2. Geschehenlassen einer rechtswidrigen Tat eines Untergebenen nach § 357 Abs. 1 Var. 3 dStGB Anders als im österreichischen und schweizerischen Strafgesetzbuch findet sich im deutschen Strafgesetzbuch am Ende des Kapitels „Straftaten im Amt“ mit § 357 dStGB eine Vorschrift, die eine Vorgesetztenverantwortlichkeit für Amtsträger vorsieht. § 357 dStGB hat folgenden Wortlaut: „1) Ein Vorgesetzter, welcher seine Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat im Amt verleitet oder zu verleiten unternimmt oder eine solche rechtswidrige Tat seiner Untergebenen geschehen lässt, hat die für diese rechtswidrige Tat angedrohte Strafe verwirkt. 2) Dieselbe Bestimmung findet auf einen Amtsträger Anwendung, welchem eine Aufsicht oder Kontrolle über die Dienstgeschäfte eines anderen Amtsträgers übertragen ist, sofern die von diesem letzteren Amtsträger begangene rechtswidrige Tat die zur Aufsicht oder Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft.“

§ 357 dStGB spielte bisher in der Praxis kaum eine Rolle.199 Einer vollständigen Streichung ist die Vorschrift bei der Strafrechtsreform 1974 entgangen, jedoch wollte man später überprüfen, ob die Vorschrift nicht doch entbehrlich sei.200 Im Zuge der Diskussion um die Umsetzung der Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in ein Völkerstrafgesetzbuch ist § 357 dStGB, 197

Vgl. Art. 302 ff. öStGB, Art. 312 ff. schweizStGB. So auch Art. 276 schweizStGB „Verleitung eines Dienstpflichtigen zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung, zur Dienstverweigerung oder zum Ausreissen“. Da die Variante des Unterlassens oder Geschehenlassen nicht wie in § 357 Abs. 1 3. Var. dStGB erfasst ist, wird Art. 276 schweizStGB im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter untersucht. 199 Das LG Frankfurt a. M. verurteilte allerdings kürzlich den stellvertretenden Polizeipräsidenten von Frankfurt, Wolfgang Daschner, wegen Verleitung eines Untergebenen zur Nötigung im Amt nach § 357 Abs. 1 dStGB, LG Frankfurt a. M., Urteil v. 20.12.2004, NJW 2005, 692. Das Verfahren wurde vor allem wegen der Frage der Zulässigkeit der Androhung von Schmerzen gegenüber einem Tatverdächtigen, mit dem Ziel, das Leben einer anderen Person zu retten, bzw. unter dem Stichwort Folter diskutiert. Für die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit gibt der Fall wenig her, weil es allein um eine positive Anordnung durch den Vorgesetzten Daschner an den ihm unterstellten Polizeibeamten ging, und nicht um ein Unterlassen. 200 BT-Drs. 7/550, S. 288. 198

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

der bisher eher den Charakter einer „Dunkelnorm“ hatte, nunmehr ins Rampenlicht gerückt. Der Gesetzgeber orientierte sich bei der Schaffung von § 4 VStGB an § 357 dStGB.201 Von besonderem Interesse für einen Vergleich mit Art. 28 b) IStGH-Statut ist die dritte Variante des § 357 dStGB „Geschehenlassen einer rechtswidrigen Tat eines Untergebenen“, die teilweise als „Kern“ der Vorschrift bezeichnet wird.202 a) Allgemeines In der Variante „Geschehenlassen einer rechtswidrigen Tat“ ähnelt § 357 dStGB der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Geschehenlassen (Konnivenz203) bedeutet ein Untätigbleiben des Vorgesetzten, in den Worten des Bundesgerichtshofs: „das willentliche Zulassen eines durch den Untergebenen begangenen Delikts“.204 Der Sache nach kann es sich häufig um eine Beihilfe durch Unterlassen handeln, was eine Förderung der Tat durch positives Tun allerdings nicht ausschließen soll.205 Selbst eine bloße „Beihilfehandlung“ wird aber nach § 357 dStGB als Täterschaft bestraft; § 357 dStGB hat dann nicht strafbegründende, sondern strafschärfende Funktion.206 Der Vorgesetzte unterliegt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn er rechtlich und tatsächlich in der Lage war, die Tat des Untergebenen zu verhindern.207 Die Tat des Untergebenen muss rechtswidrig, nicht aber schuldhaft begangen worden sein. Überwiegend wird vertreten, dass der Untergebene auch nicht vorsätzlich gehandelt haben muss.208

201

BT-Drs. 14/8524, S. 18, 36. Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 3. 203 Zur Erläuterung des Begriffs Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 91 f. 204 BGHSt 2, 169 (allerdings in Bezug auf alte Fassung des § 357 dStGB). 205 BGHSt 3, 349, 352; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 357 Rn. 8; Fischer, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 5; vgl. auch Kühl, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 3. 206 Insbesondere sind die Milderungsmöglichkeiten nach §§ 27, 30 dStGB ausgeschlossen; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 357 Entstehungsgeschichte. 207 BayObLGSt 1951, 174, 199 (Polizeipräs.); Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., Vor § 13 Rn. 93. 208 BGHSt 2, 169; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, § 357 Rn. 9; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 357 Rn. 5; Kühl, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 2; Fischer, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 2 (allerdings dann oft mittelbare Täterschaft); a. A. bspw. Otto, Die einzelnen Delikte, S. 543; Arzt/Weber, § 49 Rn. 106. 202

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

139

b) Objektive Haftungseinschränkungen: „wenn die Tat die zur Aufsicht und Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft“ – Straftat „im Amt“ § 357 Abs. 2 dStGB formuliert, ähnlich wie in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, dass die rechtswidrige Tat „die zur Aufsicht und Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft“. Die Haftung des Vorgesetzten reicht nur so weit, wie er zuständig und verantwortlich ist.209 Ein Dienstvorgesetzter bzw. (Amts-) Vorgesetzter ist nur für das Dienstverhältnis betreffende Angelegenheiten zuständig.210 Die Begriffe „Aufsicht“ und „Kontrolle“ beziehen sich im Rahmen von § 357 dStGB nicht auf die Untergebenen wie die „Führungsgewalt“ und „Kontrolle“ im Chapeau des Art. 28 IStGH-Statut, sondern auf die Dienstgeschäfte. Dies erklärt sich damit, dass im Bereich der öffentlichen Verwaltung der Umfang der Aufsicht und Kontrolle anders als im militärischen Bereich weniger personal als sachlich oder fachlich bestimmt ist. Dieser Gedanke könnte, wie erläutert, auch Art. 28 b) ii) IStGH-Statut zugrundeliegen. Die fachlichen, sachlichen, örtlichen oder zeitlichen Grenzen der Aufsicht und Kontrolle wirken sich haftungseinschränkend aus.211 Nach Vorschlag von Andrews soll unter einem „Beaufsichtigenden“ eine Person zu verstehen sein, die hinsichtlich bestimmter Dienstgeschäfte oder/ und auf bestimmte Zeit, Anweisungen erteilen darf. Unter einem „Kontrollierenden“ versteht er eine Person, die die Dienstgeschäfte eines anderen in irgendeiner Form (auch nachträglich) überprüfen darf.212 Rudolphi und Rogall schließen sich dieser Auffassung an, beziehen die Kontrolle insbesondere auf „den Fortgang oder das Ergebnis eines Dienstgeschäftes“.213 Danach ist „Kontrolle“ eine überprüfende, nachträgliche Tätigkeit, während „Aufsicht“ sich auf die Durchführung eines (laufenden) Dienstgeschäfts bezieht. Zuzustimmen ist Andrews, dass die Begriffe nicht in ihrem verwaltungsrechtlichen, sondern in einem untechnischen Sinne zu verstehen sind.214 Bei der Analyse des Art. 28 IStGH-Statut in dieser Arbeit wurde allerdings 209 Unentschieden in Bezug auf Geschehenlassen Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 38 mit Verweis auf Klee, JW 1934, 1359, der sich dafür ausspricht. 210 Vgl. bspw. § 3 Abs. 2 BBG, Battis, § 3 Rn. 4, 5. 211 Vgl. Ausführungen in Bezug auf deutsche Umsetzungsvorschriften unter B. I. 2., II. 2. 212 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 16. 213 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 8. 214 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 16.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

ein anderes Verständnis von „Kontrolle“ vorgeschlagen: Ein Vorgesetzter hat „Kontrolle“ i. S. v. Art. 28 IStGH-Statut, wenn Gewähr für die Befolgung seiner Anordnungen besteht.215 Die überprüfende Tätigkeit – die Andrews als „Kontrolle“ bezeichnet – würde hingegen im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut ebenso wie die Aufsicht hinsichtlich eines laufenden Geschäfts unter den Begriff der „Verantwortung“ fallen. Dieses etwas andere Verständnis des Begriffs der Kontrolle in § 357 dStGB erklärt sich auch damit, dass § 357 dStGB im Unterschied zu Art. 28 b) ii) IStGH-Statut („tatsächliche Verantwortung und Kontrolle“) nur entweder „Aufsicht“ oder „Kontrolle“ des Amtsträgers über die Dienstgeschäfte verlangt. Eine weitere objektive Haftungseinschränkung ist in § 357 dStGB zu erkennen: Die rechtswidrige Tat muss „im Amt“ begangen worden sein. Sie muss dabei kein Amtsdelikt sein.216 Theoretisch kommen auch völkerrechtliche Verbrechen in Betracht, soweit sie in usübung des Dienstes bzw. im Amt begangen wurden. „Im Amt“ bedeutet, dass der Untergebene eine Straftat „in Ausübung seines Amtes“ begeht.217. Es muss ein Zusammenhang zwischen der Straftat und den dienstlichen Aufgaben oder Verrichtungen bestehen.218 Diese Voraussetzung der Amtsbezogenheit bietet, wie die Organisationsbezogenheit bzw. die Voraussetzung eines militärischen Bezugs der Straftaten,219 für eine Auslegung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut („Straftaten Tätigkeiten betrafen“) interessante Ansatzpunkte. So könnte die Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter gerade dadurch im Vergleich zu militärischen Vorgesetzen erschwert sein, dass eine besondere Organisationsbezogenheit der Straftaten gefordert wird.220 c) Subjektive Voraussetzungen: Vorsatz In subjektiver Hinsicht setzt § 357 dStGB Vorsatz voraus,221 wobei dolus eventualis ausreichend ist.222 Der Vorgesetzte oder Aufsichts- oder Kon215

Vgl. 2. Teil B. I. 1. b). BGHSt 3, 349, 351; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder/Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 11; Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 40–41. 217 BGHSt 3, 349, 351; BGH NJW 1959, 589; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, § 357 Rn. 9; Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 11. 218 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 40–41. 219 Vgl. B. III. 2. (Schweizer Umsetzungsvorschriften) und C. I. 1. (§ 41 dWStG). 220 Dies wird am Ende der Arbeit bei der Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut näher untersucht, 4. Teil E. II. 2. 221 Vor der Änderung 1974 hieß es „wissentlich geschehen lässt“; doch wurde auch bei § 357 dStGB a. F. bereits dolus eventualis für ausreichend gehalten, RG HRR 37, 773; OHGSt 2, 37; BGHSt 3, 353; 34, 33, 36. 216

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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trollbeauftragte muss es folglich zumindest (ernsthaft) für möglich halten, dass Untergebene Straftaten begehen, wenn er nicht eingreift, und er muss sich damit abgefunden haben. Wie bereits bei der Untersuchung von § 4 VStGB erläutert, entspricht Art. 28 b) i) IStGH-Statut im deutschen Strafrecht dem dolus eventualis, so dass folglich auch § 357 dStGB keine strengeren subjektiven Voraussetzungen als Art. 28 b) IStGH-Statut normiert.223 d) Begriff des Vorgesetzten/Amtsträgers Täter des § 357 Abs. 1 dStGB ist ein „Vorgesetzter“. Wer „Vorgesetzter“ ist, richtet sich nach dem öffentlichen Dienst- bzw. Beamtenrecht,224 das zwischen „Dienstvorgesetzten“ und „(Amts-)Vorgesetzten“ unterscheidet. „Dienstvorgesetzter“ ist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (im Folgenden: BBG), wer für beamtenrechtliche Entscheidungen über die persönlichen Anlegenheiten der ihm nachgeordneten Beamten zuständig ist. Der Begriff des „(Amts-)Vorgesetzten“ i. S. v. § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG ist weiter, weil ein Vorgesetzter nicht nur in Einzelfällen, sondern allgemein für die dienstliche Tätigkeit Anordnungen erteilen kann.225 Obwohl die Kommentarliteratur zu § 357 dStGB teilweise davon ausgeht, dass § 357 dStGB den „Dienstvorgesetzten“ meint,226 besteht für diese Einengung kein Grund. § 357 dStGB will alle Amtsträger erfassen, die Anordnungs- oder Weisungsbefugnis gegenüber Untergebenen haben und umfasst daher nach zutreffender herrschender Auffassung alle Vorgesetzten des Beamtenrechts.227 Die Vorgesetzteneigenschaft muss dabei rechtlich begründet sein. Eine angemaßte oder nur faktisch bestehende Vorgesetztenstellung soll nicht ausreichend sein.228 Damit fallen folglich de facto Vorgesetzte aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift heraus. 222 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 18; Fischer, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 6. 223 Vgl. ausführlich unter B. I. 3. 224 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 10 ff.; Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 7. 225 Vgl. Battis, § 3 Rn. 5. 226 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, § 357 Rn. 2; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 357 Rn. 4; Fischer, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 3 (§ 357 Abs. 1). 227 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 12 f.; Jerouschek, GA 1999, 433 (zur Anwendbarkeit auf Leiter von Forschungseinrichtungen bei Wissenschaftsbetrug); Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 7; Schmitz, in: Münchener Kommentar, Bd. 4, § 357 Rn. 25. 228 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 9 mit Verweis auf BayOblGSt 1, 174, 200 (Polizeipräsident haftet nicht nach § 357 dStGB für Judenevakuierungen

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Es entspricht der herrschenden Meinung, dass der Vorgesetzte wie in § 357 Abs. 2 dStGB Amtsträger sein muss.229 Amtsträger sind nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 dStGB Beamte, Richter oder in einem sonstigen öffentlichrechtlichen Amtsverhältnis stehende oder auf sonstige Weise bestellte Personen, die bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrnehmen. § 357 Abs. 2 dStGB bezieht sich auf die mit der Beaufsichtigung und Kontrolle von Dienstgeschäften beauftragten „Amtsträger“, auch wenn sie trotz ihrer Amtsträgereigenschaft keine Vorgesetzten im beamtenrechtlichen Sinne sind.230 Eine nur faktisch mit der Beaufsichtigung und Kontrolle beauftragte Person haftet allerdings nicht; auch hier kommt es auf eine besondere dienstliche Anordnung,231 also eine rechtlich begründete Position an. Soldaten sind keine Amtsträger.232 Sie kommen daher als Täter des § 357 dStGB nicht in Betracht und unterliegen allein den Vorschriften des Wehrstrafgesetzes, das keine § 357 3. Var. dStGB entsprechende Vorschrift enthält. Sie haften daher allein nach § 41 dWStG. Insbesondere erklärt auch § 48 dWStG die Vorschrift des § 357 dStGB nicht für anwendbar.233 Auch ein de facto militärischer Vorgesetzter234 ist nicht nach § 357 Abs. 1 dStGB strafbar. Zu beachten ist, dass de facto (faktische) Soldaten und de facto militärische Vorgesetzte auch nicht dem § 41 dWStGB unterfallen, so dass sich Strafbarkeitslücken ergeben.235

nach Widerruf der (von Himmler erteilten) Ermächtigung, sich in Stapoangelegenheiten einzuschalten, auch wenn er sich Rechte als Vorgesetzter der Stapobeamten weiterhin teilweise anmaßt) und OGH BZ 2, 23, 26 ff. (Landgerichtspräsident haftet nach § 357 dStGB für Verleitung zur Rechtsbeugung, da er trotz Unabhängigkeit der Richter die Dienstaufsicht hat). 229 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 3 f.; Schmitz, in: Münchener Kommentar, Bd. 4, § 357 Rn. 23. 230 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 8; vgl. ausführlich Andrews, Verleitung und Geschehenlassen i. S. d. § 357 StGB, 1996, S. 5 ff. 231 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 13; Jerouschek, GA 1999, 434. 232 Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, § 33 WStG Rn. 2. 233 §§ 33, 34 dWStG erfassen überdies gerade das „Geschehenlassen“ nicht, bleiben also hinter § 357 dStGB zurück; für Aufnahme von § 357 dStGB in Katalog des § 48 dWStG wegen Strafbarkeitslücken Andrews, NZWehrR 1996, 201 ff., 206; kritisch auch Sangenstedt, S. 481–485. 234 Vgl. B. II. 4. zum Begriff des Vorgesetzten im deutschen Militärrecht. 235 Vgl. oben 1.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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3. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern In Deutschland liegt mit § 357 dStGB eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern vor, die keine Entsprechung in Österreich oder der Schweiz hat. Rechtsgut des § 357 dStGB ist das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Staatsapparates und die Ordnungsmäßigkeit der Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte und Aufsichtspflichtige. § 357 dStGB soll auch diejenigen Rechtsgüter „akzessorisch“ schützen, die durch Untergebene verletzt werden.236 § 357 dStGB soll auf dem Gedanken beruhen, dass Amtsträger die Verantwortung dafür tragen, dass in ihrem Dienstbereich keine rechtswidrigen Taten durch ihnen unterstellte Personen begangen werden.237 Haftungseinschränkend setzt § 357 dStGB einerseits voraus, dass die rechtswidrige Tat „im Amt“ begangen wurden, d.h. amtsbezogen ist, andererseits dass die rechtswidrige Tat „die zur Aufsicht und Kontrolle gehörenden Geschäfte“ betrifft. Was die subjektiven Voraussetzungen betrifft, so muss, wie bei § 4 VStGB, der Amtsträger auch im Rahmen von § 357 dStGB mindestens mit dolus eventualis gehandelt haben. § 357 dStGB erfasst nicht-militärische Vorgesetzte, genauer gesagt, die Gruppe der (de jure) Amtsträger, worunter Beamte, Richter, oder andere Personen in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehende Personen fallen.238 Militärische Vorgesetzte unterfallen jedenfalls nicht der Haftung nach § 357 dStGB, weil sie keine Amtsträger sind. Im deutschen Strafrecht wird somit über die förmliche Zugehörigkeit zu den Streitkräften eine klare Trennlinie zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten gezogen. De facto militärische Vorgesetzte fallen dabei allerdings durchs Raster. Sie unterliegen weder § 41 dWStG noch § 357 dStGB.

236

Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 3; vgl. auch Schmitz, in: Münchner Kommentar, Bd. 4, § 357 Rn. 2: „auch als besondere Form der Teilnahme an einer (fremden) Straftat“. 237 Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 357 Rn. 1; Otto, Die einzelnen Delike, S. 543. 238 Schmitz will wegen des Rechtsguts des Vertrauens in die Rechtsmäßigkeit der Verwaltung die Vorschrift dennoch auf Amtsträger beschränken; vgl. Schmitz, in: Münchener Kommentar, Bd. 4, § 357 Rn. 23.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

III. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen Während in den vorangegangenen Abschnitten untersucht wurde, ob es Sondervorschriften gibt, nach denen Befehlshaber und Amtsträger einer Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliegen, stehen im folgenden Abschnitt die Unternehmensleiter, Betriebsinhaber bzw. Geschäftsherrn im Vordergrund. Damit wird das Augenmerk auf eine Gruppe von Führungspersonen gelenkt, die weder im militärischen noch im öffentlich-staatlichen, sondern im privatwirtschaftlichen Bereich tätig ist. Ansatzpunkte für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern bietet in Deutschland vor allem § 130 OWiG, der auch Pate für die Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuchs gestanden hat,239 allerdings eine bloße Ordnungswidrigkeit enthält.240 Ein ähnliche Zielrichtung wie § 130 OWiG haben Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStR und teilweise § 9 öVerwStR, die zum sogenannten „Verwaltungsstrafrecht“241 gehören. Neben dem besonderen Fall der Kapitänsverantwortlichkeit,242 der in dieser Arbeit nicht untersucht wird, findet sich eine strafrechtliche Haftung von Unternehmensleitern noch teilweise im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Überbleibsel einer spezialgesetzlichen strafrechtlichen Haftung im Unternehmen werden daher zunächst knapp dargestellt. 1. Spezialgesetzliche strafrechtliche Haftung des Betriebsinhabers, insbesondere im Recht des unlauteren Wettbewerbs a) Strafrechtliche Haftung des Betriebsinhabers nach §§ 4 Abs. 2, 15 Abs. 2 dUWG a. F. und Art. 14 schweizUWG a. F. Im deutschen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb war bis zu dessen Neufassung im Juli 2004243 eine strafrechtliche Haftung des Betriebsinha239

Für § 13 VStGB, Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/8524, S. 36; II. 1.2. Nur im weiten Sinne gehört das Ordnungswidrigkeitenrecht zum Strafrecht, Jescheck/Weigend, S. 58; Mitsch, S. 4. 241 Vgl. allgemein für Schweiz, Pfund, S. 117 ff. 242 Im Zusammenhang mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit wird überdies zum Teil auf § 108 Abs. 1 Satz 1 SeemannsG verwiesen, der folgenden Wortlaut hat: „Der Kapitän und die anderen Vorgesetzten haben die ihnen unterstellten Personen gerecht und verständnisvoll zu behandeln und Verstößen gegen die Gesetze und die guten Sitten entgegenzutreten.“ Nach § 106 SeemannsG ist der Kapitän der Vorgesetzte aller Besatzungsmitglieder und der sonstigen an Bord tätigen Personen. Ihm steht die oberste Anordnungsbefugnis zu. 243 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7.6.1909, RGBl. S. 499, Neufassung als UWG 2004 am 3.7.2004, BGBl. I, S. 1414 ff. 240

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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bers oder Betriebsleiters in Bezug auf zwei Straftatbestände normiert: die strafbare irreführende Werbung nach § 4 dUWG a. F. und die geschäftliche Verleumdung nach § 15 dUWG a. F. § 4 Abs. 2 dUWG a. F. lautete: „Werden die in Absatz 1 bezeichneten unrichtigen Angaben in einem geschäftlichen Betriebe von einem Angestellten oder Beauftragten gemacht, so ist der Inhaber oder Leiter des Betriebs neben dem Angestellten oder Beauftragten strafbar, wenn die Handlung mit seinem Wissen geschah.“

§ 15 Abs. 2 dUWG a. F. hatte einen fast gleichlautenden Wortlaut in Bezug auf die Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen, die eine geschäftliche Verleumdung darstellen.244 Diese beiden Vorschriften wurden mit der Neufassung des dUWG ersatzlos gestrichen. Begründet wurde dies damit, dass die geschäftliche Verleumdung nach § 15 dUWG a. F. neben dem allgemeinen Verleumdungstatbestand § 187 dStGB keine eigenständige Bedeutung habe.245 Der Tatbestand der strafbaren irreführenden Werbung wurde in § 16 dUWG 2004 zwar beibehalten, § 4 Abs. 2 dUWG a. F. ist aber begründungslos gestrichen worden.246 Der Streichung war § 4 Abs. 2 dUWG a. F. schon einmal in den 1970er Jahren nur knapp entgangen.247 Der Vorschlag zur Streichung war mit einem Verstoß gegen den Schuldgrundsatz begründet worden, weil § 4 Abs. 2 dUGW a. F. eine Tatbeteiligung des Betriebsinhabers bzw. Betriebsleiters nur fingiere, indem diese allein aus seiner Stellung im Betrieb abgeleitet würde. Dies sei eine unzulässige Schuldvermutung. Zudem sei § 4 Abs. 2 dUWG a. F. überflüssig, weil der Betriebsinhaber nach § 130 OWiG und nach allgemeinen Vorschriften hafte.248 Die Fürsprecher einer Beibehaltung des § 4 Abs. 2 dUWG a. F., die in der Vorschrift angesichts der wenig geklärten allgemeinen Unterlassenshaftung über § 13 dStGB vor allem klarstellende Funktion sahen,249 setzten sich aber damals noch durch.250 Die 244

§ 15 Abs. 2 dUWG a. F.: „Werden die in Absatz 1 bezeichneten Tatsachen in einem geschäftlichen Betriebe von einem Angestellten oder Beauftragten behauptet oder verbreitet, so ist der Inhaber des Betriebs neben dem Angestellten oder Beauftragten strafbar, wenn die Handlung mit seinem Wissen geschah.“ Die Nichterwähnung des Betriebsleiters wurde allgemein als Redaktionsversehen gesehen; vgl. Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 4, U 43 § 15 UWG Rn. 19. 245 Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/1487, S. 15. 246 Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/1487, S. 13 und S. 26. 247 Das Bundesjustizministerium hatte die Streichung gefordert. Vgl. BR-Drs. 11/73, S. 390. 248 Göhler, in: Festschrift für Dreher, S. 613 ff., 617, vgl. zur damaligen Debatte Stein, S. 25 f. 249 Vgl. bei Göhler, in: Festschrift für Dreher, S. 616. 250 Bis vor kurzer Zeit gab es auch noch Fürsprecher in der Literatur; Hsü, S. 70 ff.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Lehre machte sich dafür stark, in die beiden Tatbestände hineinzulesen, dass der Inhaber auch tatsächlich eine Möglichkeit zum Eingreifen hatte und diese Möglichkeit bewusst nicht ergriff. Nur so sei der Schuldgrundsatz gewahrt.251 Insgesamt verstand man die Sonderregelungen als Normierung einer „Nebentäterschaft“.252 Mit der nunmehr erfolgten Streichung sind folglich zwei Sonderregelungen weggefallen, die eine Haftung von Betriebsleitern und -inhabern für das strafbare Verhalten ihrer Angestellten vorsahen. Aus der Streichung kann aber nicht abgeleitet werden, dass Betriebsleiter und -inhaber in Zukunft nicht mehr haften sollen. Vielmehr wird man die Streichung der isoliert gebliebenen Sonderregelungen so zu verstehen haben, dass sich die Haftung einheitlich nach allgemeinen Regeln bzw. nach § 130 OWiG richten soll. Die Haftung wird mit § 130 OWiG einerseits erleichtert, andererseits bleibt es im Hinblick auf die strafrechtliche Haftung bei den strengeren Voraussetzungen der allgemeinen Unterlassenshaftung.253 Erwähnenswert ist im Hinblick auf die zur Zeit des Inkrafttretens des Römischen Statuts und des Völkerstrafgesetzbuchs noch geltenden Vorschriften §§ 4 Abs. 2, 15 Abs. 2 dUWG a. F., dass sie eine Haftung des Betriebsleiters und -inhabers nur bei dessen „Wissen“ um die Handlungen ihrer Angestellten oder Beauftragten vorsahen. Ein „Wissenmüssen“ genügte nicht, eine Fahrlässigkeitshaftung war somit ausgeschlossen.254 § 130 OWiG sieht dagegen auch eine Haftung bei Fahrlässigkeit vor. Andererseits ist die Haftung nach § 130 OWiG auch nur eine ordnungwidrigkeitsrechtliche und keine strafrechtliche. Auch in der Schweiz gab es im Gesetz über den unlauteren Wettbewerb in der Fassung von 1943 einen den deutschen Vorschriften ähnlichen, wenn auch praktisch unbedeutenden255 Art. 14 „Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn und des Auftraggebers“:256 „Wird strafbarer Wettbewerb von Angestellten, Arbeitern oder Beauftragten in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen begangen, so sind die Strafbestimmungen auch auf den Geschäftsherrn anwendbar, wenn er von der 251 Otto, in: Großkommentar UWG, § 4 Rn. 123; Göhler, in: Festschrift für Dreher, S. 614 f.; Messer, in: Großkommentar zum UWG, 1992, § 15 Rn. 35. 252 Otto, in: Großkommentar UWG, § 4 Rn. 125; Messer, in: Großkommentar UWG, 1992, § 15 Rn. 33. 253 Vgl. insbesondere Untersuchung von § 130 OWiG unter c). 254 Piper, in: Köhler; Piper, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, § 4 Rn. 13. 255 Keine Verurteilung wegen Art. 14 schweizVerwStG, vgl. Schubarth, ZStrR 1976, 393. 256 Art. 14 schweizUWG a. F. ging selbst auf Art. 17 des waadtländischen Polizeigesetzes von 1920 zurück, vgl. Böckli, ZStrR 1980, 82: „direkter Ahnvater“.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Handlung Kenntnis hatte und es unterliess, sie zu verhindern oder ihre Wirkungen aufzuheben.“

Im neuen Gesetz über den unlauteren Wettbewerb von 1986257 ist ein entsprechender Artikel nicht mehr enthalten. Art. 26 schweizUWG verweist aber auf die Haftung nach dem Verwaltungsstrafgesetz (zu Art. 6 sogleich).258 b) Haftung des Betriebsinhabers nach § 19 öUWG In Österreich findet sich noch eine Vorschrift zur strafrechtlichen Haftung des Unternehmensinhabers im Gesetz über den unlauteren Wettbewerb.259 Nach § 19 Abs. 1 öUWG treffen den Inhaber eines Unternehmens bestimmte im Gesetz festgelegte Strafen auch dann,260 „wenn er vorsätzlich die im Betrieb des Unternehmens von einer anderen Person begangenen Handlungen nicht gehindert hat.“

Nach § 19 öUWG macht sich der Unternehmensinhaber strafbar, wenn er bestimmte Straftaten wie beispielsweise die irreführende Werbung (§ 4 öUWG) oder Bestechung (§ 10 öUWG) nicht verhindert hat. Dabei müssen die Unternehmensmitarbeiter die erwähnten Straftaten nicht selbst schuldhaft begangen haben; es muss lediglich eine vorsätzliche und rechtswidrige Handlung vorliegen.261 Bei den erwähnten Tatbeständen handelt es sich al257

Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, SR 24. Art. 11 schweizUWG verweist auf die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Klage gegen den Geschäftsherrn, wenn „der unlautere Wettbewerb von Arbeitnehmern oder anderen Hilfspersonen bei dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen begangen“ worden ist. Eine entsprechende Vorschrift enthält auch das deutsche UWG 2004, § 8 Abs. 2 dUWG 2004 (bzw. § 13 Abs. 4 dUWG a. F.). 259 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, öBGBl. 1984/448. Vgl. auch Vorschrift zum Förderungs-mißbrauch § 153 b öStGB, Höpfel, in: The Implementation of the Corpus Juris, Bd. 2, S. 27–29. § 153 b öStGB stellt aber keine Vorgesetztenverantwortlichkeit dar. 260 § 19 öUWG lautet vollständig: „(1) Die Strafen, die auf die in den §§ 4, 10 Abs. 1, 11 Abs. 2, 12 mit Strafe bedrohten Handlungen gesetzt sind, treffen den Inhaber eines Unternehmens auch dann, wenn er vorsätzlich die im Betrieb seines Unternehmens von einer anderen Person begangene Handlung nicht gehindert hat. (2) Ist der Inhaber des Unternehmens eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, ein Verein oder ein anderes, nicht zu den physischen Personen gehöriges Rechtssubjekt, so ist Abs. 1 auf die Organe des Unternehmens anzuwenden, die sich einer solchen Unterlassung schuldig gemacht haben. (3) Die im Abs. 1 bezeichneten Strafbestimmungen sind auf Bedienstete nicht anzuwenden, die die Handlung im Auftrag ihres Dienstgebers vorgenommen haben, sofern ihnen wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht zugemutet werden konnte, die Vornahme dieser Handlung abzulehnen.“ 258

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

lerdings anders als bei der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit um mit sehr geringen Strafdrohungen bewehrte Tatbestände. Der Unternehmensinhaber macht sich nur strafbar, wenn er die Handlungen vorsätzlich nicht gehindert hat und Vorsatz im Hinblick auf alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden strafbedrohten Handlung hatte.262 Fahrlässigkeit ist nicht ausreichend. Die Straftatbestände, auf die § 19 öUWG Bezug nimmt, setzen ebenfalls ausnahmslos Vorsatz voraus. Erwähnenswert ist schließlich, dass nach § 19 öUWG der Unternehmensinhaber nicht „wie ein Täter“ haftet, sondern dass ihn nur dieselben Strafen wie die Täter treffen. § 19 öUWG ist keine tragende Norm im österreichischen Wirtschaftsstrafrecht, was sich bereits daran zeigt, dass § 19 öUWG teilweise gar nicht kommentiert wird.263 Insgesamt dürfte daher wie in Deutschland und der Schweiz gelten, dass sich die strafrechtliche Haftung des Unternehmensinhabers im Wesentlichen nach allgemeinen Grundsätzen der Unterlassenshaftung im Strafrecht richtet.264 c) Fragmentarisch kodifizierte Geschäftsherrenhaftung in der Schweiz Im schweizerischen Recht gibt es eine Reihe von Vorschriften, die nach dem Bührle Urteil des schweizerischen Bundesstrafgerichts von 1970 geschaffen wurden, das die sogenannte „Geschäftsherrenhaftung“ begründete.265 Sehr fragmentarisch hat der schweizerische Gesetzgeber in einigen Gesetzen die Geschäftsherrenhaftung zu positivieren versucht. Dies betraf zunächst das Kriegsmaterialgesetz, da es im Fall Bührle um verbotene Kriegsmateriallieferungen ging (Art. 19 Abs. 2 KMG), aber auch das Gesetz zum Schutz der Gewässer (Art. 42 Abs. 2 GSchG266) oder das Straßenverkehrsgesetz (Art. 100 Abs. 2 SVG267). Auch Art. 179sexies Abs. 2 261

Stein, S. 250. Leukauf/Steininger, Strafrechtliche Nebengesetze, UWG § 19 Anm. A, S. 947. 263 Wiltschek, S. 976, weist bspw. kein einziges Urteil zu § 19 öUWG aus. Dagegen wird § 18 öUWG, der wie § 8 Abs. 2 dUWG 2004 und Art. 11 schweizUWG die Inanspruchnahme auf Unterlassung und Schadensersatz regelt, ausführlich kommentiert; Koppensteiner, S. 761 verweist für § 19 öUWG teilweise auf diese Kommentierungen. Dies betrifft allerdings nur die Begriffe „Unternehmensinhaber“ bzw. „andere Person“. 264 Eine § 130 OWiG entsprechende Norm kennt das österreichische Verwaltungsstrafrecht nicht; zu der Reichweite von § 9 öVerwStG unter 3.2. 265 BGE 96 IV, 155. Dazu näher unter D. II. 3. a). 266 Zu dieser Vorschrift Vest, ZStrR 1988, 307 f. 267 Art. 100 Abs. 2 SVG lautet: „Der Arbeitgeber oder Vorgesetzte, der eine nach diesem Gesetz strafbare Handlung des Motorfahrzeugführers veranlasst oder nicht 262

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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schweizStGB (Inverkehrbringen und Anpreisen von Abhörgeräten268), wird zu diesen Vorschriften gezählt.269 Eine auf einen besonderen Fall zugeschnittene Vorschrift zur strafrechtlichen Haftung des Geschäftsherrn findet sich zudem in Art. 326bis schweizStGB. Danach machen sich der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder der Vertretene strafbar, wenn sie gegen Widerhandlungen gegen die Bestimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen nicht einschreiten, obwohl sie Kenntnis davon hatten oder nachträglich erhalten haben.270 Diese Vorschrift wird zwar als Vorschrift der Geschäftsherrenhaftung diskutiert,271 spielt ersichtlich aber keine tragende Rolle im Strafrecht.272 Schließlich wurde mit Art. 6 Abs. 2 eine allgemeine Vorschrift im Verwaltungsstrafgesetz geschaffen. Mittlerweile geht der schweizerische Gesetzgeber mehr und mehr dazu über, auf Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG zu verweisen. Entsprechende Verweise gibt es nun auch im Kriegsmaterialgesetz und im Gesetz zum Schutz der Gewässer,273 so dass sich diese Arbeit auf die Untersuchung von Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG beschränkt.

nach seinen Möglichkeiten verhindert hat, untersteht der gleichen Strafandrohung wie der Führer.“ 268 Art. 179sexies Abs. 2 schweizStGB lautet: „Handelt der Täter im Interesse eines Dritten, so untersteht der Dritte, der die Widerhandlung kannte und sie nicht nach seinen Möglichkeiten verhindert hat, derselben Strafandrohung wie der Täter.“ 269 Weitere Nachweise bei Amstutz/Reinert, in: Basler Kommentar, Art. 326bis Rn. 3. 270 Art. 326bis Abs. 2 schweizStGB lautet: „Der Geschäftsherr oder Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der von der Widerhandlung Kenntnis hat oder nachträglich Kenntnis erhält und, obgleich es ihm möglich wäre, es unterlässt, sie abzuwenden oder ihre Wirkungen aufzuheben, untersteht der gleichen Strafandrohung wie der Täter.“ Es geht um Widerhandlungen nach Art. 325bis schweizStGB: „Wer den Mieter unter Androhung von Nachteilen, insbesondere der späteren Kündigung des Mietverhältnisses, davon abzuhalten versucht, Mietzinse oder sonstige Forderungen des Vermieters anzufechten, wer dem Mieter kündigt, weil dieser die ihm nach dem Obligationenrecht zustehenden Rechte wahrnimmt oder wahrnehmen will, wer Mietzinse oder sonstige Forderungen nach einem gescheiterten Einigungsversuch in unzulässiger Weise durchsetzt oder durchzusetzen versucht, wird auf Antrag des Mieters mit Haft oder mit Busse bestraft.“ 271 Amstutz/Reinert, in: Basler Kommentar, Art. 326bis Rn. 17–19. 272 Nicht kommentiert beispielsweise in Donatsch, StGB, 2004, nach Amstutz/ Reinert, in: Basler Kommentar, Art. 325bis I. sind seit 1990 nur vier Urteile zu Art. 325bis StGB ergangen. 273 Art. 73 Gewässerschutzgesetz, SR 814.20, Art. 37 Kriegsmaterialgesetz, SR 514.51.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

2. Ordnungswidrigkeiten- bzw. verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung des Betriebs-/Unternehmensinhabers a) Haftung des Betriebs-/Unternehmensinhabers nach § 130 OWiG § 130 Abs. 1 OWiG lautet: „Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen.“

aa) Allgemeines § 130 OWiG begründet eine bußgeldrechtliche Haftung des Inhabers eines Betriebes oder Unternehmens. Der Inhaber haftet, wenn er die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Pflichten zu verhindern. § 130 OWiG will der Begehung von bußgeld- und strafbewehrten Zuwiderhandlungen im Betrieb entgegenwirken, die nicht durch den Inhaber selbst begangen werden, sondern durch für ihn tätige Personen. Der Inhaber hat nach § 130 OWiG eine Aufsichtspflicht, dass diese für ihn tätigen Personen die zahlreichen Pflichten, die an ihn als Arbeitgeber, Hersteller, Betreiber usw. gerichtet sind, einhalten.274 Die Aufsichtsmaßnahmen müssen faktisch und rechtlich möglich, geeignet, erforderlich und zumutbar sein.275 Die Formulierung der Tathandlung ähnelt Art. 28 b) iii) IStGH-Statut. Unter Zuwiderhandlung ist eine mit Geldbuße oder Strafe bedrohte Verletzung bestimmter Pflichten zu verstehen, wobei der Zuwiderhandelnde nicht selbst Täter sein muss, sondern es ausreicht, dass der „äußere Geschehensablauf“ rechtswidrig verwirklicht wird.276 Auch die Feststellung eines konkreten Täters der Zuwiderhandlung soll entbehrlich sein.277 Die „Zuwiderhandlung“ kann auch eine Straftat sein.278 274

König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 2, 3. Hermanns/Kleier, S. 68 ff.; Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130 Rn. 36, 42 ff. 276 Többens, NStZ 1999, 5. 277 König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 20. 278 Bohnert, § 130 Rn. 1. 275

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Zwischen der Aufsichtspflichtverletzung und der Zuwiderhandlung muss im Rahmen von § 130 OWiG ein kausaler Zusammenhang bestehen. Es ist aber ausreichend, wenn die Zuwiderhandlung bei gehöriger Aufsicht „wesentlich erschwert“ worden wäre. Damit ist die Haftung nach § 130 OWiG im Vergleich zu beispielsweise § 13 VStGB erleichert, weil bei § 130 OWiG eine wesentlich Gefahr- oder Risikoerhöhung ausreicht.279 Umstritten ist, ob § 130 OWiG auf Zuwiderhandlungen beschränkt ist, die Sonderdelikte darstellen. In diesem Fall bestünde ein wesentlicher Unterschied zu § 13 VStGB oder auch Art. 28 IStGH-Statut, wonach die Untergebenen völkerrechtliche Verbrechen begehen, die grundsätzlich von jedermann begangen werden können und nicht eine besondere Tätereigenschaft voraussetzen. Die Frage hängt von der Auslegung des Merkmals „die den Inhaber als solchen treffen“ ab. Eine Gruppe vertritt die Auffassung, dass nur Sonderdelikte in den Anwendungsbereich von § 130 OWiG fallen, weil es um Pflichten geht, die den Inhaber „als solchen“ treffen (Lehre vom Sonderdelikt). Soweit es um Jedermann-Delikte gehe, sei eine Vorschrift wie § 130 OWiG entbehrlich, weil dieser seinen Rechtsgrund ja in der Delegierung von besonderen Inhaberpflichten auf andere Personen habe.280 Der Inhaber oder Aufsichtspflichtige könne nicht dafür einstehen, dass Mitarbeiter sich insgesamt nicht strafbar machen und keine Ordnungswidrigkeiten begehen.281 Die wohl herrschende Meinung will ebensowenig den Inhaber für jeglichen straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verstoß seine Mitarbeiter haften lassen, hält es aber für möglich, eine Haftung über das Kriterium der „Betriebsbezogenheit“ sinnvoll einzuschränken (Lehre von der betriebsbezogenen Straftat). Es soll auf einen engen Zusammenhang mit der Betriebsführung ankommen. Dieser könne aber auch bei Allgemeindelikten wie Tötungs- und Körperverletzungstatbeständen gegeben sein, beispielsweise bei Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten in Bezug auf das Betriebsgelände.282 Bohnert will aber „private Delikte“ aussondern, auch wenn sie bei Gelegenheit einer betriebsbezogenen Handlung begangen wurden.283 Nach der herrschenden Meinung ist § 130 OWiG folglich nicht grundsätzlich auf Sonderdelikte beschränkt. 279 Der Gesetzgeber hat somit die Risikoerhöhungslehre (vgl. Roxin, Strafrecht. AT, Bd. 1, § 11 Rn. 78 ff.) aufgegriffen; so König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 22. 280 Hermanns/Kleier, S. 76 ff.; Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130 Rn. 87 ff.; Rogall, ZStW 1985, 604 ff. 281 Hermanns/Kleier, S. 77 ff. 282 König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 18 (mit Verweis auf §§ 222, 229, 266 dStGB); Többens, NStZ 1999, 5.

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bb) Objektive Haftungseinschränkung: „die den Inhaber betreffen“ Der oben skizzierte Meinungsstreit um die Art der Zuwiderhandlungen spielt auch bei der Frage eine Rolle, inwieweit es haftungseinschränkende Merkmale gibt. Einigkeit besteht darin, dass nicht jede Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Mitarbeiters die Haftung des Inhabers auslöst. Vielmehr ist ein Zusammenhang zwischen den Rechtsverletzungen der Mitarbeiter und dem Pflichtenkreis bzw. Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsinhabers im Rahmen von § 130 OWiG konstitutiv, der möglicherweise auch in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut zum Ausdruck kommen soll. Die dargestellten Ansichten unterscheiden sich allein in der angenommenen Reichweite dieses Pflichtenkreises, wobei die Lehre vom Sonderdelikt den Pflichtenkreis am engsten halten möchte. Die Lehre von der betriebsbezogenen Straftat verwendet zur Einschränkung des Pflichtenkreises des Inhabers das Kriterium der Betriebsbezogenheit. Es soll auf den sachlichen Zusammenhang zwischen Pflichtenverstoß und Betriebsführung ankommen. So soll auch beispielsweise der Ort der Zuwiderhandlung ohne Bedeutung sein, also der Inhaber auch für Zuwiderhandlungen außerhalb des Betriebes haftbar gemacht werden können, sofern diese einen betrieblichen Bezug haben.284 Die Voraussetzung einer Betriebsbezogenheit bzw. allgemeiner eine Organisationsbezogenheit spielt, wie erwähnt, ebenfalls in § 357 dStGB eine Rolle. cc) Subjektive Voraussetzungen: Vorsatz oder Fahrlässigkeit Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG kann vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden (§ 10 OWiG). Vorsatz und Fahrlässigkeit des Inhabers müssen sich auf die Unterlassung der erforderlichen Aufsicht beziehen.285 Dem Inhaber muss hingegen im Hinblick auf die konkrete Zuwiderhandlung weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit nachgewiesen werden, weil es sich insoweit um eine objektive Bedingung der Ahndung handelt.286 Hierin besteht ein wichtiger und entscheidender Unterschied zu Art. 28 283 Bohnert, § 130 Rn. 31. Kennzeichnend für die Privatheit sei, dass es durch eine Aufsichtsmaßnahme nicht hätte verhindert oder erschwert werden können. 284 König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 19; Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130 Rn. 95. 285 Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130 Rn. 17, 103 meint, dass § 130 OWiG voraussetzt, dass der Täter die Gefahr einer betriebstypischen Zuwiderhandlung, wenn auch nicht die Gefahr der konkreten später begangenen Zuwiderhandung, erkannt hat oder hätte erkennen können. 286 BGH NJW 1984, 2372; BGH wistra 2003, 465; König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 17.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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IStGH-Statut287 (und auch zu § 13 VStGB), die ja gerade im Bezug auf die Begehung von Straftaten durch Untergebene subjektive Voraussetzungen normieren. dd) Begriff des Betriebs- bzw. Unternehmensinhabers Nach § 130 Abs. 1 OWiG haftet der „Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens“. Das Verständnis von „Betrieb“ und „Unternehmen“ ist sehr weit, wobei es allerdings keine feststehenden Definitionen gibt. Betriebe und Unternehmen sind nach Bohnert „Organisationen von Personen- und Sachmitteln, die unabhängig von ihrem Gegenstand, nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern und auf eine gewisse Dauer hin angelegt sind.“288 Ein Betrieb setzt keinen wirtschaftlichen Zweck voraus, so dass sowohl gewerbliche oder landwirtschaftliche Betriebe als auch Apotheken, Krankenhäuser usw. unter den Begriff „Betrieb“ fallen können.289 Im Gegensatz zum Betrieb verfolgt ein „Unternehmen“ einen wirtschaftlichen Zweck. Insgesamt sollen lediglich private Haushalte oder Gemeinschaften aus § 130 OWiG herausfallen, auch wenn sie Arbeitnehmer beschäftigen. Öffentliche Unternehmen sind wiederum nach § 130 Abs. 3 OWiG erfasst.290 Es haftet der „Inhaber“291 des Betriebs oder Unternehmens. Soweit es sich um eine juristische Person handelt, erstreckt § 9 OWiG die Haftung auch auf Vertreter, Betriebsleiter oder sonstige Beauftragte.292 Die Zuwider287

Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 668 f. Bohnert, § 130 Rn. 4; vgl. auch Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 14 Rn. 28/29. 289 Hermanns/Kleier, S. 23. 290 König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 5; Thiemann, S. 141 f. 291 Der Begriff „Inhaber“ ist nicht definiert, sondern in § 130 OWiG vorausgesetzt. Mit „Inhaber“ soll jedenfalls nicht der Eigentümer, Aktionär oder Teilhaber, sondern diejenige Person gemeint sein, der die Erfüllung der betrieblichen und unternehmerischen Pflichten obliegt; Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130 Rn. 23. 292 § 9 OWiG lautet: „Handelt jemand 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, 2. als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft oder 3. als gesetzlicher Vertreter eines anderen, so ist ein Gesetz, nach dem persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebes oder einem sonst dazu Befugten 1. beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder 2. ausdrücklich be288

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handelnden (teilweise wird von den „Vortätern“ gesprochen293) müssen nicht Betriebsangehörige oder -angestellte sein.294 Es können auch Leiharbeiter oder Personen sein, die im Auftrag des Unternehmers dessen Pflichten erfüllen.295 Schließlich werden überwiegend auch Personen einbezogen, die ohne ein Auftragsverhältnis für den Inhaber in dessen betrieblicher Verantwortungssphäre tätig sind.296 Da es nicht auf ein förmlich begründetes Arbeits- oder Auftragsverhältnis ankommt, sind wie in Art. 28 IStGH-Statut folglich auch de facto Verhältnisse anerkannt. b) Haftung des Betriebsinhabers nach Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG und § 9 Abs. 6 öVerwStG Abschließend wird noch ein Schlaglicht auf österreichische und schweizerische Vorschriften geworfen, die in ähnlicher Zielrichtung wie § 130 OWiG den Betriebsinhaber für Rechtsverletzungen in die Haftung nehmen, die seine Mitarbeiter begangen haben. Erwähnt werden nur allgemeine Vorschriften der Verwaltungsstrafgesetze, nicht die in Spezialgesetzen vereinzelt zu findenden Vorschriften.297 Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG lautet: auftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebes obliegen, und handelt er auf Grund dieses Auftrags, so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Möglichkeit der Ahndnung begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebes vorliegen. Dem Betrieb im Sinne des Satzes 1 steht das Unternehmen gleich. Handelt jemand auf Grund eines entsprechenden Auftrages für eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so ist Satz 1 sinngemäß anzuwenden. Die Absätze 1 und 2 sind auch dann anzuwenden, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen, unwirksam ist.“ 293 Hermanns/Kleier, S. 80. 294 König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 19. 295 Bohnert, § 130 Rn. 30. 296 OLG Hamm NStZ 1992, 499; König, in: Göhler et al., Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 130 Rn. 19; Meyer, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 3, § 130 OWiG Anm. 5 b cc; Többens, NStZ 1999, 5. 297 Vgl. bspw. § 370 Abs. 3 der öGewO 1994, öBGBl.Nr. 194/1994 zuletzt geänd. durch öBGBl. I Nr. 111/2002; § 80 Abs. 2 öAbfallWiG 2002, BGBl. I Nr. 102/2002 zuletzt geänd. durch BGBl. I Nr. 155/2004; in Schweizer Spezialgesetzen wird auch zunehmend auf Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG verwiesen, vgl. bspw. Art. 73 Gewässerschutzgesetz (GSG), SR 814.20, Art. 37 Kriegsmaterialgesetz (KMG), SR 514.51. Früher enthielten Art. 42 GSchG a. F. und Art. 19 KMG a. F. noch Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG entsprechende Vorschriften, auf die in älteren Abhandlungen abgestellt wird. Heute noch Spezialregelung Art. 100 Ziff. 2 Straßenverkehrsgesetz.

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„Der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der es vorsätzlich oder fahrlässig in Verletzung einer Rechtspflicht unterläßt, eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben, untersteht den Strafbestimmungen, die für den entsprechend handelnden Täter gelten.“

§ 9 Abs. 6 öVerwStG lautet: „Die zur Vertretung nach außen berufenen Personen im Sinne des Abs. 1 [Vertreter juristischer Personen u. a., Anm. Verf.] sowie Personen im Sinne des Abs. 3 [natürliche Person als Betriebsinhaber, Anm. Verf.] bleiben trotz Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten – unbeschadet der Fälle des § 7 – strafrechtlich verantwortlich, wenn sie die Tat vorsätzlich nicht verhindert haben.“

Die Vorschriften bezwecken wie § 130 OWiG, Zuwiderhandlungen im Betrieb entgegenzuwirken, die nicht durch den Inhaber selbst begangen werden.298 § 9 öVerwStG macht für die Einhaltung von Bestimmungen durch juristische Personen insbesondere deren Organe verantwortlich.299 Die schweizerische Vorschrift verdeutlich durch die Nennung des „Geschäftsherrn“, „Arbeitgebers“ und „Auftraggebers“ einerseits und des „Untergebenen“ und „Beauftragten“, dass in der Regel ein Vorgesetztenverhältnis zu den zuwiderhandelnden Personen besteht. Letztlich geht es darum, dass der Geschäftsherr „kraft seiner betrieblichen Befehlsgewalt“ auf den Untergebenen Einfluss auszuüben imstande sei.300 Anders als § 130 OWiG, beziehen sich die österreichischen und schweizerischen Vorschriften nicht auf eine Aufsichtspflichtverletzung, sondern sehen eine Haftung allgemeiner für den Fall vor, dass der Betriebsinhaber eine „Widerhandlung“ (Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG) oder die „Tat“ (§ 9 Abs. 6 öVerwStG) nicht abwendet oder verhindert. Dahinter steht aber ebenfalls das Konzept einer Überwachungs- und Aufsichtspflicht des Vorgesetzten.301 Nicht vollständig geklärt ist die Bedeutung des Einschubs „in Verletzung einer Rechtspflicht“ in der schweizerischen Vorschrift.302 Die überwiegende Ansicht will diese Voraussetzung im Rückgriff auf in anderen Gesetzen nie298

Böckli, ZStrR 1980, 75. Vgl. Erläuterung des Hintergrunds für die Einführung von Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG, auch zum Fall Bührle, S. 78 ff. (dazu auch unter 3.3.3. Geschäftsherrenhaftung). 299 Erläuterungen (zur RV des BG BGBl 1983/176) 161 BlgNR 15, GP, abgedruckt in: Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze, II. Bd., § 9 VerwStG Anm. 1; Thienel, S. 425: „originelle Lösung“. 300 Oertle, S. 181 und S. 182, Fn. 30. 301 Vgl. sehr kritisch zu Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG Böckli, ZStrR 1980, 73 ff. 302 Dieser Einschub wurde erst später hinzugefügt, vgl. Darstellung bei Oertle, S. 175 ff., 183.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

dergelegte Rechtspflichten ausfüllen.303 Der Einschub „in Verletzung einer Rechtspflicht“ ist daher wie bei § 130 OWiG als Hinweis auf eine Pflicht zu verstehen, die dem Geschäftsherrn aufgrund bestimmter Rechtsvorschriften obliegt. Eine allgemeine zivil- oder verwaltungsrechtliche Rechtspflicht genügt dabei nicht.304 Es geht dabei zudem nur um Rechtspflichten, die sich auf spezifische Betriebsgefahren beziehen,305 worin man wiederum eine spezifische Betriebsbezogenheit der Widerhandlung erkennen kann. Im Rahmen von § 9 Abs. 6 öVerwStG ist der Bezug zum Betrieb dadurch gesichert, dass der Tatbestand einer Verwaltungsstrafvorschrift verwirklicht worden sein muss, die der juristischen Person zuzurechnen ist.306 In subjektiver Hinsicht besteht ein Unterschied zwischen der österreichischen und schweizerischen Vorschrift darin, dass die schweizerische Vorschrift wie § 130 OWiG vorsätzliches und fahrlässiges307 Nichtabwenden unter Strafe stellt, die österreichische Vorschrift aber Vorsatz voraussetzt. Nach der Schweizer Vorschrift haftet daher auch ein Geschäftsherr, der keine Kenntnis von den Widerhandlungen seiner Mitarbeiter hatte, aber der fahrlässig eine Widerhandlung nicht verhindert hat. Anders als bei § 130 OWiG ist die Widerhandlung oder Tat nicht als objektive Bedingung der Ahndung ausgestaltet. Hervorzuheben ist schließlich, dass nach der schweizerischen Vorschrift der Geschäftsherr, wie bei Art. 28 IStGH-Statut, denjenigen Strafbestimmungen unterliegt, die für den entsprechend handelnden Täter gelten.308 § 9 Abs. 6 öVerwStG normiert ein „echtes“, weil im Gesetz niedergelegtes Unterlassensdelikt.309 Der Betriebsinhaber haftet aber auch in Österreich letztlich für dieselbe Tat wie der verantwortliche Beauftragte.310

303

Popp, recht 2003, 28; Schubarth, ZStrR 1976, 391; Vest, ZStrR 1988, 309 f. Vest, ZStrR 1988, 309. 305 Vest, ZStrR 1988, 310. 306 Thienel, S. 426. 307 Die schweizerische Vorschrift enthielt zunächst ausdrücklich den Zusatz „in Kenntnis der Zuwiderhandlung; so auch der Vorschlag von Pfund, S. 195. Sehr kritisch gegenüber der Preisgabe der Kenntnisvoraussetzung und Zulassung einfacher Fahrlässigkeit Böckli, ZStrR 1980, 89, 96, der Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG mit den Anforderungen einer rechtsstaatlichen Strafrechts für unvereinbar hält.“ 308 Ursprünglich war ein Sonderdelikt der „Diligenzverletzung“ geplant; Böckli, ZStrR 1980, 86, 90 f.; Schubarth, ZStrR 1974, 393. 309 Raschauer/Wessely, S. 116; Thienel, S. 431; vgl. ebenfalls Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze, II. Bd., der allerdings kein besonderes Augenmerk auf § 9 Abs. 6 öVerwStG richtet; vgl. bspw. § 9 Anm 61. 310 Durl, S. 22 f.: „tendenziell Charakter eines unechten Unterlassensdelikts“. 304

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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3. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen Es gibt Ansatzpunkte für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit in Unternehmen, allerdings vorwiegend im Ordnungswidrigkeiten- bzw. Verwaltungsstrafrecht der drei Länder, wodurch ein gewichtiger Unterschied zu Art. 28 IStGH-Statut besteht. Eine strafrechtliche Haftung des Betriebsoder Unternehmensinhabers, beispielsweise vereinzelt im Recht des unlauteren Wettbewerbs, wurde mehr und mehr zurückgedrängt. In der Schweiz besteht die Tendenz, durch Verweis auf Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG dieser Vorschrift einen breiten Anwendungsbereich zu verschaffen. So enthalten die früher als Beispiel für eine Geschäftsherrenhaftung herangezogenen Gesetze zum Gewässerschutz und Kriegsmaterial heute nur noch einen Verweis auf Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG.311 In Deutschland ist § 130 OWiG Zentralnorm für die Haftung des Betriebsoder Unternehmensinhabers für Zuwiderhandlungen durch Unternehmensoder Betriebsangehörige. Die Begriffe Betrieb und Unternehmen sind dabei sehr weit gefasst. Wie im Bereich der Amtsträgerhaftung312 wird auch bei § 130 OWiG das Kriterium der Organisations- bzw. Betriebsbezogenheit der Zuwiderhandlungen zur Einschränkung des Pflichtenkreises des Inhabers herangezogen. Auch Art. 6 Abs. 2 schweizVStG und § 9 Abs. 6 öVerwStG finden nur auf betriebsbezogene Widerhandlungen Anwendung. Was die subjektiven Haftungsvoraussetzungen betrifft, so muss dem Betriebs- oder Unternehmensinhaber nach § 130 OWiG im Hinblick auf die konkrete Zuwiderhandlung weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit nachgewiesen werden, weil es sich um eine objektive Bedingung der Ahndung handelt. Hierin besteht ein weiterer gewichtiger Unterschied zu Art. 28 IStGH-Statut, der gerade im Hinblick auf die Straftaten der Untergebenen besondere subjektive Merkmale festlegt. Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG hingegen setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus. Die österreichische Vorschrift setzt Vorsatz voraus. Im Hinblick auf die eigene Aufsichtspflichtverletzung fordert auch § 130 OWiG Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Soweit Fahrlässigkeit für eine Haftung des Betriebs- oder Unternehmensinhabers ausreicht, ist jedoch im Blick zu behalten, dass dies allein außerhalb der strafrechtlichen Haftung gilt. Erwähnenswert ist, dass die mittlerweile abgeschaffte strafrechtliche Haftung im Recht des unlauteren Wett311 Art. 73 Gewässerschutzgesetz, SR 814.20, Art. 37 Kriegsmaterialgesetz, SR 514.51. 312 Vgl. II. 2. b).

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

bewerbs nur bei „Wissen“ des Betriebsleiters und -inhabers um die Handlungen ihrer Angestellten oder Beauftragten eingriff. Der noch geltende § 19 öUWG setzt ebenfalls Vorsatz voraus. Auch vereinzelte Vorschriften der Geschäftsherrenhaftung im Schweizer Recht setzen Vorsatz voraus.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln Im Folgenden wird untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nach allgemeinen Regeln des Unterlassensdeliktes anerkannt ist. Deutschland, Österreich und die Schweiz haben eine sehr ähnliche Unterlassensdogmatik.313 Zum einen kann das Unterlassen einer vom Strafgesetz geforderten Tätigkeit strafbar sein („echte“ und zumeist „einfache“ Unterlassensdelikte314); zum anderen kann ein Unterlassen auch dann strafbar sein, wenn es wertungsmäßig der Verwirklichung eines Erfolgsdelikts durch aktives Tun entspricht, und der Täter als Garant zur Erfolgsabwendung verpflichtet ist („qualifizierte“ und „unechte“ Unterlassensdelikte).315 Im deutschen und österreichischen Strafgesetzbuch findet sich eine diesbezügliche Generalklausel zum Unterlassen.316 In der Schweiz wurde bisher auf eine entspre313

In der Schweiz und auch mehrheitlich in Österreich erfolgt die Abgrenzung von Tun und Unterlassen nach dem Subsidiaritätsprinzip, während zumindest die Rechtsprechung in Deutschland die Unterscheidung nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit trifft, zur Kritik in Deutschland: vgl. m. w. N. Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 5–7, der sich ebenfalls für das Subsidiaritätsprinzip ausspricht; Schweiz: Seelmann, in: Basler Kommentar, Art. 1 Rn. 52 f. m. w. N., teils „wertende Annahme“; Österreich: Kienapfel/Höpfel, Z 28 Rn. 25, S. 183 f.; Mayerhofer/Rieder, § 2 Anm. 1. 314 Zur Terminologie oben I. Vgl. auch Jescheck, in: Beiträge zum Strafrecht, S. 364; Schweiz: Stratenwerth, S. 424 für Terminologie echt/unecht, da dadurch die Problemfälle mangelnder tatbestandlicher Umschreibung herausgehoben würden. 315 Dtld: BGHSt GrS 16, 155; Jescheck/Weigend, S. 606; Österreich: Fuchs, S. 318; Triffterer, Strafrecht, S. 326; Schweiz: Stratenwerth, S. 423 f. 316 § 13 dStGB lautet: „Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.“ § 2 öStGB lautet: „Bedroht das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolges mit Strafe, so ist auch strafbar, wer es unterläßt, ihn abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist und die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten ist.“

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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chende Formel des Bundesstrafgerichts zurückgegriffen.317 Im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs ist nun eine Vorschrift entstanden, die Entstehungsgründe für eine Garantenstellung auflistet.318 Bevor eine Haftung von Amtsträgern bzw. Unternehmensleitern für das strafbare Verhalten ihrer Untergebenen nach den Grundsätzen des unechten Unterlassens analysiert wird, ist zuvor auf ein echtes Unterlassungsdelikt des österreichischen Strafrechts einzugehen. § 286 öStGB bestraft das Unterlassen, eine strafbare Handlung nicht verhindert zu haben. § 286 öStGB ist Jedermann-Delikt und setzt keine besondere Garantenstellung voraus.319 I. „Unterlassung der Verhinderung einer Straftat“ nach § 286 öStGB § 286 Abs. 1 öStGB lautet: „Wer es mit dem Vorsatz, daß vorsätzlich eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen werde, unterläßt, ihre unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene Ausführung zu verhindern oder in den Fällen, in denen eine Benachrichtigung die Verhinderung ermöglicht, der Behörde (§ 151 Abs. 3) oder dem Bedrohten mitzuteilen, ist, wenn die strafbare Handlung zumindest versucht worden und mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht strenger sein, als sie das Gesetz für die nicht verhinderte Tat androht.“

§ 286 öStGB ist ein allgemeines echtes Unterlassungsdelikt. Die Tathandlung besteht in der Nichtvornahme der gebotenen Handlung zur Ver317 BGE 113 IV, 72: „unechtes Unterlassensdelikt ist gegeben, wenn wenigstens die Herbeiführung des Erfolges durch Tun ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, der Beschuldigte durch sein Tun den Erfolg tatsächlich hätte abwenden können und infolge seiner besonderen Rechtsstellung dazu auch so sehr verpflichtet war, dass die Unterlassung der Erfolgsherbeiführung durch aktives Handeln gleichwertig erscheint.“ 318 Art. 11 schweizStGB n. F. lautet: „1) Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. 2) Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: a. des Gesetzes; b. eines Vertrages; c. einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder d. der Schaffung einer Gefahr. 3) Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. 4) Das Gericht kann die Strafe mildern.“ 319 Steininger, in: Wiener Kommentar zum StGB, § 286 Rn. 3.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

hinderung der Straftat eines anderen. Es sind alle Aktivitäten denkbar, die objektiv geeignet sind, die Tatausführung zu verhindern.320 Ausreichend ist auch eine mittelbare Verhinderung der Tat durch Mitteilung an die Behörde.321 Anders als bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit geht es dabei nicht um eine Meldung der schon begangenen Straftat, sondern eine rechtzeitige Meldung vor Begehung der Straftat. Bei der nicht verhinderten Straftat muss es sich um eine Vorsatztat handeln, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr strafbewehrt ist. Weitere objektive haftungseinschränkende Merkmale gibt es nicht. Insbesondere ist kein besonderer Zusammenhang zwischen der fremden Tat oder dem ausführenden Täter und dem Unterlassenstäter des § 286 öStGB Voraussetzung. § 286 öStGB setzt Vorsatz voraus. Der Gesetzestext des § 286 öStGB stellt besonders heraus, dass der Täter auch Vorsatz im Hinblick auf die Begehung einer Vorsatztat hatte.322 Im Hinblick auf das eigene Unterlassen muss der Täter des § 286 öStGB ebenfalls vorsätzlich handeln, was sich nach allgemeinen Regeln ergibt (§ 7 Abs. 1 öStGB).323 Die Tat muss leicht und ohne eigene Gefährdung oder die von Angehörigen verhindert werden können (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 öStGB). Im Unterschied zur Vorgesetztenverantwortlichkeit und Art. 28 IStGH-Statut muss die Verhinderungsmöglichkeit aber nicht aus einer besonderen Führungsgewalt und Kontrolle über den ausführenden Täter innerhalb einer Organisation oder Einheit herrühren.324 Täter des § 286 öStGB kann jede Person (außer dem Täter und Opfer der fremdem Vorsatztat) sein. Ein besonderes Verhältnis zu dem Täter der zu verhindernden Tat ist nicht erforderlich.325 Ebensowenig 320

Steininger, in: Wiener Kommentar zum StGB, § 286 Rn. 8. Steininger, in: Wiener Kommentar zum StGB, § 286 Rn. 8. 322 Die Betonung des Vorsatzerfordernisses im Hinblick auf die fremde Straftat soll klarstellen, dass keine besondere Begünstigungsabsicht verlangt wird, wie sie die frühere Rspr. teilweise gefordert hatte. Die Formulierung geht auf einen Vorschlag der Strafrechtskommission zurück, vgl. näher bei Steininger, in: Wiener Kommentar zum StGB, § 286 Rn. 13; doch wird § 286 öStGB als Delikt mit überschießender Innentendenz verstanden: Steininger, ebd.; Hinterhofer, ÖJZ 1995, 496. Bertel/Schwaighofer, § 287 Rn. 12, S. 197: „Unterlassenstäter nimmt alle Umstände in seinen Vorsatz auf, welche für die Tat des Ausführenden einen Strafsatz von mehr als einem Jahr auslösen.“ 323 Leukauf/Steininger, Kommentar StGB, § 286 Rn. 9, 10; zweifelnd in Bezug auf voluntatives Element, Stein, S. 248. 324 Fabrizy, Strafgesetzbuch, § 286 Rn. 3. „auf welche Weise der Täter die fremde Tat hätte verhindern können, ist gleichgültig.“ 325 Durl, Die Pflicht zur Verhinderung von mit Strafe bedrohten Handlungen gemäß § 286 StGB, 1999. 321

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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ist es Voraussetzung, dass die Tat innerhalb einer Behörde oder einem Betrieb begangen wurde oder ein besonderer Bezug zwischen der Tat und dem Betrieb oder der Behörde besteht. Damit stellt § 286 öStGB nicht auf die für die Vorgesetztenverantwortlichkeit prägende (strukturelle und tatsächliche) Vorgesetztenstellung ab und stellt daher keine Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit dar. § 286 öStGB wäre nur dann mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit vergleichbar, wenn man den „Vorgesetzten“ unzulässigerweise mit einer Person gleichsetzte, die die tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung von Straftaten hat (material ability to prevent) und keine zusätzlichen Merkmale fordert. Bei der Analyse des Art. 28 IStGH-Statut im Zweiten Teil wurde herausgearbeitet, dass es auf eine Vorgesetztenstellung und insbesondere auf eine strukturelle Einbindung in eine organisatorische Einheit ankommt.326 Hieran fehlt es bei § 286 öStGB. II. Haftung wegen des Nichtverhinderns von Straftaten nach Regeln des unechten ungeschriebenen Unterlassens 1. Garantenstellung Im Folgenden wird skizziert, inwiefern eine Haftung von Amtsträgern bzw. Unternehmensleitern für das strafbare Verhalten ihrer Untergebenen nach den Grundsätzen des unechten Unterlassens für möglich gehalten wird. Nach den Grundsätzen des unechten Unterlassens macht sich strafbar, wer eine Handlung nicht vornimmt, die den tatbestandlichen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte („hypothetische Kausalität“).327 Die Vornahme der Handlung muss möglich gewesen sein. Schließlich ist erforderlich, dass das Unterlassen mit der Begehung durch aktives Tun gleichwertig ist.328 Die strafrechtliche Haftung aufgrund unechten Unterlassens wird im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht vor allem über die Voraussetzung der sogenannten Garantenstellung beschränkt. Aufgrund unechten Unterlassens haftet nur, wer eine Pflicht zum Handeln hat, weil er Garant für das Ausbleiben des tatbestandlichen Erfolges ist. Auch Amtsträ326

Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) (Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut). Vgl. bspw. Jescheck/Weigend, S. 619 m. w. N. aus der Rspr.; Österreich: Kienapfel/Höpfel, Z 29 Rn. 10 f., S. 187. 328 § 13 dStGB, § 2 öStGB, Art. 11 Abs. 3 schweizStGB-E. Eigenständige Bedeutung kommt der Gleichwertigkeitsklausel allerdings nur bei sogenannten „verhaltensgebundenen“ Delikten zu, die eine besondere Weise der Erfolgsherbeiführung beschreiben, Jescheck/Weigend, S. 629. 327

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

ger oder Unternehmensleiter machen sich daher nur strafbar, wenn sie Garanten für das Nichtverhindern von Straftaten ihrer Untergebenen sind. Eine Garantenstellung kann sich nach „klassischem Trias“329 aus Gesetz, Vertrag oder vorangegangenem Tun (Ingerenz) ergeben. Diese „formelle Rechtspflichtenlehre“330 vertrat nicht nur das Reichsgericht;331 sie wird heute in Österreich vertreten und hat in der Schweiz gerade Eingang in das Strafgesetz gefunden.332 In Deutschland, aber auch zunehmend in der Schweiz und Österreich, ist überdies die von Armin Kaufmann begründete Funktionenlehre333 und die Unterscheidung zwischen „Beschützer-“ bzw. „Obhuts-“ und „Überwachungs-“ bzw. „Sicherungsgaranten“ verbreitet.334 Eine Beschützergarantenstellung zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf den Schutz eines bestimmten Rechtsguts vor Gefahren ausgerichtet ist. Bei einer Überwachungsgarantenstellung ist die Garantenpflicht hingegen auf die Abwendung von Gefahren, die von einer bestimmten Gefahrenquelle ausgehen, ausgerichtet. In allen drei Rechtsordnungen haben sich eine Reihe von Fallgruppen von Garantenstellungen herausgebildet, die dem Trias der formellen Rechtspflichtenlehre oder der Gruppe der Beschützer- bzw. Überwachungsgarantenstellungen zugeordnet werden.335 Die schwierigste Frage bei der Unterlassensstrafbarkeit, die Frage nach dem (materiellen) Grund der Rechtspflicht zum Handeln, wurde bisher in keiner der drei Rechtsordnungen befriedigend gelöst. Es gibt vielmehr eine Vielzahl verschiedener Ansätze und Versuche, den (materiellen) Grund für die Unterlassenshaftung in allgemeinen Begriffen zu fassen zu bekommen.336 Dies wirkt sich auch auf die Frage nach der Vorgesetztenverant329

Kienapfel/Höpfel, Z 30 Rn. 7, S. 191. Im Ansatz geht die formelle Rechtspflichtenlehre auf Feuerbach zurück, der der Auffassung war, dass eine Unterlassung einen besonderen Rechtsgrund im Gesetz oder Vertrag haben müsse. 331 RGSt 58, 130, 131 f.; 63, 392, 394. 332 § 11 n. F. schweizStGB nennt folgende Fallgruppen: Gesetz; Vertrag; freiwillig eingegangene Gefahrengemeinschaft; Schaffung einer Gefahr. Vgl. aber auch Trechsel, S. 250 ff.; Österreich: Triffterer, Strafrecht, S. 331; Nowakowski, in: Wiener Kommentar, 1. Aufl., § 2 Rn. 7 f., 17 ff. 333 Kaufmann, S. 283 ff. 334 Jescheck/Weigend, S. 621 ff.; Roxin, Strafrecht. AT, Bd. II, S. 746 ff. Weigend stellt heraus, dass die beiden Lehren nicht als Gegenpole verstanden werden können, weil sie Antworten auf unterschiedliche Fragen geben, die Funktionenlehre insbesondere keine Antwort auf die Frage nach dem Rechtsgrund der Garantenpflicht gibt, Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 22. Vgl. auch Stratenwerth, S. 424 f.; Nowakowski, in: Wiener Kommentar, 1. Aufl., § 2 Rn. 7 f., 17 ff. 335 Stratenwerth, S. 425 ff.; Trechsel, S. 254 ff. Triffterer, Strafrecht, S. 332. 336 Vgl. Übersicht über die derzeit wichtigsten Ansätze bei Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Bd. 1, § 13 Rn. 23, 24. 330

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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wortlichkeit aus. Im Folgenden wird zunächst dargestellt, ob ein Vorgesetzter in den Rechtsordnungen überhaupt als Garant für das Ausbleiben von Straftaten seiner Untergebenen angesehen wird. Sodann wird untersucht, ob Überlegungen zum (materiellen) Grund der Vorgesetztenverantwortlichkeit angestellt werden und diese anschließend knapp bewertet. Eine Garantenstellung von Vorgesetzten wird vereinzelt auf die „Ingerenz“, d.h. vorangegangenes gefährdendes Tun,337 zurückgeführt. Triffterer vertritt die Ansicht, dass der Vorgesetzte insbesondere in der Variante des Nichtbestrafens oder Nichtweiterleitens einer bereits begangenen Straftat seiner Untergebenen an die zuständigen Behörden für ein vorangegangenes, „erstes Unterlassen“ angemessener allgemeiner Kontrolle hafte.338 Bei dieser Ansicht spielen folglich Ingerenzgedanken eine entscheidende Rolle. Eine solche vorangegangene allgemeine Aufsichts- oder Kontrollverletzung des Vorgesetzten mag in einigen Fällen tatsächlich ein Grund für die Begehung von Straftaten durch beispielsweise schlecht ausgebildete und demoralisierte Untergebene sein. Die Vorgesetztenverantwortlichkeit setzt jedoch eine solche vorangegangene Pflichtverletzung nicht grundsätzlich voraus. So macht sich ein Vorgesetzter auch strafbar, wenn seine Untergebenen, obwohl er sie durchweg gut beaufsichtigt und kontrolliert hat, Straftaten begehen, die er hätte verhindern können.339 Zumeist wird eine Garantenstellung des Vorgesetzten auf die Fallgruppen „Gefahrenquellen des eigenen Herrschaftsbereichs“ und „Beaufsichtigung bzw. Kontrolle Dritter“ zurückgeführt.340 In der Schweiz hat sich eine eigenständige Fallgruppe der „Geschäftsherrenhaftung“ herausgebildet.341 Im Folgenden wird skizziert, mit welchen Garantenstellungen einerseits die Amtsträger und andererseits die Unternehmensleiter in Verbindung gebracht werden. 337

Dtld.: RGSt 64, 273, 276; BGHSt 4, 20, 22; 26, 35, 37, Schweiz: BGE 83 IV 13; 90 IV 250; Die Verursachung der Gefährdung muss nach herrschender Meinung pflicht- bzw. sorgfaltswidrig gewesen sein; BGHSt 37, 106, 115; BGH NStZ 2005, 259; Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 35; Stratenwerth, S. 429. Triffterer, Strafrecht, S. 337 f. 338 Triffterer, in: Gedächtnisschrift für Vogler, S. 232, 233: „first failure to control“, „second chance“; Triffterer, LJIL 2002, 192 f. 339 Vgl. zur Ablehnung von Triffterers Ansatz zu Recht auch Weigend, ZStW 2004, 1015 ff. 340 In Bezug auf die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit, Weigend, ZStW 2004, 1013: „Gefahrenquelle“; Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 10: Kombination aus Gesichtspunkten der Risikoübernahme und der Verkehrssicherungspflicht für einen geföhrlichen „Gegenstand“; Kreß, Humanitäres Völkerrecht 1999, 9: „Kontrollgarantenstellung“. 341 Vgl. unter II. 3. a).

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

2. Amtsträger als Garanten a) Allgemeines In der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft gibt es eine Diskussion um die Garantenstellung von Amtsträgern zur Verhinderung von Straftaten anderer Personen. So wird beispielsweise die Haftung des Polizeibeamten diskutiert, der bei einem Streifengang Personen nicht an der Begehung von Straftaten hindert, oder auch die des Ordnungsbeamten von Umweltbehörden, der Umweltstraftaten Dritter nicht verhindert.342 Soweit eine derartige Garantenstellung von Polizei- oder Ordnungsbeamten anerkannt ist,343 ist sie jedoch mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht vergleichbar. Denn es fehlt an der strukturellen Vorgesetztenstellung,344 da die Straftäter in der Regel gerade nicht der Polizei oder Ordnungsbehörde zugehörig und nicht den Polizei- und Ordnungsbeamten untergeordnet sind. Eine Garantenstellung von Amtsträgern zur Verhinderung strafbaren Verhaltens von Untergebenen innerhalb einer Behörde wird vor allem in Zusammenhang mit dem bereits analysierten § 357 dStGB diskutiert, nach dessen dritter Variante Amtsträger und Vorgesetzte sich strafbar machen, wenn sie rechtswidrige Taten ihrer Untergebenen geschehen lassen.345 Da es sich bei § 357 dStGB um ein echtes, da gesetzlich normiertes Unterlassensdelikt handelt,346 muss eine Garantenstellung des Vorgesetzten und Amtsträgers eigentlich nicht hergeleitet und begründet werden.347 Der Vor342 Pawlik, ZStW, 335–356; Rogall, Die Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 217 ff.; Sangenstedt, S. 36 ff. 343 Diese Pflicht soll vor allem zum Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen oder der Allgemeinheit bestehen, ist folglich eine Beschützergarantenpflicht; Dtld.: BGHSt 38, 391 (Garantenstellung Polizeibeamter), bei außerdienstlicher Kenntniserlangung nur ausnahmsweise Garantenpflicht, vgl. näher bei Kühl, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 14; Kühl, Strafrecht, S. 566; BGH wistra 1986, 256 (Leiter des Ordnungsamt Garant für Gefahren in Zusammenhang mit Bordellbetrieb); vgl. Sonderfall Verdeckter Ermittler, Wohlers, in: Nomos Kommentar, § 13 Rn. 52; Österreich: Kienapfel/Höpfel, Z 30 Rn. 11, S. 192; Bertel, in: Wiener Kommentar, 2. Aufl., § 302 Rn. 42. Schweiz: BGE 109 IV 46 (Begünstigung), BGE 118 IV 309 (keine Garantenpflicht aus Anzeigepflicht); Trechsel, S. 251. Diff.: Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, vor § 13 Rn. 54 b, 54 c, 54 d. 344 Vgl. 2. Teil. B. I. 1. a) cc). 345 Vgl. oben C. II. 2. 346 Zugleich handelt es sich bei § 357 3. Alt. dStGB um ein qualifiziertes Unterlassensdelikt, da die rechtswidrige Tat der Untergebenen einen Tatbestandserfolg darstellt; vgl. Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 102–103. 347 Soweit der Amtsträger allerdings eine Garantenstellung innehat und als Täter angesehen werden kann, soll § 357 dStGB hinter diese Haftung zurücktreten. Soweit

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gesetzte und Amtsträger ist qua Gesetz zum Handeln verpflichtet.348 Es wird jedoch diskutiert, ob § 357 dStGB Ausdruck einer besonderen Garantenstellung des Amtsträgers ist. Die wohl überwiegende Meinung geht zunächst davon aus, dass § 357 dStGB keine Sperrwirkung ausübt, also eine Haftung des Amtsträgers über § 13 dStGB denkbar ist.349 Hierzu ist anzumerken, dass § 357 dStGB bereits eine sehr weite Haftung vorsieht, da Vorgesetzte und Amtsträger allgemein für rechtswidrige Taten von Untergebenen wie Täter haften.350 Eine Haftung über § 13 dStGB würde hier gar keine strengere Haftung als § 357 dStGB vorsehen. Der Vorgesetzte würde als Unterlassenstäter nach § 13 dStGB sogar unter Umständen milder bestraft, da eine Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 dStGB besteht.351 Obwohl § 357 dStGB eine sehr umfassende Vorschrift zur Haftung von Amtsträgern für Taten von Untergebenen darstellt, ist es aber dennoch von Interesse, wie eine Haftung von Amtsträgern für Straftaten untergebener Personen nach den Grundsätzen des unechten Unterlassen begründet und hergeleitet wird. Hoyer meint, § 357 dStGB könne nicht Ausdruck einer Garantenstellung des Amtsträgers sein, weil dieser allein die Innenrechtswidrigkeit und nicht die Außenrechtswidrigkeit sanktioniere.352 Dies will er daraus ableiten, dass militärische Vorgesetzte nach § 41 dWStG bei einer Beteiligung durch Unterlassen weniger streng haften als nicht-militärische Amtsträger nach § 357 dStGB, aber andererseits militärische Vorgesetzte bei aktiver Beteiligung nach § 33 dWStG verschärft haften, während § 357 dStGB die aktive und der Amtsträger nur als Gehilfe durch Unterlassen angesehen werden kann, stuft § 357 dStGB diese Teilnahme zur Täterschaft hoch. 348 Diff.: Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 1: echtes Amtsdelikt, soweit der Vorgesetzte nicht zugleich die Voraussetzungen der §§ 26, 37, 30 dStGB erfüllt; unechtes Amtsdelikt, soweit diese erfüllt sind. 349 Befürwortend: Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 102 ff., 109 ff.; Brammsen, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 129; Jakobs, Kap. 29 Anm. 29; Kuhlen, in: Nomos Kommentar, § 357 Rn. 3, 7; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 45; Krekeler/Werner, S. 7–8, Rn. 7; Rogall, ZStW 1986, 573, 614 f.; Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 3; ablehnend: Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, S. 21; Hoyer, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 183, 192 f., vgl. auch Kühl, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 7, die meinen, § 357 dStGB treffe nur eine Aussage über die Innenrechtswidrigkeit. 350 Vgl. C. II. 2. 351 Kuhlen meint, diese Ungereimtheiten lassen sich bei der Entscheidung über die fakultative Strafminderung vermeiden, in: Nomos Kommentar, § 357 Rn. 15. 352 Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, S. 21; Hoyer, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 192.

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passive Beteiligung gleichbehandelt. Eine Außenrechtswidrigkeit werde folglich bei Amtsträgern nicht abgegolten.353 Kühl meint, eine Pflicht des Amtsträgers zur Verhinderung von Straftaten seiner Untergebenen sei über § 357 dStGB hinaus nur in eingeschränktem Maße anzuerkennen.354 Zumeist wird aber darauf verwiesen, dass § 357 dStGB durchaus auf dem Gedanken beruhe, dass Vorgesetzte und Amtsträger verpflichtet sind, rechtswidrige Taten von Untergebenen zu verhindern.355 Zum Teil wird eine Garantenstellung eines Amtsträgers mit der besonderen Herrschafts- oder Autoritätsstellung des Amtsträgers gegenüber Untergebenen begründet. Autoritätsstellungen hätten nicht nur militärische Vorgesetzte, sondern auch Vorgesetzte in staatlichen Behörden inne, da Amtsträger mit besonderen Anordnungs- und Weisungsbefugnissen ausgestattet seien.356 Rudolphi und Rogall verweisen insbesondere auf das Beamtenrecht, wonach ein untergebener Beamte verpflichtet ist, die von seinem Vorgesetzten erlassenen Anordnungen auszuführen.357 Die Autoren meinen, der Unrechtsgehalt des § 357 dStGB liege auch beim Nichteinschreiten gegen Straftaten von Untergebenen in einem Mißbrauch dieser beamtenrechtlichen Weisungsbefugnisse, nämlich einer pflichtwidrigen Nichtausübung der Weisungsbefugnisse.358 Rudolphi und Rogall ordnen den Vorgesetzten überdies als „Garant kraft Organisationszuständigkeit“ ein.359 Es sei Pflicht des Vorgesetzten, „seinen Zuständigkeitsbereich so zu organisieren, dass die ihm Untergebenen keine Straftaten begehen“. Der Amtsträger bzw. Vorgesetzte sei daher Überwachungsgarant im Hinblick auf das Verhalten von Untergebenen360 und habe eine „drittbezogene Verhinderungspflicht“.361 353

Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, S. 20–21; Hoyer, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 192–193. 354 Kühl, Strafgesetzbuch, § 357 Rn. 7; Sangenstedt hält § 13 dStGB für anwendbar, meint aber, dass es eine Garantenstellung des Amtsträgers nur in besonderen Gewaltverhältnissen gebe, Sangenstedt, S. 486–487, 498–499. 355 Gössel/Dölling, S. 711; Otto, Grundkurs Strafrecht, S. 543; Rogall, Die Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 232; Roxin, Strafrecht. AT, Bd. II, § 32 Rn. 133 Fn. 234, S. 756; Sangenstedt, S. 712, 717. 356 Frister, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 2006, S. 249–250; Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 2; Rudolphi, NStZ 1991, 366; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 328; Wohlers, in: Nomos Kommentar, § 13 Rn. 51, 53. 357 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 2 mit Verweis auf §§ 37 Satz 2 BRRG, 55 Satz 2 BBG). Erkennbar strafbare Weisungen darf der untergebene Beamte freilich nicht ausführen. 358 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 2 mit Verweis auf §§ 37 Satz 2 BRRG, 55 Satz 2 BBG). 359 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 3; vgl. zu dem Gedanken der Pflicht zur Organisation des eigenen Rechtskreises auch Jakobs, Kap. 29 Anm. 29 und Andrews, Verleitung und Geschehenlassen, S. 109–112 m. w. N.

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Auch Brammsen stellt darauf ab, dass Vorgesetzten in staatlichen oder hoheitlichen Organisationen besondere rechtlich geregelte Befehls- und Herrschaftsbefugnisse eingeräumt seien, um „bereits im Vorfeld von Straftaten Untergebener das Verhalten durch rechtlich zulässige Zwangsmittel zu lenken.“362 Zu den Pflichten des Vorgesetzten gehöre es, mit Hilfe der ihnen zugewiesenen Befehls- und Herrschaftsgewalt den reibungslosen Funktionsablauf der Institution zu gewährleisten, wozu auch die Verhinderung von schädlichen Auswirkungen durch untergebene Mitglieder gehöre.363 Brammsen deutet zudem an, dass darüber hinaus wegen der Gemeinwohlorientierung die Garantenpflichten in öffentlichen Institutionen nach anderen Grundsätzen als in Wirtschaftsunternehmen zu bestimmen seien.364 Der Gedanke der Gemeinwohlorientierung wird auch von anderen Autoren herangezogen. So sieht Hoyer einen wesentlichen Unterschied zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen und staatlichen Institutionen darin, dass erstere mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden, letztere aber dem Gemeinwohl verpflichtet seien.365 Ein rechtswidriges hoheitliches Handeln könne dabei niemals dem Gemeinwohl entsprechen, weil es den „rechtsstaatlichen Geltungsanspruch des Dienstherrn selbst“ verletze. Ein rechtswidriges privatwirtschaftliches Handeln hingegen könne durchaus der Gewinnerzielung förderlich sein.366 Hoyer will jedoch, wie erwähnt, mangels fehlender Außenrechtswidrigkeit eine Haftung von Amtsträgern über § 357 dStGB hinaus nicht anerkennen.367 Auch Hsü betont, dass der Befehlsgewalt eines Amtsträgers eine amtliche Treue- und Gehorsamspflicht zugrundeliege, weil der Befehlshaber selbst wiederum dem Staat gegenüber verpflichtet sei. Die Befehlsgewalt sei daher im Interesse der Allgemeinheit auszuüben.368 Anders als Hoyer erkennt 360 Rudolphi, NStZ 1991, 365–366; Rogall, Die Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 232. 361 Rudolphi/Rogall, in: Systematischer Kommentar, § 357 Rn. 3; Rudolphi, NStZ 1991, 365–366. 362 Brammsen, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 124. 363 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 228 f., Otto/Brammsen, JURA 1985, 599. 364 Brammsen, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 108. 365 Hoyer, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 200. 366 Hoyer, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 200, 201. 367 Hoyer spricht sich im Ergebnis für eine Garantenhaftung im privatwirtschaftlichen Unternehmen aus. 368 Hsü, S. 252 f. Hsü entwickelt eine Kategorie der „offenen Beziehung für das Interesse der Allgemeinheit“.

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sie aber eine Garantenstellung des Amtsträgers an. Auch Schubarth vermutet den Grund für eine Garantenstellung des Amtsträgers in der beamtenrechtlichen Verpflichtung.369 Insgesamt werden folglich vor allem folgende Aspekte in den Vordergrund gestellt: Zum einen sind die besonderen Anordnungs- und Weisungsbefugnisse, die einem Amtsträger in der Behördenhierarchie gegenüber einem untergebenen Amtsträger zustehen, Anknüpfungspunkt für eine Garantenstellung. Hier spielt folglich der Herrschaftsgedanke eine zentrale Rolle. Zum anderen ist es eine Pflicht zur Orientierung am Gemeinwohl oder eine allgemeine (Rechtstreue-)Pflicht von Amtsträgern, Straftaten anderer zu verhindern. Wenn Amtsträger nicht verpflichtet wären, gegen das rechtswidrige Verhalten ihrer Untergebenen einzuschreiten, geriete quasi der Rechtsstaat mit sich selbst und dem Anliegen, dem Gemeinwohl zu dienen und das Recht zu wahren, in Konflikt. Auch der Bundesgerichtshof begründet im zweiten Politbüro-Prozess gegen die Mitglieder Häber, Lorenz und Böhme370 eine Garantenstellung einerseits mit den besonderen Anordnungsbefugnissen der Politbüromitglieder. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die angeklagten Politbüromitglieder gegen die strafbaren Handlungen der Grenzsoldaten hätten einschreiten müssen, insbesondere im Politbüro darauf hinwirken müssen, dass die Tötungen von Personen an der innerdeutschen Grenze unterblieben.371 Dabei stellt der Bundesgerichtshof auf die Weisungsbefugnis gegenüber den in der Befehlskette nachgeordneten Personen ab. Er spricht von einer ununterbrochenen Verantwortungskette bis hinab zu den Mauerschützen.372 Als Mitglieder des höchsten Machtorgans der DDR seien die Angeklagten verpflichtet gewesen, das Grenzregime der DDR, von dem eine jederzeit akute Lebensgefahr für friedliche Flüchtlinge ausging, in der Weise zu überwachen und zu steuern, dass eine Tötung solcher Flüchtlinge unterblieb.373 Dabei nahm der Bundesgerichtshof aber auch Bezug auf den in der DDR369

Schubarth, ZStrR 1976, 385 f. 2. Politbüroprozess: LG Berlin, Urteil v. 7.7.2000; BGH, Urteil v. 6.11.2002 (Böhme, Lorenz, Häber), BGHSt 48, 77 = NJW 2003, 522. Der Schwerpunkt der Ausführungen in diesem Urteil liegt allerdings bei der Erörterung der Figur der mittelbaren Täterschaft (durch Unterlassen) in dem besonderen Fall der organisierten Machtapparate, auf die sich der Bundesgerichtshof schon im ersten Politbüro-Prozess und in dem Prozess gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates gestützt hatte. Vgl. überwiegend ablehnende Kritik des Urteils Arnold, Strafverteidiger-Forum 2003, 109 f., Knauer, NJW 2003, 3102, insbesondere auch zur Zumutbarkeit; Ranft, JZ 2003, 582. 371 BGHSt 48, 86. 372 BGHSt 48, 90. 373 BGHSt 48, 92. 370

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Verfassung verankerten Schutz der Freiheit und Persönlichkeit und die Aufgabe des Staates, diesen Schutz zu gewährleisten. Nach DDR-Rechtsverständnis sei es Aufgabe des Staates gewesen, den Schutz der persönlichen Freiheiten der Bürger gegen einen gesetzwidrigen Eingriff einzelner Staatsorgane, Staatsfunktionäre und Bürger, wenn notwendig, durch positives Handeln zu garantieren.374 Im Rahmen dieser Arbeit können die einzelnen Begründungsansätze für eine Garantenstellung von Amtsträgern nicht im Einzelnen vertieft dargestellt werden. Was jedoch die Begründung von Hoyer zur fehlenden Garantenstellung des Amtsträgers betrifft, so ist das Argument der mangelnden Außenrechtswidrigkeit bei § 357 dStGB nicht überzeugend. Insbesondere kann das formale Argument der unterschiedlichen Strafrahmen der § 357 dStGB und § 41 dWStG eine derartige These nicht stützen. Noch mehr mag es verwundern, dass Hoyer eine Garantenstellung in privatwirtschaftlichen Unternehmen bejahen möchte. Was die von anderen Autoren diskutierten Anknüpfungspunkte für eine Garantenstellung von Amtsträgern betrifft, so ist Folgendes festzustellen: Es ist fraglich, ob eine Garantenpflicht für das Verhindern von strafbaren Handlungen allein aus den Anordnungs- und Weisungsbefugnissen des Amtsträgers hergeleitet werden kann. Denn diese mögen ihm in vielen Fällen die Möglichkeit verschaffen, gegen rechtswidriges und strafbares Verhalten seiner Untergebenen einzuschreiten, aber in diesem bloßen „Können“ liegt nicht zugleich der (materielle) Grund für eine Eingriffspflicht. Es muss vielmehr ein (materieller) Grund dafür gefunden werden, warum ein Amtsträger verpflichtet sein soll, seine Anordnungs- und Weisungsbefugnisse auch zur Verhinderung von Straftaten einzusetzen. Die Ansätze, die den Grund für eine Garantenstellung in der Pflicht zur Orientierung am Gemeinwohl oder einer allgemeinen (Rechtstreue-)Pflicht von Amtsträgern sehen, scheinen insoweit zunächst tragfähiger. Denn in der Tat sind Amtsträger bei der Ausübung ihrer Anordnungs- und Weisungsbefugnisse verpflichtet, sich am Gemeinwohl zu orientieren; für die Rechtmäßigkeit ihrer Anordnungen und Weisungen tragen sie die persönliche Verantwortung. Dies ist im Beamtenrecht ausdrücklich festgelegt.375 Es geht daher letztlich darum, dass Amtsträger die ihnen institutionell zuge374

BGHSt 48, 83–85. § 35 Abs. 1 Satz 2 BRRG und § 52 Abs. 1 Satz 2 BBG haben denselben Wortlaut: „[Der Beamte] hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen.“ § 38 Abs. 1 BRRG und § 56 Abs. 1 BBG haben ebenfalls denselben Wortlaut: „Der Beamte trägt für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.“ 375

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wiesenen Anordnungs- und Weisungsbefugnisse über Untergebene im Sinne des Gemeinwohls einsetzen. Fraglich ist allerdings, ob diese institutionelle Pflicht notwendigerweise einschließt, dass auch Straftaten von Untergebenen verhindert werden müssen. Denn zum einen gibt es in den Polizeiund Ordnungsbehörden Amtsträger, die speziell mit der Aufgabe der Verbrechensbekämpfung und -verhinderung betraut sind. Zum anderen dürfte auch nicht jegliche Straftat eines Untergebenen sogleich das Gemeinwohl beeinträchtigen oder den Rechtsstaat in Frage stellen. Denkbar erscheint es allerdings, in Extremfällen, d.h. wenn untergebene Amtsträger großangelegte oder besonders schwere Straftaten planen, eine Eingriffspflicht von Amtsträgern anzunehmen, weil und soweit derartige Straftaten das Wohl der Allgemeinheit betreffen. Festzuhalten ist, dass eine Haftung des Amtsträgers innerhalb der Behörde für strafbares Verhalten von Untergebenen zwar umstritten, jedoch von der wohl überwiegenden Meinung auch über die Grundsätze des ungeschriebenen, unechten Unterlassens für möglich gehalten wird. Für die vorliegende Arbeit ist weiter von Interesse, ob und welche haftungseinschränkenden Merkmale diskutiert werden. b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeitsbereich und dienstliche Handlung Soweit eine Garantenstellung von Amtsträgern innerhalb der Behördenhierarchie in Betracht gezogen wird, so soll diese nicht uneingeschränkt bestehen. Es soll auf die Art der Dienstpflicht ankommen und auf den jeweiligen Zuständigkeits- und Aufgabenbereich des Amtsträgers. Denn nur soweit bestünden überhaupt Handlungsmöglichkeiten.376 Allerdings sind die diesbezüglichen Erläuterungen sehr spärlich. Im Bereich des Umwelt(straf)rechts, in dem die Diskussion um eine Garantenhaftung von Amtsträgern weiter fortgeschritten ist, soll ein Amtsträger nur haften, soweit er verwaltungsrechtlich die Möglichkeit hat, Einfluß zu nehmen. Beispielsweise soll ein Amtsträger haften, wenn er gegen ungenehmigte Umweltbeeinträchtigungen nicht einschreitet, indem er einen fehlerhaften Verwaltungsakt nicht zurücknimmt oder widerruft.377 Schünemann erklärt, dass nur die zuständigen Amtsträger haften, in „deren Geschäftsbereich der Erlaß der Maßnahme fällt.“378 Was den speziellen Fall einer Garantenstellung von Amtsträgern innerhalb der Behördenhierarchie betrifft, 376

Rogall, Die Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 231; Rudolphi, in: Festschrift Lacker, S. 867, Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 31. 377 Vgl. bspw. Gürbüz, S. 93 ff. 378 Schünemann, wistra 1986, 245.

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so soll Rogall zufolge auch dort die Haftung auf den Zuständigkeitsbereich des Amtsträgers beschränkt sein,379 bzw. Rudolphi zufolge auf den Bereich, in den sich „die Aufsichtspflicht und Befehlsgewalt des Garanten erstreckt“.380 Auch allgemein im Hinblick auf eine Garantenstellung von Polizei- oder Ordnungsbeamten gilt, dass diese nur in den Grenzen ihres örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereichs und zur Dienstzeit eine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Dritter haben.381 Allein bei besonders schweren Delikten wird diskutiert, ob auch eine Garantenpflicht bei außerdienstlicher Kenntniserlangung besteht.382 Eine weitere Einschränkung der Haftung des Amtsträgers über die Voraussetzung einer Amtsbezogenheit der Straftaten, die beispielsweise bei § 357 dStGB relevant ist und möglicherweise auch in Art. 28 b) ii) IStGHStatut eine Rolle spielt,383 wird vereinzelt angesprochen. Köhler zufolge soll der Amtsträger beispielsweise nur bei „typischen Konstellationen organisationsbedingter Anfälligkeit“ haften.384 Es müsse ein „abstrakt-gefährlicher Handlungszusammenhang“ bestehen, aus dem sich eine Aufsichtsund Hinderungspflicht des Staates gründet, die „in abgeleiteter Weise den Vorgesetzten trifft.“385 Die Voraussetzung einer Amtsbezogenheit dürfte daher auch als objektive Haftungseinschränkung Gültigkeit haben, soweit es um eine Haftung aufgrund ungeschriebenen, unechten Unterlassens geht. 3. Unternehmensleiter als Garanten Was die Gruppe der Unternehmensleiter betrifft, so erkennen alle drei Rechtsordnungen Garantenstellungen in Unternehmen und Betrieb an.386 In379

Rogall, Die Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 231, 232. Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35. 381 Dtld.: BGHSt 38, 391 (Garantenstellung Polizeibeamter), bei außerdienstlicher Kenntniserlangung nur ausnahmsweise Garantenpflicht, vgl. näher bei Kühl, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 14; Kühl, Strafrecht, § 18, Rn. 118, S. 566, Wessels/Beulke, Rn. 721, S. 280; BGH wistra 1986, 256 (Leiter des Ordnungsamt Garant für Gefahren in Zshg mit Bordellbetrieb); Österreich: Kienapfel/Höpfel, Z 30 Rn. 11, S. 192; Bertel, in: Wiener Kommentar, 2. Aufl., § 302 Rn. 42. Schweiz: BGE 118 IV 309 (keine Garantenpflicht aus Anzeigepflicht); Trechsel, S. 251. 382 BGH 38, 391; Fischer, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 17; Wessels/Beulke, Rn. 721, S. 280 m. w. N. 383 Vgl. B. II. 2. und III. 2. 384 Köhler, S. 225. 385 Köhler, S. 222. 386 Dtld.: Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 119; Wessels/Beulke, Rn. 723, S. 282; Österreich: Fuchs, S. 329; Schweiz: Seelmann, in: Basler Kommentar, Art. 1 Rn. 83. 380

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wieweit es eine Garantenstellung von Unternehmensleitern im Hinblick auf das strafbare Verhalten von Angestellten gibt, ist jedoch noch stark umstritten. Erkennbar ist jedenfalls ein großes Bedürfnis, strafrechtlich relevante Rechtsverletzungen, die das Ergebnis oft komplexer Vorgänge in Unternehmen und Betrieben und schwer zurechenbar sind, strafrechtlich zu ahnden. Eine Lösung stellt die Unternehmens- bzw. Verbandshaftung dar. Es wird das Unternehmen für Rechtsverletzungen haftbar gemacht und nicht die Unternehmensleiter als natürliche Personen. Mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist die Unternehmens- oder Verbandshaftung daher nicht vergleichbar. Da in Deutschland, anders als in der Schweiz387 und in Österreich,388 bisher keine Unternehmens- bzw. Verbandshaftung eingeführt wurde und daher nicht der „Ausweg“ besteht, das Unternehmen strafrechtlich haften zu lassen, wird dort seit einiger Zeit im Hinblick auf das Wirtschaftsstrafrecht verstärkt diskutiert, unter welchen Umständen Unternehmensleiter eine Garantenstellung zur Verhinderung von Straftaten haben. a) „Geschäftsherrenhaftung“ in der Schweiz aa) Das Bührle-Urteil In der Schweiz ist seit dem „Bührle“-Urteil des schweizerischen Bundesstrafgerichts aus dem Jahr 1970 eine strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung anerkannt. Im Fall Bührle ging es um verbotene Lieferungen von Kriegsmaterial u. a. nach Südafrika in den 1960er Jahren. Bührle wurde vorgeworfen, als oberster Leiter der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) nicht gegen die Belieferung Südafrikas eingeschritten zu sein, die entgegen einem Kriegsmaterial- bzw. Embargobeschluss des Bundesrates erfolgte.389 Das Bundesstrafgericht ließ es im Bührle-Urteil dahingestellt, ob sich die Pflicht zum Handeln bereits aus dem Kriegsmaterialbeschluss als einer Rechtsnorm ergebe. Es leitete die Pflicht aus der Stellung und der „beherrschenden Rolle“ ab, die Bührle im Betrieb innegehabt habe. Bührle war einziger Komplementär der Kommanditgesellschaft und einziger Verwaltungsrat der späteren Aktiengesellschaft und „tatsächlich der oberste Leiter der WO und der nach außen in Erscheinung tretende Inhaber der Firma“.390 Art. 100quater/quinquies schweizStGB, vgl. Fn. 28, S. 96. Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG), vgl. Fn. 29, S. 96; nach § 3 Abs. 4 VbVG schließen sich die Verbandsverantwortlichkeit und die Strafbarkeit von Entscheidungsträgern oder Mitarbeitern wegen derselben Tat allerdings nicht aus; vgl. dazu Skribe, Abschnitt 2.6.4. 389 BGE 96 IV 155, 174. 390 BGE 96 IV 155, 175. 387 388

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Das Bundesstrafgericht sah es als erwiesen an, dass Bührle von den Lieferungen nach Südafrika erfahren hatte und dennoch untätig geblieben war. Sein Verhalten könne nur so ausgelegt werden, dass er mit der weiteren Lieferung nicht bloß rechnete, sondern damit auch einverstanden war.391 Bührle wurde aufgrund von dolus eventualis verurteilt, jedoch nur für Lieferungen, von denen er nachweislich Kenntnis gehabt hatte. Mit diesem Urteil wurde die sogenannte „Geschäftsherrenhaftung“ in der Schweiz begründet,392 die sich als eigenständige besondere Fallgruppe der Unterlassenshaftung im schweizerischen Strafrecht etabliert hat. Als weitere wichtige Urteile folgten das Von Roll-Urteil aus dem Jahr 1996, in dem es auch um den Export von Kriegsmaterial ging,393 und ein Urteil aus dem Jahr 1979,394 in dem es um die Verantwortlichkeit von Verwaltungsratsmitgliedern für die Lagerung von Porno-Material ging.395 Mit der Einführung der Unternehmenshaftung in der Schweiz hat die Geschäftsherrenhaftung ihre Bedeutung nicht verloren. Sie kann vor allem in Kleinunternehmen und in überschaubaren Betrieben Anwendung finden, in denen die Voraussetzungen der Unternehmenshaftung nicht gegeben sind. Die Geschäftsherrenhaftung wird jedoch derzeit, soweit ersichtlich, nicht ausgiebig diskutiert.396 bb) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeitsbereich – Betrieblicher Bezug Die Lehre in der Schweiz begründet die Garantenstellung des Geschäftsherrn mit der „Pflicht zur Kontrolle einer Gefahrenquelle kraft Autoritätsstellung und Befehlsmacht“.397 Als besonderes haftungseinschränkendes Kriterium gilt auch im Rahmen der schweizerischen Geschäftsherrenhaftung, dass der Geschäftsherr nur haftet, wenn es sich um Straftaten handelt, die Tätigkeiten in seinem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich betreffen.398 391

BGE 96 IV 155, 175. Zu früheren Urteilen, die sich bereits ähnlich wie im Fall Bührle mit dem unechten Unterlassen befassten, Wiprächtiger, AJP 2002, 755. 393 BGE 122 IV, 103. 394 BGE 105 IV, 172. 395 Vgl. zu weiteren Urteilen, die aber nur allgemein auf eine Unterlassenshaftung im Unternehmen eingehen, Wiprächtiger, AJP 2002, 755 ff. 396 Heine, ZStrR 2003, 32. In Kleinunternehmen werde die Voraussetzung des Art. 100quater Abs. 1 schweizStGB, dass „wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens“ die Straftat keiner bestimmten natürlichen Person zugeschrieben werden kann, seltener zutreffen. Vgl. auch Cassani, in: La Responsabilité Pénale du Fait d’Autrui, S. 69: „pater familias“. 397 Stratenwerth, S. 433; Trechsel, S. 265 f. 392

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Das Bundesstrafgericht führt in einem Entscheid zur Unterlassenshaftung wegen Untreue beispielsweise aus, dass jeder, der „in seiner Arbeitgeberfirma eine verantwortliche Position innehat“, „nur in seinem Zuständigkeitsbereich eine Garantenstellung für das Vermögen seiner Arbeitgeberfirma“ besitzt. Nur in diesem Bereich müsse er gegen Machenschaften von ihm Unterstellten, die sich gegen dieses Vermögen richten, einschreiten.399 Später konkretisierte das Gericht, dass eine Handlungspflicht nur innerhalb der sachlichen und zeitlichen Grenzen der jeweiligen Aufgaben und der Kompetenz bestehe.400 Was objektive haftungseinschränkende Kriterien der Geschäftsherrenhaftung im schweizerischen Recht betrifft, so erscheint zudem ein spezifischer betrieblicher Bezug der Straftaten zum Unternehmen Voraussetzung zu sein. Dieser Bezug kann über die hergestellten Produkte (z. B. Waffenfabrik401) oder verwendeten Substanzen (z. B. Gift) bestehen, aber auch mit dem Betrieb und Betriebseigentum als solchem zusammenhängen (z. B. Seilbahnen).402 Im Von Roll-Urteil des Bundesstrafgerichts wurde schließlich eine allgemeine Pflicht im Unternehmen angenommen, organisatorische Sicherheitsvorkehrungen zur Verhinderung von betriebstypischen Straftaten zu treffen.403 Dies wird als Perspektivenwechsel von einer Herrschaft über Gefahrenquellen bzw. Personen zu einer Herrschaft über die Organisation als solche eingeschätzt.404 Darüber hinaus ist es möglicherweise erforderlich, dass die strafbaren Handlungen „im Interesse des Geschäftsherrn“ begangen werden. Schubarth will dies im Fall Bührle aus dem Entscheid indirekt herauslesen.405 Obwohl die Lieferungen von Kriegsmaterial ohne Zweifel gewinnträchtig waren, macht das Bundesstrafgericht jedoch eine Unternehmensnützlichkeit nicht zur Voraussetzung der Strafbarkeit Bührles. Vielmehr erwähnt es lediglich, 398

Stratenwerth, S. 433. BGE 113 IV 68. (E II/7). 400 BGE 120 IV, 300, 310 (E 3 d bb) (im Zusammenhang mit Gewässerschutzgesetz). 401 BGE 96 IV, 155. 402 Vgl. Nachweise bei Schmid, ZStrR 1988, 165 (Giftverordnung und Verordnung über den Bau und den Betrieb von Seilbahnen), dazu auch Entscheide des Bundesgerichts. 403 BGE 122 IV 103, 128 f.: Ein Unternehmen, das in der Stahlproduktion tätig ist und Bestandteile für Kriegsmaterial herstellt, ist verpflichtet, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die nach Möglichkeit von vornherein Widerhandlungen gegen das KMG im Betrieb ausschließen (E. VI/2 a/bb). 404 Cassani, in: La responsabilité pénale du fait d’autrui, S. 68 f.; Heine, ZStrR 2003, 29 Fn. 17. 405 Schubarth, ZStrR 1976, 379: vermutetes Interesse des Geschäftsherrn an der Deliktsbegehung ist eigentlicher Anlass für die Begründung der Strafbarkeit. 399

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dass Bührle in der Hauptverhandlung erklärt habe, er sei „nicht unglücklich“ über die weitere Belieferung Südafrikas gewesen, weil er das Embargo als Gefährdung dieser Geschäftsmöglichkeit angesehen habe.406 Das Bundesstrafgericht begründete damit aber allein das Vorliegen von dolus eventualis. Die besonderen Vorschriften der Geschäftsherrenhaftung, Art. 100 Abs. 2 SVG und Art. 179sexies schweizStGB, enthalten die Voraussetzung, dass die Straftaten im Interesse des Geschäftsherrn gelegen haben, allerdings ausdrücklich. b) Haftung des Unternehmensleiters in Deutschland In Deutschland gibt es seit einiger Zeit eine rege Diskussion darüber, inwieweit der Unternehmensleiter eine Garantenstellung zur Verhinderung von Straftaten seiner Angestellten oder Mitarbeiter hat.407 Ansätze für eine „Geschäftsherrenhaftung“ gibt es bereits in der Rechtsprechung des Reichgerichts,408 das eine Garantenstellung des Betriebsinhabers, zumeist gestützt auf § 151 GewO a. F. als einer Vorgängervorschrift von §§ 30, 130 OWiG, anerkannte.409 Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsprechung teilweise weitergeführt.410 Einen Fall Bührle, mit dem eine Geschäftsherrenhaftung in Deutschland begründet worden wäre, gibt es jedoch bisher nicht.411 Der „Fahrrad-Fall“ des Reichsgerichts kommt dem Fall Bührle aber sehr nah. Es ging ebenfalls um die verbotene Ausfuhr von Waren – weniger spektakulär als im Fall Bührle nur um Fahrräder der Marke Fidelitas – und um eine Unterlassenshaftung des Geschäftsführers.412 Das Reichsgericht führte aus, dass sich eine rechtliche Verpflichtung aus der „rechtlichen und tatsächlichen Stellung im Betrieb“413 ergeben könne. Sodann schränkte es aber ein, dass es eine „allgemeine, unter allen Umständen vorliegende Verpflichtung“ zu „unausgesetzter Beaufsichtigung und 406

BGE 96 IV, 176. Einen wichtigen Impuls setzte Schünemann mit seiner Monographie „Unternehmenskriminalität und Strafrecht“, 1979, insbesondere S. 95 ff. 408 RGSt 58, 130 (Fahrradfall – kein Verstoß gg. § 151 GewO a. F., Garantenstellung aus „Stellung im Betrieb“) und RGSt 72, 26 (§ 151 GewO a. F.). Vgl. Walter, S. 2 ff. 409 Vgl. Stein, S. 32 ff., 34. 410 Vgl. bspw. BGHSt 5, 187, 190, wonach der Gruppenvorsteher eines Walzprogramms Diebstähle von Eisen verhindern muss. 411 Vgl. zu einigen anderen Fällen des BGH Stein, S. 34 ff. 412 RGSt 58, 130, Verstoß gegen §§ 1, 7 Außenhandelskontrollverordnung. 413 RGSt 58, 130, 132, 133. 407

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Überwachung“ nicht gebe. Insbesondere könne eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsleiters für strafbare Handlungen seiner Untergebenen aus dem Vorgesetztenverhältnis allein nicht entnommen werden.414 aa) Allgemeines Die heute wohl überwiegende Meinung hält eine Garantenstellung des Geschäftsherrn für die Verhinderung von Straftaten, die einen spezifischen Bezug zum Betrieb haben, zumindest in engen Grenzen für möglich.415 Im Einzelnen ist die Frage einer Garantenstellung des Geschäftsherrn aber nach wie vor äußerst umstritten. Ganz grob gesprochen lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Als erste Fallgruppe lassen sich Begründungsansätze zusammenfassen, die (wie auch im Hinblick auf Amtsträger vertreten416) maßgeblich auf die rechtliche Autorität und Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn gegenüber Arbeitnehmern abstellen. Da der Arbeitgeber über ein Direktionsrecht verfüge, das ihn zu arbeits- und organisationsbezogenen Weisungen berechtige, und der Arbeitnehmer insoweit Erfüllung schulde und in seiner Freiheit beschränkt sei, bestehe ein Autoritäts- und Befehlsverhältnis, aus dem sich Pflichten zur Abwendung von strafbaren oder schädlichen Handlungen ergäben.417 414

RGSt 58, 130, 132. Bottke, S. 25 ff.; Göhler, in: Festschrift für Dreher, S. 620 f.; Hellmann/Beckemper, S. 316 ff., Rn. 880–883; Hoyer, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 200, 201; Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, S. 31 f.; Jakobs, Kap. 29 Rn. 32, 36: „im Rahmen des Betriebs“, Krekeler/Werner, S. 7 f., Rn. 17; Kühl, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 14; Kühl, Strafrecht, S. 565; Rogall, ZStW 1986, 616 ff.; Roxin, Strafrecht. AT, Bd. II, § 32 Rn. 137; Schall, in: Festschrift für Rudolphi, S. 272 ff.; Schmid: in: Handbuch des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts, § 30 Rn. 72; Schünemann, ZStW 1984, 318; Stratenwerth/Kuhlen, § 13 Rn. 48; Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 52; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 4 Rn. 185, S. 94; Tröndle/Fischer, § 13 Rn. 12 a; Wohlers, in: Nomos Kommentar, § 13 Rn. 53; ablehnend: Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 45 (aus freiwilliger Übernahme, allerdings auch, „wenn sich aus der Eigenart des Betriebes selbst Gefahren für die Allgemeinheit mit besonderen Überwachungspflichten des Leiters ergeben“); Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 116 ff.; Hsü, S. 241 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 9 Rn. 93 Fn. 76; einschränkend: Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35 a; kritisch auch Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 56: „spezielle Gefährdung aus der Natur des Betriebs“. 416 Vgl. II. 2. 417 Bottke, 1994, S. 25 ff.; Göhler, in: Festschrift für Dreher, S. 620 f.; Rogall, ZStW 1986, 573, 616 f.; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 101 ff.: „Befehlsgewalt“, „Herrschaftswissen“ und „faktische Durchsetzbarkeit“; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 328 ff.: „Herrschaftswissen“ und „partielle 415

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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Eine zweite Gruppe will dagegen die Garantenstellung aus dem Gesichtspunkt der Überwachung einer betrieblichen Gefahrenquelle herleiten. Dabei werden überwiegend nicht die Personen selbst als Gefahrenquellen eingestuft,418 sondern es geht vor allem um sächliche Gefahrenquellen des Betriebes. Eine Haftung des Unternehmensleiters könne angenommen werden, wenn das Handeln der untergebenen Mitarbeiter oder Angestellten im Zusammenhang mit den sächlichen Gefahren eines Unternehmens steht.419 Daneben gibt es aber auch eine starke Gegenmeinung, die eine Garantenstellung des Unternehmensleiters im Betrieb ablehnt, soweit es um das eigenverantwortliche Handeln von Untergebenen geht.420 Einerseits wird dies damit begründet, dass arbeitsrechtliche Weisungsbefugnisse nicht mit denjenigen des Beamtenrechts vergleichbar seien. Garantenstellungen für das Verhalten von Dritten gebe es nur in wenigen besonderen Konstellationen von Weisungsverhältnissen.421 Eine „partielle Unmündigkeit“ der Arbeitnehmer im Betrieb, wie sie insbesondere Schünemann postuliert,422 wird von vielen abgelehnt.423 Insbesondere wird auch kritisiert, dass sich aus einer Machtposition des Vorgesetzten noch allein keine Pflicht zum Einschreiten ableiten lasse.424 Das Fehlen einer § 357 dStGB entsprechenden Vorschrift bei UnternehUnmündigkeit“; Schünemann, ZStW 1984, 310; Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 51 ff.; Thiemann, S. 17 ff. 418 Gefahr durch personelle Ressourcen aber befürwortend Schall, in: Festschrift für Rudolphi, S. 272, 275 f. 419 Brammsen, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 113 ff., 124: „sächliche Überwachungsgaranten“; Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 120 f.; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 45; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35 a; daneben auch auf Aufsichtspflicht abstellend: Köhler, S. 223 f.; Schall, in: Festschrift für Rudolphi, S. 274 ff.; Schmid, in: Handbuch des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts, § 30 Rn. 73, S. 727; auch Schünemann hält es neben der Herleitung über die Befehlsgewalt für möglich, eine Garantenstellung des Geschäftsherrn aus der „Oberherrschaft über gefährliche Sache und Verrichtungen“ herzuleiten; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 97 f.; Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 56. 420 Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 116 ff.; Hsü, S. 241 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 9 Rn. 93 Fn. 76; einschränkend: Jakobs, Kap. 29 Rn. 32, 36, Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35 a. 421 Otto/Brammsen, JURA 1985, 599; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 32 ff.; Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 52. 422 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 101 ff. 423 Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 116 f.; Hsü, S. 251. 424 Hilgers, S. 118, 119; Hsü, S. 242; Otto/Brammsen, JURA 1985, 601; vgl. auch Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 56.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

mensleitern – § 130 OWiG sei ja keine strafrechtliche Vorschrift – zeige gerade, dass es keine vergleichbare Unterlassenshaftung von Unternehmensleitern geben soll.425 Zu diesem Meinungsstreit ist zunächst anzumerken, dass im Einzelnen ist noch vieles umstritten ist und hier allein die groben Argumentationslinien wiedergegeben werden. Soweit eine Garantenpflicht für das Verhindern von strafbaren Handlungen von Betriebsangehörigen über die besonderen Machtbefugnisse eines Vorgesetzten im Betrieb hergeleitet wird, so trägt die Kritik der Gegenmeinung, dass aus einer Machtposition allein noch keine Rechtspflicht zum Handeln entstehen kann. Wie bereits in Bezug auf die Gruppe der Amtsträger ausgeführt, muss ein (materieller) Grund dafür gefunden werden, warum ein Vorgesetzter verpflichtet sein soll, seine Machtposition auch zur Verhinderung von Straftaten einzusetzen. Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen, dass der Grund für eine Garantenstellung des Unternehmensleiters in der Herrschaft über sächliche Gefahrenquellen liegen kann, wobei unter sächlichen Gefahrenquellen vor allem gefährliche Sachen wie Waffen, Gift oder Betriebsanlagen verstanden werden. Soweit das Handeln von Unternehmensangehörigen in Zusammenhang mit den sächlichen Gefahren eines Unternehmens steht, erscheint es auch schlüssig, vermittelt über eine Überwachungspflicht auch eine Pflicht zur Verhinderung solcher Straftaten anzunehmen. Dieser richtige und tragbare Begründungsansatz greift aber zu kurz. Denn es ist durchaus denkbar, dass Straftaten von Untergebenen zwar nicht mit den gefährlichen Sachen eines Betriebes zu tun haben, aber dennoch bei Verrichtung einer betrieblichen Tätigkeit oder unter Ausnutzung von Betriebsabläufen begangen werden. Es ist nicht ersichtlich, warum diese Fälle anders behandelt werden sollten.426 Dies spricht dafür, den Ansatz auf „Betriebsgefahren“ im Allgemeinen auszuweiten. Andererseits birgt die Bezugnahme auf eine „allgemeine Betriebsgefahr“ das Risiko, dass diese zur Leerformel wird oder zu einer viel zu weiten Haftung führt. Denn letztlich tragen nahezu alle Unternehmen allgemeine Gefahren in sich, insbesondere wenn sie in Kontakt mit Kunden oder der Außenwelt treten. Es muss sich daher um „spezifische“ Betriebsgefahren handeln. 425 Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 45; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35 a. 426 Weigend weist bspw. darauf hin, dass eine gesteigerte Gefährlichkeit eines Betriebes auch dann anzunehmen sei, wenn es „der regelmäßige Geschäftsablauf“ mit sich bringe, dass Betriebsangehörige wie z. B. Versicherungsvertreter Privatwohnungen aufsuchten, Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 56 Fn. 188.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die schwierige Frage nach dem (materiellen) Grund der Haftung des Unternehmensleiters für Straftaten seiner Untergebenen noch nicht befriedigend geklärt ist, eine Haftung aber heute zunehmend bejaht wird. Die Herleitung über die Beherrschung von Betriebsgefahren stellt dabei die tragfähigste Begründung dar, bedarf aber weiterer Konkretisierung und Einschränkung. Im folgenden Abschnitt werden haftungseinschränkenden Merkmale diskutiert. bb) Objektive Haftungseinschränkung: Betriebsbezogenheit und Geschäftsbereich Ganz überwiegend wird vertreten, dass es eine strafrechtliche Haftung von Unternehmensleitern nur dann gibt, wenn ein „spezifischer“ Bezug zwischen Straftaten und Betrieb besteht.427 Es werden dabei ganz verschiedene Ansätze vertreten, einen derartigen Bezug zum Betrieb zu bestimmen. Zum einen kann ein Bezug zum Betrieb über sächliche Gefahren des Betriebes hergeleitet werden. Dies kann die im Betrieb produzierten Sachen betreffen, wenn beispielsweise mangelhafte Arzneimittel oder fehlerhafte Kraftfahrzeuge ausgeliefert werden.428 Hier geht es im Kern um die Produkthaftung. Ein Bezug zum Betrieb soll des Weiteren auch bestehen, wenn mit Hilfe des Betriebseigentums oder mit Hilfe der im Betrieb hergestellten Produkte Straftaten begangen werden.429 Es geht dabei um eine Ausnutzung oder den (unbefugten) Gebrauch von Betriebseigentum oder der hergestellten Produkte. Ein Geschäftsherr habe die Pflicht, den betriebswidrigen Gebrauch von Betriebseigentum zur Begehung von Straftaten zu verhindern.430 Ein Betriebsbezug kann auch darin liegen, dass Maschinen, gefährliche Anlagen oder der Produktionsort selbst nicht ausreichend gesichert wurden.431 427 Bottke, S. 68 f.; Brammsen, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 128 f.; Göhler, in: Festschrift für Dreher, S. 620 f.; Rogall, ZStW 1986, 604 f.; Roxin, Strafrecht. AT, Bd. II, § 32 Rn. 139; Schall, in: Festschrift für Rudolphi, S. 268, 278 ff.; Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 52; Thiemann, S. 20 f.; Walter meint, dass sich das Merkmal der „Betriebsbezogenheit“ aus der Begründung der Garantenpflicht ergebe; Walter, S. 155. 428 Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 45, Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35 a; Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rn. 56; Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 Rn. 34. 429 Brammsen, in: Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse, S. 128; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 277; Auch Jescheck und Rudolphi nennen die Lieferung von Waffen an Terroristen, Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 45, Rudolphi, in: Systematischer Kommentar, § 13 Rn. 35 a. 430 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 109.

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

Es wird auch vertreten, dass Straftaten betriebsbezogen sind, wenn sie bei „Verrichtung“ der betrieblichen Tätigkeit begangen wurden.432 Hier werden Anleihen bei der zivilrechtlichen Geschäftsherrenhaftung genommen, die ebenfalls voraussetzt, dass das deliktische Verhalten „bei Verrichtung der Arbeit“ und nicht nur „bei Gelegenheit“ begangen wird.433 Der Geschäftsherr sei jedenfalls nicht für Straftaten wie Diebstähle, Körperverletzungen, Beleidigungen usw. verantwortlich, die in keinem spezifischen Zusammenhang zur Tätigkeit im Betrieb stehen.434 Denn es sei nicht Aufgabe des Geschäftsherrn, „die allgemeine Lebensführung des Untergebenen zu überwachen und dafür zu sorgen, dass dieser im Bereich der privaten Lebensführung keine Straftaten begeht“.435 Eine Reihe von Autoren spricht in diesem Zusammenhang von „Exzeßtaten“ der Angestellten, für die der Geschäftsherr nicht haften soll.436 Nach anderer Auffassung soll eine „Betriebsbezogenheit“ nur dann gegeben sein, wenn der Betriebsangehörige seine betriebliche Stellung und den Betrieb zu einer Straftat „missbraucht“.437 Das ist ein wenig missverständlich formuliert: Gemeint ist, dass ein Unternehmensleiter nur dann zum Einschreiten verpflichtet ist, wenn Betriebsangehörige Straftaten „unter Ausnutzung der tatsächlichen und rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten im Betrieb“ begehen.438 Teilweise wird schließlich vorausgesetzt, dass eine Haftung des Geschäftsherrn nur in Betracht komme, wenn die Straftat im Rahmen des Unternehmenszwecks lag439 oder wenn sie für das Unternehmen nützlich war.440 431

Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 13 Rn. 35; Popp, recht 2003,

27. 432 OLG Karlsruhe, GA 1971, 283; Landscheidt, S. 115 f.; Stree, in: Schönke/ Schröder, § 13 Rn. 52. 433 So ist es Merkmal der zivilrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, dass das deliktische Verhalten „bei Verrichtung der Tätigkeit für den Geschäftsherrn“ und nicht nur „bei Gelegenheit“ begangen wird. Vgl. § 831 dBGB „in Ausführung der Verrichtung“. Art. 55 schweiz OR: „in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen, in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen.“ Kritisch: Schall, in: Festschrift für Rudolphi, S. 279. 434 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 277; Seelmann, in: Alternativkommentar zu StGB, Bd. 1,§ 13 Rn. 131, Rogall, ZStW 1986, 618. 435 Rogall, ZStW 1986, 618. 436 Bottke, S. 68 f.; Köhler, S. 223, 225: auch im Rahmen von § 357 dStGB nicht, Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 105, 109. 437 Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 52. 438 Schall, in: Festschrift für Rudolphi, S. 282 f.; vgl. auch Hellmann/Beckkemper, S. 317; Wohlers, in: Nomos Kommentar, § 13 Rn. 53. 439 Köhler, S. 223.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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Es gibt folglich verschiedene Ansätze zur Konkretisierung des haftungseinschänkenden Merkmals der Betriebsbezogenheit. Während die Beschränkung auf unternehmensnützliche Straftaten zu eng erscheint, sind die Herleitungen über gefährliche Produkte, gefahrgeneigte Tätigkeiten, aber auch über die Nutzung von Betriebseigentum und die Ausnutzung von Betriebsabläufen zur Begehung von Straftaten tragfähig und überzeugend. In allen Fällen muss aber sichergestellt sein, dass der Bezug zum Betrieb nicht zu lose ist. So ist nicht automatisch ein ausreichender Betriebsbezug gegeben, wenn gefährliche Produkte des Betriebes bei der Begehung der Straftat im Spiel waren. Es ist beispielsweise denkbar, dass Betriebsmitarbeiter zwar in ihrem Betrieb hergestellte gefährliche Produkte wie Waffen oder Gift entwendet und zum Tatort mitgebracht haben, diese jedoch bei der Begehung der Straftaten nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Wie bereits erwähnt, könnte das Kriterium der Betriebsbezogenheit der Straftaten auch im Rahmen von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut fruchtbar gemacht werden. Dies würde bedeuten, dass ein Vorgesetzter in einem Unternehmen nur für Straftaten seiner Untergebenen haftet, die einen spezifischen Bezug zum Unternehmen haben. Bei der Bestimmung der Betriebsbezogenheit könnten die erwähnten Kriterien (Begehung unter Zuhilfenahme von gefährlichen Produkten, Betriebseigentum oder mit Mitteln des Betriebes, bei Verrichtung, unter Ausnutzung der Stellung im Betrieb, usw.) herangezogen werden. Dabei ist jedoch ihre Tauglichkeit in völkerstrafrechtlichen Zusammenhängen zu überprüfen, was am Ende der Arbeit bei der Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut getan wird.441 Des Weiteren ist eine Haftung des Unternehmensleiters wohl auch nach allgemeinen Grundsätzen des unechten Unterlassens auf seinen Zuständigkeitsbereich bzw. Geschäfts- und Verantwortungsbereich beschränkt.442 Wie erwähnt, könnte auch Art. 28 b) ii) IStGH-Statut diese Voraussetzung insofern abbilden, als die Straftaten Tätigkeiten betreffen müssen, die „unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle“ fielen. In diesem Zusammenhang ist das Urteil des Bundesgerichtshofs im Lederspray-Fall erwähnenswert. In dem Fall ging es um eine Produkthaftung für gesundheitsschädigende Ledersprays, genauer gesagt um die Unterlassenshaftung der Geschäftsführer, die keine Rückrufaktion eingeleitet hatten.443 Obwohl der Bundesgerichtshof keine Garantenstellung der Ge440 Bottke, S. 69. Deshalb sei eine für den Betrieb vorgenommene Bestechung erfasst, nicht degegen ein Verhalten, das der nachvollziehbar intendierten Betriebsnützlichkeit ermangelt. 441 Vgl. Auslegung von Art. 28 Buchstabe b) ii) IStGH-Statut in 4. Teil E. II. 442 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 107 f. 443 BGHSt 37, 106.

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schäftsführer für das Verhalten untergebener Mitarbeiter diskutiert, sondern allgemein eine Garantenstellung aus vorangegangenem, pflichtwidrigen Gefährdungsverhalten (Ingerenz), nämlich dem Herstellen und Vertrieb von gefährlichen Konsumgütern herleitet, erscheint das Urteil doch im Hinblick auf die Haftungsbeschränkung interessant. Das Gericht führt aus, dass der „Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung“ ein[greift], wo – wie etwa in Krisen- und Ausnahmesituationen – aus besonderem Anlaß das Unternehmen als Ganzes betroffen ist.“444 Der Bundesgerichtshof stellt damit nicht nur klar, dass auch mehrere Geschäftsführer wegen derselben Unterlassung strafrechtlich haften können, sondern auch, dass es trotz der grundsätzlichen Beschränkung der Haftung auf Geschäfts- und Verantwortungsbereiche ressortübergreifende Zuständigkeiten gibt.445 c) Subjektive Voraussetzungen Die subjektiven Voraussetzungen sind bei der Diskussion der Amtsträgerbzw. Geschäftsherrenhaftung nicht Gegenstand besonderer Erwägungen. Es gelten die allgemeinen Regeln. Bei einem Vorsatzdelikt muss sich der Vorsatz auf alle objektiven Merkmale beziehen, auf die tatbestandsmäßige Situation, das eigene Untätigbleiben, d.h. die Nichtvornahme der gebotenen Handlung und auch die individuelle Handlungsfähigkeit sowie auf den Erfolg und die an Sicherheit grenzende Abwendbarkeit des Erfolges.446 Während früher auch die Garantenpflicht zum objektiven Tatbestand gezählt wurde, muss sich der Vorsatz nach heute herrschender Meinung nur auf die Merkmale der Garantenstellung, nicht aber auf die sich daraus ergebende Garantenpflicht beziehen.447 Bei Vorsatztaten von Untergebenen muss dem Amtsträger oder Unternehmensleiter folglich ebenfalls Vorsatz nachgewiesen werden, insbesondere auch im Hinblick auf den Erfolg der Vorsatztaten. Selbst wenn man eine Garantenstellung des Amtsträgers und Unternehmensleiters zur Verhinderung von Straftaten seiner Untergebenen grundsätzlich bejaht, wird eine Haftung oft an dem Vorsatzerfordernis scheitern. Nicht zuletzt deshalb ist in § 130 OWiG die Voraussetzung der „Zuwiderhandlung“ als objektive Bedingung der Ahndung ausgestaltet, so dass weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit nachgewiesen werden muss. 444 Vgl. BGHSt 37, 124: „Pflichtenstellung des Geschäftsführers [knüpft] im allgemeinen an den von ihm betreuten Geschäfts- und Verantwortungsbereich an.“ 445 BGHSt 37, 124. 446 Jescheck/Weigend, S. 630 f. 447 Bestandteil der Rechtswidrigkeit, BGHSt 16, 155, 158; Seiler, S. 100.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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4. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln des unechten Unterlassens Ein Vorgesetzter kann nach allgemeinen Regeln des unechten Unterlassens für Straftaten zur Verantwortung gezogen werden, die seine Untergebenen begangen haben. Bei der Haftung aufgrund unechten Unterlassens fungiert die Voraussetzung der Garantenstellung als wichtiges haftungseinschränkendes Kriterium. Nur wer Garant für das Ausbleiben des tatbestandlichen Erfolges ist, hat eine Rechtspflicht zum Einschreiten, auch gegen das strafbare Verhalten anderer Personen. Eine Garantenstellung von Amtsträgern innerhalb der Behördenhierarchie wird nur vereinzelt diskutiert, erscheint aber nicht zuletzt wegen § 357 dStGB, dem der Gedanke einer Garantenstellung zugrundeliegt, möglich. Weiter fortgeschritten ist die Diskussion im Bereich der Unternehmensleiter. Eine „Geschäftsherrenhaftung“ ist in der Schweiz als eigenständige Fallgruppe der Garantenstellung anerkannt, in Deutschland noch umstritten, wird aber heute ebenfalls zunehmend anerkannt. Noch nicht befriedigend geklärt ist die Frage, worin der (materielle) Grund für eine Garantenstellung von Amtsträgern bzw. Unternehmensleitern für das Verhindern von Straftaten ihrer Untergebenen liegt. In der Machtposition des Amtsträgers bzw. Unternehmensleiters kann jedenfalls nicht als solches der (materielle) Grund für eine derartige Pflicht gesehen werden, diese Machtposition auch zur Verhinderung von Straftaten auszuüben. Soweit bei Amtsträgern eine Gemeinwohlbindung und Rechtstreuepflicht als Anknüpfungspunkt herangezogen wird, so kann diese höchstens in besonders schweren Fällen von Straftaten mit großer Tragweite der Grund für eine Garantenstellung sein. Obwohl Unternehmensleiter von privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht wie Amtsträger an das Gemeinwohl gebunden sind, könnte dieser Gedanke jedoch in derartigen Ausnahmesituationen schwerster Straftaten auch Unternehmensleiter zu Garanten machen und sie zum Eingreifen verpflichten. Im Übrigen kann ein Grund für eine Garantenstellung zur Verhinderung strafbaren Verhaltens allein in einer besonderen Betriebsgefahr liegen. Diese kann sich an gefährlichen Sachen oder Tätigkeiten festmachen, kann aber auch in der Ausnutzung behördlicher oder betrieblicher Abläufe liegen. Stets muss ein ausreichend enger Bezug zum Betrieb bestehen. So kommt es bei einer Haftung von Amtsträgern wohl auf eine Amtsbezogenheit der Straftaten an. Was die Unternehmensleiter angeht, so wird insbesondere eine Betriebsbezogenheit der Straftaten als Voraussetzung diskutiert, wobei es verschiedene Kriterien zu deren Bestimmung gibt.

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Eine weitere Haftungseinschränkung ist insoweit erkennbar, als Amtsträger und Unternehmensleiter allein innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs bzw. Geschäfts- und Verantwortungsbereiche haften sollen. Es gibt allerdings in Ausnahmefällen auch ressortübergreifende Verpflichtungen.

E. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht Eine strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit ist im deutschen, österreichischen oder schweizerischen Strafrecht teilweise anerkannt. Von einem allgemeinen und umfassenden Rechtsgrundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit kann in keiner der untersuchten Rechtsordnungen gesprochen werden. In Deutschland hat sich dies durch Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs am 30. Juni 2002 geändert. Die Schweiz und Österreich haben noch keine Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut erlassen, obwohl sie dies für erforderlich halten, weil auch das österreichische und schweizerische Strafrecht einen allgemeinen Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit bisher nicht kennen. In der Schweiz liegen bereits Vorschläge für eine Umsetzungsvorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vor, die demnächst in Kraft treten. Was die untersuchte Frage nach der Vorgesetztenverantwortlichkeit nichtmilitärischer Vorgesetzter angeht, so ist zunächst festzustellen, dass die untersuchten Rechtsordnungen nicht einmal eine allgemeine militärstrafrechtliche Vorschrift zur Haftung des Vorgesetzten enthalten bzw. enthielten. Im österreichischen Militärstrafrecht gibt es gar keine Ansatzpunkte für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit. Der deutsche § 41 dWStG normiert lediglich ein Unterlassensdelikt der Aufsichtspflichtverletzung, das verhältnismäßig milde bestraft wird und daher auch als Umsetzungsvorschrift für Art. 28 a) IStGH-Statut allein nicht in Betracht kam. In der Schweiz war die Vorgesetztenverantwortlichkeit in einem Sondertatbestand der Plünderung enthalten bzw. nur über eine Blankettnorm herleitbar, so dass ebenfalls eine neue Vorschrift im Militärstrafrecht geplant ist. Die Haftung des nicht-militärischen Vorgesetzten hatte daher kaum innerstaatliche Bezugspunkte im militärischen Bereich, an denen sich eine Haftungsnorm für den militärischen oder auch nicht-militärischen Bereich hätte orientieren können. Die deutschen Umsetzungsvorschriften und die schweizerischen Entwürfe für Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut umfassen eine Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer wie nicht-militärischer Vorgesetz-

E. Zusammenfassung

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ter. Für die Abgrenzung des nicht-militärischen vom militärischen Vorgesetzten bieten die Vorschriften aber wenig Hilfestellung. Dass der Begriff des nicht-militärischen Vorgesetzten auch Unternehmensleiter im privatwirtschaftlichen Bereich umfasst, zeigt sich insbesondere in § 4 Abs. 2 VStGB („Unternehmen“). Des Weiteren wird deutlich, dass der Begriff „militärisch“ nicht allein nach formellen Kriterien wie der Zugehörigkeit einer Einheit zu den regulären Streitkräften eines Staates bestimmt werden kann, sondern dass materielle Kriterien zur Bestimmung des Begriffs „militärisch“ gefunden werden müssen. Es wurde folgende Definition vorgeschlagen: Als „militärisch“ ist eine Einheit einzustufen, wenn sie um der Durchführung von Kampfhandlungen willen existiert, wenn sie auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist. Im Rahmen von § 4 VStGB und dem Entwurf für Art. 264 k schweizStGB kommt es auf eine Abgrenzung nicht an, da militärische und nichtmilitärische Vorgesetzte unter denselben Voraussetzungen haften. Der Schweizer Entwurf verzichtet sogar im Wortlaut auf eine Unterscheidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten. Das Merkmal in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, dass die Straftaten Tätigkeiten betreffen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen, findet sich weder in den deutschen noch in den schweizerischen Umsetzungsvorschriften wieder. Auf eine ausdrückliche Normierung dieses Merkmals wurde wohl deshalb verzichtet, weil es bereits in dem Merkmal der „tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle“ enthalten ist, soweit man „tatsächliche Verantwortung und Kontrolle“ in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut lediglich als Herausstellung einer sachlichen bzw. fachlichen, örtlichen und zeitlichen Grenzen der Führungsgewalt und Kontrolle bei nicht-militärischen Vorgesetzten versteht. Ein Vorgesetzter muss nicht nur über die Untergebenen in personeller Hinsicht Führungsgewalt und Kontrolle ausüben. Führungsgewalt und Kontrolle muss auch sonst in fachlicher, bzw. sachlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht bestehen. Im nichtmilitärischen Bereich der öffentlichen Verwaltung oder in der privaten Wirtschaft ist der Umfang der Führungsgewalt und Kontrolle weniger stark im Hinblick auf Personen bestimmt. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte im militärischen und nicht-militärischen Bereich erfordern jedoch nach Auffassung des deutschen und schweizerischen Gesetzgebers keine besondere Herausstellung. Nach dem differenzierten Verständnis von Führungsgewalt und Kontrolle würde auch ein militärischer Vorgesetzter nur haften, wenn die Straftaten Tätigkeiten betreffen, über die der Vorgesetzter sachlich, fachlich, örtlich und zeitlich in der Truppe tatsächliche Verantwortung und Kontrolle hat. Dass ein militärischer Vorgesetzter möglicherweise einen viel umfassende-

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3. Teil, 1. Kap: Deutschland, Österreich und Schweiz

ren Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich hat als ein nicht-militärischer Vorgesetzter, der sogar der „Allzuständigkeit“ nahekommen kann, wäre insoweit ein Unterschied, der sich erst auf Rechtsanwendungsebene zeigte. Nach Schweizer Auffassung soll die Vorgesetztenverantwortlichkeit darüber hinaus auf Straftaten beschränkt sein, die einen besonderen Konnex oder spezifischen Bezug zur Organisation, Betrieb oder Behörde haben. Diese Voraussetzung kann in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut eine Rolle spielen. Weder die deutschen Umsetzungsvorschriften noch die Gesetzesmaterialien enthalten einen Hinweis auf eine derartige Voraussetzung. Sie könnte aber wie bei den schweizerischen Umsetzungsvorschriften in die Vorschriften hineingelesen werden. Was die subjektiven Voraussetzungen der Umsetzungsvorschriften angeht, so ist eine Haftung als Unterlassenstäter im Hinblick auf die von den Untergebenen begangenen Vorsatzstraftaten bei allen Vorgesetzten nur bei Vorsatz möglich. Andererseits können sich ebenfalls alle Vorgesetzten aufgrund einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung strafbar machen. Die Umsetzungsvorschriften normieren im Übrigen keine wesentlich unterschiedlichen subjektiven Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte. Eine Erhöhung der subjektiven Schwelle wie in Art. 28 b) i) IStGH-Statut wird jedenfalls für den Fall der unterlassenen Straftatverhinderung nicht für erforderlich gehalten. Im Fall der Aufsichtspflichtverletzung nach § 13 VStGB hat der deutsche Gesetzgeber dann allerdings doch eine leicht erhöhte subjektive Schwelle normiert. Konsequent wäre es wohl gewesen, auch bei § 13 VStGB nicht zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten zu differenzieren, womit sich das Problem einer begrifflichen Unterscheidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten vollständig erledigt hätte. I. Haftung von Amtsträgern als Vorgesetzte Was die Haftung von Amtsträgern unabhängig von den Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut betrifft, so ergibt sich nach der Untersuchung der drei Rechtsordnungen folgendes Bild: Das deutsche Strafrecht enthält als einzige Rechtsordnung mit § 357 dStGB eine besondere Vorschrift, die in ihrer dritten Variante („Geschehenlassen einer Straftat“) den Charakter einer Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit hat und die daher auch einen Bezugspunkt bei der Erarbeitung des Völkerstrafgesetzbuchs darstellte. Das österreichische und schweizerische Strafrecht enthalten kein derartiges Amtsdelikt. Da die untersuchten Rechtsordnungen abgesehen von § 357 dStGB keine speziellen Vorschriften zur Amtsträgerhaf-

E. Zusammenfassung

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tung enthalten, richtet sich eine Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten Untergebener im Schwerpunkt nach den allgemeinen Regeln des unechten Unterlassensdelikts. Die Haftung nach allgemeinen Regeln des unechten Unterlassens steht insbesondere unter der Voraussetzung, dass der Amtsträger Garant für die Verhinderung der Straftaten war. Eine Garantenstellung zur Verhinderung von Straftaten innerhalb der Behördenhierarchie wird in den betrachteten Rechtsordnungen kaum diskutiert. Ein Amtsträger ist jedenfalls nicht für jegliche Straftaten seiner Untergebenen verantwortlich, sondern nach allgemeiner Regel nur für solche, die seinen Zuständigkeitsbereich betreffen. Darüber hinaus ist auch eine Amtsbezogenheit der Straftaten Voraussetzung.

II. Haftung von Unternehmensleitern als Vorgesetzte Für die zweite Gruppe der nicht-militärischen Vorgesetzten, die Unternehmensleiter, gilt Ähnliches wie in Bezug auf die Amtsträger. Allerdings besteht eine Besonderheit darin, dass gesetzliche Vorschriften, die wie § 357 dStGB eine umfassende Haftung des Geschäftsherrn vorsehen, nur auf ordnungswidrigkeitenrechtlicher Ebene angesiedelt sind. Insbesondere § 130 OWiG und Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG sehen keine strafrechtliche Haftung des Geschäftsherrn vor. Im Unternehmensbereich scheint insoweit eine „Entkriminalisierung“ der Pflichtverstöße des Geschäftsherrn erkennbar. In der Schweiz wurden noch bestehende strafrechtliche Spezialregelungen nach und nach durch einen Verweis auf das Verwaltungsstrafrecht ersetzt. Auch in Deutschland wurden kürzlich mit §§ 4 Abs. 2, 15 Abs. 2 UWG spezialgesetzliche Regelungen zur strafrechtlichen Haftung des Unternehmens- bzw. Betriebsleiters abgeschafft, wodurch § 130 OWiG gestärkt wurde. Allein in Österreich besteht mit § 19 öUWG noch eine spezialgesetzliche Vorschrift zur strafrechtlichen Haftung des Geschäftsherrn. Die Haftungsvoraussetzungen des § 130 OWiG sind im Vergleich zu § 357 dStGB und auch im Vergleich zu einer Haftung nach allgemeinen Unterlassensgrundsätzen erleichtert. Dies betrifft insbesondere die subjektiven Voraussetzungen bzw. die Qualifizierung der begangenen Zuwiderhandlungen im Betrieb als objektive Bedingung der Ahndung, auf die sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit überhaupt nicht beziehen müssen. Diese Erleichterungen des § 130 OWiG haben aber auf die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung keine Auswirkungen. Eine strafrechtliche Haftung des Unternehmensleiters richtet sich daher wie die Amtsträgerhaftung im Schwerpunkt nach allgemeinen Regeln des

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

unechten, nicht gesetzlich normierten Unterlassensdeliktes. Obwohl nicht unbestritten, hält die überwiegende Meinung eine Haftung des Unternehmensleiters für Straftaten seiner Angestellten für möglich. In der Schweiz stellen der Bührle-Fall und der Von Roll-Fall des Bundesgerichts wichtige Wegmarken für die Anerkennung der Geschäftsherrenhaftung dar. Die Geschäftsherrenhaftung soll vor allem durch das Kriterium der Betriebsbezogenheit eingeschränkt werden, das auch bei der Auslegung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut als Ansatzpunkt herangezogen werden kann.448

Zweites Kapitel

Vorgesetztenverantwortlichkeit im französischen Strafrecht A. Das französische Strafrecht Frankreich hat das Römische Statut am 18. Juli 1998 unterzeichnet und am 9. Juni 2000 ratifiziert. Im Hinblick auf die Kriegsverbrechen nach Art. 8 IStGH-Statut fügte Frankreich eine Reihe von interpretativen Erläuterungen hinzu und machte Gebrauch von der durch Art. 124 IStGH-Statut eingeräumten Möglichkeit, die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs über Kriegsverbrechen vorübergehend nicht anzuerkennen. Ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof wurde am 26. Februar 2002 erlassen.449 Eine Umsetzung bzw. Anpassung des materiellen Strafrechts an das Römische Statut ist geplant.450 Am 26. Juli 2006 lag dem Parlament ein Entwurf für ein Umsetzungsgesetz zur ersten Lesung vor, der u. a. auch Vorschläge für Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit enthält.451 448

Vgl. 4. Teil E. II. Loi no. 2002-268, 26.2.2002 relative à la Coopération avec la Cour Pénale Internationale http://www.iccnow.org/documents/FrenchImplementingLeg.pdf (Juni 2009). Vgl. dazu Bitti, S. 91–106. Außerdem wurde ein Gesetz über Privilegien und Immunitäten erlassen: Loi no. 2003-1367, 31.12.2003 autorisant l’Approbation de l’Accord sur les Privilèges et Immunités de la Cour Pénale Internationale, http://www.senat.fr/dossierleg/pjl02438.html (Juni 2009). 450 Vgl. Information auf der Website des Außenministeriums http://www.diploma tie.gouv.fr/fr/actions-france_830/justice-internationale_1037/droit-penal-international_ 4815/cour-penale-internationale_5116/index.html (Juni 2009). 451 Projèt de Loi portant Adaptation du Droit Pénal á l’Institution de la Cour Pénale Internationale, http://www.assemblee-nationale.fr/12/projets/pl3271.asp (Juni 2009); http://www.senat.fr/dossierleg/pjl06-308.html (Juni 2009). 449

A. Das französische Strafrecht

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Frankreich wird in dieser Arbeit ein eigenes Kapitel gewidmet. Dies rechtfertigt sich aufgrund von Besonderheiten in der Unterlassensdogmatik, die sich von der deutschen, österreichischen und schweizerischen, aber auch von der Unterlassensdogmatik in postsowjetischen Strafrechtsordnungen unterscheidet. Im Zusammenhang damit steht die durch die französische Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui), die eine Art Vorgesetztenverantwortlichkeit im Betrieb darstellt und daher im Rahmen dieser Arbeit von besonderem Interesse ist. I. Völkerstrafrecht in Frankreich Die in den Art. 5 ff. IStGH-Statut niedergelegten völkerstrafrechtlichen Straftaten sind bisher teilweise im neuen französischen Strafgesetzbuch normiert.452 Unter dem Titel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Des Crimes contre l’Humanité) sind Völkermord (Art. 211-1 frzStGB) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 212-1 frzStGB) zusammengefasst. In Frankreich ist überdies anerkannt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch bereits vor Inkrafttreten dieser Vorschriften des Strafgesetzbuchs strafbar waren. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Prozesse gegen Klaus Barbie, Paul Touvier und Maurice Papon wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.453 Einen Titel Kriegsverbrechen gibt es im französischen Strafgesetzbuch nicht. Kriegsverbrechen des Art. 8 IStGH-Statut werden durch die allgemeinen Tatbestände im Strafgesetzbuch teilweise erfasst.454 Nach Art. 212-2 frzStGB ist es überdies beispielsweise strafbar, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit (im Sinne des Art. 212-1 frzStGB) in Kriegszeiten gegen Widerstandskämpfer begangen werden. Im französischen Militärstrafgesetzbuch sind ebenfalls nur einige Kriegsverbrechen wie beispielsweise der Tatbestand der Plünderung (Art. L 322-4 frzMilG) zu finden. Darüber hinaus nimmt Art. L 311-1 frzMilG Bezug auf 452 Lelieur-Fischer, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4, S. 8 ff. 453 Der Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, wurde 1987 in Lyon wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 177 Fällen angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt; der Regionalchef der Vichy-Miliz, Paul Touvier, wurde 1994 in Lyon wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt; der Generalsekretär der Präfektur Gironde, Maurice Papon, wurde 1998 in Bordeaux wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere der Deportation von Juden, zu zehn Jahren Haft verurteilt. 454 Vgl. detaillierte Analyse bei Lelieur-Fischer, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4, S. 32–39.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Gewohnheitsrecht sowie auf eine Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges und eine Verletzung internationaler Abkommen. Allerdings pönalisiert die Vorschrift nicht die Verletzung derartigen Rechts, sondern setzt dies gerade voraus. Sie gilt „unbeschadet“ der Pönalisierung von Verhalten, das Gewohnheits- humanitäres oder internationales Vertragsrecht verletzt, und verweist allein auf besondere Strafen, die die Militärgerichte verhängen können.455 II. Allgemeines zum Strafrecht in Frankreich Das geltende Strafrecht Frankreichs ist im Strafgesetzbuch von 1994456 (im Folgenden: frzStGB) niedergelegt. Dieses neue französische Strafgesetzbuch (Nouveau Code Pénal) hat das Strafgesetzbuch von 1810 ersetzt.457 Wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist im Strafgesetzbuch vor allem das Kernstrafrecht niedergelegt. Zahlreiche Nebengesetze enthalten weitere Straftatbestände. Militärstrafrecht ist im Militärjustizgesetzbuch458 (Code de justice militaire, im Folgenden: frzMilG) niedergelegt, das im Juni 2006 reformiert wurde.459 Das französische Strafrecht unterscheidet zwischen Verbrechen (crimes), Vergehen bzw. minderschweren Verbrechen (délits) und Übertretungen (contraventions). Übertretungen können durch Verordnung festgelegt werden und setzen weder Vorsatz (dol, faute intentionelle) noch Fahrlässigkeit (faute non-intentionelle, faute pénale) voraus; man spricht vom Übertretungsverschulden (faute contraventionelle).460 Eine Straftat setzt sich nach der französischen Lehre aus folgenden Elementen zusammen: einem materiellen Element (élément matériel), einem rechtlichen Element (élément légal) und einem subjektiven oder Verschul455

Art. L. 311-1 (alt Art. 383) frzMilG: „Sans préjudice de la répression pénale des faits qui constituent des crimes ou délits de droit commun, et notamment de ceux qui sont contraires aux lois et coutumes de la guerre et aux conventions internationales, sont punies conformément aux dispositions du présent livre les infractions d’ordre militaire prevues aux articles L. 311-2 à L. 311-14.“ 456 Code pénal, in Kraft getreten am 1.3.1994, Deutsche Übersetzung: Bauknecht/ Lüdicke, Das französische Strafgesetzbuch. Code pénal. Zweisprachige Ausgabe, 1999, Engl. nicht-amtliche Fassung bei Legifrance, http://www.legifrance.gouv.fr/ html/codes_traduits/code_penal_textan.htm (Juni 2009). 457 Zur Reform des Strafgesetzbuchs, Desportes/Le Gunehec, S. 42 ff. 458 Loi no. 82-621, 21.7.1982, D. no. 82-084, 10.11.1982. 459 Ordonnance no. 2006-637, 1.06.2006, portant refonte du Code de Justice Militaire (Partie Législative) et modifiant le Code de la Défense et le Code de Justice Militaire. 460 Art. 111 frzStGB.

A. Das französische Strafrecht

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denselement (élément intellectuel/moral). Unter dem „materiellen Element“ versteht das französische Strafrecht die tatbestandsmäßige Handlung, die Verwirklichung des Erfolges und die Kausalität.461 Mit dem „rechtlichen Element“ bezeichnet das französische Strafrecht, dass die Handlung vom Gesetz als rechtswidrig eingestuft wird.462 Mit dem subjektiven Element schließlich ist der Wille und das Bewusstsein der Rechtsverletzung und eine rechtsfeindliche Gesinnung (mentalité dissociale) gemeint.463 Das subjektive Element ist vor allem Verschuldenselement (faute) und wird einerseits als Vorsatzverschulden (intention, faute intentionelle) und andererseits als nicht-vorsätzliches Verschulden (faute non-intentionelle) diskutiert.464 In weiterem Sinne gehören auch Schuldausschließungsgründe (culpabilité, imputabilité) zum subjektiven oder Verschuldenselement.465 Die tatbestandsmäßige Handlung (comportement) kann auch in einem Unterlassen bestehen. Allerdings kennt das französische Strafrecht nur gesetzlich niedergelegte Unterlassensdelikte. Es gibt keine Generalklausel wie beispielsweise im deutschen oder österreichischen Strafgesetzbuch, die eine Begehung durch Unterlassen (commission par omission) für strafbar erklärte.466 Vielmehr würde es nach französischem Rechtsverständnis gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (principe de légalité) verstoßen, aus den gesetzlich niedergelegten Begehungsdelikten eine Strafbarkeit für die Verwirklichung dieser Delikte durch Unterlassen herzuleiten.467 Dieser Grundsatz wird allerdings durch besondere rechtliche Konstruktionen relativiert, zu denen auch die im Rahmen dieser Arbeit näher untersuchte Figur „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui) gehört. Die meisten gesetzlich niedergelegten Unterlassensdelikte stellen ein Verhalten unabhängig vom Eintreten bestimmter Folgen unter Strafe. Das französische Strafrecht kennt neben diesen echten, „einfachen“ Unterlassensdelikten auch Unterlassensdelikte, die das Eintreten bestimmter Folgen voraussetzen, also echte, „qualifizierte Unterlassensdelikte“.468 Teilweise werden Unterlassungen aber nicht unter Unterlassensdelikte, sondern – ins461

Conte/Maistre du Chambon, S. 173 ff. Merle/Vitu, S. 506 f. 463 Merle/Vitu, S. 719 f., 721. 464 Desportes/Le Gunehec, S. 401; Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 445; Bouloc, Droit Pénal Général, S. 231: entspricht mens rea. 465 Conte/Maistre du Chambon, S. 216; Desportes/Le Gunehec, S. 464 f.; vgl. auch Pfefferkorn, S. 28: „systematische und terminologische Vielfalt [. . .] ist beachtlich.“ (m. w. N.). 466 Vgl. Jescheck, in: Beiträge zum Strafrecht, S. 265 ff. 467 Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 328 (Analogieverbot). 468 Vgl zur Terminologie 1. Kap. A. 462

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

besondere wenn solche fehlen – unter bestimmte fahrlässige Begehungsdelikte subsumiert. Dies wird für zulässig gehalten, soweit das Gesetz beispielsweise die Herbeiführung eines Erfolges aus „Unvorsichtigkeit“ (imprudence) oder unter „Verletzung einer Sicherungs- oder Sorgfaltspflicht“ (manquement à une obligation de prudence ou de sécurité) unter Strafe stellt, da diese Fahrlässigkeitsvarianten eine Komponente des Unterlassens enthielten.469

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Frankreich hat bisher, wie erläutert, das Strafgesetzbuch noch nicht an das Römische Statut angepasst. Eine Anpassung wird für dringend nötig befunden, insbesondere soweit Kriegsverbrechen betroffen sind.470 Ein Umsetzungsgesetz ist geplant. Bisher liegt jedoch nur ein Entwurf vor. Dieser enthält nicht nur Vorschriften, die eine vollständigere Umsetzung der Art. 6–8 IStGH-Statut, insbesondere der Kriegsverbrechen, vorschlagen, sondern auch zwei spezielle Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit, die, wie die Schweizer Entwürfe,471 bereits analysiert werden können. I. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 213-4-1 frzStGB-E Der Gesetzesvorschlag sieht vor, im Kapitel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nach Art. 213-4 frzStGB (Handeln auf Befehl) folgende Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit einzufügen: Art. 213-4-1 Sans préjudice de l’application des dispositions de l’article 121-7, est considéré comme complice d’un crime visé par le présent sous-titre commis par des subordonnés placés sous son autorité et son contrôle effectifs, le chef militaire ou la personne qui en faisait fonction, qui savait ou, en raison des circonstances, aurait dû savoir, que ces subordonnés commettaient ou allaient commettre ce crime et qui n’a pas pris toutes les mesures nécessaires et raisonnables qui étaient en son pouvoir pour en empêcher ou en réprimer l’exécution ou pour en référer aux autorités compétentes aux fins d’enquête et de poursuites. Sans préjudice de l’application des dispositions de l’article 121-7, est également considéré comme complice d’un crime visé par le présent sous-titre commis par des subordonnés placés sous son autorité et son contrôle effectifs, le supérieur hiérarchique, n’exerçant pas la fonction de chef militaire, qui savait que ces subordonnés 469

Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 329: zulässig, weil das Gesetz selbst die Möglichkeit eröffnet. Vgl. nähere Erläuterungen unter IV. 1. 470 Benillouche, in: Jurisdictions Nationales et Crimes Internationaux, S. 159. 471 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. II. 2.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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commettaient ou allaient commettre ce crime ou a délibérément négligé de tenir compte d’informations qui l’indiquaient clairement et qui n’a pas pris toutes les mesures nécessaires et raisonnables qui étaient en son pouvoir pour en empêcher ou en réprimer l’exécution ou pour en référer aux autorités compétentes aux fins d’enquête et de poursuites, alors que ce crime était lié à des activités relevant de sa responsabilité ou de son contrôle effectifs.472

Art. 213-4-1 frzStGB-E gibt Art. 28 IStGH-Statut zwar nicht wortgleich wieder, ist aber sehr eng an Art. 28 IStGH-Statut angelehnt.473 472 Art. 213-4-1-frzStGB-E (Article 3 Loi portant adaptation du droit pénal à l’institution de la Cour pénale internationale), dt. Übersetzung durch Verf.: 1) Unbeschadet der Anwendung der Bestimmungen des Artikels 121-7 wird der militärische Vorgesetzte oder eine Person, die diese Funktion ausübt, als Teilnehmer eines in diesem Unterkapitel vorgesehenen Verbrechens angesehen, das durch unter seiner Führungsgewalt und seiner effektiven Kontrolle stehende Untergebene begangen wurde, wenn er wusste oder, nach den Umständen, hätte wissen müssen, dass seine Untergebenen dieses Verbrechen begehen oder im Begriff waren zu begehen und wenn er nicht die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, die in seiner Macht lagen, um die Begehung zu verhindern oder zu unterdrücken oder um die Sache an die zuständigen Untersuchungs- und Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. 2) Unbeschadet der Anwendung der Bestimmungen des Artikels 121-7 wird auch der Vorgesetzte, der nicht die Funktion als militärischer Vorgesetzter ausübt, als Teilnehmer eines in diesem Unterkapitel vorgesehenen Verbrechens angesehen, das durch unter seiner Führungsgewalt und seiner effektiven Kontrolle stehende Untergebene begangen wurde, wenn er wusste, dass seine Untergebenen dieses Verbrechen begehen oder im Begriff waren zu begehen, oder wenn er bewusst Informationen nicht berücksichtigt hat, die eindeutig darauf hinwiesen, und wenn er nicht die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, die in seiner Macht lagen, um die Begehung zu verhindern oder zu unterdrücken oder um die Sache an die zuständigen Untersuchungs- und Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten, soweit dieses Verbrechen mit Tätigkeiten verbunden war, die in seiner Verantwortung oder seiner effektiven Kontrolle standen. 473 Vgl. verbindliche frz. Fassung von Art. 28 IStGH-Statut: „Outre les autres motifs de responsabilité pénale au regard du présent Statut pour des crimes relevant de la compétence de la Cour: a) Un chef militaire ou une personne faisant effectivement fonction de chef militaire est pénalement responsable des crimes relevant de la compétence de la Cour commis par des forces placées sous son commandement et son contrôle effectifs, ou sous son autorité et son contrôle effectifs, selon le cas, lorsqu’il ou elle n’a pas exercé le contrôle qui convenait sur ces forces dans les cas où: i) Ce chef militaire ou cette personne savait, ou, en raison des circonstances, aurait dû savoir, que ces forces commettaient ou allaient commettre ces crimes; et ii) Ce chef militaire ou cette personne n’a pas pris toutes les mesures nécessaires et raisonnables qui étaient en son pouvoir pour en empêcher ou en réprimer l’exécution ou pour en référer aux autorités compétentes aux fins d’enquête et de poursuites; b) En ce qui concerne les relations entre supérieur hiérarchique et subordonnés non décrites au paragraphe a), le supérieur hiérarchique est pénalement responsable

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

1. Allgemeines Art. 213-4-1 frzStGB-E bezieht sich nur auf Verbrechen des Kapitels „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, das neben den Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch den Tatbestand des Völkermords enthält. Soweit es sich bei den Straftaten der Untergebenen um Kriegsverbrechen handelt, schlägt der Gesetzesentwurf eine nahezu gleichlautende Vorschrift im Kapitel „Kriegsverbrechen“ vor (Art. 462-7 frzStGB-E). Erwähnenswert ist auch, dass die Haftung in beiden Entwurfsvorschriften als Teilnahmehaftung (complice) beschrieben wird. 2. Objektive Haftungseinschränkung: „alors que ce crime était lié à des activités relevant de sa responsabilité ou de son contrôle effectifs“ Art. 213-4-1 frzStGB-E übernimmt die Formulierung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut fast wortgleich. Anstelle von „Verantwortung und tatsächlicher Kontrolle“ spricht Art. 213-4-1 frzStGB-E von „Verantwortung oder tatsächlicher Kontrolle“. Hinweise, warum dies geschieht, gibt es nicht. Auch fehlen Hinweise, welche Bedeutung die von Art. 28 b) ii) IStGHStatut übernommene Voraussetzung hat, die bei militärischen Vorgesetzten gerade fehlt. Wie bei der Analyse der schweizerischen Umsetzungsvorschriften erläutert, könnte eine Art Organisationsbezogenheit der Straftaten zur Voraussetzung der Haftung gemacht werden.474 Die französische Formulierung „dass das Verbrechen mit den Tätigkeiten verbunden ist“ (crime était lié à des activités) macht sogar deutlicher als die englische Fassung (crimes concerned activities), dass es um eine spezifische Verbindung zwischen den Straftaten und den Tätigkeiten der Untergebenen in der Organisation geht. Nicht für jegliche Straftaten seiner Untergebenen soll der Vorgesetzte haften, sondern allein für solche, die einen spezifischen Bezug zu des crimes relevant de la compétence de la Cour commis par des subordonnés placés sous son autorité et son contrôle effectifs, lorsqu’il ou elle n’a pas exercé le contrôle qui convenait sur ces subordonnés dans les cas où: i) Le supérieur hiérarchique savait que ces subordonnés commettaient ou allaient commettre ces crimes ou a délibérément négligé de tenir compte d’informations qui l’indiquaient clairement; ii) Ces crimes étaient liés à des activités relevant de sa responsabilité et de son contrôle effectifs; et iii) Le supérieur hiérarchique n’a pas pris toutes les mesures nécessaires et raisonnables qui étaient en son pouvoir pour en empêcher ou en réprimer l’exécution ou pour en référer aux autorités compétentes aux fins d’enquête et de poursuites.“ 474 Vgl. 1. Kap. B. III. 2.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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den Tätigkeiten aufweisen, über die der Vorgesetzte in der Organisation tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle hat. 3. Subjektive Voraussetzungen: „savait [. . .] ou a délibérément négligé de tenir compte d’informations qui l’indiquaient clairement“ Art. 213-4-1 frzStGB-E übernimmt ebenfalls wortgleich die in Art. 28 b) i) IStGH-Statut niedergelegten besonderen subjektiven Voraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte. Es fragt sich, wie diese Formulierung im französischen Strafrecht auszulegen ist. Die Alternative des Wissens (savait) wirft keine besonderen Schwierigkeiten auf. Die zweite Alternative scheint auf eine Form der Fahrlässigkeit hinzuweisen (négligé). Das französische Strafrecht kennt allerdings zahlreiche und entsprechend komplexe Formen der Fahrlässigkeit. a) Fahrlässigkeit im französischen Recht Die Vorschriften zur Fahrlässigkeit im Strafgesetzbuch wurden bereits mehrfach reformiert.475 Durch das Gesetz 2000-647 (sogenanntes Loi Fauchon476) wurde zuletzt insbesondere die Vorschrift Art. 121-3 Abs. 3 frzStGB geändert und ein neuer vierter Absatz ergänzt. Der unveränderte Art. 121-3 Abs. 2 frzStGB umschreibt dol éventuel (dolus eventualis).477 Anders als im deutschen, österreichischen, schweizerischen, und auch postsowjetischen Strafrecht wird der dol éventuel (dolus eventualis) im französischen Strafrecht der Fahrlässigkeit zugeordnet. Die Einbeziehung von dolus eventualis innerhalb der Fahrlässigkeitsmaßstäbe erscheint widersprüchlich, vor allem, weil dol gerade Vorsatz bedeutet. Sie hängt damit zusammen, dass dol éventuel (dolus eventualis) im französischen Strafrecht als Bewusstsein über die Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung verstanden wird, ohne dass ein besonderes voluntatives Element vorausgesetzt ist.478 475 Vgl. ausführliche Analyse der Fahrlässigkeit, Pfefferkorn, Grenzen strafbarer Fahrlässigkeit im französischen und deutschen Recht, 2006. 476 Senator Fauchon hatte dieses Gesetz initiiert, Loi nº 2000-647 v. 10.7.2000, art. 1, Journal Officiel v. 11.7.2000. 477 Art. 121-3 Abs. 2 frzStGB. „Toutefois, lorsque la loi le prévoit, il y a délit en cas de mise en danger délibérée de la personne d’autrui.“ vgl. Bouloc, Droit Pénal Général, S. 244. 478 Bouloc, Droit Pénal Général, S. 243: considéré comme „une simple faute“. Bouloc weist darauf hin, dass der dol éventuel psychologisch zwischen Vorsatz und Unvorsichtigkeit (imprudence) oder Nachlässigkeit (négligence) liege; Pradel, Ma-

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Art. 121-3 Abs. 3 frzStGB enthält verschiedene weitere Fahrlässigkeitsformen – die „Unvorsichtigkeit“ (imprudence), „Nachlässigkeit“ (négligence) und die „Verletzung einer Sicherungs- oder Sorgfaltspflicht“ (manquement à une obligation de prudence ou de sécurité) – und hat seit der Reform des Jahres 2000 folgenden Wortlaut: „Il y a également délit, lorsque la loi le prévoit, en cas de faute d’imprudence, de négligence ou de manquement à une obligation de prudence ou de sécurité prévue par la loi ou le règlement, s’il est établi que l’auteur des faits n’a pas accompli les diligences normales compte tenu, le cas échéant, de la nature de ses missions ou de ses fonctions, de ses compétences ainsi que du pouvoir et des moyens dont il disposait.“479

Der im Jahr 2000 neu angefügte Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB lautet schließlich: „Dans le cas prévu par l’alinéa qui précède, les personnes physiques qui n’ont pas causé directement le dommage, mais qui ont créé ou contribué à créer la situation qui a permis la réalisation du dommage ou qui n’ont pas pris les mesures permettant de l’éviter, sont responsables pénalement s’il est établi qu’elles ont, soit violé de façon manifestement déliberée une obligation particulière de prudence ou de sécurité prévue par la loi ou le règlement, soit commis une faute caractérisée, et qui exposait autrui à un risque d’une particulière gravité qu’elles ne pouvaient ignorer.“480

Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB stellt eine besondere Vorschrift zur Fahrlässigkeit dar, die sich auf Konstellationen bezieht, in denen ein Schaden nicht direkt durch den fahrlässig handelnden Täter verursacht wurde.481 nuel de Droit Pénal Général, S. 456; Lelieur-Fischer, in: Nationale Strafverfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen, Bd. 4, S. 52. 479 Art. 121-3 Abs. 3 frzStGB, dt. Übersetzung durch Verf.: Sofern es das Gesetz vorsieht, liegt ebenfalls eine Straftat im Fall von Unvorsichtigkeit, Nachlässigkeit oder Verletzung einer im Gesetz oder in anderer Vorschrift niedergelegten Sicherheits- und Sorgfaltspflicht vor, wenn der Täter nachweislich nicht die normalerweise zu beachtende Sorgfalt an den Tag gelegt hat, je nach der Art seiner Aufgaben und Funktionen, seiner Fähigkeiten und nach den Möglichkeiten und Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. 480 Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB, dt. Übersetzung durch Verf.: Natürliche Personen sind, wenn sie einen Schaden nicht direkt verursacht, aber eine Situation geschaffen oder zur Schaffung einer Situation beigetragen haben, die zur Realisierung eines Schadens geführt hat, oder wenn sie keine Maßnahmen ergriffen haben, um dies zu verhindern, strafrechtlich verantwortlich, wenn sie nachweislich entweder offensichtlich bewusst eine in einem Gesetz oder in einer Vorschrift vorgesehene besondere Sicherungs- oder Sorgfaltspflicht verletzt haben oder mit qualifiziertem/charakterisiertem Verschulden gehandelt haben, und wenn dies einen anderen einem besonders schwerwiegenden Risiko ausgesetzt hat, das sie nicht übersehen konnten. 481 Kritisch, ob das Kriterium der Unmittelbarkeit des Schadenseintritts überhaupt sachgerecht ist, Pfefferkorn, S. 233–251.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB enthält zwei Alternativen: Unter einem „charakterisierten“ bzw. „qualifizierten Verschulden“ (faute caracterisée) versteht man ein besonders schweres Verschulden.482 „Offensichtlich bewusst“ (manifestement délibérée) handelt der Täter, wenn ihm die Gefahr des Eintritts schwerer Folgen bewusst ist und klar vor Augen steht.483 Diese letzte Form des Fahrlässigkeitsverschuldens soll wiederum dem dol éventuel (dolus eventualis) entsprechen.484 Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB wurde geschaffen, um insbesondere die Strafbarkeit von öffentlichen Entscheidungsträgern für Fahrlässigkeitsdelikte einzuschränken, indem diese nur unter erschwerten Voraussetzungen haften.485 b) Art. 28 b) i) IStGH-Statut und Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB Es gibt starke Anhaltspunkte, dass die aus Art. 28 b) i) IStGH-Statut wörtlich übernommene Formulierung der Fahrlässigkeitsvariante des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB entspricht, die ja strengere Voraussetzungen als Art. 121-3 Abs. 3 frzStGB normiert. Soweit Art. 28 b) i) IStGH-Statut voraussetzt, dass der Täter Informationen bewusst außer acht ließ, die eindeutige Hinweise auf Straftaten enthielten, könnte dies einen „offensichtlich bewussten“ (manifestement delibérée) Sorgfaltspflichtverstoß darstellen, wie ihn Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB vor Augen hat. Entscheidend für die Anwendbarkeit des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB ist jedoch, ob der Schaden direkt oder indirekt verursacht worden ist. Dies soll sich in erster Linie nach der zeitlichen und örtlichen Unmittelbarkeit der Ursache, in einigen Fällen aber auch nach Adäquanzgesichtspunkten entscheiden.486 Für den Fall der Vorgesetztenverantwortlichkeit lässt sich argumentieren, dass der Vorgesetzte den Tatbestandserfolg auch nicht direkt verursacht. Dieser wird vielmehr durch die Untergebenen unmittelbar herbeigeführt. Auch Cotte und Guihal weisen darauf hin, dass die Rechtsprechung Organi482 Bernadini, S. 419. Vgl. auch http://cubitus.senat.fr/commission/loi/Lois000 703.html (Kopie bei Verf.): „Evoquant l’expression faute caractérisée, le rapporteur a noté qu’elle n’était guère explicite et qu’il aurait été préférable de faire référence à une faute grave, afin que le texte soit pleinement satisfaisant.“ 483 Bernadini, S. 413–414. 484 Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 461. 485 Pradel/Varinard, S. 463; Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 458 ff. Vgl. Änderungen in den Gesetzen über Gebietskörperschaften, Amtsträger und den Status von Militärangehörigen, Mayaud, Code Pénal, Art. 121-3. 486 Cotte/Guihal, La Mise en Oeuvre Jurisprudentielle de la Loi du 10 Juillet 2000 relative à la Définition des Délits non intentionnels, http://www.senat.fr/collo ques/colloque_2006_delit/colloque_2006_delit6.html#toc16 (Juni 2009).

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

sationsfehler und Kontrollmängel auf Seiten von Leitungspersonal nie als direkte Ursache eines eingetretenen Schadens angesehen hat; vielmehr sei das technische Versagen oder auch das Versagen von Angestellten stets als die direkte Ursache angesehen worden.487 Die Vorgesetzten haben, wie es Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB formuliert, hingegen „keine Maßnahmen ergriffen“ (qui n’ont pas pris les mesures permettant de l’éviter), um den Eintritt eines Schadens, also des Tatbestandserfolges, zu verhindern. Es spricht daher viel dafür, dass Art. 28 b) i) IStGH-Statut bzw. die wortgleiche Umsetzung im französischen Entwurf aus französischer Sicht der Fahrlässigkeitsvariante des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB entspricht, genauer gesagt, der ersten Alternative des „bewusst offensichtlichen“ Verstoßes gegen eine Sicherheits- und Sorgfaltspflicht. Diese entspricht dem dol éventuel französischer Auffassung (dolus eventualis), der einer Art bewusster Fahrlässigkeit gleichkommt. Da Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB ein besonders schwerwiegendes Risiko voraussetzt, das nicht übersehen werden konnte, handelt es sich überdies um eine Form gesteigerter oder grober Fahrlässigkeit. Was die Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter betrifft, so dürfte ebenfalls Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB anwendbar sein, da auch militärische Vorgesetzte den Schaden im Sinne dieser Vorschrift „nicht direkt verursacht haben“. Für Soldaten ist in der Tat ein Hinweis auf die Anwendbarkeit von Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB in das französische Militärstatusgesetz eingefügt worden.488 Obwohl die französischen Entwürfe für militärische Befehlshaber den Standard „aurait dû savoir“ (should have known, hätte wissen müssen) des Art. 28 a) i) IStGH-Statut übernehmen, spricht daher Einiges dafür, dass dies ein qualifiziertes Fahrlässigkeitsverschulden im Sinne von Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB voraussetzt. Da im Falle militärischer Vorgesetzter anders als bei den nicht-militärischen Vorgesetzten nicht ausdrücklich auf ein „bewusstes Außerachtlassen von eindeutigen Informationen“ Bezug genommen wird, kommen beide Alternativen des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB, d.h. das offensichtlich bewusste Verschulden 487 Cotte/Guihal, La Mise en Oeuvre Jurisprudentielle de la Loi du 10 Juillet 2000 relative à la Définition des Délits non intentionnels, http://www.senat.fr/collo ques/colloque_2006_delit/colloque_2006_delit6.html#toc16 (Juni 2009): „un incident technique ou encore la maladresse ou l’inattention d’un préposé.“ 488 Art. 16 Loi nº 2005-270 du 24 mars 2005 portant statut général des militaires (JORF nº 72 du 26 mars 2005 page 5098): „Sous réserve des dispositions du quatrième alinéa de l’article 121-3 du code pénal, les militaires ne peuvent être condamnés sur le fondement du troisième alinéa de ce même article pour des faits non intentionnels commis dans l’exercice de leurs fonctions que s’il est établi qu’ils n’ont pas accompli les diligences normales compte tenu de leurs compétences, du pouvoir et des moyens dont ils disposaient ainsi que des difficultés propres aux missions que la loi leur confie.“

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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(manifestement delibérée) oder ein besonders schweres Verschulden (faute caracterisée), in Betracht. 4. Der Begriff des Vorgesetzten Wie Art. 28 IStGH-Statut in der verbindlichen französischen Fassung unterscheidet die französische Umsetzungsvorschrift zwischen militärischen Vorgesetzten (chef militaire) und nicht-militärischen Vorgesetzten (supérieur hiérarchique). Letztere werden in Art. 213-4-1 frzStGB-E wie in Art. 28 b) IStGH-Statut negativ bestimmt, als „Vorgesetzte, die nicht die Funktion eines militärischen Vorgesetzten ausüben“. Hinweise im Entwurf für ein Verständnis oder eine Abgrenzung des militärischen vom nicht-militärischen Vorgesetzten gibt es nicht. Art. 213-4-1 frzStGB-E verwendet sowohl für die militärischen als auch für die nicht-militärischen Vorgesetzten die Begriffe „Führungsgewalt“ (autorité) und „effektive Kontrolle“ (contrôle effectif) und übernimmt damit nicht den im Römischen Statut für militärische Vorgesetzte verwendeten Begriff der Befehlsgewalt (commandement). Der französische Umsetzungsentwurf scheint davon auszugehen, dass es sich hier nicht um zwei verschiedene Konzepte handelt. Sowohl militärische wie auch nicht-militärische Vorgesetzte müssen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausüben. Somit liegt jedenfalls eine Unterscheidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten nicht darin, dass der militärische Vorgesetzte eine anders geartete Machtposition gegenüber Untergebenen hat als ein nicht-militärischer Vorgesetzter, die sich in der „Befehlsgewalt“ oder militärischen Befehlsbefugnissen festmacht. Vielmehr hängt, wie bei den deutschen und schweizerischen Umsetzungsvorschriften diskutiert, die Unterscheidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten von dem Charakter der Organisation oder Einheit ab.489 II. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 462-7 frzStGB-E Für den Bereich der Kriegsverbrechen, die im Gesetzesentwurf in einem eigenen Buch (Art. 461-1 ff. frzStGB) normiert werden sollen, sieht der Gesetzesentwurf eine weitere Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vor. Art. 462-7 frzStGB-E ist nahezu mit Art. 213-4-1 frzStGB-E identisch. Ein Unterschied besteht nur insoweit, als der Entwurf im Bereich der Kriegsverbrechen sowohl Verbrechen (crimes) als auch minderschwere Vergehen (délits) vorsieht, was in der Vorschrift zur Vorgesetztenverantwort489

Vgl. 1. Kap. B. II. 4.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

lichkeit durch Verweis auf „in diesem Buch vorgesehene Verbrechen und Vergehen“ zum Ausdruck kommt. Die Normierung zweier Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit hat daher nur gesetzestechnische Gründe. III. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Der französische Gesetzesentwurf schlägt eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vor, die sich weitestgehend mit Art. 28 IStGH-Statut deckt. Insbesondere werden die besonderen objektiven und subjektiven Haftungsvoraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte nahezu wortgleich übernommen. Es lassen sich nur einige Rückschlüsse ziehen, wie diese Voraussetzungen im französischen Recht zu verstehen sind. Die Formulierung, dass es eine Verbindung (lié) zwischen den Straftaten und den Tätigkeiten der Untergebenen geben muss, könnte als Voraussetzung einer Organisationsbezogenheit der Straftaten der Untergebenen ausgelegt werden. Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so entsprechen diese der Fahrlässigkeitsvariante des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB. Die für nicht-militärische Vorgesetzte geltende Voraussetzung in der französischen Umsetzungsvorschrift kommt dabei einem „offensichtlich bewussten“ Verstoß gegen Sorgfaltspflichten gleich, was dem dol éventuel, einer Art bewusster grober Fahrlässigkeit, entspricht. Auf die Frage, worin sich schließlich militärische von nicht-militärischen Vorgesetzten unterscheiden, geht das Umsetzungsprojekt nicht ein. Aus der Verwendung der Begriffe Führungsgewalt und Kontrolle für alle Vorgesetztentypen lässt sich aber ablesen, dass die Unterscheidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten nicht darin liegt, dass militärische Vorgesetzte im Gegensatz zu nicht-militärischen Vorgesetzten eine befehlsartig ausgestaltete Machtposition (commandement) haben müssen.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften Im Weiteren werden einige Sondervorschriften des französischen Strafrechts im militärischen, im Amtsträger- sowie im privatwirtschaftlichen Bereich und ihre Qualität als Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit analysiert.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht: Art. L. 122-4 frzMilG Das französische Militärjustizgesetzbuch enthält eine Vorschrift zur Haftung des Vorgesetzten für Straftaten seiner Untergebenen. Art. L. 122-4 frzMilG ist fast gleichlautend mit dem bis Juni 2006 geltenden490 Art. 71 frzMilG und befindet sich im zweiten Kapitel des zweiten Titels des ersten Buches, das die Gerichtsbarkeit der Militärgerichte festlegt. Art. L. 122-4 frzMilG lautet:491 „Lorsqu’un subordonné est poursuivi comme auteur principal d’une des infractions prévues à l’article L. 122-3 et que ses supérieurs hiérarchiques ne peuvent être recherchés comme coauteurs, ils sont considérés comme complices dans la mesure où ils ont organisé ou toléré les agissements criminels de leur subordonné.“492

1. Allgemeines Nach Art. L. 122-4 frzMilG macht sich ein Vorgesetzter strafbar, wenn er die strafbaren Handlungen seiner Untergebenen entweder „organisiert“ oder „toleriert“ hat. Damit nimmt Art. L. 122-4 frzMilG sowohl auf ein aktives Tun („Organisieren“) wie auf ein Unterlassen („Tolerieren“) Bezug. Das Tolerieren von strafbaren Handlungen durch den Vorgesetzten ist mit einem „Nichtverhindern“ bzw. „Nichtunterbinden“ von Straftaten i. S. v. Art. 28 IStGH-Statut zumindest vergleichbar; die Variante der unterlassenen 490 Durch die Ordonnance No. 2006-637 vom 1.6.2006, Journal Officiel v. 2.6. 2006, p. 8266 wurde das französische Militärjustizgesetzbuch grundlegend reformiert. 491 Eine nahezu identische Vorschrift befand sich bereits in einer Verordnung von 1944, vgl. Art. 4 Ordonnance v. 28.8.1944 lautete: „Lorsqu’un subordonné est poursuivi comme auteur principal d’un crime de guerre et que ses supérieurs hiérarchiques ne peuvent être recherchés comme coauteurs, ils sont considérés comme complices dans la mesure où ils ont organisé ou toléré les agissements criminels de leurs subordonnés.“ Auf Grundlage dieser Verordnung sind eine Reihe von Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg durch französische Gerichte verurteilt worden. Art. 8 des Militärstatusgesetzes enthält hingegen allein folgenden Hinweis: „La responsabilité propre des subordonnés ne dégage leurs supérieurs d’aucune de leurs responsabilités.“ Im Manuel de Droit de Conflits Armés findet sich hingegen lediglich ein Hinweis auf Art. 28 IStGH-Statut, vgl. http://www.defense.gouv.fr (Juni 2009). 492 Art. L. 122-4 lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: Wenn ein Untergebener als Haupttäter einer in Artikel L. 122-3 vorgesehenen Straftat belangt wird und seine Vorgesetzten nicht als Mittäter herangezogen werden können, werden sie insoweit als Teilnehmer angesehen, als sie die strafbaren Handlungen ihres Untergebenen organisiert oder toleriert haben.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Bestrafung bzw. der unterlassenen Weiterleitung an die zuständigen Behörden fehlt hingegen. Art. L. 122-4 frzMilG nimmt auf eine Verfolgung der Untergebenen aufgrund der in Art. L. 122-3 frzMilG genannten Straftaten Bezug. Art. L. 122-3 frzMilG bezieht sich auf die Gerichtsbarkeit der Militärgerichte und definiert diese in zeitlicher, territorialer, sachlicher und personaler Hinsicht. In sachlicher Hinsicht erstreckt sich die Gerichtsbarkeit auf alle Verbrechen und Vergehen (les crimes et les délits). Im Militärjustizgesetzbuch sind Verbrechen und Vergehen vor allem im zweiten Titel des dritten Buches niedergelegt. Es finden sich dort vor allem Straftaten gegen die militärische Ordnung oder auch typische Militärstraftatbestände wie das Desertieren (Art. L. 321-1, L. 321-2 ff. frzMilG). Art. L. 122-4 frzMilG ist jedoch nicht auf die im Militärjustizgesetzbuch niedergelegten Straftatbestände beschränkt, sondern erfasst alle, auch die im französischen Strafgesetzbuch niedergelegten Straftaten und somit auch die genannten Straftatbestände des Völkermords und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 211-1 ff. frzStGB). Insoweit ist Art. L. 122-4 frzMilG – abgesehen von der derzeit noch unzureichenden Pönalisierung von Kriegsverbrechen im französischen Recht – auch nicht wesentlich enger als Art. 28 IStGH-Statut. 2. Objektive Haftungseinschränkung: Kriegsfall Da sich Art. L. 122-4 MilG im zweiten Kapitel „Im Kriegsfall“ des zweiten Titels des ersten Buches des französischen Militärjustizgesetzbuches befindet, ist Voraussetzung, dass ein Kriegsfall vorliegt, was Art. 28 IStGHStatut nicht voraussetzt. 3. Subjektive Voraussetzungen Da das französische Militärjustizgesetzbuch keine besonderen Regeln zum subjektiven Element (élément moral) trifft, gelten die allgemeinen Regeln. Nach Art. 121-3 Abs. 1 frzStGB sind Verbrechen und Vergehen nur dann strafbar, wenn sie vorsätzlich begangen werden. Fahrlässigkeit in verschiedenen im Gesetz genannten Ausprägungen493 ist nur dann ausreichend, wenn das Gesetz es ausdrücklich vorsieht. Militärische Vorgesetzte sind nach Art. L. 122-4 frzMilG daher nicht aufgrund von Fahrlässigkeit straf493 Art. 121-3 Abs. 3 frzStGB nimmt beispielsweise Bezug auf Unvorsichtigkeit (faute d’imprudence), Nachlässigkeit (négligence) oder die Verletzung einer Sicherheits- und Sorgfaltspflicht (manquement à une obligation de prudence ou de sécurité).

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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bar. Insoweit besteht ein weiterer Unterschied zu Art. 28 a) i) IStGH-Statut, der Fahrlässigkeit für ausreichend erklärt. 4. Der Begriff des Vorgesetzten Nach Art. L. 122-4 frzMilG machen sich die „Vorgesetzten“ (supérieurs hierarchiques) neben ihren Untergebenen strafbar. Durch die Pluralform „Vorgesetzte“ wird deutlich, dass unter Umständen mehrere Vorgesetzte und nicht nur der unmittelbare Vorgesetzte haften. Obwohl der allgemeine Begriff Vorgesetzer (supérieurs hierarchiques) verwendet wird, folgt doch aus dem Gesetzeszusammenhang, dass nur die militärischen Vorgesetzten erfasst sind, genauer gesagt nur die de jure militärischen Vorgesetzten. Wie im deutschen, österreichischen und schweizerischen Militärrecht liegt insoweit ein formales Verständnis des Soldaten zugrunde.494 5. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht Mit Art. L. 122-4 frzMilG in der Variante des „Tolerierens“ liegt eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit für militärische Vorgesetzte vor, die insbesondere in den subjektiven Voraussetzungen enger ist als Art. 28 a) IStGH-Statut, weil militärische Vorgesetzte nur bei Vorsatz strafrechtlich haften. Sollten die Umsetzungsvorschriften Art. 213-4-1 frzStGB-E und Art. 462-7 frzStGB-E Gesetz werden, würden sie Art. L. 122-4 frzMilG verdrängen, soweit es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord oder Kriegsverbrechen handelt. II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern: Art. 432-5 frzStGB Vorschriften, die eine allgemeine Haftung von Amtsträgern für Straftaten ihrer Untergebenen aufgrund ihrer Vorgesetztenposition vorsehen, enthält das französische Strafgesetzbuch nicht. Im Kapitel über Straftaten im Amt (Des Atteintes à l’Administration Publique Commises par des Personnes Exerçant une Fonction Publique) befinden sich aber einige Unterlassensdelikte. Nach Art. 432-5 frzStGB macht sich ein Amtsträger beispielsweise strafbar, wenn er gegen eine rechtswidrige Freiheitsberaubung nicht ein494 Vgl. bspw. Art. 2 des Militärstatusgesetz sowie Art. L. 4132-2 ff. Code de la Défence.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

schreitet, obwohl er die Befugnis (le pouvoir) dazu hat, oder wenn er die zuständige Stelle nicht einschaltet.495 Art. 432-5 frzStGB lautet: „Le fait, par une personne dépositaire de l’autorité publique ou chargée d’une mission de service public ayant eu connaissance, dans l’exercice ou à l’occasion de l’exercice de ses fonctions ou de sa mission, d’une privation de liberté illégale, de s’abstenir volontairement soit d’y mettre fin si elle en a le pouvoir, soit, dans le cas contraire, de provoquer l’intervention d’une autorité compétente, est puni de [. . .]. Le fait, par une personne visée à l’alinéa précédent ayant eu connaissance, dans l’exercice ou à l’occasion de l’exercice de ses fonctions ou de sa mission, d’une privation de liberté dont l’illégalité est alléguée, de s’abstenir volontairement soit de procéder aux vérifications nécessaires si elle en a le pouvoir, soit, dans le cas contraire, de transmettre la réclamation à une autorité compétente, est puni [. . .].“496

1. Allgemeines Ein Amtsträger macht sich nach Art. 432-5 frzStGB strafbar, wenn er nicht selbst gegen eine rechtswidrige Freiheitsberaubung einschreitet (Abs. 1) oder im Hinblick auf eine angeblich rechtswidrige Freiheitsberaubung Ermittlungen anstellt (Abs. 2), soweit er die Befugnis (pouvoir) dazu hat, oder wenn er sich andernfalls nicht an die zuständigen Stellen wendet. Die Unterscheidung zwischen einem Nichtbeenden oder einem Nichteinschalten bezieht sich daher nicht auf die verschiedenen Zeitpunkte einer 495

Art. 432-5 frzStGB spielte kürzlich in einem von französischen GuantanamoHäftlingen angestrengten Verfahren eine Rolle, die Anzeige u. a. wegen Freiheitsberaubung gestellt hatten. Der Kassationsgerichtshof hob am 4.1.2005 den Beschluss des Berufungsgerichts Lyon auf, auf die Anzeige der Häftlinge hin kein Verfahren einzuleiten und verwies die Sache an das Pariser Berufungsgericht (Vgl. Chambre Criminelle, Beschluss v. 4.1.2005, Bull. Crim. 2005 Nº 1 p. 1, vgl. auch Chambre Criminelle, Beschluss v. 18.1.2006. 496 Art. 432-5 Abs. 1 frzStGB lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: Eine mit Amtsgewalt ausgestattete Person oder eine Person, die mit einer Aufgabe des öffentlichen Dienstes betraut ist, und die in Ausübung oder bei (à l’occasion) der Ausübung ihrer Funktionen oder ihrer Aufgaben von einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt hat, und die es entweder willentlich unterlässt, diese zu beenden, soweit es in ihrer Macht steht, oder die es andernfalls willentlich unterlässt, die Einschaltung der zuständigen Behörde zu bewirken, wird mit [. . .] bestraft. Eine im vorangegangenen Absatz beschriebene Person, die in Ausübung oder bei der Ausübung ihrer Funktionen und Aufgaben von einer Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt hat, deren Rechtswidrigkeit behauptet wird, und die es entweder willentlich unterlässt, die notwendigen Überprüfungen vorzunehmen, soweit es in ihrer Macht steht, oder die es andernfalls unterlässt, die Beschwerde an die zuständige Behörde zu übermitteln, wird mit [. . .] bestraft.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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bevorstehenden oder andauernden oder bereits beendeten Straftat wie in Art. 28 IStGH-Statut. Einerseits wirkt es sich im Rahmen von Art. 432-5 frzStGB aus, dass es sich bei der Freiheitsberaubung um ein Dauerdelikt handelt. Andererseits ist die Variante des Nichtverhinderns einer bevorstehenden Freiheitsberaubung nicht erfasst. Art. 432-5 frzStGB greift erst ein, soweit es bereits zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung gekommen ist, und verlangt kein Einschreiten des Amtsträgers im Vorfeld der Freiheitsberaubung. Anders als Art. 28 IStGH-Statut bezieht sich Art. 432-5 frzStGB zudem ausschließlich auf die besondere Straftat einer Freiheitsberaubung.497 Eine erweiternde Auslegung und Erstreckung auf andere, beispielsweise im Zusammenhang mit der Freiheitsberaubung begangene Delikte, ist wegen des Gesetzlichkeitsprinzips bzw. Analogieverbotes nicht möglich. 2. Objektive Haftungseinschränkung: in Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung der Funktionen oder Aufgaben Im Rahmen von Art. 432-5 frzStGB ist weiterhin vorausgesetzt, dass der Amtsträger in Ausübung seiner Funktionen oder Aufgaben oder bei deren Gelegenheit (à l’occasion) von der rechtswidrigen Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt. Parallelen zu Art. 28 b) ii) IStGH-Statut (activités relevant de sa responsabilité ou de son contrôle effectifs) lassen sich insoweit ziehen, als einerseits die Haftung auf den Zuständigkeits- und Aufgabenbereich des jeweiligen Amtsträgers beschränkt wird. Art. 432-5 frzStGB lässt es andererseits ausreichen, dass der Amtsträger bei der Ausübung seiner Funktionen und Aufgaben von der Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt, die Festnahmen oder Inhaftierungen folglich nur mit dem Zuständigkeitsund Aufgabenbereich des Amtsträgers in Zusammenhang stehen. 3. Subjektive Voraussetzungen Ausdrücklich setzt Art. 432-5 frzStGB voraus, dass der Amtsträger von der (behaupteten) Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt hat (ayant eu connaissance). Im Hinblick auf das eigene Untätigbleiben legt Art. 432-5 frzStGB fest, dass der Amtsträger „willentlich“ (volontairement) untätig geblieben sein muss. Es ist folglich Kenntnis von der Freiheitsberaubung vorausgesetzt.498 Genauer gesagt, muss der Amtsträger bei Art. 432-5 Abs. 1 frzStGB wissen, 497

Freiheitsberaubungen sind aufgrund der Art. 224-1 ff. frzStGB strafbar.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

dass eine rechtswidrige Freiheitsberaubung vorliegt, bei Art. 432-5 Abs. 2 frzStGB hingegen nur von der behaupteten Rechtswidrigkeit der Freiheitsberaubung wissen. Während Art. 432-5 Abs. 1 frzStGB daher mit der ersten Alternative des Art. 28 b) i) IStGH-Statut vergleichbar ist, weist Art. 432-5 Abs. 2 frzStGB Parallelen zu der zweiten Alternative des Art. 28 b) i) IStGH-Statut auf. Denn ein Amtsträger, der nichts unternimmt, obwohl es Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Freiheitsberaubung gibt, missachtet bewusst, wie es Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut formuliert, Informationen, die darauf hinweisen, dass möglicherweise eine Straftat vorliegt. 4. Amtsträger als Vorgesetzte Art. 432-5 frzStGB bezieht sich auf Personen, die mit Amtsgewalt ausgestattet, und auf Personen, die mit einer Aufgabe (mission) des öffentlichen Dienstes betraut sind. Durch die zweite Alternative sind insbesondere auch Personen erfasst, die nur zeitweise oder nur teilweise öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Erfasst sind auch Beamte und Ministerialbeamte.499 Die Amtsträger werden nicht als Vorgesetzte (supérieur) bezeichnet. Art. 432-5 frzStGB macht es aber zur Voraussetzung, dass sie die Macht oder Befugnis (pouvoir) haben, eine durch andere Personen bewirkte Freiheitsberaubung zu beenden. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass es auf ein Vorgesetztenverhältnis zu dem unmittelbaren Täter der Freiheitsberaubung ankommt. Aus dem vorangehenden Art. 432-4 frzStGB, der das Anordnen oder Bewirken einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung unter Strafe stellt, und dem nachfolgenden Art. 432-6 frzStGB, der sich auf Gefängnispersonal bezieht, lässt sich allerdings schließen, dass Art. 432-5 frzStGB nicht auf „private“ Freiheitsberaubungen durch Personen, die keine Amtsträger sind, beschränkt ist, sondern sich insbesondere auch auf staatlich angeordnete oder bewirkte Festnahmen oder Inhaftierungen bezieht. Insofern ist es immerhin denkbar, dass ein Vorgesetztenverhältnis zu dem Täter der Freiheitsberaubung besteht. Im Falle einer rechtswidrigen Festnahme einer Person durch einen Polizisten würde es im Rahmen von Art. 432-5 frzStGB auf das Vorgesetztenverhältnis innerhalb der Polizei (Gendarmerie Nationale bzw. Police Nationale) und im Verteidigungs- bzw. Innenministerium ankommen. Vorgesetzte des Polizisten würden Art. 432-5 frzStGB unterfallen, wenn sie die Freiheitsberaubung nicht beenden oder melden.500 498 Französische Gerichte haben aber in anderen Zusammenhängen den Vorsatz aus den Umständen abgeleitet, vgl. bspw. Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 453 f. 499 Larguier/Larguier, S. 372.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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5. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern Art. 432-5 frzStGB mag unter bestimmten Umständen den Charakter einer Vorgesetztenverantwortlichkeit im Amtsträgerbereich haben, bleibt aber durch den ausschließlichen Bezug auf Freiheitsberaubungen deutlich hinter einer allgemeinen Vorgesetztenverantwortlichkeit zurück und stellt daher nur unter besonderen Umständen eine Sondervorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit für Amtsträger dar. Erwähnenswert ist, dass Art. 432-5 frzStGB – vergleichbar mit Art. 28 b) i) IStGH-Statut – eine Strafbarkeit der Amtsträger sowohl bei Kenntnis von einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung als auch bei Kenntnis von einer möglicherweise rechtswidrigen Freiheitsberaubung vorsieht. III. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen Im französischen Strafrecht gibt es einige Sondervorschriften, die eine Haftung des Leitungspersonals in Unternehmen für das Verhalten von Untergebenen vorsehen. 1. Bloße Auferlegung von Geldstrafen Es gibt einige Sondervorschriften, beispielsweise im Arbeitsrecht, nach denen ein Unternehmensleiter unter bestimmten Umständen für eine Geldstrafe haftet, die gegen einen seiner Arbeitnehmer verhängt worden ist.501 Problematisch erscheint hier die Vereinbarkeit mit dem französischen Prinzip der „Beschränkung des staatlichen Strafanspruchs auf den Täter“ (personnalité des peines), nach dem eine Strafe nur derjenige verwirkt hat, der die Tat begangen hat.502 Das Verfassungsgericht hat derartige Sondervorschriften allerdings für verfassungsgemäß erklärt,503 da sie keine strafrechtliche Haftung für das Verhalten von Arbeitnehmern vorsehen, sondern nur eine zivilrechtliche Auferlegung der Zahlung der Geldstrafe darstellten (civilement responsable).504 Dahinter steht der Gedanke, dass der Arbeitgeber 500

Die Gendarmerie Nationale untersteht dem Verteidigungsministerium, die Police Nationale dem Innenministerium. 501 Z. B.: Art. 260-1 a. F. Arbeitsgesetzbuch (Code du Travail), ersetzt durch Article L. 4741-7 (Ordonnance nº 2007-329 v. 12.3.2007 Art. 12 I Journal Officiel v. 13.3.2007), der ab 1.3.2008 in Kraft tritt. 502 Desportes/Le Gunehec, S. 469, Merle/Vitu, S. 664, 832. 503 Cons. const., No. 99–441 DC, Urteil v. 16.6.1999 (Vorschriften des Verkehrsgesetzbuches). 504 Merle/Vitu, S. 665; Lasalle, Rev. sc. crim. 1993, 28 ff.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

letztlich für die Vollstreckung der Geldstrafe garantieren soll.505 Für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit lässt sich hieraus nichts ableiten. 2. Gesetzliche Direktorenhaftungsklauseln: Art. L 541-48 frzUmweltGB Darüber hinaus gibt es einige Sondervorschriften, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmensleiters für das Verhalten seiner Arbeitnehmer vorsehen. Diese Sondervorschriften, die man als Direktorenhaftungsklauseln506 bezeichnen kann, beziehen sich auf ganz unterschiedliche Bereiche wie das Wirtschafts-, Umwelt-, Gesellschafts- oder Arbeitsrecht. Art. L. 541-48 des französischen Umweltgesetzbuchs (Code de l’Environnement, im Folgenden: frzUmweltGB)507 lautet beispielsweise: „L’article L. 541-46 est applicable à tous ceux qui, chargés à un titre quelconque de la direction, de la gestion ou de l’administration de toute entreprise ou établissement, ont sciemment laissé méconnaître par toute personne relevant de leur autorité ou de leur contrôle les dispositions mentionnées audit article.“508

Direktorenhaftungsklauseln wie Art. L. 541-48 frzUmweltGB sehen explizit die Haftung der Unternehmensleiter für Rechtsverletzungen ihrer Untergebenen vor. Soweit ein solcher ausdrücklicher gesetzlicher Anknüpfungspunkt fehlt, ist eine Haftung von Unternehmensleitern dennoch möglich. Die Rechtsprechung hat die Haftungsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui) entwickelt, die eine Haftung der Unternehmensleiter auch ohne ausdrücklichen Anknüpfungspunkt ermöglicht.509 Im Folgenden wird zunächst beispielhaft untersucht, in505

Pradel/Varinard, S. 454; Merle/Vitu, S. 664 „dans l’interêt du Trésor public“. Vgl. auch zu den Direktorenhaftungsklauseln im englischen, US-amerikanischen und kanadischen Strafrecht, 4. Kap. C. II. 3. 507 Code de l’Environnement, Journal officiel v. 21.9.2000 (Ordonnance nº 2000-914 v. 18.9.2000 relative à la partie législative du code de l’environnement, ratifiziert durch loi nº 2003-591 v. 2 juillet 2003)); das Umweltgesetzbuch kodifiziert Umweltvorschriften, die zuvor in unzähligen Einzelgesetzen zu finden waren. 508 Art. L 541-48 frzUmweltG ersetzt Art. 25 Loi nº 75–633 v. 15.7.1975 und lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: Artikel L. 541-46 [Strafvorschriften im Zusammenhang mit dem Abfallrecht] ist auch auf alle anwendbar, die in irgendeiner Weise mit der Leitung, Geschäftsführung oder der Verwaltung des gesamten Unternehmens oder Betriebs betraut sind, und die wissentlich die Missachtung der in diesem Artikel genannten Bestimmungen durch jede Person unter ihrer Führungsgewalt oder ihrer Kontrolle zugelassen haben. 509 Delmas-Marty und Stein unterteilen die Vorschriften in solche, die explizit eine Haftung der Unternehmensleiter vorsehen (explicite), solche, die dies nur im506

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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wieweit die spezielle Direktorenhaftungsklausel des Art. L. 541-48 frzUmweltGB eine Vorgesetztenverantwortlichkeit darstellt.510 a) Allgemeines Nach Art. L 541-48 frzUmweltGB unterliegt das leitende Unternehmenspersonal einer strafrechtlichen Haftung, wenn es „zugelassen“ hat (laissé méconnaître), dass untergebene Angestellte oder Mitarbeiter bestimmte Bestimmungen des Umweltgesetzbuchs missachten. Es handelt sich folglich um die für die Vorgesetztenverantwortlichkeit typische Haftung wegen eines Unterlassens. Art. L. 541-48 frzUmweltGB ist freilich auf bestimmte Straftaten des Abfallrechts beschränkt. b) Objektive Haftungseinschränkung Weitere objektive Merkmale, inbesondere eine Einschränkung ähnlich Art. 28 b) ii) IStGH-Statut enthält Art. L. 541-48 frzUmweltGB nicht ausdrücklich. Die Haftung ist aber, wie erwähnt, auf bestimmte Straftaten des Abfallrechts beschränkt. Implizite Voraussetzung ist, dass die Straftaten des Abfallrechts in Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen und von einem Unternehmensmitarbeiter begangen wurden. Darüber hinaus ist es wohl möglich, sich durch Nachweis wirksamer Delegierung zu entlasten. Eine Delegierung ist in größeren Unternehmen möglich, sofern die Überwachungs- und Kontrollpflichten konkret bestimmt und an eine geeignete Person samt entsprechender Befugnisse übertragen wurden.511 c) Subjektive Voraussetzungen: Wissen Nach Art. L. 541-48 frzUmweltGB macht sich nur strafbar, wer wissentlich (sciemment) die Verletzung von Bestimmungen des Abfallrechts zulässt. Anders als bei Art. 28 b) i) IStGH-Statut ist daher eine Haftung unterhalb des Wissens wohl nicht erfasst. In einem Urteil vom 15. Juni 2005 hat der Kassationsgerichtshof einen Freispruch zweier Direktoren wegen ungenehmigter Einfuhr von verbotenen Waren aufrechterhalten, weil diese guten plizit tun, und stillschweigende (tacite) Vorschriften; vgl. Delmas-Marty, J.C.P. 1985, I, 3218, Stein, S. 118–121. 510 Vgl. andere Beispiele bei Stein, S. 119–121. 511 Vgl. Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 381 ff.; Desportes/Le Gunehec, S. 485–487. Vgl. detaillierter unter D. II. 5.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Glaubens (bonne foi) gewesen seien, also nichts von der verbotenen Ware gewusst haben.512 d) Begriff des Leitungspersonals Art. L. 541-48 frzUmweltGB erfasst die mit der Leitung, Geschäftsführung oder der Verwaltung des gesamten Unternehmens oder Betriebs betrauten Personen. Es handelt sich um das leitende Unternehmenspersonal. Die genannten Personen dürften auch in der Regel Vorgesetzte gegenüber ihnen untergebenen Mitarbeitern des Unternehmens sein. Art. L. 541-48 frzUmweltGB verwendet die für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit typische Umschreibung „Person unter ihrer Führungsgewalt oder ihrer Kontrolle“ (personne relevant de leur autorité ou de leur contrôle). Allerdings erscheint es ausreichend, dass eine Person alternativ unter der Führungsgewalt oder unter der Kontrolle eines Unternehmensleiters steht. e) Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen Art. L. 541-48 frzUmweltGB stellt eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Wirtschaftsbereich dar, die allerdings nur für Abfalldelikte gilt, die von Mitarbeitern des Unternehmens begangen werden und mit dem Unternehmen in Zusammenhang stehen. Anders als im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut haften die Unternehmensleiter nur bei Wissen.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln Bevor im Folgenden vor allem die bereits mehrfach erwähnte Rechtsfigur der Haftung für das Fehlverhalten eines anderen (responsabilité du fait d’autrui) untersucht wird, sind einige einführende Erläuterungen zur Unterlassenshaftung (commission par omission) im französischen Strafrecht erforderlich. I. Keine commission par omission Im Jahre 1901 sprach das Berufungsgericht (cour d’appel) in Poitiers im Fall Monnier513 einen Mann vom Vorwurf der Körperverletzung an seiner 512 Chambre criminelle, Urteil v. 15.6.2005, Nº 04-84180, www.legisfrance.gouv.fr (Juni 2009).

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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geistig zurückgebliebenen Schwester frei, die er mehrere Jahre in einem Zimmer ohne Licht und Luft und ohne die notwendige Pflege hatte leben lassen und deren Gesundheit dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen war. Dieser Fall wird oft als drastisches Beispiel für die unzureichende Unterlassensstrafbarkeit im französischen Strafrecht angeführt.514 Deutlicher hat der Kassationsgerichtshof im Fall Coutant die eingeschränkte Unterlassensstrafbarkeit im französischen Strafrecht auf den Punkt gebracht. Es führte aus, dass abgesehen von eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen eine einfache Unterlassung nicht mit einer positiven Handlung gleichgesetzt werden könne. Die strikte Auslegung des Strafgesetzes verbiete es notwendigerweise, dass ein Begehungsdelikt durch Unterlassen begangen werden könne.515 Wie erwähnt, kennt das französische Strafrecht, anders als das deutsche, österreiche oder schweizerische Strafrecht, keine gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten, d.h. unechten Unterlassensdelikte (commission par omission). Ein Unterlassen ist nach französischem Strafrecht nur dann strafbar, wenn es ausdrücklich in einem Strafgesetz geregelt ist.516 Dies wird vor allem mit dem Gesetzlichkeitsprinzip (principe de la légalité)517 bzw. mit dem Analogieverbot (lex stricta)518 begründet, teilweise auch mit der fehlenden Kausalität.519 1. Nichtverhindern von Straftaten nach Art. 223-6 Abs. 1 frzStGB Allerdings führt dieses äußerst enge Verständnis der Unterlassensstrafbarkeit heute nicht zu großen Strafbarkeitslücken. Denn es gibt mittlerweile viele gesetzlich normierte Unterlassensdelikte.520 Erwähnt sei an dieser Stelle Art. 223-6 frzStGB: „Quiconque pouvant empêcher par son action immédiate, sans risque pour lui ou pour les tiers, soit un crime, soit un délit contre l’intégrité corporelle de la per513 C.A. Poitiers, 20.11.1901, D. 1902.2.81; Si 1902.2.305, Pradel/Varinard, S. 350–351. Loysel hatte hingegen folgende Maxime aufgestellt: „Qui peut et n’empêche, pêche.“ Vgl. bei Bouloc, Droit Pénal Général, S. 207. 514 Vgl. Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 32; Weltz, S. 16 f. Allerdings wird oft übersehen, dass das Gericht auch darauf hinwies, dass der Bruder keine Rechtspflicht zum Handeln hatte. 515 Chambre Criminelle, Urteil v. 29.1.1936, DH 1936.134, Rev. sc. crim. 1936, 226. 516 Desportes/Le Gunehec, S. 378. 517 Art. 111-3 frzStGB. 518 Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 328; Pradel/Varinard, S. 353. 519 Pradel, Droit Pénal Comparé, S. 236. 520 Bernadini, S. 312, 313.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

sonne s’abstient volontairement de le faire est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 75000 euros d’amende. Sera puni des mêmes peines quiconque s’abstient volontairement de porter à un personne en péril l’assistance que, sans risque pour lui ou pour les tiers, il pouvait lui prêter soit par son action personnelle, soit en provoquant un secours.“521

Wegen Art. 223-6 Absatz 2 frzStGB würde der Bruder im Fall Monnier heute wohl nicht mehr straffrei ausgehen. Im Kontext dieser Arbeit ist Art. 223-6 Absatz 1 frzStGB allerdings von größerem Interesse, da es um die unterlassene Verhinderung einer Straftat eines anderen geht. Art. 223-6 Absatz 1 frzStGB enthält ein Unterlassensdelikt, nach dem jeder strafrechtlich haftet, der eine gegen die körperliche Unversehrtheit gerichtete Straftat nicht verhindert, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. Allerdings kommt es auf ein besonderes Verhältnis zu der Person, die im Begriff ist, eine Straftat zu begehen, nicht an. So dürfte Art. 223-6 Absatz 1 frzStGB zwar einige Konstellationen der Vorgesetztenverantwortlichkeit erfassen, stellt aber selbst keine Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit dar, da sie nicht auf die für die Vorgesetztenverantwortlichkeit spezifische Vorgesetztenstellung abstellt. 2. Subsumtion unter Fahrlässigkeitsdelikte Die strikte Ablehnung unechter, ungeschriebener Unterlassensdelikte im französischen Strafrecht wird auch durch die großzügige Auslegung der im Gesetz genannten Tathandlung522 und durch die Figur des „Unterlassens in der Begehung“ (omission dans l’action)523 abgemildert. Schließlich wird 521

Art. 223-6 frzStGB lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: Wer durch sein unmittelbares Tun, ohne Risiko für sich oder Dritte, ein Verbrechen oder Vergehen gegen die körperliche Unversehrtheit verhindern kann, aber dies willentlich unterlässt, wird mit [. . .] bestraft. Genauso wird bestraft, wer es willentlich unterlässt, einer Person in Gefahr Hilfe zu leisten, obwohl er dies durch persönliches Eingreifen oder Hilfeholen ohne Gefahr für sich oder Dritte könnte. 522 So soll beispielsweise die Tathandlung bei der veruntreuenden Unterschlagung in Art. 314-1 frzStGB, das „fait de detourner“, nicht nur einen positiven Akt, sondern auch die bloß passive Weigerung, die anvertrauten Sachen zurückzugeben, umfassen. Allerdings muss diese sich wiederum in einem positiven Akt manifestieren. Chambre Criminelle, Urteil v. 30.12.1943, J.C.P. 1944.II, S. 2621; Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 329. 523 Als Beispiel für ein „Unterlassen in der Begehung“, also eine Art Gemisch aus Tun und Unterlassen, wird üblicherweise eine Betrugshandlung genannt, die in gleichzeitigem Vorspiegeln falscher und Auslassen richtiger Tatsachen besteht. Die Rechtsprechung deutet das Nichterwähnen wichtiger Informationen dann als positiven Akt, weil dadurch das Vertrauen in die Vollständigkeit der Informationen be-

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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die strikte Nichtanerkennung der unechten, ungeschriebenen Unterlassensdelikte auch dadurch umgangen, dass, wie bereits erwähnt, Unterlassungen unter Fahrlässigkeitsdelikte subsumiert werden.524 So ist beispielsweise nach Art. 221-6 frzStGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar, wer durch Ungeschicklichkeit (maladresse), Unvorsichtigkeit (imprudence), Unaufmerksamkeit (inattention), Nachlässigkeit (négligence) oder Verletzung einer im Gesetz oder in anderer Vorschrift niedergelegten Sicherheits- und Sorgfaltspflicht (manquement à une obligation de sécurité ou de prudence) den Tod eines anderen verursacht.525 Hinsichtlich dieser Fahrlässigkeitsvarianten nimmt Art. 221-6 frzStGB Bezug auf die allgemeine Vorschrift zu Vorsatz und Fahrlässigkeit (Art. 121-3 frzStGB).526 Es wird nun als zulässig angesehen, eine durch Unterlassen bewirkte Tötung unter Art. 221-6 frzStGB zu subsumieren, da insbesondere die Fahrlässigkeitsvarianten der Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit ein Element des Unterlassens in sich trügen bzw. die anderen Fahrlässigkeitsvarianten sowohl Tun als auch ein Unterlassen umfassten.527 Diese Subsumtion eines Unterlassens unter Fahrlässigkeitsdelikte findet teilweise auch bei der Haftungsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui) statt, die im Folgenden untersucht wird. II. Allgemeine Direktorenhaftung – Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen (responsabilité du fait d’autrui) Unabhängig von vereinzelten Sondervorschriften der Direktorenhaftung, wie beispielsweise der oben analysierte Art. L 541-48 frzUmweltG, kennt das französische Strafrecht die Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das stärkt werde. Chambre Criminelle, Urteil v. 20.3.1997, Dr. pén. 1997, Comm. 108. Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 329; Pradel/Varinard, S. 357. 524 Desportes/Le Gunehec, S. 379. 525 Art. 221-6 Abs. 1 frzStGB lautet: „Le fait de causer, dans les conditions et selon les distinctions prévues à l’article 121-3, par maladresse, imprudence, inattention, négligence ou manquement à une obligation de sécurité ou de prudence imposée par la loi ou le règlement, la mort d’autrui constitue un homicide involontaire puni de . . .“ 526 Zur Dogmatik der Fahrlässigkeit vgl. Pfefferkorn, Grenzen strafbarer Fahrlässigkeit im französischen und deutschen Recht, 2006. 527 Pradel/Varinard, S. 355; Bouloc, Droit Pénal Général, S. 208: délit d’omission; vgl. für fahrlässige Körperverletzung: Chambre Criminelle, Urteil v. 19.2. 1957, J.C.P. 1957, IV S. 50 (Bienenzüchter wird wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, weil er nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hatte, um seine Nachbarn vor den Bienen zu schützen.). Detailliertere Ausführungen bei Weltz, S. 27–35.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui), die teilweise auch als Direktorenhaftung (infractions imputables aux dirigeants) bezeichnet wird.528 Die Rechtsfigur wird auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz von den Gerichten angewandt.529 Schon im Jahre 1892 hat die Strafkammer des Kassationsgerichtshofes in einem später viel zitierten Ausspruch dargelegt: „S’il est le principe que nul n’est passible de peines qu’à raison de son fait personnel, il en est autrement dans certains cas exceptionnels où des prescriptions légales engendrent l’obligation d’exercer une action directe sur le fait d’autrui; qu’en matière d’industries réglementées, notamment celle des entreprises de démolition, il y a nécessité de faire remonter la responsabilité pénale aux chefs de l’entreprise, parce que les conditions et le mode d’exercise de ces industries leur sont imposées, et qu’ils sont tenus d’assurer l’exécution des règlements.“530

Diese Formel wurde später, teils etwas verändert oder verfeinert, in vielen Urteilen zitiert.531 Die Rechtsfigur gilt für Leiter eines Unternehmens, das besonderer rechtlicher Regulierung unterliegt (entreprise réglementée). Die Bedeutung der Rechtsfigur hat insbesondere in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen, weil immer mehr Wirtschafts- und Arbeitsbereiche rechtlichen Regulierungen unterworfen wurden.532 Die richterrechtliche Rechtsfigur hat Anlass zu Diskussionen gegeben, vor allem im Hinblick auf den Grundsatz im französischen Strafrecht, dass jeder nur für sein eigenes Handeln verantwortlich ist. Dieser Grundsatz ist ausdrücklich im Strafgesetzbuch niedergelegt.533 Teilweise wird argumentiert, dass dieser Grundsatz nur besage, dass niemand allein aufgrund des Handelns eines anderen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden dürfe. 528

Desportes/Le Gunehec, S. 481. Bouloc, Droit Pénal Général, S. 310; Merle/Vitu, S. 665. 530 Chambre Criminelle, Urteil v. 30.12.1892 (Ferrand), S 1894.1.201 (in Bezug auf Abbruchunternehmen), Pradel/Varinard, S. 450–451, dt. Übers durch Verf.: „wenn es einerseits ein Prinzip ist, dass niemand strafbar ist, außer aufgrund seines persönlichen Fehlverhaltens, so ist es in bestimmten Ausnahmefällen anders, wenn rechtliche Vorschriften eine Verpflichtung auferlegen, unmittelbar im Hinblick auf das Handeln eines anderen tätig zu werden; es gibt in reglementierten Industriebereichen, [. . .], eine Notwendigkeit für eine strafrechtliche Verantwortung des Unternehmensleiters, weil die Bedingungen und die Art und Weise des Betriebs dieser Unternehmen ihnen persönlich obliegen, und weil sie gehalten sind, die Beachtung der Regeln zu gewährleisten.“ 531 Z. B. Chambre Criminelle, Urteil v. 28.2.1956 (Widerkehr) Bull. crim. no. 205, J.C.P. 1956.II., S. 9304; Chambre Criminelle, Urteil v. 17.10.1967, Bull. crim. no. 250, Rev. sc. crim. 1968, S. 325; Chambre Criminelle, Urteil v. 31.2.1968 (Morel) Bull. crim., no. 57; Pradel/Varinard, S. 451–452. 532 Pradel/Varinard, S. 454. 533 Art. 121-1 frzStGB: „Nul n’est responsable que de son propre fait.“ Vgl. auch Chambre Criminelle, Urteil v. 20.6.2000, Bull. crim. no. 237, S. 702. 529

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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So sei es durchaus möglich, dass das Verhalten eines Dritten eine Bedingung für die Strafbarkeit darstelle, wenn dem Täter auch ein eigenes Fehlverhalten (faute personelle) vorgeworfen werden könne.534 Teilweise wird die Rechtsfigur als Ausnahme vom Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit bezeichnet.535 Insgesamt ist die Rechtsfigur als solche mittlerweile weithin anerkannt und in der Rechtsprechung fest verankert. 1. Allgemeines Der Unternehmensleiter unterliegt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn Angestellte Rechtsvorschriften oder besondere Reglementierungen verletzt haben. Dies können Verstöße gegen Arbeits-, Wirtschafts- oder Umweltrecht sein. Grundsätzlich kann ein Unternehmensleiter auch für Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte haften, insbesondere soweit sie Folge einer Missachtung von Rechtsvorschriften oder Reglementierungen sind.536 Bei Erfolgsdelikten muss die Verletzung der Vorschriften kausal für den Verletzungserfolg gewesen sein. Es kann sich sowohl um Begehungs- wie auch Unterlassensdelikte handeln.537 Worin die Tathandlung des Unternehmensleiters besteht, ist umstritten. Die Rechtsprechung gibt leider wenig Aufschluss in dieser Frage. Einige Autoren vertreten, dass die Handlung des Unternehmensleiter in einem Unterlassen bestehe. Teilweise findet man in diesem Zusammenhang die für die Vorgesetztenverantwortlichkeit typische Formulierung wieder: Der Unternehmensleiter habe es unterlassen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Begehung der Straftat durch seinen Angestellten zu verhindern, obwohl er die Pflicht dazu hatte.538 Diese Ansicht erscheint allerdings mit dem aus französischer Sicht streng zu handhabenden Gesetzlichkeitsprinzip nicht unbedingt vereinbar. Denn es fehlt – außer bei gesetzlich niedergelegten Unterlassensdelikten – an einem Anknüpfungspunkt im Gesetz für eine derartige Unterlassensstrafbarkeit. Es wird auch vertreten, dass der Unternehmensleiter als „intellektueller Täter“ (auteur morale/intellectuel) gehandelt habe.539 Intellektueller Täter ist nach französischer Auffassung derjenige, der zwar nicht selbst die Merkmale der Straftat verwirklicht wie ein direkter Täter (auteur matériel),540 534

Desportes/Le Gunehec, S. 469. Desportes/Le Gunehec, S. 475. 536 Chambre Criminelle, Urteil v. 10.2.1976, Bull. Crim. no. 52; Bouloc, in: Berthoud (Hg.), La Responsabilité Pénale du Fait d’Autrui, 2002, S. 110. 537 Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 376. 538 Desportes/Le Gunehec, S. 488. 539 Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 376, Bernadini, S. 445. 535

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

aber der jemanden dazu bringt, eine Straftat zu begehen.541 Das französische Strafrecht behandelt den intellektuellen Täter542 in einigen Fällen wie einen direkten Täter,543 obwohl es sich der Sache nach um den Fall einer Teilnahme handelt.544 Bernadini will die Haftung des Unternehmensleiters nun mit der Rechtsfigur eines „passiven“ intellektuellen Täters545 zu fassen bekommen. Dessen Fehlverhalten (comportement fautif) soll in einem Fahrlässigkeitsverschulden liegen, das die Begehung oder Vollendung der Straftat durch die Angestellten ermöglicht hat.546 Die wohl herrschende Meinung vertritt, dass der Unternehmensleiter sich – in dogmatischer Sicht – die objektive Seite der Straftat von seinem Beauftragten oder Angestellten „ausleiht“ (emprunter).547 Mit anderen Worten, ihm wird das Handeln seiner Beauftragten oder Angestellten zugerechnet. Dies sei möglich, weil der Beauftragte oder Angestellte anstelle des Unternehmensleiters gehandelt habe. In subjektiver Hinsicht müsse dem Unternehmensleiter jedoch ein eigenes Verschulden vorzuwerfen sein.548 Die herrschende Meinung versucht mit dieser Konstruktion zu vermeiden, die Rechtsfigur responsabilité du fait d’autrui als Unterlassenshaftung zu bezeichnen, was sie aber der Sache nach wohl ist. 2. Objektive Haftungseinschränkung: Bei Verrichtung der Unternehmenstätigkeit (à l’occasion de fonctionnement de l’entreprise) Die Rechtsfigur responsabilité du fait d’autrui wurde für besonders reglementierte Bereiche geschaffen. Unter Reglementierungen verstand die frühere Rechtsprechung vor allem Vorschriften im Interesse der Gesundheit und öffentlichen Sicherheit;549 heute erfasst der Begriff auch Umwelt540

Art. 121-4 frzStGB lautet: „Est auteur de l’infraction la personne qui: 1. commet les faits incriminés; 2. tente de commettre un crime ou, dans les cas prévus par la loi, un délit.“ 541 Merle/Vitu, S. 677: „décideur“. 542 Der intellektuelle Täter ist aber nicht mit dem mittelbaren Täter gleichzusetzen, Lelieur-Fischer, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 4, S. 59. 543 Bspw. Art. 211-1 frzStGB (Völkermord): „commettre ou de faire commettre“ (Hervorhebung hinzugefügt). 544 Merle/Vitu, S. 677; Conte/Maistre du Chambon, S. 232; Bouloc, Droit Pénal Général, S. 267 ff. 545 Bernadini, S. 445: „auteur intellectuel passif“. 546 Bernadini, S. 455. 547 Bouloc, Droit Pénal Général, S. 318; Merle/Vitu, S. 668; Conte/Maistre du Chambon, S. 248. 548 Merle/Vitu, S. 668.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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schutz-, Arbeitsschutz- und sogar Finanzvorschriften.550 Daher hat die Voraussetzung „reglementiertes Unternehmen“ jedenfalls heute keine haftungseinschränkende Funktion mehr.551 Nahezu alle Unternehmen und Betriebe unterfallen heutzutage bestimmten Reglementierungen. Es muss aber stets ein Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit bestehen. Die Rechtsfigur ist nur anwendbar, wenn die Straftaten bei Verrichtung der Unternehmenstätigkeit (à l’occasion de fonctionnement de l’entreprise) begangen wurden.552 Der Unternehmensleiter ist nicht strafbar, wenn die Straftat keinerlei Bezug zur Unternehmenstätigkeit hatte bzw. privat motiviert war.553 3. Subjektive Voraussetzungen Unabhängig von der Frage, ob es auf ein Unterlassen als eigenständige Handlung des Unternehmensleiters ankommt, besteht doch weitgehend Einigkeit, dass der Unternehmensleiter aufgrund eines persönlichen Verschuldens (faute personelle) haftet.554 Die Rechtsprechung neigt aber zu einer stark objektivierten Betrachtungsweise.555 Das Verschulden des Unternehmensleiters wird meist schon darin gesehen, nicht für die Einhaltung der für das Unternehmen geltenden Regeln gesorgt zu haben.556 Der Kassationsgerichtshof lässt es dabei genügen, dass der Gesetzestext, wenn auch nur implizit,557 den Unternehmensleiter verpflichtet, die Einhaltung bestimmter Regeln zu überwachen.558 549

Chambre Criminelle, Urteil v. 28.2.1956 (Widerkehr), Bull. crim. no. 205, J.C.P. 1956.II, S. 9304: „dans interêt de salubrité ou de securité publiques.“ 550 Chambre Criminelle, Urteil v. 28.2.1956 (Widerkehr), Bull. crim. no. 205, J.C.P. 1956.II, S. 9304; Chambre Criminelle, Urteil v. 17.10.1967, Bull. crim., no. 250, Rev. sc. crim. 1968, S. 325 (Kinosaal); vgl. auch Nachweise bei Pradel/Varinard, S. 457. 551 Weltz, S. 45–46; Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 375. 552 Pradel/Varinard, S. 457. 553 Pradel/Varinard, S. 456. (Z. B. Verweis auf Diebstahl von Elektrizität durch einen Angestellten); Bouloc, in: Berthoud (Hg.), La Responsabilité Pénale du fait d’Autrui, 2002, S. 115 (Tötung eines Angestellten aus privaten Motiven). 554 So genannte Theorie des Verschuldens im Gegensatz zur Theorie des Risikos, vgl. Merle/Vitu, S. 667 f. 555 Pfefferkorn, S. 51, 45 f. 556 Merle/Vitu, S. 668; Deportes/Le Gunehec, Droit Pénal Général, 9. Aufl., 2002, S. 484 ff. 557 Stein unterteilt diese Sondervorschriften in solche, die eine Haftung des Unternehmensleiters für fremdes Verhalten ausdrücklich (explicite) vorsehen, solche, die eine solche Haftung nur implizit (implicite) mit erfassen, und solche, die nur allgemeine Angaben über die Täter machen (tacite) und gegebenfalls Unternehmensleiter mit erfassen. Stein, S. 118–121.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

In einigen Fällen bedarf es überhaupt keiner Feststellung eines Verschuldenselements, weil es sich um Verletzungen von Übertretungstatbeständen (contraventions) handelt, für die weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit erforderlich ist. Es obliege hier dem Unternehmensleiter, darüber zu wachen, dass die Reglementierungen „strikt und stets“ eingehalten werden; ein entsprechendes Übertretungsverschulden (faute contraventionelle) des Unternehmensleiters wird vermutet.559 Weitgehend unproblematisch lässt sich die Rechtsfigur auch bei Fahrlässigkeitsdelikten anwenden. Das französische Strafrecht kennt, wie erwähnt, verschiedenste Ausprägungen der Fahrlässigkeit, die in den Straftatbeständen ausdrücklich genannt sein müssen (Art. 121-3 frzStGB). Die Fahrlässigkeitsvarianten der „Nachlässigkeit“ (négligence), „Unvorsichtigkeit“ (imprudence) und „Verletzung einer im Gesetz oder in anderen Vorschriften vorgesehenen Sicherungs- oder Sorgfaltspflicht“ (manquement à une obligation de prudence ou de sécurité prévue par la loi ou les règlements) ähneln sich sehr.560 Nach französischer Auffassung kann das Versäumnis des Unternehmensleiters, für die Beachtung bestimmter Regeln zu sorgen, unproblematisch unter die Begriffe der Nachlässigkeit, Unvorsichtigkeit oder Verletzung einer Sicherungs- oder Sorgfaltspflicht subsumiert werden.561 Im Jahr 2000 wurden, wie erwähnt,562 die Fahrlässigkeitsregeln neu gefasst und insbesondere Art. 121-3 Abs. 3 frzStGB geändert und um einen vierten Absatz ergänzt. Durch diesen neuen Absatz, der vor allem die Haftung öffentlicher Entscheidungsträger einschränken sollte,563 könnte sich auch die Anwendung der Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ verändern. Wie bereits erläutert, kommt es bei Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB darauf an, ob der Schaden direkt und indirekt verursacht wurde. Was den betrieblichen Bereich angeht, so hat die französische Rechtsprechung grundsätzlich ein technisches Versagen oder auch das Versagen von Angestellten als die direkte Ursache eines Schadens angesehen, Organisationsfehler und Kontrollmängel auf Seiten von Leitungspersonal hingegen nur als indirekte Ursache.564 Dies spricht dafür, dass 558

Merle/Vitu, S. 665 m. w. N. aus der Rechtsprechung. Chambre Criminelle, Urteil v. 10.2.1976, Bull. crim. no. 52: „stricte et constante execution des dispositions“. 560 Vgl. Bernadini, S. 410–411. 561 Pradel/Varinard, S. 462. 562 Siehe oben B. I. 3. 563 Bernadini, Revue Pénitentiaire, 17–18, 20; Pradel/Varinard, S. 463; Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 458 ff. 564 Vgl. B. I. 3. a) und insbesondere Cotte/Guihal, La Mise en Oeuvre Jurisprudentielle de la Loi du 10 Juillet 2000 relative à la Définition des Délits non intenti559

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB nunmehr auch bei der Haftungsfigur der responsabilité du fait d’autrui anzuwenden ist. In der Tat haben französische Gerichte in einer Reihe von Urteilen Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB bereits auf Unternehmensleiter angewandt.565 Der Kassationsgerichtshof bestätigte beispielsweise die Verurteilung eines technischen Leiters wegen Gewässerverschmutzung aufgrund von Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB, da diese unmittelbar durch Unternehmensmitarbeiter herbeigeführt worden war, und bezeichnete den Angeklagten dabei als „indirekten Täter“: „Est un auteur indirect, au sens de l’article 121-3, alinéa 4, du Code pénal, le directeur technique d’une entreprise, titulaire d’une délégation de pouvoirs, qui, connaissant l’importance des risques générés par cette installation classée, implantée au bord d’un fleuve, et en l’état d’incidents déjà survenus, ne prend pas les dispositions utiles pour éviter un rejet de substances polluantes trouvant sa cause directe dans l’intervention sur le site de personnels d’entreprises tierces chargées de la maintenance du matériel en fin de semaine.“566

Will man einen Unternehmensleiter zur strafrechtlichen Verantwortung ziehen, soweit Unternehmensmitarbeiter eine Straftat begangen haben, muss ein offensichtlich bewusster Verstoß (manifestement délibérée) oder ein charakterisiertes (faute caractérisée), d.h. ein besonders schweres oder qualifiziertes Verschulden nachgewiesen sein.567 Die Schwelle für die Haftung von Unternehmensleitern wurde durch die Neufassung des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB somit erhöht. Denn diese haben den Tatbestandserfolg bzw. Schaden in der Regel nicht direkt verursacht.568 Die Unternehmensleiter unterliegen daher der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht mehr schon bei einfacher Fahrlässigkeit (faute simple), sondern nur bei grober bzw. gesteigerter oder bewusster Fahrlässigkeit. Allerdings haben die Gerichte in den vorliegenden Urteilen trotz erhöhter Schwelle des Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB ein Verschulden der meisten Unternehmensleiters bejaht, zumeist in der Alternative des schweren oder charakterisierten Verschuldens.569 onnels, Februar 2006, http://www.senat.fr/colloques/colloque_2006_delit/colloque_ 2006_delit6.html#toc16 (Juni 2009). 565 Chambre criminelle, Urteil v. 15.1.2005, Nº 04-84196, www.legifrance.gouv. fr; Chambre criminelle, Urteil v. 23.11.2004, Nº 04-80830, www.legifrance.gouv.fr; Chambre criminelle, Urteil v. 6.1.2004, Nº 02-86271, www.legifrance.gouv.fr; Chambre criminelle, Urteil v. 15.1.2002, Nº 00-87763, www.legifrance.gouv.fr; Chambre criminelle, Urteil v. 5.12.2000, Bull. crim. 2000 no. 363 S. 1096; Chambre criminelle, Urteil v. 24.10.2000 Nº 00-82467, www.legifrance.gouv.fr. 566 Chambre criminelle, Urteil v. 19.10.2004, Bull. crim. 2004 no. 247, S. 920. 567 Bernadini, Revue Pénitentiaire, 22; Pradel/Varinard, S. 463; Heine, ZStrR 2003, 40, Fn. 53. 568 Vgl. bereits B. I. 3.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Die Gerichte haben auch einige Verurteilungen auf Grundlage der responsabilité du fait d’autrui wegen Vorsatzdelikten ausgesprochen. Entweder wurde in diesen Fällen der Vorsatz auf seiten des Unternehmensleiters nicht gesondert geprüft, oder eine derartige Prüfung wurde für unerheblich erklärt.570 In der Literatur wird die Anwendung der Haftungsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ auf Vorsatzdelikte überwiegend als problematisch angesehen. Die Rechtsfigur sei nur bei Fahrlässigkeitsdelikten oder Übertretungen anwendbar.571 Diese Einschränkung erscheint folgerichtig, ruft man sich die im französischen Strafrecht zulässige Subsumtion eines Unterlassens unter Fahrlässigkeitsdelikte in Erinnerung. Das Unterlassen des Unternehmensleiters, für die Einhaltung der Regeln in seinem Unternehmen zu sorgen und Straftaten zu verhindern, lässt sich nach französischer Rechtsauffassung unter verschiedene Formen der Fahrlässigkeit subsumieren und kann darin vollständig aufgehen; bei Vorsatzdelikten ist dies aber gerade nicht möglich. Pradel und Varinard gehen in ihrer Kritik so weit, den Gerichten vorzuwerfen, dass sie in den Urteilen das Vorsatzelement „pervertiert“ und die Straftaten in einfache objektive Tatbestände umgewandelt hätten.572 Andere Autoren scheinen die Verurteilung wegen Vorsatzes eher als Ausrutscher zu sehen.573 Conte und Maistre du Chambon meinen, der Vorsatz des Unternehmensleiters bestehe in der bewussten, ja vorsätzlichen Verletzung einer Garantiepflicht, die dem Unternehmensleiter obliege. Der Vorsatz beziehe sich daher nicht auf den Erfolg der Straftat, sondern auf die Verletzung dieser Pflicht.574 Diese Erklärung erscheint nicht tragfähig, weil sie ebenfalls den Begriff des Vorsatzes „pervertiert“, indem sie ihn nicht mehr auf den tatbestandlichen Erfolg der Straftat bezieht.575 569 Desportes/Le Gunehec, S. 485 mutmaßen ebenfalls, dass die Änderungen nichts an der Rechtsprechung ändern. 570 Chambre Criminelle, Urteil v. 28.2.1956 (Widerkehr), Bull. crim. no. 205; J.C.P. 1956.II, S. 9098 (Wasserverschmutzung); Chambre Criminelle, Urteil v. 21.11.1963, Bull. crim. no. 330 (Betrug); Chambre Criminelle, Urteil v. 17.10.1967, Bull. crim. no. 250 (élément intentionel du délit se deduit du defaut de précautions); Chambre Criminelle, Urteil v. 26.02.1998, Rev. sc. crim. 1998, S. 711 (Betrug); Chambre Criminelle, Urteil v. 20.4.2005, Bull. crim. no. 141, S. 513 (il n’importe pas qu’il n’avait pas connu les irrégularités constatées). 571 Desportes/Le Gunehec, S. 484: „il serait en effet anormale de reprocher au dirigeant une infraction intentionelle . . . puisqu’une telle intention n’existe pas chez le dirigeant“; Merle/Vitu, S. 669; Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 377; Conte/Maistre du Chambon, S. 248; Bernadini, S. 455. 572 Pradel/Varinard, S. 464. 573 Merle/Vitu, S. 669. So wohl auch Stein, S. 133. 574 Conte/Maistre du Chambon, S. 249.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

221

Die Gerichte scheinen häufig ein persönliches Verschulden des Unternehmensleiters zu vermuten (présomption).576 Die Vermutung wird teilweise als unwiderlegbar eingeschätzt.577 In der Praxis hat es sich jedenfalls als nicht sehr einfach erwiesen, den Entlastungsnachweis zu führen.578 Dies scheint sich auch nach Inkrafttreten von Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB nicht grundsätzlich geändert zu haben. 4. Leiter eines reglementierten Unternehmens Der strafrechtlichen Haftung für das Fehlverhalten ihrer Angestellten unterliegen die Leiter von reglementierten Unternehmen (entreprise réglementée). Der Unternehmensbegriff ist sehr weit gefasst, als organisatorische Gesamtheit, die ein objektiv bestimmtes Ziel verfolgt.579 Die Angestellten stehen in der Regel in einem hierarchischen Verhältnis zu den Unternehmensleitern, die ihr Verhalten überwachen und kontrollieren.580 Die Unternehmensleiter stellen insoweit auch Vorgesetzte dar. Die Rechtsprechung prüft in der Regel nicht, ob die Unternehmensleiter tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über die untergebenen Unternehmensmitarbeiter ausüben.581 Wie erwähnt, enthalten jedoch einige gesetzliche Direktorenhaftungsklauseln (z. B. Art. L. 541-48 frzUmweltG) diese Voraussetzung ausdrücklich. 5. Delegierung – Keine Doppelverantwortung Dem Unternehmensleiter steht vor allem eine Verteidigungsoption zur Verfügung: Er kann sich durch den Einwand der Delegierung seiner Überwachungs- und Kontrollpflichten entlasten.582 Eine Delegierung ist in grö575 Stein hält diese Begründung für konsequenter, aber zweifelt wohl auch an der Zulässigkeit einer derartigen Ersetzung; vgl. Stein, S. 133. 576 Desportes/Le Gunehec, S. 485. 577 Merle/Vitu, S. 670; Desportes/Le Gunehec, S. 488. 578 Weltz bewertet die Möglichkeit der Entlastung durch den Nachweis sorgfaltspflichtgemäßen Verhaltens als relativ hoch, bezieht sich sogar noch auf den alten Wortlaut von Art. 121-3 Abs. 2 frzStGB; Weltz, S. 51. 579 Pradel/Varinard, S. 456; Merle/Vitu, S. 640–641. 580 Bernadini, S. 454. 581 In der Entscheidung der Strafkammer des Kassationsgerichtshofes (Chambre Criminelle) v. 20.4.2005, Bull. crim. no. 141, S. 513, findet sich folgende Berufungsbegründung: „la responsabilité pénale du chef d’entreprise est une responsabilité ès qualités attachée aux pouvoirs de direction dont il dispose“. Der Kassationsgerichtshof stellt allerdings maßgeblich auf die Nichterfüllung der Pflicht zur Überwachung ab.

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3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

ßeren Unternehmen möglich, sofern die Überwachungs- und Kontrollpflichten konkret bestimmt und an eine geeignete Person samt entsprechender Befugnisse übertragen wurden.583 Die Rechtsprechung hat dabei eine gleichzeitige Haftung des Unternehmensleiters und derjenigen Person, der bestimmte Zuständigkeiten übertragen wurden, für dasselbe Delikt ausgeschlossen.584 Damit ist es Voraussetzung, so kann man schlussfolgern, dass durch die Delegierung eindeutige und ausschließliche Zuständigkeitsbereiche geschaffen werden.585 In einem neuen Urteil hat der Kassationsgerichtshof nun erstaunlicherweise grundsätzlich ausgeschlossen, dass neben dem Unternehmensleiter ein weiterer Untergebener wegen derselben Unterlassungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit gezogen wird.586 Während sich der Ausschluß einer Doppelverantwortung zwischen Delegierendem und Delegator mit einem engen Verständnis der Delegierung begründen lässt, erscheint eine grundsätzlicher Ausschluß von Doppelverantwortung zwischen Unternehmensleiter und Untergebenen nicht angebracht. Da es in dem Fall allerdings ebenfalls um die Frage wirksamer Delegierung von Verantwortlichkeiten ging, dürfen diese Ausführungen des Gerichts wohl nicht als grundsätzlicher Ausschluß einer Doppelverantwortung verstanden werden.587 6. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln Die Figur der Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen, die vor allem im Unternehmensbereich eine Rolle spielt, weist bestimmte Parallelen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit auf. Aus Sicht anderer Rechtssysteme mag insbesondere die herrschende Auffassung, dass es sich nicht um eine Unterlassenshaftung handeln soll, merkwürdig erscheinen. Nur in den Fällen, in denen die Angestellten ein Unterlassensdelikt begehen, soll auch der Unternehmensleiter Unterlassenstäter sein. Eine derartige Begründung 582

Desportes/Le Gunehec, S. 485–487. Vgl. Pradel, Manuel de Droit Pénal Général, S. 381 ff. 584 Chambre Criminelle, Urteil v. 10.2.1976, Bull. crim. no. 52, S. 123. 585 Chambre Criminelle, Urteil v. 23.11.2004, Bull. crim. no. 295, S. 1107: „un chef ne peut déléguer se pouvoirs à plusieurs personnes pour l’éxecution d’un même travail.“ 586 Chambre Criminelle, Urteil v. 14.3.2006, Bull. crim. no. 75, S. 283. 587 Chambre Criminelle, Urteil v. 14.3.2006, Bull. crim. no. 75, S. 283: „Mais attendu qu’en se déterminant ainsi, sans davantage s’expliquer sur les conditions et effets de la délégation de pouvoirs invoquée, et alors que la responsabilité pénale des infractions poursuivies ne pouvait être cumulativement retenue contre le chef d’entreprise et un préposé en raison des mêmes manquements, la cour d’appel n’a pas donné de base légale à sa décision.“ 583

E. Zusammenfassung

223

ist auf die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht übertragbar, die richtigerweise als Unterlassenshaftung verstanden wird. Sowohl die französische als auch die völkerstrafrechtliche Haftungsfigur haben jedoch gemeinsam, dass der Unternehmensleiter bzw. Vorgesetzte letztlich für die durch ihre Untergebenen begangene Straftat haften. Durch die Art der Straftaten ist der Anwendungsbereich der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ deutlich eingeschränkt, da es sich vorwiegend um Vorschriften des Arbeits-, Umwelt- und Wirtschaftsrechts handelt. Die Straftaten stehen grundsätzlich in engem Zusammenhang mit dem Unternehmen, worin man eine Organisationsbezogenheit der Straftaten erkennen mag. Wie bereits in Bezug auf eine Reihe von Vorschriften der deutschen, österreichischen und schweizerischen Rechtsordnung erwähnt, könnte eine derartige Organisationsbezogenheit auch im Rahmen von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut eine Rolle spielen. Schließlich ist es erwähnenswert, dass nach den reformierten Fahrlässigkeitsregeln nunmehr entweder ein schweres Verschulden oder eine Form der bewussten groben Fahrlässigkeit erforderlich ist.

E. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter im französischen Recht Bisher liegt in Frankreich lediglich ein Entwurf für zwei spezielle Umsetzungsvorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit vor, die Art. 28 IStGH-Statut weitgehend kopieren. Insbesondere die zusätzlichen bzw. abweichenden Voraussetzungen des Art. 28 b) für nicht-militärische Vorgesetzte sollen wortgleich übernommen werden. Deshalb lassen sich nur einige wenige Rückschlüsse ziehen. Die französische Formulierung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, dass es eine Verbindung (lié) zwischen den Straftaten und den Tätigkeiten der Untergebenen geben muss, könnte als Voraussetzung einer Organisationsbezogenheit der Straftaten der Untergebenen ausgelegt werden. Die besonderen subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 b) i) IStGH-Statut („eindeutige Informationen bewusst außer acht lassen“) dürften im französischen Recht wohl einem „offensichtlich bewussten Sorgfaltspflichtverstoß“, wie er in dem reformierten Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB normiert ist, gleichkommen, und damit als dol éventuel im französischen Sinne auszulegen sein, was einer Art bewusster grober Fahrlässigkeit entspricht. Für eine Abgrenzung des militärischen vom nicht-militärischen Vorgesetzten liefern die Umsetzungsvorschriften nur den Anhaltspunkt, dass diese nicht über eine das Vorliegen oder Nichtvorliegen von „Befehlsgewalt“ erfolgen kann.

224

3. Teil, 2. Kap.: Frankreich

Unabhängig von der geplanten Umsetzungsvorschrift kennt das französische Strafrecht bisher lediglich vereinzelte Sondervorschriften, die einer Vorgesetztenverantwortlichkeit ähneln. Dies betrifft vor allem den militärischen und den Unternehmensbereich. Im militärischen Bereich ist insbesondere Art. L. 122-4 frzMilG zu nennen. Dieser ist enger gefasst als Art. 28 a) IStGH-Statut, weil militärische Vorgesetzte nur bei Vorsatz haften. Vorschriften, die eine Vorgesetztenverantwortlichkeit von nicht-militärischen Amtsträgern vorsehen, fehlen fast vollständig. Eine Ausnahme stellt hier Art. 432-5 frzStGB dar. Einige wenige Gesetze im wirtschaftlichen Bereich enthalten jedoch ausdrückliche Direktorenhaftungsklauseln, nach denen Direktoren oder Unternehmensleiter strafrechtlich haften, wenn sie wissentlich Rechtsverletzungen durch Personen unter ihrer Führungsgewalt oder ihrer Kontrolle zugelassen haben. Sofern eine Direktorenhaftungsklausel nicht ausdrücklich im Gesetz niedergelegt ist, greift die Rechtsprechung oft auf die Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui) zurück. Die Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ hat einige Parallelen mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Denn sie begründet eine Verantwortlichkeit von Direktoren und Unternehmensleitern für Straftaten ihrer Angestellten, wenn sie ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Kontrolle und Überwachung nicht nachgekommen sind. Als besonderes haftungseinschränkendes Kriterium ist im Rahmen der französischen Rechtsfigur vorausgesetzt, dass die Angestellten Straftaten im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit begehen. Hier lässt sich eine Parallele zu Art. 28 b) ii) IStGH-Statut ziehen, wonach die Straftaten Tätigkeiten betreffen, über die der Vorgesetzte Verantwortung und Kontrolle hat. Für rein private Straftaten haftet der Direktor und Unternehmensleiter im französischen Recht nicht. Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so findet ebenfalls Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB und seine erhöhten Haftungsvoraussetzungen Anwendung. Die Alternative des „offensichtlich bewussten Sorgfaltspflichtverstoßes“ hat dabei starke Parallelen zu Art. 28 b) i) 2. Alternative IStGH-Statut. Obwohl die Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ sich breiter Anwendung durch die Gerichte erfreut, hat sie nicht den Status einer allgemeinen Haftungsfigur. Zu einer Verankerung als allgemeine Haftungsfigur (de façon générale)588 im allgemeinen Teil des neuen Strafgesetzbuchs von 1994 kam es nicht – entsprechende Vorschläge haben sich nicht durchsetzen können. So enthielten die Vorprojekte zum 588

Pradel, Manuel de Droit Pénal Géneral, S. 373.

A. Der postsowjetische Rechtskreis

225

Strafgesetzbuch Entwürfe für Vorschriften,589 die einer allgemeinen Vorgesetztenverantwortlichkeit sehr nah gekommen wären. Beispielsweise sollte nach den Vorstellungen des Vorprojekts des Jahres 1983 auch strafrechtlich haften: „Celui, qui laisse commettre par une personne placée sous son autorité l’acte incriminé, lorsque cet acte consiste en la violation de prescription qu’il avait directement ou par délégation l’obligation légale de faire respecter.“590

Angeblich wurden diese Entwürfe im Allgemeinen Teil nicht umgesetzt, weil derartige Regelungen im Besonderen Teil besser aufgehoben seien. Außerdem wurde argumentiert, dass keine Rechtsunsicherheit bestehe, da die Rechtsprechung der Gerichte in der Frage der Direktorenverantwortlichkeit gefestigt sei.591 In Wahrheit wollte man womöglich die Hochstufung zu einer allgemeinen Haftungsfigur vermeiden, die dann auch auf andere Bereiche als die Haftung des Direktors und Unternehmensleiters anwendbar gewesen wäre. Die Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ ist allerdings auch heute nicht auf Direktoren und Unternehmensleiter beschränkt. Es ist nicht ausgeschlossen, die Rechtsfigur auch auf öffentliche Entscheidungsträger (décideurs publics) anzuwenden. Es gelten dabei grundsätzlich dieselben Voraussetzungen.592

Drittes Kapitel

Vorgesetztenverantwortlichkeit im russischen, belorussischen und georgischen Strafrecht A. Der postsowjetische Rechtskreis Bei dem „postsowjetischen Rechtskreis“ handelt es sich um einen relativ jungen Rechtskreis. Er umfasst diejenigen Länder, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 als selbständige Staaten entstanden und die zuvor einem „sowjetischen“ bzw. „sozialistischen Rechtskreis“ 589 Vgl. Desportes/Le Gunehec, S. 483: Art. 2102-2 avant-projet 1978 lautete: „Celui, qui par omission volontaire ou incurie, laisse enfreindre par une personne placée sous son autorité les prescriptions légales ou réglementaires pénalement sanctionées dont la charge d’assure le respect lui est personellement imposée.“ 590 Art. 25-2 avant-projet 1983, dt. Übersetzung durch Verf.: „Wer es zulässt, dass eine Person unter seiner Autorität eine strafbare Handlung begeht, wenn diese Handlung in der Verletzung einer Vorschrift besteht, zu deren Beachtung er direkt oder oder aufgrund Delegierung rechtlich verpflichtet war.“ 591 Desportes/Le Gunehec, S. 483, zustimmend. 592 Desportes/Le Gunehec, S. 489 ff.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

zugeordnet worden waren. Der postsowjetische Rechtskreis wurde in rechtsvergleichenden Arbeiten bisher kaum beachtet. Dies hängt damit zusammen, dass die Länder des postsowjetischen Rechtskreises noch bis vor wenigen Jahren mit der Reformierung oder Neufassung wichtiger Gesetze beschäftigt waren. Dementsprechend fehlt es derzeit vielfach noch an Rechtspraxis und brauchbarer Kommentarliteratur.593 Hinzu kommt, dass sich die westliche rechtsvergleichende Literatur über die Existenz eines „sozialistischen Rechtskreises“ schon nicht einig war.594 Während Rechtswissenschaftler aus der Sowjetunion wie selbstverständlich von einer Zweiteilung in einen „sozialistischen“ und einen „kapitalistischen Rechtskreis“ ausgingen,595 hielten einige westliche Rechtsvergleicher vor allem die Gleichbehandlung von so unterschiedlichen Staaten wie der Sowjetunion, Nordkorea oder China und Ländern Osteuropas als sozialistische Rechtssysteme für fragwürdig. Die Existenz eines „sowjetischen Rechtskreises“, der allein die Republiken der Sowjetunion umfasste, war weniger umstritten.596 Der sowjetische Rechtskreis sei jedoch als Unterfall der großen Rechtsfamilien zu behandeln. Wie die große kontinental-europäische bzw. römisch-germanische Rechtsfamilie fuße das sowjetische Recht auf geschriebenen Rechtsquellen und habe seine historische Herkunft aus dem römischen Recht597 nicht verdrängt. Andererseits sei der offen politische und „sozialrevolutionäre Charakter“ des Rechts derart prägend, dass dies eine eigenständige Behandlung als Unterfall der kontinental-europäischen Rechtsfamilie rechtfertigen könne.598 Der post-sowjetische Rechtskreis wird im Rahmen dieser Arbeit in diesem Sinne als Unterfall des kontinental-europäischen Rechtskreises behandelt. Das postsowjetische Strafrecht599 unterscheidet sich in einigen Grund593 Die Kommentierungen zu den einzelnen Artikeln der Strafgesetzbücher haben zumeist ein sehr niedriges Niveau; sie beschränken sich häufig auf eine Paraphrasierung oder gar bloße Wiederholung des Gesetzestextes. 594 So äußerte Westen bspw. Zweifel an der Existenz eines sozialistischen Rechtskreises: Westen, in: Einführung in die großen Rechtssysteme, S. 221–429, S. 226 f. Vgl. auch die Diskussion um einen sozialistischen Rechtskreis bei Neumayer, in: Einführung in die großen Rechtssysteme, S. 64 ff.; David selbst vertrat aber zeitweise eine Einteilung in einen römisch-germanischen, angelsächsischen und sozialistischen (und religiösen) Rechtskreis, vgl. David, Osnovnye Pravovye Sistemy Sovremennosti, S. 37 ff.; vgl. auch David/Brierly, S. 155–306. 595 Es gehörte zum guten Ton, in einer wissenschaftlichen Abhandlung Seitenhiebe gegen die „kapitalistischen Rechtsordnungen“ zu verteilen. Vgl. zur Rechtsvergleichung in den sozialistischen Staaten: Constantinesco, S. 146 ff. 596 Westen, in: Einführung in die großen Rechtssysteme, S. 235–393. 597 Dies wurde freilich von sowjetischer Seite geleugnet, Avenarius, S. 1 ff. 598 Neumayer, Einteilung in Rechtskreise, in: Einführung in die großen Rechtssysteme, S. 65.

A. Der postsowjetische Rechtskreis

227

konzeptionen wesentlich von den Strafrechtssystemen anderer Länder des kontinental-europäischen Rechtskreises.600 Bei der Reformierung des Rechts nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Entpolitisierung des Rechts eine der obersten Prioritäten gewesen. Mit der Abschaffung des „sozial-revolutionären“ Charakters des Rechts ist daher auch eine maßgebliche Begründung für die Sonderrolle, die die Länder in der kontinental-europäischen Rechtsfamilie gespielt haben, entfallen. Jedoch wurden bei der Reformierung des Strafrechts nach 1991 nicht alle Rechtsinstitute abgeschafft, so dass es Kontinuitäten gibt, die das postsowjetische Strafrecht weiterhin als interessanten Unterfall der kontinental-europäischen Rechtsfamilie erscheinen lassen. I. Reform der Strafgesetzgebung Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stand eine grundsätzliche Reform der Strafgesetzgebung an. Zu diesem Zweck erarbeitete eine Arbeitsgruppe ein Modell-Strafgesetzbuch, das am 17. Februar 1996 vom interparlamentarischen Ausschuss der GUS-Länder angenommen wurde.601 Obwohl das Modell-StGB bloß empfehlenden Charakter hat,602 diente es vielen Nachfolgestaaten bei der Reformierung des Strafrechts als Orientierung. Die alten Strafgesetzbücher der Russischen, der Belorussischen und der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik (RSFSR, BSSR, GeorgSSR) stammten noch aus den Jahren 1960 und 1961.603 Sie waren inhaltlich weitgehend identisch. Dies ist damit zu erklären, dass sie sich an den „Grundsätzen der Strafgesetzgebung der Union“ von 1958604 auszurichten hatten, 599 Ein kurzes Kapitel zum „postsozialistischen Strafrecht“ bei Kudrjavcev/Nauˇ ast¢, S. 107 f.; vollkommen ausgeblendet bleibt die Frage der Zuordmov, Obšcˇaja C nung Russlands bei Saidov, Sravnitel¢noe Pravovedenie i Juridicˇeskaja Geografija Mira, 1993. 600 Vgl. zum Verbrechensverständnis im chinesischen System bei Richter, S. 143 ff. mit klaren Parallelen zum (post)sowjetischen Verbrechensverständnis. 601 Modelnyj Ugolovnyj Kodeks (Modell-Strafgesetzbuch), Priloženie k „Informacionnomu Bjulletenju“, 1996 Nr. 10 = Pravovedenie 1996, Nr. 1 S. 91 ff., vgl. unter http://www.iacis.ru/html/index.php?id=22&pag=30&nid=1 (Juni 2009). 602 Vgl. nähere Erläuterungen zum Modell-Strafgesetzbuch bei Lammich, in: Festschrift Brunner, S. 312–323. 603 Das Strafgesetzbuch der RSFSR trat am 1. Januar 1961 in Kraft, das Strafgesetzbuch der GeorgSSR am 1. März 1961 und das Strafgesetzbuch der BSSR am 1. April 1961. 604 Vgl. Eser/Arnold, Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Bd. 7 Rußland, Weißrußland, Georgien, Estland, Litauen, 2003, Kap. Rechtsverständnis und Rechtsentwicklung in der Sowjetunion, S. 110 ff.; Schroeder, Grundsätze der Strafgesetzgebung, Staatsschutz- und Militärstrafrecht der UdSSR, 1975.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

mit denen die Sowjetunion weitreichende Vorgaben gemacht hatte. Obwohl sich in diesen Gesetzbüchern der Sowjetrepubliken der 1960er Jahre schon eine gewisse Liberalisierung des Strafrechts äußerte,605 entschied man sich nach 1991 in Russland, Belarus und auch in Georgien für eine Neukodifizierung des Strafrechts.606 In Russland ist nach längeren Vorarbeiten607 am 1. Januar 1997 ein neues Strafgesetzbuch (russStGB)608 in Kraft getreten. Das neue Strafgesetzbuch von Belarus ist seit dem 1. Januar 2000 in Kraft (belorussStGB),609 ein neues georgisches Strafgesetzbuch (georgStGB)610 seit dem 1. Juni 2001. Prägend war im russischen Gesetzgebungsprozess, dass sogleich nach der Verabschiedung und noch vor Inkrafttreten dieses Strafgesetzbuchs Entwürfe für Änderungsgesetze ins Parlament eingebracht wurden.611 Bis heute dauert dieser Prozess der Änderung und Anpassung des Strafgesetzbuchs an. Ähnliches ist auch in Bezug auf das belorussische und georgische Strafgesetzbuch zu beobachten.612 Viele Vorschläge zur Einführung neuer, oft ungewöhnlich spezieller Tatbestände613 sind dabei aktuellen sozialen oder wirtschaftlichen Problemen geschuldet, die man mit den Mitteln des Straf605 Z. B. wurde der formell-materielle Straftatbegriff eingeführt und das Prinzip der strafrechtlichen Verantwortlichkeit aufgrund von Analogie abgeschafft. Vgl. zu der Diskussion in der Sowjetunion Schroeder, Das Strafrecht der UdSSR, S. 10 ff. 606 In Estland und Litauen hingegen wurden beispielsweise zunächst die alten Strafgesetzbücher von 1961 novelliert. Mittlerweile wurden aber auch in Estland und Litauen neue Strafgesetzbücher erlassen. 607 Bereits Ende der 1980er Jahre waren Entwürfe für ein neues Strafgesetzbuch im Umlauf; 1991/1992 hatten einige Professoren einen Entwurf für ein Strafgesetzbuch vorgelegt. 608 Ugolovnyj Kodeks Rossijskoj Federacii (Strafgesetzbuch der Russischen Föderation), Sobranie Zakonodatel¢stva Rossijskoj Federacii (ZS RF) 1996, Nr. 25, Pos. 2954; dt. Übersetzung des russischen Strafgesetzbuchs, Schroeder/Bednarz, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, 2. Aufl., 2007. 609 Ugolovnyj Kodeks Respubliki Belarus¢ (Strafgesetzbuch der Republik Belarus), Vedamasci/Vedomosti Nacional¢nogo Sobranija Respubliki Belarus¢ (VNSR) 1999, Nr. 24, Pos. 420; russ. Fassung unter www.ncpi.gov.by (Juni 2009). 610 Ugolovnyj Kodeks Gruzii (Strafgesetzbuch Georgiens; georg.: Sakartvelos Sakanonmdeblo Macne) (SSM)) 1999, Nr. 41, Pos. 209, www.parliament.ge (Juni 2009); russ. Übersetzung: Bigvava (Hg.), Ugolovnyj Kodeks Gruzii (Strafgesetzbuch Georgiens), 2001. 611 Vgl. zu dem Gesetzgebungsverfahren, Lesnievski-Kostareva, in: OsteuropaRecht 2002, 347–356. 612 Jalinski, in: Strafrechtsentwicklung in Osteuropa, S. 12–19; Gamkrelidse, in: Strafrechtsentwicklung in Osteuropa, S. 70–76. 613 Vgl. bspw. Einführung des Art. 2151 russStGB „Sperrung oder Begrenzung der Stromzufuhr oder Abschneiden von anderen lebenswichtigen Quellen“; im belorussischen Strafgesetzbuch bspw. Art. 164 „Unsachgemäße Durchführung der Transplantation“.

A. Der postsowjetische Rechtskreis

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rechts in den Griff zu bekommen hofft. Die zahlreichen, fast auf den Einzelfall gemünzten Tatbestände sind aber auch als Reaktion auf die sehr konturlosen und weiten Tatbestände des sowjetischen Strafrechts zu verstehen, die politischem Missbrauch Tür und Tor geöffnet hatten.614 Ungeachtet dieser Anpassungsprozesse hat sich das Strafrecht mittlerweile in seinem Kernbestand gefestigt. Es gibt auch eine Reihe von Rechtsinstituten und Tatbeständen, die auf eine lange (vor-)sowjetische Tradition zurückgehen und im derzeitigen Strafrecht unverändert fortbestehen. Dies betrifft den Begriff und den Aufbau der Straftat, aber auch einige Straftatbestände wie beispielsweise die „Pflichtvergessenheit“ bzw. das „Unterlassen im Dienst“ sowie die Figur des „Geschehenlassens“, die für die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit von Bedeutung sind.615 Alle drei Strafgesetzbücher basieren auf dem Prinzip der Einheitskodifikation,616 d.h. alle strafbaren Verhaltensweisen sind in einem einzigen Strafgesetzbuch vereint. Die Strafgesetzbücher enthalten also nicht nur das Kernstrafrecht, wie beispielsweise das deutsche Strafgesetzbuch;617 selbst das Militärstrafrecht ist vollständig in das Strafgesetzbuch integriert.618 II. Auswahl der Vertreterländer Die drei Länder Russland, Belarus und Georgien619 schlugen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durchaus unterschiedliche Wege ein, was sich auch auf die Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft ausgewirkt hat. Russland ist der größte und politisch wichtigste Nachfolgestaat der Sowjetunion. Bereits zu Sowjetzeiten hatten die Gesetzbücher der russischen Sowjetrepublik Vorbildcharakter und wurden von anderen Sowjetre614

Mihailov, in: Ugolovnyj Kodeks Gruzii, S. 12. Dazu unter C. II. und D. II. 616 Art. 3 Abs. 1 russStGB, Art. 1 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 georgStGB, Art. 1 Abs. 1 und 2 belorussStGB. 617 Kuznecova brandmarkte das deutsche Strafgesetzbuch noch im Jahre 1990 als Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips und des nullum crimen-Grundsatzes, weil es nicht alle strafbaren Verhaltensweisen enthalte; Kuznecova in: Ugolovnoe Pravo ˇ ast¢, S. 220. Buržuaznyh Stran: Obšcˇaja C 618 Vgl. Abschnitt 11, Kapitel 33, Art. 331 ff. russStGB, Abschnitt 13, Kapitel 45, Art. 382 ff. georgStGB, Abschnitt 14 Kapitel 36, Art. 434 ff. belorussStGB. 619 Die drei Länder haben eine fast 70-jährige gemeinsame Rechtsgeschichte. Die russische Sowjetrepublik (RSFSR, seit 1919), die belorussische Sowjetrepublik (BSSR, seit 1921), die transkaukasische (zu der neben Georgien noch Armenien und Azerbaidschan gehörten, 1921) und die ukrainische Sowjetrepublik (UkrainSSR seit 1918) gründeten im Dezember 1922 die Union der Sowjetrussischen Sowjetrepubliken (SSSR bzw. UdSSR). 615

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

publiken oftmals einfach kopiert.620 Obwohl Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seinen Vorbildcharakter für eine Reihe anderer Nachfolgestaaten eingebüßt hat, ist doch das russische Rechtssystem insgesamt für den postsowjetischen Rechtskreis weiterhin prägend. Da das russische Strafgesetzbuch bereits im Jahr 1997 in Kraft trat, liegen zudem mittlerweile deutlich mehr Kommentierungen und wissenschaftliche Publikationen vor als in den anderen beiden Ländern. Keinen Vorbildcharakter hat Russland für Georgien. Georgien versuchte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht nur besonders deutlich von Russland, sondern auch von der sowjetischen Vergangenheit insgesamt abzugrenzen. Radikaler als die meisten anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion versuchte Georgien, auch einen Bruch mit überkommenen Prinzipien des alten Rechts zu vollziehen. Beispielsweise betrifft dies den Verbrechensbegriff, der nicht mehr wie zu Sowjetzeiten auf dem Begriff der „gesellschaftlichen Gefährlichkeit“ gründen sollte.621 Wegen des langen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren622 sind allerdings wissenschaftliche Publikationen zu strafrechtlichen Themen noch spärlich gesät. Eine wissenschaftliche Diskussion auf dem Gebiet des Strafrechts lebte erst nach Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs auf. Belarus gehörte einst wie Russland zu den Kernrepubliken der Sowjetunion; auf belorussischem Boden in Belavez wurde im Jahre 1991 zudem das Ende der Sowjetunion besiegelt. Doch leiden das Land und auch die Wissenschaft unter der diktatorischen Herrschaft von Präsident Lukašenko.623 Wissenschaftliche Publikationen zu dem neuen Strafrecht gibt es bisher wenig. Gesetzeswortlaut und Rechtspraxis klaffen in Belarus überdies besonders weit auseinander.624 620

Vgl. Geilke, S. 70 f. Vgl. bspw. Lammich, in: Festschrift Brunner, S. 312–323, S. 317. 622 Vgl. zur neueren Geschichte Georgiens: Gerber, 1997; Gelaschwili, 1993. 623 Aleksandr Lukašenko wurde 1994 als Präsident der Republik Belarus gewählt und regiert – nach Verfassungsänderung 2004 – seit 2006 in dritter Amtszeit. 624 Als Beispiel seien die mit „Verfolgung eines Bürgers wegen Kritik“ (Art. 197 belorussStGB) und „Behinderung der gesetzlichen Tätigkeit eines Journalisten“ (Art. 198 belorussStGB) überschriebenen Straftatbestände genannt. Nach dem erstgenannten Tatbestand ist es strafbar und kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden, wenn ein Amtsträger die Rechte und Freiheiten eines Bürgers beschneidet, weil dieser sich gegenüber einem Staatsorgan oder einer gesellschaftlichen Organisation kritisch geäußert hat. Eine „Behinderung der gesetzlichen Tätigkeit eines Journalisten“ liegt nach gesetzlicher Definition vor, wenn ein Journalist zur Verbreitung oder zur Nicht-Verbreitung von Informationen genötigt wird. Diese Straftatbestände wirken angesichts der Verfolgung von Regimekritikern und Journalisten durch den Staatsapparat fast zynisch. 621

A. Der postsowjetische Rechtskreis

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Dennoch erweist sich die Untersuchung des belorussischen Rechts als lohnend. Belarus hat im Gegensatz zu den beiden anderen Ländern des postsowjetischen Rechtskreises in das neue Strafgesetzbuch Vorschriften eingefügt, die eine Haftung des Vorgesetzten wegen Straftaten seiner Untergebenen vorsehen (Art. 137 Abs. 1 belorussStGB). Dies geschah in Erfüllung der Verpflichtung aus dem Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen.625 Für Art. 86 ZP I hatte sich insbesondere auch Belarus stark gemacht.626 Die drei Länder des postsowjetischen Rechtskreises haben sich bisher unterschiedlich zum Römischen Statut positioniert: Alle drei Länder waren zwar auf der Vorbereitungskonferenz vertreten.627 Vertreter Russlands fungierten sogar als Vize-Präsident der Konferenz und als Mitglieder der Überarbeitungs- (Drafting Committee) und der Beglaubigungskommission (Credentials Committee). Russland hat das Römische Statut sodann am 13. September 2000 unterzeichnet, bisher jedoch noch nicht ratifiziert. Belarus hat das Abkommen bislang weder unterzeichnet noch ratifiziert.628 Georgien hingegen hat das Abkommen am 18. Juli 1998 unterzeichnet und am 5. September 2003 auch ratifiziert.629 Bisher hat auch allein Georgien gesetzgeberische Maßnahmen zur Umsetzung und Anpassung des nationalen Rechts an die Vorgaben des Römischen Statuts ergriffen. Da das neue Strafgesetzbuch Georgiens ohnehin erst nach Unterzeichnung des Römischen Statuts, nämlich am 22. Juli 1999, vom Parlament verabschiedet wurde, konnten außerdem bei der Ausarbeitung des Gesetzbuchs Fragen des internationalen Strafrechts und der Vorgaben des Römischen Statuts bereits Berücksichtigung finden. Eine im Jahre 2001 erstellte Analyse über die Vereinbarkeit des georgischen Strafrechts mit den Vorgaben des Römischen Statuts630 zeigte dann aber noch weiteren UmsetDas russische Strafgesetzbuch enthält in Art. 144 „Behinderung der gesetzlichen Berufstätigkeit von Journalisten“ einen ähnlichen Straftatbestand. 625 Vgl. Volženkin, in: Pravovedenie 2000, Nr. 6, 148; der für die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit wichtige Art. 137 Abs. 1 belorussStGB wird unter III. 1.2. ausführlich analysiert. 626 Vgl. Bothe/Partsch/Solf, Commentary on the Two Additional Protocols Additional to the Geneva Conventions of 1949, 1982, Art. 86, S. 524. 627 Vgl. Annex II Final Act of the United Nations Diplomatic Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court, http://www. un.org/law/icc/statute/finalfra.htm (Januar 2008). 628 Aktuelle Informationen zudem unter http://www.iccnow.org/?mod=country& iduct=16, http://www.iccnow.org/?mod=country&iduct=143 (Juni 2009). 629 Vgl. hierzu und zu dem Erlass des Kooperationsgesetzes, Turawa, in: The Rome Statute and Domestic Legal Orders, S. 107–129. 630 Turawa, Analiz Zakonodatel¢stva Gruzii na Predmet ego Sootvetstvija Statutu Meždunarodnogo Ugolovnogo Suda, 2001.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

zungsbedarf auf. Mit Änderungsgesetz vom 14. August 2003 wurden u. a. der Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Art. 408 georgStGB) und die Kriegsverbrechenstatbestände (Art. 411, 413 georgStGB) besser an das geltende Völkerstrafrecht angepasst.631 Durch das Änderungsgesetz wurde insbesondere eine Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB hinzugefügt, die sich mit dem Unterlassen militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter befasst.632 Auch die Strafgesetzbücher Russlands633 und Belarus634 enthalten völkerrechtliche Verbrechen. Obwohl Russland und Belarus das Römische Statut nicht ratifiziert haben, haben die beiden Länder doch beispielsweise die Völkermord-Konvention635 sowie die Genfer Konventionen636 unterzeichnet. Als besonders „völker(straf-)rechtsfreundlich“637 können die Länder aber nicht bezeichnet werden.638 Angleichungen an das Römische Statut 631 Im georgischen Strafgesetzbuch finden sich in Abschnitt 14 bzw. Kapitel 47 „Straftaten gegen den Frieden, die Sicherheit der Menschheit und das humanitäre Völkerrecht“ nundie folgenden völkerstrafrechtlichen Verbrechen: „Genozid“ (Art. 407 georgStGB), „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Art. 408 georgStGB) und „Kriegsverbrechen“ (Art. 411–413 georgStGB) sowie „Vorbereitung, Führen und Aufruf zum Angriffskrieg“ (Art. 404, 405 georgStGB). Daneben enthält dieser Abschnitt des georgischen Gesetzbuchs die Tatbestände „Fertigung, Erwerb und Vertrieb von Massenvernichtungswaffen“ (Art. 406 georgStGB), „Ökozid“ (Art. 409 georgStGB) und „Söldnertum“ (Art. 410 georgStGB). 632 Auf diese wichtige Änderung wird detailliert in Abschnitt B. eingegangen. 633 Das russStGB enthält in Abschnitt XII, Kap. 34 „Straftaten gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit“ (Vgl. zu den Straftaten, Safarov, GiP 2004, Nr. 7, 48–59; Mavlonov/Mezjacev, GiP 1998 Nr. 4, 104–106) die Straftatbestände „Genozid“ (Art. 357 russStGB), „Planung bzw. Aufruf zum Angriffskrieg“ (Art. 353, 354 russStGB), „Anwendung verbotener Mittel und Methoden der Kriegsführung“ (Art. 356 russStGB) sowie „Entwicklung, Herstellung, Ansammlung, Besitz und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“ (Art. 355 russStGB), sowie die Straftatbestände „Ökozid“ (Art. 358 russStGB) und „Söldnertum“ (Art. 359 russStGB). 634 Im 17. Abschnitt „Straftaten gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit sowie Kriegsverbrechen“ sind die Tatbestände „Genozid“ (Art. 127 belorussStGB) und „Planung, Durchführung bzw. Aufruf zu einem Angriffskrieg“ (Art. 122, 123 belorussStGB) enthalten, außerdem „Herstellung, Ansammlung bzw. Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“ (Art. 129 belorussStGB) und „Ökozid“ (Art. 131 belorussStGB). Zudem enthält das belorussische Strafgesetzbuch zwei Tatbestände zum Terrorismus (Art. 124, 126 belorussStGB). 635 RSFSR 3.5.1954, BSSR 11.8.1954, Georgien 11.10.1993. 636 RSFSR 10.5.1954 (GC); 29.9.1989 (AP), BSSR 3.8.1954 (GC); 23.10.1989 (AP); Georgien 14.9.1993. 637 Die Literatur zum Völkerstrafrecht ist bisher gering und bewegt sich auf der Ebene der Erörterung allgemeiner Prinzipien: Lukašuk/Naumov, Meždunarodnoe Ugolovnoe Pravo 1999; Kudrjavcev, Meždunarodnoe Ugolovnoe Pravo 1999 sowie Kibal¢nik, Meždunarodnoe Ugolovnoe Pravo, 2003. Vgl. aber auch Maghlakelidze, Justice and Law 2007, 252–260.

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oder das geltende Völkerstrafrecht sind, soweit ersichtlich, in der nächsten Zeit weder in Russland noch in Belarus geplant.639 Erwähnenswert ist, dass es weder im russischen noch im belorussischen Strafgesetzbuch einen besonderen Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gibt. In Russland können die nach dem geltenden Völkerstrafrecht unter dieses Verbrechen fallenden Taten nur nach den „allgemeinen Straftatbeständen“ des Besonderen Teils (Straftaten gegen das Leben und die Gesundheit, Vergewaltigung, u. a.) verfolgt werden.640 Im belorussischen Strafgesetzbuch stellt Art. 128 belorussStGB die folgende Handlungen als „Straftaten gegen die Sicherheit der Menschheit“ unter Strafe: Deportation, rechtswidriger Freiheitsentzug, Versklavung, massive oder systematische Bestrafung ohne Gerichtsurteil, Menschenraub, Verschwindenlassen von festgehaltenen Personen, Folter sowie andere Grausamkeiten. Soweit damit nicht alle in Art. 7 IStGH-Statut genannten Taten erfasst werden, ist wie in Russland auf die allgemeinen Straftatbestände des Besonderen Teils wie Tötungsdelikte usw. zurückzugreifen.641 Im belorussischen Strafgesetzbuch gibt es überdies einen eigenen Abschnitt 18, der eine ganze Reihe von Kriegsverbrechen enthält.642 In diesem Abschnitt findet sich auch die Vorschrift „Unterlassen oder Erteilen eines verbrecherischen Befehls während eines bewaffneten Konflikts“: Gemäß Art. 137 Abs. 2 belorussStGB ist ein Vorgesetzter oder Amtsträger für die Erteilung eines Befehls, kein Pardon zu geben, oder eines anderen offensichtlich rechtswidrigen Befehls strafrechtlich verantwortlich. Gemäß Art. 137 Abs. 1 belorussStGB ist ein Vorgesetzter oder Amtsträger strafbar, wenn er nicht alle möglichen Maßnahmen ergriffen hat, um zu verhindern oder zu unterbinden, dass Untergebene die in Art. 134 ff. belorussStGB genannten Straftaten begehen.643 638 Lukašuk meint in Bezug auf Russland, dass insbesonders eine „negative Haltung gegenüber den Normen des Gewohnheitsrechts“ noch immer sehr stark sei, Lukašuk, Osteuropa-Recht 1997, 185. 639 Im Jahre 2002 wurden zwar Studien in Auftrag gegeben, die die Vereinbarkeit des russischen Rechts mit dem Römischen Statut untersuchen sollten. Konkrete Maßnahmen haben diese Studien aber nicht gezeitigt; vgl. auch Tuzmukhamedov, IRRC 2003, 391; gegen eine Ratifizierung spricht sich bspw. eine Vertreterin des Justizministeriums aus: Vedernikova, Ugolovnoe Pravo 2003, Nr. 3, 14. 640 Lammich, in: Nationale Strafverfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen, S. 361. 641 Lammich, Nationale Strafverfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen, S. 361 f. 642 „Söldnertum“ (Art. 132, 133 belorussStGB), die „Anwendung von Massenvernichtungswaffen“ (Art. 134 belorussStGB), die Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges bzw. der Normen humanitären Völkerrechts (Art. 135, 136 belorussStGB) und die „gesetzeswidrige Verwendung von durch internationale Verträge geschützten Zeichen“ (Art. 138 belorussStGB) unter Strafe stellt.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

III. Allgemeines zum postsowjetischen Strafrecht Das postsowjetische Strafrecht unterscheidet sich in einigen Punkten deutlich von dem Strafrecht anderer Länder des kontinental-europäischen Rechtskreises. Obwohl die Nachfolgestaaten der Sowjetunion ihr Strafrecht umfassend reformiert und zum größten Teil sogar vollkommen neu kodifiziert haben, sind doch grundlegende Rechtsbegriffe und Rechtsinstitute beibehalten worden. Bevor die Haftung des Vorgesetzten im Zentrum der Ausführungen steht, sind einige ausführlichere Erläuterungen zum Strafrecht, insbesondere zum Verbrechensbegriff und Aufbau der Straftat sowie zur Unterlassenshaftung vorangestellt. 1. Der Verbrechensbegriff Das sowjetische Strafrecht fußt seit seiner Reformierung durch die „Grundsätze der Strafgesetzgebung der Union“ von 1958 auf einem formell-materiellen Verbrechensbegriff. Als Straftat galt eine gesellschaftlich gefährliche Handlung, die in einem Strafgesetz niedergelegt war.644 Man spricht vom formell-materiellen Begriff, weil die gesetzliche Festlegung eine formelle Voraussetzung, die „gesellschaftliche Gefährlichkeit“ aber eine materielle Voraussetzung darstellt. Der materielle Verbrechensbegriff als solcher ist keine sowjetische Erfindung.645 Allerdings hat er in der Form der „gesellschaftlichen Gefährlichkeit“ bzw. „Klassengefährlichkeit“ in der Sowjetunion eine besondere Prägung erfahren, weil das sowjetische Strafrecht ausdrücklich als Mittel zur Durchsetzung der Herrschaft der (noch) unterdrückten Klassen verstanden646 und auch exzessiv zum Kampf gegen sogenannte „Volksfeinde“ praktiziert wurde. Das erste Strafgesetzbuch der RSFSR von 1922647 fußte 643

Die für die vorliegende Arbeit wichtige Vorschrift wird unter C. I. 2. unter-

sucht. 644 Vgl. Art. 7 StGB der RSFSR 1961, Art. 7 StGB der BSSR 1961, Art. 8 georgSSR 1961. 645 Fragen des materiellen Verbrechensbegriffs wurden bereits Ende des 19. Jahrhundert bearbeitet, bspw. von Liszt. Der Kern des materiellen Verbrechensbegriffs, dass die Strafwürdigkeit eines Verhalten nicht allein durch die formale Definition in einem Strafgesetz, sondern von vorgelagerten Interessen und Schutzgütern abhängt, stellt eine grundsätzliche Frage jeden Strafrechts dar (Roxin, Strafrecht. AT, Bd. I, § 2 I Rn. 1, III Rn. 5); vgl. auch Stratenwerth/Kuhlen, S. 229 ff. 646 Vgl. genauer Turawa, Straftatsysteme in rechtsvergleichender Sicht, S. 97 ff., 131 ff. 647 Art. 6 lautete: „Als Straftat gilt jedes gesellschaftlich gefährliche Tun oder Unterlassen, das die Grundlagen der sowjetischen Gesellschafts- und Rechtsordnung gefährdet, die die Arbeiter- und Bauernmacht für die Übergangsperiode zur kom-

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sogar auf einem rein materiellen Begriff. Es war ausreichend, dass ein Verhalten sich als „gesellschaftlich gefährlich“ darstellte, ohne dass ein formaler Straftatbestand erfüllt sein musste.648 Auf diese Weise wurden mit Hilfe des materiellen Verbrechensbegriffs willkürliche Erschießungen, Verbannungen und Enteignungen gerechtfertigt. Erst die „Grundsätze“ von 1958 machten die Erfüllung eines formellen Straftatbestandes zur zusätzlichen Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Das Modell-Strafgesetzbuch für die GUS-Länder von 1996 hat das formell-materielle Verständnis und auch den Begriff der „gesellschaftlichen Gefährlichkeit“ beibehalten (Art. 17 ModellStGB). Nach Art. 17 Abs. 1 ModellStGB gilt als Straftat eine schuldhaft begangene gesellschaftlich gefährliche Handlung (Tun oder Unterlassen), die durch das Gesetzbuch unter Androhung von Strafe verboten ist. In Art. 17 Abs. 2 ModellStGB ist darüber hinaus festgelegt, dass einer Handlung insbesondere aufgrund ihrer Geringfügigkeit die gesellschaftliche Gefährlichkeit fehlen kann. Das russische und das belorussische Strafgesetzbuch verfolgen ebenfalls diese „sowjetische Lösung“.649 Die materielle Komponente des Straftatbegriffs hat nunmehr vor allem die Funktion, Straftaten geringfügigen Ausmaßes auszusondern.650 Indem solche Straftaten nach Definition der Strafgesetzbücher gar keine Straftaten darstellen, selbst wenn sie den Tatbestand eines formellen Strafgesetzes erfüllen, müssen sie auch nicht verfolgt werden.651 munistischen Gesellschaft errichtet hat.“ Vgl. dazu auch Marckwald, Der Verbrechensbegriff im russischen Strafrecht (Inauguraldissertation), 1934. 648 Sowjetische Strafrechtler wiesen andererseits den rein formellen Straftatbegriff kapitalistischer Strafrechtssysteme als bloße „Maskierung“ des gleichermaßen klassenkämpferischen Charakters des Strafrechts zurück, das allerdings der bourgoisen Klasse diene: Kriger/Kuznecova/Tkacˇevskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo. Obšcˇaja ˇ ast¢, S. 42 f.; Gorelik, S. 32 ff. C 649 Das russische Strafgesetzbuch übernimmt in Art. 14 russStGB wortgleich die Formulierungen des Modellstrafgesetzbuchs; das belorussische Strafgesetzbuch ist in Art. 11 Abs. 1, 4 nahezu wortgleich gefasst; vgl. auch Lammich, in: FestschriftBrunner, S. 316, 317; Kuznecova, in: Vestnik MU-Pravo 2003, Nr. 3, 19. 650 Es wird von einer ausreichenden Schwelle der gesellschaftlichen Gefährlichkeit (stepen¢) gesprochen. Vgl. bspw. Urteil des Obersten Gerichts der Russischen Föderation v. 13.4.1999, BVS RF 2000, Nr. 9, S. 7; vgl. auch Krasikov, in: Ugolovnoe Pravo Rossii, Bd. 1 Obšcˇaja Cˇast¢, S. 72 f.; Galahova, in: Lebedev, Kommentarij, Art. 14 Anm. 8, S. 56 f. 651 Eine Verfolgung solcher Handlungen findet nach Art. 5 Abs. 2 der russischen Strafprozessordnung nicht statt bzw. ist einzustellen. In anderen Ländern des kontinental-europäischen Rechtskreises hat man überwiegend eine andere Lösung gewählt: Handlungen, die den Tatbestand eines formellen Gesetzes erfüllen, aber wegen ihrer Geringfügigkeit nicht verfolgt werden sollen, werden auf strafprozessualer Ebene ausgesondert. Bspw. in Deutschland nach §§ 153 ff StPO. Die russische Strafrechtlerin Kuznecova missversteht diese strafprozessuale Lösung und kritisiert § 153 a StPO als „Norm des materiellen Rechts“, die im Strafprozessrecht nichts zu

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

Die gesellschaftliche Gefährlichkeit ist ein objektives Merkmal, mit Hilfe dessen das Verhalten einer Person von seiner Position in einer sozialen Gruppe aus bewertet wird.652 Wertungen der gesellschaftlichen Gefährlichkeit spiegeln sich in den im Gesetz niedergelegten Straftatbeständen wider. Die gesellschaftliche Gefährlichkeit kann von besonderen Merkmalen des Täters wie der Eigenschaft als „Amtsträger“ abhängen.653 Entweder erscheinen bestimmte Handlungen nur dann „gesellschaftlich gefährlich“, wenn sie von Personen mit bestimmten Funktionen in der Gesellschaft begangen werden, oder die gesellschaftliche Gefährlichkeit erhöht sich, wenn der Täter eine bestimmte gesellschaftliche Position innehat.654 Derartige Wertungen der Gesellschaftsgefährlichkeit können bei der Bestimmung der Strafbarkeit des „Vorgesetzten“ eine Rolle spielen. Im neuen georgischen Strafgesetzbuch wird der Begriff der „gesellschaftlichen Gefährlichkeit“ nicht mehr verwendet.655 Als Straftat gilt nach Art. 7 Abs. 1 georgStGB „eine in diesem Strafgesetzbuch vorgesehene rechtswidrige und verschuldete Handlung“. Georgien vollzieht damit eine Trennung von dem Konzept der „gesellschaftlichen Gefährlichkeit“.656 Allerdings enthält Art. 7 Abs. 2 georgStGB die Einschränkung, dass eine Handlung, die die formellen Straftatbestandsmerkmale aufweist, keine Straftat darstellt, wenn sie aufgrund ihrer Geringfügigkeit keinen Schaden verursacht hat, der eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Person notwendig macht, oder wenn ein solcher Schaden gar nicht gedroht hat.657 Mit Art. 7 Abs. 2 georgStGB stellt die georgische Vorschrift aber genau wie die Vorschriften in den russischen und belorussischen Strafgesetzbüchern auf die „Geringfügigkeit“ bzw. auf einen geringfügigen Schaden ab. Somit werden Straftaten, an denen wegen ihrer Geringfügigkeit kein Strafverfolgungsinteresse besteht, ebenfalls bereits auf der Ebene des materiellen Rechts suchen habe; vgl. Kuznecova, in: Ugolovnoe Pravo Buržuaznyh Stran. Obšcˇaja Cˇast¢, S. 218. 652 Skuratov/Lebedev, Kommentarij, Art. 14 Anm. 2, S. 19. 653 Mtschedlischwili-Hädrich, S. 93 ff. 654 Zdravomyslov, S. 51. 655 Vgl. ausführlich bei Mtschedlischwili-Hädrich, Der Verbrechens- und Gesellschaftsgefährlichkeitsbegriff im georgischen Strafrecht, 2000. Die Autorin sprach sich für eine Beibehaltung der Gesellschaftsgefährlichkeit in dem (damals noch in Vorbereitung befindlichen) neuen Strafgesetzbuch aus, vgl. S. 165 ff. 656 Schon zu Sowjetzeiten vertraten die georgischen Strafrechtler Cereteli und Makaschwili eine andere Auffassung zur gesellschaftlichen Gefährlichkeit als der führende sowjetrussische Strafrechtler Piontkovskij (vgl. Cereteli/Makaschwili, SGiP 1954, Nr. 5, 73 und hierzu genauer Turawa, Straftatsysteme in rechtsvergleichender Sicht, S. 170 ff.). 657 Übersetzung durch Verf., georgische Fassung unter www.parliament.ge (legislation) (Juni 2009).

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ausgesondert.658 Der georgische Gesetzgeber löst also trotz des Verzichts auf den Begriff der Gesellschaftsgefährlichkeit das Problem weiterhin auf der Ebene des materiellen Rechts.659 2. Der Aufbau der Straftat Die zu Sowjetzeiten entwickelte Lehre vom Verbrechenstatbestand660 hat für das heute geltende Strafrecht in Russland und Belarus Gültigkeit behalten. Demnach sind vier Elemente zu unterscheiden: ein Objekt, eine objektive Seite, ein Subjekt und eine subjektive Seite.661 Nach herrschender sowjetischer Lehre war die „Gesellschaftsgefährlichkeit“ Teil dieses Verbrechenstatbestandes, insbesondere der objektiven Seite, stellte darüber hinaus aber auch den materiellen Grund der Straftat als solche dar.662 Heute wird die „Gesellschaftsgefährlichkeit“ im georgischen Strafrecht überhaupt nicht mehr geprüft, im russischen und belorussischen Strafrecht wird sie nunmehr implizit vorausgesetzt.663 a) Objekt, objektive Seite – Subjekt, subjektive Seite Unter dem „Objekt der Straftat“ (ob¢jekt prestuplenija) versteht man diejenigen Interessen oder Güter, denen durch eine Straftat Schaden zugefügt wird oder werden kann und die durch das Strafgesetz vor solchen Angriffen 658

Vgl. hierzu Kuznecova, in: Vestnik MU-Pravo 2003, Nr. 3, 20. Einerseits sollte der negativ besetzte Begriff der „gesellschaftlichen Gefährlichkeit“ vermieden werden, andererseits dennoch der Gedanken verankert werden, dass eine Handlung im Kern wegen ihrer nicht nur geringen Gefahr für gesetzlich geschützte Interessen als „Straftat“ definiert wird, vgl. Mihailov, Predislovie (Vorwort), in: Bigvava (Hg.), Ugolovnyj Kodeks Gruzii (Strafgesetzbuch von Georgien), 2001, S. 28 f. 660 Die Strafrechtler Piontkovskij und Trajnin spielten eine wichtige Rolle in der Ausarbeitung einer Verbrechenstatbestandslehre. Piontkovskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo, 1928; Trajnin, Ucˇenie o Sostave Prestuplenie, 1957; Ucˇenie o Soucˇastie, 1941. Trajnin hat zunächst eine von der herrschenden Auffassung abweichende Straftatbestandslehre vertreten. Auf Trajnin gehen auch erste Arbeiten über Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit zurück: Trajnin, Zašcˇita Mira i Ugolovnij Zakon, 1937; Ugolovnaja Otvetstvennost¢ za Propagandu Aggresˇ elovecˇestva, 1956. sii, 1947; Zašcˇita Mira i Borb¢a s Prestuplenjami Protiv C 661 Vgl. bspw. Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšc ˇ aja Cˇast¢, S. 107 ff.; Schroeder, in: Festschrift Jescheck, S. 1249–1264. 662 Mtschedlischwili-Hädrich, S. 148. Diese doppelte Einordnung der Gesellschaftsgefährlichkeit wurde bereits in den 1950er Jahren von der georgischen Strafrechtlerin Cereteli kritisiert. 663 Die gesellschaftliche Gefährlichkeit wird nicht als eigenständiger Prüfungsˇ ast¢, S. 93. punkt behandelt, vgl. Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšcˇaja C 659

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

geschützt werden.664 Unter dem „Objekt der Straftat“ ist daher nicht das „Handlungsobjekt“ einer Straftat zu verstehen. Das Objekt der Straftat entspricht eher dem Begriff des „Rechtsguts“.665 Die „objektive Seite“ (ob¢jektivnaja storona) entspricht der äußeren Seite der Straftat. Zur objektiven Seite gehört zunächst eine durch das Strafgesetz definierte Handlung. Diese Handlung muss geeignet sein, dem „Objekt der Straftat“ Schaden zuzufügen oder die Gefahr einer Schädigung zu schaffen. Die Handlung muss überdies „gesellschaftlich gefährlich“ sein.666 Eine strafrechtlich relevante Handlung (dejanie) kann in der Form eines Tuns (dejstvie) oder eines Unterlassens (bezdejstvie) vorliegen. Ein rechtlich relevantes Unterlassen liegt vor, wenn eine Person nicht diejenigen Handlungen vornimmt, die sie kraft der ihr obliegenden Verpflichtungen erfüllen soll und kann.667 Zu der objektiven Seite gehören neben der Handlung auch die „gesellschaftlich gefährlichen Folgen“.668 Die „Folgen“ entsprechen dem „Tatbestandserfolg“ in deutscher Terminologie. Zudem gehört zur objektiven Seite die kausale Verknüpfung zwischen der gesellschaftlich gefährlichen Handlung und den gesellschaftlich gefährlichen Folgen.669 „Subjekt der Straftat“ (sub¢jekt prestuplenija) ist die physische Person, die eine Straftat begeht, für die sie nach dem Gesetz zur Verantwortung gezogen werden kann. In einigen Vorschriften sind besondere Merkmale des Subjekts der Straftat normiert; diese beziehen sich beispielsweise auf die Staatsangehörigkeit, aber auch auf die Dienststellung der Person, ihren Beruf usw. Spezielle Strafvorschriften für Vorgesetzte stellen daher Straftatbestände mit einem „besonderen Subjekt“ (special¢nyj sub¢jekt) bzw. in deutscher Terminologie „Sonderdelikte“ dar. Unter dem Element „Subjekt 664 Die geschützten Interessen oder Güter sind in Art. 2 russStGB bzw. Art. 2 belorussStGB aufgelistet und lassen sich zu drei größeren Gruppen zusammenfassen: der Schutz der Person und ihrer Rechte, der Schutz der gesellschaftlichen Interessen und drittens der Schutz der staatlichen Interessen. 665 Das georgische Strafgesetzbuch verzichtet hingegen auf eine Auflistung und bestimmt in Art. 1 Abs. 3, dass Ziele des Strafgesetzbuchs die Abwendung verbrecherischer Angriffe und der Schutz der Rechtsordnung ist. 666 Art. 14 Abs. 2 russStGB bzw. Art. 11 belorussStGB. 667 Zolotarev/Prohorovyj, in: Ugolovnoe Pravo Rossii. Obšc ˇ aja Cˇast¢, S. 416. 668 Piontkovskij/Romaškin/C ˇ hikvadze, Kurs Sovetskogo Ugolovnogo Prava, T. II, S. 148; Kruglikov, S. 29. 669 Die postsowjetische Rechtswissenschaft diskutiert ansatzweise verschiedene Kausalitätstheorien. Die Diskussion ist allerdings nicht annähernd so lebhaft wie zu Sowjetzeiten. Vgl. Darstellung bei Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšcˇaja Cˇast¢, S. 143 f. Die sowjetischen Wissenschaftler stürzten sich dankbar auf diese theoretische und weniger politische Frage, vgl. Bank, JbfOstR 1962/63, 1. Halbheft 1963, 31 f.; heute: Malinin, Pricˇinnaja svjaz¢ v ugolovnom prave 2000.

A. Der postsowjetische Rechtskreis

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der Straftat“ sind Fragen zusammengefasst, die nach beispielsweise deutscher Dogmatik einerseits als (besondere) Tätermerkmale auf objektiver Tatbestandsseite und andererseits aber auch als Schuldfragen oder Schuldausschlussgründe auf der Ebene der Schuld angesiedelt werden (bspw. Zurechnungsfähigkeit).670 Die „subjektive Seite“ (sub¢jektivnaja storona) schließlich betrifft die innere Seite der Straftat. Es geht um die „Schuld“ (vina), die sich in einer besonderen psychischen Beziehung der Person zu der von ihr begangenen Tat niederschlägt. Sie kann die Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit haben, umfasst aber auch Motive und Ziele der Straftat.671 Ein fahrlässiges Handeln ist nach russischem Recht nur dann strafbar, wenn es das Gesetz ausdrücklich vorsieht.672 Das russische Strafgesetzbuch folgt damit dem Vorschlag des Modellstrafgesetzbuchs (Art. 26 Abs. 2 ModellStGB). Im belorussischen Strafgesetzbuch ist ein derartiger Grundsatz nicht niedergelegt. Es bleibt dort bei der bereits im sowjetischen Strafrecht geltenden allgemeinen Strafbarkeit fahrlässiger Handlungen. b) Dreistufiger Aufbau in Georgien – Vierstufiger Aufbau in Russland und Belarus Während das russische und belorussische Recht weiterhin den skizzierten viergliedrigen Aufbau verwenden, hat sich das georgische Strafrecht den auch in anderen kontinental-europäischen Rechtsordnungen (wie Deutschland, Österreich und die Schweiz) geltenden dreigliedrigen Aufbau – Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld – zu eigen gemacht. Eine Straftat ist als eine „im Gesetz vorgesehene, rechtswidrige und schuldhafte Handlung“ definiert (Art. 7 Abs. 1 georgStGB). 3. Unterlassensdelikte Die postsowjetische Strafrechtswissenschaft hat bisher keine speziell für das Unterlassensdelikt geltende Straftatbestandslehre oder Dogmatik entwickelt.673 Die postsowjetische Rechtswissenschaft unterscheidet zwischen einem „reinen Unterlassen“ und einem „gemischten Unterlassen“:674 Dies ent670 671 672 673 674

Prjahina, in: Ugolovnoe Pravo Rossii. Obšcˇaja Cˇast¢, S. 462 ff. Zdravomyslov, S. 155 f. Art. 24 Abs. 2 russStGB. So auch in Georgien: Art. 10 Abs. 4 georgStGB. Žalinskij, Sovremennoe Nemeckoe Ugolovnoe Pravo, S. 233. ˇ ast¢, S. 143 f. Ignatov, in: Ugolovnoe Pravo Rossii, Bd. 1, Obšcˇaja C

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

spricht der Unterscheidung zwischen „einfachen“ und „qualifizierten“ Unterlassensdelikten:675 Ein „reines Unterlassen“ liegt vor, wenn eine Person Handlungen nicht vornimmt, die sie vornehmen sollte und konnte, der Eintritt bestimmter Folgen jedoch keine Voraussetzung für die Strafbarkeit ist.676 Ein „gemischtes Unterlassen“ liegt dagegen vor, wenn das Gesetz den Eintritt bestimmter schädigender Folgen mit dem Untätigbleiben verknüpft.677 Die Mehrzahl der Unterlassensdelikte in den Strafgesetzbüchern sind gemischte Unterlassensdelikte, bei denen der Gesetzgeber bestimmte Folgen zur Voraussetzung für die strafrechtliche Haftung macht. Hierzu zählt auch der Tatbestand der „Pflichtvergessenheit“ für Amtsträger (halatnost¢) bzw. das „Unterlassen im Dienst“ (bezdejstvie po službe), die unter bestimmten Voraussetzungen den Charakter einer Vorgesetztenverantwortlichkeit haben.678 Neben den qualifizierten Unterlassensdelikten, die im Gesetz explizit genannt sind, können grundsätzlich alle Straftatbestände, die bestimmte Folgen voraussetzen, auch durch Unterlassen begangen werden (Begehung durch Unterlassen). Eine besondere Vorschrift zum Unterlassen im Allgemeinen Teil enthalten allerdings weder das russische noch das belorussische Strafgesetzbuch. In den Gesetzbüchern ist das positive Handeln dem Unterlassen aber formal gleichgestellt (Art. 14 Abs. 2 russStGB, Art. 10 Abs. 1 belorussStGB). Im georgischen Strafgesetzbuch geht dies aus einer speziellen Vorschrift zur Kausalität beim Unterlassen hervor. Nach Art. 8 Abs. 3 georgStGB setzt Kausalität voraus, dass „die Person eine besondere rechtliche Verpflichtung zum Handeln sowie die Möglichkeit zu einer solchen Handlung hatte, und als Ergebnis der pflichtgemäßen und möglichen Handlung die Folgen vermieden worden wären.“679

Obwohl als Vorschrift zur Kausalität beim Unterlassen deklariert, enthält Art. 8 Abs. 3 georgStGB die Kernvoraussetzungen der Haftung bei Begehung durch Unterlassen. Ein Unterlassentäter muss eine Rechtspflicht zum Handeln sowie die Möglichkeit zum Handeln gehabt haben. Zudem ist er675

Vgl. zur Terminologie 1. Kap. A. Reine Unterlassensdelikte sind beispielsweise das Nichtzahlen von Unterhalt (Art. 157 russStGB, Art. 174 belorussStGB, Art. 176 georgStGB) oder das Nichtfolgeleisten bei einem Einberufungsbefehl zum Militärdienst Art. 328 russStGB, Art. 434 ff. belorussStGB, Art. 356 ff. georgStGB. 677 Zu Sowjetzeiten bestritten von Trajnin, der auch bei den formalen Delikten einen Erfolg in dem Angriff auf die geschützten Objekte sieht, Trajnin, Obšcˇee Ucˇenie o Sostave Prestuplenije, S. 137–141. 678 Zu Art. 309 ModellStGB, Art. 293 russStGB, Art. 425, 428, 456 belorussStGB, Art. 342 georgStGB unter C. II. 679 Dt. Übersetzung durch Verf., georgische Fassung unter www.parliament.ge (Legislation) (Juni 2009). 676

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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forderlich, dass die Folgen ausgeblieben wären, wenn er entsprechend gehandelt hätte.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut: Anmerkung im georgischen Strafgesetzbuch Von den drei Vertretern des postsowjetischen Rechtskreises hat bisher allein Georgien gesetzgeberische Maßnahmen zur Umsetzung und Anpassung des nationalen Rechts an die Vorgaben des Römischen Statuts ergriffen. Nachdem Georgien das Römische Statut am 18. Juli 1998 unterzeichnet hatte, wurde eine Analyse über die Vereinbarkeit des georgischen Strafrechts mit den Vorgaben des Römischen Statuts in Auftrag gegeben. In dieser Analyse nahm der Strafrechtler und damalige Vorsitzende Richter am Obersten Gericht Merab Turawa unter anderem auch zu der Frage Stellung, ob es im Hinblick auf die in Art. 28 IStGH-Statut niedergelegte Vorgesetztenverantwortlichkeit Umsetzungsbedarf gebe. Er stellte zunächst fest, dass es nach dem Römischen Statut erforderlich sei, dass eine Haftung des militärischen oder eines anderen Vorgesetzten für ein Unterlassen festgelegt sei. Für das georgische Recht kam Turawa zu dem Ergebnis, dass das Strafgesetzbuch Georgiens keiner Änderungen oder Ergänzungen hinsichtlich der Vorgesetztenverantwortlichkeit bedürfe, weil ein Vorgesetzter nach allgemeinen Regeln bereits strafrechtlich hafte. Er sei aber möglich, im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs einen speziellen Straftatbestand zu schaffen, wie es in einigen Ländern bereits geschehen sei, der die strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein strafrechtliches Unterlassen von militärischen und anderen Vorgesetzten ausdrücklich festlege.680 Durch Änderungsgesetz vom 14. August 2003 wurde das georgische Strafgesetzbuch im Hinblick auf die Vorgaben des Römischen Statuts und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Vereinbarkeitsanalyse geändert. Im Hinblick auf die Vorgesetztenverantwortlichkeit wurde kein spezieller Tatbestand geschaffen, sondern eine sogenannte „Anmerkung“ (russ.: primecˇanie, georg.: schenischwna) am Ende von Art. 413 des georgStGB angefügt: „Für Straftaten nach diesem Kapitel ist ein Befehlshaber oder/und eine andere Führungsperson681 bewaffneter Truppen oder ihrer Untereinheiten, die in einem bewaffneten Konflikt teilnehmen, nach diesem Kapitel auch dann strafrechtlich verantwortlich, wenn diese Straftaten von Truppen begangen wurden, die seiner 680

Turawa, Analiz, S. 63. Die Anmerkung verwendet die Begriffe „metauri“ (Befehlshaber) und „chelmdsgvaneli“ (Führungsperson, Leiter) und nicht den Begriff „Vorgesetzter“ („uphrosi“). 681

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

Führungsgewalt unterstellt waren oder/und unter seiner Kontrolle standen, und dies durch ein Unterlassen des Befehlshabers oder der anderen entsprechenden Führungsperson hervorgerufen wurde.“682

Die Rechtstechnik, „Anmerkungen“ an Rechtsnormen anzufügen, hat eine lange Tradition und wurde in allen Vorgängerstrafgesetzbüchern ausgiebig praktiziert. Eine Anmerkung stellt keinen eigenen Absatz eines Artikels und auch keinen eigenen Artikel dar. Bei der Anmerkung handelt es sich vielmehr um eine verbindliche Auslegungshilfe683 für den oder die entsprechenden Artikel.684 Oft enthalten Anmerkungen Legaldefinitionen, wie beispielsweise685 die Anmerkung zu Art. 410 georgStGB „Söldnertum“, die definiert, was ein „Söldner“ im Sinne der Vorschrift ist. Eine Anmerkung kann grundsätzlich kein neues Recht schaffen, jedoch sind die Grenzen oft fließend. Die Auslegungshilfe in der Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB gilt nicht allein für Art. 413 georgStGB „Andere Verletzungen des internationalen humanitären Rechts“, sondern für alle Artikel des Kapitels 47 „Straftaten gegen den Frieden, die Sicherheit der Menschheit und das internationale humanitäre Recht“. Sie ist im Übrigen nicht isoliert, sondern in Zusammenhang mit den Straftatbeständen des Kapitels 47 und den jeweils dort definierten Tatbestandselementen auszulegen und anzuwenden.686

682 Dt. Übersetzung durch Verf. Georgische Fassung unter www.parliament.ge (Legislation) (April 2009). 683 Die postsowjetische Strafrechtswissenschaft kennt eine „gesetzliche Auslegung“, die von der „richterlichen“ und der „wissenschaftlichen Auslegung“ unterschieden wird: Zdravomyslov, S. 45 f.: Man unterscheidet die Art der Auslegung nach dem „Subjekt“ der Auslegung (Gesetzgeber, Gerichte, Wissenschaft), nach der Methode (grammatikalisch, systematisch, historisch) und nach dem Umfang (wörtlich, einschränkend, erweiternd). Vgl. bereits Kriger/Kuznecova/Tkacˇevskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo. Obšcˇaja Cˇast¢, S. 39 ff. Unter „gesetzlicher Auslegung“ wurde allerdings in erster Linie die Auslegung durch das Präsidium des Obersten Sowjets, dem diese Aufgabe nach Art. 121 Abs. 5 Verfassung zukam, verstanden. 684 Gallas, S. XI: Anmerkungen bilden einen „integrierenden Bestandteil des offiziellen Gesetzestextes“. 685 Das Kap. 24 „Straftaten gegen Eigentum“ im belorussischen Strafgesetzbuch beginnt sogar gleich mit einer Reihe von Anmerkungen, die für alle Tatbestände dieses Kapitels geltende Legaldefinitionen für „Unterschlagung“, für „wiederholte Unterschlagung“, usw. niederlegt (hišcˇenie). 686 Bisher liegen, soweit ersichtlich, noch keine Kommentierungen zu der Anmerkung vor.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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I. Allgemeines Die Anmerkung ist an den Wortlaut von Art. 28 IStGH-Statut angelehnt. Sie übernimmt allerdings nur einen Teil von Art. 28 IStGH-Statut, genauer gesagt, das „Herzstück“ der Chapeaux von Art. 28 a) und b) IStGH-Statut. Dadurch ist die Anmerkung im Vergleich zu Art. 28 IStGH-Statut äußerst kurz. Die Anmerkung stellt klar, dass Befehlshaber und andere Führungspersonen für Straftaten nach Kapitel 47 strafrechtlich haften, wenn ihre Truppen diese Straftaten begangen haben. Die Anmerkung übernimmt die Formulierung aus Art. 28 IStGH-Statut, dass die Truppen „unter der Führungsgewalt“ bzw. „unter der Kontrolle“ des Vorgesetzten gestanden haben müssen. Der Begriff „Führungsgewalt“ wird als Oberbegriff für die Befehlshaber und Personen, die nicht Befehlshaber sind, verstanden. Der Begriff „Befehlsgewalt“ (russ.: komandovanie) wird jedenfalls nicht verwendet. Die Begriffe „Führungsgewalt“ und „Kontrolle“ sind, anders als bei Art. 28 IStGH-Statut, mit „oder/und“ verknüpft. Nach dem Wortlaut der Anmerkung ist es folglich möglich, dass ein Befehlshaber, der keine Führungsgewalt über Truppen, wohl aber Kontrolle über diese Truppen ausübt, strafrechtlich haftet, genauso wie ein Befehlshaber, der zwar Führungsgewalt über Truppen hat, aber keine Kontrolle. Die alternative Verknüpfung steht im Widerspruch zu Art. 28 IStGH-Statut, demzufolge die Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. Die abweichende alternative Verknüpfung687 der Begriffe könnte mit einem redaktionellen Versehen zu erklären sein. Die Anmerkung bezieht sich nicht allein auf Art. 413 georgStGB, sondern insgesamt auf die Straftaten des Kapitels 47. Kapitel 47 umfasst mehr Tatbestände, als sie im Römischen Statut in den Art. 6–8 IStGH-Statut als „schwerste Verbrechen, die die Menschheit als Ganzes betreffen“, festgelegt sind. Neben den Tatbeständen „Genozid“ (Art. 407 georgStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 408 georgStGB), sowie Kriegsverbrechen (Art. 411, 412, 413 georgStGB)688 und Tatbeständen in Zusammenhang mit einem Angriffskrieg (Art. 404, 405 georgStGB) enthält das Kapitel 47 auch die Tatbestände „Fertigung, Erwerb und Vertrieb von Massenvernichtungswaffen“ (Art. 406 georgStGB), „Ökozid“ (Art. 409 georgStGB) und „Söldnertum“ (Art. 410 georgStGB). Die Anmerkung bezieht sich folglich auch 687 Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der georgische Gesetzgeber bei dem Merkmal „Befehlsgewalt“ und „Kontrolle“ inhaltlich von Art. 28 IStGH-Statut abweichen wollte. 688 Nach dem Änderungsgesetz vom 14. August 2003 sind insbesondere die Tatbestände der Kriegsverbrechen noch besser an das internationale Strafrecht angepasst worden.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

auf diese Tatbestände. Es ist auch grundsätzlich denkbar, dass Mitglieder der Truppen oder anderer untergeordneter Einheiten Taten begehen, die unter die genannten Tatbestände fallen, also beispielsweise mit Massenvernichtungswaffen handeln oder die Umwelt derart verschmutzen, dass es zu einer ökologischen Katastrophe kommt. Die Anmerkung bezieht sich auf ein Unterlassen eines Befehlshabers oder einer anderen Führungsperson. Dass grundsätzlich alle Straftatbestände nicht allein durch positives Tun, sondern auch durch Unterlassen begangen werden können, ergibt sich eigentlich schon aus der allgemeinen Gleichstellung von Tun und Unterlassen im georgischen Strafgesetzbuch. Die Anmerkung nimmt aber auf ein „Unterlassen“ in der besonderen Konstellation Bezug, dass „Truppen“ Straftaten des Kapitels 47 begehen.689 II. Keine Umsetzung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut Die Anmerkung übernimmt nicht die Formulierung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut für nicht-militärische Vorgesetzte, dass die Straftaten der Untergebenen Tätigkeiten betreffen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen. Es ist auch unklar, ob die Anmerkung sich überhaupt auf nicht-militärische Vorgesetzte bezieht, genauer gesagt, ob diese unter den Begriff „andere Führungsperson bewaffneter Truppen und ihrer Untereinheiten“ fallen. Jedenfalls werden Amtsträger und Unternehmensleiter nicht erfasst.690 Unterschiedliche Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte in objektiver Hinsicht werden nicht normiert. Andererseits enthält die Anmerkung den Zusatz, dass die Truppen an einem bewaffneten Konflikt teilnehmen. Hiermit wird ein besonderer Tatumstand zur Voraussetzung gemacht, der in Art. 28 IStGH-Statut gerade 689

Die Anmerkung enthält darüber hinaus auch anders als Art. 28 IStGH-Statut keine nähere Konkretisierung, dass die Maßnahmen auf die „Verhinderung“ (russ.: predotvrašenie) der Straftaten oder deren Unterbindung (russ.: presecˇenie) hätten gerichtet sein sollen. Ebenso wenig findet sich eine Formulierung, dass der Vorgesetzte die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung hätte vorlegen sollen (russ.: peredacˇa dannogo voprosa v kompetentnye organy dlja rassledovanija i ugolovnogo presledovanija). Insoweit ist die Anmerkung enger gefasst als Art. 28 IStGH-Statut. Im georgischen Strafgesetzbuch ist zwar ein Straftatbestand der Nichtanzeige von Straftaten niedergelegt (Art. 376 georgStGB), der keine besonderen täterbezogenen Merkmale voraussetzt. Allerdings ist in Art. 376 georgStGB allein die „Nichtanzeige einer noch in Vorbereitung befindlichen schweren Straftat“ unter Strafe gestellt. Für bereits begangene Straftaten haftet ein Vorgesetzter demzufolge nicht einmal aufgrund allgemeiner Tatbestände. 690 Siehe sogleich unter IV.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

245

nicht normiert ist. Teilweise ist dieser Tatumstand ohnehin Merkmal der Straftaten des Kapitels 47, beispielsweise bei Art. 411 georgStGB. III. Subjektive Voraussetzungen: Vorsatz Auf die „subjektive Seite“ nimmt die Anmerkung keinen ausdrücklichen Bezug. Es gelten daher die in Kapitel 47 niedergelegten subjektiven Voraussetzungen der jeweiligen Delikte. Die Straftatbestände der Art. 404 ff. georgStGB können nur vorsätzlich begangen werden. Denn nach Art. 10 Abs. 4 georgStGB ist Fahrlässigkeit nur dann strafbar, wenn darauf in den jeweiligen Artikeln des Strafgesetzbuchs ausdrücklich hingewiesen ist. Vorsatz kann nach Art. 9 Abs. 1 georgStGB in Form „direkten Vorsatzes“ oder „indirekten Vorsatzes“ vorliegen. Beide Formen des Vorsatzes setzen voraus, dass der Täter die Rechtswidrigkeit seines Handelns (Tun oder Unterlassens) erkannt hat und die Möglichkeit des Eintritts rechtswidriger Folgen vorhergesehen hat. Im Falle des „direkten Vorsatzes“ waren dem Täter diese Folgen zudem „erwünscht“, oder er hat die „Unausweichlichkeit dieser Folgen“ vorhergesehen (Art. 9 Abs. 2 georgStGB). Die erste Alternative entspricht somit dem dolus directus I im Sinne zielgerichteten Wollens, die zweite Alternative dem dolus directus II im Sinne sicheren Wissens. „Indirekter Vorsatz“ liegt vor, wenn der Täter die Folgen zwar nicht wünschte, doch sie bewusst zugelassen hat oder ihnen gleichgültig gegenüber stand (Art. 9 Abs. 3 georgStGB). Der indirekte Vorsatz entspricht somit dem dolus eventualis. Ein Befehlshaber oder eine Führungsperson muss daher zumindest indirekt vorsätzlich untätig geblieben sein, anders als Art. 28 a) i) IStGH-Statut, der auch Fahrlässigkeit genügen lässt. Was Art. 28 b) i) IStGH-Statut betrifft, so könnte die Formulierung aus georgischer Sicht wohl aus ähnlichen Erwägungen wie im Hinblick auf das deutsche Strafrecht angestellt,691 als indirekter Vorsatz (dolus eventualis) und nicht als Fahrlässigkeit auszulegen sein. Eine Person handelt im georgischen Strafrecht bewusst fahrlässig, wenn sie sich über die Möglichkeit bewusst ist, dass rechtswidrige Folgen eintreten, aber auf das Nichteintreten dieser Folgen hofft.692 Wie bei der Analyse der deutschen Umsetzungsvorschriften erläutert, spricht die Formulierung, dass Informationen eindeutig auf Straftaten hinweisen, gegen Fahrlässigkeit, da es wegen der Brisanz der Informationen für den Vorgesetzten kaum mehr möglich ist, auf einen guten Ausgang zu hoffen.

691 692

Vgl. 1. Kap. B. I. 3. Art. 10 Abs. 2 georgStGB.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

IV. Begriff des Befehlshabers und anderer Führungspersonen Die Anmerkung stellt klar, dass „Befehlshaber“ (georg.: metauri) oder andere „Führungspersonen“ (georg.: chelmdsgvaneli693) strafrechtlich haften. Durch die Verknüpfung „oder/und“ (georg.: anda/da) macht die Anmerkung zunächst deutlich, dass auch mehrere Personen für die Taten der ihnen unterstellten Truppen haften können, so dass beispielsweise nicht nur der unmittelbare Befehlshaber der strafrechtlichen Haftung unterliegt. Die Tatsache, dass die Anmerkung die Unterscheidung des Art. 28 a) und b) IStGH-Statut in „militärischer Befehlshaber“ (russ.: voennyj komandir), „de facto militärischer Vorgesetzter“ (russ.: lico effektivno dejstvujušcˇee v kacˇestve voennogo komandira) und „anderer Vorgesetzter“ (russ.: nacˇal¢nik . . . ne opisannyj), nicht übernimmt, wirkt auf den ersten Blick nicht bedeutsam. Personen, die nicht „Befehlshaber von bewaffneten Truppen oder ihrer Einheiten“ sind, könnten in die Auffangkategorie „andere Führungsperson“ fallen. Der Kreis der Personen, der von der Anmerkung umfasst ist, ist jedoch womöglich enger gezogen als in Art. 28 IStGH-Statut. Das Vorgesetztenverhältnis besteht nämlich in Bezug zu bewaffneten Truppen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass auch Personen, die nicht Mitglieder der Truppen sind, als „andere Führungsperson“ im Sinne der Anmerkung erfasst sind. Jedoch müssen sie wiederum „Truppenmitgliedern“ vorgesetzt sein. Die Anmerkung bezieht sich daher allein auf Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisse im militärischen Bereich. Die Kategorie der „Befehlshaber“ betrifft dabei die de jure militärischen Vorgesetzten, während eine Person, die nicht formal zu den Streitkräften gehört, in die Kategorie „andere Führungsperson“ fällt. Damit dürften von der Kategorie „andere Führungsperson“ in der Anmerkung nur zivile Vorgesetzte in militärischen Einheiten erfasst sein, die wohl eine Gruppe der in Art. 28 a) IStGH-Statut genannten „de facto militärischen Vorgesetzten“ darstellen. „Nicht-militärische Vorgesetzte“ im Sinne von Art. 28 b) IStGHStatut wären hingegen von der Anmerkung nicht erfasst. Die Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB normiert auch keine unterschiedlichen Voraussetzungen für „Befehlshaber“ und „andere Führungspersonen“, sondern unterwirft alle Vorgesetzen denselben Bedingungen. Die Anmerkung übernimmt also nicht die veränderten Merkmale, die in Art. 28 b) IStGH-Statut für nicht-militärische Vorgesetzte normiert sind. Dies kann als Indiz für die Auslegung gewertet werden, dass „nicht-militärische Vor693 In einigen Gesetzen wird der Begriff „uphrosi“ (Vorgesetzter) verwendet, bspw. in Art. 22 georgMilStatG.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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gesetzte“ im Sinne von Art. 28 b) IStGH-Statut von der Anmerkung gar nicht erfasst werden. Aus dem vorliegenden Material ist nicht ersichtlich, dass der georgische Gesetzgeber bewusst hinter den Vorgaben des Art. 28 IStGH-Statut zurückbleiben wollte. Es ist zumindest davon auszugehen, dass der georgische Gesetzgeber sich über die unterschiedlichen Standards im Römischen Statut im Klaren war. Turawa ist in seiner Vereinbarkeitsanalyse auch auf zivile Vorgesetzte eingegangen und hat darauf hingewiesen, dass im Römischen Statut für zivile Vorgesetzte ein höherer Standard festgelegt ist.694 Es ist denkbar, dass der Anmerkung ein enges Verständnis des militärischen Vorgesetzten zugrundeliegt, wonach sowohl die von Art. 28 a) IStGH-Statut erfassten de jure als auch de facto militärischen Vorgesetzten den regulären Streitkräften des Landes zugehörig sein müssen, Art. 28 b) IStGH-Statut hingegen Vorgesetzte in irregulären militärischen Einheiten erfasst. Durch den Begriff „andere Führungsperson“ wäre somit Art. 28 b) IStGH-Statut zumindest teilweise umgesetzt. Allerdings wollten die Verfasser des Römischen Statuts gerade warlords und Anführer paramilitärischer Gruppen als de facto militärische Vorgesetzte erfassen.695 Unabhängig von dem zugrundeliegenden Verständnis von einem militärischen Vorgesetzten erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte die Vorgesetztenverantwortlichkeit auch auf nicht-militärische Vorgesetzte anwenden. Die Anmerkung entfaltet jedenfalls keine Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen Regeln (unechtes ungeschriebenes Unterlassen). V. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Die Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB stellt klar, dass eine Unterlassenstäterschaft von Befehlshabern und Führungspersonen in Betracht kommt, wenn ihre Truppen Straftaten des Kapitels 47 begehen. Die Anmerkung übernimmt die zentralen Begriffe „Führungsgewalt und Kontrolle“ aus Art. 28 IStGH-Statut. Die besondere objektive Haftungseinschränkung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut wird nicht erwähnt. Es spricht viel dafür, dass die Anmerkung ohnehin nur auf die Haftung von (de jure und de facto) Vorgesetzten militarischer Einheiten Bezug nimmt. In subjektiver Hinsicht ist nach allgemeinen Regeln mindestens indirekter Vorsatz erforderlich, was dolus eventualis entspricht.

694 695

Turawa, Analiz, S. 63. Saland, S. 203.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht 1. Haftung des militärischen Vorgesetzten in Russland Im russischen Strafgesetzbuch befindet sich keine Vorschrift, die in ähnlicher Weise wie Art. 28 IStGH-Statut eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten für Straftaten seiner Untergebenen festlegte. Vorgesetzte in Russland können aber disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Im russischen Gesetz über den Status der Militärdienstleistenden696 (im folgenden: russMilStatusG) findet sich in Art. 28 folgende Vorschrift: „1. Voennoslužašcˇie v savisimosti ot haraktera i tjažesti soveršennogo pravonarušenija nesut disciplinarnuju, administrativnuju, material¢nuju,697 graždanskopravovuju i ugolovnuju otvetstvennost¢. 2. Za prostupki, svjazannye s narušeniem voinskoj discipliny ili obšcˇestvennogo porjadka, voennoslušašcˇie nesut disciplinarnuju otvetstvennost¢ po osnovanijam i v porjadke, kotorye opredeleny obšcˇevoinskimi ustavami. Komandiry ne nesut disciplinarnoj otvetstvennost¢ za pravonarušenija, soveršennye ih podcˇinennymi, za iskljucˇeniem teh slucˇaev kogda komandiry skryli prestuplenija, à takže v predelah svoej kompetencii ne prinimali neobhodimye mer po predupreždeniju i predotvrašcˇeniju ukazannyh pravonarušenij, privlecˇeniju k otvetstvennosti vinovnyh lic.“698

Eine ähnliche Bestimmung findet sich in der Disziplinarordnung der Streitkräfte der Russischen Föderation.699 Ziff. 8 in Kapitel 1 „Allgemeine Bestimmungen“ lautet: 696 Zakon O Statuse Voennoslužaših (Gesetz über den Statuts der Militärdienstleistenden) vom 27.05.1998. N 76-FZ. 697 Haftungsrechtlich (material¢naja otvetstvennost¢) meint die Haftung auf Schadensersatz. 698 Dt. Übersetzung durch Verf.: 1. Die Militärdienstleistenden sind je nach Charakter und Schwere der begangenen Rechtsverletzung disziplinarrechtlich, verwaltungsrechtlich, haftungsrechtlich, zivilrechtlich und strafrechtlich verantwortlich. 2. Für Vergehen, die mit der Verletzung der Militärdisziplin oder allgemeinen Ordnung einhergehen, sind die Militärdienstleistenden aufgrund der allgemeinen Militärordnungen und nach deren Verfahren disziplinarrechtlich verantwortlich. Befehlshaber sind für Rechtsverletzungen, die ihre Untergebenen begangen haben, disziplinarrechtlich nicht verantwortlich, mit Ausnahme von Fällen, in denen die Befehlshaber Verbrechen verdeckt haben, und auch, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um den genannten Rechtsverletzungen vorzubeugen und diese zu verhindern sowie die schuldigen Personen zur Verantwortung zu ziehen.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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„Komandir (nachal¢nik), ne nesut disciplinarnoj otvetstvennosti za pravonarušenie, soveršennye ego podcˇinennymi, za iskljucˇeniem slucˇajev, kogda on skryl pravonarušenie ili ne prinjal neobhodimyh mer v predelah svoih polnomocˇij po predupreždeniju pravonarušenij i privlecˇeniju k otvetstvennosti vinovnih lic.“700

a) Allgemeines Sowohl Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG als auch die Vorschrift in der Disziplinarordnung701 sind negativ formuliert. Befehlshaber haften nicht grundsätzlich für Rechtsverletzungen ihrer Untergebenen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen soll der Befehlshaber für Rechtsverletzungen seiner Untergebenen einstehen. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG unterscheidet verschiedene Varianten: Eine erste Variante stellt das „Verdecken von Straftaten“ der Untergebenen dar. Strafrechtlich kann dies eine „Begünstigung“ darstellen. Die zweite Fallgruppe gibt die typische Formel der Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit wieder: „Befehlshaber sind für Rechtsverletzungen, die ihre Untergebenen begangen haben, [. . .] verantwortlich, [. . .], wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um den genannten Rechtsverletzungen vorzubeugen und diese zu verhindern sowie die schuldigen Personen zur Verantwortung zu ziehen.“ Ebenfalls hat eine Trias von „Vorbeugen“ (predupreždenie), „Verhindern“ (predotvrašenie), und „zur Verantwortung ziehen“ (privlecˇenie k otvetstvennosti) in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG Ausdruck gefunden, wobei die Variante des „Vorbeugens“ allerdings kein Äquivalent in Art. 28 IStGHStatut hat, wenn sie anders als die Variante „Verhindern“ ein Stadium zeitlich weit vor Tatbegehung betrifft.702 699 Disciplinarnyj Ustav Voorušennyh Sil Rossijskoj Federacii (Disziplinarordnung der Streitkräfte der Russischen Föderation), Ukaz vom 10.11.2007, N 1495. 700 Dt. Übersetzung durch Verf.: Ein Befehlshaber (Vorgesetzter) trägt keine disziplinarrechtliche Verantwortung für Rechtsverletzungen, die durch seine Untergebenen begangen wurden, mit Ausnahme von Fällen, in denen er Rechtsverletzungen verdeckt hat, und auch, wenn er im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um Rechtsverletzungen zu verhindern sowie die schuldigen Personen zur Verantwortung zu ziehen. 701 Wegen der allgemeinen Hierarchie der Rechtsnormen im russischen Recht dürften die Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in der russischen Disziplinarordnung nur im Rahmen von Art. 28 Abs. 2 gelten. Art. 28 Abs. 2 verweist allerdings auf die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit für die Verletzung der Militärdisziplin oder der öffentlichen Ordnung nach den allgemeinen Militärordnungen, mithin auch auf die Disziplinarordnung. 702 Für das Eingreifen nach Beginn der Verbrechensbegehung wird in der russischen Sprache der Begriff „presecˇenie“ (Abschneiden, Verhinderung) verwendet.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeit Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG müssen die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der „Zuständigkeit“ des militärischen Vorgesetzten gewesen sein. Diese Voraussetzung macht deutlich, dass nicht jeder Vorgesetzter in jeglicher Hinsicht – zeitlich, örtlich, fachlich – für seine Untergebenen zuständig ist. Das Erfordernis könnte auch in Art. 28 b) ii) IStGHStatut eine Rolle spielen. Im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut ist allerdings eine entsprechende Voraussetzung für militärische Vorgesetzte anders als in Art. 28 b) IStGH-Statut nicht ausdrücklich normiert.703 c) Subjektive Voraussetzungen Subjektive Voraussetzungen finden sich weder in der Bestimmung der Disziplinarordnung noch in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG. In der Disziplinarordnung ist nicht ausdrücklich festgelegt, dass die Verletzung der Militärdisziplin schuldhaft begangen worden sein muss. Es ist aber davon auszugehen, dass auch die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit nur bei Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit eintritt. d) Begriff des militärischen Befehlshabers Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG ist etwas anders gefasst als die Vorschrift in der Disziplinarordnung: Die Vorschrift der Disziplinarordnung nennt hinter dem Begriff „Befehlshaber“ in Klammern den „Vorgesetzten“. Wie bei Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG sind jedoch nur militärische Vorgesetzte gemeint. Art. 3 Abs. 4 russMilStatusG stellt klar, dass die beiden Begriffe synonym zu verstehen sind. Da der Begriff des Militärdienstleistenden eine rechtsförmliche Ernennung voraussetzt, ist davon auszugehen, dass auch ausschließlich de jure militärische Vorgesetzte erfasst sind. e) Zusammenfassung Art. 28 Abs. 2 Satz 2 russMilStatusG stellt eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im russischen Recht dar. Gleiches gilt für die Parallelvorschrift in der russischen Disziplinarordnung. Der gewichtigste Unterschied zu Art. 28 IStGH-Statut liegt darin, dass über Art. 28 russMilStatusG lediglich eine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten begründet wird. Im Vergleich zu Art. 28 b) ii) IStGH-Statut erscheint es er703

Vgl. 4. Teil E. II. zur Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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wähnenswert, dass auch militärische Vorgesetzte nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig werden müssen. 2. „Unterlassen während eines bewaffneten Konflikts“: Art. 137 Abs. 1 belorussStGB Art. 137 belorussStGB ist mit „Unterlassen oder Erteilen eines verbrecherischen Befehls während eines bewaffneten Konflikts“ überschrieben und enthält zwei unterschiedliche Straftatbestände: Nach Art. 137 Abs. 2 belorussStGB ist ein Vorgesetzter oder Amtsträger strafrechtlich verantwortlich, wenn er während eines bewaffneten Konflikts einem Untergebenen den „Befehl, kein Pardon zu geben,“ oder einen anderen offensichtlich verbrecherischen Befehl oder eine andere offensichtlich verbrecherische Anordnung erteilt, die auf die Begehung von Straftaten der Art. 134, 135, 136 belorussStGB gerichtet ist. Art. 137 Abs. 1 belorussStGB befasst sich mit einem Unterlassen während eines bewaffneten Konflikts. Art. 137 Abs. 1 lautet: „Umyšlennoe neprinjatie vo vremja vooružennogo konflikta nacˇal¢nikom ili dolžnostnym licom v predelah svoih polnomocˇij vseh vozmožnyh mer dlja predupreždenija podgotavlivaemyh ili presecˇenija soveršaemyh podcˇinnym prestuplenij, predusmotrennyh statjami 134, 135 i 136 nastojašcˇego Kodeksa, – [. . .].“704

Art. 137 Abs. 1 belorussStGB wurde nicht in das Strafgesetzbuch eingefügt, um das belorussische Recht an das Römische Statut anzupassen. Vielmehr steht diese Vorschrift in Zusammenhang mit Art. 86 Abs. 2 ZP I.705 a) Allgemeines Die Vorgesetzten und Amtsträger haften für das Unterlassen, nicht alle möglichen Maßnahmen ergriffen zu haben, um Straftaten zu verhindern oder zu unterbinden. Eine ausdrückliche Haftung von Vorgesetzten wegen der Nichtahndung oder Nichtanzeige von Straftaten ihrer Untergebenen fehlt.706 Die gemeinsame Überschrift zu Art. 137 belorussStGB „Unterlas704

Dt. Übersetzung durch Verf.: Ein Vorgesetzter oder Amtsträger, der während eines bewaffneten Konflikts vorsätzlich nicht alle im Rahmen seiner Befugnisse möglichen Maßnahmen ergreift, um die Vorbereitung von Straftaten nach Art. 134, 135 und 136 dieses Gesetzbuchs durch Untergebene zu verhindern, oder die Begehung dieser Straftaten zu unterbinden, wird mit [. . .] bestraft. 705 Unterzeichnung der Genfer Konventionen durch BelorussSSR bereits am 3.8.1954; Volženkin, in: Pravovedenie 2000, Nr. 6, 148; Kalugin, in: Barkov, Kommentarij, Art. 137 Anm. 1. 706 Die Kommentarliteratur zu Art. 137 belorussStGB geht ohne nähere Erläuterung davon aus, dass auch „disziplinarische Maßregeln“ und die „Einleitung eines

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

sen oder Erteilen eines verbrecherischen Befehls“ könnte suggerieren, dass es ausschließlich um das Unterlassen, einen „Befehl“ zu erteilen, ginge. Aus dem Wortlaut des Art. 137 Abs. 1 belorussStGB wird aber deutlich, dass es nicht allein um Befehlserteilung geht, sondern alle Maßnahmen, zu deren Ergreifung der Vorgesetzte oder Amtsträger befugt ist, gemeint sind. Somit dürften auch disziplinarrechtliche Befugnisse umfasst sein. Es muss sich um Maßnahmen „im Rahmen der Befugnisse“ des Vorgesetzten bzw. Amtsträgers handeln. Die Vorgesetzten und Amtsträger unterliegen der strafrechtlichen Haftung, wenn Untergebene die in Art. 134, 135 und 136 belorussStGB niedergelegten Straftaten begehen. Dies geht aus dem Gesamtzusammenhang des Art. 137 belorussStGB hervor. Bei den genannten Straftaten handelt es sich um die „Anwendung von durch einen internationalen Vertrag geächteten Massenvernichtungswaffen“ (Art. 134 belorussStGB), „Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges“ (Art. 135 belorussStGB) und die „Verletzung der Normen des internationalen humanitären Rechts während eines bewaffneten Konflikts“ (Art. 136 belorussStGB).707 Art. 137 Abs. 1 belorussStGB nimmt somit nicht Bezug auf alle Straftaten des Kapitels 18 des Abschnitts VI. Im Übrigen sind auch die „Straftaten gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit“ des Kapitels 17 des Abschnitts VI nicht erfasst, zu denen die Straftatbestände „Genozid“ (Art. 127 belorussStGB), „Planung, Durchführung bzw. Aufruf zu einem Angriffskrieg“ (Art. 122, 123 belorussStGB) usw. gehören. b) Objektive Haftungseinschränkung: Im Rahmen der Befugnisse – Bewaffneter Konflikt Art. 137 belorussStGB verpflichtet den Vorgesetzten/Amtsträger, Maßnahmen im Rahmen seine Befugnisse ergreifen. Es geht folglich um Maßnahmen, die der Vorgesetzte/Amtsträger kraft seiner Befugnisse anordnen konnte. Art. 86 ZP I, der ja mit dieser Vorschrift in das belorussische StrafStrafverfahrens“ mögliche Maßnahmen im Rahmen des Art. 137 Abs. 1 belorussStGB darstellen, denen sich ein Vorgesetzter oder Amtsträger zur Verhinderung oder Unterbindung von Straftaten bedienen kann. Kalugin, in: Barkov, Kommentarij, Art. 137 Anm. 1; Wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts und wegen der Ausrichtung an Art. 86 Abs. 2 ZP I, der die Variante der Nichtahndung von begangenen Straftaten ebenfalls nicht enthält, ist jedoch davon auszugehen, dass ein Vorgesetzter/Amtsträger nach Art. 137 Abs. 1 belorussStGB für die Nichtahndung bereits begangener Straftaten nicht haftet. Wie das georgische Strafgesetzbuch enthält auch das belorussische Strafgesetzbuch allerdings einen Straftatbestand der „Nichtanzeige von Straftaten“ (Art. 406 belorussStGB). 707 Somit eine ziemlich umfassende Aufzählung der Kriegsverbrechen, Schroeder, in: Festschrift-Brunner, 2001, S. 332.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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recht umgesetzt wird, spricht von allen „in der Macht stehenden, praktisch möglichen Maßnahmen“. Hiermit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sowohl die Befugnisse eines militärischen Vorgesetzten wie auch die eines Amtsträgers nicht unbegrenzt sind, sondern zeitlichen, örtlichen und sachlichen Beschränkungen unterliegen. Überdies ist vorausgesetzt, dass „ein bewaffneter Konflikt“ vorlag. Betrachtet man die in Art. 137 Abs. 1 belorussStGB genannten Straftaten der Untergebenen, so erscheint dieser Zusatz als eine unnötige Doppelung: Denn Art. 136 belorussStGB stellt ausdrücklich nur die Verletzung der Normen des internationalen humanitären Rechts „während eines bewaffneten Konflikts“ unter Strafe, Art. 135 belorussStGB die Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des „Krieges“. Allein der Tatbestand der Anwendung von Massenvernichtungswaffen (Art. 134 belorussStGB) enthält nicht die ausdrückliche Voraussetzung, dass ein „bewaffneter Konflikt“ vorliegen muss.708 c) Subjektive Voraussetzungen Art. 137 Abs. 1 belorussStGB setzt ein „vorsätzliches Unterlassen“ voraus. Eine Haftung wegen Fahrlässigkeit ist damit ausgeschlossen. Zwar enthält das belorussische Strafgesetzbuch keine ausdrückliche Vorschrift, dass eine Haftung wegen fahrlässigem Handeln nur in den im Gesetz vorgesehenen Fällen möglich ist. Vielmehr hat der belorussische Gesetzgeber den bereits im sowjetischen Recht geltenden Grundsatz beibehalten, dass alle Straftaten vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden können. Da Art. 137 Abs. 1 belorussStGB aber ausdrücklich die „vorsätzliche Nichtvornahme der Maßnahmen“ nennt,709 kann Art. 137 belorussStGB nur vorsätzlich begangen werden. „Vorsatz“ bedeutet nach Art. 22 Abs. 1 belorussStGB, dass eine gesellschaftlich gefährliche Handlung mit direktem oder indirektem Vorsatz begangen wurde. In beiden Fällen hat die Person die gesellschaftliche Gefährlichkeit ihres Tuns oder Unterlassens erkannt und die gesellschaftlich gefährlichen Folgen vorhergesehen. Im Fall des direkten Vorsatzes hat sie den Eintritt der Folgen gewünscht. Mit „indirektem Vorsatz“ handelt eine Person nach Art. 22 Abs. 3 belorussStGB, wenn sie zwar nicht wollte, dass diese Folgen eintreten, aber doch den Eintritt dieser Folgen bewusst zugelassen hat oder ihnen gleichgültig gegenüber stand.710 Der indirekte Vorsatz 708 Der Kommentarliteratur zufolge setzen alle Straftatbestände des Kapitels 18 außer Art. 132 belorussStGB einen bewaffneten Konflikt voraus: Kalugin, in: Barkov, Kommentarij, Vorb. Kap. 18 Anm. 4. 709 Barkov, in: Barkov, Kommentarij, Art. 22 Anm. 16. 710 Barkov, in: Barkov, Kommentarij, Art. 22 Anm. 1 ff.; 10 ff.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

ist insofern mit dolus eventualis vergleichbar. Die Kommentarliteratur geht – allerdings ohne weitere Begründung – davon aus, dass „vorsätzlich“ in Art. 137 belorussStGB nur den „direkten Vorsatz“ i. S. v. Art. 22 Abs. 2 belorussStGB meint.711 d) Begriff des Vorgesetzten und Amtsträgers Art. 137 Abs. 1 belorussStGB verwendet den allgemeinen Begriff des „Vorgesetzten“ (nacˇal¢nik). Dieser Begriff ist im Strafgesetzbuch legaldefiniert. Nach Art. 4 Abs. 6 belorussStGB ist unter einem „Vorgesetzten“ ein Militärdienstleistender oder Militärdienstpflichtiger zu verstehen, der das Recht hat, Untergebenen Befehle zu erteilen und deren Erfüllung zu fordern. Der Begriff „Vorgesetzter“ wird folglich nur für den militärischen Vorgesetzten verwendet. Neben einem „Vorgesetzten“ nennt Art. 137 Abs. 1 belorussStGB auch „Amtsträger“. Der Begriff des „Amtsträgers“ wird in Art. 4 belorussStGB ebenfalls legaldefiniert: Unter Absatz 4 und Absatz 5 sind eine ganze Reihe von Amtsträgern aufgelistet. Nicht alle in Art. 4 Abs. 4 belorussStGB aufgelisteten Amtsträger kommen jedoch als Täter („Subjekt“) des Art. 137 Abs. 1 belorussStGB in Betracht, da nicht alle genannten Amtsträger Untergebene haben.712 Dies gilt beispielsweise für Abgeordnete, die zur ersten Gruppe nach Art. 4 Abs. 4 Nr. 1 belorussStGB „Vertreter der Staatsgewalt“ gehören. Den mit sogenannten „Wirtschaftsverwaltungsaufgaben“ betreuten Amtsträgern nach Art. 4 Abs. 4 Nr. 3 belorussStGB sind ebenfalls nicht notwendigerweise Untergebene unterstellt. Zu den Personen, die Wirtschaftsverwaltungsaufgaben wahrnehmen, gehören beispielsweise Vorgesetzte der Wirtschaftsplanungs-, Versorgungs- und Finanzierungsabteilungen.713 Relevant dürfte vor allem die Gruppe der Personen mit sogenannten „verwaltungsorganisatorischen“714 Aufgaben sein; denn diesen Amtsträgern sind schon per definitionem Personen unterstellt. Zu den Personen, die „verwaltungsorganisatorische Aufgaben“ erledigen, gehören Personen in Leitungspositionen in den Ministerien und Behörden sowie anderen Institutionen. Derartige Amtsträger in Leitungspositionen tragen Verantwortung 711

Kalugin, in: Barkov, Kommentarij, Art. 137 Anm. 1. Unter einem Untergebenen ist eine Person zu verstehen, die verpflichtet ist, Befehle oder Anordnungen ihres Vorgesetzten zu erfüllen: Kalugin, in: Barkov, Kommentarij, Art. 137 Anm. 1. 713 Barkov, in: ders., Kommentarij, Art. 4 Anm. 4. 714 Die Unterscheidung zwischen „verwaltungsorganisatorischen“ und „Wirtschaftsverwaltungsaufgaben“ war schon zu Sowjetzeiten typisch und wurde nicht nur im belorussischen Strafgesetzbuch, sondern auch in anderen postsowjetischen Gesetzen beibehalten. Bspw. Anmerkung bei Art. 285 russStGB. 712

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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für das Funktionieren der Organisation und haben mindestens einen untergebenen Mitarbeiter.715 Art. 137 Abs. 1 belorussStGB erfasst somit sowohl militärische (Vorgesetzte) wie auch nicht-militärische Vorgesetzte (Amtsträger). Allerdings sind nur die Vorgesetzten und Amtsträger de jure erfasst. Die Definitionen in Art. 4 Abs. 4 und 5 belorussStGB für Amtsträger setzen eine förmliche Zugehörigkeit zu den jeweiligen Institutionen voraus. Eine Ausweitung der Strafbarkeit auf de facto Vorgesetzte und de facto Amtsträger ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht möglich und wird in der Literatur auch nicht in Betracht gezogen.716 e) Gesellschaftliche Gefährlichkeit – Geringfügigkeit Die gesellschaftliche Gefährlichkeit der Tat ist regelmäßig zu bejahen,717 wenn die Merkmale des gesetzlichen Straftatbestands erfüllt sind.718 Die gesellschaftliche Gefährlichkeit kann allerdings wegen Geringfügigkeit im Sinne von Art. 11 Abs. 4 belorussStGB entfallen. Es ist nun nicht per se ausgeschlossen, dass ein Gericht zu dem Schluss kommen könnte, dass eine Bestrafung des Vorgesetzten oder Amtsträgers wegen Art. 137 belorussStGB aufgrund von Geringfügigkeit nicht erforderlich ist. Das Gericht wird die Frage zu beantworten haben, ob das Unterlassen den durch das Strafgesetz geschützten Objekten „beträchtlichen Schaden zugefügt“ hat bzw. ob es dies „nach seiner Art und Ausrichtung“ konnte.719 So ist es denkbar, dass das Unterlassen des Vorgesetzten oder Amtsträgers für sich gesehen äußerst geringfügig war, weil beispielsweise die Verhinderung der Straftat nur sehr schwer möglich war bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass der Vorgesetzte oder Amtsträger die Straftat verhindern konnte, sehr gering war. In diesem Fall konnte die Untätigkeit des Vorgesetzten oder Amtsträgers folglich den geschützten Objekten nach seiner Art überhaupt keinen beträchtlichen Schaden zufügen. Allerdings ist es auch denkbar, dass ein Gericht zu dem Schluss kommen könnte, dass eine Wertung als geringfügig 715

Barkov, in: ders., Kommentarij, Art. 4 Anm. 4. Vgl. auch Tikovenko, S. 25 Fn. 32: Begriffe „Vorgesetzter“ und „Leiter“ gleichbedeutend. 716 Vgl. auch Verordnung des Obersten Gerichts der UdSSR aus dem Jahre 1990, Richterkollegium in Strafsachen, Obzor Sudebnoj Praktiki (Überblick über die Rechtsprechungspraxis), BVS SSSR 1990, Nr. 4 S. 21 f. 717 Die gesellschaftliche Gefährlichkeit wird daher üblicherweise auch nicht als eigenständiger Prüfungspunkt behandelt. Vgl. Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšcˇaja Cˇast¢, S. 93. 718 Vgl. Dubovec, in: Barkov, Kommentarij, Art. 11 Anm. 4; Kudrjavcec/Luneev/ ˇ ast¢, S. 125. Naumov, Obšcˇaja C 719 Art. 11 Abs. 4 belorussStGB.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

wegen der schweren gesellschaftlich gefährlichen Folge – Begehung von schweren Kriegsverbrechen – grundsätzlich nicht in Frage kommt. f) Zusammenfassung Art. 137 Abs. 1 belorussStGB stellt eine Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit dar, ist im Vergleich zu Art. 28 IStGH-Statut aber enger gefasst, da Vorgesetzte und Amtsträger nur bei Kriegsverbrechen, die während eines bewaffneten Konflikts begangen werden, der strafrechtlichen Haftung unterliegen. Im Hinblick auf Art. 28 b) IStGH-Statut ist von besonderem Interesse, dass nicht nur militärische Vorgesetzte erfasst sind, sondern auch Amtsträger im nicht-militärischen, staatsnahen Bereich. Es gelten dieselben Haftungsvoraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte. Erfasst sind allerdings nur die de jure Vorgesetzten und Amtsträger. Im Gegensatz zu Art. 28 IStGH-Statut wird auch hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen kein Unterschied gemacht: Sowohl bei militärischen Vorgesetzten wie auch nicht-militärischen Amtsträgern reicht allein Vorsatz, nicht aber Fahrlässigkeit. II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern: „Pflichtvergessenheit/Unterlassen im Dienst“ 1. Grundtatbestand der Pflichtvergessenheit und des Unterlassens im Dienst Die Strafgesetzbücher aller drei untersuchten Länder enthalten Straftatbestände, die mit „Pflichtvergessenheit“ bzw. „Unterlassen im Dienst“ überschrieben sind. Sie folgen damit zumindest teilweise den Vorschlägen des Modellstrafgesetzbuchs. Art. 309 ModellStGB „Pflichtvergessenheit im Dienst“ hat folgenden Wortlaut: „Neispolnenie ili nenadležašcˇie ispolnenie dolžnostnym licom svoih objazannostej vsledstvie nedobrosovestnogo ili nebrežnogo otnošenija k službe, esli eto poveklo sušcˇestvennoe narušenie prav i zakonnyh interesov graždan ili organisacij libo ohranjaemyh zakonom interesov obšcˇestva ili gosudarstva, [. . .].“720 720

Übersetzung durch Verf.: Die Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten durch öffentliche Bedienstete infolge einer gewissenlosen oder nachlässigen Einstellung zum Dienst stellt, wenn diese zu einer wesentlichen Verletzung von Rechten und gesetzlichen Interessen der Bürger, Organisationen, der Gesellschaft oder des Staates geführt hat, eine mittelschwere Straftat dar.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Darüber hinaus schlägt Art. 302 Abs. 1 ModellStGB „Unterlassen im Dienst“ vor, öffentliche Bedienstete für die Nichterfüllung von Dienstpflichten strafrechtlich haften zu lassen, wenn dies zu schweren Folgen geführt hat, und wenn die Bediensteten aus Gewinnsucht oder anderen persönlichen Motiven gehandelt haben. Sofern der Täter ein „Staatsamt mit Verantwortung“ innehat, soll sich dies strafschärfend auswirken, so dass eine schwere Straftat vorliegt. Alle drei Strafgesetzbücher haben den in Art. 309 ModellStGB vorgeschlagenen Tatbestand der Pflichtvergessenheit nahezu wortgleich übernommen.721 Das belorussische Strafgesetzbuch enthält darüber hinaus einen weiteren Tatbestand der Pflichtvergessenheit speziell für „Vorgesetzte und Amtsträger“ (Art. 456 belorussStGB). Der in Art. 302 ModellStGB vorgeschlagene Tatbestand „Unterlassen im Dienst“ wurde teilweise als Tatbestand „Missbrauch von Amtsbefugnissen“ (Art. 285, 286 russStGB) übernommen, teilweise ohne dass besondere persönliche Motive zur Voraussetzung gemacht werden (Art. 333 georgStGB, Art. 425 belorussStGB). Der Grundtatbestand der „Pflichtvergessenheit“ und des „Unterlassens im Dienst“, wie er sich im Modellstrafgesetzbuch und wortgleich beispielsweise im russischen Strafgesetzbuch darstellt, setzt voraus, dass ein Amtsträger seine Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dies kausal722 zu einem Schaden in besonders hohem Ausmaß oder zu anderen „schweren Folgen“ geführt hat. Objekt der „Pflichtvergessenheit“ und des „Unterlassens im Dienst“ und damit geschütztes Interesse ist die normale Funktionsfähigkeit des Staatsdienstes bzw. der staatlichen Institutionen. Zusätzlich sind auch die gesetzlich geschützten Rechte des Einzelnen „Objekt der Strafvorschrift“.723 Die Pflichtvergessenheit bzw. das Unterlassen im Dienst stellen insgesamt eine Art Blankettunterlassensdelikt dar. Voraussetzung ist wie bei dem unechten Unterlassen, dass der Amtsträger eine Rechtspflicht zum Handeln hatte. Die jeweiligen Pflichten, die der Amtsträger verletzt hat, müssen, wenn nicht in einem Gesetz, so zumindest in Instruktionen oder Anordnungen niedergelegt sein. Das Fehlen förmlicher Niederlegung der Pflichten schließt laut Kommentar des Obersten Gerichts der Russischen Föderation die strafrechtliche Verantwortlichkeit aus.724 Die Pflichten müs721

Art. 293 russStGB, Art. 428 belorussStGB, Art. 342 georgStGB. Geht aus der Gesetzesformulierung hervor: Žalinskij, in: Ugolovnoe Pravo Rossii, Bd. 1, Osobennaja Cast¢, S. 141. 723 Die Strafvorschriften der „Pflichtvergessenheit“ befinden sich in den Kapiteln der „gegen die dienstlichen Interessen gerichteten Straftaten“, Kap. 35 belorussStGB, Kap. 30 russStGB, Kap. 39 des georgStGB. 724 Lebedev, Ugolovnyj Kodeks, Art. 293, S. 576. 722

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sen dem jeweiligen Amtsträger genau zuzuordnen sein,725 und er muss überdies eine reale Möglichkeit zur Pflichterfüllung und Verhinderung der Schädigung gehabt haben.726 2. Urteile des Obersten Gerichts der UdSSR Die Tatbestände der „Pflichtvergessenheit“ und des „Unterlassens im Dienst“ haben eine lange Tradition. Sie waren nicht nur in den Vorgängerstrafgesetzbüchern,727 sondern bereits im russischen Strafgesetzbuch von 1903728 enthalten. Zu Sowjetzeiten wurde der Tatbestand der „Pflichtvergessenheit“ nicht selten angewandt und war Gegenstand vieler (Revisions)Verfahren vor dem Obersten Gericht der Sowjetunion.729 Die sowjetischen Gerichte haben sich in einigen Fällen mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen Amtsträger wegen „Pflichtvergessenheit“ verurteilt werden können, wenn ihnen unterstellte Personen Straftaten begehen. So hat sich das Plenum des Obersten Gericht der UdSSR bereits 725

Lebedev, Ugolovnyj Kodeks, Art. 293, S. 576. Vgl. bspw. den interessanten Fall der „Überlastung“ des Art. 28 Abs. 2 russStGB. 727 Art. 172, 260 StGB RSFSR 1960 (vgl. deutsche Übersetzung Zülch/Pusylewitsch/Arnold, Strafgesetzbuch, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz der RSFSR, 1961, S. 8–128, S. 87, S. 122). Bei Art. 260 StGB RSFSR 1960 ist allerdings vorausgesetzt, dass die „Pflichtvergessenheit“ regelmäßig oder aus eigennützigen Beweggründen oder anderen persönlichen Beweggründen begangen wurden. Vgl. auch Art. 111, 112, 19717 StGB RSFSR 1926, Art. 24 Gesetz über die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Militärstraftaten vom 25. Dezember 1958, Art. 168 StGB BSSR. 728 Art. 643 der russischen Strafgesetzbuchs hatte folgenden Wortlaut (Dt. Übersetzung nach Wachsmann, Das neue russische Strafgesetzbuch vom 22. März 1903 in der sich aus den Strafrechtsverordnungen im Verwaltungsgebiet Oberost ergebenden Fassung, 1918, S. 267 f.): „1) Ein nach Art seines Dienstes zur Verhütung oder Abwendung strafbarer Handlungen verpflichteter Beamter, welcher trotz Kenntnis des Vorhandenseins von Beweisen für das Bevorstehen eines geplanten oder begonnenen Verbrechens oder des Begehens die erforderlichen Maßregeln zur Verhütung oder Abwendung derselben zu ergreifen unterläßt, wird, falls diese Unterlassung die Begehung des Verbrechens oder Vergehens nach sich zieht, bestraft: . . . 2) Derselben Bestrafung nach denselben Grundsätzen unterliegt ein Beamter, welcher seine Obrigkeit oder die zuständige Behörde oder die bedrohte Person über ein geplantes oder begonnenes Verbrechen oder Vergehen trotz Kenntnis des Vorhandenseins von Beweisen ihres Bevorstehens zu benachrichtigen unterläßt oder in seiner Benachrichtigung einen für die Verhütung oder Abwendung des Verbrechens oder Vergehens wesentlichen Umstand verheimlicht.“ 729 Zumeist Urteile wurden unterinstanzlicher Gerichte entweder aufgehoben oder aber „umqualifiziert“, d.h. die Taten als „Pflichtvergessenheit“ qualifiziert. 726

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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im Jahr 1967 mit der Vorschrift der „Pflichtvergessenheit“ in folgender Konstellation auseinandergesetzt: Ein unteres Gericht der RSFSR und das Oberste Gericht der RSFSR hatten den Abteilungsleiter einer Textilfabrik wegen „Pflichtvergessenheit“ verurteilt, weil er sowohl einen Kassierer wie auch einen Zuschneider nicht ausreichend beaufsichtigt habe, so dass der Kassierer Geld und der Zuschneider Stoff entwenden konnte. Das Plenum des Obersten Gerichts der UdSSR legte nun dar, dass die Verurteilung eines Amtsträgers wegen Pflichtvergessenheit nicht nur voraussetze, dass „ihm unterstellte Arbeiter Straftaten begehen“, sondern dass „dem Amtsträger gerade eine bestimmte Pflicht oblag, und dass die Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung dieser Pflicht in direkt kausaler Beziehung zu den eingetretenen Folgen stand“.730 Damit hat das Oberste Gericht schon früh dargelegt, dass der Tatbestand der „Pflichtvergessenheit“ im Sowjetrecht auch die Konstellation erfasst, dass eine Person eine Aufsichtspflicht gegenüber dienstlich unterstellten Personen hat und strafrechtlich verantwortlich sein kann, wenn diese Personen Straftaten begehen. Das Plenum des Obersten Gerichts der UdSSR hob das Urteil des russischen Gerichts letztlich allerdings mit der Begründung auf, dass die Aufsichtspflicht nicht dem Abteilungsleiter, sondern anderen Personen oblegen habe.731 Soweit betriebliche Abläufe den Diebstahl begünstigt hätten, sei der Abteilungsleiter auch nicht für die Verbesserung dieser Abläufe zuständig gewesen. Überdies habe der Leiter der Textilfabrik den Direktor der Fabrik umgehend nach Kenntniserlangung von der Unterschlagung bzw. dem Diebstahl informiert.732 Die genaue Bestimmung der dem Amtsträger obliegenden Pflichten und die Darlegung der konkreten Möglichkeit zur Erfüllung dieser Pflichten wurde auch in späteren Urteilen als unerlässliche Voraussetzungen für eine strafrechtliche Haftung unterstrichen. Viele Urteile wurden aufgehoben, weil die Amtsträger entweder nicht zuständig waren oder aber es ihnen 730 Plenum des Obersten Gerichts der UdSSR, Postanovlenie vom 22.9.1967 i. d. S. Piratinskij, H.Z., BVS SSSR 1968, Nr. 1 S. 19–20. 731 Plenum des Obersten Gerichts der UdSSR, Postanovlenie vom 22.9.1967 i. d. S. Piratinskij, H.Z., BVS SSSR 1968, Nr. 1 S. 20. 732 Das Oberste Gericht geht somit interessanterweise auf das Verhalten des Abteilungsleiters nach Begehung der Tat ein, vgl. ebenfalls Plenum des Obersten Gerichts der UdSSR, Postanovlenie vom 28.3.1990 i. d. S. Gvasalii, G.S., BVS SSSR 1990, Nr. 4, S. 7 f.: Der wegen „Pflichtvergessenheit“ verurteilte Leiter der Kontroll- und Revisionsabteilung im Ministerium für die örtliche Industrie der georgischen SSSR Gvasali hatte nach Kenntniserlangung von Unterschlagungen in einem Kombinat rechtzeitig die Leiter des Ministeriums sowie die Parteiorganisation informiert. Dann war es aber ministeriumsintern zu Verzögerungen gekommen. Das Urteil wurde deshalb vom Obersten Gericht aufgehoben.

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nicht konkret möglich war, ihre Pflichten zu erfüllen und den Schaden abzuwenden.733 In vielen Urteilen zur „Pflichtvergessenheit“ ging es um ähnliche Fälle der Veruntreuung oder des Diebstahls von Waren oder Geld in staatlichen Betrieben, die durch mangelnde Aufsicht oder Kontrolle von Abteilungsleitern oder Buchhaltern ermöglicht wurden.734 Es zeigt sich, dass die Vorschrift der Pflichtvergessenheit zu Sowjetzeiten vor allem dem Schutz des staatlichen Eigentums diente. Es gibt aber auch Urteile, in denen nicht nur Eigentums- oder Vermögensdelikte, sondern auch Straftaten gegen Leib und Leben begangen wurden, die mit den Abläufen im Betrieb in Zusammenhang standen. In dem Fall, der dem Beschluss (opredelenie) des Obersten Gerichts der UdSSR (Sache Raad, H.E.) vom 21.5.1987 zugrunde lag, waren als schwere Folge einer „Pflichtvergessenheit“ Menschen zu Tode gekommen:735 Der stellvertretende Direktor einer Chemiefabrik war von unterinstanzlichen Gerichten wegen „Pflichtvergessenheit“ verurteilt worden, weil die in einem neu in Betrieb genommenen Gebäude lagernden Chemikalien nicht ordnungsgemäß geschützt waren, so dass Eindringlinge Methanol entwenden konnten und kurze Zeit später 26 Bewohner der Stadt eine Methanolvergiftung erlitten und sogar 19 Menschen starben. Das Oberste Gericht hob das Urteil mit der Begründung auf, dass es dem stellvertretenden Direktor wegen des neu in Betrieb genommenen Gebäudes nicht möglich war, für eine ordnungsgemäße Verwahrung der Chemikalien zu sorgen. In dem geschilderten Fall zeigt sich einerseits, dass im sowjetischen Recht jegliche Straftaten unter das Merkmal „schwere Folge“ einer Pflichtvergessenheit subsumiert werden konnten. Andererseits war im Rahmen der „Pflichtvergessenheit“ ein besonders geartetes Vorgesetztenverhältnis zu den Tätern nicht Voraussetzung. So wurde in dem zuletzt geschilderten Fall nicht geklärt, ob die Diebe Mitarbeiter der Chemiefabrik waren oder nicht.

733 Hierauf weist das Oberste Gericht in seiner Verordnung zu den Amtsdelikten von 1990 hin: vgl. Richterkollegium in Strafsachen, Obzor Sudebnoj Praktiki (Überblick über die Rechtsprechungspraxis), BVS SSSR 1990, No. 4 S. 21 f.; Plenum des Obersten Gerichts der KirgSSR, Postanovlenie v. 22.6.1989 i. d. S. Maslennikov, V.P. u. a., BVS SSSR 1989, Nr. 6, S. 31 f. sowie Oberstes Gericht der UdSSR in der Sache Raad, E.H., Opredelenie v. 21.5.1987, BVS SSSR 1987, Nr. 4, S. 26 f. 734 Vgl. bspw. Präsidium des Obersten Gerichts der Aserbaidschanischen SSR, Postanovlenie v. 19.1.1987 in der Sache Mamedov, B.A., BVS SSSR 1987, Nr. 5 S. 42 f. 735 Oberstes Gericht der UdSSR, Opredelenie v. 21.5.1987 i. d. S. Sache Raad, H.E., BVS SSSR 1987, Nr. 4 S. 26–27.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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3. Art. 425 belorussStGB „Unterlassen im Dienst“ Die Strafvorschriften der „Pflichtvergessenheit“ bzw. des „Unterlassens im Dienst“ in den neuen Strafgesetzbüchern sind nur wenig konkreter736 ausgestaltet als ihre Vorgängervorschriften,737 umfassen aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite aber weiterhin eine Haftung des Vorgesetzten für das strafbare Handeln von Untergebenen.738 Das belorussische Strafgesetzbuch enthält sogar einen speziell auf „Vorgesetze und Amtsträger“ zugeschnittenen Tatbestand der „Pflichtvergessenheit“ im Kapitel 37 „Militärstraftaten“. Nach Art. 456 Abs. 1 belorussStGB ist ein Vorgesetzter oder ein Amtsträger strafrechtlich verantwortlich, wenn er seine Pflichten nachlässig erfüllt, so dass dadurch ein Schaden in besonders hohem Ausmaß oder andere schwere Folgen verursacht wurden.739 Geschieht dies zu Kriegszeiten oder während eines kriegerischen Zustands erhöht sich das Strafmaß.740 Es ist anerkannt, dass auch die Begehung von Straftaten bzw. deren Verdeckung/Verdunkelung741 oder das Geschehenlassen von Straftaten742 eine 736 So enthalten die neuen Vorschriften nun beispielsweise Strafschärfungen, wenn Menschen zu Tode gekommen oder andere schwere Folgen eingetreten sind, Art. 293 Abs. 2 russStGB und Art. 342 georgStGB (Art. 324 1 georgStGB enthält zudem ein Sonderdelikt für Strafvollzugsbeamte) und Art. 428 belorussStGB. 737 Die russische Rechtswissenschaft mahnt einen vorsichtigen Umgang mit der Pflichtvergessenheit an, insbesondere, wenn nicht genau geklärt ist, worin die Dienstpflichten bestanden haben. Vgl. Institut Meždunarodnogo Prava i Ekonomiki (Institut für internationales Recht und Wirtschaft), Ugolovnoe Pravo Rossii. Osobennaja Cˇast¢ (Strafrecht Russlands. Besonderer Teil), 1996, S. 371; Jalinski: in: Ugoˇ ast¢, S. 654. lovnoe Pravo Rossii, T. 2. Osobennaja C 738 Die tatbestandlichen schweren Folgen sind sehr weit gefasst. „Wertungsbegriff“, Volženkin, in: Radcˇenko, Michlin, Kommentarij, Art. 285 Anm. 14. 739 Art. 456 Abs. 1 belorussStGB lautet (Übersetzung durch Verf.): Die nachlässige oder leichtfertige Erfüllung von Pflichten durch einen Vorgesetzten oder eine andere Amtsperson, die zu einem Schaden in besonders hohem Ausmaß oder zu anderen schweren Folgen geführt hat (Pflichtvergessenheit im Dienst), wird mit . . . bestraft. 740 Nach Art. 456 Abs. 2 belorussStGB; Diese Fassung wurde erst am 4.1.2003 eingeführt, NRPA Belarus 2003, Nr. 8, Pos. 2/922. 741 Kondrašov, in: Nikulin, Kommentarij, Art. 285 Anm. 22, S. 914. 742 Volženkin, in: Radc ˇ enko, Ugolovnyj Kodeks, Art. 285 (Anm. 14) S. 686; Homicˇ meint, in der Variante des „Geschehenlassens“ fielen die „dienstliche Unterlassung“ und die „Folgen“ dieser Unterlassung zusammen, so dass Art. 425 belorussStGB in dieser Variante ein „formales Delikt“ darstelle. Es müsse daher nicht nachgewiesen werden, dass ein Schaden eingetreten sei. Überzeugend ist dies nicht. Die Begehung von Straftaten in der Variante des Geschehenlassens stellt die „Folge“ dar. Insoweit ändert Art. 425 belorussStGB auch in der Variante des „Geschehenlassens“ seinen Charakter als materielles Delikt nicht. Obwohl noch nicht abschließend geklärt, wäre in diesem Fall davon auszugehen, dass das „Geschehen-

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

wesentliche Verletzung von Interessen und eine „schwere Folge“ der „Pflichtvergessenheit“ darstellen kann. Art. 425 Abs. 1 belorussStGB („Unterlassen einer Amtsperson“) enthält anders als die anderen Tatbestände die Variante des „Geschehenlassens einer Straftat“ sogar ausdrücklich:743 „Umyšlennoe vopreki interesam služby neispolnenie dolžnostnym licom deistvie, kotorye ono dolžno i moglo soveršit¢ v silu volzložennyh na nego služebnyh objazannostejm soprjažennoe s popustitel¢stvom prestupleniju libo povlekšee pricˇinenie ušcˇerba v krupnom razmere ili sušcˇestvennogo vreda pravam i zakonnym interesam graždan libo gosudarstvennym ili obšcˇestvennym interesam (bezdejstvie dolžnostnogo lica) – nakazevaetsa [. . .].“744

a) Allgemeines Es ist vorausgesetzt, dass der Amtsträger seine Dienstpflichten nicht erfüllt, obwohl er dazu verpflichtet war und ihm die Erfüllung der Dienstpflichten auch möglich war. In der Variante des „Geschehenlassens von Straftaten“ obliegen dem Amtsträger besondere Pflichten zur Verhinderung (vosprepjatstvovanie) von Straftaten.745 Vorgesetzte unterliegen nur dann der strafrechtlichen Haftung, wenn ihnen eine besondere Pflicht zur Verhinderung von Straftaten auferlegt ist. Der Kommentarliteratur zufolge reicht es aus, dass Dienstpflichten „in allgemeiner Form“ formuliert sind. Es komme dann auf die in der jeweiligen Situation „notwendigen Handlungen“ an.746 Auch die rein physische Verhinderung einer Straftat ist denkbar.747

lassen von Straftaten“ in kausaler Verbindung zu dem Unterlassen des Amtsträgers stehen muss, Homicˇ, in: Barkov, Kommentarij, Art. 425 Anm. 10. 743 Nach Art. 425 Abs. 2 belorussStGB wirkt es sich allerdings strafschärfend aus, wenn das Unterlassen aus Gewinnsucht oder anderen persönlichen Motiven erfolgte. Ebenso strafschärfend ist die Tat für eine Amtsperson in verantwortlicher Position und wenn schwere Folgen eingetreten sind (Art. 425 Abs. 3 belorussStGB) i. d. F. vom 22.6.2003 NRPA Belarus 2003, Nr. 83, Pos. 2/974. 744 Übersetzung durch Verf.: Führt ein Amtsträger vorsätzlich und gegen die dienstlichen Interessen gerichtet Handlungen nicht aus, die er kraft der ihm auferlegten Dienstpflichten erfüllen musste und konnte, und war dies mit dem Geschehenlassen einer Straftat verknüpft oder hat dies zu einem Schaden von großem Ausmaß oder zu einer beträchtlichen Schädigung der Rechte und gesetzlichen Interessen der Bürger oder der staatlichen oder gesellschaftlichen INteressen geführt (Unterlassen eines Amtsträgers), – wird dies mit [. . .] bestraft. 745 Homic ˇ , in: Barkov, Kommentarij, Art. 425 Anm. 11. 746 Homic ˇ , in: Barkov, Kommentarij, Art. 425 Anm. 6 mit Verweis auf Punkt 10-1 der Verordnung Nr. 4 des Plenums des Obersten Gerichts der Republik Belarus vom 4.6.1993. 747 Homic ˇ , in: Barkov, Kommentarij, Art. 425 Anm. 11.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeit – Dienstwidrigkeit Weder Art. 425 belorussStGB noch die übrigen Pflichtverletzungstatbestände setzen ausdrücklich voraus, dass die Straftaten Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen (wie in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut formuliert). Andererseits haften Amtsträger nur, soweit ihnen Pflichten auferlegt sind. Wie sich in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts gezeigt hat, kann eine Haftung vor allem wegen mangelnder Zuständigkeit des Amtsträgers bzw. fehlenden Eingriffsmöglichkeiten entfallen. Überdies muss im Rahmen von Art. 425 belorussStGB die Nichtvornahme der Handlungen „gegen die Interessen des Dienstes gerichtet“ sein.748 c) Subjektive Voraussetzungen Es ist nicht vollkommen geklärt, ob die „Pflichtvergessenheit“ nur fahrlässig oder vorsätzlich begangen werden kann. Überwiegend wird wegen der Formulierung „nachlässige Einstellung“ Fahrlässigkeit für ausreichend erachtet.749 Teilweise wird die Formulierung „infolge einer nachlässigen Einstellung zum Dienst“ in einigen Tatbeständen der Pflichtvergessenheit (beispielsweise Art. 309 ModellStGB) aber auch als Hinweis auf bloße „Motive“ der Straftat verstanden. Teilweise sind zudem besondere Motive wie persönliche Bereicherung usw. Voraussetzung.750 Da nicht ausdrücklich die fahrlässige Begehung unter Strafe gestellt sei, sei vielmehr nach allgemeiner Regel Vorsatz erforderlich.751 Art. 425 belorussStGB „Unterlassen im Dienst“ setzt jedenfalls ausdrücklich Vorsatz voraus.752 Indirekter Vorsatz reicht aus, eine bloß fahrlässige Unterlassung seitens des Amtsträgers hingegen nicht.753 748 Vgl. Verordnung (postanovlenie) des Obersten Gerichts der Republik Belarus¢ Nr. 4 vom 4.6.1993 (Nr. 6 24.9.1998 und Nr. 4 29.3.2001) „Über die Rechtspraxis in Sachen des Missbrauchs von Macht oder dienstlichen Befugnissen, der Überschreitung der Macht und dienstlicher Befugnisse, der Pflichtvergessenheit im Dienst und Fälschung im Dienst“, Sudovy Vesnik 1993, Nr. 3, 1998, Nr. 4, 2001, Nr. 2. 749 Radc ˇ enko, Kommentarij, Art. 293 Anm. 6. Lebedev, Ugolovnyj Kodeks, Art. 293, S. 577; Homicˇ, in: Barkov, Kommentarij, Art. 428 Anm. 7. 750 In Art. 285 russStGB. 751 Unentschieden Žalinskij, in: Alikperov/Pobegajlo, Praktic ˇ eskij Kommentarij, Art. 293 Anm. 3. 752 Homic ˇ , in: Barkov, Kommentarij, Art. 425 Anm. 13. 753 Homic ˇ , in: Barkov, Kommentarij, Art. 425 Anm. 11. Andererseits soll es nicht näher beschriebene Unterschiede in der Form des Unterlassens geben; Homicˇ, ebd., Art. 425 Anm. 3.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

d) Begriff des Amtsträgers Der Begriff des Amtsträgers ist sowohl im russischen wie auch im belorussischen Strafgesetzbuch legaldefiniert (Art. 4 Abs. 4 und 5 belorussStGB754 und Anmerkung zu Art. 285 russStGB). Er umfasst Vertreter der Staatsgewalt755 sowie Personen, die organisatorische Leitungsfunktionen oder Wirtschaftsverwaltungsfunktionen wahrnehmen. Die Funktionen müssen nicht dauerhaft, sondern können auch nur zeitweilig und aufgrund besonderer Bevollmächtigung wahrgenommen werden.756 Nicht alle Amtsträger sind zugleich Vorgesetzte. Jedoch können, wie bereits erwähnt, insbesondere Amtsträger der Kategorie „Personen mit organisatorischen Leitungsfunktionen“ zugleich Vorgesetzte sein. Organisatorische Leitungsfunktionen üben insbesondere die Leiter der Staatsorgane und Institutionen aus, auch in Bezug auf die ihnen dienstlich unterstellten Personen.757 e) Zusammenfassung Die Pflichtverletzungstatbestände und auch Art. 425 belorussStGB stellen äußerst weit gefasst Unterlassungsdelikte dar, die auch eine Haftung von Vorgesetzten wegen Straftaten ihrer Untergebenen umfassen können, obwohl sie nicht auf diesen Fall speziell zugeschnitten sind. Art. 425 Abs. 1 belorussStGB kommt in der Variante „Geschehenlassen einer Straftat“ einer Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit am nächsten. Andererseits ist es denkbar, dass eine Haftung nach der Vorschrift zur „Pflichtvergessenheit“ für „Vorgesetzte und andere Amtsträger“ nach Art. 456 belorussStGB in Betracht kommt, die wiederum Fahrlässigkeit als zulässig erachtet, Jacuta, in: Barkov, Kommentarij, Art. 456 Anm. 5. 754 Vgl. hierzu bereits unter I. 2. d). 755 Ein „Vertreter der Staatsgewalt“ ist wer „Machtbefugnisse und das Recht hat, in den Grenzen ihrer Befugnisse verpflichtende Anordnungen zu erteilen und im Notfall Zwangsmaßnahmen nicht nur intern in der Behörde, sondern auch in Bezug auf einen unbestimmten Kreis von Bürgern zu treffen, die ihr nicht dienstlich untergeben sind“. Kondrašov, in: Nikulin, Kommentarij, Art. 285, Anm. 8, S. 912. 756 In diesem Sinne die Anmerkung Nr. 1 zu Art. 285 russStGB (dt. Übersetzung durch Verf.): Als Amtspersonen gelten . . . Personen, die ständig, zeitweise oder auf spezielle Bevollmächtigung Funktionen eines Vertreters der Staatsgewalt ausüben oder organisatorische Leitung- oder Wirtschaftsverwaltungsfunktionen in staatlichen Organen, Organen der örtlichen Selbstverwaltung, staatlichen und städtischen Einrichtungen sowie in den Streitkräften der Russischen Föderation oder in sonstigen Truppen und militärischen Formationen der Russischen Föderation ausüben. 757 Kondrašov, in: Nikulin, Kommentarij, Art. 285 Anm. 9, S. 912 f.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Die weite Haftung wird vor allem über die Voraussetzung einer Pflichtverletzung, die gerade den Amtsträger betrifft, eingeschränkt. Das Verhindern von Straftaten muss daher gerade Pflicht des Amtsträgers gewesen sein; eine Haftung kann vor allem wegen mangelnder Zuständigkeit des Amtsträgers entfallen. Überdies ist teilweise eine Dienstwidrigkeit Voraussetzung. Was die subjektiven Voraussetzungen betrifft, so sind die Tatbestände nicht einheitlich. Teilweise wird eine fahrlässige Pflichtverletzung für ausreichend erachtet; Art. 425 belorussStGB setzt jedoch zumindest indirekten Vorsatz (dolus eventualis) voraus. III. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen Die erläuterten Amtsdelikte „Pflichtvergessenheit“ bzw. „Unterlassen im Dienst“ finden heute nur noch auf de jure Amtsträger Anwendung. Überdies werden unter Amtsträgern im postsowjetischen Strafrecht nunmehr allein Personen verstanden, die im Staats- oder öffentlichen Dienst tätig sind. Eine strafrechtliche Amtshaftung von verantwortlichen Personen in Wirtschaftsbetrieben wie noch zu Sowjetzeiten, als nahezu der gesamte Wirtschaftsbereich staatlich war und zentralisiert verwaltet wurde, ist heute ausgeschlossen. Soweit eine Person kein Amtsträger ist, kommen unter Umständen spezielle andere Tatbestände, die die Verletzung von Berufspflichten unter Strafe stellen, in Betracht.758 Dieses enge Verständnis des Begriffs „Amtsträger“ hat den Gesetzgeber in Russland und auch in Georgien759 dazu bewogen,760 Straftaten, die „gegen die dienstlichen Interessen in kaufmännischen/kommerziellen und anderen Organisationen“ gerichtet sind, in eigenständigen Kapiteln zu bündeln.761 Straftaten gegen die dienstlichen Interessen in staatlichen Betrieben können ebenfalls nur noch nach den dort niedergelegten Straftatbeständen geahndet werden.762 So ist dem „Missbrauch von Amtsbefugnissen“ die Schwestervorschrift „Missbrauch von Befugnissen“ zur Seite gestellt.763 Der Straftatbestand der „Kaufmännischen Bestechung“ ist an die amtlichen 758 Z. B. Art. 215 russStGB, Art. 109 Abs. 2 oder Art. 118 Abs. 4 russStGB; Skuratov/Lebedev, Kommentarij, Art. 293 Anm. 10. 759 In belorussischen Strafgesetzbuch wurde hingegen kein Parallelkapitel geschaffen. Dennoch gibt es auch den Tatbestand der kaufmännischen Bestechung, vgl. Art. 252 belorussStGB. 760 Min¢kovskij, in: Alikperov/Pobegajlo, Kommentarij, Art. 201 Anm. 1. 761 Kap. 23 russStGB und Kap. 29 georgStGB. 762 Volženkin, in: Radc ˇ enko, Ugolovnyj Kodeks, Art. 201 Anm. 5. 763 Art. 285 russStGB und Art. 332 georgStGB einerseits, Art. 201 russStGB, Art. 220 georgStGB anderseits.

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

Bestechungsdelikte angelehnt.764 Parallelvorschriften wie „Pflichtvergessenheit“ oder „Unterlassen im Dienst“ gibt es allerdings nicht.765 Einen „Missbrauch von Befugnissen“ kann nur eine Person begehen, die ständig, zeitweilig oder aufgrund spezieller Bevollmächtigung verwaltungsorganisatorische oder Wirtschaftsverwaltungsfunktionen in einer kaufmännischen/kommerziellen oder anderen Organisation ausübt.766 Da die Erfüllung sog. verwaltungsorganisatorischer Aufgaben oft mit Leitungsfunktionen gegenüber Untergebenen einhergeht, fallen „zivile“ Vorgesetzte im nicht-staatlichen Bereich demnach unter diese Vorschrift.767 Dennoch haben die Vorschriften wenig mit der Idee einer Vorgesetztenverantwortlichkeit zu tun. Anders als die Vorschriften zur Pflichtvergessenheit/Unterlassen im Dienst umfassen sie nicht die Konstellation, dass Untergebene Straftaten begehen. Im Übrigen enthalten die Strafgesetzbücher Russland, Belarus und Georgiens vereinzelt besondere Sonderunterlassenstatbestände, die die Nichterfüllung von bestimmten beruflichen Pflichten unter Strafe stellen. So ist nach Art. 219 russStGB eine Person für die Verletzung von Brandschutzregeln strafrechtlich verantwortlich, wenn ein Mensch dadurch einen Gesundheitsschaden erlitten hat.768 Hinweise auf eine Haftung des Vorgesetzten, wenn Untergebene bestimmte Regeln verletzen und dadurch Straftaten begehen, gibt es nicht. Die Haftung von Vorgesetzten richtet sich damit im Wesentlichen nach den allgemeinen Regeln der ungeschriebenen Unterlassenshaftung.

764

Art. 338, 339 georgStGB; Art. 290, 291 russStGB einerseits, Art. 204 russStGB, Art. 221 georgStGB andererseits. 765 Kapitel 23 des russischen Strafgesetzbuchs enthält überdies die Vorschriften „Missbrauch von Befugnissen eines Notars und Auditors“ (Art. 202 russStGB) sowie „Überschreitung von Befugnissen durch Bedienstete privater Schutz- oder Detektivdienste (Art. 203 russStGB). 766 Anmerkung zu Art. 201 russStGB, die der Anmerkung zu Art. 285 russStGB ähnelt. 767 Vgl. hierzu ausführlich C. I. 2. d). 768 Vgl. ähnliche Vorschriften zur „Verletzung von Sicherheitsregeln von Atomenergieprojekten“, bei Berg- Bau- und anderen Arbeiten usw.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln I. Haftung nach den Grundsätzen des unechten ungeschriebenen Unterlassens 1. Allgemeines Bei den unechten und qualifizierten bzw. nach postsowjetischer Terminologie „gemischten“ Unterlassensdelikten ist Voraussetzung, dass eine Person kraft der ihr obliegenden Verpflichtungen hätte aktiv handeln können, zum Handeln verpflichtet war und die Folgen in diesem Fall ausgeblieben wären.769 Die Frage nach der Kausalität beim Unterlassen wird in den heutigen Lehrbüchern nicht besonders problematisiert,770 da das Unterlassensdelikt nicht als Sonderfall behandelt wird.771 Am Rande sei erwähnt, dass das Problem der Kausalität beim Unterlassen zu Sowjetzeiten durchaus diskutiert und eingehend von dem sowjetrussischen Strafrechtler Ter-Akopov772 sowie von der georgischen Strafrechtlerin Cereteli773 bearbeitet wurde.774 Unter der Fragestellung, ob und unter welchen Voraussetzungen Kausalität beim Unterlassen besteht, wurden zu Sowjetzeiten dabei nicht nur Kausalitätsfragen im engeren Sinne, sondern die Voraussetzungen der Unterlassenshaftung im Allgemeinen diskutiert. So führt Cereteli aus, dass Vgl. Kudrjavcec/Luneev/Naumov, Obšcˇaja Cˇast¢, S. 153 ff., Šarapov, Pravovedenie 1998 (Nr. 3), 98–102. 770 Kudrjavcev geht auf die Kausalität beim Unterlassen immerhin gesondert ein, beschränkt sich jedoch auf die Voraussetzungen der Handlungspflicht und Handlungsmöglichkeit; vgl. Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšcˇaja cˇast¢, S. 153 ff. 771 Žalinskij, S. 233. Vgl. aber Diskussion zwischen Fletcher und Naumov in: Fletcher/Naumov, S. 138–150. 772 Ter-Akopov, S. 72 ff.; Ter-Akopov hatte bereits 1973 eine Dissertation zum Thema „Die Verantwortlichkeit von Wehrdienstleistenden für Militärstraftaten, die durch Unterlassen begangen werden“ verfasst („Otvetstvennost¢ Voennoslužaših za Voinskie Prestuplenija, Soveršaemye putem Bezdejstvija“). Vgl. Tolkacˇenko/Harabet, http://www.mnepu.ru/doc.php?id=397 (Juli 2005, Kopie bei Verf.). 773 Cereteli, Pric ˇ innaja Svjaz¢, S. 93, 179 ff.; Buchbesprechung Lekschas, Staat und Recht 1959, S. 406–414; Bedeutsam war überdies ein wissenschaftlicher Disput über die Kausalität zwischen Cereteli und dem sowjetrussischen Strafrechtler Piontkovskij. 774 Einen frühen Impuls für die Diskussion hatte bereits der Strafrechtler Šargorodskij gesetzt. Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte er bis heute beachtete Artikel, in denen er sich gegen die Kausalität beim Unterlassen aussprach: „Bei einem Unterlassen fehlt die Kausalität vollkommen.“ Šargorodskij, Sovetskoe GiP 1956, Nr. 7, 50 (erste Veröffentlichungen 1945, 1947); diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen.vgl. Piontkovskij/Romaškin/Cˇhikvadze, Obšcˇaja Cˇast¢, Bd. II, S. 197. 769

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

eine kausale Verbindung zwischen einem Unterlassen und dem Eintritt eines Erfolges dann als gegeben angesehen werden könne, wenn „1. die Vornahme einer bestimmten Handlung von einer Person im Zusammenhang mit ihren Aufgaben und Funktionen gesetzmäßig erwartet wurde; 2. die Vornahme der erwarteten Handlung der Person möglich war; 3. die Vornahme der erwarteten und möglichen Handlung den Eintritt der gesellschaftlich-gefährlichen Folgen verhindern konnte.“775

Das georgische Strafrecht, das ebenfalls (bisher) keinen besonderen Aufbau des Unterlassensdelikts kennt, hat genau diese Voraussetzungen der Kausalität beim Unterlassen sogar mit Art. 8 Abs. 3 georgStGB im Strafgesetzbuch verankert.776 Mit der Kausalität im engeren Sinne befasst sich allein die dritte Voraussetzung.777 Die Subsumtion der Voraussetzungen der „Handlungspflicht“ und „Handlungsmöglichkeit“ unter die Frage der Kausalität ist auch im russischen Recht üblich.778 2. Objektive Haftungseinschränkung: Rechtspflicht zum Handeln – Gesellschaftliche Gefährlichkeit Wie im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht besteht eine Haftung wegen Unterlassens nur bei Vorliegen einer Rechtspflicht zum Handeln. Die Pflicht zum Handeln kann auf unterschiedlichen Gründen beruhen.779 Die postsowjetische Rechtswissenschaft780 unterscheidet im Wesentlichen folgende Fallgruppen: Eine Pflicht zum Handeln kann in einem Gesetz oder in untergesetzlichen Normen festgelegt sein. Zweitens kann sich eine Pflicht zum Handeln aus der Dienststellung oder aus dem Beruf ergeben. Drittens kann eine Pflicht zum Handeln aus einem voran775

Cereteli, Pricˇinnaja Svjaz¢, S. 205. Wortlaut von Art. 8 Abs. 3 georgStGB oben A. III. 3. 777 Eine Modifizierung der kausalen Verbindung oder eine „Quasikausalität“ wie im deutschen Strafrecht wird allerdings nicht diskutiert. Vgl. Kudrjavcev/Luneev/ ˇ ast¢, S. 153 ff. Interessanterweise verzichtet auch Žalinskij bei Naumov, Obšcˇaja C der Erläuterung des deutschen Strafrechts auf nähere Ausführungen zur Kausalität beim Unterlassen; vgl. Žalinskij, S. 239. 778 Kudrjavcec/Luneev/Naumov, Obšc ˇ aja cˇast¢, S. 155: „die Sphäre der Kausalität beim Unterlassen ist durch die Möglichkeit und Verpflichtung eines bestimmten Personenkreises zum Handeln begrenzt.“ 779 Ignatov, in: Ugolovnoe Pravo Rossii, Bd. 1, Obšc ˇ ast¢, S. 141. ˇ aja C 780 Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšc ˇ aja cˇast¢, S. 132 f.; Skuratov/Lebedev, Kommentarij, Art. 14 Anm. 1, S. 18; vgl. für Belarus und Georgien ähnlich, wenn auch nicht in exakt vier Fallgruppen geordnet: Dubovec, in: Barkov, Kommentarij, Art. 11 Anm. 2; Turawa, Sischlis Samartali, S. 45 ff.; so bereits Piontkovskij/Romaškin/ ˇ hikvadze, Kurs Sovetskogo Ugolovnogo Prava, Bd. II, S. 152: Gesetz oder RechtsC akt, Vertrag oder Dienstpflicht, Vorangegangenes gefahrschaffendes Verhalten. 776

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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gegangenen Verhalten des Täters entstehen, das eine reale Gefahr für die durch das Strafgesetz geschützten Objekte geschaffen hat. Teilweise wird noch auf eine vierte Fallgruppe hingewiesen: Eine Pflicht zum Handeln kann aus der Übernahme von Pflichten oder Verbindlichkeiten, z. B. auch aus Verträgen, entstehen.781 Teilweise wird auch eine Garantenstellung der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern angenommen.782 Das postsowjetische Strafrecht verfolgt somit eine formale Handlungspflichtenlehre. Eine funktionale Garantenpflichtlehre und eine Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachungsgaranten wird bisher, soweit ersichtlich, allein in der georgischen Strafrechtsliteratur diskutiert.783 Eine spezielle Fallgruppe der Vorgesetztenpflichten ist ebensowenig anerkannt wie eine spezifische Fallgruppe der Aufsicht und Kontrolle über Personen. So kann man nur über andere anerkannte Fallgruppen im Einzelfall eine Handlungspflicht ableiten, beispielsweise über die Fallgruppe der Übernahme von Pflichten, wenn ein Vorgesetzter bestimmte Aufsichtspflichten gegenüber den Untergebenen übernommen hat. Die dienstliche oder berufliche Stellung kann zwar Anknüpfungspunkt für eine Rechtspflicht zum Handeln sein. Jedoch bringt die dienstliche oder berufliche Stellung als solche keine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Untergebener mit sich. Soweit ersichtlich, wird dieses Spezialproblem784 einer Vorgesetztengarantenstellung in der russisch-sprachigen Fachliteratur bisher nicht erörtert.785 Was die Voraussetzung der gesellschaftlichen Gefährlichkeit angeht, so ist deren haftungseinschränkende Wirkung als eher gering einzuschätzen. Es ist zwar theoretisch denkbar, dass ein Vorgesetzter aufgrund von fehlender gesellschaftlicher Gefährlichkeit bzw. Geringfügigkeit nicht verurteilt wird.786 Es besteht aber die Möglichkeit, eine geringere gesellschaftliche Gefährlichkeit über das Strafmaß zum Ausdruck zu bringen.787 781

Skuratov/Lebedev, Kommentarij, Art. 14 Anm. 1, S. 18. Vgl. Turawa, Sischlis Samartali, S. 45 ff. Turawa nennt das Beispiel, dass ein Vater Garant für seinen minderjährigen Sohn ist, wenn er sieht, dass dieser Rechtsgüter anderer in Gefahr bringt, vgl. S. 35. Dubovec, in: Barkov, Kommentarij, Art. 11 Anm. 2. 783 Turawa, Sischlis Samartali, S. 47 ff. 784 Selbst die Unterlassensstrafbarkeit als solche wird nicht besonders problematisiert; Kritische Anmerkungen bereits bei Ter-Akopov, S. 61 ff. 785 Kürzlich hat der russische Strafrechtler Klepizkji zu der strafrechtlichen Verantwortlichkeit natürlicher Personen für die Verletzung von Rechtsvorschriften im Unternehmen Stellung genommen. Dies geschah i. Zshg. mit der Unternehmenshaftung bzw. der Strafbarkeit juristischer Personen, die aber auch in Russland bisher nicht existiert. Klepizkij, S. 72 ff. Klepitzkij befasst sich allerdings nur mit einem § 14 dStGB vergleichbaren Problem. 786 Vgl. C. I. 2. e). 787 Krasikov, in: Ugolovnoe Pravo Rossii, Bd. 1 Obšc ˇ aja Cˇast¢, S. 72 f. 782

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

II. Besondere Teilnahmeformen: Das „Geschehenlassen“ Für die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist die Beteiligungsform des „Geschehenlassens“ von besonderem, wenn auch nur historischem Interesse, da sie Ähnlichkeiten mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit aufweist. 1. Geschehenlassen im russischen Gesetzbuch von 1845 und im sowjetischen Recht Das altrussische und das sowjetische Strafrecht kannten neben der Anstiftung (podstrekatel¢stvo), Beihilfe (posobnicˇestvo) und der Figur des Organisators (organizator) noch weitere Teilnahmeformen. Unter dem Begriff „Beteiligung“788 (prikosnovennost¢) wurden drei Formen der Teilnahme i. w. S. zusammengefasst: das „Geschehenlassen“ (popustitel¢stvo), die Begünstigung (ukryvatel¢stvo) und die Nichtanzeige der Straftat (nedonesenie). Die drei Teilnahmeformen i. w. S. gehen zurück auf das „Gesetzbuch über die Strafen“ von 1845, wo sie direkt nach den Vorschriften über die Teilnehmer i. e. S. niedergelegt waren.789 Für ein „Geschehenlassen“ konnten Personen belangt werden, die „obwohl sie Macht oder Möglichkeit hatten, ein Verbrechen zu verhindern, mit Vorsatz oder zumindest bewußt die Begehung eines solchen zuließen“.790 Obwohl im Gesetzbuch von 1903 diese Beteiligungsform im weiten Sinne nicht mehr ausdrücklich enthalten waren, spielte sie dann zu Sowjetzeiten als „besonderes Institut des sowjetischen Strafrechts“791 wieder eine Rolle. Die besondere gesellschaftliche Gefährlichkeit der „Beteiligung“ sah man darin, dass sowohl die Abwehr und Verhinderung von Straftaten wie deren Aufdeckung und die Überführung der Täter erschwert würde. Allerdings sei die gesellschaftliche Gefährlichkeit der Beteiligung geringer als bei der Teilnahme i. e. S.792 Die Beteiligungsformen „Begünstigung“793 und 788 Schroeder übersetzt prikosnovennost¢ mit „Verhältnis zum Verbrechen“, vgl. Schroeder, Das Strafrecht der UdSSR de lege ferenda, S. 38 ff. 789 Priloženie o Nakazanijah (1845), vgl. dazu Kriger/Kurinov/Tkac ˇ evskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo. Obšcˇaja Cˇast¢, S. 276 ff. 790 Übersetzung durch Verf., Zit. nach Borodin, S. 194. 791 Kriger/Kurinov/Tkac ˇ ast¢, ˇ evskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo. Obšcˇaja C S. 276. 792 Kriger/Kurinov/Tkac ˇ ast¢, ˇ evskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo. Obšcˇaja C S. 277. 793 Bei der Beteiligungsform der „Begünstigung“ wurde nach der Reform von 1958 wie folgt differenziert: Als Beteiligung i. w. S. galt die „vorab nicht versprochene Begünstigung“, während die vorab versprochene Begünstigung zur Teilnahme i. e. S. gezählt wurde. Vor der Reform war bspw. im russStGB 1922/1926 die Begünstigung der Teilnahme gleichgestellt gewesen; das georgStGB 1928 wertete al-

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

271

„Nichtanzeige“ waren im Allgemeinen Teil der Strafgesetzbücher von 1960/1961 geregelt (Art. 18, 19) und wurden auch als Institute des Allgemeinen Teils diskutiert.794 Im Jahr 1957 schlug der Strafrechtler Smirnov die Schaffung einer allgemeinen Vorschrift zur Beteiligung und zum Geschehenlassen vor, die sich auf Amtsträger beziehen sollte.795 Ebenfalls befand sich im Entwurf für ein Militärstrafgesetzbuch, erstellt vom Strafrechtler Cˇhikvadze, aus dem Jahr 1947 eine Vorschrift zum Geschehenlassen: Aus der in Art. 7 Disziplinarordnung niedergelegten Pflicht zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin sollte eine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten hergeleitet werden.796 Die Vorschläge wurden jedoch nicht in die Tat umgesetzt und eine Vorschrift zum „Geschehenlassen“ im Allgemeinen Teil gab es auch zu Sowjetzeiten nicht mehr. Anerkannt war nunmehr, dass nicht auf jedem Bürger eine Rechtspflicht zur Verhinderung von Straftaten lastet.797 Allein im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs waren spezielle Vorschriften zu finden, die den Gedanken des Geschehenlassens in sich tragen. Hierzu wurden die unterlassene Hilfeleistung (Art. 127 russStGB von 1960) und der Mißbrauch der Dienststellung in der Variante der Nichthinderung von Straftaten (Art. 170 russStGB von 1960) gezählt. 2. Geschehenlassen im postsowjetischen Recht Im postsowjetischen Strafrecht ist die Figur des „Geschehenlassens“ nicht verschwunden.798 Teilweise wird sie wie zu Sowjetzeiten bei der Darstellung der Teilnahme als eine von drei möglichen Teilnahmeformen i. w. S. erläutert,799 teilweise aber auch als „feudales Überbleibsel“800 belerdings die „vorab nicht versprochene Begünstigung“ als Sonderdelikt. Die „Nichtanzeige“ war nur bei im Gesetz genannten Katalogstraftaten strafbar und bereits vor der Reform von 1958 als Sonderdelikt ausgestaltet worden. 794 Smirnov, S. 87. 795 Smirnov, S. 127. 796 Vgl. bei Schroeder, Das Strafrecht der UdSSR de lege ferenda, S. 44. 797 Kriger/Kurinov/Tkac ˇ ast¢, ˇ evskij, Sovetskoe Ugolovnoe Pravo. Obšcˇaja C S. 280; Gorelik, S. 170. 798 Die vorab nicht versprochene Begünstigung ist nach Art. 316 russStGB strafbar, die Nichtanzeige von Straftaten im russischen Strafrecht nicht, im georgischen Strafrecht nur bei noch nicht begangenen Straftaten (Art. 376 georgStGB), im belorussischen Strafrecht ist nicht nur die Nichtanzeige eines in Vorbereitung befindlichen schweren Verbrechens (Art. 406 Abs. 2 belorussStGB), sondern auch die Nichtanzeige eines schon begangenen Verbrechens strafbar (Art. 406 Abs. 1 belorussStGB). 799 Kruglikov, S. 64: In der Theorie werden drei Formen unterschieden: „1) die Nichtanzeige . . ., 2) die Begünstigung . . ., 3) das Geschehenlassen . . .“

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3. Teil, 3. Kap.: Russland, Belorussland und Georgien

zeichnet. Ein allgemeiner Haftungstatbestand wie das Geschehenlassen ist im heutigen postsowjetischen Strafrecht801 nicht mehr anerkannt. Das postsowjetische Recht hat sich allerdings nicht vollständig von den Relikten des Geschehenlassens getrennt und die äußerst weiten Tatbestände der Pflichtvergessenheit und des Unterlassens im Dienst beibehalten, die bereits analysiert wurden.802

E. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im russischen, belorussischen und georgischen Strafrecht Georgien hat (bisher) als einziges der drei untersuchten Länder des postsowjetischen Rechtskreises Art. 28 IStGH-Statut umgesetzt. Die Anmerkung am Ende von Art. 413 georgStGB, die den Charakter einer Auslegungshilfe hat, stellt klar, dass eine Unterlassenstäterschaft von Befehlshabern und Führungspersonen in Betracht kommt, wenn ihre Truppen Straftaten begehen. Doch auch Art. 137 Abs. 1 belorussStGB, der Art. 86, 87 ZP I umsetzt, normiert den Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit. In Russland hingegen gibt es allein eine Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit im Disziplinarrecht. Die Vorschrift des belorussischen Strafrechts bezieht sich auf die Haftung von sowohl militärischen wie auch nicht-militärischen Vorgesetzten. Die Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB hingegen beschränkt die Haftung auf militärische Vorgesetzte. Sie nennt zwar neben dem „Befehlshaber“ auch „andere Führungspersonen“, stellt aber die Vorgesetztenverantwortlichkeit insgesamt in den Kontext militärischer Einheiten, so dass wohl nur de jure und de facto militärische Vorgesetzte i.S.v. Art. 28 a) IStGH-Statut von der Anmerkung erfasst sind. Warum die georgische Anmerkung nicht-militärische Vorgesetzte i. S. v. Art. 28 b) IStGH-Statut nicht erfasst, ist aus dem vorliegenden Material nicht ersichtlich. Es ist denkbar, dass der Anmerkung ein enges Verständnis des militärischen Vorgesetzten zugrundeliegt, wonach die von Art. 28 a) IStGH-Statut erfassten de jure und de facto militärischen Vorgesetzten den regulären Streitkräften zugehörig sein müssen, während Art. 28 b) IStGHˇ ast¢, S. 292: Kriger Auch im Lehrbuch Kudrjavcev/Luneev/Naumov, Obšcˇaja C betont, das die Figur nicht aus dem Strafrecht verschwunden ist. 800 Borodin, S. 197, die diese Figur mit der Figur des „accessory after the fact“ gleichstellt. 801 Zu Sowjetzeiten war das Geschehenlassen in der allgemeinen Form ebenfalls schon faktisch nicht mehr existent. 802 Vgl. oben C. II.

E. Zusammenfassung

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Statut Vorgesetzte in irregulären militärischen Einheiten erfasste. Gegen dieses Verständnis spricht jedoch, dass gerade Anführer von paramilitärischen Einheiten Vorbild für die Kategorie des de facto militärischen Vorgesetzten gestanden haben. Was die subjektiven Voraussetzungen betrifft, so haftet der Vorgesetzte nur bei einem vorsätzlichen Unterlassen. Fahrlässigkeit ist weder nach der Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB noch nach Art. 137 Abs. 1 belorussStGB ausreichend. Auch hierin liegt eine Abweichung zu Art. 28 IStGH-Statut, soweit a) Fahrlässigkeit genügen lässt. In allen drei Ländern gibt es fast gleich lautende Sonderunterlassensdelikte für Amtsträger, die auf den ersten Blick keine Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit darstellen, aber so weit gefasst sind, dass sie eine Vorgesetztenverantwortlichkeit umfassen. Nach den Tatbeständen der „Pflichtvergessenheit“ bzw. „Unterlassen im Dienst“ machen sich Amtsträger strafbar, wenn sie durch Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Pflichten eine wesentliche Verletzung von Rechtsgütern verursacht haben. Dass auch die Nichtverhinderung von Straftaten Bezugspunkt einer Pflichtvergessenheit sein kann, zeigt sich in Art. 425 belorussStGB, der das Geschehenlassen einer Straftat ausdrücklich nennt. Was objektive Haftungseinschränkungen angeht, wie sie Art. 28 b) ii) IStGH-Statut zu normieren scheint, so haften Amtsträger nach den untersuchten Pflichtverletzungstatbeständen allein innerhalb ihres Pflichten- bzw. Aufgabenkreises. Eine Strafbarkeit kann vor allem wegen mangelnder Zuständigkeit oder fehlender Eingriffsmöglichkeiten entfallen. Einige Pflichtverletzungstatbestände setzen überdies voraus, dass die Nichtvornahme der Handlungen „gegen die Interessen des Dienstes gerichtet“ war. Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so ergibt sich ein unheitliches Bild. Die Amtsdelikte können teilweise fahrlässig begangen werden, insbesondere die Tatbestände der „Pflichtvergessenheit“. Ein Unterlassen im Dienst nach Art. 425 belorussStGB setzt jedoch Vorsatz voraus. Wegen dieser Amtsdelikte können sich allein Vorgesetzte im staatlichen Bereich strafbar machen. Vergleichbare Vorschriften für verantwortliche Personen im privatwirtschaftlichen Bereich gibt es nicht. Unternehmensleiter unterliegen daher in den postsowjetischen Rechtsordnungen einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nur nach den Voraussetzungen des ungeschriebenen unechten Unterlassens. Die gesetzlich nicht normierte Unterlassenshaftung ist im postsowjetischen Strafrecht (bisher) allerdings ein nicht stark bearbeitetes Feld. In allen drei Rechtsordnungen gilt eine formale Rechtspflichtenlehre. Eine spezielle Fallgruppe der Vorgesetztenverantwortlichkeit wird jedoch nicht diskutiert.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Viertes Kapitel

Vorgesetztenverantwortlichkeit im US-amerikanischen, kanadischen und englischen Strafrecht A. Der angloamerikanische Rechtskreis Die USA, Kanada sowie England und Wales werden in dieser Arbeit als Vertreterländer des common law oder angloamerikanischen Rechtskreises untersucht. Der angloamerikanische Rechtskreis unterscheidet sich vom kontinental-europäischen Rechtskreis vor allem dadurch, dass das Richterrecht eine Hauptrechtsquelle darstellt.803 Common law bezeichnet das Recht, das englische Gerichte in ihren Entscheidungen seit dem frühen Mittelalter entwickelt haben und das auch weiterhin in England und Wales804 die Grundlage des Rechtssystems bildet.805 Das Recht in Kanada806 und in den USA geht ebenfalls auf das common law zurück, hat sich allerdings mittlerweile stärker emanzipiert. In Kanada sind common law Straftaten abgeschafft;807 das englische Strafrecht, das vor dem 1. April 1955 in Kanada in Kraft war, behält seine Gültigkeit, soweit es nicht durch ein kanadisches Gesetz überholt worden ist.808 In den USA sind common law Straftaten teilweise ebenfalls ausdrücklich abgeschafft, d.h. sie leben nur insoweit fort, als sie in einem Gesetz Niederschlag gefunden haben.809 Die Rechtsprechung in England hat zwar im Jahre 1975810 auf die Schaffung neuer common law Straftatbestände verzichtet, beharrt aber weiterhin auf der Befugnis zur rechtsschöpferischen Auslegung von Rechtsnormen.811 803 Vgl. allgemein Neumayer, in: Einführung in die großen Rechtssysteme, S. 51 ff. 804 Schottland ist hingegen romanistisch geprägt. 805 Nemeth, S. 1. Der Begriff common law wird einerseits im Gegensatz zum geschriebenen römischen Recht (civil law) gebraucht, andererseits auch im Sinne von Fallrecht (case law) als Gegensatz zum Gesetzesrecht (statute law). 806 Durch den Commonwealth of Nations hat das common law eine große Verbreitung gefunden. 807 Abschnitt 9 kanadStGB. 808 Abschnitt 8 (2) kanadStGB; gleiches gilt nach Abschnitt 8 (3) für Regeln und Grundsätze des common law, soweit sie eine Tat rechtfertigen, entschuldigen oder eine Verteidigung darstellen. 809 Vgl. bspw. § 1.05 (1) US-ModellStGB: „No conduct constitutes an offense unless it is a crime under this Code or another statute if this State.“; § 1.07 (b) Pennsylvania Crimes Code: „Common law crimes are abolished.“ 810 Withers (1975), AC 842. 811 Vgl. House of Lords in re R. (1991) 3 WLR 767 (Vergewaltigung in der Ehe strafbar).

A. Der angloamerikanische Rechtskreis

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Die formelle Abschaffung von common law Straftaten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das common law auch in Kanada und den USA weiterhin Bedeutung hat. Soweit es nicht in Gesetzen Niederschlag gefunden hat, wird auch weiterhin auf das common law englischer Gerichte zurückgegriffen. Dies betrifft vor allem den Allgemeinen Teil bzw. die Allgemeinen Grundsätze (general principles), die auch in den USA und Kanada kaum kodifiziert sind, teilweise aber auch den Besonderen Teil.812 I. Umsetzungsgesetze in England und Kanada – Blockadegesetze der USA Die Auswahl der Länder beruht nicht auf der unterschiedlichen Durchdringung durch das common law, sondern auf dem unterschiedlichem Verhältnis zum Römischen Statut. Bei der Erarbeitung des Römischen Statuts spielten sowohl die USA wie auch Kanada und Großbritannien eine tragende Rolle. Kanada war insofern exponiert, als der kanadische Diplomat Philippe Kirsch Vorsitzender des Gesamtkomitees der Vorbereitungskonferenz (Committee of the Whole) war. Kirsch präsentierte am vorletzten Tag der Konferenz ein Kompromisspaket, das er fast im Alleingang zusammengestellt hatte und das schließlich von den Delegierten angenommen wurde.813 Kanada führte überdies während der Konferenz die Gruppe der so genannten „like-minded states“ an, derjenigen Staaten, die dem Römischen Statut „wohlgesonnen“ waren und einen weiten Anwendungsbereich befürworteten. Vertreter Großbritanniens wirkten auf der Vorbereitungskonferenz als Vizepräsident und im Überarbeitungskomitee (Drafting Committee) mit. Die USA waren auf der Vorbereitungskonferenz ebenfalls sehr aktiv und hinterließen in dem Entwurf deutlich ihre Handschrift. Auch die Erarbeitung der Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit haben sie maßgeblich beeinflusst. So geht insbesondere die Zweiteilung der Vorschrift (Art. 28 IStGHStatut, im Entwurf noch Art. 25) in die Teile a) und b) auf einen Vorschlag der USA zurück.814 Dennoch stimmten die USA auf der Rom-Konferenz 812

Vgl. zum Ganzen, Dubber, S. 7 ff. Kirsch, in: The International Criminal Court, S. 451–461. 814 United States of America: Proposal Regarding Article 25 vom 16.6.1998, Doc. A/CONF.183/C.1/L.2, Official Records, Bd. III, F. Documents of the Committee of the Whole, S. 258: In diesem Vorschlag wurde zwischen Befehlshabern und zivilen Vorgesetzten unterschieden. Zivile Vorgesetzte sollten nur haften, wenn sie von den Verbrechen „wussten“ und unter den zusätzlichen Voraussetzungen, dass zum einen die Verbrechen Tätigkeiten innerhalb der Verantwortlichkeit des Vorgesetzten betrafen, und der Vorgesetzte zum anderen die Möglichkeit hatte, die Verbrechen zu verhindern oder zu unterdrücken. 813

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

letztlich gegen das Statut, weil sie nicht all ihre Vorstellungen hatten durchsetzen können.815 Der Präsident der Vereinigten Staaten Bill Clinton unterzeichnete das Rom-Statut zwar noch in buchstäblich letzter Minute am 31. Dezember 2000, wohl um sich weitere Einflussmöglichkeiten offen zu halten.816 Sein Nachfolger George W. Bush ließ jedoch erklären, dass sich die USA nicht an das Römische Statut gebunden fühlten und es nicht beabsichtigt sei, Partei des Statuts zu werden. Dies kam einem Zurückziehen der Unterzeichnung („unsigning“) gleich.817 In den USA wurden daraufhin gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen, um jegliche Kooperation mit dem Strafgerichtshof zu unterbinden.818 Insbesondere haben die USA mit einer ganzen Reihe von Staaten bilaterale Verträge über die Nichtauslieferung von Personen an den Strafgerichtshofs abgeschlossen.819 Kanada hat das Römische Statut am 18. Dezember 1998 unterzeichnet und am 7. Juli 2000 ratifiziert. Im Juni 2000 wurde ein spezielles Umsetzungsgesetz erlassen, das den Titel „Crimes Against Humanity and War Crimes Act“820 (im Folgenden: kanad-IStGHG) trägt. Das Gesetz ist seit dem 23. Oktober 2000 in Kraft.821 Es zeichnet sich durch eine offene Herangehensweise aus. So enthält das Gesetz keine feststehenden Verbrechensdefinitionen, sondern bezieht sich auf die Strafbarkeit nach zur Tatzeit und am Tatort geltenden Völkergewohnheitsrecht. Auf diese Weise ist das Gesetz offen für Weiterentwicklungen der Verbrechensdefinitionen auf internationaler Ebene. Der Ansatz wird als „dynamisch“ oder „flexibel“ bezeichnet.822 815 Hauptkritikpunkte waren die Machtverteilung zwischen Anklagebehörde und Richtern, die Rolle des UN-Sicherheitsrats und vor allem die fehlende Garantie, dass politisch motivierte Verfolgungen von Soldaten der USA vermieden werden. Die USA waren damit einer der sieben Staaten, die gegen das Statut stimmten. 816 Vgl. Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 418. 817 Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 419. 818 American Service Members’ Protection Act 2002 (Teil des Supplemental Appropriations Act for Further Recovery From and Response to Terrorist Attacks on the United States, 22 U.S.C. §§ 7421 ff.), vgl. Ausführungen bei Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 420 ff. 819 So genannte „Artikel 98-Verträge“ bestanden im Dezember 2006 mit ca. 100 Staaten (vgl. http://www.iccnow.org/documents/CICCFS_BIAstatus_current.pdf (Juni 2009). Nach Art. 98 IStGH-Statut darf der IStGH nicht ohne Weiteres ein Überstellungsgesuch stellen, das vom ersuchten Staat verlangen würde, entgegen seinen Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften zu handeln. 820 S.C. 2000, c. 24, Canada Gazette, Part III, August 9, 2000, c. 24; 13.2.2002, c. 32; englische Fassung im Internet unter http://laws.justice.gc.ca/en/C-45.9 (Juni 2009). 821 Schabas, YbIHLaw 2000, 338, Fn. 4; vgl. zum Umsetzungsgesetz auch: Prost/Robinson, in: The Rome Statute and Domestic Legal Orders, Bd. II, S. 53–69.

A. Der angloamerikanische Rechtskreis

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Das kanadische Umsetzungsgesetz unterscheidet nach Straftaten, die innerhalb von Kanada begangen werden, und solchen, die außerhalb Kanadas begangen werden. Deshalb finden sich die völkerrechtlichen Straftaten Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie ihre Definitionen in dem Gesetz jeweils zweimal. Das Verbrechen der Aggression ist nicht enthalten.823 Über die auch im Römischen Statut genannten Verbrechen hinaus enthält das Umsetzungsgesetz noch eine ganze Reihe von gegen den Strafgerichtshof gerichteten Straftaten wie die „Behinderung der Justiz“ oder Aussagedelikte.824 Großbritannien hat das Römische Statut am 30. November 1998 unterzeichnet und am 4. Oktober 2001 ratifiziert. Großbritannien hat ebenfalls mit dem Gesetz zum Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court Act 2001, c.17,825 im Folgenden: brit-IStGHG) ein spezielles Gesetz zur Umsetzung des Römischen Statuts erlassen.826 Es ist am 1. September 2001 in Kraft getreten und gilt in England, Wales und Nordirland.827 Es enthält in Teil 5 eine Auflistung der völkerrechtlichen Verbrechen. Die Definitionen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bestimmen sich nach den entsprechenden Artikeln des Römischen Statuts.828 Das Verbrechen der Aggression ist nicht genannt.829 Da mit dem britischen Umsetzungsgesetz vor allem auch Straf822 Robinson, in: National Legislation Incorporating International Crimes, S. 50; Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 25, voller Lob ist Turns, in: The Permanent International Criminal Court, S. 359. 823 Es ist nach 2. Lesung wieder herausgenommen worden, vgl. Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, 2005, S. 33. 824 Behinderung der Justiz (Abschnitt 16), „Behinderung von Amtsträgern“ (Abschnitt 17) „Bestechung von Richtern und Amtsträgern“ (Abschnitt 18), „Meineid“ (Abschnitt 19), „Falscheid“ (Abschnitt 20) usw. 825 Vom Parlament am 4.7.2001 angenommen; im Internet unter www. opsi.gov.uk/acts/acts2001/20010017.htm (Juni 2009). 826 Das brit-IStGHG enthält nicht nur Vorschriften über die völkerrechtlichen Verbrechen, sondern regelt auch die Verhaftung und Auslieferung sowie andere Formen von Rechtshilfe. Vgl. zum Gesetz: Lewis, in: The Rome Statute and Domestic Legal Orders, Bd. II, S. 459–468. 827 Abschnitt 79(2) brit-IStGHG. Einige Abschnitte gelten auch in Schottland, im Übrigen gilt ein eigenes Gesetz in Schottland (International Criminal Court (Scotland) Act 2001 v. 24.9.2001). 828 In Schedule 8 sind die Artikel 5, 6 und 8(2) IStGH-Statut noch einmal (fast) wortwörtlich wiedergegeben. Im Übrigen sind die Verbrechenselemente (Elements of Crimes) zu beachten. Abschnitt 51 (1): „It is an offence against the law of England und Wales, if a person commits genocide, a crime against humanity or a war crime.“ 829 Das Berufungsgericht von England und Wales hat die Existenz eines Verbrechens der Aggression abgelehnt, vgl. Jones and others v. Gloucestershire Crown Prosecution Service (2004) EWCA Crim 1981.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

barkeitslücken geschlossen werden sollen, bleiben einige Gesetze, die die Strafbarkeit völkerrechtlicher Verbrechen bereits vorsehen, weiterhin in Kraft,830 so dass sich eine Strafbarkeit aufgrund verschiedener Gesetze ergeben kann.831 Wie in Kanada kommt es auch in Großbritannien darauf an, wo die Verbrechen begangen wurden. Englische Gerichte sind zuständig, wenn diese in England und Wales begangen worden sind. Für außerhalb dieses Territoriums begangene Verbrechen sind sie zuständig, wenn der Täter britischer Staatsangehöriger war oder einen Wohnsitz im Vereinigten Königreich hat,832 oder wenn er Angehöriger der britischen Streitkräfte war.833 Sowohl im kanadischen wie auch im britischen Umsetzungsgesetz finden sich spezielle Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit, die in diesem Kapitel ausführlich analysiert werden.834 In den USA sind die völkerrechtlichen Verbrechen „Völkermord“835 und „Kriegsverbrechen“836 ebenfalls strafrechtlich verfolgbar. Es gibt kein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ als gesonderten Straftatbestand. Vielmehr sind die in Art. 6 IStGH-Statut erfassten Taten nur als Mord, schwerer Angriff (aggravated assault)837 o. ä. strafrechtlich verfolgbar.838 Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass die USA die Zusatzprotokolle zu den 830

Dies gilt bspw. für Geneva Conventions Act 1957, c. 53 (Amend. 1995, c. 27); Genocide Act 1969, c. 12 und War Crimes Act 1991, c. 13; vgl. Bremer, S. 368 ff. 831 Lücken bestehen weiterhin bei nicht-internationalen Konflikten, vgl. Rabenstein/Bahrenberg, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, 6. Teilbd., S. 273 ff., 277 f. 832 Als „Einwohner“ (resident) gilt nicht nur eine Person, die einen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Begehung der Verbrechen hatte, sondern auch eine Person, die einen Wohnsitz später in Großbritannien begründet. 833 Abschnitt 51 (2) brit-IStGHG. 834 Abschnitte 5 und 7 kanad-IStGHG und Abschnitt 65 brit-IStGHG werden unter II. ausführlich analysiert. 835 18 US-GB, Kap. 50 A Abschnitt 1091. Genocide Convention Implementation Act von 1988 („Proxmire Act“). 836 18 US-GB Kap. 118 Abschnitt 2441. Die Kriegsverbrechen entsprechen nicht vollständig Art. 8 IStGH-Statut. 837 Daneben sind auch terroristische Aktivitäten, Piraterie sowie die Entwicklung, der Besitz usw. von biologischen/chemischen Waffen strafbar; 18 US-GB Kap. 113 b, Abschnitt 2331 (Terrorismus); Kap. 81 Abschnitt 1651 (Piraterie), Kap. 10 Abschnitt 175 und Kap. 11b Abschnitt 229 (biologische und chemische Waffen). 838 Außerhalb der USA begangene Taten können als „Folter“ oder „internationaler Terrorismus“ verfolgt werden. Vor Militärgerichten sei eine Verfolgung durch direkten Durchgriff auf das völkerrechtlich anerkannte Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich; so Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 430.

A. Der angloamerikanische Rechtskreis

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Genfer Konventionen nicht ratifiziert haben.839 Es wird vertreten, dass dies aber zumindest die Militärgerichte nicht daran hindert, vom nationalen Recht nicht erfasste Kriegsverbrechen nach internationalem Recht abzuurteilen.840 Überdies sind Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im US-amerikanischen Militärrecht zu finden, die Art. 86, 87 ZP I ähneln. In diesem Zusammenhang bleibt schließlich daran zu erinnern, dass die USA die Command Responsibility Doktrin, wenn nicht erfunden, so doch zumindest zum Leben erweckt haben, als sie den japanischen General Yamashita für die Verbrechen seiner Truppen bei der Eroberung von Manila auf Grundlage seiner Command Responsibility verurteilten.841 II. Allgemeines zum Straf- und Militärstrafrecht in den USA, Kanada und England Obwohl das Strafrecht des common law Rechtskreises auf Gerichtsentscheidungen zurückgeht, sind heutzutage wesentliche Bereiche des Strafrechts auch in Gesetzen kodifiziert, so dass nunmehr zwei Hauptrechtsquellen842 nebeneinander stehen. In den USA stellte die Erarbeitung eines Modellstrafgesetzbuchs (Model Penal Code, im Folgenden: US-ModellStGB)843 durch das American Law Institute im Jahre 1962 einen Wendepunkt dar. Das Modellstrafgesetzbuch ist nicht rechtsverbindlich, 40 Staaten haben aber ihr Strafrecht nach den Vorgaben des Modellstrafgesetzbuchs umgestaltet, so dass es zu einer „Hauptquelle“ des amerikanischen Strafrechts geworden ist.844 Obwohl das US-Bundesstrafrecht und auch beispielsweise das Strafrecht in Kalifornien nicht an das Modellstrafgesetzbuch angepasst worden sind, zeigt sich dessen Einfluss doch daran, dass sowohl das Modellstrafgesetzbuch wie auch der siebenbändige Kommentar in bundesrechtlichen Urteilen extensiv zitiert werden. Besonders bei Fragen des Allgemeinen Teils, die in Teil 18 des US-Amerikanischen Gesetzbuchs (United States Code, im Folgenden: US-GB845) fast überhaupt nicht behandelt sind, die aber im Rahmen dieser Arbeit von Bedeutung für die Vor839 Ratifikation der vier Genfer Konventionen am 2.2.1956, Umsetzung durch War Crimes Act 1996. 840 So Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 432 f.; Cassel, New England Law Review 2001, 431 Fn. 49. 841 Vgl. bereits oben 1. Teil. 842 Card/Cross/Jones, S. 10. 843 American Law Institute, Model Penal Code, 1980. Abgedruckt in: LaFave, Bd. 3, Anhang A. Deutsche Übersetzung des US-ModellStGB: Honig, 1965. 844 Dubber, S. 2, 16 f. 845 US-GB (US Code) im Internet unter http://www.gpoaccess.gov/uscode/ (Juni 2009).

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

gesetztenverantwortlichkeit sind, erweist sich der Rückgriff auf das Modellstrafgesetzbuch als hilfreich. Dies gilt auch für das Militärrecht der USA, das in dem Militäreinheitsgesetzbuch (Uniform Code of Military Justice, im Folgenden: US-MilGB) bzw. Titel 10 US-GB niedergelegt ist. Kanada hat seit 1892 ein Strafgesetzbuch (Criminal Code, im Folgenden: kanadStGB)846; Militärrecht findet sich im Verteidigungsgesetz (National Defense Act, im Folgenden: kanad-VerteidG). Fragen des Allgemeinen Teils sind nur rudimentär kodifiziert. Vorschläge zur Kodifikation eines Allgemeinen Teils haben sich bisher nicht durchgesetzt.847 Insoweit beansprucht das common law weiterhin Gültigkeit.848 In England hat es ebenfalls (erfolglose) Versuche gegeben, das Strafrecht insgesamt zu kodifizieren.849 Das britische Umsetzungsgesetz enthält einige Vorschriften, die einem Allgemeinen Teil zugeordnet werden können, verweist aber im Übrigen auf die „Grundsätze des allgemeinen Rechts in England und Wales“.850 Das Verständnis von der Straftat ist im common law Rechtskreis eng mit dem Strafprozess verknüpft, so dass materiellrechtliche und prozessuale Fragen oftmals nicht trennscharf voneinander diskutiert werden (können). Nach dem common law erfordert eine Straftat851 eine „böse Handlung“ (actus reus) und einen „bösen Geist“ (mens rea). Zusammengenommen852 stellen dieses äußere und innere Merkmal die Tat (offence) dar, die der Staatsanwalt beweisen muss. Der Angeklagte kann bestimmte Verteidigungseinreden geltend machen (defences).853 846 Das kanadStGB basierte auf einem Entwurf, der eigentlich für Großbritannien gedacht war; Criminal Code of Canada im Internet, http://laws.justice.gc.ca/en/ C-46/41584.html (Juni 2009). 847 Law Reform Commission of Canada, Report 31 on Recodifying Criminal Law, Revised and Enlarged Edition of Report 30, 1987; vgl. zu weiteren erfolglosen Versuchen, Stuart, S. 4 ff. „Rocky Road to General Part“. 848 Verdun-Jones, S. 12 f. 849 Law Commission, A Criminal Code for England and Wales, Bd. 1 Draft Criminal Code Bill; Bd. 2 Commentary on Draft Criminal Code (Law Com Nr. 177), 1989. 850 Abschnitt 56 (1) brit-IStGHG. Zur Auslegung von englischen Gesetzen, Huber, ZStW 2003, 723–741. 851 Im common law wurde vor allem das Verhältnis von Verbrechen und Moralverstößen diskutiert. Vgl. bspw. H.L.A. Hart, Law, Liberty and Morality, 1963. 852 Der oft zitierte und von Coke eingeführte lateinischer Grundsatz: Actus non facit reum nisi mens sit rea. 853 Der Angeklagte trägt für die meisten Verteidigungseinreden nur die Darlegungslast, nicht aber die Beweislast, die wiederum der Staatsanwalt trägt (für das Nichtvorliegen der Verteidigungseinrede). Zwischen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen wird im common law nicht prinzipiell unterschieden. Vgl. Watzek, Rechtfertigung und Entschuldigung im englischen Strafrecht, 1997.

A. Der angloamerikanische Rechtskreis

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Die Zweiteilung der Straftat in Tat(-vorwurf) (offense) und Verteidigung(-seinrede) (defense) ist absolut herrschend. Der Begriff des „Verhaltens“ (conduct) meint sowohl actus reus als auch mens rea, wobei sowohl aktives Tun wie auch Unterlassen umfasst sind.854 Lässt sich die Handlung (conduct) unter eine Verbrechensdefinition subsumieren, kommt es darauf an, ob sie gegebenenfalls zu einem besonderen Erfolg (result) geführt hat und/oder besondere Umstände (circumstances) vorliegen. Sind neben diesen objektiven Merkmalen auch die subjektiven Merkmale (mental elements) erfüllt, liegt eine Straftat vor. Was die subjektiven Merkmale angeht, so wird nicht zwischen subjektiven Tatbestandsmerkmalen und Schuldformen unterschieden. Das Konzept von mens rea wird allgemein als recht konturlos eingeschätzt.855 Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff „Verschuldensmaßstab“ synonym zu mens rea verwendet. In den angloamerikanischen Rechtsordnungen sind überdies die besonderen Haftungsformen der „strikten Haftung“ (strict liability) bzw. „stellvertretenden Haftung“ (strict liability) anerkannt. „Strikte Haftung“ bedeutet, dass eine Person bereits strafrechtlich haftet, wenn sie eine verbotene Handlung vornimmt, also ein actus reus vorliegt; ein Verschulden (mens rea) muss nicht nachgewiesen werden.856 Die strikte Haftung ist folglich eine verschuldensunabhängige Haftung. Verteidigen kann sich eine wegen strikter Haftung angeklagte Person nur mit dem Nachweis der „gebotenen Sorgfalt (due diligence).857 Bei der „stellvertretenden Haftung“ hingegen muss nicht nachgewiesen werden, dass die Person selbst den actus reus erfüllt, sondern es wird ihr die Handlung einer anderen Person zugerechnet. Auf ein Verschulden (mens rea) ist damit nicht automatisch auch verzichtet.858 Vielmehr kommt es nur dann auch nicht auf ein Verschulden an, wenn beide Haftungsformen kombiniert sind.859 Ein Unterlassen ist in den common law Rechtsordnungen nur strafbar, wenn es eine Rechtspflicht zum Handeln gibt.860 Eine Handlungspflicht kann sich aus einem Strafgesetz oder aus dem common law ergeben.861 Ins854 § 1.13(5) US-ModellStGB: „conduct means an action or omission and its accompanying state of mind“. 855 Vgl. Weik, S 47; Clarkson/Keating, S. 120 f. beschränken sich auf die Erläuterung der „core mens rea concepts“; Stuart, S. 153: „bewildering variety of terminology and semantic acrobatics“. 856 Ormerod, Smith/Hogan, S. 215. 857 In England wohl nur, soweit ein Gesetz dies ausdrücklich vorsieht; Smith/ Hogan, S. 22. 858 Ormerod, Smith/Hogan, S. 215. 859 LaFave, Bd. 2, S. 372. 860 USA: LaFave, Bd. 1, S. 436; Kan: Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 51.

282

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

gesamt ist im US-amerikanischen, kanadischen und englischen Strafrecht eine kasuistische Vorgehensweise bei der Bestimmung der Handlungspflichten vorherrschend. Diskutiert werden vor allem Fürsorge- und Schutzpflichten in familiären Verhältnissen und ähnlichen Konstellationen, die der Gruppe der „Beschützergarantenpflichten“ zugeordnet werden können. Vereinzelt werden Fälle diskutiert, die auf einer Pflicht bzw. einem Recht beruhen, das Verhalten anderer zu kontrollieren (duty/right to control). Diese Fallgruppe ist für die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit von besonderer Bedeutung und wird später genauer untersucht.862

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Sowohl Großbritannien wie auch Kanada haben spezielle Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit erlassen. Die USA haben hingegen keine Umsetzungsmaßnahmen unternommen. Dies ist wegen der ablehnenden Haltung der USA dem Römischen Statut gegenüber auch in nächster Zeit nicht zu erwarten. I. England: „Verantwortlichkeit des Befehlshabers und eines anderen Vorgesetzten“ (Abschnitt 65 brit-IStGHG) Abschnitt 65 brit-IStGHG „Verantwortlichkeit des Befehlshabers und eines anderen Vorgesetzten“ (Responsibility of commanders and other superiors) lautet:863 861 Engl: Card/Cross/Jones, S. 60; Kan: Coyne (1958) 124 C.C.C. 176 (N.B.C.A.): „ ‚duty imposed by law‘ may be a duty arising by virtue of either the common law or by statute.“ 862 Vgl. genauer unter IV. 863 Abschnitt 65 lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: (1) Dieser Abschnitt findet Anwendung im Hinblick auf (a) Straftaten nach diesem Teil, und (b) Straftaten, die zu solchen Straftaten in Beziehung stehen (ancillary) (2) [entspricht wortwörtlich Art. 28 Buchstabe a) IStGH-Statut] (3) [entspricht wortwörtlich Art. 28 Buchstabe b) IStGH-Statut] (4) Eine Person, die nach diesem Abschnitt für eine Straftat verantwortlich ist, gilt als Gehilfe (aiding and abetting), Ratgeber (counsel) oder Veranlasser (procure) der Straftat. (5) Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften dieses Abschnitts (der mit Artikel 28 übereinstimmt) soll das Gericht jedes relevante Urteil oder jede relevante Entscheidung des IStGH berücksichtigen. Berücksichtigt werden kann auch jede andere relevante internationale Rechtsprechung.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

283

„(1) This section applies in relation to (a) offences under this Part, and (b) offences ancillary to such offences. (2) [entspricht Art. 28 a) IStGH-Statut] (3) [entspricht Art. 28 b) IStGH-Statut] (4) A person responsible under this section for an offence is regarded as aiding, abetting, counselling or procuring the commission of the offence. (5) In interpreting and applying the provisions of this section (which corresponds to article 28) the court shall take into account any relevant judgment or decision of the ICC. Account may also be taken of any other relevant international jurisprudence. (6) Nothing in this section shall be read as restricting or excluding(a) any liability of the commander or superior apart from this section, or (b) the liability of persons other than the commander or superior.)“

Die Unterabschnitte 2 und 3 entsprechen wortwörtlich Art. 28 a) und b) IStGH-Statut. In Unterabschnitt 5 wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die britische Umsetzungsvorschrift mit Art. 28 IStGH-Statut übereinstimmt. Die Übereinstimmung von Abschnitt 65 (2) und (3) brit-IStGHG und Art. 28 IStGH-Statut beschränkt sich nicht allein auf den Wortlaut. Unterabschnitt 5 erkennt die einschlägige internationale Rechtsprechung an und verpflichtet die Gerichte zur Berücksichtigung dieser Rechtsprechung. Trotz dieses Gleichklanges zwischen der britischen Umsetzungsvorschrift und Art. 28 IStGH-Statut gibt es einige Besonderheiten, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird: 1. Allgemeines Abschnitt 65 Abs. 4 brit-IStGHG bestimmt, dass ein Vorgesetzter als „Gehilfe“ (aid and abet), „Ratgeber“ (counsel) oder „Veranlasser“ (procure) anzusehen ist. Dies sind typische Teilnahmeformen (accomplice liability) im englischen Strafrecht. Ein „Gehilfe“ ist eine Person, die dem Haupttäter bei der Durchführung der Tat hilft oder ihn (auch psychisch) unterstützt.864 (6) Nichts in diesem Abschnitt soll so verstanden werden, dass es (a) eine unabhängig von diesem Abschnitt bestehende Verantwortlichkeit des Befehlshabers oder Vorgesetzten, oder (b) die Verantwortlichkeit anderer Personen als der des Befehlshabers oder Vorgesetzten einschränkt oder ausschließt. 864 Aiding und Abetting werden meist synonym verstanden, vgl. DPP for Northern Irland v. Lynch [1975] AC 653, [1975] 1 All ER 913, 924, 941. Teilweise wird

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Unter einem „Ratgeber“ versteht man eine Person, die den Haupttäter insbesondere ermutigt,865 die Tat zu begehen. Von „Veranlassung“ (procure) ist die Rede, wenn eine Person Anstrengungen unternimmt, um die Straftat zu ermöglichen.866 Der Vorgesetzte wird in Abschnitt 65 brit-IStGHG also als Teilnehmer der Straftat seiner Untergebenen angesehen, die sich für ihn als „Haupttat“ (principal offence) darstellt. Unterabschnitt 6 bestimmt zwar, dass eine weitere Haftung des Vorgesetzten als Täter nicht ausgeschlossen ist.867 Jedoch betrifft dies eine Verantwortlichkeit „unabhängig“ von Abschnitt 65 brit-IStGHG, also beispielsweise als Täter für die Erteilung eines Befehls.868 Eine weitere Besonderheit der britischen Umsetzungsvorschrift besteht darin, dass nach Unterabschnitt (1) der Vorgesetzte nicht nur bei der vollendeten Begehung der Kernverbrechen durch Untergebene strafrechtlich haftet, sondern auch bei „Straftaten, die zu den Straftaten in Beziehung stehen“ (ancillary). Hiermit sind verschiedene Begehungsformen, die Beihilfe, das Anraten, die Anstiftung, aber auch der Versuch und die Verschwörung sowie die Formen der Strafvereitelung gemeint.869 Es ist daher ausreichend, dass Untergebene sich beispielsweise zu der Begehung von Kriegsverbrechen verabreden.870 2. Objektive, haftungseinschränkende Merkmale: „the crimes concerned activities that were within the effective responsibility and control of the superior“ Da Abschnitt 65 (3) brit-IStGHG Art. 28 b) IStGH-Statut wörtlich übernimmt, hat auch in England die Voraussetzung Gültigkeit, dass die Straftaten „Tätigkeiten betreffen“ müssen, „die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen“. Anhaltspunkte, was diese Voraussetzung bedeutet, und warum sie bei militärischen Befehlshabern fehlt, gibt es nicht. Wie bereits im Hinblick auf einige Umsetzungsvorschriften aiding als Beihilfe, abetting als Form der Anstiftung verstanden, vgl. Card/Cross/ Jones, S. 831. 865 Calhaem [1985] QB 808, [1985] 2 All ER 266, CA: „advice, encourage or the like“. 866 A-G’s Reference (No. 1 1975) QB 773, [1975] 2 All ER 684, at 686. 867 Rabenstein/Bahrenberg, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, 6. Teilbd., S. 294; vgl. auch Cryer/Bekou, JICJ 2007, 5. 868 So Explanatory Notes, zu Abschnitt 65 Nr. 105. 869 Abschnitt 55 brit-IStGHG enthält eine Definition von „ancillary offence“. 870 Vgl. zur neueren Rechtsprechung des Jugoslawientribunals 2. Teil B. I. 1. c) aa).

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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erläutert, könnte damit eine spezifische Organisationsbezogenheit der Straftaten zur Voraussetzung gemacht werden.871 3. Subjektive Voraussetzungen: „consciously disregarded information which clearly indicated“ Was die subjektiven Voraussetzungen betrifft, so übernimmt auch hier Abschnitt 65 brit-IStGHG die Formulierung des Art. 28 IStGH-Statut wortwörtlich. Das britische Umsetzungsgesetz enthält keinen Hinweis, wie die subjektiven Voraussetzungen der Vorgesetzten-verantwortlichkeit zu verstehen oder wie sie den bekannten Formen des englischen Rechts zuzuordnen sind. Aus Abschnitt 66 (2)(c) brit-IStGHG872 geht lediglich hervor, dass die Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit Sonderregelungen zur mens rea enthält. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeit waren in England kritisch diskutiert worden. Zum einen war die Sorge geäußert worden, dass Gerichte im nachhinein die Lage der Vorgesetzten in Kriegssituationen falsch einschätzen könnten. Zum anderen wurden die unterschiedlichen Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte kritisiert.873 So wurde beispielsweise als einheitlicher Standard für alle Vorgesetzten das „bewusste Außerachtlassen von eindeutigen Informationen“ vorgeschlagen. Militärische Befehlshaber sollten nicht schon strafbar sein, wenn sie von den Straftaten hätten wissen sollen (should have known), weil dies schlimmstenfalls militärische Operationen beeinträchtigen könnte.874 Es wurde auch die kanadische Lösung in Betracht gezogen, die den „should have known“-Standard nicht übernommen hat.875 Die Regierung setzte jedoch die wortwörtliche Übernahme der subjektiven Voraussetzungen aus Art. 28 IStGH-Statut durch und begründete dies oberflächlich damit, dass eine Vorgesetztenverantwortlichkeit in Großbritannien nicht neu sei, sondern beispielsweise in den militärischen Feldhandbüchern und durch die Umsetzungsgesetze der Genfer Konventionen 1957/1995 normiert sei. Diese Begründung war schon deshalb nicht richtig, weil die genannten Vorschriften bisher nicht justiziabel waren.876 Für den 871

Vgl. 1. Kap. B. II. 2. und 2. Kap. B. I. 2. Abschnitt 66 (2)(c) brit-IStGHG lautet: „Unless otherwise provided by section 65 (responsibility of commanders and other superiors) a person is regarded as committing such an act or crime only if the material elements are committed with intent and knowledge.“ 873 Vgl. Bowers, S. 69 ff. 874 Vgl. Bowers, S. 71 f. 875 Vgl. Bowers, S. 74 f. Vgl. unter 2. 872

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

nicht-militärischen Bereich wird die weitere Untersuchung in dieser Arbeit zeigen, dass es bisher keine vergleichbare Vorgesetztenverantwortlichkeit gegeben hat. Die überwiegend von konservativer Seite geäußerte Kritik erklärt sich nicht allein aus politischen Gründen, sondern auch mit dem sehr weitreichenden Verständnis von „hätte wissen sollen“ (should have known) im englischen Strafrecht. Mit „hätte wissen sollen“ (should have know oder auch ought to know) wird rein objektiver Fahrlässigkeitsverstoß (negligence) auf Seiten der militärischen Vorgesetzten für ausreichend erklärt.877 Fahrlässigkeit im Hinblick auf einen Erfolg ist schon gegeben, wenn eine vernünftige Person das Risiko des Erfolgseintritts vorhergesehen hätte. Die Formulierung „hätte wissen sollen“ wird folglich allein nach objektivem Maßstab festgestellt.878 Ein solcher rein objektiver Maßstab beim Verschuldenselement wird schon seit einiger Zeit kritisiert. Auch ist eine Tendenz in der Rechtsprechung erkennbar, die einen rein objektiven Maßstab bei dem Verschuldenselement ablehnt.879 In dem bahnbrechenden Urteil im Fall G and another des House of Lords aus dem Jahr 2003 forderten die Lordrichter eine „subjektive Herangehensweise“ bei der Rücksichtslosigkeit (recklessness).880 Versucht man, die aus Art. 28 b) IStGH-Statut übernommene Formel „bewusst eindeutige Informationen außer acht lassen“ in das englische Recht einzuordnen, so kommen die Rücksichtslosigkeit (recklessness) und „willentliche Blindheit“ (wilful blindness) in Betracht. In der englischen Rechtsprechung findet sich folgende Umschreibung der „willentlichen Blindheit“: Eine Person ist willentlich blind, wenn sie zwar keine aktuelle Kenntnis hat, aber „bewusst die Augen davor verschließt“, dass ein Umstand vorliegt.881 Häufig wurde auch der Begriff „connive“882 verwendet, den man mit „stillschweigend dulden/übersehen“ übersetzen kann. Teilweise wird 876

Rabenstein/Bahrenberg, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, 6. Teilbd., S. 295 f.; zu den Feldhandbüchern vgl. unter III. 1. 877 Bowers, S. 34. 878 Card/Cross/Jones, S 112, 113. 879 Card/Cross/Jones, S. 89: „ ‚subjectivists‘ are overall winning the battle with the ‚objectivists‘ “. 880 G and another [2003], 4 All ER 765, 55. Das House of Lords erklärte damit die rein objektiv bestimmte sog. „Caldwell-Rücksichtslosigkeit“ (Caldwell [1982] AC 341, [1981] 1 All ER 961 (HL)) für obsolet. 881 R. v. Sleep, 169 Eng. Rep. 1296 (Cr. Cas. Res 1861); Somerset v. Hart [1884] 12 QBD 360: „willingly shut their eyes“; Gray’s Haulage Co. Ltd v. Arnold [1966] 1 All ER 896: „deliberately shut theis eyes“. 882 Somerset v. Hart [1884] 12 QBD 360: „any such connivance or wilful blindness“.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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auch von „absichtlichem Vermeiden“ (purposeful avoidance) oder „willentlicher Unkenntnis“ (wilful ignorance) gesprochen.883 Ein englisches Gericht formulierte, dass „der Angeklagte bewusst seine Augen gegenüber dem Offensichtlichen verschlossen hat oder davon Abstand genommen hat, Nachforschungen anzustellen, weil er die Wahrheit vermutete, aber seinen Verdacht nicht bestätigen wollte.“884 Die „willentliche Blindheit“ wird oft im Zusammenhang mit Wissen (knowledge) diskutiert.885 Sie kann den Nachweis des Wissens ersetzen, wenn die Straftat „Wissen“ voraussetzt.886 Auch in dem Entwurf für ein Strafgesetzbuch für England und Wales ist sie als Form des Wissens normiert. Demnach handelt eine Person wissentlich, „knowingly with respect to a circumstance not only when he is aware that it exists or will exist, but also when he avoids taking steps that might confirm his belief that it exists or will exist.“887

Nach dem Strafgesetzbuchentwurf soll eine Person folglich auch dann so behandelt werden, als ob sie tatsächlich Kenntnis gehabt hätte, wenn sie es vermieden hat, sich größere Gewissheit zu verschaffen. Die Person muss allerdings geglaubt haben, dass ein Umstand vorliegt oder vorliegen wird. Nach den Erläuterungen zum Entwurf darf die Person keinen „wesentlichen Zweifel“ (no substantial doubt) gehegt haben, dass ein Umstand vorliegt, mit anderen Worten: sie muss „nahezu sicher“ (almost certain) gewesen sein.888 Eine Person handelt nach englischem Strafrecht „rücksichtslos“ (reckless), wenn sie sich über ein Risiko bewusst ist, dass ein Tatumstand existiert bzw. ein Taterfolg eintreten wird. Bis 2003 war neben dieser so genannten Cunningham-Rücksichtslosigkeit889 die so genannte Caldwell883

Vgl. unter C. II. 2. c). Westminster City Council v. Croyalgrange Ltd. [1986] 2 All ER 353, 359: „deliberately shut his eyes to the obvious or refrained from inquiry because he suspected the truth but did not want to have his suspicions confirmed.“ 885 Westminster City Council v. Croyalgrange Ltd [1986] 2 All ER 353 (wissentliche Überlassung von Räumen zur Prostitution, willentliche Blindheit ausreichend); Gray’s Haulage Co. Ltd v. Arnold [1966] 1 All ER 896. 886 Im common law vor allem bei der Straftat „unzulässiges Glückspiel“ (gaming); Somerset v. Hart (1884), 12 QBD 360; heute insbesondere bei Drogenbesitzdelikten. 887 Clause 18 a) Draft Criminal Code for England and Wales lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: „wenn sie sich darüber bewusst ist, dass ein Umstand vorliegt oder vorliegen wird, oder wenn sie es vermeidet, Schritte zu unternehmen, die ihren Glauben bestärken könnten, dass ein Umstand vorliegt oder vorliegen wird.“ 888 Law Commission, A Criminal Code for England and Wales, Bd. 2. Commentary on Draft Criminal Code Bill, S. 191. 889 Cunningham [1957] 2 QB 396 (1957), 2 All ER 412. 884

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Rücksichtslosigkeit anerkannt, bei der es ausreichte, dass das Risiko für eine vernünftige Person offensichtlich war.890 Wie erwähnt, hat das House of Lords diese Form der objektiv zu beurteilenden Rücksichtslosigkeit im Fall G and another zurückgewiesen und eine subjektive Betrachtungsweise gefordert. Der Täter muss sich bewusst über das Risiko gewesen sein und es muss, nach den ihm bekannten Umständen, unvernünftig gewesen sein, das Risiko einzugehen.891 Der Unterschied zwischen Rücksichtslosigkeit und willentlicher Blindheit liegt vor allem im Grad der Gewissheit. Die willentliche Blindheit liegt dabei sehr nah bei voller Gewissheit d.h. tatsächlicher Kenntnis. Es ist mehr als nur ein Risikobewusstsein verlangt, wie es bei der Rücksichtslosigkeit der Fall ist. Die aus Art. 28 b) i) IStGH-Statut übernommene Formulierung „bewusst eindeutige Informationen außer acht lassen“ spricht daher eher für willentliche Blindheit. Die Formulierung ähnelt zudem einer Reihe von Umschreibungen der „willentlichen Blindheit“ in der Rechtsprechung. Zu beachten ist zwar, dass die willentliche Blindheit vor allem im Hinblick auf Tatumstände Anwendung findet, während die Rücksichtslosigkeit sowohl auf Tatumstände wie auch auf den Taterfolg bezogen wird. Dies dürfte allerdings eine Auslegung von Abschnitt 65 Abs. 2 (b) brit-IStGHG als willentliche Blindheit nicht ausschließen. Denn die Umschreibung in Art. 28 b) i) IStGH-Statut ist „tatumstandsähnlich“ formuliert (disregards information that the subordinates were committing or about to commit such crimes). Art. 28 b) i) IStGH ist so formuliert, dass der Vorgesetzte durch Kenntnisnahme der (eindeutigen) Informationen gerade Gewissheit erlangen kann, dass seine Untergebenen dass Untergebene im Begriff sind, Straftaten zu begehen oder begangen haben. 4. Begriff des militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten Zur Unterscheidung zwischen militärischen, de facto militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten trifft das britische Umsetzungsgesetz keine näheren Aussagen. Aus den knappen offiziellen Erläuterungen (Explanatory Notes) zu Abschnitt 65 brit-IStGHG geht hervor, dass die Vorgaben von Art. 28 IStGH-Statut und der Stand des Völkerstrafrechts übernommen werden sollen. Es gehe einerseits um „militärische und quasi-militärische Befehlshaber über Streitkräfte“ (military and quasi-military commanders in relation to military forces), andererseits um „andere Vorgesetzte wie Staats890

Caldwell [1982] AC 341, [1981] 1 All ER 961 (HL). G v another [2003] 4 All ER 765 (Bezug zu Criminal Damage Act 1971, Jungen zünden gedankenlos Zeitungen im Hof eines Geschäfts an, das später Feuer fängt). 891

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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bedienstete oder die Vorsitzenden ziviler Organisationen“ (other superiors such as government officials or heads of civilian organisations).892 In den Erläuterungen findet man daher nur folgende Anhaltpunkte für den Begriff des Vorgesetzten: Militärische und de facto militärische Befehlshaber werden jeweils mit den „Streitkräften“ oder „militärischen Truppen“ (military forces) in Verbindung gebracht. Andererseits nennen die Erläuterungen als Beispiele für „andere Vorgesetzte“ „Staatsbedienstete“ oder „Vorsitzende ziviler Organisationen“. Damit sind sowohl Amtsträger wie auch nicht-militärische Vorgesetzte außerhalb des staatlichen Bereichs erfasst. Auf den schwierigen Grenzfall von paramilitärischen Einheiten oder militarisierten Polizeieinheiten gehen die Erläuterungen nicht ein. Die englischen Umsetzungsvorschriften bestätigen, dass es die Charakterisierung als militärisch oder nicht-militärisch vor allem von der Organisation, Institution oder Einheit abhängt, in der der Vorgesetzte eingegliedert ist. Die Verbindung der militärischen und de facto militärischen Vorgesetzten mit dem Begriff der Streitkräfte bzw. militärischen Truppen (military forces) könnte zudem für die Auslegung sprechen, dass es militärische und de facto militärische Vorgesetzte nur in regulären Streitkräften gibt. Wie allerdings bereits im Hinblick auf die deutschen Umsetzungsvorschriften erläutert, müssten beispielsweise Vorgesetzte paramilitärischer Einheiten dann unpassenderweise als andere Vorgesetzte „ziviler Organisationen“ eingestuft werden. Dies widerspricht überdies dem erklärten Ziel der Verfasser des Römischen Statuts, gerade paramilitärische Anführer als de facto militärische Vorgesetzte zu fassen.893 Die Erläuterungen enthalten überdies den Hinweis, dass nicht-militärische Vorgesetzte nicht denselben Grad an Kontrolle gegenüber ihren Untergebenen haben (the latter may not have the same degree of control over the actions of their subordinates).894 Dies könnte dafür sprechen, dass ein Vorgesetzter im Rahmen der englischen Umsetzungsvorschriften als militärisch einzustufen ist, wenn er einen Grad an Kontrolle ausübt, wie er für militärische Vorgesetzte in regulären Streitkräften typisch ist. Hier stellt sich zunächst die Frage, wann von einen militärischen Grad an Kontrolle gesprochen werden kann. Die Übergänge dürften hier fließend sein. In Art. 28 IStGH-Statut ist jedenfalls die Voraussetzung der „tatsäch892 Explanatory Notes, zu Abschnitt 65 Nr. 104: „The wording draws a distinction between the standards expected of military and quasi-military commanders in relation to military forces under their command, and other superiors such as government officials or heads of civilian organisations, as it is recognised that the latter may not have the same degree of control over the actions of their subordinates.“ 893 Vgl. 1. Kap. B. I. 2. d). 894 Explanatory Notes, zu Abschnitt 65 Nr. 104.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

lichen Führungsgewalt und Kontrolle“ sowohl für militärische wie nicht-militärische Vorgesetzte niedergelegt, ohne dass dabei graduelle Abstufungen erkennbar wären. Überdies wurde dargelegt, dass es auch in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale keine Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Schwelle der „tatsächlichen Kontrolle“ (effective control) für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte gibt. Im Gegenteil, wie die Berufungskammer im Fall Bagilishema erklärt hat, ist der erforderliche Grad der Kontrolle für militärische und zivile Vorgesetzte gleich, wobei damit allerdings nicht zugleich impliziert ist, dass tatsächliche Kontrolle durch einen zivilen Vorgesetzten notwendigerweise in der gleichen Weise wie durch einen militärischen Vorgesetzten ausgeübt werde.895 Dies hat die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba ebenfalls für Art. 28 a) IStGH-Statut bestätigt.896 Ein Verständnis des militärischen Vorgesetzten, das am Grad der Kontrolle gegenüber Untergebenen ansetzt, würde unweigerlich mit dieser Rechtsprechung in Konflikt geraten. Eine Abgrenzung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten, die nicht auf einen unterschiedlichen Grad an Kontrolle abgestellt wird, sondern auf die unterschiedliche Art und Weise, wie die Kontrolle ausgeübt wird, bewegt sich zwar auf dem Boden der geltenden internationalen Rechtsprechung. Jedoch erscheint eine solche Abgrenzung nicht tauglich, da der Begriff „tatsächliche Führungsgewalt“ sowohl für (de facto) militärische in Art. 28 a) IStGH-Statut als auch für nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 a) IStGH-Statut verwendet wird. Damit ist anerkannt, dass es (de facto) militärische Vorgesetzte gibt, die ihre Untergebenen auf „typisch militärische“ Art und Weise kontrollieren, aber auch solche, die auf andere Kontrollmechanismen zurückgreifen können, die eher in nichtmilitärischen Zusammenhängen anzutreffen sind. Es kommt daher bei den englischen Umsetzungsvorschriften auf ein materielles Verständnis der militärischen Truppe (military forces) an, das bei der Funktion der Einheit ansetzt, in der der Vorgesetzte seine Funktion ausübt. Wie im Hinblick auf die deutschen und schweizerischen Umsetzungsvorschriften diskutiert, kann auch bei den englischen Umsetzungsvorschriften die Ausrichtung einer militärischen Truppe oder Einheit auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei als zentral angesehen werden. Ein militärischer oder quasi-militärischer Vorgesetzter kann daher als ein Vorgesetzter in einer Einheit angesehen werden, die auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist.897 895

Prosecutor v. Bagilishema, Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2002, Para. 52. Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 413–417. 896

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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II. Kanada: „Pflichtverletzung898 durch einen militärischen Befehlshaber/Vorgesetzten“ (breach of responsibility, Abschnitt 5 und 7 kanad-IStGHG) Das kanadische Umsetzungsgesetz enthält in Abschnitt 5 und in Abschnitt 7 je eine Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit. Abschnitt 5 gehört zu dem Teil des Gesetzes, der sich mit den Straftaten innerhalb Kanadas befasst, Abschnitt 7 gehört zu den Straftaten außerhalb Kanadas. Die beiden Vorschriften sind fast identisch. Abschnitt 5 hat folgenden Wortlaut:899 „(1)

A military commander commits an indictable offence if (a) the military commander (i) fails to exercise control properly over a person under their effective command and control or effective authority and control, and as a result the person commits an offence under section 4, or (ii) fails, after the coming into force of this section, to exercise control properly over a person under their effective command and control or effective authority and control, and as a result the person commits an offence under section 6; (b) the military commander knows, or is criminally negligent in failing to know, that the person is about to commit or is committing such an offence; and (c) the military commander subsequently (i) fails to take, as soon as practicable, all necessary and reasonable measures within their power to prevent or repress the commission

897

Vgl. 1. Kap. B. II. 4. Wörtlich: „Verletzung der Verantwortung“. Burchards, S. 354: „Verantwortungsbruch“. 899 Dt. Übersetzung durch Verf.: Abschnitt 5 (1): Ein militärischer Befehlshaber begeht eine anklagbare Straftat, wenn (a) der militärische Befehlshaber (i) es versäumt, eine ordnungsgemäße Kontrolle über eine Person unter seiner tatsächlichen Befehlsgewalt und Kontrolle oder tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle auszuüben, und die Person als Folge eine Straftat nach Abschnitt 4 begeht, oder (ii) es versäumt, nach Inkrafttreten dieses Abschnitts eine ordnungsgemäße Kontrolle über eine Person unter seiner tatsächlichen Befehlsgewalt und Kontrolle oder tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle auszuüben, und die Person als Folge eine Straftat nach Abschnitt 6 begeht; (b) der militärische Befehlshaber weiß, oder in strafrechtlich relevanter Weise fahrlässig nicht weiß (criminally negligent in failing to know), dass die Person eine solche Straftat begeht oder im Begriff ist zu begehen; und (c) der militärische Befehlshaber nachfolgend (i) es versäumt, so früh wie durchführbar, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen in seiner Macht zu ergreifen, um die Begehung der Straf898

292

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England of the offence, or the further commission of offences under section 4 or 6, or (ii) fails to take, as soon as practicable, all necessary and reasonable measures within their power to submit the matter to the competent authorities for investigation and prosecution.

(2)

A superior commits an indictable offence if (a) the superior (i) fails to exercise control properly over a person under their effective authority and control, and as a result the person commits an offence under section 4, or (ii) fails, after the coming into force of this section, to exercise control properly over a person under their effective authority and control, and as a result the person commits an offence under section 6; (b) the superior knows that the person is about to commit or is committing such an offence, or consciously disregards information that clearly indicates that such an offence is about to be committed or is being committed by the person; (c) the offence relates to activities for which the superior has effective authority and control; and (d) the superior subsequently (i) fails to take, as soon as practicable, all necessary and reasonable measures within their power to prevent or repress the commission of the offence, or the further commission of offences under section 4 or 6, or

tat zu verhindern oder zu unterdrücken oder die weitere Begehung von Straftaten nach Abschnitt 4 oder 6 oder (ii) es versäumt, so früh wie durchführbar, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen in seiner Macht zu ergreifen, um die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung zu vorzulegen. Abschnitt 5 (2) Ein Vorgesetzter begeht eine anklagbare Straftat, wenn (a) der Vorgesetzte (i) es versäumt, eine ordnungsgemäße Kontrolle über eine Person unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle auszuüben, und die Person als Folge eine Straftat nach Abschnitt 4 begeht, oder (ii) es versäumt, nach Inkrafttreten dieses Abschnitts eine ordnungsgemäße Kontrolle über eine Person unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle auszuüben, und die Person als Folge eine Straftat nach Abschnitt 6 begeht; (b) der Vorgesetzte weiß, dass die Person eine solche Straftat begeht oder im Begriff ist zu begehen oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht lässt; (c) die Straftat sich auf Tätigkeiten bezieht, über die der Vorgesetzte tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle hatte, und

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

293

(ii) fails to take, as soon as practicable, all necessary and reasonable measures within their power to submit the matter to the competent authorities for investigation and prosecution. (2.1) Every person who conspires or attempts to commit, is an accessory after the fact in relation to, or counsels in relation to, an offence referred to in subsection (1) or (2) is guilty of an indictable offence. (3)

Every person who commits an offence under subsection (1), (2) or (2.1) is liable to imprisonment for life.

(4)

The definitions in this subsection apply in this section. ‚military commander‘ includes a person effectively acting as a military commander and a person who commands police with a degree of authority and control comparable to a military commander. ‚superior‘ means a person in authority, other than a military commander.“

Abschnitt 7 hat einen nahezu identischen Wortlaut wie Abschnitt 5, gilt aber nur für Straftaten außerhalb Kanadas, weshalb der Zusatz „außerhalb Kanadas“ hinzugefügt ist.900 Außerdem entfällt die Beschränkung, dass Vorgesetzte für Straftaten nach Abschnitt 6 nur „nach Inkrafttreten des Abschnitts“ haften. Vielmehr heißt es in Abschnitt 7 „vor oder nach Inkrafttreten dieses Abschnitts“. Abschnitt 7 enthält überdies zwei zusätzliche Unterabschnitte. Abschnitt 7(3) und Abschnitt 7(5) lauten: „(3) A person who is alleged to have committed an offence under subsection (1), (2) or (2.1) may be prosecuted for that offence in accordance with section 8. (d) der Vorgesetzte nachfolgend (i) es versäumt, so früh wie durchführbar, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen in seiner Macht zu ergreifen, um die Begehung der Straftat zu verhindern oder zu unterdrücken oder die weitere Begehung von Straftaten nach Abschnitt 4 oder 6 oder (ii) es versäumt, so früh wie durchführbar, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen in seiner Macht zu ergreifen, um die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen. Abschnitt 5 (2.1) Jede Person, die sich verschwört oder versucht, eine Straftat nach Unterabschnitt (1) oder (2) zu begehen, die ein Teilnehmer nach der Tat (accessory after the fact) ist oder zu der Tat anrät (counsel), ist wegen einer anklagbaren Straftat strafbar. Abschnitt 5 (3) Jede Person, die eine Straftat nach den Unterabschnitte (1), (2) oder (2.1.) begeht, verwirkt eine bis zu lebenslange Haftstrafe. Abschnitt 5 (4) Die Definitionen dieses Unterabschnitts finden in diesem Abschnitt Anwendung. „Militärischer Befehlshaber“ ist eine Person, die tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelt, und eine Person, die die Polizei mit einem Grad and Führungsgewalt und Kontrollevergleichbar einem militärischen Befehlshaber befehligt. „Vorgesetzter“ meint eine Person mit Führungsgewalt, die nicht militärischer Befehlshaber ist. 900 Unterabschnitt (1)(a) bzw. Unterabschnitt (2)(a).

294 (5)

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England Where an act or omission constituting an offence under this section occurred before the coming into force of this section, subparagraphs (1)(a)(ii) and (2)(a)(ii) apply to the extent that, at the time and in the place of the act or omission, the act or omission constituted a contravention of customary international law or conventional international law or was criminal according to the general principles of law recognized by the community of nations, whether or not it constituted a contravention of the law in force at the time and in the place of its commission.“901

Die Regelung in Abschnitt 7(5) kanad-IStGHG soll Konflikte mit dem Rückwirkungsverbot verhindern. Es ist daher vorausgesetzt, dass das Tun oder Unterlassen des Vorgesetzten nach Völker(gewohnheits-)recht bereits strafbar war. Nach Abschnitt 7(3) kanad-IStGHG können die außerhalb Kanadas begangenen Taten nur verfolgt werden, wenn der Befehlshaber/Vorgesetzte oder aber das Opfer kanadischer Staatsangehöriger oder in militärischer oder ziviler Funktion für Kanada tätig war, oder wenn Täter oder Opfer Staatsangehörige oder Funktionsträger eines mit Kanada in bewaffnetem Konflikt stehenden Staates waren. Außerdem sind die Taten verfolgbar, wenn der Täter sich in Kanada aufhält (Abschnitt 8 kanad-IStGHG).902 Damit hat das Universalitätsprinzip (in eingeschränkter Form) Einzug in das kanadische Strafrecht gehalten.903 901 Note: Section 7 in force October 23, 2000, see SI/2000-95, dt. Übersetzung durch Verf.: Abschnitt 7(3): Eine Person, die eine Straftat nach den Unterabschnitten (1), (2) oder (2.1) begangen haben soll, kann für diese Straftat im Einklang mit Abschnitt 8 verfolgt werden. Abschnitt 7 (5): Wenn ein Tun oder Unterlassen, das eine Straftat nach diesem Abschnitt darstellt, vor Inkrafttreten dieses Abschnitts begangen wurde, dann finden die Unterabschnitte (1)(a)(ii) und (2)(a)(ii) insoweit Anwendung, als zur Zeit und an dem Ort des Tuns oder Unterlassens dieses Tun oder Unterlassen im Widerspruch zu Völkergewohnheitsrecht oder Völkerrecht stand, oder als es nach den allgemeinen, von der Gemeinschaft der Nationen anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war, unabhängig davon, ob es im Widerspruch zum geltenden Recht zur Zeit und an dem Ort der Begehung stand. 902 Abschnitt 8 kanad-IStGHG: lautet: „A person who is alleged to have committed an offence under section 6 or 7 may be prosecuted for that offence if (a) at the time the offence is alleged to have been committed, (i) the person was a Canadian citizen or was employed by Canada in a civilian or military capacity, (ii) the person was a citizen of a state that was engaged in an armed conflict against Canada, or was employed in a civilian or military capacity by such a state, (iii) the victim of the alleged offence was a Canadian citizen, or (iv) the victim of the alleged offence was a citizen of a state that was allied with Canada in an armed conflict; or (b) after the time the offence is alleged to have been committed, the person is present in Canada.“ 903 Burchards, S. 350.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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1. Allgemeines Die Abschnitte 5 und 7 kanad-IStGHG sind als echte Unterlassenstatbestände904 ausgestaltet, die das Gesetz als „Pflichtverletzung durch einen militärischen Befehlshaber/Vorgesetzten“ (breach of responsibility by a military commander/superior) bezeichnet. Der Vorgesetzte macht sich strafbar, wenn er es versäumt, eine ordnungsgemäße Kontrolle über eine Person unter seiner tatsächlichen Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kontrolle auszuüben und die Person als Folge eine Straftat begeht. Wie Art. 28 IStGH-Statut verwenden die Abschnitte 5 und 7 kanadIStGHG die Begriffe „tatsächliche Befehlsgewalt“ bzw. „Führungsgewalt“ (effective command, authority) und „tatsächliche Kontrolle“ (effective control) zur Charakterisierung des Verhältnisses von Befehlshabern/Vorgesetzten und Untergebenen. Wie in Art. 28 IStGH-Statut bezieht sich der Begriff „Befehlsgewalt“ auf de jure militärische Befehlshaber, der Begriff „Führungsgewalt“ auf die übrigen Vorgesetzten. Es geht um die in den Abschnitten 4/6 (1)(a, b, c) kanad-IStGHG niedergelegten Kernverbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.905 Im Gegensatz zu Art. 28 IStGH-Statut machen die kanadischen Vorschriften (Abschnitt 4/6 (1.1) kanad-IStGHG) deutlich, dass auch eine unvollendete Begehung dieser Kernverbrechen durch Untergebene in Form einer Verschwörung, eines Versuchs oder Anratens (counselling906) sowie der Teilnahme nach der Tat (accessory after the fact907) ausreichend ist. Die kanadische Umsetzungsvorschrift nimmt auf mehrere Versäumnisse Bezug: Zunächst muss der Vorgesetzte es versäumt haben, eine ordnungsgemäße Kontrolle über Personen auszuüben, die unter seiner Führungsgewalt und Kontrolle stehen (Abschnitt 5/7 (1)(a), (2)(a) kanad-IStGHG). Außerdem muss er es versäumt haben, alle erforderlichen und angemesse904 Carter, in: The Changing Face of International Criminal Law, S. 179; Cryer, in: The Permanent International Criminal Court, S. 258; Robinson, in: National Legislation Incorporating International Crimes, S. 53; Bing Jia, 3 YbIHL 2000, 147. 905 Die beiden Abschnitte unterscheiden sich dadurch, dass Abschnitt 6 kanadIStGHG auch Straftaten erfasst, die vor Inkrafttreten des kanadischen Umsetzungsgesetzes bereits nach Völkergewohnheitsrecht strafbar waren, Abschnitt 4 (4) kanadIStGHG. 906 Abschnitt 22 (3) lautet: „For the purposes of this Act, ‚counsel‘ includes procure, solicit or incite.“ 907 Die Figur des „accessory after the fact“ kommt der Strafvereitelung sehr nah, vgl. Abschnitt 23 (1) kanadStGB: „An accessory after the fact to an offence is one who, knowing that a person has been a party to the offence, receives, comforts or assists that person for the purpose of enabling that person to escape.“

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

nen Maßnahmen in seiner Macht zu ergreifen, um die Begehung von Straftaten zu verhindern oder zu unterdrücken (Abschnitt 5/7 (1)(c)(i), (2)(d)(i) kanad-IStGHG).908 Die kanadische Umsetzungsvorschrift übernimmt somit nicht die Unterteilung in einen Chapeau und weitere Untergliederungspunkte wie in Art. 28 IStGH-Statut. Das in Untergliederungspunkt a) genannte Versäumnis, „eine ordnungsgemäße Kontrolle auszuüben“, ist im Vergleich zu den Versäumnissen der Untergliederungspunkte c) allgemeiner und unspezifischer, stellt aber wohl ein eigenes Tatbestandsmerkmal dar. Bedeutung kann das „doppelte Versäumnis“ insbesondere bei der Variante erlangen, dass ein Vorgesetzter die Angelegenheit nicht an die zuständigen Behörden weitergeleitet hat. Mit dem doppelten Versäumnis will das kanadische Umsetzungsgesetz wohl das Problem der Kausalität lösen, das sich bei einem Versäumnis nach909 Erfolgseintritt stellt. Denn in Bezug auf eine bereits begangene Straftat kann das Unterlassen des Vorgesetzten, die Angelegenheit an die zuständigen Behörden weitergeleitet zu haben, nicht in kausaler Beziehung stehen. In diesem Fall muss nach der kanadischen Vorschrift aber eine kausale Beziehung zwischen dem allgemeinen Versäumnis ordnungsgemäßer Kontrolle und den Straftaten bestehen.910 Der Vorgesetzte muss es versäumt haben, erforderliche und angemessene Maßnahmen, die in seiner Macht stehen, zu ergreifen. Die kanadische Umsetzungsvorschrift ergänzt darüber hinaus, dass dies „so früh wie durchführbar“ (as soon as practicable) erfolgt. Damit betont das kanadische Umsetzungsgesetz die zeitliche Komponente, die in Art. 28 IStGH-Statut nur über den Begriff „erforderlich“ erfasst ist. Abschnitt 7 (5) kanad-IStGHG nimmt nicht nur auf die Begehung des Delikts der „Pflichtverletzung“ durch ein Unterlassen, sondern auch durch ein aktives Tun (act or omission) Bezug. Dies ist damit zu erklären, dass nach Abschnitt 7 (2.1) kanad-IStGHG der Versuch, das Anraten oder die Verschwörung zu einer „Pflichtverletzung“ sowie Teilnahme nach der Tat (accessory after the fact) ebenfalls strafbar sind. Diese im common law Rechtskreis als „unvollständig“ (inchoate)911 bezeichneten Begehungsformen und die Teilnahme nach der Tat912 können auch durch aktives Tun verwirklicht 908 Die dritte Variante (Versäumnis, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen in seiner Macht zu ergreifen, um die Angelegenheit den zuständigen Behörden vorzulegen (Abschnitt 5/7 (1)(c)(ii), (2)(d)(ii) kanad-IStGHG)) wird im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht. 909 Daher auch der Zusatz „subsequently“ in Abschnitt 5/7 (1)(c), (2)(d) kanadIStGHG. Bing Jia, YbIHL 2000, 147: „causal link“. 910 Vgl. hierzu 2. Teil B. I. 1. d); so aber Triffterer, LJIL 2002, 179–205 und Triffterer, in: Gedächtnisschrift für Vogler, S. 230; 251 ff. 911 Stuart/Delisle, S. 1079 ff.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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werden. Dies dürfte im Übrigen trotz fehlendem ausdrücklichen Verweises auch für den gleichlautenden Abschnitt 5 (2.1.) kanad-IStGHG gelten. Zusätzlich stellt sich bei diesen Begehungsformen die Frage, ob es erforderlich ist, dass die Personen „militärische Befehlshaber“ oder „Vorgesetzte“ im Sinne der Definitionen der Abschnitte 5 (4) und 7 (6) kanadIStGHG sind. Die Verwendung des Begriffs „jede Person“ (every person) in den Unterabschnitten spricht dafür, dass als „Versuchstäter“, „Verschwörer“, „Teilnehmer nach der Tat“ oder „Berater“ nicht nur Personen erfasst sind, die die definitorischen Merkmale der Unterabschnitte 4 bzw. 6 kanadIStGHG als „Vorgesetzter“ oder „Befehlshaber“ erfüllen. Andererseits würde auf diese Weise der Charakter der Vorschrift als „Vorgesetztenvorschrift“ unterlaufen, wenn jede Person als Versuchstäter oder Verschwörer einer „Pflichtverletzung“ strafrechtlich haften würde. Außerdem wäre es ein merkwürdiges, ja unsinniges Ergebnis, wenn eine Person bei Vollendung der Tat die definitorischen Voraussetzungen als „Befehlshaber“ oder „Vorgesetzter“ erfüllen müsste, bei einem Versuch jedoch nicht. In den Varianten „Versuch“ und „Verschwörung“ ist es daher erforderlich, dass die Person „Befehlshaber“ bzw. „Vorgesetzter“ i. S. v. Abschnitt 5 (4)/7 (6) kanadIStGHG ist. In den Varianten „Anraten“ und „Teilnahme nach der Tat“ hingegen bedarf es regelmäßig einer Haupttat eines Vorgesetzten.913 Bei diesen Varianten ist es nicht erforderlich, dass der „Berater“ oder „Teilnehmer nach der Tat“ selbst die definitorischen Voraussetzungen als „Befehlshaber“ bzw. „Vorgesetzter“ erfüllt.914 Der Charakter als „Vorgesetztenvorschrift“ ist wegen der Haupttat gewahrt. 2. Objektive, haftungseinschränkende Merkmale: „the offence relates to activities for which the superior has effective authority and control“ Für nicht-militärische Vorgesetzte ist zusätzlich vorausgesetzt, dass die Straftaten sich auf Tätigkeiten bezogen, über die der Vorgesetzte tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübte (Abschnitt 5/7 (2)(c) kanad912

Ob auch die nicht ausdrücklich erwähnte Beihilfe (aiding and abetting) erfasst ist, ist fraglich, befürwortend: Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 50. 913 Anders möglicherweise wieder beim „Anraten“ zu einer Tat, die später nicht begangen wird, Abschnitt 464 kanadStGB: „counselling offense that is not committed“. 914 Im common law gilt die Regel, dass der Teilnehmer nicht selbst die besonderen Merkmale für die Haupttat erfüllen muss; bspw. Ram and Ram [1893] 17 Cox CC 609 (eine Frau kann wegen Teilnahme an einer Vergewaltigung strafbar sein, auch wenn sie selbst nicht die Straftat begehen könnte).

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

IStGHG). Anders als in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut verwendet das kanadische Umsetzungsgesetz an dieser Stelle nicht den Begriff der „Verantwortung/Verantwortlichkeit“ (responsibility), sondern wiederholt den Begriff der „Führungsgewalt“ (authority). Dadurch wird klar, dass es an dieser Stelle nochmals um das Konzept der Führungsgewalt geht und nicht um ein davon abweichendes Konzept. Die Wiederholung des Begriffs „Führungsgewalt“ erscheint zunächst als eine überflüssige Doppelung. Anhaltspunkte dafür, was das Fehlen einer derartigen sachlichen Einschränkung bei den militärischen Befehlshabern bedeutet, gibt das kanadische Umsetzungsgesetz nicht. In Untergliederungspunkt a) bezieht sich die tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle allerdings auf Personen, in Untergliederungspunkt c) auf Tätigkeiten. Wie bereits im Hinblick auf die deutschen, schweizerischen und französischen Umsetzungsvorschriften ausgeführt,915 müssen nicht-militärische Vorgesetzte zusätzlich über die Tätigkeiten der Untergebenen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausüben, wobei es sich um Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation, Institution oder Einheit handeln muss. Einerseits könnten damit die sachlichen, fachlichen, örtlichen oder zeitlichen Grenzen der Führungsgewalt und Kontrolle besonders betont werden. Andererseits könnte mit der Formulierung, dass die Straftaten Tätigkeiten betreffen, über die der Vorgesetzte tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübte, aber auch gemeint sein, dass es eine Verbindung zwischen den Tätigkeiten der Untergebenen und den Straftaten im Sinne einer Organisationsbezogenheit der Straftaten gibt (crimes concerned activities).916 3. Subjektive Voraussetzungen Im kanadischen Umsetzungsgesetz gibt es keine allgemeinen Vorschriften zur mens rea. Auch das kanadische Strafgesetzbuch enthält keine allgemeine mens rea Vorschrift, sondern normiert je nach Straftat unterschiedliche subjektive Voraussetzungen. Abschnitte 5 und 7 kanad-IStGHG folgen dieser Tradition und lehnen sich an Art. 28 IStGH-Statut an, mit jedoch einer entscheidenden Abweichung: Ein „Vorgesetzter“ muss wie in Art. 28 b) i) IStGH-Statut entweder von den Straftaten der Untergebenen gewusst haben oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht gelassen haben. Ein „Befehlshaber“ ist strafbar, wenn er gewusst hat, dass Personen unter seiner Befehls-/Führungsgewalt und Kontrolle Straftaten be915 916

Vgl. 1. Kap. B. I. 2., II. 2., III. 2. Kap. B. I. 2. Vgl. 1. Kap. B. III. 2.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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gingen, oder wenn er „in strafrechtlich relevanter Weise fahrlässig“ (criminally negligent) nichts davon gewusst hat (Abschnitte 5/7 (1) kanadIStGHG). Die kanadische Umsetzungsvorschrift übernimmt damit nicht die Formulierung „hätte wissen sollen“ (should have known) aus Art. 28 a) i) IStGH-Statut. Die jeweils erste Alternative „Wissen“ bereitet wenig Schwierigkeiten. Im kanadischen Strafrecht bedeutet „Wissen“ aktuelle Kenntnis von allen Merkmalen des actus reus.917 Schwieriger sind die jeweils zweiten Alternativen zu beurteilen, in denen der Befehlshaber bzw. Vorgesetzte keine aktuelle Kenntnis hatte. Die kanadische Rechtsprechung hat neben der „Absicht“ (intent) und dem „Wissen“ (knowledge) weiterhin die „Rücksichtslosigkeit“ (recklessness) und „willentliche Blindheit“ (wilful blindness) als Formen des mens rea herausgearbeitet und sich überdies mit verschiedenen Formen von „Fahrlässigkeit“ (criminal negligence, inadvertent negligence, carelessness) auseinandergesetzt. Vieles ist ungeklärt, widersprüchlich und wird von Fall zu Fall entschieden. Ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung liegt in der Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Elementen im Rahmen der mens rea Konzepte, insbesondere der Frage, ob objektive oder subjektive Vorhersehbarkeit erforderlich ist.918 Das Konzept „Rücksichtslosigkeit“ gilt seit dem Fall Sansregret als höchstrichterlich geklärt.919 „Rücksichtslosigkeit“ liegt vor, wenn eine Person sich bewusst ist, dass ihre Handlung die Gefahr strafrechtlich verbotener Folgen in sich birgt, aber trotz des Risikos handelt. Das Gericht brachte es auf die Kurzformel: Jemand, der das Risiko sucht und auf Glück setzt.920 „Willentliche Blindheit“ soll nach Auffassung des Obersten Gerichts (Supreme Court) vorliegen, wenn eine Person sich bewusst ist, dass es weiterer Nachforschungen bedarf, weil eine Gefahr besteht, sie es aber vorzieht, unwissend zu bleiben, in der Kurzformel des Obersten Gerichts: Jemand, der es vorzieht, unwissend zu bleiben.921 Eine willentlich blinde Person sei so zu behandeln, als ob sie tatsächlich gewusst hätte.922 In Sansregret nahm 917

Stuart, S. 214. Stuart, S. 208 ff. 919 Sansregret (1985) 45 C.R. (3d) 193 (S.C.C.); Stuart, S. 225, Roach, S. 162; Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes., Bd. 5, S. 46. 920 Sansregret (1985) 45 C.R. (3d) 203 f. (S.C.C.): „One who seeks the risk and who takes the chance.“ 921 Sansregret (1985) 45 C.R. (3d) 206 f. (S.C.C.): „He would prefer to remain ignorant.“ 922 Sansregret (1985) 45 C.R (3d) 193 (S.C.C.): „where wilful blindness is shown, the law presumes know-ledge“; vgl. auch Finta, (1994) 1 S.C.R. 701: „essential quality of a war crime or crime against humanity is that the accused must be aware or wilfully blind to the fact that he is inflicting untold misery to the victims“; 918

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

das Gericht auch zur „Fahrlässigkeit“ (negligence) Stellung. Fahrlässigkeit verstanden als rein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß habe im Strafrecht grundsätzlich keinen Platz.923 Es gibt jedoch Straftaten im kanadischen Strafrecht, die bloße Fahrlässigkeit (objective crimes) voraussetzen.924 Abschnitt 219(1) kanadStGB definiert den Begriff „in strafrechtlicher Weise fahrlässig“ (criminally negligent):925 „Every one is criminally negligent who (a) in doing anything, or (b) in omitting to do anything that it is his duty to do, shows wanton or reckless disregard for the lives or safety of other persons.“926

„In strafrechtlich relevanter Weise fahrlässig“ meint nach Abschnitt 219(1) kanadStGB mehr als einen einfachen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß.927 Dies wird schon durch die Begriff „mutwillig“ und „rücksichtslos“ deutlich. Nach Auffassung des Obersten Gerichts im Fall Tutton ist auch mehr als grobe Fahrlässigkeit (gross negligence) gemeint. Es sei vielmehr Bewusstsein über die Bedrohung von Leben und Sicherheit anderer (advertence)928 oder aber willentliche Blindheit (wilful blindness) gegenüber der Bedrohung erforderlich.929 Insbesondere der Begriff „mutwillig“ (wanton) soll dabei auf eine willentliche Blindheit gegenüber der Bevgl. Mewett/Manning, S. 143 „deemed knowledge“; insbesondere auch in Fällen strafbaren Drogenbesitzes. 923 Sansregret (1985) 45 C.R. (3d) 204 f (S.C.C.): „Negligence, the failure to take reasonable care, is a creature of the civil law and is not generally a concept of having a place in determining criminal liability.“ ebenso Sault Ste. Marie (1978) 40 C.C.C.(2d) 353, 362 (S.C.C.): „mere negligence is excluded from the concept of the mental element required for conviction.“ (obiter dictum) 924 Vgl. Abschnitt 229(c) kanadStGB (Mord): „where a person, for an unlawful object, does anything that he knows or ought to know is likely to cause death.“ Stuart, S. 247, 162. 925 Diese Vorschrift war bereits 1955 in das Strafgesetzbuch im Hinblick auf Tötungsfälle im Straßenverkehr eingefügt worden (Abschnitt 202 a. F.), vgl. Stuart, S. 251. 926 Dt. Übersetzung durch Verf.: Jeder ist in strafrechtlich relevanter Weise fahrlässig (criminally negligent), der (a) entweder bei einem Tun oder (b) bei einem Unterlassen, etwas zu tun, das seine Pflicht ist, das Leben oder die Sicherheit anderer Personen mutwillig oder rücksichtslos missachtet. 927 Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 128; R. v. Tutton (1989) 1 S.C.R., 1392 (S.C.C.) (Eltern glauben an göttliche Heilung ihres Kindes und unterbrechen Insulingaben). 928 Stuart ordnet die „bewusste Fahrlässigkeit“ der Rücksichtslosigkeit zu, hält die „bewusste Fahrlässigkeit“ für eine falsche Bezeichnung Stuart, S. 209 und 227. 929 R. v. Tutton (1989) 1 S.C.R., 1392 (S.C.C.): „The phrase ‚wanton or reckless disregard for the lives or safety of other persons‘ signifies more than gross negligence in the objective sense. It requires some degree of awareness or advertence to the threat to the lives or safety of others or alternatively a wilful blindness to that threat which is culpable in light of the gravity of the risk assumed.“

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

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drohung hinweisen.930 Obwohl diese Interpretation von Abschnitt 219(1) kanadStGB nur von der Hälfte der Richter getragen wurde, stellt sie die bisher verbindliche Interpretation des Standards „in strafrechtlicher Weise fahrlässig“ dar.931 a) Nicht-militärische Vorgesetzte: „consciously disregards information that clearly indicates“ Das kanadische Umsetzungsgesetz übernimmt im Hinblick auf die nichtmilitärischen Vorgesetzten die Formulierung „bewusstes Außerachtlassen von eindeutigen Informationen“ aus Art. 28 b) i) IStGH-Statut. Vergleicht man diese Formulierung mit den von der Rechtsprechung anerkannten Formen der mens rea, so kommen wie in England Rücksichtslosigkeit und willentliche Blindheit in Betracht. Lässt der Vorgesetzte Informationen außer acht, die eindeutig auf Straftaten hindeuten, bedeutet dies wohl mehr als Rücksichtslosigkeit. Der Vorgesetzte setzt nicht bloß „auf Glück“, wie es das Gericht im Fall Sansregret formulierte. Denn der Vorgesetzte muss sich über die Brisanz der zur Verfügung stehenden Informationen im Klaren sein, die er außer acht lässt. Dies spricht vielmehr für die Form der willentlichen Blindheit. Eine willentlich blinde Person unterlässt es, sich näher zu informieren und „verschließt die Augen“.932 Sie nimmt „bewusst“ (deliberate) davon Abstand, sich letzte Gewissheit zu verschaffen.933 Es geht um ein Nicht-Wissen-Wollen.934 Die aus Art. 28 b) i) IStGH-Statut übernommene Formulierung ist daher auch im kanadischen Strafrecht als willentliche Blindheit einzuordnen.935

930 R. v. Tutton (1989) 1 S.C.R., 1392 (S.C.C.): „preferable interpretation is that the word ‚wanton‘ was intended to connote wilful blindness to the prohibited risk.“ 931 Im späteren Urteil R. v. Creighton (1993), 23 C.R. (4th) 189 (SCC), 219 wurde die Bedeutung von criminal negligence offen gelassen. 932 Blondin (1970), 2 C.C.C. (2d) 118 (B.C.C.A.) (unwissender Drogenkurier): „wilfully shut her eyes to what it was“; Jorgensen (1995), 102 C.C.C. (3d), 97, 135 (S.C.C.); Verdun-Jones, S. 146: „asking the final question“. 933 Jorgensen (1995), 102 C.C.C. (3d) 97, 135 (S.C.C); Mewett/Manning, S. 142: „his lack of knowledge is not reckless, but deliberate“; Stuart, S. 228 ff. 934 Sansregret (1985) 45 C.R. (3d) 206 f. (S.C.C.): „He would prefer to remain ignorant.“ 935 So auch Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 131. Wie im englischen Recht spricht nicht dagegen, dass sich willentliche Blindheit zumeist auf einen Tatumstand bezieht. Vgl. B. I. 3.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

b) Militärische Befehlshaber: Criminal negligence Während die kanadischen Umsetzungsvorschriften Art. 28 b) i) IStGHStatut wörtlich übernehmen, wird im Hinblick auf militärische Vorgesetzte dagegen nicht der Standard „should have known“ (hätte wissen sollen) übernommen. Vielmehr wird dieser durch den Standard „in strafrechtlicher Weise fahrlässig“ (criminally negligent) ersetzt. Der kanadische Gesetzgeber hat den Standard „should have known“ aus Art. 28 a) i) IStGH-Statut nicht übernommen, weil dieser nur eine sehr schwache Form der mens rea darstellt.936 Das Oberste Gericht hat es im Fall Vaillancourt jedoch für verfassungswidrig erklärt,937 eine Person wegen schwerer Verbrechen wie Mord usw. zu verurteilen, ohne dass im Hinblick auf die Todesfolge eine angemessene Schwelle der mens rea vorausgesetzt ist.938 Das Oberste Gericht begründete die Verfassungswidrigkeit vor allem mit der „Stigmatisierung“,939 die mit einer Verurteilung oder Bestrafung wegen eines schweren Verbrechens einhergeht.940 Es wäre daher nach kanadischem Recht verfassungwidrig, wenn ein Vorgesetzter auch dann wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verurteilt würde, wenn er bloß von der Begehung dieser Verbrechen durch seine Untergebenen „hätte wissen sollen“ (should have known). Deshalb wurden die Abschnitte 5 und 7 kanad-IStGHG als eigenständige Straftatbestände ausgestaltet und nicht als Begehungsform völkerrechtlicher Verbrechen.941 Auch wurde der Standard „should have known“ in Abschnitt 936

Burchards, S. 357. Vaillancourt (1987), 2 S.C.R. 636, 653 ff., 60 C.R. (3d) 289 (S.C.C.): Verstoß gegen Abschnitte 7 und 11 (d) der Charta der Rechte und Freiheiten (Canadian Charter of Rights and Freedoms). Im Fall Vaillancourt ging es um Abschnitt 230 d) kanadStGB (alte Fassung Abschnitt 213 d) „constructive murder“, eine Art Zurechnungstatbestand für Mord, der schließlich 1991 abgeschafft wurde. 938 Im Fall Martineau erklärte das Oberste Gericht dann, dass für eine Verurteilung wegen Mordes eine „subjektive Vorhersehbarkeit“ (subjective foresight) des Todes von Menschen zu beweisen sei. Martineau (1990) 79 C.R. (3rd) 129 (S.C.C.), 139: „proof beyond reasonable doubt of subjective foresight of death“. Es ging u. a. um Abschnitt 229 (c) kanadStGB (ebenfalls „constructive murder“). Vgl. schon Vaillancourt obiter dictum: „It is a principle of fundamental justice that a conviction of murder cannot rest on anything less than proof beyond a reasonable doubt of subjective foresight.“ 939 Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 47, 53, Robinson, in: National Legislation Incorporating International Crimes, S. 53. 940 Vaillancourt (1987) 2 S.C.R., 636, 653 f.: „stigma attached to the offence or the available penalties“. 941 Schabas, YbIHL 2002, 342; Gut/Wolpert, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 52, 53; Bélanger, http://www.oas.org/juridico/MLA/en/ can/en_can_cpienglish.html (Juni 2009), Abschnitt II c; Prost/Robinson, in: The 937

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

303

5 bzw. 7 kanad-IStGHG nicht verwendet, sondern durch den Standard „in strafrechtlicher Weise fahrlässig“ (criminally negligent) ersetzt. Es lässt sich argumentieren, dass auch eine Verurteilung wegen einer Pflichtverletzung als Vorgesetzter nach Abschnitt 5/7 kanad-IStGHG eine Stigmatisierung mit sich bringt, die es verbietet, aufgrund des niedrigen „should have known“-Standards zu verurteilen. Zu beachten ist, dass die Abschnitte 5/7 kanad-IStGHG mit lebenslanger Strafe bedroht sind, was ein Indiz für die Stigmatisierung darstellt.942 Die strafrechtlich relevante Fahrlassigkeit ist, wie erwähnt, in Art. 219(1) kanadStGB definiert. Für die Übertragbarkeit des Verständnisses von strafrechtlich relevanter Fahrlässigkeit in Abschnitt 219(1) kanadStGB in die Abschnitte 5 und 7 kanad-IStGHG spricht, dass die Begriffe im kanadischen Umsetzungsgesetz so ausgelegt werden sollen wie im Strafgesetzbuch.943 „In strafrechtlich relevanter Weise fahrlässig“ im Rahmen der kanadischen Umsetzungsvorschrift würde demzufolge ein Bewusstsein über die Gefahr oder gar willentliche Blindheit gegenüber der Gefahr, dass Untergebene Verbrechen begehen oder begangen haben, erfordern.944 Ein Befehlshaber haftet folglich, wenn er sich zumindest über die Gefahr bewusst ist (wenn nicht gar willentlich blind ist), dass seine Untergebenen Straftaten begehen oder begangen haben, und er trotzdem untätig blieb.945 Gegen die Auslegung könnte sprechen, dass auf diese Weise eine höhere Haftungsschwelle für Befehlshaber normiert würde, als es die Verfasser des Römischen Statuts beabsichtigten. Die Abweichung vom Wortlaut des Art. 28 IStGH-Statut bei den subjektiven Voraussetzungen allein bei der Alternative „hätte wissen sollen“ (should have known) war aber eine bewusste und gewollte Erhöhung der subjektiven Schwelle durch den Gesetzgeber.946 Durch die Anhebung der subjektiven Voraussetzungen bei militärischen Befehlshabern sind daher in der kanadischen Umsetzungsvorschrift die subjektiven Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte einander stark angenähert. Rome Statute and Domestic Legal Orders, Bd. II, S. 54 f.: vgl. auch Burchards, S. 357; Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 127 f. 942 Vgl. Vaillancourt (1987) 2 S.C.R., 636, 653 f.: „stigma attached to the offence or the available penalties“. 943 Abschnitt 2(2) kanad-IStGHG: „(2) Unless otherwise provided, words and expressions used in this Act have the same meaning as in the Criminal Code.“ 944 Kritisch auch Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 127 f., Fn. 105. 945 Dem Wortlaut zufolge muss der Vorgesetzte es „in strafrechtlicher Weise unterlassen haben zu wissen“ (criminally negligent in failing to know). Es handelt sich dabei um eine ungelenke Formulierung. 946 Bélanger, http://www.oas.org/juridico/MLA/en/can/en_can_cpienglish.html (Juni 2009), Abschnitt II c.

304

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

4. Begriff des militärischen Befehlshabers/Vorgesetzten Wie Art. 28 IStGH-Statut unterscheiden die Abschnitte 5 und 7 kanadIStGHG in Unterabschnitten zwischen der Verantwortlichkeit eines „militärischen Befehlshabers“ und der eines „Vorgesetzten“. Der Begriff „militärischer Befehlshaber“ umfasst nach der Legaldefinition der Abschnitte 5/7 (4) kanad-IStGHG eine Person, die tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelt, und eine Person, die „die Polizei mit einem Grad an Führungsgewalt und Kontrolle befehligt, der dem eines militärischen Befehlshabers vergleichbar ist.“ „Vorgesetzte“ sind Personen mit Führungsgewalt, die nicht militärischer Befehlshaber sind. Die Gruppe der „Vorgesetzten“ (superior) ist folglich wie in Art. 28 IStGH-Statut negativ vom „militärischen Befehlshaber“ abgegrenzt und stellt eine Auffanggruppe dar. Wie in Art. 28 a) IStGH-Statut findet sich die Formulierung „tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnd“ (effectively acting as military commander). Darüber hinaus nimmt die Legaldefinition Bezug auf die Polizei und normiert eine eigene Kategorie der „Polizeikommandeure“, die Art. 28 IStGH-Statut nicht kennt. „Polizeikommandeure“ werden im kanadischen Umsetzungsgesetz wie „militärische Befehlshaber“ behandelt, auch wenn sie nur einen „vergleichbaren Grad“ an Führungsgewalt und Kontrolle ausüben. Die Formulierung ähnelt den Ausführungen des Ad-hoc-Gerichtshofs für Jugoslawien im Fall Cˇelebic´i. In Bezug auf „zivile Vorgesetzte“ führten die Kammern aus, dass diese einen Grad an Kontrolle ausüben müssten, der dem eines militärischen Befehlshabers „(im Wesentlichen) ähnlich“ sei.947 Das kanadische Umsetzungsgesetz ordnet die „Polizeikommandeure“, die nur einen „vergleichbaren“ Grad an Führungsgewalt und Kontrolle ausüben, jedoch anders als die Ad-hoc-Tribunale der Gruppe der „militärischen“ Befehlshaber zu. Begründet wird dies lapidar damit, dass auch die Sicherheitskräfte des Innern oft schwere Verbrechen begehen.948 Lässt man aber einen geringeren, weil nur „vergleichbaren“ Grad an Führungsgewalt ausreichen, unterfallen Vorgesetzte in der Polizei möglicherweise eher der strengeren Haftung für militärische Vorgesetzte, als es beispielsweise die Verfasser der Römischen Statuts beabsichtigten. Überdies greift hier die bereits bei den englischen Vorschriften dargestellte Kritik, dass die Annahme unterschiedlicher Grade von Kontrolle sowohl mit der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale als auch mit der der 947 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 378: „doctrine of Command Responsibility extends to civilian superiors only to the extent that they exercise a degree of control over their subordinates which is similar to that of military commanders.“; Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil v. 20.2.2001, Para. 197. 948 Robinson, in: National Legislation Incorporating International Crimes, S. 53.

B. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut

305

Vorverfahrenskammer im Fall Bemba im Widerspruch steht, die denselben Grad and Kontrolle für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte voraussetzen.949 Mit dem Verweis auf die Polizeikommandeure wird wohl verdeutlicht, dass auch zivile Institutionen (wie die Polizei) in der Weise militarisiert sein können, dass sie wie militärische Einheiten funktionieren und Vorgesetzte in ihnen „wie“ militärische Befehlshaber agieren. Für diese Auslegung spricht, dass nicht erkennbar ist, dass der kanadische Gesetzgeber generell eine besonders strenge Haftung der Polizei beabsichtigte oder eine ansonsten gezielte Abweichung von Art. 28 IStGH-Statut wollte, wie dies beispielsweise bei der Festlegung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen für militärische Vorgesetzte der Fall ist. Für diese Auslegung spricht auch die Sonderrolle, die die königlich-kanadische berittene Polizei (Royal Canadian Mounted Police)950 in Kanada spielt, und die man möglicherweise bei der Herausstellung der „Polizeikommandeure“ vor Augen hatte. Sie ist militärähnlich aufgebaut, verwendet militärische Ränge, ist jedoch nicht Teil des Militärs.951 Früher wurde die königlich-kanadische berittene Polizei auch in kriegerischen Konflikten eingesetzt.952 Heute ist sie vor allem für die Durchsetzung des kanadischen Bundesrechts zuständig.953 III. Zusammenfassung: Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Kanada und England haben Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGHStatut erlassen, die sehr nah an den Wortlaut von Art. 28 IStGH-Statut angelehnt sind. Die Umsetzungsvorschriften übernehmen insbesondere die besonderen objektiven Merkmale des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut für nicht-militärische Vorgesetzte nahezu wörtlich. Kanada ersetzt den Begriff der „tatsächlichen Verantwortung“ durch „tatsächliche Führungsgewalt“, wodurch möglicherweise die sachlichen, fachlichen, örtlichen oder zeitlichen Grenzen der Führungsgewalt und Kontrolle besonders betont werden. 949

Vgl. B. I. 4. Ähnliche bewaffnete Polizeieinheiten sind bspw. die Carabinieri in Italien, die sogar Teil des Militärs sind, oder die Gendarmerie Nationale in Frankreich oder Guardia Civil in Spanien. 951 Abschnitt 2 Royal Canadian Mounted Police Act, R.S. 1985, c. R-10: „ ‚Force‘ means the Royal Canadian Mounted Police“. 952 Beispielsweise in der Schlacht von Duck Lake 1885. 953 Abschnitt 4 des Royal Canadian Mounted Police Act legt lediglich fest: „The Force may be employed in such places within or outside Canada as the Governor in Council prescribes.“ Als besondere Einsatztruppen fungieren sogenannte Noteinsatztruppen (Emergency Response Teams, die Ähnlichkeiten mit den SWATs. haben). Vgl. www.rcmp.gc.ca/ert/ert_e.htm (Juni 2009). 950

306

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so übernimmt die englische Umsetzungsvorschrift die Formulierung des Art. 28 a) i) IStGH-Statut wörtlich, obwohl es einige Bedenken hinsichtlich des „should have known“Standards gegeben hatte. Da auch in der Rechtsprechung eine Abwendung von objektiven Fahrlässigkeitsmaßstäben erkennbar ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass innerhalb von Art. 28 a) i) IStGH-Statut eine höhere Schwelle der mens rea erforderlich ist. Die kanadischen Umsetzungsvorschriften haben den „should have known“-Standard durch einen Standard der strafrechtlichen Fahrlässigkeit ersetzt, was Bewusstsein über die Gefahr der Straftatbegehung bzw. willentlichen Blindheit voraussetzt. Durch die Anhebung der subjektiven Voraussetzungen bei militärischen Befehlshabern sind daher in der kanadischen Umsetzungsvorschrift die subjektiven Voraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte einander stärker angenähert. Sowohl in Kanada wie auch in England ist die Umschreibung des Art. 28 b) i) IStGH-Statut „bewusst eindeutige Informationen außer acht lassen“ als „willentliche Blindheit“ einzustufen. Was die Abgrenzung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten angeht, so ordnen die kanadischen Vorschriften die sogenannten Polizeikommandeure der Gruppe der militärischen Vorgesetzten zu, soweit diese einen vergleichbaren Grad an Führungsgewalt und Kontrolle ausüben wie ein militärischer Befehlshaber. Hiermit soll vor allem die königlich-kanadische berittene Polizei erfasst werden. Die Zuordnung könnte darauf hinweisen, dass die Abgrenzung des militärischen vom nicht-militärischen Vorgesetzten in Art. 28 IStGH-Statut ebenfalls von dem Grad an Kontrolle abhängt. Allerdings geriete eine Abgrenzung über den Grad der Führungsgewalt und Kontrolle mit der ständigen Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale und auch der Vorverfahrenskammer im Fall Bemba in Konflikt, die für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte gleichermaßen gilt.954 Den englischen und kanadischen Umsetzungsvorschriften liegt daher ein materielles Verständnis von militärisch zugrunde, das in der Funktion der Einheit zu suchen ist. Wie im Hinblick auf die deutschen und schweizerischen Umsetzungsvorschriften diskutiert, kann die Ausrichtung einer militärischen Truppe oder Einheit auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei als zentral angesehen werden.

954

Vgl. zur Begriffsbestimmung in 4. Teil E. IV.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

307

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften und -regeln I. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht 1. Command Responsibility in den USA a) Yamashita und Medina Die Command Responsibility ist in den USA in Bezug auf militärische Befehlshaber anerkannt. Es war eine US-amerikanische Militärkommission, die im Fall Yamashita955 zum ersten Mal eine Verurteilung wegen einer Verletzung der Command Responsibility aussprach. Das Oberste Gericht der USA (Supreme Court), das als Rechtsmittelinstanz angerufen worden war,956 erklärte noch im Jahr 1945, dass Befehlshaber eine Pflicht haben, Truppen unter ihrer Befehlsgewalt zu kontrollieren, um Verletzungen des Kriegsrechtes zu verhindern, die nur allzu häufig bei der Besetzung eines Gebietes durch unkontrollierte Soldaten begangen würden.957 Die Ausführungen des Gerichts waren aber derart vage und unbestimmt, dass noch nicht von einem ausgearbeiteten Konzept der Vorgesetztenverantwortlichkeit gesprochen werden kann. Insbesondere die subjektiven Voraussetzungen sind ungeklärt geblieben.958 Die Command Responsibility spielte auch im Verfahren gegen Captain Medina vor einer US-amerikanischen Militärkommission im Jahre 1971959 eine Rolle. Medina wurde zwar letztlich vom Vorwurf des Mordes an unbe955 Zum Fall Yamashita vgl. Lael, The Yamashita Precedent, Delaware 1982, und bereits oben 1. Teil. 956 In re Yamashita, 327 U.S. 1 (1945); AJIL 1946, 433. Ein zunächst beim Supreme Court der Philippinen eingelegtes Rechtsmittel blieb ebenfalls erfolglos. 957 327 U.S. 1 (1945), 25, AJIL 1946, 438: „The question then is whether the law of war imposes on an army commander a duty to take such appropriate measures as are within his power to control the troops under his command for the prevention of the specified acts which are violations of the law of war and which are likely to attend the occupation of hostile territory by an uncontrolled soldiery, and whether he may be charged with personal responsibility for his failure to take such measures when violations result.“ Das Gericht bejaht diese Frage. 958 Judge Murphy vertrat eine abweichende Meinung: „Nothing in all history or in international law, at least as far as I am aware, justifies such a charge against a fallen commander of a defeated force. [. . .] International law makes no attempt to define the duties of a commander of an army under constant and overwhelming assault; nor does it impose liability under such circumstances for failure to meet the ordinary responsibilities of command. The omission is understandable.“ 959 U.S. v Medina, C.M. 427162 (1971). Vgl. Beschreibung von Eckhardt, MLR 1982, 1 ff., 30 ff.; Eckhardt war Chefankläger in dem Verfahren.

308

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

waffneten Zivilisten während des Vietnamkrieges freigesprochen, aber die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit war zentraler Gegenstand des Prozesses. Anders als im Fall Yamashita machten die Militärrichter klar, dass sie einen Befehlshaber nur dann für Straftaten seiner Untergebenen verantwortlich machen wollten, wenn dieser positive Kenntnis von den Straftaten gehabt hatte.960 Die Command Responsibility war und ist bis heute nicht im US-amerikanischen Militäreinheitsgesetzbuch niedergelegt. Captain Medina wurde vielmehr eine „Beteiligung“ an den Verbrechen seiner Soldaten nach allgemeinen Regeln (Art. 77 US-MilGB) zur Last gelegt. b) Artikel 77, 92 US-MilGB: Beteiligung und Pflichtvernachlässigung (dereliction of duty) Art. 77 US-MilGB lautet:961 „Any person punishable unter this chapter who – (1) commits an offense punishable by this chapter, or aids, abets, counsels, commands, or procures its commission; or (2) causes an act to be done which of directly performed by him would be punishable by this chapter; is a principal.“962

In den Handbüchern für die Militärgerichte (Manual for Courts-Martial (MCM)) ist diese Vorschrift näher erläutert. Es heißt dort: „In some circumstances, inaction may make one liable as a party, where there is a duty to act. If a person (for example, a security guard) has a duty to interfere in the commission of an offense, but does not interfere, that person is a party to the crime if such a noninterference is intended to and does operate as an aid or encouragement to the actual perpetrator.“963 960

Vgl. Wortlaut der Instruktion an die Jury, abgedruckt bei Smidt, MLR 2000,

196. 961

Die dem Medina-Verfahren zugrundegelegte Vorschrift hatte denselben Wort-

laut. 962

Art. 77 US-MilGB, dt. Übersetzung durch Verf.: Jede Person ist nach diesem Kapitel strafbar, die (a) eine Straftat begeht, die nach diesem Kapitel strafbar ist, oder deren Begehung unterstützt, dazu anrät, befehligt, oder diese veranlasst; oder (b) eine Handlung verursacht, die, wäre sie direkt durch sie vorgenommen worden, nach diesem Kapitel strafbar wäre; ist ein Täter. 963 Teil IV-1 f., 1b.(2)(b) MCM 2005, „Erläuterung zu Art. 77“, dt. Übersetzung durch Verf.: Unter bestimmten Umständen kann die Untätigkeit zu der Haftung als Täter führen, wenn es eine Pflicht zum Handeln gibt. Wenn eine Person (z. B. ein Wächter, security guard) eine Pflicht zum Einschreiten bei der Begehung einer Straftat hat, aber nicht einschreitet, haftet diese Person als Täter des Verbrechens, wenn das

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

309

Soweit militärische Vorgesetzte eine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten haben und diese Pflicht nicht erfüllen, müssen sie sich folglich auch wegen dieses Unterlassens vor Militärgerichten verantworten. Allerdings steht eine Haftung zusätzlich unter der Voraussetzung, dass das Unterlassen nicht nur die Begehung der Straftat tatsächlich gefördert hat, sondern dass der Vorgesetzte dies auch wollte (intended). Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu Art. 28 IStGH-Statut. Das Unterlassen eines Befehlshabers ist nach US-amerikanischem Militärrecht strafbar, wenn der Befehlshaber dadurch Untergebene zu Straftaten ermutigen wollte.964 Welche subjektiven Voraussetzungen mit dem Begriff „beabsichtigt/vorsätzlich“ (intended) gemeint sind, ist nicht ganz eindeutig, da die Formen der mens rea auch in den USA, abgesehen vom Modellstrafgesetzbuch (§ 2.02 (2)), nicht klar definiert sind. Wie im Medina-Verfahren wird „positive Kenntnis“ des Befehlshabers verlangt.965 Damit ist Art. 77 US-MilGB weniger streng als Art. 28 a) IStGH-Statut, wonach militärische Befehlshaber auch bei fehlender Kenntnis (should have known) haften. Art. 77 US-MilGB stellt keine Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit dar,966 sondern ermöglicht lediglich die Haftung des Vorgesetzten nach allgemeinen Vorschriften. US-Militärgerichte haben in einigen Fällen Vorgesetzte wegen Unterstützungshandlungen (aiding, abetting, encouraging967) verurteilt,968 teilweise auch freigesprochen. Im Fall Waluski diskutierte Richter Latimer in einem zustimmenden Votum die Haftung des Vorgesetzten, allerdings nur als Beifahrer im Hinblick auf ein „unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“. Der Vorgesetzte habe dafür zu sorgen, dass der Untergebene seine Wartepflichten erfüllt.969 Im Militäreinheitsstrafgesetzbuch findet sich überdies das Delikt der „Pflichtvernachlässigung“ (dereliction of duty). Nach Art. 92 US-MilGB (892 US-GB) „Any person is subject to this chapter who [. . .] (3) is derelict in the performance of his duties.“970 Nichteinschreiten als Hilfe oder Unterstützung für den tatsächlich handelnden Täter beabsichtigt/vorsätzlich war und sich auch in dieser Weise ausgewirkt hat. 964 Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 462. 965 Eckardt, MLR 1982, 18. 966 Weltz, S. 93. 967 U.S. v. Waluski 6 C.M.A. 724 (1956): „Under Article 77, [. . .] however, an aider and abettor is a principal.“ 968 U.S. v. Thompson, 50 M.J. 257 (C.M.A. 1999) (Rape, Dereliction of duty); weitere Nachweise bei Weltz, S. 89, Fn. 173. 969 U.S. v. Waluski 6 C.M.A. 724, 732 f (1956); vgl. andere Begründung in „zivilen“ Beifahrer-Fällen; dort geht es um die Nicht-Ausübung von Kontrollgewalt; unter IV.

310

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Diese Vorschrift wird teilweise im Zusammenhang mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit genannt,971 ist allerdings so unspezifisch, dass sie von einer Vorgesetztenverantwortlichkeit sehr weit entfernt ist. Anders als die vergleichbar weiten postsowjetischen Vorschriften zur Pflichtvergessenheit und zum Unterlassen im Dienst972 setzt die US-amerikanische Vorschrift nicht einmal einen besonderen Taterfolg voraus. Die Tatsache, dass sich keine spezifische Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im US-Militäreinheitsgesetzbuch befindet, ist erstaunlich und wird von einigen Autoren kritisiert. So spricht sich der Militärrechtler Smidt für eine Reform des Militärgesetzbuchs und die Einführung einer an Art. 28 a) IStGH-Statut orientierten Vorschrift aus, da das US-amerikanische Recht deutlich hinter dem internationalen Recht zurückbleibe.973 Eine Kodifizierung könnte nicht zuletzt zu einer höheren Akzeptanz und einem höheren Vertrauen in die Operationen US-amerikanischen Streitkräfte führen.974 Besondere Aktualität hat die Frage nach der Vorgesetztenverantwortlichkeit im Skandal um Folter und Misshandlungen irakischer Häftlinge im Gefängnis Abu Ghraib975 gewonnen, der im April 2004 an die Öffentlichkeit gelangt war.976 Verschiedene Berichte über das Gefängnis Abu Ghraib befassten sich mit der Verantwortlichkeit der hochrangigen Militärs sowie der des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld.977 Neben der Frage, ob die Misshandlungen von oberster Stelle angeordnet worden waren, befasste sich vor allem die Presse978 und Literatur979 auch mit der Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Verfahren vor US-Militärgerichten wurden al970

Nach Art. 92 US-MilGB/10 US-GB § 892, dt. Übersetzung durch Verf.: „ist eine Person strafbar und unterliegt den Vorschriften des Kapitels [. . .] (3), wenn sie die Erfüllung ihrer Pflichten vernachlässigt.“ 971 Parks, MLR 1973, 100 f.; Monroe, Iowa Law Re view 2006, 1378 f. 972 Vgl. 3. Kap. C. II. 973 Smidt, MLR 2000, 156, 217. Smidt will allerdings die Haftung entweder auf Militäroperationen außerhalb der USA oder auf Kriegszeiten oder bewaffnete Konflikte beschränken. 974 Smidt, MLR 2000, 156. 975 Und ebenfalls im Gefangenenlager Guantanamo. 976 Vgl. Hersh, Chain of Command, 2004, der auch die Ereignisse in Afghanistan mit einbezieht. 977 Taguba-Bericht von April 2004, http://news.findlaw.com/hdocs/Docs/iraq/ tagubarpt.html (Juni 2009); Schlesinger-Bericht von August 2004, www.defense link.mil//news/Aug2004/d20040824finalreport.pdf (Juni 2009), S. 43: „commanding officers failed [. . .] such failures contributed directly or indirectly to detainee abuse“. 978 Hersh, The New Yorker v. 24.5.2004; Bacevich, Washington Post 28.6.2005 (A 15).

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

311

lerdings nur gegen Soldaten niederen Ranges eingeleitet.980 Die Frage der Command Responsibility war daher nicht Gegenstand dieser Verfahren.981 c) Feldhandbücher Die Command Responsibility findet sich in verschiedenen militärischen Feldhandbüchern wieder. So lautet die Vorschrift des US-amerikanischen Feldhandbuchs Nr. 27-10 (Law of Land Warfare) Nr. 501: „If a war crime is committed, the commander of occupied territory is responsible if he has actual knowledge, or should have knowledge, through reports received by him or through other means, that troops or other persons subject to his control are about to commit a war crime, and he fails to take the necessary and reasonable steps to insure compliance with the law of war.“982

Die Regelungen in den Feldhandbüchern zielen nur auf militärische Befehlshaber. In ihrer Formulierung erinnern sie an die Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Zusatzprotokoll I bzw. in den Statuten der Ad-hoc-Tribunale. Wie in Art. 28 a) IStGH-Statut ist der Befehlshaber nicht nur verantwortlich, wenn er von Rechtsverletzungen wusste, sondern auch, wenn er davon hätte wissen sollen (should have known). Trotz des eindeutigen Wortlautes wird insbesondere wegen des Medina-Verfahrens überwiegend positive Kenntnis (knowledge) gefordert.983 979 Arnold, JICJ 2004, 1004 ff.; deutlicher: Danner/Martinez, California Law Review 2005, 156 ff.; Hansen, Gonzaga Law Review 2006–2007, 335–414; Monroe, Iowa Law Review 2006, 1397 ff. 980 Sivits (Mai 2004), Graner (10 Jahre Haft, Januar 2005), Lynndie England (3 Jahre Haft, September 2005); Die Anklagen waren vor allem auf Art. 81, 92, 93 US-MilGB = 10 US-GB §§ 881, 892, 893 (conspiracy to maltreat, dereliction of duty, cruelty and maltreatment) gestützt. 981 Bedeutung erlangte die Frage nach einer Vorgesetztenverantwortlichkeit allerdings bei dem Versuch, in Deutschland ein Verfahren einzuleiten. Die Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights (CCR) reichte Ende 2004 und 2007 Strafanzeigen beim Generalbundesanwalt der BRD u. a. gegen den US-Verteidigungsminister Rumsfeld, den ehemaligen CIA-Direktor Tenet, General Ricardo Sanchez und andere hochrangige Mitglieder der Regierung und der Streitkräfte der USA ein und stützte sich u. a. auch auf §§ 13, 14 VStGB. 982 FM 27-10 und FM 27-2 (1956) Para. 501, dt. Übersetzung durch Verf.: Der Befehlshaber eines besetzten Gebietes ist auch verantwortlich, wenn er aktuelle Kenntnis davon hatte, oder aufgrund von Berichten, die er erhalten hat, oder auf andere Weise Kenntnis davon hätte haben sollen, dass Truppen oder andere Personen unter seiner Kontrolle im Begriff waren, ein Kriegsverbrechen zu begehen, und er es unterließ, die erforderlichen und angemessenen Schritte zu unternehmen, um die Einhaltung des Rechts des Krieges zu gewährleisten oder die Rechtsverletzer zu bestrafen. 983 Eckardt, MLR 1982, 18.

312

3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Die Feldhandbücher stellen nur eine „verbindliche Leit- oder Richtlinie“ (authoritative guidance) dar. Befehlshaber sollen sich an den Feldhandbüchern orientieren, die Vorschriften können aber nicht als Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung durch Militärgerichte herangezogen werden.984 2. Command Responsibility in England und Kanada In Kanada und Großbritannien war die Command Responsibility vor Verabschiedung der IStGH-Umsetzungsgesetze ebenfalls nur rudimentär verankert. Ähnlich wie im US-amerikanischen Militäreinheitsgesetzbuch war es möglich, einen Befehlshaber nach allgemeinen Regeln wegen einer Beteiligung an Straftaten seiner Untergebenen haftbar zu machen (insbesondere aiding and abetting).985 Wie in den USA gibt es darüber hinaus allgemein gehaltene Vorschriften über die „Vernachlässigung militärischer Pflichten“ (dereliction of duty),986 die jedoch von einer Command Responsibility weit entfernt sind. Wie in den USA sind spezielle Vorschriften über die Command Responsibility allein in den nicht rechtsverbindlichen Feldhandbüchern987 enthalten. Obwohl das britische Feldhandbuch nahezu gleichlautend wie das US-amerikanische Feldhandbuch eine Haftung des Befehlshabers vorsieht, wenn dieser von den Straftaten zwar nichts wusste, aber „hätte wissen sollen“ (should have known), scheidet auch in England nach herrschender Meinung eine Haftung aufgrund von bloßer Fahrlässigkeit aus.988 Verfahren vor britischen oder kanadischen Gerichten nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich mit der Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit befassen, gibt es wenig.989 In dem für Kanada wichtigen Verfahren gegen Imre 984 Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 464 Fn. 285: „evidentiary value“; May/Powles, Criminal Law Review 2002, 377. 985 Kan: Abschnitt 72 (1) kanadVerteidG lautet: „Every person is a party to and guilty of an offence who (a) actually commits it; (b) does or omits to do anything for the purpose of aiding any person to commit it; (c) abets any person in committing it; or (d) counsels or procures any person to commit it.“ Engl.: Turns, Journal of Armed Conflict 1999, 33 (Abschnitt 69 brit-ArmeeG). 986 Art. 124 kanadVerteidG: „Every person who negligently performs a military duty imposed on that person is guilty of an offence and on conviction is liable to dismissal with disgrace from Her Majesty’s service or to less punishment. R.S., c. N-4, s. 114.“ 987 Engl.: Manual of Military Law, III The Law of War on Land, para. 631 (1958); Kan: LOAC Manual (1999), S. 15-1, § 7. 988 Turns, Journal of Armed Conflict 1999, 33; Rowe/Meyer, Northern Ireland Legal Quarterly 1994, 353 f. 989 Nach May und Powles gab es in Großbritannien bis zur Verabschiedung des Umsetzungsgesetzes überhaupt keine Verfahren, vgl. Criminal Law Review 2002,

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Finta aus dem Jahr 1994990 stand nicht die Vorgesetztenverantwortlichkeit im Vordergrund; vielmehr ging es um die Rechtfertigung durch Berufung auf Befehle.991 Bedeutung gewann die Frage nach der Vorgesetztenverantwortlichkeit allerdings in den 1990er Jahren, als sich einige kanadische Soldaten vor Militärgerichten wegen Folterung und Tötung während des UN-Einsatzes in Somalia verantworten mussten. Insbesondere ging es um die Tötung eines Somaliers im Jahr 1993,992 der auf das Gelände des Airborne Regiments eingedrungen, von Soldaten eingesperrt und gefoltert worden und noch in derselben Nacht verstorben war. Die Befehlshaber wurden wegen „nachlässiger Pflichterfüllung“ nach Abschnitt 124 kanadVerteidG verurteilt, allerdings erhielten sie keine Haftstrafen, sondern lediglich Verweise (reprimands993).994 Dem höchstrangigen befehlshabenden Kommandeur der Einheit Lieutenant-Colonel Mathieu wurde ebenfalls eine „Pflichtvernachlässigung“ nach Art. 124 kanadVerteidG vorgeworfen. Das Militärgericht sprach ihn jedoch von diesem Vorwurf frei, nach erfolgreicher Berufung zum Militärberufungsgericht kam es zu einem erneuten Verfahren, das jedoch den Freispruch bestätigte, da es keinen ausreichenden Bezug zu dem Tod des Eindringlings gebe.995 Eine spezielle Untersuchungskommission hatte in ihrem Bericht insbesondere das Führungspersonal für das Fehlverhalten der Soldaten verantwortlich gemacht und zeigte sich enttäuscht über den Freispruch.996 Es sah insbesondere in der Militärordnungen (Code of Service Discipline) eine ausreichende Grundlage für die Verurteilung eines Befehlshabers, wenn dieser Straftaten seiner Soldaten nicht gestoppt habe.997 377; vgl. für Kanada, ICRC, Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, Teil 2, S. 3751–3752. 990 Finta (1994) 1 S.C.R. 701, 28 C.R. (4th) 265 (S.C.C.). 991 Finta gehörte zur ungarischen Gendarmerie, die in Szeged Juden interniert und schließlich zu den Konzentrationslagern transportiert hatte. Dies geschah auf Grundlage des Baky-Befehls. Vgl. näher dazu Burchards, Die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen durch Drittstaaten. Das kanadische Beispiel, 2005. 992 Der Fall Shidane Arone. Verantworten mussten sich die Soldaten Brown und Matchee. 993 Zur Militärgerichtsbarkeit sowie zu den verhängbaren Strafen vgl. McNaim, Criminal Law Quarterly 2000, 243 ff., 390. 994 Mayor Seward als Befehlshaber der Kompagnie und Captain Sox als Befehlshaber des Zuges (platoon). 995 Vgl. R. v. Mathieu, C.M.A.C. file # 379, 6.11.1995, Militärberufungsgericht verfügt erneute Verhandlung. 996 Inquiry Commission, Final Report of the Commission of Inquiry into the Deployment of Canadian Forces in Somalia, Bd. 4, Abschnitt Lieutenant-Colonel (Retired) Carol Mathieu. Im Internet unter http://www.dnd.ca/somalia/somaliae.htm (Juni 2009).

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

In Großbritannien mussten sich einige höherrangige Offiziere vor britischen Militärgerichten wegen nachlässiger Pflichterfüllung im Zusammenhang mit dem Tod eines irakischen Häftlings im September 2003 verantworten. Die Anklage stützte sich bereits auf das neue britische Umsetzungsgesetz zum IStGH-Statut. Die Offiziere waren allerdings nur wegen einer Pflichtverletzung angeklagt und sind im Februar und März 2007 frei gesprochen worden.998 3. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht In den USA, in Kanada und in Großbritannien ist die Command Responsibility nur in nicht rechtsverbindlichen Feldhandbüchern enthalten. Militärische Vorgesetzte können entweder nach allgemeinen Regeln aufgrund einer „Beteiligung“ an den Straftaten ihrer Untergebenen oder aber aufgrund von Sonderdelikten der „Pflichtvernachlässigung“ (dereliction of duty) zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Letztere sind allerdings so unspezifisch gefasst, dass sie von einer Vorgesetztenverantwortlichkeit weit entfernt sind. II. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern und Unternehmensleitern Im Bereich der Amtsdelikte außerhalb des militärischen Bereichs gibt es keine Doktrin der strafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit. Das USModellstrafgesetzbuch schlägt im Kapitel „Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung“ im Wesentlichen Bestechlichkeitsdelikte vor.999 Auch das USBundesstrafrecht kennt keine allgemeine Regel, wonach Amtspersonen oder öffentliche Bedienstete (public officer) für die Straftaten ihrer Untergebenen strafrechtlich haften. In einigen US-Bundesstaaten ist teilweise lediglich ein nicht näher definiertes Fehlverhalten im Amt (official misconduct) unter 997 Inquiry Commission, Final Report of the Commission of Inquiry into the Deployment of Canadian Forces in Somalia, Bd. 5: „Indeed, we believe that the Code of Service Discipline and the Queen’s Regulations and Orders (QR&O) provide ample authority for holding officers accountable for neglecting to intervene to prevent misconduct by those under their command.“ 998 Anklage gegen Warrant Officer Mark Davies, Major Michael Peebles und Colonel Jorge Mendonca wegen Pflichtvernachlässigung (negligently performing a duty); BBC News v. 22.01.2007, http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk/6288501.stm (Juni 2009), und BBC News v. 13.3.2007. http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk/6360845.stm (Juni 2009). 999 Offenses against Public Administration, Abschnitte 240 ff. US-ModellStGB.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Strafe gestellt. In den meisten Fällen gehören diese Straftatbestände aber zu den Bestechlichkeitsdelikten.1000 Gleiches gilt für England und Kanada.1001 Englische Gerichte haben das common law Delikt „Fehlverhalten im Amt“ (misconduct in public office) anerkannt, ohne dass dieses aber auf die besondere Konstellation der Vorgesetztenverantwortlichkeit zugeschnitten ist.1002 Anerkannt ist der Grundsatz respondeat superior hingegen im Schadensersatzrecht. So kann beispielsweise ein Vorgesetzter in der Polizei auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn ihm unterstellte Polizisten sich rechtswidrig verhalten, auch wenn sie Straftaten begehen und dadurch Schaden verursachen.1003 Insbesondere vor US-amerikanischen Zivilgerichten kann in Schadensersatzprozessen auch „punitiver Schadensersatz“ (punitive damages) verhängt werden, der strafähnlichen Zwecken dient. Besondere Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen, die auf den Grundsatz respondeat superior gestützt sind, werden im Abschnitt V. untersucht. Für die Frage der Vorgesetztenverantwortlichkeit im Unternehmen sind insbesondere die US-amerikanische Lehre vom Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer doctrine) und englische und kanadische Direktorenhaftungsklauseln von Interesse. Diese wurden nicht nur im privatwirtschaftlichen Bereich auf Unternehmensleiter angewandt, sondern teilweise auch auf öffentliche Angestellte ausgeweitet. So kann unter bestimmten Umständen auch das Leitungspersonal in öffentlichen Körperschaften oder Unternehmen nach einer Lehre vom verantwortlichen öffentlichen Angestellten (teilweise wird von „responsible federal employee doctrine“1004 gesprochen) zur Verantwortung gezogen werden. 1000

Vgl. nähere Hinweise bei Weltz, S. 60. Beispielsweise Abschnitt 128 kanadStGB „Misconduct of officers executing process“. 1002 R. v. Dytham (1979), 3 All ER 641, CA (Anwesender Polizist verhindert Schlägerei nicht); vgl. auch A-G’s Reference No. 3 of 2003 [2004] 3 WLR 451, [2004] EWCA Crim 868: Voraussetzungen für Fehlverhalten im Amt (misconduct in public office): 1. a public officer acting as such, 2. wilfully neglects to perform his duty and/or wilfully misconducts himself, 3. to such a degree as to amount to an abuse of the public’s trust in the office holder, 4. without reasonable excuse or justification. 1003 Vgl. Engl: z. B. Abschnitt 42 Police Act 1997, c. 50 (Amend. 2002): „The Director of the NCIS shall be liable in respect of an unlawful conduct of constables under his direction and control in the performance or purported performance of their functions in like manner as a master is liable in respect of any unlawful conduct of his servants in the course of their employment, and accordingly shall, in the case of a tort, be treated for all purposes as a joint tortfeasor.“ Gleichlautend Abschnitt 86 Police Act 1997, c. 50 (Amend. 2002) im Hinblick auf NCS Direktor; vgl. USA: 42 US-GB § 1983; vgl. zu den ersten Urteilen zu respondeat superior, Achtenberg, Fordham Law Review 2005, 2197–2203, vgl. auch unter V. 1001

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1. USA: Lehre vom Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer doctrine) Die „Lehre vom Unternehmensverantwortlichen“ (responsible corporate officer doctrine) wurde von der US-amerikanischen Rechtsprechung entwickelt. Führungspersonen sind danach unter bestimmten Umständen persönlich für Straftaten strafrechtlich verantwortlich, die in ihrem Unternehmen begangen werden. Ursprünglich leitet sich die Doktrin von dem im Schadensersatzrecht (tort law) anerkannten Grundsatz respondeat superior ab.1005 Die im Strafrecht angewandte Lehre vom Unternehmensverantwortlichen wurde im Bereich der gesundheitsgefährdenden Delikte entwickelt. Im Fall Dotterweich1006 wurde ein Hauptgeschäftsführer wegen Verstößen seines Unternehmens gegen das Lebens-, Arzneimittel- und Kosmetikgesetz verurteilt, weil er einen „verantwortlichen Anteil“ (responsible share) an den Rechtsverletzungen gehabt habe. Ca. 30 Jahre später bestätigte der Oberste Gerichtshof im Fall Park1007 die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen („Responsible Corporate Officer“1008 (RCO)). Es sei für eine Haftung ausreichend „that the defendant had, by reason of his position in the corporation, responsibility and authority either to prevent in the first instance, or promptly to correct, the violation complained of, and that he failed to do so.“1009

a) Allgemeines Die Lehre ist im US-amerikanischen Recht fest verankert, wenn auch die Diskussion um ihre genaue Reichweite und Anwendbarkeit noch nicht ganz abgeschlossen scheint. Der Unternehmensverantwortliche haftet für das Unterlassen, die Verletzungen bestimmter Gesetze nicht verhindert zu haben. Ebenso ist er für das Unterlassen strafrechtlich verantwortlich, gegen eine bereits andauernde Rechtsverletzung in seinem Unternehmen nicht unmittelbar eingeschritten zu sein.1010 1004

Monroe, Iowa Law Review 2006, 1389 f. Dubber, S. 105; Hefendehl, Buffalo Criminal Law Review 2000, 290. 1006 U.S. v. Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943). 1007 U.S. v. Park, 421 U.S. 658 (1975). 1008 Aagaard, JCRLC 2006, 1254 plädiert für den allgemeineren Begriff „responsible relations doctrine“. 1009 U.S. v. Park, 421 U.S. 658, 673 f. (1975), dt. Übersetzung durch Verf.: . . . aufgrund seiner Position in dem Unternehmen/in der Körperschaft die Verantwortung und Führungsgewalt hatte, entweder eine Rechtsverletzung in erster Linie zu verhindern oder unverzüglich abzustellen, und dass er es unterließ, dies zu tun. 1005

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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Der Unternehmensverantwortliche muss in „verantwortlicher Beziehung“ (responsible relation) zu den Rechtsverletzungen gestanden haben.1011 Im Fokus der Doktrin des Unternehmensverantwortlichen steht nicht wie bei Art. 28 IStGH-Statut das Verhältnis von Vorgesetzten zu Untergebenen, sondern das Verhältnis von Unternehmensleitung zum Unternehmen insgesamt. Führungsgewalt und Kontrolle muss der Unternehmensverantwortliche über die Unternehmenstätigkeit ausüben. Da jedoch eine Unternehmenstätigkeit ohne das tatsächliche Handeln natürlicher Personen nicht denkbar ist, erstreckt sich die „verantwortliche Beziehung“ des Unternehmensverantwortlichen zumindest auch mittelbar auf die unterstellten oder weisungsabhängigen tatsächlich handelnden Personen.1012 Im Übrigen ist die Haftung des Unternehmensverantwortlichen auch unabhängig von einer Haftung des Unternehmens (corporate liability). Bereits im Fall Dotterweich waren sowohl Unternehmen wie Unternehmensleiter angeklagt, die Jury befand aber nur den Unternehmensleiter für schuldig.1013 Die Qualität der „Rechtsverletzungen“ weicht allerdings deutlich von Art. 28 IStGH-Statut ab. Wie bereits erwähnt, spielte die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen zunächst im Bereich des Lebens- und Arzneimittelrechts eine Rolle. Die Lehre wurde dann auch im Bereich des Umweltrechts angewandt.1014 Das US-amerikanische Wassergesetz (Clean Water Act 1988) bestimmt sogar ausdrücklich, dass die Strafvorschriften auch auf den „Unternehmensverantwortlichen“ (responsible corporate officer) Anwendung finden.1015 Wegen Umweltstraftaten mussten sich bereits eine Reihe von Geschäftsführern vor US-Gerichten verantworten.1016 Vor kurzem wurde sogar ein Verstoß gegen das Baurecht unter Bezugnahme auf die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen strafrechtlich geahndet.1017 Eine Ausweitung der Doktrin auf Tötungsdelikte oder gar völkerrechtliche Verbrechen erscheint derzeit jedoch nicht möglich.1018 Im Hinblick auf die 1010

U.S. v. Park, 421 U.S. 673 (1975). U.S. v. Park, 421 U.S. 658 (1975). 1012 So auch Weltz, S. 94. 1013 U.S. v. Dotterweich, 320 U.S. 279 (1943); vgl. auch U.S. v. Lelles 241 F.2d 21 (1957). 1014 U.S. v. Frezzo Bros., 602 F.2d 1123 (3d Cir. 1979), 269 and 461 F.Supp. 266, 272 (E.D. Pa. 1978), U.S. v. Johnson&Towers Inc., 741 F.2d 662 (3d Cir. 1984) (Resource Conservation& Recovery Act, RCRC). 1015 33 US-GB § 1319 (c)(6): „responsible corporate officer as person“. 1016 U.S. v. Hong, 242 F. 3d 528 (4th Cir 2001), U.S. v. Iverson, 162 F.3d 1015 (9th Cir. 1998); Rooney v. Commonwealth, 27 Va.App 634 (1998). 1017 State v. Arkell, 657 N.W.2d 883 (Minn. Ct. App. 2003). 1018 Wu/Kang, Harvard International Law Journal 1997, 281; vgl. aber § 2.07(1)(a) US-ModellStGB, wonach eine Körperschaft auch für Delikte haften 1011

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Zielrichtung der Lehre vom Unternehmensverantwortlichen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in einen „gefahrlosen Betrieb von Unternehmen unter Einhaltung der Rechtsvorschriften zu schützen“1019, erscheint eine Ausweitung auf schwere Verbrechen zunächst nicht unplausibel.1020 Allerdings bringt die Herkunft der Doktrin aus dem Bereich der „Wohlfahrtsdelikte“ (public welfare offences) Schwierigkeiten mit sich. Solche Delikte unterscheiden sich nach Auffassung der Gerichte von anderen Straftaten dadurch, dass es um regulierte Tätigkeitsbereiche geht, die Gesundheit und Sicherheit bedrohen können.1021 Die Strafen seien üblicherweise gering, was auch eine regelmäßig anzutreffende verschuldensunabhängige Haftung rechtfertigen könne.1022 Die Doktrin wurde zwar mittlerweile auch auf verschuldensabhängige Delikte, beispielsweise des Umweltrechts, angewandt.1023 Auf Tötungsdelikte jedoch gilt sie weiterhin als nicht anwendbar.1024 b) Objektive, haftungseinschränkende Merkmale: Zuständigkeitsbereich Dem Begriff „Verantwortlicher“ kann man bereits entnehmen, dass es auf die jeweiligen Zuständigkeiten im Unternehmen ankommt und nur diejenigen leitenden Angestellten erfasst sind, die tatsächlich zuständig und verantwortlich waren. In U.S. v. Park erklärte das Gericht, dass eine „verantwortliche Beziehung zu der jeweiligen Situation“ bestanden haben muss, d.h. der leitende Angestellte für den jeweiligen Bereich, in dem die Rechtsverletzung begangen wurde, zuständig gewesen sein muss.1025 In U.S. v. Iverson erklärte das Gericht, dass es erforderlich sei, dass das Unternehmen ausdrücklich dem leitenden Angestellten die Pflicht zur Überwachung bestimmter Tätigkeiten auferlegt habe.1026 Allerdings haben die Gerichte in kann, die eigentlich nicht durch Körperschaften begangen werden können, d.h. auch Tötungsdelikte. 1019 U.S. v. Park, 421 U.S. 672 (1975). 1020 Wu/Kang, Harvard International Law Journal 1997, 280: „apply a fortiori to genocide and crimes against humanity?“. 1021 Liparota v. U.S., 471 U.S 419, 433 (7th Cir 1985). 1022 State v. Arkell, 657 N.W.2d 883, 887 f (Minn. Ct. App. 2003). 1023 Zu den damit verbundenen mens rea Problemen vgl. unter c). 1024 Wu/Kang, Harvard International Law Journal 1997, 281. 1025 U.S. v. Park, 421 U.S. 673 (1975): „if the agent had a responsible relation to the situation and that by virtue of his position he had authority and responsibility to deal with such condition“ [. . .] „respondent conceded that providing sanitary conditions [. . .] was something that he was responsible for in the entire operation of the corporation“. 1026 U.S. v. Iverson, 162 F.3d 1015 (9th Cir. 1998): „the corporation expressly vest a duty in the officer to oversee the activity“.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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vielen Fällen die Zuständigkeitsbereiche weit gefasst. Je höher die Angeklagten in der Unternehmenshierarchie standen, desto umfassender waren ihre Zuständigkeitsbereiche.1027 Wegen der Beschränkung der Anwendbarkeit der Lehre vom Unternehmensverantwortlichen auf die Bereiche der Gesundheit und Umwelt muss überdies ein Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit gegeben sein. Hierin mag man die Voraussetzung einer „Organisationsbezogenheit“ der Straftaten erkennen. c) Subjektive Voraussetzungen aa) Rechtsprechung: strict liability und verschuldensabhängige Delikte Zunächst wurden Unternehmensverantwortliche unabhängig davon, ob sie etwas von den Rechtsverletzungen gewusst oder nachlässig gehandelt hatten, aufgrund ihrer „verantwortlichen Beziehung“ (responsible relation) verurteilt, die es ihnen ermöglicht hätte, die Rechtsverletzungen zu verhindern. Diese ersten Verurteilungen aufgrund der Lehre vom Unternehmensverantwortlichen basierten auch jeweils auf verschuldensunabhängigen Delikten (strict liability offenses). Nach der durch die Rechtsprechung entwickelten „Doktrin der öffentlichen Wohlfahrt“ (public welfare doctrine) kommt es auf das Vorliegen des Verschuldenselements im Rahmen der Gesetze zum Schutz der öffentlichen Wohlfahrt nicht an, soweit diese ein solches nicht ausdrücklich voraussetzen.1028 Der Verzicht auf das Verschuldenselement beschneide den Angeklagten nicht in seinen Rechten, weil es sich um Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit handele, die – wie eine vernünftige Person wissen müsse – strikter rechtlicher Regulierung unterworfen seien und auf deren Einhaltung die Öffentlichkeit vertraue.1029 Bei solchen generell das gesellschaftliche Zusammenleben gefährdenden Delikten sei ein Absehen von dem Verschuldenserfordernis verfassungsgemäß.1030 Im Übrigen stellen die Verstöße auch nur leichtere Straftaten 1027 People v. Matthews, 7 Cal. App. 4th 1052, 9 Cal. Rptr. 2d 348 (2d Dist. 1992): „oversight responsibilities“; U.S. v. Blue Ribbon Smoked Fish, Inc., 179 F. Supp. 2d 30 (E.D. N.Y. 2001), 56 Fed. Appx. 542 (2d Cir. 2003): „corporation’s president had ‚ultimate authority‘ and was in charge of overall operations of the company.“ 1028 Vgl. Morissette v. U.S., 342 U.S. 246 (1952); U.S. v. International Minerals & Chemical Corp., 402 U.S. 558 (1971); Liparota v. U.S., 471 U.S. 419, 433 (1985) (Food Stamps). 1029 Liparota v. U.S., 471 U.S. 419, 433 (1985) (Food Stamps). 1030 Morissette v. U.S., 342 U.S. 246 (1952).

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(misdemeanours) dar. Da es sich folglich um einen eher eng abgegrenzten Bereich handelte, warf die Kombination der beiden Doktrinen keine Probleme auf.1031 Die Frage, ob die Doktrin der öffentlichen Wohlfahrt auch bei Verbrechen (felony) anwendbar ist, wurde grundsätzlich bejaht.1032 Die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen wurde insbesondere mit ihrer Anwendung auf US-amerikanische Umweltgesetze auf Verbrechen ausgeweitet.1033 Nicht vollständig geklärt war in dieser Kombination zunächst der Umgang mit dem Verschuldenselement, das viele Umweltgesetze voraussetzen. Einige Gerichte hielten es nicht für erforderlich, dass der Unternehmensverantwortliche die Rechtsverletzung tatsächlich „willentlich oder nachlässig“ verursacht habe, wie dies manch Umweltgesetz vorsah, da dies aufgrund seiner Position unterstellt werden könne (imputed).1034 Die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen würde jedoch verschuldensabhängige Straftaten in verschuldensunabhängige Straftaten umwandeln, wenn allein auf eine „verantwortliche Beziehung“ des Unternehmensverantwortlichen zu der Rechtsverletzung abgestellt wird. Dies wird zu Recht als Verstoß gegen fundamentale Rechtsprinzipien und gegen das Gebot der Fairness kritisiert.1035 In der Rechtsprechung scheint sich nunmehr allmählich durchzusetzen,1036 dass die Position als Unternehmensverantwortlicher allein ein erforderliches Wissenselement nicht ersetzen kann, wenn auch die Tendenz besteht, die subjektiven Anforderungen als leicht beweisbar anzusehen.1037 So kann das Wissenselement durch indirekten Beweis (circumstantial evidence) bewiesen werden, wobei auch wiederum die Position und Rolle des Unter1031

Zarky, S. 12. Kritisch auch LaFave, Bd. 2, S. 398 f. U.S. v. Weitzenhoff, 35 F.3d 1275 (9th Cir. 1994). 1033 U.S. v. MacDonald&Watson Oil Co., 933 F. 2d 35 (1st Cir. 1991), U.S.v. Brittain, 931 F. 2d 1413 (10th Cir. 1991), U.S. v. Dee, 921 F. 2d 741 (4th Cir 1990), U.S. v. Iverson, 162 F.3d 1015, 1025 (1998). 1034 U.S. v. Brittain, 931 F. 2d 1413, 1419 (10th Cir. 1991) (allerdings obiter dictum); U.S. v. Dee 921 F. 2d 741 (4th Cir 1990), U.S. v. Johnson&Towers, 741 F. 2d 662 (1984) (RCRA). 1035 Principle of mens rea; Zarky, S. 12, 31; Hustis/Gotanda, Loyola University Chicago Law Journal 1994, 183, 193 und w. Nachw. bei Monroe, Iowa Law Review 2006, 1386. 1036 U.S. v. MacDonald&Watson Oil Co., 933, F. 2d 35, 55 (1st Cir 1991); U.S. v. White, 766 F.Supp. 873 (E.D. Wash. 1991), 895; U.S. v. Hong, 242 F. 3d 528 (4th Cir 2001); U.S. v. Hansen, 262 F.3d 1217 (11th Circ. 2001), 1252. Aargaard meint, die Doktrin sei seit den 1990er Jahren gefestigt, vgl. JCRLC 2006, S. 1260, 1264. 1037 Wu/Kang, Harvard International Law Journal 1997, 284; Minister, Harvard Environmental Law Review 1994, 147 f.; Hustis/Gotanda, Loyola University Chicago Law Journal 1994, 188 f., 193 ff. 1032

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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nehmensverantwortlichen im Unternehmen eine Rolle spielen kann. Ebenso soll willentliche Blindheit ausreichen.1038 bb) US-Modellstrafgesetzbuch: Rücksichtslosigkeit – willentliche Blindheit Das US-Modellstrafgesetzbuch schlägt vor, einen Unternehmensverantwortlichen nur bei einer „rücksichtslosen Unterlassung“ strafrechtlich haften zu lassen.1039 Anstelle des Begriffs „Unternehmensverantwortlicher“ ist im Übrigen von einem Bevollmächtigten (agent) die Rede, „der die Hauptverantwortlichkeit für die Einhaltung bestimmter dem Unternehmen obliegender Pflichten trägt“.1040 Eine Person handelt rücksichtslos, „wenn sie bewusst das beträchtliche und nicht zu rechtfertigende Risiko außer acht lässt, dass ein objektives Merkmal vorliegt oder in Folge ihres Verhaltens entsteht“. Das Risiko muss dabei so groß sein, dass „die Außerachtlassung ein krasse Abweichung von demjenigen Verhaltensmaßstab darstellt, den eine rechtstreue Person in der Situation beachten würde“.1041 Nach Vorschlag des US-Modellstrafgesetzbuchs soll im Hinblick auf Unternehmensverantwortliche ein Maßstab der Rücksichtslosigkeit unabhängig vom jeweiligen Delikt und dessen Verschuldensmaßstab gelten. Einige US-Bundesstaaten haben den Vorschlag des Modellstrafgesetzbuchs in ähnlicher Form umgesetzt.1042 Im Staat Washington beispielsweise wird zwischen „hochrangigen Managern“ und anderen „hauptverantwortlichen Personen“ unterschieden. Als „hochrangige Manager“ gelten sowohl „ein Bediensteter oder Direktor des Unternehmens oder irgendein anderer Bevollmächtigter (agent), soweit dieser vergleichbare Befugnisse im Hinblick auf die Formulierung der Unternehmenspolitik oder die Aufsicht über untergebene Angestellte hat“.1043 Während hauptverantwortliche Personen, U.S. v. MacDonald&Watson Oil Co., 933 F. 2d 35 (1st Cir. 1991). § 2.07(6)(b) US-ModellStGB lautet: „Whenever a duty to act is imposed by law upon a corporation or an unincorporated association, any agent of the corporation or association having primary responsibility for the discharge of the duty is legally accountable for a reckless omission to perform the required act to the same extent as if the duty were imposed by law directly upon him.“ (Hervorhebung hinzugefügt) 1040 § 2.07 (4)(c) US-ModellStGB definiert „hochrangige Manager“. 1041 Rücksichtslosigkeit ist in § 2.02 (2)(c) US-ModellStGB definiert. 1042 Nachweise bei LaFave, Bd. 2, S. 397 Fn. 118. 1043 § 9 A.08030(1)(c) Wash. Penal Code lautet: „ ‚High managerial agent‘ means an officer or director of a corporation or any other agent in a position of comparable authority with respect to the formulation of corporate policy or the supervision in a managerial capacity of subordinate employees. 1038 1039

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wie im US-Modellstrafgesetzbuch vorgeschlagen, nur bei Rücksichtslosigkeit haften, sollen die hochrangigen Manager nach dem Washingtoner Gesetz bereits bei fahrlässigem Verhalten haften (criminal negligence). Während das US-Modellstrafgesetzbuch für Hauptverantwortliche im Unternehmen einen Maßstab der Rücksichtslosigkeit normiert, spricht viel dafür, dass – wie im kanadischen und englischen Strafrecht – auch im USamerikanischen Recht die Umschreibung des Art. 28 b) i) IStGH-Statut nicht als Rücksichtslosigkeit, sondern als willentliche Blindheit einzustufen wäre.1044 Wie das englische und kanadische Strafrecht1045 kennt auch das US-amerikanische Strafrecht neben der „Rücksichtslosigkeit“ den Verschuldensmaßstab der willentlichen Blindheit. Das US-Modellstrafgesetzbuch nimmt in § 2.02 (7) auf die „willentliche Blindheit“ Bezug:1046 „When knowledge of the existence of a particular fact is an element of the offense, such knowledge is established if a person is aware of the high probability of its existence, unless he actually believes that it does not exist.“1047

Wie zumeist auch in England und Kanada1048 wird die willentliche Blindheit als Form des „Wissens“ (knowledge) eingeordnet.1049 Es handelt sich dabei um eine wichtige Beweiserleichterung.1050 (4) Whenever a duty to act is imposed by law upon a corporation, any agent of the corporation who knows he has or shares primary responsibility for the discharge of the duty is criminally liable for a reckless or, if a high managerial agent, criminally negligent omission to perform the required act to the same extent as if the duty were by law imposed directly upon such agent.“ 1044 Bei der Rücksichtslosigkeit kennt die Person nur das Risiko als solches, Treiman, American Journal of Criminal Law 1981, 299. Im Rahmen von Art. 28 Buchstabe b) i) IStGH-Statut muss der Vorgesetzte sich wohl über mehr als ein bloßes Risiko bewusst sein. Das Merkmal „eindeutig“ weist nicht allein auf eine objektive Qualität der Informationen hin, der Vorgesetzte muss sich vielmehr um die Brisanz der ihm zur Verfügung stehenden Informationen bewusst sein. 1045 Vgl. zur Rücksichtslosigkeit in Kanada und England bereits oben B. I. 3. und B. II. 3. 1046 American Law Institute, Model Penal Code and Commentaries, Part I, S. 248. Vgl. zu § 2.02 (7) Marcus, Yale Law Journal 1993, 2231 ff., 2253, der sich für eine Anwendung von § 2.02(7) ausspricht. 1047 § 2.02 (7) US-ModellStGB, dt. Übersetzung durch Verf.: Wenn das Wissen über das Vorliegen einer bestimmten Tatsache ein Element der Straftat ist, so ist dieses Wissen schon gegeben, wenn eine Person sich über die hohe Wahrscheinlichkeit seines Vorliegens bewusst ist, es sei denn sie glaubt tatsächlich, dass es nicht vorliegt. 1048 Vgl. oben unter B. I. 3. und B. II. 3. 1049 Allerdings soll nach dem Kommentar wie folgt differenziert werden: Nur soweit es um Kenntnis einer Tatsache (existing fact) geht, soll ein Bewusstsein über die hohe Wahrscheinlichkeit, also „willentliche Blindheit“ in Bezug auf deren Vorliegen ausreichen, um dem Wissen gleichgestellt zu werden, nicht hingegen, soweit

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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d) Begriff des Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer) Die „Unternehmensverantwortlichen“ (responsible corporate officers) eines Unternehmens sind diejenigen Personen, die Kontrolle über das Unternehmen und die Unternehmenstätigkeit haben. Es handelt sich um Führungspersonal wie Geschäftsführer, Manager, Abteilungsleiter usw. Das USModellstrafgesetzbuch will den Kreis der Verantwortlichen eng halten, in dem es die Haftung auf die „Hauptverantwortlichen“ beschränkt. Im Fall Iverson erklärte ein Berufungsgericht, dass es nicht darauf ankomme, ob der Unternehmensverantwortliche auch tatsächlich Kontrolle ausgeübt habe.1051 Dies könnte man so verstehen, dass ein Unternehmensverantwortlicher allein aufgrund seiner de jure Stellung im Unternehmen der strafrechtlichen Haftung unterliegt. Im Fall Hong erklärte ein anderes Berufungsgericht sodann aber mit Bezug auf das Urteil Iverson, dass es nicht auf förmliche Bestellung oder auf einen entsprechenden Titel als Unternehmensleiter ankomme. Der Angeklagte im konkreten Fall habe zwar versucht zu verhindern, dass er förmlich mit dem Unternehmen in Zusammenhang gebracht werde, er habe aber über die Unternehmenstätigkeit „tatsächlich wesentliche Kontrolle“ ausgeübt.1052 Hieraus lässt sich schließen, dass wie im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut nicht allein die de jure, sondern auch die de facto Unternehmensverantwortlichen, die die Unternehmenstätigkeit tatsächlich kontrollieren, erfasst sind. In den bisher entschiedenen Fällen ging es meist um Führungspersonal in Wirtschaftsunternehmen. Die Lehre wird aber auch auf öffentliche Angestellte angewandt.1053 Wegen unsachgemäßer Lagerung und Entsorgung von gefährlichem Abfall auf dem Aberdeen Testgelände der US-Armee mussten sich im Fall Dee drei hochrangige zivile Angestellte der US-Armee verantworten.1054 Ebenfalls wegen Umweltdelikten mussten sich im Fall Carr es um die Folgen des Handelns (result of the defendant’s conduct) geht. Dann reicht nur sicheres Wissen, vgl. § 2.02 (2)(b) US-ModellStGB: „A person acts knowingly with respect to a material element of an offense, when . . . (ii) if the element involves a result of his conduct, he is aware that it is practically certain that his conduct will cause such a result.“ Die Kommentatoren behaupten, dass dies dem Stand des Strafrechts entspreche. American Law Institute, Model Penal Code and Commentaries, Part I, S. 248: „Subsection 7 solidifies this usual result and clarifies the terms in which the issue is submitted to the jury.“ 1050 Marcus, Yale Law Journal 1993, 2237. 1051 U.S. v. Iverson, 162 F.3d 1015, 1025 (9th Cir 1998). 1052 U.S. v. Iverson, 162 F.3d 1015, 1025 (9th Cir 1998); U.S. v Hong, 242 F.3d 528 (4th Cir 2001). 1053 Minister, Harvard Environmental Law Review 1994, 172; Monroe, Iowa Law Review 2006, 1389 f.; responsible federal officer doctrine.

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und im Fall Curtis zivile Armeeangestellte verantworten.1055 Obwohl die Doktrin des Unternehmensverantwortlichen bisher nicht auf militärische Angestellte bzw. Vorgesetzte angewandt wurde, halten einige Autoren auch dies für möglich und wünschenswert.1056 2. England: Direktorenhaftung (director’s liability) In England findet sich in einer ganzen Reihe von Spezialgesetzen aus dem Wirtschaftsbereich, aber auch beispielsweise im Diebstahls-Gesetz (Theft Act 1968) und im Gesetz über die öffentliche Ordnung (Public Order Act 1986) folgende Textpassage, die auch als „Direktorenhaftungsklausel“ (director’s liability clause) bezeichnet wird:1057 „Where an offence committed by a body corporate under [. . .] of this Act is proved to have been committed with the consent or connivance [or is attributable to any neglect on the part]1058 of any director, manager, secretary or other similar officer of the body corporate or any person who was purporting to act in any such capacity, he as well as the body corporate shall be guilty of that offence, and shall be liable to be proceeded against and punished accordingly.“1059

Die Passage hat in ähnlicher Form Eingang in den Entwurf für ein Strafgesetzbuch für England und Wales (1989) gefunden, weil es die Law Commission für angemessen hielt, die bisher in verschiedensten Spezialgesetzen zu findenden „Direktorenhaftungsklauseln“ als allgemeinen Grundsatz zu verallgemeinern.1060 Bisher ist dies aber nicht umgesetzt worden. 1054

U.S. v. Dee, 912 F. 2d 741 (4th Cir 1990) („Aberdeen Case“). U.S. v. Carr, 880 F. 2d 1550 (2nd Cir 1989); U.S. v. Curtis, 988 F. 2d 946 (9th Cir 1993); Minister, Harvard Environmental Law Review 1994, 137 ff. 1056 Calve, MLR 1991, 279; Monroe, Iowa Law Review 2006, 1392 f.; Minister, Harvard Environmental Law Review, 172 ff. 1057 Law Commission, A Criminal Code for England and Wales (Law Com 177), Bd. 2, 1989, S. 216. 1058 Der in [ ] gesetzte Teil findet sich nicht in allen Gesetzen. 1059 Dt. Übersetzung durch Verf.: Wenn eine Straftat [nach diesem Gesetz], die durch eine Körperschaft/juristische Person begangen wurde, nachweislich mit Billigung oder Duldung [oder aufgrund einer Nachlässigkeit] eines Direktors, Managers, Geschäftsführers oder eines ähnlichen Angestellten der Körperschaft/juristischen Person oder einer Person, die in dieser Funktion auftrat, begangen wurde, so ist sie sowie die Körperschaft/juristische Person wegen dieser Straftat schuldig, wird angeklagt und entsprechend verurteilt. Z. B. Abschnitt 20 Trade Descriptions Act 1968, c. 29; Abschnitt 432 Insolvency Act 1986, c. 45, Abschnitt 40 Consumer Protection Act 1987, c. 43; Abschnitt 18 Theft Act 1968, c. 60; Abschnitt 28 Public Order Act 1986, c. 64 (Verbreitung von Rassenhass); Abschnitt 37 Health and Safety at Work Act 1974; c. 34; Abschnitt 157 Environmental Protection Act 1990, c. 43; Abschnitt 95(2) Environment Act 1995, c. 25. 1055

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a) Allgemeines Die in der Formel genannten natürlichen Personen haften aufgrund desselben Delikts wie die Körperschaft (corporation). In England ist eine strafrechtliche Haftung von Körperschaften (corporate liability) seit langem anerkannt.1061 Sie existiert entweder als stellvertretende Haftung (vicarious liability), d.h. als Haftung für die Handlungen ihrer Angestellten, oder als persönliche Haftung (personal liability). In letzterem Fall werden über das sogenannte Identifikationsprinzip die Handlungen und das Bewusstsein und der Wille (state of mind) von leitenden Angestellten (controlling officers, directing mind) als diejenigen der Körperschaft angesehen.1062 Indem nun nach den Direktorenhaftungsklauseln die Direktoren parallel zu der Körperschaft strafrechtlich haften, kann es daher durchaus zu Überschneidungen kommen. Andererseits soll es nicht erforderlich sein, dass stets die Körperschaft neben den Direktoren strafrechtlich haftet.1063 Nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich bei der Direktorenhaftung um eine Teilnahme an der Straftat der Körperschaft (accomplice liability) handelt. Teilweise wurde die Haftung der natürlichen Personen als „zu der Tat in Beziehung stehend“ (ancillary) oder „parasitär“ bezeichnet.1064 Jedenfalls muss die Anklage nicht beweisen, dass die Voraussetzungen der Teilnahmeformen Beihilfe, Anraten oder Veranlassen (aiding and abetting, counselling, procuring) vorliegen.1065 Hierin liegt eine Erweiterung der Haftung ge1060

Clause 31 Draft Criminal Code for England and Wales lautet: „(1) Where a corporation is guilty of an offence, other than a pre-Code offence as defined in section 6 [. . .], a controlling officer of the corporation who is not apart from this section guilty of the offence is guilty of it as an accessory if – (a) knowingly that or being reckless whether the offence is being or will be committed, he intentionally fails to take steps that he might take to prevent its commission; or (b) the offence does not involve a fault element and its commission is attributable to any neglect on his part. (2) Subsection 1 applies to a member of a corporation managed by its members as it applies to a controlling officer.“ 1061 Im common law hafteten Körperschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts; Card/Cross/Jones, S. 866. 1062 Vgl. Card/Cross/Jones, S. 868. 1063 Vgl. beispielsweise Informationen der Gesundheitsbehörde (Health and Safety Executive), wonach es üblicherweise vermieden wird, sowohl die Direktoren als auch die Körperschaft zu verfolgen, sofern damit der Eindruck entsteht, dass zweimal dieselbe Person verfolgt wird (d.h. kleine Körperschaften); http://www.hse. gov.uk/enforce/enforcementguide/investigation/identifying/directors.htm (Juni 2009). 1064 R. v. Wilson (1997) 1 All ER 189 (1997 Crim LR 53), CA (allerdings nur in obiter dictum). 1065 In diesem Sinne Card/Cross/Jones, S. 880. Card kritisiert die Einordnung als „ancillary“.

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genüber den allgemeinen Regeln.1066 Es handelt sich um eine Teilnahmehaftung in besonderer Ausgestaltung.1067 Anstelle der für die Teilnahmehaftung typischen Begriffe „Beihilfe“ oder „Anraten“ (aiding, abetting, counselling) verwendet die „Direktorenhaftungsklausel“ die Begriffe „Billigung“ oder „Duldung“ der Straftaten, bzw. den Begriff der „Nachlässigkeit“ der leitenden Angestellten. Diese Begriffe werden oft hinsichtlich ihrer subjektiven Voraussetzungen diskutiert, wobei ihr Gehalt als Begehungsform (conduct) stark in den Hintergrund rückt.1068 Die Variante der „Billigung“ kann vor allem eine aktive Ermutigung (encouragement) zu den Straftaten bedeuten.1069 In der Variante der „Duldung“ hingegen geht es nicht um ein aktives Tun, sondern der Unternehmensleiter oder Direktor „lässt die Geschehnisse fortdauern und sagt nichts dazu“.1070 „Nachlässigkeit“ meint das Versäumnis, einer Pflicht nachzukommen und kann auch ein Unterlassen umfassen.1071 Gerade in den Varianten der „Duldung“ und der „Nachlässigkeit“ erfassen die Direktorenhaftungsformeln daher wie Art. 28 IStGH-Statut die Konstellation, dass Straftaten nicht „verhindert“ oder „unterbunden“ werden. Obwohl das strafbare Verhalten nicht wie in Art. 28 IStGH-Statut als „Versäumnis, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen“ umschrieben ist, findet sich eine zumindest ähnliche Formulierung im Rahmen der Verteidigungseinreden (defences). So kann sich eine Person und auch eine Führungskraft mit dem folgenden Einwand verteidigen „that he took all reasonable precautions and exercised all due diligence to avoid the commission of such an offence by himself or any person under his control.“1072 1066

Eine Erweiterung gegenüber der Teilnahmehaftung liegt insbesondere in der Variante der „Nachlässigkeit“; vgl. Card/Cross/Jones, S. 880; Allen, S. 234; Lomas, in: Umweltstrafrecht, S. 90. 1067 Law Commission, A Criminal Code for England and Wales, Bd. 2 Commentary on the Draft Criminal Code Bill, 1989, S. 216: „in many cases duplicate his liability at common law for aiding, abetting or counselling the offence.“ 1068 Vgl. Darstellung bei Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189 und unter d. Subjektive Voraussetzungen. 1069 Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189, DC: „where a director consents to the commission of the offence by his company, he is aware of what is going on and agrees to it“. 1070 Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189, DC: „his agreement is tacit, not actively encouraging what happens but letting it continue and saying nothing about it.“ 1071 Re Hughes [1943] 2 All ER 269; Armour v. Skeen [1977] IRLR 310. 1072 Abschnitt 24 (1)(b) Trade Description Act (dt. Übersetzung durch Verf.): „alle angemessenen Vorkehrungen getroffen hat und eine angemessene Sorgfalt hat walten lassen, um die Begehung solcher Straftaten durch sie persönlich oder eine Person unter ihrer Kontrolle zu vermeiden.“

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Indirekt geht aus dieser Verteidigungseinrede hervor, dass bestimmte Sorgfalts- und Organisationspflichten von einem Unternehmensleiter oder Direktor auch verlangen, dass er Schritte unternimmt, um Straftaten zu vermeiden. Die Verteidigungseinrede stellt überdies wie Art. 28 IStGH-Statut auch einen direkten Bezug zu dem Handeln von „Personen unter ihrer/seiner Kontrolle“, d.h. zu Untergebenen her. Hier zeigt sich wiederum, dass auch eine Straftat des Unternehmens/der Körperschaft letztlich durch Angestellte begangen wird und daher letztlich das Handeln dieser Personen Anknüpfungspunkt für eine Haftung ist. Je nach Gesetz geht es um die Haftung wegen verschiedener Verstöße gegen spezielles Wirtschaftsrecht. Im Diebstahlsgesetz (Theft Act 1968) geht es um verschiedene Vermögensdelikte, die durch Täuschung begangen werden. Die Haftung ist aber nicht auf das Wirtschaftsstrafrecht beschränkt. Nach dem neuen Tiergesetz (Animal Welfare Act 2006) kann auch Tierquälerei u. ä. geahndet werden.1073 Was allerdings Straftaten gegen Leib und Leben von Menschen angeht, ist bisher nur in Ansätzen eine Haftung der Körperschaft/juristischen Person möglich.1074 Ein Vorschlag der Law Commission, eine Vorschrift zur körperschaftlichen Tötung (corporate killing, corporate manslaughter) einzuführen, die auf einem Managementversagen mit tödlichen Folgen (fatal management failure) beruht,1075 wurde im März 2005 aufgegriffen und ist vor kurzem Gesetz geworden. Das Gesetz zur körperschaftlichen Tötung schließt aber eine individuelle Haftung der Direktoren bzw. anderer leitender Angestellter parallel zu der Haftung der Körperschaft ausdrücklich aus.1076 Damit besteht wie bei der US-amerikanischen Lehre vom Unternehmensverantwortlichen ein gewichtiger Unterschied zu Art. 28 IStGH-Statut, weil Direktoren und leitende Angestellte nur nach allgemeinen Regeln für Tötungsdelikte oder andere schwere Verbrechen strafrechtlich haften, nicht aber aufgrund einer besonderen „Direktorenhaftung“.

1073 Abschnitt 57 Animal Welfare Act 2006, c. 45, enthält die Direktorenhaftungsklausel. 1074 Insbesondere über den Health and Safety at Work Act 1974, c. 34. 1075 Vgl. Law Commission: Legislating the Criminal Code: Involuntary Manslaughter (Law Com No. 237). 1076 Draft Bill vom 23.3.2005. Clause 1(5): „An individual cannot be guilty of aiding, abetting, counselling or procuring an offence of corporate manslaughter“. Am 26. Juli 2007 hat der Gesetzesentwurf die Zustimmung der Krone erhalten; Clarkson hält die Ausklammerung der persönlichen Haftung der Direktoren für einen gravierenden Mangel, vgl. Criminal Law Review 2005, 677.

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b) Objektive Haftungseinschränkung: Zuständigkeitsbereich Die Körperschaft haftet nur, wenn die leitenden Angestellten im Rahmen ihrer Tätigkeitsbereiche (office and employment, acting within the scope of office) gehandelt haben.1077 Da die Haftung der Körperschaft und der Direktoren und leitenden Angestellten in den Direktorenhaftungsklauseln parallel ausgestaltet sind, steht auch die Haftung eines Direktors oder leitenden Angestellten somit unter der Voraussetzung, dass die Straftaten innerhalb der Zuständigkeits- bzw. Tätigkeitsbereiche begangen wurden. Es kommt dabei auf die tatsächliche Zuordnung von Aufgaben im Einzelfall an.1078 Obwohl nicht ausdrücklich diskutiert, ist auch eine Unternehmensbezogenheit der Straftaten Voraussetzung der Direktorenhaftung. Es soll zwar nicht darauf ankommen, ob das Handeln in einer bestimmten Funktion letztlich gegen die Unternehmensinteressen gerichtet war.1079 Die Voraussetzung einer Unternehmensbezogenheit der Straftaten ist jedoch den Gesetzen, die eine Direktorenhaftungsklausel enthalten, inhärent. So haftet ein Direktor beispielsweise nicht für Tierquälerei, die ein Unternehmensangestellter in seiner Freizeit begeht, sondern nur dann, wenn diese mit der Unternehmenstätigkeit verknüpft ist. c) Subjektive Voraussetzungen Im Fall Huckerby v. Elliott1080 erläuterte das Gericht die subjektiven Voraussetzungen der Varianten Billigung, Duldung und Nachlässigkeit. Die „Billigung“ durch einen leitenden Bediensteten setzte voraus, dass dieser von den Straftaten gewusst habe und mit ihrer Begehung einverstanden war.1081 In der Variante der „Duldung“ wisse der leitende Bedienstete ebenfalls Bescheid, aber seine Zustimmung sei „stillschweigend“ (tacit): „Er lässt es einfach geschehen und sagt nichts dazu“.1082 Obwohl dies nicht ausdrücklich aus Huckerby v. Elliott hervorgeht, bezieht sich die Variante 1077

DPP v. Kent and Sussex Contractors Ltd [1944] KB 146, [1944]1 All ER 119, DC (Steuerhinterziehung). 1078 In Armour v. Skeen [1977] IRLR 310. 1079 Moore v. I Bresler Ltd. [1944] 2 All ER 515, DC; im Entwurf für ein Strafgesetzbuch für England und Wales heißt es allerdings, dass der Vorsatz, das Unternehmen zu schädigen, es ausschließt, dass das Handeln noch im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs lag (vgl. Clause 30(6) Draft Criminal Code Bill). 1080 Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189, DC. 1081 Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189, DC: „aware of . . . and agrees to it“; vgl. genauer A G’s Reference No. 1 of 1995, [1996] 4 All ER 21; „knowledge of the facts which constitute the offence“.

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der „Duldung“ (connivance) auch auf den Verschuldensmaßstab der „willentlichen Blindheit“.1083 Die willentliche Blindheit betrifft den Fall, dass eine Person keine weiteren Nachforschungen im Hinblick auf einen Tatumstand anstellt, und „die Augen vor dem Offensichtlichen verschließt“,1084 es folglich stillschweigend geschehen lässt.1085 Der Verschuldensmaßstab der „willentlichen Blindheit“ liegt, wie erläutert, nah beim „Wissen“ (knowledge).1086 In Huckerby v. Elliott stützte sich die Anklage auf die dritte Variante „Nachlässigkeit“. Eine Straftat sei dann auf eine Nachlässigkeit der leitenden Angestellten zurückzuführen (attributable to his neglect), wenn der leitende Bedienstete zwar nichts von den Straftaten wusste, er es aber hätte wissen sollen (ought to know). Der Bedienstete müsse die ihm obliegende Pflicht verletzt haben, für die Einhaltung des Rechts zu sorgen.1087 Da die Anforderungen an die „Nachlässigkeit“ am geringsten sind, stützt sich die Anklage in Fällen, in denen es um die „Direktorenhaftung“ geht, regelmäßig auf diese Variante der Nachlässigkeit.1088 Da es in dieser Variante der Nachlässigkeit ausreichend ist, dass der leitende Bedienstete hätte wissen sollen (ought to know, should have known),1089 scheint sie dem in Art. 28 a) IStGH-Statut für militärische Vorgesetzte niedergelegten shouldhave-known Standard zu entsprechen, nicht aber dem in Art. 28 b) i) IStGH-Statut niedergelegten. Die Haftung des leitenden Angestellten auf1082 Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189, DC: „is equally well aware of what is going on but his agreement is tacit, not actively encouraging what happens but letting it continue and saying nothing about it“. 1083 Card/Cross/Jones, S. 109 und Allen, S. 234, mit Verweis auf den ersten Fall Sleep [1861] Le&Ca 44 (1861–1873), All ER 248; Somerset v. Hart (1884) 12 QBD 360. 1084 Gray’s Haulage Co. Ltd v. Arnold [1966] 1 All ER 896: „deliberately shut theis eyes.“ 1085 McMillan Aviation Ltd [1981] Crim LR 785: „some form of knowledge by the defendant that something was wrong.“ 1086 Vgl. oben B. II. 3. 1087 Huckerby v. Elliott [1970] 1 All ER 189, DC: „without his knowledge but it is committed in circumstances where he ought to know what is going on and he fails to carry his duty as director to see the law is observed.“ 1088 Armour v. Skeen [1977] IRLR 310 (Nichterlass von Sicherheitsregeln als Nachlässigkeit) (Health Security Act 1974); R. v. McMillan Aviation Ltd [1981] Crim LR 785; R. v. Kelly and another, [2005] EWCA Crim 106. 1089 In R. v. Kelly and another, [2005] EWCA Crim 1061 wurde folgende JuryInstruktion bestätigt: „the defendant . . . neglected that duty by failing to take steps which he could and should have taken; the taking of those steps expressly fell within his duties or should have done; he knew or should have known that the steps were necessary; the company’s admitted offence was therefore in some way attributable to his criminal neglect“.

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grund einer Nachlässigkeit geht sehr weit und auch deutlich über eine Teilnahmehaftung hinaus.1090 Richter Ashworth hat im Fall Huckerby v. Elliott erläutert, dass die wiederkehrende Textpassage jedoch keine absolute, verschuldensunabhängige Haftung von leitenden Bediensteten darstelle.1091 Die Gerichte haben die Nachlässigkeit teilweise eng ausgelegt.1092 Doch wird in der Variante der Nachlässigkeit über den objektiven Pflichtverstoß hinaus kein subjektives Element wie ein Bewusstsein über die Gefahr der Begehung von Straftaten gefordert. Die Einschränkungen erfolgen auf objektiver Ebene, bei der Bestimmung des Umfangs der jeweiligen Pflichten. Schon im Fall Huckerby v. Elliott wurde beispielsweise eine Aufsichtspflicht der Direktoren gegenüber anderen Direktoren verneint.1093 Im Fall Lewin v. Bland wurde dann erklärt, dass es auch keine Überprüfungspflicht gegenüber Mitarbeitern gebe, von denen erwartet werden könne, dass sie sich an Arbeitsanweisungen hielten. Etwas anderes gelte nur dann, wenn es Anlass zur Überprüfung gebe.1094 Dennoch bleibt die Haftung sehr weit, weshalb einige Gesetze die Variante der Nachlässigkeit gerade nicht enthalten.1095 Im Gegensatz zu der US-amerikanischen Lehre vom Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer) in ihrer heutigen Anwendung1096 richten sich die Verschuldensmaßstäbe bei der „Direktorenhaftung“ in England nicht nach den jeweiligen Straftaten, für die das Unternehmen haftet. Wie in Art. 28 b) IStGH-Statut sind von den verschiedenen Delikten unabhängige Verschuldensmaßstäbe festgelegt („wissentliche Zustimmung“, „willentliche Blindheit“, „Nachlässigkeit“). Aus den bisher entschiedenen Fällen geht dies zwar nicht so deutlich hervor.1097 In Attorney General’s 1090

Card/Cross/Jones, S. 880; Allen, S. 234. Huckerby v. Elliott (1970) 1 All ER 189: „. . . does not quite plainly create an absolute offence involving all the directors of a company and deeming them to be guilty if what the company itself has committed, because it provides for these three ingredients of consent, connivance and neglegt.“; sich anschließend Hirschler v. Birch, [1987] RTR 13. 1092 In R. v. McMillan Aviation Lt (1981) Crim LR 785 wurde die Jury instruiert, dass der Direktor für eine falsche Warenbeschreibung hafte, wenn er entweder davon gewusst habe oder wenn es billigerweise Grund für einen Verdacht gegeben habe, vgl. Allen, S. 235. 1093 Huckerby v. Elliott (1970) 1 All ER 189: „no duty to supervise . . . a co-director who is the secretary.“ 1094 Lewin v. Bland [1985] RTR 171, DC, 148 JP 69. 1095 Bspw. Abschnitt 18 Theft Act 1968, c. 60. 1096 Vgl. oben II. 1. c). Soweit eine Straftat Wissen voraussetzt, fordern die USamerikanischen Gerichte nun auch Nachweis von Wissen auf seiten des Unternehmensverantwortlichen. 1097 Entweder, weil die Gerichte zu den Verschuldensmaßstäben der jeweiligen Delikte keine Ausführungen machten oder weil die Unternehmen so klein waren, 1091

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Reference Nr. 1 von 1995 erläuterte das Berufungsgericht aber beispielsweise die subjektiven Voraussetzungen der „Billigung“, obwohl letztlich eine Haftung wegen eines verschuldensunabhängigen Delikts im Bankengesetz in Frage stand.1098 Der Entwurf für ein Strafgesetzbuch für England und Wales will im Hinblick auf die jeweiligen Delikte und deren Verschuldensmaßstäbe noch weiter differenzieren. So soll ein Direktor oder leitender Angestellter nur dann schon bei „Nachlässigkeit“ strafrechtliche Verantwortung tragen, wenn es sich um verschuldensunabhängige Delikte handelt. Im Übrigen soll er haften, wenn er „weiß“ oder „rücksichtslos“ ist, ob eine Straftat begangen (werden) wird, und es vorsätzlich versäumt, Schritte zu unternehmen, die die Begehung hätten verhindern können.1099 Nach dem Entwurf bildet folglich „Rücksichtslosigkeit“ die unterste Schwelle für eine „Direktorenhaftung“ für verschuldensabhängige Straftaten. d) Begriff des Direktors Ausdrücklich werden in der Direktorenhaftungsklausel „Direktoren“, „Manager“, „Geschäftsführer“ und „ähnliche Bedienstete“ der Körperschaft, d.h. das Leitungspersonal, als verantwortliche Personen genannt. Wer Direktor oder Geschäftsführer ist, bestimmt sich nach dem Unternehmensgesetz (Companies Act 1985, c. 6); der Begriff „Manager“ ist hingegen weit und wurde von Gerichten definiert. So führte das Gericht im Fall dass es nur einen oder mehrere Direktoren gab, so dass die Haftung des Unternehmens, die sich auf das Verschulden dieser Direktoren als das „Hirn des Unternehmens“ stützte, und die Haftung dieser leitenden Angestellten identisch zu beurteilen waren. 1098 A G’s Reference No. 1 of 1995 [1996] 4 All ER 21; im Fall R. v. McMillan Aviation Ltd [1981] Crim LR 785 äußerte der Richter in einem obiter dictum allerdings noch Schwierigkeiten, dem Begriff „connivance“ bei verschuldensunabhängigen Delikten eine sinnvolle Bedeutung zu geben. Es fragt sich, ob es möglich ist, einen leitenden Angestellten auch aufgrund von „Nachlässigkeit“ wegen eines Delikts zu verurteilen, dass eigentlich „Vorsatz“ voraussetzt. Es ist allerdings kein derartiger Fall erkennbar: Im Fall R. v. Kelly and another [2005] EWCA Crim 1061 ging es um die Haftung eines Managers und eines Direktors eines Campingplatzes für den Tod eines Jungen. Während der Manager wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde, stützte sich die Verurteilung des Direktors auf den Health and Safety at Work Act 1974 und die entsprechende Direktorenhaftungsklausel, hier stand aber die verschuldensunabhängig nach Abschnitt 3, 33(1)(a) Health and Safety at Work Act 1974, c. 34, in Frage. 1099 Clause 31: (a) „knowingly that or being reckless whether the offence is being or will be committed, he intentionally fails to take steps that he might take to prevent its commission; or (b) the offence does not involve a fault element and its commission is attributable to any neglect on his part.“

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Boal1100 aus, dass es sich um „eine Position von tatsächlicher Führungsgewalt“ (position of real authority) handeln müsse. Es seien nur die Entscheidungsträger im Unternehmen erfasst, die sowohl die Macht als auch die Verantwortung hätten (power and responsibility), über die Unternehmenspolitik und -strategie zu entscheiden.1101 Teilweise wird auch von mit Kontrollbefugnissen ausgestatteten Bediensteten (controlling officers) gesprochen.1102 Wie in Art. 28 IStGH-Statut spielen die Begriffe „Führungsgewalt“ und „Verantwortung“ bzw. „Kontrolle“1103 folglich eine Rolle bei der Bestimmung des Direktors oder leitenden Angestellten. Obwohl diese Begriffe auf das Unternehmen insgesamt bzw. die Unternehmenspolitik bezogen ist, geht mit der Leitung des Unternehmens in vielen Fällen auch die Führungsgewalt, Verantwortung und Kontrolle gegenüber nicht-leitenden Angestellten einher, so dass die Direktoren und leitenden Angestellten in diesen Fällen „Vorgesetzte“ im Verhältnis zu untergebenen Angestellten sind. Es kommt hier auf die jeweilige Unternehmensstruktur an. Neben den genannten leitenden Angestellten unterliegen auch solche Personen der strafrechtlichen Haftung, die in einer derartigen Funktion auftreten (purporting to act in such capacity). Damit ist wie in Art. 28 IStGH-Statut de facto Vorgesetzte ebenso von der Haftung erfasst wie die de jure Leitungspersonal.1104 3. Kanada: Direktorenhaftung (director’s liability) In Kanada ist ebenfalls eine „Direktorenhaftung“ anerkannt, nach der wie in England parallel zur körperschaftlichen Haftung auch Direktoren und anderes Leitungspersonal strafrechtlich haften. Die wiederkehrende Formel hat in Kanada heute1105 folgenden Wortlaut:1106 1100 R. v. Boal [1992] Q.B. 591, [1992] 3 All ER 177, CA (assistant general manager of a bookshop, s. 23 Fire Precaution Act 1971, no power to determine corporate policy). 1101 R. v. Boal: „those who are in a position of real authority, the decision-makers within the company who have both the power and responsibility to decide corporate policy and strategy. It is to catch those responsible for putting proper procedures in place; it is not meant to strike at underlings.“; Tesco Supermarkets v. Natrass [1972], AC 153 („Manager eines Supermarkts repräsentiert nicht Bewusstein und Willen des Unternehmens“). 1102 Clause 31 Criminal Code for England and Wales. 1103 Ashworth, S. 119. Vgl. auch Informationen der Health&Safety Executive, http://www.hse.gov.uk/enforce/enforcementguide/investigation/identifying/directors. htm (Juni 2009): Considerations in Proceeding under s 37: „In order to ensure consistency, you should consider: did s/he have effective control over the matter? . . .“ [Hervorhebung hinzugefügt] 1104 Vgl. Card/Cross/Jones, S. 870.

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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„Where a corporation commits an offence under this Act, any officer, director or agent of the corporation who directed, authorized, assented to, acquiesced in or participated in the commission of the offence is a party to and guilty of the offence, and is liable to the punishment provided for the offence, whether or not the corporation has been prosecuted or convicted.“

Die Vorschrift entspricht ihrem Gehalt nach im Wesentlichen den bereits besprochenen Vorschriften in einigen englischen Spezialgesetzen.1107 Für die Konstellation der Vorgesetztenverantwortlichkeit relevant ist insbesondere die Variante der „Duldung“ (acquiescence) von Straftaten. In R. v. A&A Foods Ltd. definierte das Oberste Gericht von British Columbia „dulden“ als „konkludent zustimmen oder stillschweigend einverstanden sein, keine Einwände erheben, akzeptieren bzw. geschehen lassen“.1108 Wie in England stellt die Direktorenhaftungsklausel eine Erleichterung für die Anklage dar, die nicht beweisen muss, dass die Voraussetzungen der im Strafgesetzbuch genannten Teilnahmeformen (aiding, abetting, counselling) vorliegen. Es haften nicht nur die de jure, sondern auch die de facto Direktoren und Bediensteten.1109 Dem Gericht in R. v. A&A Foods Ltd. zufolge 1105 Abschnitt 15 Wartime Industries Control Board Regulations, basierend auf Order in Council 6835/1941 (75 Canada Gazette, No. 67) hatte folgenden Wortlaut (zit. in Rex v. Hawthorne, [1944] O.W.N. 237): „Where the person guilty of an offence against any order is a company, every person who at the time of the commission of the offence was the director or officer of the company or corporation shall be guilty of the like offence unless he proves that the act or omission constituting the offence took place without his knowledge or consent, or that he exercised all due diligence to prevent the commission of such offence.“ 1106 Dt. Übersetzung durch Verf.: Wenn ein Unternehmen eine Straftat nach diesem Gesetz begangen hat, ist jeder Bedienstete, Direktor oder Bevollmächtigte des Unternehmens, der die Begehung der Straftat geleitet, genehmigt, gebilligt, sie geduldet oder an ihr teilgenommen hat, Täter und der Straftat schuldig und unterliegt der im Gesetz vorgesehenen Bestrafung, unabhängig davon, ob das Unternehmen verfolgt oder verurteilt worden ist. Bspw. in Abschnitt 280 Environmental Protection Act, S.C. 1999, c. 33; Abschnitt 34 (10) Waste Management Act; Abschnitt 56.7(4) Transportation Act, S.C. 1996, c. 10, Abschnitt 31(2) Energy Administration Act, R.S.C. 1985, c. E-6, Abschnitt 29 Energy Efficiency Act, S.C. 1992, c. 36; Abschnitt 158 Customs Act, R.S.C. 1985, c. 1 (2nd Supp.); Abschnitt 242 Income Tax Act, R.S.C. 1985, c. 1 (5th Supp.); Abschnitt 36 Agricultural Products Act, R.S.C. 1985, c. 20 (4th Supp.), Abschnitt 43 Railway Safety Act, R.S.C. 1985, c. 32 (4th Supp.), u. v. m. zu finden. 1107 Vgl. oben II. 2. 1108 R. v. A&A Foods Ltd. (1997), 120 C.C.C. (3d) 513, [1997] B.C.J. No. 2720 (BCSC): „Aquiesced means impliedly consented, tacitly agreed to, raised no objection to, accepted, permitted to be done.“ 1109 McDougall v. R. (2002) FCA 455.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

kommt es vor allem darauf an, dass es in der Macht des Angeklagten lag, ob die Straftat begangen wurde oder nicht.1110 In R. v. Sault Ste. Marie stellte das Oberste Gericht Kanadas die Kontrolle und die Verhinderungsmöglichkeit als Kern der Haftung heraus.1111 Was die subjektiven Voraussetzungen der Haftung von Direktoren und Angestellten angeht, so ist auch in Kanada die Rechtsprechung uneinheitlich. In Kanada wurde teilweise bestritten, dass die in der Direktorenhaftungsklausel genannten Begehungsformen überhaupt ein subjektives Element erfordern. Nach R. v. A&A Foods Ltd. stehen alle genannten Begehungsformen nur für „bloße Fahrlässigkeit“1112 und meinen damit einen rein objektiven Sorgfaltspflichtverstoß. Direktoren und andere leitende Angestellte können sich gegen den objektiven Vorwurf der Fahrlässigkeit mit der Einrede der angemessenen Sorgfalt (due diligence) verteidigen.1113 Allerdings zählte das Gericht später zu dem „fahrlässigen Verhalten“ auch eine „stillschweigende oder konkludente Billigung, Duldung, Gleichgültigkeit und willentliche Blindheit“.1114 Eine ganze Reihe von (allerdings unterinstanzlichen) Gerichten hat bei Anwendung der Direktorenhaftungsklausel untersucht, ob die jeweiligen Anklagten Wissen oder Vorsatz hatten.1115 Im Vergleich zu Art. 28 IStGH-Statut lassen sich wiederum nur vorsichtige Rückschlüsse ziehen. Einerseits hat die Direktorenhaftungsklausel durchaus starke Ähnlichkeiten mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Das Bundesberufungsgericht (Federal Court of Appeal) Kanadas lehnte bei1110 R. v. A&A Foods Ltd. (1997), 120 C.C.C. (3d) 513, [1997] B.C.J. No. 2720 (BCSC): „the appellant should have had the power to control whether the actus reus, here the commission of the offence of possession, would be committed or not“. 1111 R. v. Sault Ste. Marie (1978) 40 C.C.C. (2d) 353: „Liability rests upon control and the opportunity to prevent, i. e., that the accused could have and should have prevented the pollution“; vgl. auch Saxe, S. 116. 1112 R. v. A&A Foods Ltd. (1997), 120 C.C.C. (3d) 513, [1997] B.C.J. No. 2720 (BCSC): „not satisfied . . . that the terms necessarily imply a knowing or intentional act or degree of mens rea. Such an interpretation of those terms is, in my view, inconsistent with the offence being one of strict liability, an offence of negligence.“ 1113 R. v. Sault Ste. Marie (1978) 40 C.C.C. (2d) 353; Roach, Criminal Law, 3. Aufl., 2004, S. 185. 1114 R. v. A&A Foods Ltd. (1997), 120 C.C.C. (3d) 513, [1997] B.C.J. No. 2720 (BCSC): „other negligent conduct as tacit or inferred approval, connivance, indifference and willful blindness on the part of the appellant.“ 1115 R. v. Peterson, 2006 ABPC 6 (ABPC); R. v. Swendson (1987) A.J. No. 247 (AltaQB); R. v. Wigmore (1995) S.J. No. 312 (SaskQB), R. v. Gibbs, 2001 BCPC 361 (BCPC); R. v. Armaugh Corp (1993) OJ. No. 4360 (Ont. Ct of Justice); R. v. Gateway Industries Ltd v Blank, 2003 MBQB 241 (MBQB); R. v. Léger (2004) NBPC 5 (NBPC); R. v. Beusekom (2003) ABPC 158, 30 Alta. L.R. (4th) 124, 345 A.R. 214 (ABPC).

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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spielsweise eine Revision eines auf die Direktorenhaftung gestützten Urteils mit folgender knappen Begründung ab, die stark an die Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeit erinnert: „the applicant purported to act and acted as de facto director of the corporation . . . the applicant knew of the corporation’s default and failed to act with due diligence to correct such default and prevent its recurrence.“1116

Kanada hat allerdings Ende 2003 bei der Reform der Unternehmenshaftung1117 verdeutlicht, dass es einen allgemeinen Grundsatz der Direktorenhaftung weiterhin ablehnt. Die Unternehmenshaftung wurde zwar insoweit erweitert, dass einer „Organisation“ nicht nur das Verhalten von leitenden Angestellten, sondern unter bestimmten Umständen nach dem neu gefassten Art. 22 kanadStGB1118 auch das Verhalten von einfachen Angestellten (representatives1119) zugerechnet werden kann. Wenn es sich um eine Straftat handelt, die Vorsatz oder Rücksichtslosigkeit erfordert, haftet eine Organisation u. a., wenn ein höherrangiger Bediensteter (senior officer) in der Absicht, der Organisation einen Vorteil zu verschaffen, nicht alle angemessenen Maßnahmen ergreift, um einen einfachen Angestellten von der Begehung einer Straftat abzuhalten, obwohl er von der Begehung der Straftat weiß.1120 1116

McDougall v. R, 2002, FCA 455 (2002), 56 D.T.C. 7582 (FCA). Vgl. http://www.justice.gc.ca/en/dept/pub/ccl_rpm/discussion/ (Februar 2008, Kopie bei Verf.) Discussion Paper 2002; Goetz, http://www.parl.gc.ca/common/ bills_ls.asp?Parl37&Ses=2&ls=C45 (Kopie bei Verf.). Legislative History of Bill 45; insbesondere eine Erweiterung im Vergleich zu der auf der Identifikationstheorie basierenden Corporate Liability (Leading Case: Canadian Dredge and Dock Co. v. The Queen (1985), 1 S.C.R. 662; vgl. auch Roach, Criminal Law, 3. Aufl., 2004, S. 202 ff. 1118 Abschnitt 22.1. kanad StGB lautet: „In respect of an offence that requires the prosecution to prove negligence, an organization is a party to the offence if (a) acting within the scope of their authority (i) one of its representatives is a party to the offence, or (ii) two or more of its representatives [. . .]; and (b) the senior officer who is responsible for the aspect of the organization’s activities that is relevant to the offence departs – or the senior officers, collectively, depart – markedly from the standard of care that, in the circumstances, could reasonably be expected to prevent a representative of the organization from being a party to the offence. 2003, c. 21, s. 2.“ 1119 Vgl. Definitionen in Abschnitt 2 kanad StGB. 1120 Abschnitt 22.2 kanad StGB lautet: „In respect of an offence that requires the prosecution to prove fault – other than negligence – an organization is a party to the offence if, with the intent at least in part to benefit the organization, one of its senior officers (a) [. . .]; or (c) knowing that a representative of the organization is or is about to be a party to the offence, does not take all reasonable measures to stop them from being a party to the offence.“ 1117

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Insbesondere diese letzte Variante weist Parallelen zur Konstellation der Vorgesetztenverantwortlichkeit auf. Der Erweiterung der Haftung der „Organisation“ steht jedoch keine gleichwertige Erweiterung der individuellen Haftung der leitenden Angestellten gegenüber. Folgender Vorschlag für eine allgemeine Direktorenhaftungsklausel hatte sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nicht durchsetzen können: „Every one who is a director or officer of a corporation that is guilty of an offence [. . .] who (a) alone or with others authorized the act or omission that constituted the offence, or (b) know or ought to have known, as a result of circumstances described in [. . .] that the act or omission that constituted the offence was being committed or would or was likely to be take place, and failed to take all reasonable steps to prevent its commission, including, in the case where the act or omission was being committed or was authorized, reporting the matter to a peace officer or to an official or agency of government having authority over health and safety at the workplace in question, is guilty of an offence and liable on conviction as if committed personally and liable to the same penalty as if the director or officer had committed the act or omission personally.“1121

1121 Private Member’s Bill C-284, Abschnitt 467.4 lautete auszugsweise, dt. Übersetzung durch Verf.: 1. Jeder, der Direktor oder Angestellter eines Unternehmens ist, das wegen einer Straftat [. . .] haftet, und der (a) allein oder mit anderen gemeinsam die Handlung oder Unterlassung, die die Straftat darstellt, genehmigt hat, oder (b) der wusste oder hätte wissen müssen, als Folge der Umstände, die in [. . .] beschrieben sind, dass die Handlung oder Unterlassung, die die Straftat darstellt, begangen wurde, begangen werden würde oder wahrscheinlich begangen werden würde, und der nicht alle angemessenen Schritte unternommen hat, um ihre Begehung zu verhindern, einschließlich, im Fall, dass die Handlung oder Unterlassung bereits begangen oder genehmigt war, die Angelegenheit nicht einem Sicherheitsbeamten oder einem Bediensteten oder Beauftragten der Regierung, der Befugnisse im Hinblick auf die Gesundheit und Sicherheit an dem betreffenden Arbeitsplatz hatte, berichtet hat, ist der Straftat schuldig und unterliegt der Verurteilung, als ob er die Straftat persönlich begangen hätte, und unterliegt derselben Strafe, als ob der Direktor oder Angestellte die Handlung oder Unterlassung selbst begangen hätte. Vgl. auch http://www.justice.gc.ca/en/dept/pub/ccl_rpm/discussion/ (Februar 2008, Kopie bei Verf.) Discussion Paper 2002; Goetz, http://www.parl.gc.ca/com mon/bills_ls.asp?Parl37&Ses=2&ls=C45 (Kopie bei Verf.).

C. Vorgesetztenverantwortlichkeit aufgrund von Sondervorschriften

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4. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern und Unternehmensleitern In allen drei untersuchten Rechtsordnungen ist es möglich, einen leitenden Unternehmensangestellten zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen, wenn er Rechtsverletzungen seines Unternehmens nicht verhindert hat. Ein leitender Unternehmensangestellter unterliegt zumindest in dem Bereich der strafrechtlichen Haftung, in dem er innerhalb des Unternehmens verantwortlich ist. Die Straftaten, für die eine Haftung des Unternehmensverantwortlichen in Frage kommt, haben zumeist einen engen Bezug zum Unternehmen und zur Unternehmenstätigkeit, weil sie zum Bereich des Arbeits-, Umwelt- oder Wirtschaftsrechts gehören. Eine Haftung der Unternehmensleiter wegen Tötungsdelikten wird dabei allerdings überwiegend abgelehnt. Dadurch bleibt die Direktorenhaftung trotz Parallelen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit deutlich hinter dieser zurück. Was die subjektiven Haftungsvoraussetzungen betrifft, so richten sich diese in den USA heute nach den jeweiligen Delikten, die durch das Unternehmen begangen wurden. Die Rechtsprechung neigt aber dazu, keine sehr hohen Anforderungen an den Nachweis des verschuldenselements zu stellen.1122 In England hingegen enthalten die Direktorenhaftungsklauseln selbst subjektive Merkmale, die wissentliche Zustimmung, willentliche Blindheit, teilweise auch bloße Nachlässigkeit umfassen. Ein Vergleich dieser subjektiven Haftungsvoraussetzungen der „Direktorenhaftung“ mit Art. 28 b) i) IStGH-Statut ist schwierig. Nicht zuletzt liegt dies daran, dass es in den untersuchten common law Rechtsordnungen kaum feststehende Definitionen der Verschuldensmaßstäbe gibt. Versteht man Art. 28 b) i) IStGH-Statut als „Dulden“ bzw. als „willentliche Blindheit“, geht die Direktorenhaftung insoweit über Art. 28 b) i) IStGH-Statut hinaus, als teilweise schon bloße Nachlässigkeit bzw. objektive Fahrlässigkeit ausreichen. Allerdings greift diese Variante oft nur bei verschuldensunabhängigen Delikten (strict/absolute liability), die daher mit einer Vorgesetztenverantwortlichkeit i. S. v. Art. 28 IStGH-Statut für völkerrechtliche Verbrechen nicht mehr vergleichbar sind.1123 Was schließlich den Kreis der Unternehmensverantwortlichen betrifft, die einer strafrechtlichen Haftung unterliegen, so ist eine Tendenz festzustellen, nur das oberste Führungspersonal bzw. die Hauptverantwortlichen im Un1122

Hustis/Gotanda, Loyola University Chicago Law Journal 1994, 188 ff. Schon im common law verstand man diese Delikte nicht als „echte Straftaten“ vgl. Sherraz v. De Rutzen [1895] 1 QB 918, 922: „not criminal in any real sense“; heute Matudi v. R [2003] EWCA (crim) 697, Harrow London Borrough Council v. Shah and Another [2000] 1 W.L.R. 83 (QBD): „not truly criminal in character“. 1123

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

ternehmen zu erfassen. Hierbei ist eine bloß faktische Position im Unternehmen ausreichend.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Grundsätzen In den vorangegangenen Abschnitten wurden neben Vorschriften, die Art. 28 IStGH-Statut in das nationale Strafrecht implementieren, auch Vorschriften oder Haftungsregeln untersucht, die einer Vorgesetztenverantwortlichkeit, insbesondere in Behörden oder Unternehmen, zumindest ähneln oder nahekommen. Im Folgenden wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen im Übrigen nach allgemeinen Regeln (Begehen durch Unterlassen, commission by omission) eine Haftung für ein Unterlassen, Straftaten nicht verhindert zu haben, anerkannt ist. Dazu bedarf es zunächst eines kurzen Abrisses der Grundsätze der Unterlassenshaftung in den common law Rechtsordnungen (I.). Sodann wird die besondere Fallgruppe der „Kontrollgewalt“ (power to control) untersucht (II.). Schließlich stehen die besonderen Haftungsformen der stellvertretenden Haftung (vicarious liability) und strikten Haftung (strict liability) im Mittelpunkt (III.). I. Allgemeines 1. Handlungspflichten aus Gesetz oder aus dem Recht Nach common law setzt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Unterlassen eine Rechtspflicht zum Handeln voraus.1124 Diese Regel hat nicht nur Gültigkeit in England, sondern auch in Kanada und in den USA, wo sie teilweise gesetzlichen Ausdruck gefunden hat.1125 Ein Unterlassen ist strafbar, wenn ein Gesetz dies ausdrücklich normiert. Solche „echten Unterlassensdelikte“ sind insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht typisch. Soweit sich eine Unterlassensstrafbarkeit nicht direkt aus dem Strafgesetz ergibt, muss sich die Rechtspflicht zum Handeln auf andere Weise aus dem „Recht“ (law)1126 bzw. aus dem common law ergeben.1127 1124 Ashworth, S. 48; vgl. auch Kirchheimer, Harvard Law Review 1942, S. 615–642. 1125 Das US-Bundesrecht normiert zwar keine besonderen Vorschriften zur Unterlassenshaftung. Das US-Modellstrafgesetzbuch enthält jedoch in § 2.01(3) folgende Vorschrift: „Liability for the commission of an offense may not be based on an omission unaccompanied by action unless: (a) the omission is expressly made sufficient by the law defining the offense; or (b) a duty to perform the omitted act is otherwise imposed by law.“ 1126 § 2.01(3)(b) US-ModellStGB.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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Grundsätzlich gibt es daher eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten, derer sich findige Gerichte auch bedienen.1128 Teilweise wird dies als Verstoß gegen den nullum crimen-Grundsatz kritisiert.1129 Kanada ist daher dazu übergegangen, allgemeine Rechtspflichten im Strafgesetzbuch niederzulegen.1130 Eine allgemeine Hilfeleistungspflicht ist im common law Rechtskreis nicht anerkannt. Einigkeit besteht darin,1131 dass eine Person, obwohl sie ohne Selbstgefährdung eine Gefahr abwenden könnte (easy rescue), nicht zum Handeln verpflichtet ist und daher auch nicht – wie im kontinental-europäischen Rechtskreis – strafrechtlich haften soll.1132 Dies hängt mit dem stark auf Freiheitsrechte ausgerichteten common law Rechtssystem zusammen. Die Pflicht zur Vornahme bestimmter Handlungen wird als starker Eingriff in die Autonomie und Freiheit des Individuums verstanden;1133 der Bürger soll zudem so wenig wie möglich den Gefahren staatlicher Verfolgung ausgesetzt sein.1134 Die Hilfeleistung wird vielmehr als allein moralische Pflicht angesehen.1135 Die Unterschiede zwischen common law und kontinental-europäischen Rechtsordnungen werden hier allerdings oft überbetont. Denn auch im kontinental-europäischen Rechtskreis führt die unterlassene Hilfeleistung in der Regel nicht zu einer Haftung entsprechend der Verwirklichung durch aktives Tun (commission by omission), sondern stellt ein echtes Unterlassensdelikt mit geringer Strafandrohung dar.1136 1127 Engl.: Card/Cross/Jones, S. 60. LaFave, Bd. 1, S. 436; Fletcher, Basic Concepts, S. 47. Kan: Coyne (1958) 124 C.C.C. 176 (NBCA): „ ‚duty imposed by law‘ may be a duty arising by virtue of either the common law or by statute.“ 1128 Im Fall Steinberg (People v. Steinberg, 79 N.Y. 2d 673 (1992)) leitete das Gericht eine Fürsorge- und Handlungspflicht aus familienrechtlichen Vorschriften ab. 1129 Dubber, S. 47; Weltz, S. 75 f.; Stuart, Buffalo Criminal Law Review 2000, 42. 1130 Damit sollen common law Handlungspflichten zurückgedrängt werden, Stuart, Buffalo Criminal Law Review 2000, 42. Die Rechtspflichten werden dabei nicht im Rahmen von „echten Unterlassensdelikten“ normiert, sondern losgelöst bzw. vorangestellt als allgemeine Rechtspflichten von Eltern und Familienangehörigen usw. Vgl. Art. 215, 217, 217.1. kanadStGB. 1131 In der Charta der Menschenrechte und Freiheiten von Quebec (Abschnitt 2) ist allerdings eine Hilfeleistungspflicht niedergelegt; vgl. ebenfalls in einigen USBundesstaaten wie Hawai, Minnesota, Rhode Island, Vermont and Wisconsin (Näheres bei Weltz, S. 62 f.). 1132 Diese Gesetze werden despektierlich als „Bad Samaritan Laws“ bezeichnet; vgl. Dressler, Santa Clara Law Review 2000, 972; Feinberg, S. 126. 1133 Simester/Sullivan, S. 73; Ashworth, S. 49. 1134 Stewart, American Journal of Criminal Law 1998, 385. 1135 Vgl. zur Debatte Hall, S. 190 ff. 1136 So auch zu Recht: Smith/Hogan, S. 68; vgl. § 323 c dStGB.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

2. Schutzpflichten und Überwachungspflichten Insgesamt ist im US-amerikanischen, kanadischen und englischen Strafrecht eine kasuistische Vorgehensweise bei der Bestimmung der Handlungspflichten vorherrschend. Diskutiert werden vor allem Fürsorge- und Schutzpflichten.1137 Eine Pflicht kann sich aus einem Gesetz ergeben;1138 ferner kann sich eine Handlungspflicht auch aus dem Verhältnis zwischen zwei Personen ergeben, wobei es vor allem um Personenverhältnisse mit besonderen Fürsorgepflichten wie bei Familienangehörigen geht.1139 Weiterhin kann eine Handlungspflicht vertraglich begründet sein1140 oder bei freiwilliger Übernahme der Fürsorge über eine Person eine Handlungspflicht entstehen.1141 Kanada versucht, wie erwähnt, mehr und mehr die Pflichten im Strafgesetzbuch zu verankern.1142 Es sei daher an dieser Stelle der im Jahre 2003 eingefügte Abschnitt 217.1 kanadStGB erwähnt: „Every one who undertakes, or has the authority, to direct how another person does work or performs a task is under a legal duty to take reasonable steps to prevent bodily harm to that person, or any other person, arising from that work or task.“1143 1137

Vgl. Engl.: Clarkson/Keating, S. 96 ff.; Smith/Hogan, S. 60 f.; USA: LaFave, Bd. 1, S. 436 ff.; Stewart, American Journal of Criminal Law 1998, 385 ff.; Kan: Stuart, S. 91 ff. 1138 Engl: Abschnitt 1 Children and Young Persons Act 1933, c. 12; USA: Nachweise bei LaFave, Bd. 1, S. 439; Stewart, American Journal of Criminal Law 1998, 395 subsumiert darunter auch die an besondere Berufsgruppen normierten Pflichten. 1139 Engl.: Gibbins and Proctor [1918] 13 Cr App R 134; USA: State v. Miranda, 715 A.2d 680 (Conn. 1998); Kan: Abschnitt 215 kanadStGB: „Every one is under a legal duty (a) as a parent, foster parent, guardian or head of a family, to provide necessaries of life for a child under the age of sixteen years; (b) to provide necessaries of life to their spouse or common-law partner; and (c) to provide necessaries of life to a person under his charge if that person (i) is unable, by reason of detention, age, illness, mental disorder or other cause, to withdraw himself from that charge, and (ii) is unable to provide himself with necessaries of life.“ 1140 Engl.: Pittwood [1902] 19 TLR 37; USA: ausdrücklich oder implizit, vgl. Stewart, American Journal of Criminal Law 1998, 396 m. w. N.; vgl. auch Fletcher, Rethinking Criminal Law, S. 615 ff. insbesondere kritisch gegenüber vertraglicher Begründung von Pflichten; Kan: Art. 217 kanadStGB. 1141 Engl.: Instan [1893] 1 QB 450 D (keine Hilfe für Tante, die in Wohnung aufgenommen); USA: Jones v. U.S., 308 F.2d 307 (D.C. Cir. 1962) (Pflichten eines Babysitters); Kan: Art. 217 kanadStGB: „Every one who undertakes an act is under a legal duty to do it if an omission to do the act is or may be dangerous to life.“ dazu Roach, Criminal Law, 3. Aufl., 2004, S. 102; vgl. auch R v Browne (1997), 116 C.C.C. (3d) 183 (Ont CA). 1142 Die Niederlegung im Strafgesetzbuch entspricht der Tendenz, common lawHandlungspflichten zurückzudrängen vgl. Stuart, Buffalo Criminal Law Review 2000, 42.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nach, Körperverletzungen zu verhindern, kann er wegen fahrlässiger Körperverletzung strafrechtlich haften (Abschnitte 221, 219 kanadStGB). Eine Haftung wegen eines Tötungsdelikts erscheint ebenfalls nicht ausgeschlossen. Damit geht die kanadische Vorschrift deutlich über auch in England1144 oder den USA1145 niedergelegte Pflichten der Arbeitgeber hinaus. Doch geht es auch bei Art. 217.1 kanadStGB in erster Linie um Schutzpflichten gegenüber den eigenen Arbeitnehmern.1146 Dies geht aus dem Wortlaut und Hintergrund des Gesetzgebungsvorhabens hervor.1147 Mit der Formulierung „oder eine andere Person“ (or any other person) dürften in erster Linie andere Arbeiter des Unternehmens gemeint sein. Die Tatsache, dass ein Unternehmensleiter auch die Verletzung von Unternehmensmitarbeitern durch andere Unternehmensmitarbeiter verhindern muss, impliziert zwar auch eine Überwachungspflicht im Hinblick auf die eigenen Arbeiter. In dieser Konstellation kommt die Vorschrift einer Vorgesetztenverantwortlichkeit am nächsten. Möglicherweise steht Abschnitt 217.1 kanadStGB offen für eine weite Auslegung. Insgesamt sind die Handlungspflichten jedenfalls stark auf die nach deutscher Terminologie „Beschützergarantenpflichten“ ausgerichtet. „Überwachungsgarantenpflichten“ spielen eine weniger wichtige Rolle. Als Fall1143 Abschnitt 217.1 kanadStGB, 2003, c. 21, s. 3, lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: Jedermann, der es unternimmt oder die Befugnis hat zu steuern, wie eine andere Person die Arbeit oder eine Aufgabe erfüllt, hat eine Pflicht, angemessene Schritte zu unternehmen, um Körperverletzungen dieser Person oder einer anderen Person, die mit der Arbeit oder Aufgabe zusammenhängen, zu verhindern. 1144 Abschnitt 3 Health and Safety at Work etc Act 1974 lautet: „(1) It shall be the duty of every employer to conduct his undertaking in such a way as to ensure, so far as is reasonably practicable, that persons not in his employment who may be affected thereby are not thereby exposed to risks to their health or safety.“ Nach Abschnitt 33 stellt die Verletzung dieser Pflicht eine Straftat dar, die allerdings nur ein Delikt strikter Verantwortlichkeit (strict liability) darstellt, vgl. R. v. Associated Octel Co Ltd [1996] 4 All ER 846 (HL). Vgl. Abschnitt 2 im Hinblick auf Schutzpflichten gegenüber eigenen Angestellten. R v Gateway Foodmarkets [1997] 2 Cr App Rep 40. 1145 29 US-GB 654 lautet: „Each employer shall furnish to each of his employees employment and a place of employment which are free from recognized hazards that are causing or likely to cause death or serious physical harm to his employees.“ Nach 29 US-GB 666 a kann die Verletzung nur zu einer zivilen Geldstrafe führen. 1146 Unklare obiter dicta-Ausführungen in R v Brink’s Canada Ltd, 2005 BCPC 0380 (CanLII). 1147 Hintergrund ist das Unglück in einer Mine in Westray, Nova Scotia 1992. Trotz massiver Verletzung von Sicherheitsvorschriften wurde die Unternehmensführung damals nicht belangt.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

gruppe wird zwar auch die Verursachung einer Notsituation oder Gefahr diskutiert.1148 Der US-amerikanische Strafrechtler LaFave nennt überdies die Fallgruppe „Pflichten von Grundstückseigentümern“ und verweist auf Urteile, in denen Grundstückseigentümer für Gefahren auf ihren Grundstücken haftbar gemacht wurden.1149 Doch sind die Überwachungspflichten selten auf das freiverantwortliche Handeln anderer Personen bezogen. In common law Rechtsordnungen besteht keine allgemeine Pflicht, das strafbare Verhalten anderer Personen zu verhindern.1150 Auch dies ist Ausfluss der stark auf die Autonomie des Individuums ausgerichteten common law Rechtsordnungen.1151 Für ein strafbares Verhalten sind daher in erster Linie nur die unmittelbar handelnden Täter verantwortlich. Nur unter bestimmten Umständen sind neben diesen Tätern andere Personen strafrechtlich verantwortlich, die das strafbare Handeln nicht verhindert haben. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich das Nichteingreifen als „Beihilfe durch Unterlassen“ (aiding and abetting, encouraging) darstellt. So kann ein Ehepartner strafrechtlich haften, wenn er seinen Ehepartner nicht daran hindert, die Kinder zu töten. Die Verurteilung basiert jedoch nicht auf einer Kontrollpflicht gegenüber dem Ehepartner, sondern auf der Schutzpflicht gegenüber den Kindern. Der Ehepartner haftet als Gehilfe, wenn sein Nichteinschreiten sich für den anderen Ehepartner als Beihilfe darstellt.1152

1148 Engl.: R. v. Miller [1983] 2 A.C. 171 (HL) (Nichtlöschen eines unbeabsichtigt ausgelösten Brandes), allerdings str., ob „continuing act“; USA: LaFave, Bd. 1, S. 441 m. w. N.; Kan: R. v. Browne (1997) 116 C.C.C. (3d) 183 (Ont CA); auch Law Reform Commission, Report 31 on Recodifying Criminal Law, 1987, S. 19: „rectify dangers of his own creation or within his control“. 1149 Com. v. Welansky, 55 N.E.2d 902 (1944) (Nachtclubbesitzer haftet für Tod von Besuchern bei fehlenden Notausgängen); People v. Nelson, 128 N.E.2d 391 (1955) (Haus ohne Feuermelder); In State v. White, 528 A.2d 811 (1987) aber Freispruch, weil keine Pflicht zum Einbau von Rauchmeldern. Vgl. auch Pflicht zur Sicherung einer Stelle offenen Eises oder ausgekofferten Bodens (Abschnitte 263(1), 263(2) kanadStGB). 1150 Allan [1965] 1 QB 130, [1963] 2 All ER 897, [1963] 3 WLR 677: „non-interference to prevent a crime is not itself a crime“; Ashworth, S. 433, 434. 1151 Eine Pflicht, Straftaten zu verhindern, hat allein die Polizei; Engl.: R. v. Dytham [1979] Q.B. 722; Kan: R. v. Nixon (1990) 57 C.C.C. (3d) 97. 1152 Engl.: R. v. Russell and Russell (1987) 85 Cr. App. R. 388: „Crown must prove that the defendant aided, abetted, counselled or procured the commission of the crime by the other.“ Vgl auch R. v. Russell (1933) VLR 59; Kan: R. v. Popen (1981) 60 C.C.C. (2d) 232 (Ont CA): „a parent is under a legal duty at common law to take reasonable steps to protect his or her child from illegal violence used by the other parent“. Vgl. auch R. v. Nixon (1990) 57 C.C.C. (3d) 97, wo ein Polizist als Gehilfe verurteilt wurde, weil er Gefängnisinsassen nicht vor Angriff geschützt hat, indem er nicht gegen Angreifer vorging.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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II. Fallgruppe der „Kontrollgewalt“ (power to control) Klausel 27(1) des Entwurfs für ein Strafgesetzbuch für England und Wales bestimmt: „A person is guilty of an offence as an accessory, if: (a) he intentionally procures, assists or encourages the act which constitutes or results in the commission of the offence by the principal; and . . . (b) Assistance or encouragement includes assistance or encouragement arising from a failure by a person to take reasonable steps to exercise any authority or to discharge any duty he has to control the relevant acts of the principal in order to prevent the commission of the offence.“1153 [Hervorhebung hinzugefügt]

Abschnitt 2.06 (3)(a) (iii) US-Modellstrafgesetzbuch lautet: „A person is an accomplice of another person in the commission of an offense if: . . . (iii) having a legal duty to prevent the commission of the offense, fails to make proper effort to do so.“1154 [Hervorhebung hinzugefügt]

Beide Vorschriften nehmen auf eine Pflicht, Straftaten zu verhindern, Bezug. Aus den allgemeinen Vorschriften geht überdies hervor, dass die Nichterfüllung dieser Pflicht als Teilnahme an der nicht verhinderten Tat (accessory/accomplice liability) eingeordnet wird.1155 1153 Clause 27(1) Draft Criminal Code for England and Wales lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: Eine Person ist als Teilnehmer einer Straftat strafbar, wenn: (a) sie vorsätzlich eine Handlung veranlasst, unterstützt oder zu ihr ermutigt, die eine Straftat darstellt oder die in der Begehung einer Straftat durch den Haupttäter resultiert; und . . . (b) Unterstützung oder Ermutigung umfasst die Unterstützung oder Ermutigung, die aus einem Versäumnis der Person herrührt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Führungsgewalt auszuüben oder einer Pflicht nachzukommen, die ihm obliegt, um die entsprechenden Handlungen des Haupttäters zu kontrollieren, um die Begehung der Straftat zu verhindern. 1154 Abschnitt 2.06 (3)(a)(iii) US-ModellStGB, dt. Übersetzung durch Verf.: Eine Person ist ein Teilnehmer im Hinblick auf eine andere Person bei der Begehung einer Straftat, wenn: (iii) sie eine Rechtspflicht hat, die Begehung einer Straftat zu verhindern, und es versäumt, angemessene Anstrengungen zu unternehmen. 1155 In common law Rechtsordnungen wird traditionellerweise nicht zwischen der Haftung und Bestrafung von Haupttätern und Teilnehmern unterschieden. Abschnitt 8 Aidors and Abettors Act 1861 lautet: „. . . liable to be tried, indicted, and punished as a principal offender.“ Dies geht auch aus Abschnitt 21 (1) kanadStGB hervor: Abschnitt 21(2) kanadStGB: „Every one is a party to an offence who (a) actually commits it; (b) does or omits to do anything for the purpose of aiding any person to commit it; or (c) abets any person in committing it.“

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Weder die Vorschriften im Entwurf für England und Wales noch die im US-Modellstrafgesetzbuch sind derzeit geltendes Recht. Die englische Rechtskommission (Law Commission) stützte sich bei ihrem Vorschlag inbesondere auf eine Reihe von Fällen, die unter dem Stichwort „Kontrollgewalt“ diskutiert werden.1156 Ähnliche Fallkonstellationen werden in den USA als „Pflicht zur Kontrolle des Verhaltens anderer Personen“1157 diskutiert. In der Literatur scheint anerkannt, dass die Nichtausübung von Kontrollgewalt sich als „Ermutigung“ oder psychische Beihilfe zu den Straftaten anderer Personen darstellen kann.1158 Die Gerichte haben in einige Fällen bei einer Verurteilung aufgrund Unterlassens Bezug auf eine „Kontrollgewalt“ (power/right to control) genommen. Einige der Fallgestaltungen haben Ähnlichkeiten mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit, die meisten Fallgestaltungen beruhen bei näherem Hinsehen allerdings nicht auf einer Kontrollgewalt über Personen. So gibt es in allen drei untersuchten Rechtsordnungen „Beifahrerfälle“, bei denen die Haftung des Beifahrers, der den Fahrer nicht von einer gefährlichen Fahrweise abhält, auf eine „Kontrollgewalt“ zurückgeführt wird:1159 Im Fall Moreland verurteilte ein Gericht der USA einen Pkw-Eigentümer, der seinen Chauffeur nicht davor zurückgehalten hatte, „mit seinem Eigentum eine Rechtsverletzung zu begehen“.1160 Im englischen Fall Du Cros v. Lambourne wurde ebenfalls der Pkw-Eigentümer verurteilt, weil er keinen Gebrauch von seiner „Kontrollgewalt über den Pkw“ (control of the car) gemacht habe.1161 Im kanadischen Fall Kulbacki erklärte das Ge1156 Law Commission, A Criminal Code for England and Wales, Bd. 2 Commentary on Draft Criminal Code Bill, 1989, S. 206: „a more controversial principal, which is, however, well supported by authority.“ 1157 LaFave, Bd. 1, S. 442. 1158 Smith/Hogan, S. 150: „Where D has a right to control the action of another and he deliberately refrains from exercising is, his inactivity may be a positive encouragement to the other to perform an illegal act, and, therefore, an aiding and abetting.“ Williams, Criminal Law, S. 360; Ashworth, S. 433: „control principle“. Vgl. auch kanadischen Fall R. v. Nixon (1990). 57 C.C.C. (3d) 97, wo die BeifahrerFälle ebenfalls als Ermutigung diskutiert werden. 1159 USA: Moreland v. State, 129 S.E. 77 (1927); Engl: Du Cros v. Lambourne [1907] 1 KB 40; Rubie v. Faulkner [1940] 1 KB 571; R. v. Harris [1964] Crim LR 54; Kan: R. v. Kulbacki (1966), 1 C.C.C. 167 (ManCA). 1160 Moreland v. State, 129 S.E. 77 (1927): „It would be the owner’s duty,. . . to curb and restrain one in his employment and under his control, and prevent him from violating the law with his own property.“ 1161 Du Cros v. Lambourne [1907] 1 KB 40: „with the consent and approval of the appellant, who was the owner and in control of the car and was sitting by her side, and he could and ought to have prevented her driving at such excessive and dangerous speed.“ Es konnte allerdings nicht geklärt werden, wer am Steuer gesessen hat.

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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richt, dass der Eigentümer hafte, wenn er „Gewalt über den Pkw“ (authority over the car) oder irgendein Recht zur „Kontrolle des Fahrers“ (right to control)1162 gehabt habe. In allen Fällen sassen die Eigentümer mit im Pkw. Insgesamt ist bei der Fallgruppe der „Beifahrerhaftung“ das Eigentumsrecht oder die Herrschaftsgewalt über den Pkw entscheidend; eine Kontrollgewalt über die Fahrer leitet sich nur mittelbar daraus ab.1163 Die „Beifahrer im eigenen Pkw“ wurden als „Gehilfen“ verurteilt.1164 Obwohl es sich der Sache nach um Verurteilungen wegen einer „Beihilfe durch Unterlassen“ handelte, wurde eine Kontrollpflicht zumeist aber nicht direkt angesprochen.1165 Simester und Sullivan meinen, die Kluft zwischen der Kontrollgewalt und Kontrollpflicht sei leicht überbrückbar und verweisen dabei allerdings nur auf den besonders gelagerten Fall, dass es sich bei dem Fahrer um einen Fahrschüler gehandelt hat.1166 Im Fall Rubie v. Faulkner hat ein englisches Gericht auch tatsächlich eine Pflicht des Fahrlehrers angesprochen, seine Fahrschüler zu überwachen.1167 In den anderen Fällen, in denen es keinen derartigen Anknüpfungspunkt gab, soll sich die Handlungspflicht wohl aus der bloßen Kontrollgewalt über den Pkw ergeben.1168 Da die Herrschaftsgewalt über den Pkw der entscheidende Anknüpfungspunkt ist, sind die Fälle der „Beifahrerhaftung“ mit Fällen der Sicherung 1162 R v. Kulbacki (1966) 1 C.C.C. 167: „he failed to make any effort to stop or prevent the commission of the offence when he was in a position to do so and when he had the authority to do so.“ 1163 Im Hinblick auf Beifahrer, die nicht Eigentümer der PkWs waren, wurde in ähnlichen Fallkonstellationen keine Kontrollgewalt zur Begründung herangezogen. Hier wurde allerdings ebenfalls diskutiert, ob und inwieweit sich ihr Nichteingreifen oder Nichtprotestieren gegen eine gefährliche Fahrweise als „Ermutigung“ oder als „gemeinsame Aktion“ darstellt: USA: Eager v. State 325 S.W.2d 815 (1959); „active encouragement“ or „some degree of concert of action“; vgl. auch Smith/ Hogan, S. 151: „the case would presumably have been different, if it had been E’s own car, for D would then have had no right of control“. 1164 Du Cros v. Lambourne [1907] 1 KB 40; Rubie v. Falkner [1940] 1 KB 571; R. v. Kulbacki (1966), 1 C.C.C. 167; im Fall Moreland v. State 129 S.E. 77 (1927) allerdings „involuntary manslaughter“. 1165 Damit wurde das Problem umgangen, dass es auch im common law Rechtskreis bei einer Beihilfe durch Unterlassen auf eine Pflicht zum Handeln ankommt, Stuart, S. 605. 1166 Simester/Sullivan, S. 206 mit Verweis auf Rubie v. Faulkner [1940] 1 KB 571. 1167 Rubie v. Faulkner [1940] 1 KB 571, 575: „to refrain from doing anything when he could see that an unlawful act was about to be done, and his duty was to prevent an unlawful act if he could, was for him to aid and abet.“ 1168 Ashworth, S. 434 merkt kritisch an, dass hier die Eigentümer zu „law enforcement agents in respect of their own property“ gemacht werden; kritisch auch Williams, Legal Studies 1987, 116–117.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

von Gefahrenquellen vergleichbar, in denen es um „Verkehrssicherungspflichten“ geht. Sie haben daher nicht direkt mit einer besonderen „Pflicht zur Kontrolle des Verhaltens anderer Personen“ zu tun. Ähnlich liegt es mit einem weiteren Fall, der unter der Fallgruppe „Kontrollgewalt“ diskutiert wird: In Tuck v. Robinson wurde ein Pubbesitzer als Gehilfe verurteilt, weil er Gäste nach der Sperrstunde weiter Alkohol konsumieren ließ, was eine Straftat darstellte. Auch hier bezog sich das Gericht nicht auf eine Pflicht des Pubbesitzers, die Gäste zu kontrollieren, sondern nur auf sein Recht, die Gäste nach Hause zu schicken.1169 Möglicherweise lässt sich eine Handlungspflicht aus dem Herrschaftsrecht über Gebäude und Grundstück herleiten.1170 Eine weitere Fallgruppe1171 der „Kontrollgewalt“ bezieht sich auf die Haftung von Arbeitgebern für Straftaten ihrer Arbeitnehmer1172 und kommt der Vorgesetztenverantwortlichkeit am nächsten. Im englischen Fall JF Alford Transport Ltd. waren die Manager eines Transportunternehmens nicht dagegen eingeschritten, dass ihre Fahrer die Tachometer fälschten.1173 Das Gericht führte aus, dass die Manager die Fälschungen dadurch unterstützt hätten, dass sie ihre „Kontrollmacht“ (ability to control) nicht ausgeübt hätten. Das Kontrollrecht leitete das Gericht aus dem arbeitsrechtlichen Verhältnis zwischen den Managern und den Fahrern und nicht allein aus der Herrschaftsgewalt über die LkWs ab. Es führte sodann aus, worauf es ankomme: Kenntnis von der Haupttat; die Macht, die Handlung der Straftäter zu kontrollieren und die bewusste Entscheidung, untätig zu bleiben1174 Im Fall JF Alford Transport Ltd. stand, wie auch bei den Pkw-Fällen, eine Haftung aufgrund Beihilfe/Ermutigung (encouraging) in Frage. Das Gericht meinte, Arbeitgeber könnten durch die Nichtausübung von Kontrolle gegenüber untergebenen Mitarbeitern deren Straftaten fördern, sie er1169 Tuck v. Robson [1970] 1 All ER 1171: „no steps being taken to enforce his right either to eject the customers or at any rate to revoke their licence to be on the premises.“ 1170 Law Commission, A Criminal Code for England and Wales, Bd. 2 Commentary on Draft Criminal Code Bill, 1989, S. 207: „management of premises“. 1171 Obwohl sie oft als Fallgruppe dargestellt wird, gibt es neben dem immer wieder zitierten JF Alford Transport bisher kaum vergleichbare Fälle; Cassady v. Reg Morris Transport [1975] RTR 470 nur „encouragement“. Für Ausweitung auf Arbeitgeber aber auch Williams, Legal Studies 1987, 118. 1172 LaFave, Bd. 1, S. 442 Fn. 34, der auf den Fall Moreland v. State 129 S.E. 77 (1927) verweist, aber einräumt, dass es wohl nicht auf ein Anstellungsverhältnis ankommt. 1173 JF Alford Transport Ltd [1999] RTR 51, [1997], 2 Cr App R 326. 1174 JF Alford Transport Ltd [1999] RTR 51, [1997], 2 Cr App R 326: „What mattered was knowledge of the principal offence, the ability to control the action of the offender, and the deliberate decision to refrain from doing so.“

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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mutigen, mit einem strafbaren Verhalten fortzufahren. Obwohl es sich hierbei eindeutig um ein Unterlassen handelte, scheint das Gericht wohl von aktiver Ermutigung auszugehen.1175 Die Manager von JF Alford Transport Ltd. wurden letztlich freigesprochen, da ihnen kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte. Das Delikt „Falscher Eintrag auf einem Tachographen“ (Abschnitt 99.(5) Transport Act 1968, c. 73) setzt „Wissen“ voraus, ist folglich kein verschuldensunabhängiges Delikt. Die Manager hätten nur dann verurteilt werden können, wenn sie „vorsätzlich“ (intended) von Kontrollen Abstand genommen hätten, mit dem Wissen, dass dies die Fahrer bei den Fälschungen hätte unterstützen oder sogar ermutigen können.1176 Auch „willentliche Blindheit“ wäre ausreichend gewesen.1177 Ähnliche Fälle, die wie JF Alford Transport Ltd. eine Haftung des Arbeitgebers nach allgemeinen Regeln aufgrund Beihilfe/Ermutigung letztlich aus der Kontrolle des Arbeitgebers über seine Arbeitnehmer ableiten, gibt es, soweit ersichtlich, nicht. Dies liegt auch daran, dass in sehr vielen Gesetzen die Direktorenhaftungsklauseln normiert sind. III. Strikte Haftung und stellvertretende Haftung (strict liability, vicarious liability) Die Analyse der Lehre vom Unternehmensverantwortlichen und der Direktorenhaftungsklauseln haben gezeigt, dass Vorgesetzte für Rechtsverlet1175 JF Alford Transport Ltd [1999] RTR 51, [1997], 2 Cr App R 326: „individual appellants [. . .] gave positive encouragement to the driver to perform illegal acts“; nach Cassady v. Reg Morris Transport [1975] RTR 470 soll das Unterlassen des Arbeitgebers, auf eine Einhaltung der Vorschriften durch seine Mitarbeiter hinzuwirken, als „Beweis“ für eine tatsächliche Ermutigung gelten; Williams, Criminal Law, S. 360. 1176 JF Alford Transport Ltd [1999] RTR 51, [1997], 2 Cr App R 326: „intended to do the acts which he knew to be capable of assisting or encouraging the commission of the crime, but they need not have intended that the crime be committed.“ Im common law galt zunächst noch die Lehre vom „geteilten Vorsatz“ (shared intent), d.h. Täter und Teilnehmer mussten dieselbe Verschuldensform erfüllen. Später wurde die mens rea des Teilnehmers von der des Haupttäters abgekoppelt. Heute gilt: Im Hinblick auf das eigene Verhalten muss der Gehilfe vorsätzlich handeln. Im Hinblick auf die unterstützte Straftat ist erforderlich, dass er die wesentlichen Umstände kennt, die die Straftat des Haupttäters bilden, oder willentlich blind ist. Wie überhaupt alles, was die mens rea betrifft, sind auch die subjektiven Voraussetzungen bei der Teilnahme nicht abschließend geklärt. Smith/Hogan, S. 152 ff.; Simester/Sullivan, S. 207. 1177 JF Alford Transport Ltd [1999] RTR 51, [1997], 2 Cr App R 326: „We accept . . . that knowledge may be inferred if a defendant shuts his eyes to the obvious . . . deliberately refrained from making inquiries.“

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

zungen ihrer Untergebenen „strikt“, d.h. verschuldensunabhängig zur Verantwortung gezogen worden sind (strict liability).1178 Es handelte sich aber in diesen Fällen bei den durch das Unternehmen bzw. die Unternehmensmitarbeiter begangenen Straftaten um verschuldensunabhängige Delikte. Wie erläutert, hat sich in der US-amerikanischen Rechtsprechung mit der Ausweitung der Lehren auf verschuldensabhängige Delikte die Auffassung durchgesetzt, dass auch dem Unternehmensverantwortlichen bzw. leitenden Angestellten ein Verschulden nachgewiesen werden muss.1179 Die Direktorenhaftungsklauseln im englischen und kanadischen Recht enthalten ebenfalls ein Verschuldenselement.1180 Die stellvertretende Haftung (vicarious liability) hat gewisse Ähnlichkeit mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Bei der „stellvertretenden Haftung“ muss nicht nachgewiesen werden, dass die Person selbst den actus reus einer Straftat erfüllt, sondern es wird ihr die Handlung einer anderen Person zugerechnet.1181 Nach common law war ein Arbeitgeber in folgenden zwei Konstellationen „stellvertretend“ für Straftaten seiner Arbeitnehmer verantwortlich:1182 Zum einen haftete er strafrechtlich für eine durch seinen Arbeitnehmer verursachte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (public nuisance) auf seinem Grundstück oder auf der Straße.1183 Zum anderen war der Arbeitgeber für die Veröffentlichung verleumderischer Schriften strafrechtlich verantwortlich. Heutzutage kann eine stellvertretende Haftung nach herrschender Auffassung nur noch durch ein Gesetz festgelegt werden. In dem Strafgesetz muss zum Ausdruck kommen, dass stellvertretende Haftung gewollt ist.1184 Dies ist wiederum vor allem in zwei Konstellationen anerkannt: Entweder ist es nach dem Wortlaut möglich, dass die Handlung des Arbeitnehmers sich rechtlich gesehen als Handlung des Arbeitgebers darstellt, weil es beispielsweise um den „Verkauf“ von falsch deklarierten Waren in Geschäften des Arbeitgebers ging. Dies wird auch „extensive Wortlaut-Auslegung“ genannt.1185 Der Arbeitgeber verkauft seine Produkte 1178

Vgl. oben II. Vgl. oben II. 1. c). 1180 Vgl. oben II. 2. c) 3. 1181 Ormerod, Smith/Hogan. Criminal Law, S. 215; Vielmehr kommt es nur dann auch nicht auf ein Verschulden an, wenn beide Haftungsformen kombiniert sind, LaFave, Bd. 2, S. 372. 1182 Card hält diese beiden Konstellationen für im Grunde genommen „zivilrechtlich“, Card/Cross/Jones, S. 861. 1183 Stephens [1866] LR 1 QB 702, 710. 1184 LaFave, Bd. 2, S. 373. 1185 Coppen v. Moore (No 2) [1898] 2 QB 306, DC (Verkauf von amerik. als schottischer Schinken), vgl. Card/Cross/Jones, S. 861 (extensive construction). 1179

D. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten

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„durch seinen Angestellten“. Zum Zweiten ist die stellvertretende Haftung in Zusammenhang mit dem sogenannten Grundsatz der Delegierung (delegation principle) anerkannt. Mit „Delegierung“ ist jedoch nicht gemeint, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer die Verantwortung über irgendeinen Aufgabenbereich überträgt, sondern von „Delegierung“ wird nur im Zusammenhang mit Lizenzen, Schank- und Gewerbeerlaubnissen gesprochen,1186 die persönlich auf den Arbeitgeber ausgestellt sind. Man will damit erreichen, dass der Inhaber bestimmter Lizenzen und Erlaubnisse sich nicht der Haftung wegen Sonderdelikten entziehen kann.1187 Delegiert ein Arbeitgeber mit besonderen Erlaubnissen den Ausschank an untergebene Mitarbeiter, so wird ihm auch deren Vorsatz zugerechnet (imputed).1188 Ausgeschlossen ist es jedoch, dass ein Vorgesetzter für schwere Straftaten seiner Untergebenen „stellvertretend“ haftet. Die Fallgruppe der Delegierung ist, wie erläutert, eng begrenzt. Auch über eine extensive Wortlautauslegung ist eine Zurechnung schwererer Straftaten nicht möglich. Schon allgemeine Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte sind nicht mehr erfassbar. So können schließlich auch die völkerrechtlichen Verbrechen nicht extensiv dahingehend ausgelegt werden, dass ein Vorgesetzter (der Sache nach) Völkermord begeht, wenn seine Untergebenen Völkermord begehen. Die Situation ist mit der des „Verkaufens“ oder „Anbietens“ nicht vergleichbar.1189 Stellvertretende Haftung ohne eigenes Verschulden, also kombiniert mit strikter Haftung, ist im Schadensersatzrecht anerkannt. Dort gilt der Grundsatz respondeat superior, wonach ein Vorgesetzter ohne eigenes Verschulden für Schäden haftet, die durch das Verhalten seiner Arbeitnehmer entstanden sind.1190 Ein derartiger Grundsatz respondeat superior ist jedoch im Strafrecht nicht anerkannt. Das wurde bereits im Fall Huggins aus dem Jahr 1730 klargestellt.1191 Trotz einiger Versuche, Regeln aus dem Schadens1186 Card/Cross/Jones, S. 863: „appears to be limited to a small number of offences which can only be committed by a person of a specific type.“; Kan: vgl. Nachweise bei Stuart, S. 625 ff. 1187 Vgl. näher Stein, S. 329 f. 1188 Allen, S. 240 f. 1189 Nach Ansicht von Stein, S. 328, 329 fallen überhaupt „allgemeine Strafvorschriften“ aus dem Anwendungsbereich heraus. 1190 Vgl. bspw. Majrowski v. Guy’s, St. Thomas’ NHS Trust, [2006] UKHL 34 (HL); vgl. auch unter V. Schadensersatz für Menschenrechtsverletzungen. 1191 Engl.: Huggins [1730] 1 Barn KB 358, 396, 2 Ld Raym 1574, 94 ER 241, 267: „It is not a point to be disputed but that in criminal cases the principal is not answerable for the act of the deputy, as he is in civil cases; they must each answer for their own acts and stand or fall by their own behaviour“ (Angeklagter haftet nicht für den Tod eines Häftlings, der durch einen Angestellten des Gefängnisses der Flotte unter gesundheitsschädlichen Bedingungen in eine Zelle eingesperrt worden war (allerdings ohne Weisung oder Kenntnis des Angeklagten); zit. nach Simes-

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

ersatzrecht in das Strafrecht zu importieren,1192 gilt dies jedenfalls nicht für die Maxime respondeat superior. Insgesamt kann daher über die Regeln der stellvertretenden Verantwortung keine Vorgesetztenverantwortlichkeit wie in Art. 28 b) IStGH-Statut hergeleitet werden. Auch die Berufungskammer des JStGH im Fall Cˇelebic´i klargestellt, dass es sich bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit weder um eine verschuldensunabhängige strikte Haftung1193 noch um eine „stellvertretende Haftung“ handelt. IV. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln Nach allgemeinen Regeln lässt sich aus den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen kein Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit ableiten. Der aus dem Schadensersatzrecht stammende Grundsatz respondeat superior ist im Strafrecht nicht anerkannt. Nach den Grundsätzen des ungeschriebenen Unterlassens (commission by omission) haftet auch im anglo-amerikanischen Strafrecht nur, wer eine Rechtspflicht zum Handeln hat. Eine allgemeine Pflicht des Vorgesetzen, bei Straftaten seiner Untergebenen einzuschreiten, ist jedoch weder in den USA noch in England oder Kanada anerkannt. Über die Fallgruppe der Kontrollgewalt (power to control) wurden bisher vor allem „Pkw-Fälle“ erfasst, in denen vermittelt über die sächliche Kontrollgewalt über den Pkw eine Pflicht zum Einschreiten gegenüber den Fahrern hergeleitet wurde. Der englische Fall JF Alford Transport Ltd. stellt insoweit eine Ausnahme dar, ter/Sullivan, S. 243; USA: Commonwealth v. Koczwara, 397 Pa.575, 155 A.2d 825 (1959); Kan: Sault Ste. Marie (1978) 40 C.C.C. (2d) 253 (SCC).; Canadian Dredge &Dock Co. (1985) 45 C.R. (3d) 289 (SCC): „the doctrine of respondeat superior is unknown in the criminal law.“ 1192 USA: Im Fall People v. Heitzman, 886 P.2d 1229 (Cal. 1994) erklärte das Oberste Gericht Kaliforniens, dass eine Pflicht zur Kontrolle sich ggfs. aus dem Schadensersatzrecht ergeben könne; Engl.: Richter Hallett in Rubie v. Faulkner [1940] 1 FB 571 spricht eine Maxime respondeat supervisor an, die auch LehrerSchüler-Verhältnis erfassen würde. Kanada hingegen sehr zurückhaltend; Auch nach dem US-Modellstrafgesetzbuch soll es möglich sein, ein strafrechtliche Haftung für ein Unterlassen aus einer schadensersatzrechtlichen Pflicht abzuleiten. American Law Commission, Model Penal Code and Commentaries, Bd. 1, 1985, S. 222: „duty imposed by law“ may be a . . . duty arising from tort; das wird von Stuart heftig kritisiert, Stuart, Buffalo Criminal Law Review 2000, 42: „Allowing criminal responsibility to rest . . . on any common law duty such as those found in torts is a fundamental breach of the principle of legality.“ 1193 Prosecutor v. Delalic ´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 30.3.2002, Para. 313: „undisputed that Command Responsibility does not impose strict liability on a superior.“ Para. 239; Prosecutor v. Blaškic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 2.3.2000, Para. 321; Wu/Kang, Harvard International Law Journal 1997, 279 f.

E. USA: Command Responsibility

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als das Gericht es für möglich hielt, die Unternehmensleiter auf Grundlage ihrer Kontrollgewalt über die Arbeitnehmer als Gehilfen zu verurteilen. Nicht erkennbar ist, dass die Fallgruppe der Kontroll- oder Herrschaftsgewalt über eine Sache allgemein auf Unternehmenseigentum ausgeweitet und daraus eine Pflicht von Unternehmensleitern hergeleitet würde, gegen strafbares Verhalten von Unternehmensmitarbeitern einzuschreiten, das mit den sächlichen Gefahren des Unternehmens zu tun hat, wie dies beispielsweise in Deutschland von einer starken Meinung für möglich gehalten wird.1194 Die Haftung von Direktoren und Unternehmensverantwortlichen für Straftaten in ihrem Betrieb und Unternehmen richtet sich im common law Rechtskreis vor allem nach den gesetzlich normierten Direktorenhaftungsklauseln bzw. der US-amerikanischen Lehre vom Unternehmensverantwortlichen.

E. USA: Command Responsibility und Schadensersatz für Menschenrechtsverletzungen In den vorangegangenen Abschnitten wurde untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen Vorgesetzte in common law Rechtsordnungen für Straftaten ihrer Untergebenen strafrechtlich haften. Seit einiger Zeit wird die Command Responsibility in den USA zur Begründung und Untermauerung von zivilrechtlichen Schadensersatzklagen wegen internationaler Menschenrechtsverletzungen herangezogen. Die ausdrückliche Berufung auf die Command Responsibility rechtfertigt es, diese Fälle im Folgenden kurz darzustellen, obwohl damit der Bereich des Strafrechts im engen Sinne verlassen wird.1195 Die Grundlage für eine zivilrechtliche Ahndung von Menschenrechtsverletzungen stellen das US-amerikanische Gesetz über ausländische Schadensersatzansprüche (Alien Tort Claims Act, ATCA)1196 und das 1992 erlassene Gesetz über den Schutz von Folteropfern (Torture Victim Protection Act, TVPA)1197 dar. Auf Grundlage des ATCA wurde in einem ersten Fall 1194

Vgl. oben 1. Kap. D. II. 3. b). Da in den USA in einem Schadensersatzprozess auch sogenannte „punitive Geldbußen“ (punitive damages) verhängt werden können, können die Prozesse überdies zumindest einen strafähnlichen Charaker erlangen; vgl. Walther, GA 2004, 392: „Strafverfolgung per Zivilprozess“. 1196 Inkorporiert in 28 US-GB 1350 (1988). 1197 Das Gesetz über ausländische Schadensersatzansprüche gibt es seit 1789, es erlangte aber Bedeutung erst mit dem Gesetz über den Schutz von Folteropfern von 1992; vgl. 28 US-GB 1350. 1195

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

(Filártiga v Pena Irala1198) ein paraguayischer Polizeiinspekteur wegen Folter zu $ 10 Millionen Schadensersatz verurteilt. Diese Entscheidung sowie der Erlass des TVPA 19921199 haben eine ganze Reihe weiterer Klagen ausgelöst.1200 Einige dieser Schadensersatzklagen richteten sich auch gegen Vorgesetzte, beispielsweise gegen den argentinischen General Suarez-Mason, den guatemalischen General Gramajo sowie gegen den Ex-Diktator Marcos und auch gegen Radovan Karadžic´.1201 Ausführlich wurde die Command Responsibility in den Urteilen gegen die beiden ehemaligen salvadorianischen Verteidigungsminister Garcia und Vides Casanova analysiert: In Ford v. Garcia1202 ging es um die Folterung und den Mord an vier Missionaren durch die Nationalgarde El Salvadors im Jahr 1980 (bekannt als church-women-Fall). Ein Bezirksgericht in Florida (District Court) und das Berufungsgericht erklärten es ausdrücklich für zulässig, Vorgesetzte aufgrund der Command Responsibility zivilrechtlich in Anspruch zu nehmen, wenn sie ihre Untergebenen nicht an der Begehung von Straftaten gehindert haben. Nach Auffassung des Berufungsgerichts gelten dabei dieselben Voraussetzungen der Command Responsibility wie in Strafsachen, wobei das Gericht die Rechtsprechung der Ad-hoc-Gerichtshöfe und sogar Art. 28 IStGH-Statut heranzog.1203 Allerdings wurden die Beklagten letztlich nicht zum Schadensersatz verurteilt, weil sie keine Möglichkeit gehabt hätten, Kontrolle über die Nationalgarde auszuüben und damit keine „tatsächliche Befehlsgewalt“ gehabt hätten.1204 1198

Filártiga v. Ena-Irala, 630 F.2d 876, 8886 f (2d Cir. 1980); Stephen/Ratner, S. 95 ff.: vgl. auch Walther, in: Grenzüberschreitungen, S. 229, 233 ff. 1199 Im Gegensatz zum Strafrecht gilt insbesondere i. R. d. TVPA das Universalitätsprinzip; Vgl. Silverman, in: National Prosecution of International Crimes, Bd. 5, S. 503. 1200 Sosa v. Alvarez-Malchain, 124 S.Ct. 2739 (2004): Bestätigung von Filártiga; vgl. Besprechung Brav, Harvard International Law Review 2005, 265 ff. Vgl. auch Langston, 4 ICLR 2004, 162 ff. 1201 Forti v. Suarez-Mason, 672 F.Supp. 1531 (N.D.Cal. 1987); Xuncax v. Gramajo, 886 F.Supp. 172 (D. Mass 1995), Hilao v. Marcos, 103 F.3d 767 (9th Cir 1996); Kadic´ v. Karadžic´, 70 F.3d 232 (2nd Cir 1995); Zusammenfassende Darstellung Ratner, www.humanrightsnow.org /articles (Juni 2007, Ausdruck bei Verf.). 1202 Ford v. Garcia, Docket No. 99-8359, 30.4.2002 (District Court for the Southern District of Florida). 1203 Ford v. Garcia, 289 F.3d 1283 (11th Cir, 2002): „We find no indication that [. . .] it intended courts to draw any distinction in their application of command responsibility in the civil area.“ 1204 Eine Rolle spielte dabei auch eine Aufteilung der Darlegungs- und Beweislast zulasten der Kläger; vgl. zu dem Fall Brooker, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 2003, 701–724.

E. USA: Command Responsibility

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Eine andere Klage dreier Folteropfer gegen dieselben Beklagten (Romagoza Arce v. Garcia1205) vor demselben Gericht in Florida war zunächst erfolgreich. Die beiden salvadorianischen Verteidigungsminister wurden im Juli 2002 zu einer Schadensersatzsumme von $ 54,6 Millionen verurteilt, weil sie die ihnen untergebenen Truppen der Nationalgarde nicht an der Folterung der Kläger gehindert hatten. Dieses Urteil wurde als bahnbrechend gefeiert.1206 Die Beklagten waren sodann im Februar 2005 mit einer Verjährungseinrede vor dem Berufungsgericht erfolgreich.1207 Einen Antrag auf erneute Verhandlung (petition for rehearing) lehnte das Gericht im April 2005 ab, hob diese Entscheidung jedoch im August 2005 wieder auf und kündigte eine neue Entscheidung an.1208 Im Januar 2006 entschied das Berufungsgericht dann „in einem zweiten Anlauf“, dass ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen die Verjährung nicht eingreift und bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts.1209 Eine weitere aktuelle Klage, die ebenfalls auf die Command Responsibility gestützt ist, richtete sich den ehemaligen Befehlshaber und stellvertretenden Verteidigungsminister El Salvadors Carranza.1210 Am 18. November 2005 verurteilte ihn ein Bundesgericht in Memphis zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von $ 1,5 Millionen an jeden Kläger. In den meisten der bisher ergangenen Urteile waren die Beklagte militärische Vorgesetzte. Fraglich ist, ob auch nicht-militärische Vorgesetzte erfasst sind. Im Fall Kadic´ v. Karadžic´1211 entschied das Berufungsgericht, dass der Beklagte bei Inanspruchnahme auf Grundlage des ATCA – anders als beim TVPA, der eine staatliche Beteiligung an Folter und Tötung fordert – nicht einem international anerkannten Staat zugehörig, also kein staatlicher Akteur sein müsse (Karadžic´ als Präsident der selbsternannten Republik Srpska in Bosnien). Damit ist anerkannt, dass auch de facto Vorgesetzte vor US-amerikanischen Gerichten auf Schadensersatz in Anspruch genommen 1205

Romagoza Arce v. Garcia, Docket No. 99-8364.Civ-HURLEY (District Court, Southern District of Florida). Entscheidung zu finden unter www.cja.org (Juni 2009). 1206 Vgl. Informationen des Center for Justice and Accountability, das die Klage ermöglicht hatte, www.cja.org (Juni 2009): „landmark victory for human rights litigation“. 1207 Nach § 2 (c) TVPA tritt nach 10 Jahren Verjährung ein. 1208 Hierbei handelte es sich um einen eher außergewöhnlichen Schritt des Gerichts. 1209 Romagoza Arce et al. v. Garcia, Vides-Casanova, 2006 WL 13218 (11th Cir): „under doctrine of equitable tolling“. 1210 Chavez v. Carranza, vgl. Informationen bei www.cja.org (Juni 2009). 1211 Kadic ´ v. Karadžic´, 70 F.3d 232 (2nd Cir 1995). Schadensersatz in Höhe von $ 4,5 Milliarden.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

werden können.1212 Das Gericht erklärte, dass auch „Privatpersonen“ für bestimmte Verletzungen des Völkerrechts wie Völkermord, Kriegsverbrechen usw. haften.1213 Mit der Frage, ob dies auch außerhalb von militärischen Zusammenhängen gilt, musste das Gericht sich allerdings nicht befassen, da es in der Klage um Gräueltaten bosnisch-serbischer Truppen unter Karadžic´’s Befehlsgewalt während des Bosnien-Krieges ging. Im Fall Doe I v. Unocal1214 erklärte das US-amerikanische Berufungsgericht im September 2002, dass auch ein Privatunternehmen für die Teilnahme an Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden könne, wobei eine bewusste Unterstützung oder Ermutigung (aiding and abetting, encouragement) ausreichend sei.1215 Das Gericht bestätigte, dass es – außer bei Foltervorwürfen nach TVPA – nicht auf eine „staatliche Handlung“ (state action) ankomme. Die Voraussetzungen für die Beihilfe erläuterte das Gericht anhand der Rechtsprechung der Ad-hoc-Gerichtshöfe.1216 Die Command Responsibility spielte allerdings in dem Fall, der allein auf die Unternehmenshaftung ausgerichtet war1217, keine Rolle. Unocal hat im April 2005 einer Entschädigungsvereinbarung zugestimmt.1218 Obwohl es daher möglich ist, Privatpersonen oder sogar Privatunternehmen nach dem ATCA zivilrechtlich in Anspruch zu nehmen,1219 gibt es bisher, soweit ersichtlich, keinen Fall, in dem ein Schadensersatzanspruch über eine Vorgesetztenverantwortlichkeit für nicht-militärische Vorgesetzte konstruiert worden wäre. Dies erscheint jedoch nicht prinzipiell ausgeschlossen. Denn zum einen zeigt die Rechtsprechung, dass sie sich an dem internationalen Strafrecht orientiert. Nach internationalem Strafrecht ist aber eine Vorgesetztenverantwortlichkeit auch für nicht-militärische Vorgesetzte anerkannt. Zum anderen ist die Haftung eines Vorgesetzten auch nach US-amerikanischem Schadensersatzrecht möglich. Nach der respondeat superior Doktrin haftet ein Vorgesetzter für Schäden, die seine Untergebenen im Rah1212

Ratner, www.humanrightsnow.org/ (Juni 2007, Ausdruck bei Verf.). Kadic´ v. Karadžic´, 70 F.3d 232 (2nd Cir, 1995). 1214 Doe I v. Unocal Corp., 248 F.3d, 915 (9th Cir, 2002). Vgl. Besprechung Seibert-Fohr, ZaöRV 2003, 195 ff. Kläger aus Burma verklagten das Energieunternehmen Unocal, weil burmesische Soldaten sie zur Zwangsarbeit beim Bau einer GasPipeline gezwungen hätten, einem Projekt, an dem Unocal beteiligt war. 1215 „standard for aiding and abetting under the ATCA is . . .knowing practical assistance or encouragement that has a substantial effect on the perpetration of the crime.“ 1216 Insbesondere Furundžija und Musema. 1217 Der Chef von Unocal Imle war Mitbeklagter. 1218 Vgl. Informationen unter www.earthrights.org/legal/unocal (Juni 2009). 1219 Weitere Schadensersatzklagen bspw. Wiwa v Royal Dutch Petroleum (Shell Nigeria, extrajudicial execution of two activists), 200 U.S.App. LEXIS 23274 (14.9.2000); vgl. www.earthrights.org/legal/shell (Juni 2009). 1213

F. Zusammenfassung

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men einer Verrichtung für den Vorgesetzten verursachen. Schließlich soll auch das Folteropfergesetz TVPA auf „jede Person mit höherer Führungsgewalt“ (anyone with higher authority) Anwendung finden, der Völkerrechtsverletzungen „genehmigt, geduldet oder wissentlich ignoriert“ hat.1220 Man kann daher davon ausgehen, dass auch nicht-militärische Vorgesetzte wegen Menschenrechtsverletzungen ihrer Untergebenen auf Schadensersatz haften. Fraglich sind jedoch die subjektiven Voraussetzungen. Nach der respondeat superior Doktrin haftet der Vorgesetzte verschuldensunabhängig, er kann sich durch den Nachweis ausreichender Sorgfalt (due diligence) verteidigen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Gerichte wieder Rückgriff auf das internationale Strafrecht nehmen. Es kommt folglich hier zu einer interessanten Wechselwirkung zwischen dem internationalen Strafrecht und dem US-amerikanischen Recht.

F. Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit im US-amerikanischen, englischen und kanadischen Strafrecht In England und Kanada ist mit den Umsetzungsgesetzen zum Römischen Statut der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit in das nationale Strafrecht übernommen worden. Militärische und nicht-militärische Vorgesetzte können zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Straftaten ihrer Untergebenen nicht verhindern. Dies gilt nicht nur für im Inland, sondern auch für im Ausland begangene Taten (mit Inlandsbezug), in Kanada sogar auf Grundlage eines eingeschränkten Universalitätsprinzips.1221 Die Umsetzungsvorschriften, die in England und Kanada zur Vorgesetztenverantwortlichkeit erlassen wurden, sind eng an Art. 28 IStGH-Statut angelehnt und sehen wie dieser erhöhte Haftungsvoraussetzungen für nichtmilitärische Vorgesetzte im Vergleich zu militärischen Vorgesetzten vor. Die britische Umsetzungsvorschrift gibt Art. 28 IStGH-Statut sogar wortwörtlich wieder. Diese statutnahe Umsetzung ist Ausdruck einer grundsätzlichen Völkerrechtsfreundlichkeit der beiden Länder, zeigt aber auch, dass Umsetzungsbedarf bestand, weil bisher der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht (ausreichend) verankert war. 1220 Bericht des Senats, No. 249, 102d Cong., 1st Sess at 9 (1991): „[A] higher official need not have personally performed or ordered the abuses in order to be held liable. Under international law, responsibility torture, summary execution, or disappearances extends beyond the person or the persons who actually committed those acts – anyone with higher authority who authorized, tolerated or knowingly ignored those acts is liable for them.“ 1221 Abschnitt 8 kanad-IStGHG.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

Die Abweichungen bei der Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut zeigen andererseits die Grenze der Vereinbarkeit des weitreichenden Art. 28 IStGH-Statut mit dem innerstaatlichen Recht an. Eine Verurteilung eines Vorgesetzten für Völkerrechtsverbrechen aufgrund einfacher Fahrlässigkeit wäre nach kanadischen Recht verfassungswidrig. Auch ein nicht-militärischer Vorgesetzter könnte nicht aufgrund einfacher Fahrlässigkeit verurteilt werden. Dieses Problem wird durch die Schaffung des selbständigen Straftatbestands „Pflichtverletzung eines Vorgesetzten“ im Umsetzungsgesetz allein nicht gelöst. Die Umsetzungsvorschrift modifiziert überdies die erleichterten subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 a) IStGH-Statut und übernimmt nicht den Standard „hätte wissen sollen“ (should have known). Vielmehr haften Befehlshaber nur, wenn sie „in strafrechtlich relevanter Weise fahrlässig“ (criminally negligent) waren, was Fahrlässigkeit bzw. einen bloß objektiven Sorgfaltspflichtverstoß ausschließt und Bewusstsein von der Gefahr der Begehung von Straftaten oder willentliche Blindheit gegenüber der Bedrohung erfordert. Die aus Art. 28 b) i) IStGH-Statut sowohl in England wie auch Kanada wörtlich übernommene Formulierung „bewusstes Außerachtlassen von eindeutigen Informationen“ im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte entspricht am ehesten dem in den common law Rechtsordnungen anerkannten Standard der „willentlichen Blindheit“. Willentlich blind ist ein Vorgesetzter, wenn er zwar nicht von der Vorbereitung oder Begehung von Straftaten durch seine Untergebenen wusste, aber wenn er die „Augen vor dem Offensichtlichen“ verschlossen hat. Eine „willentlich blinde“ Person wird im englischen und kanadischen Recht oft so behandelt, als ob sie tatsächliche Kenntnis gehabt hätte. Durch Erschwerung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen für militärische Vorgesetzte wurden in Kanada die Unterschiede in der Haftung militärischer und nicht-militärischer Vorgesetzten somit abgeschwächt. Auch in England war die Übernahme der Formulierung „should have known“ umstritten, weil diese Umschreibung des Verschuldensmaßstabs als rein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß verstanden werden kann. Die Entscheidung, Art. 28 a) i) IStGH-Statut dennoch wörtlich zu übernehmen, bedeutet andererseits nicht automatisch, dass ein rein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß nach englischem Recht ausreichen würde, um militärische Befehlshaber für Verbrechen seiner Untergebenen haftbar zu machen. Vielleicht verlassen sich die Briten auch im Rahmen des Umsetzungsgesetzes auf die Aussage von Smith/Hogan/Ormerod: „The words of an Act, when not positively misleading, are virtually irrelevant“.1222 Das britische Umsetzungsgesetz verweist überdies auf die (zukünftige) Rechtsprechung der internationalen Gerichtshöfe. Es ist daher denkbar und nicht unwahrscheinlich, 1222

Ormerod, Smith/Hogan, S. 1.

F. Zusammenfassung

357

dass auch in England mehr als ein rein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß auf Seiten des militärischen Befehlshabers erforderlich ist. Sowohl die kanadischen wie britischen Umsetzungsvorschriften übernehmen für nicht-militärische Vorgesetzte die zusätzliche Haftungsvoraussetzungen aus Art. 28 b) ii) IStGH-Statut. Die kanadische Vorschrift ersetzt aber den Begriff der „Verantwortlichkeit“ durch „Führungsgewalt“. Soweit eine Verbindung zwischen den Straftaten und Tätigkeiten der Untergebenen gefordert wird, kann dies als Voraussetzung der Organisationsbezogenheit der Straftaten verstanden werden. Erkenntnisse über den Unterschied zur Haftung militärischer Vorgesetzter lassen sich aus den Umsetzungsvorschriften nur wenige gewinnen. In Kanada ist die Zuordnung der Polizeikommandeure, obwohl diese nur einen vergleichbaren Grad an Führungsgewalt und Kontrolle ausüben, zur Gruppe der militärischen Vorgesetzten interessant, allerdings im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut fraglich, da sowohl militärische wie nicht-militärische Vorgesetzte „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ ausüben müssen, ohne dass dabei Abstufungen anerkannt wären. Andererseits wird auch bei der englischen Umsetzungsvorschrift klar, dass der Charakter militärisch/ nicht-militärisch von der Organisation oder Einheit abhängt, in die der Vorgesetzte eingegliedert ist. Will man nicht mit dem erklärten Ziel der Verfasser des Römischen Statuts in Konflikt geraten, dass auch Anführer paramilitärischer Einheiten wie militärische Befehlshaber haften, gilt es, den Begriff der militärischen Truppe (military forces) materiell zu verstehen. Hier stellt die Ausrichtung der militärischen Truppe auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei das zentrale Merkmal dar. Bis zum Erlass der Umsetzungsvorschriften hat es in den untersuchten Rechtsordnungen des common law Rechtskreises keinen vergleichbaren Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit gegeben. Dies veranschaulicht in besonderer Weise das US-amerikanische Strafrecht, das nicht im Hinblick auf das Römische Statut angepasst worden ist: In den USA gibt es außer einem nicht einmal rechtsverbindlichen Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht keinen vergleichbaren Grundsatz für nicht-militärische Vorgesetzte.1223 Allein die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer doctrine) weist Parallelen auf, weil nach dieser Doktrin leitende Angestellte mit Führungsgewalt und Kontrolle strafrechtlich haften, wenn sie Straftaten in ihrem Unternehmens nicht verhindern. Eine Reihe von englischen und kanadischen Spezialgesetzen aus dem Wirtschaftsbereich sieht eine ähnliche Haftung leitender Angestell1223

Cassel mahnt eine Umsetzung von Art. 28 Buchstabe b) IStGH-Statut auch für den Fall an, dass die USA das Römische Statut nicht umsetzen; Cassel, New England Law Review 2001, 443 f.

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3. Teil, 4. Kap.: USA, Kanada und England

ter in „Direktorenhaftungsklauseln“ vor. Parallelen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit bestehen nicht nur darin, dass als verantwortliche oder leitende Angestellte sowohl de jure wie auch die de facto Angestellte gezählt werden und diese ebenfalls eine Position mit „tatsächlicher Führungsgewalt“ (position of real authority) im Unternehmen einnehmen und Kontrolle über die Unternehmenstätigkeit ausüben müssen. Überdies ist Voraussetzung, dass die Straftat mit der Tätigkeit des Angestellten in Zusammenhang stand (within scope of office and employment), was wiederum für eine Auslegung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut interessant sein kann.1224 Die Lehren vom Unternehmensverantwortlichen sind jedoch auf schwere Verbrechen nicht anwendbar. Die Lehren vom Unternehmensverantwortlichen gehörten ursprünglich in den Bereich der verschuldensunabhängigen Delikte des Lebensmittel- und Gesundheitsrechts; sie sind zwar mittlerweile auf verschuldensabhängige Delikte beispielsweise des Umweltrechts ausgeweitet worden. Eine Ausweitung der Haftung leitender Angestellter wegen Tötungsdelikten erscheint aber nicht denkbar und nicht gewollt. Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung sind überdies wenig geklärt. Teilweise erlauben die englischen Direktorenhaftungsklauseln auch eine Haftung wegen eines einfachen objektiven Sorgfaltspflichtverstoßes. Insbesondere diese herabgesetzten subjektiven Voraussetzungen versperren eine Ausweitung auf schwerere Delikte oder gar Völkerrechtsverbrechen. Letztlich spiegelt sich diese (Zurück-)Haltung auch in den allgemeinen Grundsätzen der ungeschriebenen Unterlassenshaftung (commission by omission) wieder. Pflichten zur Überwachung oder Kontrolle anderer frei verantwortlich handelnder Personen sind selten. Dies erklärt sich mit dem stark auf Freiheitsrechte und Individualautonomie ausgerichteten angloamerikanischen Rechtssystem. Es gibt nur eine kleine, unter dem Stichwort „Kontrollgewalt“ diskutierte Gruppe von Fällen, die eine Unterlassenshaftung mit nicht ausgeübter Herrschafts- und Kontrollgewalt begründet, allerdings vor allem auf die Kontrolle im Pkw. Insgesamt handelt es sich nur um eine Handvoll Urteile, so dass es sogar fraglich ist, ob überhaupt, wie der Strafrechtler Ashworth meint, eine neue Gruppe von allgemeinen Pflichten zur Kontrolle des Verhaltens anderer Personen entstanden ist.1225 Insgesamt gilt weiterhin in common law Rechtssystemen, dass Arbeitgeber nicht grundsätzlich für Straftaten ihrer Arbeitnehmer haften. Im Unterschied zu der weitreichenden zivil- und schadensersatzrechtlichen Haftung von Arbeitgebern auch für Straftaten ihrer Arbeitnehmer (respondeat superior) gibt es keine vergleichbare strafrechtliche Haftung. Auch im staatlichöffentlichen Bereich gibt es keine vergleichbare Haftung von Amtsträgern. 1224 1225

Vgl. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut in 4. Teil E. II. Ashworth, S. 433, 434.

F. Zusammenfassung

359

Dies hat sich durch die Implementierung von Art. 28 IStGH-Statut in England und Kanada nun geändert. Die strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen Bereich ist aber ein Novum und auf den Bereich der völkerrechtlichen Verbrechen begrenzt. Das Völkerstrafrecht hat somit auf das innerstaatliche Strafrecht strafrechtserweiternd eingewirkt.1226 Für das US-amerikanische Strafrecht bleibt allerdings der Befund, dass es auch im Bereich der völkerrechtlichen Verbrechen keinen Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen Bereich gibt, weiter gültig. Allerdings ist auch das US-amerikanische Recht nicht unbeeinflusst vom Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit geblieben, was der Rückgriff auf die Command Responsibility in zivilrechtlichen Schadensersatzprozessen wegen Menschenrechtsverletzungen zeigt. Die direkte Übernahme der durch die Ad-hoc-Gerichtshöfe herausgearbeiteten Voraussetzungen der Command Responsibility in zivilrechtliche Schadensersatzansprüche ist erstaunlich. Für die Analyse von Art. 28 IStGH-Statut lässt sich aber kaum etwas ableiten.

1226 May/Powles, Criminal Law Review 2002, 377; Rabenstein/Bahrenberg, in: Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, 6. Teilbd., S. 295 f.; Cryer, ICLQ 2002, 740; Gilbert, in: National Legislation Incorporating International Crimes, S. 59.

4. Teil

Gesamtbetrachtung und Auslegung von Artikel 28 IStGH-Statut Haftet ein nicht-militärischer Vorgesetzter für Straftaten seiner Untergebenen? Eine Haftung militärischer Vorgesetzter für Straftaten seiner untergebenen Soldaten ist im internationalen Recht und auch in vielen innerstaatlichen Rechtsordnungen anerkannt. Eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter hingegen wurde zum ersten Mal ausdrücklich durch Art. 28 b) IStGH-Statut formuliert. Bei der Abfassung von Art. 28 IStGH-Statut gab es keinen gesicherten Stand der Vorgesetztenverantwortlichkeit in ihrer Anwendung auf nicht-militärische Vorgesetzte. Die Anwendbarkeit auf nicht-militärische Vorgesetzte wurde zwar behauptet, doch blieben die genauen Haftungsvoraussetzungen ungeklärt. Zugleich fehlte es weitgehend an einer tatsächlichen Anwendung der Doktrin auf nicht-militärische Vorgesetzte auf internationaler Ebene. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden zwar eine Reihe von Zivilpersonen für Straftaten zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen, die andere Personen unmittelbar begangen hatten. Vertreter beider im Rahmen dieser Arbeit betrachteten Gruppen nicht-militärischer Vorgesetzter – Amtsträger und Unternehmensleiter – wurden zur Rechenschaft gezogen, was beispielsweise die Urteile gegen die japanischen Außenminister Hirota und Shigemitsu bzw. den Premierminister Tojo sowie die Urteile gegen die Industriellen Flick und Röchling bzw. Gemmingen-Hornberg zeigen. Da es aber ersichtlich nicht auf eine Vorgesetztenstellung der Angeklagten gegenüber den die Straftaten unmittelbar ausführenden Tätern ankam, können die genannten Urteile nicht als Präzedenzfälle für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzer dienen. Eine Vorgesetztenstellung wurde weder behauptet noch in den Urteilen diskutiert.1 Erst die in den Jahren 1993 und 1994 errichteten Ad-hoc-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda haben durch ihre Rechtsprechung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit zu einer rasanten Entwicklung verholfen und auch eine Anwendung auf zivile Vorgesetzte behauptet. Doch sind bisher kaum zivile Vorgesetzte aufgrund der Doktrin verurteilt worden.2 1 2

Vgl. 1. Teil A. II. Vgl. 1. Teil B.

A. Der Kern der Vorgesetztenverantwortlichkeit

361

Diese Arbeit hat sich im Schwerpunkt der Frage gewidmet, ob ein Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter in innerstaatlichen Rechtsordnungen anerkannt ist und welche Rückschlüsse sich für Art. 28 IStGH-Statut ziehen lassen.

A. Der Kern der Vorgesetztenverantwortlichkeit und die besonderen Haftungsvoraussetzungen des Art. 28 b) IStGH-Statut Der Dreh- und Angelpunkt der Vorgesetztenverantwortlichkeit liegt in der Vorgesetztenstellung; dies hat die Normanalyse des Art. 28 IStGH-Statut unter Heranziehung der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale aufgezeigt.3 Nicht jede Person soll zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden, die die Möglichkeit hatte, Straftaten anderer Personen zu verhindern, aber untätig blieb. Vielmehr ist die Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit klar auf das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen ausgerichtet und wurzelt gerade in diesem, in den Worten der Adhoc-Tribunale: „The doctrine of Command Responsibility is clearly articulated and anchored on the relationship between superior and subordinate.4 The superior-subordinate relationship lies in the very heart of the doctrine of a commander’s liability for the crimes of his subordinates.“5

Eine Vorgesetztenstellung, wie sie die Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit voraussetzt, ist dabei nur innerhalb einer Organisation, Institution oder Einheit mit stabiler Struktur denkbar. Eine Vorgesetztenstellung kann sich in kurzfristigen, instabilen Personenkonstellationen nicht herausbilden. Sie bedarf institutionalisierter Verhaltensmuster, wie sie in militärischen Zusammenhängen beispielsweise durch eine Rang- und Befehlshierarchie sichergestellt sind. Im Rahmen dieser Arbeit wurde insoweit von einer „strukturellen“ Vorgesetztenstellung gesprochen.6 „Strukturelle Vorgesetztenstellungen“ sind nicht nur in militärischen, sondern gleichermaßen in nicht-militärischen Bereichen anzutreffen. Es ist nicht erforderlich, dass die 3

Vgl. 2. Teil B. Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Verhandlungskammer v. 16.11.1998, Para. 647, Prosecutor v. Kordic´ and Cˇerkez, Urteil der Verhandlungskammer v. 26.2.2001, Para. 408. 5 Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, Urteil der Verhandlungskammer v. 21.5.1999, Para. 217; Prosecutor v. Strugar, Urteil der Verhandlungskammer v. 31.1.2005, Para. 359; Prosecutor v. Limaj, Bala, Musliu, Urteil der Verhandlungskammer v. 30.11.2005, Para. 521. 6 Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) cc). 4

362

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

strukturelle Einbindung rechtlich legitimiert ist, auch eine faktische Existenz der Organisation, Institution oder Einheit ist ausreichend. Bisher wurde bei der Diskussion der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht genügend berücksichtigt, dass die Organisation, Institution oder Einheit, in der der Vorgesetzte seine Position einnimmt, einen wichtigten Referenzpunkt darstellt. Auch in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale wird eine strukturelle Vorgesetztenstellung zu den ausführenden Tätern nicht ausdrücklich diskutiert oder problematisiert. Die Personen, die als Vorgesetzte eingestuft wurden, waren jedoch zumeist innerhalb von Organisationen, Institutionen oder Einheiten tätig, in denen sie Leitungsfunktionen wahrnahmen. Insbesondere das Ruanda-Tribunal hält, wie erläutert, die Vorgesetztenverantwortlichkeit auch in Bezug auf nicht-militärische Vorgesetzte in „nicht-militärischen Einheiten“ wie Gemeinden, im Krankenhaus, in einem Radiosender, in einer Partei und in einer Teefabrik für möglich. In einigen Fällen – insbesondere soweit es um die angeblichen Anführer von bunt zusammengewürfelten und spontan gebildeten Gruppen, die an Massakern teilnahmen, ging – dürfte es allerdings bereits an einer strukturellen Vorgesetztenstellung gefehlt haben. Die Anwendung der Vorgesetztenverantwortlichkeit hätte bereits an diesem Merkmal scheitern müssen. Die Ad-hoc-Tribunale konzentrierten sich zumeist auf die Frage, ob die Angeklagten tatsächliche Kontrolle (effective control) über die unmittelbar ausführenden Täter ausübten. Dieses Merkmal wurde im Rahmen dieser Arbeit als „tatsächliche Vorgesetztenstellung“ bezeichnet. Die Vorgesetztenverantwortlichkeit setzt insoweit sowohl eine strukturelle wie eine tatsächliche Vorgesetztenstellung voraus.7 Es ist ein Verdienst der Ad-hoc-Tribunale, die Haftungsvoraussetzung der tatsächlichen Vorgesetztenstellung klar herausgearbeitet zu haben. Vorgesetzte müssen die tatsächliche Möglichkeit haben, die Straftaten ihrer Untergebenen zu verhindern oder zu bestrafen, indem sie tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle (effective authority and control) über die Untergebenen ausüben. Die Voraussetzung der tatsächlichen Vorgesetztenstellung hat in Art. 28 IStGH-Statut ausdrücklich Niederschlag gefunden. Die Begriffe „tatsächliche Befehlsgewalt und Kontrolle“ (effective command and control) beziehen sich dabei auf de jure militärische Vorgesetzte, die Begriffe „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ (effective authority and control) auf nicht-militärische bzw. auch de facto mi-litärische Vorgesetzte. Militärische und nicht-militärische Vorgesetzte müssen denselben Grad an Kontrolle ausüben. Die Art und Weise, wie der Vorgesetzte Kontrolle ausgeübt, kann dabei variieren. Von Vorgesetztenverantwortlichkeit kann daher im Kern gesprochen werden, wenn folgende Haftungsvoraussetzungen gelten: der Täter hat eine 7

Vgl. 2. Teil B. I. 1. a) cc).

A. Der Kern der Vorgesetztenverantwortlichkeit

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(strukturelle und tatsächliche) Vorgesetztenstellung gegenüber Untergebenen inne; mindestens einer seiner Untergebenen begeht eine Straftat oder hat sie begangen; der Täter hat diese Straftat nicht verhindert oder im nachhinein für eine Ahndung der Straftat gesorgt, obwohl er von den Straftaten wusste oder hätte wissen müssen/können.8 Art. 28 IStGH-Statut modifiziert die Haftungsvoraussetzungen für nichtmilitärische Vorgesetzte durch ein zusätzliches objektives Haftungsmerkmal in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut. Ein nicht-militärischer Vorgesetzter ist nur strafrechtlich verantwortlich, wenn die Straftaten „Tätigkeiten betrafen, die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“. Überdies normiert Art. 28 b) i) IStGH-Statut besondere subjektive Merkmale. Ein nicht-militärischer Vorgesetzte muss wissen, dass seine Untergebenen Straftaten begehen oder im Begriff sind zu begehen, oder er muss „eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht“ gelassen haben, während ein militärischer Vorgesetzter aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umstände entweder von den Straftaten wissen muss oder aber von ihnen hätte wissen sollen (should have known). Wegen dieser zusätzlichen bzw. unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen stellt sich zudem die Frage nach einer Unterscheidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten. Wie die Untersuchung gezeigt hat, finden die besonderen bzw. zusätzlichen Haftungsvoraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 b) IStGH-Statut keinen Rückhalt in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale. Diese gehen vielmehr davon aus, dass für militärische und zivile Vorgesetzte derselbe Standard gilt. Objektive haftungseinschränkende Voraussetzungen im Hinblick auf zivile Vorgesetzte werden nicht diskutiert. Was die subjektiven Merkmale betrifft, so haben die Ad-hoc-Tribunale wiederholt betont, dass derselbe subjektive Standard sowohl für militärische wie zivile Vorgesetzte gilt.9 Unterschiedliche Haftungsstandards für nicht-militärische Vorgesetzte wie in Art. 28 b) i) IStGH-Statut formuliert, finden folglich in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale keinen Rückhalt.

8 Dieses Kernverständnis der Vorgesetztenverantwortlichkeit lag der rechtsvergleichenden Untersuchung zugrunde. Mit Hilfe dieses Kernverständnisses ließ sich entscheiden, ob bestimmte Haftungsfiguren des nationalen Strafrechts den Charakter einer Vorgesetztenverantwortlichkeit haben, auch wenn sie bisher nicht als solche diskutiert wurden. 9 1. Teil B. I., II.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter in nationalen Rechtsordnungen Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung der Frage, ob der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter in innerstaatlichen Rechtsordnungen anerkannt ist und ob eine derartige Haftung im Vergleich zu militärischen Vorgesetzten wie bei Art. 28 IStGH-Statut erschwert oder verändert ist. Die Analyse innerstaatlicher Vorschriften und Regeln aus verschiedensten Rechtsbereichen auf ihre Qualität als Vorgesetztenverantwortlichkeit erfolgte mit Hilfe des erarbeiteten Kernverständnisses der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Neben den Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut wurden nur solche Vorschriften, die eine Haftung insbesondere an eine Vorgesetztenstellung knüpfen, näher untersucht. Der Blick richtete sich vor allem auf Besonderheiten der Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter im Vergleich zu militärischen Vorgesetzten, um zu ergründen, ob es für die zusätzlichen bzw. abweichenden Voraussetzungen in Art. 28 b) IStGH-Statut Rückhalt in innerstaatlichen Rechtsordnungen gibt. Die Ergebnisse der Untersuchungen der einzelnen Rechtskreise werden in diesem Abschnitt zusammenfassend analysiert. In einem Exkurs wird sodann ein kurzer Blick auf Sonderregeln für „Amtsträger“ und „Geschäftsherrn“ im Europarecht und im sogenannten „Corpus Juris 2000“ der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union geworfen, die den Versuch einer Synthese der verschiedenen europäischen Rechtssysteme darstellen (Abschnitt C.). Da es jedenfalls nicht unzulässig erscheint, einschlägiges innerstaatliches Strafrecht, insbesondere Umsetzungsvorschriften, zur Auslegung völkerstrafrechtlicher Vorschriften heranzuziehen, soweit dabei die Besonderheiten des Völkerstrafrechts berücksichtigt werden,10 werden in Abschnitt E. schließlich unter Berücksichtigung der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung Vorschläge für eine Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut gemacht. Dabei wird auch die Frage der Abgrenzung zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten behandelt. Am Ende der Arbeit steht ein Ausblick. I. Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut in innerstaatliches Recht Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut haben in der Gruppe der untersuchten Länder Deutschland, Georgien, England und Kanada erlassen; in der Schweiz und in Frankreich liegen Entwürfe vor.11 Diese Länder ha10

Vgl. Einleitung und unten E. I.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

365

ben verschiedene Regelungsmodelle verfolgt, die von der Schaffung mehrerer Tatbestände in einem eigenen Völkerstrafgesetzbuch (Deutschland), dem Erlass gesonderter Gesetze (England, Kanada) bzw. der Ergänzung des Strafgesetzbuchs um neue Tatbestände (Schweiz, Frankreich – jeweils im Entwurfsstadium) bis zu einer bloßen Anmerkung im Strafgesetzbuch (Georgien) reichen. Entscheidender als die Regelungstechnik, die von den jeweiligen Rechtssystemen, aber auch vom Gesetzgebungsstil abhängt, ist die Frage nach der inhaltlichen Umsetzung. Auch hier gibt es eine Bandbreite von Variationen. Neben einer wörtlichen Übernahme von Art. 28 IStGH-Statut (England) stehen differenzierende Umsetzungen, die bereits durch leichte (Kanada, Frankreich) oder stärkere (Deutschland, Schweiz, Georgien) Modifizierungen verdeutlichen, dass Art. 28 IStGH-Statut nicht ohne Abweichungen in das jeweilige nationale Rechtssystem übernommen werden konnte oder sollte. 1. Wörtliche Umsetzung und modifizierende Umsetzung Eine wörtliche Übernahme von Art. 28 IStGH-Statut wie im englischen Gesetz über den Internationalen Strafgerichtshof (Abschnitt 65 englIStGHG) bedeutet nicht unbedingt, dass sich Art. 28 IStGH-Statut passgenau und problemlos in das jeweilige Rechtssystem einfügen lässt oder rein deklaratorisch einen bekannten Grundsatz wiedergibt. Vielmehr verweist England auf die zukünftige Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs (Abschnitt 65 Abs. 5 engl-IStGHG). Durch die wortwörtliche Übernahme soll allein sichergestellt werden, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt sind.12 Vor dem Hintergrund des Prinzips der Komplementarität, das dem Internationalen Strafgerichtshof zugrundeliegt,13 ist diese Vorgehensweise nicht schlüssig. Denn nach diesem Prinzip sind in erster Linie die nationalen Gerichte gefragt, völkerrechtliche Verbrechen zu verfolgen und zu verurteilen. Dass britische Gerichte insoweit Fälle womöglich auch zeitlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof entscheiden müssten, scheint England durch eine Nichtanerkennung des Universalitätsprinzips zumindest unwahrscheinlicher zu machen, wenn nicht zu vermeiden zu suchen. Britische Gerichte sollen jedenfalls nur tätig werden, wenn eine Verbindung zwischen dem Verbrechen oder dem Täter mit England besteht.14 11 §§ 4, 13 und 14 VStGB, Anmerkung zu Art. 413 georgStGB, Abschnitt 65 engl-IStGHG, Abschnitte 5 und 7 kanad-IStGHG, Art. 264 k schweizStGB-E und Art. 114 a schweizMilStG-E, Art. 213-4-1 frzStGB-E und Art. 462-7 frzStGB-E. 12 Turns, in: The Permanent International Criminal Court, S. 387. 13 Vgl. dazu Schabas, An Introduction to the ICC, S. 85 ff.

366

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Interessanter sind die modifizierenden Umsetzungen von Art. 28 IStGHStatut in anderen Rechtsordnungen. In Kanada wurde eine Umsetzung ebenfalls für notwendig erachtet, weil es bisher einen Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit in dieser Form nicht gab (Abschnitte 5 und 7 kanadIStGHG). Bemerkenswert ist, dass Kanada von der wörtlichen Umsetzung, wie sie für viele Länder des common law Rechtskreises typisch zu sein scheint,15 Abstand genommen und eine leicht modifizierte Umsetzungsvorschrift erlassen hat. Kanada hat im Übrigen im kanadischen Umsetzungsgesetz ein eingeschränktes Universalitätsprinzip eingeführt.16 Die Umsetzungsvorschläge in Frankreich sind ebenfalls eine fast wortgetreue Wiedergabe von Art. 28 IStGH-Statut (Art. 213-4-1 frzStGB-E und Art. 462-7 frzStGB-E). Auch hier lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass Art. 28 IStGH-Statut sich passgenau in das französische Strafrecht einfügt. Stärkere Modifizierungen haben Deutschland und Georgien vorgenommen, und auch die schweizerischen Vorschläge weichen deutlich von Art. 28 IStGH-Statut ab. Die Umsetzungsvorschriften sind wesentlich kürzer als Art. 28 IStGH-Statut, was zum einen daran liegt, dass die Wiederholungen innerhalb von Art. 28 IStGH-Statut vermieden wurden. Obwohl sich im deutschen Völkerstrafgesetzbuch gleich drei Vorschriften mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit befassen (§§ 4, 13, 14 VStGB), hat der Gesetzgeber auch diese Vorschriften jeweils kurz gehalten. In weiten Teilen wurde beispielsweise auf die Übernahme der Formulierungen der Untergliederungspunkte aus Art. 28 IStGH-Statut verzichtet. Dies gilt auch für die schweizerischen Entwürfe für Umsetzungsvorschriften (Art. 264 k schweizStGB-E und Art. 114 a schweizMilStG-E) sowie für die georgische Anmerkung (zu Art. 413 georgStGB). Hierin zeigt sich das Bestreben, nur das für die jeweiligen Rechtssysteme Neuartige von Art. 28 IStGH-Statut umzusetzen und soweit wie möglich auf allgemeine Vorschriften und Regeln des Rechtssystems zurückzugreifen. Dadurch soll auch gewährleis14 Vgl. sehr kritisch: Turns, in: The Permanent International Criminal Court, S. 351: „The ultimate problem with the Act is that it is premised on the assumption that there will never be any prosecutions of ICC crimes in the UK courts.“ 15 Neben Abschnitt 65 brit-IStGHG ist Art. 12 des International Crimes and International Criminal Court Act 2000 von Neuseeland zu nennen, der bloß auf Art. 28 IStGH-Statut verweist, der in einem Gesetzesanhang abgebildet ist; ebenso erklärt Art. 2 des südafrikanischen International Criminal Court Bill 2001 das gesamte ICC-Statut, einschließlich Art. 28 IStGH-Statut, für anwendbares Recht; in Australien wurde Art. 28 IStGH-Statut nahezu wörtlich übernommen: 268.115 (2), (3) International Criminal Court (Consequential Amendments Act) 2002 ersetzt allerdings bei militärischen Vorgesetzten den „should-have-known“ Standard durch „recklessness“. 16 Vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. II.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

367

tet werden, dass die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht wie ein Fremdkörper erscheint, sondern sich soweit wie möglich in das bestehende Strafrecht einfügt. 2. Umsetzungsvorschriften und nicht-militärische Vorgesetzte a) Normierung objektiver Merkmale wie Art. 28 b) ii) IStGH-Statut? Soweit die Umsetzungsvorschriften den Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht nur für militärische, sondern auch für nicht-militärische Vorgesetzte normieren, ist von besonderem Interesse, ob dies auch für die zusätzlichen objektiven Merkmale in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut gilt, wonach die „Straftaten Tätigkeiten“ betreffen müssen, „die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten“ fallen. Während die englischen und französischen Umsetzungsvorschriften den Untergliederungspunkt Art. 28 b) ii) IStGH-Statut wörtlich übernehmen, ersetzt die kanadische Vorschrift den Begriff tatsächliche „Verantwortung“ (responsibility) durch tatsächliche „Führungsgewalt“ (authority). Auf diese Weise wird klargestellt, dass es nochmals um dasselbe Konzept der „Führungsgewalt“ geht, das bereits im Chapeau des Art. 28 IStGH-Statut eine tragende Rolle spielt. Dort ist die Führungsgewalt auf die Untergebenen als Personen bezogen; ein Vorgesetzter „mit tatsächlicher Führungsgewalt“ hat die Möglichkeit, einem Untergebenen Befehle oder Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam zu erteilen. Durch die Wiederholung der Voraussetzung der „tatsächlichen Führungsgewalt“ im Hinblick auf Tätigkeiten der Untergebenen wird auf die Grenzen der Führungsgewalt aufmerksam gemacht. Führungsgewalt besteht nicht unbegrenzt, sondern hat sachliche bzw. fachliche, zeitliche oder örtliche Grenzen. Der Vorgesetzte muss die tatsächliche Möglichkeit haben, in den Grenzen seines Zuständigkeitsbereichs Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam anzuordnen.17 In den deutschen und schweizerischen Umsetzungsvorschriften wurde Art. 28 b) ii) IStGH-Statut nicht ausdrücklich umgesetzt. Hieraus lässt sich aber nicht schließen, dass nicht-militärische Vorgesetzte im deutschen und schweizerischen Strafrecht unter anderen Voraussetzungen haften sollen als auf internationaler Ebene. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die ausdrückliche Umsetzung im Gesetzeswortlaut als entbehrlich angesehen hat. So dürfte sich der Begriff „Führungsgewalt“ innerhalb der deutschen Umsetzungsvorschriften nicht allein auf Personen beziehen. Vorgesetzte haften nur, wenn sie Anordnungen mit dem Anspruch auf Gehor17

Vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. II. 2.

368

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

sam nicht nur gegenüber den Untergebenen als Personen erlassen können, sondern wenn es sich überdies sachlich bzw. fachlich, örtlich und zeitlich um den Bereich handelt, für den der Vorgesetzte zuständig und mit Anordnungsgewalt ausgestattet ist. Damit ist zugleich die Feststellung verbunden, dass es auch bei militärischen Vorgesetzten auf eine genaue Feststellung der sachlichen bzw. fachlichen, örtlichen oder zeitlichen Grenzen der Befehls- oder Führungsgewalt ankommt. Obwohl die Befehlsgewalt in militärischen Verbänden primär personal ausgestaltet ist, während Führungsgewalt in nicht-militärischen Organisationen stärker sachlich bestimmt ist, gibt es auch in militärischen Verbänden sachliche, örtliche oder zeitliche Grenzen der Befehlsgewalt. Letztlich gehen der deutsche und der schweizerische Gesetzgeber wohl davon aus, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut kein zusätzliches Haftungsmerkmal normiert, sondern bloß deklaratorisch ein Merkmal herausstellt, das bei nicht-militärischen Vorgesetzten besonderer Beachtung bedarf. Dieser Ansatz erscheint für eine Auslegung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut interessant. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut enthielte nach diesem Verständnis keine zusätzliche Haftungsvoraussetzung, sondern würde nur eine auch für militärische Vorgesetzte geltende Haftungsvoraussetzung deklaratorisch herausstellen, die bereits im Chapeau der Vorschrift durch das Merkmal „tatsächliche Führungsgewalt“ verankert ist.18 Erwähnenswert ist weiterhin, dass die schweizerischen Umsetzungsvorschriften eine Organisationsbezogenheit der Straftaten zur zusätzlichen Voraussetzung machen. Diese Voraussetzung ist insoweit von dem Merkmal der „tatsächlichen Verantwortung und Kontrolle“ in Art. 28 b) ii) IStGH verschieden, als es die Straftaten qualifiziert und diese mit der Organisation verbindet, während die „tatsächliche Verantwortung und Kontrolle“ die Vorgesetztenstellung näher charakterisiert.19 Es wurde erläutert, dass die Voraussetzung einer Organisationbezogenheit der Straftaten auch in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut,20 normiert sein könnte. Denn mit „Tätigkeiten“ können nur die Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation gemeint sein, in der sie in einem hierarchischen Verhältnis zum Vorgesetzten stehen. Man könnte die Formulierung in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut daher auch so verstehen, dass die Straftaten „Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation betreffen“ müssen, oder, wie es die französische Umsetzungsvorschrift ausdrückt, die Straftaten mit derartigen Tätigkeiten „verbunden“ (lié) sein müssen. 18 19 20

Vgl. unten E. II. 1., B. I. 2. Vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. II. 2. Vgl. unten E. II. 2.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

369

Andere besondere objektive Merkmale als die in Art. 28 b) ii) IStGHStatut normierten finden sich in den untersuchten Umsetzungsvorschriften, die eine Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter umfassen, nicht. Allein die georgische Anmerkung enthält die zusätzliche Voraussetzung, dass die Truppen an einem bewaffneten Konflikt teilnehmen. b) Abweichende subjektive Voraussetzungen für nicht-militärische Vorgesetzte? Während die englische Umsetzungsvorschrift und die französischen Entwürfe die subjektiven Merkmale des Art. 28 IStGH-Statut wortwörtlich übernehmen, haben der kanadische, der deutsche und der schweizerische Gesetzgeber die subjektiven Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeit modifiziert. In Kanada wurde der in Art. 28 a) i) IStGH-Statut vorgegebene Standard für militärische Vorgesetzte abgewandelt. Eine Verurteilung eines Vorgesetzten für völkerrechtliche Verbrechen aufgrund objektiver Fahrlässigkeit bzw. nach einem Standard „hätte wissen sollen“ (should have known) wäre nach kanadischen Recht verfassungswidrig. Weder ein militärischer noch ein nicht-militärischer Vorgesetzter könnte aufgrund (einfacher) Fahrlässigkeit verurteilt werden. Durch die Erhöhung der subjektiven Voraussetzungen für militärische Vorgesetzte (criminal negligence) wurden insoweit die Unterschiede in der Haftung militärischer und nichtmilitärischer Vorgesetzte hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen abgeschwächt.21 Ähnliches gilt für die französische Vorschrift: Nach der neuen Fahrlässigkeitsvorschrift Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB ist entweder ein besonders schweres Verschulden oder ein offensichtlich bewusster Verstoß gegen Sorgfaltspflichten erforderlich, wobei letzterer einer bewussten und groben Fahrlässigkeit gleichkommt.22 Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB ist sowohl auf die Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer wie nicht-militärischer Vorgesetzter anwendbar. Obwohl die französischen Entwürfe für militärische Befehlshaber den Standard „aurait dû savoir“ (hätte wissen müssen) des Art. 28 a) i) IStGH-Statut übernehmen, ist es denkbar, dass dennoch ein qualifiziertes Fahrlässigkeitsverschulden i. S. v. Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB vorausgesetzt ist. Insoweit wären auch im Rahmen der französischen Umsetzungsvorschriften die subjektiven Haftungsvoraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte angenähert. Die deutschen Vorschriften gehen noch einen Schritt weiter in diese Richtung. Was die subjektiven Haftungsvoraussetzungen für militärische 21 22

Vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. II. 3. Vgl. 3. Teil, 2. Kap. B. I. 3.

370

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

und nicht-militärische Vorgesetzte betrifft, so normieren § 4 VStGB und § 14 VStGB denselben subjektiven Standard. Sowohl nach § 4 VStGB als auch nach § 14 VStGB ist es überdies ausgeschlossen, dass militärische Befehshaber wegen Fahrlässigkeit haften. Vielmehr ist sowohl für militärische als auch für nicht-militärische Vorgesetzte zumindest dolus eventualis Voraussetzung. Allein § 13 VStGB differenziert zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten. Für letztere muss es „ohne weiteres erkennbar“ gewesen sein, dass Untergebene Straftaten begehen, während es für militärische Vorgesetzte ausreichend ist, dass diesen die Straftatbegehung „erkennbar“ war. In den schweizerischen Vorschriften soll schließlich überhaupt nicht zwischen militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten unterschieden werden, sondern ein einheitlicher subjektiver Standard normiert werden. In den schweizerischen Umsetzungsvorschriften ist eine Haftung wegen Fahrlässigkeit nicht vollkommen ausgeschlossen. Allerdings ist der Strafrahmen sowohl von Art. 264 k schweizStGB wie auch bei § 13 VStGB in der Fahrlässigkeitsalternative niedriger. Insgesamt ist in den untersuchten Umsetzungsvorschriften folglich eine Tendenz zu erkennen, militärische Vorgesetzte nicht schon bei einfacher Fahrlässigkeit haften zu lassen, sondern nur aufgrund eines höheren Verschuldens. Es wird zumindest ein grober Fahrlässigkeitsverstoß gefordert (criminal negligence, faute caractérisée). Teilweise wird sogar mehr als Fahrlässigkeit erfordert, d.h. es ist dolus eventualis vorausgesetzt (§ 4 VStGB, Anmerkung hinter Art. 413 georgStGB). Soweit die Umsetzungsvorschriften Art. 28 a) i) IStGH-Statut nicht als (einfache) Fahrlässigkeit umsetzen, werden auf diese Weise die Unterschiede in den für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte geltenden subjektiven Haftungsvoraussetzungen abgeschwächt. In den Umsetzungsvorschriften ist zugleich die Tendenz zu erkennen, militärische und nicht-militärische Vorgesetzte weitestgehend ähnlichen subjektiven Haftungsvoraussetzungen zu unterwerfen. Betrachtet man die Verschuldensmaßstäbe, die die Umsetzungsvorschriften für nicht-militärische Vorgesetzte festlegen, so lässt sich Folgendes feststellen: Die englischen, kanadischen und französischen Vorschriften behalten die Formulierung des Art. 28 b) i) IStGH-Statut wörtlich bei: Ein nichtmilitärischer Vorgesetzte macht sich strafbar, wenn er eindeutige Hinweise auf die Begehung von Straftaten bewusst außer acht gelassen hat. Es wurde untersucht, wie diese Umschreibung innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnungen auszulegen ist bzw. welchen anerkannten Verschuldensmaßstäben diese Umschreibung entspricht. Da die Länder des common law Rechtskreises keinen feststehenden Kanon oder numerus clausus der Formen der mens rea haben, bringt die wörtliche Übernahme der subjektiven

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

371

Voraussetzungen aus Art. 28 IStGH-Statut in die englischen und auch kanadischen Umsetzungsnormen noch keine Festlegung auf einen spezifischen subjektiven Standard mit sich. Die Formulierung „bewusstes Außerachtlassen eindeutiger Informationen“ entspricht als solche aber recht deutlich der in common law Rechtsordnungen anerkannten Verschuldensform „willentliche Blindheit“ (wilful blindness). Vorgesetzte müssen die Augen davor verschlossen haben, dass Untergebene Straftaten begehen oder im Begriff sind zu begehen.23 Die deutschen und schweizerischen Vorschriften übernehmen die Formulierung des Art. 28 b) i) IStGH-Statut nicht wörtlich, sondern rekurrieren auf die anerkannten Kategorien Vorsatz und Fahrlässigkeit. So ist im Rahmen von § 4 VStGB mindestens dolus eventualis, vorausgesetzt, d.h. militärische wie nicht-militärische Vorgesetzte müssen sich über die Gefahr bewusst gewesen sein, dass Untergebene Straftaten begehen, und diese Gefahr so ernst genommen haben, dass der Schluss zulässig ist, dass sie sich damit abgefunden haben. Im Rahmen von § 13 VStGB hingegen ist es auch für zivile Vorgesetzte ausreichend, dass sie fahrlässig ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind, wobei für sie allerdings „ohne weiteres erkennbar“ gewesen sein muss, dass Untergebene Straftaten begehen, was auf Leichtfertigkeit als gesteigerte Form der Fahrlässigkeit hinweist.24 Im französischen Recht dürfte die wörtlich übernommene Formulierung des Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut mit Art. 121-3 Abs. 4 frzStGB in der Variante der „offensichtlich bewussten Verletzung von Sorgfaltspflichten“ (manifestement délibérée) kompatibel sein, die dem dol éventuel, einer bewussten und gesteigerten Form der Fahrlässigkeit entspricht.25 Insgesamt lässt sich daher für die untersuchten Umsetzungsvorschriften feststellen, dass sie einen Verschuldensmaßstab für nicht-militärische Vorgesetzte festlegen, der sich als willentliche Blindheit (wilful blindness) bzw. als dolus eventualis oder bewusste, gesteigerte Form der Fahrlässigkeit (manifestement delibérée) fassen lässt. Obwohl die Verschuldensmaßstäbe verschiedener Rechtsordnungen grundsätzlich schwer untereinander vergleichbar sind, kann man doch zumindest folgende Gemeinsamkeit erkennen: Für nicht-militärische Vorgesetzte reicht ein Verschuldensmaßstab der unbewussten Fahrlässigkeit nicht aus. Vielmehr liegt ein Schwerpunkt auf dem Bewusstsein des nicht-militärischen Vorgesetzten von der Gefahr der (bevorstehenden) Straftatbegehung durch Untergebene. Im Fall der willentlichen Blindheit liegt freilich dieses Bewusstsein nahe an tatsächlicher Kenntnis. 23 24 25

Vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. I. 3., II. 3. Vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. I. 3., II. 3. Vgl. 3. Teil, 2. Kap. B. I. 3.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

c) Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter – Beschränkung auf bestimmte Gruppen von nicht-militärischen Vorgesetzten? Die meisten der untersuchten Umsetzungsvorschriften umfassen eine Haftung militärischer wie auch nicht-militärischer Vorgesetzter. Dies geht mehr oder weniger deutlich aus dem Wortlaut der jeweiligen Vorschriften hervor. Im deutschen Völkerstrafgesetzbuch werden die Begriffe „militärischer Befehlshaber“ und „ziviler Vorgesetzter“ verwendet. Die französischen Entwürfe verwenden die Begriffe militärischer Vorgesetzter (chef militaire) und Vorgesetzter (supérieur hiérarchique). Die schweizerischen Entwurfsvorschriften verwenden nur den allgemeinen Oberbegriff „Vorgesetzter“, womit aber sowohl militärische wie nicht-militärische Vorgesetzte erfasst sein sollen. Die englischen und die kanadischen Umsetzungsvorschriften unterscheiden Befehlshaber (commander/military commander) und andere Vorgesetzte (superior). Die kanadischen Umsetzungsvorschriften definieren dabei den nicht-militärischen Vorgesetzten in einem gesonderten Absatz ex negativo (Abschnitt 5 bzw. 7 (4) kanad-IStGHG). Erwähnenswert ist die Zuordnung der Gruppe der „Polizeikommandeure“ zu der Gruppe der militärischen Vorgesetzten in der kanadischen Umsetzungsvorschrift.26 Positive Anhaltspunkte, wer als nicht-militärischer Vorgesetzter i. S. v. Art. 28 b) IStGH-Statut überhaupt in Betracht kommt, liefern die Umsetzungsvorschriften in den betrachteten Rechtsordnungen kaum. Eine Beschränkung der nicht-militärischen Vorgesetzten auf die Gruppe der Amtsträger ist jedenfalls nicht erkennbar. So wird im deutschen Völkerstrafgesetzbuch durch die Bezugnahme auf „Unternehmen“ in § 4 Abs. 2 VStGB beispielsweise klar, dass auch nicht-militärische Vorgesetzte im privatwirtschaftlichen Bereich erfasst sind. Dies gilt auch für die Schweizer Umsetzungsvorschriften.27 Während nicht-militärische Vorgesetzte in Deutschland, Frankreich, in der Schweiz, in England und in Kanada grundsätzlich der Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliegen, scheint dies im Rahmen der georgischen Umsetzungsvorschrift nicht der Fall zu sein. Der Anmerkung am Ende von Art. 413 georgStGB zufolge unterliegen nur „Befehlshaber“ und „andere Führungspersonen bewaffneter Truppen oder ihrer Untereinheiten“ der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Obwohl über den Begriff „andere Führungsperson“ auch Personen erfasst sind, die nicht formal den Streitkräften zugehörig sind, wird die Haftung jedoch über die Befehlshaber allein auf andere Führungspersonen „bewaffneter Truppen“ erweitert, so dass möglicherweise 26 27

Vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. II. 4. Vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. III. 4.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

373

insgesamt nur de jure und de facto militärische Vorgesetzte erfasst sein könnten. Es spricht viel dafür, dass Georgien somit Art. 28 b) IStGH-Statut nicht umgesetzt hat.28 Allerdings hängt dies maßgeblich von dem Verständnis und der Abgrenzung des de facto militärischen Vorgesetzten vom nichtmilitärischen Vorgesetzten in Art. 28 IStGH-Statut ab. 3. Keine Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut Die untersuchten Rechtsordnungen, in denen es bisher keine Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut gibt (Schweiz, Frankreich29, Österreich, Russland, Belarus, USA), lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe von Rechtsordnungen plant derzeit noch eine Umsetzung des Römischen Statuts in nationales Strafrecht (Österreich, Schweiz, Frankreich).30 Eine Umsetzung von Art. 28 IStGH-Statut wird für erforderlich gehalten, weil bisher der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit in den Rechtsordnungen noch nicht oder nicht ausreichend verankert ist. Für die zweite Gruppe von Rechtsordnungen gilt, dass diese sich aus politischen Gründen gegen den Internationalen Strafgerichtshof wenden (Russland, Belarus, USA). Eine Umsetzung des Römischen Statuts ist daher nicht geplant. Eine Aussage über die Anerkennung des Grundsatzes des Vorgesetztenverantwortlichkeit als solchem ist damit noch nicht getroffen. Es bleibt daran zu erinnern, dass beispielsweise die Zweiteilung von Art. 28 IStGH-Statut gerade auf einen Vorschlag der USA zurückgeht; hier hatten sich folglich die USA mit ihren Vorstellungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit auf internationaler Ebene durchgesetzt.31 Aussagen über die Anerkennung eines Grundsatzes der Vorgesetztenverantwortlichkeit für nicht-militärische Vorgesetzte konnten daher erst nach einer Analyse des innerstaatlichen Strafrechts dieser Länder getroffen werden.

28

Vgl. 3. Teil, 3. Kap. B. IV. In der Schweiz und in Frankreich sind bisher auch keine Umsetzungsvorschriften in Kraft, die vorliegenden Entwürfe wurden aber bereits im vorangegangenen Abschnitt mit einbezogen. 30 Diese Arbeit bezieht Entwicklungen bis Februar 2009 ein. Danach ergangene Vorschriften wurden nicht mehr berücksichtigt. 31 Freilich geht die Ablehnung des Römischen Statuts nicht auf die Vorgesetztenverantwortlichkeit zurück. 29

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

II. Sondervorschriften und Sonderregeln der Vorgesetztenverantwortlichkeit für nicht-militärische Vorgesetzte in den nationalen Rechtsordnungen 1. Vorgesetztenverantwortlichkeit im Militärrecht In den untersuchten Rechtsordnungen gibt es nur vereinzelte Sondervorschriften bzw. -regeln, die eine strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit vorsehen. Diese befinden sich im Militärrecht, doch auch dort teilweise nur rudimentär und nicht immer in Gesetzesform. Der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit für militärische Vorgesetzte oder die Command Responsibility i. e. S. ist im common law Rechtskreis zumeist nicht im Gesetzesrecht (statute law) niedergelegt, sondern findet sich beispielsweise in Feldhandbüchern, dort allerdings in nahezu gleichlautenden Regelungen.32 In Russland ist der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit sowohl in der Disziplinarordnung wie auch im Wehrstatusgesetz zu finden.33 Das Strafgesetzbuch von Belarus enthält einen eigenen Tatbestand der Vorgesetztenverantwortlichkeit (§ 137 Abs. 1 beloruss StGB).34 In Frankreich ist der Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit für militärische Vorgesetzte im Militärjustizgesetz niedergelegt.35 In der Schweiz ist er über den generalklauselartigen Art. 109 Militärstrafgesetz i. V. m. Art. 86 Abs. 2 ZP I zumindest herleitbar.36 Im deutschen Wehrstrafgesetz ist die Vorgesetztenverantwortlichkeit nur rudimentär (§ 41 dWStG), in Österreich hingegen gar nicht gesetzlich niedergelegt.37 Die genannten Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter sind in ihren subjektiven Voraussetzungen zumeist strenger als Art. 28 a) i) IStGH-Statut und lassen – wie die untersuchten Umsetzungsvorschriften – insbesondere eine Haftung aufgrund (einfacher) Fahrlässigkeit oder eines should have known-Standards nicht zu. Sowohl die französische, die belorussische Vorschrift und auch die schweizerische Vorschrift zur Plünderung setzen Vorsatz voraus.38 Entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit in den Feldhandbüchern im common law Rechtskreis soll ebenfalls positive Kenntnis des militärischen Vorgesetzten erforderlich sein. Gleiches gilt für die 32 33 34 35 36 37 38

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

3. 3. 3. 3. 3. 3. 3.

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

4. 3. 3. 2. 1. 1. 2.

Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap.

C. C. C. C. C. C. C.

I. I. I. I. I. I. I.

1. 2. 3. 2. 3. b); 4. Kap. C. I. 1. c); 1. Kap. C. I. 3. b).

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

375

Sonderdelikte der militärischen Pflichtvernachlässigung (dereliction of duty).39 Was Art. 109 schweizMilitärG i. V. m. Art. 86 Abs. 2 ZP I betrifft, so muss zumindest die Schwelle der bewussten Fahrlässigkeit erreicht sein.40 Allein im deutschen § 41 dWStG ist Fahrlässigkeit im Hinblick auf die schwere Folge ausreichend.41 2. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern a) Sondervorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit In den untersuchten innerstaatlichen Rechtsordnungen gibt es nur sehr wenige Sondervorschriften für Amtsträger, die im Kern eine Vorgesetztenverantwortlichkeit normieren. Zumeist haben diese Vorschriften nur für bestimmte Straftatbestände und unter sehr spezifischen Umständen den Charakter einer Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Äußerst weit gefasste Sonderdelikte für Amtsträger sind zwar sowohl im Strafrecht des common law Rechtskreises vorhanden, beispielsweise als „Fehlverhalten in einem öffentlichen Amt“ (misconduct in public office),42 als auch im postsowjetischen Rechtskreis, insbesondere als „Pflichtvergessenheit“ (halatnost¢) oder „Unterlassen im Dienst“ (bezdejstvie v službe).43 Diese Tatbestände stellen allgemein die Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung von Pflichten durch Amtsträger unter Strafe. Die einander sehr ähnlichen russischen, belorussischen und georgischen Vorschriften setzen dabei voraus, dass es „infolge einer gewissenlosen oder nachlässigen Einstellung zum Dienst“ zu „schweren Folgen“ gekommen ist. Sie sind Überbleibsel von sogenannten Pflichtverletzungstatbeständen aus dem vorsowjetischen, zaristischen Strafrecht, die insbesondere zur Sowjetzeit einen durchaus beträchtlichen Anwendungsbereich hatten und auf bloß „faktische Amtsträger“ in Staatsbetrieben ausgedehnt wurden.44 Der als „Unterlassen eines Amtsträgers“ überschriebene Art. 425 Abs. 1 belorussStGB enthält die Tatbestandsalternative „Geschehenlassen einer Straftat“. Dabei leitet Art. 425 belorussStGB die Haftung des Amtsträgers für sein Untätigbleiben aus der Verletzung einer Dienstpflicht ab. Wenn die Dienstpflicht gerade die Aufsicht und Kontrolle über untergebene Personen zum Inhalt hat, kann 39

Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. I. Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. I. 3. b). 41 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. I. 1. c). 42 Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 43 Art. 309, 302 ModellStGB, Art. 293 russStGB, Art. 425, 428, 456 belorussStGB, Art. 342 georgStGB Vgl. 3. Teil, 3. Kap. C. II. 44 3. Teil, 3. Kap. C. II. 2. 40

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

der äußerst weit gefasste Art. 425 belorussStGB somit auch den Charakter einer Vorgesetztenverantwortlichkeit annehmen.45 Als Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit für Amtsträger kann überdies Art. 137 Abs. 1 belorussStGB gelten. Nach Art. 137 Abs. 1 belorussStGB sind neben militärischen Vorgesetzten auch Amtsträger erfasst, wenn sie nicht alle im Rahmen ihrer Befugnisse möglichen Maßnahmen ergreifen, um die Vorbereitung von näher spezifizierten Kriegsverbrechen durch Untergebene zu verhindern, oder die Begehung dieser Straftaten zu unterbinden.46 Art. 432-5 frzStGB bezieht sich ebenfalls auf Amtsträger, stellt aber nur unter bestimmten Umständen eine Vorgesetztenverantwortlichkeit dar und hat durch den ausschließlichen Bezug auf Freiheitsberaubungen einen sehr begrenzten Anwendungsbereich.47 Als Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit für nicht-militärischer Amtsträger kann schließlich § 357 Abs. 1 3. Alt. dStGB angesehen werden, wonach ein Amtsträger als Täter haftet, wenn er eine rechtswidrige Tat seiner Untergebenen „geschehen“ lässt.48 b) Objektive Haftungseinschränkungen In den vereinzelten Sondervorschriften gibt es Ansätze für haftungseinschränkende Kriterien, die auch in den analysierten Umsetzungsvorschriften eine Rolle spielen: Zum einen ist in den Sondervorschriften eine Beschränkung auf den Zuständigkeits- oder Verantwortungsbereich des Amtsträgers erkennbar. Nach Art. 432-5 frzStGB genügt zwar, dass der Amtsträger „bei der Erledigung seiner Aufgaben und Funktionen“ von der Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt, die Freiheitsberaubung folglich mit dem Aufgabenbereich des Amtsträgers in Zusammenhang stehen. Nach Art. 425 belorussStGB haftet der Amtsträger nur, soweit ihm Dienstpflichten „auferlegt“ sind. § 357 Abs. 2 dStGB, wonach die rechtswidrige Tat „die zur Aufsicht und Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft“, kommt der Formulierung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut am nächsten, dass die Straftaten Tätigkeiten betrafen, die unter „die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“.49 45 46 47 48 49

3. Teil, 3. Kap. C. II. 3. 3. Teil, 3. Kap. C. I. 2. 3. Teil, 2. Kap. C. II. 3. Teil, 1. Kap. C. II. 2. Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. II. 2. b., 2. Kap. C. II. 2., 3. Kap. C. II. 3. b).

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

377

Neben der Beschränkung auf den Zuständigkeitsbereich des Amtsträgers ist zumindest nach § 357 Abs. 1 dStGB darüber hinaus vorausgesetzt, dass die Straftaten der Untergebenen einen dienstlichen Bezug hatten. Das Merkmal „rechtswidrige Tat im Amt“ in § 357 Abs. 1 dStGB bedeutet, dass der Untergebene die rechtswidrige Tat in Ausübung seines Dienstes begangen hat. Die rechtswidrige Tat muss folglich „dienst- oder amtsbezogen“ sein.50 Sowohl die Beschränkung auf den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Amtsträgers als auch die Dienst- oder Amtsbezogenheit der Straftaten der Untergebenen könnten, wie bei der Analyse der Umsetzungsvorschriften angedeutet, auch bei der Auslegung von Art. 28 b) ii) IStGHStatut herangezogen werden. c) Subjektive Voraussetzungen Betrachtet man die subjektiven Merkmale, die in den untersuchten Sondervorschriften für Amtsträger festgelegt sind, so sind folgende Gemeinsamkeiten festzustellen: Keine der näher untersuchten Sondervorschriften lässt Fahrlässigkeit auf seiten des Amtsträgers genügen.51 § 357 dStGB und Art. 137 Abs. 1 belorussStGB setzen zumindest dolus eventualis voraus.52 Nach Art. 425 belorussStGB muss der Amtsträger ebenfalls vorsätzlich – dolus eventualis ist ausreichend – und darüber hinaus „gegen die dienstlichen Interessen“ gehandelt haben.53 Art. 432-5 frzStGB macht es zur Voraussetzung, dass der Amtsträger von der Freiheitsberaubung Kenntnis erlangt hat, also von der Straftat wusste.54 d) Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern Die wenigen Vorschriften im Amtsträgerbereich, die unter bestimmten Voraussetzungen den Charakter einer Vorgesetztenverantwortlichkeit haben, stellen in ihren jeweiligen Rechtskreisen keine zentralen Vorschriften dar, sondern sind eher Rand- oder Ausnahmeerscheinungen. Art. 432-5 frzStGB ist eine im französischen Strafrecht sehr vereinzelte Vorschrift, die sich nur 50

Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. II. 2. b). Allein die allgemeinen postsowjetischen Pflichtverletzungstatbestände lassen teilweise Fahrlässigkeit genügen. 52 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. II. 2. c), 3. Kap. C. I. 2. c). 53 Vgl. 3. Teil, 3. Kap. C. II. 3. c). Es ist allerdings nicht ganz klar, ob sich der Vorsatz in Art. 425 belorussStGB auch auf das Geschehenlassen einer Straftat bezieht. 54 Vgl. 3. Teil, 2. Kap. C. II. 3. 51

378

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

auf Freiheitsberaubungen bezieht. Art. 137 Abs. 1 belorussStGB kann ebensowenig als zentrale Vorschrift des belorussischen Strafrechts gelten. Weder das georgische noch das russische Strafrecht kennen einen Straftatbestand wie Art. 137 Abs. 1 belorussStGB. Trotz weit verbreiteter allgemeiner Pflichtverletzungstatbestände im postsowjetischen Rechtskreis enthält wiederum nur das belorussische Strafgesetzbuch einen spezifischen Tatbestand wie Art. 425 belorussStGB, der das „Geschehenlassen einer Straftat“ als Tatbestandsalternative benennt und unter Strafe stellt. Ein Tatbestand wie § 357 dStGB ist weder in Frankreich, Österreich noch in der Schweiz bekannt.55 Insgesamt gilt daher sowohl für den common law Rechtskreis wie für den kontinental-europäischen Rechtskreis, dass eine Vorgesetztenverantwortlichkeit von Amtsträgern nicht durch Sondervorschriften besonders hervorgehoben ist und die wenigen Sondervorschriften auch den Schluss auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht zulassen. Diese Vorschriften lassen überdies eine Haftung des Amtsträgers bei bloßer Fahrlässigkeit zumeist nicht zu, sondern setzen Wissen oder dolus eventualis voraus. Zudem lässt sich in den untersuchten Vorschriften erkennen, dass die Haftung einerseits auf den Zuständigkeits- oder Verantwortungsbereich des Amtsträgers beschränkt ist und andererseits eine Dienst- oder Amtsbezogenheit der Straftaten verlangt wird. 3. Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern a) Sondervorschriften und Sonderregeln der Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern Es gibt eine gewisse Anzahl von Sondervorschriften für Unternehmensleiter in den innerstaatlichen Rechtsordnungen, denen die Qualität einer Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit zugeschrieben werden kann. Diese Sondervorschriften oder Sonderregeln haben einen je äußerst spezifischen Anwendungsbereich und lassen daher nicht den Schluss auf einen allgemeinen Grundsatz der Haftung des Unternehmensleiters Straftaten seiner Untergebenen zu. Doch lässt sich in den untersuchten Rechtsordnungen eine zunehmende Tendenz feststellen, den Unternehmensleiter für die Einhaltung von Vorschriften, die seinen Betrieb betreffen, in die Pflicht zu nehmen und bei Nicht-Einhaltung zumindest ordnungswidrigkeitenrechtlich oder verwaltungsstrafrechtlich haften zu lassen. Im kontinental-europäischen Rechtskreis finden sich vor allem im Ordnungswidrigkeitenrecht bzw. Verwaltungsstrafrecht Vorschriften, die eine 55

Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. II. 1., 2. Kap. II.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

379

Art Vorgesetztenverantwortlichkeit vorsehen. Nach § 130 OWiG und Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG haftet der Unternehmensinhaber, wenn er Aufsichtsmaßnahmen unterlässt und Zuwiderhandlungen im Betrieb nicht verhindert. Der Anwendungsbereich beider Vorschriften hat sich erweitert. In der Schweiz wurden Spezialregelungen nach und nach durch einen Verweis auf das Verwaltungsstrafrecht ersetzt. Auch in Deutschland wurden kürzlich spezialgesetzliche Regelungen zur strafrechtlichen Haftung des Unternehmens- bzw. Betriebsleiters aus dem Bereich des unlauteren Wettbewerbs abgeschafft, womit § 130 OWiG gestärkt wurde. Allein in Österreich besteht mit § 19 öUWG noch eine spezialgesetzliche Vorschrift zur strafrechtlichen Haftung des Geschäftsherrn. Diese bezieht sich allerdings nur auf spezielle Wirtschaftsstraftaten wie die irreführende Werbung.56 Im französischen Strafrecht schließlich gibt es eine Reihe von speziellen Direktorenhaftungsklauseln im Arbeits-, Sozial-, Wirtschafts- und auch Umweltrecht, die eine Haftung des Unternehmensleiters vorsehen. Diese Spezialvorschriften sind Ausprägung der durch die französische Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Verhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui).57 Auch in den Rechtsordnungen des common law Rechtskreises gibt es Sonderregeln zur Haftung von Unternehmensleitern in Form von sog. Direktorenhaftungsklauseln (England und Kanada) bzw. der Lehre vom Unternehmensverantwortlichen (responsible corporate officer doctrine, USA).58 Diese Sonderhaftung weist Parallelen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit auf, weil leitende Angestellte mit Führungsgewalt und Kontrolle strafrechtlich haften, wenn sie Straftaten ihres Unternehmens und damit letztlich ihrer Unternehmensmitarbeiter nicht verhindern. Die US-amerikanische Lehre vom Unternehmensverantwortlichen wurde in den USA ursprünglich nur auf bestimmte Delikte des Lebensmittels- und Arzneirechts angewandt, mittlerweile aber auch auf andere Bereiche wie das Umweltstrafrecht ausgeweitet.59 Diese Sonderhaftung für Unternehmensleiter ist jedoch auf spezifische Rechtsverletzungen beschränkt. Oft hat die Direktorenhaftung ihren genuinen Anwendungsbereich bei „Wohlfahrtsdelikten“ bzw. Vorschriften der Sicherheit und Gesundheit im Betrieb. Eine Haftung für Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte ist im Rahmen des deutschen § 130 OWiG (strittig) und der französischen Direktorenhaftungsklauseln zwar nicht grundsätzlich 56 57 58 59

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

3. 3. 3. 3.

Teil, Teil, Teil, Teil,

1. 2. 4. 4.

Kap. Kap. Kap. Kap.

C. C. C. C.

III. III. 2. und D. II. II. II. 1.

380

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

ausgeschlossen.60 Das englische Gesetz zur körperschaftlichen Tötung schließt allerdings eine Haftung der Direktoren parallel zu der Haftung der Körperschaft ausdrücklich aus. Auch im Rahmen der US-amerikanischen Lehre vom Unternehmensverantwortlichen unterliegen Direktoren und leitende Angestellte der strafrechtlichen Haftung nur nach allgemeinen Regeln für Tötungsdelikte oder andere schwere Verbrechen, nicht aber aufgrund einer besonderen Direktorenhaftung.61 Bisher sind Direktorenhaftungsklauseln vor allem in Spezialgesetzen zu finden. Allgemein anwendbare Direktorenhaftungsklausel sind über das Stadium des Entwurfs nicht hinausgekommen. So findet sich eine allgemeine Direktorenhaftungsklausel im Entwurf für ein Strafgesetzbuch für England und Wales von 1989.62 Auch Entwürfe für das französische Strafgesetzbuch63 und ein Entwurf für ein kanadisches Gesetz64 enthielten Vorschriften, die einer allgemeinen Vorgesetztenverantwortlichkeit sehr nahe gekommen wären, aber nicht in Kraft getreten sind, gerade weil man die Hochstufung zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz vermeiden wollte. b) Objektive Haftungseinschränkungen Von besonderem Interesse ist, ob die Sondervorschriften oder Sonderregeln der Direktorenhaftung gemeinsame objektive Haftungsvoraussetzungen oder -einschränkungen enthalten, insbesondere solche, die mit Art. 28 b) ii) IStGH-Statut vergleichbar sind. Nach § 130 OWiG haftet ein Unternehmensleiter nur innerhalb seines Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs.65 Dies gilt auch im Bereich der US-amerikanischen Lehre vom Unternehmensverantwortlichen und bei den englischen und kanadischen Direktorenhaftungsklauseln, was bereits aus den Begriffen „Unternehmensverantwortlicher“ (responsible corporate officer) und Kontrollbeauftragter (controlling officer) hervorgeht. Dabei neigen die Gerichte aber zu einer weiten Zuständigkeitsbestimmung.66 Je höher eine Person in der Unternehmenshierarchie steht, umso weniger kommt es auf eine Zuständigkeitsverteilung an. 60

Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. III. 2. a), 2. Kap. D. II. 1. Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 1., 2. 62 Clause 31 Draft Criminal Code for England and Wales (1989). Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 2. 63 Art. 2102-2 avant-projet 1978 und Art. 25-2 avant-projet 1983. Vgl. 3. Teil, 2. Kap. E. 64 Private Member’s Bill C-284, Abschnitt 467.4. Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 3. 65 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. C. III. 2. a) bb). 66 Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 1. b), 2. b) und 3. 61

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

381

Bei den französischen Direktorenhaftungsklauseln besteht die Möglichkeit einer Delegierung von Verantwortlichkeiten, die verantwortlichkeitsausschließende Wirkung hat. Im Umkehrschluss kann man daraus zumindest die Vorstellung ablesen, dass ein Unternehmensleiter innerhalb seines tatsächlichen (nicht delegierten) Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs haften soll.67 Darüber hinaus wird im Rahmen von § 130 OWiG das Kriterium der „Betriebsbezogenheit“ diskutiert. So muss ein enger Zusammenhang zwischen der Zuwiderhandlung und der Betriebsführung bestehen. Auch Allgemeindelikte wie Tötungs- und Körperverletzungstatbestände können betriebsbezogen sein, beispielsweise soweit diese durch Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten auf dem Betriebsgelände verursacht wurden. Ausgesondert sollen im Rahmen von § 130 OWiG insbesondere „private Delikte“ sein, wenn sie „bei Gelegenheit“ begangen wurden.68 Die französische Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui) greift ebenfalls nur ein, wenn die Straftaten bei Verrichtung der Unternehmenstätigkeit (à l’occasion de fonctionnement de l’entreprise) begangen wurden. Der Unternehmensleiter ist nicht strafbar, wenn die Straftat keinerlei Bezug zur Unternehmenstätigkeit hatte bzw. privat motiviert war.69 Im Rahmen der US-amerikanischen Lehre vom Unternehmensverantwortlichen und bei den englischen und kanadischen Direktorenhaftungsklauseln wird ein derartiges Kriterium der Betriebsbezogenheit nicht ausdrücklich diskutiert. Eine Beschränkung auf Rechtsverletzungen mit Betriebsbezug ist aber durch die spezifischen Bereiche, in denen die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen und die Direktorenhaftungsklauseln Anwendung finden (Arbeits-, Gesundheits-, Sozial-, Wirtschafts-, Umweltrecht), gewährleistet.70 Wie bei den Sondervorschriften und -regeln für Amtsträger71 lässt sich somit auch im Unternehmensbereich objektive Haftungseinschränkungen in zweierlei Richtung entnehmen. Zum einen trägt der Unternehmensleiter nur innerhalb seines Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs strafrechtliche Verantwortung, in dem er auch Befugnisse zur Erteilung von Anordnungen gegenüber seinen Mitarbeitern bzw. Pflichten zur Aufsicht und Kontrolle hat. Zum anderen lässt sich aus den Sondervorschriften und Sonderregeln 67 68 69 70 71

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

3. Teil, 2. Kap. 3. Teil, 1. Kap. 3. Teil, 2. Kap. 3. Teil, 4. Kap. oben 2. b).

D. II. 5. C. III. 2. a) bb). D. II. 2. C. II. 1., II. 2. und II. 3.

382

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

erkennen, dass die Zuwiderhandlungen betriebsbezogen sein, d.h. in engem Zusammenhang mit dem Betrieb stehen müssen. c) Subjektive Merkmale Was die subjektiven Merkmale angeht, so ergibt sich bei den Vorschriften, die einer Vorgesetztenverantwortlichkeit für Unternehmensleiter nahe kommen, ein disparates Bild: § 130 OWiG und Art. 6 Abs. 2 schweizVerwStG lassen einerseits Fahrlässigkeit genügen. Überdies sind die Zuwiderhandlungen im Betrieb im Rahmen von § 130 OWiG als objektive Bedingung der Ahndung ausgestaltet, auf die sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht beziehen müssen. Die österreichischen Vorschriften hingegen (§ 9 Abs. 6 öVerwStG, § 19 öUWG) setzen Vorsatz voraus. Die US-amerikanische Lehre vom Unternehmensverantwortlichen spielte ursprünglich nur im Bereich der verschuldensunabhängigen Delikte (strict liability) eine Rolle. Die Lehre wurde auf verschuldensabhängige Delikte, insbesondere des Umweltrechts, ausgeweitet, was zunächst Schwierigkeiten aufwarf. Die heutige Rechtsprechung richtet sich tendenziell nach den Verschuldensmaßstäben der jeweiligen Tatbestände, die im Umweltrecht zumeist Wissen voraussetzen.72 Die französische Rechtsfigur der „Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen“ (responsabilité du fait d’autrui) wird ebenfalls auf Vorsatzdelikte angewandt, obwohl sie bei einem Fahrlässigkeitsverschulden bzw. Übertretungsverschulden ansetzt und auf Fahrlässigkeitsdelikte bzw. Übertretungstatbestände ausgerichtet ist. Gesetzlich normierte französische Direktorenhaftungsklauseln enthalten teilweise eigene subjektive Merkmale, beispielsweise die Voraussetzung, dass die Direktoren und Unternehmensleiter „wissentlich“ gehandelt haben.73 Die englischen und kanadischen Direktorenhaftungsklauseln enthalten einen eigenen Verschuldensmaßstab, unabhängig von den jeweiligen Straftaten, für die das Unternehmen haftet. Oft ist Wissen oder „willentliche Blindheit“ (wilful blindness) erforderlich, teilweise lassen sie aber auch Nachlässigkeit der leitenden Angestellten (neglect) ausreichen, was unbewusster Fahrlässigkeit gleichkommt.74 Bei den untersuchten Sondervorschriften und Sonderregeln, die eine Haftung für Unternehmensleiter vorsehen, lässt sich folglich hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen nur Folgendes feststellen: Eine Haftung des 72 73 74

Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 1. Vgl. 3. Teil, 2. Kap. C. III. 2. (Art. 541–48 frzUmweltGB) und D. II. 3. Vgl. 3. Teil, 4. Kap. C. II. 1. c), II. 2. c)., II. 3.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

383

Unternehmensleiters aufgrund von Fahrlässigkeit ist nicht ungewöhnlich, oft reicht bereits ein rein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß. In diesem Zusammenhang ist jedoch im Blick zu behalten, dass zumeist ohnehin nur eine Haftung wegen Fahrlässigkeits- oder gar verschuldensunabhängigen Delikten in Frage steht. d) Zusammenfassung: Vorgesetztenverantwortlichkeit von Unternehmensleitern Abschließend lässt sich festhalten, dass eine Haftung des Unternehmensleiters anders als eine Amtsträgerhaftung in den untersuchten nationalen Rechtsordnungen in einer ganzen Reihe von Sonderregeln und Sondervorschriften zu finden ist. Vor allem in den kontinental-europäischen Rechtsordnungen ist eine Tendenz zu erkennen, Aufsichtspflichtverletzungen von Unternehmensleitern nicht strafrechtlich, sondern ordnungswidrigkeiten- bzw. verwaltungsstrafrechtlich zu erfassen. § 130 OWiG, der überdies die Tat des Untergebenen, die „Zuwiderhandlung“, als objektive Bedingung der Ahndung ausgestaltet, scheint dabei zunehmend als Modell zu dienen. Vor allem wegen der fehlenden strafrechtlichen Haftung besteht daher ein gewichtiger Unterschied zwischen derartigen Haftungsformen für Unternehmensleiter und Art. 28 b) IStGH-Statut. In den common law Rechtsordnungen führen die Direktorenhaftungsklauseln zu einer strafrechtlichen Haftung des Unternehmensverantwortlichen oder Direktoren. Bisher spielte die Lehre vom Unternehmensverantwortlichen und der Direktorenhaftungsklauseln aber vor allem in Rechtsbereichen mit verschuldensunabhängiger Haftung eine Rolle. Diese Verwaltungsstraftaten (regulatory offences) sind keine „Straftaten“ in klassischem Sinne. Eine Übertragung und Anwendung der Direktorenhaftungsklauseln auf Vorsatzdelikte wird von den Gerichten seit einiger Zeit praktiziert. Auch in Frankreich wurden Direktoren und Unternehmensleiter über die Rechtsfigur der Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten eines anderen wegen Vorsatzdelikten verurteilt. Im Hinblick auf subjektive Haftungsmerkmale lässt sich aus den untersuchten Sondervorschriften und Sonderregeln kaum etwas ableiten. Was andererseits besondere objektive haftungseinschränkende Merkmale angeht, so finden sich sowohl Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Haftung auf den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Unternehmensleiters als auch für eine Betriebsbezogenheit der Taten der Untergebenen.75 75

Vgl. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut unten E. II.

384

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

III. Haftung für das Nichtverhindern von Straftaten nach allgemeinen Regeln, insbesondere des ungeschriebenen, unechten Unterlassens Wie die Untersuchung der Rechtsordnungen der verschiedenen Rechtskreise gezeigt hat, ist in nahezu allen untersuchten Rechtsordnungen eine Strafbarkeit für die Begehung eines Straftatbestandes durch Unterlassen, also für ein unechtes Unterlassen, das nicht gesetzlich gesondert festgelegt ist, anerkannt. In den kontinental-europäischen Rechtsordnungen wird der Verweis auf diese Form der Unterlassensstrafbarkeit in einer Generalklausel für ausreichend gehalten bzw. aus allgemeinen Vorschriften abgeleitet.76 Eine Ausnahme stellt Frankreich dar: Das französische Strafrecht kennt keine unechten, ungeschriebenen Unterlassensdelikte. Soweit ein für strafbar erachtetes Unterlassen nicht bereits durch gesetzlich niedergelegte Tatbestände erfasst ist, hat die französische Rechtsprechung allerdings Rechtsfiguren zur Erfassung derartigen Unrechts entwickelt. In den common law Rechtsordnungen schließlich ist ebenfalls grundsätzlich eine Strafbarkeit für eine Begehung durch Unterlassen (commission by omission) anerkannt.77 Eine Haftung wegen eines Unterlassens trifft nur denjenigen, der eine Rechtspflicht zum Handeln hat. In den meisten Rechtsordnungen ist dabei die sogenannte formelle Rechtspflichtlehre mit den Anknüpfungspunkten Gesetz, Vertrag/Übernahme und Ingerenz herrschend oder wurde kasuistisch um weitere Pflichten ergänzt (Russland, Belarus, Georgien, Schweiz,78 England, Kanada, USA). Die Funktionenlehre und ihre Unterteilung in Beschützer- und Überwachungsgarantenstellungen, die vor allem im deutschen und österreichischen Strafrecht anerkannt ist, stellt lediglich eine andere Unterteilung von Garantenstellungen dar. Der materielle Grund für eine Garantenpflicht ist allerdings in keiner der Rechtsordnungen befriedigend geklärt. Dies wirkt sich auch auf den besonderen Fall der Vorgesetztenverantwortlichkeit aus, also die Frage, ob und warum Vorgesetzte eine allgemeine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten ihrer Untergebenen haben. 1. Straftatverhinderungspflichten Die Untersuchung der verschiedenen Rechtsordnungen auf derartige Straftatverhinderungspflichten hat gezeigt, dass es vereinzelt allgemeine Pflichten zur Verhinderung von Straftaten oder allgemeine Unterlassens76

§ 13 dStGB, § 2 öStGB, Art. 11 schweizStGB n. F., Art. 14 Abs. 2 russStGB, Art. 10 Abs. 1 belorussStGB, Art. 8 Abs. 3 georgStGB. 77 Vgl. 3. Teil, 2. Kap. A. II., D. I., 4. Kap. D. I. 78 Vgl. Art. 11 schweizStGB-E n. F.

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

385

delikte gibt, diese aber keine Vorgesetztenstellung voraussetzen, die bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit gerade zentral ist. So haben Polizei- oder Ordnungsbeamte beispielsweise die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten, zumindest in den Grenzen ihres örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereichs und zur Dienstzeit. Es fehlt aber an der Kernvoraussetzung der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit, der Vorgesetztenstellung gegenüber den ausführenden Tätern. Dies gilt auch für § 286 öStGB, wonach jedermann strafrechtlich haftet, wenn er ein Vorsatzdelikt nicht verhindert.79 Während die in einigen Rechtsordnungen anerkannte Pflicht zur Verhinderung von Straftaten anderer nicht an eine Vorgesetztenstellung anknüpft, ist andererseits mit dem Innehaben einer Vorgesetztenstellung in den meisten Rechtsordnungen keine allgemeine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Untergebener verbunden. In common law Rechtsordnungen gibt es keinen allgemeinen Grundsatz respondeat superior im Strafrecht. Dieser Grundsatz aus dem zivilrechtlichen Schadensersatzrecht ist auf das Strafrecht nicht übertragbar. Auch in den kontinental-europäischen Rechtsordnungen ist eine allgemeine Straftatverhinderungspflicht, die den Vorgesetzten im Hinblick auf Straftaten seiner Untergebenen treffen würde, nicht anerkannt. Allerdings wird vor allem in den deutschsprachigen Rechtsordnungen mehr und mehr diskutiert, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmensleiter für strafbares Verhalten seiner Mitarbeiter haftet.80 2. Handlungspflichten von Vorgesetzten in Behörde und Betrieb In den untersuchten deutschsprachigen kontinental-europäischen Rechtsordnungen hält die heute wohl überwiegende Meinung eine Garantenstellung des Unternehmensleiters für die Verhinderung von Straftaten, die einen spezifischen Bezug zum Betrieb haben, zumindest in engen Grenzen für möglich. Als zentrales haftungseinschränkendes Kriterium erscheint hier wiederum die Betriebsbezogenheit der Straftaten.81 Was die Gruppe der Amtsträger betrifft, so bezieht sich die Diskussion in der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft im Schwerpunkt nicht auf die Haftung innerhalb der Behördenhierarchie. Vielmehr wird im Bereich des Umweltstrafrechts vor allem eine Strafbarkeit der Mitarbeiter von Umweltbehörden wegen der Nichtverhinderung von Umweltstraftaten außerhalb 79

Auch Art. 450 spanCP stellt allgemein das Unterlassen der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung unter Strafe; vgl. bei Stein, S. 366. 80 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. D. II. 2., II. 3. 81 Vgl. vor allem 3. Teil, 1. Kap. D. II. 3. b).

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

der Behörde stehender Dritter diskutiert. In diesem Zusammenhang spielt als haftungseinschränkendes Kriterium die Zuständigkeit und der Aufgabenbereich des jeweiligen Amtsträgers eine Rolle. Soweit eine Garantenstellung innerhalb von Behörden oder hoheitlichen Organisationen, also im Verhältnis von Amtsträger zu Amtsträger, in Betracht gezogen wird, gilt diese Kriterium wohl ebenfalls.82 a) Aufsichts- und Kontrollpflichten über Personen Teilweise wird eine Garantenstellung auf die Autoritätsstellung oder Machtposition des Amtsträgers oder Unternehmensleiters gegenüber Untergebenen gestützt, so dass es hier Parallelen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit gibt. Obwohl Autoritätsstellungen gerade im militärischen Bereich über die Grenzen der verschiedenen Rechtsordnungen hinweg anerkannt sind, erscheint die Frage der Ausweitung auf vollverantwortlich handelnde Personen außerhalb des militärischen Bereichs oft problematisch. In den common law Rechtsordnungen, die stark auf die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des Individuums ausgerichtet sind, ist eine Ausweitung auf vollverantwortlich handelnde Personen in nicht-militärischen Bereichen kaum denkbar.83 Die Rechtsordnungen des kontinental-europäischen Rechtskreises schließen es nicht kategorisch aus, dass eine Person in einer Machtposition gegenüber anderen vollverantwortlich handelnden Personen Garant für das Ausbleiben bestimmter Gefahren ist. In der deutschen Strafrechtswissenschaft wird diese Frage seit einiger Zeit besonders problematisiert. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass auch Unternehmen auf hierarchischen Personenverhältnissen fußen, die den Unternehmensleitern weitreichende Herrschaft über die Unternehmensangehörigen vermitteln. Dabei werden mit Begriffen wie „Befehlsgewalt“, „Anordnungsgewalt“ und „faktische Durchsetzbarkeit“84 auch Kernbegriffe der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit verwendet. Die überwiegende Meinung steht allerdings dieser Ansicht zu Recht kritisch gegenüber, da aus dem Anordnungs- oder Direktionsrecht eines Unternehmensleiters keinesfalls zwingend eine strafbewehrte Pflicht folgt, dieses Recht auch zur Verhinderung von strafbaren Handlungen einzusetzen.85 82

Vgl. 3. Teil, 1. Kap. D. II. 2. Vgl. 3. Teil, 4. Kap. D. I., II. 84 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 104; Schünemann, in: Wirtschaftsstrafrecht, S. 116–117. 85 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. D. II. 3. b). 83

B. Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter

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Hier liegt auch das Kernproblem bei der Begründung der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit. Obwohl die Vorgesetztenstellung, die tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über Untergebene, zentrale Voraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist, bleibt doch dabei die Frage unbeantwortet, warum eine Person in einer Vorgesetztenstellung zum Einschreiten gegen strafbare Handlungen ihrer Untergebenen verpflichtet sein soll. b) Überwachungs- und Kontrollpflichten vermittelt über Sach- oder spezifische Betriebsgefahren Eine Überwachungsgarantenstellung des Unternehmensleiters wird in der deutschsprachigen Literatur auch aus dem Gesichtspunkt der Herrschaft über betrieblichen Sachgefahren abgeleitet. Soweit das Handeln der untergebenen Mitarbeiter oder Angestellten im Zusammenhang mit sächlichen Gefahren eines Unternehmens steht, soll der Vorgesetzte für ein Unterlassen in Anspruch genommen werden können, diese Gefahren nicht kontrolliert, überwacht und schließlich die Realisierung der Gefahren auch durch Einflussnahme auf das Verhalten der Mitarbeiter und Angestellten nicht verhindert zu haben. Letztlich gehört auch der im schweizerischen Strafrecht besonders diskutierte Fall Bührle zu dieser Gruppe, da es um die Haftung des Unternehmensleiters für die verbotene Auslieferung von Kriegsmaterial ging.86 Auch in den common law Rechtsordnungen, die bei der Annahme von Überwachungs- und Kontrollpflichten weitaus zurückhaltender sind als die kontinental-europäischen Rechtsordnungen, haben die Gerichte in einigen Fällen bei einer Verurteilung wegen eines Unterlassens Bezug auf eine „Kontrollgewalt“ (power to control) genommen. Obwohl teilweise unter dem Stichwort „Kontrolle über Personen“ diskutiert, geht es in diesen wenigen Fällen doch letztlich ebenfalls um eine Kontrolle über eine Sache, entweder um die Kontrolle über einen Pkw oder um die Herrschaft über Grundstücke.87 Urteile gibt es in ähnlichen Konstellationen auch in den kontinental-europäischen Rechtsordnungen.88 Als Vorgesetztenverantwortlichkeit können diese zuletzt genannten Fälle aber nicht gelten, weil es – anders als bei den oben genannten Unternehmen – schon an der strukturellen Vorgesetztenstellung fehlt. 86

Vgl. 3. Teil, 1. Kap. D. II. 3. a). Vgl. 3. Teil, 4. Kap. D. I. 88 So gehört es nach Auffassung des deutschen Bundesgerichtshofs zu den Garantenpflichten eines Fahrzeughalters, dass dieser verhindert, dass Fahrunfähige oder Fahrunkundige seinen PkW benutzen. BGHSt 17, 289; 18, 359; vgl. ebenfalls Gastwirt-Fall: OLG Hamm, NJW 1979, 993. Vgl. auch BGH NJW 1966, 1763: „gegen Ausschreitungen . . . anderer Gäste schützen“. 87

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

3. Zusammenfassung: Haftung nach allgemeinen Regeln In den untersuchten Strafrechtsordnungen gibt es innerhalb der allgemeinen ungeschriebenen Unterlassenshaftung keine Fallgruppe der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Eine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten anderer Personen ist nicht automatisch Ausfluss der Vorgesetztenstellung. Die common law Rechtsordnungen sind mit rechtlichen Handlungspflichten ohnehin sehr restriktiv. In kontinental-europäischen Rechtsordnungen sind Handlungspflichten zur Verhinderung von Rechtsverletzungen insbesondere im Unternehmen allerdings zunehmend anerkannt. Sie werden meist mit der Beherrschung von Sach- und Betriebsgefahren begründet, teilweise mit der Führungsgewalt und Kontrolle des Unternehmensleiters über Betriebsangehörige. Als zentrales haftungseinschränkendes Kriterium erscheint wiederum die Betriebsbezogenheit der Straftaten. Was die subjektiven Voraussetzungen angeht, so richten sich diese nach den allgemeinen Regeln des Haftung wegen unechten Unterlassens nach den subjektiven Voraussetzungen der jeweiligen Straftat. Soweit ein Vorsatzdelikt in Frage steht, muss auch der Vorgesetzte Vorsatz gehabt haben. Bei der Umsetzung der völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit in innerstaatliches Recht waren daher einige Rechtsordnungen gezwungen, die Vorgesetztenverantwortlichkeit in verschiedene Konstellation aufzuspalten.

C. Exkurs: Ansätze einer Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht Bevor Art. 28 IStGH-Statut unter Berücksichtigung der Ergebnisse dieser Arbeit ausgelegt wird, soll in einem Exkurs auf Ansätze einer Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht hingewiesen werden. Das europäische Strafrecht steckt insgesamt noch in den Kinderschuhen. Doch gibt es im Bereich des strafrechtlichen Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union Ansätze einer Vorgesetztenverantwortlichkeit, die sich auf zivile Vorgesetzte bezieht. So enthält das Corpus Juris 200089 eine Vorschrift zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern und Unternehmensleitern.90 Das Corpus 89 Das Corpus Juris wurde auf Initiative der Europäischen Kommission hin durch eine Sachverständigengruppe unter der Leitung von Mireille Delmas-Marty 1995 bis 1996 erarbeitet. Die Arbeit hatte das Ziel, eine gewisse Zahl von Leitprinzipien aufzustellen für den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union im Rahmen eines europäischen Rechtsraumes. Vgl. Einleitung zur französischen Fassung. 90 Vgl zum Corpus Juris aus Sicht der Vorgesetztenverantwortlichkeit bereits Weigend, in: Festschrift Roxin, S. 1375–1399.

C. Exkurs: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht

389

Juris befasst sich mit Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union und umfasst auch Regelungen eines allgemeinen Teils für dieses Spezialstrafrecht.91 Neben Regelungen zum Vorsatz, Irrtum usw. enthält es mit Art. 12 eine Regelung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn und Amtsträgers. Art. 12 des Corpus Juris 2000,92 (früher Art. 1393), lautet in der Fassung von Florenz: „Article 12 – Criminal Liability of the head of business or persons with powers of decision and control within the business: public officers 1. If one of the offences under Articles 1 to 8 is committed for the benefit of a business by somesone acting under the authority of another person who is the head of business, or who controls it or exercises the power to make decisions within it, that other person is also criminally liable if he knowingly allowed the offence to be committed. 2. The same applies to any public officer who knowingly allows an offence under Articles 1 to 8 to be committed by a person under him. 3. If one of the offences under Articles 1 to 8 is committed by somesone acting under the authority of another person who is the head of business, or who controls it or exercises the power to make decisions within it, that other person is also criminally liable if he failed to exercise necessary supervision, and his failure facilitated the commission of the offence. 91 Zum Allgemeinen Teil des Corpus Juris vgl. Tiedemann, in: Das Corpus Juris, S. 61 ff., der darauf hinweist, dass diese „bereichsspezifisch“ sind. Erwähnt sei an dieser Stelle auch der von einer Gruppe um Tiedemann entwickelte Entwurf Europa-Delikte (Endfassung 2002), der mit Art. 15 ebenfalls eine ähnliche Vorschrift enthält, vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 449 ff. 92 Dt. Fassung: „Artikel 12 – Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn und von Personen, die innerhalb eines Unternehmens Entscheidungs- oder Kontrollbefugnisse ausüben: Entscheidungsträger und Amtsträger 1. Wird eine der Taten nach den Artikeln 1 bis 8 zugunsten eines Unternehmens durch eine Person begangen, die der Weisungsgewalt eines Geschäftsherren unterworfen ist oder der Weisungsgewalt einer anderen Person mit Entscheidungs- oder Kontrollbefugnis innerhalb des Unternehmens, so sind auch der Geschäftsherr und die andere Person strafrechtlich verantwortlich, wenn sie die Tat vorsätzlich begehen lassen. 2. Das gleiche gilt für einen Amtsträger, wenn er vorsätzlich eine Tat nach den Artikeln 1 bis 8 von einer Person begehen lässt, die unter seiner Verantwortung arbeitet. 3. Wird eine der Taten nach den Artikeln 1 bis 8 von einer Person begangen, die der Weisungsgewalt eines Geschäftsherren unterworfen ist oder der Weisungsgewalt einer anderen Person mit Entscheidungs- oder Kontrollbefugnis innerhalb des Unternehmens, so sind auch der Geschäftsherr und die andere Person strafrechtlich verantwortlich, wenn sie eine notwendige Überwachung unterlassen und wenn dies die Tat erleichtert. 4. Für die Frage, ob eine Person gemäß Ziffer 1 oder 3 verantwortlich ist, kann sich niemand mit der Übertragung von Befugnissen auf eine andere Person

390

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

4. In determining whether a person is liable under (1) und (3) above, the fact that he delegated his powers shall only be a defence where . . . 5. Where liability is incurred under this article, the maximum penalty shall be half of the penalty prescribed under Article 14.“

Das Corpus Juris stellt den Versuch einer Synthese verschiedener Lösungsansätze aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar.94 In Art. 12 Corpus Juris sind unter anderem auch die in dieser Arbeit untersuchten deutschen, österreichischen, französischen und englischen Sondervorschriften und Sonderregeln zur Haftung von Amtsträgern und Unternehmensleitern eingeflossen. Die Abfassung von Art. 12 Corpus Juris war von besonderen Schwierigkeiten begleitet und die Bedenken hinsichtlich der Kompatibilität von Art. 12 Corpus Juris mit den nationalen Rechtssystemen waren erheblich. Die Leiter und Koordinatoren des Corpus Juris und der Nachfolgeprojekte berichten von großen Divergenzen gerade bei der Frage der Verantwortlichkeit von Amtsträgern und Geschäftsherrn.95 Art. 12 Corpus Juris ist daher letztlich vielleicht doch weniger Synthese als Kompromiß.96

verteidigen, es sei denn, die Übertragung erfolgte nur zu einem Teil, genau und speziell, war für das Unternehmen notwendig und der Übertragungsempfänger war tatsächlich in der Lage, die Aufgaben des Übertragenden zu erfüllen. Ungeachtet einer solchen Übertragung kann eine Person diesem Artikel gemäß verantwortlich gemacht werden, wenn sie zu wenig Sorgfalt auf die Auswahl, Überwachung oder Kontrolle des Personals verwandt hat oder allgemein auf die Organisation des Unternehmens oder eines anderen Zuständigkeitsbereichs des Geschäftsherrn. 5. Wenn jemand gemäß diesem Artikel verantwortlich ist, beträgt die Höchststrafe die Hälfte der Strafe nach Artikel 14.“ 93 Art. 13 lautete (dt. Übersetzung Yvonne Kleinke und Marc Tully in: Corpus Juris, 1998): „Wird eine Straftat nach Art. 1 bis 8 zugunsten eines Unternehmens von einer weisungsabhängigen Person begangen, so sind auch die Unternehmensleiter oder jede andere Person, der die Entscheidungs- und Kontrollgewalt im Unternehmen obliegt, strafrechtlich verantwortlich, wenn sie in Kenntnis der Umstände Anweisungen geben, Straftaten geschehen lassen oder notwendige Kontrollen unterlassen.“ 94 Delmas-Marty (Hg.), Corpus Juris, S. 43. Auch im Rahmen des AIDP wurde die Möglichkeit einer Strafbarkeit von Entscheidungsträgern für die Taten ihrer Untergebenen angesprochen, Weigend, ZStW 2000, 707. 95 Delmas-Marty/Vervaele (Hg.), The Implementation of the Corpus Juris, Bd. 1, S. 73–74, 132–133. 96 Delmas-Marty (Hg.), Corpus Juris, S. 43.

C. Exkurs: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht

391

I. Allgemeines Art. 12 Corpus Juris enthält zwei Alternativen. Nach Art. 12 Abs. 1 machen sich Amtsträger bzw. Geschäftsherren und Entscheidungsträger strafbar, wenn sie die Tat – eine Straftat gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union – vorsätzlich begehen lassen. Nach Art. 12 Abs. 3 haften Geschäftsherrn und Entscheidungsträger, wenn sie eine notwendige Überwachung unterlassen haben und dies die Tat erleichtert hat.97 II. Objektive Haftungseinschränkungen: Zuständigkeitsbereich und Unternehmensnützlichkeit Art. 12 Corpus Juris normiert ausdrücklich keine mit Art. 28 b) ii) IStGH-Statut vergleichbare Voraussetzung. Eine objektive Einschränkung der Haftung wird aber schon wegen des weiten Begriffs des Entscheidungsträgers für erforderlich gehalten.98 So dürfte es auch im Rahmen von Art. 12 Corpus Juris Voraussetzung sein, dass der Geschäftsherr, Entscheidungs- oder Amtsträger nur innerhalb seines tatsächlichen Zuständigkeitsund Verantwortungsbereichs haftet. Dies geht indirekt aus Art. 12 Abs. 4 Corpus Juris hervor, wonach eine Delegierung von Verantwortlichkeiten unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein soll. Insbesondere ist eine solche nur möglich, wenn die Person, der Verantwortlichkeiten übertragen wurden, „tatsächlich in der Lage“ war, die ihr übertragenenen Aufgaben zu erfüllen. Ausdrücklich spricht Art. 12 Abs. 4 Corpus Juris zudem vom „Zuständigkeitsbereich“ des Geschäftsherrn. Insgesamt dürfte nach Art. 12 Corpus Juris im Ergebnis ein Geschäftsherr, Entscheidungs- oder Amtsträger nur soweit haften, wie er in seinem tatsächlichen Zuständigkeitsbereich tatsächliche Weisungsgewalt gegenüber den Personen ausübt, die die Straftaten begehen. Als haftungseinschränkend wirkt sich darüber hinaus ebenfalls aus, dass die Taten der Untergebenen „zugunsten eines Unternehmens“ begangen 97 Art. 12 Abs. 3 Corpus Juris ist möglicherweise nicht auf Amtsträger anwendbar, so dass diese gar nicht wegen des Unterlassens notwendiger Überwachung haften. Hierfür spricht die systematische Stellung von Art. 12 Abs. 2 Corpus Juris, der die Haftung auf Amtsträger nur im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 Corpus Juris ausweitet. Das Corpus Juris scheint davon auszugehen, dass Amtsträger nicht dieselben Überwachungspflichten haben wie Geschäftsherrn oder andere Entscheidungsträger im Betrieb und Unternehmen. 98 Ähnliche Vorschriften wie Art. 15 Abs. 2 des Gesetzesentwurfes „Europa-Delikte“ enthalten bspw. die Formel „sofern das Handeln . . . die zur Aufsicht gehörenden Geschäfte oder Tätigkeiten betrifft“ bzw. „für Taten, die zum Geschäftsbereich des Betriebes oder Unternehmens gehören“. Vgl. kritische Analyse des Art. 15 bei Weigend, in: Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 417–420.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

worden sein müssen (Abs. 1). Dass diese Voraussetzung in Absatz 3 nicht wiederholt wird, dürfte keine Bedeutung haben. Durch die Voraussetzung der „Unternehmensnützlichkeit“ wird insbesondere eine Haftung für solche Taten der Untergebenen ausgeschlossen, die gegen das Unternehmen gerichtet waren, also sich unternehmensschädigend auswirken. Die Voraussetzung der Unternehmensnützlichkeit kann als eine Form der Unternehmens- oder Betriebsbezogenheit der Straftaten verstanden werden. Eine solche spielt bei einigen untersuchten nationalen Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit ebenfalls eine haftungseinschränkende Rolle. Allerdings ist die Unternehmensnützlichkeit eine äußerst spezifische und enge Form der Unternehmens- oder Betriebsbezogenheit. Straftaten können durchaus unternehmens- oder betriebsbezogen sein, auch wenn sie letztlich nicht dem Unternehmen zugute kommen. III. Subjektive Merkmale Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 Corpus Juris setzen ausdrücklich voraus, dass der Geschäftsherr, Entscheidungsträger oder Amtsträger die Begehung der Straftaten „vorsätzlich“ zulässt, wörtlich jedoch „wissentlich“ („knowingly“, „en connaissance“). Die deutsche Übersetzung „vorsätzlich“ ist daher nicht ganz treffend.99 Die Verschuldensform gilt auch, soweit die untergebenen Mitarbeiter eine Straftat begehen, für die „Leichtfertigkeit“ genügt.100 Art. 12 Abs. 3 Corpus Juris setzt hingegen ein vorsätzliches oder wissentliches Unterlassen notwendiger Überwachung nicht ausdrücklich voraus und normiert auch im Hinblick auf die Straftaten der untergebenen Mitarbeiter keine besonderen Voraussetzungen. Daher stellt sich die Frage, ob nach Art. 12 Abs. 3 Corpus Juris Vorsatz vorliegen muss oder ob Leichtfertigkeit ausreichend ist. Wie im Rahmen der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit wäre dann auch die Konstellation denkbar, dass ein leichtfertig handelnder Unternehmensleiter für eine Vorsatztat eines Mitarbeiters als Täter verantwortlich gemacht wird,101 was dieselben Probleme hinsichlich des Schuldgrundsatzes aufwerfen würde. Wegen Art. 9 Corpus Juris ist jedoch davon auszugehen, dass Vorsatz im Hinblick auf alle Voraussetzungen gegeben sein muss. 99

Im deutschen Strafrecht würde dies dem dolus directus 2. Grades entsprechen. Aus Art. 9 Corpus Juris geht hervor, dass es trotz des Vorsatzerfordernisses für die Taten nach den Artikeln 1 bis 8 Corpus Juris Delikte gibt, die der Betrügerei zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts gleichgestellt sind (Artikel 1) und für die Leichtfertigkeit genügt. 101 In Bezug auf die Vorgängervorschrift Art. 13 Corpus Juris; Neumann, in: Das Corpus juris, S. 77. 100

C. Exkurs: Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht

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IV. Begriff des Amtsträgers und Geschäftsherrn Art. 12 Corpus Juris sieht eine Haftung sowohl von Amtsträgern (Abs. 2)102 als auch von Geschäftsherren und anderen Personen mit Weisungsgewalt und Entscheidungs- oder Kontrollbefugnis innerhalb eines Unternehmens (Abs. 1, 3) vor. Es sind folglich sowohl Führungspersonen mit Entscheidungs- oder Kontrollbefugnissen im staatlich-öffentlichen wie auch privatwirtschaftlichen Bereich erfasst.103 Art. 12 Corpus Juris knüpft die Haftung an die Vorgesetztenstellung. Neben einer strukturellen Einbindung in Betrieb oder Behörde ist ausdrücklich vorausgesetzt, dass die gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichteten Taten durch eine Person begangen werden, die der „Weisungsgewalt“ (authority) eines Geschäftsherren oder der eines Entscheidungsträgers unterworfen ist. In Bezug auf Amtsträger formuliert Art. 12 Abs. 2 Corpus Juris, dass die Person „unter der Verantwortung“ des Amtsträgers arbeitet. Der Begriff der Kontrolle wird nicht besonders herausgestellt, sondern allein im Hinblick auf die den Geschäftsherrn gleichgestellten Personen verwendet, die mit „Entscheidungs-“ oder „Kontrollbefugnissen“ ausgestattet sein müssen.104 V. Zusammenfassung Art. 12 Corpus Juris ist eine Vorschrift der Vorgesetztenverantwortlichkeit im nicht-militärischen Bereich. Geschäftsherren, Amts- und Entscheidungsträger haften nur innerhalb ihres tatsächlichen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs und soweit die Straftaten „zugunsten des Unternehmens“ begangen werden. Anders als möglicherweise Art. 28 b) i) IStGHStatut ermöglicht Art. 12 Corpus Juris keine Haftung unterhalb der Schwelle des Wissens. Art. 12 Corpus Juris hat zwar derzeit nur im Rahmen der gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichteten Straftaten Bedeutung. Außerdem handelt es sich um keine verbindliche Vorschrift, sondern 102

In der Vorgängervorschrift Art. 13 waren die Amtsträger noch nicht genannt. Tiedemann, in: Das Corpus Juris, S. 65: Täterkreis funktional auf alle Entscheidungsträger und Kontrollpersonen erweitert. 104 Darüber hinaus stellt Art. 12 Corpus Juris anders als Art. 28 IStGH-Statut nicht ausdrücklich auf eine „tatsächliche“ Ausübung der Weisungsgewalt bzw. der Entscheidungs- oder Kontrollbefugnissen ab. Eine derartige „tatsächliche Vorgesetztenstellung“ dürfte jedoch auch bei Art. 12 Corpus Juris Voraussetzung sein. Ansonsten würden Geschäftsherrn und Entscheidungsträger zur Verantwortung gezogen, obwohl sie keine Möglichkeit hatten, durch die Ausübung ihrer funktionellen Machtbefugnisse die Straftat zu verhindern. 103

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

lediglich um einen Vorschlag einer Forschungsgruppe und damit um nicht mehr als die opinio iuris europäischer Rechtsgelehrter. Allerdings ist es erwähnenswert, dass bereits Art. 3 der Konvention zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft105 und Art. 6 des Übereinkommens aufgrund von Art. K.3 Absatz 2 c) des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung106 eine ähnliche Vorgesetztenverantwortlichkeit normieren. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit Leiter, Entscheidungsträger oder Träger von Kontrollbefugnissen wegen ihrer Vorgesetztenverantwortlichkeit zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden können.107 Eine ähnliche Regelung trifft schließlich Art. 8 des Vorschlags einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft aus dem Jahre 2001 bzw. 2002, der allerdings bisher noch nicht vom Rat angenommen wurde:108 „Strafrechtliche Verantwortung der Unternehmensleiter Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Leiter, Entscheidungsträger oder Träger von Kontrollbefugnissen von Unternehmen bei den in Kapitel II genannten Handlungen, die eine ihnen unterstellte Person zum Vorteil des Unternehmens begeht, nach den Grundsätzen ihres innerstaatlichen Rechts für strafrechtlich verantwortlich erklärt werden können.“109 105

Artikel 3 der Konvention zum Schutz finanzieller Interessen lautet: „Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Leiter, Entscheidungsträger oder Träger von Kontrollbefugnissen von Unternehmen bei betrügerischen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 1, die eine ihnen unterstellte Person zum Vorteil des Unternehmens begeht, nach den Grundsätzen des innerstaatlichen Rechts des Mitgliedstaats für strafrechtlich verantwortlich erklärt werden können.“ (ABl. Nr. C 316 v. 27.11.1995 S. 0049–0057) 106 Artikel 6 des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) lautet: „Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Leiter, Entscheidungsträger oder Träger von Kontrollbefugnissen von Unternehmen bei Bestechungshandlungen gemäß Artikel 3, die eine ihnen unterstellte Person zum Vorteil des Unternehmens begeht, nach den Grundsätzen des innerstaatlichen Rechts für strafrechtlich verantwortlich erklärt werden können.“ (ABl. Nr. C 195 v. 25.06.1997 S. 0002–0011) 107 Vgl. zu Art. 3 der Konvention zum Schutz finanzieller Interessen: Ligeti, in: Current Issues in European Criminal Law, S. 91–97. 108 Rosenau, ZIS 2008, 11. 109 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft (2001/C 240 E/19) KOM(2001) 272 endg. 2001/0115(COD) ABl. Nr. C 240 E von der Kommission vorgelegt am 23. Mai 2001, geänderter Vorschlag KOM(2002) 577 endg. – ABl. Nr. C 71 E v. 25.3.2003).

D. Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung

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Die genannten Vorschriften erklären wie Art. 12 Corpus Juris, dass Leiter, Entscheidungsträger und Träger von Kontrollbefugnissen in Unternehmen strafrechtlich verantwortlich sein sollen, wenn Untergebene zugunsten des Unternehmens bestimmte Straftaten begehen. Zu den subjektiven Voraussetzungen machen die Vorschriften jedoch keine Vorgaben, sondern überlassen die Frage den nationalen Gesetzgebern. Insgesamt sind die Ansätze für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit im Europarecht noch recht schwach. Doch kommt hier die Auffassung zum Ausdruck, dass Vorgesetzte in Betrieb und Behörde strafrechtlich haften sollen, wenn ihnen unterstellte Personen Straftaten begehen, die mit dem Unternehmen in Zusammenhang stehen, zumindest wenn Straftaten zugunsten des Unternehmens begangen werden.

D. Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung I. Kein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter vor Inkrafttreten der Umsetzungsvorschriften Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass sich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzte aus den untersuchten Rechtsordnungen für die Zeit vor Inkrafttreten des Art. 28 IStGH-Statut und entsprechender Umsetzungsvorschriften nicht ableiten lässt, weder für die Gruppe der Amtsträger noch für die Gruppe der Unternehmensleiter. Auf der anderen Seite war die Idee einer Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter auch nicht völlig unbekannt. Es gibt durchaus eine Reihe von Vorschriften oder Haftungsfiguren, nach denen Amtsträger oder Unternehmensleiter strafrechtlich haften, wenn sie Straftaten oder andere Rechtsverletzungen ihrer Untergebenen nicht verhindern. Teilweise sind diese Vorschriften recht umfassend, stellen jedoch in ihrem Rechtskreis keine prägenden, sondern vereinzelte Sondervorschriften dar. Teilweise ist eine Haftung von Vorgesetzten auch nur für Rechtsverletzungen in sehr spezifischen Bereichen anerkannt, die überdies nur gering bestraft werden oder aber keine strafrechtlichen Sanktionen nach sich ziehen. Im Falle der Vorgesetzenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter stellt das Völkerstrafrecht folglich nicht wie so häufig den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ dar, sondern geht über das hinaus, was nach innerstaatlichem Recht vor Inkrafttreten von Art. 28 IStGH-Statut möglich war. Durch die Inkraftsetzung einer Reihe von Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut in den untersuchten Rechtsordnungen ist der Grund-

396

4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

satz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nunmehr aber in vielen innerstaatlichen Rechtsordnungen verankert. Nahezu alle untersuchten Umsetzungsvorschriften erfassen dabei nicht-militärische Vorgesetzte, sowohl im Amtsträger- wie im Unternehmensbereich. Auch gibt es Bemühungen auf europäischer Ebene, einen Grundsatz der Vorgesetztenverantwortlichkeit nichtmilitärischer Vorgesetzter zu verankern. Dies betrifft freilich den sehr spezifischen Bereich des Schutzes der finanziellen Interessen. II. Auswirkung des Fehlens eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes Es stellt sich die Frage, was das Fehlen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter für die Vorschrift des Art. 28 b) IStGH-Statut bedeutet. Zunächst ist zu beachten, dass sich das Völkerstrafrecht nicht allein aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder der Rechtspraxis der nationalen Rechtsordnungen zusammensetzt, sondern auf verschiedenen Rechtsquellen fußt, wie sie insbesondere Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs benennt.110 Es ist dabei nicht erforderlich, dass sich ein völkerstrafrechtlicher Rechtssatz auf alle dort genannten Rechtsquellen stützen lässt. In diesem Zusammenhang ist zudem zu beachten, dass das Römische Statut anders als die Statute der Ad-hoc-Tribunale ein völkerrechtlicher Vertrag ist und damit selbst eine Rechtsquelle darstellt. Aus dem Fehlen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter folgt daher nicht automatisch, dass Art. 28 b) IStGH-Statut völkerrechtswidrig ist bzw. keine völkerrechtliche Geltung beanspruchen kann. Überdies trifft Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut111 eine besondere Regelung zur Rechtsfindung für den Internationalen Strafgerichtshof,112 wonach in 110 Art. 38 Abs. 1 Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH-Statut), dt. Fassung, BGBl. 1973 II, S. 505: „Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an a) internationale Übereinkünfte allgemeiner und besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen.“ 111 Art. 21 Abs. 1 lautet, dt. Übersetzung durch Verf.: „Der Gerichtshof wendet Folgendes an: a) an erster Stelle dieses Statut, die ‚Verbrechenselemente‘ sowie seine Verfahrens- und Beweisordnung

D. Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung

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erster Linie das Römische Statut anzuwenden ist und die Heranziehung der nationalen Rechtsordnungen sogar subsidiär ist („soweit solche fehlen“). Für den Internationalen Strafgerichtshof bedeutet dies, dass er sich im Zweifel und auch bei Diskrepanzen auf das Statut selbst zu stützen hat.113 Was die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter betrifft, so ist Art. 28 IStGH-Statut für den Internationalen Strafgerichtshof insofern Ausgangspunkt. Was die völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter betrifft, ist Folgendes anzumerken: Obwohl nur einige wenige nicht-militärische Vorgesetzte aufgrund ihrer Vorgesetztenverantwortlichkeit verurteilt worden sind, haben die Adhoc-Tribunale doch immer wieder ihrer Auffassung Ausdruck verliehen, dass auch nicht-militärische Vorgesetzte der Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliegen. Bereits vor Inkrafttreten von Art. 28 IStGH-Statut gab es eine insoweit deutliche Rechtsprechung. Obwohl eigentlich keine eigenständige Rechtsquelle, ist mittlerweile anerkannt, dass der Rechtsprechung der Adhoc-Tribunale selbst „normatives Eigengewicht“ zukommt.114 Wenn man daher auch nicht den Schluss ziehen kann, dass der Grundsatz einer Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter einer völkergewohnheitsrechtlichen Basis entbehrt, so wirft doch das Fehlen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes einen Schatten auf die völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Vorgesetztenverantwortlichkeit in ihrer Anwendung auf nicht-militärische Vorgesetzte, zumindest vor Inkrafttreten von Art. 28 IStGH-Statut.

b) an zweiter Stelle, soweit angebracht, anwendbare Verträge sowie die Grundsätze und Regeln des Völkerrechts, einschließlich der anerkannten Grundsätze des internationalen Rechts des bewaffneten Konflikts; c) soweit solche fehlen, allgemeine Rechtsgrundsätze, die der Gerichtshof aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Rechtssysteme der Welt, einschließlich, soweit angebracht, der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Staaten, die im Regelfall Gerichtsbarkeit über das Verbrechen ausüben würden, abgeleitet hat, sofern diese Grundsätze nicht mit diesem Statut, dem Völkerrecht und den international anerkannten Regeln und Normen unvereinbar sind.“ 112 Vgl. zu Art. 21 IStGH-Statut und Verhältnis zu Art. 38 Statut des Internationalen Gerichtshofs, Schabas, An Introduction to the ICC, S. 91 f., McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 21, S. 436 ff. 113 Cassese, EJIL 1999, 157, der insbesondere auf die entgegengesetzte Gefahr hinweist, dass das Statut hinter dem Völkergewohnheitsrecht zurückbleibt. Vgl. auch Pellet, in: Cassese et al., The Rome Statute, Bd. 2, S. 1077 ff., 1083. 114 Kreß, ZStW 1999, 603. Kreß weist auch auf die Gefahr hin, dass der Beitrag der Völkerrechtsprechung zur Findung allgemeiner Rechtsgrundsätze verkannt wird.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Erst mit Inkrafttreten des Art. 28 IStGH-Statut wandelt sich das Bild. Eine beträchtliche Anzahl von Staaten – bis Juni 2009 waren es 109 – hat durch Ratifizierung des Römischen Statuts ihre Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass auch Art. 28 IStGH-Statut Recht sein soll und nicht-militärische Vorgesetzte der Vorgesetztenverantwortlichkeit unterliegen sollen. Bereits während der Vertragsverhandlungen in Rom haben die Delegationen verschiedener Staaten sich für die Vorgesetztenverantwortlichkeit auch nicht-militärischer Vorgesetzter ausgesprochen, obwohl in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen eine solche zu dem damaligen Zeitpunkt nicht anerkannt war. Es gibt folglich eine starke opinio juris für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter für Völkerrechtsverbrechen ihrer Untergebenen. Zu beachten ist weiterhin, dass im Völkerrecht die „Verbalpraxis“ eine fehlende consuetudo oder Justizpraxis ersetzen kann.115 Darüber hinaus haben zahlreiche Staaten innerstaatliche Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut erlassen, die nicht-militärische Vorgesetzte umfassen. Auf diese Weise wird die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter, die vor Inkrafttreten von Art. 28 IStGHStatut nur eine schwache völkergewohnheitsrechtliche Basis hatte, nachträglich gestärkt.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Untersuchung I. Heranziehung innerstaatlichen Strafrechts als Auslegungshilfe Da die Verantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter im innerstaatlichen Recht vieler Staaten erst durch die Umsetzungsvorschriften umfassend verankert wurde, könnte man erwägen, Art. 28 b) IStGH-Statut eng bzw. unter Zuhilfenahme der ergangenen Umsetzungsvorschriften und anderer einschlägiger innerstaatlicher Vorschriften auszulegen. Dies würde auch diejenigen Merkmale betreffen, durch die sich der Haftungsmaßstab militärischer und nicht-militärischer Vorgesetzter unterscheidet, also die subjektiven Voraussetzungen und die zusätzliche objektive Haftungseinschränkung in Art 28 b) ii) IStGH-Statut. Ausgeschlossen erscheint es aber, die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter generell in Frage zu stellen. Denn die meisten der untersuchten Rechtsordnungen haben Umsetzungsvorschriften erlassen, die nicht-militärische Vorgesetzte einschließen oder sogar ausdrücklich benennen. 115

S. 35.

Kreß, ZStW 1999, 597, 602; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 132 f.; Burghardt,

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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Die Heranziehung innerstaatlicher Vorschriften und Rechtspraxis zur Schließung von Lücken, zur Klärung offener Fragen oder zur Auslegung bestimmter Merkmale in einer völkerstrafrechtlichen Vorschrift ist grundsätzlich zulässig.116 Auch die Ad-hoc-Gerichtshöfe haben bei der Auslegung bestimmter Vorschriften der Statuten auf innerstaatliches Strafrecht zurückgegriffen. So hat beispielsweise das Jugoslawien-Tribunal im Fall Furundžija zur Klärung des Begriffs „Vergewaltigung“ nationales Strafrecht untersucht.117 Ein derartiger Rückgriff auf innerstaatliches Strafrecht zur Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut könnte sich auf eine analoge Anwendung von Art. 38 Abs. 1 c) IGH-Statut bzw. Art. 21 Abs. 1 c) IStGHStatut stützen. Ebenfalls könnte Art. 31 Abs. 3 der Wiener Vertragsrechtskonvention (zumindest analog) herangezogen werden,118 wonach zur Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages die Heranziehung innerstaatlichen Strafrechts möglich ist, selbst wenn dieses keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz wiedergibt.119 Bei der Zuhilfenahme von innerstaatlichem Strafrecht ist allerdings stets auf die Besonderheiten des Völkerstrafrechts Rücksicht zu nehmen.120 So kann dieses nicht einfach mechanisch in das Völkerstrafrecht übertragen werden.121 116 Degan, CJIL 2005, 52–53; Simma/Paulus, in: Droit International Pénal, S. 62–65; Nollkaemper, in: International Criminal Law Developments, S. 279 f., 286 f. Vgl. auch Damaška, American Journal of Comparative Law 2001, 483. 117 Prosecutor v. Furundžija, Urteil der Verhandlungskammer v. 10.12.1998, Para. 177. Es ging um die Frage, ob orale Penetration als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung einzustufen ist. Die Kammer konnte keine einheitliche Rechtspraxis in den nationalen Rechtsordnungen feststellen und stützte ihre Auslegung letztlich auf den Grundsatz der menschlichen Würde, den sie als Grundsatz des internationalen Rechts bezeichnete, Para. 182. Die Berufungskammer des Jugoslawien-Tribunals hat im Fall Tadic´ ebenfalls nationales Strafrecht daraufhin untersucht, ob es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Haftung aufgrund eines „gemeinsamen kriminellen Unterfangens“ (joint criminal entreprise) gibt. Prosecutor v. Tadic´, Urteil der Berufungskammer v. 15.7.1999, Para. 224 f. 118 Art. 31 (3) WVRK lautet: „Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen; b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht; c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz.“ 119 Nollkaemper, in: International Criminal Law Developments, S. 280. 120 Prosecutor v. Furundžija, Urteil der Verhandlungskammer v. 10.12.1998, Para. 177.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Im Folgenden werden Art. 28 b) IStGH-Statut und die zusätzlichen objektiven und veränderten subjektiven Haftungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung ausgelegt. Ebenfalls wird die Frage behandelt, wie militärische und nicht-militärische Vorgesetzte voneinander abgegrenzt werden können. Dabei werden in erster Linie die innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften, die zu Art. 28 IStGH-Statut erlassen wurden, zur Auslegung herangezogen. Doch wird auch auf andere einschlägige innerstaatliche Vorschriften und Haftungsfiguren, die in dieser Arbeit untersucht wurden, zurückgegriffen. II. Die objektive Haftungseinschränkung nach Art. 28 b) ii) IStGH-Statut („crimes concerned activitities that were within the effective responsibility and control of the superior“) Art. 28 b) ii) IStGH-Statut setzt voraus, dass die Straftaten „Tätigkeiten betreffen, die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen.“ Die Untersuchung der Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut hat gezeigt, dass es Anhaltspunkte für zwei mögliche objektive Haftungseinschränkungen in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut gibt. Zum einen könnte Art. 28 b) ii) IStGH-Statut bedeuten, dass ein nicht-militärischer Vorgesetzter nur innerhalb seines tatsächlichen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs haftet. Des Weiteren könnte Art. 28 b) ii) IStGH-Statut es zur Voraussetzung machen, dass die Straftaten der Untergebenen einen spezifischen Bezug zu den Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation aufweisen („Organisationsbezogenheit der Straftaten“). Beide objektive Haftungseinschränkungen spielen nicht nur bei einigen Umsetzungsvorschriften eine Rolle, sondern finden sich zudem in einer Vielzahl anderer Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit in den nationalen Rechtsordnungen. 1. Beschränkung auf den tatsächlichen Zuständigkeitsbereich Die Haftungsbeschränkung, dass ein Vorgesetzter nur innerhalb der Grenzen seines tatsächlichen Zuständigkeitsbereichs zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen wird, weil er dort mit Anordnungsgewalt ausgestattet ist, gilt in einer Reihe der untersuchten innerstaatlichen Haftungsregeln und Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit.122 Zu nennen ist insbesondere § 357 Abs. 2 dStGB, der eine fast identische Formulierung wie Art. 28 121 Prosecutor v. Furundžija, Urteil der Verhandlungskammer v. 10.12.1998, Para. 178. 122 Vgl. oben B. II. 2. b) und 3. b).

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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b) ii) IStGH-Statut enthält. Die Formulierung, dass die rechtswidrige Tat „die zur Aufsicht und Kontrolle gehörenden Geschäfte“ betrifft, wird als Beschränkung auf den Zuständigkeitsbereich des Amtsträgers verstanden. Auch im privatwirtschaftlichen Bereich gilt, dass ein Unternehmensleiter nur innerhalb seines Zuständigkeits- und Geschäftsbereichs haftet, wie zahlreiche Sonderregeln und Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zeigen. Es kann daher den nationalen Rechtsordnungen der Grundsatz entnommen werden, die strafrechtliche Haftung von Amtsträgern und Unternehmensleitern auf ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu beschränken, in dem sie mit Anordnungsgewalt ausgestattet sind. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut könnte folglich unter Zuhilfenahme des innerstaatlichen Rechts so ausgelegt werden, dass die Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter auf ihre tatsächlichen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche beschränkt wird. Ausgangspunkt für die Auslegung von Art. 28 b) ii) IStGH-Statut ist zunächst die Ähnlichkeit der Formulierung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut und des Chapeau. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut wiederholt den bereits im Chapeau der Vorschrift verwendeten Begriff der „tatsächlichen Kontrolle“, ersetzt allein den dort verwendeten Begriff der „Führungsgewalt“ (authority) durch „Verantwortung“ (responsibility). Aus der Analyse des Art. 28 IStGH-Statut sowie einiger Umsetzungsvorschriften123 lässt sich ableiten, dass damit jedoch kein anderes Konzept eingeführt wird. „Tatsächliche Führungsgewalt“ wurde in dieser Arbeit als das tatsächliche Können bestimmt, Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam zu erteilen. Tatsächliche „Kontrolle“ besteht, wenn Gewähr für die Befolgung der Anordnungen besteht.124 Während der Begriff „Führungsgewalt“ stärker personenbezogen ist, ist der Begriff der „Verantwortung“ in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut eher sach- oder fachbezogen zu verstehen. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut konkretisiert folglich die Voraussetzung der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle, die bereits im Chapeau der Vorschrift verankert ist. Art. 28 b) ii) IStGH-Statut gehört somit zu der im Rahmen dieser Arbeit als „tatsächliche Vorgesetztenstellung“ bezeichneten Kernvoraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit.125

123

Insbesondere die kanadischen Umsetzungsvorschriften ersetzen den Begriff der „Verantwortung“ durch „Führungsgewalt“, vgl. aber auch Analyse der deutschen und schweizerischen Umsetzungsvorschriften, die auf eine Umsetzung verzichten; vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. II. 2., 1. Kap. B. I. 2., B. II. 2., B. III. 2. 124 Vgl. 2. Teil, B. I. 1. b). 125 Vgl. 2. Teil, B. I. 1. a).

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Soweit nach Art. 28 b) ii) IStGH-Statut tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle auch im Hinblick auf die „Tätigkeiten“ der Untergebenen erforderlich ist, kommen insbesondere die fachlichen bzw. sachlichen, aber auch örtlichen oder zeitlichen Grenzen der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle zum Tragen und wirken sich haftungseinschränkend aus. Mit anderen Worten, Art. 28 b) ii) IStGH-Statut erkennt insbesondere an, dass Vorgesetzte nicht in jeder Hinsicht, zu jeder Zeit und an jedem Ort tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über alle Aktivitäten ihrer Untergebenen ausüben. In diesem Sinne hat auch die US-amerikanische Delegation während der Vertragsverhandlungen in Rom erklärt, dass zivile Vorgesetzte nach Art. 28 b) ii) IStGH-Statut für ihre Untergebenen nur „bei der Arbeit“ und nicht für Handlungen, die diese außerhalb ihres Arbeitsplatzes als Privatpersonen begehen, verantwortlich seien.126 Diese Auffassung wird auch teilweise in der völkerstrafrechtlichen Literatur vertreten.127 So formuliert Vest beispielsweise, dass die Straftaten nach Art. 28 b) ii) IStGH-Statut „den betreffenden zivilen Verantwortungsbereich beschlagen“ müssen.128 Werle meint, Art. 28 b) ii) IStGH-Statut beschränke die Haftung vor allem in zeitlicher und örtlicher Hinsicht.129 Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, genauer gesagt, der Halbsatz „in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“, lässt sich daher wie folgt auslegen: Ein nicht-militärischer Vorgesetzter muss im Hinblick auf die Tätigkeiten, die die untergebenen Straftäter in einer nicht-militärischen Organisation verrichten, tatsächlich zuständig sein und die tatsächliche Möglichkeit haben, den untergebenen Straftätern in diesem Bereich und zum jeweiligen Zeitpunkt und am jeweiligen Ort Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam anzuordnen, wobei die Befolgung der Anordnungen gewährt ist. Es stellt sich Frage, warum diese Voraussetzung nur für nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut normiert ist. Die Tatsache, dass der für militärische Vorgesetzte einschlägige Art. 28 a) IStGH-Statut eine derartige Voraussetzung nicht explizit herausstellt, könnte bedeuten, dass militärische Vorgesetzte verschärft haften sollen, d.h. die Haftung unabhängig davon eingreift, ob der Vorgesetzte über die untergebenen Straftäter und ihre Aktivitäten auch in sachlicher bzw. fachlicher, örtlicher oder zeitlicher Hinsicht tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Von einer der126

UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, para. 68. Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28, Rn. 22: „while at work or while engaged in work-related activities“. Vgl. auch Ambos, in: Cassesse et al., The Rome Statute, S. 858. 128 Vest, Genozid, S. 283. 129 Werle, Principles, Rn. 378, S. 132: „limits in place and time“. 127

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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artigen Allzuständigkeit oder Allverantwortlichkeit des militärischen Vorgesetzten für das Verhalten seiner Untergebenen ging wohl auch die USamerikanische Delegation in Rom aus.130 Eine Allzuständigkeit ließe sich mit der erhöhten Gefährlichkeit einer militärischen Einheit oder Organisation erklären, die in ihrer Bewaffnung bzw. Ausrichtung auf den bewaffneten Einsatz liegt131 und keine Unterteilung von Zuständigkeiten bzw. Verantwortungsbereichen in sachlicher, fachlicher, örtlicher oder zeitlicher Hinsicht erlaubt. Die Ansicht einer Allzuständigkeit militärischer Vorgesetzter wird auch teilweise in der Literatur vertreten. So meint beispielsweise Fenrick, dass militärische Vorgesetzte im Gegensatz zu nicht-militärischen Vorgesetzten „24 Stunden pro Tag im Dienst“ seien.132 Ebenfalls gehen Boisvert, Dumont und Petrov davon aus, dass militärische Vorgesetzte ihre Untergebenen „rund um die Uhr“ beaufsichtigen müssen.133 Dass diese Vorstellung einer Allzuständigkeit des militärischen Vorgesetzten jedoch nicht immer zutrifft, hat die rechtsvergleichende Untersuchung gezeigt. Es kommt bei militärischen Vorgesetzten ebenfalls auf die zeitlichen, örtlichen oder sachlichen Grenzen der Zuständigkeit an. Die deutsche Vorgesetztenverordnung formuliert diese Grenzen beispielsweise in Bezug auf verschiedene Vorgesetztentypen. In der Regel reicht die Befehlsbefugnis eines militärischen Vorgesetzten zwar deutlich weiter als die eines vorgesetzten Amtsträgers oder Unternehmensleiters und sie besteht häufig auch außerhalb des Dienstes. Dennoch kann nicht per se von einer Allzuständigkeit des militärischen Vorgesetzten für das Verhalten seiner Untergebenen ausgegangen werden. Die Reichweite der Befehlsbefugnisse unterscheidet sich auch in Kriegs- und Friedenszeiten beträchtlich. Aus der Tatsache, dass einige Umsetzungsvorschriften Art. 28 b) ii) IStGH-Statut gar nicht abbilden,134 könnte man daher auch ableiten, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut bloß deklaratorisch ein Merkmal herausstellt, das auch bei militärischen Vorgesetzten allgemein durch das Merkmal „tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle“ im Chapeau vorausgesetzt ist. Die fehlende Herausstellung der Merkmals bei militärischen Vorgesetzten ließe 130

UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, para. 68: „military commanders were responsible for the forces under their command at all times“. 131 Vgl. Auslegung des Begriffs militärisch unter IV. 132 Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28, Rn. 22. 133 Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 133. 134 Hier sind die deutschen und schweizerischen Vorschriften zu nennen, die auf eine Normierung dieses Merkmals ganz verzichten, vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. I. 2., B. II. 2., B. III. 2.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

sich damit erklären, dass außerhalb des militärischen Bereichs, in der staatlichen Verwaltung oder in Wirtschaftsunternehmen, die Grenzen der Führungsgewalt und Kontrolle wegen der Zuständigkeitsverteilung nach Sachund Fachgebieten stets zum Tragen kommen. Doch auch hier hat die rechtsvergleichende Untersuchung ein differenzierteres Bild gezeigt. So kann es auch in Wirtschaftsunternehmen ressortübergreifende Zuständigkeiten geben, oder die Zuständigkeit von Unternehmensleitern kann in Krisen- und Ausnahmesituationen zu einer Allzuständigkeit oder Allverantwortlichkeit erweitert sein. Da es insoweit sowohl bei militärischen wie nicht-militärischen Vorgesetzten auf die genaue Feststellung der Reichweite der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle über Untergebene und ihre Tätigkeiten ankommt, kommt der Herausstellung bei nicht-militärischen Vorgesetzten folglich nur eine besondere Warnfunktion zu, die Grenzen ziviler Führungsgewalt und Kontrolle zu beachten. Es wird damit kein unterschiedliches Haftungsmerkmal bzw. keine objektive Haftungseinschränkung für nichtmilitärische Vorgesetzte normiert, da schon das Merkmal der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle im Chapeau der Vorschrift eine genaue Prüfung der Reichweite der Führungsgewalt und Kontrolle erforderlich macht. Nach diesem Verständnis ist es auch konsequent, von einer Abbildung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut in Umsetzungsvorschriften abzusehen, wie es einige nationale Gesetzgeber getan haben.135 2. Organisationsbezogenheit der Straftaten Aus Art. 28 b) ii) IStGH-Statut lässt sich unter Zuhilfenahme der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung möglicherweise noch eine andere objektive Haftungseinschränkung herauslesen. Der Halbsatz dass die Straftaten Tätigkeiten betreffen, die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen, könnte eine Organisationsbezogenheit der Straftaten zur Voraussetzung machen. Auf eine derartige Organisationsbezogenheit weisen beispielsweise die Erläuterungen zu den Schweizer Umsetzungsvorschriften hin, die einen spezifischen Konnex zwischen den Völkerrechtsverbrechen und der Organisation fordern; eine Organisationsbezogenheit spielt auch bei zahlreichen innerstaatlichen Vorschriften und Haftungsfiguren der Vorgesetztenverantwortlichkeit, sowohl im Amtsträgerbereich als auch im privatwirtschaftlichen Bereich, als haftungseinschränkendes Kriterium eine Rolle. Im Falle einer staatlichen, nicht-militärischen Einrichtung wird von „Amtsbezogenheit“ gesprochen, im Falle einer privatwirtschaftlichen Einrichtung von „Betriebs135

Vgl. insbesondere deutsche und schweizerische Umsetzungsvorschriften.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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bezogenheit“. Es kann den nationalen Rechtsordnungen insofern der Grundsatz entnommen werden, die strafrechtliche Haftung von Amtsträgern und Unternehmensleitern auf Straftaten zu beschränken, die amts- oder betriebsbezogen sind. Anhaltspunkte, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut eine Amts- oder Betriebsbezogenheit der Straftaten der Untergebenen voraussetzt, bietet zunächst der Wortlaut. Die Formulierung des Art. 28 b) ii) IStGH-Statut „wenn die Straftaten Tätigkeiten betrafen“ (engl.: crimes concerned activities, franz: ces crimes étaient liés à des activités) macht deutlich, dass es um eine Verbindung zwischen den Straftaten und den Tätigkeiten von Untergebenen geht. Bei diesen Tätigkeiten kann es sich zudem nur um die Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation, Institution oder Einheit handeln, in der sie in einem hierarchischen Verhältnis zum Vorgesetzten stehen. Man muss die Formulierung in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut daher so verstehen, dass die Straftaten „mit Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation in Zusammenhang stehen“ bzw. „Tätigkeiten der Untergebenen in der jeweiligen Organisation betreffen“ müssen. Wie im Rahmen dieser Arbeit gezeigt, stellt die Organisation, in die Vorgesetzte und Untergebene eingegliedert sind, einen wichtigen Referenzpunkt für die Vorgesetztenverantwortlichkeit dar, der bei der Diskussion bisher zu wenig beachtet wurde. Die Auffassung, dass Art. 28 b) ii) IStGH-Statut eine Organisationsbezogenheit der Straftaten fordert, klingt auch teilweise in der völkerstrafrechtlichen Literatur an: So meint beispielsweise Fenrick, dass nicht-militärische Vorgesetzte über ihre Untergebenen nur „während der Arbeit oder nur bei arbeitsbezogenen Tätigkeiten“ Führungsgewalt und Kontrolle ausüben müssen.136 Wie erwähnt, erläutere auch die US-amerikanische Delegation bei den Verhandlungen in Rom, dass zivile Vorgesetzte für ihre Untergebenen nur bei der Arbeit und nicht für Taten außerhalb der Arbeitsstelle haften sollen.137 Es stellt sich die Frage, warum eine derartige Organisationsbezogenheit der Straftaten im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut allein bei nicht-militärischen Vorgesetzten zur Voraussetzung gemacht wird. Die Herausstellung der Organisationsbezogenheit in Art. 28 b) ii) IStGHStatut könnte deklaratorischer Natur und auch im Hinblick auf militärische Vorgesetzte gelten.138 Wie die rechtsvergleichende Untersuchung gezeigt 136 Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, 1. Aufl., Art. 28, Rn. 22: „while at work or while engaged in work-related activities“. 137 Summary Records of the Plenary Meetings, UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, Para. 68. Vgl. auch UN Doc. A/CONF/183./C.1/SR.23, 3.7.1998, Para. 2, 10. 138 Die deutschen und schweizerischen Umsetzungsvorschriften verzichten auf eine ausdrückliche Umsetzung von Art. 28 Buchstabe b) ii) IStGH-Statut.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

hat, gibt es in der Tat Ansätze im innerstaatlichen Strafrecht, dass ein militärischer Vorgesetzter nur für das „militärisch belangreiche Verhalten seiner Untergebenen“ die Verantwortung trägt, oder dass Straftaten der Soldaten einen „militärischen Bezug“ haben müssen. Andererseits könnte Art. 28 IStGH-Statut auch das Verständnis zugrundeliegen, dass die Begehung von Völkerrechtsverbrechen durch Angehörige militärischer Einheiten stets einen militärischen Bezug hat. In den innerstaatlichen Rechtsordnungen werden jedenfalls an den militärischen Bezug der Straftaten, soweit ein solcher überhaupt explizit problematisiert wird, keine hohen Anforderungen gestellt. Was die Begehung von Völkerrechtsverbrechen betrifft, so ist die Auffassung, dass diese einen Bezug zu militärischen Einheiten haben, auch darin erkennbar, dass nahezu alle innerstaatlichen Militärgesetze und -ordnungen die Verpflichtung enthalten, die Regeln des humanitären Völkerrechts zu beachten. Für dieses letzte Verständnis spricht auch die Tatsache, dass Art. 28 b) IStGH-Statut eine zusätzliche Haftungsvoraussetzung in einem zusätzlichen und damit besonders herausgehobenen Untergliederungspunkt ii) enthält. Anders als der Halbsatz „in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen“ in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut, der bereits im Chapeau einen Anknüpfungspunkt findet, soweit dort von „tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle“ die Rede ist, gibt es für die Voraussetzung der Organisationbezogenheit keinen anderen Anknüpfungspunkt im restlichen Teil der Vorschrift. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass es in den innerstaatlichen Rechtsordnungen verschiedene Anknüpfungspunkte zur Bestimmung der Organisationsbezogenheit gibt: Teilweise machen die innerstaatlichen Vorschriften und Haftungsfiguren, aber auch beispielsweise die Vorschrift zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Corpus Juris zur Voraussetzung, dass die Straftaten zum Nutzen der Organisation, Institution oder Einheit begangen wurden oder ihr in irgendeiner Weise zugute kommen. Die Unternehmensnützlichkeit als besondere Form der Organisationsbezogenheit ist jedoch auf das Völkerstrafrecht nicht übertragbar, da sie zu stark mit dem Wirtschafts(straf)recht verbunden ist. Die Begehung von Völkerrechtsverbrechen kann sich zwar unter Umständen auch für eine Organisation oder ein Unternehmen nützlich erweisen, wenn man beispielsweise an die Fälle von Zwangsarbeit denkt. Als allgemeine Haftungseinschränkung eignet sich dieses Kriterium hingegen nicht. Vielfach werden Straftaten in den innerstaatlichen Strafrechtsordnungen als organisationsbezogen angesehen, wenn sie mit Produkten des Betriebs oder Betriebseigentum begangen wurden oder damit in engem Zusammenhang stehen. Der schweizerische Fall Bührle, der die Geschäftsherrenhaf-

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tung in der Schweiz begründete und in dem es um verbotene Kriegsmateriallieferungen einer Werkzeugmaschinenfabrik ging, kann als Beispiel für dieses Verständnis gelten. Darüber hinaus werden Straftaten auch dann amts- oder betriebsbezogen angesehen, wenn sie unter Nutzung der Behörden- oder Betriebsabläufe begangen werden. Im Amtsträgerbereich ist es beispielsweise denkbar, dass Beamte ihre Funktion innerhalb der Behörde nutzen, um Straftaten zu begehen oder zu ermöglichen, sei es durch behördliche Genehmigungen oder besondere Anordnungen. Die diskutierten Anknüpfungspunkte sind auch für das Völkerstrafrecht brauchbar. Organisationsbezogenheit soll auch dann gegeben sein, wenn die Straftaten „bei der Verrichtung“ von Tätigkeiten des Unternehmens begangen wurden. Da Art. 28 b) ii) IStGH-Statut ausdrücklich einen Bezug zu den „Tätigkeiten der Untergebenen“ (activities of subordinates) herstellt, ist auch dieser Ansatz für eine Bestimmung der Organisationsbezogenheit im Rahmen der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit interessant. Die Voraussetzung „bei Verrichtung der Tätigkeiten“ ist in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vor allem im Rahmen der zivilrechtlichen Geschäftsherrenhaftung bekannt,139 wird aber auch im Strafrecht diskutiert. Soweit dabei ein unmittelbarer innerer Zusammenhang mit der normalen Tätigkeit, die ein Untergebener innerhalb der Organisation verrichtet, nach ihrer Art und ihrem Zweck verlangt wird, würde dies allerdings die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit zu stark einschränken. Denn die Begehung von Völkerrechtsverbrechen dürfte nur selten mit der normalen Tätigkeit in einer Organisation nach ihrer Art und ihrem Zweck einen inneren Zusammenhang aufweisen. Jedenfalls darf das Verständnis der Organisationsbezogenheit nicht so eng gefasst sein, dass eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nur noch in kriminellen Organisationen, die per se auf die Begehung von Völkerrechtsverbrechen ausgerichtet sind, denkbar ist. Auch erscheint es zu eng, die Verantwortlichkeit auf Betriebe oder Unternehmen zu beschränken, die gefährliche Produkte herstellen oder gefährliche Dienstleistungen anbieten.140 So ist es beispielsweise denkbar, dass Mitarbeiter Lagerhallen, die als solche ja nicht gefährlich sind, als Folterkammern oder Gefängnis benutzen. Es erscheint nicht gerechtfertigt, diesen Fall anders zu behandeln als das Foltern oder Töten außerhalb des Betriebsgeländes mit im Betrieb hergestellten und entwendeten Waffen oder anderen gefährlichen Produkten. 139 Vgl. bspw. § 831 des deutschen BGB, Art. 55 des schweizerischen Obligationenrechts, Art. 1068 Abs. 1 Satz 1 des russischen Zivilgesetzbuchs bzw. respondeat superior in anglo-amerikanischen Rechtsordnungen. 140 So aber Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 34.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Der Bezug zur Organisation darf allerdings nicht zu lose sein. Wenn beispielsweise wie im Fall Musema, der vor dem Ruanda-Tribunal verhandelt wurde, die Fabrikarbeiter Fahrzeuge der Fabrik benutzt haben, um zu den Schauplätzen von Massakern zu gelangen, an denen sie sich dann beteiligt haben, stellt diese Benutzung von Betriebseigentum allein keinen ausreichenden Bezug zur Fabrik bzw. zur Tätigkeit der Fabrikarbeiter in der Fabrik dar. Musema ist daher als Fabrikdirektor und ziviler Vorgesetzter nicht für diese Straftaten seiner Fabrikmitarbeiter verantwortlich.141 Was die Lagerfälle betrifft, so haften die Lagerkommandanten nicht als zivile Vorgesetzte für Straftaten, die Lagerwächter beispielsweise außerhalb des Lagers an Nicht-Häftlingen begehen. Eine Organisationsbezogenheit der Straftaten kann im Übrigen auch dann fehlen, wenn die im Betrieb hergestellten gefährlichen Produkte bei der Verbrechensbegehung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn beispielsweise Mitarbeiter einer Waffenfabrik Waffen entwenden, diese aber dann bei der Begehung der Straftaten kaum eine Rolle spielen bzw. die Taten auch ohne die Waffen begangen worden wären, fehlt ein ausreichender Betriebsbezug und der Betriebsleiter haftet nicht als ziviler Vorgesetzter für diese Verbrechen. Wo genau die Grenze zwischen organisationsbezogenen Straftaten einerseits und Straftaten ohne ausreichenden Organisationsbezug andererseits liegt, hängt vor allem von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, vor allem von der jeweiligen Organisation, in die Vorgesetzte und Untergebene eingegliedert sind. Zieht man die Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung zu einer engen Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut heran, so lässt sich der Halbsatz „wenn die Straftaten Tätigkeiten betreffen, die in die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fallen“ in Art. 28 b) ii) IStGH wie folgt auslegen: Die Straftaten, die die Untergebenen begehen oder im Begriff sind zu begehen, müssen organisationsbezogen sein, sie müssen einen engen Bezug zu der nicht-militärischen Organisation und zu den Tätigkeiten der Untergebenen in dieser Organisation haben. Dieser Bezug ist zu bejahen, wenn die Straftaten ohne die Verwendung von im Betrieb hergestellten Produkten oder ohne die Nutzung von Behörden- oder Betriebseigentum, behördlicher oder betrieblicher Abläufe usw. nicht oder nicht so begangen worden wären. Die Voraussetzung der Organisationsbezogenheit der Straftaten begegnet auch den Bedenken, dass nicht-militärische Vorgesetzte durch die Anwen141

Allerdings könnte Musema, wie erwähnt, möglicherweise als de facto militärischer Befehlshaber haften, wenn die Gruppe der Fabrikarbeiter eine eigenständige de facto militärische Einheit darstellt.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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dung der aus dem militärischen Bereich stammenden Vorgesetztenverantwortlichkeit einer viel zu weit gefassten strafrechtlichen Haftung unterworfen werden. Mit Hilfe des Kriteriums der Organisationsbezogenheit lässt sich eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht-militärischer Vorgesetzter sinnvoll beschränken. III. Die subjektiven Voraussetzungen nach Art. 28 IStGH-Statut Nach Art. 28 a) i) IStGH-Statut muss ein militärischer Vorgesetzter entweder von den (bevorstehenden) Straftaten seiner Untergebenen gewusst haben oder „aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umständen hätte wissen müssen“, dass seine Untergebenen Straftaten begehen oder im Begriff sind zu begehen. Nach Art. 28 b) i) IStGH-Statut muss ein nicht-militärischer Vorgesetzter entweder von den Straftaten seiner Untergebenen gewusst haben oder „eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht“ gelassen haben. Nach der jeweils ersten Alternative des Art. 28 b) i) IStGH-Statut haftet der Vorgesetzte bei „Wissen“. Er muss Kenntnis von der (bevorstehenden) Begehung von Straftaten durch seine Untergebenen gehabt haben. Er muss allerdings weder in allen Einzelheiten von den Straftaten gewusst haben noch von der genauen juristischen Qualifizierung, sondern es ist ausreichend, wenn er die Straftaten in wesentlichen Zügen erfasste. Schwieriger ist die Auslegung der jeweils zweiten Alternative des Art. 28 a) i) bzw. Art. 28 b) i) IStGH-Statut: 1. Das Vorsatz-Fahrlässigkeits-Problem der Vorgesetztenverantwortlichkeit Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass es in einigen Rechtsordnungen große Bedenken gibt, einen Vorgesetzten aufgrund von Fahrlässigkeit wegen einer Vorsatztat zu bestrafen. Dies gilt gleichermaßen für militärische wie auch nicht-militärische Vorgesetzte. Ein Vorgesetzter kann nur dann wegen einer Vorsatztat strafbar sein, die er nicht verhindert hat, wenn ihm selbst im Hinblick auf diese Tat Vorsatz vorzuwerfen ist. Diese Regel gilt in allen Rechtsordnungen, die ein Begehen durch Unterlassen (commission by omission) kennen. Andererseits ist eine strafrechtliche Haftung von Vorgesetzten wegen Fahrlässigkeit in den innerstaatlichen Rechtsordnungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, auch wenn die Haftung des Vorgesetzten mit der Begehung

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

von Vorsatztaten durch Untergebene in Zusammenhang steht. Sie ist insbesondere dann möglich, wenn der Vorgesetzte nicht wegen der Vorsatztat strafbar ist, die seine Untergebenen begangen haben, sondern aufgrund eines eigenständigen Straftatbestandes. Die Festlegung bestimmter Verschuldensformen in Vorschriften der Vorgesetztenverantwortlichkeit des innerstaatlichen Rechts hängt daher immer davon ab, aufgrund welchen Straftatbestands der Vorgesetzte letztlich zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen wird. Dies erschwert eine Heranziehung nationalen Rechts zur Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 IStGH-Statut. Sowohl Wortlaut142 wie auch Stellung des Art. 28 IStGH-Statut sprechen zunächst dafür, dass Vorgesetzte im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut wegen der Straftaten haften, die die Untergebenen begangen haben, und dass es sich um eine Art Begehungsmodalität handelt und nicht um einen eigenständigen Straftatbestand. Um das „Vorsatz-Fahrlässigkeits-Problem“ der Vorgesetztenverantwortlichkeit zu lösen, werden nicht nur in einigen der untersuchten Umsetzungsvorschriften, sondern auch in der völkerstrafrechtlichen Literatur verschiedene Varianten innerhalb des Art. 28 IStGH-Statut unterschieden. Gerade die Fahrlässigkeitskombinationen des Art. 28 IStGH-Statut sollen dabei als eigenständige Tatbestände erfasst werden, um das Problem zu umgehen, dass ansonsten ein Vorgesetzter bei Fahrlässigkeit wie ein Vorsatztäter haften würde.143 Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Internationale Strafgerichtshof auf die geäußerten Bedenken reagieren wird. In der Entscheidung über die Anklagevorwürfe gegen Bemba hat die Vorverfahrenskammer nicht ausdrücklich zur dogmatischen Einordnung Stellung genommen, scheint aber davon auszugehen, dass es sich um eine Begehungsmodalität handelt.144 142 „In addition to other grounds of criminal responsibility under this Statute for crimes within the jurisdiction of the Court: [. . .] shall be criminally responsible for crimes within the jurisdiction of the Court committed by forces/subordinates [. . .].“ 143 Vgl. zunehmende Befürwortung in der Literatur, Cassese, International Criminal Law, 2. Aufl., S. 243–247; Cryer, in: The Permanent International Criminal Court, S. 258 f. Meloni, JICJ 2007, 633 ff.; Nerlich, JICJ 2007, 667–682. 144 Da die Vorverfahrenskammer zu dem Ergebnis gekommen ist, dass genügend Beweismaterial vorliegt, dass Bemba von den Verbrechen wusste und dennoch nicht genug zu deren Verhinderung oder Unterbindung getan hat, musste sich die Kammer nicht mit den problematischeren Fahrlässigkeitsvarianten auseinandersetzen. Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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Dieser Hintergrund ist bei der Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 IStGH-Statut unter Zuhilfenahme der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung zu beachten. 2. Die Unterschiede zwischen Art. 28 a) i) IStGH-Statut und Art. 28 b) i) IStGH-Statut Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass die Unterschiede in den für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte geltenden subjektiven Haftungsvoraussetzungen nicht besonders stark ausfallen, und einige Umsetzungsvorschriften militärische und nicht-militärische Vorgesetzte sogar identischen subjektiven Haftungsvoraussetzungen unterwerfen. Was Art. 28 a) i) 2. Alt. IStGH-Statut betrifft, so ist in den untersuchten Umsetzungsvorschriften eine Tendenz zu erkennen, militärische Vorgesetzte nicht schon bei einem einfachen, nur objektiven Sorgfaltspflichtverstoß haften zu lassen. Vielmehr wird entweder ein schwerer Sorgfaltspflichtverstoß (faute caractérisée), criminal negligence oder sogar dolus eventualis für erforderlich gehalten. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat überdies gezeigt, dass andere nationale Vorschriften zur Vorgesetztenverantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter ebenfalls Fahrlässigkeit nicht genügen lassen, sondern Wissen oder Vorsatz erfordern. Dies gilt sogar, wenn die Vorschriften wie Art. 28 a) i) IStGH-Statut ausdrücklich den Standard „hätte wissen sollen“ (should have known) festlegen. Auch in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale ist ein Standard „hätte wissen sollen“ (should have known) nicht anerkannt. Es wird, wie erläutert, vielmehr der Standard „Grund haben zu wissen“ (had reason to know) angewandt, wonach Vorgesetzte nur dann haften, wenn Informationen vorhanden sind, die sie darüber in Kenntnis gesetzt hätten, dass Untergebene Straftaten begehen.145 Was Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut betrifft, so legen die untersuchten Umsetzungsvorschriften nach den Ergebnissen dieser Arbeit Verschuldensmaßstäbe für nicht-militärische Vorgesetzte fest, die sich als willentliche Blindheit (wilful blindness) gegenüber der (bevorstehenden) Begehung von Straftaten, als offensichtlich bewusstes Verschulden (manifestement delibérée) bzw. als dolus eventualis darstellen. Auch in der völkerstrafrechtlichen Literatur wird eine ganze Bandbreite von Verschuldensformen diskutiert. Während im Hinblick auf Art. 28 a) i) 2. Alt. IStGH-Statut in der völkerstrafrechtlichen Literatur noch weitgehend Einigkeit herrscht, dass es sich letztlich um einen Fahrlässigkeitsmaßstab 145

Vgl. 1. Teil A. IV. 2.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

handelt,146 wird im Hinblick auf Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut nahezu alles vertreten:147 bewusste Fahrlässigkeit,148 bewusste und grobe Fahrlässigkeit,149 aber auch dolus eventualis,150 „willentliche Blindheit“ (wilful blindness),151 „Rücksichtslosigkeit“ (recklessness),152 ein Standard „zwischen Wissen und recklessness“,153 und aktuelles oder erwiesenes (constructive) Wissen.154 Das Bild, das sich ergibt, wirkt sehr disparat. Dies liegt auch daran, dass die Verschuldensformen einer Rechtsordnung zumeist keine direkte Entsprechung in anderen Rechtsordnungen haben. Gemeinsamkeiten und Überschneidungen werden erst sichtbar, wenn man einzelne Elemente der Verschuldensformen betrachtet. Die Gleichsetzung von Art. 28 b) i) IStGH-Statut mit Verschuldensformen einzelner Rechtsordnungen läuft zudem immer Gefahr, entweder zu kurz zu greifen, weil Art. 28 b) i) IStGH-Statut nicht adäquat erfasst wird, oder über das Ziel hinauszuschießen, weil die Verschuldensformen zusätzliche oder andere Elemente enthalten, als Art. 28 b) i) IStGH-Statut voraussetzt. Letztere Gefahr besteht insbesondere insoweit, als Art. 28 b) i) IStGH-Statut keinen Hinweis auf ein voluntatives Element enthält. Eine Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 IStGH-Statut unter Zuhilfenahme der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung ist auch durch diese fehlende Kongruenz und Vergleichbarkeit der einzelnen Verschuldensformen erschwert. Mit gewisser Vorsicht kann man aber eine Gemeinsamkeit der im Hinblick auf Art. 28 b) i) 2. Alt. IStGH-Statut diskutierten und in den Umset146 Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, S. 154; Piragoff, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute 1. Aufl., Art. 30 Rn. 14 Fn. 21; Schabas, An Introduction to the ICC, S. 107; Weigend, ZStW 2004, 1022; Werle, Principles, Rn. 384, S. 134. 147 Werle, Principles, Rn. 385, S. 134. 148 Weltz, S. 266. 149 Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, S. 154 (ohne weitere Begründung). 150 Weigend, ZStW 2004, 1024 (nach deutschem Verständnis dolus eventualis). 151 Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 132; Langston, ICLR 2004, 160 (ohne weitere Begründung); Sliedregt, S. 188 (ebenfalls ˇ elebic´i); Weigend, ZStW 2004, 1023. MPC); Vetter, YJIL 2000, 124 (Bezug auf C 152 Lippman, Tulsa Journal of Comparative and International Law 2001, 89: „gross and wanton recklessness“; Martinez, JICJ 2007, 659 (ohne weitere Begründung); Piragoff, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute 1. Aufl., Art. 30 Rn. 14 Fn. 21 (ohne weitere Begründung); O’Reilly, American University International Law Review 2004, 87: „reckless-type conscious disregard.“ 153 Ambos, in: Cassese et al., The Rome Statute, S. 870: „between knowledge and recklessness“ (Bezug auf MPC). 154 Schabas, An Introduction to the ICC, S. 107. Nicht ganz eindeutig Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute 1. Aufl., Art. 28 Rn. 20.

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zungsvorschriften festgelegten Verschuldensformen darin erkennen, dass diese durchweg ein Bewusstsein des Vorgesetzten von der Gefahr der (bevorstehenden) Straftaten fordern. Soweit dolus eventualis vorausgesetzt ist, impliziert dies, dass der Vorgesetzte sich über die Möglichkeit, dass seine Untergebenen Straftaten begehen oder im Begriff sind zu begehen, bewusst sein muss. Das Bewusstsein über die Möglichkeit oder Gefahr (bevorstehender) Straftaten ist auch Teil der Verschuldensformen des offensichtlich bewussten Verschuldens (manifestement delibérée) oder auch der recklessness (Rücksichtslosigkeit). Schließlich liegt auch der Verschuldensform der willentlichen Blindheit (wilful blindness) zugrunde, dass sich der Täter einer Tatsache bewusst oder fast sicher ist, aber Abstand davon nimmt, sich letzte Gewissheit zu verschaffen. Die willentliche Blindheit liegt insoweit zwischen Wissen und dem bloßen Risikobewusstsein, dabei allerdings äußerst nah am Wissen. Man könnte nun den Unterschied in den subjektiven Voraussetzungen im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut darin erkennen, dass militärische Vorgesetzte sich nicht über die Gefahr bewusst sein müssen, dass Untergebene Straftaten begehen oder im Begriff sind zu begehen, während dies bei nicht-militärischen Vorgesetzten gerade explizit vorausgesetzt ist (consciously disregarded). In einigen der untersuchten Umsetzungsvorschriften wird allerdings ebenfalls ein Bewusstsein des militärischen Vorgesetzten über das Risiko der (bevorstehenden) Straftatbegehung gefordert (criminal negligence, dolus eventualis). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Ad-hoc-Tribunale bei der Auslegung des Standards „Grund haben zu wissen“ (had reason to know) teilweise hinzugefügt haben, dass der Vorgesetzte vorhandene Informationen, die ihn auf (bevorstehende) Straftaten aufmerksam gemacht hätten, bewusst (deliberately) nicht zur Kenntnis genommen haben.155 Die Frage, ob der Unterschied der für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte festgelegten subjektiven Haftungsvoraussetzungen in Art. 28 IStGH-Statut gerade in einem Gefahr- oder Risikobewusstsein liegt, kann daher nicht eindeutig beantwortet werden. Nimmt man an, dass der Unterschied nicht in dem Bewusstsein über die Gefahr der (bevorstehenden) Straftatbegehung liegt, so könnte ein Unterschied darin gesehen werden, dass die unterschiedlichen Formulierungen in 155

Prosecutor v. Delalic´ et al., Urteil der Berufungskammer v. 20.2.2001, Para. 226; Prosecutor v. Blaškic´, IT-95-14-A, Urteil der Berufungskammer v. 29.7.2004, Para. 406: „responsibility can be imposed for deliberately refraining from finding out, but not for negligently failing to find out.“; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1-A, Urteil der Berufungskammer v. 3.7.2002, Para. 35.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Art. 28 a) i) und b) i) IStGH-Statut auf eine unterschiedliche Basis für ein solches Bewusstsein oder einen unterschiedlichen Grad des Bewusstseins hinweisen. Militärische Vorgesetzte hätten nach Art. 28 a) i) IStGH-Statut „aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umständen“ von den (bevorstehenden) Straftaten wissen sollen. Hier wird wohl der Tatsache Ausdruck verliehen, dass militärische Vorgesetzte auf ein Bericht- oder Nachrichtensystem zurückgreifen können, das ihnen problemlos eine breite Basis von auch zusätzlichen Informationen liefern kann. Dieser Ansatz wird auch teilweise in der völkerstrafrechtlichen Literatur vertreten.156 Im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte, die über kein derartiges Bericht- oder Nachrichtensystem verfügen, ist daher in Art. 28 b) i) IStGH-Statut vorausgesetzt, dass ihnen bereits ausreichende Informationen vorliegen müssen, die eindeutig auf eine (bevorstehende) Straftatbegehung hinweisen. Wie erläutert, kann das Erfordernis, dass die Informationen „eindeutig“ auf Straftaten hinweisen, überdies nur so verstanden werden, dass der nicht-militärische Vorgesetzte auch zumindest um die Brisanz der vorliegenden Informationen weiss. Dies könnte wiederum einen höheren Grad an Risiko- oder Gefahrenbewusstsein bedeuten, als er bei militärischen Vorgesetzten vorausgesetzt ist. Ein abschließendes Urteil, worin die Unterschiede der subjektiven Voraussetzungen des Art. 28 IStGH-Statut liegen, ist unter Zuhilfenahme der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung nicht möglich. Allerdings sind ist das Ergebnis der rechtsvergleichende Untersuchung, dass die Unterschiede nicht besonders stark ausfallen, ja sogar eine Tendenz festgestellt werden kann, militärische und nicht-militärische Vorgesetzte weitgehend ähnlichen subjektiven Haftungsvoraussetzungen zu unterwerfen, bei der Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut zu beachten. Was den in Art. 28 a) i) IStGH-Statut für militärische Vorgesetzte niedergelegten Standard betrifft, so lässt sich festhalten, dass dieser bei Zugrundelegung der Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung trotz der Formulierung „should have known“ nicht mit einfacher Fahrlässigkeit gleichzusetzen ist. Was Art. 28 b) i) IStGH betrifft, so lässt sich unter Zugrundelegung der Ergebnisse dieser Arbeit nur Folgendes festhalten: Der Vorgesetzte in einer nicht-militärischen Organisation muss entweder von den (bevorstehenden) Straftaten seiner Untergebenen gewusst haben oder er muss von der Existenz brisanter Informationen gewusst haben, und, obwohl er diese nicht zur Kenntnis genommen hat, sich dabei zumindest über die Gefahr der (bevorstehenden) Straftatverwirklichung durch Untergebene bewusst gewesen sein. 156 So beispielsweise Boisvert/Dumont/Petrov, Canadian Criminal Law Review 2004, 133.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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IV. Der Begriff des nicht-militärischen Vorgesetzten – Die Abgrenzung zwischen einem militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten Wegen der unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen für militärische und nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 IStGH-Statut ist eine Begriffsbestimmung des militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten erforderlich. Genauer gesagt, kommt es entscheidend auf die Kategorie des de facto militärischen Vorgesetzten an, der noch den Regeln des Art. 28 a) IStGHStatut unterfällt, und sich nicht nur von einem de jure militärischen, sondern insbesondere von einem nicht-militärischen Vorgesetzten unterscheidet, auf den Art. 28 b) IStGH-Statut Anwendung findet. Abgrenzungsschwierigkeiten bringen vor allem Fälle mit sich, in denen es um Anführer irregulärer Streitkräfte geht, also beispielsweise um die sogenannten warlords oder Anführer paramilitärischer Gruppen, aber auch um die Kommandeure von militärähnlichen oder militarisierten Institutionen wie beispielsweise der Polizei. Sind sie de facto militärische Vorgesetzte? 1. Militärische und nicht-militärische Organisationen Die Analyse der Umsetzungsvorschriften hat gezeigt, dass die Attribute militärisch, de facto militärisch oder nicht-militärisch nicht isoliert auf die Person des Vorgesetzten bezogen werden können. Vielmehr ist die Qualität und Ausrichtung der Organisation, Institution oder Einheit, in die der Vorgesetzte eingegliedert ist, ausschlaggebend. Es ist die Organisation, Institution oder Einheit, deren militärischer oder nicht-militärischer Charakter die Einstufung des Vorgesetzten als militärisch oder nicht-militärisch bestimmt. Viele Umsetzungsvorschriften verwenden den Begriff „Truppe“ oder „bewaffnete Truppe“ in Bezug auf militärische Vorgesetzte. Dem gegenübergestellt sind Vorgesetzte in einer „zivilen Organisation“ oder einem „Unternehmen“. Auch die Erläuterungen zu untersuchten Umsetzungsvorschriften nehmen Bezug auf militärische oder zivile Organisationen. Nicht zuletzt verwendet auch Art. 28 a) IStGH-Statut den Begriff „Truppe“ (forces). Dass die Attribute militärisch oder nicht-militärisch nicht isoliert auf die Person des Vorgesetzten bezogen werden können, wird auch bei der Einstufung der Oberbefehlshaber der Streitkräfte deutlich. Soweit in den innerstaatlichen Rechtsordnungen „zivile Funktionenträger“ wie der Präsident,157 157 USA (Commander-in-Chief), Frankreich (Chef des Armées), Russland (Verhovnij Glavnokomandujushij).

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Premierminister158 oder Verteidigungsminister159 die Position des Oberbefehlshabenden der Streitkräfte innehaben, ohne dabei zugleich einen militärischen Rang zu bekleiden, werden sie in den innerstaatlichen Rechtsordnungen trotz ihres zivilen Status als militärische Vorgesetzte behandelt. Die Ad-hoc-Tribunale160 haben ebenfalls die Einstufung als militärisch oder zivil nicht allein von einem bekleideten militärischen Rang oder einer absolvierten militärischen Laufbahn abhängig gemacht, sondern erklärten, dass auch ranglose Individuen als militärische Vorgesetzte haften können. Im Rahmen von Art. 28 IStGH-Statut gilt daher, dass es für die Qualifizierung als militärischer, de facto militärischer oder nicht-militärischer Vorgesetzter auf den Charakter der Organisation ankommt. Ein militärischer Vorgesetzter ist eine Person, die in einer militärischen Organisation eine Vorgesetztenstellung einnimmt, während es nicht-militärische Vorgesetzte allein in nicht-militärischen Organisationen gibt. Für die Frage der Qualifizierung als militärischer Vorgesetzter in einer militärischen Organisation ist es im Übrigen auch zunächst unerheblich, ob ein Oberbefehlshaber mit operativer Befehlsgewalt ausgestattet ist oder ob er allein politische Macht ausübt. Die Frage, ob der Vorgesetzte tatsächliche Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kontrolle über seine Untergebenen ausgeübt hat, und tatsächlich die Möglichkeit hatte, das Verhalten der untergebenen Soldaten mit Befehlen zu kontrollieren, ist vielmehr eine Frage der „tatsächlichen Vorgesetztenstellung“. In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass Staatsoberhäupter oder andere Befehlshaber, die sich in kriegerischen Auseinandersetzungen auf paramilitärische oder irreguläre Einheiten stützen, nicht als Vorgesetzte für Straftaten dieser Einheiten verantwortlich sind, wenn die Beziehung zu diesen Einheiten nicht über bloße „Kooperation“ hinausging und nicht die Schwelle tatsächlicher Kontrolle erreichte. Wie die Berufungskammer des Jugoslawientribunals festgestellt hat, bedeutet die Tatsache, dass die Staatsoberhäupter oder Befehlshaber militärisch von einer solchen Kooperation profitiert haben, nicht zugleich, dass sie tatsächliche Kontrolle ausgeübt haben.161 158

In Großbritannien und in Kanada haben die Premierminister de facto Kommandogewalt über die Streitkräfte. In Deutschland, geht im Verteidigungsfall nach Art. 115 b GG die Befehls- und Kommandogewalt auf den Bundeskanzler über. 159 In Deutschland, hat nach Art. 65a GG der Bundesverteidigungsminister die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. 160 Auch die Vorverfahrenskammer des IStGH im Fall Bemba hat nicht allein auf den Rang und Titel Bembas abgestellt, als sie ihn als „militärischen Befehlshaber“ qualifizierte, vgl. auch Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Paul Bemba Gombo v. 15.6.2009, Para. 408.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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2. Auslegung 1: Militärisch als Attribut der regulären Streitkräfte Was aber macht eine Organisation, Institution oder Einheit zu einer militärischen? Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass der Begriff militärisch in innerstaatlichen Rechtsordnungen in erster Linie formal verstanden wird, als Attribut der regulären Streitkräfte des Staates.162 Nach diesem Verständnis könnte sich ein de facto militärischer Vorgesetzter von einem de jure militärischen Vorgesetzten lediglich durch das Fehlen einer förmlichen oder rechtswirksamen Ernennung als Befehlshaber der regulären Streitkräfte unterscheiden. Zur Veranschaulichung kann der Fall Krstic´ dienen: Radislav Krstic´ war nach Ansicht der Verhandlungskammer des Jugoslawientribunals bereits der de facto Befehlshaber des Drina Corps der jugoslawischen Volksarmee, bevor er am 15. Juli 1995 offiziell durch Präsident Radovan Karadžic´ zum Befehlshaber des Drina Corps ernannt wurde.163 In diesem Sinne wird beispielsweise auch im deutschen Recht die Situation des „faktischen Soldaten“ behandelt, dessen Ernennung in das Wehrpflichtverhältnis fehlerhaft war, der aber dennoch faktisch in die Bundeswehr eingegliedert war.164 Nach diesem Verständnis würde der de facto militärische Vorgesetzte folglich wie der de jure militärische Vorgesetzte stets zu den regulären Streitkräften eines Staates (oder beispielsweise auch zu der NATO) gehören. Unterscheidungsmerkmal zu den nicht-militärischen Vorgesetzten wäre die (rechtsförmliche oder auch nur tatsächliche) Zugehörigkeit bzw. Eingliederung in reguläre Streitkräfte. Nach dieser Auslegung würde die Kategorie der militärischen Vorgesetzten in Art. 28 a) IStGH-Statut die Anführer paramilitärischer oder irregulä161 Im Fall Hadžihasanovic ´ & Kubura schätzte die Berufungskammer des Jugoslawientribunals das Verhältnis zwischen den Angeklagten und Mudjahedin Einheiten als bloße Kooperation ein, Prosecutor v. Hadžihasanovic´ and Kubura, Urteil der Berufungskammer v. 22.4.2008, Para. 200, 210, 213, 214, 217, 221. Im Fall Delic´ hingegen kam die Mehrheit der Richter zu dem Ergebnis (Mindervotum von Judge Moloto), dass Delic´ tatsächliche Kontrolle über die Mudjahedin Einheiten ausgeübt habe, Prosecutor v. Delic´, Urteil der Verhandlungskammer v. 15.9.2008, Para. 466. 162 Vgl. bspw. US-GB, Titel 10, Abschnitt 801 (8): „military“ referring „to any or all of the armed forces“. Vgl. auch Canadian Interpretation Act, Abschnitt 35(1): „militaire“/„military“ shall be construed as relating to all or any part of the Canadian Forces. 163 Prosecutor v. Krstic ´ , Urteil der Verhandlungskammer v. 2.8.2001, Para. 328–331, 625; Prosecutor v. Krstic´ Urteil der Berufungskammer v. 19.4.2004, Para. 45–47. 164 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. II. 4.

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

rer bewaffneter Einheiten nicht erfassen. Diese würden in die Gruppe der nicht-militärischen Vorgesetzten i. S. v. Art. 28 b) IStGH-Statut fallen.165 Gegen diese enge Auslegung des militärischen Vorgesetzten in Art. 28 IStGH-Statut spricht, dass die Verfasser des Römischen Statuts neben den militärischen Befehlshabern gerade auch die Anführer paramilitärischer, irregulärer bewaffneter Einheiten durch den Begriff „tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person“ erfassen wollten.166 Es ist auch nicht ersichtlich, warum beispielsweise Anführer bewaffneter Einheiten, die nicht den regulären Streitkräften angehören, nur unter erschwerten Voraussetzungen für Straftaten ihrer Untergebenen strafrechtlich haften sollen. Die Beschränkung einer militärischen Organisation oder Einheit auf die regulären Streitkräfte eignet sich daher nicht zur Unterscheidung eines militärischen Vorgesetzten auf der einen Seite und nicht-militärischen Vorgesetzten auf der anderen Seite. 3. Auslegung 2: Militärische Befehlsbefugnisse wie in regulären Streitkräften Da die Zugehörigkeit oder Eingliederung in die regulären Streitkräfte kein taugliches Unterscheidungskriterium darstellt, kommt es auf ein stärker materielles Verständnis des Attributs militärisch an. Die kanadischen Umsetzungsvorschriften definieren den Begriff des militärischen Befehlshabers und bestimmen, dass einem militärischen Befehlshaber auch eine Person gleichsteht, „die die Polizei mit einem Grad an Führungsgewalt und Kontrolle befehligt, der mit dem eines militärischen Befehlshabers vergleichbar ist“ (Abschnitte 5/7 (4) kanad-IStGHG).167 Den kanadischen Umsetzungsvorschriften könnte man demnach ein Verständnis des Militärischen entnehmen, das auf die Befehlsbefugnisse des Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen abstellt. Militärisch könnte eine Einheit 165 Wendet man dieses Verständnis auf die georgische Umsetzungsvorschrift an, hätte der georgische Gesetzgeber Art. 28 Buchstabe b) IStGH-Statut zumindest teilweise umgesetzt. Die georgische Vorschrift unterscheidet ja nur „Befehlshaber“ und „andere Führungspersonen bewaffneter Truppen oder ihrer Untereinheiten“. Die Kategorie der „Befehlshaber“ bezöge sich auf die de jure und die de facto militärischen Vorgesetzten, die in die georgischen Streitkräfte eingegliedert sind, während die Kategorie „andere Führungspersonen bewaffneter Truppen oder ihrer Untereinheiten“ bspw. paramilitärische Anführer erfasste. Da aus dem vorliegenden Material nicht ersichtlich ist, dass Georgien bewusst vom Römischen Statut abweichen wollte, könnte der georgischen Vorschrift in der Tat ein derartiges Verständnis zugrundeliegen. Vgl. 3. Teil, 3. Kap. B. IV. 166 Saland, S. 203. 167 Vgl. 3. Teil, 4. Kap. B. II. 4.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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dann sein, wenn Vorgesetzte dieser Einheit ihren Untergebenen gegenüber Befehlsbefugnisse wie ein oder vergleichbar einem militärischen Befehlshaber in regulären Streitkräften besitzen. Ob paramilitärische Einheiten als militärisch einzustufen sind, würde nach diesem Verständnis maßgeblich von den jeweiligen Befugnissen abhängen, die Vorgesetzte in ihnen ausüben. Ein ähnliches Verständnis brachte auch die Delegation der USA bei den Verhandlungen in Rom zur Sprache, als sie auf den unterschiedlichen Charakter und Umfang militärischer und nicht-militärischer Führungsgewalt hinwies.168 Befehlshaber in den regulären Streitkräften besitzen weitreichende Befehlsbefugnisse ihren Untergebenen gegenüber. Die Untergebenen haben die Befehle ihres Vorgesetzten in der Regel mit unbedingtem Gehorsam umzusetzen.169 Der Vorgesetzte hingegen trägt die Verantwortung für die Befehle.170 Üblicherweise stellt es sogar eine Straftat in den untersuchten Rechtsordnungen dar, wenn ein Untergebener einen rechtmäßigen Befehl seines Vorgesetzten nicht ausführt.171 Darüber hinaus haben militärische Befehlshaber üblicherweise Strafgewalt gegenüber ihren Untergebenen, während eine solche nicht-militärischen Vorgesetzten nicht zukommt. Dieser Unterschied wurde jedoch in gewisser Weise in Art. 28 a) iii) and b) iii) IStGH-Statut nivelliert, wo es nunmehr allgemein heißt: „die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen“. Ein erstes Problem bei der Abgrenzung über den Charakter und Umfang der Befehlsbefugnisse besteht darin, dass sich keine klare Trennlinie zwischen einer militärischen und einer nicht-militärischen Organisation ziehen lässt, wenn allein auf die Vergleichbarkeit bzw. Ähnlichkeit mit den Befehlsbefugnissen in regulären Streitkräften abgestellt wird. Es dürfte schwierig zu bestimmen sein, wann ein Vorgesetzter aufgrund seiner Befehlsbefugnisse den Grad des militärischen Befehlshabers erreicht. 168

UN Doc. A/CONF.183/C.1/SR.1, 16.6.1998, Para. 67. Ausnahme nur, soweit die Befehle rechtswidrig sind. Vgl. § 5 dWStG (offensichtlich rechtswidrig); § 3 öWStG (grundsätzliche Haftung bei Handeln auf Befehl); Art. 18 schweizMilStG (Haftung, sofern bewusst); Art. 213-4, Art. 122-4 frzStGB; Art. 42 russStGB, Art. 40 belorussStB; US FM 27-10, No. 509; Abschnitt 14 kanad IStGHG; Abschnitt 34 englMilG. 170 Vgl. bspw. §§ 10 (5), 11 (1) dSG; Art. 32 schweizMilG; Art. 20 belorussMilStatusG; Art. 26 russMilStatusG; Art. 22 Buchstabe g georgMilStatusG; Abschnitt 4.01 kanadische Queen’s Regulations and Orders for the Canadian Forces. 171 Vgl. bspw. §§ 19–21 dWStG; Art. 61 schweizMilStG; Abschnitt 83 kanad Code of Service, R.S., c. N-4, s. 73; 10 U.S.C. Sec. 890. Arts. 90–92; Art. 438 belorussStGB; Art. 332 russStGB, Art. 383 georgStGB. 169

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass das Kriterium mit der zentralen Voraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit, der „tatsächliche Vorgesetztenstellung“, d.h. der in Art. 28 IStGH-Statut festgelegten „tatsächlichen Befehls-/Führungsgewalt und Kontrolle“ vermischt oder verwechselt wird. Diese Voraussetzung gilt für militärische, de facto militärische und nicht-militärische Vorgesetzte gleichermaßen. Alle Vorgesetzten müssen denselben Grad an tatsächlicher Kontrolle über Untergebene ausüben. Eine Abgrenzung der Vorgesetztentypen in Art. 28 IStGH-Statut anhand ihres jeweiligen Grades an Kontrolle geriete unweigerlich mit der Voraussetzung der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle in Konflikt. Auch wenn allein auf die Art und Weise abgestellt wird, wie tatsächliche Kontrolle ausgeübt wird,172 eignet sich das Kriterium der militärähnlichen Befehlsbefugnisse nicht zur Abgrenzung von militärischen und nicht-militärischen Vorgesetzten. Denn sowohl in Bezug auf de facto militärische Vorgesetzte in Art. 28 a) IStGH-Statut wie auch in Bezug auf nicht-militärische Vorgesetzte in Art. 28 b) IStGH-Statut wird der Begriff „Führungsgewalt“ verwendet. Die Verwendung des Begriffs „Führungsgewalt“ sowohl für de facto militärische Befehlshaber als auch für nicht-militärische Vorgesetzte macht gerade deutlich, dass de facto militärische Befehshaber ihre Untergebenen auf eine Art und Weise kontrollieren können, wie sie auch in zivilen Institutionen praktiziert wird.173 Folglich stellt die Art und Weise, in der tatsächliche Kontrolle ausgeübt wird (militärisch oder militärähnlich), gerade kein geeignetes Unterscheidungskriterium dar. 4. Auslegung 3: Militärisch als Ausrichtung auf den bewaffneten Einsatz Wie bei der Analyse einiger Umsetzungsvorschriften dargelegt, kann man das Militärische einer Organisation oder Einheit in ihrer Ausrichtung auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei sehen. Als militärisch ist demnach eine Einheit einzustufen, wenn sie um der Durchführung von Kampfhandlungen willen existiert, wenn sie auf den bewaffneten Einsatz als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist.174 172 Die Vorverfahrenskammer im Fall Bemba hat klargestellt, dass der Begriff „Führungsgewalt“ für nicht-militärische Vorgesetzte und für de facto militärische Vorgesetzte keinen unterschiedlichen Grad an Kontrolle impliziert, sondern eine andere Art und Weise, in der tatsächliche Kontrolle erreicht wird, Prosecutor v. Bemba, Entscheidung der Vorverfahrenskammer über die Anklagevorwürfe gegen Jean-Pierre Bemba Gombo nach Artikel 61(7)(a) und (b) des Rom-Statuts, 15.6.2009, Para. 413. 173 Mettraux, S. 29. 174 Vgl. 3. Teil, 1. Kap. B. II. 4., III. 4.

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Dabei ist die Ausstattung mit Waffen allein für die Qualifizierung als militärische Einheit nicht ausreichend. Soweit eine Einheit beispielsweise nur zur Selbstverteidigung oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung mit Waffen ausgestattet ist, fehlt es gerade an der Ausrichtung auf den bewaffneten Einsatz in einem Krieg oder Konflikt. Gruppen, die zwar bewaffnet sind, aber keine potentiellen Konfliktparteien darstellen, wie beispielsweise Polizisten, fallen nicht in die Kategorie der militärischen Vorgesetzten. Etwas anderes würde erst bei deren Militarisierung, d.h. bei Einsatz als Kriegsoder Konfliktpartei gelten. Auch paramilitärische Einheiten oder bewaffnete Widerstandsbewegungen sind nach diesem Verständnis als militärische Einheiten einzuordnen, wenn sie um des Kampfes gegen eine gegnerische Partei willen, also in der Regel zum Kampf gegen die Staatsmacht, bestehen. Anführer in derartigen Gruppierungen unterliegen der Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 a) IStGH-Statut. 5. Ergebnis Die Attribute militärisch oder nicht-militärisch beziehen sich auf die Einheit oder Organisation, der der Vorgesetzte zugehörig ist. Militärische Einheit par excellence sind die regulären Streitkräfte eines Staates. Verengt man den Begriff militärisch allerdings auf eine förmliche bzw. faktische Zugehörigkeit zu bzw. Eingliederung in die regulären Streitkräfte, so steht dies im Widerspruch zu dem erklärten Ziel der Verfasser des Römischen Statuts, warlords und paramilitärische Anführer als de facto militärische Vorgesetzte der Regelung des Art. 28 a) IStGH-Statut zu unterwerfen. Ein taugliches Unterscheidungskriterium liegt in einem Verständnis von militärisch, das das Charakteristische des Militärischen in der Ausrichtung auf den Einsatz von Waffengewalt in Kriegs- oder Konfliktsituationen sieht. Ein nicht-militärischer Vorgesetzter i. S. v. Art. 28 b) IStGH-Statut ist demnach eine Person, die in einer Einheit oder Organisation, die nicht auf den Einsatz von Waffengewalt als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist, eine gegenüber anderen Personen übergeordnete Stellung einnimmt. Eine Person ist militärischer Vorgesetzter, wenn er zu einer Organisation oder Einheit gehört, die auf den Einsatz von Waffengewalt als Kriegs- oder Konfliktpartei ausgerichtet ist. Eine Person ist als de jure militärischer Vorgesetzter i.S.v. Art. 28 a) 1. Alt. IStGH-Statut einzustufen, wenn ihre Position in der Einheit rechtsförmlich legitimiert ist, was mit der rechtsförmlichen Legitimierung und Existenz der militärischen Einheit selbst einhergehen dürfte. Einem de facto militärischen Vorgesetzten hingegen fehlt die rechtsförmliche Legitimierung

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

oder aber der Einheit, in der er seine Vorgesetztenposition einnimmt, fehlt die rechtsförmliche Legitimierung. Die vorgeschlagenen Begriffsdefinitionen machen auch eine strengere Haftung von Vorgesetzten in militärischen Einheiten und Organisationen plausibel. Der Grund liegt in der erhöhten Gefährlichkeit175 einer militärischen Einheit, die sich in ihrer Ausrichtung auf den Einsatz von Waffengewalt in Krieg oder anderen Konflikten zeigt. V. (Materieller) Grund für die Vorgesetztenverantwortlichkeit Obwohl nicht unmittelbar für die Auslegung der Merkmale des Art. 28 IStGH-Statut relevant, sollen abschließend noch einige Ausführungen zum (materiellen) Grund der Vorgesetztenverantwortlichkeit gemacht werden. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass innerstaatliche Rechtsordnungen eine Pflicht von Vorgesetzten zur Verhinderung von Straftaten ihrer Untergebenen, soweit eine solche anerkannt ist, vor allem auf folgende Gründe zurückführen: Einerseits wird der Grund für eine Garantenstellung in der Beherrschung von Sachgefahren oder Betriebsgefahren gesehen. Darüber hinaus wird er auch mit der Befehls- und Herrschaftsgewalt gegenüber Personen hergeleitet, wobei teilweise auch auf den Gedanken des Gemeinwohls zurückgegriffen wird. 1. Beherrschung von Sachgefahren Es fragt sich, ob der Anknüpfungspunkt der Beherrschung von Sachgefahren zum Verständnis der völkerrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit beitragen kann. Vor allem im Hinblick auf militärische Einheiten erscheint es zunächst durchaus plausibel, dass ein militärischer Vorgesetzter in die Pflicht genommen wird, weil er den Einsatz von Waffengewalt durch Untergebene, also gefährliche Sachen, beherrscht. Gleichfalls überzeugend ist es, einen nicht-militärischen Vorgesetzten beispielsweise einer Handlungspflicht zu unterwerfen, weil dieser den Umgang mit oder Zugang zu gefährlichen Sachen wie Gift o. ä. in seinem Unternehmen beherrscht. Allerdings greift der Anknüpfungspunkt der Beherrschung von Sachgefahren zu kurz: Denn ein Vorgesetzter haftet dann nur, soweit das strafbare Verhalten von Untergebenen mit gefährlichen sächlichen Gefahren der Organisation, Institution oder Einheit in Zusammenhang steht. Das würde letztlich bedeuten, dass sich die Vorgesetztenverantwortlichkeit auf solche 175 In diesem Sinne Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd. 6/2, § 4 VStGB Rn. 10, 13, erwogen auch von Triffterer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 458.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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Straftaten beschränkt, die mit Waffen oder anderen gefährlichen Sachen, also beispielsweise Gift oder gefährlichen Maschinen begangen werden. Im Amtsträgerbereich wäre dann eine Haftung sogar nahezu faktisch ausgeschlossen, da Behörden nur selten über derartige gefährliche Sachen verfügen. 2. Beherrschung spezifischer Betriebsgefahren Soweit teilweise verlangt wird, dass eine spezifische Betriebsgefahr bestehen muss, die nicht notwendigerweise mit gefährlichen Sachen i. e. S. zu tun haben muss, so erscheint dieser Ansatz für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit zunächst tragfähiger, da auch Tätigkeiten in Behörden und Betrieben, die nicht mit gefährlichen Sachen verknüpft sind, als gefährlich eingestuft werden können. Bei näherem Hinsehen ist es allerdings ebenfalls fraglich, ob dieser Ansatz für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit brauchbar ist. Denn es mag durchaus als spezifische Betriebsgefahr angesehen werden, dass in Unternehmen bei bestimmten Tätigkeiten Arbeits- und Gesundheitsvorschriften verletzt werden, so dass beispielsweise die Gefahr der Begehung von Körperverletzungsdelikten besteht. Ebenfalls mag man eine Gefahr der Begehung von Umwelt- oder auch von Wirtschafts- und Finanzdelikten anerkennen. Bei der völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit geht es jedoch um Völkerrechtsverbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen. Der Ansatz einer spezifischen Betriebsgefahr würde überspannt, wollte man bestimmten Institutionen oder Unternehmen unterstellen, dass sie eine spezifische Gefahr der Begehung von Völkerrechtsverbrechen in sich tragen. Letztlich unterlägen dann allein Vorgesetzte in kriminellen Organisationen, die gerade um der Begehung derart schwerer Straftaten willen bestehen, der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Dies würde der ratio der Doktrin der Vorgesetztenverantwortlichkeit zuwiderlaufen. Auch der Ansatz der Beherrschung einer spezifischen Betriebsgefahr in der Organisation, Institution oder Einheit eignet sich daher nur bedingt für die Vorgesetztenverantwortlichkeit. 3. Beherrschung von Personen Was andererseits die Herleitung einer Garantenstellung über die Befehlsund Herrschaftsgewalt über Personen betrifft, so spielt dieser Anknüpfungspunkt bei der völkerrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit die entscheidende Rolle. Die „tatsächliche Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kon-

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

trolle“ über Untergebene ist die wohl wichtigste Voraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit. Wie die rechtsvergleichende Untersuchung gezeigt hat, ist die Fallgruppe der Befehls- und Herrschaftsgewalt über Personen in nationalen Rechtsordnungen aber nur in engen Grenzen anerkannt. Während die common law Rechtsordnungen wegen der Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen eine besonders kritische Haltung einnehmen, hat doch auch in kontinental-europäischen Rechtsordnungen diese Fallgruppe einen nur engen Anwendungsbereich. Es geht im Wesentlichen um den militärischen Bereich. Ansätze, die eine Ausweitung auf den nicht-militärischen und insbesondere Wirtschafts- und Arbeitsbereich erwägen, weil dort ähnliche Abhängigkeiten zwischen Chef und Angestellten bestünden, sind vereinzelt geblieben. Es wird auch zu Recht kritisiert, dass aus einem bloßen tatsächlichen Können allein keine Rechtspflicht zum Handeln entsteht.176 Vielmehr muss ein (materieller) Grund dafür gefunden werden, warum ein Vorgesetzter verpflichtet sein soll, seine Herrschaftsposition gegenüber Untergebenen auch zur Verhinderung von Straftaten dieser Untergebenen einzusetzen. Diese Kritik gilt auch für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit. Die schwierige Frage, warum ein Vorgesetzter, der tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle über Untergebene ausübt, zum Einschreiten gegen (bevorstehende) Straftaten von Untergebenen verpflichtet ist, kann auch auf völkerrechtlicher Ebene mit dem bloßen Können nicht befriedigend beantwortet werden. Im Hinblick auf nicht-militärische Vorgesetzte stellt sich diese Frage in besonderer Schärfe. 4. Gemeinwohlgedanke Soweit teilweise der Gemeinwohlgedanke ins Spiel gebracht wird, in dem Sinne, dass Vorgesetzte verpflichtet sind, ihre Herrschaftsposition gegenüber Untergebenen im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen, so wurde in der rechtsvergleichenden Untersuchung dargelegt, dass dieser Gedanke insbesondere im privatwirtschaftlichen Bereich nicht passt. Doch könnte im Falle von Völkerrechtsverbrechen etwas anderes gelten. Bei den Völkerrechtsverbrechen handelt es sich um Straftaten, die, so formuliert es das Römische Statut, die „Internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“.177 Völkerrechtsverbrechen, so könnte man argumentieren, betreffen stets das Gemeinwohl und verpflichten daher Vorgesetzte, sowohl in militärischen wie nicht-militärischen Einheiten, zum Einschreiten gegen Völkerrechtsver176 177

Vgl. Weigend, in: Münchener Kommentar, Bd 6/2, § 4 VStGB Rn. 9. Präambel Abs. 4 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs.

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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brechen, die Untergebene unter ihrer Führungsgewalt und Kontrolle begehen oder im Begriff sind zu begehen. Allerdings lässt sich mit diesem Ansatz als solchem nicht erklären, warum allein Vorgesetzte in die Pflicht genommen werden. Da Völkerrechtsverbrechen insoweit alle Menschen betreffen, müsste jedermann verpflichtet sein, das ihm Mögliche zur Verhinderung derartiger schwerer Straftaten, die das Gemeinwohl beeinträchtigen, zu tun. Wie bei der Analyse von Art. 28 IStGH-Statut herausgearbeitet, stellt die Vorgesetztenverantwortlichkeit aber maßgeblich auf eine strukturelle Vorgesetztenstellung ab und unterwirft gerade nicht jede Person der strafrechtlichen Verantwortung, die die Möglichkeit hatte, Straftaten zu verhindern. Auch unter Heranziehung des Gemeinwohlgedankens allein kann daher die besondere Pflicht des Vorgesetzten zur Verhinderung von Straftaten seiner Untergebenen nicht ausreichend begründet werden. Die Begründungsansätze für eine Garantenpflicht von Vorgesetzten zur Verhinderung von Straftaten in Behörde und Betrieb in den nationalen Rechtsordnungen sind daher für die völkerstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit nur bedingt brauchbar. Auch die Umsetzungsvorschriften zu Art. 28 IStGH-Statut geben wenig Aufschluss über den (materiellen) Grund der Vorgesetztenverantwortlichkeit. 5. Beherrschung einer hierarchischen Organisationsstruktur Bei der Analyse von Art. 28 IStGH-Statut als auch bei der rechtsvergleichenden Untersuchung wurde jedoch herausgearbeitet, dass die Organisation, in die der Vorgesetzte eingegliedert ist, einen wichtigen Referenzpunkt der Vorgesetztenverantwortlichkeit darstellt, der bisher bei der Diskussion der Vorgesetztenverantwortlichkeit zu wenig beachtet wurde. Wie sich gezeigt hat, setzen beispielsweise auch die Direktorenhaftungsregeln weniger bei einer Beherrschung von Personen an, sondern bei einer Beherrschung der Unternehmensgesamtheit als solcher. Ein Direktor mit Führungsgewalt und Kontrolle über ein Unternehmen haftet für Straftaten dieses Unternehmens. Eine Führungsgewalt und Kontrolle über Unternehmensmitarbeiter wird dabei aus der Führungsgewalt und Kontrolle über die Unternehmenstätigkeit abgeleitet. Der (materielle) Grund für eine Rechtspflicht von Vorgesetzten, Straftaten ihrer Untergebenen zu verhindern, ist in der Organisation zu suchen. Genauer gesagt hängt der (materielle) Grund für die Vorgesetztenverantwortlichkeit mit der Rolle zusammen, die hierarchisch strukturierte Einheiten und Institutionen bei der Begehung von Völkerrechtsverbrechen spielen. Völkerrechtsverbrechen ist es nämlich eigen, dass sie zumeist nicht das

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4. Teil: Gesamtbetrachtung und Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

Werk von Einzeltätern sind, sondern eingebettet in staatliche oder nichtstaatliche Organisationsstrukturen begangen werden. Völkerrechtsverbrechen sind ohne die Unterstützung durch oder Nutzung von derartigen Organisationsstrukturen oft gar nicht denkbar. Mit dieser Eigenheit der Völkerrechtsverbrechen lässt sich auch eine Pflicht des Vorgesetzten begründen, Straftaten von Untergebenen in seiner Organisation zu verhindern, die gerade auf die Organisation, ihre Sach- und Personenmittel oder hierarchischen Behörden- und Betriebsabläufe, zurückgreifen. Es geht darum, die Nutzung oder den Missbrauch einer hierarchisch strukturierten Gesamtheit von Personen und Sachmitteln zur Begehung von Völkerrechtsverbrechen zu verhindern, ohne die derartige Völkerrechtsverbrechen zumeist gar nicht möglich wären. Oft werden Völkerrechtsverbrechen beispielsweise erst dadurch ermöglicht, dass Untergebene auf behördliches oder betriebliches Eigentum Zugriff haben, das in der Art oder Menge nur in der jeweiligen Organisation zur Verfügung steht. Hier ist beispielsweise an große Mengen an Waffen und die Ausrüstung militärischer Einheiten zu denken. Dabei muss es sich, wie erwähnt, auch nicht um per se gefährliche Sachen handeln. Ausgeschlossen dürften nur Fälle sein, in denen die Benutzung betrieblichen oder behördlichen Eigentums eine untergeordnete Rolle bei der Begehung der Taten spielt. Gleichfalls soll verhindert werden, dass Untergebene sich behördliche oder betriebliche Gegebenheiten zunutze machen, die es ihnen erst ermöglichen, Völkerrechtsverbrechen zu begehen. So ist es denkbar, dass untergebene Amtsträger ihre Befugnis zum Erlass von verpflichtenden amtlichen Bescheiden missbrauchen, um Völkerrechtsverbrechen zu begehen oder zu unterstützen. Auch hier ist es der institutionelle Rahmen der Organisation, der eine Verbrechensbegehung erst ermöglicht. Ein anderes Beispiel stellt der vor dem Ruanda-Tribunal verhandelte Fall Barayagwiza und Nahimana dar, in dem ein Radiosender dazu missbraucht wurde, Aufrufe zum Völkermord an den Tutsis zu verbreiten. Hier war es die Infrastruktur des Radiosenders, ohne die wohl kaum eine vergleichbare Verbreitung der Aufrufe erreicht worden wäre. Nicht zuletzt spiegelt sich hier die Voraussetzung der Organisationsbezogenheit der Straftaten wider, die nach den Ergebnissen dieser Arbeit in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut als haftungseinschränkende Voraussetzung eine Rolle spielt. Der (materielle) Grund für die Haftung des Vorgesetzten für Straftaten seiner Untergebenen liegt demnach nicht in der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle über untergebene Personen. Diese ist wichtigste Vo-

E. Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut

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raussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit, aber nicht zugleich der (materielle) Grund der Vorgesetztenpflicht. Der (materielle) Grund liegt vielmehr in der Beherrschung einer hierarchischen Organisationsstruktur durch den Vorgesetzten, d.h. in der Beherrschung von Behörden- und Betriebseigentum wie in der Beherrschung von Behörden- und Betriebsabläufen. Ein Vorgesetzter ist verpflichtet, eine Nutzung oder Missbrauch der Behörde oder des Betriebes zur Begehung von Völkerrechtsverbrechen zu verhindern.

Ausblick: Artikel 28 b) IStGH-Statut Es bleibt mit Spannung zu erwarten, ob und gegebenenfalls wie der Internationale Strafgerichtshof Art. 28 b) IStGH-Statut anwenden wird. Nach der vorgeschlagenen Auslegung des Art. 28 IStGH-Statut unterliegen nichtmilitärische Vorgesetzte, die eine strukturelle und tatsächliche Vorgesetztenstellung in einer nicht-militärischen Organisation innehaben, der Vorgesetztenverantwortlichkeit, wenn sie Straftaten ihrer Untergebenen, die einen engen Bezug zu der Organisation haben, nicht verhindert haben, obwohl sie von den bevorstehenden Straftaten wussten und auch, wenn sie von brisanten Informationen wussten, und, obwohl sie diese nicht zur Kenntnis genommen haben, sich dabei über die Gefahr von (bevorstehenden) Straftaten bewusst waren. Die Voraussetzung der „tatsächlichen Vorgesetztenstellung“, die sowohl im Chapeau wie auch in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut durch die Begriffe „tatsächliche Führungsgewalt/Verantwortung und Kontrolle“ verankert ist, stellt sich dabei eine Kernvoraussetzung der Vorgesetztenverantwortlichkeit und zugleich die wichtigste Haftungseinschränkung dar. Vorgesetzte unterliegen nur dann der Vorgesetztenverantwortlichkeit, soweit sie die tatsächliche Möglichkeit haben, Untergebenen Anordnungen mit Anspruch auf Gehorsam erteilen können und die Befolgung dieser Anordnungen gewährt ist. Da die Schwelle für diese tatsächliche Vorgesetztenstellung, die im Übrigen gleichermaßen für militärische Vorgesetzte gilt, hoch ist, wird sich möglicherweise in der zukünftigen Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs – wie bereits in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale1 – zeigen, dass viele nicht-militärische Vorgesetzte nicht aufgrund von Art. 28 b) IStGH-Statut zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Dies bedeutet nicht, dass Art. 28 b) IStGH-Statut faktisch leer läuft. Denn es gibt durchaus nicht-militärische hierarchisch gegliederte Organisationen, Institutionen oder Einheiten, die auf einem strikten Verhältnis von Anordnung und Gehorsam fussen. Es kann sich dabei um Unternehmen handeln, deren Führungsstruktur, beispielsweise zu Kriegszeiten, „befehls1 Vgl. auch Bonafé, JICJ 2007, S. 602: Von 54 Angeklagten der Ad-hoc-Tribunale, die wegen Vorgesetztenverantwortlichkeit verfolgt wurden, wurden allein 10 verurteilt (Schuldbekenntnisse nicht eingeschlossen.). Bonafé spricht von einer sehr restriktiven Anwendung der Doktrin.

Ausblick: Artikel 28 b) IStGH-Statut

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ähnlich“ ausgestaltet ist. Gleiches kann für die öffentliche Verwaltung in Kriegszeiten gelten.2 Die Unterschiede zwischen den Haftungsvoraussetzungen militärischer und nicht-militärischer Vorgesetzter fallen nach der vorgeschlagenen Auslegung von Art. 28 IStGH-Statut relativ gering aus. Die Haftung nicht-militärischer Vorgesetzter ist vor allem durch die Voraussetzung der Organisationsbezogenheit der Straftaten in Art. 28 b) ii) IStGH-Statut im Vergleich zu militärischen Vorgesetzten eingeschränkt. Hierin spiegelt sich auch der (materielle) Grund für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit. Dieser liegt nicht in der tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle über Untergebene, sondern hängt damit zusammen, dass Völkerrechtsverbrechen typischerweise unter Nutzung von und Unterstützung durch hierarchische Organisationsstrukturen begangen werden. Der (materielle) Grund für eine Vorgesetztenverantwortlichkeit liegt daher letztlich in der Beherrschung einer hierarchischen Organisationsstruktur durch den Vorgesetzten.

2

Vgl. bspw. Prosecutor v. Brd¯anin, Urteil der Verhandlungskammer v. 1.9.2004, Para. 301, das den Präsidenten der selbst ernannten Autonomen Region Krajina, Radoslav Brd¯anin, zitiert, der gesagt haben soll: „Ich bin ein Mann, der von zwei Prinzipien beherrscht wird. Ich gehorche und respektiere diejenigen über mir, und alle, die unter meiner Befehlsgewalt stehen, müssen mir gehorchen“.

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Personen- und Sachwortverzeichnis A&A Foods Ltd. 333–334 Absicht 104, 299 (siehe auch dolus directus I) actus reus 69, 280–281, 299, 334, 348 Ad-hoc-Tribunale 5, 20–22, 25, 38–39, 41–42, 45–47, 57, 59–60, 62, 71, 73–75, 77–78, 82, 84, 88, 90–92, 118, 290, 304, 306, 311, 360–363, 396–397, 411, 413, 416, 428 (siehe auch Internationales Tribunal für das ehemalige Jugoslawien, Internationales Tribunal für Ruanda) Aleksovski 38, 46, 50–51, 70, 73, 82 Allzuständigkeit, Allverantwortlichkeit 182, 186, 403–404 Amtsbezogenheit 140, 171, 183, 187, 377–378, 404 Amtsträger 27, 32, 40–41, 55, 64, 126, 137, 141–144, 162–166, 168–171, 176, 178, 182–184, 186–187, 197, 200, 203–207, 230, 233, 236, 240, 244, 251–252, 255–259, 261–265, 271, 273, 289, 360, 364, 372, 375–377, 381, 385, 389, 391–393, 395–396, 426 – Legaldefinition 254, 264 Amtsträgerhaftung 136, 157, 187, 383 Anordnungsgewalt 98, 108–109, 368, 386, 400–401 (siehe auch Befehlsgewalt, Führungsgewalt und Kontrolle) Armee 32, 48, 57–59, 73–74, 76, 132, 136, 323 (siehe auch Streitkräfte, Truppen) Aufsichtspflicht 98, 108–110, 126–131, 136, 143, 150–152, 155, 157, 171, 177, 184, 259, 269, 330, 371, 383, 386

aurait dû savoir siehe should have known Bagilishema 38, 54, 59, 74, 78, 290, 413 Barayagwiza 55–56, 59, 74, 426 Barbie 189 Beamtenrecht 141–142, 166, 168–169, 177 Befehlsgewalt 48, 76–79, 91, 98, 102, 108, 123, 128, 155, 167, 171, 176–177, 199, 223, 243, 291, 295, 307, 352, 354, 362, 368, 386, 416, 429 (siehe auch Anordnungsgewalt) Bemba 5, 28, 62, 70, 72, 74, 77–78, 80, 82–83, 85, 87, 89–90, 101, 290, 305–306, 410, 416, 420 Bestrafung 24, 44–45, 50, 60, 81–85, 99, 116–118, 132, 202, 233, 255, 258, 302, 333, 343 Betriebsbezogenheit 119, 151–152, 156–157, 179–181, 183, 188, 381, 383, 385, 388, 392, 405, 407 Betriebsinhaber 144–145, 154–156 Betriebsleiter 26, 33, 145–146, 153, 408 bewaffneter Einsatz 115, 124–125, 185, 290, 306, 357, 403, 420 bewaffneter Konflikt 115, 117, 233, 241, 244, 251–253, 256, 294, 310, 369, 397 Bewaffnung 59, 114–115, 403 Blaškic´ 38, 44, 57–58, 70, 82–84, 89–90, 350, 413 Boal 332 Boškoski 52–53, 81 Brd¯anin 38, 46, 52, 429

Personen- und Sachwortverzeichnis Bührle 148, 155, 172–175, 188, 387, 406 Caldwell 286–288 ˇ elebic´i 37–38, 40–47, 49, 59–60, 69, C 73, 75, 77–78, 82, 90, 304, 350, 412 Command Responsibility 20, 29–31, 33–35, 38–40, 43, 45–46, 80, 307–308, 311–312, 314, 351–354, 359 commission by omission 338–339, 350, 358, 384, 409 commission par omission 191, 210–211 common law 25, 274–275, 280–282, 287, 296–297, 315, 325–326, 337–340, 342–343, 345, 347–348, 350–351, 356–358, 366, 370, 374–375, 378–379, 383–388, 424 contrôle effectif siehe effective control corporate liability 317, 325 (siehe auch Unternehmenshaftung) Corpus Juris 2000 364, 388 Coutant 211 Crimes Against Humanity and War Crimes Act, zitiert als kanadIStGHG 276 Cunningham 287 Delalic´ siehe Cˇelebic´i Delegierung 151, 209, 221–222, 225, 349, 381, 391 Delic´ 417 dereliction of duty siehe Pflichtvernachlässigung Dienstaufsicht(spflicht) siehe Aufsichtspflicht Direktorenhaftung 208, 213, 324–325, 327–332, 335, 337, 379–380 Disziplinarrecht 50, 82, 248–250, 252, 271–272, 374 Doe I v. Unocal 354 dol éventuel 195, 197–198, 200, 223, 371

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dolus directus 86, 104, 121, 245, 392 dolus eventualis 377, 411–412 – belorussisches Recht 254, 265 – deutsches Recht 105–107, 110, 125, 140, 143 – französisches Recht (siehe auch dol éventuel) 195 – georgisches Recht 245, 247 – schweizerisches Recht 120–121, 125, 133 Dotterweich 316–317 Du Cros v. Lambourne 344–345 effective control 42, 45, 51–52, 54–55, 57, 59, 65, 71, 75, 77–78, 80, 290, 295, 332, 362 erforderliche und angemessene Maßnahmen 21–22, 44–45, 80–82, 101, 116–117, 120, 296, 326, 335 Fahrlässigkeit 66, 89–90, 99, 273, 334, 337, 369–371, 374, 377–378, 382–383, 409–412, 414 – belorussisches Recht 253, 256, 263–264 – britisches Recht 286, 312 – deutsches Recht 103, 105–108, 110–111, 125, 129, 134, 136, 146, 152, 157, 182, 187, 382 – französisches Recht 190, 195–196, 198, 200, 202, 213, 218–220, 223 – georgisches Recht 245 – kanadisches Recht 299–300, 303, 306, 356 – österreichisches Recht 148 – postsowjetisches Recht 239 – russisches Recht 250 – schweizerisches Recht 120–122, 125, 133, 157 faute 190–191, 195–197, 199, 202, 215, 217–219, 370, 411 (siehe auch Fahrlässigkeit, Vorsatz) Ferrand 214 Finta 299, 313

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Flick 31, 33, 37, 40, 360 Ford v. Garcia 352 Führungsgewalt und Kontrolle 21, 23, 59–60, 63, 72–74, 76–77, 80, 91, 98, 102–103, 108–109, 118, 123, 125, 185, 195, 199–200, 210, 221, 224, 243, 247, 291–292, 295, 297–298, 304–306, 317, 357, 362, 379, 387–388, 401–406, 416, 418, 420, 424–425, 428–429 (siehe auch Befehlsgewalt) Furundžija 76, 354, 399–400 G and another 286 Garantenstellung 159, 161–166, 168–178, 181–183, 187, 269, 385–386, 422–423, 439 – Ingerenz 162–163, 182, 384 Gehorsam 102–103, 119, 367–368, 401–402, 419, 428 Gemmingen-Hornberg 33 Genozid, 88, 232, 243, 252, 402 (siehe auch Völkermord) Geschäftsherr 144, 146, 149, 155–156, 173, 179–180, 389, 391–392 Geschäftsherrenhaftung 148–149, 155, 157–158, 163, 172–175, 180, 182–183, 187–188, 407 Geschehenlassen 126, 137–142, 164–166, 186, 261–262, 264, 270–273, 375, 377–378 had reason to know 36–37, 39, 43–44, 90, 411, 413 Hadžihasanovic´ 27, 38, 79, 417 halatnost’ siehe Pflichtvergessenheit Halilovic´ 27, 38, 82 Hirota 31–32, 40, 360 Hong 317, 320, 323 Huckerby v. Elliott 326, 328–330 Huggins 349 International Criminal Court Act 2001, zitiert als brit-IStGHG 277

Internationaler Gerichtshof 396 Internationaler Strafgerichtshof 5, 19, 62, 65, 80, 86, 90, 365, 396, 428 Internationales Tribunal für das ehemalige Jugoslawien 20, 27, 32, 37–39, 41, 46–49, 53, 55, 58–59, 65, 69, 80–81, 84, 86, 304, 360, 399 Internationales Tribunal für Ruanda 20, 41, 46–47, 53–55, 59–60, 74, 89, 134, 360, 362, 408, 426 Iverson 317–318, 320, 323 JF Alford Transport Ltd. 346–347, 350 Kapitänsverantwortlichkeit 144 Karadžic´ 48, 75, 352–354, 417 Kausalität 24, 28, 45, 83–85, 101, 118, 128, 151, 161, 191, 211, 215, 238, 240, 257, 259, 267–268, 296 – Risikoerhöhung 101, 151 Kayishema & Ruzindana 38, 46–47, 54–55, 57, 74, 89, 361 Konnivenz siehe Geschehenlassen Kontrolle 137, 139–140, 142–143, 163, 173, 260, 269, 289–290, 304, 323, 327, 332, 334, 344–347, 352, 358, 375–376, 381, 387, 393, 401, 416, 420, 425 (siehe auch Führungsgewalt und Kontrolle, Verantwortung und Kontrolle) Kontrollgewalt 45, 51, 60, 71, 309, 338, 343–346, 350, 358, 387, 390 Kooperation 276, 416–417 Kordic´ 38, 46, 52–53, 58, 75–76, 84, 361 Kriegsverbrechen 19–20, 80, 94, 117, 134–135, 188–189, 192, 194, 199, 202–203, 232–233, 243, 252, 256, 277–279, 284, 295, 302, 311, 354, 376, 423 Krnojelac 50–51 Krstic´ 73, 417 Kulbacki 344–345 Kvocˇka 38, 51–52, 73

Personen- und Sachwortverzeichnis Lagerfälle 49–51, 59, 75, 408 Lederspray-Fall 181 Leichtfertigkeit 111, 129, 371, 392 Lewin v. Bland 330 List et al. 30 Lubanga Dyilo 86–87, 105–106 Martineau 302 Martinovic´ 38, 58–59 Mathieu 313 Medina 307–309, 311 mens rea 69, 191, 280–281, 285, 298–299, 301–302, 306, 309, 318, 320, 334, 347, 370 militärisch/de facto militärisch/nichtmilitärisch 21, 24, 26, 66, 71–72, 92, 122, 124, 185, 199–200, 223, 246–247, 272–273, 288–290, 306, 373, 415–418, 420–421 militärischer Befehlshaber 20–21, 35, 37, 40, 52, 58, 60, 62–63, 66–67, 70, 72, 76, 98–99, 107, 123, 198, 232, 246, 250, 288–289, 291, 293, 295, 297, 302, 304–307, 309, 311, 356–357, 369, 372, 408, 418–420 Militärstrafrecht 27 – Deutschland 95, 103, 113, 131 – Frankreich 202 – Österreich 96, 184 – postsowjetischer Rechtskreis 229 – Schweiz 96, 132, 184 – USA, Kanada, England 279 Miloševic´ 48 misconduct in office 314–315, 375 (siehe auch Missbrauch von Amtsbefugnissen) Missbrauch von Amtsbefugnissen 257, 265 Monnier 210, 212 Moreland 344–346 Mucˇic´ 49 Mummenthey 41 Musema 38, 41, 46, 56–57, 59, 74, 354, 408

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Nahimana 38, 55–56, 74, 81, 426 Naletilic´ 38, 58–59 negligence 66, 89, 99, 286, 299–302, 322, 334–335, 356, 369–370, 411, 413 (siehe auch Fahrlässigkeit) Nichtanzeige von Straftaten 244, 251–252, 270–271 Nichtverhindern von Straftaten 40, 45, 137, 158, 162, 187, 210–211, 267, 338, 384 Niyonteze 134–135 Ntakirutimana 38, 55, 59, 74 Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 19 Nürnberger Nachfolgeverfahren 30 – Flick et al. 33 – Leeb et al., OKW-Prozess 30 – List et al., Geiselmordprozess 30 – Pohl et al. 30, 41 Obsorgepflicht 131 Ordnungswidrigkeit 144, 151–152, 157 Ordnungswidrigkeitenrecht 25, 96, 144, 150–151, 187, 378, 383, 450 Organisationsbezogenheit 23, 119, 125, 129, 136, 140, 152, 194, 200, 223, 285, 298, 319, 357, 368, 400, 404–408, 426, 429 Oric´ 27, 38, 81 ought to know 286, 300, 329 (siehe auch should have known) Papon 189 paramilitärische Einheit 74, 113–114, 123–124, 273, 289, 357, 415–419, 421 Park 316–318 Pflicht zur Verhinderung von Straftaten 127, 171, 178, 262, 269, 271, 309, 384–385, 388 Pflichtvergessenheit 229, 240, 256–266, 272–273, 310, 375 Pflichtvernachlässigung 135, 308–309, 312–314, 375

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Pohl et al. 30, 41 Politbüro-Prozess 168 Polizei 53, 59, 74, 115, 124, 164, 170–171, 206, 293, 304–306, 315, 342, 385, 415, 418, 421 – Gendarmerie Nationale 206 – Police Nationale 206 – Polizeikommandeur 304–306, 372 – Royal Canadian Mounted Police 305 popustitel’stvo siehe Geschehenlassen Rechtskreis 25–26, 345, 364, 377, 384, 395 – common law Rechtskreis 25, 274, 279–280, 296, 339, 351, 357, 366, 370, 374–375, 378–379 – kontinental-europäischer Rechtskreis 25, 93, 226, 234, 274, 339, 378, 386 – postsowjetischer Rechtskreis 25, 225–226, 230–231, 241, 272, 375 Rechtspflichtenlehre 162, 273 Rechtsquelle 226, 274, 279, 396–397 recklessness siehe Rücksichtslosigkeit respondeat superior 315–316, 349–350, 354–355, 358, 385, 407 responsabilité du fait d’autrui 189, 191, 208, 210, 213–214, 216, 219–220, 224, 379, 381–382 responsible corporate officer – Lehre vom Unternehmensverantwortlichen 315–320, 327, 330, 347, 351, 357, 379–383 Röchling 31, 33, 37, 40–41, 360 Romagoza Arce v. Garcia 353 Rücksichtslosigkeit 90, 286–288, 299–301, 321–322, 331, 335, 412–413 Rumsfeld 310–311 Šainovic´ 49 Sansregret 299–301 Sault Ste. Marie 300, 334, 350 Schuldgrundsatz 99, 108, 145–146

should have known 24, 43–44, 63, 65, 89, 105, 198, 285–286, 299, 302–303, 306, 309, 311–312, 329, 356, 363, 369, 374, 411, 414 Siracusa-Entwurf 36 Soldat siehe Untergebene, Soldaten Soldatengesetz, zitiert als dSG 113–114, 129 Stakic´ 48–49, 75 stellvertretende Haftung 281, 325, 338, 348 Strafgewalt 50–52, 419 (siehe auch Bestrafung) Streitkräfte 26, 31, 35, 48, 59, 73, 113–114, 248–249, 278, 288–289, 310, 415–418, 421 strict liability – verschuldensunabhängige Haftung 30, 43, 281, 319, 334, 338, 341, 347–348, 350, 382 superior responsibility siehe Command Responsibility, Vorgesetztenverantwortlichkeit Tadic´ 399 Tojo, Hideki 31–32, 40, 360 Tokio-Tribunal 19, 31–32, 40, 46 Touvier 189 Truppe 21, 30, 40, 43, 58, 63, 66, 68–69, 74, 112–114, 116, 122–124, 241, 243–244, 246–247, 264, 272, 279, 289–290, 306–307, 311, 353–354, 357, 369, 372, 415, 418 (siehe auch Streitkräfte) Tuck v. Robinson 346 Umsetzungsvorschriften – §§ 4, 13, 14 VStGB (Wortlaut) 98 – Abschnitte 5, 7 kanad-IStGHG (Wortlaut) 291 – Art. 65 brit-IStGHG (Wortlaut) 282 – Art. 114 a schweizMilG-E siehe Art. 264 k schweizStGB-E (Wortlaut) – Art. 213-4-1 frzStGB-E (Wortlaut) 192

Personen- und Sachwortverzeichnis – Art. 264 k schweizStGB-E (Wortlaut) 116 – Art. 413 georgStGB (Wortlaut) 241 Umwelt(straf)recht 25, 170, 208, 215, 223, 317–318, 337, 358, 379, 381–382, 385 Untergebene 68–70, 81 – faktischer Soldat 114, 130, 142, 417 – Soldat, Legaldefinition 113, 130 – Soldaten 20, 29, 32, 54, 102–103, 113, 127–131, 136, 142, 198, 203, 307–308, 313, 360, 406, 416 Unterlassen – Beihilfe durch Unterlassen 100, 138, 342, 344–346 – commission by omission siehe dort – commission par omission siehe dort – echt/unecht 97, 158, 183 – einfach/qualifiziert 97–98, 101, 118, 158, 191, 240, 267 – Garantenstellung siehe dort – Nichtbestrafung siehe Bestrafung – Nichtverhindern siehe Nichtverhindern von Straftaten – rein/gemischt 239 – Unterlassen im Dienst 229, 240, 256–257, 261, 263, 265–266, 273, 310, 375 – Unterlassensdogmatik 96, 158, 189, 239 unterlassene Hilfeleistung 73, 271, 339 Unternehmenshaftung 119, 172–173, 269, 335, 354 Unternehmensleiter 27, 41, 126, 144, 162–163, 171–172, 175, 180, 182–185, 187, 207–208, 210, 215–225, 244, 273, 315, 317, 323, 326–327, 337, 341, 351, 360, 378–383, 385, 390, 392, 394–395, 401 (siehe auch Betriebsleiter) Vaillancourt 302–303 Verantwortung und Kontrolle 22, 87, 102, 109, 119, 125, 140, 185, 194,

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224, 244, 263, 284, 332, 363, 367–368, 376, 402, 404, 406, 408 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 19, 80–81, 94, 117, 135, 189, 192, 194, 202–203, 232–233, 243, 277–278, 295, 302, 423 Verhinderung siehe Nichtverhindern von Straftaten Verwaltungsstrafrecht 25, 96, 144, 148, 157, 187, 378 vicarious liability 325, 338, 347–348 (siehe auch stellvertretende Haftung) Völkermord 19, 80, 94, 117, 135, 189, 203, 216, 277–278, 295, 302, 349, 354, 423, 426 Völkerstrafgesetzbuch, zitiert als VStGB 26, 95, 99–101, 107, 110, 114, 137, 184, 366, 372 Völkerstrafrecht 19, 24–25, 27, 90, 93, 148, 181, 189, 208, 210, 223, 232–233, 288, 359, 364, 386, 388, 392, 395–396, 399, 402, 405–407, 410–411, 414, 423–425 Von Roll 173–174, 188 Vorgesetztenstellung 46, 56, 58–59, 71, 74, 92, 118–119, 141, 161, 164, 212, 360–364, 368, 385, 387–388, 393, 401, 416, 428 – strukturell 28, 71, 73, 75–76, 87, 91, 112, 361–362, 387, 425, 428 – tatsächlich 28, 71, 75–76, 87, 91, 362, 416, 420 Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis 21, 39–40, 56, 68–70 Vorgesetztenverantwortlichkeit – dogmatische Einordnung 27, 65, 81, 98, 100, 410 – Kernverständnis 27–28, 91, 362–363 – Vorschriften der Statute der internationalen Tribunale (Wortlaut) 21, 36–37, 62 Vorgesetztenverordnung, zitiert als VorgV 103, 130, 403 Vorgesetzter – Amtsträger siehe dort und Amtsträgerhaftung

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Personen- und Sachwortverzeichnis

– Befehlshaber 37 (siehe auch militärischer Befehlshaber) – Bürgermeister 26, 46, 53–54, 59, 74, 134–135 – de facto/de jure 40–42, 70–73, 112, 130–131, 141–143, 255, 332, 353, 358, 373 – Dienstvorgesetzter 139, 141 – Direktor siehe Direktorenhaftung – Fachvorgesetzter 103, 128 – Geschäftsherr siehe dort und Geschäftsherrenhaftung – Legaldefinition 113, 254, 304 – leitender Angestellter 112, 318, 325–329, 332, 334–335, 348, 357–358, 379–380, 382 – Leitungspersonal 198, 207, 209–210, 218, 315, 331–332 – militärisch/de facto militärisch/nichtmilitärisch siehe dort – Oberbefehlshaber 26, 31, 415–416 – Paramilitärs siehe paramilitärische Einheit – Polizeikommandeur siehe Polizei, Polizeikommandeur – unmittelbarer Vorgesetzter 128, 203 – Unternehmensleiter siehe dort und Unternehmenshaftung – Vorgesetzter mit besonderem Aufgabenbereich 103, 128 – zivil 40, 45–47, 49–54, 57–60, 66, 78, 98, 100, 102, 107, 109–114, 121–122, 132 (siehe auch militärisch/de facto militärisch/nicht-militärisch) Vorsatz – Art. 30 IStGH-Statut 86 – belorussisches Recht 253, 256, 263, 265 – deutsches Recht 104–105, 110–111, 125, 129, 140, 152, 157, 182, 186–187

– französisches Recht 190, 203, 213, 218, 220, 224 – georgisches Recht 245 – österreichisches Recht 148, 156–160, 182, 186 – postsowjetisches Recht 239 – russisches Recht 250 – schweizerisches Recht 120–121, 125, 133, 182, 186 Waffengewalt 24, 115, 124, 421–422 (siehe auch Bewaffnung) Widerkehr 214, 217, 220 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, zitiert als WVRK 61 wilful blindness, willentliche Blindheit 90, 286, 299–301, 321, 356, 371, 382, 411–413 Wirtschafts(straf)recht 25, 148, 172, 208, 215, 223, 327, 337–338, 379, 381, 406 Wissen 21, 39, 43, 51, 85–87, 89–90, 104, 107, 120–121, 145–146, 158, 195, 205, 209–210, 245, 287, 299, 322, 329, 334, 347, 378, 382, 393, 409, 411–413 – Art. 30 IStGH-Statut 86 – Legaldefinition 85, 287 Yamashita 20, 25, 29–30, 279, 307–308 zivil siehe Vorgesetzter, zivil und militärisch/de facto militärisch/nicht-militärisch Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, zitiert als ZP I 20, 25, 34, 231 Zuständigkeitsbereich 23, 32, 102, 109, 119, 152, 166, 170–171, 173–174, 181, 186–187, 205, 318, 328, 367, 376–378, 391, 400–401