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German Pages [289] Year 2013
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Patrick Baur Bernd Bösel Dieter Mersch (Hg.)
Die Stile Martin Heideggers
ALBER PHILOSOPHIE
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Patrick Baur / Bernd Bösel / Dieter Mersch (Hg.) Die Stile Martin Heideggers
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Heideggers Ringen um das »Wie des Sagens« weist einen eigenwilligen Duktus und einen oftmals sehr freien, zuweilen auch gewaltsamen Umgang mit der deutschen Sprache auf – Eigenschaften, die seit seinen ersten Veröffentlichungen auf ebenso viel Faszination wie Ablehnung gestoßen sind. Selten aber hat man sich bisher mit der Frage auseinandergesetzt, wie sehr Heideggers Schreibstile mit der Art seines Denkens korrelieren, wie sehr Denken, Lesen und Schreiben bei ihm also unauflösbar verflochten sind. Der vorliegende Band thematisiert die Interaktion zwischen Sprach-, Denk- und Deutungsstilen bei Heidegger. Das Themenspektrum der zwölf Beiträge reicht u. a. von den Stilen zur Stille, vom ›einfachen Sagen‹ zur Tautologie, vom Feldweg-Gespräch über Heraklit zu Aristoteles und zur Lektüre des Deutschen Idealismus. Ins Zentrum rückt dabei immer wieder der performative Charakter von Heideggers Stilen: Angesichts der Wirkmächtigkeit der französischen Heidegger-Rezeption, die in methodischer Weise stark an Fragen des Lesens und Schreibens sowie der Performativität der Sprache gekoppelt ist, erscheint die Aufarbeitung solcher Zusammenhänge auch im deutschsprachigen Kontext als überfällig.
Die Herausgeber: Patrick Baur studierte Philosophie, Germanistik und Biologie in Freiburg und Basel. Er promovierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zum Thema Phänomenologie der Gebärden. Leiblichkeit und Sprache bei Heidegger, Freiburg / München 2013, und lehrt Philosophie am Philosophischen Seminar der Universität Freiburg. Bernd Bösel, Studium der Philosophie in Wien, Promotion mit einer Arbeit zu Philosophie und Enthusiasmus, Wien 2008. Seit September 2011 Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (APART-Programm) mit dem Projekt »Die Kunst, Emotionen herzustellen – Philosophie als kritische Psychotechnik«. Derzeit Fellow an der Kunsthochschule für Medien, Köln. Dieter Mersch, Studium Philosophie und Mathematik in Köln, Bochum und Darmstadt. Promotion über Umberto Eco, Habilitation Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, Lehrstuhl Medientheorie und Medienwissenschaft an der Universität Potsdam mit den Schwerpunkten Kunst und Medienphilosophie.
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Patrick Baur / Bernd Bösel / Dieter Mersch (Hg.)
Die Stile Martin Heideggers
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Gedruckt mit Unterstützung durch die Österreichische Forschungsgemeinschaft.
© VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2013 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Herstellung: Canon Deutschland Business Services GmbH, Erfurt Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48545-3
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Inhalt
Einleitung. Die Stile Martin Heideggers . . . . . . . . . . . .
I.
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Durchformungen: Stil als Denkstil . . . . . . . . .
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Patrick Baur (Freiburg): Vom ὁρισμόϚ zum »einfachen Sagen«. Zur Entwicklung einer Kernfigur in Heideggers Spätwerk.
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Martina Roesner (Wien): Zwischen Transzendentalphänomenologie und Spekulation. Zu den funktionalen Wandlungen tautologischer Satzstrukturen in Heideggers Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
Dieter Mersch (Potsdam): Heideggers Rede
II.
Abgrenzungen: Stil als Identitäts- und Differenzfigur
Susanna Lindberg (Helsinki): Reading against Hegel . . . . . .
96
Adrián Navigante (Wien): Rückkehr des Denkens zu sich selbst. Zu Heideggers Destruktion des Deutschen Idealismus . 112 Matthias Flatscher (Wien): (V)Ergangene Geistergespräche. Bemerkungen zu Heideggers performativem Stil im Feldweg-Gespräch Anchibasie . . . . . . . . . . . . . . . 128
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Inhalt
III. Auseinandersetzungen: Stil in, mit und gegen Gemeinschaft Arno Böhler (Wien): »Gut ist es, an andern sich / Zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.« . . . . . . . . . . . 158 Bernd Bösel (Wien): Einübung ins Entrücktsein – Heideggers eigen-willige Ekstatik . . . . . . . . . . . . . 178 Sandra Man (Berlin): NoTon. Man spricht mit, man hört mit … 207
IV. Überschreibungen – Überschreitungen: Stil als Grenze Peter Trawny (Wuppertal): Stilus . . . . . . . . . . . . . . . 228 Peter Zeillinger (Wien): Über das Lesen. Heidegger und die Vermeidung des Aussagesatzes . . . . . . . . . . . . . . 243 Artur R. Boelderl (Linz): Die Stille Martin Heideggers
. . . . 265
Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
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Einleitung. Die Stile Martin Heideggers
Le style c’est l’homme même – diese Bemerkung Buffons kann als Leitund Abgrenzungswort der hier versammelten Beiträge gelten. Dabei handelt es sich nicht um ein vollständiges Kompendium stilistischer Merkmale, vielmehr um eine Anzahl von Erkundungen auf einem überaus komplexen Themengebiet. Jeder einzelne Beitrag ist dabei einer Lektürehaltung verpflichtet, die Stil als mehr und anderes denn nur als personalen Ausdruck versteht und sich vielleicht in folgender These zusammenfassen lässt: Philosophische Denkprozesse und -ergebnisse schlagen sich nie nur in denotativen Sätzen nieder. Auch Stil ist Argument – und das nicht nur, aber in besonderem Ausmaß da, wo es um das Werk von Martin Heidegger geht. Ein Blick in den Kanon der Philosophiegeschichte zeigt, dass jedes Denken seine eigene Sprache erfordert – ja dass Denken und Sprache so innig miteinander verwoben sind, dass die Gedanken von ihrem Ausdruck nicht zu trennen sind und etwa bruchlos in eine andere Sprache übersetzt werden könnten. Das bedeutet auch, dass der Stil zur Medialität des Gedankens gehört und dass umgekehrt sich jeder Gedanke durch eine bestimmte Form des Sprechens erst artikuliert. Für jede Generation von RezipientInnen bringt das neben einer primären Entdeckerlust auch die Schwierigkeit mit sich, einen Platon, einen Spinoza, einen Hegel oder eine Irigaray erst lesen lernen zu müssen. Das fortlaufende Gespräch der abendländischen Philosophie lässt sich eben nicht als ein einziger fortlaufender Text entwickeln, sondern eher als eine Serie von lauter Unterbrechungen und Hindernissen, die das Denken buchstäblich immer wieder neu ansetzen lassen. Wer Wesentliches zu sagen hat, kann dies kaum mit Hilfe derjenigen Sprache tun, von der er oder sie sich abstößt; wer anderes zu denken sucht, darf nicht die sedimentierte Rede der Tradition wiederholen. Vielmehr gehört das Anders-sagen selbst zum Modus des Gedankens, der diese zu überwinden sucht. Anders zu sprechen bedeutet, dem Verständnis Widerstände A
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Einleitung. Die Stile Martin Heideggers
entgegenzusetzen, zuweilen sogar Idiosynkrasien oder Manierismen auszubilden, deren Bedeutung erst ausgehandelt und angenommen werden müssen, um sich erneut als Schicht einer Überlieferung abzulagern. Lässt sich daher die Herausforderung ans Verstehen nicht als ein erster – wenn auch sicher nicht ausreichender – Indikator dafür auffassen, dass das Gefüge des kanonischen Denkens eine Verschiebung erfahren hat? Mehr noch: Reflektiert sich in der Eigenwilligkeit einer Sprache nicht die Tatsache, dass Denken und Sprechen gerade nicht einfach zusammenhängen, sondern sich aneinander reiben, sich gegenseitig traktieren müssen, um etwas, ein Bestimmtes, gar Neues zum Vorschein kommen zu lassen? Und gehört nicht diese Art von Sprachreflexion – die Sensibilität für das Mediale, die Aufmerksamkeit für die Ordnung, das Korsett, die spezifische Repressivität und das, was Roland Barthes das »Herdenhafte« 1 der Sprache, ihre Neigung zum Klischee, zum »Monstrum Stereotypie« genannt hat – überhaupt zur Philosophie des 20. Jahrhunderts, die immer zugleich auch Sprachphilosophie gewesen ist? Für Heidegger gilt dies sicherlich in besonderer Weise. Denn sein lebenslanges Ringen um das »Wie des Sagens« weist nicht nur einen eigenwilligen Duktus auf, sondern einen oftmals sehr freien, manchmal gewaltsamen Umgang mit der Sprache. Dies ist seit den ersten Veröffentlichungen auf ebenso viel Zustimmung wie Ablehnung gestoßen. Emil Staiger hat die Faszinationskraft von Heideggers Sprache einmal als eine »finstere Gewalt« angesprochen, die ihn als Schüler gleichwohl unwiderstehlich gefesselt habe. 2 Die oft kontraintuitive Verwendung von deutschen Alltagsbegriffen (»Ent-fernung«, »Ge-stell«), die Neigung zu Neologismen (»Wesung«), zu Tautologien (»Die Sprache spricht«), die scheinbar willkürliche Umdeutung bekannter philosophischer Sätze durch alternative Betonungen (»Nichts ist ohne Grund«) – all das hat einerseits Kritiker darin bestärkt, Heideggers Denken als ein vielleicht suggestionsreiches, letztlich aber unsinniges Raunen und Sprachfeiern abzuurteilen; andererseits verraten die vielen Nominalreihungen, die fast zur Marotte werdenden Aufspaltungen von Worten, die schwer lesbaren Übersetzungen vom Griechischen ins Deutsche oder die immer wieder vorgenommenen Umschriften derselben Grund1 2
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Barthes, Roland: Leçon/Lektion. Frankfurt am Main 1980, 19/21. Zitiert nach Trawny, Peter: Martin Heidegger. Frankfurt am Main 2003, 49.
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Einleitung. Die Stile Martin Heideggers
figuren eine »Sprachnot«, die der Sache selbst, nämlich der »Überwindung der Metaphysik« als philosophisches Programm, das unweigerlich seine eigenen Paradoxien produziert, geschuldet ist. Angesichts dieser Umstrittenheit von Heideggers Schreibstil ist es erstaunlich, dass nur selten dieser Stil selbst zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht worden ist – vielleicht auch, weil die Fronten hier über lange Zeit verhärtet waren. Zudem sind verdienstvolle Arbeiten zu Heideggers Sprache zuweilen fast wirkungslos verpufft, so zum Beispiel die 1962 von Erasmus Schöfer vorgelegte Monographie über Die Sprache Heideggers, die minutiös die sprachlichen Eigenheiten vor allem des Frühwerks analysiert. 3 Die sprachwissenschaftlich orientierten Auflistungen von verbalen Neuwörtern, Substantivierungen, expressiven Elementen, Doppeladverbien und »Heideggerismen« bringen die Züge von Heideggers Sprachgebrauch besser zum Vorschein, als es eine rein inhaltlich-philosophische Auseinandersetzung leisten kann, die jeweils mit einzelnen solcher Wendungen zu arbeiten hat. Dass sich inzwischen durch die Veröffentlichungen der Gesamtausgabe, insbesondere der verstreuten Notizen aus verschiedenen Perioden seines Schaffens, eine solche Analyse enorm erweitern ließe, liegt auf der Hand. Bekanntlich trug die französische Rezeptionswelle nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend dazu bei, Heideggers Philosophie – ebenso wie diejenige Nietzsches – trotz ihrer Bezüge zum Nationalsozialismus vor allzu reflexhafter und pauschalisierter Ablehnung zu bewahren. Ebenso waren es die innovativen französischen Lektüre- und Interpretationspraktiken, die vorzeigten, wie philosophische Texte auch auf ihre rhetorischen, stilistischen und performativen Eigenheiten abgeklopft werden können, ohne dass deshalb der Inhalt nebensächlich würde. Dass wir heute besser darauf vorbereitet sind, die Verflechtung von Stil und Inhalt als solche überhaupt anzuerkennen, anstatt, wie es einseitig aussagefixierte Philosophietraditionen zu tun pflegen, die Texte nach ihren »Argumenten« absuchen, den Stil als bloß äußere Schale zu behandeln, die sich bestenfalls als Schmuck und Zierde für den eigentlichen Gehalt, schlechtestenfalls als Ablenkungsmanöver angesichts inhaltlicher Mängel erweise, hat wesentlich mit der poststrukturalistischen und dekonstruktiven Infragestellung der so lange vorherrschenden Dichotomie von Stil und Inhalt zu tun. 3
Vgl. Schöfer, Erasmus: Die Sprache Heideggers. Pfullingen 1962. A
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Einleitung. Die Stile Martin Heideggers
Nicht von ungefähr liest sich der Titel des vorliegenden Bandes daher auch als Anspielung auf den Essay Éperons. Les styles de Nietzsche (Sporen. Die Stile Nietzsches) von Jacques Derrida, der in deutscher Übersetzung in Werner Hamachers Epoche machender Textsammlung Nietzsche aus Frankreich abgedruckt wurde. 4 Derrida hat seine dekonstruktive Lektürepraxis immer wieder auf die Schriften Heideggers gerichtet und dabei dessen politische Verstrickung zur entscheidenden Folie einer Problematisierung gemacht, die freilich über simple und letztlich erklärungsarme Be- oder Entschuldigungen hinausging. Das zeigt sich insbesondere im Essay Vom Geist. Heidegger und die Frage, worin Derrida den Verschiebungen des Gebrauchs und der textuellen Markierungen des Ausdrucks »Geist« bei Heidegger insofern nachgeht, als sich in ihnen die Bewegungen der Annäherung wie auch der Abkehr bezüglich der nationalsozialistischen Diktion widerspiegeln. Derrida stellt unter Beweis, dass eine minutiöse Lektüre des Stils keine bloß ästhetische oder literaturwissenschaftliche Angelegenheit ist, dass sich vielmehr am Stil auch so etwas wie eine politisch wirksame Haltung ablesen lässt – hierin mag es eine Gemeinsamkeit zu einer Tendenz bei Jürgen Habermas geben, der in seiner Rezension von Heideggers Einführung in die Metaphysik von 1953 den Stil als »gelebte Haltung« bestimmt und insbesondere den martialischen Ton Heideggers kritisiert hatte. 5 Berühmt geworden ist, aus der Kritischen Theorie kommend, die ausführliche Kritik am Jargon der Eigentlichkeit, den Theodor W. Adorno zwar nicht nur Heidegger, sondern ebenso Karl Jaspers und einer Vielzahl inzwischen vergessener Autoren attestiert hatte; dennoch gilt die ausführlichste Auseinandersetzung den Schriften Heideggers, in deren Diktion Adorno unter anderem ein sprachliches »Asyl für den Faschismus« 6 erkennen zu können meinte. In ähnlicher Weise analysierte Pierre Bourdieu in seinem Essay Die politische Ontologie Martin Heideggers dessen rhetorische Strategien zur Auflösung des Politischen in der Seinslehre. Während man alle diese AuseinandersetVgl. Derrida, Jacques: »Sporen. Die Stile Nietzsches«. In: Werner Hamacher (Hg.): Nietzsche aus Frankreich. Berlin / Wien 2003, 183–221. 5 Vgl. Habermas, Jürgen: »Mit Heidegger gegen Heidegger denken«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juli 1953, jetzt in: ders.: Philosophisch-politische Profile. Frankfurt am Main 3 1981, 65–81. 6 Adorno, Theodor W.: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. Frankfurt am Main 1964. 4
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zungen als Warnungen vor Heideggers sprachlicher Verführungskraft verstehen muss – die insbesondere im Fall Adornos eine eigene philosophische Kraft besitzen –, findet sich etwa zur selben Zeit bei dem von Fritz Mauthner beeinflussten Sprachphilosophen Friedrich Kainz eine umgekehrte und bedenkenswerte Diagnose: dass nämlich Heidegger einer Fülle sprachlicher Suggestionen erlegen und somit selbst ein »Sprachverführter« gewesen sei. 7 So sehr zum einen der Tonfall, die Verwendung verdorbenen Vokabulars wie »Entschlossenheit«, »Entscheidung« – die Rektoratsrede von 1933 kann hier als einschlägig gelten – wie andererseits die der Sprache selbst innewohnende Bildkraft Heideggers Stil geprägt haben mögen, so verkennen diese Diagnosen doch, dass seine Sprachanstrengung auch einer Flucht aus dem Begriff entspringt. Das bedeutet nicht, dass Heidegger sich umgekehrt einer haltlosen Poetik des Schreibens hingab, sondern dass er über die beiden genannten Verfahren des Anders-sagens und der Reflexion auf die Medialität des philosophischen Sprechens selbst beständig bemüht war, dem historisch etablierten diskursiven Format der metaphysischen Rede zu entkommen. Sie ist mit dem ›Geist‹ der Wissenschaften, ihrem von Heidegger kritisierten ›Stil‹ des Sicherns und Begründens, ihrer vermeintlichen ›logischen‹ Stichhaltigkeit und ihrem durch den propositionalen Satz verbürgten Wahrheitsanspruch von Anfang an verquickt. Ihnen gegenüber hat Heidegger zeitlebens zum Teil explizite, zum Teil auch winzige, aber folgenschwere Nuancierungen vorgenommen, indem er von der klassischen Begrifflichkeit ausging, um aus ihr ›Anderes‹ oder ›Ursprünglicheres‹ herauszuhören, etwa durch Rückführung auf die originalen griechischen Ausdrücke und deren Rückübersetzung ins Deutsche. Das vielleicht prominenteste Manöver dieser Art bildet die Verschiebung des Korrespondenz-Wahrheitsbegriffs vom Anspruch der adaequatio intellectus et rei zur aletheia und damit »Unverborgenheit« oder »Offenheit«, die später durch die »Ent-sprechung« ergänzt wurde, welche die Sprache selbst in den Rang einer Offenbarmachung rückt. Viele der scheinbaren heideggerschen Neuschöpfungen sind von dieser Art: Sie dezentrieren die Metaphysik gleichsam aus ihrer eigenen Mitte heraus. Heidegger belässt es nicht einfach bei einer »Kritik des überlieferten abendländischen Denkens«, vielmehr sprengt er es von innen am Ort ihrer Sprachlichkeit. Deswegen bilden seine Sprach-Vorschläge 7
Vgl. Kainz, Friedrich: Über die Sprachverführung des Denkens. Berlin 1972, 445–476. A
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auch keine Dichtungen; sie halten sich stets im Vorläufigen, Tentativen, und variieren nicht selten über die verschiedenen Perioden seines Arbeitens. Worin Derrida wohl noch einen Schritt weiter ging, ist allerdings seine konsequentere Einsetzung einer Reflexion der Schrift als Medium der Sprache sowie entsprechend sein Gespür für die Gebrochenheit von Schreibstilen, die es unmöglich machen, überhaupt noch von einer vermeintlichen Einheit, einem ›Gesamtstil‹ oder dergleichen zu sprechen. Das zeigt sich insbesondere in Die Stile Nietzsches, worin er drei völlig divergente Haltungen zur »Frau« in Nietzsches Schriften herausfiltert, die sich eben auch stilistisch widerspiegeln. Die Pluralität der Stile lässt sich daher nicht auf Differenzen der verwendeten Textgenres oder gar auf unterschiedliche Lebensphasen reduzieren, sie durchzieht vielmehr den Schreibprozess jederzeit in actu. 8 Das gilt auch für Heideggers ›Schriften‹. Wie wenige Sprachdenker vor ihm hat Derrida damit das Bewusstsein dafür geschärft, dass selbst ein Nietzsche oder Heidegger – die üblicherweise als ganz besonders sprachmächtige Denker apostrophiert werden – ›die‹ Sprache eben nicht beherrscht haben, weil sich die Sprache nicht beherrschen lässt. An den Stilphänomenen zeigt sich, über das Gewollte eines »großen Stils« hinaus, Unverfügbares, das gleichwohl und vielleicht noch stärker als die bewusst gepflegten Eigenheiten jene Wirkungen und Suggestionen erzeugt, die zur fortdauernden Strahlkraft eines Textkorpus beitragen. Heideggers ›Sprachen‹ und ›Stile‹, um damit den Plural aufzunehmen, sind freilich nicht nur auf einer semantischen und grammatischen Ebene untersuchenswert; auch was die Vielfalt der von ihm verwendeten Gattungen betrifft, sticht er aus der akademischen Landschaft, der er selber ja die längste Zeit angehörte, heraus. Der formal strenge Aufbau von Sein und Zeit erscheint im Rückblick trotz der anhaltenden Berühmtheit des Buches als beinahe untypisch für sein Schaffen, das sich auf druckreife Vorlesungs- und Seminartexte, Aufsätze, Vorträge, Briefe sowie auf Fragmentsammlungen, fiktive Dialoge und zahlreiche Gedichte erstreckt. Die fortlaufende Veröffentlichung der Gesamtausgabe letzter Hand macht es zunehmend schwierig bis unmöglich, zwiEine Ansicht, die sich mit der Sprachphilosophie Michail Bachtins trifft, der wohl nicht zufällig zu jener Zeit in Frankreich entdeckt und diskutiert wurde, da Derrida seinen Nietzsche-Essay verfasste (vgl. Bachtin, Michail M.: Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt am Main 1979). 8
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schen Haupt- und Nebenwerken zu unterscheiden – herkömmliche Gattungsgrenzen scheinen außer Kraft gesetzt. Insbesondere die vielfachen Versuche – über die bekannten Interpretationen von Hölderlins, Rilkes oder Trakls Lyrik hinaus –, sich gleichermaßen literarischer Formen zu bedienen, zeigen besonders deutlich die Nähe zwischen Denken und Dichten, die Heidegger selbst immer wieder thematisiert hat, nicht um ihre Indifferenz zu markieren, sondern um deutlich zu machen, dass sie zwar ›zwei‹ sind, ihre strenge Unterschiedenheit jedoch selbst noch in den Bereich der Metaphysik fällt. An der Gattungsvielfalt und an der sprachlichen Suggestivkraft zeigt sich darüber hinaus, dass Heidegger sich bewusst und mit dem Alter auch zunehmend vom nüchternen akademischen Schreiben distanziert und stattdessen Wege gesucht hat, seine HörerInnen und LeserInnen nicht nur argumentativ, sondern auch affektiv zu erreichen. Insbesondere bei der Thematik der »Grundstimmungen« lässt sich kaum leugnen, dass Heidegger darum bemüht war, intensive Erfahrungen zu erwecken, die sich weder rein dem Denken noch rein dem Fühlen zuordnen lassen. Heidegger zielt hier auf einen Bereich ab, der jeder Dichotomisierung von Gedanke und Gefühl (ebenso wie derjenigen von Begriff und Metapher) vorausliegt, wie sie für die Philosophiegeschichte so typisch ist. Die derzeit aus so vielen Richtungen der Philosophie (oft in Anbindung an die Neurowissenschaften) unternommenen Bemühungen, diese Binarität zu unterlaufen, finden in Heidegger einen der prominentesten und entschiedensten Vordenker. Es stellt sich dabei die Frage, wie in einer Lektüre mit den Texten umgegangen werden soll, um das, was Heidegger jeweils sagen will, durch die Aufmerksamkeit auf das Wie dieses Sagens nachvollziehbar zu machen. Ziel des Bandes ist es, Wege einer solchen Aufmerksamkeit zu erproben, um die stilistischen und performativen Aspekte noch stärker als bisher in ihrer Irreduzibilität zu betrachten. Angesichts der Wirkmächtigkeit der französischen Heidegger-Rezeption, die ja in methodischer Weise an Fragen des Lesens und Schreibens sowie der Performativität der Sprache gekoppelt ist, erschien uns die Fortschreibung dieser Aufarbeitung auch im deutschsprachigen Kontext dringend geboten. Dass sie mit der vorliegenden Textsammlung nicht ab-, sondern aufgeschlossen werden soll, versteht sich von selbst. Es wäre immerhin einiges getan, wenn die Frage nach den ›Stilen‹ – in ihrer unverfügbaren Pluralität, wie sie Derrida bei Nietzsche herausgearbeitet hat – mit den hier versammelten Texten nicht länger als randständiger Zweig A
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Einleitung. Die Stile Martin Heideggers
der Heidegger-Forschung betrachtet werden würde, sondern als längst notwendige und nun endlich auf den Weg gebrachte Besinnung auf die vielfältige und anhaltende Wirkung eines der wohl größten, aber eben auch problematischsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Dazu bedarf es einer genaueren Diskussion dessen, was mit der Rede vom Stil überhaupt gemeint sein soll. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich der Stilbegriff verbreitert und an klarer Konturierung verloren. Die Rede vom ›Stil‹ kann heute Denkstil meinen oder grammatischen Stil, allgemeiner einen Sprachstil, auch einen Argumentationsstil, »eine ausgeprägte, die Einzelzüge beherrschende Art und Weise des künstlerischen Gestaltens« 9 oder auch den Selbstausdruck einer personal verfassten Innerlichkeit – »Im Ganzen ist der Stil eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Innern«, bekennt Goethe in seinen Gesprächen mit Eckermann 10 – und vieles mehr. Nicht zuletzt ist die »Vorstellung vom Stil […] durch den Virus des berühmten je ne sais quoi infiziert« 11 , d. h. durch den intuitionistischen Mythos, Stil verdanke sich einer kaum auf den Begriff zu bringenden, einzigartigen Leistung eines Autorengenies. So verstanden bliebe Stil ein bloßes Wunderding, das dem Interpreten letztlich durch schiere Faszination die Sprache verschlägt – Stil als ein ineffabile. Insbesondere die strukturalistische Stilistik hat diese Auffassung mit guten Gründen kritisiert; sie hat den Stil zum »unbequemen Gegenstand« 12 erklärt – sich dadurch aber glücklicherweise nicht an seiner Untersuchung hindern lassen. In Anlehnung an poststrukturalistische Ansätze, aber insbesondere auch an Heidegger selbst, sehen wir gerade diese gewachsene Vieldeutigkeit des Stilbegriffs als das eigentlich Produktive an. Wie kaum ein anderes Grundwort der Interpretation bietet er eine Plattform, die es individuellen Forschungsansätzen und damit je singulären Ausprägungen des Philosophierens ermöglicht, im Dialog mit Texten und Autoren neue Sondierungen vorzunehmen und unerwartete Zusammenhänge ans Tageslicht zu bringen. Mit der Rede von Stilen meinen wir daher Volkelt, Johannes: »Vierter Vortrag: Die Stile in der Kunst«. In: ders.: Ästhetische Zeitfragen. München 1895, 111–148, hier 114. 10 Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe. Frankfurt am Main / Leipzig 1955, 101. 11 So konstatiert mit Recht Delas, Daniel: »Vorwort zur französischen Originalausgabe«. In: Michael Riffaterre, Strukturale Stilistik. München 1973, 14. 12 Ebd. 9
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ganz bewusst eine doppelte Pluralität: zum einen die diversen und durchaus heterogenen Stilkonstellationen in Heideggers Texten selbst – die immer sprachliche, aber auch und zumal Denkstile verschiedener Ausprägung mit einschließen; daneben aber auch die vielfältigen Verständnisse von ›Stil‹, die sich für die Autorinnen und Autoren als Sondierungsinstrumente jeweils ganz eigener Art eignen. Wenn es für Heidegger – insbesondere in der ›Arbeit am Wort‹, wie sie sich im Spätwerk vollzieht – in Gegentendenz zur begrifflichen Einschnürung der Tradition um die Freisetzung unterdrückter Polysemien geht, dann aus dem Streben heraus, das volle Sinnpotential der Wörter auszumessen, die sich uns als philosophisch relevante zeigen. Das führt aber nicht zu semantischer Beliebigkeit. Es macht vielmehr die Grenzen bewusst, an denen sich die Vielfalt der Bedeutungen sammelt und in sich strukturiert. 13 In diesem Sinn sind Wörter und Worte für Heidegger jeweils eigene Horizonte, nicht bloße Behälter semantischer Beliebigkeiten; und so zeigt sich gerade durch die Sprache die jeweilige Charakteristik der Sachen, von denen die Wörter sprechen, in einer Vielfalt, die doch immer an die jeweilige »Sache selbst« gebunden bleibt. 14 Wörter, auch Begriffe, werden zu Anlässen, die durch sie gemeinten Themen als solche in ihrer »Wesensfülle« (vgl. GA 7, 56 f.) zu erkunden. Ziel ist dabei im strengen Sinn eine Differenzierung: das Freilegen einer in sich gegliederten Pluralität unter dem Dach derselben Sache. Mit dem Stilbegriff gehen wir im vorliegenden Band ähnlich um. Wir nehmen ihn zum Anlass, bei Heidegger in produktiver Weise variierende Stildimensionen aufzufächern, ohne dabei das zu vernachlässigen, was unseres Erachtens zum Kernbestand jeder Heidegger-Inter»Vieldeutigkeit« sei, so betont Heidegger bereits in der Marburger Aristoteles-Vorlesung vom Sommersemester 1925, »Index dafür […], daß der Wortbereich […] erwachsen ist aus einem echten Verhältnis zu, einer echten Vertrautheit mit den Sachen, daß die Vielfachheit des Bedeutens von der Sache gefordert wird, eine gegliederte Mannigfaltigkeit des geschiedenen Bedeutens; daß die Sache so ist, daß sie von sich her denselben Ausdruck, aber ihn in verschiedenen Bedeutungen her fordert.« (GA 18, 22 f.; vgl. 172) 14 Bereits in der Anzeige der hermeneutischen Situation schreibt Heidegger mit Bezug auf die aristotelische Beobachtung des mehrdeutigen Gebrauchs der Rede vom Seienden: »Die Einstellung auf Vieldeutigkeit (πολλαχῶϚ λεγόμενον [pollachos legomenon, die Hrsg.]) ist kein bloßes Herumstochern in isolierten Wortbedeutungen, sondern Ausdruck der radikalen Tendenz, die bedeutete Gegenständlichkeit selbst zugänglich und die Motivquelle der verschiedenen Weisen des Bedeutens verfügbar zu machen.« (GA 62, 352) 13
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I. Durchformungen: Stil als Denkstil
pretation gehören muss, die sich des Stilbegriffs bedient. Wie er auch jeweils gefasst wird, Stil steht bei Heidegger stets unter dem Anspruch der Performativität: Er kann nicht starre Formeigenschaft sein, sondern muss sich als charakteristische Prägung eines Denk- und Sprachvollzuges manifestieren. Damit hängt zusammen, dass Stil bei Heidegger stets unter einem transformativen Anspruch steht: Er ist nicht die bloße Illustration einer herauszupräparierenden Aussage, ist kein bloßer eye catcher 15 , sondern das entscheidende Feld, auf dem sich und durch das sich die angezielte Verwandlung des Denkens vollziehen muss. Diese Konstanten – Performativität und Transformativität – machen für uns den Horizont aus, der mit der Rede von den Stilen Martin Heideggers konstitutiv mitgegeben ist. Erst auf dieser gemeinsamen Grundlage ist ein übergreifendes Gespräch zum Thema »Stil bei Heidegger« möglich; und erst so lässt sich dann auch die strukturierte Pluralität der Stilverständnisse in Heideggers Texten herausarbeiten. Auf vier Feldern widmen sich die vorliegenden Beiträge diesem Desiderat. Alle sind sie sich darin einig, dass der Sprach- bzw. Redestil bei Heidegger stets ineins Denkstil ist – und somit auch Argumentationsstil.
I.
Durchformungen: Stil als Denkstil
Ein erster Schritt konzentriert sich auf den Stil als eine Figur des Übergangs von einer metaphysischen Auffassung der Sprache hin zu einer, die auf die Performativität und Medialität des Sprechens achtet. So interpretiert Dieter Mersch, in Abgrenzung von klassisch-rhetorischen Stilbegriffen, Heideggers Streben nach einer Überwindung oder »Verwindung« der Metaphysik als grundsätzlich performative und mediale Bewegung: Sie ereignet sich wesentlich im Medium der Sprache – im »Übergang […] zu einer anderen Art des Sprechens«. Nicht neue Metaphern und Figuren sind dabei gefragt, sondern der aktive Prozess eines In-Bewegung-Bringens der Sprache selbst. Durch Heideggers Interventionen ins Sprachgefüge entsteht eine Sensibilisierung für metaphysikhaltige Ablagerungen in der philosophischen Rede, für die Fixierung auf »Sein, Grund, Wahrheit, Vernunft und Urteil«. Ihr gegenüber Vgl. dagegen die aufmerksamkeits- bzw. kommunikationstheoretisch-strukturalistische Konzeption Michael Riffaterres (»Kriterien für die Stilanalyse«. In: ders.: Strukturale Stilistik, 29–59).
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I. Durchformungen: Stil als Denkstil
sucht Heideggers Spätdenken die Verwindung der Metaphysik gerade im Performativen, in »Sprung« und »Wechsel der Tonart«: in einem vollzugshaften Denken, das sich um die Sprach- und damit Selbstverwandlung der denkerischen Rede bemüht: »Heidegger ›macht‹ […] etwas mit Sprache«. Patrick Baurs Interesse gilt einem zentralen Stil- und Denkdesiderat des späteren Heidegger: dem »einfachen Sagen«. Den denkstrategischen Sinn dieser Figur sieht Baur in Heideggers Bemühen um eine »Überwindung der Metaphysik«. Wesentliche Bedeutungsmomente dieser Zielgestalt zeigen sich allerdings erst im Rückgang auf ihre werkgeschichtliche Genese. Sie beginnt mit Heideggers frühen Analysen des aristotelischen Definitionsbegriffs (horismos) und entwickelt sich von hier aus in Richtung Metaphysikkritik. Gemeinsames Moment am Beginn und am Ende der Entwicklung bleibt aber die Forderung nach einem radikal gewandelten Bezug zu den »Sachen selbst«. Vor diesem Hintergrund macht auch Baurs Beitrag sichtbar, dass »einfaches Sagen« nicht als binnensyntaktische Struktur im Sinn der klassischen Rhetorik aufzufassen ist, sondern als ein performativ gewandelter Stil des Bezuges zum »zu Denkenden« – und dass Heideggers Kritik an der abendländischen Metaphysik nicht zuletzt auch auf einer problematischen Opposition gegen die Figur des Komplizierten beruht. Martina Roesners Beitrag widmet sich Heideggers tautologischen Sprachformen. Zwar lassen auch sie sich vom späteren »Projekt einer Dekonstruktion der traditionellen Metaphysik« her verstehen – als »performative Überwindung« metaphysischer Sprachmuster. Darauf beschränkt sich ihr Sinn aber nicht. Weder kommen sie nur im Spätwerk vor, noch darf ihre Funktion auf eine bloß im Negativen verharrende Abkehr von der Tradition eingegrenzt werden: Sie sind jeweils Versuche, in positiver Weise, also sachentfaltend, »das Selbe« zu thematisieren. Vor diesem Hintergrund legt Roesner ein differenziertes »Entwicklungsrelief« tautologischer Sprachfiguren von Heideggers Früh- bis zur Spätphase frei. Deutlich wird so auch, dass sie bereits in Grundmotiven und Aporien von Husserls Transzendentalphänomenologie angelegt sind. In ihrer letzten Dimension erweisen sich die diversen Figuren tautologischer Denkrede aber an Heideggers Aufwertung des Schweigens gebunden: Sie sind, so Roesner, »hörbare Spiegelbilder« eines Schweigens, das sich ebenfalls auf das Moment des »Selben« bezieht und daher auch als »Tautosigé« zu bezeichnen wäre.
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II. Abgrenzungen: Stil als Identitäts- und Differenzfigur
II.
Abgrenzungen: Stil als Identitäts- und Differenzfigur
Eine zweite Trias von Beiträgen untersucht die Frage, wie Heidegger gerade auf dem Feld des Stils entscheidende Distinktionsmerkmale seines eigenen Denkens gegenüber dem Philosophieren anderer festmacht – zunächst am Beispiel seiner Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus (Susanna Lindberg, Adrián Navigante). Dazu stellt sich in anderer Gewichtung auch Matthias Flatschers Beitrag, der aufzeigt, wie sich das Feldweg-Gespräch stilistisch auf der auch biographisch motivierten Fluchtlinie einer Neu(er)findung oder Suche nach der eigenen denkerischen Identität bewegt. »Now, what is Heidegger actually doing here?« Wie ein Leitmotiv zieht sich diese Frage nach Heideggers Denkverhältnis zu Hegel durch den Beitrag von Susanna Lindberg. Sie betont das aktive Moment von Heideggers Lektüren: Entgegen seiner Selbstauslegung ist ihre besondere Sprachwahl mehr und anderes denn bloße Konsequenz eines »Zuspruchs des Seins«. Dadurch rücken Heideggers eigene, performative »procedures of deconstruction« in den Blick. Ihr Grundmoment ist ein charakteristisches pathos. Heideggers »Dialog« mit Hegel sieht sich selbst als »Gespräch«, als »abhebende Verdeutlichung« oder »Auseinandersetzung« – jede dieser Selbsteinstufungen steht für eine bestimmte Stilstrategie, in der sich ein spezifisch leidenschaftlicher (passionate) Diskurs inszeniert und vollzieht. Lindberg zeigt damit exemplarisch, dass spezifische Unterschiede zwischen philosophischen Positionen nicht einfach durch die Verschiedenheit der jeweiligen Denkgegenstände entstehen, sondern auch und zumal der performativen Diskrepanz zwischen Denkstilen geschuldet sind, die argumentativen und zugleich identitätsstiftenden Rang haben. Adrián Navigante beschäftigt sich mit Heideggers dichterischem Denkstil und prägt dafür das Bild einer »Asymptote« von Dichten und Denken. Exemplifiziert wird diese Bewegung anhand einer kritischen Abkehr vom systematisierenden und totalisierenden Sprachverständnis, wie es der Deutsche Idealismus und darin insbesondere die Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes verkörpert. So wie einst die frühromantische Bewegung sich von Fichtes systematischem Denken abgesetzt hatte, um ein Absolutes zur Sprache bringen zu können, das gerade nicht das reflexive Ich Fichtes ist und von dem wir in gleicher Weise getrennt wie auf es bezogen sind, so lässt sich auch bei Heidegger eine Abkehr von Denk- und Sprachformen feststellen, die zu einer Ver18
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III. Auseinandersetzungen: Stil in, mit und gegen Gemeinschaft
stellung der menschlichen Endlichkeit und Zeitlichkeit führen. Heideggers Denkweg verdankt ab 1929 neben der Hölderlinschen auch der frühromantischen Poetologie sehr viel und jedenfalls mehr, so Navigante, als von ihm selbst eingestanden. Matthias Flatscher widmet sich in seinem Beitrag Heideggers Bemühen um einen seinem Denken angemessenen Stil im Feldweg-Gespräch Anchibasie. Im Anschluss an eine Rekonstruktion seiner historischen Entstehungsbedingungen während der letzten Kriegswochen in einer überaus unsicheren und von Selbstzweifeln geplagten Lebenssituation der Identitätsneufindung arbeitet Flatscher das responsive Moment des Gesprächs als Zusammenspiel von Zuspruch und Antwort heraus. Im Zuge seiner detaillierten philologisch-philosophischen Erörterung kommt Flatscher hinsichtlich der Frage, ob Heidegger den eigenen Anspruch, den bis dahin nur besprochenen Antwortcharakter des Daseins durch die Auffächerung seines Denkstromes auf drei Figuren tatsächlich performativ umzusetzen vermag, letztlich zu einem ernüchternden Ergebnis: Denn das allzu harmonistische Gesprächsende, in dem die Stimmen ineinander fließen, unterlaufe die Absicht, das »Gesprächwerden des Denkens« in seiner inneren Spannung anschaulich zu machen. Gerade die Gemeinschaft der Unterredenden, die dem Gespräch seine Prägung geben soll, bleibe das Ungedachte dieses Textes.
III. Auseinandersetzungen: Stil in, mit und gegen Gemeinschaft Haben die eben skizzierten genannten Beiträge die individuell identitätskonstituierende Funktion des Stils im heideggerschen Binnendiskurs nachgezeichnet, so betonen die Arbeiten im dritten Abschnitt die vergemeinschaftende Funktion des Stils: bei Arno Böhler im Zeichen des ›revolutionär-geschichtlichen‹ Stils, bei Bernd Bösel anhand der politischen Funktion von Heideggers Ekstatik und bei Sandra Man durch die Thematisierung von Öffentlichkeit und dem Stil der Verhaltenheit. Es handelt sich somit um Auseinandersetzungen innerhalb, mit und auch gegen eine Gemeinschaft, die sich jeweils über ihren Stil der Gemeinschaftsadressierung rekonstruieren lassen. Arno Böhler versteht das philosophische Stilproblem, das seit Nietzsche besonders sinnfällig geworden sei, mit Jean-Luc Nancy als ein fundamentales Problem der Adressierung des Denkens. Nancy habe auf dieses Problem dahingehend reagiert, dass er das »singulär Plurale« A
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III. Auseinandersetzungen: Stil in, mit und gegen Gemeinschaft
des Seins zur Grundlegung eines neuen Denkens heranzieht. Zwischen Nietzsche und Nancy ist freilich Heidegger derjenige Denker, der die Notwendigkeit einer stilrevolutionären Neubegründung der »Continental Philosophy« zur einheitsstiftenden Ausgangserfahrung seines Werks gemacht hat. Dabei setzt sich auch und vor allem Heidegger mit der Frage nach dem »Ende der Philosophie« bzw. ihrer möglichen Zukunftsträchtigkeit auseinander. Böhler zeichnet Heideggers absichtsvoll paradoxen Weg nach: nämlich einen großen Schritt zurück zu gehen, um für die Philosophie ein grundlegendes »Gedächtnis der Zukunft« zurückzugewinnen und damit eine neuerliche Öffnung des Denkens zu bereiten. Bernd Bösel liest in seinem Beitrag Heideggers Werk als gemeinschaftliche »Einübung ins Entrücktsein« und geht spezifisch den Verwerfungen des Willensbegriffs in Heideggers Schriften der 1930- und 40er-Jahre nach. Während Heidegger in der Rektoratsrede bei seinen HörerInnen einen aktivischen Willen zu mobilisieren versucht, der in seiner Radikalität mit der nationalsozialistischen Rhetorik konkurriert, stimmt er in den darauf folgenden Jahren einen anderen Ton an. Vor allem in den seinsgeschichtlichen Abhandlungen sowie in den FeldwegGesprächen lässt sich, so Bösel, die Abkehr von einem aktivischen Willen nachvollziehen, die allerdings in eine rein passivische Entrückungsform münde, welche letztlich einer metaphysischen Distinktion von Denken und Wollen geschuldet sei. Damit umgehe Heidegger allerdings die tatsächliche Auseinandersetzung mit seinem politischen Irrweg. Im Gegensatz zu diesem Verharren in einem »metaphysischen Totalitarismus« finde sich aber, vor allem im Aufsatz Wozu Dichter? eine andere Bahnung zu einem tatsächlich postmetaphysischen Verständnis des Willens, das nicht über das Begehrensmoment verläuft und damit auch nicht mehr dem Denken gegenübergesetzt werden muss. Sandra Man gibt der »Heidegger-Philologie« neuen Schwung, indem sie anhand eines close reading der ersten Seite der Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) der Problematik der Adressierung fast schon detektivisch nachspürt. Die Differenz zwischen dem »öffentlichen« und dem »wesentlichen« Titel, die Heidegger offenbar bewusst schon zu Beginn des Textes erläutert, rührt an die Frage, wie bzw. ob man sich stilwirksam von einer »Öffentlichkeit«, einem »Man« absetzen kann, wenn doch seit Sein und Zeit unmissverständlich klar ist, dass jede solche Absetzbewegung der »unhintergehbaren Alltäglichkeit« zu20
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IV. Überschreibungen – Überschreitungen: Stil als Grenze
gleich auch verhaftet bleiben muss. Die Suche nach einem Weg der Umwandlung des »Öffentlichen« in ein »Offenes« führt hierbei über den Ton, den Klang oder Anklang, in dem die Not der Seinsvergessenheit erklingt, sofern ihr ein »Klangraum« bereitet wird. Ein solche Aufmerksamkeit auf den Anklang führt aber, so Man, nicht um den Gleichklang des »Man« herum, sondern mitten durch ihn hindurch: »man hört mit, man spricht mit«.
IV. Überschreibungen – Überschreitungen: Stil als Grenze In je individueller Weise wird der Stilbegriff bei Peter Trawny, Peter Zeillinger und Artur Boelderl zu einem (auch) kritisch-diagnostischen Moment und damit zugleich zum Movens einer Überschreibung bzw. Überschreitung (auch) Heideggers. Ausgehend von der Herkunft des Stilbegriffs vom lateinischen stilus (Griffel) beschäftigt sich Peter Trawny mit der Frage, inwiefern der Stil ein philosophisches Werk prägt. Das »irreduzible Wie« des Stils kann mit Heidegger nicht länger als bloß zweckdienliche Übertragung subjektiver Gedanken gefasst werden, wie dies die neuzeitliche Stillehre eines George-Louis Leclerc de Buffon oder die klassische Rhetorik nahelegen. Vielmehr führt die nachmetaphysische Betrachtung des Stils zu einer »Abwesenheit« und einer »Dunkelheit«, die der Philosophie wesentlich zugehören – ein Begehren nach Fruchtbarkeit, das sich über die Gebärde des Schreibens in die (Hand-)Schrift überträgt. Trawny geht freilich mit Derrida über Heideggers Disjunktion von Hand- und Maschinenschrift hinaus und überantwortet den Stilbegriff einem Unsagbaren, das doch den Zeichen jedes Menschen ihr jeweils unwiederholbares Gepräge als »Tränen-, Blut- und Fruchtspur« dieses Spurlosen zuschickt. Im Ausgang u. a. von Jacques Derridas Gedanken der écriture und der différance entwickelt Peter Zeillinger mit der Rede vom Stil Ansätze zu einer »Phänomenologie des Lesens«, die herkömmliche und insbesondere klassisch-phänomenologische Annäherungen durch den besonderen Fokus auf das performative Moment des Lesens überschreitet. Auch dieses Moment selbst wird dabei noch »übersteigert« – Performanz nicht als Selbstausdruck, als Selbstvollzug eines »starken Subjekts«, sondern als »der implizit wahrnehmbare Ausdruck eines prinzipiell-Entzogenen«. Der Phänomenologie des Lesens geht es um das A
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IV. Überschreibungen – Überschreitungen: Stil als Grenze
Lesen als einen »mehr-als-performativen Sprechakt«. Vor diesem Hintergrund untersucht Zeillinger vor allem Heideggers Verhältnis zum Aussagesatz in Zeit und Sein: Ist die Rezeption im Sinne des Hörens oder Lesens einer bloßen »Reihe von Aussagesätzen« tatsächlich zu überwinden, wie es Heidegger hier andeutet? Im Blick auf die Phänomenologie des Lesens zeigt sich viel eher, dass auch der heideggersche Text in einer immer schon anderen Weise spricht. »Im Stillen denken ist der Denkstil Martin Heideggers« – im Ausgang von dieser Feststellung untersucht Artur Boelderls Essay die stilprägende Rolle von Heideggers Topos des Schweigens. Kernanliegen ist dabei die Restitution eines Bedeutungsmoments, das Heidegger laut Boelderl sowohl in seinem Diskurs der Sprachgebärde als auch im Diskurs der Stille verdeckt, wenn nicht gar verschwiegen hat: die – im Anschluss an Hannah Arendt gefasste – Geburtlichkeit des Menschen, die Boelderl als verschwiegenen Aspekt sowohl aus Heideggers Gebrauch des Verbs »stillen« heraushört wie auch aus dessen etymologischer Zurückführung des Wortes »Gebärde« auf das Tragen, Austragen und Gebären. So entsteht eine kritisch-differenzierte Lektüre des »Stils der Erschweigung« insbesondere der Beiträge zur Philosophie, die sich auf den Verdacht der »Geburtsverweigerung« zuspitzt. Damit wird ein entscheidendes Stildesiderat in Heideggers Spätwerk – die Stille – neu lesbar als »die Stille des Toten, die gegenüber dem lärmenden Geräusch des Lebendigen […] positiv abgesetzt wird.« Alle hier versammelten Beiträge lassen sich freilich immer auch quer zu dieser Anordnung lesen. So greifen, um ein Beispiel zu nennen, sowohl Patrick Baur und Martina Rösner als auch Artur Boelderl auf Stilmomente zurück, die auf ihre eigene Weise jeweils Formen semantischer Verweigerung konstituieren: Selbst wo das von Heidegger geforderte »einfache Sagen« (Baur) mehr würde denn bloßes Desiderat, verfiele es nicht in ein Viel-Sagen, gegen das sich Heidegger mehrfach ausgesprochen hat; 16 es bliebe einer Idee der Stille (Boelderl) und des Schweigens (Rösner) verbunden, um sich einer Heterogenität von Bedeutungsmomenten zu entziehen, die den »Sachen selbst« von außen auferlegt würde. Und ein verbindendes Moment der Beiträge u. a. von Dieter Mersch und Peter Trawny ist die jeweils antirhetorische Konstellation des Stilverständnisses. Wer diesen Sammelband liest, darf 16 Vgl. z. B. SuZ, 164 (GA 2, 218); Heidegger, Martin: Zollikoner Seminare. Protokolle – Gespräche – Briefe. Frankfurt am Main 2 1994, 30.
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IV. Überschreibungen – Überschreitungen: Stil als Grenze
sich – die Beispiele sollen das bekräftigen – dazu aufgefordert fühlen, das von uns gewählte Arrangement der Arbeiten zu hinterfragen und zu ändern. Es ist, so meinen wir im Blick auf die vorliegenden Beiträge, an der Zeit, einen Stilbegriff für die Philosophie fruchtbar zu machen, der über die Betonung rein struktureller Merkmale hinausgeht. Die Literaturwissenschaft – als Komparatistik, aber auch und zumal in Form der verschiedenen Wissenschaften spezifischer Regionalliteraturen – hat eindrucksvolle Instrumente zur Textinterpretation bereitgestellt, die in der Philosophie noch zu wenig aufgegriffen wurden. Ähnliches gilt für die Analysemittel der Rhetorik. Die Philosophie kann und darf sich hier bedienen. Sie verliert dadurch nicht ihren eigenen Charakter des Sachbezuges, sondern sie erweitert ihn. Die hier vorgelegten Beiträge entstanden im Rahmen der Tagung »Die Stile Martin Heideggers. Aspekte des Schreibens und Lesens«, die im September 2009 an der Universität Wien stattfand. Unser Dank gilt dem gastgebenden Institut für Philosophie der Universität Wien für die großzügige Unterstützung sowie insbesondere Matthias Flatscher, der sich hierfür als Ko-Organisator der Tagung ganz besonders eingesetzt hat. Die Veröffentlichung dieses Bandes wird durch einen Druckkostenzuschuss der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ermöglicht, der wir ebenfalls zu großem Dank verpflichtet sind. Herzlichen Dank auch an Dennis Basaldella für das umsichtige Korrektorat des Manuskripts. Last, but not least möchten wir allen Beitragenden danken, die durch ihre Texte und Diskussionsstatements eine fruchtbare und kollegiale Arbeitsatmosphäre geschaffen haben, an die wir mit diesem Band mit Freude erinnern möchten. Januar 2013 Freiburg / Wien / Potsdam Patrick Baur, Bernd Bösel, Dieter Mersch
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I. Durchformungen: Stil als Denkstil
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Philosophie ist das Gegenteil aller Beruhigung und Versicherung. Martin Heidegger (GA 29/30, 28)
1.
Die Frage nach der Metaphysik
Martin Heideggers Philosophie ist von Anfang an ›Kritik der Metaphysik‹ in ihrem ›Ganzen‹. »Der Name ›Metaphysik‹ wird hier unbedenklich zur Kennzeichnung der ganzen bisherigen Geschichte der Philosophie gebraucht« (GA 65, 432), heißt es in den Beiträgen zur Philosophie aus den späten 30er Jahren und eine Notiz von Anfang 1941 ergänzt: »Die Metaphysik kennt nur die Wahrheit des Seienden. Das Wort ist ihr nie anders bekannt geworden denn als Sprache und d. h. in Wörtern. Der Mensch der Metaphysik kennt ausschließlich das Seiende in seiner Seiendheit.« (GA 71, 174) Die Geschichte der Metaphysik beschreibt dabei jenes Ensemble von Diskursen, das auf Platon und Aristoteles zurückgeht und dessen Zeit und Wirkung mit Friedrich Nietzsche endet, der zwar Philosophie noch als Metaphysik betrieb, sie nach Heidegger allerdings schon nicht mehr verstand (vgl. GA 65, 218 f.). Die Unverständlichkeit rührt aus dem Effekt eines Bruchs, den Nietzsche aus der intrinsischen Verwicklung des Metaphysischen mit dem Nihilistischen diagnostizierte: Metaphysik verfahre in sich bereits nihilistisch, weil sie ihre eigene Quelle, das Leben, untergrabe und in der Vernunft noch die Vernunft der Vernunft, in der Wahrheit die Wahrheit der Wahrheit und im Wert den Wert des Wertes zu denken versuche und damit auflöse. Ihre Überwindung bedeute folglich die »Umwertung aller Werte« sowie den Umsturz des Wahrheitsdiskurses, wie er paradigmatisch in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne aus der Gegensetzung von Begriff und Metapher sowie Wissenschaft und
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Heideggers Rede
Kunst vollzogen wird. 1 Umsturz und im Wortsinne ›Revolvierung‹ der Metaphysik meint dann nicht nur die »Revolution der Denkungsart« wie bei Immanuel Kant, sondern in erster Linie eine Revolution der Rede, der Umwälzung des Sprechens selber. »Umwertung aller Werte« und entsprechend ›Metaphysikkritik‹ ereignet sich deshalb vorzugsweise im Medium von Sprache, nicht als Transformation ihrer Begrifflichkeit, sondern als ein Übergang vom Diskurs zu einer anderen Art des Sprechens, die nicht im Sinne von ›Rhetorik‹ auf dem Primat der Metapher oder Figur fußt, sondern die die im Sprachlichen sedimentierten metaphysischen Schichten zu befragen und zu ›überwinden‹ sucht. Indem die Philosophie zu ihrer Artikulation notwendig auf das Element des Linguistischen angewiesen ist – Heidegger wird von der Verwickeltheit des Denkens in die Sprache sprechen (vgl. GA 12, 176 ff.) –, deutet sich damit ein grundsätzlicher Wandel im Medialen an: Heideggers ›Rede‹, als »Überwindung von Metaphysik«, setzt, statt der in der metaphysischen Rede verfolgten diskursiven Struktur von Argumenten, deren Begründungen und Wahrheitswerte überprüft werden, auf die kreative Dimension eines Sprechens, das sich im Sprechen zu verwandeln sucht. Philosophie bedeutet Sprachsetzung, Sprachfindung: Seit Nietzsche, und mit Vorläufern im 19. Jahrhundert, vor allem Johann Gottfried Herder und Wilhelm von Humboldt, hat die Philosophie dieses Thema nicht mehr losgelassen. Seither bedeutet alle Philosophie gleichzeitig Sprachkritik, Sprachentgrenzung, Sprachexperiment. Das gilt für Heidegger nicht weniger als für Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin oder Theodor W. Adorno und besonders für die großen poststrukturalistischen Theoretiker, für Jean-François Lyotard und Jacques Derrida. Sie nähern sich der Poetik an. Philosophie müsste man eigentlich dichten, lautete eine lapidare Sentenz Wittgensteins, und die »Dichter in dürftiger Zeit« werden zum Vorbild für das gesamte philosophische Œuvre von Heidegger (vgl. GA 5, 269–320). Ist darum sein Stil dichterisch? Wir werden diese These zu prüfen haben und ihr eine andere entgegensetzen, die weit eher die Performativität des Stils in einem bestimmten Sinne von Performation ins Zentrum stellt. Impliziert die »Metaphysik« für Heidegger, seit ihrem »ersten Anfang«, die »Versagung des Seins bis zur Seinsverlassenheit«, bildet ihre Kritik entsprechend die Befreiung aus deren Fesseln und das Entkom1 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. KSA 1, 875–890.
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men aus der »Herrschaft des Platonismus« (GA 65, 196). Sie erfordert gleichzeitig eine Befreiung aus ihrer traditionellen Ordnung von Texten und Textsorten, deren Festlegungen auf einer durchschaubaren Kette von Evidenzen, Beweisen und Argumenten fußen, die ihren Sinn und ihre Legitimität erzeugen. Der Schlüssel zur metaphysischen Art der Rede und damit des gesamten ›abendländischen philosophischen Sprechens‹ ist so der Zusammenschluss von Wahrheit und Grund. Der Zusammenschluss meint, dass der Diskurs, der nach Wahrheit fragt, stets zugleich nach deren Berechtigung fragt, und ›Recht‹ oder ›Rechtmäßigkeit‹, diese Begriffe, die der Rechtssphäre entlehnt sind, stellen sich durch die Praxis der Rechtfertigung, der Begründung her. Die philosophische Rede vermag daher ihre Richtigkeit oder Berechtigung nur dort zu beanspruchen, wo sie als fundiert gilt, d. h. sich durch einen Grund ausgewiesen hat. Der metaphysische Diskurs ist, als Wahrheitsdiskurs, mithin stets ein Begründungsdiskurs. Heidegger hat diesen Zusammenhang immer wieder thematisiert, sowohl in Was ist Metaphysik als auch in Vom Wesen des Grundes und Vom Wesen der Wahrheit sowie, besonders, in seinem Vortrag Der Satz vom Grund (vgl. GA 10, 171–189), vorzugsweise exemplifiziert anhand der Metaphysik des Aristoteles und ihrer Fortführung bei Leibniz. Danach beinhalte das aristotelische ti esti, »Was ist«, von Anfang an eine Form des Fragens, die das »Was«, die Bestimmung der quidditas, der Washeit oder des »Wesens« privilegierte. Metaphysik, als Erste Philosophie, wird so insonderheit durch die spezifischere Frage ti to on, »Was ist dieses Seiende«, geleitet und entdeckt das ›Was-Sein‹ im Grund, der zugleich die Bestimmung des Seienden ›als‹ dem Seienden (on he on) bedeutet, welche Aristoteles auf die Herkunft und erste Ursache zurückführt: episteme theoretike ton proton archon kai aition 2 . Entsprechend hängen Sein, Grund und Wahrheit aneinander: Nichts anderes bedeutet Metaphysik als Ontologie, die sich späterhin zur Epistemologie wandelte, indem der Grund neuzeitlich in die Prinzipien der Erkenntnis und damit der Subjektivität des Subjekts transformiert wurden. Überall aber ist der Ort ihres Zusammentreffens – sei es von Sein, Wahrheit und Grund oder Wahrheit, Erkenntnis und Rationalität, des clare et distincte Descartes’, das die eigentliche evidentia stiftet, der apophantische Satz – das Urteil oder, modern gesprochen, die Proposi-
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Vgl. Aristoteles: Metaphysik Α 2, 982 b.
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tion. 3 »Das Urteil« aber, kommentiert Heidegger ›dekonstruierend‹ im Satz vom Grund, »ist connexio praedicati cum subiecto, Verknüpfung des Ausgesagten mit dem, worüber ausgesagt wird. Das, was als die einigende Einheit von Subjekt und Prädikat deren Verknüpfung trägt, ist der Boden, der Grund des Urteils. Dieser gibt die Berechtigung für das Verknüpfen. Der Grund gibt die Rechenschaft für die Wahrheit des Urteils. Rechenschaft heißt lateinisch ratio. Der Grund der Wahrheit des Urteils wird als die ratio vorgestellt.« (GA 10, 173)
Tatsächlich hat Heidegger in immer neuen Varianten diese ›negative Teleologie‹ einer Reduktion der Frage nach dem Sein auf den rationalen Satz zu rekonstruieren versucht. So findet sich eine Kurzversion der gleichen Verfallsgeschichte in den Beiträgen unter dem Stichwort »Das Er-denken des Seins« (GA 65, § 265): »Nun wird durch eine bestimmte Auslegung des Seins (als idea) das noein des Parmenides zum noein des dialégesthai bei Plato. Der logos des Heraklit wird als Aussage, wird Leitfaden der ›Kategorien‹ […]. Die Verkopplung beider zur ratio und d. h. die entsprechende Fassung von nous und logos bereitet sich bei Aristoteles vor. Die ratio wird ›mathematisch‹ seit Descartes; dies ist nur möglich, weil dieses mathematische Wesen seit Platon angelegt und als eine Möglichkeit in der aletheia der physis gegründet (ist). Das ›Denken‹ […] im Sinne der Aussage wird zum Leitfaden […] [und] gibt dann schließlich auch die Anweisung für die Auslegung des Denkens […] als Grundhaltung der Philosophie.« (GA 65, 457) 4
Tatsächlich bildet dies den Kern der heideggerschen Kritik der Metaphysik als »Logozentrismus« – so der spätere Ausdruck Derridas –, 5 3 In Identität und Differenz heißt es auch: »Die Metaphysik denkt das Seiende als solches, d. h. im Allgemeinen. Die Metaphysik denkt das Seiende als solches, d. h. im Ganzen. Die Metaphysik denkt das Seiende sowohl in der ergründenden Einheit des Allgemeinsten […] als auch der begründenden Einheit der Allheit […]. So wird das Sein des Seienden als der gründende Grund vorausgedacht. Daher ist alle Metaphysik im Grunde vom Grund aus das Gründen, das vom Grund die Rechenschaft gibt, ihm Rede steht und ihn schließlich zur Rede stellt.« (GA 11, 65 f.). 4 Ähnlich auch ebd. GA 65 § 91, 183 ff., §§ 100–102, 195 ff., § 110, 208 ff. 5 »Der Logozentrismus ist in einem ursprünglichen und nicht ›relativistischen‹ Sinne eine ethnozentrische Metaphysik. Er ist gebunden an die Geschichte des Abendlandes.« (Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt am Main 1974, 140.) Er erweist sich als Zentrierung des Denkens im Logos, in der Vernunft. Ihre Erfüllung wäre der Rationalismus, wie er sich bei Leibniz im Satz vom Grund enthüllt: »[J]eder Entwurf [ist] […] nur in dem Maß theoretischer Entwurf […], in dem er beansprucht, sich selbst zu enthalten, indem er alle anderen enthält, das heißt, indem er sie überbordet, sie überschreitet, sie in
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der nicht nur auf einer bestimmten Vorstellung von Logos beruht, sondern ebenfalls auf der dezidierten Engführung des Sprechens auf den prädikativen Satz ›A ist p‹. Er schließt Sein (Wesen), Wahrheit (Richtigkeit) und Grund (ratio) so zusammen, dass das ›p‹ mit den wesentlichen Eigenschaften von ›A‹ übereinstimmt (adaequatio). Jeder Diskurs ist an Sprache als seinem Medium gebunden; er bildet eine Ordnung aus Sätzen oder Urteilen, die gemäß den Gesetzen der Logik auf andere Sätze oder Urteile zurückgeführt werden. Doch spricht das Urteil selbst noch »keine Wahrheit«, wie Heidegger im Satz vom Grund fortführt: »Das Urteil ist nur dann eine Wahrheit, wenn der Grund der Verknüpfung angegeben, wenn die ratio, d. h. die Rechenschaft abgelegt wird« (GA 10, 174), die ihrerseits jedoch in einer Identität gründet. Mithin verbindet sich der ›Satz vom Grund‹, der nicht nur die Notwendigkeit einer zureichenden Begründung behauptet, sondern – nach Leibniz – sogar postuliert, dass ›alles‹ seinen Grund hat und nichts ohne Grund ist, mit dem Grund als ›Satz‹, der selbst wiederum in einer Identifikation wurzelt, die das Urteil mit seiner ›Sache‹ kurzschließt. 6 Seit alters gilt dieser Kurzschluss zwischen einai-ti und te legein, wie auch Cornelius Castoriadis herausgestellt hat, als Kriterium aller Wissenschaften: »Seit fünfundzwanzig Jahrhunderten beruft, bearbeitet, entfaltet und verfeinert sich das griechisch-abendländische Denken auf der Grundlage dieser These: ›sein‹ heißt ›etwas Bestimmtes sein‹ (einai-ti); ›sagen‹ heißt ›etwas Bestimmtes sagen‹ (ti legein) und, natürlich, ›wahr sagen‹ heißt, das Sagen und das Gesagte den Bestimmungen des Seins gemäß oder das Sein den Bestim-
sich einschreibt. Jeder Entwurf wird strukturiert, konstruiert, entworfen, um von allen anderen Entwürfen (vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen) Rechenschaft abzulegen und aufzuzeigen, worin sie gründen. […] Als theoretischer Entwurf folgt dieser Anspruch – aufzuzeigen, worin alle anderen Entwürfe gründen […], Rechenschaft abzulegen – dem Satz vom Grund […].« (Derrida, Jacques: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, NewIsmen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen. Berlin 1997, 9) Derridas Begriff des Logozentrismus erweist sich so als Reformulierung der Heideggerschen Rede von der Metaphysik als eine Form des abendländischen Denkens, soweit dessen Mitte die Ratio und sein Zentrum die Begründung (rationis) sei. 6 Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: »Monadologie«. In: ders.: Die Hauptwerke. Stuttgart 1967, § 32, 138; dort als principium reddendae rationis sufficientis ausgewiesen; vgl. ebenfalls ders.: Theoria motus abstracti (Theorie der abstrakten Bewegung) [1671], Sämtliche Schriften und Briefe. Darmstadt / Berlin 1923 ff., Reihe VI 2 §§ 44 und 196, dort auch principiium magnum, grande et nobilissimum genannt.
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mungen des Sagens gemäß zu bestimmen und am Ende festzustellen, daß die einen und die anderen Bestimmungen zusammenfallen.« 7
Das Zusammenfallen der Bestimmungen, die adaequatio intellectus et rei oder praedicationis et rei verbürgt sich folglich in einem Ringschluss, der den Begriff des Seins in der ›Wahrheit des Seins‹, die Wahrheit des Seins im ›Grund‹, der Grund im ›Satz‹, der Satz in der ›Korrespondenz zwischen Aussage und Ausgesagtem‹ und der Grund wiederum dieser Korrespondenz in der Wirklichkeit des Wirklichen gründet, die die repraesentatio in die eigentliche Präsenz des Realen als Ursache (causa) zurückstellt. Erst dann erscheint ein Urteil vernünftig, die Aussage luzide, ihre Bestimmung legitim und ihre Wahrheit offenkundig, sodass alles auf den Grund und seine Begründung, das principiium rationis zurückkehrt, das sich auf diese Weise als organisatorisches Zentrum der Rationalität des Diskurses und somit der gesamten Metaphysik erweist: »Der Satz vom Grund ist insofern der oberste Grundsatz der Vernunft, als durch ihn die Vernunft erst als Vernunft zur vollen Entfaltung ihres Wesens gelangt.« (GA 10, 176) Wir spüren, dass hier etwas seltsam in der Luft hängt. Offenkundig verweisen die Begriffe Sein, Grund, Wahrheit, Vernunft und Urteil wechselseitig aufeinander. Sie spannen ein ineinander gewirktes Netz auf, ›dichten‹ ein undurchdringliches Gewebe aus Bezügen, dessen Mitte freilich frei bleibt. Anders ausgedrückt: Die Rede der Metaphysik, die vernünftige Rede zu sein sucht und den Wahrheitsdiskurs der Philosophie trägt und ›austrägt‹, ist nirgends festgemacht. Deswegen spricht Heidegger auch von der Bodenlosigkeit der Vernunft sowie der »ungründigen Abgründigkeit« ihres Grundes (GA 10, 165 f.). Sie unterläuft die Rede, die Begriff und Bestimmung sein will, sprengt die Diskurse, die exakt zu sein versuchen und die Philosophie als Wissenschaft zu fundieren trachten, indem sie nichts gelten lassen außer der Vernunft oder der Sprache der Logik – und die sich gerade darin als inadäquat, als »von Grund auf« verfehlt und als »Irrtum und eine Verkennung des innersten Wesens der Philosophie« erweisen (GA 29/30, 2) – als eine Unterwerfung und Verleugnung des Denkens als Denken (vgl. GA 29/ 30, 3 f.; 7), das sich auf diese Weise selbst in die Bahn einer Umkehrung oder Inversion bringen muss:
7 Castoriadis, Cornelius: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Frankfurt am Main 1984, 372.
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»Der […] Verzicht auf eine Definition scheint die Strenge des Denkens preiszugeben. Es könnte aber auch geschehen, daß jener Verzicht das Denken erst auf den Weg einer Anstrengung bringt, die erfahren läßt, welcher Art die sachgerechte Strenge des Denkens ist. Dies läßt sich niemals vom Richtstuhl der Ratio herab entscheiden. Sie ist durchaus kein gerechter Richter. Sie stößt bedenklich alles ihr Ungemäße in den vermeintlichen und überdies von ihr selbst ausgegrenzten Sumpf des Irrationalen. Die Vernunft und ihr Vorstellen sind nur eine Art des Denkens und keineswegs durch sich selbst bestimmt, sondern durch jenes, was das Denken geheißen hat, in der Weise der Ratio zu denken. Daß sich deren Herrschaft als Rationalisierung aller Ordnungen, als Normierung, als Nivellierung im Zuge der Entfaltung des europäischen Nihilismus aufrichtet, gilt ebenso zu denken wie die dazugehörenden Fluchtversuche in das Irrationale.« (GA 9, 388)
2.
Delegitimierung und ›Sprung‹
Die darin als unumgänglich erfahrene »Überwindung« – oder wie es später heißt: »Verwindung« (z. B. GA 71, 168) – der Metaphysik kann sich allerdings nicht in der Negativität ihrer Kritik erschöpfen. Mehr noch, ihre Kritik verstrickt sich selbst in dessen Zirkularität, indem das krinein ihrer Deutung noch eines Kriteriums bedarf, aus der sie sich ihrerseits legitimiert. Sie wiederholt auf diese Weise, wie Heidegger sich ausdrückt, die »Großmächtigkeit« (GA 10, 33 f., 47) des Prinzips und damit den bedingungslosen Herrschaftsanspruch der Rationalität (vgl. GA 10, 176 f.), dem sie gerade zu entkommen sucht. Das gilt auch für die Sprache, die Auszeichnung des Begriffs vor der Metapher oder die Privilegierung des propositionalen Satzes, deren Fortschreibung sich in den Widerspruch verwickeln würde, zugleich das zu bestätigen, was sie kritisiert. Daher kann es in der Kritik der Metaphysik, wie Heidegger in den Beiträgen notiert, niemals nur um eine »Umkehrung« metaphysischen Denkens gehen – »gerade das seynsgeschichtliche Denken« wisse vielmehr von dieser, »daß in ihr die härteste und verfänglichste Versklavung sich geltend macht; daß sie nichts überwindet, sondern in der Umkehrung nur das Umgekehrte erst zur Macht bringt und ihm seine bisher fehlende Verfestigung und Vollständigkeit verschafft« (GA 65, 436). Als notwendig erweist sich stattdessen die »Umwandlung« des Wesens des Denkens selbst. Heideggers ganze Denkanstrengung ist darauf gerichtet, anders zu denken – nichts anderes bezeugt der Wechsel in der Terminologie von »Sein« zu »Seyn« und der Rede vom 32
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»ersten« und vom »anderen Anfang« (GA 65, bes. VIII, 421 ff.). Sie stößt jedoch auf die Schwierigkeit, im Denken das Denken selber zu verwandeln – eine unendliche wie zuletzt vergebliche Bemühung, weil es gilt, im Denkprozess alle Spuren des »bisherigen« Denkens zu tilgen, d. h. auch jene Sprache abzulegen, die sich bis in ihre äußersten Fasern von den Begriffen der Metaphysik durchfurcht und affiziert sieht, um sich in ein anderes Sprechen einzuüben. 8 Solche ›Arbeit‹ am Sprechen – anders als die hegelsche »Arbeit am Begriff« – bedarf der beständigen Intervention, mithin bereits einer Arbeit im Performativen, die gleichsam in der Rede die Rede ›ver-setzt‹ und darin anders ›formatiert‹. Der Stil Heideggers ist dieser Bemühung geschuldet. Sie ist wesentlich ›Übung‹ (askesis), die als solche immer vorläufig und ohne Könnerschaft bleibt und als Askese der buchstäblichen Zurückhaltung bedarf. Dazu gehört, das Denken als Denken und das Sprechen als Sprechen neu zu verfassen, eine Verfassung, die sich wiederum nicht länger auf einen bereits bestehenden Kanon von Schriften oder Ideen berufen kann, deren sie ihre Anleitung und Methode entnimmt, sondern im Ausgangspunkt dieser und in der fortlaufenden Prozedur einer Verschiebung ihre Vorurteile zu durchqueren und sie zu »destruieren« versucht. 9 Dabei bedeutet »Destruktion«, wie es schon in Sein und Zeit angedeutet, nicht, nach avantgardistischer Manier das Alte zu zerstören und noch ihre Trümmer zu beseitigen, sondern den beharrlichen »Ab8 Immer wieder ist hinsichtlich des Versuchs, ›anders‹ als die Metaphysik zu denken oder zu sprechen, auf eine Paradoxie hingewiesen worden: Man kann sowenig im Denken das Denken verwandeln wie sich kraft der eigenen Reflexion von Grund auf erneuern, weil die Reflexion immer schon jene Bedingungen in Anschlag gebracht haben wird, die sie zu erneuern trachtet. Wittgenstein bemerkt deshalb in der Vorrede zum Tracatatus, dass das Buch »dem Denken eine Grenze ziehen« will, »oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt).« Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Frankfurt am Main 8 1971, 7. Dasselbe gilt für den Anspruch, nicht nur dem Denken eine Grenze zu ziehen, sondern diese auch noch überschreiten zu wollen. 9 Verschiedentlich ist auf die Sprachanstrengung als Anstrengung der Verwandlung des Denkens bei Heidegger hingewiesen worden, vgl. etwa Gadamer, Hans-Georg: »Ethos und Ethik«. In: Gesammelte Werke III. Tübingen 1987, 350–374, hier: 374. Vom »Neusetzen von Maßstäben« spricht Gadamer weiter, ders.: Der Denker Martin Heidegger, ebenda, 223–228, vom »Sprach-Ereignis« Ullrich Wolfgang: Der Garten der Wildnis. Zu Martin Heideggers Ereignis-Denken. München 1996, oder auch von einer »esoterischen Initiative« mit Blick auf das Unbetretbare Trawny Peter: Adyton. Heideggers esoterische Philosophie. Berlin 2010, bes. 14 ff., 35 ff., 85 ff.
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bau« einer Tradition. 10 Sie erfordert – beinahe im psychoanalytischen Sinne – ihre »Durcharbeitung«. Weil aber solche Durcharbeitung sich noch auf das zu ›Dekonstruierende‹ und ›Dekonstruierte‹ bezieht und daran partizipiert, bleibt sie notwendig unvollständig: Ihm inhäriert eine eigene Art der Verfehlung. Deswegen gehört zu ihm gleichermaßen die Anamnese, die »Erinnerung an Metaphysik«, ihr »Andenken«, wie sich Heidegger auch ausdrückt, das im gleichen Maße, wie es gedenkt, auch ein neues ›An-Denken‹ im Sinne des ›Berührens‹ vollbringt. Der Umgang mit den Ausdrücken »Destruktion« und »Andenken« kann dabei selbst schon als exemplarisch für das genommen werden, was als Performativität der ›Rede‹ Heideggers apostrophiert worden ist: Ihre Verwendung bedeutet eine ›Ver-Wendung‹ im literalen Sinne, eine ›Konversion‹ oder ›Transition‹, die bereits im Wort die fälligen Verschiebungen oder ›Um-Schreibungen‹ vorzunehmen sucht, um das metaphysische Denken und Sprechen in ein anderes ›zu kehren‹. Ihr bleibt im Transitorischen zugleich die Wiederholung eingeschrieben, die als Wiederholung ebenso sehr eine Verwandlung impliziert. Oft ist dafür nur ein Bindestrich vonnöten, der ein Wort auseinander reißt und in sich selbst teilt, um das Spiel seiner Konnotationen zu erhöhen oder seine historisch verborgenen Ablagerungen in Erinnerung zu rufen und zu vermehren. Es geht dabei nicht um Etymologie im eigentlichen Sinne – oft sind Heideggers etymologische Exerzitien äußerst anfechtbar 11 –, sondern gleichsam um eine etymologische Praxis, die die BeVor allem in Sein und Zeit (GA 2, § 6, 20 ff.) heißt es, dass die »Aufgabe der Destruktion« der »Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen« diene. Die Destruktion verfahre damit weder relativierend noch negativ; sie solle vielmehr die »ontologische Tradition […] in ihren positiven Möglichkeiten, und das besagt immer, in ihren Grenzen abstecken«. Und weiter: »Negierend verhält sich die Destruktion nicht zur Vergangenheit, ihre Kritik trifft das ›Heute‹ und die herrschende Behandlungsart der Geschichte der Ontologie […]. Die Destruktion […] hat eine positive Absicht; ihre negative Funktion bleibt unausdrücklich und indirekt.« (Ebenda, 30 passim). Und im späteren Vortrag Was ist das – die Philosophie wird ergänzt: »Destruktion bedeutet nicht Zerstören, sondern Abbauen, Abtragen und Aufdie-Seite-stellen – nämlich die nur historischen Aussagen über die Geschichte der Philosophie. Destruktion heißt: unser Ohr öffnen, freimachen für das, was sich uns in der Überlieferung als Sein des Seienden zuspricht.« (GA 11, 20) Und die Beiträge ergänzen: »Was in ›Sein und Zeit‹ als ›Destruktion‹ entfaltet ist, meint nicht Abbau als Zerstörung, sondern Reinigung in der Richtung des Freilegens der metaphysischen Grundstellungen.« (GA 65, 221). 11 Als Beispiel kann hier die unrichtige Verbindung von Ereignen und »Eignen« ange10
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deutungen ihres gewöhnlichen Inhalts beraubt, um sie mit angestammten, oft auch gewaltsam apperzipierten Sinnschichten anzureichern. Wenn von der ›Askese‹ und der ›Einübung‹ in ein anderes Sprechen gesprochen worden ist, das sich nicht schon im Besitz eines ›Anderen‹ als Anderen weiß, sondern wesentlich Suche bleibt, die unterschiedliche Richtungen einschlägt und ›Probebohrungen‹ vornimmt, dann ist damit genau diese Praxis der ›Ver-Wendung‹ und Umwendung, nicht selten sogar des Missbrauchs gemeint. Es gibt keinen Satz Heideggers, der sich nicht implizit oder explizit dieses Verfahrens bedient – der nicht schon auf diese Weise, wie es in der Vorlesung Der Satz vom Grund heißt, einen »Satz« im Sinne eines »Sprungs« macht (GA 10, 79 f., 132 f.). Entsprechend bedeutet Philosophie für Heidegger keine Lehre, auf die sich berufen lässt oder die durch überlieferte Reflexionsweisen gekennzeichnet wäre, sondern »Philosophie ist Philosophieren« (GA 29/30, 6). Der Übergang vom Nomen zum Verbum markiert bereits das Transitorische, von dem die Rede war, und verweist das philosophische Denken ans Prozesshafte und seine Sprache ans Performative: »Philosophie (ist) jetzt zuerst Vorbereitung der Philosophie in der Weise der Erbauung der nächsten Vorhöfe (…). So erst betritt der Mensch den nächsten langsamen Steg zum Seyn« (GA 65, 421/422), heißt es dazu in den Beiträgen: »Der andere Anfang ist die ursprünglichere Übernahme des verborgenen Wesens der Philosophie, das selbst aus dem Wesen des Seyns entspringt (…).« (GA 65, 436) Das Schlüsselwort dazu ist aber der »Satz« in der Bedeutung des »Sprungs«. 12 Sprünge sind Performativa par excellence. Den Sprung, den Heidegger anvisiert, meint dabei mehr als lediglich eine »Umkehrung« – mehr auch als die marxsche Prozedur der »Verkehrung« des Hegelschen Denkens vom »Kopf auf die Füße« oder Nietzsches »Umdrehung« des Platonismus, auch wenn dieser, wie Heidegger schreibt, »etwas anderes sucht« (GA 6.1, 203). Es handelt sich folglich auch nicht einfach nur um eine Passage oder metabasis, oder, wie Derrida bemerkt, um eine »Konformation« oder Revolte, die immer bei dem bleibt, was sie revoltiert. 13 Vielmehr geschieht der Sprung insoweit – im Wortführt werden. In Unterwegs zur Sprache wird der Ausdruck allerdings korrekterweise auf »Eräugnis« im Sinne eines »vor Augenstellens«, »Sichzeigens« zurückgeführt (GA 12, 246 ff.). 12 Vgl. näherhin zur Figur des Sprungs auch GA 65, bes. 227 ff. (§§ 115 ff.). 13 Vgl. auch Derrida: Grammatologie, 540: »Wenn man sich ihrer [der Metaphysik, A
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sinne – radikal, als er ohne Wurzel und Boden vollzogen werden muss – es gibt für ihn nicht selbst wieder einen Grund oder eine Rationalität –, auch ohne intentio oder telos, weil zunächst noch unklar bleibt, mit welcher Absicht und wohin er springen will. Jeder Sprung ist vielmehr doppelt besetzt: Als Absetzung, d. h. auch Abspringen von einem gegebenen Grund, und als Loslassen, als Hineinspringen in etwas ›Anderes‹. Heidegger hat auf dieses aktiv-passive Erfordernis des Springens immer wieder selbst aufmerksam gemacht; in Identität und Differenz heißt es etwa: »Wohin springt der Absprung, wenn er vom Grund abspringt? Springt er in einen Abgrund? Ja, solange wir den Sprung nur vorstellen […]. Nein, insofern wir springen und uns loslassen. Wohin? Dahin, wohin wir schon eingelassen sind: in das Gehören zum Sein.« (GA 11, 41)
Die Absetzbewegung inkludiert damit zugleich das Sichabsetzen von der »Haltung des vorstellenden Denkens«, d. h. des Denkens der Metaphysik, wie ebenfalls – erneute Verschiebung des Begrifflichen im Wort – dessen Absetzung, Abdankung oder Delegitimierung, denn es heißt weiter: »Dieses Sichabsetzen ist ein Satz im Sinne des Sprunges. Er springt ab, nämlich weg aus der geläufigen Vorstellung vom Menschen als dem animal rationale, das in der Neuzeit zum Subjekt für seine Objekte geworden ist. Der Absprung springt zugleich weg vom Sein. Dieses wird jedoch seit der Frühzeit des abendländischen Denkens als der Grund ausgelegt, worin jedes Seiende als Seiendes gründet« (GA 11, 41),
sodass der Sprung ebenso sehr den Grund im Sinne des Begründens verlässt, wie er selbst ›ohne Grund‹ springt – ein Springen in die Haltlosigkeit eines noch offenen Bereichs. Er impliziert dann buchstäblich einen ›Sprung heraus‹ aus dem bisherigen Denken, der Rationalität, wie aus ihrer kompletten Überlieferungsgeschichte, die es stets noch gefangen hält, zu etwas hin, was noch keine Kontur besitzt und sich chronisch im Unbestimmten hält, 14 für das aber vorläufig und im Gegenzug Zusatz von mir] bedient, kann man immer nur mit Umkehrungen, d. h. konformativ operieren.«. 14 Es würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, die Heideggersche Denkpraktik des »Andenkens«, wie sie mit dem »Sprung« und der »Destruktion« verwoben ist, in ihrer ganzen Tiefe auszuloten. Vielleicht nur soviel: Im Satz vom Grund heißt es: »Der Sprung ist jeweils Absprung. Dasjenige, wovon der Sprung des Denkens abspringt, wird in solchem Sprung nicht preisgegeben, vielmehr wird der Absprungbereich erst aus dem
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zum »Sein« der Metaphysik der Ausdruck »Seyn« eingesetzt wird. »Der Sprung selbst hängt in der Luft«, lautet deshalb eine Passage im Satz vom Grund: »In welcher Luft, in welchem Äther? Dies erfahren wir nur durch den Sprung.« (GA 10, 79) Kurz: Der Sprung induziert eine nichtantizipierbare ›Möglichung‹, deren Möglichkeiten im Verlauf des Sprungs allererst sichtbar werden und sich herstellen. Ihnen eignet nicht selbst wieder eine ›andere Rationalität‹. Andererseits bedeuten sie aber auch keine blinde Irrationalität. Was sich obskur anmutet und esoterisch klingt, weil das ›Wohin‹ ausgesprochen, ja explizit verweigert wird, bleibt dennoch nicht beliebig. Vielmehr lautet der Bescheid in Identität und Differenz, dass der Sprung kein ›Über-Sprung‹ ist mit dem ganzen Übermut eines nicht mehr rationalen, also irrationalen Sprechens, sondern zu einem Bereich – in allen Konnotationen des Wortes – ›tendiert‹ : Eine ›Tentation‹, ein Tasten, das »zu sagen die LeitSprung her und auf eine andere Weise als zuvor überblickbar. Der Sprung läßt das, wovon er abspringt, nicht hinter sich, sondern eignet es sich auf eine ursprüngliche Weise an.« (GA 10, 88 f.) Der Sprung setzt also eine Umwendung voraus; die sich in sich selbst zurückwendet. Die Zurückwendung ist das Andenken. »Der Sprung«, heißt es weiter, »springt ab von einem und aus einem Absprungbereich. Der Sprung verläßt diesen Bereich und läßt ihn gleichwohl nicht hinter sich. Durch das Verlassen gewinnt der Sprung den Absprungbereich auf eine neue Weise zurück, und zwar nicht nur nebenbei sondern notwendig. Der Sprung ist ein wesenhaft zurückblickender Sprung.« (GA 10, 101) Zurückblicken bedeutet hier das ›Er-Innern‹ im Sinne des Innewerdens des Ganzen der abendländischen Metaphysik: »Der Sprung verläßt den Absprungbereich und gewinnt den verlassenen zugleich andenkend neu zurück, so daß das Gewesene jetzt erst unverlierbar wird. Wohin jedoch der Sprung vordenkend einspringt, ist kein geradezu betretbarer Bezirk des Vorhandenen, sondern der Bereich dessen, was als Denkwürdiges erst ankommt.« (GA 10, 132) So wird es möglich, die Geschichte des Logozentrismus allererst als solche zu erkennen und der Kritik auszusetzen. Wir haben es also mit einem notwendigen Rückgang in die Überlieferung zu tun, die versucht »in die Kraft des früheren Denkens einzugehen. […] Allein, wir suchen die Kraft nicht im schon Gedachten, sondern in einem Ungedachten, von dem her das Gedachte seinen Wesensraum empfängt. […] Die Maßgabe des Ungedachten […] verlangt die Freilassung des überlieferten Denkens in sein noch aufgespartes Gewesenes«, so die Formulierung in Identität und Differenz (GA 11, 57 f.). Und weiter: »Insofern der Schritt zurück den Charakter unseres Gesprächs mit der Geschichte des abendländischen Denkens bestimmt, führt das Denken aus dem in der Philosophie bisher Gedachten in gewisser Weise heraus. Das Denken tritt vor seiner Sache, dem Sein, zurück […]. Der Schritt zurück führt vom Ungedachten, von der Differenz als solcher, in das Zu-Denkende. […] Die Differenz von Sein und Seiendem ist der Bezirk, innerhalb dessen die Metaphysik, das abendländische Denken im Ganzen seines Wesens, das sein kann, was sie ist. Der Schritt zurück bewegt sich daher aus der Metaphysik in das Wesen der Metaphysik.« (GA 11, 59, 60 passim). A
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worte der Metaphysik, Sein und Seiendes, Grund – Gegründetes, nicht mehr genügen.« (GA 11, 77) Immer wieder hat Heidegger denselben Gedanken umkreist und variiert; so wird in Zur Seinsfrage statt vom Sprung mit Bezug auf Ernst Jünger vom »Überqueren der Linie« gesprochen (GA 9, 385 f., 393 f.), wobei die Linie mit der kritischen Zone des Nihilismus zusammenfällt, deren Übertritt nur »im Raume der Verwindung der Metaphysik« geschehen könne; später wird für Sprung und Überquerung die Figur des »Gegenschwungs« eingesetzt, der die Verwandlung der intentio zur ›Gegnung‹ und ›Ent-Gegnung‹ beinhaltet, die im wesentlichen jenen Zug auszeichnet, der im Sinne der neueren französischen Philosophie eine »Passibilität« genannt werden kann. Sie steht mit dem »Denken des Ereignisses« in Verbindung, wohin die Beiträge zur Philosophie sich zuzuschreiben suchen. »Der Sprung, das Gewagteste im Vorgehen des anfänglichen Denkens«, heißt es dort, »läßt und wirft alles Geläufige hinter sich und erwartet nichts unmittelbar vom Seienden, sondern erspringt allem zuvor die Zugehörigkeit zum Seyn in dessen voller Wesen als Ereignis.« (GA 65, 227)
Das bedeutet: Der Sprung vollzieht nicht nur das Loslassen von der Metaphysik, sondern anerkennt zugleich seine ›andere‹ Zugehörigkeit, welche das Seyn insofern ›zu-kommen‹ oder ›zuvorkommen‹ lässt, als er in seine Wahrheit springt und sie dadurch zugleich ›offenbar‹ macht (vgl. GA 65, 446, auch 464). Bekundet ist damit gleichzeitig die ›Nichteinfachheit‹ des Sprungs, seine konstitutionelle Unmöglichkeit oder Paradoxie, die nicht einfach zu einem ›Jenseits‹ der Metaphysik – gewissermaßen einer ›Meta-Meta-Physik‹, die unweigerlich in eine ›ParaMetaphysik‹ umschlagen müsste – übergehen kann, denn man kann nicht ohne die Metaphysik denken, weil die Metaphysik jede Sprache – auch die Sprache ihrer Negation – vom ›ersten‹ Augenblick an bereits terminiert hat 15 ; vielmehr bedeutet der Sprung bereits das, das in der Indessen erweist sich die Rede vom Paradoxon insoweit als problematisch, als der Widerspruch zu seiner Lösung und ›Auf-Lösung‹ tendiert – und damit selbst nur innerhalb der Begriffe und des Rahmens des Logos formulierbar zu sein scheint. Dennoch vermag das Paradoxon auch eine performative Sprachpraxis anzuzeigen: Der Widerspruch enthüllt dann keine logische Unmöglichkeit, sondern ein produktives Prinzip begrifflicher ›Ver-Setzung‹ oder Transposition, d. h. zuletzt eine ›Figur‹ ; vgl. Mersch, Dieter: »Das Paradox als Katachrese«. In: Ulrich Arnswald, Jens Kertscher, Matthias Kroß (Hg.): Wittgenstein und die Metapher. Berlin 2004, 81–114. 15
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Spätphilosophie immer wieder als ›Um-Kehrung‹ apostrophiert wird, und die in gewisser Weise schon ›vollbracht‹ worden sein muss, soll sie gelingen. Wir sind an dieser Stelle mit einer grundlegenden Schwierigkeit konfrontiert, mit der auch Heidegger immer wieder gerungen hat, wenn er ein ›anderes Denken‹ vorzubereiten sucht, das er bereits antizipiert haben muss, um es ›auf den Weg‹ zu bringen. Denn die Arbeit der »Destruktion« hat die Metaphysik schon überschritten, um beständig noch einer Übersteigung der Übersteigung zu bedürfen, weil ihr ihr eigenes Misslingen inhärent bleibt und sie deshalb stets noch unterhalb ihrer selbst verweilt. Darauf hat ebenfalls Derrida mehrfach abgehoben, denn »der Zirkel«, schreibt er in seiner Auseinandersetzung mit dem klassischen Strukturalismus, sei »einzigartig«: »[E]s ist sinnlos, auf die Begriffe der Metaphysik zu verzichten, wenn man die Metaphysik erschüttern will. Wir verfügen über keine Sprache – über keine Syntax und keine Lexik –, die nicht an dieser Geschichte beteiligt wäre. Wir können keinen einzigen destruktiven Satz bilden, der nicht schon der Form der Logik, den impliziten Erfordernissen dessen sich gefügt hätte, was er gerade in Frage stellen wollte.« 16 Derrida, Jacques: »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel in der Wissenschaft vom Menschen«. In: ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 1972, 422–442, hier 425. Derrida hat unter anderen daraus die Konsequenz gezogen und – in durchaus heideggerscher Manier – das Programm einer »Destruktion der Metaphysik« zu einem Programm der »Dekonstruktion« verschoben, die sich als gemeinsame Folie sämtlicher verwandter Destruktionsbewegungen, sei sie von Nietzsche, Freud, Wittgenstein, Adorno oder Lévinas vollzogen, versteht. Entscheidend ist dabei die Einflechtung der unscheinbaren Silbe ›kon‹, die die Duplizität von Destruktion und Konstruktion, die Gleichzeitigkeit von Abbau und Wiederaufbau anzeigt. Die Dekonstruktion bezeichnet damit einen beständigen Prozess. Anders als die Heideggersche »Destruktion« ist sie auch nicht auf die Vergangenheit als deren Durcharbeitung bezogen, vielmehr gleicht sie dem permanenten ›Stellungskrieg‹ der Avantgarde. So heißt es in Signatur, Ereignis, Kontext: »Die Dekonstruktion kann sich nicht auf eine Neutralisierung [der Hierarchie oder Ordnung, Zusatz von mir] beschränken oder unmittelbar dazu übergehen: sie muß […] eine Umkehrung der klassischen Opposition und eine allgemeine Verschiebung des Systems bewirken. Allein unter dieser Bedingung wird die Dekonstruktion sich die Mittel verschaffen, um in das Feld der Oppositionen, das sie kritisiert […] eingreifen zu können. […] Die Dekonstruktion besteht nicht darin, von einem Begriff zu einem anderen überzugehen, sondern darin, eine begriffliche Ordnung ebenso wie die nicht-begriffliche Ordnung, in der sie sich artikuliert, umzukehren und zu verschieben.« (Derrida, Jacques: »Signatur, Ereignis, Kontext«. In: ders.: Randgänge der Philosophie. Wien 2 1999, 325– 351, hier 350). Und in einem Gespräch mit Julia Kristeva fügt er hinzu: »Die Einschnitte geraten fatalerweise immer wieder in ein altes Gewebe, das man endlos weiter zerstören muß. Diese Endlosigkeit ist weder zufällig noch kontingent; sie ist wesentlich, systema16
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Zwar formuliert Heidegger den gleichen Gedanken nicht in derselben Entschiedenheit, wohl aber weiß er um die Gefahr des Abstürzens nach beiden Rändern der Rede hin – zurück in die Wiederholung der Metaphysik oder schlichtweg ins Mystische und Unverständliche: »Das Schwierige liegt in der Sprache. Unsere abendländischen Sprachen sind in je verschiedener Weise Sprachen des metaphysischen Denkens. Ob das Wesen der abendländischen Sprachen in sich nur metaphysisch und darum endgültig durch die Onto-Theo-Logik geprägt ist, oder ob diese Sprachen andere Möglichkeiten des Sagens und d. h. zugleich des sagenden Nichtsagens gewähren, muß offen bleiben.« (GA 11, 78) 17
Die These ist, dass diese Offenheit selbst noch auf ein Öffnen im Sinne performativer Praxis angewiesen ist. Das Performative folgt hier der Setzung, die gleichsam ›voraus-setzt‹, was sie allererst ›er-springen‹ will. Sie beschreibt somit eine Praxis der Destitution oder – um einen Ausdruck Derridas zu verwenden, der Dislozierung und Streuung. Sie sucht innerhalb des Rahmens der Metaphysik deren Sprache zu ›entgrenzen‹, aufzulockern oder zu spalten, um an ihren Bruchstellen jene ›Passibilität‹ als Aktiv-Passiv hervortreten zu lassen, das im ›Entzug‹ tisch und theoretisch. Das läßt aber keineswegs die bedingte Notwendigkeit und Wichtigkeit bestimmter Einschnitte, des Auftauchens oder der Festlegung neuer Strukturen verschwinden.« Derrida, Jacques: »Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristeva«. In: Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1993, 140–164, hier 148. 17 Ähnlich heißt es im späteren Aus einem Gespräch von der Sprache: »Niemand kann sich aus dem herrschenden Vorstellungskreis mit einem Sprung heraussetzen, vor allem dann nicht, wenn es sich um die seit langem eingefahrenen Bahnen des bisherigen Denkens handelt, die im Unauffälligen verlaufen. Außerdem ist ein solches Sichabsetzen gegen das Bisherige allein schon dadurch gemäßigt, daß der anscheinend revolutionäre Wille vor allem anderen versucht, das Gewesene ursprünglicher zurückzugewinnen. Auf der ersten Seite von ›Sein und Zeit‹ ist mit Bedacht die Rede vom ›Wiederholen‹. Dies meint nicht das gleichförmige Anrollen des immer Gleichen, sondern: Holen, Einbringen, Versammeln, was sich im Alten verbirgt.« (GA 12, 123 f.) Dennoch erweist sich die Bewegung der Absetzung nur dort möglich, wo sie sich gleichsam schon abgesetzt hat, mithin sich selbst zuvorkommt. Der ›Vorsicht‹ Heideggers wäre deshalb hinzuzufügen, dass das Absetzen in der Geschichte der Metaphysik nicht ohne Vorbild ist – dass vielmehr die Geschichte der Metaphysik gleichzeitig ihre eigene Negation wie ein Schatten begleitete. Von Anfang an fallen Metaphysik und Skepsis, die Behauptung des Logozentrismus und die Flucht aus dessen Verhängnis zusammen, gleichsam als die selbst noch metaphysische Heterodoxie, wie sie sich im Neuplatonismus, in der Mystik, dem mittelalterlichen Ketzertum oder der negativen Theologie auf je verschiedene Weise artikulierte.
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und der dadurch forcierten »Destruktion der Metaphysik« erst aufzugehen vermag. 18 Heideggers ›Rede‹ ist dieser Praxis der Destitution geschuldet. Entsprechend heißt es in Zur Seinsfrage: »Statt diesen Hinweis als Beleg für ein unlogisches Denken auszuwerten, nehme ich den Zirkel als Zeichen dafür, daß hier das Runde eines Ganzen zu denken bleibt, in einem Denken freilich, für das eine an der Widerspruchsfreiheit gemessenen ›Logik‹ nie der Maßstab werden kann.« (GA 9, 400)
Innerhalb des rationalen Diskurses wäre in der Tat jedes Experiment eines Andersdenkens oder Anderssprechens unsinnig, weil sie das selbstverständliche Gefüge der Verknüpfungen, das Band, das die traditionelle Philosophie im Trivium von Sein, Wahrheit und Grund zusammenhält, immer schon zerrissen haben muss – entsprechend harsch fällt auch der Widerstand, die Kritik an Heidegger aus, vor allem aus dem Lager der analytischen Philosophie und jenen philosophischen Positionen, die das Erbe der Aufklärung fortzusetzen trachten – entsprechend polemisch fällt aber auch das Urteil Heideggers aus, wo er auf die »Logik« als notwendige Bedingung des Philosophierens zu sprechen kommt. »Denn dies ist eines der größten Vorurteile der abendländischen Philosophie: das Denken müsse ›logisch‹, d. h. im Hinblick auf die Aussage bestimmt werden […]. Wer sagt denn und wer hat je bewiesen, dass das logisch gemeinte Denken das ›strenge‹ sei? Das gilt ja, wenn es überhaupt gilt, nur unter der Voraussetzung, dass die logische Auslegung des Seins die einzig mögliche sein könne; was aber erst recht ein Vorurteil ist. Vielleicht ist im Hinblick auf das Wesen des Seyns gerade die ›Logik‹ das am wenigsten strenge und erste Verfahren der Wesensbestimmung und nur ein Schein […]. Die Abgründigkeit dieses Denkens läßt […] die sogenannte Strenge […] als eine ihrer selbst nicht mächtige Spielerei erscheinen, die ja dann auch in der Philosophiegelehrsamkeit ausarten konnte, in der jedermann mit irgendeinem Scharfsinn versehen sich umhertreiben kann, ohne jemals vom Seyn betroffen zu werden und den Sinn der Frage nach dem Seyn zu ahnen.« (GA 65, 460 / 461 passim)
Folglich bezeichnet die Unausweichlichkeit der Paradoxie kein Gegenargument gegen die nie zur Ruhe kommende Anstrengung einer Unterlaufung des Metaphysischen – das hieße, dem Gebot des Logos unangefochten weiter zu gehorchen und das principiium rationis als einzige Vgl. zum Aufspringen des Aktiv-Passiv auch: Mersch, Dieter: »Sprache und Aisthesis. Heidegger und die Kunst«. In: Sybille Peters, Martin Jörg Schäfer (Hg.): Intellektuelle Anschauung. Figurationen zwischen Kunst und Wissen. Bielefeld 2006, 112–133.
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Form des Denkens absolut zu setzen –, sondern gerade für es. Das Paradox ist im Gegenteil der Ausweis ihrer Kreativität. 19 Deswegen schreibt auch Derrida über die »Randgänge der Philosophie« in der Essaysammlung gleichen Titels: »Heidegger legt uns nicht nahe, anders zu denken im Sinne von etwas anderes denken, sondern das zu denken, was anders nicht sein noch gedacht werden konnte. Im Denken der Unmöglichkeit des ›anders‹, in diesem nicht anders, ereignet sich ein Wanken […]. Wir müssen demnach […] unser Verhältnis zur Geschichte der Philosophie (deren Vergangenheit überhaupt) anders als im Stil der dialektischen Negativität denken, die doch nur […] eine andere Gegenwart als Negation der Gegenwart setzt […]. Wir haben es genaugenommen mit etwas ganz anderem zu tun. […] Die dialektische Negativität […] verbleibt sonach innerhalb der Metaphysik der Anwesenheit […]. Sie macht nichts anderes.« 20
3.
Wechsel der Tonart
Die Erreichung des Anderen im ›Sprung‹ bedeutet also nicht schon ein Anders-Können, als ob der Aktion eine wählbare Entscheidung zugrunde läge, die zu treffen frei stünde; sie ist keine Sache der Dezision, sondern vor allem, wie Heidegger betont, eines »Wechsels der Tonlage« (GA 10, 78). Der Hinweis deutet auf die Entschiedenheit der Rolle der Sprache, denn die Verwandlung des Denkens schließt nicht nur die Verwandlung des Sprechens ein, sondern umgekehrt bedingt diese Verwandlung erst jenes Schlagen von Rissen im Denken, das aus den Sackgassen – oder den »Holzwegen« – der Metaphysik hinauszuführen vermag (vgl. GA 5, S. o. A.). Nicht hängen sie an der Wahl anderer Ausdrücke, als ob es schon genügte, ›unerhörte‹ oder ›interessant‹ klingende Metaphern ins Spiel zu bringen, auch nicht an ihrer ungewöhnlichen Verwendung oder einer Zäsur im Gebrauch, sondern an jener performativen Zerklüftung, die im Prozess der Rede ihre tatsächliche ›EntGrenzung‹ oder ›De-Definierung‹ ereignen lässt. Buchstäblich »durchspringt« sie die Bestimmungen des Satzes vom Grund (vgl. GA 10, 116) Zur Struktur und Kreativität des Paradoxons vgl. auch Mersch, Dieter: »Paradoxie der Kreativität. Zu Ortschaften kultureller Produktion.« In: Wolfgang Sohst (Hg): Die Figur des Neuen. Berlin 2008, 171–196. 20 Derrida, Jacques: »Ousia und Gramme«. In: ders.: Randgänge der Philosophie, 57–92, hier 62 f. und passim. 19
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und damit den Rahmen des metaphysischen Sagens, um in einen anderen Stil des Philosophierens, eine andere Darstellungsform hinüberzuleiten. Der Ausdruck ›Hinüberleiten‹, der zwar an das griechische meta-phora zu gemahnen scheint, aber eine Überleitung oder Passage in der Rede und vermittels der Rede meint, deutet an, dass die Veränderungen des Stils und der Darstellungsformen nicht gleichsam per se verfügbar sind, sondern vorsichtig erprobt und ›angeleitet‹ werden müssen. Immer wieder hat Heidegger andere ›An-Sätze‹ versucht, sodass es kein ›System‹ von Ausdrücken gibt, sondern lediglich einen »Wortschatz« im literalen Sinne eines »Schatzes«, der erst noch gefunden werden muss (vgl. GA 71, 147 ff.). In und vermittels der Rede nennt dabei die Angewiesenheit solcher ›Findung‹ in und mit der Sprache. Der »Wechsel der Tonlage« oder »Tonart« betrifft folglich deren Medialität. Deswegen heißt es auch: »Hinter dem Wechsel der Tonart verbirgt sich ein Sprung des Denkens. Der Sprung bringt das Denken ohne Brücke, d. h. ohne die Stetigkeit eines Fortschreitens, in einen anderen Bereich und in eine andere Weise des Sagens« (GA 10, 79). Diese »andere Weise des Sagens« induziere zugleich jenen »anderen Anfang« im Denken, »hinter dem jede bisher in der Geschichte des Denkens geschehende Wendung, sei sie kopernikanisch oder anders, un-endlich zurückbleibt« (GA 55, 175 f.). Das bedeutet auch: Die Diskontinuität des Sprungs ist gerade nicht übersetzbar – nicht in der Hinsicht, dass es zwei Sprachen gäbe, eine metaphysische und eine nichtmetaphysische, die sich ineinander transferieren ließen, auch nicht im Sinne einer eigentlichen ›Über-Setzung‹ und damit immer schon übertragenen Rede, die die genuine Metaphorizität alles Sprechens bezeugt, denn die Differenz zwischen Begriff und Figur oder ›eigentlicher‹ und ›uneigentlicher Rede‹ gehört bereits zum Terrain der zu überwindenden Metaphysik: »Mit der Einsicht in das Beschränkte der Metaphysik wird auch die maßgebende Vorstellung von der ›Metapher‹ hinfällig. Sie gibt nämlich das Maß für unsere Vorstellung vom Wesen der Sprache. Darum dient die Metapher als vielgebrauchtes Hilfsmittel bei der Auslegung der Werke des Dichtens und des künstlerischen Bildens überhaupt. Das Metaphorische gibt es nur innerhalb der Metaphysik.« (GA 10, 72) 21
Der hier berührte Zusammenhang erstreckt sich über ein weites Assoziationsfeld. Man kann es auf dezidierte Weise mit dem ›Medialen‹ in Vgl. ähnlich auch Derrida, Jacques: »Der Entzug der Metapher«. In: Volker Bohn (Hg.): Romantik. Literatur und Philosophie. Frankfurt am Main 1987, 317–355.
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Verbindung bringen, wenn das Mediale nicht als instrumentum, als Apparatur oder Technik verstanden wird, sondern als etwas, das selbst nur ›negativ‹ bestimmbar ist und sich in Gestalt performativer Praktiken zeigt. Das Medium bezeichnet mithin auch kein »Apriori«, kein transzendentales Prinzip oder Konstituens, aus dem Wahrnehmung, Bedeutung, Handlung oder Kommunikation erst hervorgehen, sowenig, wie es das Reale oder das Symbolische ermöglicht; es bildet vielmehr ein »Dazwischenliegendes«, 22 das ebenso sehr ins Verhältnis setzt wie es Verbindungen stiftet oder unterbricht. Als solches bleibt es ohne Ort oder Bestimmung, als etwas, das allein anhand jener Relationen oder Wirkungen zu entschlüsseln ist, die es hervorruft. 23 Man hat insbesondere die spezifischen Effekte des Medialen mit der griechischen Vorsilbe ›Meta‹ in Beziehung gesetzt, wie sie bereits dem ursprünglichen Ausdruck metaxu sowie auch der ›Übertragung‹ im eigentlichen Sinne des Wortes meta-phora zugrunde liegt; 24 indessen eignet dem ›Meta‹ stets ein ontologischer Bruch, einen Wechsel der Ebenen oder eine ›Über-Springung‹ von Differenzen, die das Ereignis des Übergangs, auf dessen ›Anfang‹ und ›Einsatz‹ es Heidegger ankommt, schon vollendet haben muss. Wie dies zwar als kontrafaktische Antizipation immer schon unterstellt sein muss, gibt es andererseits jedoch keinen Übergang ohne ›Durchgang‹, ohne die Durchdringung und Durchquerung des Raumes, ohne konkrete Schritte oder Akte im Materiellen, wie sie weit angemessener durch das Präfix ›Dia‹ zum Ausdruck gebracht werden kann, das zwar, ebenso wie ›Meta‹, eine ›Vermittlung‹ anspricht, keine jedoch im Sinne einer Metabasis, eines plötzlichen Umbruchs oder Platztauschs, sondern gleichsam flacher und bescheidener in Form einer Diabasis, einer ›Überbrückung‹ in der Welt mit deren Mitteln, oder eines Diaphanen, einer ›Durchscheinung‹ vermittels geeigneter Verfahren der Darstellung. 25 Geht man vom Griechischen zum Vgl. dazu Tholen, Christoph: Die Zäsur der Medien. Frankfurt am Main 2002, 118. Vgl. dazu insbesondere Mersch, Dieter: »Tertium datur. Einleitung in eine negative Medientheorie«. In: Stephan Münker, Alexander Roesler (Hg): Was ist ein Medium. Frankfurt am Main 2008, 304–321. 24 Vgl. Tholen: Die Zäsur der Medien, sowie Krämer, Sybille: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik des Medialen. Frankfurt am Main 2008, 6 ff. Dort wird – aus einem erweiterten Botenmodell – das Mediale ganz aus dem Prozess der Übertragung entwickelt. 25 Vgl. dazu vorläufig Mersch, Dieter: »Irrfahrten. Labyrinthe, Netze und die Unentscheidbarkeit der Welt«. In: Georg Mein, Stephan Börnchen (Hg.): Weltliche Wallfahrten. München 2010, 41–56; sowie ders.: »Meta / Dia. Zwei unterschiedliche Zugänge 22 23
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Lateinischen über, kann für dieselbe Kluft zwischen ›meta‹ und ›dia‹ der Unterschied von ›trans‹ und ›per‹ eingesetzt werden: Jenseits aller Transzendenz, wie sie dem Magischen der Mediation zu entsprechen scheint, verweist Letzteres weit eher auf die eigentliche Bedeutung des experiens, experior oder der experientia, der durchgemachten oder erlittenen ›Erfahrung‹, die gleichfalls mit dem ›Experiment‹ verwandt ist: Im performativen Durchgang durch ihren Prozess öffnen sich die Augen, werden neue Verhältnisse sichtbar oder denkbar – nicht unähnlich des Performativs selbst, das weniger den ›Sinn‹ eines Sprechaktes generiert, als vielmehr Variationen seiner praktischen Modi. Für die Performation der sprachlichen Rede steht deshalb weniger – wie bei Austin und Searle – das Illokutionäre Modell, das sich in der Rede (in saying) realisiert, als vielmehr das Perlokutionäre, wenn dieses nicht kausalistisch verstanden wird, sondern – ›differenzlogisch‹ – als Statuierung unerwarteter ›Ereignisse‹ durch die Rede (by saying). 26 Um Letzteres ist es Heidegger zu tun. Im ›Durchgang‹ durch die Sprache und ihrer performativen ›Entgrenzung‹ und ›Dehnung‹ geht es ihm darum, den ›unscheinbaren‹ aber »maß-gebenden« »Unter-Schied« zwischen der Metaphysik im Ausgang des »ersten Anfangs« und dem »anderen Anfang« als »Ereignis des Seyns« inmitten der Rede geschehen zu lassen, und zwar so, dass – vermittels des Gebrauchs derselben Vokabeln – deren ›Aussage‹ zugleich gestört und ›umgebrochen‹ wird. Dann wird, wie es in Unterwegs zur Sprache heißt, die »Sage« zur »Zeige«, die Neues oder anderes »sehen« lässt (GA 12, 142 ff.). Wir sind folglich mit Eingriffen, mit kritischen Manövern der Zäsurierung oder Verschiebung konfrontiert, die weniger figurativ arbeiten – und damit auch nicht rhetorisch funktionieren –, als vielmehr vermöge performativer Strategien der Differenzsetzung. Der Stil Heideggers ist voll solcher Strategien der Differenz, die im Anklang an die ehemals metaphysische Begrifflichkeit in diese interveniert, sie um eine Nuance ›wendet‹ oder invertiert, um völlig neue und andere ›Wendungen‹ oder Bedeutungen hervorspringen zu lassen. Die vielgescholtenen Neologismen zum Medialen«. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 2 (2010). Hamburg, 185–208. 26 Zur Diskussion der Begriffe ›Illokution‹ und ›Perlokution‹ im Licht einer Revision der Performativitätstheorie der Sprache vgl. auch Mersch, Dieter: »Performativität und Ereignis. Überlegungen zur Revision des Performanz-Konzeptes der Sprache«. In: Jürgen Fohrmann (Hg.): Rhetorik. Figuration und Performanz. Stuttgart / Weimar 2004, 502– 535. A
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Heideggers gehören dazu; sie sind in Wahrheit keine, weil es sich nicht um Neuerfindungen im Sinne einer Dichtkunst handelt, sondern Heidegger ›macht‹ – perlokutionär – dadurch etwas mit Sprache, dass er vertraute Gebrauchsweisen durch subtile Brüche im Lexikalischen oder Zerklüftungen der Syntax und ihrer grammatikalischen Gestalt buchstäblich ›ver-wendet‹ sowie durch Exposition etymologischer Sinnablagerungen und Veränderung der Schriftbilder und Ähnliches dermaßen ›ent-stellt‹ oder ›um-schreibt‹, dass sie in Bewegung geraten. Dazu zählt schon die elementare Operation einer Rückübersetzungen metaphysischer Ausdrücke aus dem Griechischen ins Deutsche, die ebenso sehr seltsam, zuweilen sogar manieriert klingen, wie sie gleichzeitig aus verdeckten Konnotationen noch ungedeckte Sinnpotenziale hervorzulocken vermögen. Prominent kann dafür – schon aus Sein und Zeit – das Wort aletheia für ›Wahrheit‹ angeführt werden, deren doppelt privativer Sinn als »Unverborgenheit« auf diese Weise zurückgewonnen und ihrer ursprünglichen Dialektik von »Verbergung« und »Entbergung« zugeführt werden kann. 27 Das »Unverborgene« konnotiert zudem das »Offene«, die »Offenbarkeit« und »Offenbarung«, sodass nicht länger der metaphysische Sinn von »Wahrheit« gemeint ist, sondern deren »Vorstruktur«, ihre Verwurzlung in »Sinn«. Weitere Beispiele finden sich in der »Inständigkeit« als Übersetzung von »Synthesis« oder der Ausdruck »Gestell« als Versinnbildlichung des technischen »Systems«, das mit der Struktur und Praxis des technischen Denkens selbst identifiziert wird. Die Alliterationen, die daraus hervorgehen und auch den zentralen Ausdruck des »Ereignisses« aus der Spätzeit betreffen – vom »Ereignis« wird u. a. die Reihe »Er-eignung«, »Vereignung«, »Über-eignung«, »Zu-eignung« zu »An-eignung« und »Eignung« eröffnet – lassen auf diese Weise einen ganzen Kreis von Worten entstehen, die das Gemeinte umkreisen, nicht definitorisch sistieren oder ›fest-stellen‹. Weit verwegener erscheinen dabei die Gesten der Aufteilung oder Perforierung der Worte selber, indem in ihnen Abstände oder Zwischenräume in Form eines Bindestrichs eingetragen werden, um ihnen weitere, noch ungeübte Bedeutungen zu inskribieren. Beispielhaft mag dafür schon der Ausdruck »Unter-Schied« stehen, der zeitweise die »ontologische Differenz«, jene Spaltung von Sein und Seiendem einerseits und einem Denken des Seins als Sein gegenüber Dies schon in Sein und Zeit (GA 2, § 44, 282 ff.); ferner in Der Ursprung des Kunstwerks (GA 5, 25 ff.) und GA 65, 334 ff. (§§ 211 ff.).
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einem Denken in Seiendheiten andererseits ersetzte – hier obliegt gleichsam die ganze Last der Verlustgeschichte, das, was Heidegger von Beginn an als das Drama der »Seinsvergessenheit« bis zur »Seinsverlassenheit« aufwies, der schlichten Markierung durch das Divis-Zeichen. Immer wieder setzt Heidegger diesen Riss ein, um die Assoziationshöfe zu multiplizieren, etwa wenn er vom »Maß-Gebenden«, spricht, das den Akt der Gabe und die Notwendigkeit der Setzung eines Kriteriums herausstreicht, sowie für die schon genannte Serie »Er-eignen«, »Zu-eignen«, »Ver-eignen« und »An-eignen«, die nicht nur das »Ereignis« in den Mittelpunkt stellen, sondern auch das »Eigene« und die »Geeignetheit« (Adäquanz) betont, oder die Ausdrücke »Anspruch«, »Zu-spruch« und »Ent-sprechung«, die die wesentliche Sprachlichkeit der »Eignung« herausstreichen (vgl. etwa GA 9, 385, 411 ff.; GA 65, 150 ff., 470 ff.). Eine verwandte Strategie liegt in Veränderungen von Schreibweisen, z. B. im Übergang von »Sein« zu »Seyn« oder der zeitweiliger Durchstreichung: Sein (vgl. GA 65, 258 ff.; 421 ff.): Hier scheint die winzige, aber fundamentale Intervention ins Schriftbild, die ganz analog zur derridaschen »différance« nur im Akt des Lesens sichtbar und nachvollziehbar wird, zu genügen, um sowohl das Gewicht der Transformation im Denken als auch die damit verbundene Sprachnot anzuzeigen. Unhörbar geschieht sie im Medium der Schrift, um das Unsagbare und den im Sagen nicht zu unterscheidenden »Unter-Schied« dennoch zu sagen. Die Schwierigkeit, auf die Heidegger im Gebrauch solcher und ähnlicher Mittel wieder und wieder stößt, besteht darin, dass die Differenz, der ›Übertritt‹ vom »Sein des Seienden« zum »Sein als Sein«, dem »Sinn von Sein« und seiner vorgängigen »Zeitigung« ebenso sehr einer Differenzierung im Reden entbehrt, wie sie als Differenz überhaupt nur in der Rede vollbracht werden kann. Das lässt sich gerade am Übergang von »Sein« zu »Seyn«, dem »ersten« und »anderen Anfang« ermessen, weil beide Ausdrücke auf dasselbe stoßen und die Grundfrage allen Philosophierens berühren, wenn was heißt Philosophie anderes als »Denken des Seins«, eine Verbindung, die freilich mit dem doppelten Genitiv rechnen muss und in dessen Transformation vom genitivus subiectivus zum obiectivus, dem Sein als zu Denkendes und dem in der Erfahrung des Seins aufgegebene Denken den ganzen ›Wechsel der Tonart‹ bereits beinhaltet. Alles Sagen entstammt noch demselben Bereich, den es zu überwinden trachtet, denn, wie Heidegger in den Beiträgen bemerkt, entspringt A
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»diese Unterscheidung ja gerade einem Fragen nach dem Seienden als solchen (nach der Seiendheit). Auf diesem Wege aber ist niemals zur Seynsfrage unmittelbar zu gelangen. Mit anderen Worten, diese Unterscheidung wird gerade zur eigentlichen Schranke, die ein Fragen der Seynsfrage verlegt, sofern versucht wird, unter Voraussetzungen des Unterschieds von diesem weiter nach seiner Einheit zu fragen. Diese Einheit kann immer nur der Widerschein des Unterschiedes bleiben und niemals in den Ursprung führen, von dem aus diese Unterscheidung als nicht mehr ursprüngliche ersehen werden kann.« (GA 65, 250)
Der antiquiert wirkende Gebrauch des Ausdrucks »Seyn« markiert diesen Unterschied. Er macht deutlich, dass nicht das Denken denkt, sondern gleichsam von etwas her denkt, was kein »etwas« ist, sondern bestenfalls einem »Stoß« gleicht, der die »Auf-Gabe« und damit auch das Aufgeben erfordert, sich auf ihn einzulassen und ihn »zu empfangen« (GA 65, 430). Es handelt sich dann um eine permanente Platzverschiebung oder Differierung, die, wiederum analog der derridaschen différance, nicht schon als erster Unterschied adressiert werden kann, ohne in einen Widerspruch zu geraten, sondern die den Prozess des Unterscheidens und Übergehens im Sinne eines Verbums performativ vollzieht. Tatsächlich gehört dieser Übergang vom Nomen zum Verbum wie auch umgekehrt vom Verbum zurück zu einer Nominalkonstruktion wie auch der Wechsel von Aktivkonstruktionen zu Passivkonstruktionen zu einer der wichtigsten linguistischen Strategien Heideggers: Wie Wittgenstein, in Antizipation einer performativen Wende in der Linguistik, einmal bekannte, dass eine neue Art des Philosophierens darin bestehen könnte, nur Verben zu betrachten, löst sich auch bei Heidegger der explizite Nominalstil von Sein und Zeit in der Spätphilosophie zunehmend auf, allerdings so, dass die verbal determinierten Wortstämme zu ganzen Wortreihungen serialisiert, verdichtet und z. T. wieder zu Nomen rückübersetzt werden: Wir haben es hier mit einem fortwährenden Stellungswechsel, einem Stil ununterbrochener ›Verwendungen‹ verwandter Ausdrücke zu tun, die einen komplexen Hof interner Bezüge stiften – etwa abermals mit Blick auf die Technik von »stellen«, »bestellen« und »nachstellen« über »her-stellen« und »darstellen« zu »Bestand« und »Ge-stell«. Der ebenfalls zu den Eigenarten der Spätphilosophie gehörende Umschlag vom Aktiv zu Passiv ›wendet‹ demgegenüber den als »Machenschaften« denunzierten Aktivismus der metaphysischen Tradition, ihre an die Dominanz des Technischen gebundene Auszeichnung des »Machens« und Brauchens« – und entspre48
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chend des Verbrauchs der Welt, der Heideggers gesamte spätere Sorge galt – in das »Lassen« der »Gelassenheit« um, so jedoch, dass erneut noch der Gegensatz zwischen Aktiv und Passiv als metaphysisch durchgestrichen wird. Letzteres gilt exemplarisch für die Verfahrensweisen Heideggers: Die angestrebte »Überwindung« der Metaphysik, der gleichermaßen eine aktivistische Note innewohnt, sofern sie den Anschein weckt, selbst das ›Produkt‹ oder ›Werk‹ einer ›Produktion‹ oder ›Bewerkstelligung‹ zu sein, erfährt seit den 1940er und vor allem in den 50er Jahren seine Verwandlung in »Verwindung«, 28 das als Wort gleichfalls das Aktiv-Passiv oder vielmehr ein Jenseits des Aktiven und Passiven adressiert. Das bedeutet auch: Der Sprung oder »UnterSchied« überwindet nicht den »planetarischen« Logozentrismus in dem Sinne, dass er intentional geplant und, gleichsam, generalstabsmäßig, durchgeführt werden kann – er entzieht sich vielmehr jeder Sphäre des Machens, der poiesis und damit auch der Herrschaft –, vielmehr »verwindet« er ihn, gleich wie sich die Verwindung eines Schmerzes nicht herbeizwingen lässt: »Die Verwindung der Metaphysik ist Verwindung der Seinsvergessenheit.« (GA 9, 416)
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Zwischen Dichten und Denken: Ver-gabe und Ent-sprechung
Wir können somit charakteristische ›Sprachver-Wendungen‹ Heideggers auszeichnen, ohne damit schon den Anspruch zu erheben, alle aufgezählt zu haben: Performative ›Wendungen‹, die, kraft ihrer Eingriffe, ihrer subtilen Verwandlungen und Positionswechsel gleichsam das Blatt sich wenden lassen – performativ nicht in dem Sinne, dass sie intentional gesetzt oder illokutionär instantiiert würden, sondern im Sinne von »Ereignissen der Setzung«, 29 der ›perlokutionären‹ Statuierung von Differenzen. Dergestalt geschieht die ›Ver-Wendung‹ des Bindestrichs, die orthographische ›Um-Schrift‹, geschieht der Übergang vom Nomen zum Verbum und zurück, aber auch die Destituierung Bereits 1940/41 in GA 71, den Notizen zum Ereignis, ferner dann prominent 1949 in Die Kehre, 1955 in Zur Seinsfrage und 1957 in Identität und Differenz. 29 Im Übergang von der Intentionalität des Illokutionären im Sinne Searles zur Nichtintentionalität des »Ereignisses der Setzung« liegt im Grunde der vorgeschlagene Schlüssel unserer »Umschrift« der Performativitätstheorie der Sprache; vgl. zuerst in: Mersch, Dieter: »Das Ereignis der Setzung«. In: Erika Fischer-Lichte, Christian Horn, Matthias Warstatt (Hg.): Performativität und Ereignis. Tübingen / Basel 2002, 41–56. 28
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von Kontexten, das Zusammendenken des genitivus subiectivus und obiectivus, des Weiteren die Verkettung von Wortstämmen zu ganzen Wortfolgen oder der Rückgang in eine spekulative Etymologie wie ebenfalls die Rückübersetzungen vom Griechischen ins Deutsche usw. Was als »Denken des Ereignisses« dem »Denken der Metaphysik« entgegengehalten wird, geschieht damit von der Sprache her und ›durch‹ (per-formare) sie. Der »Wechsel der Tonart« bildet ihr Zentrum, denn, so Heidegger in Zur Seinsfrage, »[i]n welcher Sprache spricht der Grundriß des Denkens, das ein Überqueren der Linie vorzeichnet? Soll die Sprache der Metaphysik des Willens zur Macht, der Gestalt und der Werte über die kritische Linie hinweggerettet werden? Wie, wenn gar die Sprache der Metaphysik und die Metaphysik selbst […] als Metaphysik jene Schranke bildeten, die einen Übergang über die Linie, d. h. die Überwindung des Nihilismus verwehrt? Stünde es so, müßte dann das Überqueren der Linie nicht notwendig zu einer Verwandlung des Sagens werden und ein gewandeltes Verhältnis zum Wesen der Sprache verlangen?« (GA 9, 405)
Gerade diese Verwandlung bleibt aber gleichzeitig das eigentlich Problematische, weil sie, wie es weiter heißt, »vermutlich noch lange unbeholfen« bleiben muss (GA 9, 406; 423). Das Performative der Intervention, ihre unterschiedlichen Strategien sind solcherart Unbeholfenheiten. 30 Negativ münden sie im Austritt aus der Tyrannei des Diskurses, dem Zwang zur ›Aussage‹, zur ›Definition‹, der positiv lediglich die »Sage« im Sinne der »Zeige«, d. h. eines Sprechens als ›Erscheinenlassen‹, als Aufweisen, »Auf-zeigen« und »Ent-sprechen« entgegengehalten wird, das freilich, wie Heidegger nicht müde wird herauszustreichen, chronisch provisorisch bleibt und seine Ankunft verweigert, weil in ihr sich nichts anderes auszusprechen vermag, als eine manifeste Sprachnot. Sie bildet das Korrelat der »Not« der Metaphysik. »Den Standpunkt der Metaphysik verlassen, das sagt nichts anderes als einer Nötigung unterstehen, die aus einer ganz anderen Not entspringt, einer Not allerdings, die durch die Geschichte der Metaphysik erwirkt wurde, dergestalt, dass sie sich als die Not, die sie ist, entzieht und die Notlosigkeit […] zum herrschenden Zustand werden läßt […]« (GA 65, 429),
So heißt es in einer Notiz aus den späten 30er Jahren über den § 34 von Sein und Zeit zur »Sprache«: »Alles noch unbeholfen und verstickt in das Gewirr der Entwirrung und Lösung aus der Metaphysik (…).« (GA 74, 108).
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heißt es in den Beiträgen. Und weiter in Notizen aus den Jahren 1941/42: »Die Erfahrung, in der sich uns das Seyn übereignet, um unser Wesen in die Wahrheit des Anfangs anzueignen, vernimmt das Wort und erkennt die Not des Sprachgebrauchs. Zur seynsgeschichtlichen Zeit dieser Not entspringt die Notwendigkeit, das Wort des Anfangs zur Sprache zu bringen und die Sprache zur Verantwortung des Wortes gebrauchen zu lernen und das anfängliche Wesen des Sprachgebrauchs zu erkennen. Das Wort des Anfangs wird zur Sprache im Nennen der Dichtung, die das Bleibende stiftet, und im Sagen des Denkens, das die Wahrheit des Seyns zum Austrag bringt.« (GA 71, 177/178)
Immer wieder hebt Heidegger auf die ›Ver-antwortung‹ der Sprache im Horizont der bereits erwähnten »Ent-sprechung« ab. Seine performative Suche nach einer anderen Sprache findet an ihr ihr Kriterium. Gerade nicht begrifflich gefasst, sondern vieldeutig und prozesshaft, zudem selbst durch eine Teilung markiert, die den Ausdruck fassettenhaft zersplittert und in unterschiedliche Richtung lesbar macht, schließt die »Ent-sprechung« das »Ereignis« als ›Gebendes‹ mit den Bedeutungsschichten des ›Antwortens‹ und der ›Wahrheit‹ zusammen. 31 Zugleich ist in ihm die Sprache – oder genauer: die Auszeichnung des Sprechens als Praxis – bereits angezeigt. Hatte Heidegger in Sein und Zeit noch das Wesen des Menschen aus dem Dasein, dieses wiederum aus dem »Verstehen«, der Selbstauslegung wie Seinsauslegung bestimmt, wird die »Seinsfrage« seit den späten 1930er Jahren einer ebenso konsequenten wie grundlegenden Revision unterzogen und zu dem hin geöffnet, was im Zeichen von »Seyn«, »Ereignis«, »Differenz« und »Zeitlichkeit« als »anderer Anfang« apostrophiert wird, worin diese dem Denken und Sprechen vorhergehen, sie ›geben‹ und anleiten, statt umgekehrt. Dabei kehrt der »andere Anfang« noch vor dem »ersten Anfang« und der Wegbiegung der klassischen Philosophie von Platon und Aristoteles in die offenen und unverstellten Raum der Vorsokratik zurück, um in ihm das zu heben, was durch die Geschichte der Metaphysik ebenso ungedacht geblieben ist, wie es die Philosophie selbst vor die ›Auf-Gabe‹ eines ›anders Ansetzens‹ stellt. In den Beiträgen insbesondere als »Kehre« bezeichnet – »[d]as Ereignis hat sein innerstes
Vgl. dazu bes. erläuternd: Herrmann, Friedrich-Wilhelm von: Die zarte, aber helle Differenz. Heidegger und Stefan George. Frankfurt am Main 1999, bes. 9 ff.; 106 ff.; 190 ff.
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Geschehen und seinen weitesten Ausgriff in der Kehre.« (GA 65, 407) – impliziert diese zugleich die »Überwindung des ersten Ansatzes der Seinsfrage in ›Sein und Zeit‹«, um sie ausdrücklicher mit Bezugnahme auf eine Sprache der Empfängnis und ›Passibilität‹ zu reformulieren (GA 65, 250). Die »Kehre« bedeutet dann nichts weniger als eine Wendung des Denkens der Intentionalität und der Transzendenz zum Ereignisdenken als eines ›Ereignis der Sprache‹ in der doppelten Bedeutung des Nennens (Dichten) und Sagens (Denken). Ihre Bewegung wird insonderheit deshalb mit dem Ausdruck »Kehre« assoziiert, als diese neben der Rückkehr eine ›Ver-Kehrung‹ der gewöhnlichen Bestimmungen des Denkens besorgt, wie sie in gewisser Hinsicht auch noch für das Verstehen gelten, um es schließlich ganz in die Sprache einzulassen, wie diese ihrerseits in das »Ereignis des Seyns« eingelassen ist. Denken, heißt es daher, unterstehe weder in erster Linie der Reflexion noch der hermeneutischen Interpretation, sondern der »Gunst der Sprache«, d. h. der Findung des »rechten« oder »geeigneten« Wortes. Die Struktur der »Kehre« folgt damit ganz der Struktur einer ›Er-Widerung‹ als Bewegung der »Ent-sprechung«. Sie erfüllt sich näherhin im Spiel zwischen »Zu-wurf« und »Ent-wurf«, d. h. zwischen dem, was entgegenkommt und »an-spricht« und nur angenommen werden kann, und der Weise, wie der Mensch ihm »ent-sprechend« und d. h. auch adäquat zu ›ant-worten‹ vermag: »Seyn«, so Heidegger, geschieht geschichtlich als »Ver-Gabe« jener Orte, aus denen die Sprache schöpft – denn jedes Sprechen kommt »aus dem Seyn her«, das Wort »steht unter der Macht des Seyns« (GA 65, 79). Ist das noch verständlich? Nachvollziehbar erscheinen diese ›Wendungen‹ allemal nur, wenn in jedem Satz schon die performativen Transpositionen, die buchstäblichen ›Ent-Setzungen‹, Deplatzierungen und Verschiebungen der Orte nebst ihren ›Ver-Wendungen‹, ›UmSchriften‹ und Dislokationen mitgehört werden. Der Gedanke, der sich dann ausspricht und beständig zwischen »Ver-Gabe« und »Ent-sprechung« oszilliert, ist ein genuin dialektischer – im Wortsinne von dialegein, das, in der Sprache vollzogen, durch eine bestimmte Weise des Lesens oder ›Vernehmens‹ (epaiouin) einen anderen Sinn hervortreten lässt. Abermals konnotiert hier das ›dia‹ die Performativität des Medialen, durch die allererst etwas aufzugehen vermag, ganz so wie die dialogoi, wörtlich die ›Durchsprechungen‹ (dialogizomai) der Rede die problemata erst zu ihrer Deutlichkeit verhelfen. Bei Heidegger gehören darum stets beide Seiten zusammen: zum einen die Ankunft, das »Er52
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eignis«, als ein geschichtlich »geschicktes«, das Empfänglichkeit ebenso wie Aufmerksamkeit voraussetzt – »es ›gibt‹«, wie es im späten Aufsatz Zeit und Sein heißt, ganz in der literalen Bedeutung eines unbestimmten ›Es‹, das erst die Gabe des Ereignisses verleiht, die als solche nur angenommen oder verfehlt werden kann (vgl. GA 14, 3–30) 32 –; zum anderen die verstehende Entgegennahme durch den Menschen, seinen Versuch, ihm ein angemessenes Wort zu leihen und dadurch allererst zum Vorschein der Sprache und ihrem Gehör gelangen zu lassen. ›Es gibt‹ so einerseits die ›Gabe des Seins‹, und es gibt andererseits die »Wortvergabe«, die das Sein als Sein in seinem Sinn aufrichtet. Das ›Sein‹ bedarf folglich des Menschen, um ›zur Welt‹ zu kommen, wie umgekehrt der Mensch des Seins bedarf, um ›Welt‹ und damit Bedeutung zu besitzen – das bezeichnet die wesentliche Figur, die Heidegger immer wieder ins Spiel bringt und in Bezug auf das Denken und Sprechen auszubuchstabieren sucht. »Nicht was wir erdenken«, lautet der Bescheid aus den Beiträgen zur Philosophie, »sondern was uns, gesetzt daß wir dafür reif geworden sind, in ein Denken zwingt, das weder eine Lehre gibt noch ein moralisches Handeln veranlaßt […], vielmehr ›nur‹ die Wahrheit gründet«, sei zuletzt »maß-gebend« (GA 65, 243). Das Primäre ist also das Angesprochensein, dasjenige, was Heidegger auch den »An-spruch« nennt, der sich ereignet, sich zeigt und dem es zu »ent-sprechen« gilt, um allererst die »Wahrheit des Seyns zum Seyn der Wahrheit« zu bringen (GA 65, 415). 33 In jedem Augenblick ist dabei diese Zwei- und Gegenseitigkeit ins Geschehen der Sprache verwoben. Dem korrespondieren ebenfalls die Grundlinien der späteren, seit den 1950er Jahren ausgearbeiteten Sprachphilosophie. Sie lässt sich in dem Satz zusammenfassen, worin sich der ›Satz‹, der Sprung, den er macht, durch den Umschlag der beiden Genitive, der sich wie eine unendliche Faltung fortsetzen lässt, manifestiert: »Das Wesen der Sprache –: Die Sprache des Wesens.« (GA 12, 165 f., 170, 173 f.) Die Beidseitigkeit des Genitivs birgt mit der Inversion zugleich auch die »Ent-sprechung«. Aus diesem Grunde wird die Sprache als das »Haus
32 Hierher gehört ebenfalls der ›Zusammenklang‹ von »Denken« und »Danken«, etwa exemplarisch GA 12, 255 f. In seinen spätesten Arbeiten ab ca. 1950 verzichtet Heidegger wieder ganz auf die Differenz zwischen »Sein« und »Seyn«, weil diese Differenz selbst noch zu »lehrhaft« sei, wie er in seinen Notizen von 1941/42 vermerkt (GA 71, 4). 33 Erneut drückt die Dopplung des genitivus obiectivus und subiectivus die darin angesprochene Zweiseitigkeit der »Ent-sprechung« aus.
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des Seins« bezeichnet (GA 9, 358 ff., bs. 361; GA 12, 156), wie es gleichzeitig heißt: »Die Sprache erwirkt und er-gibt erst den Menschen.« (GA 12, 11) Das bedeutet: Der Mensch ist der Bewohner des Hauses, der in ihm lebt und es auf laufend neue Weise begeht; aber das Sein (oder Seyn) ist nicht das Haus, sondern es zeigt sich darin erst als Anwesendes durch den Vollzug (per), der Performanz seiner ›Bewohnung‹. Der Schlüssel dazu findet sich erneut in besagter »Ent-sprechung«, das in erster Linie »ein Sprechen« ist und sich im Element der Sprache verwirklicht (GA 12, 177 f. sowie GA 11, 20 ff., bes. 25). Tatsächlich hat diese »Ent-sprechung« bei Heidegger einen doppelten Klang: Einerseits Entsprechung – analog zur adaequatio – als Ereignis der »Wahrheit« (aletheia), wie andererseits als Weise des menschlichen Antwortens auf die Offenheit des Seins. Es ist genau diese Duplizität, die – und damit schließt sich der Kreis – die innere, aber »verborgene Verwandtschaft« zwischen Denken und Dichten, ihre »Zusammengehörigkeit« begründet, von der auch gesagt wird, dass sie zueinander in einer »Nachbarschaft« stünden, deren Differenz jedoch stetig »in ihr Dunkel« auseinander gehalten sei. 34 Dichtung bedeutet nicht: Verdichtung im Sinne der Metapher, sondern vorerst ›Er-findung‹ des Namens als ›Bleibe‹, worin sich wohnen lässt, und deren andere Seite das Sagen ist, das weniger ein ›Aus-Sagen‹ meint, denn ein ›Auf-zeigen‹. Folglich bedeutet ihre Nachbarschaft auch nicht den Übertritt des Philosophischen ins Ästhetische oder Künstlerische – trotz der Apotheose an Hölderlins Hymne Andenken und dem »Dichterisch wohnet der Mensch auf der Erde …« (vgl. GA 52). Weit eher erscheint hier die Sprache selber als das eigentlich Gebende, wie die Gabe des Wortes, sein »Schatz« die ›Maß-Gabe‹ des Sinns ist, die wiederum der Dichtung bedarf, um ausgesprochen zu werden und dadurch zur Erscheinung zu kommen. Dichtung entfaltet darin ihre besondere ›Funktion‹ : Ihr ist, wie Heidegger anhand einer George-Auslegung ausführt, auf besondere Weise »aufgegeben«, das »ist« zu vergeben (GA 12, 149 ff.). Deshalb schreibt Heidegger auch in Unterwegs zur Sprache: »Das Wort: das Gebende. Was […]? […] [D]as Sein.« (GA 12, 182) Die kryptischen, fast staccatohaften Sentenzen heben dabei auf den Der Gedanke der »Nachbarschaft« und der »Zwiesprache zwischen dem Dichten und dem Denken« wird prominent in »Wozu Dichter?« von 1946 entwickelt (GA 5, 269– 320), ferner ebenfalls in Unterwegs zur Sprache (GA 12, 177 f.; 184 f.; 255 f.) ausgesprochen.
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Heideggers Rede
produktiven Sinn des dichterischen Wortes als eigentlich »sein-vergebend« ab: Ihm ist das menschliche Antworten vorbehalten, das darin bestehe, »Leitworte« zu finden und zu »schenken« (GA 12, 180 ff.), während das denkende Wort ihnen ›nach-denkt‹, ihre »Eignung« oder Angemessenheit prüft und es in die Geschichte des Seins (oder Seyns) zurückstellt. Auf neue Weise ist damit bestimmt, was in der Tradition der Metaphysik als »Zwiefalt« der medialen Funktionen der Sprache stets auseinander gerissen worden ist: die Differenz zwischen Bild und Begriff, phantasia und nous, Einbildungskraft (imaginatio) und Verstand (ratio) oder eigentlicher und uneigentlicher Rede, der Unterschied von Dialektik und Rhetorik sowie zwischen Kunst und Wissenschaft, Rationalität und Ästhetik. Zwischen ihnen klafft nach Heidegger nicht länger ein Abgrund, keine Disparität, sondern beide kommen in ihrem Eigenrecht zueinander und spielen ihre unabdingbare Rolle in der ›Erfahrung des Seins (Seyns)‹ – dafür verbürgt das Bild der »zwei Parallelen«, denen im ›Un-endlichen‹ ein gemeinsamer Ursprung zukomme (GA 12, 185). Ausdrücklich setzt Heidegger hinzu, dass diese »Nähe von Dichten und Denken eine solche des Sagens« ist, »[d]enn der Mensch ist nur Mensch, insofern er dem Zuspruch der Sprache zugesagt, für die Sprache, sie zu sprechen, gebraucht ist«. (GA 12, 185) Damit wird das Verhältnis so gedacht, dass die Dichtung das ›ent-sprechende‹ Wort allererst stiftet, dem das Denken nachfolgend zu ›entsprechen‹ sucht, indem ihm gleichzeitig seine Wahrheit (aletheia) aufgeht. Deswegen spricht Heidegger auch von der dichterischen »Maßgabe«: Sie setzt das ›Maß‹, das Kriterium des Wortes, das damit neue Maßstäbe setzt, welches im Sinne des Hölderlinschen Dichtungsverständnisses als ein »Stiften« verstanden werden kann. Es meint im gleichen Atemzug das Eröffnen, Entwerfen und Gründen. »Stiften« kommt, wie »Gründen«, das kein Begründen meint, ein genuin performativer Charakter zu. »Gründen« und »Stiften« meinen: Einen Boden bereiten für den »anderen Anfang«, um darauf eine andere Kultur zu bauen. Solches Bauen wird von Heidegger als Wagnis beschrieben (vgl. GA 12, 245 ff.). Die Dichter sind solche »Wagenden«: »Die Wagenderen wagen das Sagen.« (GA 5, 311/312; auch: 280 ff.) Das Wagnis geschieht dabei nicht durch das Schöpferische, sondern durch das Sicheinlassen ins Widerfahrende; es nimmt es auf und ›erkennt‹. Im selben Maße ›ent-deckt‹ das Denken das ›Wahre‹, das dergestalt die Dichtung fand, in seiner ›Wahrheit‹, seiner »Unverborgenheit« (aletheia). Das bedeutet auch: Dichten und Denken erweisen sich als zwei unterschiedA
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liche Weisen des Sprechens, die beide gleichermaßen am Wahrheitsvollzug der »Ent-sprechung« beteiligt sind, um im Vollzug allererst die unterschiedlichen »Topologien des Seyns« zu entwerfen. 35
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Vgl. Pöggeler, Otto: Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 1963, 280 ff.
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Vom ὁρισμόϚ zum »einfachen Sagen«. Zur Entwicklung einer Kernfigur in Heideggers Spätwerk
Für Ute Guzzoni
1.
»Die Wolken die Wolken«
»Das Denken sammelt die Sprache in das einfache Sagen. Die Sprache ist so die Sprache des Seins, wie die Wolken die Wolken des Himmels sind.« (GA 9, 364) Diese dichte Passage aus dem Brief über den Humanismus vereint mehrere Motive, die für Heideggers Spätwerk von entscheidender Bedeutung sind: das besondere Verhältnis von Denken und Sagen, den Bezug insbesondere des Sagens zum Sein sowie das Motiv der Sammlung bzw. des Versammelns und nicht zuletzt das Moment des Repetitiven, der Wiederholung oder ›Wieder-holung‹, das sich in der Verdopplung »die Wolken die Wolken« andeutet. Die beiden Sätze sind jedoch mehr als nur eine Kollektion verschiedener Motive. Sie haben ein Zentrum, in dem sich die Beziehungen von Denken, Sprache und Sein überkreuzen und bündeln: das »einfache Sagen«. Das »einfache Sagen« gehört zu den entscheidenden Figuren in Heideggers Spätwerk. Es ist ineins Sprach- und Denkdesiderat – mit ihm soll sich eine Abkehr von der begründenden Sprache, damit aber auch vom begründenden Denken der abendländischen Metaphysik vollziehen. So verbindet sich das einfache Sagen mit einem wichtigen Ziel von Heideggers Spätdenken – mit der Überwindung oder Verwindung der Metaphysik: Einfaches Sagen ist die Gestalt einer denkerischen Sprache, die ihre Themen nicht mehr durch die Bezugnahme auf ein Anderes bestimmt oder gar auf dieses reduziert, sondern sie schlicht als sie selbst festhält. Dadurch steht diese Figur dem nahe, was Heidegger im Spätwerk
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auch tautologisches Denken nennt. 1 Sie weist aber auch genuin phänomenologische Wesenszüge auf, die sich im Rückgriff auf jenes zentrale Motto der Phänomenologie bündeln lassen, das von Edmund Husserl geprägt wurde: Auch das einfache Sagen soll etwas als die Sache selbst aussprechen, die es ist; auch das einfache Sagen ist also – wenngleich spezifisch transformiert – vom Ziel des »Zu den Sachen selbst!« 2 her zu verstehen. Es ist in diesem Sinn ein Echo der Phänomenologie im Spätwerk – obwohl Heidegger hier kaum noch von Phänomenologie spricht, da dieses Wort für ihn dann zu sehr mit einer übermäßigen Methodisierung des Denkens verbunden ist, die den Bezug zu den »Sachen selbst« allzu sehr dem Primat strenger Erkenntnissicherung unterordnet. 3 Für ein angemessenes Verständnis dieser Figur des einfachen Sagens ist es unerlässlich zu berücksichtigen, dass hier das Moment des Formalen und Stilistischen im herkömmlichen Sinn überschritten wird. Die von Heidegger erstrebte Einfachheit des Sagens ist nicht primär strukturelles Binnenmerkmal von Ausdrücken oder Überlegungen. Nicht die Simplifikation von Formulierungen oder Argumenten steht hier im Vordergrund, sondern vielmehr – so meine Grundthese – ein spezifischer Charakter des Sachbezuges: Das einfache Sagen ist vor allem ein besonderes Verhältnis des Denkens zu seinem Thema. Auf diese »Sache selbst« sollen sich Sprechen und Denken in einer genuin einVgl. dazu den Beitrag von Martina Roesner im vorliegenden Band sowie Kwan, TzeWan: Die hermeneutische Phänomenologie und das tautologische Denken Heideggers. Bonn 1982. – Scheier, Claus-Arthur: »Die Sprache spricht. Heideggers Tautologien«. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 47, Heft 1 (1993), 60–74. – Grotz, Stephan: Vom Umgang mit Tautologien: Martin Heidegger und Roman Jakobson. Hamburg 2000. 2 Vgl. dazu u. a. Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Erster Teil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Husserliana [im Folgenden: Hua] XIX/1. The Hague / Boston / Lancaster 1984, 10. – Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. Hua III/1, Den Haag 1976, 42. – »Philosophie als strenge Wissenschaft«. In: Aufsätze und Vorträge (1911–1921). Hua XXV, Den Haag 1987, 3–62, hier 61. 3 Zu dieser Kritik, die sich bei Heidegger schon sehr früh entwickelt, vgl. Baur, Patrick: »Vom Was zum Wie. Heideggers Kritik an Husserl als Neukonstituierung eines dynamischen Phänomenologiebegriffs«. In: Friederike Rese (Hg.): Heidegger und Husserl im Vergleich. Frankfurt am Main 2010, 95–113. – Overgaard, Søren: »Heidegger’s Early Critique of Husserl«. In: International Journal of Philosophical Studies 11(2) (2003), 157–175. 1
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fachen Weise beziehen. Auch keine Gradualität ist dabei impliziert; es gibt für Heidegger kein ›einfacheres‹ oder ›weniger einfaches Sagen‹. Einfachheit tritt hier als ganz qualitatives Moment auf. Es ist Kennzeichen eines spezifischen Sprach- und Denkstils. Obwohl es sich beim einfachen Sagen um eine Figur in Heideggers Spätwerk handelt, lassen sich ihre Spuren bereits in weitaus früheren Texten ausmachen. Sie kündigt sich bereits vor Sein und Zeit an, steht dort aber noch unter anderem Titel und Vorzeichen. Damit ist ein zweites Moment angezeigt, das in die Interpretation des einfachen Sagens mit einzubeziehen ist: die Basis im Frühwerk, aus der heraus sich diese Figur entwickelt. Daher möchte ich im Folgenden Heideggers Idee des einfachen Sagens unter Rückbezug auf das Frühwerk erörtern. Dieser Rückgang auf eine ungleich frühere Phase von Heideggers Œuvre hat einen doppelten Zweck; er ist auf der interpretatorischen und der methodologischen Ebene von Interesse. Die methodologische Relevanz sehe ich darin, dass die sorgfältige Integration jeweils anderer Entwicklungsphasen in die Interpretation erst die tatsächliche Bewegung eines Denkens erhellt. Erst wenn die Herkünfte, Wandlungen und Geschichten von Denkfiguren, Stilfiguren und Inhalten sichtbar werden, zeigen sich hinter oder neben der Idee eines heideggerschen »Werks« Denkwege, die sich in ihrer Dynamik auch immer wieder den gängigen Periodisierungen und Reduktionen auf zentrale Werkepochen entziehen. Die Ebene der Interpretation profitiert davon. Sie kann Bezüge deutlicher herausarbeiten, die in den Endzuständen einzelner Phasen durch Transformationen undeutlicher geworden sind und sich doch weiterhin bestimmend auswirken; sie kann die verschiedenen Phasen in eine Konstellation zueinander bewegen, so dass sie sich gegenseitig erhellen. – Ich beginne mit einer näheren Betrachtung zur Figur des einfachen Sagens selbst.
2.
Das einfache Sagen
2.1 Die Struktur des einfachen Sagens Was genau ist dieses einfache Sagen ? In Heideggers eingangs zitiertem Satz ist die Sprache durch einen Genitiv an das Sein gebunden: Sie ist »so die Sprache des Seins, wie die Wolken die Wolken des Himmels A
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sind.« Als Sprache des Seins wird sie im einfachen Sagen »gesammelt«: Sie wird gleichsam verdichtet, konkretisiert sich zu einer einzelnen denkerischen Rede. Im Prozess dieser Konkretisierung verliert die Sprache aber nicht ihren Bezug auf das Sein. Die Seinsbindung der Sprache überträgt sich vielmehr auf das einfache Sagen und bestimmt es in seinem Kern. Von ihrer Analyse ist daher genauere Aufklärung über das einfache Sagen zu erwarten. Eine zentrale Funktion kommt dabei dem sozusagen ontologischen Genitiv zu, durch den Heidegger im Brief über den Humanismus die Sprache an das Sein bindet. Auch hier ist freilich die oben erwähnte Transgression des Formal-Stilistischen zu berücksichtigen: Nicht primär als grammatische Struktur ist dieser Genitiv zu nehmen, sondern als eine Figur des Bezuges zu den Sachen selbst. Die nun folgende Interpretation dieses Genitivs bezieht sich daher auch auf Heideggers Widerstand gegen die Grammatik, sofern diese ein formal-strukturelles Unternehmen bleibt, und auf seinen Versuch, das Verständnis der Sprache vom Zugriff der Grammatik zu entbinden. Im Folgenden möchte ich den besonderen Sinn dieses ontologischen Genitivs gleichsam im Kontrastverfahren freilegen: durch den Vergleich mit einigen Genitiven Hegels, wie sie sich in Heideggers Perspektive darstellen. Bereits für Heideggers Frühwerk ist die grammatikkritische Überzeugung prägend, dass sich die Phänomenologie »außerhalb jeder Logik und Grammatik und jenseits jedes symbolischen Verfahrens« 4 bewege. Im Brief über den Humanismus fordert Heidegger dann »die Befreiung der Sprache aus der Grammatik in ein ursprünglicheres Wesensgefüge« (GA 9, 314). 5 Die traditionelle Grammatik ist in Heideggers Augen nicht weniger durch die Geschichte der abendländischen Metaphysik geprägt als andere Bereiche des Denkens. Seine Kritik richtet sich dabei gerade auf das Verständnis der Genitive. Heidegger bezieht sich hier insbesondere auf die Unterscheidung in genitivus subiectivus und obiectivus: »[…] ›Subjekt‹ und ›Objekt‹ [sind] ungemäße Titel der MeSo Rodin, Davor: »Sprache und Schrift«. In: Dietrich Papenfuß, Otto Pöggeler (Hg.): Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Bd. 3: Im Spiegel der Welt: Sprache, Übersetzung, Auseinandersetzung. Frankfurt am Main 1992, 26–42, hier 30. 5 Heideggers Beschäftigung mit Theorie und Kritik der Grammatik setzt spätestens mit der Habilitationsschrift ein. Vgl. dazu Heidegger, Martin: »Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus«, GA 1, 133–353. – Caputo, John D.: Heidegger and Aquinas: An Essay on Overcoming Metaphysics. New York 1982, insbes. 163–167. – Rodin: »Sprache und Schrift«, pass. 4
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taphysik, die sich in der Gestalt der abendländischen ›Logik‹ und ›Grammatik‹ frühzeitig der Interpretation der Sprache bemächtigt hat. Was sich in diesem Vorgang verbirgt, vermögen wir heute nur erst zu ahnen.« (GA 9, 314) Auch im vierten Freiburger Vortrag über die Grundsätze des Denkens aus dem Jahr 1957 betont Heidegger: »Wir müssen erst durch die starren und in Wahrheit unzureichenden grammatischen Unterscheidungen hinsichtlich des Genitivs hindurchsehen, um den Sachverhalt vors Auge zu bekommen, aus dem her die Wendung ›Grundsätze des Denkens‹ spricht.« (GA 79, 137) Für Heidegger ist die Geschichte der Grammatik ein Teil der Geschichte der abendländischen Metaphysik. Sie ist damit zugleich innerhalb der Seinsgeschichte verortet. Zu der von ihm angezielten »Überwindung« oder »Verwindung der Metaphysik« gehört in diesem Sinn auch eine Überwindung oder Verwindung der Grammatik – der Grammatik wenigstens in ihrer metaphysischen façon. Ihren Höhepunkt und ihre erste Vollendung findet die Geschichte der Metaphysik, wenigstens in heideggerscher Lesart, bei Hegel. Man darf vermuten, dass für Heidegger auch die »Seinsgeschichte des Genitivs« – wie ich sie nennen möchte – hier einen Höhepunkt erreicht. Heideggers »Erläuterung der ›Einleitung‹ zu Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹« (vgl. GA 68, 63–150) aus dem Jahr 1942 zeigt, dass diese Hypothese ihr Recht besitzt. Die »Erläuterung« macht nämlich jene Genitive zum Thema, die in Hegels berühmten Werktiteln Phänomenologie des Geistes und Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins vorkommen. Im Ergebnis kommt die »Erläuterung« zu der Einsicht, dass diese Genitive stets genitivus subiectivus und obiectivus zugleich sind: Wenn Hegel von der »Erfahrung des Bewusstseins« spricht, dann ist damit Bewusstsein nicht nur als das gemeint, was erfährt, sondern auch das Erfahrene selbst, ist also sowohl Subjekt wie Objekt des Erfahrens; und in dem Titel Phänomenologie des Geistes ist der Geist sowohl Gegenstand wie auch Vollzugsinstanz der dort gebotenen Phänomenologie der Bewusstseinsstufen zum absoluten Wissen hin. Dieser spezifische, spekulativ-idealistische Genitiv ist nun für Heidegger mehr denn nur eine doppeldeutige grammatische Form: Er ist »nicht einfach nur beides zusammen, sondern er ist ein Genitiv, der die Einheit des Subjekts und des Objekts und den Grund ihrer Einheit nennt, d. h. die
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[…] Synthesis im metaphysischen Wesen des Bewußtseins. Der Genitiv in den Titeln ›die Erfahrung des Bewußtseins‹, ›die Phänomenologie des Geistes‹ ist der spekulativ-metaphysische Genitiv. Alle Genitive der Sprache der ›Phänomenologie des Geistes‹ sind von dieser Art.« (GA 68, 104 f.)
Im spekulativ-metaphysischen Genitiv wird die Trennung von subiectivus und obiectivus, von Subjekt und Objekt zuerst gedacht, dann in eine Beziehung verwandelt und zuletzt aufgehoben. Subjekt und Objekt nähern sich einander an bis zur Identität in der Negativität des Sich-aufsich-selbst-Beziehens. Heidegger liest Hegels Genitiv also als Modell eines Fremdbezuges, der zum Selbstbezug wird – als Modell dessen, was Ute Guzzoni sehr treffend das »Werden zu sich« 6 des absoluten Geistes genannt hat. Auch der Genitiv in Heideggers Rede von der »Sprache des Seins« meint einen Bezug oder eine Beziehung. Der entscheidende Unterschied zum spekulativ-metaphysischen Genitiv besteht aber darin, dass sich hier die Beziehung zwischen Sein und Sprache nicht erst herstellen muss. Der Genitiv »die Sprache des Seins« impliziert kein Werden, kein Identischwerden von zuvor Unverbundenem oder Verschiedenem. Genau darin liegt der Sinn des Vergleichs, in den Heidegger seinen Genitiv einbindet: »Die Sprache ist so die Sprache des Seins, wie die Wolken die Wolken des Himmels sind.« Die Wolken stehen zum Himmel nicht in einem Vermittlungsverhältnis – sie sind nicht isolierte Elemente, die dann im Himmel aufgehoben wären wie in einem genus, einem Allgemeinen. Es gibt auch nicht ein Drittes, das etwa der Grund für die Zugehörigkeit der Wolken zum Himmel wäre; mit dem Genitiv »die Wolken des Himmels« meint Heidegger eine ungleich einfachere Beziehung. Es wäre allerdings verfehlt, diese Einfachheit im Sinne einer Unmittelbarkeit zu deuten. Nicht auf das Gegenteil von Vermittlung ist Heidegger hier aus, sondern auf einen Primat der Beziehung: Wolken und Himmel sind jeweils das, was sie sind, aus der Beziehung zueinander. Auch der Genitiv, der den Bezug von Sprache und Sein ausdrückt, ist als Figur eines in diesem Sinn einfachen Verhältnisses beider zu verstehen. Der Genitiv »die Sprache des Seins« impliziert also die Auffassung, dass das Sein nicht wie ein Gegenstand ist, der sich, wie andere Gegenstände auch, durch die Sprache thematisieren lässt. Die Sprache Vgl. Guzzoni, Ute: Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels »Wissenschaft der Logik«. Freiburg / München 3 1982.
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tritt hier nicht einfach zum Sein hin; sie benennt es nicht von außen, ist kein bloßer »Ausdruck« einer Sache, die auch ohne Verbalisierung so wäre, wie sie ist. Sein und Sprache sind aus dem gegenseitigen Bezug heraus, was sie jeweils sind. Das bedeutet aber auch: Für Heidegger ist die Sprache kein in sich geschlossener Strukturzusammenhang, sondern sie öffnet sich von vornherein auf das Sein hin. Mit seinem Vergleich von – sozusagen – ›meteorologischem‹ und ontologischem Genitiv will Heidegger also auf eine enorme Nähe von Sein und Sprache hinaus, die jedoch kein Identitätsverhältnis darstellt: Die Beziehung zwischen Sprache und Sein entsteht nicht erst und wird auch nicht von einer der beiden »Instanzen« hervorgebracht. Sprache und Sein stehen immer schon in einem fundamentalen Bezug zueinander. Diese Sprache in ihrer Seinsbindung ist es nun, die – so Heideggers Bemerkung im Brief über den Humanismus – vom Denken »in das einfache Sagen« gesammelt wird. Mit dem Wort sammeln benutzt Heidegger hier ein wichtiges Wort aus dem Spätwerk, das allerdings bereits seit den 1930er-Jahren seine Thematisierung des λόγοϚ (logos) zu bestimmen beginnt (vgl. GA 33, 5). Vor dem Hintergrund etymologischer Überlegungen wird der λόγοϚ im Spätwerk selbst als Sammlung bestimmt: Er ist ein welthafter Bezug, bringt Dinge und Aspekte der Welt in Beziehung und damit in eine gewisse Nähe zueinander. In seinem vorhin zitierten Satz über das einfache Sagen bezieht Heidegger das Moment des Sammelns aber in anderer Weise auf den λόγοϚ: Der λόγοϚ selbst wird jetzt als »Sprache des Seins« gesammelt, und zwar in das einfache Sagen. Das einfache Sagen ist also gleichsam ein konzentrierter, verdichteter, intensivierter λόγοϚ. Das ›einfach Gesagte‹ stellt demnach nicht etwa einen Ausschnitt aus der Gesamtheit aller sprachlichen Kombinations- oder Bedeutungsmöglichkeiten dar. Es ist auch nicht ein einzelnes Exemplar oder eine Besonderung aus dem allgemeinen Zusammenhang »der Sprache«. Dass der λόγοϚ selbst gesammelt wird, das bedeutet ja gerade: Es wird etwas mit ihm gemacht und nicht etwas aus ihm extrahiert. Im einfachen Sagen konzentriert sich die ganze Bezogenheit der Sprache zum Sein. Das Einfache am einfachen Sagen liegt in der Weise, wie in ihm die Sprache auf das Sein bezogen ist. Der Sinn dessen, was Heidegger Versammeln nennt und was ich hier als »Konkretisierung« oder »Verdichtung« beschrieben habe, lässt sich durch einen Vergleich deutlich machen: Sofern die denkerische A
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Rede wirklich den Status eines einfachen Sagens hat, verhält sie sich zur Sprache des Seins ähnlich wie das Kunstwerk, das – so Heidegger in Der Ursprung des Kunstwerkes – das Geschehen der Wahrheit ins Werk setzt (vgl. insbes. GA 5, 49 f.). Man müsste sich das Gegebensein eines einfach Gesagten so vorstellen, wie Heidegger hier einen Tempel beschreibt: »Ein Bauwerk, hier ein griechischer Tempel, bildet nichts ab. Er steht einfach da inmitten des zerklüfteten Felsentales.« (GA 5, 29) Auch das einfache Sagen würde nichts abbilden oder vorstellen. Es wäre ein Wort, das auf sich beruht, gerade dadurch aber welthafte Bezüge eröffnet. 7 Wie der Tempel ein ruhendes Ding ist, das dennoch – oder gerade dadurch – zur performativen Instanz des Wahrheitsgeschehens wird, so wäre auch etwas einfach Gesagtes ein in sich ruhendes Wort, in welchem sich eine geschichtliche Wandlung des Seins vollzieht. In diesem Sinn ist das Sein für das einfache Sagen nicht ein bestimmtes Thema unter anderen, und was in einfacher Weise von diesem Sein gesagt werden kann, ist nicht eine Aussagemöglichkeit unter anderen. Sein und Sagen liegen hier nicht passiv nebeneinander und sind auch nicht durch die Figur der Repräsentation miteinander verbunden. Das einfache Sagen ordnet sich vielmehr in das Geschehen des Seins ein und ist auf diese Weise ein wesentliches Moment darin. Im Brief über den Humanismus geht Heidegger auch davon aus, dass das Sein bisher noch nie in dieser Weise einfach gesagt wurde. Das Sein einfach zu sagen – das wäre für Heidegger nicht ein Erkenntnisfortschritt über einen äußerlich bleibenden Gegenstand, sondern eine Wende innerhalb der Geschichte des Seins selbst. Im Spätwerk tritt das einfache Sagen daher meist als ein Desiderat auf. Heidegger ist hier sogar dazu bereit, für das einfache Sagen die von ihm sonst so hoch geschätzte Figur der Frage 8 aufzugeben. So schreibt er 1953, am Ende von Wissenschaft und Besinnung: »Besinnung braucht es als ein Entsprechen, das sich in der Klarheit unablässigen Fragens an das Unerschöpfliche des Fragwürdigen vergißt, von dem her das Entsprechen im geeigneten Augenblick den Charakter des Fragens verliert und zum einfachen Sagen wird.« (GA 7, 65) Was hat es mit diesem Status des einfachen Sagens als eines Desiderats auf sich?
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Zu der Weise, wie ein Tempel dies Heidegger zufolge leistet, vgl. GA 5, 27 f. Vgl. Derrida, Jacques: Vom Geist. Heidegger und die Frage. Frankfurt am Main 1988.
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2.2 Einfaches Sagen als Desiderat Wie aus der eben zitierten Stelle hervorgeht, denkt Heidegger den Übergang vom Fragen zum einfachen Sagen kairologisch – es gibt dafür einen »geeigneten Augenblick«. Dieser καιρόϚ (kairos) ergibt sich aber nicht als Leistung des Subjekts, das fragt oder sagt. Denn zum einen geht es hier, wie Heidegger festhält, um ein Entsprechen: Das Sprechen des Philosophen ist für ihn nicht ursprünglich im Sinne der Metaphysik des Subjekts, ist also nicht spontane Leistung subjekthafter Freiheit, sondern Erwiderung auf eine Bewegung des Fragwürdigen. Zum anderen soll sich dieses Entsprechen – auch das sagt Heidegger in der eben zitierten Passage – selbst vergessen, d. h. von sich selbst ab- und auf die »Unerschöpflichkeit des Fragwürdigen« hinblicken. Die denkerische Sprache im heideggerschen Sinn darf dieser Unerschöpflichkeit gegenüber nicht auf sich selbst insistieren wie ein Subjekt, sondern muss sich dem Fragwürdigen gleichsam überlassen, so dass die Sprache nicht mehr vor allem die Sprache des Denkers, sondern die der Sache selbst ist. 9 Dieses Fragwürdige selbst – und nicht der Philosoph – wird dann die Transformation der Frage in ein einfaches Sagen initiieren. Der καιρόϚ, in dem sich das einfache Sagen einstellt, lässt sich demnach nicht erzwingen oder auch nur herstellen. Das einfache Sagen hat den Charakter einer Gabe, eines Geschenks: Es verdankt sich dem, wonach gefragt wird, d. h. jener Sache, die in der jeweiligen philosophischen Frage thematisch ist, letztlich also: dem Sein oder »Seyn«, dessen Sinn für Heidegger immerhin Gegenstand der »Frage aller Fragen« (GA 65, 11) ist. So entspringt die Figur des einfachen Sagens dem Selbstverständnis eines Denkens, das sich in Zurückhaltung übt, also nicht ins Schema der Produktion passen will, und das sich zu seinen Themen nicht im Modus der Subjekt-Objekt-Beziehung verhält. Desiderat ist das einfache Sagen für Heidegger aber nicht nur deshalb, weil man es nicht erzwingen oder herstellen kann, sondern gleichsam darauf warten muss, dass das eigene Fragen in diese Gestalt verwandelt wird. In den Beiträgen zur Philosophie spricht Heidegger auch von einer »zunehmenden Abstumpfung gegen die Einfachheit wesentlicher Besinnung«, in der »jeder Gang und Weg mißachtet wird, wenn In diesem Sinn wäre aus einer heideggerschen Perspektive das Wort Buffons anders zu formulieren: Der Stil ist für Heidegger nicht l’homme même, sondern im Stil zeigt sich – oder entzieht sich – la chose même.
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er nicht schon im ersten Schritt ein ›Ergebnis‹ bringt, womit etwas zu ›machen‹ und wobei etwas zu ›erleben‹ ist.« (GA 65, 47) Damit stellt er das Fehlen einer Einfachheit der Besinnung – der sicherlich eine Einfachheit des Sagens korrespondieren würde –, auch in einen zeitkritischen Kontext: Im Zeitalter der »Machenschaft« (vgl. insbes. GA 65, 126–134), der Effektivität und der Leistung erscheint die Einfachheit der Besinnung und eines dementsprechenden Sagens als reizlos. Das einfache Sagen bleibt also auch deswegen eine erst zu erreichende Zielfigur des philosophischen Denkens und Sprechens, weil es in einer Epoche zu geschehen hätte, die ihrem Wesen nach – in Heideggers Perspektive – wenig geeignet ist für diese Figur. Das einfache Sagen verortet sich damit im Bereich von Heideggers Geschichtsdenken, denn hinter der Zeitkritik, die hier wirksam wird, steht die seinsgeschichtlich orientierte Diagnose seiner eigenen Gegenwart. Der καιρόϚ des einfachen Sagens hängt nicht allein von der Sache ab, die es in einfacher Weise zu sagen gilt – es gibt auch einen geschichtlichen Kontext, der für das einfache Sagen günstig oder hinderlich sein kann. Der Übergang vom Fragen zum einfachen Sagen wäre auch und zumal eine geschichtliche Bewegung: In ihm würde sich jener Geltungsanspruch des Machens, Bewirkens und Leistens beschränken, der Heideggers Zeitkritik zufolge für die technisierte Epoche der Gegenwart oder des »Ge-stells« charakteristisch ist. 10 Dies weist zugleich darauf hin, dass die Rolle des Denkens in Bezug auf das einfache Sagen für Heidegger nicht ganz so passiv ist, wie es eben vielleicht den Anschein hatte. Heidegger zufolge darf das Denken auch nicht einfach passiv darauf warten, dass sich das Fragen in ein einfaches Sagen transformiert; diese Transformation wird sich nicht einstellen, wenn das Denken nicht unablässig fragt und wenn es nicht versucht, sich von einer geschichtlich gewordenen Abstumpfung gegenüber der Einfachheit zu befreien. In einem doppelten Sinn also ist das einfache Sagen beim späten Heidegger zunächst nur Desiderat: indem das Denken nicht einfach aus eigener Kraft zur Form des einfachen Sagens übergehen kann und inVgl. GA 9, 362: »Das Befremdliche an diesem Denken des Seins ist das Einfache. Gerade dieses hält uns von ihm ab. Denn wir suchen das Denken, das unter dem Namen ›Philosophie‹ sein weltgeschichtliches Ansehen hat, in der Gestalt des Ungewöhnlichen, das nur Eingeweihten zugänglich ist. […] Durch sein einfaches Wesen macht sich das Denken des Seins für uns kenntlich.«
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dem das einfache Sagen erst die Zielfigur eines Denkens wird, in welchem die gegenwärtige Epoche überwunden wäre.
2.3 Einfaches Sagen als eingelöste Sprechform Zugleich entstehen im Spätwerk aber auch Texte, bei deren Lektüre der Eindruck eines durchaus eingelösten einfachen Sagens entsteht. So beschreibt Heidegger meines Erachtens im Vortrag Das Ding die Welt auf eine Weise, die dem Ideal eines einfachen Sagens recht nahe kommt. Die Welt wird hier differenziert in Himmel und Erde, Göttliche und Sterbliche; das Ding erweist sich als unscheinbarer, aber entscheidender Begegnungsort dieser vier Weltbereiche. Heidegger stellt diese Zusammenhänge jedoch weder argumentativ, noch deduktiv-ableitend dar, noch nimmt er sie in die Figur der Frage zurück: Er stellt sie nur hin. Insbesondere beschreibt er die Weltgegenden nicht als für sich seiende Bereiche, deren Zusammenhang erst noch konstituiert werden müsste. Sie treten geschehnishaft als das »Welten der Welt« auf und scheinen so zueinander zu gehören, wie es Heidegger in seinem Bild von der Zugehörigkeit der Wolken zum Himmel andeutet. »Das menschliche Erklärenwollen langt überhaupt nicht in das Einfache der Einfalt des Weltens hin. Die einigen Vier sind in ihrem Wesen schon erstickt, wenn man sie nur als vereinzeltes Wirkliches vorstellt, das durch einander begründet und aus einander erklärt werden soll.« (GA 79, 19)
An dieser Stelle zeigt sich, dass die Figur des einfachen Sagens auch in einer fundamentalen Beziehung zur Figur der Tautologie steht. Was hier zu denken ist, das ist in der Figur der Tautologie vorgegeben: Das so genannte Welten der Welt, das Dingen des Dinges und sicher auch das Leiben des Leibes. 11 Heidegger begreift diese Figur der Tautologie gleichsam als eine Vorsichtsfigur: Sie bewahrt das Denken davor, seine Themen von außen her zu bestimmen, und führt dazu, rein die Sache selbst im Blick zu behalten. Das, was so als Thema tautologisch angesprochen wird, entfaltet sich dann im Modus des einfachen Sagens. Einfaches Sagen ist – wie die Tautologie – der Versuch, etwas als es selbst zu sagen, anstatt es durch eine Zusammenfügung anderer Aspekte zu definieren. Zum »Leiben des Leibes« vgl. Baur, Patrick: Phänomenologie der Gebärden. Leiblichkeit und Sprache bei Heidegger. Freiburg / München 2013 (im Erscheinen).
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So steht das einfache Sagen in einem komplexen Verhältnis zu den vielfältigen Formen des Aufschubs, die es in Heideggers Spätwerk gibt: zu der oftmals anzutreffenden Betonung des Vorläufigen und Unvollkommenen am aktuell Gesagten, zur ebenfalls häufigen Ankündigung, dieses Gesagte oder Geschriebene müsse später noch einmal grundlegender wiederholt werden, aber auch zum leeren oder offenen Raum der Tautologie – Gesten einer Zurückhaltung, die in verwandter Gestalt auch schon aus Sein und Zeit bekannt sind und von denen her auch die starke Betonung des Fragens bei Heidegger zu verstehen ist. Diesen Gesten der Zurückhaltung gegenüber wäre das einfache Sagen, wenn es tatsächlich erreicht würde, in höherem Maße Einlösung und Erfüllung des Denkens. Sofern es hingegen nur im Modus des Desiderats bleibt, ordnet es sich selbst in die Gesten des Aufschubs, der Zurückhaltung, der Abschwächung eines starken metaphysischen Anspruchs des Denkens ein.
3.
Die Herkunft des einfachen Sagens
Heidegger baut bei der Entwicklung dieser Figur des einfachen Sagens auf Überlegungen auf, die er bereits im Frühwerk entwickelt hatte. Die Idee des einfachen Sagens steht – so meine These – in einem werkgeschichtlichen Verhältnis zu Heideggers früher Reflexion über die Einheit des λόγοϚ bei Platon und Aristoteles. In seiner an diese Denker anschließenden Thematisierung des alltäglichen Sprechen (Rede) und dann des philosophisch-definierenden, begrifflichen Sprechens (Begriff und Definition, d. h. ὁρισμόϚ [horismos] oder λόγοϚ οὐσίαϚ [logos ousias] gelangt Heidegger zu Vorformen dessen, was dann im Spätwerk in verwandelter Gestalt als einfaches Sagen auftritt. Es führt ein Weg von der Einheit des λόγοϚ im Frühwerk zur Einfachheit des Sagens im Spätwerk. Das möchte ich im Folgenden ansatzweise zeigen. 3.1 Die Einheit des λόγοϚ Heideggers Vorlesung Logik. Die Frage nach der Wahrheit vom Wintersemester 1925/26 befasst sich unter anderem mit Platons Interpretation des λόγοϚ im Sinne einer Worteinheit.
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»Plato fragt im ›Sophistes‹ : Was macht es, daß die Mannigfaltigkeit von Wörtern, die aufeinanderfolgen, eine κοινωνία bildet – ein Zusammen als Miteinander? Das liegt, sagt er, daran, daß der λόγοϚ λόγοϚ τινόϚ ist – die Rede ist Rede über und von etwas.« (GA 21, 142)
Heidegger hebt hier hervor, dass Platon die Einheit des Satzes nicht grammatisch, nicht strukturell-syntaktisch als Kollektion von Subjekt, Objekt und Prädikat bzw. finitem Verb denkt. Ihr Kriterium ist vielmehr in einem sehr weiten Sinn semantischer Art. Es liegt in der Intentionalität der Rede – darin, dass sie sich auf eine einheitliche Sache bezieht: »Die Einheit konstituiert sich aus dem Beredeten selbst her und wird von da verständlich.« (Ebd.) Das Satzganze ist zwar ein »Zusammen« oder ein »Miteinander« von Elementen; sie sind intern aufeinander abgestimmt, aber der Satzbezug ist erst im Sachbezug gestiftet. In Sein und Zeit stellt Heidegger diesen Sachverhalt erneut dar und betont: »Im Hinblick auf das im λόγοϚ offenbare Seiende werden die Wörter zu einem Wortganzen zusammengesetzt.« (SuZ, 159; GA 2, 211) Hier wird deutlicher, dass sich die Einheit des Satzes gerade der offenbarenden Funktion des λόγοϚ verdankt. Es ist nicht so, dass uns die Rede etwas offenbaren kann, weil sie bestimmten strukturellen Bauregeln genügt; vielmehr ist sie in bestimmter Weise gebaut, weil ihr τέλοϚ (telos) darin besteht, uns ein Seiendes (ὄν [on]) zu offenbaren, und zwar als ein Eines (ἕν [hen]). Der Begriff des Offenbarens, den Heidegger hier in Sein und Zeit gebraucht, um die Funktion der Rede zu beschreiben, entstammt eigentlich seiner Aristoteles-Interpretation. Bereits im Wintersemester 1923/24, in der Vorlesung zur Einführung in die phänomenologische Forschung, hatte Heidegger während seiner Interpretation der aristotelischen Schrift Peri hermeneias die Einheit der »aufzeigende[n] Rede« (GA 17, 19 u. ö.) behandelt – die Einheit des λόγοϚ ἀποφαντικόϚ (logos apophantikos) also. »Die Frage nach der Einheit des λόγοϚ ἀποφαντικόϚ ist gleich der Frage: Was charakterisiert den λόγοϚ ἀποφαντικόϚ als einen? Er ist eines offenbarmachend (Ἓν δηλῶν [hen delon] 12 )« (GA 17, 25). Heidegger spricht hier auch von der »Bedeutungsfunktion des λέγειν [legein]« (ebd.). Zusammenfassend lässt sich also sagen: Der frühe Heidegger denkt
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Aristoteles: Peri hermeneias / De interpretatione 5, 17a16. Vgl. GA 17, 25, Anm. 40. A
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unter Bezugnahme auf Platon und Aristoteles die Einheit der Rede teleologisch-funktionalistisch, d. h. von Ziel und Funktion des Offenbarmachens her; und er denkt einen Primat des Sachbezugs der Rede – im Sinne des Offenbarmachens oder Bedeutens –, aus dem sich erst die strukturelle Charakteristik des jeweiligen Satzes ergibt. Schon in Heideggers früher Platon- und Aristoteles-Interpretation zeigt sich demnach im Ansatz, wie Heidegger später den Bezug von Sprache und Sein denken kann: Die Rede ist immer schon transgressiver Natur, sie hat ihre eigene Struktur immer schon auf das hin überschritten, wovon die Rede ist. Ihre Einheit ist schon im Frühwerk nicht binnenstrukturell aufgefasst, sondern liegt in der Einheit ihres Weltbezuges, der nicht erst aus einer Zusammensetzung verschiedener Bestandteile (Satzteile; Satz und »Bedeutung« bzw. besprochene Sache selbst) entsteht, sondern im Voraus den Aufbau der Rede organisiert. 13 Heideggers Überlegungen implizieren aber auch die These, dass das Offenbarmachen eine Leistung der menschlichen Rede ist. Sie ist der wesentliche Ort, an dem Seiendes als etwas offenbar wird. 3.2 Die Einheit des ὁρισμόϚ In seinen Vorlesungen vom Wintersemester 1923/24 und vom Sommersemester 1924 spitzt Heidegger diese Interpretation des λόγοϚ auf einen ganz bestimmten Punkt zu: Er unternimmt sie, um zu erklären, was Phänomenologie ist. Bereits hier entwickelt er die dann auch in Sein und Zeit verwendete Strategie, seine Konzeption des phänomenologischen Denkens durch eine Interpretation der Begriffe φαινόμενον (phainomenon) und λόγοϚ zu entwickeln. Doch in den eben erwähnten Vorlesungen nimmt die Analyse des λόγοϚ am Ende einen anderen Das gilt übrigens nicht nur für den grammatisch-syntaktischen Aufbau von Sätzen, sondern für alle Momente des Sprechens. Vgl. dazu beispielhaft Heideggers Ausführungen zur Definition der Stimme als φωνὴ σημαντική (phone semantike) bei Aristoteles in GA 17, 14 ff. – Hier kann nicht mehr in extenso gezeigt werden, wie Heidegger dann die Einheit des λόγοϚ im Anschluss an Aristoteles von der »Als-Struktur« her interpretiert: Die Rede sagt bzw. zeigt etwas als etwas, z. B. ein Dies-hier als einen Tisch; sie bringt also diese beiden Aspekte zusammen, enthält daher aber auch einen Verweis auf ihre Verschiedenheit. Vgl. dazu SuZ, 159 (GA 2, 211) sowie zur »Als-Struktur« bei Aristoteles Tugendhat, Ernst: Ti kata tinos. Eine Untersuchung zu Struktur und Ursprung aristotelischer Grundbegriffe. Freiburg / München 5 2003. 13
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Verlauf als in Sein und Zeit: Heidegger lässt sie im Anhalt an das fünfte Buch der aristotelischen Metaphysik in eine Interpretation des ὁρισμόϚ münden – des λόγοϚ im Sinne der Definition. Die definierende Rede erscheint hier als die eigentliche Sprachform des Denkens: »Für jedes Daseiende als solches gibt es einen einzigen λόγοϚ, in dem ich die Sache selbst in ihrem Sein ansprechen kann, ὁρισμόϚ. Es ist dasjenige Ansprechen einer Sache, wodurch sie in ihre Seinsgrenzen hineingedrängt und bestimmt wird.« (GA 17, 33) Diese Interpretation des ὁρισμόϚ spielt bei der späteren Entwicklung der Figur des einfachen Sagens eine noch bedeutendere Rolle als die Transgressivität der alltäglichen Rede. Entscheidend ist dabei die Art und Weise, in der Heidegger den Unterschied zwischen dem definitorischen oder begrifflichen λόγοϚ und dem λόγοϚ im Sinne der alltagspraktischen Rede macht. Neben dem ὁρισμόϚ, bei dem immer nur eine Version die Sache wirklich als solche sehen lässt, gibt es »λόγοι, durch die ich die Sachen in vielen Hinsichten ansprechen kann. Wir sehen die Dinge nach den Umständen […], in denen wir es mit ihnen zu tun haben. Diese Umständigkeit des Sachverhaltes lässt es zu, daß die λόγοι, die ihn ansprechen, viele sind.« (GA 17, 33) Im Unterschied zum definitorisch-begrifflichen Sprechen stellt das alltagspraktische Sprechen also eine plurale Redeweise dar, die immer mehrere Möglichkeiten offenlässt, all jene Sachen anzusprechen, mit denen wir in der Welt umgehen. Der ὁρισμόϚ tritt hier als die jeweils einzig angemessene Rede für die zu denkende Sache auf. In diesem Sinn besitzt Heideggers Sprachverständnis eine durchaus antipluralistische Schlagseite, indem es die unaufhebbare Pluralität der Rede in den Bereich bloßer Alltagskommunikation verbannt und aus dem philosophischen Diskurs ausschließt. 14 »Solche λόγοι nun, bei denen ich eine Sache so anspreche, daß ich das, als was ich sie anspreche, nicht rein aus ihr selbst gewinne, sondern in Hinsicht auf ein anderes, was ich schon kenne, – diese Hinsichten selbst, in denen ich in vielfacher Weise eine Sache ansprechen kann, liegen außerhalb. Das, worauf ich hinsehe, ist etwas, was ich herbeiziehen muß, wenn ich die Sache bestim-
Dass die Position, die Heidegger hier im Rekurs auf Platon und Aristoteles einnimmt, sehr traditionell ist, kann z. B. auch ein Blick in Descartes’ Regulae (II, 2) deutlich machen. (Vgl. Descartes, René: Regulae ad directionem ingenii / Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. Hamburg 1993, 6–8 bzw. 7–9.)
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me. Ein solcher λόγοϚ ist nie einfach. Der einfache λόγοϚ ist der, durch den ich die Sache selbst bestimme, nicht von ihr wegtrete.« (GA 17, 33)
Heidegger liest hier die Pluralität der alltäglichen Rede nicht nur als eine Vielheit verschiedener Aussagemöglichkeiten, sondern als ein Fehlen der Einfachheit in jedem einzelnen alltäglichen λόγοϚ. Dieser Auffassung nach beruht die Pluralität der Rede nicht auf einer Pluralität in den Perspektiven der Sprechenden, sondern primär auf einer komplexen Mannigfaltigkeit von Eigenschaften und Hinsichten, in denen sich der Sachbezug auflöst und die Dinge nicht als solche in Erscheinung treten. Das plurale Sprechen der Alltagskommunikation bleibt den Dingen, von denen die Rede ist, in Heideggers Sichtweise äußerlich. Es tritt von ihnen weg, kann in ganz verschiedene Beziehungen zu ihnen treten und geht damit nicht auf die Dinge als die »Sachen selbst« ein, die sie sind, sondern bindet sie in die verschiedenen Hinsichten des praktischen Umgangs mit ihnen ein. Anders gesagt: Der alltagspraktische Sprachgebrauch verhält sich in komplexer und vielfältiger Weise zu den Dingen; der begriffliche λόγοϚ dagegen ist nicht nur jeweils nur einziger, auch sein Verhältnis zu den Sachen ist ein einfaches. Heidegger charakterisiert an dieser Stelle den λόγοϚ im Sinne des Begriffs in Ausdrücken von Nähe und Distanz – seiner Meinung nach lässt sich die Bindung des begrifflichen Sprechens an die Sachen, die es zu bestimmen gilt, nicht beliebig auflösen, erneuern, verändern, ohne dass dadurch der eigentliche Sachkontakt verlorengeht. Im begrifflich-definitorischen Sprechen ist die Rede – und das ist der entscheidende Punkt – viel enger an die Sachen selbst gebunden als im Alltag. Die Einfachheit der begrifflichen Rede ist auch hier ein Charakter ihrer Bindung an die Sache, von der sie spricht. In Heideggers Interpretation des begrifflichen oder philosophischen Sprechens radikalisiert sich also jene Figur des Sachbezuges der Rede, die auch schon für die Rede als solche bestimmend war. Jedes Sprechen ist primär auf ein Thema bezogen und organisiert sich in seiner inneren Struktur von diesem Bezug her, um so die besprochene Sache als etwas Bestimmtes zu zeigen oder offenbar zu machen. Die begriffliche Rede tritt aber in ein ungleich engeres Verhältnis zum Thema: Ihre Sachbindung ist stärker. Die Sache, um die es in diesem philosophischen Sprechen geht, ist auch in dieser Phase der Vorlesungen von 1923/24 bereits das Sein. Heidegger betont hier: »Das Sein der Welt ist im Sprechen als Daseien72
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des da, aufgezeigt von Grund aus, an ihm selbst ergriffen.« (GA 17, 24) 15 Heidegger bestimmt das Sein als solches von diesem Charakter oder Modus her: Sein ist Anwesendsein. Der λόγοϚ, und in besonderer Weise der begrifflich-philosophische λόγοϚ, ist daher ein ausgezeichneter Ort, an dem dieses Anwesendsein geschieht: Indem der ὁρισμόϚ etwas bestimmt, macht er das zu Bestimmende in dessen eigenem Sein sichtbar. »Daseiendes wird hier schlicht an ihm selbst angesprochen (καθ᾽ αὑτὸ λεγόμενον [kath’ hauto legomenon] 16 ).« (GA 17, 24) Daher ist für Heidegger Sein, ob implizit oder explizit, Thema jedes philosophischen Sprechens. Das Sprechen versucht, dieses Sein offenbar zu machen, und organisiert von dieser Hinsicht auf das Sein her seine innere Struktur. Sein und Rede stehen bei Heidegger also gerade im Fall des ὁρισμόϚ in einem Verhältnis extremer Nähe zueinander. Sie sind aufeinander angewiesen und immer schon aufeinander bezogen, ohne dabei ineinander aufzugehen. Heidegger zeichnet in der Aristoteles-Vorlesung auch eine Verfallsgeschichte der Idee des Bestimmens nach. Sie korreliert mit einem Wandel im Verständnis der Einheitlichkeit des philosophisch-bestimmenden Sprechens. Im Unterschied zum ὁρισμόϚ ist die definitio für Heidegger zum Zeitpunkt der Vorlesung bereits nur noch eine »Verfallserscheinung […], eine bloße Denktechnik, die einmal die Grundmöglichkeit des Sprechens des Menschen gewesen ist.« (GA 18, 13) Hinter dieser Diagnose steht Heideggers bekannte Auffassung, dass im Übergang vom Griechischen ins Lateinische mehr steckt als nur ein Wandel in den sprachlichen Präferenzen der Philosophie; nicht nur Begriffe, sondern das griechische Denken als solches wurde ins Lateinische übersetzt, dadurch aber grundlegend und in problematischer Weise transformiert. So auch beim Übergang von ὁρισμόϚ zu definitio. Durch die Übersetzung ist die Möglichkeit eines besonderen Sachbezugs, wie sie im Modus des ὁρισμόϚ gegeben war, verlorengegangen – zugunsten eines Formalismus, der nun die Binnenstruktur der Definition in den Vordergrund stellt und sich in der technischen Form der inneren Zusammensetzung von genus proximum und differentia specifica erschöpft. Heidegger reserviert hier den Begriff »Dasein« noch nicht für das »Seiende, das wir selbst je sind« (SuZ, 7; GA 2, 10), sondern meint damit den Charakter des Anwesendseins überhaupt. 16 Aristoteles: Metaphysik Ζ 4, 1029b14. 15
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Im Wechsel zum römischen und nachantiken Philosophieren ist also – das impliziert Heidegger hier – auch das Verständnis von der Einheit der Rede ein anderes geworden: An die Stelle der Einheit im Sinne des vorgängigen Sachbezuges tritt die Idee einer Einheit als geschlossener Binnenstruktur. Die Einheitlichkeit als unverfügbares Sach- und Sprachmoment verliert ihren Primat zugunsten der technischen Einheitlichkeit des Bestimmens. Im Blick auf Heideggers so gelagerte Verfallsdiagnose des philosophisch-bestimmenden Sprechens zeigt sich deutlich, wie spätere Positionen zur Gefahr durch das »Gestell« – die für ihn nicht zuletzt auch Sprachgefahr ist – im Kern bereits in ungleich früheren Überlegungen angelegt sind.
4.
Unterschiede in der Einfachheit des Sagens
Vor dem Hintergrund werkgeschichtlichen Vergleichs aus dem zurückliegenden Abschnitt ergeben sich nun Konvergenzen, aber auch Unterschiede in der Einfachheit des Sagens bei Heidegger. Die entscheidende Konvergenz beider Stadien liegt darin, dass Heidegger den Sachbezug der Rede durchgängig als etwas ansetzt, das die Binnenstruktur der Rede je schon transzendiert und erst eigentlich motiviert. Die innere Verfassung von λόγοϚ und ὁρισμόϚ ist am τέλοϚ des Sachbezuges bzw. der Seinsbindung orientiert; es ist nicht umgekehrt so, dass die grammatisch-syntaktische Struktur der Rede erst den Sachbezug leistet. Ähnliches gilt für die innere Verfassung eines einfachen Sagens: Es wäre einfach, weil es in einem innigen Bezug zu einer Sache steht, die selbst einfach ist. In letzter Konsequenz ist die Einfachheit hier aber weder ein Charakter des Sagens noch ein Charakter des zu Sagenden: Einfachheit ist die Qualität eines Bezuges von Sagen und Sache selbst. In diesem Sinn bereitet sich die späte Idee des einfachen Sagens tatsächlich da vor, wo Heidegger im Frühwerk die Einheit des λόγοϚ interpretiert. Unterschiedlich ist in dieser Hinsicht jedoch die besondere Gestaltung des Sachbezuges in den verschiedenen Werkstadien. Zwar implizieren auch die Vorläuferfiguren des einfachen Sagens im Frühwerk einen primären, unüberholbaren und ursprünglichen Bezug zur Sache oder zum Sein; doch gilt er im Frühwerk primär als Leistung des menschlichen Sprechens selbst: Der λόγοϚ – und mehr noch der ὁρισμόϚ – sind als Rede »offenbarmachend« und verdanken sich dem Welt74
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bezug der jeweils Sprechenden. Im Übergang zum Spätwerk verschiebt sich hier der Schwerpunkt. Der καιρόϚ des einfachen Sagens verdankt sich vor allem der Sache, die es zu sagen gilt, und nicht mehr primär in einer Leistung des Sprechenden. Dieser Sachverhalt wirkt sich auch auf die Frage des Stils aus. Was das einfache Sagen ist, das lässt sich nicht in einer Beschreibung syntaktisch-grammatischer Strukturen einfangen. Wenn »Stil« ein Strukturbegriff ist, d. h. wenn er vor allem auf dem Auftreten bestimmter Sprachstrukturen beruht, dann kann eine Stilanalyse den Sinn des einfachen Sagens – wenigstens dem mit der Figur verbundenen Selbstverständnis nach – nicht hinreichend einholen. Stil muss hier ein Verhältnisbegriff sein, muss ein bestimmtes Verhältnis zur Sache meinen. Das einfache Sagen ist ein Stilideal, dies aber als Ideal eines Sachbezuges. In diesem Sinn ist auch Heideggers Rede vom »Sammeln« zu verstehen: Der λόγοϚ ist ein Sammeln oder Versammeln, weil er den Sprechenden in einen Bezug der Nähe zu einer Sache bringt. Das Gesammelte hat eine innere Richtung, ist gleichsam hingeordnet auf eine Sache. Ist der λόγοϚ einfach, dann ist dieser Sachbezug nicht-beliebig, anti-pluralistisch, unverfügbar und direkt.
5.
Abschluss. Metaphysik als Verkomplizierung
Wie wichtig die Figur des einfachen Sagens für Heidegger ist, verrät eine Passage aus den Schlussabschnitten von Heideggers Abhandlung Der Spruch des Anaximander aus dem Jahr 1946: »Der Mensch ist auf dem Sprunge, sich auf das Ganze der Erde und ihrer Atmosphäre zu stürzen, das verborgene Walten der Natur in der Form von Kräften an sich zu reißen und den Geschichtsgang dem Planen und Ordnen einer Erdregierung zu unterwerfen. Derselbe aufständige Mensch ist außerstande, einfach zu sagen, was ist, zu sagen, was dies ist, daß ein Ding ist. [/] Das Ganze des Seienden ist der eine Gegenstand eines einzigen Willens zur Eroberung. Das Einfache des Seins ist in einer einzigen Vergessenheit verschüttet.« (GA 5, 372)
Heidegger lässt es hier so erscheinen, als bestünde das Schwierigste im Denken gerade darin, eine grundsätzliche Einfachheit des Sagens zu erreichen. Die Aneignung der Erde, der sich in planetarische Dimensionen ausweitende Zugriff der modernen Technik – trotz der enormen A
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Dimension dieser Prozesse stellt die Frage ihrer Bewältigung für Heidegger gar nicht das grundlegendste Problem dar. 17 Die späte Technikkritik ist vielmehr darauf ausgerichtet, dem Wesen der Technik mit »Gelassenheit« zu begegnen, um in ihm oder hinter ihm das Sein am Werk zu sehen. In Heideggers Perspektive ist dies das ungleich schwierigere Unterfangen. So heißt es in einem Brief an Medard Boss vom 24. April 1957: »[J]e einfacher die Sachen werden, um so schwerer sind sie zu sagen.« 18 Sie »zwingen das Denken immer wieder zu neuen Versuchen, das Wesentliche einmal einfach zu sagen.« 19 Schwierig sind die »einfachen Sachen« in Heideggers Augen deshalb, weil das »Sagen«, wie alles andere auch, seiner Zeitdiagnose nach unter der Herrschaft des Ge-stells als des Wesens der modernen Technik steht und daher durch die Endgestalt der Geschichte der Metaphysik bestimmt ist. Die Sachen in einfacher Weise zu sagen – darin würde sich für Heidegger eine geschichtliche Wende manifestieren, deren Auswirkungen weitaus bedeutender wären als alle Erschütterungen der Welt durch die Technik. Heidegger ist in diesem Sinn ein Komplexitätsverächter; aber er favorisiert nicht einfach das ontisch oder technisch Simplere, sondern das ontologisch Singuläre: das Einfache auf der Ebene des Seins, die Überschreitung des Komplexen oder Zusammengesetzten auf eine sie erst motivierende Einfachheit hin. Diese metaphysikgeschichtliche oder metaphysikkritische Funktion des einfachen Sagens – und damit eines spezifischen Stildesiderats – verweist einmal mehr auf das Konglomerat verschiedener Teilgeschichten, das in der von Heidegger skizzierten Großlinie der Seinsgeschichte mitgeführt wird. Es gibt beim späten Heidegger nicht nur Ansätze beispielsweise zur Beschreibung einer »Seinsgeschichte der Architektur« 20 , der Grammatik oder z. B. des Genitivs, sondern eben auch und zumal eine Seinsgeschichte des Stils. Vor dem Hintergrund der Frage nach Einfachheit und Einheit erDass diese Haltung mit sehr guten Gründen kritisch zu betrachten ist, zeigt – anhand von Heideggers Begriff einer »Not der Notlosigkeit« – Bernd Bösels Beitrag im vorliegenden Band. 18 Heidegger, Martin: Zollikoner Seminare. Protokolle – Gespräche – Briefe. Frankfurt am Main 2 1994, 317. 19 Heidegger: Zollikoner Seminare, 299. 20 Vgl. dazu Baur, Patrick: »›Haus des Seins‹ Die Häuslichkeit der Dichtung bei Heidegger und Pindar«. In: David Espinet (Hg.): Schreiben Dichten Denken. Zu Heideggers Sprachbegriff. Frankfurt am Main 2010, 83–97. 17
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möglicht die Figur des einfachen Sagens darum einen erweiterten Blick auf die Geschichte der Metaphysik, der bei Heidegger nur angedeutet wird. Heidegger legt das Schwergewicht seiner metaphysikgeschichtlichen Diagnose auf die zunehmende Verstellung des Seins; aus seiner Figur des einfachen Sagens lässt sich aber auch eine zweite Entwicklungslinie dieser Geschichte rekonstruieren: Die Geschichte der abendländischen Metaphysik ist, so ließe sich zeigen, durch eine Figur zunehmender Verkomplizierung geprägt, die sich Schritt für Schritt an die Stelle des Einfachen setzt. Die Geschichte der Metaphysik beginnt nicht nur mit einem Erstaunen (θαυμάζειν [thaumazein]) 21 über das Seiende, sondern auch und zumal mit einem Erstaunen über das Einfache – einem θαυμάζειν, das dann mit dem Ziel der ἀθαυμασία (athaumasia), der Überwindung des Staunens, 22 durch Ableitungen und Erklärungen ersetzt wurde; durch Figuren der Verkomplizierung mittels Inbezugsetzung auf andere Instanzen sowie durch die Isolierung einzelner Weltmomente voneinander mit dem Zweck, erst noch die Konstitution ihrer Zusammenhänge zu erforschen. Dagegen verwahrt sich Heidegger: »Das Einfache spricht uns in seiner Einfachheit kaum mehr an, weil die gewohnte wissenschaftliche Denkweise das Vermögen zerrüttet hat, über das vermeintlich Selbstverständliche, und gerade über dieses, zu erstaunen. Wäre jedoch dieses Erstaunen bei den griechischen Denkern nie erwacht und ausgehalten worden, dann gäbe es keine europäische Wissenschaft und keine moderne Technik […].« 23
Das bedeutet nicht, dass Heidegger danach streben würde, die zunehmende Kompliziertheit der neuzeitlichen Welt durch Vereinfachungen zu ersetzen. Verwindung der Metaphysik als Verwindung der Kompliziertheit – das würde nur eine grundlegende Begrenzung des absoluten Geltungsanspruchs bedeuten, der mit den diversen Figuren der Komplizierung verbunden ist. In diesem Sinn kann man sagen, dass Heidegger bereits im Frühwerk das Projekt einer »Destruktion der KompliVgl. dazu u. a. Platon: Theaitetos 155d und Aristoteles, Metaphysik Α 2, 982b11–18 sowie Guzzoni, Ute: »Das Erstaunliche und die Philosophie. Freiburger Abschiedsvorlesung«. In: Information Philosophie 2001 (2), 7–19. – Hersch, Jeanne: Das philosophische Staunen. Einblicke in die Geschichte des Denkens. München 1981. – Martens, Ekkehard: Vom Staunen oder Die Rückkehr der Neugier. Leipzig 2003. – Matuschek, Stefan: Über das Staunen. Eine ideengeschichtliche Analyse. Tübingen 1991. 22 Wie Diogenes Laertios (VII, 12 f., 64) berichtet, verlangt bereits Zenon vom Weisen, dieser solle οὐδέν θαυμάζειν (ouden thaumazein): »nicht erstaunen«. 23 Heidegger: Zollikoner Seminare, 132 f. 21
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ziertheit« vorantreibt. Hier – und möglicherweise immer – geht es für Heidegger darum, den Figuren einer primären Isolierung gegenüber das zu betonen, was man mit einem von Ute Guzzoni oft gebrauchten Wort die Vorgängigkeit und Einfachheit des gegenseitigen Bezuges nennen könnte. Ob dies freilich so positiv zu bewerten ist, wie Heidegger es tut, oder ob es nicht auch eine genuine Legitimität des Komplizierten gibt – das bleibt eine philosophische Frage, auf die ich hier nicht mehr eingehen kann.
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Zwischen Transzendentalphänomenologie und Spekulation. Zu den funktionalen Wandlungen tautologischer Satzstrukturen in Heideggers Denken
Einleitung Unter allen stilistischen Eigentümlichkeiten, die den heideggerschen Sprach- und Denkduktus auszeichnen, ist die Tautologie wohl die bekannteste und zugleich die in ihrer philosophischen Valenz am schwersten zu durchschauende Grundfigur. Kaum ein anderes Stilmerkmal scheint so sehr dazu angetan, den oft erhobenen Vorwurf eines Abgleitens der heideggerschen Philosophie in esoterische Irrationalität nicht nur vom inhaltlichen Standpunkt aus als zutreffend erscheinen zu lassen, sondern die Berechtigung dieser Kritik bereits in formaler Hinsicht mit Händen greifbar zu machen. Welche stärkere Absage an das von der klassischen griechischen Philosophie inaugurierte und über zweieinhalb Jahrtausende hinweg gültige Ideal einer logisch-diskursiven, von nachvollziehbaren Argumentationsstrukturen bestimmten Denk- und Sprechweise könnte man sich denken als die Verwendung beschwörend anmutender Formeln wie »das Ding dingt« oder »das Ereignis ereignet«? Gabriel Marcels literarische Karikierung des orakelhaft-dunklen Charakters der heideggerschen Tautologien in Form des oft kolportierten Satzes »la poire poire« 1 (»die Birne birnt«), so erheiternd sie auf den ersten Blick auch sein mag, täuscht darüber hinweg, dass dieses sprachliche Motiv durchaus keine bloße Wortspielerei oder stilistische Marotte darstellt, sondern von der Sache her mit dem von Heidegger betriebenen Projekt einer Dekonstruktion der traditionellen Metaphysik, und d. h. vor allem ihrer logisch-rationalen Denkstrukturen, untrennbar verbunden ist. 2 So wie die von Aristoteles entworfene Kate1 2
Marcel, Gabriel: La dimension Florestan. Paris 1958, 32. Vgl. Janicaud, Dominique: »Reduktion und minimalistische Phänomenologie«. In: Rolf A
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gorienlehre und das darauf aufbauende Schema der Prädikationsformen das sprachliche Äquivalent zur aristotelischen Substanzmetaphysik und der sie tragenden Vorstellung eines identischen Substratkerns mit fluktuierenden Eigenschaften darstellt, so ist umgekehrt Heideggers performative Überwindung der herkömmlichen logischen Sprachmuster der sichtbare Ausdruck seiner grundlegenden Kritik an der Welt- und Wirklichkeitsdeutung der gesamten ontologisch-metaphysischen Tradition. Es wäre allerdings verfehlt, wollte man Heideggers Verwendung der Tautologie als ein ausschließliches Phänomen seiner Spätphilosophie deuten und ihr eine univoke Bedeutung unterlegen, so als spräche sich durch all ihre konkreten Formen hindurch – seien sie mit den Begriffen »Ding«, »Welt«, »Ereignis«, »Raum«, »Sprache« o. a. konstruiert – im wahrsten Sinne des Wortes immer nur dasselbe aus, nämlich ein bloß negativer Gegensatz zur bisherigen philosophischen Tradition und der von ihr geprägten Logik. In Abgrenzung zu einer solchen vereinheitlichenden Interpretation der diversen heideggerschen Tautologien möchte ich im Folgenden versuchen, das Entwicklungsrelief nachzuzeichnen, das diese Sprachfigur von der Früh- bis zur Spätphase von Heideggers Denken durchläuft, und dabei herausarbeiten, dass sich die Tautologie weniger einem radikalen Bruch mit der bisherigen Geschichte des Denkens als vielmehr einer konsequenten Weiterführung gewisser sachlicher Grundmotive verdankt, die sich bereits in der Transzendentalphänomenologie husserlscher Prägung deutlich abzeichnen und deren Wurzeln bis in die Philosophie Kants und des Deutschen Idealismus zurückreichen.
1.
Selbstheit und Zeitlichkeit: die Artikulation des Ursprungs
1.1. Der aporetische Grundzug in Husserls Ansatz einer ursprungswissenschaftlichen Phänomenologie Die der Tautologie zugrunde liegende Problematik der adäquaten sprachlichen Artikulation von Identität bzw. »Selbigkeit« gehört in gewisser Weise zum Geburtsbrief der husserlschen Phänomenologie als Kühn, Michael Staudigl (Hg.): Epoché und Reduktion. Formen und Praxis der Reduktion in der Phänomenologie. Würzburg 2003, 141–152, hier 147.
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solcher; stellt diese sich doch die Aufgabe, unter Absehung von den bereits bestehenden Systementwürfen und universalen philosophischen Deutungsschemata die Phänomene in ihrer »Selbstgegebenheit« sehen zu lernen 3 und anschließend »solchen Gegebenheiten durch bloße Explikation und genau sich anmessende Bedeutungen Ausdruck zu verleihen« 4 . Darin liegt ein Doppeltes: Einerseits darf die Phänomenologie die in den bereits bestehenden Kategoriensystemen implizit mitschwingenden metaphysischen Grundannahmen nicht einfach übernehmen, andererseits lebt die Phänomenologie von der Einsicht, dass die von ihr thematisierte »Selbstgegebenheit« ebenso wenig mit der Art und Weise zusammenfällt, in der dem Alltagsbewusstsein die Dinge in vermeintlicher Unmittelbarkeit präsent und gegenwärtig sind. Das von Husserl intendierte direkte »Sehen« und »Hinnehmen« der Phänomene kann vom genetischen Standpunkt aus prinzipiell nie am Anfang stehen, sondern ist gerade vermittelt durch den Methodenschritt der Epoché, die die Verstellungen und Verdeckungen begrifflicher Konstrukte und unerkannt mitgeschleppter Vorannahmen als solche beim Namen nennt und zugleich thematisch ausschaltet. Mit anderen Worten: Gerade weil die Phänomenologie erst einmal die in der scheinbaren Unmittelbarkeit des unmodifizierten Weltbewusstseins liegenden Verdeckungen erkennen und abbauen muss, kann sie sich nie in Form einer stummen Intuition vollziehen, sondern bedarf einer Sprache, in der sich die nur mittelbar, nämlich durch die Epoché gewonnene Selbstgegebenheit der Phänomene adäquaten Ausdruck verschaffen kann. Dies wirft wiederum die Frage auf, inwieweit die in den bestehenden Sprachen zum Tragen kommenden logischen Grundstrukturen ebenfalls unter die aus der bloßen Faktizität stammenden und somit auszuklammernden Vorannahmen fallen oder ob sich in ihnen womöglich kontingenzüberhobene Wesensstrukturen des Denkens aussprechen, hinter die auch der Phänomenologe sinnvollerweise gar nicht zurückgehen kann. In der Einleitung zum zweiten Teil der Logischen Untersuchungen hatte Husserl die Auffassung vertreten, dass das Ausgehen vom »Faktum der Sprachen« insofern keinerlei Trübung des phänomenologischen Prinzips der »metaphysische[n], naturwissenschaftliche[n], psychologische[n] Voraussetzungslosigkeit« bedeute, als sich der erVgl. Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch. Hua III. Den Haag 1950, 42 (§ 19). 4 Husserl: Ideen I, 52 (§ 24). 3
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kenntnistheoretische Wert seiner logischen, zeichen- und bedeutungstheoretischen Analysen unabhängig von der Existenz wirklicher Sprachen und der sie verwendenden Menschen entfalten und darlegen lasse. 5 Die Tatsache, dass der Phänomenologe unvermeidlicherweise von einer bereits bestehenden und somit unter logischen Gesichtspunkten mehr oder weniger »verunklärten« Sprache ausgehen muss, wird dadurch entschärft, dass der unvermeidliche Hiatus zwischen den konkreten grammatikalischen Strukturen einer Sprache und den logisch-idealen Formen des Denkens selbst wiederum als ein Phänomen verstanden wird, das sich auf der Ebene der spezifischen Wesensstrukturen des Zeichen- und Bedeutungsbewusstseins grundsätzlich artikulieren und somit zumindest asymptotisch einholen lässt. Die Phänomenologie kann und will gar nicht mit einer wie immer formalisierten »Idealsprache« einsetzen, 6 sie braucht es aber auch gar nicht, insofern sie das Verhältnis zwischen konkreter Sprache und idealer Bedeutung in Richtung auf eine nie restlos gegebene, aber ad infinitum vorantreibbare Adäquatheit beliebig weit fortbestimmen kann. Die Grenzen einer solchen objektivierenden Einholung der Kluft zwischen der faktisch bestehenden Sprache und den zu artikulierenden Wesensstrukturen werden in dem Moment sichtbar, wo Husserl sich nicht mehr damit begnügt, die vielfältigen Modi der noetisch-noematischen Korrelationen als solcher zu untersuchen, sondern den reinen Ichpol als transzendentalen Ursprung all dieser Bezüge zu thematisieren beginnt. Problematisch ist dabei nicht so sehr die Tatsache, dass sich mit der nunmehr explizit ausgesprochenen, methodisch fixierten Epoché de facto eine Kluft prädikativen Sinnes zwischen der egologischen Region des reinen Bewusstseins und der von ihm intentional anvisierHusserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis II/1. Tübingen, 7 1993, 22. 6 In den Ideen I führt Husserl diesbezüglich aus: »Es macht also das Wesen rein eidetischer Wissenschaft aus, daß sie ausschließlich eidetisch verfährt, daß sie von Anfang an, und so in weiterer Folge, keine Sachverhalte zur Erkenntnis bringt als solche, die eidetische Gültigkeit haben, die also entweder unmittelbar zu originärer Gegebenheit gebracht werden können (als unmittelbar gründend in originär erschauten Wesen) oder aus solchen ›axiomatischen‹ Sachverhalten durch reine Folgerung ›erschlossen‹ werden können. Damit hängt das praktische Ideal ›exakter‹ eidetischer Wissenschaft zusammen, das eigentlich erst die neuere Mathematik zu verwirklichen gelehrt hat« und fügt in einer Fußnote zu diesem Passus unmissverständlich hinzu: »Aber es zeigt sich, daß dieses mathematische Ideal nicht überall gültig sein kann, so nicht für die Phänomenologie« (Husserl: Ideen I, 22, Anm. 1 (§ 7); Hervorhebung i. O.). 5
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ten Wirklichkeit auftut. Die eigentliche Schwierigkeit resultiert vielmehr aus dem Umstand, dass das reine Bewusstsein in seiner ursprünglichsten Form keine statisch zu fassende, eidetische Struktur mehr ist, sondern sich als dynamischer Quellpunkt einer beständigen Entstehung und Erzeugung erweist, die in einer absolut primären, nicht auszuschaltenden Zeitlichkeit wurzelt. Die Tatsache, dass Husserl in den Ideen I die »Zeitigung« als neue, ursprünglichste Dimension der Egoität kurz andeutet, sich von der weiteren Vertiefung dieser Fragestellung jedoch mit der Bemerkung dispensiert, dies sei notwendig, »um unverwirrt zu erhalten, was zunächst allein in phänomenologischer Einstellung sichtig ist, und was unangesehen der neuen Dimension ein geschlossenes Untersuchungsgebiet ausmacht« 7 , spricht diesbezüglich Bände. Geht man dem an dieser Stelle der Ideen I eingefügten, knappen Verweis Husserls auf seine Göttinger Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins nach, wird deutlich, dass es in der Tat nicht der transzendentale Charakter des Bewusstseins an sich ist, dessen prädikative Artikulierung zu unüberwindlichen Verwirrungen führt, sondern vielmehr das Bestreben, die durch die Metapher des zeitkonstituierenden Quellpunktes implizierte Vorstellung einer transzendentalen Singularisierung des Bewusstseinspols zugleich im Sinne einer nichtindividuierten Allgemeinheit, nämlich als Synonym einer absoluten Subjektivität, auszulegen. 8 Husserls resigniert anmutendes Fazit »Für all das fehlen uns die Namen« 9 ist Ausdruck der performativen Antinomie, in die er sich selbst mit seinem Versuch hineinmanövriert hat, die fungierende, intensive Absolutheit eines unhintergehbar ersten Ursprungs der Entstehung mit der extensiven Absolutheit eines »allseitig unendlich erfüllten« Universalhorizontes phänomenalen Sinnes in eins zu setzen. 10 Das Vorhaben, nicht nur dieses oder jenes Einzelphänomen und auch nicht nur den transzendental modifizierten Welthorizont insgesamt, sondern die Urzeitigung des Bewusstseins als Ursprung aller Phänomenalität an sich selbst von sich selbst her sichtbar zu machen, bringt die husserlsche Phänomenologie an die Grenzen ihrer sprachlichen Möglichkeiten, sofern diese vom Grundschema der Husserl: Ideen I, 197 f. (§ 81). Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins [1893–1917]. Hua X. Den Haag 1966, 74 f. (§ 36). 9 Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 75 (§ 36). 10 Vgl. Husserl: Ideen I, 198 (§ 81). 7 8
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objektivierenden, kategorialisierenden Prädikation beherrscht sind, und lässt die Notwendigkeit erkennbar werden, die Dynamik des phänomenalen Ursprungs in einer Weise auszusprechen, die der in ihm liegenden Dimension konkretisierender Vereinzelung Rechnung trägt.
1.2. Heideggers Gegenentwurf einer phänomenologischen »Sprache des Ursprungs« Der philosophische Ansatz des frühen Heidegger schöpft seinen Impetus genau aus dieser Aporie des husserlschen Projektes, das die Phänomenologie als eine dem konstituierenden, vorbegrifflichen Bewusstseinsleben zugewandte Urwissenschaft, zugleich aber auch als eine das Konstituierte begrifflich-prinzipiell fassende Universalwissenschaft konzipieren will. Angesichts des daraus resultierenden Dilemmas optiert Heidegger für eine Radikalisierung des erstgenannten Aspektes der Phänomenologie, der es allerdings erforderlich macht, auch den logischen Status der phänomenologischen Sprache als solcher auf den Prüfstand zu stellen. Heideggers Kritik am husserlschen Ideal der Phänomenologie als universaler Wissenschaft par excellence gilt insbesondere dem theoretisch-objektivierenden, den Ursprungssinn der Phänomene gerade verdunkelnden Charakter ihres Ansatzes. Das vermeintlich rein hinnehmende Sehen, das nach Husserl die »Sachen selbst« in ihrer unverfälschten Selbstgegebenheit erfassen soll, ist in Heideggers Augen gerade Synonym für die Orientierung der Phänomenologie an einem nicht aus ihr selbst geschöpften, sondern von außen eingeschleppten Methodenideal, das sich einer bestimmten, bereits abgeleiteten Auslegung von Wirklichkeit, nämlich ihrem Entwurf auf mögliche Gewissheit der Erkenntnis hin, verdankt (vgl. GA 17, 101–104). Durch diese Betrachtung der Phänomenalität unter dem Gesichtspunkt möglicher universaler Konstanten ihres Erscheinens werden die einzelnen Phänomene ihrer Einbindung in einen spezifischen Weltkontext beraubt, der ihnen eine je eigene, vortheoretische und vorsprachlich zugängliche Bedeutsamkeit verliehen hatte. Der phänomenologische Ansatz des frühen Heidegger ist also von der Einsicht geleitet, dass die »Sachen« gerade nicht in um so höherem Maße »sie selbst« sind, als ihre Gegebenheit zur möglichst adäquaten Erfüllung neutral-objektivierender Bedeutungsintentionen führt. Viel84
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mehr zielen seine Analysen darauf ab, dieses vermeintliche Ideal einer an sachlichen Identitätskernen orientierten »Selbigkeit« als Ausdruck einer bestimmten, inadäquaten Selbstauslegung des phänomenologisierenden Subjektes zu erweisen, die darauf hinausläuft, der Erfahrung der faktischen Endlichkeit seines eigenen Daseins durch Verweis auf allgemeine transzendentale Bewusstseinsstrukturen entfliehen zu wollen (vgl. GA 17, 95 ff.). Indem Heidegger die husserlsche Entdeckung der ursprünglich zeitigenden Grundstruktur des Bewusstseins als Ursprung aller Phänomenalität ernst nimmt, verlagert sich für ihn der Schwerpunkt der phänomenologischen Tätigkeit weg von der Suche nach der adäquaten Erfassung möglichst allgemeiner Sachverhalte und Wesensgesetze hin zu einer Artikulation jener performativ erfahrenen Nichtidentität und Inadäquatheit, die sich zwischen dem konstituierenden Bewusstsein und den zum Zweck seiner reflexiven Erfassung von ihm selbst konstituierten Begriffen und Kategorien auftut. Diese ursprüngliche »Selbstheit«, die gerade nicht auf restlose Selbstgegebenheit hinausläuft, sondern eine unüberwindbare innere Differenz und Versagung von intentionaler Erfüllung beinhaltet (vgl. GA 24, 242), manifestiert sich auch für Heidegger am deutlichsten im Phänomen der nichtobjektiven Zeitigung, nur dass er im Gegensatz zu Husserl konsequent genug ist, die Unmöglichkeit einer definitorischen Fassung dieser urkonstituierenden Dynamik einzusehen. Die Auffassung, dass sich Ursprungsphänomene nicht mehr in der traditionellen Form der zusprechenden Prädikation, sondern nur aus sich selbst heraus bestimmen lassen, hatte Heidegger schon in seinen ersten Freiburger Vorlesungen zu plakativen Wortneuschöpfungen wie »es weltet« bewogen (vgl. GA 56/57, 16; 73). Wenngleich hierin auch schon das Motiv einer tautologisch zu fassenden Ursprungsbestimmung anklingt, so fällt doch auf, dass Heidegger in seiner Frühzeit deutlich zwischen der sachlich-impliziten und der sprachlich-expliziten Ebene dieses Phänomens unterscheidet. Insofern Philosophie für Heidegger nichts anderes ist als die der Faktizität selbst entspringende Auslegung der sich im faktischen Leben bekundenden Ursprünglichkeit, kann er die Auffassung vertreten, die Bezeichnung »Philosophie des Lebens« sei »in sich eine Tautologie« (GA 21, 216). Die Einsicht in die »Selbigkeit« des auszulegenden Phänomens als solchen und des Ursprungs der Motivation seiner Auslegung artikuliert sich an dieser Stelle auffallenderweise gerade nicht als Tautologie im herkömmlichen, formalen Sinne. Weder der Begriff des »Lebens« noch der der »Welt« wird A
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von Heidegger dazu verwendet, die neu zu fassende Bedeutung phänomenaler »Selbstheit« nicht nur unter inhaltlichen Gesichtspunkten durchzuexerzieren, sondern ihnen auch auf der logisch-sprachlichen Ebene Ausdruck zu verleihen. Vielmehr ist es die »Zeit«, die ihm erstmals Anlass gibt, das aristotelische, letztlich auch noch für Husserl bestimmende Satzparadigma des »Etwas-von-etwas-Aussagens« zu unterlaufen und die Unmöglichkeit einer definierenden, d. h. sachgehaltsorientierten Bestimmung dieses Phänomens zu erweisen. Der 1924 in Marburg gehaltene Vortrag Der Begriff der Zeit enthält nicht nur die erste explizite Verwendung, sondern auch die relativ ausführliche Kommentierung einer tautologisch anmutenden Satzstruktur, die Heidegger jedoch paradoxerweise gerade nicht als Tautologie im herkömmlichen Sinne gedeutet wissen will. Der Argumentationsgang des Vortrages zielt darauf ab, nach einer skizzenhaften Rekapitulierung der traditionellen philosophischen Ansätze zur Definition des Zeitbegriffs – hauptsächlich Platon, Aristoteles und Augustinus – die Unmöglichkeit dieses Unterfangens unter Verweis auf den nie allgemein zu fassenden, sondern immer schon existenzial vereinzelten Charakter des Zeitphänomens deutlich werden zu lassen. Jeder Definitionsversuch bewegt sich notwendigerweise auf einer Sprach- und Bedeutungsebene, die den innerweltlich erscheinenden und grundsätzlich für alle gleichermaßen zugänglichen Phänomenen angemessen ist. In dem Maße, als die Zeit aber kein innerweltlich antreffbares Teilphänomen, sondern der im faktischen Dasein verankerte, transzendentale Bedeutungshorizont aller nur denkbaren Phänomenalität ist, muss sie daher auch in einer Weise artikuliert werden, die der Unveräußerlichkeit der jeweils eigenen Faktizität Ausdruck verleiht. »Die Zeit ist zeitlich«, formuliert Heidegger, um gleich danach hinzuzufügen: »sie [d. h. diese Formulierung, M. R.] ist keine Tautologie, weil das Sein der Zeitlichkeit ungleiche Wirklichkeit bedeutet« (GA 64, 123 f.). Die vermeintlich tautologische Form des Satzes »Zeit ist zeitlich« wird durch die adjektivische Fassung des »zeitlich« durchbrochen und die scheinbare Identitätssetzung der Kopula somit als Nichtidentität entlarvt. Bei seiner ersten Nennung verweist der Begriff »Zeit« noch auf das allgemein zu verstehende Phänomen, nach dessen möglicher Definition gefragt wird. Das Adjektiv »zeitlich« macht hingegen deutlich, dass Zeit nie frei fliegend und im allgemeinen Sinne, sondern immer nur als »Zeitlichkeit«, d. h. als Eigenschaft – wenngleich als Grundeigenschaft – des Daseins gegeben ist, dessen Seinsmodus sich einer 86
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begrifflich-allgemeinen Bestimmbarkeit prinzipiell entzieht. Das, was der Begriff der Zeit benennt, ist also kein neutral bestimmbares, phänomenales Was, sondern bringt ein Wie zum Ausdruck, nämlich die Art und Weise, in der das Dasein seine je eigene, ursprüngliche Endlichkeit ist (vgl. GA 64, 124). Was sich in der Formel »Zeit ist zeitlich« bzw. »Zeit zeitigt sich« ausspricht, ist also nicht die Selbigkeit eines Etwas, sondern die Selbstheit eines Jemand bzw. eines Wer; nicht ein innerweltliches to auto, sondern ein existenzial vereinzelter, sein eigenes Sein verstehend-auslegender ho autos, so dass man korrekterweise nicht mehr von einer »Tautologie«, sondern eigentlich von einer »Heautologie« sprechen müsste. Aus diesem Grunde präzisiert Heidegger in der 1925 gehaltenen Vorlesung Logik. Die Frage nach der Wahrheit die noch im Sinne einer Definition misszuverstehende Formulierung aus dem Marburger Vortrag mit folgenden Worten: »Zeit hat nicht die Seinsart von etwas anderem, sondern Zeit zeitigt. […] Und wenn wir im Aussagen die Wendung gebrauchen, Zeit ist das und das, Zeit ist zeitlich, so hat dieses ›ist‹ die Bedeutung eines spezifischen, kategorialen Setzens, das als aussprechendes die Struktur der weltlichen Aussage haben muß, dessen primärer Aussagesinn aber nicht Aufweisung eines Vorhandenen ist, sondern Verstehenlassen von Dasein.« (GA 21, 410)
Der sich mit dem Begriff der »Setzung« ankündigende Paradigmenwechsel bezüglich der zur Explikation der Daseinsstrukturen verwendeten Sprache macht zweierlei deutlich: Zum einen zieht Heidegger die Konsequenz aus der schon von Husserl konstatierten Schwierigkeit, das Konstituierende und das Konstituierte im Rahmen ein und desselben Sprachmodells zum Ausdruck zu bringen, zum anderen bewahrt ihn die spezifische Art und Weise, in der er über Husserl hinausgeht, davor, aus der deskriptiven Grundhaltung des phänomenologischen Sprechens in den überfliegenden Gestus eines spekulativen Entwurfs zu verfallen. Die während der Marburger Jahre intensiv betriebene Auseinandersetzung mit Kant hatte Heidegger die Gelegenheit geboten, den Zusammenhang von Zeitlichkeit, Selbstbewusstsein und Selbstheit zu vertiefen und dabei die von Husserl stillschweigend betriebene Gleichsetzung der absoluten Ursprünglichkeit des Aktualitätserlebnisses der Zeitigung mit der absoluten Gegebenheitsfülle eines unendlichen phänomenologischen Zeithorizontes zu korrigieren. Sosehr Heidegger die von Husserl vehement vertretene Auffassung teilt, dass die ursprüngA
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lich verstandene Zeitlichkeit kein relatives, innerweltliches Phänomen sein kann wie die sich im Zeitstrom des Bewusstseins konstituierenden Gegenstände, sowenig hindert ihn dies daran, die den husserlschen Analysen zugrunde liegende Vorstellung einer »Fülle der Zeit« unter phänomenologischen Gesichtspunkten als Oxymoron zu betrachten. Dabei stützt sich Heidegger auf Kants Erörterung des Problems der transzendentalen Apperzeption als des Einheitsgrundes des Bewusstseins, der dem Subjekt die Mannigfaltigkeit seiner wechselnden Inhalte überhaupt erst als solche zugänglich macht. Die Tatsache, dass das Ich der Apperzeption im Hinblick auf die ihm bewussten Inhalte nicht das Bestimmte, sondern das Bestimmende ist und somit nur aus sich selbst heraus verstanden werden kann, bedeutet nicht, dass die bei der transzendentalen Apperzeption zum Tragen kommende Synthesis die Leistung einer restlos spontanen, tendenziell absoluten Subjektivität wäre. Die der synthetischen Leistung des »Ich denke« korrelative Erfahrung von Mannigfaltigkeit setzt ihrerseits nämlich ein Medium voraus, innerhalb dessen überhaupt eine Vielheit als solche, d. h. in einem gleichartigen Nebeneinander, erscheinen kann. Dieses Medium, das Kant mit der reinen Anschauung der Zeit identifiziert, 11 ist weder aus den darin erscheinenden Dingen noch aus der im eigentlichen Sinne synthetischen Urteilsaktivität des Verstandessubjekts zu erklären, sondern verweist auf eine Dimension nicht weiter ableitbarer Selbstgebung nichtichlicher Natur, die Heidegger dementsprechend als Syndosis, also als nicht bewusst konstituierte, sondern aller Konstitution immer schon zugrunde liegende Möglichkeit des Mitgegebenseins bezeichnet (vgl. GA 25, 171). Der im Begriff der »Syndosis« liegende Aspekt der Passivität und Endlichkeit macht deutlich, worum es Heidegger bei seinem Rückgang auf Kant letztlich geht, nämlich darum, aufzuzeigen, dass die Zeitlichkeit als ursprünglichster Grund des gegenstandskonstituierenden Bewusstseins mitnichten die Form einer absoluten, urkonstituierenden Subjektivität annimmt, sondern sich fernab jeder hyperbolischen Aktualitätsfülle lediglich als endlich weit aufgespanntes Feld möglicher Gegebenheit von Phänomenen für ein wesentlich endliches Denken präsentiert. Die nur scheinbar so zu bezeichnende Primärtautologie aus Heideggers frühem Denken – »Zeit ist zeitlich« bzw. »Zeit zeitigt« – verweist also auf keinen wie immer gearteten, prädikativ bestimm11
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Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, A 31 f. / B 47 f.
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baren Wesenskern des Zeitphänomens, sondern ist nicht mehr als das sprachliche Abbild des von der Endlichkeit der existenzialen Zeitlichkeit selbst für sie selbst aufgespannten Horizontes möglicher phänomenaler Erfahrung. An die Stelle von Husserls sich vermeintlich den reinen Gegebenheiten anmessender Deskription einer phänomenologisch widersinnigen Form aktualer Unendlichkeit tritt bei Heidegger die in die Form einer kategorialen Setzung gekleidete Manifestation eines sich selbst als wesentlich endlich verstehenden Daseins.
2.
Von der »Selbstheit« des Daseins zur »Selbigkeit« von Sein und Denken
Während der ganzen Frühphase von Heideggers Denken bis in die Zeit der »Metaphysik des Daseins« Ende der 1920er Jahre behauptet die Zeittautologie gewissermaßen eine Monopolstellung, die aus der privilegierten Rolle des Daseins als des Ausgangspunktes aller fundamentalontologischen Analysen resultiert. Insofern die ursprüngliche Selbstheit des Daseins als Grund für jeden vorsprachlichen wie sprachlich artikulierten Zugang zur innerweltlich gegebenen Phänomenalität fungiert, bedarf es keiner anderen »Tautologie« als der, die die absolut ursprüngliche und zugleich radikal verendlichte Dimension der existenzialen Zeitlichkeit zum Ausdruck bringt. In dem Moment jedoch, wo Heidegger sich von der Daseinszentriertheit seiner Frühphase zu lösen beginnt, vervielfältigen sich auch die tautologischen Satzstrukturen und nehmen ganz unterschiedliche Formen an, in denen sich die systematische wie philosophiegeschichtliche Ausdifferenzierung seines Denkens widerspiegelt. Der für die Tautologien des mittleren und späten Heidegger maßgebliche Anstoß kommt nicht mehr in erster Linie vom husserlschen Topos der »Sachen selbst«; vielmehr ist es das von Heidegger in der gesamten Philosophiegeschichte seit Platon diagnostizierte Grundpostulat der als Identität verstandenen »Selbigkeit« von Sein und Denken und das darauf aufbauende Ideal des »Logos« und der Logik, auf das er nunmehr zu antworten gedenkt. Die Einseitigkeit und mangelnde Ursprünglichkeit einer an der Vorstellung restloser Objektivierbarkeit des Seins orientierten Wirklichkeitsauffassung wird von Heidegger erstmals in der 1935 gehaltenen Vorlesung Einführung in die Metaphysik ausführlich kritisiert. Auch hier lässt sich jedoch eine charakteristische A
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Phasenverschiebung zwischen der implizit-sachlichen und der explizitformalen Seite seiner Ausführungen beobachten, insofern die auf inhaltlicher Ebene formulierte Kritik an der logisch bestimmten »Selbigkeit« des Seins in seinem Erscheinen und des das Erscheinende aufnehmenden Denkens sich nicht etwa in einer auf ursprüngliche Weise tautologischen, sondern in einer durchaus konventionellen Sprache zum Ausdruck bringt. Der Hinweis auf den abgeleiteten Charakter der vermeintlich primordialen Identifizierung von Sein und Denken behält über lange Zeit hinweg also seinerseits den Charakter des objektivierenden »Redens über …« und nicht den eines Sprechens, das das fragliche Phänomen von ihm selbst her offenbar werden ließe. Erst während der späten 1940er und 1950er Jahre stellt Heidegger der thematischen Dekonstruktion der metaphysischen Gleichsetzung von Selbigkeit und formallogischer Identität einen performativen Gegenentwurf an die Seite, der sich jedoch bezeichnenderweise nicht auf die Geschichte der Metaphysik als solche, sondern vielmehr auf die von ihr nicht oder nur unzureichend wahrgenommenen Phänomene bezieht. Darunter fällt der »Raum« nun ebenso wie die »Welt«, das in ihr erscheinende »Ding« und vor allem die »Sprache« (vgl. GA 7, 179; 181–183; 226; GA 12, 10–12), bezeichnenderweise aber nicht mehr primär die »Zeit«. Die auf absolute Ursprünglichkeit verweisende Formulierung »Zeit zeitigt« war solange angemessen, wie das Phänomen der »Selbstheit« im eigentlichen Sinne als privilegierter Seinsmodus der Existenz galt. In dem Moment jedoch, wo das Seinsverständnis nicht mehr einfach als transzendentales, strukturelles Konstitutivum des Daseins erscheint, sondern als Ergebnis der geschichtlich entstandenen, wechselseitigen Hinordnung von Sein und Denken gedeutet wird, deren Ursprung wiederum nicht mehr im Dasein, sondern im »Sein selbst« zu suchen ist (vgl. GA 40, 127), bemisst sich das Selbstsein des Menschen an seiner mehr oder weniger großen Zugehörigkeit zu diesem Ereignis, 12 dessen Grundstruktur zwar unter anderem auch zeitigender, aber selbst nicht wieder zeitlicher Natur ist. War vordem die »[D]ie Werfrage stellt die Frage […] nach dem Selbst-sein und damit nach dem Wesen der Selbstheit. […] Das eigenste ›Sein‹ des Menschen ist daher gegründet in eine Zugehörigkeit zur Wahrheit des Seins als solchen, und dieses wieder, weil das Wesen des Seins als solchen, nicht das des Menschen, in sich den Zuruf an den Menschen als den zur Geschichte ihn bestimmenden enthält. […] Jene Wer-frage als Vollzug der Selbstbesinnung […] ist eine wesentliche Bahn des Vollzugs der Frage nach dem Fragwürdigsten […], der Frage nach der Wahrheit des Seins« (GA 65, 51; Hervorhebung i. O.).
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Zeit selbst der Horizont des Erscheinens von Sein (vgl. GA 2, 577), so stellt Heidegger nunmehr beide Phänomene durch die parallelen Formulierungen »es gibt Sein« – »es gibt Zeit« (vgl. GA 14; 14–16; 22) in plakativer Weise auf die gleiche Ebene und deutet damit an, dass beide in etwas noch Ursprünglicherem wurzeln, das als Quelle von Differenz überhaupt den Charakter einer wesentlich dimensionalen, aber nicht mehr primär zeitlich-ekstatisch zu fassenden Offenheit besitzt. Die Entthronung der daseinsspezifischen Zeitlichkeit als Wurzel phänomenologisch zu fassender Selbstheit impliziert in erster Linie, dass das im Rahmen des seinsgeschichtlichen Denkens wirksam werdende »Selbe« keinen faktisch vereinzelten Wer-Charakter mehr besitzt, sondern zu einem nicht näher definierbaren »Es« mutiert (vgl. GA 14, 22 f.). Leitfaden für diesen Paradigmenwechsel ist Heideggers Interpretation von Parmenides’ Fragment 5: to gar auto noein estin te kai einai, das er in einem Sinne deutet, der über die Vorstellung einer bloßen Identität von Sein und Denken weit hinausgeht. Das to auto ist nicht etwa Ausdruck einer bloß relationalen, von Sein und Denken prädikativ aussagbaren Gleichheit, sondern wird von Heidegger ausdrücklich als »Subjekt, das im Grunde Liegende, das Tragende und Haltende« (GA 7, 254) bezeichnet. Bedeutet dies also, dass Heidegger die der traditionellen Metaphysik abgerungene existenziale Dynamisierung individuierter Selbstheit wieder in die substrathafte Solidität eines anonymen Etwas zurücknimmt, das als universaler, ansonsten aber völlig unbestimmter Seinsgrund fungiert? Wenn die Deutung des to auto als »Grund« und »Subjekt« auch auf den ersten Blick eine Abkehr von Heideggers früherer Konzeption der Selbstheit darstellt, so ist sie im Gegenzug nicht einfach gleichbedeutend mit einem Rückfall in das metaphysische Schema der Substanzialität als einer von jedem in der Zeit beharrenden Einzelding gleichermaßen aussagbaren Eigenschaft. Vielmehr unternimmt es Heidegger, anhand dieses mysteriösen »Selben« das Verhältnis von Einzigkeit und Vielheit vor einem nicht mehr daseinshaften Hintergrund in beiden Richtungen neu durchzuexerzieren. Der Begriff des »Ereignisses« tritt zwar nicht unter dem Gesichtspunkt der ontischen Konkretheit, wohl aber unter dem der unveräußerlichen Einzigkeit die Nachfolge dessen an, was die Selbstheit des Daseins in besonderer Weise ausgezeichnet hatte. 13 Das »Ereignis« im 13
»[…] das Seltene, Einzige (das Wesen des Seins)« (GA 65, 122). A
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heideggerschen Sinne ist ein singulare tantum, dessen Einzigartigkeit nicht als bloß numerische Einheit in formaler Identität zu verstehen ist (vgl. GA 65, 29). Das Ereignis ist genau in dem Maße das »Selbe«, als es nicht Selbigkeit, sondern Beziehung von Verschiedenem setzt. Aus diesem Grunde spricht sich die dispersive Auffaltung dieses auto auch in vielen verschiedenen tautologischen Satzformen aus, die das Ereignis jedoch gerade nicht in wirklich adäquater Form, d. h. unter dem Gesichtspunkt seiner nichtphänomenalisierbaren Einzigkeit, artikulieren können, sondern immer nur als Ursprung der alle Phänomenalisierung erst ermöglichenden Offenheit. Das Ereignis »ist« weder die Welt noch das Ding noch der Raum, noch auch die Summe ihrer jeweiligen Tautologien, sondern vielmehr der Grund, auf dem diese Phänomene in einer immanenten Ausfaltung als Selbstbestimmendes und zugleich Selbstbestimmtes auseinandertreten können. Aus diesem Grunde gelangt Heidegger selbst da, wo er – wie etwa in den Beiträgen – die traditionelle Logik bereits hinter sich gelassen hat, zu der Auffassung: »Wir können das Seyn selbst […] nie unmittelbar sagen. […] Denn jede Sage kommt aus dem Seyn her und spricht aus seiner Wahrheit« (GA 65, 79). Diese Schlussfolgerung wirkt auf den ersten Blick paradox; hatte er doch gleich auf den ersten Seiten der Beiträge die Notwendigkeit proklamiert, die prädikative Differenz zwischen dem Sagen und dem Zu-Sagenden zugunsten eines performativen »Er-sagens« zum Verschwinden zu bringen (vgl. GA 65, 4). Doch auch dort, wo Heidegger versucht, die Selbigkeit des Seins als Ereignis durch die verschiedenen Tautologien der »Welt«, des »Dinges«, des »Raumes«, der »Nähe« und zuletzt des »Ereignisses« selbst durchzudeklinieren, ist er sich zugleich der Tatsache bewusst, dass die Sprache, in der er dies zu artikulieren versucht, ihrerseits nie das absolut Erste ist, sondern sich immer schon in einem »Bereich« und einer »Gegend« bewegt, die als apriorisches »Auseinander« Erscheinungsmedium möglicher Vielheit ist (vgl. GA 12, 168). Auch die hyperbolische, gleichsam autologisch zurückgebogene Tautologie »die Sprache spricht« kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch eine noch so zurückhaltendaufweisende Sprache allenfalls die »Dinge« ansprechen und »an sich selbst« zum Erscheinen bringen kann, aber nicht das Selbe als solches. Wo immer die Tautologie sich ausspricht und versucht, nichts anderes auszusagen als das Erscheinende an ihm selbst, spricht sie immer schon in der Differenz zum Selben als dem auch sprachlich nicht phänomenalisierbaren Grund des Erscheinens. Weder das metaphysische Subjekt 92
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Zwischen Transzendentalphänomenologie und Spekulation
im klassischen Sinne noch das existenzial verendlichte Dasein, noch auch die Sprache als solche können somit als Sitz bzw. Quelle von ursprünglicher Selbstheit angesehen werden. Auch unter den Vorzeichen eines nachmetaphysischen Philosophierens ist es nicht die »Sprache selbst«, die im ursprünglichen Sinne die Phänomene gibt, sondern sie ist nur das Medium, in dem das Erscheinende sich gibt. Die Sprache »selbst« spricht, doch was sie ausspricht, ist nicht die Selbigkeit des Selben, sondern die dadurch ermöglichte Differenz und Verschiedenheit. Die Einsicht, dass es bei der sogenannten »Überwindung der Metaphysik« nicht darum geht, die herkömmliche Logik lediglich durch eine andere zu ersetzen, sondern das Prioritätsverhältnis zwischen Sprache und Schweigen überhaupt umzukehren (vgl. GA 65, 78 f.), legt somit den Schluss nahe, dass in Heideggers Denken auch die Tautologien nicht das letzte Wort haben können, sondern bestenfalls hörbare Spiegelbilder sind für die der Sache selbst allein angemessene »Tautosigé«. Dabei gilt es jedoch dem Eindruck vorzubeugen, als könne dieser Neologismus nunmehr in griffiger Weise zum Ausdruck bringen, wie Sprache unter dem Vorzeichen von Heideggers nachmetaphysischem Denken »eigentlich« beschaffen sein müsste, nämlich vom Schweigen her bestimmt. So wie es bei der pointierten Gegenüberstellung von herkömmlicher propositionaler und tautologischer Sprache nicht um die Ersetzung einer scheinbar weniger adäquaten Satzform durch eine adäquatere geht, sondern um die Einsicht in die je andere Inadäquatheit von Aussagesatz und Tautologie angesichts der Selbigkeit des Phänomenalen, so ist auch das im Ausdruck »Tautosigé« liegende Schweigen nicht einfachhin lokalisierbar und fixierbar als etwas »außerhalb« der Sprache und jenseits ihrer Beginnendes, sondern erweist sich vielmehr als das, was in jeder Form von Sprache immer schon ungehört mitschwingt und sie nicht nur in Differenz zur »Sache des Denkens«, sondern auch und zuallererst in Differenz zu sich selbst bringt – sowohl dort, wo sie »etwas von etwas« aussagt, als auch dort, wo sie in scheinbarer Unmittelbarkeit »dasselbe« an sich selbst sehen zu lassen scheint. Das Schweigen ist weder das, was dem Beginn des Sprechens lediglich voraufgeht, noch ist es mit dem klanglich unausgefüllten Raum »zwischen« den Worten zu identifizieren, sondern steht vielmehr für das, was auch, nachdem es scheinbar durch das Wort »gebrochen« wurde, den sprachlichen Ausdruck als seine bleibende Möglichkeitsbedingung begleitet und durchzieht. A
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Martina Roesner
Auch dort, wo sich die Einsicht in das »Ende« des traditionellen metaphysischen Denkens und der dazugehörigen Logik Bahn gebrochen hat, heißt es also mitnichten: »der Rest ist Schweigen«, sondern vielmehr: »Alle Sprache – propositionale wie tautologische – war von Anbeginn immer schon ebenso sehr Sprache wie Schweigen«, oder (was auf »dasselbe« hinausläuft): »Die Sprache ist nicht die Sprache. Die Sprache spricht, wenn und insofern sie durch das in ihr wirksame Schweigen immer schon mehr und anderes ist als sie selbst«.
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II. Abgrenzungen: Stil als Identitäts- und Differenzfigur
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Susanna Lindberg (Helsinki)
Reading against Hegel
Self-evidently, Heidegger’s unusual philosophical style must not be interpreted as the auto-expression of a subjectivity. However, it is not simply a response to the assignation [Zuspruch] of Being, either, or a sign of a responsibility of it, because the »assignation of the un-thought is hidden in what has already been thought« [Zuspruch des Ungedachten, der »sich im schon Gedachten noch verbirgt.«] (GA 7, 139). The dialogue with »what has already been thought« [schon Gedachtes] is an essential part of Heidegger’s thinking, and the styles of his readings of past philosophers adds to the general question of the style of Heidegger. In the following, I will examine the styles of his »thinking dialogues« through the particular case of Heidegger’s interpretations of Hegel. I will return to Heidegger’s much-debated confrontation with Hegel 1 and examine it as a series of acts of reading; in my hypothesis, See, for instance: Hommes, Jacob: Zwiespältiges Dasein. Die existentiale Ontologie von Hegel bis Heidegger. Freiburg 1953. – Van Der Meulen, Jan: Heidegger und Hegel, oder Widerstreit und Widerspruch. Meisenheim / Glan 1959. – Gadamer, Hans-Georg: »Hegel und Heidegger«. In: id.: Gesammelte Werke 3. Neuere Philosophie I. Tübingen 1987, 87–101. – Pöggeler, Otto: »Hölderlin, Schelling und Hegel bei Heidegger«. In: Hegel-Studien, Bd. 28. Bonn 1993, 327–273. – Pöggeler, Otto: »Hegel und Heidegger über die Negativität«. In: Hegel-Studien, Bd. 30. Bonn 1995, 145–166. – Grossman, Andreas: Spur zum Heiligen. Kunst und Geschichte im Widerstreit zwischen Hegel und Heidegger. Bonn 1996. – Sell, Annette: Martin Heideggers Gang durch Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹. Bonn 1998. – Iber, Christian: »Interpretationen zum deutschen Idealismus. Vernunftkritik im Namen des Seins«. In: Dieter Thomä (Hg.): HeideggerHandbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart / Weimar 2003, 194–202. – Taminiaux, Jacques: »Finitude et absolu: remarques sur Hegel et Heidegger, interprètes de Kant« and »Dialectique et différence«. In: id.: Le regard et l’excédent. La Haye 1977, 116–142, 143– 155. – Taminiaux, Jacques: »Le dépassement heideggérien de l’estétique et l’héritage de Hegel«. In: id.: Recoupements. Bruxelles 1982, 175–208. – Taminiaux, Jacques: »D’une ontologie fondamentale à l’autre: la double lecture de Hegel«. In: id.: Lectures de l’ontologie fondamentale. Essais sur Heidegger. Grenoble 1995, 191–210. – Haar, Michel: »Structures hégéliennes dans la pensée heideggérienne de l’histoire«. In: Revue de mé1
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a certain question of style will appear as the ultimate distinctive feature between the two antagonistic philosophers. In contemporary philosophy, the question of style actually emerges in response to Heidegger, not because he would have important developments of the notion, but on the contrary because he has not, and a certain question of style has been opposed to his thinking of Being in particular in the so-called contemporary French philosophy. For Jacques Derrida – but also, for instance, for Sarah Kofman, Philippe LacoueLabarthe, Jean-Luc Nancy and even Luce Irigaray 2 –, the major modern thinker of style was not Heidegger but Nietzsche, who gave a new philosophical depth to Buffon’s adage »style is man himself« by interpreting style as a trace and as a means of creating subjectivity. Heidegger, on the contrary, appeared to them as a philosopher having overlooked, together with the questions of style and writing, the whole question of subjectivity. Heidegger would claim, however, that he has a more originary interpretation of the phenomenon which Nietzsche only perceived as a subjective »style.« Heidegger is not interested in the author but in the text itself; in the text, he does not pay attention to the formal structure of the work, but he tries to capture its »wave« ([Woge], GA 12, 34), »rhythm« ([Rhythmus], GA 12, 217), or »chant« ([Lied] GA 12, 256) insofar as they spring forth from »what is there to be said« [das Zusagende] or from the Poem [Gedicht] of a poet. What is there to be said or taphysique et de morale, janvier-mars 1980, 48–59. – Janicaud, Dominique: »Heidegger – Hegel: un ›dialogue‹ impossible?« In: id.: Heidegger et l’idée de la phénoménologie. Dordrecht 1987, 145–164. – Mabille, Bernard: Hegel, Heidegger et la métaphysique. Recherches pour une constitution. Paris 1999. – Kolb, David: The Critique of Pure Modernity. Hegel, Heidegger, and After. Chicago / London 1986. – Schmidt, Dennis J.: The Ubiquity of the Finite. Hegel, Heidegger, and the Entitlements of Philosophy. Cambridge / London 1988. – Souche-Dagues, Denise: »The Dialogue between Heidegger and Hegel«. In: Christopher Macann (ed.): Martin Heidegger: Critical assessments, vol. II. History of Philosophy. London / New York 1992, 246–275. – De Boer, Karin: Thinking in the Light of Time. Heidegger’s Encounter with Hegel. Albany 2000. – I elaborate on the argument sketched in this article in Lindberg, Susanna: Heidegger contre Hegel. Les irréconciliables. L’Harmattan, Paris, 2010. 2 See in particular: Pautrat, Bernard: Versions du soleil. Figures et système de Nietzsche. Paris 1971. – [Collectif]: Nietzsche aujourd’hui. Colloque de Cérisy 1972, I–II. Paris 1973. – Kofman, Sarah: Nietzsche et la métaphore. Paris 1972. – Derrida, Jacques: Éperons. Les styles de Nietzsche. Paris, 1978. – Blanchot, Maurice: L’entretien infini. Paris 1979. – Lacoue-Labarthe, Philippe: Le sujet de la philosophie. Paris 1979. See also Irigaray, Luce: Amante marine de Friedrich Nietzsche. Paris 1980. A
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poetized [das Zusagende, das Gedicht] echoe an originary adress of Being, to which the actual text is a »response«: to which it cor-responds like the mortal word cor-responds to the divine sign in the Hölderlin lectures. Instead of idiosyncratic styles, we should look for true articulations of Being, which take place in rare texts, like in Hölderlin’s Andenken or in Hegel’s Phänomenologie des Geistes. As philosophers, we are not interested in individuals but only in Being. I think, however, that this is not enough to explain what Heidegger himself is doing. One still has to explain his gesture, his way of conducting his thought. Only one side of it is the exposition to the calling of Being: in this regard, the thinker is primarily receptive. Another side of Heidegger’s gesture is the more active act of reading other thinkers: this is how Heidegger properly »works«. His numerous dialogues with past philosophers and poets reveal what he does, as a philosopher, and he clearly indicates that he knows what, why and how he reads other philosophers’ texts. In these dialogues, Heidegger positions himself very self-consciously in regard with other thinkers – one is tempted to say that he has strong »techniques« or »methods« of reading – and this is how, as I will attempt to show, he (so to say) »subjectivates« himself or, rather, articulates his singular historical Dasein. If this hypothesis can be maintained, my reading of Heidegger’s readings of Hegel constitutes a kind of a »double deconstruction« 3 : it starts by Heidegger’s »deconstruction« of Hegel, but the study of his procedures of deconstruction becomes a »deconstruction« of Heidegger himself, to the extent that it reactivates a hitherto imperceptible problematics of »style« and »subjectivity« in Heidegger’s own work.
1.
Heidegger’s multiple readings of Hegel
Heidegger’s relation to Hegel is ambiguous. His appreciation of Hegel oscillates between the total rejection of the »completion of metaphysics« in Hegel’s work and a respect for Hegel’s »greatness that has not yet been understood«. But whether Heidegger is depreciatory or laudaIn this context, I use the word »deconstruction« simply in the heuristic sense inspired by the fact that »déconstruction« was first of all Gérard Granel’s word for »Destruktion« in his translation of Zur Seinsfrage (Heidegger, Martin: »Contribution à la question de l’être«. In: id.: Questions I. Paris 1968, 240). 3
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tory of Hegel, his encounters with him are always passionate. Their passion is not a question of simple tonality but of the arguments themselves, which are seldom neutral, sometimes penetrating, but often unjust or even injurious. For exemple, when Heidegger says in Sein und Zeit that Hegel’s conception of time is »vulgar« ([vulgär], GA 2, 564), in »Hegel und die Griechen« that Hegel does not understand Heraclitus’s logos at all (GA 9, 436), or, most radically in Die Negativität, that Hegel has not thought about difference ([Unterschied]: GA 68, 27), negativity, or the thinking itself ([Negativität, Denken] GA 68, 14, 37) because »Das unbedingte Denken ist die Fraglosigkeit selbst« (GA 68, 38), these are not calm statements of undeniable historical facts but vivid provocations, the function of which is to show Heidegger himself as the true philosopher having thought about them. He is not very gentlemanly – but this may not be the point, since in his debate with Hegel, Heidegger has set to measuring a turn in the history of Being and, perhaps, to preparing the possibility of another era of Being. Heidegger’s style of reading cannot be presented directly, like a formal method, but it is rather felt, as overwhelmingly and indistinctly as a Stimmung attuned by a specific pathos. What is the role of pathos in a philosophical encounter? Heidegger’s disagreements with Hegel might amuse us, but they would not thrill us as philosophers, if their pathos boiled down to his subjective idiosyncracies, for instance to pathologies of a mimetic rivalry with an overpowering father figure. 4 In Die Onto-Theo-Logische Verfassung der Metaphysik, Heidegger explains the tension of his encounter with Hegel by referring to »die Sache des Denkens« which is »das in sich Strittige eines Streites« (GA 11, 53): Being is conflictual, not the thinkers. It seems to me, however, that the pathos of Heidegger’s encounter with Hegel does not stem from Being alone, but that it rather echoes the attunement of the thinkers’ historical Dasein. Moreover, the dialogues with past philosophers do not just »happen« to Heidegger, commanded by the approach of an event in the history of Being, but they are essentially what he does, how he works as a philosopher. They belong to the active »waiting« [warten] (GA 7, 139) for the possibility of an event, to the preparation of its
4 Nevertheless, a repressed mimetic rivalry contributes to Heidegger’s readings: this has been shown by Philippe Lacoue-Labarthe in »L’oblitération« and »L’Écho du sujet«. Both articles have been published in his Le sujet de la philosophie, 111–184, 217–303.
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possibility by dialogues with the past, which is according to Heidegger the lot of the philosopher: this is how philosophizing gives a chance for the event, although it cannot command it. Apprentice of Aristotle’s rhetorician (who had inspired the analytics of In-sein (GA 2, 184)), the philosopher needs and uses certain pathe, for instance love and hate, respect and contempt, because they set his discourse moving and conduct its rhythm. Reflecting the ambiguity of the pathos of encounter, Heidegger’s works on Hegel are multilateral. He characterises his readings of Hegel by three different names. In Sein und Zeit, although in § 6 he speaks about a necessary »destruction of the history of metaphysics« by »controlled disputes« [kontrollierbare Auseinandersetzungen] (GA 2, 36), in § 82, where he actually comments on Hegel in some detail, he says that he only makes a preparatory »distinctive clarification« [abhebende Verdeutlichung] in order to clarify his own conception of »Dasein« (GA 2, 565). On the contrary, in his lecture courses from 1929 to 1941, he calls his operation of reading a »dispute« [Auseinandersetzung]: in these texts, Heidegger admits some proximity with Hegel only to consolidate his opposition with him. 5 In two important essays, »Hegel und die Griechen« (cf. GA 9) and in particular »Hegels Begriff der Erfahrung« (cf. GA 5), he does not explicitely reflect on his own operation. In his last important text on Hegel, Die Onto-Theo-Logische Verfassung der Metaphysik (cf. GA 11), he finally changes the word and calls his operation a Gespräch: the starting point is no more the difference but a belonging to the same, the essence of which is in question. No doubt these different positions and attitudes reflect and actually produce the evolution of Heidegger’s relation to Hegel. It seems to me that the different approaches are not determined by biographical or even historical factors, but by a far more binding conceptual necessity. Heidegger studies the problem of time by making an abhebende Verdeutlichung, he examines the joint problems of community and historicity through an Auseinandersetzung, and he gathers the question of
Heidegger uses the term »Auseinandersetzung« to characterise his own reading in Der deutsche Idealismus (Fichte, Hegel, Schelling) und die philosophische Problemlage der Gegenwart (GA 28), »Hegel und das Problem der Metaphysik« (GA 80), Hegels Phänomenologie des Geistes (GA 32), Die Grundfrage der Philosophie (GA 36/37) and »Die Negativität« and »Erläuterung der ›Einleitung‹ zu Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹« (GA 68). He uses the same term again in the Seminar in Le Thor of 1968 (GA 15). 5
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Being in a Gespräch. It will turn out that an obscure but binding necessity commands the study of time by means of an abhebende Verdeutlichung, the study of historicity by Auseinandersetzung, and the study of Being by Gespräch. At the horizon looms the expectation that the constellation of these approaches could sketch the contours of an epochal turn. In what follows, I will look at Heidegger’s different readings of Hegel a bit more closely. I will not proceed chronologically but in an order that, I hope, will show us the gravity of Heidegger’s problem and the complexity of his solutions. This counter-historical approach aims at showing for us a dimension of a historical Miteinandersein that I will not call Heidegger’s Ungedachtes, although I think that he opened it almost unknowingly, as if guided by a mere instinct.
2.
Gespräch
I start at the end, by Die Onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik of 1957, in which we can expect to have Heidegger’s »last word« on Hegel. The stakes of the dialogue are decisive: the »thing itself,« Being. In this text, Heidegger chooses the peaceful word »dialogue« (Gespräch) to characterise his debate with Hegel on Being, in order to signify that the conflict of Being is not a quarrel between thinkers but the discord of Being itself. Resonating the concord of thinkers, the dialogue is about the »sameness« of Hegel’s and Heidegger’s thinking of Being, for both of them think Being as a difference and in its history. Nevertheless, Heidegger continues prudently, in the end neither the difference nor the underlying idea of history are identical: the dialectical difference is very different from the ontological difference; the history of what has been thought is very different from the history of what has not been thought; thinking by an Aufhebung is not at all the same as thinking by a Schritt zurück. Expanding these differences, Heidegger ends by producing an abysmal difference between Hegel and himself: Hegel’s conception of Being would be the »onto-theo-logical« idea of an immobile causa sui, which is the opposite extreme of Heidegger’s own thinking of the historicity of Being and of Ereignis. All of this is well known. Nevertheless, the flaws of the argument should be noted, too. Firstly, it is instructive to note that Heidegger’s A
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critique of Hegel’s »onto-theo-logy« is a direct, literal paraphrase of Hegel’s critique of Spinoza in the Science of Logic (cf. GA 11, 56–57). 6 Heidegger starts by miming Hegel’s distanciation from his own difficult »metaphysical« predecessor, but curiously he ends by attributing to Hegel a very Spinozian doctrine of Being: »Dies ist die Ursache als die Causa sui. […] Zu diesem Gott kann der Mensch weder beten, noch kann er ihm opfern. Vor der Causa sui kann der Mensch weder aus Scheu ins Knie fallen, noch kann er vor diesem Gott musizieren und tanzen.« (GA 11, 77) By reducing Hegel’s thinking of Being to an intemporal causa sui, Heidegger obliterates the possibility of quite another interpretation of Hegel’s theory of Being: the dynamic and fundamentally historical interpretation of Being as life, activity and freedom, that is to say, Being as the life of the spirit. Now, what is Heidegger actually doing here? He is not simply choosing between two possible interpretations of Hegel. I’ll try to elucidate the problem by intensifying it: Heidegger attributes to Hegel the words of another thinker (Spinoza’s »causa sui,« Heidegger’s »onto-theo-logy«) and obliterates Hegel’s own words (»the life of the spirit«). It is possible to show that this is actually a constant gesture in his readings of Hegel: he refuses the words of Hegel and replaces them by others (in particular in »Hegels Begriff der Erfahrung«, in which absolut becomes Absolution, bei uns sein becomes parousia, Denken becomes Vorstellen, Sein becomes Seiendes, Bewegen becomes Gelangen, Idee becomes perceptio, Selbstbewusstsein is assimilated in the ego and Differenz often becomes Vergleichen, etc.). The strategy is peculiar, because when dealing with many other philosophers (in particular, with Heraclitus), Heidegger thinks by explaining their words. Hegel’s words are, on the contrary, rejected by Heidegger: evidently, this is not a pedagogical effort of making Hegel understandable to us, but a historical effort of winning »our words of thinking« by actively rejecting Hegel’s »metaphysical words«. Sometimes this happens as a quarrel on translations of Heraclitus: if Heraclitus has said the earliest words of Being, Hegel’s interpretation of them in terms of »becoming« and »actuality« is supposed to close the epoch of metaphysics, whereas Heidegger’s strange translations of them in a new language of Being and appearing is expected to prepare the way
See Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik II. Frankfurt am Main 1986, 250. See also Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes. Frankfurt am Main 1986, 27.
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for a new era of thinking (cf. GA 40, 135; GA 55, 40–41). Heidegger prepares the possibility of a new thinking precisely by rejecting Hegel’s words as words of metaphysics. But when Hegel’s words are obliterated, so is also his thought. I cannot demonstrate this in a simple article, but if one accepted to follow Hegel in his own terms, he would come much closer to Heidegger than the latter would ever admit. 7 In the end, the two conceptions of Being would be practically indinstinct, and it would seem that Heidegger rejects Hegel so energically precisely because he is so close to him. Here, however, precision is important. Heidegger says that his and Hegel’s conceptions of Being are »same«, not identical: »selbe, aber nicht gleiche« (GA 11, 55). This is manifest. I also want to add: they are indistinct and indistinguishable. There are no words for identifying this Being that Hegel and Heidegger somehow share. And there cannot be, since Hegel’s words are rejected by Heidegger and Heidegger’s words would probably have been ridiculised by Hegel, in such a way that instead of words of Being, we only have conflicts of translation between Entstehung and Aufgehung, dialektische Differenz and ontologische Differenz, Widerspruch and Auseinandersetzung, Vernunft and Sprache, etc. In his Hölderlin lectures, Heidegger has said that a dialogue is fundamentally a monologue of Being (cf. GA 4, 38–40): but here, Being withdraws into namelessness, and we only hear the dialogue in which there is no agreement on the name of Being. According to Heidegger (and Hegel), Being cannot be manifest without its logos – without words. Dominique Janicaud once said: »there are no concepts with which to think this confrontation« 8 . I add: definitely and essentially so, because Heidegger thinks by explicitely rejecting the concepts of his opponent. This is why the Hegel-Heidegger conflict is at the same time so insistent and evasive. However, it is also possible that their conflict appears so evasive because it is approached in a wrong way. Maybe in this confrontation it is not at all a question of identifying Being and making it manifest, but on the contrary of distinguishing different ways of confronting the question of Being – for instance, dialectics and the thinking 7 I develop the problematics in detail in my book Entre Heidegger et Hegel. Éclosion et vie de l’être. L’Harmattan, Paris 2010. 8 Janicaud, Dominique: »Heidegger – Hegel: un dialogue impossible«. In: id.: Heidegger et l’idée de la phénoménologie. Dordrecht 1987, 157.
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of Being. Knowing that for these philosophers the method determines the »subject« of philosophy, we could try to distinguish, instead of the »object« of philosophy (Being), the »subjects« of the dialogue. Let us start by supposing that the »subject« is the human being facing the question of Being: self-consciousness or Dasein. And indeed, this is at stake for Heidegger since the beginning.
3.
»Eine abhebende Verdeutlichung«
At the non-ground of Being, Hegel and Heidegger may finally become indistinct. Heidegger’s first reading of Hegel was nevertheless a question of distinction. The famous § 82 of Sein und Zeit containing Heidegger’s »deconstruction« of Hegel’s concept of time, is actually not a real Auseinanderseztung in view of a re-position of the question of the meaning of Being, but only a preparatory clarification and distinction, an abhebende Verdeutlichung. Heidegger’s declared intention is not to criticise Hegel nor even to examine his theory in any detail – for instance, the decisive question concerning the relation between time and eternity is explicitely left aside (GA 2, 574) – but to clarify his own theory of Dasein. The insufficiencies of Heidegger’s interpretation of Hegel’s theory of time have been shown many times. As Catherine Malabou puts it, Heidegger’s reading, which aims at showing the »vulgarity« of Hegel’s conception of time, is itself »vulgar« 9 . Heidegger reduces Hegel to Aristotle in order to underline his own originality – when he could also have opted for a generous reading, for instance by showing how much he owes to Hegel when it comes to the question of historicity.
Malabou, Catherine: L’avenir de Hegel. Plasticité, temporalité, dialectique. Paris 1996, 178. On the insufficiency of Heidegger’s interpretation of Hegel’s conception of time, see in particular Derrida, Jacques: »Ousia et Grammé«. In: id.: Marges de la philosophie. Minuit, Paris, 1972, 31–78. – Souche-Dagues, Denise: »Une exégèse heideggérienne: le temps chez Hegel d’après le § 82 de Sein und Zeit«. Revue de métaphysique et de morale, janvier-mars 1979, 101–119. – Bouton, Christophe: »La conception hégélienne du temps à Iéna«. In: Philosophie, n 49, 19–49. – Brauer, Oscar Daniel: Dialektik der Zeit. Untersuchungen zu Hegels Metaphysik der Weltgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 135–154. – Majetschak, Stefan: Die Logik des Absoluten. Spekulation und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels. Berlin 1992, 266–275. – Schmidt, Dennis J., The Ubiquity of the Finite, 24–62. – De Boer, Karin, Thinking in the Light of Time, 255–265. 9
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I think, however, that by concentrating his efforts on the sole question of time, Heidegger actually omits to identify the true object of his distinction. At least it seems to me that in order to clarify the Dasein by distinguishing it from Hegel’s way of thinking, the question of time is secondary, and the true problem is the distinction of Dasein from Hegelian Selbstbewusstsein – or, as Heidegger will put it himself: »Bewußt-sein / Da-sein.« (GA 68, 51) At least for me, the comparison makes sense: how does Sein und Zeit overcome Phänomenologie des Geistes? Both books describe the human being’s way towards the highest philosophical questions, both take the finite reality seriously and ask what kind of a conversion is needed in order to ask its sense and reason. It is easy to see that the analogies between the two projects are as striking as their discrepancies. For instance, both philosophers think that the Being of the human being is time, and both stress the necessity of starting the analysis with the concrete, practical existence. This is evidently the sense of Sein und Zeit, but it is possible to show that also for Hegel, time is essentially human time 10 and, moreover, »Ich ist in der Zeit, und die Zeit ist das Sein des Subjekts selber« 11 . Of course, temporality is for Hegel an abstract condition of the human being, who should be thought concretely, instead: the human being is for Hegel a living being, whose Being is an act 12 and whose idea is freedom 13 . His/her temporality is always concretized as a »history« and must be thought of as the negativity that animates it. The human being is nothing, because s/he constantly makes her/himself be: s/he has no definite figure but is the general capacity of figuration. Now, although it is possible to show that for Hegel, the human being’s Being is time, this is not the most essential definition of the human being for him. Instead, Hegel In particular, Alexandre Koyré has insisted on saying that »le temps hégélien est, avant tout, un temps humain, le temps de l’homme«. (Koyré, Alexandre: »Hegel à Iéna«. In: id.: Etudes d’histoire de la pensée philosophique. Paris 1971, 147–189, 177. 11 Cf. Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Ästhetik III. Frankfurt am Main 1986, 156. 12 Hegel: Phänomenologie des Geistes, 242–243. 13 »Die Freiheit [ist gegeben] als eine Tatsache des Bewußtseins«, which determines the human being as free will (Hegel, G. W. F.: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Frankfurt am Main 1986, 46–49). Nevertheless, the human being has arrived to a conscience of his/her freedom only gradually: according to Hegel’s view of history, »Erst die germanischen Nationen sind im Christentum zum Bewußtsein gekommen, daß der Mensch als Mensch frei [ist], die Freiheit des Geistes seine eigenste Natur ausmacht« (Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Frankfurt am Main 1986, 31). 10
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thinks that the most essential determination of self-consciousness is that »Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist« 14 . Heidegger thinks so, too: Dasein is Mitsein, and often it is further analysed in terms of a people’s historical Dasein. However, Mitsein never becomes more than a simple inauthentic modification of Dasein – while its authenticity clearly coincides with its ecstatic temporality. Although authenticity and inauthenticity are declared to be co-originary [gleichursprünglich], we cannot fail to notice that authenticity weighs more in relation with the question of the sense of Being. Comparing these two approaches of the joint question of co-existence and time, it finally seems that the most essential difference between Dasein and self-consciousness boils down to a fairly simple question of accentuation: the most originary level of Dasein is detemined by the question of time, whereas the most originary determination of selfconsciousness is its recognition of and by other self-consciousnesses. Hegelian self-consciousness is temporal but, contrary to the Dasein, solitude brings no truth, and a solitude in front of death does not lead to any particularly revealing form of consciousness (actually, there is no solitary death in the Phenomenology of Spirit). Now, if Dasein is determined primarily but not exclusively as a function of time, and if self-consciousness is determined primarily but not exclusively as a function of other self-consciousnesses, the distinction is very easy to understand – although its consequences are immensely complicated. However, this distinction is not brought out by Heidegger when he wants to clarify the outline of the Dasein in relation to Hegel’s thought. Instead, he distinguishes Dasein’s ecstatic time from the abstract temporality of Naturphilosophie – which is actually too easy and not very enlightening, if we take Hegel seriously (of course we can use him only as a straw man, too, that is not the point). For the sake of the argument, I will take Heidegger’s confrontation with Hegel seriously, and ask: What actually happens in Heidegger’s reading of Hegel in Sein und Zeit? Firstly, Heidegger succeeds in distinguishing his theory very clearly from Hegel’s. Secondly, the distinction does not give a chance for Hegel’s philosophy, because its questions are obliterated, its answers are oversimplified, and its words are once again wiped away. Thirdly, Heidegger entirely overlooks the Hegelian proble-
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Hegel: Phänomenologie des Geistes, 149.
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matics of recognition and community which could seriously challenge his own thinking. Fourthly and for me the most interestingly, if Heidegger had examined Dasein in terms of Anerkennung, he could also have given a more satisfactory explication of what he is doing in regard with Hegel. After all, a philosophical dialogue implies a form of »recognition« and constitutes a kind of a »philosophical Miteinandersein«. When Dasein is determined primarily as a function of Zeitlichkeit, Geschichtlichkeit and die Gabe der Zeit, it is too solitary to understand its own relation to other ways of »being-there«, and consequently to other temporalisations. Let me come back to my original question. It was not possible to explain Heidegger’s relation to Hegel simply by asking what is the Sache des Denkens that they »share«, i. e., »Being«, because their theories were too indistinct. Now it has turned out that an effort to distinguish them by differentiating their conceptions of the human being (insofar as the human being poses the question of Being) fails for an opposite reason. The two are exessively distinct: they are too incommensurable to communicate, and the concepts of one do not answer to the questions of the other. This is why I think that the question remains insufficiently formulated as long as one seeks the essence of this philosophical dialogue in its »object« or in its »subjects«. Instead, we really have to examine the dialogue itself as a relation and as an event.
4.
»Auseinandersetzung«
It seems to me that Heidegger really thinks the philosophical confrontation as an event when he names it Auseinandersetzung. (I will translate this by »dispute«.) He uses and thematises the term in most of his courses and seminars on Hegel in and around the 1930s (between 1929 and 1941). According to Heidegger, a »dispute« is a reading in which a thinker clarifies another thinker’s thoughts by opposing them, and this should clarify his own position in return (e. g., GA 68, 3–9). In a dispute, the other thinker is not a research »object« but another »subject«; this is why, at least in principle, s/he should be able to question the questioner in return (cf. GA 28, 4). Of course, in Heidegger’s words, the thinkers in dispute do not appear exactly as »subjects« but as Dasein; the dispute does not call forth their authentic existence, but it aims at clarifying their »position« – their Da, their »place« or »site«. A phiA
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losophical dispute really belongs to the historicity of Dasein: one only finds one’s own epoch by producing its difference to others – and this is precisely done in disputes (cf. GA 28, 231–232). This is Heidegger’s theory. What is his praxis? What happens in his disputes with Hegel? Clearly, Heidegger »positions« himself against Hegel, who is assigned to the completion of the epochs of metaphysics, subjectivism and representation. Heidegger does this by very vehement readings that haughtily overlook his predecessor’s texts and distort his philosophy. These disputes do not really leave a place for a Hegelian answer. To put it crudely, the dead cannot reply, although they can make the living speak. Heidegger’s implicit theory of the »dispute« is interesting, however. It is a genuine new answer to the classical question of dialogue. Any new theory of the dialogue has to take at least implicitely position to the platonic dialogue. Heidegger never examines explicitly the platonic idea of dialogue. Instead, he refers to the idea of interpretation (hermeneuein) presented in Plato’s Ion, and incorporates it in his own theory of dialogue (Gespräch) (GA 12, 115; 143; GA 54, 188). 15 For instance, his dialogues with Hölderlin are essentially interpretations of Hölderlin who is presented as an interpret of divine signs. Auseinandersetzung and Gespräch do not have the same meaning in Heidegger’s vocabulary. When Gespräch may still refer in a general sense to Plato, Auseinandersetzung does not refer to Plato but to Heraclitus. Aus-einander-setzung is the translation of polemos which, according to the famous fragment 53, is war, »father of all and king of all, some he shows as gods, others as men, some he makes slaves, others free«. Auseinandersetzung is this setting-apart-from-another which shows, edeixe, who and what are the present beings (die Anwesenden) (GA 40, 121; GA 7, 284; GA 9, 424). Such a debate is no more a social gathering, like a platonic dialogue, but a quasi-ontological distribution of possibilities of Being. The tonality, »Stimmung«, of Platonic dialogues is philia: love of wisdom, friendship between the philosophers. The tonality of Heidegger’s »disputes« is on the contrary polemos: the withThe little attention Heidegger payed to the platonic dialogue is described in Courtine, Jean-François: Heidegger et la phénoménologie. Paris 1990, 133–134. As to how he is more interested in the theory of the inspiration presented in Plato’s Ion, see Nancy, JeanLuc: Le partage des voix. Paris 1982, 40–41, and Greisch, Jean: La parole heureuse. Paris 1987, 27; 321. 15
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drawal of the truth of Being, the disagreement of philosophers. This is the difference that determines Heidegger’s distance from platonic dialogue: friendship becomes enmity and combat. Plato’s dialogue gives the dimension of the classical philosophical community; Heidegger’s »dispute« gives the dimension of the only »authentic Mitsein« he ever described. Of course, this is not an easy switch from happy Greece to a gloomy modernity. Instead, negativity characterises the philosophical community when its dimension is the history of philosophy. The historical »dispute« stretches the dimension of a community whose participants – contrary to the platonic community – do not share the same time, place and language. On the contrary, they live in different places at different times, they speak different languages and they naturally never meet one another. Only texts remain from the past, and the »death of the author« is the very condition of a dialogue of a modern text with an ancient one. I have shown elsewhere how close this is to Hegel’s explications, in the introduction of his Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, of the good ways of dealing with past philosophers. Unable to elaborate the question here, I simply resume: the luminous philia that characterised platonic philosophy is doubled by its somber counterpart, negativity or polemos, as soon as the philosophical dialogue is transposed onto the history of philosophy, like Hegel and Heidegger do. Henceforth, the history of philosophy is not only a question of recovering the Being that has or has not been thought previously (Gedachtes oder Ungedachtes), like in Die Onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik. It is also the gathering of the great philosophers of history in the only possible authentic community in which the thinkers only share what separates them, that is to say, death. This community is not determined by the common possession of a positive »thing« by its members, but on the contrary as the absence of the sense of Being that drives all of them to think.
5.
Translation
As I said, Heidegger does not name nor explain his own operation in one of his most important texts on Hegel, »Hegels Begriff der Erfahrung« (1942/43). Nevertheless, it is one of his most intense and developed confrontations with Hegel, and it reveals much of the stakes of his A
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other readings, too. I believe that this text is by nature a translation. 16 Heidegger quotes the whole introduction to Phenomenology of Spirit and explains it paragraph by paragraph by translating it into the language of his own thought. The translation happens on all levels: 1. Heidegger translates the question that animates the text by saying that for Hegel, the essence of thinking is representing – which Hegel, of course, refuses, 2. Heidegger translates Hegel’s words, for instance Denken becomes Vorstellen, Aufhebung becomes Absolvenz, bei uns sein becomes parousia, Bewegung becomes Gelangen, Idee becomes perceptio, etc. 3. This is how he ends by translating the whole »method«: a dialectical thought is translated into an onto-phenomenological one. Heidegger does not only reveal something that would be lacking in Hegel’s thought (a presumed Ungedachtes), but he also attributes to him a position that Hegel explicitely refuses. This violence is supposed to liberate both thinkers towards their proper essence. This is how Heidegger reveals Hegel in a very particular way: he does not reveal Hegel’s intention present in Hegel’s words (his logos), but the »unthought« rythm of Hegel’s epoch, its »zu-denkende« »Gedanc« or »Gedicht«. This would be »Hegel’s style«: the style of onto-theo-logy. The aim of Heidegger’s reading is the production of a firm distinction between the two epochs, and this is done by contrasting their styles, the »ontotheological« and the »ontophenomenological« ones, the irreducible difference of which is shown by the necessity of translating between them. Perhaps, contrary to concrete existential communities, the »transhistorical community of great thinkers« does not need to aim at fairness, justice and generosity. What can the study of Heidegger’s different readings of Hegel reveal to us? We know that Heidegger’s dialogues with past thinkers are a vital 16 Also according to Walter Biemel, Heidegger’s interpretations of great philosophers are translations. (Biemel, Walter: »Kunst und Übersetzung«. In: Thomas Buchheim (ed.): Destruktion und Übersetzung. Zu den Aufgaben der Philosophiegeschichte nach Martin Heidegger. Weinheim 1989, 216). On the necessity of translation for the history of Being and on the impossibility of a literal translation, see von Herrmann, Friedrich Wilhelm: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«. Frankfurt am Main 1994, 307–324. On Heidegger’s conception of translation, see Escoubas, Éliane: »De la traduction comme ›origine‹ des langues: Heidegger et Benjamin«. In: Les temps modernes, n 514–515, 1989, 97–142. – Dastur, Françoise: Heidegger. Paris 2007, 169–182. Going further than von Herrmann, Escoubas and Dastur also study translation as an internal movement of the idiom, as the movement from what must be said to saying itself. This is the non-translatable heart of language.
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part of his »thinking of Being«. We have seen that Heidegger’s confrontation with Hegel is a remarkable »deconstruction« of the classical idea of dialogue. In a classical dialogue, thinkers who are present to one another share the same thing that their dialogue makes present, and they speak about it in the same language. On the contrary, in Heidegger’s historical dialogue with his illustrious predecessors, thinkers who are not present to one another share a thing that withdraws beyond all presence, and instead of sharing a univocal logos, the logos of their encounter is the translation. Definitive, constitutive absence and conflict characterise all the elements of the philosophical event – and this is precisely why we can think. It is impossible (and not only difficult) to distinguish the thinkers in dispute according to clear theses, firm arguments of univocal concepts – because all such positive elements are disintegrated by the debate. What remains, sensible but intangible, is the affinity and the allergy between two philosophical styles. The evasive phenomenon of style remains the only real distinctive feature between the thinkers. The logos of a philosophical confrontation is translation. But what is Heidegger’s philosophical translation? Normally, a good translator does more than transposing words from a language to another: s/he aims at translating the style, the rythm, the movement of the text. In an ordinary case of translation, this results in a mimetic situation, in which the translator tries to create the »same style« in another language, aiming at a kind of a resurrection of the author. Heidegger, on the contrary, does not seek an identity between the original and the translation, and he rather shows the force of death in philosophy: in this, he follows Hölderlin – and Hegel. Heidegger uses translation as a way of distinction. In the case of Hegel, he underlines the translation character of his words in order to create a clear distance from Hegel. And nevertheless, he needs the company of the dead, he needs their texts and he thinks by translating them. Without their alienating intervention, he would never know how to translate what needs to be said into saying.
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Rückkehr des Denkens zu sich selbst. Zu Heideggers Destruktion des Deutschen Idealismus
In seinem 1969 erschienenen Buch La Prose du Monde behauptet Maurice Merleau-Ponty – im Anschluss an die moderne Malerei –, dass der Stil dasjenige ist, was alle Bedeutung möglich macht: »le style est ce qui rende possible toute signification«. 1 Die Betonung des »fruchtbaren Augenblicks« (moment fécond), in dem die Erfahrung geformt bzw. gestaltet und sinngebunden wird, schließt den Gedanken einer transzendentalen Quelle des Erfahrbaren aus. Wenn Merleau-Ponty nach dem Ursprung der Bedeutung fragt, wird u. a. das Problem der Kontextlosigkeit thematisch: Es handelt sich um ein Geprägtes, das schon immer zerlegt ist, weil es dabei nie zu einer Situierung (des Sprungs) kommen kann. Deswegen macht uns Merleau-Ponty darauf aufmerksam, dass man zunächst auf alle instituierten Bedeutungen verzichten und sich nur auf den semantisch-entleerten Blick des Künstlers konzentrieren muss. 2 So fällt die Paradoxie auf: Eine künstlerische Erfahrung wird an dem Punkt geformt, wo die Form (im Sinne einer »Strukturierung«) versagt. Und der Stil als kohärente Deformierung (déformation cohérente) ist nicht nur eine besondere Zugangsweise, sondern auch eine andere Ausgestaltung der Welt. Dieser λόγοϚ (logos) des Blicks, den Merleau-Ponty in Bezug auf die Malerei thematisiert, ließe sich in der Dichtung eher drastisch übertragen: Selbstgefühl als absolutum (Novalis), Selbstschöpfung als Selbstzerstörung (Schlegel), Zäsur (Hölderlin). Die These dieser Arbeit lautet: Das Denken Martin Heideggers hat einen dichterischen Grundduktus, und davon hängt sein Denkstil ab. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass seine Philosophie mit der Dichtung gleichzusetzen ist. Insofern die Dichte der Seinsfrage bis in den Sprach-
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Merleau-Ponty, Maurice: La Prose du Monde. Paris 1999, 81. Merleau-Ponty: La Prose du Monde, 82.
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filter des Dichtens eindringt, ist das Denken des Seins zu einer besonderen Abgrenzung von der Dichtung fähig, und zwar im Modus einer Nachbarschaft, welche die ekstatische Zeit – und damit die Möglichkeit eines anderen Anfangs – in die Geschichte des abendländischen Denkens einführt. Dort, wo Denken mit Dichten zu synkopieren scheint, vollzieht sich der Sprung »in einen anderen Wesensort« (GA 52, 48), und zwar im exemplarischen Sinne. Exemplum ist die Dichtung, sofern sie den Ort bezeichnet, in dem die Grundfrage nicht mehr bloß theoretisch gedacht wird. Aber die Herausarbeitung dieser Frage soll etwas Anderes offenbaren: Das, was Heidegger »die dem Denken eigene Rückkehr zu sich selbst« (GA 55, 221) nennt, und das Denken des Ungedachten, das die Poetologie Novalis, Schlegels und auch Hölderlins ausmacht, stehen in einer asymptotischer Beziehung zu einander. Asymptote bedeutet in der Mathematik eine Linie, die sich einer anderen immer mehr annähert, ohne sie zu erreichen. Wenn man die Sache näher betrachtet, ist diese Figur sehr treffend, eine geeignete Perspektive zur Darlegung der Nachbarschaft zwischen Denken und Dichten – ausgehend in diesem Fall von Heideggers Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus – insbesondere mit Fichte. Denn Asymptote, d. h. das (sichtbare) Nichtzusammenfallen von zwei Linien, kann auch als ein (unsichtbares) Zusammenfallen in der Unendlichkeit gedacht werden. Und die Unendlichkeit, hier das absolutum, wäre demzufolge der Schnittpunkt, an dem die Aufgeschlossenheit des Seienden nicht mehr durch Aussagelogik oder Urteilslehre abgehandelt werden kann. Die Dimension des Absoluten eröffnet sich bei Fichte im Modus eines nichtkontextualisierbaren Grundes des Wissens. Dieser Grund ist jedoch nicht begründbar. Wenn das Denken des Absoluten das Sein des Seienden zu erschließen vermag, vollzieht sich die entsprechende Erkenntnis vor aller Erfahrung. Aber diese Apriorität bedeutet weder Vorzeitigkeit im Rahmen einer chronologischen Sequenz noch logische Bedingung der Denkbarkeit von Seiendem. Vielmehr ist das »Vor« als »abgelöst« (ab-solutum) aufzufassen: Vollzug muss Erkenntnis sein, wenn das Absolute als Seinsgrund fungiert, aber zugleich drängt sich die Differenz zwischen Vollzugsaktualität (Unendlichkeit) und Bestimmtheitsmomenten (Endlichkeit) in den Vordergrund. Diese unaufhebbare Differenz kennzeichnet die Philosophie Fichtes von seiner ersten Wissenschaftslehre von 1794 – die sich als Fortsetzung und zugleich Überwindung der praktischen Philosophie Kants denken lässt – bis zu derjenigen von 1804 – konzipiert u. a. als Gegenentwurf zu Schellings A
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Darstellung meines Systems (1801). Die Forderung, dass das Absolute immer schon die Differenz gedacht haben muss, wenn überhaupt Bewusstsein sein soll, charakterisiert die idealistische »Erschütterung der Endlichkeit« (GA 28, 49) als Problem der Sprache. Ein dem Wissen immanentes Unendliches ist nicht als Objekt zu denken, aber es ist auch keine (bloß) regulative Idee. Das Problem der Sprache (des Absoluten) lässt sich bei Fichte folgendermaßen zusammenfassen: Die Reflexion der Reflexion kristallisiert sich als Vollzugssinn heraus; es bleibt deshalb kein Platz für eine Metainstanz übrig. Dieser Aspekt hat viel dazu beigetragen, dass bei den bedeutendsten Dichtern der Jahrhundertwende (Novalis, Schlegel, und auch Hölderlin) eine Poetologie entsteht – wobei Poetologie nicht mehr als Reflexion über Dichtung, sondern eher als λόγοϚ – im heideggerschen Sinne: »Ab-grund« (GA 12, 11) – der Poiesis zu denken wäre. In seiner Auseinandersetzung mit Fichte versucht Heidegger, den Freiheitsraum der Seinsfrage nicht nur durch eine phänomenologische Rückkehr zu Kant, sondern auch mit Hilfe dieser poetologischen Reflexion der Zeit zu eröffnen. Wie er dazu kommt, werde ich im Folgenden darzulegen versuchen. In seiner Kritik der praktischen Vernunft spricht Kant von einem »Rätsel der Kritik« 3 : Selbst wenn man dem übersinnlichen Gebrauch der Kategorien in der Spekulation objektive Realität abgesprochen hat, kann man doch den auf Noumenen angewandten Kategorien Realität zugestehen. Durch den praktischen Gebrauch der reinen Vernunft ist eine gedachte Realität nicht bloß willkürlich erdacht. Ihr schreibt Kant ein Faktum zu, und damit wird ein Vernunftbegriff – d. h. das, was nur Idee und keine erkannte Realität ist – willensbestimmend. Das Sittengesetz als Faktum der Vernunft drängt sich uns für sich selbst auf, und zwar als »synthetischer Satz a priori« 4 . Dieser Satz ist von den Urteilen der Kritik der reinen Vernunft zunächst wegen seiner apodiktischen Natur, aber auch auf Grund seines performativen Charakters zu unterscheiden. Und »Performation« ist hier vor allem als »Präformation« zu verstehen. Das Sittengesetz sagt nichts zu uns, was nachzuweisen oder abzulehnen ist, sondern bildet unseren Willen voraus, indem es sich in dessen Uranlage einschreibt: sic volo, sic jubeo (so will ich es, so befehle ich es). Das Bewusstsein dieses Gesetzes ist deshalb ein Rätsel, denn das
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Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, 5 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, 31.
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Faktum muss unabhängig von irgendeiner (reinen oder empirischen) Anschauung – und trotzdem bewusst – sein. 5 Fichte hat sich diesen Aspekt der praktischen Philosophie Kants zu Nutze gemacht, und zwar in Richtung einer absoluten Bestimmung menschlicher Handlung. Wenn das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft unbedingt ist, wird der Wille, so Kant, »schlechterdings und unmittelbar […] objektiv bestimmt« 6 . Das Grundgesetz entlehnt nichts von der Empirie, und es bietet auch keine Vermittlungsinstanz im strengen Sinne an. Objektivität ist deshalb als Vollständigkeit der Bestimmung zu verstehen, selbst wenn Kant deutlich macht, dass der Mensch ein »mit Bedürfnissen und sinnlichen Bewegursachen affizierte[s] Wesen« 7 ist. Die Materie des Wollens oder das Objekt des Begehrens ist heteronomisch und gehört der Empirie an. Der Wille kann hingegen auf seinen ursprünglichen – formalen – Bestimmungsgrund zurückgeführt werden: die Vernunft. In seiner Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre von 1794 spricht Fichte von einer »Bestimmung der Freiheit« 8 , genauer ausgedrückt: von der Erhebung des ersten thetischen Aktes des Ich zum Bewusstsein. Dieser Übergang von Handlung zu Erkenntnisvollzug schließt drei Momente ein: Zeitlosigkeit des Setzens (These), zeitbedingte Entstehung der Intelligenz (Antithese) und logische Auflösung des Zeitbedingten (Synthese). Das Objekt der Wissenschaftslehre ist nicht die freie (thetische) Handlung des Ich, sondern die notwendige Handlung, die nur das System erlaubt. Ohne die Aufstellung eines Systems blieben die diskontinuierliche Kausalität (Reflexion außerhalb der Zeit) und die Abstraktion vom zeitlich Bedingten (Reflexion der logischen Zeit) letztlich abgesondert. Diese Übereinstimmung des Vorausgesetzten mit dem Gefundenen potenziert die Zwischen-Instanz, das »ἀντί-Element« zur Unendlichkeit. Die Abschaffung des Dinges an sich geschieht deshalb durch eine außerordentliche Anstrengung der Vernunft: dasjenige, was allem Bewusstsein zugrunde liegt, explizit zu machen. Freiheit ist nicht mehr Bedingung des Grund-
»Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft […] herausvernünfteln kann« (ebd., Hervorhebung durch den Verfasser). 6 Ebd. (Hervorhebung durch den Verfasser). 7 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, 32. 8 Fichte, Johann Gottlieb: »Über den Begriff der Wissenschaftslehre«. In: Fichtes Werke, Band I: Zur theoretischen Philosophie. Berlin 1971, 72. 5
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gesetzes, wie bei Kant, sondern die durch abstrahierende Reflexion dargestellte Tathandlung des Ich als dem absoluten Subjekt. 9 Wichtig ist an dieser Stelle, zu betonen, dass die Tat des Bewusstseins – d. h. die Wirklichkeit des Ich – im Rahmen der Wissenschaftslehre von der (unbeschränkten) Tätigkeit abhängt, aus der sie entspringt – und trotzdem gelangt man zu diesem Ursprungsort durch keine Ableitungsbewegung. 10 Tat-Handlung lässt sich zunächst als die Bereitstellung einer Weltstruktur für das Ich auffassen. Sie ist nämlich Tat der Handlung (genitivus subiectivus), nicht einfach des individuierten Bewusstseins. Die Teilung »Subjekt-Objekt« wird auf eine ursprüngliche Aktivität zurückgeführt, in der sich schon ein Horizont von Welt kundtut. Das »Sichselbstsetzen« deutet auf die Verendlichung der reinen Ichheit, der letztlich kein prädikatives Urteil zugeschrieben werden kann – eben weil die Verendlichung unendlich ist. So wird z. B. im Urteil »Ich bin (Ich)« die Stelle des Prädikats leer gelassen, und das gesetzte Ich deswegen ausgeklammert, d. h. nicht mehr kategorial verstanden. 11 Diesen Punkt erläutert Heidegger mit Blick auf den sprachproblematischen Aspekt des absoluten Subjekts: »Es wird gar nichts ausgesagt, sondern ›ich‹ qua Ich sage nur mein Ich-Sein, und ich sage es nur im Ich-Sein.« (GA 28, 113) Das Sagen des Ich-Seins im Ich-Sein ist kein Was-, sondern ein Wie-Sagen. Insofern Ich-Sein für Fichte Frei-Sein bedeutet, ist dessen angesprochene Bedeutung vordiskursiv. Heidegger selber sagt, Fichtes Idee von Freiheit sei »keine Bestimmung, die ich von vorhandenen Dingen, genannt Menschen, abstrahieren kann« (GA 28, 111). Anders ausgedrückt: Freiheit ist das unendlich Offen-Sein des Ich, das als (unbegründbarer) Bestimmungsgrund fungiert, und angesichts dessen die Aussageform auf die Schranke des Unbegreifbaren stößt. Dieser Aspekt ist für Fichte kein Problem der theoretischen Philosophie, sondern das Motiv einer Sittenlehre: Die Vgl. Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre, 91. Hierzu siehe Jürgen Stolzenberg: »Die Tätigkeit, welche dem endlichen Ich den Horizont einer Welt eröffnet, ist aus dem Begriff des sich selbst setzenden Ich nicht ableitbar, sondern mit ihm gleichursprünglich« (Stolzenberg, Jürgen: »Martin Heidegger liest Fichte«. In: Harald Seubert (Hg.): Heideggers Zwiegespräch mit dem deutschen Idealismus. Köln / Weimar / Wien 2003, 77–91, hier 82). 11 Fichte zufolge fragt man nicht, ob die Tatsache »Ich = Ich« gilt, denn der Zusammenhang zwischen »wenn (A), so (A)«, ist, wie er sagt, letztlich notwendig. Dies heißt: A = A wird geurteilt, aber als Handeln liegt das (vorreflexiv tätige) »Ich bin« zugrunde. Hierzu siehe Fichte, Johann Gottlieb: »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre«. In: Fichtes Werke, Band I: Zur theoretischen Philosophie. Berlin 1971, 94. 9
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moralische Handlung verweist auf eine Überwindung der Endlichkeit, aber das vollzieht sich innerhalb der Dimension der Verendlichung – denn Sittlichkeit ist letztlich die Sittlichkeit des vernünftigen Wesens, das der Mensch ist. Über die Freiheit kann man deshalb, so Fichte, nur durch die Errichtung eines Systems Rechenschaft ablegen. Hier liegt für Heidegger das Problem der absoluten Subjektivität. Sie wird als »das Gewisseste« vorausgesetzt, d. h. »das, was schlechthin keinen weiteren Rückgang zuläßt« (GA 28, 125) – dies verlangt eine wissenschaftliche Sprache, eine Gliederung ad infinitum, die sich trotzdem als abgeschlossen darstellt. Damit wird die Seinsproblematik verstellt, wie Heidegger selbst andeutet: »Denn die Bestimmung der Ichheit des Ich erwächst gerade nicht unter der Führung der Frage nach dem Sein, sondern aus der Bemühung um die Grundlegung eines absolut gewissen Wissens.« (GA 28, 139) Fichte strebt nach einer widerspruchsfreien Denkbarkeit des Seins des Seienden, und nimmt zugleich auf ein Wahrheitskriterium Bezug, das alle Sätze über das Seiende umfasst. 12 Das Wechselverhältnis zwischen dem Bestimmen und dem Bestimmtwerden des Ich ist zweifelsohne asymmetrisch, denn alles Sichvorstellen ist eine Bestimmung im Ich. Anders gesagt: Was begrenzt wird, muss immer mehr sein als das, was durch die Begrenzung entsteht, für diesen Überschuss (= Idealgrund) jedoch eignet sich keine Sprache – sondern nur die aposteriorische Überkompensation eines dem Setzen des Ich zugehörigen Realen. Problematisch ist Fichtes Philosophie für Heidegger nicht wegen der Kluft zwischen dem Nichtsein des Absoluten und dem Vorhandensein dessen (ontischer) Manifestation, sondern weil sie die Endlichkeit als Seinsproblem verkennt, bzw. sie keineswegs von sich selbst her zu artikulieren vermag. Entscheidend ist diesbezüglich Fichtes Auffassung der Einbildungskraft und Heideggers Kritik derselben. Fichte zufolge ist die Einbildungskraft Einheitsprinzip der theoretischen und der praktischen Philosophie. Ihre schöpferische Kraft geht über die von Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft angesprochene Paradoxie der Selbstaffektion hinaus. 13 Während die Einbildungskraft für Kant die empirische AffekNämlich dasjenige eines Grundsatzes, der, wie Fichte selber sagt, »keines Beweises fähig« ist (Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre, 47). 13 »Hier ist nun der Ort, das Paradoxe, was jedermann bei der Exposition der Form des inneren Sinnes […] auffallen mußte, verständlich zu machen: nämlich wie dieser auch so gar uns selbst, nur wie wir uns erscheinen, nicht wie wir an uns selbst sind, dem Bewußtsein darstelle, weil wir nämlich uns nur anschauen wie wir innerlich affiziert werden, 12
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tion durch eine interne Falte der Spontaneität ermöglicht, erschafft sie bei Fichte nicht nur die Form, sondern auch den Stoff der Vorstellung. Er leitet die Einbildungskraft nicht – wie Kant – aus der ursprünglich logischen Einheit der Apperzeption ab, sondern aus der Vernunft als Tathandlung. Selbst wenn die Behandlung der Einbildungskraft ganz deutlich zeigt, dass sich die Vernunfthandlung auf der Ebene des Bewusstseins immer als antinomisch ergibt, ist diese Antinomie des Setzens und Entgegensetzens nur im (absoluten) Ich möglich, 14 d. h. sie wird letztlich aufgelöst, indem das Systemdenken der diskursiven Vernunft immer wieder affirmative Fixierungen erzwingt. Die Wissenschaftslehre richtet sich auf eine begriffliche Systembildung aus und akzeptiert keine »Gebrochenheit« der sprachlichen Form. Selbst auf der Ebene des Wechselverhältnisses des Ich (als Bestimmen und Bestimmtwerden) versucht Fichte, die konstitutive Spannung der Einbildungskraft zu neutralisieren. So definiert er die produktive Einbildungskraft als »Geist«. Nur was das Voraus-Gesetzte betrifft, scheint es, als ob den von Kant in der Kritik der Urteilskraft thematisierten »ästhetische[n] Ideen« doch ein Begriff adäquat sein könnte. 15 Bei Kant sind die Tätigkeit des Geistes und die Spontaneität der Vernunftidee nur analogisch vereinigt; bei Fichte ist die erste auf die zweite zurückzuführen, d. h. er versucht, eine spekulative Brücke zwischen der Allgemeinheit des einzelnen Bildes und derjenigen des Begriffs zu schaffen. Man könnte an diesem Punkt sagen, dass Heideggers Fichte-Kritik auf einer Rückkehr zu Kant und einer Rettung der kritischen Grenze seiner Philosophie – der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis – basiert. In seiner phänomenologischen Interpretation zur Kritik der reinen Vernunft wird aber u. a. eine Destruktion nicht nur des kantischen, sondern auch des fichteschen Ansatzes wortreich durchgeführt, insofern Heidegger dabei die Einbildungskraft von der Vernunftsponwelches widersprechend zu sein scheint, indem wir uns gegen uns selbst als leidend verhalten müßten« (Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, B 152 f.). 14 Hierzu vgl. Heidegger: »Thetisches Urteilen ist in sich im Setzen als solchem gegründet. Diese Begründung ist eine von der antithetischen und synthetischen verschiedene« (GA 28, 123). Dies heißt nichts anderes als: Die Antithese und Synthese kommen als zur reinen These zugehörig zu Tage. 15 Hierzu vgl. Kant: »[U]nter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich hier diejenige Vorstellung der Einbildungskraft die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann.« (Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, 314; Hervorhebung durch d. Verfasser.)
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taneität trennt und innerhalb der Dimension der Zeit bzw. der ursprünglichen Zeitlichkeit der Existenz denkt: Die Behauptung, dass sie »nicht nur die Mitte von reiner Anschauung und reinem Denken im Sinne des ›Zwischen‹, sondern die Mitte im Sinne des Zentrums und der Wurzel« (GA 25, 287) ist, ermöglicht »die Zeit und das Ich-denke« durch die Interpretation der Selbstaffektion »radikaler zu verstehen« (GA 25, 359). Da die Selbstaffektion nichts anderes ist als die Zeit, ist die kantische Apperzeption Heidegger zufolge »die Einheit des ausgreifenden Umgreifens, das als solches überhaupt eine Dimension von Wider-ständigkeit […] konstituiert« (GA 25, 389). Aber diese Widerständigkeit ist das, was das Subjekt sich selbst vorgibt, d. h. reine, vorgegenständliche Widerständigkeit – oder, sagen wir es gleich: Zeitekstase. Der Schritt in Richtung einer »Angewiesenheit auf Gebung« des Subjekts gibt uns den Schlüssel zum Verständnis der kritischen Abgrenzung von Fichte, die Heidegger in seiner Vorlesung über den Deutschen Idealismus vornimmt. Aber Heideggers Reaktion gegen die begriffliche Systembildung knüpft an eine andere Konzeption an, die als emanzipatorische Sprachform im Zusammenhang der deutschen klassischen Philosophie gelesen werden kann: die Poetologie der Frühromantiker (Novalis, Schlegel, Hölderlin). Dieser Aspekt wurde von Heidegger nie explizit gemacht und ist daher ein fehlendes Kapitel in der Rezeption seines Denkens. Eine Exposition der Perspektivenänderung, die diese Dichter in Bezug auf Fichte (und Kant) vollziehen, soll deutlich zeigen, dass das Denken Martin Heideggers einen dichterischen Duktus hat, und dass – angesichts der Daseinsfrage – es nicht anders hätte sein können. Hätte Heidegger die Wirkung des Dichterischen in sein eigenes Projekt nicht eingeschrieben, wäre seine Destruktion des »theoretisch Erdachten« (vgl. GA 28, 133) in der nachkantischen Philosophie gescheitert. Die Hölderlin-Vorlesungen der 30er und 40er Jahre sind diesbezüglich ein deutliches Zeichen und bieten zugleich viele Elemente, die eine Rekonstruktion der von ihm proklamierten Überwindung der Metaphysik ermöglichen. Aber seine Auseinandersetzung mit Fichte zeigt ganz deutlich, dass der Weg viel komplizierter ist und bis in die frühromantische Konstellation hineinreicht. In seinen Fichte-Studien macht Novalis seinen Punkt deutlich: Der Philosoph kann nicht umhin, das Wissen zu begründen, der Dichter erreicht hingegen den tiefsten Boden seines Wissens durch die Empfindung. Dies bedeutet zunächst, dass die Einbildungskraft keiner Leistung eines zugrundeliegenden Ich unterworfen ist. Sie erreicht eine nichtA
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ichhafte Natur, »das Einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann« 16 . Das Ich kann vieles von der Welt wissen, aber von sich selbst kann es nur ein Gefühl haben, indem es das Fühlen nicht mehr nach außen richtet, sondern auf sich selbst anwendet. Diese qualitative Potenzierung des Fühlens durchbohrt die reflexive Struktur des Sichselbstsetzens, wie Novalis selber sagt: »Ich bin nicht inwiefern ich mich setze, sondern inwiefern ich mich aufhebe« 17 . Dieses Gefühl des Absoluten hat keine emotionale Konnotation. Es ist eine Stimmung, der kein Begründungsanspruch entsprechen kann – eine Grundstimmung, die den äußersten Abgrund des Denkens erreicht, ohne auf das Wort zu verzichten. Und dieser Abgrund ist Novalis zufolge symbolisch zu vergegenwärtigen. Die Darstellungsproblematik erreicht hier ihren Gipfel: Jede Sinngebung durch Form ist vom unaufhebbaren Mangel an Sein geprägt, aber die Poesie besteht auf dem qualitativen Sprung des Wortes ins Transreflexive. Die symbolische Kraft der Dichtung bezieht sich nicht nur auf Figuren bzw. Eigennamen, wie z. B. die Geliebte oder Christus in den Hymnen an die Nacht. 18 Sie artikuliert das reine Leben als »zugleich eine Trennung vom Absoluten und eine Bezogenheit auf ein Absolutes« 19 . Hier wird das ironische Element der romantischen Poetologie sichtbar: eine unendliche Progression, die eigentlich kein Fort-Schreiten im Rahmen einer zeitlichen Abfolge ist, sondern die Wiederholung des Zeitlosen in der Zeit, d. h. die höchste Paradoxie. In diesem Sinne ist auch der folgende Satz von Friedrich Schlegel zu verstehen: »Was in der Poesie geschieht, geschieht nie, oder immer« 20 . Die Novalis: »Fichte-Studien«. In: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Band II. Darmstadt 1999, 181. 17 Novalis: Fichte-Studien, 104. 18 Schon in der 1. Hymne wird ein höherer Raum gestaltet, in dem sich die Vereinigung mit der Geliebten vollzieht. Die Bilder, die auf die christliche Erlösungsgeschichte deuten, erscheinen schon in der 4. Hymne, und in der 5. Hymne bringt Christus mit niegesehenem Angesicht die neue Welt (ausführlich darüber Hans Jürgen Balmes in seinem Kommentar zu den Hymnen an die Nacht, in: Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Band I. Darmstadt 1999, 68–71). Besonders zu bemerken ist vor allem die Konzentration der zwei Figuren in der 6. Hymne: »Hinunter zu der süßen Braut / Zu Jesus dem Geliebten, / Getrost die Abenddämmerung graut / Den Liebenden Betrübten. / Ein Traum bricht unsre Banden los / Und senkt uns in des Vaters Schoos« (Novalis: Hymnen an die Nacht, 176). 19 Uerlings, Herbert: Novalis. Stuttgart 1998, 149. 20 Schlegel, Friedrich: »Athenäum Fragmente«. In: ders.: Kritische Schriften. München 1971, 40; vgl. auch folgendes Fragment: »Eine Idee ist ein bis zur Ironie vollendete Be16
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Disjunktion (oder) drückt keine Inkommensurabilität aus, sondern die Ununterscheidbarkeit zwischen einem vollkommenen Entzug und einer absoluten Präsenz. Novalis und Schlegel thematisieren das Unthematisierbare. Das Übersichhinausgehen der Reflexion (vom Bewusstsein zum Sein) ist als Insichzurückkehren der Form (vom wissenschaftlichen Begriffssystem zum dichterischen Wort als Symbol) zu verstehen: Die Romantiker halten an einem positiv ausmachbaren absolutum fest, und zwar im Modus der Destruktion 21 . Hölderlin geht noch einen Schritt weiter: Mit Novalis denkt er, dass die Voraussetzung der Urteilung (Ich bin Ich) die ununterscheidbare Einheit des Seins ist. Die Darstellungsproblematik ist in diesem Sinne mit der Rolle der intellektualen Anschauung verbunden. Letztere hat Wolfgang Janke als ein Organon definiert, »mit dessen Hilfe […] die vorauszusetzende innigere Einigkeit des Einen und Ganzen zur Sprache kommt« 22 . In Bezug auf Fichte ergeben sich zwei entscheidende Unterschiede, die Heidegger sich zu Nutze macht: 1. Die Radikalisierung des Denkens jenseits metaphysischer Letztbegründungsversuche, d. h. die Freilegung einer Seinsfrage, welche der λόγοϚ der Poesie verkörpert und verdichtet. 2. Das Versagen der begrifflichen Sprache und die mythisch-ästhetische Kompensation im poetologischen Entwurf – etwas, das in eine sehr fruchtbare »Spannung zwischen dem Identitätsurteil des Ich und der innigen Einheit des Seins in intellektualer Anschauung« 23 mündet. Das Gefüge von Ich-Urteilung und Sein ist nicht genug. Ein Drittes muss noch hinzukommen: das Schöne. Erst durch den Gedanken des Schönen findet eine Wiederholung der Einheit des Seins – im Modus des Darstellens – statt. Als der Mensch und seine Götter Eins waren, war die Schönheit sich selbst unbekannt, d. h. ungeteilt und außerhalb jeder Identitätslogik stehend. Der Prozess der Selbsterkenntnis der Schönheit ist aber nicht als abstrakte Sequenz (reines Sein – Urteilung – diskursive Zerstreuung auf der Aussageebene) zu exponieren, griff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwei streitender Gedanken« (ebd.). 21 Vgl. Hühn, Lore: »Das Schweben der Einbildungskraft: Eine frühromantische Metapher in Rücksicht auf Fichte«. In: Wolfgang Schrader (Hg.): Fichte und die Romantik: Hölderlin, Schelling, Hegel und die späte Wissenschaftslehre. Amsterdam / Atlanta 1997, 137. 22 Janke, Wolfgang: Vom Bilde des Absoluten: Grundzüge der Phänomenologie Fichtes. Berlin / New York 1993, 87. Hervorhebung durch den Verfasser. 23 Janke: Vom Bilde des Absoluten, 88. A
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sondern es geht darum, das Schöne im Rahmen der Aufteilung GötterMenschen weiter zu denken. Das Heraklit-Zitat in Hyperion ist diesbezüglich höchstrelevant (ἕν διαφερόν ἑαυτῷ: das Eine in sich selbst unterschiedene) und hat auch einen Stützpunkt in dem Entwurf Das älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus, wo Hölderlin behauptet, dass »der höchste Akt der Vernunft […] ein ästhetischer Akt ist« 24 . Dies soll zunächst dazu beitragen, dass sich der Dichter – und auch der Denker – von den sogenannten »Buchstabenphilosophen« unterscheidet, aber nicht nur das: Sobald Hölderlin den Schritt über Fichte hinaus macht – in Richtung einer Auseinandersetzung mit dem Undarstellbaren –, sind die Vorstellungen der Einbildungskraft nicht mehr von der Logik, sondern vom Rhythmus abhängig. Der Gedanke der Zäsur gehört mit dazu. Er zeigt, dass dichterische Sprache nicht das Andere zur metaphysischen, aussagenden Rede ist, sondern die Unterbrechung derselben – und das ist genau dasjenige, worauf Heidegger mit seiner »denkerische[n] Auseinandersetzung« (GA 39, 6) mit Hölderlins Dichtung hinaus will. Wenn die Zäsur nach Hölderlin die Sichtbarmachung des Vorgestellten garantieren soll, 25 hängt das Sichtbargewordene von keinem Subjekt ab, sondern es steht an dem Punkt des Versagens des Sichvorstellens. Was die Zäsur ermöglicht ist eine erst im Modus der Abwesenheit lesbare Vorstellung – eigentlich keine oder eine unmögliche. Ein Beispiel dafür ist das Gegenwärtigwerden eines Gottes in Gestalt des Todes. 26 Der Rückzug der Götter ist in diesem Sinne nur im Hinblick auf die menschliche ὕβριϚ (hybris) zu verstehen. Da die Zäsur der Punkt ist, an dem sich Zeit und Ewigkeit vereinigen und zugleich auseinanderfallen, ist die Manifestation des Gottes die Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke, Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe, Band IV. Stuttgart 1962, 310. 25 »[Durch das Tragische] wird in der rhythmischen Aufeinanderfolge der Vorstellungen […] das, was man im Silbenmaße Zäsur heißt, das reine Wort, die gegenrhythmische Unterbrechung notwendig, um nämlich dem reißenden Wechsel der Vorstellungen, auf seinem Summum, so zu begegnen, daß alsdann nicht mehr der Wechsel der Vorstellung, sondern die Vorstellung selber erscheint« (Hölderlin, Sämtliche Werke Band IV, 214). 26 Hierzu siehe Hölderlins Pläne und Grundlegung des Trauerspiels »Der Tod des Empedokles«. In Bezug auf die Beziehung zwischen Natur und Kunst und das Gefühl der Vollendung im Menschen sagt er: »[…] der Tod des Einzelnen [ist] derjenige Moment, wo das Organische seine Ichheit, sein besonderes Dasein, das zum Extreme geworden war; das Aorgische seine Allgemeinheit nicht wie zu Anfang in idealer Vermischung, sondern in realem und höchstem Kampf ablegt […]« Hölderlin: Sämtliche Werke Band IV, 159. 24
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Unterbrechung der Zeit und zugleich der Schnitt (oder das Vernähen) der Ewigkeit. Durch diese poetologischen Richtlinien wird die Destruktion des fichteschen Ansatzes vollzogen. Das ist der Wendepunkt, zu dem Heidegger erst 1929 in seiner Vorlesung über den Deutschen Idealismus und danach in seinen Hölderlin-Interpretationen der 30er und 40er Jahre gelangt. Im Anschluss daran kann man eine bemerkenswerte Beziehung zwischen Dichtung und Einbildungskraft feststellen. So, zum Beispiel, behauptet Heidegger in seiner Vorlesung von 1934/35 über die Hymnen Germanien und Der Rhein: »Dichtung ist dort, wo gedichtet wird. Und das Dichten – das vollzieht sich vor allem mit Hilfe der Einbildungskraft.« (GA 39, 26) Dieser Satz ist erklärungsbedürftig. Man müsste zunächst seine tautologische Komponente erläutern. Wenn Dichten für Heidegger ein »Sagen in der Art des weisenden Offenbarmachens« (GA 39, 30) ist, so heißt das: Dichtung ist bzw. geschieht dort, wo etwas durch ein bestimmtes Sagen offenbar wird, und zwar ein Sagen, das ständig auf seinen eigenen Ursprung (das Erschweigen) rückbezogen wird. Nun erlaubt das Dichten als ein Sichtbar- oder Offenbarmachen (gr. δείκνυμι [deiknymi], ahd. tihtôn) keine Definition. Das ist der Grund, warum Heidegger auf das Gedicht Wie wenn am Feiertage zurückgreift, wo u. a. gesagt wird, dass den Dichtern gebührt, »unter Gottes Gewittern […] mit entblösstem Haupte zu stehen« 27 . Auffällig ist in diesem Vers das Zugrundegehen aller bisher geltend gemachten Vermittlungsinstanzen, denn der Dichter fasst »des Vaters Stral […] mit eigner Hand«. Die »Hand« bezieht sich auf das Schreiben, aber das Fassen des Strahls ist erst wegen der Grundstimmung (dichterischer Entblößung oder Beraubung) möglich. Zwischen dem Fassen und dem Schreiben steht kein Zeitabstand, denn die Logik der Sukzession ist diesem Schema völlig fremd. Genau deshalb ist die Kraft der Dichtung eigenartig: Der Dichter schreibt, indem er fasst, und fasst, indem er schreibt, und der Horizont dieser Erfahrung ist das Unmenschlichste am Menschlichen: die Zeit als Ekstase. Damit tritt das, was Heidegger in seiner Vorlesung über Logik von 1934 »die Ausgesetztheit in das Seiende, […] die Überantwortung an das Sein« nennt, in den Vordergrund. Diese Ausgesetztheit ist immer schon artikuliert, denn das Sein ist uns »seit langem schon weit vorausgesprochen« (GA 38, 170). Seit wann? Die Frage ergibt keinen Sinn, weil der Sinn 27
Hölderlin: Sämtliche Werke Band IV, 153, v. 56 ff. Zitiert nach GA 39, 30. A
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auf die Ebene des (nicht-chronologischen) »(Im)Voraus« versetzt wird. All dies geschieht keineswegs ganz von selbst, sondern »[d]er Dichter«, so Heidegger, »zwingt und bannt die Blitze des Gottes ins Wort« (GA 39, 30). An dieser Stelle zeigt sich die Macht des Zeitsinns. Im Wort »Blitze« klingt der heraklitische κεραυνόϚ (keraunos) nach, den Heidegger viel später, in seinem mit Eugen Fink zusammen gehaltenen Seminar von 1966/67 thematisiert. Solch ein Verhältnis zwischen dem Blitzen und dem Gewittern kann aber schon bei Heraklit festgestellt werden. Die Affinität des Wortes κεραυνόϚ im Fragment B 64 mit πρηστήρ (prästär) im Fragment B 31 ist augenfällig. 28 Dies bemerkt Heidegger schon sehr früh; nur dass er das Aufblitzen des Blitzes nicht mehr als den Einbruch des Göttlichen bzw. das Hinabstürzen des πλήρωμα (pleroma) in die menschliche Sphäre auffasst, sondern als ursprüngliche Anwesenheit, die den Stempel der ekstatischen Zeitlichkeit trägt. Dass das Gegenwärtige aufgrund des Waltens dieser Zeitlichkeit im Seienden zum eigentlichen Anwesenden erhoben wird, kann Heidegger nur der dichterischen Ausprägung des λόγοϚ zuschreiben – nämlich λόγοϚ als Abgrund. Nur das Wort des Dichters kann den göttlichen Blitz aufblitzen lassen, und genau deshalb kann von keinem ontologischen Bruch zwischen Gott und Menschen die Rede sein, sondern eher von der Differenz, die sich schon vor jeder Vergegenständlichung in der reinen Aufgeschlossenheit des Seienden kundgibt. Die heideggersche Umkehrung des Göttlichen bei Hölderlin – die andererseits auch das Historische als einen Stützpunkt des Anders-Sagens außer Kraft setzt – wurde u. a. von Michael Theunissen in seinem Pindar-Buch denunziert. Dort geht er auf das religiöse Verständnis des Heiligen im Gedicht Wie wenn am Feiertage ein und argumentiert hierbei, dass Heideggers Auslegung des Gedichtes auf einer gröblichen Vereinfachung der Wechselbeziehung zwischen Natur und Heiligem beruht. Theunissen ist der Ansicht, dass in Heideggers Auslegung sowohl die Dimension des Göttlichen (griechische Mythologie) als auch diejenige des Geschichtlichen (Französische Revolution) wegen des hypertrophischen Gebrauches vom Anwesen des Anwesenden verloren gehen. 29 Diese Aspekte sind Theunissen zufolge nicht nur für HölderHierzu siehe Günther, Hans Christian: Grundfragen des griechischen Denkens: Heraklit, Parmenides und der Anfang der Philosophie in Griechenland. Würzburg 2001, 171. 29 Siehe Theunissen, Michael: Pindar: Menschenlos und Wende der Zeit. München 2008, insbesondere 946–948. 28
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lin, sondern auch für eine sachgemäße Rezeption seiner Dichtung entscheidend. Er geht davon aus, dass sich einer Dichtung nur unterstellen lässt, »was an ihrer Form abzulesen ist«, und diese Form ist »nicht nur überhaupt Zeit« 30 . Trotzdem kann man, so scheint es mir, einem anderen Weg folgen, um die Besonderheit von Heideggers Vorhaben angemessen zu würdigen, und zwar ausgehend von seiner Destruktion des fichteschen Programms. Dort wird die Spezifizität seiner Auseinandersetzung mit der Logik sichtbar. Exemplarisch ist diesbezüglich ein Satz am Anfang seiner Vorlesung über Logik von 1934: »Wir wollen die Logik als solche von ihrem Anfang an aus ihrem Grund erschüttern« (GA 38, 8). Die Ablösung von den verschiedenen Schichten und Regeln der ἐπιστήμη λογική (episteme logike; Selbigkeit des Vorgestellten, Widerspruchslosigkeit, Ordnung von Grund und Folge) ist lang und schmerzhaft, und endet in einer neuen Gestalt der Rede. Der Schlüssel zu einem Verständnis dieser Operation ist nochmals seine Auseinandersetzung mit Fichte, genauer gesagt der Punkt, an dem Heidegger die oben genannte Sackgasse der Wissenschaftslehre thematisiert: Selbst wenn die Entgegensetzung (Antithese, Rolle der Einbildungskraft) nicht hinauf-, sondern hinabsteigt, hängt der Verendlichungsprozess immer noch vom (absoluten) Ich ab. Die apriorische Negation des wesenhaften Nicht-Ichlichen ist für Heidegger ein schlechtes spekulatives Konstrukt, d. h. letztlich: Die ganze Sprache der Wissenschaftslehre bestünde auf einer Verstellung der menschlichen Endlichkeit, d. h. des ursprünglichen Seinsverständnisses. Noch mehr: Wenn die Sprache der Wissenschaftslehre totalisierend ist, muss Heidegger diesseits der diskursiven Explizitmachung dessen, was ist, anfangen. Hierzu sagt er Folgendes: »Seinsverständnis ist die Grundbedingung der Möglichkeit der Existenz […]. [W]ir sagen nur so, weil wir schweigend schon Sein verstehen« (GA 28, 133). Dieses Schweigen stellt Heidegger nicht der Sprache entgegen, sondern es ist nur die Grenze deren metaphysischer Valenz, daher der Wert des Erschweigens im Verhältnis des (philosophischen) Denkens zum Dichten. Schon in Sein und Zeit wird das Schweigen als Ur-Form der Rede konzipiert, d. h. in einer Struktur vor aller ontischen Konstitution aufgefasst. Ohne die Rede wäre das Verstehen alles andere als innerweltlich, und selbst im Innerweltlichen kann man eine Intensivierung erfahren, wie Heidegger selber sagt: »Die Mitteilung der existenzialen Möglichkeiten der Befindlichkeit, das heißt 30
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das Erschließen von Existenz, kann eigenes Ziel der ›dichtenden‹ Rede werden.« (GA 2, 216) Mit dieser Bemerkung ist man zu dem Punkt des Unmöglichen gelangt: Das Erschließen von Existenz erkennt keine metadiskursive Instanz, und daher ist Mitteilung in diesem Fall keine Reproduktion, Nachahmung oder Übertragung von etwas – eben, weil es sich um ein Nichts handelt, das im Augenblick seines Erschlossenwerdens mitgeteilt wird. Aus dieser Perspektive kann man gut verstehen, warum das Göttliche bei Hölderlin für Heidegger zum Zeitlichen werden muss. Die Umkehrung ist notwendig, um den Sprachcharakter der Dichtung ohne mythologischen Schleier zu behandeln. Mit der Zäsur vollzieht Hölderlin eine Destruktion des fichteschen Begründungsversuchs vom Absoluten, aber die Intensität dieser destruktiven Geste muss das Göttliche nochmals als kompensatorisches Element erscheinen lassen. Was Heidegger sehr gut bemerkt hat, ist, dass zwischen dem Göttlichen und der Verflüssigung des Ich (d. h. dem Tod als Gegenrhythmus) letztlich kein Unterschied besteht. Anders gesagt: Trotz der mythischen Komponente hat Hölderlin die Endlichkeit des menschlichen Daseins zum neuralgischen Punkt seiner Poetologie erhoben, und zwar als Sprachintensität. Ein System des Wissens ist hingegen das äußerste Beispiel einer Sprachextensität, oder anders gesagt: der Versuch, einen absoluten Kontext für das Nichtkontextualisierbare zu schaffen – nicht anders kann die Reflexion der Reflexion bei Fichte Vollzugssinn und zugleich (nicht aussagbarer) Grund des Wissens sein. Heideggers kohärente Deformierung des systematischen Denkens besteht darin, der Einstimmigkeit von Setzung und Entgegensetzung das Seinsproblem als Abgrund – d. h. im Horizont der Zeitlichkeit und ohne subjektiven Stützpunkt – entgegenzustellen. Nur in diesem Sinne ist die folgende Bemerkung zu verstehen: »[D]ie Gründlichkeit und Schwere der Kantischen Philosophie hat ihr Gewicht in einer ursprünglicheren und damit in sich langsameren Fragestellung« (GA 28, 166). Heidegger fügt diese Bemerkung gegen Fichte hinzu, denn die deutschen Idealisten versperren den Weg zur Grundfrage (derjenigen der Endlichkeit menschlichen Daseins), indem sie nach einer systematisch-spekulativen Überwindung des Dinges an sich streben. Fichtes Utopie, die Unendlichkeit in der Endlichkeit zu erreichen, wird durch die Entfaltung der Grundfrage destruiert. Denn die wahre Endlichkeit ist für Heidegger nicht die des Empirischen, sondern die des Diskontinuierlichen. Dies hat er von den Dichtern gelernt. Seine Behandlung der Einbildungskraft führt zur 126
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Ekstase des Subjekts und bricht deshalb die notwendige Zugehörigkeit – oder Zuordnung – aller Bestimmtheitsmomente zum ursprünglich Ichhaften. Keine Bewusstseinsform herrscht über die Sphäre, in der sich der Sinn des Prozesses vollzieht, und dieser Sinn ist auch kein absolutum. Für Heidegger ist er die unaufhebbare Differenz, und meines Erachtens nicht zuletzt der (Nicht-)Ort, wo die romantische Ironie konzipiert wird. Nicht die Gliederung ad infinitum im System ist wichtig, sondern die Zergliederung des Systems als Rettung der nicht-iterativen Wiederholung des ekstatischen Zeit-Seins. Damit überschreitet die Poesie die Grenzen ihrer selbst als fiktive Diskursform, und die Philosophie kann nicht länger innerhalb eines metaphysischen Gesamtentwurfes gedacht werden. Die Tatsache, dass etwas immer wieder als Stützpunkt des Schweigens und des Nichts erscheint, und dass das prosaische Denken darauf unmittelbar zurückgreift, macht diese Torsion des Denkens nicht ungültig. Es bestätigt den Wert des unendlich Diskontinuierlichen, und die Relevanz eines Stils, der von dieser Asymptote (Dichten-Denken) zeugt.
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(V)Ergangene Geistergespräche. Bemerkungen zu Heideggers performativem Stil im FeldwegGespräch Anchibasie
Stil »hat« man oder man hat ihn nicht und man hat ihn nur, indem man der Stil ist. Dennoch scheint mir dieser Satz nur für einzelne Stile zu gelten. Und gerade nicht für unseren Stil […]. 1
1.
Exposition
In einer wohl nur ihm zukommenden Radikalität lotet Martin Heidegger die Grenzen des Sagbaren aus, indem er nicht nur die Erwartungen einer akademischen Attitüde sprengt, sondern darüber hinaus die deutsche Sprache nachhaltig erschüttert und vielfältige Verschiebungen evoziert. Gleichermaßen stießen – und stoßen immer noch – diese gewagten Randgänge des Schreibens dabei auf emphatischen Zuspruch sowie auf schroffe Ablehnung. Selten wurde aber gefragt, welchem Anspruch er mit seinen verwegenen Expansionen nachzukommen versucht und welcher Not(wendigkeit) diese Texte antworten, die sich unterschiedlicher Register bedienen und so gar nicht in das herkömmliche Raster philosophischer Prosa passen wollen. Neben didaktisch bestechenden Vorlesungsmanuskripten, akademisch akzeptierten und grundlegenden Werken schreibt er privatim an umfangreichen Konvoluten, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Form nicht mehr innerhalb des philosophischen Diskurses rezipiert werden, ganz zu schweigen von diversen Miszellen und von den Gedichtversen, die von der Fachwelt nicht mehr ernst genommen werden. Heidegger verfasst darüber hinaus einige (Selbst-)Gespräche, die vornehmlich in den letzten Wochen des 2. Weltkriegs entstanden sind. Diese markieren in einer auf1 Heidegger, Martin; Bauch, Kurt: Briefwechsel. 1932–1975. Freiburg / München 2010, 41.
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fälligen Weise eine Bruchstelle in seinem Denken, durch die das Wie des Sagens eine tiefgreifende Revision erfährt. Die nun folgenden Ausführungen werden sich diesem beschränkten – jedoch historisch, biographisch sowie denkerisch bewegten – Abschnitt in Heideggers Lebens- und Werkgeschichte zuwenden, um über diesen Weg der Thematik des performativen Stils in Ein Gespräch selbstdritt auf einem Feldweg zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Weisen nachzukommen und ein wenig Licht auf die Gestik dieses Textes zu werfen. Um zu erörtern, was Heidegger unter »Stil« versteht, muss weiter ausgeholt werden, als es herkömmliche Inblicknahmen der Sprache samt der Gegenüberstellung von Form und Inhalt suggerieren. Stil auf die sprachliche Form zu reduzieren, in die ein intelligibler Inhalt verpackt wird, implizierte eine Sprachauffassung, die seinem Sprachdenken zuwiderliefe. So wendet sich Heidegger mit aller Vehemenz gegen eine Konzeption, in der Sprache bloß als sinnlich-materieller Träger für Bedeutungen steht. Dem Wort wird Heidegger zufolge aber nicht durch einen nachträglichen Akt eine Bedeutungshaftigkeit verliehen, sondern die Sprache besitzt immer schon Bedeutung, ja, sie ist selbst bedeutungskonstitutiv und sinnstiftend. Sprache ist nicht auf eine repräsentative Abbildungsfunktion reduzierbar, sondern muss in ihrer welt-eröffnenden Dimension lesbar gemacht werden. Evoziert wird diese Eröffnung jedoch nicht von einem Benennungsakt eines starken Subjekts; vielmehr versteht sich das Dasein aus dem Geschehen der Unverborgenheit und erfährt sich angesprochen und zum Antworten herausgefordert durch den Zuruf des Seyns. Auf dieses responsive Verhältnis und auf ein anderes Selbstverständnis des Menschen verweist Heidegger mit allem Nachdruck: »Die Antwort ist das Wort der Sprache, das menschentümlich dem Wort des Seyns entgegnet. Die Antwort ist wesenhaft Entsprechung. […] Die Antwort ist das menschentümliche Gegenwort der Sprache zur Stimme des Seyns.« (GA 71, 155 f.) Erst in diesem Antwortgeschehen wird das Dasein gegründet, sodass sich im Zu- als Entsprechen Seyn und Menschenwesen ereignen. Das Antworten ist selbst nicht in der Lage, den Zuspruch totaliter einzuholen und vollends zu bergen, denn das Dasein bleibt gegründeter Gründer und fängt den Zuruf des Seyns zwar auf, nicht jedoch beginnt dieses Geschehen in ihm. Obschon Heidegger in den Beiträgen fundamentale Einsichten zu Papier gebracht hat, hebt er in den nachfolgenden Konvoluten immer A
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wieder das Ungenügen seiner Darstellung hervor. 2 So betont er beispielsweise zu Beginn der Sammlung Das Ereignis, die 1941/42 verfasst wurde, in Hinblick auf seinen Versuch der Beiträge: »Die Darstellung ist stellenweise zu lehrhaft« (GA 71, 4) und bemerkt hinsichtlich der Explikation der Seinsfrage in der Unterscheidung zwischen Leit- und Grundfrage, dass diese »noch eher im Stil der Metaphysik gefaßt« (GA 71, 4) sei. Insbesondere in Ein Rückblick auf den Weg markiert Heidegger das Unzureichende der Beiträge: »Noch aber ist auch hier [in den Beiträgen] nicht die Form erreicht, die ich für eine Veröffentlichung als ›Werk‹ gerade hier fordere; denn hier muß sich der neue Stil des Denkens kundgeben – die Verhaltenheit in der Wahrheit des Seyns; das Sagen des Erschweigens – das Reifmachen für die Wesentlichkeit des Einfachen.« (GA 66, 427) 3 Ohne auf die vielschichtige Diskussion rund um die so genannten »esoterischen« Schriften eingehen zu wollen, 4 soll hier der Blick auf den geforderten »neuen Stil des Denkens« gelenkt werden, der sich durch ein »Sagen des Erschweigens« auszeichnet und eine Einkehr in die »Wesentlichkeit des Einfachen« bereitet. Dieses Ringen ist ernst zu nehmen, vor allem aber deshalb, weil Heidegger von einer anderen Erfahrung in den letzten Kriegsmonaten berichtet, die er rückblickend im schroffen Kontrast zum Tonfall der Beiträge und der nachfolgenden Konvolute sieht. So schreibt er in einem Brief vom 4. April 1945 an den befreundeten Freiburger Romanisten Hugo Friedrich: »Es gibt trotz aller Entfremdung noch Nähe. Denken Sie, in den letzten vierzehn Tagen habe ich hier, plötzlich im Sturm bei halber Kraft und Schlaflosigkeit, ganz wach ein ›Gespräch‹ niedergeschrieben, das ich in den nächsten Tagen noch zu beenden hoffe […]. Das Schöne dabei ist, daß ich das Gefühl habe, nicht im geringsten den Dialog Platons nachzuahmen; aber ich verstehe diesen jetzt erst.
Ohne für die folgende Stellenauflistung Vollständigkeit beanspruchen zu wollen, ist die obsessive Verwendung des Begriffs »Stil« in den Beiträgen augenfällig (vgl. GA 65, 3; 12; 15; 33; 34; 69; 75; 98; 23; 274; 405), die in der Besinnung (GA 66) aber schon wieder zurücktritt. 3 In einem Brief vom 24. November 1939 an Kurt Bauch hält Heidegger daher fest, indem er nachhaltig auf das Problem der adäquaten Sageweise aufmerksam macht: »[W]enn ich nachträglich darüber nachsinne, ob und wie weit das Sagen dem Denken gemäß sei, dann wird mir immer deutlicher, daß alle bisherigen ›literarischen Formen‹ des philosophischen Denkens unmöglich geworden sind. Was das ›Neue‹ ist, kann ich nicht sagen.« (Heidegger, Bauch: Briefwechsel, 60) 4 Vgl. Trawny, Peter: Adyton. Heideggers esoterische Philosophie. Berlin 2010. 2
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Und alles ist eine einzige Notwendigkeit des reinen freien Sagens.« 5 Dieser Erfahrung, die sich zwar in Dialog – nicht aber in dessen Gefolgschaft – mit dem platonischen Denken sieht, ja dieses erst zu verstehen vermag, soll nun in einer umfassenden Weise nachgegangen werden. Um sie nachzeichnen zu können, soll lediglich ein beschränkter Abschnitt in Heideggers Schreiben näherhin betrachtet werden. Es handelt sich, wie eingangs erwähnt, um Texte die kurz vor Ende des 2. Weltkriegs entstanden sind und denen auf vielfache Weise eine bizarre Brisanz innewohnt. Entgegen den von ihm selbst immer wieder getätigten Weisungen, die Vita streng vom Werk zu trennen und sie aus philosophischen Erörterungen gänzlich auszuklammern, sollen zunächst – ausgehend von anderen Briefstellen – dezidiert biographische Umstände mit in den Blick genommen werden. Sie dienen der Skizzierung einer Situation, in der ihm sein eigenes Schaffen in einer besonderen Art und Weise fragwürdig wird und in der, wie in den Briefen an Friedrich angekündigt, gleichzeitig eine neue Form der Textgestaltung zum Durchbruch gelangt. Diese wird dann in einem weiteren Schritt einer Mikrolektüre unterzogen werden, um dem vielfältigen Ausgreifen dieser Textsorte angemessen nachkommen zu können. 6 Heidegger muss seine letzte öffentliche Vorlesung als Lehrstuhlinhaber an der Freiburger Universität mit dem Titel Einleitung in die Philosophie. Denken und Dichten vom Wintersemester 1944/45 bereits nach wenigen Sitzungen im November beenden. Der Vorlesungstext dokumentiert nachhaltig sein Ringen um das philosophische SelbstverHeidegger, Martin: »Der Briefwechsel zwischen Martin Heidegger und dem Freiburger Romanisten Hugo Friedrich«. In: Alfred Denker, Holger Zaborowski (Hg.): Heidegger und der Nationalsozialismus I. Dokumente. Heidegger-Jahrbuch 4. Freiburg / München 2010, 89–139, hier 101 f. 6 Es soll hier nicht unterschlagen werden, dass Heidegger, der Zeit seines Lebens ausführlich korrespondierte und unzählige Briefe verfasste, sich dezidiert gegen die Reduktion seines Schaffens auf postalische Sendungen und biographistische Erklärungsversuche wendet: »Das Schlimmste, was diesen Bemühungen begegnen konnte, wäre die psychologisch-biographische Zergliederung und Erklärung, also die Gegenbewegung zu dem, was uns gerade aufgegeben ist – alles ›Seelische‹, so innig es bewahrt und vollzogen sein muß, daran zu geben an die Einsamkeit des in sich befremdlichen Werkes. Daher – wenn sie überhaupt wichtig sein könnten – keine Briefsammlungen und dergleichen, was nur der Neugier dient und der Bequemlichkeit, der Aufgabe des Denkens der ›Sachen‹ auszuweichen.« (GA 66, 427) Es soll aber nicht das Werk aus der Biographie erklärt, sondern es sollen die Texte (ohne Unterteilung in Haupt- oder Nebentexte) selbst gelesen werden. 5
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ständnis, das er aus der Verwandtschaft von Dichten und Denken zu erörtern sucht, da beide »die eigentlichen Bewahrer des Wortes in der Sprache sind« (GA 50, 94). Im unmittelbaren Zusammenhang damit stehen seine mehrjährige Auseinandersetzung mit Nietzsche, seine Auslegung von Hölderlin sowie die beeindruckende Lektüre der Vorsokratiker, namentlich von Anaximander, Parmenides und vor allem von Heraklit. Der Abbruch der Vorlesung ist den Kriegsereignissen geschuldet. Heidegger wird zum so genannten »Volkssturm« einberufen und zum Schanzen ins Elsass gebracht. Währenddessen wird Freiburg durch Luftangriffe der Alliierten fast vollständig zerstört. Heidegger selbst kehrt daher nicht nach Freiburg zurück, sondern reist mit Jahreswechsel – zum Teil auf dem Fahrrad seines Sohnes Jörg – zu seinem Bruder Fritz nach Meßkirch. 7 Markanter könnte sich von außen betrachtet der Bruch nicht manifestieren: Auf der einen Seite liegt die Welt in Trümmern, auf der anderen Seite beschäftigt sich ein Philosoph mit der (Vor-)Geschichte der Metaphysik und sucht nach deren Verwindung im Verhältnis von Dichten und Denken. Differenzierter lässt sich dieser Umstand aus den wenigen bislang veröffentlichten Briefen dieser Zeit an seine Frau Elfride ablesen. Heidegger ordnet mit einer tauben Akribie seine Manuskripte und sucht verzweifelt nach einem geeigneten Aufbewahrungsort für seine Aufzeichnungen – eine Tätigkeit die zusehends dringlicher wird, nachdem auch Meßkirch Bombenangriffen ausgesetzt ist. Gleichzeitig schreibt er von einer inneren Unruhe und großen Selbstzweifeln, die ihn nicht weiter arbeiten lassen und die Sinnhaftigkeit seines gesamten Schaffens in Frage stellen. Auch berichtet er von Hemmungen, sich gerade zu dieser Zeit der Archivierung seiner Schriften zu widmen, und sieht sich gegenüber seiner Frau auch zu einer Rechtfertigung seines Tuns genötigt. 8 Zusätzlich plagen ihn Schlafstörungen und andere In einer umfangreichen Weise ist Riedel den Entstehungsbedingungen des FeldwegGesprächs nachgegangen: Riedel, Manfred: »›Feldweg-Gespräche‹. Deuten im Wort«. In: Dieter Thomä (Hg.): Heidegger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart / Weimar 2003, 239–247. 8 »In den letzten Wochen, die seit dem Sturm im Osten doch eine einzige innere Unruhe brachten, versuchte ich trotz weiterer Hemmungen, das mögliche an d. Mkr. zu tun. Manchmal mochte [sic!] ich alles liegen lassen, ich würde aus Selbsttäuschung Vieles zu wichtig nehmen. Aber wo ich jetzt ältere Arbeiten, die z. T. zwei Jahrzehnte zurückreichen, durchgesehen u. ihren inneren Zusammenhang mit dem jetzt Erreichten erkannt habe, wo ich den Weg überblicke, den es mich bei manchem Um- u. Abweg geführt hat, u. wenn ich vergleiche mit dem, was sonst da ist, dann kann ich dies Alles nicht dem 7
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gesundheitliche Probleme. Neben diesen Beschwerden belastet ihn die Ungewissheit über den Verbleib seiner Nächsten schwer. Seine Frau, deren Mutter währenddessen nach einem Bombenangriff in Wiesbaden stirbt, lebt noch im zerstörten Freiburg, seine Söhne befinden sich an der Ostfront. Zudem steht Heidegger eine veritable Beziehungskrise aufgrund eines außerehelichen Verhältnisses aus. Gegen Kriegsende zieht die Freiburger Universität nach Burg Wildenstein – unweit von Meßkirch – um. Heidegger hält dort einen Vortrag über Armut 9 und widmet sich Fragen der Zukunft der Universität und dem kommenden Ort der Philosophie. Fest steht für ihn, dass eine Universität moderner Prägung, die sich sukzessive mehr als Wissensbetrieb und Fachausbildung versteht, einem Denken, das nicht in einer unmittelbaren Verwertbarkeit aufgeht, nicht den gebührenden Freiraum zugestehen kann. Kritische Überlegungen zur Grundausrichtung der Universität finden sich zwar in seinen Schriften seit Anbeginn seiner Lehrtätigkeit 10 und kehren immer wieder, doch nun scheinen sich die Bedürfnisse des Unterrichtens verstärkt gegen sein Denken zu kehren. Er schreibt – seine 25-jährige Lehrtätigkeit retrospektiv überblickend – beinahe resigniert an seine Frau: »So wertvoll immer die bisherige Lehrtätigkeit war, so hat sie doch das Eigentliche meines Denkens nie recht frei werden lassen – unversehens drängte sich das Schulmäßige u. Gelehrte ein u. verhinderte oder verbog das Einfache und Wesenhafte.« 11 Die didaktische Vermittlung wird zusehends als Hemmschuh angesehen, dem Zu-Sagenden nachzukommen. Immer stärker treten bei Heidegger in dieser Zeit Fragen des Kommenden, der Möglichkeit künftigen Wohnens und Erörterungen zur Sprache in den Vordergrund. Seine Anstrengungen kreisen um die Schwierigkeit, für Angedachtes das rechte Wort zu finden, um dem »Einfachen« und »Wesenhaften« zu entsprechen. So schreibt er wiederum in einem Brief an seine Frau: »Vieles aus Hölderlin geht mir jetzt erst auf; aber es sind nur einzelne Worte u. kaum Sätze, in denen ich diese Einsichten festZufall überlassen.« (Heidegger, Martin: ›Mein liebes Seelchen!‹ Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride. 1915–1970. München 2005, 230 f.) 9 Heidegger, Martin: »Die Armut [19. Juli 1945]«. In: Heidegger Studies, Nr. 10, 1994, 5–11. 10 Eine Überblicksdarstellung findet sich bei Strube, Claudius: »Wissenschaft als Lebenswelt: Heideggers ursprüngliche Idee einer Universitätsreform«. In: Heidegger Studies, Nr. 29, 2003, 49–64. 11 Heidegger: ›Mein liebes Seelchen!‹, 238. A
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halten kann.« 12 Und gleichzeitig hebt er hervor: »[I]mmer deutlicher spüre ich die Notwendigkeit des einfachen Sagens; aber das ist schwer; da unsere Sprache nur für das Bisherige gilt.« 13 Das Einfache des Sagens kann sich für Heidegger nicht mehr im Rahmen einer traditionellen Terminologie und überkommener Formen vollziehen. Selbst die Konvolute rund um die Beiträge scheinen für ihn dieser Notwendigkeit nicht in einem adäquaten Sinne Folge zu leisten. Der Geltungsbereich des Bisherigen ist für ihn nicht mehr für die Aufgaben eines Denkens des Kommenden tragfähig. Doch das Ringen um das Wort ist auch von einer Zuversicht geprägt. Er verleiht der Hoffnung Ausdruck, »daß […] die Sprache als die Behausung für ein neues Wohnen erwachen wird«. 14 In dieser Zeit welthistorischer Katastrophen, in denen Heideggers Gemütsverfassung zwischen einer schwachen Zuversicht auf eine mögliche Zukunft und einer verbitterten Resignation über das Zeitgeschehen schwankt, wandelt sich plötzlich der Ton in den Briefen an seine Frau Elfride. Angeregt von einem Gespräch zweier chinesischer Denker über das Wesen des Unnötigen (es handelt sich um einen Auszug aus Das wahre Buch vom südlichen Blütenland von Dschuang Dsi), 15 schreibt er am 23. März 1945 – analog zum bereits angeführten Brief an seinen Kollegen Friedrich einige Tage später – geradezu euphorisch: »Plötzlich fand ich eine Form des Sagens, die ich nie gewagt hätte schon wegen der Gefahr der äußeren Nachahmung der platonischen Dialoge. Ich schreibe an einem ›Gespräch‹ – eigentlich habe ich die ›Inspiration‹ – Heidegger: ›Mein liebes Seelchen!‹, 231. Heidegger: ›Mein liebes Seelchen!‹, 228. 14 Heidegger: ›Mein liebes Seelchen!‹, 232. 15 Im Brief vom 2. März 1945 an seine Frau vermerkt Heidegger: »Zum Wesen des Unnötigen (es ist das, was ich mit dem ›Sein‹ meine) fand ich neulich das kurze Gespräch zweier chinesischer Denker, das ich dir abschreibe.« (Heidegger: ›Mein liebes Seelchen!‹, 234) Die Stelle übernimmt Heidegger wörtlich für sein letztes Feldweg-Gespräch Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland, ohne freilich eine Quelle anzuführen (vgl. GA 77, 239): »Hui Dsi sprach zu Dschuang Dsi: ›Ihr redet von Unnötigem.‹ Dschuang Dsi sprach: ›Erst muß einer das Unnötige erkennen, ehe man mit ihm vom Nötigen reden kann. Die Erde ist ja weit und groß, und doch braucht der Mensch, um zu stehen, nur soviel Platz, daß er seinen Fuß darauf setzen kann. Wenn aber unmittelbar neben dem Fuß ein Riß entstünde bis hinab zu der Unterwelt, wäre ihm dann der Platz, worauf er steht, noch zu etwas nütze?‹ Hui Dsi sprach: ›Er wäre ihm nichts mehr nütze.‹ Dschuang Dsi sprach: ›Daraus ergibt sich klar die Notwendigkeit des Unnötigen.‹« (Dschuang Dsi: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Übers. v. Richard Wilhelm. Jena 1912, 203 f.) 12 13
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ich muß es schon so nennen, gleichzeitig zu mehreren. Das dichtende u. denkende Sagen haben so eine ursprüngliche Einheit gewonnen, u. alles fließt leicht u. frei.« 16 Diese Feststellung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Neben dem bereits angesprochenen Spannungsfeld zwischen den historischen Geschehnissen und dem Ringen um das denkerische Selbstverständnis verfasst Heidegger Gespräche, die ihn in einer bestimmten Weise an die philosophische Tradition – sei es nun an die fernöstliche oder die griechische – rückbinden, wovon er sich gleichzeitig zu distanzieren versucht. 17 Im Laufe seiner Lehrtätigkeit hat sich Heidegger zwar immer wieder mit Platon auseinandergesetzt, der ihm aber nie ein rechter Gesprächspartner werden wollte. 18 Er möchte die DialogForm nicht nachahmen, sondern mit ihr eine andere Weise des Sagens finden. Zwar war das Gespräch in der abendländischen Philosophiegeschichte immer eine Ausdrucksform des Denkens, nie aber erhielt es – außer eben bei Platon – einen exklusiven Ort. Heidegger gesteht nun einzig dem Gespräch, das nicht einfachhin mit dem Dialog gleichgesetzt werden kann (vgl. GA 77, 57), eine Sageweise zu, in der Dichten und Denken aus ihrer »ursprünglichen Einheit« gefasst werden können. Erst in ihr gelangt sein Schreiben – losgelöst von Vorgaben des akademischen Betriebs – ins Freie. Heidegger fehlte seinem eigenen Selbstverständnis nach bislang noch dieses Einfache des Sagens, in dem sich Dichten und Denken nicht in einem dichotomischen Verhältnis befinden. Die Möglichkeit, diese gattungspezifischen Grenzen in einer bestimmten (und damit gerade nicht in einer beliebigen) Hinsicht auf-
Heidegger: ›Mein liebes Seelchen!‹, 235. Der hier sich ankündigende Konnex zwischen der europäischen und fernöstlichen Tradition gewinnt bei Heidegger rund um Überlegungen zum Verhältnis zwischen Orient und Okzident immer mehr an Bedeutung (vgl. GA 4, 176), wobei er Anfang der 1950er sogar von einem »unausweichliche[n] Gespräch mit der ostasiatischen Welt« (GA 7, 41) spricht, von dem her allererst ein Verständnis des Eigenen zu erhalten sei. 18 Im Gegensatz zu den geradezu euphorischen Mitteilungen, die von einem neuen Einblick in die Dialogizität Platons sprechen, steht der von Georg Picht überlieferte Satz Heideggers unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg: »›Eines muß ich Ihnen zugeben: die Struktur des platonischen Denkens ist mir vollkommen dunkel.‹« (Picht, Georg: »Die Macht des Denkens«. In: Günther Neske (Hg.): Erinnerung an Martin Heidegger. Pfullingen 1977, 197–205, hier 203) Für eine grundlegende Lesehilfe rund um das platonische Verständnis des logos (als dia-logos) vgl. Dunshirn, Alfred: Logos bei Platon als Spiel und Ereignis. Würzburg 2010. 16 17
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zulösen, gewährt ihm die Gesprächsform in einer ausgezeichneten Weise, die sich sowohl von einer »wissenschaftlichen« als auch »alltäglichen« Ausdrucksform unterscheidet und die Anforderungen philosophischer Abhandlungen geradezu subversiv unterwandert. Doch was versteht Heidegger unter Gespräch und was nötigt ihn dazu, selbst Gespräche zu verfassen, die er nicht als (platonische) Dialoge verstanden wissen wollte? Das Gespräch muss hierbei von landläufigen Vorstellungen des Miteinandersprechens befreit werden. Weder begreift er das Gespräch als intersubjektiven Gedankenaustausch noch als mündliche Mitteilungsform gegenüber etwa einer schriftlichen. Ebensowenig ist es Heidegger darum zu tun, eine philosophische und eine literarische Ausdrucksweise – etwa in einer dramatischen Wechselrede mit philosophischem Inhalt – zu vermengen. Die ursprüngliche Einheit des Sagens, auf die im zuvor zitierten Brief an Friedrich dezidiert hingewiesen wird, muss anders verstanden werden: Etymologisch betrachtet, kündigt sich eine Zusammengehörigkeit in einem einheitlichen Geschehen bereits im deutschen Präfix »Ge-« an, das keine nachträgliche und willkürliche Anhäufung markiert, sondern vielmehr darauf hinweist, dass sich eine Versammlung von Zusammengehörigen vollzieht, worin die einzelnen Momente allererst in ihr Eigenes entlassen und damit erst aus diesem Geschehen als einzelne »Teile« betrachtet werden können. Aus diesem Gesamtgeschehnis muss nun der Text gelesen werden und nicht als Anhäufung diverser Aussagen, die verschiedenen Figuren in den Mund gelegt werden. Das Gespräch – und hierin kommen Denken und Dichten in einer für Heidegger maßgeblichen Weise überein – zeugt von diesem Zusammengehören. Sprache erweist sich aus dem Gesprächsgeschehnis verstanden damit nicht als Eigenschaft, die nachträglich dem Menschen angeheftet wird, sondern ihn vor jeder bewussten Bezugnahme bereits in Anspruch genommen hat, noch bevor sich ein souveränes »Ich« kundtun kann. Sie tritt nicht in einem sekundären Schritt zu einem bereits konstituierten Subjekt hinzu, sondern das menschliche Dasein ek-sistiert nur antwortend auf diesen Zuspruch. Dieser Anspruch ereignet sich in ihm, ohne jedoch restlos auf seine Tätigkeit zurückgeführt werden zu können. Eine Besinnung auf die Sprache im Sinne des Angesprochenseins verändert das Selbstverständnis des Menschen radikal, da nicht mehr von einem autonomen oder souveränen Subjekt ausgegangen werden kann. Hierin erfährt auch das im Titel verwendete Verb »performieren« eine andere Akzentuierung. Darunter ist nämlich keine Tätigkeit eines 136
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souveränen Subjekts zu verstehen, das mittels performativer Sprechakte Handlungen bewerkstelligt; vielmehr wird das Subjekt im Vollzug des Gesprächs selbst per-formiert, d. h. durchformt und gestaltet. Performativität ist somit nicht auf bestimmte Situationen eingrenzbar oder dem Können eines Subjekts zugeordnet, sondern bestimmt die responsive Seinsweise des Menschen durch und durch. Heidegger, der bereits in seiner ersten Hölderlin-Vorlesung im Wintersemester 1934/35 dem Gesprächscharakter des Menschseins in umfassender Weise nachgeht und die responsive Dimension des Menschseins aufzeigt (vgl. GA 39, 68 ff.), sucht mit den Feldweg-Gesprächen in gewisser Hinsicht auf das Ungenügen der bis dahin von ihm forcierten Darstellungen einzugehen und einen neuen Anlauf zu wagen. Im Vollzug des Gesprächs soll nun davon gezeugt werden, wovon zuvor lediglich gesprochen worden ist. Es gilt nun, nicht über das Gespräch nachzudenken und es als Thema zu etablieren, sondern das Gesprächwerden des Denkens und damit den Antwortcharakter des Menschen selbst aufbrechen zu lassen. Daher soll nun erörtert werden, inwiefern es Heidegger gelingt, nicht bloß über diese responsive Form zu schreiben, sondern sie im Vollzug des Textes zu Tage treten zu lassen und sie somit aus dem Eingelassensein in ein Gesprächgeschehnis her verständlich zu machen. Das Feldweg-Gespräch Anchibasie kommt mit lediglich drei Figuren aus. Sie unterscheiden sich durch ihre Profession und stehen somit für eine ungleiche intellektuelle Herkunft, doch sie sprechen nicht gegeneinander. Ins Werk gesetzt wird damit eine Polyphonie, in der die Gesprächsteilnehmer zwar nicht mit derselben Stimme sprechen und sich unterschiedlicher Register bedienen, aber stets einem Gemeinsamen nachzukommen versuchen. Die Unterredungen mutieren nie zu einem eristisch-sophistischen Streitgespräch, sondern sie ringen in einer seltsamen Undramatik um ein wechselseitiges Verständnis. In augenfälliger Weise wird der Ort des Gesprächs thematisiert und auch die Jahres- oder Tageszeit angeführt, die aufgrund der kargen äußerlichen Handlungen ein nicht unwesentliches Gewicht erhalten, ja selbst für den Fortgang des Gesprächs prägend werden. Sie bilden mit den spärlichen Hinweisen auf die Landschaft – vornehmlich Feld und Wald – den Rahmen der Unterredungen. Interieurs kommen nicht vor. Das Gespräch findet zwar vornehmlich im Freien statt, jedoch nie im öffentlichen Raum etwa im Sinne der Agora, an der wahlweise jeder partizipieren kann. Es scheint beinahe so, als ob das Denken sich weder A
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in Innenräumen der dafür vorgesehenen Lokalitäten, wie etwa die Universität, noch an beliebigen Orten einer größeren Publizität entfalten kann. Stets sind es wenige, die bereit sind, sich einzufinden, aufeinander einzugehen und sich im Gespräch mitzuteilen. In einer auffallenden Weise sind sämtlichen Gesprächen biographische Bezüge inhärent, ohne dass sie sich auf faktische Vorgegebenheiten reduzieren ließen. So ist beispielsweise der »Forscher«, der sich mit der Höhenstrahlung befasst, wohl stark an Heisenberg angelehnt. Darüber hinaus führen der »Forscher« (GA 77, 24) und der »Gelehrte« (GA 77, 143) ein Buch ihrer Zeit an, das sich als Heideggers Sein und Zeit ausmachen lässt. Heidegger selbst agiert jedoch nicht als Figur, vielmehr lässt er andere sprechen, auch wenn die Figur des »Weisen« eine gewisse Identifizierung, ja Selbststilisierung des Autors nahelegt. Explizit tritt der Autor erst am Ende des Gesprächs auf, indem er es signiert, mit einer spezifischen Ortsangabe und einem konkreten Datum versieht (vgl. GA 77, 157; vgl. GA 77, 240). In Hinblick auf Struktur und Duktus des Feldweg-Gesprächs ist es wichtig zu betonen, dass dieses nie in der Weise stattgefunden hat, sondern dezidiert biographistische Verkürzungen kappt. Die Auslegungstendenz, das Werk vom Leben ableiten zu wollen, wird somit konterkariert und in ein anderes Verhältnis verwiesen. Obwohl sich Heidegger ausdrücklich biographischen, lokalen und zeitlichen Bezügen verschreibt, repräsentieren die Gespräche nicht einfachhin faktisch Stattgefundenes. Vielmehr scheint das Werk der Biographie vorauszugehen. Eine voreilige Gleichsetzung des Autors mit bestimmten Figuren vergisst die Frage zu stellen, warum Heidegger nicht selbst als Figur auftritt, was ihn also überhaupt genötigt hat, nicht im eigenen Namen zu sprechen, sondern Anderen Worte in den Mund zu legen. Dieses Auseinanderklaffen zwischen Autor und Figur – man kann hier in Rückgriff auf die philosophische Tradition auch an die Trennung zwischen Nietzsche und Zarathustra oder zwischen Kierkegaard und den diversen Pseudonymen denken – scheint nicht nebensächlich zu sein, denn es kommt insbesondere in den Worten des »Weisen« das zur Sprache, was Heidegger selbst nie zu sagen gewagt hätte, sodass die Figuren in bestimmter Art und Weise dem Autor vorausgehen und andere Wege als die gewohnten beschreiten.
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2.
Durchführung: Anchibasie
Der Obertitel Anchibasie führt ein hapax legomenon an, das lediglich durch das Fragment 122 von Heraklit überliefert ist. Dieses besteht darüber hinaus ausschließlich aus diesem einzigen Wort. Der Fortgang der Unterredung entfaltet sich als ein Rückgang in den Anfang des Denkens. Die Geschichtlichkeit bildet nicht nur in einer nebensächlichen Weise den Rahmen des Gesprächs. Zwar wird bereits mit dem Titel Heraklit zitiert und gleichzeitig werden andere Denker aus der abendländischen Philosophietradition genannt, weit wichtiger ist jedoch, dass die Gesprächsteilnehmer selbst immer wieder auf die geschichtliche Bedingtheit ihres Denkens stoßen, bei Grundworten einkehren und sich ihrer Herkunft besinnen. Erst dieser Rückgang in die Geschichte erweist sich als Aufbruch in Künftiges. Dieses wird nur dann kommen können, wenn auf die Geschichte gehört wird. Gewesenes und Kommendes schließen sich nicht aus, sondern bilden eine in sich verschränkte Bewegung. Eine Bewegung freilich, die sich nicht ans Präsentische klammert, sondern im Schritt zurück über die Gegenwart hinausgreift. Was bedeutet dieses griechische Wort anchibasie? Es setzt sich aus anchi (nahe) und bainein (gehen) zusammen, das nicht einfachhin wörtlich als »nahe-gehen«, sondern als »In-die-Nähe-gehen« im Sinne von »In-die-Nähe-hinein-sich-einlassen« (GA 77, 155) verstanden werden soll. Der Titel impliziert dabei eine Anweisung, die nicht nur dem Text voransteht, sondern den Grundzug des Gesprächs auszeichnen wird. Es ist nicht nur die Rede von der Nähe, sondern es wird ein durchaus wörtlich zu nehmendes Ein-Gehen und Sich-Einlassen in sie gefordert. »Nähe« ist aber nicht einfachhin Thema einer Abhandlung, erst im Laufe der Unterredung mit all ihren vermeintlichen Ab- und Umwegen kommt sie unmerklich als Paralipomenon zum Vorschein. Zunächst werden diese ständigen Kreis- und Rückbewegungen auf das ZuSagende als lästiges »Spiel mit Worten« (GA 77, 32) empfunden. Der Weg des Gesprächs muss daher in seiner Notwendigkeit einsichtig werden, dass nur im Gesagten, so weitläufig und abwegig es sich mitunter gestaltet, die Zu-Sage des Seyns in Form einer indirekten Mitteilung aufbrechen kann, ohne selbst eigens bezeichnet werden zu können. Die Überschrift bleibt somit dem Text nicht äußerliche Anzeige, worüber sich nun die Abhandlung auszubreiten gedenkt, sondern erweist sich als Movens des Gesprächsgangs selbst, das auf mehreren Ebenen A
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ins Werk gesetzt wird, sodass der Text das In-die-Nähe-gehen performiert. Was heißt eigentlich »Nähe« im Sinne von »In-die-Nähe-gehen«? Der semantische Herd von »Nähe«, aber auch »nahen« und »nähen«, auf die der Text insbesondere gegen Ende hin anspielt, ist im Deutschen reichhaltig. Dezidiert wird eine Erörterung des Wortes von seinem vermeintlichen Gegenteil her – im Sinne von »wegbleiben« – nicht in Anspruch genommen, um eine antithetisch-dialektische Inblicknahme von Nähe zu vermeiden (vgl. GA 77, 30). »Nähe« soll gerade nicht vom Gegenteil her bestimmt und damit seiner Rätselhaftigkeit allzu schnell entledigt werden. Angezeigt werden mit dem Wort »Nähe« normalerweise Zeit-, aber vor allem Ortsbestimmungen, die nicht nur in einer quantitativ-berechnenden, sondern auch qualitativ-lebensweltlichen Hinsicht verstanden werden können. Es kann im Wort auch eine Vertrautheit angezeigt werden, wie sie sich in einer »geistigen Nähe« ankündigt, oder jemand verspürt eine Nähe, in der etwas einem nahe geht, indem es berührt. In einer gewissen Weise kehrt sich im Feldweg-Gespräch das übliche Verhältnis: Nicht wird die Nähe als Ableitung von Raum, Zeit oder Vertrautheit verstanden, sondern als das diese allererst Gewährende. Der gesamte Schwingungsbereich des Wortes ist in den Übersetzungsversuchen im Gespräch zwar mitzuhören, doch er beschränkt sich weder darauf noch ist er primär von diesen herkömmlichen Bestimmungen her zu verstehen. Vielleicht ist er – den herkömmlichen Sprachgebrauch erweiternd – deswegen nicht darauf einzuschränken, da »Nähe« gängigerweise stets eine Relation zwischen zwei bereits vorhandenen Relata markiert, ob es nun lokale oder temporale Bezüge anzeigt, eine freundschaftliche Nähe zweier Personen postuliert oder jemandem etwas nahegeht; stets ist in dieser Verwendungsweise Nähe die verbindende Mitte zwischen zwei Polen, die nachträglich in ein Verhältnis treten. Mit der Präposition »in« versehen, geht es im »In-dieNähe-gehen« jedoch nicht um die Zusammenführung zweier Instanzen, sondern um Nähe als Verhältnishaftigkeit selbst – noch bevor überhaupt konstituierende Bezugsgrößen abgesteckt werden könnten. In dieser unüblichen Weise gebraucht, ist es nicht mehr möglich, von einem (nachgeordneten) Zwischen zu sprechen, denn es geht hier offensichtlich nicht darum, eine Verbindung herzustellen. Es ist wohl auch nicht intendiert, ein anvisiertes Ziel zu erreichen, denn die Nähe soll gerade nicht in eine Abstandslosigkeit aufgelöst, sondern als ein 140
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Sichnähern bewahrt werden. Dies ist wohl nur dadurch möglich, dass die Vollzugsdimension nicht einen Endpunkt erreicht oder auf ein telos gerichtet ist, sondern sich einer vollständigen Aneignung entzieht. Augenfällig ist zudem, dass die im Text angeführten Bindestrichkonstruktionen eine Verbalität anzeigen, diese jedoch weniger aktivisch, als in der medialen Weise gebraucht wird, indem anchibasie dezidiert als ein »In-die-Nähe-hinein-sich-einlassen« (GA 77, 155) ausgelegt wird. Von diesem Angang der Nähe, aber auch von der Bereitschaft, sich darauf einzulassen, werden die Figuren im Fortlauf des Gesprächs zeugen. Auf anchibasie wird gleich mit der ersten Wortmeldung angespielt. Der »Gelehrte« weist – ohne es zu nennen – auf ein »altes griechisches Wort« hin (GA 77, 3), das dem nachkommen könnte, wonach bereits bei ihrem vorhergehenden Treffen gesucht wurde und das offenbar eine weitere Zusammenkunft dringlich erscheinen ließ. Die Suche – im Sinne eines deuteros plous als einer notwendig gewordenen zweiten Fahrt – nach dem, wofür »der Name fehlt« (GA 77, 30), ist dem Gang des Gesprächs aufgegeben und bildet den Bogen der gesamten Unterredung, dessen Spannung bis zum Ende ausgehalten wird und worauf leitmotivisch im gesamten Text immer wieder zurückgekehrt wird. Erst auf den letzten Schritten wird das Wort, wiederum von der ansonsten ungelenkigen Figur des »Gelehrten« eigens genannt (vgl. GA 77, 150 ff.). Im Zuspruch der anchibasie stehend erschließt sich allererst der Verlauf des Gesprächs. Anchibasie fordert die drei Weggefährten auf, ihr im Gang des Gesprächs nachzukommen, sich in die Nähe einzufinden. Eine Nahnis, die sich nicht nur darauf beschränkt, dem heraklitischen Fragment und einander als Gesprächspartner näher zu kommen, sondern sich auf diese Nähe Antwortende zu verstehen und dem Andrang der Nähe selbst zu entsprechen. Gesprochen wird somit nicht über ein »In-die-Nähe-gehen«, sondern es wird das Eingelassensein in diese Nähe qua Unverborgenheit selbst vollzogen, aus der allererst Anwesendes sich zeigen kann. Eine Nähe freilich, die nicht als ein Etwas erreicht wird, sondern unter deren eröffnendem Anspruch – zumeist in einer unbedachten, da sich entziehenden Selbstverständlichkeit – das Menschsein steht und deren Erfahrung nun aufbricht: »In allem Anwesen waltet Nähe. Das Unverborgene ist ein Genahtes.« (GA 77, 154). Die allzu nahe Nähe wird meist übergangen. Dies Unscheinbare tritt aber gegen Ende des Gesprächs als sich entziehende, jedoch alles gewährende Mitte hervor.
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Zu Beginn des Textes melden sich mehrmals der »Gelehrte« und der »Forscher« zu Wort, bevor der »Weise« am Gespräch teilnimmt. Das Ungleichgewicht in diesem Dreiergespann ist augenfällig: Während der »Forscher« einen Physiker moderner Prägung repräsentiert, der zunächst selbstbewusst Anleihen aus der mathematisch-naturwissenschaftlichen Methodik nimmt und sich ganz der verifizierbaren Objektivität verschreibt, von der »[a]lles Zeitbedingte und Persönliche« (GA 77, 42) abprallt, stellt sich der »Gelehrte« als Philosophiehistoriker alten akademischen Schlags vor, der beliebig viele Bezüge zur Geistesgeschichte herzustellen vermag und nie darum verlegen ist, Definitionen aus der Philosophiehistorie zu liefern. Der »Forscher« erweist sich im Laufe des Gesprächs als agiler, indem er sich nicht voreilig mit Hinweisen abspeisen lässt und den »Weisen«, etwa bei der Erörterung des Nicht-Wollens, zu einigen umfassenderen Ausführungen nötigt. Er lässt sich somit früher auf die ungewohnten Zwischenfragen ein, als es der »Gelehrte« tut, und bereichert das Gespräch in einer erfrischenden Weise. Der »Gelehrte« hingegen wirkt – weniger als Widerpart denn als geisteswissenschaftliches Pendant in Szene gesetzt – etwas hölzern und trocken. Ihm wohnt der Hang inne, Reflexionen hyperkomplex darzustellen und im Gespräch verläuft er sich bisweilen in aporetischen Überlegungen, die von einer unfreiwilligen Komik geprägt sind. Der »Weise«, seinem Selbstverständis nach weniger ein (Philo-) Sophos (GA 77, 21) denn ein Weisender im Sinne eines Deiktikos (vgl. GA 77, 84 f.), irritiert nicht nur durch seine Art der Rede, die zunächst als Schwärmerei (vgl. GA 77, 4) oder ein Sinnieren »über bloße Wörter« (GA 77, 3) abgetan und der wenig später Unaufmerksamkeit unterstellt wird, sondern sukzessive mehr durch seine Fragen (vgl. GA 77, 6) und Andeutungen (vgl. GA 77, 18). Seine Wortmeldungen befinden sich quer zum gewohnten und beabsichtigten gelehrigen Frage-Antwort-Spiel, indem er es – anstelle griffige Definitionen bereit zu halten – mit erneuten Rückfragen, Wendungen eines »Vielleicht« und eines »Vermutlich« unterwandert und so die beiden anderen Gesprächspartner nachhaltig irritiert. Entgegen der gewünschten thetischen Rede entziehen sich seine Wortmeldungen, mitunter im Konjunktiv gehalten, propositionalen Aussagen. Ihnen ist ein retardierendes Moment mitgegeben, das immer wieder den Unmut der anderen Gesprächpartner hervorruft und gänzlich ihren Erwartungen zuwiderläuft. Trotz seiner Verhaltenheit gibt er den Takt des Gesprächs vor und lenkt es unversehens in andere Bahnen als in die von dem »Forscher« und dem »Ge142
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lehrten« intendierten. So scheut sich der »Weise« auch nicht, offene Fragen offen (vgl. GA 77, 65) und dabei das Rätselhafte als Rätselhaftes stehen zu lassen (vgl. GA 77, 31). Dieses Aushalten aporetischer Momente ist dabei nicht ausschließlich den Interventionen des »Weisen« geschuldet, sondern dem »Zu-fall« (GA 77, 96), sodass etwa der »Forscher« konsterniert festhalten muss, dass sie vom geplanten Fortgang der Unterredung abdriften, ohne jedoch dafür Gründe angeben zu können (vgl. GA 77, 26). Der eingeschlagene Weg wird dabei von den Protagonisten selbst im Gehen vollzogen und führt damit auch auf einer anderen Weise den Gang des Gesprächs vor Augen. Der Weg des Denkens vollzieht sich leiblich als Weg des Gehens. Diesseits jedes metaphorologischen Verständnisses zeigt sich das, was den Weg als Weg auszeichnet im Mitund Nachvollzug des Textes. Diese Parallelisierung tritt an entscheidenden Punkten zu Tage. Explizit wird dabei nicht nur ihr Gehen auf dem Feldweg und später auf dunkleren Pfaden im Wald thematisiert, sondern auch das, was es heißt, in ein Gespräch eingelassen zu sein und ihm nachzukommen. Das Schreiten auf dem Feldweg und der Fortlauf des Gesprächs erweisen sich aber als alles andere als geradlinig und zielgerichtet. Nicht jeder Schritt bringt sie im gewünschten Ausmaß nach vorne, oftmals entsteht der Eindruck, dass der Fortgang beschwerlich ist und sie im Gespräch sowie im Gehen auf derselben Stelle treten (vgl. GA 77, 31). Der Verlauf des Gesprächs entspricht zunächst nicht den Erwartungen des »Forschers« und des »Gelehrten«. Sie möchten erkenntnistheoretische Fragestellungen erörtern und dabei – offensichtlich ihrer Profession entsprechend – sowohl natur- als auch geisteswissenschaftliche Einsichten in die Überlegungen miteinbeziehen. Immer wieder sehen sie sich genötigt, den »Weisen« darauf aufmerksam zu machen, dass die vorgesehene Auslegungsbahn verlassen wird. Es wird die Gefahr angesprochen, vom »Thema abzuirren« (GA 77, 16) oder es bereits »aus dem Auge verloren [zu] haben« (GA 77, 25); zu sehr lassen sie sich durch unliebsame Zwischenfragen »auf alle möglichen Seitenwege ablenken« (GA 77, 26), indem sie ihrer Auffassung nach »richtungslos umherschweifen und den Weg bereits wieder verloren haben« (GA 77, 45), sodass eine »straffe Ordnung der Gedankengänge« (GA 77, 26) gänzlich vermisst wird. Es kommt bei ihnen das Gefühl auf, dass sie sich »im Kreis bewegen und nichts sagen« (GA 77, 80). Sie versuchen daher, durch Zusammenfassungen die Ergebnisse des Gespräches zu rekapitulieren (GA 77, 10; 25), und müssen dabei einsehen, dass entgegen der A
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Gewohnheit, selbst »längere Ketten von Schlußfolgerungen in ihrer Verklammerung zu überblicken« (GA 77, 25), ihnen jedes feste Resultat aufgrund der Zwischenmeldungen des »Weisen« zwischen den Fingern zerrinnt. Der »Gelehrte« und der »Forscher« gestehen ein, dass sie immer mehr »ratlos [und] tatenlos« (GA 77, 31) werden. Ihren Unmutsbekundungen zum Trotz bestreitet der »Weise« nicht, dass sich das Denken dem herkömmlichen Fortschrittsdenken, wie es in der Technik oder anderen Wissenschaft forciert wird, entzieht und nicht von der Stelle kommt. Diese permanente Einkehr im Selben wird von seiner Seite als das genuin Philosophische affirmiert: »Die Philosophen gehen nicht nur nicht vorwärts, sie treten nicht nur auf der selben Stelle, sondern sie gehen rückwärts. Dort ist nämlich die so genannte ›selbe Stelle‹.« (GA 77, 21) Es gilt im philosophischen Denken nicht so sehr, rasch weiterzukommen, sondern immer wieder beim Zu-Denkenden einzukehren und so bei dem zu verweilen, was zumeist übergangen wird. Eindringlich kündigt sich in diesen Überlegungen der Grundzug der anchibasie an. Die Hinwendung zu diesem Unscheinbaren ereignet sich als mühsames Zurückgehen und Nachbesichtigen. Das Nachdenken vollzieht sich in der geschichtlichen Besinnung als ein – durchaus wörtlich zu nehmendes – Zurückdenken. Das Denken kommt nur weiter, indem es zurückkehrt und immer wieder auf die selbe Stelle tritt und dieses Zurückkommen auch aushält. Das Nähern wird somit nicht mehr im gewöhnlichen Sinne verstanden, auf einen Gegenstand zuzugehen und seiner habhaft zu werden, sondern dort zu verweilen, wo man sich schon befindet. Einhergehend mit dieser beunruhigenden Ruhe gerät auch das Gehen der Teilnehmer ins Stocken, da sie auch auf dem Feldweg nicht vorangeschritten sind. Provoziert von diesen vermeintlichen Stillständen, fordert der »Forscher« den »Weisen« auf, die »bisher ausgeübte Gesprächstaktik endlich auf[zu]geben« (GA 77, 45) und sich mehr dem Gegenstand zu widmen. Die zunächst schematisch zugewiesenen Positionen im Triumvirat lösen sich im Verlauf des Gesprächs allmählich auf. Aus dem Gespräch werden die Teilnehmer als andere hervorgehen. Die Veränderung ist dabei weniger an neuralgischen Punkten klar festzumachen, denn als Prozess unmerklicher Wandlungen in der Erfahrung des Gesprächs vernehmbar, der erst im Nachhinein als solcher zu kennzeichnen sein wird. Diese Wende des Gesprächs wird vernehmbarer, sobald die drei nicht mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit die Unterredung beenden 144
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und auf dem Feldweg umkehren, sondern – nach einigem Zögern – den »weiteren Weg durch den Wald« (GA 77, 74) einschlagen, um tiefer ins Dickicht der Überlegungen einzukehren. Auch wenn das Gespräch immer noch weit davon entfernt ist, sich in einem harmonischen Akkord aufzulösen, wird spätestens von nun an, ohne sich weiter über die vermeintliche Gesprächsführung des »Weisen« zu monieren, um die gemeinsame Sache gerungen. Das Gespräch schreitet über erkenntnistheoretische Fragestellungen fort zu einer Erörterung, was Denken und Menschsein überhaupt heißt. Doch was zeichnet ein Gespräch überhaupt als Gespräch aus, in dem es zu Verwandlungen kommen kann, die weder willentlich herbeigeführt werden können noch als solche vorauszusehen sind? Welches Verständnis von »Wort« ist dabei leitend und wie wird dieser Bewegtheit auf einer impliziten und expliziten Ebene nachzukommen versucht? Im Gespräch kehren vermehrt Überlegungen wieder, was ein Gespräch allererst ein Gespräch werden lässt. Damit verschreibt sich der Text einem gewagten Unterfangen, gleichzeitig über das Gespräch zu sprechen und das Gespräch als Gespräch zu vollziehen. Normalerweise unterscheiden wir streng zwischen konstativen und performativen Sprechakten oder doch zumindest, unter welcher Hinsicht wir Aussagen einzuordnen gedenken. Doch diese dichotomischen Kategorisierungsversuche greifen hier in einer auffälligen Weise zu kurz. Anchibasie wird mit dieser doppelten Geste zum Gespräch ein »Gespräch des Gesprächs«, dessen Genitiv stets als subjectivus und objectivus lesbar bleibt. Es wird dabei über das Gespräch gesprochen, indem es sich als Gespräch performiert. Was sich darin kundtun, wird aber nicht in einer direkt-anschaulichen Weise vorliegen, sondern entzieht sich gerade im gelingenden Vollzug. Das Anfangsthema, vom Erkennen her das Wesen des Menschen als animal rationale näherhin bestimmen zu wollen, wandelt sich unversehens im Gespräch. Im Gespräch wird vom Gespräch her dem nachgegangen, was es heißen könnte, Mensch zu sein. Es wird dabei erörtert, »ob denn die Frage nach dem Wesen des Menschen überhaupt eine Frage nach dem Menschen sein könne« (GA 77, 102), gewissermaßen beim Menschen anfangen müsse oder nicht vielmehr das zu berücksichtigen habe, von woher er sein – verbal verstandenes – Anwesen erhält. Traditionelle anthropologische Bestimmungen erweisen sich dabei nicht mehr als tragfähig, vielmehr weist das Gespräch selbst in eine andere Richtung. Der »Weise« äußert dabei seine Bedenken, ob bei der Frage und einer Definition im herkömmlichen A
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Sinne angesetzt werden kann, »ob die Wesensbestimmung des Menschen die Antwort auf eine Frage sei, oder [vielmehr; M. F.] die Antwort auf das Wort« (GA 77, 103). Um dieser Vermutung nachzukommen, die die herkömmlichen Auslegungsbahnen verlässt, wird der responsiven Dimension des Gesprächs selbst nachzukommen sein. Inwiefern der Mensch als Antwort auf das Wort verstanden werden kann, ergibt sich aus dem Gespräch. Zunächst ringt der »Weise« darum, das Gespräch nicht misszuverstehen. Das Gespräch ist seiner Auffassung nach auch nicht von einer Absicht geleitet, durch die von vornherein ein bestimmtes Ziel anvisiert wird, vielmehr muss ein Gespräch sich entfalten können. Das Glücken eines Gesprächs hängt somit nicht vom Können oder vom Willen der Gesprächspartner ab, wiewohl es nie ohne deren teilnehmenden Vollzug – der »Weise« insistiert hier eindringlich auf ein Mit-sprechen (vgl. GA 77, 46) – gelingt. Das, was sich in einem Gespräch zeigen kann, entzieht sich der Plan- und Berechenbarkeit. Zwar werden Gespräche geführt, doch dieses Führen ist weniger ein Diktieren als ein Gelenktwerden. Ob das Gespräch ge- (oder miss-)lingt, liegt nicht vollends in den Händen der Teilnehmenden. Sie können immer auch scheitern, wie der Gang auf dem Feldweg zeigt. Gespräche lassen sich nicht erzwingen, sondern sie ergeben sich. Der richtige Moment für ein Gespräch kann somit nicht von außen bestimmt werden; vielmehr ergreift er die Figuren und macht sie zu Teilnehmenden eines Geschehens – ohne dass sie dadurch eine Gewissheit für dessen Gelingen haben könnten. Gerade das vermeintliche Mäandern und vom anvisierten Ziel Abkommen kann sich im Nachhinein als ertragreicher herausstellen als der direkte Zugriff. Anstelle des fordernden Wollens wird das Gespräch in seiner welt-eröffnenden Dimension als ein nicht vollends zu kontrollierendes Gespräch vernehmbar. Es gibt kein Thema des Gesprächs, das unabhängig von dessen Vollzug vorläge. Erst im Gespräch ereignet sich ein Zur-Sprache-kommen (vgl. GA 77, 46). Das Besprochene ergibt sich erst aus ihm und wird so offenbar. Es kommt aber nicht nur etwas, sondern das Wort selbst zur Sprache, auch wenn sich das Sichmitereignen des Wortes zumeist zugunsten des Besprochenen entzieht. Die Sache des Gesprächs ist somit das Wort, es kommt in ihm zur Sprache, sodass »das eigentliche Gespräch erst das Wort zur Sprache bringt« (GA 77, 57). Gespräch wird somit als das verstanden, wodurch der gewährende Zuspruch des Wortes eigens erfahren wird. 146
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Antwort wird in diesem Zusammenhang nicht als Beantwortung einer vorausgegangenen Frage verstanden. Der »Weise« macht darauf aufmerksam: »Alle Aussagen der genannten Art, ja vielleicht jede Aussage und Sage ist eine Antwort. Aber nicht jede Antwort ist Antwort auf eine Frage.« (GA 77, 22) Indem darauf hingewiesen wird, dass der Mensch als »Antwort auf das Wort« (GA 77, 103) verstanden werden kann, wird seine traditionelle Bestimmung als zoon logon echon anders lesbar. Sprache, die in der metaphysischen Tradition ganz selbstverständlich als das Proprium des Menschen angeführt wird, erweist sich nun gerade nicht in der Weise als sein Eigentum, über das er frei im Sinne einer externen Instanz verfügen kann. Das scheinbar Eigenste des Menschen – die Sprache –, die ihn vor allen anderen Lebewesen auszeichnet und so als differentia specifica seine vermeintliche »Identität« gewährt, besitzt er nun gerade nicht. Zwar ist der Mensch das Wesen, das logos hat, aber er wird seiner nicht habhaft, sondern das Wort kommt ihm nur insofern zu, als er auf es antwortet. »Das ursprüngliche Antworten ist also nicht das Antworten auf eine Frage. Sie ist die Antwort als das Gegenwort zum Wort. Das Wort muß dann erst gehört sein. So käme es auf das Hören an.« (GA 77, 25) Diese Einsicht in die responsive Verortung wird nun nicht postuliert, sondern sie vollzieht sich vornehmlich in den Gesten des »Weisen«. Er behauptet nichts, sondern versteht sich als Antwortender, etwa wenn er bemerkt, dass »der Anlaß zu der Art meiner Antwort […] offenkundig bei Ihnen [gemeint ist der »Forscher«, M. F.]« (GA 77, 66) liegt. Das Gespräch wird somit nicht durch eine Aussage eines Teilnehmers initiiert und bestimmt, sondern es hebt von Anfang an als Antwort an. Es versteht sich als hörendes Entsprechen auf einen je schon ergangenen Anspruch. Aus diesem Zusammenhang wird auch nachvollziehbar, inwiefern darauf hingewiesen wird, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Hause ist, sondern immer schon von diesem Anspruch angegangen wird. Von dieser Warte aus wird auch Kritik am vor-stellenden Denken geübt, dessen possessiver Grundzug gerade seine Nachträglichkeit und sein Angewiesensein auf eine Vor-Gabe beharrlich verkennt. Insbesondere der »Weise« versucht dem nachzukommen, dass er sich aus dem Gespräch versteht, indem er sich als »Suchender« – und nicht etwa als souveränes Subjekt – bezeichnet, der das »Wesen des Denkens […] nicht aber eigenmächtig festsetzen möchte« (GA 77, 80) und »den Mut zum Vermuten im Gespräch aus dem Gespräch« (GA 77, 84) empfängt. A
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Die Besinnung auf das responsive Wesen des Menschen mutet befremdlich an. Der »Forscher« muss sich eingestehen: »Seltsame Dinge sind es, an die wir da rühren. Und ich möchte hier nun auch nicht länger verschweigen, daß mir jedesmal in unseren Gesprächen so ist, als verschwänden Stand und Name, ja sogar das eigene gewohnte tägliche Wesen.« »Ich weiß bald nicht mehr, wo ich bin und wer ich bin.« (GA 77, 85; 110) Die dem Menschen inhärente Selbstentfremdung wird somit von den Figuren selbst mitvollzogen. Das Verständnis des Menschen als Selbstverständnis der Figuren bleibt nicht das, was es war. Performativ wird die Einsicht ins Werk gesetzt, dass das Gespräch nur dann gelingen kann, wenn nicht auf dem eigenen Standpunkt beharrt wird, sondern die je schon aufgebrochene Selbstentfremdung in ihrer fundamentalen Tragweite einsichtig gemacht wird.
3.
Reprise: Die Wende der Nacht
Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit und dem Entschluss, die Unterredung nicht abzubrechen, sondern die Bemühungen in einer verstärkten Weise weiterzuführen, erfährt das Gespräch eine eigentümliche Wende, obwohl die Sache des Gesprächs – die Wesensbestimmung des Menschen und sein Verhältnis zum Seienden – dieselbe bleibt. Es werden fortan nämlich nicht mehr allzu bekannte und mitunter auch schematische Positionen rund um die drei Protagonisten skizziert, denen bislang stets etwas Didaktisches anhaftete, sondern die Figuren wagen sich nun – altbewährte Pfade verlassend – in unbekannte Gefilde vor. Sie bewegen sich dabei am Rande des Sagbaren, dessen Nachvollzug wohl nur mehr aus dem gemeinsamen Gesprächsverlauf einsichtig gemacht werden kann, dessen Rede jedoch grenzfällig bleibt. Es wird in einer unerhörten Weise von der »Gelassenheit« und »Gegend«, aber auch »Gegnet«, »Vergegnis« und »Bedingnis« die Rede sein – Worte, die eigentümlicherweise der »Gelehrte« (und nicht der »Weise« als das vermeintliche alter ego Heideggers) einwirft, indem er den Bewegungen des Gesprächs folgt. Erstmals wird – der Sache nach – eine »Topologie des Seyns« skizziert, in der das Verhältnis von Mensch und Ding aus der Gegnet anders als in der metaphysischen Tradition, aber auch anders als in Sein und Zeit (qua Sinn des Seins) oder auch in den Texten rund um die Beiträge (qua Wahrheit des Seins) bedacht wird (vgl. GA 15, 335), sodass all148
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mählich einsichtig wird, warum Heidegger Figuren auf diesem Weg des Denkens vorausschickt, ja vorausschicken muss. Offensichtlich wird ihnen mehr zugemutet, als es sich der Autor selbst zutraut, auch lässt er sie eine Sprache sprechen, die (noch) nicht seine eigene ist. Der Ausspruch des »Weisen«, der den »Mut zum Vermuten im Gespräch aus dem Gespräch« (GA 77, 84) erfährt, trifft wohl in erster Linie auf den Autor selbst zu. Diese Gestaltung darf jedoch nicht als verspielt-provokatives Unterfangen angesehen werden, sondern ist dem Wagnis geschuldet, tradierte Auslegungsbahnen verlassen zu müssen, um dem Anspruch des Zu-Denkenden nachkommen zu können. Welchem sachlichen Problem möchte das Gespräch nun in einer vertieften Weise nachkommen? In der Philosophie, verstärkt in ihrer neuzeitlichen Prägung, wurde das Denken als Vermögen des Subjekts verstanden. Dieses ist in der Lage, sich Objekte vor- und auf sich zuzustellen. Dabei agiert es als Bezugsmitte aller Gegenstände, da erst innerhalb seines Horizontes die Bedingung der Möglichkeit des Erscheinenkönnens alles Seienden gewährt wird. Diese überlauten Ansprüche der Subjektivität sollen jedoch insofern unterlaufen werden, indem – wie wiederholt insistiert wird – »das Andere« (GA 77, 102) des transzendental-horizontalen Denkens bedacht werden soll. Die Eröffnung des horizontalen Aufrisses bestimmt sich im klassischen Verständnis dadurch, dass ein Ego als dessen fundamentum inconcussum agiert oder diese Lichtung bewerkstelligt. Alles Erscheinende wird dabei gemäß einer Ontologie der Vorhandenheit als res obstans, die dem Subjekt entgegensteht, interpretiert. Weder soll nun aber das Sichzeigen der Dinge auf ein souveränes Subjekt zurückgeführt werden, noch sich ihr Erscheinen in seinem possessiven Zugriff erschöpfen, indem Seiendes in seinem Gegenstandscharakter dingfest gemacht wird. So betont der »Weise« in Anspielung auf ein wörtliches Verständnis des Horizonts (als das Begrenzende) kritisch: »Der Gesichtskreis ist also ein Offenes, was seine Offenheit nicht davon hat, daß wir hineinsehen.« (GA 77, 112) Das, was dem Menschen begegnet, soll somit weder kausalursächlich von ihm evoziert, noch in einer transzendental-horizontalen Weise auf ihn zurückgestellt werden. Diese transzendentale Konzeption des Horizontes kommt gerade nicht dem nach, was sie per definitionem beinhalten möchte: die Grenzziehung im Gesichtskreis. Ein universaler bzw. letzter Horizont umfasst als Horizont aller Horizonte nämlich alles – außer seine eigene Grenzhaftigkeit. So verabschiedet der »Gelehrte« selbst, der den Horizontbegriff ins Spiel gebracht hat, das transzendenA
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tal-horizontale Denken einer subjektivistischen Allverfügbarkeit, die ihre eigenen Grenzen und damit auch die Gegebenheit der eigenen Endlichkeit nicht mehr ernst nehmen kann. Dem möchte nun das Gespräch nachkommen, indem dezidiert nach dem Moment des gewährenden Entzugs im freigebenden Offenen gefragt wird. Dieses Offene, in das der Mensch eingelassen ist und auf dessen Anspruch er angewiesen bleibt, wird im Gespräch als »Gegend« (GA 77, 112) und wenig später, um Missverständnissen vorzubeugen, als »Gegnet« umrissen: »Die Gegnet ist die verweilende Weite, die, alles versammelnd, sich öffnet, so daß in ihr das Offene gehalten und angehalten ist, Jegliches aufgehen zu lassen in seinem Beruhen.« (GA 77, 114) Als Gegnet wird somit die gewährende Offenheit einsichtig zu machen versucht, in der Seiendes seinen Ort findet, ohne jedoch selbst ein Ort oder ein Ding zu sein, indem jedes sich Zeigende darin gehalten und daraus verstanden wird. Dabei wird die Gegnet nicht als räumliches Pendant zur Zeitlichkeit verstanden. Sie gewährt zumal Weite und Weile, ohne jedoch als transzendentale Anschauungsform missverstanden zu werden. Stets ist die Gegnet eine bestimmte (auch wenn sie sich darin nicht erschöpft), wie auch das Ausschreiten des Feld- und Waldweges nahelegt; sie ist somit mit einer je idiotopographischen Spezifizität versehen, sodass sich in ihr alles Gegebene sammelt und in Bezügen zueinander steht. Damit unterscheidet sich die Gegnet auch grundlegend von einem homogenen (cartesianisch-mathematischen) Raumverständnis, in dem alle Punkte gleich gültig sind. Die Gegnet wird vielmehr als das Versammelnde erfahren, das weder als geschlossene Systematik noch als nachträglicher Zusammenschluss zu interpretieren ist, sondern sich als gefügte Weite kundtut, aus der Seiendem seine Jeweiligkeit gewährt wird und wohin dieses gehört. Eine Gegend erschließt sich jedoch nur durch die in ihr gehaltenen Orte und Dinge, sodass sie aus einer jeweils genuinen Verschränkung verstanden werden muss. Im Gegensatz zu einer Apriorität (des Raumes und der Zeit) spielen Gegend und Ort auf je singuläre Weise – respektive das darin gehaltene Ding, das darin seinen Ort findet – ineinander und zeichnen die Gegnet als Gegnet aus. Intendiert ist damit nicht eine Readaptierung des klassisch phänomenologischen Begriffs von Welt, die ein (fundamental-)ontologisches Fundierungsverhältnis alles Seienden in einem (daseinserschlossenen) Bedeutungszusammenhang forcieren möchte. Dieses Verständnis von Welt, wie es in Sein und Zeit noch zu finden ist (vgl. GA 2, 85 ff.), wird 150
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im Gespräch einer expliziten (Selbst-)Kritik unterzogen (vgl. GA 77, 143). Im Unterschied zum Welt-Horizont ist die Gegnet nicht an den Entwurf des Daseins rückgebunden. Vielmehr erfährt sich nun auch der Mensch als ein in jeweilig geschichtlich-situativ ineinanderlaufende Beziehungen ein-gelassener. Sich als in die Gegnet Gelassener zu verstehen, ist jedoch nicht etwas, das der Mensch herbeiführen kann, sondern was sich – aufgrund seiner geschichtlichen Zugehörigkeit – ergibt. Damit werden die herkömmliche Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt sowie ein transzendental-horizontaler Ansatz mit einem ontisch-ontologischen Fundierungsverhältnis unterwandert. Aus dem Verständnis von Welt, die insofern weltet, indem alles zueinander versammelt wird, kommt es auch zu einer anderen Einsicht von Nähe. Aus ihr wird das freigebend Gewährende und entziehend Verwehrende erfahren. Zu diesem Verständnis von Gegnet und Welt und Nähe ist das Gespräch unterwegs. Es wird nicht mehr über Gegnet in einem abstrakten Sinne gesprochen, sondern – wie das Feldweg-Gespräch zeigt – in einem je sich konkret auszugestaltenden, ohne dass sie an einer Raumstelle oder an einem Seienden festzumachen wäre. In diesem topologischen Verhältnis gelangt das Menschsein in einen gewandelten Bezug zum »Ding«, sofern ihm nämlich dabei das Seiende nicht entgegensteht, sondern sich in einer anderen Weise als ein Objekt zeigt. Das Feldweg-Gespräch gelangt folglich zu einem anderen Verständnis des Dinges, als es bislang aus den Texten Heideggers ersichtlich war: Während in Sein und Zeit der Tendenz (des Verfallens) nachgegangen wurde, alles Seiende gemäß einer Ontologie der Vorhandenheit auszulegen und die ding-analoge Interpretation der Herstellbarkeit daher einer grundlegenden Kritik unterzogen wurde, wird hier »Ding« nunmehr vom althochdeutschen »thing« im Sinne der Versammlung verstanden. Es lässt sich mit dieser Hinsicht auch nicht mehr unter die im Frühwerk Heideggers explizierte Seinsweise des Zuhandenen eines Zeuges einordnen. Wie ereignet sich das (Dingen des) Ding(es) als Versammlung? Am »Beispiel« eines Kruges wird dieses neue Verständnis aufzuzeigen versucht, das nun nicht mehr vor-gestellt und über das verfügt werden kann, sondern das in seinen Bezügen vernommen und so verwahrt wird. Bemerkenswert ist hier, dass der Text sich dem Einfachen zuwendet und zum Alltäglichen findet. Es geht nicht um abgehobene theoretische Konstruktionen, sondern um ein Zeugnisgeben dessen, was und wie es ist. Tradierte Ansätze, wie die aristotelische A
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Vierursachenlehre oder die dichotomische Einteilung in Form und Stoff, wie sie der »Gelehrte« in die Unterredung noch einwirft (vgl. GA 77, 126 f.), werden als unhaltbar zurückgewiesen. Diese technomorphen Herangehensweisen gehen am Krug als das Fassende eines Getränks vorbei, da die fassende Leere weder etwas ist noch hergestellt werden kann, und sie berücksichtigen gerade das nicht, was den Krug als Krug auszeichnet, nämlich dass er Trinkbares für den Menschen bereithält. Diese phänomenologische Annäherung widmet sich dem, was sich nicht auffällig in den Vordergrund drängt und daher zumeist übergangen wird, da es als wörtlich genommenes Unscheinbares nicht eigens zum Erscheinen gelangt. Heideggers Denken verschreibt sich somit immer mehr dem einfach Gegebenen, ohne auf altbewährte Kategorien zurückgreifen zu müssen. Das Ding ist dabei weder konkreter Einzelfall (im Sinne der Existenz) noch eine abstrakte Allgemeinheit (im Sinne der Essenz), sondern schlicht das, was versammelt und worin diese Versammlung als Zusammengehören zum Vorschein kommt. Der »Weise« kommt in einer umständlich gedrechselten Rede darauf zurück, wohl auch um in dieser Geschraubtheit und onomatopoetischen Aufgipfelung auf die ineinanderlaufenden Bezüge aufmerksam zu machen: »Das Getränk nennt das Zusammengehören des tränkenden Trinkbaren und des trinkbaren Getrunkenen des Trinkens. Das Getränk ist Trank und Trunk. Trinkbares Tränkendes ist unter anderem der Wein. Der Trinkende ist der Mensch. Das Getränk als das Tränkende weilt im Wein, der weilt in der Rebe, die weilt in der Erde und in den Gaben des Himmels.« (GA 77, 134 f.) Falls man gewillt ist, die Sageweise ernst zu nehmen und nicht im Vorhinein als Schwärmerei abzutun, wird man darauf aufmerksam gemacht, dass im Getränk nicht nur der Trinkende und der Trunk zusammengehören, sondern dass darüber hinaus – verdeutlicht am Wein – auf das Gedeihen der Reben auf fruchtbaren Böden und auf die Gunst der Witterung verwiesen wird. All das wird im Krug – und nicht unabhängig von ihm – versammelt. Es gilt dem Wie des Erscheinens nachzugehen: Es liegt kein vereinzelbarer Gegenstand vor, dem man totaliter habhaft werden könnte, vielmehr zeigt sich das Dingen des Dinges aus einer mannigfachen Bezugshaftigkeit eines Ineinander, das stets auf andere Weise aufbrechen kann. Vernehmen heißt daher immer mit-vernehmen von anderem. Dieses überbordende Mit der Bezüge kann nicht mehr – aktualiter oder potentialiter – als ein Etwas eingeholt werden. Hierin wird deutlich, inwiefern eine Phänomenologie des Unscheinbaren gerade dem kaum 152
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Augenfälligen seinen geheimnisvollen Reichtum zurückerstattet. Das Unscheinbare ist dieses Geflecht der Bezüge, deren Nahnis im »Gegnen der Gegend« (GA 77, 126) und im gewandelten Verhältnis des Menschen zum Ding – und zum Eingelassensein – erfahrbar wird. Heidegger entwickelt jedoch nicht nur eine Topologie des Seyns, in der das Versammelnde hervorgehoben wird, sondern eine Topotextur, die das irreduzible Geflecht von Ding – Ort – Gegnet thematisiert. Aus den Feldweg-Gesprächen wird nämlich ersichtlich, dass nichts unvermittelt begegnet und in reiner Unmittelbarkeit aufgehen könnte. Jeder Versuch einer präsentischen Fixierung verkennt das Sichmitereignen von Anderem in jedem Erscheinen. Ding – Ort – Gegnet werden aus dem unentwegten Austrag dieses Gesamtgeschehnisses verstanden. Das Ding zeigt sich somit nie als isolierbares Selbständiges oder als ein auf das Subjekt hingerichteter Gegenstand, sondern trägt – ebenso wie der Ort oder die Gegnet – das Andere in sich und wird erst aus der wechselseitigen Verwiesenheit aus einer sich verzweigenden Textur vernehmbar. Die Verhältnishaftigkeit darf dabei nicht als nachträglicher Zusammenschluss verstanden werden, sondern das Eine ist nur im Zusammenhang mit dem Anderen erfahrbar, ohne dass dieses wiederum einholbar wäre. Die Bezüge laufen somit nicht nur ineinander, sondern auch auseinander und sind gerade nicht als Ganzes zu umgrenzen. Das jeweilig Thematisierte ist somit nur spurhaft erschlossen, indem es sich aus seinen Bezügen und der darin inhärenten Abwesenheit zeigt. Das Denken kehrt bei der Irreduzibilität der Gegebenheit des Dinges ein, ohne dass diese auf eine bloße Vorhandenheit im Sinne einer reinen Präsenz reduzierbar wäre. Das Ding erweist sich vielmehr als beziehungsoffen, indem es selbst die Möglichkeit der Verweisungen sowie den Bezug zu Bezügen mit sich trägt und geneigt ist, die Bezüge zu Anderem aufzunehmen und freizugeben. Heidegger insistiert darauf, dass nichts – nicht einmal ein vermeintlich simples »Gebrauchsding« wie ein Krug – auf eine nicht-vermittelte Weise begegnet und somit von einem nicht-unmittelbar Zugänglichen zeugen wird. Im Text wird die komplexe freigebende Verhältnishaftigkeit als Text eindringlich erörtert. Nachdem das Verhältnis von Mensch und Ding aus dieser Verschränktheit erfahren wird, nimmt es nicht Wunder, dass die überlieferte Interpretation des Menschen als isoliertes Ich bzw. als animal rationale aus ihrem Kontext einsichtlich gemacht wird. Nähe wird nun nicht nur erfahrbar im Aufeinanderzugehen der Figuren und dem gewandelA
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ten Verhältnis der Dinge aus der Gegnet, sondern als die sich entziehende Mitte, die alles Erscheinen zusammen- und auseinanderhält, die der Mensch aussteht und worauf er antwortet. Der Text lässt somit nicht additiv Anderes im Welthorizont sehen, sondern lässt das Zusammenspiel des Weltgefüges anders sehen.
4.
Coda
Das Gespräch ist von der Einsicht getragen, dass sich das Menschsein als Antworten auf einen Zuspruch versteht. Am Anfang steht nicht das Subjekt als fundamentum inconcussum, sondern die Antwort. Eine Antwort freilich, die diesem Anspruch, wenn er ernst genommen wird, nicht gänzlich nachkommen kann. Im Antworten kommt der Anspruch somit nicht zum Erliegen, sondern er tritt als solcher hervor. Der Mensch ist unentwegt Antwortender und kehrt so nicht zu sich zurück, sondern bleibt von dieser Entfremdung geschlagen. Diese Erfahrung der Enteignung verdeutlicht die Endlichkeit und das stete Ungenügen der Antwort, die gerade nicht eine Vollständigkeit evoziert, sondern vielmehr andere Angänge möglich macht. Die Zukunft wird gerade dadurch offen gehalten, dass niemals alles gesagt werden kann und diese Kluft zwischen Anspruch und Entsprechen nicht zu schließen ist. Das Feldweg-Gespräch beinhaltet gegen Ende jedoch eine doppelte Geste. Auf der einen Seite spricht es – mit signifikanten Kursivierungen hervorgehoben – von dem »Anklang« der anchibasie, indem wir »dorthin vereignet« bleiben, »woher wir gerufen sind« (GA 77, 157). Die Spannung zwischen dem Hin und Her, zwischen dem Anklang und vollen Tönen scheint dabei gewahrt zu werden, indem der umhaltende Anfang als Entzug vernehmbar wird. Doch andererseits wird gerade in der Gesprächssituation selbst jede Dissonanz sukzessive aufgelöst, denn der Gesprächsverlauf unterwandert hier die semantische Ebene des Gesagten. Schritt für Schritt folgen in unterschiedlichen Tempi der »Gelehrte« und dann der »Forscher« dem »Weisen«. Die drei versammeln sich gemeinsam in seiner Rede und entsprechen einträchtig dem Zuspruch der Nähe. Etwaige Differenzen scheinen aufgelöst, zurück bleibt ein harmonischer Einklang, der ohne Misstöne auskommt. Die Nähe wird nun explizit im Gespräch vernehmbar und der Kreis der Unterredung scheint sich zu schließen. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich die ins Gespräch eingeführte Dissymmetrie als inszeniertes Kon154
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(V)Ergangene Geistergespräche
strukt entpuppt und nunmehr in der gewährenden Gunst der Versammlung eine wohlklingende Auflösung erfährt. Das Feldweg-Gespräch endet in einem finale furioso mit einem sich steigernden stichomythischen Stretto, in dem jeder der Gesprächsteilnehmer den noch unvollständigen Satz des Anderen ineinandergreifend vollendet und somit zu einem alles abschließenden Endpunkt gelangt. Sie haben sich »selbdritt« 19 in der Nähe eingefunden (GA 77, 156 f.): Der Weise: Für das Kind im Menschen bleibt die Nacht die Näherin. Sie nähert, so daß Stern bei Stern im stillen Licht erglänzt. Der Gelehrte: Sie fügt die Lichter ohne Naht und Saum und Zwirn zusammen. Der Forscher: Die Nacht ist die Näherin, die nähernd näht. Sie arbeitet nur mit Nähe, die das Ferne fernt. Der Gelehrte: Falls sie je arbeitet und nicht eher ruht – Der Weise: indem sie die Tiefen der Höhe erstaunt – Der Gelehrte: und im Staunen das Verschlossene eröffnet – Der Forscher: so wie das Warten die Ankunft verwahrt – Der Weise: wenn es ein gelassenes ist – Der Gelehrte: und das Menschenwesen dorthin vereignet bleibt – Der Weise: woher wir gerufen sind.
Das Gespräch erhält in diesem befremdlichen Zusich-Kommen eine heimelige Bleibe. Der Zuspruch wird in einer Identität des Vollzuges im Entsprechen geborgen, ohne dass der Stachel der Entfremdung vernehmbar ist. Das stets mögliche Misslingen vermag die responsive Kluft zwischen Anspruch und Entsprechen nicht mehr zu thematisieren. Das Feldweg-Gespräch ist in dieser Leseweise vergangen, es wohnt ihm keine offene Zukünftigkeit mehr inne, da sich aus diesem Sicheinfinden in der Nähe kein weiterer Anspruch ergibt. Es wird nämlich nicht ersichtlich, was aus dem Eingelassensein in einer Versammlung folgen soll und wo eine weitere Unterredung anknüpfen sollte. Es ist nichts mehr zu sagen, vielmehr scheint am Ende alles gesagt zu sein. In diesem Gelingen des Feldweg-Gesprächs jedoch scheitert das Unternehmen Heideggers, das Wort als – stets ungenügende – Antwort vernehmbar zu machen. Mit einem harmonischen Mitsein, in dem alle in etwas überein»Selbdritt« ist in erster Linie ein veraltetes Wort für »zu dritt«, legt aber Assoziationen zur christlichen Ikonographie (vgl. das beliebte Motiv »Anna selbstdritt« als Darstellung der heiligen Anna mit ihrer Tochter Maria und dem Jesusknaben) und einer unio mystica nahe.
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kommen und die offene Mitte selbst anwest, verspielt der Text mit seinem in sich vollendeten Schluss Einsichten in Hinblick auf ethische oder politische Implikationen der Responsivität. Heidegger weist zwar eine atomistische Vorstellung des Sozialen als eines nachträglichen Zusammenschlusses von Individuen zurück, forciert aber unter der Hand differenzlose Verschmelzungsvorstellungen aller Gesprächsteilnehmer zu einem Wir, ohne einer Möglichkeit diesseits der Dichotomie von nachträglich formierter Gesellschaft und immer schon (in etwas Vorliegendem) übereingekommener Gemeinschaft nachzugehen. Gerade das Gespräch würde sich anbieten, über die Weise des Übereinkommens der Teilnehmer nachzudenken. Wie sich diese Gemeinschaft »selbstdritt« versteht, bleibt in einer merkwürdigen Weise ausgespart, sodass sich diese Frage immer mehr als das Ungedachte des Textes in den Vordergrund drängt. Ein produktiver Umgang mit einer Phänomenologie der Responsivität müsste gerade aufzeigen, inwiefern sich Gemeinschaft nicht als homogene und in sich ruhende Ganzheit, sondern als »negative« versteht, in der die Differenz zwischen den Teilnehmenden in ihrer Gemeinschaftlichkeit nicht aufgelöst, sondern vielmehr gewahrt bleibt. Ausgehend von der Einsicht, dass die drei darin übereinkommen, dem Anspruch nie gänzlich entsprechen zu können, kann der Dringlichkeit nachgegangen werden, diesem Anspruch stets jeweilig anders nachkommen zu müssen. Vielleicht hat Heidegger selbst dieses Unzureichende verspürt. So verzichtet er ab Mitte der 1950er Jahre gänzlich auf die Dialogform als Textsorte und er schreibt auch nicht mehr an großen Konvoluten, sondern lediglich an kürzeren Texten, die er zu Sammlungen bündelt, insistiert jedoch stets mit Nachdruck darauf, dass seine Aufsätze und Vorträge in Aussagesätzen sprechen müssen, ohne darauf reduziert werden zu sollen. Sie müssen als offene Gespräche verstanden werden, die von der responsiven Differenz zeugen, die niemals von einem Gesagten eingeholt werden kann: »Es gilt, nicht eine Reihe von Aussagesätzen anzuhören, sondern dem Gang des Zeigens zu folgen.« (GA 14, 6) 20
Das Gespräch mit einem Gespräch ist zwar über weite Strecken allein am häuslichen Schreibtisch entstanden, nicht aber ohne mit anderen im Gespräch zu sein. Ihnen sei namentlich für Hinweise und Verbesserungen herzlich gedankt: Iris Laner, Gerhard Thonhauser, Alfred Dunshirn, Julia Niemann und Peter Trawny.
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III. Auseinandersetzungen: Stil in, mit und gegen Gemeinschaft
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»Gut ist es, an andern sich / Zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.«
1.
Das Stilproblem der zeitgenössischen Philosophie als Problem der Adressierung
In singulär plural sein, einem Buch, das sich selbst einer langen Auseinandersetzung mit Heideggers Denken verdankt, ortet Jean-Luc Nancy eine epochale Krise des Stils in der zeitgenössischen Philosophie, die eng mit dem Namen Friedrich Nietzsche verbunden ist. »Zumindest seit Nietzsche und aus den verschiedensten anderen Gründen, welche zu denen, die ich anspreche, noch dazukommen, ist die Philosophie mit ihrer ›Form‹, d. h. mit ihrem ›Stil‹, das heißt letztlich mit der Art, wie sie anredet [son adresse], im Unreinen.« 1 Ein gewichtiger Grund für dieses »epochale Versagen« der Continental Philosophy besteht für Nancy im Anschluss an Heidegger darin, dass die onto-theologische Verfassung der abendländischen Philosophiegeschichte seit Nietzsche höchst fragwürdig geworden ist. Gerade der klassisch-aristotelische Anspruch der Philosophie, eine Prinzipienwissenschaft zu sein, in der es um die Aufweisung der ersten und letzten Gründe (ἀρχή) zu gehen habe, aus denen heraus Seiendes entsteht, ist für Nietzsche inzwischen nicht nur fraglich geworden. Er ist entschieden dabei, ein für alle Mal unterzugehen. Damit stellt sich aber die Frage, worin denn der künftige Anspruch des Denkens nach ihm bestehen sollte? Wenn sein Name, wie er in Ecce Homo schreibt, in der Tat ein Schicksal markiert, in dem die überlieferte Geschichte des Denkens von Jahrtausenden aufgesprengt worden sein wird, 2 dann geht es beim Vollzug dieser kritischen Übergangsphase des Denkens offenkundig nicht nur um den epochalen Ausstieg aus dem Denken der Onto-Theologie, sondern wesentlicher noch um die De1 2
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Nancy, Jean-Luc: singulär plural sein. Berlin 2004, 13. Nietzsche, Friedrich: Ecce Homo (KSA 6, 255–374), hier: 365–374.
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Konstruktion eines neuen, im Erschaffen erst noch zu findenden Bilds des Denkens. Insofern sich ein solches Denken noch im dunklen Geburtsschoß eines erst im Kommen begriffenen Denkens aufhält, das es selbst noch gar nicht zu antizipieren, vorzustellen, auszumalen, sprich »zu denken« vermag, wird es sich notgedrungen suchend-versucherisch gebärden müssen; oft rat- und rastlos; in jedem Fall experimentell. Mehr ahnend als der Sache des Denkens selbst gewiss. Mit Bedacht hat Heidegger Nietzsche, im Zuge seiner Beantwortung der Frage »Was heißt Denken?«, daher als einen »der stillsten und scheuesten Menschen« (GA 8, 52) charakterisiert. 3 Setzt ihn diese Gemütsverfassung für Heidegger doch erst in die Lage, sich in eine Ent-sprechung (Homologie) zu dem begeben zu können, was unser Denken derzeit historisch in Anspruch nimmt: Den Entzug der Sache des Denkens zu erfahren und in seinem kritischen Potential zur Sprache zu bringen. Für eine ganze Weile wird der Stil eines solchen krisengeschüttelten Denkens also wohl verhalten, zögerlich, unsicher, zurückhaltend sein und damit jene Zeit einer zaudernden Weile durchschreiten, in der selbst die Continental Philosophy nicht mehr weiß, an wen sie sich wie zu wenden [son adresse] hat, wenn sie sich der Sache der Philosophie denkerisch zuwenden möchte. In ihr findet also jene epochale Adressierungskrise des Philosophierens statt, in der das Denken mit seiner Form und seinem Stil not-wendigerweise ins Unreine gekommen sein wird. Eine (poststrukturalistische) Krise des Denkens, die gerade jene am meisten trifft, denen das Denken der Philosophie immer noch am Herzen liegt und denen es daher auch heute noch Sorge bereitet, dass die Continental Philosophy orientierungslos geworden ist.
Kraft seines scheuen, stillen Wesens konnte Nietzsche das Bodenlose seiner Zeit denkerisch eben noch gewahren, auf das Europa geistesgeschichtlich zusteuerte. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Bruno Snell zur altgriechischen Bedeutung der Scheu: »Die αἰδώϚ (aidōs), die Scheu oder Scham, z. B. ist ursprünglich das Gefühl, das man vor dem Heiligen hat; religiöse Weihe hat etwa bei Homer die Ehrfurcht vor den Eltern, dem König, aber auch vor dem Bettler und dem Schutzsuchenden, die zwar rechtlos sind, aber unter der Obhut der Gottheit stehen. Aidōs ist aber auch die Rücksicht gegen den Gleichgestellten, säkularisiert sich schon und rührt so an das Gesellschaftlich-Höfliche. Da die Ehre so viel für die moralische Existenz bedeutet, ist der Respekt vor dieser Ehre, eben die Aidōs, ein mächtiger Pfeiler im Bau einer gesitteten Gesellschaft […]« (Snell, Bruno: Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen. Göttingen 2 2009, 162).
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2.
Die revolutionär-geschichtliche Denkfigur Heideggers als Antwort auf die Krise der zeitgenössischen Vervielfältigung des Referenten der Philosophie seit Nietzsche
Wenn im Folgenden die Frage nach dem Denkstil Martin Heideggers gestellt wird, dann wird diese Frage vor dem historischen Hintergrund der oben genannten Krise des Referenten im Kontext der zeitgenössischen Philosophiegeschichte gestellt. Und zwar darum, weil nicht nur das Denken von Nietzsche, sondern auch Heideggers Denken von der Erfahrung dieser epochalen »Sinnkrise« der Philosophie zutiefst betroffen war. Die revolutionäre Gebärde einer radikalen Rückführung eines inzwischen rat-, rast- und orientierungslos gewordenen Denkens in die Ermöglichung einer erneuten Erfahrung der uranfänglichen Sache des Denkens ist für den Stil seines Denkens so maßgeblich, dass es ihm erst einen bleibenden Grundzug und ein für es charakteristisches Gepräge verleiht. Immer wieder wird er von dieser Denkfigur einer neuen, radikalen Grundlegung des gesamten bisherigen Denkens der abendländischen Philosophiegeschichte heimgesucht, bis sie ihm zum bleibenden Motiv seines Denkens überhaupt wurde. – Wenn Jean-Luc Nancy in singulär plural sein selbst den Anspruch erhebt, »die gesamte ›prima philosophia‹ neu aufrollen zu wollen, indem er ihr das ›singulär Plurale‹ des Seins als Grundlegung gibt« 4 , dann wiederholt er in einer solchen Gebärde des Denkens nur die revolutionär-geschichtliche Denkfigur, die Heideggers eigenen Denkstil zeitlebens charakterisierte. Auch wenn Heidegger selbst Bedenken gegen den Begriff des Revolutionären geäußert hat: 5 Insofern er das bisher Gedachte der abendländischen Metaphysik qua Onto-Theologie auf einen gänzlich neuen Boden zu stellen trachtete, um es in ein seinserfahreneres Denken überzuführen, ist die Charakterisierung seines Denkstils als revolutionärgeschichtlich nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig. So dient ihm etwa die Destruktion der Geschichte der abendländischen Philosophie niemals bloß dazu, die historischen Ursprünge und entscheidenden Wegmarken dieser Geschichte am Leitfaden der Seinsfrage einfach ideengeschichtlich aufzuarbeiten. Auch in diesem Fall ist seine Intention vielmehr eine revolutionär geschichtliche, insofern es ihm dabei von vornherein um keine Renaissance eines irgendwann schon 4 5
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Nancy: singulär plural sein, 13. Vgl. GA 12, 123.
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einmal dagewesenen Denkens geht, sondern, ganz im Gegenteil, um die Stiftung eines künftigen Denkens, das es im Durchsprechen der geschichtlichen Überlieferung des abendländischen Denkens erst noch zur Entfaltung zu bringen gilt. – Und zwar im Zuge der Entdeckung des in ihr noch Ungedachten, d. h. denkerisch unentfaltet gebliebenen Erbes. Wenn Heidegger daher, und zwar schon in Sein und Zeit, eine wieder-holende Rückbesinnung auf die griechische Antike 6 fordert, dann besitzt eine solche Aufforderung für ihn von Anfang an einen vorläufig-vorbereitenden Charakter. Zielt die »Auflockerung der verhärteten Traditionen und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen« (SuZ 22; GA 2, 30) doch auf den Abbau geschichtlich-sedimentierter Verstellungen, der uns noch einmal in die Lage versetzen soll, die Nähe von Denken und Sein für uns neuerlich erfahrbar zu machen. Andererseits weist dieses revolutionäre Moment in Heideggers Denken zugleich ein geschichtliches Moment auf. Denn auch wenn die »am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie« (ebd.) letztlich auf die Ermöglichung einer erst im Kommen begriffenen Seinserfahrung hinausläuft, weist dieses Vorlaufen für Heidegger ebenso wesentlich einen rückbezüglichen Charakter auf. Kann diese Erfahrung einer denkerischen Nähe zum Sein-selbst (Seyn) für ihn bei uns künftig doch nur ankommen – und darin liegt gerade die eigentümliche Charakteristik seines Denkwegs als einer Antwort auf die Krise der Ratlosigkeit des zeitgenössischen Denkens seit Nietzsche –, wenn wir die uralten, archaischen Bestimmungen des Seins, wie sie uns vor allem in der Überlieferung des vorsokratischen Denkens heute noch entgegenkommen, neuerlich auf das in ihnen Ungedachte hin bedenken. Der revolutionär-geschichtliche Anspruch seines Denkens besteht folglich gerade darin, »das Gewesene ursprünglicher zurückzugewinnen« (GA 12, 123) als dies der Geschichte der abendländischen Philosophie aufgrund ihrer nichtursprünglichen Fragestellung, das Sein des Seienden, und nicht das des Seins-selbst zu befragen, bisher überhaupt möglich war. Wiederholen des Gewesenen meint daher nicht bloß »das gleichförmige
Die griechische Antike ist für Heidegger seinsgeschichtlich gedacht eben der Ort, an dem »die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden« (SuZ, 22; GA 2, 30).
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Anrollen des immer Gleichen, sondern: Holen, Einbringen, Versammeln, was sich im Alten verbirgt.« (GA 12, 124) Gerade die späte Kennzeichnung der Gangart seines Denkens als Schritt zurück wird zeigen, dass Heidegger diesen revolutionär-geschichtlichen Anspruch einer fundamentalontologischen Neubegründung der gesamten abendländisch-europäischen Philosophiegeschichte zeitlebens nie aufgegeben, sondern im Spätwerk nur noch weiter radikalisiert hat. Wird der Rückgang in den ersten Anfang des »vorsokratischen« Denkens diesen doch nicht einfach nur wiederholt, sondern in einen zweiten, anderen Neuanfang des Denkens überholt haben. Auch das Ereignisdenken weist folglich einen exzessiv-revolutionären Denkstil auf, dem es letztlich um die metonymische Supplementierung eines ersten durch einen zweiten Anfang geht.
3.
Nach Hegel, seit Nietzsche
Wenn Heideggers Stil zu denken mit dem Gang der abendländischen Geschichte der Philosophie aber nicht nur in einem äußerlich-akzidentiellen, sondern in einem sachlich-konstitutiven Bezug steht, dann können wir die historische Notwendigkeit einer neuen geschichtlichen Grundlegung der gesamten Philosophie vor ihm nur verstehen, wenn wir uns in der Tat auch auf die philosophiegeschichtlichen Grundlagen einlassen, die eine solche revolutionär-geschichtliche Geste des Denkens historisch gesehen überhaupt nötig zu machen schien. Der eine Name, an den diese Denkfigur philosophiegeschichtlich anknüpft ist Hegel. Der andere Nietzsche. Hegel, weil er den historischen Anspruch stellt, das gesamte abendländische Philosophieren vor ihm vollständig durchdacht und systematisch ins eigene Denken aufgehoben zu haben. Die entscheidende Gefahr, die für Heidegger von diesem Aufhebungsanspruch der Philosophie insgesamt ausgeht, liegt darin, dass die Geschichte des abendländisch-europäischen Denkens damit aufhört, weiterhin fraglich zu sein. Denn, wenn alles bisher Gedachte schon ins unbedingte Wissen der von Hegel vorgelegten Philosophie aufgehoben worden ist, scheint der Continental Philosophy nach ihm nichts grundlegend Fragwürdiges mehr an dieser Geschichte übrig geblieben zu sein. Ist die antike Liebe zur Weisheit aber erst einmal in die Wissenschaft der Logik aufgehoben worden, dann ist die klassische Philosophie damit notwendigerweise 162
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auch in ihre posthistorische Phase eingetreten. Ihr bleibt kein unverdauter Rest, der das Denken, wie Derrida womöglich sagen würde, als unheimlicher »reminder« weiterhin heimsucht und damit neuerlich ins Fragen stürzt. Daraus folgt aber auch, dass nun, nachdem die wesentlichen Fragen der abendländischen Philosophiegeschichte von Hegel schon systematisch beantwortet und ins Wissen gehoben worden waren, das Denken von Parmenides bis zu ihm hin offenkundig einer neuen revolutionären Grundlegung der Sache des Denkens insgesamt bedürfen würde, wenn ihm, dem Denken nach Hegel, noch einmal eine grundlegend neue Zukunft beschieden sein sollte. Fortan muss sich die Continental Philosophy also als epochales Vorspiel einer Philosophie der Zukunft begreifen, die es allererst zu erschaffen, d. h. denkend zu konzipieren gilt, wenn das Ende der Philosophie mit Hegel noch nicht erreicht worden sein sollte. Jetzt, nach Hegel, d. h. eben seit Nietzsche, gilt es per se in ein Kommendes hinaus zu denken, wenn noch einmal radikal-grundlegend gedacht, und das heißt im klassischen Sinne eben philosophiert werden sollte. Nicht umsonst betont Nancy in dem eingangs erwähnten Zitat also, dass die zeitgenössische Philosophie zumindest seit Nietzsche mit ihrer Form, mit ihrem Stil, mit ihrer inhaltlichen Bestimmung im Unreinen ist. Denn vor ihm, vor Nietzsche, ja fast gleichzeitig mit ihm, ist die Philosophie des Deutschen Idealismus im Gegenteil noch völlig unbekümmert davon ausgegangen, dass es Sache der Philosophie sei, Prinzipienwissenschaft zu sein. Ein Denken, bei dem es vor allem darum zu gehen habe, die Prinzipien des Seins, des Denkens, des Wollens, des Handelns, Gottes, der Welt, einer geglückten Lebensform etc. aufzuweisen. Für Hegel gibt es sie daher auch noch, die Philosophie, die Geschichte der Philosophie, das Denken, die Sache des Denkens, insofern all diese Gegenstände aus ein und demselben dialektischen Prinzip hervorgegangen sind und diesem Prinzip zeitlebens auch herrschaftlich unterworfen bleiben. In guter alter griechischer Manier denkt eben auch Hegel den Hervorgang von etwas noch als ein Werden, das von Beginn an (ἀρχή als Anfang/Beginn) von einem (ihm) inhärenten Prinzip reguliert wird (ἀρχή als herrschaftliches Regime), das nicht nur seine Entstehung, sondern auch seinen Werdegang samt seinem Ausgang, d. h. eben die ganze Dauer seiner Entwicklung, dialektisch bestimmt und durchherrscht. A
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Für Nietzsche hingegen ist gerade diese Art zu philosophieren endgültig dabei, unterzugehen. In dieser Hinsicht ist er in der Tat der Antipode Hegels par excellence. 7 Wir können, ja müssen die Zeitangabe der epochalen Denkfigur, die wir hier bedenken – und von der wir annehmen, dass sie den Stil von Heideggers Denken maßgeblich bestimmt –, daher im Folgenden genauer präzisieren und sagen: Das Dispositiv des Denkens, das die Notwendigkeit einer neuen, revolutionären Grundlegung der gesamten abendländischen Philosophie geschichtlich zu vollziehen trachtet, taucht nach Hegel, zumindest seit Nietzsche auf. Heideggers Art zu philosophieren findet maßgeblich im Dialog zwischen diesen beiden Denkern statt: Zwischen dem Ende der abendländischen Philosophie im Sinne ihrer Vollendung bei Hegel und der von Nietzsche begründeten Forderung nach einer neuen Philosophie der Zukunft, in der es zu einer radikalen Neubegründung des gesamten bisherigen Denkens gekommen sein wird. Indem Heideggers Denken zwischen diesen beiden Dispositiven hin und her pendelt, findet es erst in seine ihm eigene historische Grundstellung: Ein Denken zu sein, das so in den Anfang der abendländischen Geschichte des Denkens zurückdenkt, dass dieses Zurückdenken immer entschiedener den Charakter eines Vordenkens in ein künftiges Denken angenommen haben wird, in welchem der erste Anfang der Philosophie verwandt-verwandelt, in ein künftiges Denken des Seins-selbst (Seyn) überholt worden sein wird. Der Schritt zurück in den ersten Anfang der abendländischen Geschichte der Philosophie wird ihm damit zugleich ein fundamentaler Schritt nach vorn in ein kommendes Seynsdenken, das es eben nur geben wird, wenn das Andenken an den ersten Anfang der abendländischen Philosophie radikal genug vollzogen wird. In der Forderung nach diesem Schritt zurück unterscheidet sich das Denken Martin Heideggers in etwa entschieden vom Denken Nietzsches. Beide denken zwar in ein Künftiges hinaus, das es zu bedenken gilt, wenn dem Anspruch ihrer Philosophien gefolgt wird. Aber nur Heideggers Denken der künftigen Sache des Denkens verdankt sich dem Vollzug eines radikalen Andenkens. Dagegen ist für Nietzsche das Vorspiel seiner Philosophie der Zukunft nicht unweigerlich an die Notwendigkeit eines solchen historischen Schritts zurück gebunden. Und das vor allem darum, weil die Worauf vor allem Deleuze in seiner Nietzsche-Lektüre wiederholt hingewiesen hat (Deleuze, Gilles: Nietzsche und die Philosophie. Frankfurt am Main 1985).
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Continental Philosophy seit ihm in der Tat nicht mehr vorgibt, zu wissen, was das sein sollte, die Philosophie. Ja, ob es sie, die Philosophie, denn überhaupt auch nur geben sollte? Denn die Vermutung lässt sich für Nietzsche nicht mehr von der Hand weisen, dass die Rede von der Philosophie eine spezifisch platonische Erfindung der Philosophiegeschichte gewesen ist, die sich ganz simpel dem übermäßigen Gebrauch des bestimmten Artikels verdankt. Eine Finte der Sprache, die es Platon schließlich erlaubt hat, alle Wörter zu substantivieren – auch Verben, Adjektive, Adverbien etc. –, wodurch sich die Eigenart seiner Art zu philosophieren eben gerade dadurch auszeichnet, dass von nun an alles der Einheit einer einheitlichen substantivierten Begriffsperspektive unterworfen werden konnte. Seit ihm ist es möglich, das »Und«, das »Ist«, das »Denken«, das »Dass« zu sagen und diese Aussageweise gerade als diejenige Form der Anrede zu deuten, die es vermag, die Sache selbst, ihr An-sich, ihr Wesen, ihre Idee, ihre formale Selbstidentität mit sich selbst zur Sprache zu bringen. Wäre diese grammatikalische Auslegung der platonischen Philosophie rechtens, eine Auslegung, die dem Altphilologen Nietzsche qua Profession besonders nahe liegen musste, 8 dann wäre die Formulierung »die Philosophie« offenkundig immer schon Zitat einer bestimmten, nämlich platonisch gefärbten Tradition des Philosophierens – und folglich gerade kein Zitat mehr der Philosophie schlechthin. Wenn wir im Anschluss an Nietzsche also Formulierungen wie »die Philosophie« verwenden – und offensichtlich gebrauchen auch wir heute noch solche Formulierungen –, dann sollten sie von uns, nach ihm, von nun an aber zumindest unter Anführungszeichen gesetzt, und damit ihrer eindeutigen begrifflichen Schärfe und Führerschaft beraubt werden. Sind doch gerade solche Formulierungen höchst bedenklich, insofern sie »verbale« Einheiten konstruieren, die notwendigerweise Vieles ausschließen, abwehren und verdrängen müssen, um überhaupt zur homogenen Einheit eines einheitlichen Begriffs von einer Sache zu kommen. Gerade die Skepsis gegenüber der suspekt gewordenen Einheit des Begriffs, 9 der Vieles verbergen muss, um als Einheit in Erscheinung treten zu können, hat jene anti-platonistische Wende in der zeitgenössischen PhiVgl. Snell: Die Entdeckung des Geistes, 205–218. Zum begrifflichen bzw. metaphorischen Wahrheitsbegriff bei Hegel und Nietzsche vgl. Böhler, Arno: »Tanzende Metaphern«. In: Sophia Panteliadou, Elisabeth Schäfer (Hg.): Gedanken im freien Fall. Vom Wandel der Metapher. Wien 2011, 130–154.
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losophie bewirkt, die Platon seiner klassischen Themenführerschaft beraubt und Nietzsche an seine Stelle gesetzt hat. Vor allem poststrukturalistische Philosophien sind in seiner Nachfolge seit geraumer Zeit darauf bedacht, Redewendungen wie »die Philosophie«, »die Kunst«, »die Religion«, »das Denken« als Tropen der Sprache lesen zu lernen, deren Gebrauch nur noch im metaphorischen Sinne Sinn macht: Als mehr oder weniger brauchbare Metaphern, die in ihrer Vielsinnigkeit und kontextuellen Vieldeutigkeit an sich den komplexen Sinn solcher simplen Zuschreibungen aber bei weitem übertreffen. Spätestens seit Nietzsche ist die klassisch platonische Weise des Philosophierens also zu einem Diskurs unter vielen geworden; und dazu noch zu einem höchst fragwürdigen. 10 Nun ist die Philosophie aber nicht grundsätzlich tot, wenn die Philosophie Platons abgeschafft wird. Ganz im Gegenteil. Gerade dann, wenn sich die Philosophie von Platon befreit, werden die Philosophien, die von Platon bisher verdrängt wurden, noch einmal fragwürdig. Die Frage eines künftigen Denkens stellt sich für Nietzsche daher in etwa in folgender historischer Form: Welches Denken geht zu Ende, wenn die platonische Fiktion des Denkens in homogenen Begriffsschemata einst als Fabel entlarvt worden sein wird? Was heißt dann denken? Was heißt dann Philosophie? Was wird dann die Sache des Denkens geworden sein? Wird es dann überhaupt noch eine Sache des Denkens geben? Wird ein solches Denken überhaupt noch Philosophie sein? – – – Gera»Vorausgesetzt, dass die Wahrheit ein Weib ist –, wie? ist der Verdacht nicht gegründet, dass alle Philosophen, sofern sie Dogmatiker waren, sich schlecht auf Weiber verstanden? dass der schauerliche Ernst, die linkische Zudringlichkeit, mit der sie bisher auf die Wahrheit zuzugehen pflegten, ungeschickte und unschickliche Mittel waren, um gerade ein Frauenzimmer für sich einzunehmen? Gewiss ist, dass sie sich nicht hat einnehmen lassen: – und jede Art Dogmatik steht heute mit betrübter und muthloser Haltung da. […] Ernstlich geredet, es giebt gute Gründe zu der Hoffnung, dass alles Dogmatisiren in der Philosophie, so feierlich, so end- und letztgültig es sich auch gebärdet hat, doch nur eine edle Kinderei und Anfängerei gewesen sein möge […].« (Nietzsche, Friedrich: Jenseits von Gut und Böse [KSA 5, 11–243], 11) Wenn die Wahrheit »zum Weib« wird, dann, so lautete schon die Analyse Derridas, vervielfältigen sich nicht nur die inhaltlichen Perspektiven auf »die« Wahrheit, sondern gerade auch die Stile und Formen ihrer Darstellungsweisen. Vgl. dazu Derrida, Jacques: »Sporen. Die Stile Nietzsches«. In: Werner Hamacher (Hg.): Nietzsche aus Frankreich. Berlin / Wien 2002, 183– 224 sowie das FWF-Forschungsprojekt (TRP12-G21) Generating Bodies – Philosophy On Stage #3, in dem es um die konkrete Erprobung solcher neuen Stile des Philosophierens im Kontext von arts-based-research geht: http://homepage.univie.ac.at/arno.boehler/php/?p=3361. 10
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de die Dekonstruktion des abendländischen »Idealismus« wird Nietzsche so zum Versprechen einer ganz anders gearteten Philosophie der Zukunft, die nicht mehr beanspruchen wird können, die Philosophie schlechthin zu sein, aber auch nicht aufgeben wird, auf ihre tropische Art und Weise weiterhin zu philosophieren. 11 Es ließen sich noch viele andere Einwände gegen die begriffslogische Bestimmung des Denkens von Nietzsche her vorbringen: – Dass es sich bei Begriffen im Grunde bloß um geschichtlich generierte Konstrukte handelt. – Dass die Wissenschaft der Logik (episteme logike) 12 die Weiße Mythologie 13 der Moderne darstellt. – Dass die Erkenntnistheorie selbst noch Ausgeburt eines mächtigen Affekts ist. – Ja, dass selbst die »unerschütterlichen« Gesetze der Logik, Mathematik und Geometrie in spezifischen Formen des Begehrens gründen, die nach bleibenden Wahrheiten, sprich nach Sicherheiten und Gewissheiten verlangen; u. v. m. Dieser kurze Abriss möglicher Einwände gegen die klassische Form, idealistisch zu philosophieren, möge genügen, um aufzuzeigen, dass die zeitgenössische Philosophie, zumindest seit Nietzsche, in der Tat in ein radikales Adressierungsproblem geraten ist. Seitdem er die Weltbühne des abendländischen Denkens betreten hatte und ihm die Geschichte idealistischer Philosophien zu einer bloßen Fabel der Wahrheit geworden war, scheinen nicht einmal mehr die großen Denker der abendländischen Philosophie zu wissen, was dem Philosophieren jetzt – nach Hegel, seit ihm –, jetzt, wo es sich schon lange in seiner postphilosophischen Phase befindet, überhaupt noch zu denken, zu philosophieren, zu begreifen aufgegeben ist? Auch für Nietzsche ist die idealistische Geschichte der abendländisch-europäischen Philosophie von Parmenides über Platon bis Hegel epochal betrachtet also zu Ende. Aber nicht mehr im Sinne von Hegel, der sie vollendet hat, sondern im Sinne des Übergangs in eine vage Zukunft des Denkens, deren zaudernde Weile teils zögerlich, scheu, verhalten, dann wieder manisch, kriegerisch fordernd angedacht und vorbereitet wird. Zum Verhältnis von Philosophie und Nicht-Philosophie in einer solchen geistesgeschichtlichen Verfassung vgl. Friedrich Balke, Marc Rölli (Hg.): Philosophie und Nicht-Philosophie. Bielefeld 2011. 12 Vgl. GA 55, 213. 13 Vgl. Derrida, Jacques: Randgänge der Philosophie, Wien 2 1999, 229–290. 11
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Wenn Nancy betont, dass die Figur einer neuen Grund-legung der abendländisch-europäischen Geschichte der Philosophie insgesamt nicht dem Anspruch eines Autors, sondern »vielmehr der Notwendigkeit der Sache selbst wie auch der Notwendigkeit unserer Geschichte« 14 entspricht, dann darum, weil es offenkundig eben gute historische Gründe gibt, mit ihr, der Geschichte der abendländischen Philosophie, ins Unreine gekommen zu sein. Seit Nietzsche scheint die Erfahrung dieser Ungereimtheit im Denken der abendländischen Metaphysik nahezu einem Adelsprädikat des Denkens gleich zu kommen. Und so ist es nur ein Zeichen der Wahrhaftigkeit und des Edelmuts, wenn wir nach ihm noch eine ganze Reihe anderer maßgeblicher Denker im 19. und 20. Jahrhundert finden, die im Kontext der Continental Philosophy je auf ihre Weise das Ende der abendländisch-europäischen Geschichte des Philosophierens ausgerufen haben. Es genügt, neben Nietzsche und Heidegger an Namen wie Marx, Husserl, Wittgenstein oder Derrida zu erinnern. Vermutlich macht die Rede vom Ende der Philosophie, von der Krisis der europäischen Wissenschaften und dem Elend der Philosophie gerade mit die seismographische Größe dieser Denker aus, insofern sie die Notwendigkeit erlitten haben, inmitten der von Europa ausgehenden Katastrophen des 19. und 20. Jahrhunderts dem europäischen Denken, zumindest so, wie es bisher vollzogen wurde, ein Ende zu bereiten. Inmitten einer solchen historischen Situation, in welcher der europäische Geist durch zwei Weltkriege schlussendlich völlig entblößt am Boden liegt – nicht mehr wissend, was es jetzt noch heißen sollte, zu denken –, angesichts eines solchen weltgeschichtlichen Dispositivs wundert es nicht, dass auch Heidegger seine Vorlesungen, Vorträge und Aufsätze nach dem zweiten Weltkrieg, in dem er selbst historisch irre ging, gerne mit Titeln versehen hatte, wie – Was heißt denken? Was ist das – die Philosophie? Zur Sache des Denkens etc. Offenkundig ortet auch er, und gerade er, in diesen Schriften weiterhin ein kardinales Adressierungsproblem in der zeitgenössischen Geistesgeschichte; machen solche Fragen doch nur Sinn, wenn nicht mehr eindeutig klar zu sein scheint, was das heißt, denken?; was das ist, die Philosophie?; wohin man sich wie zu wenden hat, wenn man sich der Sache des Denkens 14
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Nancy: singulär plural sein, 13.
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zuwenden möchte? – Wenn aber selbst die größten Denker des Abendlandes nicht mehr sicher sind, was sie eigentlich tun, wenn sie denken, dann scheint der Untergang des Abendlandes, zumindest was seine geistesgeschichtliche Verfassung angeht, in der Tat schon eine beschlossene Sache zu sein, die historisch gesehen endgültig besiegelt ist: Die Zeit der Continental Philosophy ist zu Ende. Punkt. Es passt nur allzu gut in das Bild dieser philosophiegeschichtlichen Rahmenerzählung, dass auch Gilles Deleuze und Felix Guattari, den Faden von Heideggers Frage – Was ist das, die Philosophie? – aufnehmend, sich noch am Ende des 20. Jahrhunderts fragen: Qu’est-ce que la philosophie? Die Frage bleibt, auch wenn sich die Tonart der Fragestellung seit Heidegger inzwischen maßgeblich verändert hat. Betonen sie doch beide, dass solche Fragen an eine bestimmte Lebensphase gebunden sind. Sie stellen sich erst und nur dann, wenn »das Alter naht« 15 . Diese Zeitbestimmung ist Fragen dieser Art nicht äußerlich. Beide, Deleuze und Guattari, sind vielmehr fest davon überzeugt, dass der Stil einer Frage wie Qu’est-ce que la philosophie? Was ist das, die Philosophie? durchaus ein sicheres Indiz dafür ist, dass die Philosophie soeben dabei ist, alt zu werden. – Dass sich hier etwas erschöpft und seinem Ende zuneigt. – Dass das Ende schon fast da ist. Es fehlt nicht mehr viel, dann wird es mit ihr, der Continental Philosophy, zu Ende gegangen sein. Jetzt ist es aber noch nicht soweit. Noch ist sie nicht ganz am Ende. Noch nicht, aber schon bald. Bald wird sie diese Grenze überschritten haben. Sie hat sie schon fast ganz überschritten, aber noch nicht ganz, noch liegt sie im Sterben. Wenngleich ihr Tod schon absehbar ist, ist sie noch am Leben. Aber bald, sehr bald, wird sie tot, wird sie gewesen sein. Bald, sehr bald, bientôt. Qu’est-ce que la philosophie? »Es ist dies eine Frage, die man in einer verhaltenen Erregung stellt, gegen Mitternacht, wenn es nichts mehr zu fragen gibt.« 16 Jedenfalls spät, in einem vertraulichen Rahmen. Unter Freunden, am besten unter Freunden der Philosophie. Jetzt, nachdem man ein Leben lang philosophiert hat, kurz bevor eine solche Lebensform ihr Ende erreicht hat, jetzt drängt es einen zu fragen, noch einmal, ein allerletztes Mal: Was ist das, die Philosophie? Eigentlich impliziert die Art und Weise dieser Anrede für Deleuze und Guattari schon, dass wir damit fragen: Was war das, die Philosophie? 15 16
Deleuze, Gilles; Guattari, Felix: Was ist Philosophie? Frankfurt am Main 1996, 5. Ebd. A
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Auch die abendländische Philosophie, vielleicht sogar die abendländische Kultur insgesamt, muss offenkundig sehr alt geworden sein, wenn sie beginnt, mit ihrem Denken nur noch um sich selbst zu kreisen: Um ihre eigene Geschichte, um das, was sie war, in ihren Anfängen, damals, als sie entstanden ist, bei den Griechen. Aber auch damals, als sie noch in der Blütezeit stand, im Deutschen Idealismus. Solche Fragen sind ihrer Form nach per se nostalgisch. Die hohe Zeit des abendländischen Denkens ist vorbei, wenn sie gestellt werden. Wir, die wir seit Nietzsche kommen, wir kommen also schon zu spät für sie. Wir können nur noch wehmütig zurückschauen und reumütig eingestehen, dass sich die Continental Philosophy inzwischen historisch überlebt hat. Genau betrachtet befinden wir uns heutzutage selbst gar nicht mehr ganz in ihr, sondern, zumindest partiell, außer-halb von ihr. Gerade darum sind wir heute in der Lage, auf sie zurückzuschauen. – – – Seltsame Logik einer partiellen Zugehörigkeit zu etwas, dem man nicht mehr ganz zugehört, und mit dem man doch noch nicht ganz fertig geworden ist. Man philosophiert noch irgendwie abendländisch-europäisch, und doch nicht mehr ganz. Zumindest nicht mehr so wie damals, als die Deutschen Idealisten die Ganzheit der Welt systematisch bedachten und die Geschichte der Welt in der Geschichte des Denkens kulminieren ließen. Man denkt noch, gewiss, das lässt sich nicht bezweifeln, aber so, als ob man im Vorhinein schon wüsste, dass dieses Denken, das einst die Philosophie ausgemacht hat, eben schon fast, d. h. schon in Bälde zu Ende gegangen sein wird. Man philosophiert permanent angesichts des drohenden Todes der abendländischen Philosophie in und aus einer lebensbedrohlichen Lebenslage heraus. Damit wird für Deleuze und Guattari erst jener Todpunkt von »Nicht-Stil« 17 und Nüchternheit des Philosophierens erreicht, der einen schließlich sagen heißt: Das war die Philosophie, das war das, was wir zeitlebens gemacht hatten, als wir noch philosophierten … – Fast schon im Jenseits der Philosophie angelangt, werden wir uns schon bald, bientôt, drüben, in ihrer posthistorischen Phase befinden. Am besten, wir lassen ihr ihren Frieden. »Zuvor stellte man sie, man stellte sie immer wieder, allerdings allzu mittelbar oder schief, allzu künstlich, all zu abstrakt, man legte sie dar, man beherrschte sie eher im Vorübergehen, als daß man sich von ihr mitreißen ließ. Man war noch nicht nüchtern genug. Man hatte allzugroße Lust daran, Philosophie zu betreiben, man fragte sich nicht, was sie war, es sei denn in Stilübungen; man war noch nicht an jenen Punkt von NichtStil gelangt, an dem man schließlich sagen kann: Was war das denn nun, was ich während meines ganzen Lebens gemacht habe?« (Ebd.)
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Die historische Situation, in der die Philosophie ihrer Melancholie freien Lauf zu lassen scheint, ähnelt sehr der Āngiras-Legende im Ṛg Veda, dem ältesten aller Veden. Der Mythos sagt, dass in einer NahtodErfahrung, indem das eigene Überleben auf dem Spiel steht, das Wiederaufgehen einer kommenden Morgenröte nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann, wie wir das vorher alltäglich ganz selbstverständlich anzunehmen gewohnt waren. Wissen wir in einer so prekären Lebenslage, in der wir im Sterben liegen, doch nicht mehr, ob uns überhaupt noch ein Morgen beschieden sein wird. Jetzt, wo der Untergang der abendländischen Philosophie besiegelt ist, muss eine kommende Philosophie offenkundig erst grundlegend beschworen werden, um ihr, gegen Mitternacht, wie Deleuze und Guattari schreiben, ihr Überleben, ihre Rückkehr in einem kommenden Morgen zu sichern, aus dem sie, den Gezeiten des Seins entkommend, schon bald, bientôt, wieder auftauchen wird … »Tôt«, schreibt Derrida, fungiert im Französischen als Zeitadverb. Es nennt die Vorzeitigkeit, »das Auf-dem-Sprung-sein, die Überstürzung, die Hast oder das unmittelbare Bevorstehen, der Vorsprung (avance), den ein ›bald‹ scheinbar bedeutet, es ist nicht sicher, daß er uns die Zeit des Futurs gibt« 18 . Schon sehr bald wird die Philosophie gewesen sein. Es fehlt nur noch die Ausstellung ihres endgültigen Totenscheins, der ihren Tod für definitiv erklärt. Es sind nicht mehr Viele, fürwahr, die eine solche Erklärung überhaupt noch brauchen. Und die Wenigen, die heute noch nach ihr verlangen, werden nach einer gewissen Trauerarbeit gewiss schon bald anerkennen, dass es an der Zeit ist, diese Tatsache in ihrer Tatsächlichkeit in naher Zukunft auch tatsächlich zu akzeptieren. Es wird noch ein wenig dauern, gewiss, bis auch sie mit dem Tod der Philosophie endgültig fertig geworden sein werden. Aber mit der Zeit wird auch dieser letzte Akt in der Sterbephase der Continental Philosophy affektiv anerkannt und ihr Tod »re-signiert« 19 worden sein. Auch das Denken dieser Spätlinge wird sich dann dem Diktat unserer Zeit gefügt und das Denken seiner zeitgenössischen Bestimmung, technologisch verwertbar zu sein, unterstellt haben. Das Philosophieren hat dann
Derrida, Jacques: Berühren, Jean-Luc Nancy. Berlin 2007, 21. Böhler, Arno: »Politiken der Re-Signation: Derrida – Adorno«. In: Eva L.-Waniek, Erik M. Vogt (Hg.): Derrida und Adorno. Zur Aktualität von Dekonstruktion und Frankfurter Schule. Wien 2008, 167–188.
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zwar aufgehört, Selbstzweck eines müßig-gehenden Denkens zu sein. Aber auch sie werden dann eingesehen haben, dass ihr Denken dadurch nicht ärmer, sondern nur reicher, nützlicher, für den Fortschritt der Wissenschaften und der Menschheitsgeschichte insgesamt brauchbarer, verwertbarer, fruchtbarer, praktischer geworden ist.
5.
Der Rückfall: Martin Heidegger
Wenn wir den Stil von Heideggers Denken bestimmen möchten, dann sind die bisher getroffenen Unterscheidungen in Bezug auf die geschichtliche Verortung seines Denkens für dieses Vorhaben nicht nebensächlich, sondern geradezu entscheidend. Bildet sich der für sein Denken charakteristische Denkstil doch allererst im Zuge der Ausbildung einer für sein Denken charakteristischen Grundhaltung zum Ganzen der abendländischen Philosophiegeschichte aus. Dass er nach Hegel, seit Nietzsche denkt, ist für sein Werk geradezu konstitutiv. Empfängt es doch allererst im Durchdenken der abendländisch-europäischen Philosophiegeschichte das fragliche »Objekt«, das es nach ihm zu vernehmen gilt: Die Seinsfrage als das, was am Ende der Geschichte der Continental Philosophy immer noch fragwürdig geblieben ist. Trotz Hegel, trotz Nietzsche. – Denn ganz im Unterschied zu Hegel, zu ihm, der das Ganze der abendländisch-europäischen Geschichte der Philosophie systematisch aufgehoben hat –, denn ganz im Unterschied zu Nietzsche, zu ihm, der sie systematisch aufgesprengt hat, ist Heidegger exakt jener Denker, der die Continental Philosophy noch einmal systematisch bedenken möchte. Das Spezifische seines Modus zu denken, so lautet die Grundthese dieses Aufsatzes, beruht gerade darin, dass ihm die Geschichte der abendländischen Philosophie insgesamt, und zwar jetzt, nachdem sie schon an ihr Ende und in das Selbe gekommen war, nach Hegel, nach Nietzsche, inmitten ihrer postphilosophischen Phase, in der sie schon totgesagt war, noch einmal grund-legend frag-würdig wird. Der Name Heidegger steht geradezu exemplarisch dafür, dass er derjenige Denker ist, der die Continental Philosophy vor ihrem Verenden retten wollte. – Verenden in dem emphatischen Sinne, dass hier etwas gerade dabei ist, zu früh für tot erklärt zu werden, noch bevor es die Wesensmöglichkeiten seiner uranfänglichen Bestimmung historisch ganz zur Entfaltung bringen konnte. Heidegger macht, indem er die Rede vom Ende der Philosophie nicht mehr mit einem finalen Schluss172
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punkt, sondern einem Fragezeichen enden lässt, die Definitiverklärung ihres Totenscheins also noch einmal rückgängig: Heidegger: »Die Philosophie ist zu Ende? So scheint es. Womöglich noch lange. Aber, – – –?«
Dieser Einwand – der die Tatsächlichkeit der Tatsache »die Philosophie ist zu Ende« (GA 16, 672) aufschiebt, indem er die konstatierende Aussage, die Philosophie ist tot, durch ein abschließendes Fragezeichen möglicherweise zu einer bloßen Fiktion erklärt –, eröffnet Heidegger erst die für sein gesamtes Denken charakteristische Grundstellung zum Ganzen der abendländischen Geschichte der Philosophie. Er, so könnten wir die Sache zuspitzen, definiert sich quasi selbst durch dieses Fragezeichen, samt den dazugehörigen Gedankenstrichen, die ihm Platz für ein historisches Innehalten bieten, indem ihm diese Geschichte noch einmal fragwürdig wird. So wie Heidegger denken, das würde folglich heißen: Am Ende der Geschichte der abendländisch-europäischen Philosophie, inmitten der posthistorischen Phase der Continental Philosophy, das Ganze derselben noch einmal, noch ein allerletztes Mal, zur Frage erheben und damit neuerlich denkwürdig werden lassen: Qu’est-ce que la philosophie? Was wird das gewesen sein, die Philosophie? Einst … … … Fraglich wird uns die abendländische Philosophie auf ihrem abendlichen Gang gegen Mitternacht für Heidegger aber nur dann, wenn die Continental Philosophy auf dem Feldweg des Denkens noch einmal den Anspruch vernimmt, der dem Denken seit jeher am Herzen lag: Zu sagen, was es heißt, (zu) sein? Indem wir in das schlichte Wesen dieses einfachen Anspruchs 20 zurückfinden, lernen wir für ihn noch einmal ursprünglich zu philosophieren. – – – Ein solches Erlernen der Fragwürdigkeit des Seins ereignet sich für Heidegger aber kraft des Vollzugs jener Geste des Denkens, die er in seinem Spätwerk als Schritt zurück charakterisiert hatte, in der
»Jeder Ansatz jeder Frage hält sich«, wie es in Unterwegs zur Sprache heißt, aber »schon innerhalb der Zusage dessen auf, was in die Frage gestellt wird. Was erfahren wir, wenn wir dies genügend bedenken? Daß das Fragen nicht die eigentliche Gebärde des Denkens ist, sondern – das Hören der Zusage dessen, was in die Frage kommen soll.« Demnach bestimmt sich der Stil seines Denkens also ausdrücklich von dem her, »was das Denken zu denken hat«. (GA 12, 165)
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sein frühes Denken einer fundamentalontologischen Neubegründung der bisherigen Philosophie insgesamt erst in ihre geschichtliche Konkretion gefunden hatte.
6.
Der Schritt zurück vor dem Ende der Philosophie
Da es sich beim Schritt zurück um nichts Geringeres handelt als um die konkrete Einlösung des historischen Anspruchs, die Neubegründung der gesamten bisherigen Philosophie in der Tat zu leisten, findet die für Heideggers Denken von früh an charakteristische Denkfigur einer revolutionär-geschichtlichen Grundlegung des gesamten bisherigen Denkens erst im Vollzug dieses Schritts zurück in ihre konkrete inhaltliche Bestimmung und philosophiegeschichtliche Konkretion. Um die innere Gliederung der Einheit dieser historischen Denkbewegung nicht aus dem Blick zu verlieren, möchte ich die Gangart dieses Schritts im Folgenden summarisch in sieben Aspekten abrissartig skizzieren: 1. Aspekt: »Schritt zurück« charakterisiert den Modus einer Denkbewegung, in der wir vor dem Ganzen der abendländischen Geschichte des Denkens so zurücktreten, dass eine Kluft zwischen uns und dem in dieser Geschichte Gedachten aufklafft, die uns in eine entscheidende Distanz zu ihr treten lässt. – Und zwar so, dass das in ihr Gesagte für uns, im Austragen und Innehalten dieser epochal aufklaffenden Wunde, die durchwegs chaotisch anmutet, noch einmal grundlegend fragwürdig wird. 2. Aspekt: »Schritt zurück« weist im historischen Sinne auf die Notwendigkeit einer philosophiegeschichtlichen Rückbesinnung auf das vorsokratische Denken und die in ihm angedachte ursprüngliche Sache des Denkens zurück, die uns nichts anderes zu bedenken heißt, als zu fragen, was es heißt, (zu) sein? Da Heidegger dieser frühen Epoche eine für alles nachkommende Denken grundlegende Nähe zum Seinsdenken zubilligt, dient sie letztlich der Wiedererweckung der ursprünglichen Seinserfahrung im gegenwärtigen Denken durch die Wiedererinnerung an die antike Ontologie, in der das Philosophieren noch ein Denken des Seins war, weil es noch in der Nachbarschaft zum Sein zu wohnen wusste. 3. Aspekt: »Schritt zurück« heißt im Anschluss an die beiden oben genannten Aspekte: Rückgewinnung der Bodenständigkeit der derzeit im Bodenlosen taumelnden Continental Philosophy. Im Zuge der his174
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torischen Rückbesinnung auf die antiken Ursprünge des abendländischen Denkens soll dem zeitgenössischen Denken noch einmal die ursprüngliche Sache des Denkens zur Kenntnis gebracht werden. Der »Schritt zurück« wird damit zu einer sachlichen und nicht nur philosophiehistorischen Wiedererinnerung an die ursprüngliche Sache des abendländisch-europäischen Denkens. Im fragenden Innehalten vor ihr, d. h. im beharrlichen Austragen der Seinsfrage, bildet Heidegger erst den für ihn charakteristischen Denkstil aus. 4. Aspekt: Der »Schritt zurück« nimmt im Fragen der Seinsfrage nun mit Entsetzen wahr, dass die Entwicklung der abendländischen Geschichte des Denkens insgesamt einer ruinösen Verfallstendenz folgt, die gegenwärtig ins Bodenlose des europäischen Nihilismus mündet. Je länger diese Geschichte andauerte, umso unbedachter wurde sie in Hinblick auf ihre antike Bestimmung, ursprünglich als Denken des Seins gedacht worden zu sein. Es ist offenkundig, dass dieser ruinöse Aspekt das Bedrohlichste, Unheimlichste, Bedenklichste und Fragwürdigste der historischen Denkbewegung ausmacht, die im »Schritt zurück« geschichtlich vollzogen wird. Stellt sie doch geradezu die gegenläufige Bewegung zu jener dar, die Heidegger selbst im Zuge der Seinserinnerung initiieren möchte. Erst wenn wir die historische Spannweite dieser beiden gegenläufigen Bewegungen ermessen, vermögen wir die geschichtliche Dimension der Seinsfrage abzuschätzen. 5. Aspekt: Der »Schritt zurück« in das Bedenken des unbedachten Vorgehens der Continental Philosophy wird Heidegger nun zum denkenden Widerstand gegen die Seinsvergessenheit unseres Zeitalters. Das Fragen der Seinsfrage nimmt damit notwendig einen revolutionärgeschichtlichen Charakter an. Es wird zum Ereignis einer geschichtlichen Rückholaktion eines seinsvergessenen Zeitalters in ein seinserfahreneres. 6. Aspekt: Im beharrlichen Ausdauern im Unbedachten der Seinsfrage, die Heidegger inzwischen zu einer historischen Notwendigkeit geworden ist, von der er sich eine geistesgeschichtliche Regeneration der gesamten abendländischen Kulturgeschichte erwartet, kommt der »Schritt zurück« zur Ruhe. Heideggers Denken wird nun bodenständig und sesshaft, indem er im Fragen dieser Frage inne hält. Je länger, je nachhaltiger, je intensiver er sie ausbrütet, je gründlicher er sie wiederholt, inständig überprüft, wieder und immer wieder überdenkt, auf sie zurückkommt, sie fragend offen hält, um so entschiedener bringt er den Modus zum Austrag, der sein Denken insgesamt charakterisiert: Eine A
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historisch notwendig gewordene Neubegründung des gesamten abendländisch-europäischen Denkens zu leisten. 7. Aspekt: Der »Schritt zurück« nimmt damit letztlich futurale Züge an. Da die historische Rückholaktion der Continental Philosophy in ein uranfängliches Seinsdenken zwar seit langem schon ansteht, die geschichtliche Realisation derselben derzeit aber noch aussteht, kann Heidegger eine solche Denkungsart erst andenken und vorbereiten. Einerseits, indem er das Andenken der vorsokratischen Zeit hochhält. Andererseits, indem er selbst die Möglichkeit eines kommenden Denkens andenkt, das es künftig bleibend im Gedächtnis zu behalten gilt. In diesem letzten, siebten Aspekt, nimmt Heideggers Denken unweigerlich den »spekulativen« Charakter eines Gedächtnisses der Zukunft 21 an, das stets in Erwartung eines erst im Kommen befindlichen Denkens begriffen ist, das es gegenwärtig im eigenen Denken allererst auszubrüten gilt. Wenn er die grundlegende Haltung eines solchen Denkens, wie es im »Schritt zurück« revolutionär-geschichtlich vollzogen wird, in seinen späten Schriften als Modus des Wartens bestimmt, 22 dann darum, weil das Warten die kontinuierliche Öffnung für das erbringt, was inmitten der Gegenwart noch aussteht, und daher immer noch darauf wartet, von ihr mit Bedacht in Empfang genommen zu werden. Ein solches, die Zeit aussitzendes Denken, weist per se einen gebärenden, zeugenden, performativen Charakter auf. Es baut Wege hin zu der von ihm im Voraus vernommenen Möglichkeit und lässt diese in ihrer tätigen Erwartung an-künftig werden, indem es ihrem Zur-Welt-kommen entgegendenkt. Für Heidegger lässt sich ein solches, vom Seinsdenken geprägtes Bild des Denkens durch ein Fragment von Heraklit näher charakterisieren als ἀγχιβασίη (anchibasie), als »nahe gehen«.
»›Gedächtnis‹ bedeutet anfänglich durchaus nicht das Erinnerungsvermögen. Das Wort nennt das ganze Gemüt im Sinne der steten innigen Versammlung bei dem, was sich allem Sinnen wesenhaft zuspricht: Das Gedächtnis besagt ursprünglich soviel wie An-dacht: das unablässige, gesammelte Bleiben bei … und zwar nicht etwa nur beim Vergangenen, sondern in gleicher Weise beim Gegenwärtigen und dem, was kommen kann.« (GA 8, 143 f.) 22 F: »Sie wollen ein Nicht-Wollen im Sinne der Absage an das Wollen, damit wir uns durch dieses hindurch auf das gesuchte Wesen des Denkens, das nicht ein Wollen ist, einlassen können oder uns wenigstens hierzu bereitmachen.« (GA 13, 39). 21
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»Gut ist es, an andern sich / Zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.«
7.
Ἀγχιβασίη
»F: Was sagt dies? […] G: Wörtlich übersetzt besagt es: ›Nahegehen‹. L: Wir könnten vielleicht auch denken: ›In-die-Nähe-gehen‹. F: Sie meinen das ganz wörtlich im Sinne von ›In-die-Nähe-hinein-sich-einlassen‹ ? […] G: Ἀγχιβασίη: ›In-die-Nähe-gehen‹. Mir scheint jetzt, das Wort könnte eher der Name sein für unseren heutigen Gang auf dem Feldweg. L: Der uns tief in die Nacht geleitete … […] L: Für das Kind im Menschen bleibt die Nacht die Näherin der Sterne. G: Sie fügt zusammen ohne Naht und Saum und Zwirn. F: Sie ist die Näherin, weil sie nur mit der Nähe arbeitet. […] F: Nach der Art des Wartens … L: wenn dies ein gelassenes ist …« (Ga 13, 72–74)
Ἀγχιβασίη ist die das Denken der Philosophie von alters her in Anspruch nehmende Nähe des Seyns. Deren Anmut kann uns nach Heidegger noch einmal aufgehen, wenn die Continental Philosophy, im Schritt zurück in die Anfänge des Denkens, aus der gelassenen Nähe von Denken und Sein jene Nacht überdauert, in der sie womöglich für einen Moment zu früh für tot erklärt wurde: Denn »τὸ γάρ αὐτὀ νοεῖν ἐστι τε καὶ εἶναι. ›Denn dasselbe ist Denken und Sein.‹« (GA 7, 237)
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Einübung ins Entrücktsein – Heideggers eigen-willige Ekstatik
Es ist in der neueren Philosophie nicht mehr oft der Fall, dass man auf Texte trifft, deren Ziel es ist, mehr oder weniger direkte Eingriffe an der Leserschaft vorzunehmen. DenkerInnen, die ihre Arbeit nicht nur auf die Begriffenheit ihrer Fachausdrücke anlegen, sondern die darüber hinaus – vielleicht sogar stattdessen – eine Ergriffenheit bei HörerInnen und LeserInnen erzeugen wollen, stehen sehr schnell im Verdacht, verantwortungslos vorzugehen und sich aus dem sicher geglaubten Bereich legitimen Philosophierens herauszudrehen. Von Sprachmagie und Stimmungszauber ist dann schnell die Rede, von Techniken und Jargons, die mit den als rein philosophisch geltenden Verfahren nichts zu tun haben. Eine säuberliche Trennung wird zumeist angestrebt bzw. mit sprachlicher Entschiedenheit aufrechterhalten. Bei philosophischen Leichtgewichten ist diese Tabuisierung von Seiten der Schulphilosophie leicht durchzusetzen. Bei Schwergewichten vom Kaliber eines Heidegger, aber auch eines Ernst Bloch oder neuerdings Jean-Luc Nancy, um nur einige prominente Namen zu nennen, ist dies aber, naturgemäß, schon schwerer. Hier begreifen zu wollen, inwiefern und wodurch eine Ergriffenheit sich einstellt, wenn man sich Texten von solcher Sprachmacht aussetzt, ist ein legitimes Erkenntnisinteresse. Die Erfahrungen mit fragwürdigen, schädlichen und gewaltsamen Ekstasen und Entrückungen, die Erinnerung an kollektive Begeisterungsphänomene, bei denen enthusiasmierte Massen ein kollektives Ja als Antwort auf eine als notwendig ausgegebene Totalfrage in den Raum brüllen – all dies mahnt gerade bei hoher subjektiver Empfänglichkeit und Bereitschaft für die Ergreifungsmacht des Denkens zur Vorsicht. Vorsichtig sein heißt dann vor allem, nachfragen. Die vordringlichsten Nachfragen lauten hier meines Erachtens: Wessen Denken ergreift mich hier? Wodurch werde ich ergriffen? Und wohin werde ich dabei entrückt? Um welche Form von Ekstase handelt es sich jeweils? Allgemeiner gefasst geht es schließlich um die Frage nach dem, 178
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Einübung ins Entrücktsein – Heideggers eigen-willige Ekstatik
was man die »Politik der Ekstase« nennen muss. Politik der Ekstase? Ein gefährlicher Begriff? Etwas, das man lieber sein lassen sollte? Oder dem man sich entschieden zuwenden muss, wenn man sich mit Politik und politischer Theorie beschäftigt? 1 Martin Heidegger, der Sprachkünstler und Gelegenheitsdichter, hat in vielen seiner Texte Begriffe verwendet, die sich um das Wortfeld »rücken« gruppieren. Insbesondere in den 30er-Jahren, also der Blütezeit seiner Hölderlin- und Nietzsche-Interpretationen sowie seiner großen seinsgeschichtlichen Abhandlungen, wird auf sprachlicher Ebene allerorten berückt, verrückt, entrückt; bisweilen wird zugerückt, ausgerückt oder sogar eingerückt. 2 Wer mit Heidegger nichts anfangen kann, wird sich durch diesen Hinweis in seiner Ablehnung vermutlich bestätigt fühlen. Was ist schon von einem Denker zu erwarten, der mitten im faschistischen Wahnsinn die Be- und Entrückung feiert und dabei nicht einmal die unerfreulichen Anklänge scheut, die das Wort »Einrücken« im Deutschland der totalen Mobilmachung haben mussten? Da es aber nicht einfach nur darum geht, zu fragen, was wir heute mit Heidegger anfangen können, sondern umgekehrt, was »er«, d. h. seine Schriften, »sein Denken«, mit uns anfängt – insbesondere wenn wir feststellen, dass es schon geraume Zeit etwas mit uns »angestellt« hat – ist es mir ein Anliegen, der Entrückungskraft nachzugehen, die mit dem Namen Heidegger verbunden ist. Dabei möchte ich mehrere Thesen entfalten: 1. Heideggers Denken lässt sich insgesamt als eine Einübung ins Entrücktsein begreifen, die sich in spezifischer Weise von den nichtphilosophischen Formen des Entrücktseins abgrenzt. 2. Im Zuge seines Rektorats der Freiburger Universität propagiert Eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesen Fragen findet sich in: Bösel, Bernd: »Begeistern wollen«. In: ders., Eva Pudill, Elisabeth Schäfer (Hg.): Denken im Affekt. Wien 2010, 21–41. 2 »Die Stimmung stellt nicht etwas vor, sondern sie entrückt unser Dasein in den gestimmten Bezug zu den Göttern in ihrem So-und-so-sein. Sofern aber die Götter das geschichtliche Dasein und das Seiende im Ganzen durchherrschen, rückt uns die Stimmung aus der Entrückung zugleich eigens ein in die gewachsenen Bezüge zur Erde, Landschaft und Heimat. Die Grundstimmung ist demnach entrückend zu den Göttern und einrückend in die Erde zugleich.« (GA 39, 140) – Sogar der Arbeiter ist »entrückt in die Offenbarkeit des Seienden und seines Gefüges. Diese Entrückung ist nichts Nachträgliches, dem Ich Aufgepfropftes, sondern diese Entrückung gehört zum Wesen unseres Seins. Die Entrücktheit in die Dinge gehört zu unserer Verfassung.« (GA 40, 154) 1
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Heidegger eine Entrückung per Willensentscheid, die in ihrer Radikalität mit der nationalsozialistischen Rhetorik konkurriert. 3. Mit der Entscheidung für die passivische Entrückung anstelle der zunächst favorisierten aktivischen Entrückung (also Nicht-Wollen statt Wille) lässt Heidegger zwar den Nationalsozialismus, nicht aber den metaphysischen Totalitarismus hinter sich. 4. Dennoch lassen sich bei Heidegger Spuren eines Denkens der Entrückung auflesen, die einem anderen Wollen den Weg bereiten. Zudem werde ich mir erlauben, zur besseren Einprägsamkeit dieser Thesen jeweils ein mit Worten gezeichnetes Bild zu entwerfen: Skizzen zur Illustration der »Einübung ins Entrücktsein«, die nicht immer ganz ernst gemeint, noch weniger aber zur bloßen Erheiterung entworfen sind.
1.
Der Wille zum Entrücktsein
Die »Einübung ins Entrücktsein«, so lautet nun die erste These, ist ein Charakteristikum von Heideggers Denken insgesamt. Das zu dieser These gehörige erste Bild lautet: Heidegger zieht oder rückt am Teppich, auf dem sein Publikum steht. Er erzeugt damit jenen Ruck, der gleich einem Erdbeben die Abgründigkeit des Daseins in Erinnerung ruft. Inwiefern dem Ergriffen- und Entrücktsein in Heideggers Wirken eine strategisch entscheidende Stellung zukommt, lässt sich exemplarisch anhand der Vorlesung Grundprobleme der Metaphysik von 1929/ 30 zeigen. In ihrer Einleitung findet sich eine Klarstellung, die ebenso gut für jede andere Schrift Heideggers Gültigkeit beanspruchen könnte: die metaphysischen Begriffe, heißt es da, »werden wir nie begriffen haben, wenn wir nicht zuvor ergriffen sind von dem, was sie begreifen sollen. Dieser Ergriffenheit, ihrer Weckung und Pflanzung, gilt das Grundbemühen des Philosophierens.« (GA 29/30, 9) Deutlicher kann man die eigene performative Absicht kaum zum Ausdruck bringen. In aller Prägnanz zeichnet Heidegger sich selbst und seinen Hörern vor, wozu Philosophie seiner Ansicht nach da ist. Ihr Ziel ist Ergriffenheit vor dem Begriff und auch durch den Begriff. Um sie herzustellen, braucht es das, was man in Anlehnung an das vorliegende Wortspiel einen Eingriff nennen könnte (der Anklang an Adornos »Eingriffe« ist dabei weder beabsichtigt noch unwillkommen). Somit ließe sich im Hinblick auf die gerade zitierte Stelle sagen: Der Eingriff ist die Weckung 180
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Einübung ins Entrücktsein – Heideggers eigen-willige Ekstatik
der Ergriffenheit durch den Begriff. Insofern wäre Heideggers Denken stets ein eingreifendes – und zwar nicht nur dort, wo er sich politisch äußert. Heidegger spricht allerdings nicht von Eingriff, sondern von Weckung und Pflanzung. Die Pflanzung, ein bei Heidegger eher selten gebrauchtes Bild, erinnert stark an das platonische Idealbild einer Rede, die sich in die Seele ihres Hörers einschreibt und dort gleichsam Samen aufgehen lässt. 3 Die Weckung oder Erweckung ist dagegen eine recht häufig gebrauchte Metapher. Sie findet sich beispielsweise noch im Entwurf zum Vorwort der Gesamtausgabe, wo es heißt, es handle sich »um das Wecken der Auseinandersetzung über die Frage nach der Sache des Denkens« 4 . Auch wenn die Absicht zur Erweckung gegen Heideggers Lebensende hin zurückhaltender auftritt, klammert sie doch praktisch seinen gesamten Denkweg ein. 5 Denn schon in seinen ersten Vorlesungen stimmt der Denker einen Ton an, der von vornherein klar machen musste, dass er dazu bestimmt ist, tief einzudringen. Seine von der deutschen Universitätsphilosophie geschädigten Hörer in eine alternative Weise des Daseins einzustimmen, dies ist der Zweck, mit dem Heidegger von Anfang an seinen Sprachzauber entfaltet. Von dem frühen »es weltet« (GA 56/57, 73) bis zum späten »es gibt« (GA 14, 9): Das Verfahren besteht darin, Worte nicht bloß diskursiv, sondern eben auch performativ zu gebrauchen – so wie es die seit den 30er-Jahren favorisierte Dichtung tut und ein bisschen auch, wie wir es vom Theater gewohnt sind. Falls man von einem verborgenen Wesentlich später kommt Heidegger auf die vegetative Metapher zurück: In der Rede »Gelassenheit« von 1955 wird der Mensch im Anklang auf Johann Peter Hebel der Pflanze angenähert, um die Notwendigkeit von »Verwurzelung« und »Heimaterde« zu bekunden, ohne die der Mensch keine Früchte tragen könne (GA 16, 520 f.). 4 Heidegger, Martin, »Entwurf zum Vorwort«. In: ders.: Gesamtausgabe. Ausgabe letzter Hand. Verlagsprospekt, Frankfurt am Main 2000, 3. 5 Auch im Gespräch mit dem Spiegel erscheint das Wort »wecken« an zentraler Stelle: hinsichtlich des »jetzigen Weltzustands« glaubt Heidegger nicht, dass die Philosophie oder sonst eine Instanz eine Veränderung bewirken kann (GA 16, 671). Nur ein Gott könne das. Da aber Gott nicht herbeigedacht werden kann, gilt es, »höchstens die Bereitschaft der Erwartung vorzubereiten« (GA 16, 672; Hervorhebung: BB), der Erwartung nämlich, ob noch ein Gott kommt oder ausbleibt. Von seinem Denkversuch glaubt Heidegger abschließend, er »könnte die schon genannte Bereitschaft wecken, klären und festigen« (GA 16, 676; Hervorhebung: BB). Der performative Zug dieses Denkens wird hier in aller Deutlichkeit ausgesprochen. 3
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Konnex mit dem Theater sprechen kann – und bekanntlich ist es ein Merkmal der hegemonialen Philosophie, mit dem Theater auf Kriegsfuß zu stehen – so müsste für Heidegger eine frühe Phase des Theaters reserviert werden. Eine frühe griechische, versteht sich; vielleicht diejenige Phase, in der sich gerade der erste Schauspieler, der Protagonist, aus der Vielstimmigkeit des Chors herausschälte. Als erster Schauspieler des anderen Anfangs würde Heidegger so seine Rolle entfalten: in beständigem Streit mit den Stimmen des Chores, mal auf sie lauschend, mal ihre Worte abwägend, abwehrend, immer aber in nächster Nähe zu seiner Sprache, zu seiner »Sage« verharrend. Sofern man diesen Vergleich gelten lässt, ragt Heidegger aus dem Philosophiebetrieb seiner Zeitgenossen tatsächlich wie ein einzelner Mahner heraus, der sich schulphilosophische Stichworte geben lässt, um ihnen dann in seinen Übungen des einholendes Ausholens 6 ganz neue, zuweilen unerhörte Bedeutungen abzuringen – und ineins mit den Bedeutungen auch performative, affektive Wirkungen. Dem Chor der deutschen Universitätsphilosophen lässt sich, wenn man sich nur auf ausreichende Hellhörigkeit versteht, Erstaunliches entnehmen. Was den Stimmen des Chores nur dumpf bewusst ist, verlangt danach, in eine höhere Klarheit übersetzt zu werden. Was jene nur trüb durchschauen, braucht eine optische Aufhellung, damit es so erstrahlen kann, wie es echten philosophischen Worten zukommen soll. Heidegger versteht es, Begriffe, die als völlig abgenutzt gelten, durch seine Sprachkunst zum Klingen und zum Leuchten zu bringen. Der Klang und das Strahlen der Worte ist es, was zu ergreifen vermag. Ein genuiner Philosoph ist jemand, der diese Worte in ihrer Allgemeinheit (und nicht in ihrer Besonderheit: Dies tut der Dichter) zum Klingen und Strahlen bringt. Alle anderen heißen zwar von Berufs wegen Philosophen, betreiben aber in der Mehrzahl nur geist- und seelenlose, weil wirkungslose Wortklauberei. Dass nun dem eher religionswissenschaftlich anmutenden Begriff »Entrückung« die Ehre zuteil wird, zu einem Grundwort des ergreifenden Denkens zu werden: dieser Umstand verdankt sich in erster Linie Heideggers berüchtigter Germanophilie. Wer sich der Aufgabe verschreibt, den ersten Anfang, also das frühgriechische Denken, in einen
6 So die Übertragung des griechischen Urworts psyché in der Vorlesung Heraklit (GA 55, 303).
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anderen Anfang zu überführen, dem bleibt auch die Mühe nicht erspart, für jedes einzelne griechische Leitwort eine deutsche Entsprechung zu finden. Die »Entrückung« kann diesen Zweck gleich für mehrere Leitworte erfüllen: für ekstasis, für eros sowie für enthousiasmos. Schon in Sein und Zeit verwendet Heidegger die »Entrückung« als Entsprechung für die aus dem Griechischen entlehnten »Ekstasen« der Zeit (GA 2, 482). Der Exkurs zum platonischen Dialog Phaidros, den Heidegger mitten in seiner ersten Nietzsche-Vorlesung unternimmt, liefert ein Jahrzehnt später einen weiteren Anlass dafür, sich der »Entrückung« zu bedienen und damit den schon so oft missdeuteten eros zu vermeiden. Angesichts seiner Vorliebe für den Superlativ, den er gerne in Adjektivhäufungen zur Wirkung bringt, 7 ist es nur konsequent, dass Heidegger auch das Hervorscheinen des Schönen und dessen erotisierende Wirkung in Höchstformen ins Spiel bringt. Indem er dem Phaidros die Grundworte ekphanestaton und erasmiotaton entnimmt, erweist sich Heidegger ausnahmsweise als treuer Platoniker. Er übersetzt den entsprechenden Passus wie folgt: »Nun aber hat […] die Schönheit allein dieses Los zugeteilt erhalten, nämlich das Hervorscheinendste zu sein, aber auch das Entrückendste« (GA 6.1, 199). 8 Diese Übertragung verdeutlicht, dass das Erotische (das Schöne) dasjenige ist, was über die größte Entrückungskraft verfügt, sodass es durch den Sinnenschein hindurch »in das Sein forthebt«, weshalb Heidegger auch sagt »das Berückend-Entrückende« (ebd.). Platonisch ist dieser Gedanke, weil er ver7 In der schon zitierten Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik erläutert Heidegger seine Auffassung von Philosophie und gebraucht dabei offensichtlich methodisch den Superlativ: »Philosophie ist das Gegenteil aller Beruhigung und Versicherung. Sie ist der Wirbel, in den der Mensch hereingewirbelt wird, um so allein ohne Phantastik das Dasein zu begreifen. Gerade weil diese Wahrheit solchen Begreifens ein Letztes und Äußerstes ist, hat sie die höchste Ungewißheit zur ständigen und gefährlichen Nachbarschaft. Kein Erkennender steht jeden Augenblick notwendig so hart am Rande des Irrtums wie der Philosophierende. Wer das noch nicht begriffen hat, der hat noch nie geahnt, was Philosophieren heißt. Das Letzte und Äußerste ist das Gefährlichste und Unsicherste, und dieses verschärft sich nun dadurch, daß dieses Letzte und Äußerste eigentlich selbstverständlich das Gewisseste für jedermann sein müßte, in welchem Schein denn auch die Philosophie auftritt.« (GA 29/30, 28 f.) 8 In der Buchausgabe der Nietzsche-Vorlesungen von 1961 findet sich »das Berückendste« statt »das Entrückendste« (vgl. Heidegger, Martin: Nietzsche I. Pfullingen 1961, 227), was vermutlich einem etwas verschobenen Gebrauch der Worte Entrückung und Berückung geschuldet ist.
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deutlicht, dass das Erotische/Entrückende keinerlei normativer Beschränkung unterliegen kann. Den abendländischen Philosophen wirft Heidegger dagegen zeit seines Lebens vor, bezüglich der Quellen ihrer Erotisierung/Entrückung kurzsichtig geblieben zu sein. Von Anbeginn seiner philosophischen Karriere an war Heidegger deshalb um eine Scheidung der Begeisterungen bemüht. Der Versuch, eine ganz andere Theorie der Ekstase zu etablieren, die so fundamental ist, dass schon das Wort »Theorie« auf sie kaum noch zutrifft – es sei denn, man erinnert sich an den orphischen Theoriebegriff, den Francis Cornford als »passionate, sympathetic contemplation« 9 charakterisiert – dieser Versuch führt nun bei Heidegger zu einer Wortschöpfung, die dazu dienen soll, eigentliche und uneigentliche Formen des Entrücktseins auseinanderzuhalten. Er diagnostiziert in den Beiträgen zur Philosophie eine allgemeine »Entrückungs- und Berückungslosigkeit«, die dann entstehe, wenn »das Offene für das gemeinhin Vorhandene gehalten« werde (GA 65, 70). Freilich – wem es im Deutschland der Jahre 1936 bis 1938 gelingt, eine allgemeine Entrückungs- und Berückungslosigkeit zu beklagen, beweist damit zumindest eine hohe Abstraktionsfähigkeit. Der Einwand liegt nahe, die Entrückung gerade als denjenigen Gemütszustand zu bezeichnen, kraft dessen technischer und massenmedialer Herstellung sich der Nationalsozialismus der Herrschaft über das deutsche Volk bemächtigt hat. Man muss also annehmen, dass Heidegger auf das Fehlen einer anderen Form der Ent- und Berückung hinweisen will. »Wahrheit«, schreibt er an derselben Stelle, »ist lichtende Verbergung, die geschieht als Entrückung und Berückung.« Ein merkwürdiger Satz, der aber immerhin die Entrückung den Grundwörtern in Heideggers Denken zuordnet. Entrückung und Berückung zeigen Grund und Wesen der Wahrheit – deshalb ist es falsch, sie als »Ausnahmen« zu betrachten, wie es etwa die Psychologie macht. Das Entrücktsein ist demnach kein Ausnahmezustand, sondern gerade der Normalzustand, besser aber noch die Möglichkeitsbedingung aller Zustände des Daseins. Ohne Beund Entrückung kein Da-sein. Die Entrückung ist in erster Linie kein psychologisches Phänomen, sondern eine ontologische Kategorie (bzw. ein seinsgeschichtliches Grundwort). Deswegen spricht Heidegger auch im Zusammenhang mit der Gleichgültigkeit, in der das Offene durch 9
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Cornford, Francis M.: From Religion to Philosophy. Princeton 1991, 198.
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das Vorhandene schon lange verdeckt ist, von der »scheinbaren« Entrückungs- und Berückungslosigkeit. Die Entrückung ist also allgegenwärtig, nur merkt es das Dasein im Zustand des Verfallenseins nicht mehr, weshalb eine Erweckung dieser allein wahrhaften Entrückung nötig erscheint. Das, was die größte Entrückung bewirkt, kann nur das sein, was am weitesten entfernt ist, nämlich das Seyn – dessen Weite nicht nur räumlich und auch nicht nur zeitlich gedacht werden kann, sondern, wie die Beiträge es formulieren, als der »berückend-entrückende sammelnde Umhalt« des »Zeit-Raums« (GA 65, 386). Deshalb braucht es die Kehre, die mit der »Bereitschaft zur berückenden Einrückung in die Wahrheit des Seyns« einhergeht (GA 65, 407). Die zeitliche und aber auch thematische Nähe zum Nationalsozialismus ist hierbei alles andere als ein Zufall. Dass Goebbels die totale Entrückung im deutschen Volk mittels neuartiger massenmedialer Entrückungstechniken herstellt, während Heidegger die Entrückung innerhalb seines seinsgeschichtlichen Denkens totalisiert – auf andere Weise, gewiss, aber nicht weniger radikal – kann kaum als zufällige Parallelentwicklung aufgefasst werden. Ich werde im Folgenden zu zeigen versuchen, inwiefern Heidegger dieser historischen Verstrickung nicht mehr entkommen wird und auch nicht entkommen kann und gerade darin scheitert, dass er glaubt, ihr entkommen zu sein. Die Wortschöpfung Entrückungslosigkeit erinnert dabei stark an den wesentlich bekannteren Ausdruck »Notlosigkeit« (GA 65, 107). Mit letzterem möchte Heidegger bekanntlich darauf hinweisen, dass alles, was von den Zeitgenossen unter »Not« gehandelt wird – Existenznot, Erwerbsnot, soziale Not, nationale Not, heute müsste man sagen, global-ökologische Not – mit der höchsten Form von Not nicht mehr als den Namen gemein hat (ebd.). Die alltägliche Not unter die Rubrik einer allgemeinen »Notlosigkeit« zu stellen heißt zugleich behaupten, dass, wer am lautesten nach Linderung dieser ontischen Nöte schreit, am wenigsten von der höchsten und äußersten Not begriffen hat. Die äußerste Not ist nämlich keine andere als das Verharren in dieser Notlosigkeit. Ihre Ursache ist die Seinsvergessenheit. Nur wer sie aus der Verdrängung zurück in die Erinnerung ruft, setzt Schritte zur Begegnung mit der wirklichen Not. Die paradoxe Rede von der Notlosigkeit der Not dient demnach zur Unterscheidung von eigentlicher und uneigentlicher Not. 10 10
Heidegger kehrt die sonst gebrauchte Wendung »Not der Notlosigkeit« meines WisA
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Die entsprechende Übertragung ins Entrückungsthema, die Heidegger vermeidet, ist zwar nicht gerade wohlklingend, aber sicherlich erhellend: Entrückungslosigkeit der Entrückung könnte sie lauten. Ihre stilistische Schwäche wird dadurch gemildert, dass sie verstehen hilft, inwiefern Heidegger seine Einübung ins Entrücktsein inszeniert. Er muss uneigentliche Formen der Entrückung von der echten, seinsgeschichtlichen Entrückung isolieren. Was unter Zeitgenossen als Entrückung gehandelt wird, ist dann in Wahrheit etwas anderes. Die Wortschöpfung Entrückungslosigkeit darf als konsequenter Kulminationspunkt einer Reihe von Bemerkungen gelten, worin Heidegger deutliche und scharfe Kritik an den zeitgenössischen Formen der Begeisterung, der Erotisierung und der Ekstase übt. An dieser Frontstellung gegen alternative Entrückungsformen wird sich bis zu den 40erJahren inhaltlich Entscheidendes ändern – dazu komme ich im nächsten Abschnitt. Formal aber ändert sich am Kriterium für die eigentliche Entrückung nichts. Sie unterscheidet sich von allen anderen in ihrer Superlativität. Nur diejenige Entrückung, die das Dasein bis zum Äußersten entrückt, so sehr, dass es keine Steigerung mehr gibt, weil die Fluchtlinie, der Horizont, besser noch: der Ereignishorizont bereits erreicht ist, nur dieses Entrückendste darf als wahre Entrückung gelten. Alles, was vor dieser Maximalspannung Halt macht, gehört der ontischen Sphäre zu. Für die bloß komparativische, keineswegs aber superlativische Ergriffenheit durch bloß Seiendes und Vorhandenes behält sich Heidegger Worte vor, die er mit unnachahmlichen Spott einsetzt: das Gefühl (im Gegensatz zur Grundstimmung), das Erlebnis, die Verzauberung und schließlich die Behexung. Mit dem merkwürdigen Ausdruck »Behexung« (GA 65, 124) knüpft Heidegger im Übrigen an eine lange christliche Verdammungstradition an. Wie bei allen seinen Ausdrücken kann man annehmen, dass ihm die Konnotation des Begriffs wohl bewusst war. Sie impliziert Heidentum ebenso wie Verbrennung und Fegefeuer. Mit Hexe oder Hexer wurden vom Christentum bekanntlich diejenigen EntrückungsexpertInnen bezeichnet, die sich nicht dem kirchlichen Diktat unterwarfen. Heidegger wiederholt hier eine zutiefst christliche Scheidung der Begeisterungen. Wollte man auf die-
sens nur einmal zur »Notlosigkeit der Not« um (GA 65, 137), doch scheint mir diese Formulierung die noch stärkere Kraft zu entfalten, weshalb ich sie hier aus heuristischen Gründen bevorzuge.
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ser Bahn weiterdenken, müsste man Heidegger wohl als einen postreligiösen Exorzisten charakterisieren. 11
2.
Entrückung durch unbedingtes Wollen
Bekanntlich ließ sich Heidegger am Scheideweg allerdings selbst verzaubern. Ausgerechnet in Adolf Hitler glaubte Heidegger denjenigen gefunden zu haben, mit dem und durch den er die wahrhaft denkerische Entrückung im großen Stil entfalten könnte. Ich möchte in diesem Abschnitt daher die These erproben, dass Heidegger während seiner Rektoratszeit eine Entrückungsform propagiert, die in ihrer Radikalität mit der nationalsozialistischen Rhetorik konkurriert. 1933 kommt es, im Zuge der Entscheidung Heideggers, hochschulpolitisch aktiv zu werden, sogleich zu den schärfsten Formulierungen zugunsten der Aktivierung des Willens. Die Rektoratsrede beginnt mit dem Satz: »Die Übernahme des Rektorats ist die Verpflichtung zur geistigen Führung dieser hohen Schule.« (GA 16, 107) Bekanntlich hat Jacques Derrida über dieses kleine Wort »geistig« einen großartigen Essay verfasst. 12 Mich interessiert hier allerdings ein anderes Wort, das im zweiten Absatz der Rede auftaucht. So wie »geistig« ist das Wort »wollen« von Heidegger selbst hervorgehoben worden. Er stellt mehrere Fragen und gibt darauf eine entschiedene Antwort: »Wissen wir um diesen geistigen Auftrag? Ob ja oder nein, unabwendbar bleibt die Frage: sind wir, Lehrerschaft und Schülerschaft dieser hohen Schule, in das Wesen der deutschen Universität wahrhaft und gemeinsam verwurzelt? Hat dieses Wesen echte Prägekraft für unser Dasein? Doch nur dann, wenn wir dieses Wesen von Grund aus wollen. Wer möchte aber daran zweifeln?« (Ebd.)
Wer möchte daran zweifeln, wer dürfte es wagen, daran zu zweifeln, dass Lehrer wie Schüler der Universität Freiburg von Grund aus das Wesen der deutschen Universität wollen? Es kommt hier nicht auf den Nachvollzug an, wie Heidegger dieses Wesen über die geführte Führerschaft der Führer, über ihren geistig-geschichtlichen Auftrag zu erläuDer Ausdruck »Behexung« ist keine einmalige Wahl. Auch 1955 spricht Heidegger im Vortrag Gelassenheit davon, dass die »Revolution der Technik« den Menschen fesselt, verblendet und »behext« (GA 16, 528). 12 Derrida, Jacques: Vom Geist. Heidegger und die Frage. Frankfurt am Main 1988. 11
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tern versucht. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Wille behauptet wird, der gar nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann, den man nicht mehr in Frage stellen darf. Es ist ein totaler Wille. Die berühmte Frage Goebbels vorwegnehmend, hätte Heidegger genauso gut fragen können: »Wollt ihr die totale Universität?« Er muss das aber nicht fragen, denn er scheint es von vornherein zu wissen. Er weiß, wie es um den Willen bestellt ist und er weiß, wie wichtig dieser Wille ist, wenn man die große Erweckung bewirken will. »Der Wille zum Wesen der deutschen Universität ist der Wille zur Wissenschaft als Wille zum geschichtlichen geistigen Auftrag des deutschen Volkes« (GA 16, 108) – Heidegger inszeniert die Einstimmung in dieses Willensgeschehen mit höchster Emphase. Doch am Ende der Rede drosselt Heidegger seinen Impetus. Nun wird, was vorher unzweifelhaft war, wieder in Frage gestellt. »Wollen wir das Wesen der deutschen Universität, oder wollen wir es nicht? Es steht bei uns, ob und wie weit wir uns um die Selbstbesinnung und Selbstbehauptung von Grund aus und nicht nur beiläufig bemühen oder ob wir – in bester Absicht – nur alte Einrichtungen ändern und neue anfügen.« (GA 16, 116 f.)
Es steht nun also auf einmal bei uns, es liegt an uns, es zu wollen oder nicht zu wollen. Doch dieses »wir« ist das Volk selbst: »Ob solches geschieht oder nicht geschieht, das hängt allein daran, ob wir als geschichtlich-geistiges Volk uns selbst noch und wieder wollen – oder ob wir uns nicht mehr wollen.« Die Disjunktion ist eindeutig: Entweder wir wollen uns selbst, und dann scheint alles andere zwangsläufig daraus zu folgen, oder wir wollen uns selbst nicht mehr. Sich der Stimme enthalten, also weder zu wollen noch nicht zu wollen, das gilt nicht, denn: »Jeder einzelne entscheidet darüber mit, auch dann und gerade dann, wenn er vor dieser Entscheidung ausweicht.« (GA 16, 117) In dieser Frage ist Enthaltsamkeit unzulässig. Schlimmer noch: Wer nicht entschieden Ja sagt, sagt Nein. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – und dass dieses »uns« das deutsche Volk meint, daran lässt Heidegger keinen Zweifel. Am Ende der Rede verschiebt sich die Aussage aber nochmals. Der Wille scheint dank der rhetorischen Kniffe gesichert zu sein; doch auf einmal erscheint dies fast irrelevant. »Aber wir wollen«, so Heidegger, »daß unser Volk seinen geschichtlichen Auftrag erfüllt. [/] Wir wollen uns selbst. Denn die junge und jüngste Kraft des Volkes, die über uns schon hinweggreift, hat darüber bereits entschieden.« (Ebd.) 188
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Es ist nicht nötig, Namen zu nennen. Hitler und seine Gefolgsleute haben uns die Entscheidung bereits abgenommen. Es gilt jetzt nur noch, dieses Schicksal zu affirmieren. Ja sagen zum Willen, sich in den großen geschichtlichen Willen einklinken. Einrücken in diesen Gesamtwillen, in den großen Sturm als die geschichtlich notwendige, totale Ekstase. Doch wehe dem, der sich dieser Entrückung glaubt rein passiv hingeben zu können. Wer nicht Entschiedenheit und Entschlossenheit zeigt, wird vom Sturm umgeblasen werden. Passivische Entrückung steht nicht auf dem Programmzettel des völkischen Manietheaters. Heidegger inszeniert die Sache mit dem Willen recht geschickt. Zuerst ertönt die Fanfare: Der Wille ist bereits total, er kann nicht bezweifelt werden. Dann aber, nach einer Besinnung auf den Verfall Deutschlands, muss genau dieser Wille doch bezweifelt werden. Mit dieser Bewegung von der Totalwillensbehauptung zum Ausblick auf eine Kultur reinster Dekadenz, die nicht einmal mehr sich selbst wollen kann, versucht Heidegger die Universitätsangehörigen dazu zu motivieren, in den großen Willenschor mit einzustimmen. Wem dies zum Schluss immer noch schwer fällt, dem wird auf perfide Weise geholfen: durch den Hinweis, dass, was wir wollen und entscheiden wollen, ohnehin schon von anderen Mächten entschieden ist. Wenn man Heideggers nachträglichen Selbsterklärungen Glauben schenkt, so hielt er sich in dieser Zeit für eine Art Entrückungshelfer, der den Nationalsozialisten dabei assistieren wollte, eine ihnen bisher nicht geläufige Dimension ihrer »Bewegung« zu entfalten. Seinen eigenen tatkräftigen Beitrag sah Heidegger damals im Plan zur Errichtung einer Dozentenschule. Habilitiert sollte nur werden, wer den heideggerschen Entrückungskursus erfolgreich absolviert hatte. Er hielt es dabei für seine Aufgabe, die Dozenten zur geistigen Führerschaft zu erwecken 13 – und an dieser Aufgabe hielt er auch nach dem Scheitern des Rektorats noch fest. 14 Es mag an dieser Stelle passend sein, ein zweites Bild zur IllustraIn einer Aussendung vom 22. September 1933 an die am »Ferienlager Todtnauberg« teilnehmenden Dozenten und Assistenten heißt es: »Das Gelingen des Lagers hängt ab von dem Ausmaß an neuem Mut, von der Klarheit und Wachheit für das Künftige, von der Entschiedenheit des Willens zur Treue, zu Opfer und Dienst. Aus diesen Kräften ersteht wahre Gefolgschaft. Und diese erst trägt und festigt echte deutsche Gemeinschaft.« (GA 16, 170 f.) 14 Vgl. Zaborowski, Holger, Eine Frage von Irre und Schuld? Martin Heidegger und der Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 2010, 397 f. 13
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tion zu skizzieren: Heidegger schwingt, im Türrahmen seiner Skihütte stehend, den Rohrstab, um die Angehörigen seiner Universität zu jenem Sturmlauf zu ermuntern, von dem er sich die Erklimmung des Seinsgebirges erhofft. Allerdings kommt Heidegger mit seiner Einübung ins aktivische Entrücktsein ein wenig zu spät. Während er in den 20er-Jahren seine phänomenologischen Ekstaselektüren immer mehr verfeinert hat, konstruierte sich Hitler eine unvergleichlich weniger subtile, dafür aber unvergleichlich wirkungsvollere Entrückungsmaschinerie. Für die Hände, die eine solche Apparatur herstellen konnten, wird Heidegger den Diktator bekanntlich bewundern. 15 Während seines Rektorats in Freiburg ereilt ihn der Ruf an die Universität München, dem Folge zu leisten ihm, wie er gegenüber Elisabeth Blochmann bemerkt, die »Möglichkeit, an Hitler heranzukommen«, gäbe (GA 16, 168). Doch schon unmittelbar nach der Rektoratsrede sagt man ihm nach, dass er einen »Privatnationalsozialismus« vertrete. 16 Will Heidegger womöglich Hitler die tiefere Bedeutung des Nationalsozialismus als einer geistig-geschichtlich-politischen Entrückungsbewegung vor Augen führen? Seine eigene Philosophie müsste er hierfür jedenfalls nicht verraten. War die Entschlossenheit nicht immer schon die willentliche Ergreifung des ekstatischen Daseins? War Entschlossenheit nicht immer schon als Platzhalter für den entschiedenen Willen vorgesehen? Ist Heidegger damit nicht absolut berufen, sich der Bewegung anzuschließen und auf ihrer Welle reitend seine ekstatische Botschaft noch deutlicher und noch weiter zu verbreiten? Heidegger und Hitler: Es ist ein seltsames Verhältnis. Seltsam schon deshalb, weil es einseitig geblieben sein dürfte. Heidegger wollte an Hitler heran. Dazu fehlte es ihm aber an Entschlossenheit; denn hätte er einem der universitären Rufe (München oder Berlin) Folge geleistet, hätten sich die Chancen auf eine direkte Einwirkung auf Hitler wohl um einiges vergrößert. Auch wenn das Verhältnis asymmetrisch blieb, so ist es keineswegs einfach zu verstehen. Es war nicht nur von Bewunderung geprägt. Möglicherweise wollte Heidegger Hitler auch benutzen, ihn instrumentalisieren, schon um seinen Plan einer Dozentenschule zu verwirklichen und damit das deutsche Geistesleben nach Vgl. Jaspers, Karl: Philosophische Autobiographie. München 1984, 101. So der Kultusminister Wacker zu Heidegger nach dem Rektoratsessen (vgl. GA 16, 381).
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der in der Rektoratsrede bekundeten Vorstellung umgestalten. Vielleicht aber wollte Heidegger noch mehr: nämlich mit Hitler konkurrieren. In einen Wettstreit um die Frage treten, wer wohl der bessere und größere Entrückungsmeister ist. Aus dieser Sicht endet die Rektoratsrede, trotz ihres pathetischen und triumphalen Tonfalls, genau genommen mit dem Eingeständnis einer Niederlage. Die Entscheidung, zu der Heidegger motivieren will, kommt zu spät. Es ist alles bereits entschieden. Der Sturm hat Heidegger mitgerissen, ohne dass er auch nur dazu beigetragen hätte, ihn zu entfachen.
3.
Entrückung durch Nicht-mehr-Wollen
Es wird gerne darüber debattiert, ob bzw. wann Heidegger sich klar vom Nationalsozialismus distanziert hat. Im philosophischen Sinne hat er im Laufe der 30er-Jahre immerhin eine radikale Konsequenz gezogen. Nachdem er im Zuge seines Rektorats der Freiburger Universität den unbedingten Willen anruft und beschwört, ringt er sich in den 40erJahren zu einer radikalen Absage an diesen Willen durch. Sein Denken macht damit eine Kehre, die in der Abwendung von der aktivischen Entrückung und der Zuwendung zur passivischen Entrückung besteht. Damit lässt, so meine dritte These, Heidegger zwar den Nationalsozialismus, nicht aber den metaphysischen Totalitarismus hinter sich. In der Zeit, die auf das »Misslingen des Rektorats« folgt, liest er neben Hölderlin vor allem Nietzsche. Die Auseinandersetzung mit diesem für die geistige Welt der Nationalsozialisten so wichtigen Denker führt zwangsläufig über den Begriff des »Willens zur Macht«, der zu jener Zeit offenbar nicht anders denn als Prinzip rücksichtslosen Aktivismus aufgefasst werden konnte. Jedenfalls bleibt Heidegger auch nach seiner nationalsozialistischen Phase dieser Deutung des Willens zur Macht treu – allerdings bewertet er sie nunmehr ganz anders. In dieser Umwertung des Willens liegt die Kehre in Heideggers Entrückungsdenken verborgen. Wenn Heidegger in Nietzsche die letzte Figur der Metaphysik sieht und dies anhand des Gedankens vom Willen zur Macht zu untermauern versucht, dann muss dies im Lichte der Rektoratsrede und ihres aktivischen Entrückungsversuchs betrachtet werden. Heidegger will nun im Willen den letzten Rückzugsort des metaphysischen Denkens erkannt haben. Ihn preiszugeben heißt für ihn ineins, die Metaphysik A
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zu verabschieden und den Nationalsozialisten den Rücken zu kehren. Heidegger fügt Nietzsches Willen zur Macht in ein größeres, epochenübergreifendes Geschehen ein, das er mit dem Ausdruck »Nihilismus« kennzeichnet. Dessen Geschichte ist in der Gegenwart zur Vollendung gelangt: Vollendung im Sinne der rückhaltlosen Ausübung ihres Wesens. Der Nihilismus (den er letztlich mit der Metaphysik identifiziert) 17 endet in der vollen Entfaltung des Willens, der in letzter Konsequenz nichts anderes mehr will als sich selbst: Wille zum Willen lautet folgerichtig der von Heidegger seit den frühen 40er-Jahren gerne gebrauchte Ausdruck für die reine Selbstreferentialität des metaphysisch-nihilistisch verstandenen Willens. Diese Metaphysik des Willens führt Heidegger explizit auf die denkerische Weichenstellung zurück, die mit dem Namen René Descartes verbunden ist. Vom ihm über Leibniz und Kant, Hegel und Schelling führt die prominente Liste derer, die sich in die Geschichte der Metaphysik des Willens eingeschrieben haben (GA 67, 210), die in Nietzsches Metaphysik des Willens zur Macht ihre »vorletzte Stufe« (GA 7, 79) erreicht hat. Eine Stufe fehlt nämlich noch. Sie führt über die Philosophie hinaus, die mit Nietzsche zu Ende gegangen ist. Die Metaphysik des Willens vollendet sich außerhalb der Philosophie als jenes planetarische Gesamtgeschehen des reinen »Willens zum Willen«, der von Heidegger mit Vergegenständlichung, bloßer Berechnung, mit Besinnungslosigkeit, »Machenschaft«, Verwüstung etc. gleichgesetzt wird. Mit Ausdrücken also, die er aus dem Umkreisen des Wesens der Technik schöpft: »Im Willen zum Willen kommt erst die Technik (Bestandsicherung) und die unbedingte Besinnungslosigkeit (›Erlebnis‹) zur Herrschaft.« (GA 7, 85) Damit aber wird der Bezug zur Wahrheit des Seins vernichtet: »In dieser Selbstsicherheit des Willens zum Willen ist das anfängliche Wesen der Wahrheit verloren. Die Richtigkeit des Willens zum Willen ist das Un-Wahre schlechthin.« (GA 7, 86) Die sichernde Berechnung verharrt im Bereich des Seienden, das zudem vollständig vergegenständlicht wird. 18 Der Bezug zu jenem, das sich nicht verrechnen, aneignen Vgl. GA 67, 210: »Die Metaphysik als solche ist der eigentliche Nihilismus.« »Die Vorstufe des Willens zum Willen ist der ›Wille zur Macht‹. Der Wille zum Willen ist der Wille, der sich selbst will. Was will der Wille? Das Wollen. Was ist dies? Das Vor-sich-bringen des Vor-stellbaren. Das ist das All der Gegenstände; die Gegenstände sind das Seiende innerhalb der Wahrheit der Gewißheit, d. h. des Sich-zustellens eines Festgestellten. Die reine rechnende Vergegenständlichung bestimmt das Sein des Seienden als Gegenständlichkeit.« (GA 71, 105). 17 18
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und absichern lässt, löst sich auf. Dieser Mangel wird aber nicht einmal mehr als solcher empfunden, weshalb Heidegger immer wieder von der Not der Notlosigkeit oder Notlosigkeit der Not spricht. Wie gesehen, lässt sich diese eingängige Formel auch dahingehend abwandeln, dass in solcher Bestandssicherung und Verrechnung die wahre, weil weiteste Form der Entrückung vergessen wird. Durch die fortdauernde Veröffentlichung vor allem der seinsgeschichtlichen Abhandlungen der 40er-Jahre wird gegenwärtig immer deutlicher, welche Rolle Heidegger der Kritik am »Willen zum Willen« in seinem Denken zumisst. Dabei tritt zur Problematisierung der Technik als Instrument des Willens auch eine indirekte und dennoch deutliche Kritik des nationalsozialistischen Regimes, etwa, wenn es in einer Notiz von 1941/42 heißt: »Der Wille zum Willen nimmt alles für sich zum Nutzen und Werkzeug, zumal die metaphysischen Ideale und ihre Moral: ›Ehre‹, ›Opfer‹, ›Treue‹, ›Gefolgschaft‹.« (GA 71, 116) Dass der inhaltlose Wille sich in einer Vernutzung von Mensch und Umwelt äußert, hatte Heidegger wenige Jahre zuvor in einer höchst zugespitzten Kritik an einer Rede Hitlers festgemacht, die den »Nutzen für die Gesamtheit« als Richtschnur für die Rechtfertigung einer »Haltung« in Anschlag bringt. Heidegger überschüttet dieses Hitler-Zitat mit einer Kaskade von Nachfragen (»Wer ist die Gesamtheit? Was heißt Haltung?« GA 66, 122), die sich in ihrer dichten Folge wie ein Verriss politischer Rede von Seiten mitdenkender Hellhörigkeit ausnehmen. »Ist nicht alle ›Haltung‹«, so beschließt Heidegger diese Befragung, »samt der Gesamtheit eines ›Volkes‹ dem ›Seienden‹ in den Rachen geworfen, sofern Haltung und Gesamtheit je und je nur um sich selbst drehen?« (GA 66, 123) Dennoch muss daran erinnert werden, dass Heidegger in seinen metahistorischen Bemerkungen dem Nationalsozialismus kaum eine eigene Rolle zugesteht, sondern ihn mit dem Kommunismus und der »Weltdemokratie« hinsichtlich der Seinsgeschichte in einen Topf wirft: In allen drei Systemen walte nämlich dieselbe Seinsvergessenheit (vgl. GA 16, 375). Hier zeigt sich nicht nur die schon so oft beklagte Unfähigkeit und Unwilligkeit Heideggers, seine politische Verirrung unmissverständlich zu bekennen, vielmehr wirkt solche undifferenzierte Fernsicht wie eine bewusst eingesetzte Verklärungsstrategie bezüglich der eigenen Irrtümer. Trotzdem lässt sich die Kritik am rein herrschaftlich orientierten, damit aber besinnungslosen »Willen zum Willen« auf die Politisierung von Heideggers Denken durch den Denker selbst anwenden. Die RekA
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toratsrede liest sich aus späterer Begrifflichkeit wie die reinste Bekundung eines leeren Willens zum Willen. Von daher trifft sie das Verdikt, das Heidegger dem totalisierten Willen ausspricht, nämlich eine Ausprägung von Fanatismus zu sein. 19 Der Wille zum Willen als fanatischer »Einsatz« und »Aktivismus« (GA 71, 116) muss »gebrochen« (GA 7, 71) werden. Genau dies vollzieht Heidegger in den 40er-Jahren, sowohl während des Krieges als auch danach. In der erst jüngst veröffentlichten Abhandlung Das Ereignis wird das Programm, dem Heidegger sich unterworfen hat, explizit gemacht: »Die Seinsverlassenheit des Seienden breitet sich aus in die Unbedürftigkeit gegenüber dem Wesen der Wahrheit, welche Unbedürftigkeit ihre Rechtfertigung hat im Willen zum Willen als dem innersten Wesen der Machenschaft« (GA 71, 138). An dieser vom Willen verantworteten Seinsverlassenheit »vorbeizugehen« ist die Aufgabe, die jetzt Not tut. Die Erfüllung dieser Aufgabe klammert sich an die aus anderen Schriften dieser Zeit bekannten Worte Überwindung, Übergang, Kehre, Verwindung, Abschied usw., wobei Heidegger diese alle aus den Urworten Seyn und Ereignis entfaltet wissen will. Aus den tausenden, einander oft litaneihaft folgenden Aufzeichnungen, die nun inzwischen publiziert wurden, geht hervor, dass Heidegger ein Denken auf den Weg bringen möchte, das sich vom Willen, von der Technik, von der Machenschaft, von der Berechnung, von der Besinnungslosigkeit und von allem, was noch mit dem Willentlichen zusammenhängen soll, freimacht. Die explizite Absage an das Wollen findet sich meines Wissens aber erst in den FeldwegGesprächen, die Heidegger gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verfasst hat. Das längste und bekannteste dieser Gespräche – Anchibasie – beginnt mit einer Erörterung der drei Gesprächsteilnehmer (»Der Weise«, »Der Gelehrte« und »Der Forscher«) über Wissenschaft und Technik, bis es plötzlich zur Thematik des Willens überschwenkt. 20 Der Weise gibt dabei erstmals die später fast mantraartig wiederholte Behauptung von sich: »Was ich bei unserer Besinnung auf das Denken eigentlich will, ist das Nicht-Wollen« (GA 77, 51). Der Forscher und der Gelehrte entspinnen daraufhin eine lange Diskussion über die Frage, wie dieses »Dem Wesen des Willens zum Willen entspricht im Bezirk der menschlichen Zurichtung der Fanatismus.« (GA 71, 116) 20 Eine ausführliche Erörterung dieses Gesprächs bietet der Beitrag von Matthias Flatscher im vorliegenden Band. 19
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Nicht-Wollen zu denken sei: Handelt es sich nicht um einen Widerspruch, wenn man das Nicht-Wollen will? Ist dieses Wollen des NichtWollens dialektisch zu verstehen oder handelt es sich schlicht um ein Paradoxon? Wird hierbei Unmögliches gewollt? Wie ist das »Nicht« dieses Wollens zu deuten? Als Willensverneinung, gar als Nihilismus? Unter Rückgriff auf Leibniz wird zudem die These ins Spiel gebracht, dass Denken und Wollen dasselbe seien (vgl. GA 77, 54). Hierbei gibt der Weise zu bedenken, dass dies auf der Prämisse beruhe, das Denken sei durch »das Vorstellen« hinreichend erfasst. Diese Gleichsetzung »dürfe« man aber nicht stehen lassen (GA 77, 64). Genau an dieser Stelle inszeniert Heidegger eine entscheidende Weichenstellung, indem er den Weisen sagen lässt: »Es könnte doch sein, daß die geläufige Kennzeichnung des Denkens als eines Vorstellens zwar richtig ist und uns dennoch daran hindert, den Wesensursprung des Denkens zu erfahren.« (GA 77, 65) Woraufhin der »Gelehrte« den Gedanken ausspricht: »Es könnte daher wohl sein, daß das Denken mit dem Willen wesenhaft nichts zu tun hat.« (Ebd.) Diese Bereinigung des Wesens des Denkens vom Willen und vom Wollen gibt dem Rest des Gesprächs die entscheidende Richtung. Bei seiner Durchführung kommt die Rede auf die »Gelassenheit«. Das Aufscheinen dieses durch Heidegger wieder in die Philosophie eingeführten Wortes wird vom Weisen sorgfältig vorbereitet, wenn er sagt, dass »alles« daran hänge, »ob wir uns in der rechten Weise auf das genannte Nicht-Wollen einlassen« (GA 77, 67). Im Fortgang des Gesprächs wird diese vom Sicheinlassen her gedachte Gelassenheit zum Leitwort: Nur die Gelassenheit, die auch nicht einfach als Stimmung gedacht wird, sondern eher als ein Stil des Verhaltens, 21 führt den Menschen in die Nähe zu jener Offenheit oder »freien Weite« (GA 77, 114), die Heidegger in diesem Gespräch in einer recht eigenwilligen Suggestivität die »Gegnet« nennt. Inwiefern das Nicht-Wollen zum gelassenen Sicheinlassen auf die freie Weite führen kann, wird an einer Stelle erläutert, die den beiden Bedeutungen des Nicht-Wollens nachspürt. Heidegger beweist hier ein gewisses dramatisches Geschick, indem er die entscheidenden Erkenntnisschritte auf alle drei Gesprächsteilnehmer verteilt. Der Gelehrte er-
Vgl. die Rede von der »Verhaltenheit« als Stil in den Beiträgen zur Philosophie (GA 65, 33–36).
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läutert zunächst die Doppeldeutigkeit des »Nicht-Wollens«, von der der Weise spricht: »Nicht-Wollen bedeutet einmal noch ein Wollen, so zwar, daß darin ein Nein waltet, und sei es sogar im Sinne eines Nein, das sich auf das Wollen selbst richtet und ihm absagt. Nicht-Wollen heißt demgemäß, willentlich dem Wollen absagen. Der Ausdruck Nicht-Wollen bedeutet sodann das, was überhaupt nicht etwas Willenshaftes ist.« (GA 77, 106)
Der Forscher resümiert kurz darauf, wie er den Bezug dieser beiden Weisen des Nicht-Wollens in den Aussagen des Weisen verstanden hat: »Sie wollen ein Nicht-Wollen im Sinne der Absage an das Wollen, damit wir uns durch diese Absage hindurch auf das gesuchte Wesen des Denkens, das nicht ein Wollen ist, einlassen können oder uns wenigstens hierzu bereit machen.« (GA 77, 107) Dieses Resümee wird vom Weisen geradezu enthusiastisch (»bei den Göttern«) bestätigt. Tatsächlich scheint es ihm darum zu gehen, »daß wir uns des Willens entwöhnen« (GA 77, 108). Solche Entwöhnung ist aber überhaupt nur deshalb notwendig, weil uns die nötige Gelassenheit fehlt: »Wenn ich nur schon die nötige Gelassenheit hätte«, sagt der Weise, »dann wäre ich des besagten Entwöhnens bald enthoben.« (Ebd.) Das Nicht-Wollen wollen heißt demnach, sich zunächst das Wollen abgewöhnen, für welche Entwöhnung noch so etwas wie ein Wille nötig ist – nämlich ein asketischer Wille, asketisch im zweifachen Wortsinn als Übung und als Entsagung, als entsagende Übung. Auf dem Wege dieser asketischen Entwöhnung soll nun offenbar eine neue Gewohnheit eintreten, nämlich die, abseits vom Wollen zu bleiben und in solchem Willensabseits zu denken. Denn das Wesen des Denkens wurde ja dadurch bestimmt, dass es »nicht ein Wollen ist«. Das Nicht-Wollen wollen heißt demnach, durch einen entsagenden Willen hindurch zu jenem Denken durchdringen, das völlig frei wäre vom Wollen und sich deshalb – als gelassenes – auch nicht mehr um die Entwöhnung vom Willen kümmern braucht, weil es bereits alles Willentliche völlig aus sich entlassen hat. »Aus sich entlassen« mag hier wie eine Wendung klingen, die dem heideggerschen Gedankenweg nachfolgt (das Ent-lassen als Weg zur Ge-lassenheit). Doch solche Ent-sprechung ist zugleich mit Vorsicht zu genießen. Was hier so freundlich klingt, könnte nämlich auch anders formuliert werden. Alles Willentliche völlig aus sich entlassen haben – inwiefern ist dies von einem »alles Willentliche aus sich ausgeschieden 196
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haben« zu unterscheiden? Wo ist die Differenz zwischen dem Entlassen und einem Entledigen? Wie sanft lässt sich eine solche Trennung vollziehen? Und warum ist diese Trennung zwischen Denken und Wollen überhaupt in dieser Reinheit notwendig? Ich möchte nun in Worten noch ein drittes Bild zur Illustration skizzieren: Heidegger lässt sich, im Lotussitz schwebend, von der Sonne bescheinen. Sein Schatten fällt auf eine verwüstete Welt. Dass der späte Heidegger so gut zum asiatischen Denken passt, hat zwar nicht nur, aber doch sehr viel mit dem Begriff »Gelassenheit« zu tun. Es ist durchaus verlockend, das Plädoyer für die Gelassenheit als Durchbruch zu einem postmetaphysischen Modus des Daseins zu feiern. Die Ruhe, Klarheit und Sinnlichkeit, die aus einigen von Heideggers Spättexten spricht, deutet in der Tat darauf hin, dass hier etwas erreicht wurde, das durch all die politischen Irrungen und Wirrungen hindurch verstellt blieb. Wer gelassen ist, hat auch alle politischen Ambitionen hinter sich gelassen. Aus serenem Rückblick lässt sich leicht die eigene Aktivität von früher als jugendlicher Übereifer darstellen. Mehr noch: Wer den Ton der Gelassenheit trifft, braucht sich um die Bewertung und Aufarbeitung früherer Irrgänge nicht mehr kümmern. Nun bemüht sich Heidegger in den Feldweg-Gesprächen ausdrücklich darum, die von ihm propagierte Gelassenheit gerade nicht als reine Passivität erscheinen zu lassen. Sie soll »außerhalb der Unterscheidung von Aktivität und Passivität« liegen, »weil sie nicht in den Bereich des Willens gehört« (GA 77, 109). Aber ist dies hier schlüssig? Dass der Wille im Text auf der Seite der Aktivität veranschlagt wird, ist offensichtlich, mehr noch: Es wird angedeutet, dass der Wille mit der Aktivität identisch ist und dass gerade deshalb die Passivität eine (negative) Bestimmung des Willens ist. Passiv wäre dann, was nicht Wille ist – was bedeuten würde, die Passivität aus dem Horizont der Aktivität des Willens zu deuten. Gerade dies soll für die Gelassenheit vermieden werden. Sie gilt hier als etwas, das vor dem Willen liegt und für das deshalb die Polarität Aktivität-Passivität gar nicht zutrifft. Unübersehbar wird hier ein bestimmter Begriff des Willens als allein wesentlicher vorgetragen. Wir sind heute, im Zuge der heideggernahen Denkwege von Emmanuel Levinas, Jacques Derrida und anderen daran gewöhnt, unter »Wille« eben das zu verstehen, was in den Feldweg-Gesprächen darunter verstanden wird: als reine Aktivität eines Subjekts, die als ideologische Überhöhung des bürgerlichen Selbst entlarvt wurde. Die reine Aktivität, genannt »Wille«, verdient unter solA
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cher Betrachtung tatsächlich eine gründliche De(kon)struktion. Es fragt sich aber, warum der Begriff »Wille« schlechthin aus dem Denken entfernt werden soll. Ist er dermaßen kontaminiert, dass jeder Kontakt mit ihm zu einer Verunreinigung des Denkens führt? Zu einer Ansteckung mit subjektmetaphysischen Theoremen? Ist er in sich dermaßen metaphysisch, dass er sich nicht mehr retten lässt? Dass Heidegger dies hier so denkt, dafür gibt das dritte FeldwegGespräch einen bedeutsamen Hinweis. Die Erörterung der »Verwüstung« führt zu einem sonst kaum verwendeten Wort, das außerhalb des sonstigen moralphilosophischen Rahmens gebraucht wird: nämlich »das Böse«. Die »Verwüstung der Erde« und »die mit ihr zusammengehende Vernichtung des Menschenwesens« sind »irgendwie« das Böse selbst (GA 77, 207). Dieses wird, nach Abwehr der üblichen Konnotationen, als »der Ingrimm des Aufruhrs« charakterisiert: ein Ingrimm, der letztlich über sich selbst ergrimmt ist »und dadurch stets grimmiger«, weshalb »der Ältere« der beiden Gesprächsteilnehmer meint, »das Bösartige sei etwas Willensmäßiges«. Darauf »der Jüngere«: »Vielleicht ist überhaupt der Wille selbst das Böse.« (GA 77, 208) Es wird im Folgenden zwar das »vielleicht« festgehalten und das Vermutende an dieser Behauptung hervorgehoben. Dennoch bleibt diese vermutete Selbigkeit von Willen und Bösem frappierend. Festzuhalten ist, dass der so gefasste Wille als »Ingrimm des Aufruhrs«, der sich an sich selbst weiter entzündet, das Gegenstück zu jener ruhigen Bewegung abgibt, die als Gelassenheit sich der freien Weite und Weile überantwortet. Auch dann aber scheint mir die Selbigkeit des Willens mit dem Bösen eine Wertigkeit beizubehalten, die ich als Indiz für ein eingeschränktes Verständnis des Willens lese. Ich werde zum Schluss (»mit Heidegger gegen Heidegger«) eine ganz andere Erläuterung des Willens referieren und vorschlagen, auf dieser anderen Bahn weiterzudenken – jenseits von Gut und Böse, wenn man so will. Weil dieser andere Gebrauch aber in Heideggers Werk nicht gründlich bedacht wird, muss er sich in seinem Versuch, das Denken von seiner Verunreinigung mit metaphysischen Elementen zu befreien, auch vom gesamten Willenskomplex frei machen. Ob diese Befreiung als Entwöhnung, Entlassung, Entledigung oder Entfernung vor sich geht, ist aus dem seinsgeschichtlichen Horizont heraus eine nachrangige Frage. Nachrangig, weil die Sanftheit oder Gewaltsamkeit der Entwöhnung nichts ist im Vergleich zur Wesentlichkeit der Aufgabe – nämlich das Denken zu reinigen. 198
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Gerade dadurch bleibt dieses Denken aber in einer entscheidenden Hinsicht metaphysisch: weil es daran festhält, den Bereich des Willens als rein metaphysisch zu deuten, anstatt ihn, entsprechend den übrigen De(kon)struktionen metaphysisch gebrauchter Begriffe, ebenso zu de(kon)struieren. Diese Beibehaltung metaphysischer Denkmuster wäre, ginge es nur um die akademische Frage, welcher Denker nun tatsächlich die Metaphysik überwunden hat (eine Frage, die in dieser Schärfe ausgerechnet von Heidegger selbst in die Philosophie hereingetragen wurde), eine meines Erachtens nebensächliche. Sie wird aber, wenn man Heideggers Bemühungen um eine Einübung ins Entrücktsein in seiner geschichtlichen und biographischen Verlaufsgeschichte ansieht, eine dringliche Frage: Denn die Entwöhnung vom Willen scheint mir nicht anders lesbar denn als eine in höchstem Maße mehrdeutige Reaktion auf die Rektoratsrede und die in ihr erklungene Sprache. Von daher nimmt sich die besagte Entwöhnung wie ein metaphysischer Schachzug aus: ausgedacht, um von einer persönlichen Verfehlung abzulenken (die anderen Denkern wohlgemerkt nicht unterlaufen ist), um sich stattdessen als passiver (und damit un-williger) Agent einer seinsgeschichtlichen Irrnis darzustellen. Wenn Heidegger 1945 so sehr darauf pocht, dass Denken und Wollen auseinandergehalten werden müssen, so ließe sich darauf sarkastisch antworten: ›Natürlich muss das so sein, denn die ganze Verwirrung der 30er-Jahre entstand ja nur, weil man das Denken und das Wollen zusammengemischt hat! Jetzt aber besinnen wir uns und halten diese Bereiche wieder auseinander. Denken ist Denken und Wollen ist Wollen, das eine hat mit dem anderen, ursprünglich gedacht, nichts zu tun.‹ Ist dies nicht ein klassischer metaphysischer Gestus? Versucht Heidegger hier nicht zu einer Reinheit des Denkens zurückzukehren, von der überhaupt nicht klar ist, ob es sie jemals gegeben hat? Und tritt das Motiv zu dieser Rückkehr nach dem Scheitern seiner politischen Pläne, seines politisch-geschichtlichen Willens, nicht deutlich genug hervor? 22 Mit der Absage an das Wollen restauriert Heidegger seinen Willen Der Verdacht, dass Heidegger »einer Passivität des Menschen das Wort redet, die dort entschuldigt, wo eindeutig von persönlicher Schuld zu reden ist« (Zaborowski, Holger: Eine Frage von Irre und Schuld? Martin Heidegger und der Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 2010, 703), ist weder neu, noch muss er auf mangelnder Kenntnis des Werks und der biographischen Quellen beruhen; vielmehr wird dieser Verdacht, wie Zaborowskis umfangreiche Studie unter Beweis stellt, durch eben diese Kenntnis noch erhärtet (vgl. ebd., 550).
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zur Einübung ins Entrücktsein. Doch er hat inzwischen feststellen müssen, dass die Arbeit an der aktivischen Entrückung der falsche, weil politisch verheerende Weg war. Deshalb wechselt er nun hinüber auf den anderen Weg, er springt von der willentlichen zur willensfreien Entrückung. In dieser wird er sich bis an sein Lebensende behaglich einrichten. Sein Tonfall wird dabei sanfter, gelassener, vielleicht auch zufriedener. Doch all dies ist teuer erkauft: mit einer konstitutiven Unfähigkeit, über den politischen Irrweg etwas Erhellendes zu sagen. Dass ihm dies nicht gelingt, liegt meines Erachtens an seiner Fortschreibung der metaphysischen Distinktionen Wille/Denken sowie Aktivität/Passivität. Zugegeben, Heidegger gibt auf der Seite der Gelassenheit eine bessere Figur ab als auf der Seite der Entschlossenheit. Doch sobald man die vorgeschobene Selbstbescheidung der Philosophie als eine Angelegenheit der Provinz in Frage stellt; sobald man entgegen dieser freiwilligen Provinzialität auch nur ein bisschen politisch zu denken beginnt, müssen seine Ausführungen auch philosophisch enttäuschend bleiben. Heidegger hätte so viel über die Politiken der Ekstase sagen können, besonders nach seinem Irrweg; doch er hat genau das vermieden, indem er zwar den Ton, nicht aber das Denkschema bezüglich des von ihm in der Rektoratszeit missbrauchten Willensbegriffs wechselte. Und so bleiben seine Aussagen ambivalent – so wie die folgende, deren ethisches Sollensgebot als Kulminationspunkt der Gelassenheitsdebatte in den Feldweg-Gesprächen gelten kann: »Wir sollen gar nichts tun, sondern warten.« (GA 77, 110)
4.
Entrückung durch ein anderes Wollen
Die Entfernung des (metaphysisch gedachten) Willens aus dem Denken ist allerdings weder das letzte noch das äußerste Wort, das Heidegger zur Frage des Willens verloren hat. Ich werde anhand zweier weiterer Stellen die These vertreten, dass auch Heidegger einen metaphysikfernen Gebrauch des Wortes kennt und betreibt und dass dieser völlig kongruent ist mit der Stoßrichtung seines Spätwerks. Anhand dieser Stellen wird sich zeigen, dass auch das seinsgeschichtliche Denken als ein Wille aufgefasst werden kann, vorausgesetzt freilich, dass die primär neuzeitlichen Konnotationen dieses Begriffs durch gründlichere Anklänge übertönt werden. 200
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Der erste Hinweis auf einen metaphysikfernen Willensbegriff findet sich in der nachgelassenen Abhandlung Besinnung, und zwar im Zuge eines Nachdenkens darüber, was denn »Philosophie« zu bedeuten hat. Im Zuge dieser »Wesensbesinnung« wird auch die Standardübersetzung der Philosophie als »Liebe zur Weisheit« fragwürdig. Heidegger überträgt das griechische Wort auf seine Weise in zwei Schritten: (1.) Liebe heißt »Wille, daß das Geliebte sei, indem es zu seinem Wesen finde und in ihm wese. Solcher Wille wünscht und fordert nicht.« (GA 66, 63) (2.) Weisheit heißt das »wesentliche Wissen, die Inständigkeit in der Wahrheit des Seyns« (ebd.), woraus sich dann ergibt: »Jene ›Liebe‹ liebt daher in einer einzigen Vor-liebe das Seyn; dies, daß das Seyn ›sei‹, ist ihr Geliebtes; ihm, das ist, seiner Wahrheit und deren Gründung, gilt der Wille zum wesentlichen Wissen. Das Seyn aber – ist der Ab-grund.« (Ebd.) Im darauf folgenden Absatz erläutert Heidegger diesen anders gearteten Willen noch näher, um mögliche Missverständnisse auszuräumen. Der so verstandene Wille vergegenständlicht nicht, er ist nicht besitzergreifend, nicht »eigenmächtige Eigensucht und Anstrengung«, vielmehr ist er »die Leidenschaft, die in ihrer Bestimmung ausharrende Grundstimmung des Er-leidens der Not des Ab-grundes« (GA 66, 64). Eine beharrliche Leidenschaft ist dieser Wille, eine Leidenschaft, die zwar einerseits nicht fordert, aber andererseits trotzdem nicht einfach Passivität bedeutet, denn: »Solches Er-leiden steht außerhalb von Untätigkeit und Betätigung« (ebd.). Dieser Wille, der »des Seyns ist«, also dem Seyn zugehört und von diesem her ereignet wird, ist daher weder eine Passivität noch eine Aktivität: Die Verneinung von Untätigkeit und Betätigung entspricht der Verneinung, die in den Feldweg-Gesprächen im Hinblick auf die Gelassenheit in Anspruch genommen wurde. Während dort allerdings dieses »außerhalb« damit begründet wurde, dass die Gelassenheit »nicht in den Bereich des Willens gehört« (GA 77, 109), findet sich hier eine Auffassung des Willens, die offenbar an jener metaphysisch bleibenden Bestimmung vorbeigeht und einen anders gearteten Willen abseits jeden Strebens nach Vergegenständlichung geltend macht. War dort der Wille aus dem (nichtmetaphysischen) Denken entfernt worden, rückt er hier an die Stelle der Gelassenheit; beide stehen außerhalb von Aktivität und Passivität, sodass sie in gewisser Weise identisch werden. Ein zweiter Hinweis darauf, dass Heidegger durchaus einen außermetaphysischen Willensbegriff für möglich und sogar notwendig hielt, A
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findet sich im Vortrag Wozu Dichter? von 1946. In der Erläuterung eines Gedichts von Rainer Maria Rilke kommt Heidegger ausführlich auf den Willen zu sprechen. Im Laufe der Ausdeutung dieses Gedichts erarbeitet er eine Auffassung des Willens, die sich fundamental vom neuzeitlichen, vergegenständlichenden Willensbegriff unterscheidet. En passant formuliert Heidegger auf dem Weg dieser behutsamen Interpretation eine seiner vielleicht treffendsten Definitionen des (metaphysisch verstandenen) Willens: »Etwas vor sich bringen dergestalt, daß dieses Vorgebrachte als ein zuvor Vorgestelltes alle Weisen des Herstellens in jeder Hinsicht bestimmt, ist ein Grundzug des Verhaltens, das wir als das Wollen kennen. Das hier genannte Wollen ist das Her-stellen und zwar im Sinne des vorsätzlichen Sichdurchsetzens der Vergegenständlichung.« (GA 5, 288)
Die Wendung vom »vorsätzlichen Sichdurchsetzen« wird in der Folge zu einem Leitmotiv des Vortrags. Es wird dem »neuzeitlichen Menschen« als sein Wesen veranschlagt; ergänzend spricht Heidegger noch vom »durchsetzenden Herstellen«, das in »Art eines Befehls« alles Seiende als ein Vor- und Hergestelltes versammelt: »Darin, im Sichzusammennehmen, kündigt sich der Befehlscharakter des Willens an.« (GA 5, 289) Solcher Befehl ist ein Zwang, mit dem die ganze Erde instrumentalisiert wird. Diese Instrumentalisierung und damit Verwüstung gründet aber im »Sichdurchsetzen« des Menschen, der so sich gegen die (auch eigene) Natur stellt. »Nicht erst die Totalität des Wollens ist die Gefahr, sondern das Wollen selbst in der Gestalt des Sichdurchsetzens innerhalb der nur als Wille zugelassenen Welt.« (GA 5, 295) Bis hier sieht alles so aus, als würde Heidegger das Gedicht Rilkes seinem Gehalt nach als Illustration der neuzeitlichen (Willens-)Metaphysik ausdeuten. Doch die Erwähnung der Gefahr ist für Heidegger willkommener Anlass, das Wort Hölderlins zu zitieren: »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.« (GA 5, 296) Ein Zitat, das eine Wende einleitet, indem es an die Gegenwendigkeit von Gefahr und Rettung erinnert. Anstatt die zunächst festgestellte Verortung des Gehalts von Rilkes Gedicht innerhalb des metaphysischen Denkens auf sich beruhen zu lassen, geht Heidegger zu einigen Versen zurück, um sie einer andersgearteten Erläuterung zuzuführen. Die Wende führt über die Interpretation der Worte »Wagnis« und »wollen«. Rilke bahne, so Heidegger, in seinem Gedicht eine Überführung des neuzeitlichen Sprechens und Handelns in ein andersgeartetes 202
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Verhalten an. Dies zeigt sich anhand einiger Verse, denen zufolge die Menschen »manchmal auch / wagender sind (und nicht aus Eigennutz), / als selbst das Leben ist, um einen Hauch / wagender« (GA 5, 277). Heidegger lässt sich auf das »wagender« ein und kommt über dieses höhere Wagnis auf die Sprache: »Die Wagenderen sind die Sagenderen von der Art der Sänger. Ihr Singen ist allem vorsätzlichen Sichdurchsetzen entwendet. Es ist kein Wollen im Sinne des Begehrens.« (GA 5, 316) In Abgrenzung vom neuzeitlichen Menschen, der im wollenden Herstellen aufgeht, sind die Wagenderen »wollender«, was hier heißt, dass sie »in anderer Weise wollen als das vorsätzliche Sichdurchsetzen der Vergegenständlichung der Welt« (GA 5, 318). Erst hier, gegen Ende der Erläuterung von Rilkes Dichtung, spricht Heidegger in aller Deutlichkeit aus, dass das gewöhnliche Wollen, welches er ebenfalls in Rilkes Gedicht ausmacht, von einem anders gearteten Wollen überholt wird. Das Wollen der Wagenderen will nichts im Sinne des Begehrens, Herstellens oder Sichdurchsetzens, sondern es ist ein Wollen, das dem Willen des Seins entspricht: »Sie wollen in diesem Sinne nichts, weil sie williger sind. Sie entsprechen eher dem Willen, der, als das Wagnis selber, alle reinen Kräfte an sich zieht als der reine ganze Bezug des Offenen. Das Wollen der Wagenderen ist das Willige der Sagenderen, die ent-schlossen, nicht mehr abschiedlich verschlossen sind gegen den Willen, als welcher das Sein das Seiende will.« (GA 5, 319) Auch hier wird der Wille aus dem Bereich des Menschlichen (der Subjektivität) entrückt und an anderer Stelle verortet. Es ist das Sein, das das wahrhaft Wollende ist und nicht der Mensch, der allerdings dieses Wollen vom Sein her empfängt, bewahrt und – verbindet man die Rilke-Erläuterung mit der Übertragung des Wortes »Philosophie« – in Richtung des Seins (oder Seyns) zurückwendet. Es ist ein Wille, der nichts herstellen (oder um-stellen, sprich: verändern) will, der sich vielmehr darauf beschränkt, das Sein des jeweils anderen zu wollen. Es ist ein freigebender, ein Raum, Zeit und Bezug gewährender Wille. Es ist Zeit, das vierte Bild zu zeichnen. Es stellt zwei Landschaften dar; die erste Landschaft besteht aus verbrannter Erde mit einem verklärten Himmel darüber; genau im Übergang ist ein Wegweiser in Gestalt Heideggers in die Erde gepflanzt; sein Arm winkt in die andere Landschaft, deren Farben und Formen weder voneinander getrennt noch miteinander verschmolzen sind. Damit die andere Weise des Wollens überhaupt in Erscheinung A
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treten kann, braucht es eine Erschütterung des gewöhnlichen Wollens. Solche Erschütterung geschieht, wenn das Wesen des Menschen »angerührt« wird. »Im Rühren wird das Wollen erschüttert, so daß erst das Wesen des Wollens zum Vorschein und in die Bewegung kommt.« (GA 5, 303 f.) Die Wende vom neuzeitlichen zum seinsgeschichtlichen Wollen beruht darauf, dass sich der Mensch anrühren lassen kann. Ob solche Rührung und Erschütterung zugelassen wird, ist demnach die entscheidende Frage. Wo sich der Mensch gegen eine solche Entrückung zur Wehr setzt und sich unempfindlich macht, wird der herstellend-vergegenständlichende Stil des Verhaltens triumphieren. Wo aber solche Entrückung sich ereignen kann, wo ihr überdies sogar die Ankunft willig bereitet wird, dort liegt jene Offenheit vor, in der auch das wendende Ereignis empfangen werden kann, ohne dass es als Zerstörung eines Bestandes empfunden wird. In anderer Weise wollen heißt demnach, sich den Anrührungen, Erschütterungen, Er-Leidenschaften und Entrückungen willig aussetzen. In anderer Weise wollen heißt, das Entrücktwerden wollen: nicht aber als ein Begehren oder gar Befehlen entrückender Erlebnisse, sondern als das weder rein passive noch bloß aktive, sicherlich aber achtsame und aufmerksame Erwarten, dass die Entrückung komme. 23 Wenn man diese Wendung ernst nimmt (und wenn es gelingt, das Unbehagen etwa angesichts der Rede vom »Willen des Seins« abzulegen), lässt sich zumal in Heideggers Spätdenken ein freiheitsliebender Zug erkennen, der im Gewähren und Affirmieren des Seienden ebenso wie des Seins besteht. Der philosophische Zug in diesem Denken des Wollens, das selbst ein Wille ist, macht sich unter anderem daran bemerkbar, dass es uns daran erinnert, dass wir nur dann wirklich das Dasein des Mit-Seienden wollen, wenn wir nicht auf seinen Besitz drängen, wenn wir es nicht vergegenständlichen und nicht ändern oder gegen Anderes ausspielen wollen (etwa indem wir werten, vorziehen, ablehnen und verwerfen); dies aber gelingt nur dann, wenn wir den Horizont, aus dem all dieses Seiende hervorgeht, wollen und in jenem Bezug halten, der gemeinhin mit »Liebe« bezeichnet wird. 24 Ohne das Zur Achtsamkeit in Heideggers Spätwerk siehe GA 75, 41; zur Aufmerksamkeit siehe GA 71, 288–293; zum Warten, das freilich nichts bestimmtes er-wartet, siehe GA 77, 226 ff. 24 Ein Wort, das Heidegger (GA 66, 63) wohl bewusst in Anführungsstriche setzt. Zur Schwierigkeit, das Wort philein zu übersetzen (eine Schwierigkeit, die sich für Philoso23
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Wollen des Seins insgesamt greift das Wollen des Daseins des Seienden immer zu kurz. Die Seinsvergessenheit erweist sich in dieser Lesart als Vergessenheit des Wollens als umfassend-entgrenztes Gewähren, Zustimmen und Sein-Lassen. In anderer Weise wollen muss dann aber auch heißen: Entrücken wollen, und zwar da, wo sich eine allgemeine Entrückungslosigkeit bemerkbar macht (da, wo die Ergriffenheit sich in reine Begriffenheit abgenutzt hat und nun einen neuen Eingriff braucht). Nirgendwo zeigt sich Heideggers Geschicklichkeit deutlicher als in der Macht seiner Sprache, die Leserschaft zu erschüttern, zu entsetzen und zu entrücken: indem er sie, kraft seiner Stilistik, aus ihren vertrauten (und damit eingeschränkten) Bezügen hinauskatapultiert in die Weite eines Denkens, das ein Andenken der Offenheit und des Bezuges im Sinne Rilkes ist. Dieses Entrückenwollen ist freilich kein Selbstzweck, es beabsichtigt keinen kurzlebigen thrill, wie es etwa in der Kultur- und Erlebnisindustrie (um hier eine von Heidegger und Adorno geteilte Kritik zu amalgamieren) der Fall ist. Vielmehr handelt es sich um ein therapeutisches (im Sinne Nietzsches) 25 Entsetzen und Entrücken, das Heidegger als zutiefst notwendig erachtet hat und dessen Notwendigkeit mit der Geschichte der Philosophie parallel läuft: hat sie doch, allen Ausnüchterungstendenzen zum Trotz, ein bis in die Gegenwart fortlebendes, eigenständiges Entrückungsgenre ausgebildet, das weder mit Religion noch mit Kunst identisch ist, aber so wie diese den Bezug des Menschen zur Welt und zum Sein in eine höhere Intensität übersetzt. Heideggers Zwiesprache mit den großen Dichtern und Denkern des Abendlandes ist daher immer auch ein Mitdenken und Mitgehen mit den großen entrückenden Leistungen; dass er dabei selbst ein Kind seiner Zeit blieb und bei seinem Ringen um das »wagendere« Sagen mitunter genau jene metaphysischen Schemata bediente, von denen er sich um der Konphen aus mehreren Gründen potenziert), vergleiche Derrida, Jacques: Politik der Freundschaft. Frankfurt am Main 2000, 438–462. 25 In den Vorträgen Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten schreibt Nietzsche angesichts der Geistarmut der zeitgenössischen Pädagogik: »Hier muß unsere Philosophie nicht mit dem Erstaunen, sondern mit dem Erschrecken beginnen: wer es zu ihm nicht zu bringen vermag, ist gebeten, von den pädagogischen Dingen seine Hände zu lassen.« (KSA 1, 673 f.) – Nicht nur die Aufgabe der Philosophie als Erschrecken findet sich bei Heidegger wieder, sondern ebenso das Nachdenken über die Schwierigkeiten pädagogischer Tätigkeit: in plumper Weise in den kurzlebigen Plänen zur nationalsozialistischen Dozentenschule ebenso wie, in wesentlich subtilerer Form, in den einführenden Vorbemerkungen der Vorlesungsmanuskripte. A
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tinuität des Entrückens willen lossagen wollte, bezeugt in erster Linie die festlegende Macht der Sprache. Die Auseinandersetzung mit seinen Aussagen zum Willen hat gezeigt, wie fein die Linien zwischen den Sprechakten verlaufen, die sich derselben Begriffe bedienen und doch ganz unterschiedliche Wirkungen erzeugen. Wer Sprache in entrückender Absicht gebraucht, muss sich daher kritische Nachfragen gefallen lassen: Wie verantwortungsvoll wurde hier mit der Sprache umgegangen? Wie weit verschwistert sie sich mit destruktiven Sprechakten? Und schon gar nicht wird das Weiterdenken dieses Denkens um die Auseinandersetzung mit der Frage herumkommen, wie sehr die politische »Verirrung« durch den gewählten (oder übernommenen) Sprachgestus selbst vorgezeichnet war und wie sich heute, nach der Einsicht in das Verheerende dieser Verirrung, an ihren Wirkungen festhalten lässt. Wie viele Anläufe Heidegger unternommen hat, um zur genuin philosophischen (und nicht etwa zur weltanschaulich-ideologischen) Entrückung durchzudringen, wird durch die fortlaufende Publikation der Gesamtausgabe nach und nach deutlich – und ebenso, wie bruchstückhaft viele dieser Anläufe geblieben sind bzw. von vornherein angelegt waren. Als eminent Sprach-Höriger ließ Heidegger sich stets (willig und zumeist auch eigen-willig) von der ekstatischen Qualität der Sprache (der »Sprüche« und der »Worte«) ergreifen, um die eigene Ergriffenheit an seine HörerInnen und LeserInnen weiterzugeben. Dieser ekstatische Zugang zur Sprache und damit zur Philosophie ist in Zeiten der Instrumentalisierung und Rationalisierung des Denkens äußerst selten geworden. Auch wenn Heidegger die deutsche Sprache oft genug überstrapaziert hat und er in politischen Belangen enttäuschend insensibel war, bleibt sein Werk doch ein außerordentliches Zeugnis dafür, wie viel die Philosophie zu bieten hat, wenn sie sich auf den Teil des Lebens einlässt, der jenseits von Planbarkeit und Berechnung vor sich geht.
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NoTon. Man spricht mit, man hört mit …
Die Frage nach dem Stil eines Werks, eines Autors, ist eine philologische Frage. Stellt man sie in Bezug auf ein Denken oder einen Denker, gerät man unweigerlich in das umkämpfte Gebiet zweier rivalisierender Philos, wobei der Philologie nicht unbedingt die glanzvolle Rolle zukommt. Sie ist kleinkrämerisch und macht sich lächerlich in ihrer Beflissenheit und ihrem Besserwissen, ihrer zwanghaften Texttreue, ihrer Wortfürwortklauberei; sie schaut nicht auf das große Ganze und die logischen Konsequenzen, sie hält sich auf bei den unscheinbaren Worten und ihren Abständen, Wiederholungen, Tonlagen und Färbungen und wenn auch die wörtliche Übersetzung der »Philologie« von irgendeiner Freundschaft, Passion und Leidenschaft kündet, so gibt es für sie selbst eher das Gegenteil, die Abwehr – den »anti-philologischen Affekt« 1 . Die Frage nach dem Stil eines Denkens oder eines Denkers lässt sich aber nicht »unphilologisch« stellen, geschweige denn beantworten und zumindest implizit bringt sie mit sich, dass auch danach gefragt wird, was das denn ist – die Philologie? Eine Frage, die ebenfalls weit weniger Glamour und Tiefgang verspricht, als die verwandte nach der Philosophie – und auch weit seltener gestellt wird, wenn überhaupt. Geht es um Heidegger, ist das Terrain (abgesehen von Nietzsche, da aber ganz anders) vielleicht noch umkämpfter als sonst und zumindest mir fällt kein anderer Philosoph ein, dessen Eigenname es zu einer Wortverbindung mit der Philologie gebracht hätte, die alles andere als neutral ist: Die »Heidegger-Philologie« ist ein eigener Fall, »ich betreibe jetzt mal ›Heidegger-Philologie‹« wird immer dann gesagt – ja, wann eigentlich? – vielleicht dann, wenn einem zu großzügigen, d. h. einem wortbrüchigen Auslegen der Riegel vorgeschoben werden soll; Philologie als Spaßverderberin, wenn nicht alles wortwörtlich genommen 1
Vgl. Hamacher, Werner: Für die Philologie. Frankfurt am Main 2009, Titelseite. A
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werden soll. Oder anders gesagt: Philologie ist immer auch Polemik und »Heidegger-Philologie« ist es jedenfalls. Nur: Wie denn vorgehen, wenn es um Heideggers Stile geht und nicht (Heidegger-)Philologie betreiben und befragen, was sie denn sein könnte? Wie nicht zumindest auch die Frage stellen, wonach hier gefragt wird, wenn es um den »Stil« geht, um den Umgang mit den Worten, Sätzen und Formulierungen? Wie nicht zumindest auch vom Einfall schreiben, den das eine Philo dem anderen beschert – ohne dabei ihre Differenzen zu nivellieren und ihnen die Polemik auszutreiben? Meine folgende Heidegger-Lektüre ist gleichzeitig schmalspurig und zweispurig: Ich schlage keinen großen Bogen, sondern montiere, demonstriere einen Text. Ich frage nach dem Anspruch dieses Texts im Sinne einer Anrede und eines Anklangs. Ich frage gleichzeitig auch danach, was mit oder in Heidegger »Philologie« heißen kann, wenn darunter die Aufmerksamkeit für ein Sprechen verstanden wird, das sich selbst die Frage nach dem »Stil« stellend eine(r) Blöße und Blässe (hin) gibt, sich ihr widmet, ihr widmen muss, auch oder gerade wenn es dabei etwas anderes versucht. * * * Ich möchte damit beginnen, dass »Stil« nicht nur ein Wie?, eine Form, eine Figur, eine Charakteristik meint, sondern eine Frage der Anrede ist. »Stil« ist nicht nur ein »wie ist etwas gemacht?«, »was zeichnet es aus?, was kennzeichnet es?«, sondern auch ein »wie redet es an, wen redet es an, für wen ist es gedacht?«. Es geht mir nicht nur darum, ob ein Denker seinem Anspruch gerecht wird, ihm entspricht oder sich selbst ansprechend widerspricht, sondern zuerst darum, wie der Anspruch als Ansprechen überhaupt gedacht, d. h. problematisch wird. Vielleicht tritt das, was »Stil« genannt wird, deshalb als Unbehagen der Philosophie auf, weil der »Stil« (noch bevor darunter eine bestimmte oder bestimmende Charakteristik eines Denkens oder Schreibens gemeint ist) selbst eine Bewegung zwischen verschiedenen Ansprüchen ist, die sich nicht zur Deckung bringen lassen: Philosophie (als Wissenschaft, als Disziplin) und »Denken«. Damit versuche ich den Stil weniger als Figur oder Gestalt zu verstehen, als Charakter, sondern als offenen und auch widerständigen Spielraum, der keinem Anspruch genügen kann. Mit diesem Ungenügen meine ich nicht nur, dass die Philosophie (als Wissenschaft, als Disziplin) / das 208
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Denken immer mehr oder weniger und anderes ist, als das, (als) was sie/ es (sich) ansprechen kann, sondern auch, dass sie/es sich der Schließung in ein »genug« gleichzeitig aussetzt und entzieht. Das heißt, in einem oder vielmehr als offener Spiel- und Resonanzraum (denkend sind immer »alle« gemeint und bedacht) redet das Denken das Denken an und moduliert die Gedanken, vertont sie – wenn man das ohne eine vorgängige Tonlosigkeit denken kann … An wen, für wen und mit wem das Denken denkt, wenn es (sich) denkt, kommt nicht erst irgendwann später, nachträglich und nachtragend zum Denken hinzu, sondern es sind die Tonlagen des Denkens, das, indem es »sich« anredet, mit sich etwas anfängt, sein »Eigenes« anklingen lässt, ohne dass dieses »Eigene« einem anderen Anspruch unterstünde als dem des Ansprechens, das gleichzeitig ein Zuhören ist. Insofern ist das Denken »eigen«, wenn man darunter etwas Seltsames, Sonderbares zu verstehen beginnt. Fragt man sich, wie sich Heidegger, wem sich Heidegger mitteilt, wie bei ihm Anspruch, Ansprechen, Hören gedacht (und auch: inszeniert) wird, kommt auch die Frage auf, warum sich der Stil eines Denkens (und damit auch: den Stil denken) eigens, als Thema oder Problem überhaupt aufdrängt. Inwiefern wird oder ist der Stil Sache des Denkens? Stil als Angelegenheit des Denkens heißt, dass der Stil – z. B. einen haben oder nicht, d. h. besitzen, verfügen, aneignen – nicht einfach (so das so einfach je ging) dem Bereich des nicht-Diskursiven zugeordnet werden kann; es heißt vielmehr, dass das Denken in seinen Ansprüchen, seinem Ansprechen, seiner Anrede, seiner Mitteilung sich selbst so unterbricht, dass genau dieses »Wie (gedacht)?« und »Von wem für wen (gedacht)?« sich nicht mehr umgehen lässt. Wo der Stil als Problematik des Ansprechens und des Anspruchs des Denkens explizit wird – und zwar nicht (nur) als Entscheidung für diesen oder jenen Stil, gewollte, bedauerte philosophische Einstiligkeit oder Stillosigkeit gegen den schönen, vielfältigen, populären Stil der Literatur –, geht es um einen Bruch. »In welchem Stil wird gesprochen, geschrieben, gedacht?« als Unbehagen heißt zumindest, dass ein »bisheriger« Stil (und sei es ein stilloser) nicht mehr angewandt werden kann, dass ein bestimmter Anspruch und damit auch ein bestimmtes Ansprechen unmöglich geworden sind und mit einiger Dringlichkeit und Notwendigkeit ein neuer, anderer Stil ge- oder erfunden werden muss. Der Stil als Problem oder Thema ist gleichzeitig Stil(ein)bruch, weil sich auf der Stelle ein Abstand auftut: Über den Stil schreiben kann zwar durchaus A
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stillos erfolgen, aber auch die Stillosigkeit ist noch eine Angelegenheit des Stils, eben als Zurückweisung (s)eines Anspruchs – das aber nicht und nie ohne Anspruch. Das Problem des Findens oder Erfindens eines neuen, anderen als des bisher üblichen Stils kommt, einmal gestellt, nicht mehr zur Ruhe. Der »Stil« hat mit Enden und Anfangen zu tun. Dieses Enden/Anfangen befriedigt und begnügt sich nicht so, dass einfach eine neue Art des Philosophierens (z. B. über den Ton) den Ton angeben würde; sondern ab dem Moment, wo sich die Aufmerksamkeit auf Tonfall, Klang, Rhythmus, Gestimmtsein richtet, und zwar so, dass nicht mehr der eine oder der andere Stil zur Auswahl steht, sondern der Stil als Entäußerung des homogenen Diskurses und der diskursiven Homogenität »selbst« zum Problem des Denkens wird, 2 so, dass er es (un)endlich verschiebt und einräumt, wird die Frage explizit: »Wie« »klingt« »Denken«?, in welchem, als welcher Resonanzraum und wie das denken, was das Denken allererst, immer schon und immer wieder stimmt, sodass es sich ereignet, ohne dass dieses Ereignis je diskursiv begriffen, erfasst werden könnte? Der Stil ist deswegen ein Problem, weil alles, seit Nietzsche, seit Heidegger, also mit dem »Ende« der Philosophie und einem »anderen Anfang« zu tun habende, offensichtlich keine diskursive Integrität mehr beanspruchen kann. Im Werk ist etwas am Werk, das die äußerste Grenze des Werks ist, und als solche die Nicht-Identität des Werks selbst und seines Anspruchs. Die Philosophie arbeitet seit Nietzsche auf unterschiedliche Weise an ihrer Undiszipliniertheit und die Undiszipliniertheit arbeitet an der Philosophie. Es gibt nicht umsonst holprige Unruhe, wenn der Umgang des Denkens sich selbst zu umgehen beginnt, mit sich selbst umzugehen beginnt und sich nicht abstellen lässt, weder indem man irgendeinen althergebrachten (»akademischen«) Stil restauriert oder verteufelt, noch indem man philosophische Diskurse »performativ« illustriert. Ich will darauf hinaus, dass es nicht nur um die Aufmerksamkeit für den Stil eines Denkers geht, den man charakterisieren, analysieren und bewerten kann, sondern um den Stil als Umgang des Denkens mit sich selbst (was auch heißt, dass es sich in seiner und als seine Bestimmung Stil als Entäußerung ist der Spieleinsatz in Derrida, Jacques: Randgänge der Philosophie. Wien 1988, vgl. besonders: »Das Timbre, der Stil und die Signatur sind dieselbe obliterierende Teilung des Eigenen. Sie machen jedes Ereignis möglich, notwendig und unauffindbar.« (21)
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und Bestimmtheit umgeht). Und ich will auch darauf hinaus, dass es dem Stil nicht nur darum geht, wie etwas gemacht/gedacht ist und was dieses so oder so Gemachte/Gedachte dann mit der Rezipientin (nicht) macht oder (nicht) machen soll, sondern neben einer Frage der Wirkung oder als ihre Modifikation wird mit dem Anspruch des Stils die Empfänglichkeit und Empfangsbereitschaft, sein Resonanzraum mit angesprochen, mitgehört. Und das heißt eben nichts anderes als: Wen geht das Denken an, wie geht es alle an und wie teilt es diesen Anspruch (mit)? Eine philosophische Formel dafür (wenn sie denn und in welchem Sinn sie noch »philosophisch« und »Formel« ist) lautet: Für Alle und Keinen. Das soll nicht heißen, dass Nietzsche der erste (Philosoph) wäre, der sich die Frage nach Publikum oder AdressatIn des Denkens gestellt hätte, alle sagen sie mehr oder weniger deutlich, für wen sie schreiben, an wen sie sich richten, für wen sie denken – im Namen der Philosophie. Aber während viel von Zahl und Geeigneten, Wenigen, Berufenen die Rede war, betitelt Nietzsche hier ganz klar und anders das Unbehagen: Also sprach Zarathustra präzisiert nicht, worüber Zarathustra also sprach, sondern für wen: »Ein Buch für Alle und Keinen«. 3 Ganz offensichtlich ist damit kein Rätsel gelöst, sondern »nur« formuliert. In aller Deutlichkeit so formuliert, dass ein »Wer? zu wem? für und an wen?« in seiner ganzen Seltsamkeit und Unhintergehbarkeit zum Ausdruck kommt. Wenn sich die Philosophie unbehaglich fühlt, so nicht nur, weil sie nicht weiß, welche Form ihr gemäß ist – etwa weil alle Formen durchgespielt sind, von Dialog über Traktat, Essay, Fragment, Aphorismus bis zum Gedicht und auch zum Roman – wobei letzterer schon die formlose Form selbst ist; sondern auch, weil sie im Unklaren ist über ihren Anspruch und ihren Resonanzraum. Oder anders gesagt, und das wird bei Heidegger sehr deutlich: ihren Umgang in und mit und als Öffentlichkeit. – Hat sie eine, soll sie eine haben, soll sie sich der Öffentlichkeit entziehen und wenn ja, wie geht dieser Entzug und wenn nein, wie gestaltet sich eine Veröffentlichung, die sich öffentlich (un) möglich macht? Es geht darum, wie Heidegger mit dem alltäglichen und unhintergehbaren »Man« umgeht, als das er »die Öffentlichkeit« seit Sein und Zeit charakterisiert. Es handelt mein Nachdenken davon, wie dieses »man/Man« mit Heidegger umgeht, das sein Denken nicht loslässt 3
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und den Stellenwert einer Prüfung einnimmt. Das Denken prüft sich am Man – das bedeutet auch, dass es sich an ihm orientiert und ausrichtet. Unterwegs zu einem und in einem sehr »reinen« Denken sind jene Stellen aufschlussreich, wo man/Man sich mit sich, gegen sich unterhält, sich zu umgehen versucht und wo deutlich wird, wie sehr und auf welche Weise man Man mitreden und mithören hört. * * * Ich schlage die erste Seite von Heideggers Beiträgen auf, weil ich mich erinnere, dass dort der »Stil« erwähnt wird, ich weiß nicht, ob es bedeutend ist, dass dieses Wort dort vorkommt, das will ich herausfinden, um meinen Beitrag zu Heideggers Stilen ausgehend von dessen Beiträgen zur Philosophie zu leisten. Das gesuchte Wort springt mir ins Auge, es ist auf der Mitte der Seite, ich freue mich über die zentrale Stelle: erste Seite, mittig, im so genannten geheimen Hauptwerk. Ich beginne, die Mitte überspringend, die erste Seite der Beiträge von Anfang an zu lesen, Heidegger schreibt dort von der Notwendigkeit zweier Titel: Beiträge zur Philosophie, das ist der »öffentliche Titel«, er charakterisiert ihn als »notwendig blaß und gewöhnlich und nichtssagend« und führt aus, dass »die Philosophie öffentlich nicht anders angemeldet werden [kann], da alle wesentlichen Titel durch die Vernutzung aller Grundworte und die Zerstörung des echten Bezugs zum Wort unmöglich geworden sind.« (GA 65, 3) Die »wesentliche Überschrift« dagegen lautet »Vom Ereignis« und darunter sind im Gegensatz zum »Anschein«, den der »öffentliche Titel« erwecken muss, keine »wissenschaftlichen« »Beiträge« zum »Fortschritt« der Philosophie gemeint. Bevor ich zum Wort »Stil« komme und seiner Platzierung auf dieser ersten Seite, bevor ich überhaupt sagen kann, was hier von der Verbindung Stil und Philosophie bei Heidegger zu halten ist, bin ich verwirrt: Muss ich, soll ich diese öffentliche Anmeldung der Philosophie nun entgegennehmen, abstempeln, zu den Akten legen? Bin ich hier als Rezeptionistin des Philosophie-Wissenschaftsbetriebs gefragt? Sind wir alle »öffentlich« und der Sprachvernutzung und -zerstörung ausgesetzt und daher auch der, der das schreibt oder betrifft das jetzt nur mich? Wer klagt das Man an und wo/wer ist der, der das tut? Geht es, noch bevor man zu dem Wort »Stil« in der Mitte der ersten Seite kommt, schon um Stil, d. h. Haltung, d. h. Anspruch und Anrede, kurz darum: wie man sich – öffentlich – verhält? Also in wel212
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chem Stil schreibt man – öffentlich –, wie redet man die Öffentlichkeit an und gehört die, die das liest und die, die das schreibt, und der/die, der/die das hier wiederum liest nun dazu oder nicht? Wenn nicht, wo ist dann aber der, der das öffentlich, an die Öffentlichkeit, aber auch nicht wirklich oder nur teilweise oder vielmehr nur scheinbar, zum Anschein, den Anschein, der erweckt werden wird, vorhersehend, das Missverständnis einkalkulierend für sie geschrieben hat und wo die, die das liest und nun darüber schreibt, damit es veröffentlicht wird? Wo ist der öffentlich angekündigte, aber in der Öffentlichkeit absolut unmögliche Ort des Übergangs, dem sich hier ein künftiges Denken übereignen will? Wie kann man beim Schreiben überhaupt an »die Öffentlichkeit« denken? Oder wie kann man beim Schreiben auch nicht an »die Öffentlichkeit« denken? Was werden »die« nur wieder sagen …, genau das weiß man immer schon, denn man kann die Öffentlichkeit einschätzen, es gehört zu ihrem Wesen, dass sie berechenbar ist und immer Recht hat. Man hat immer Recht und also hat auch das Man (und nur »das Man«, »das Man« ist rechthaberisch, das zeichnet es aus) Recht, das hier ganz genau weiß, welcher Anschein in der Öffentlichkeit erweckt werden wird (und zu erwecken ist). In den ersten Zeilen der Beiträge spricht das Man mit dem Man, das Man redet das Man an und wirft dem Man vor, das Man zu sein. Nun ist man aber erst beruhigt (das ist das Man immer, es beruhigt sich damit, nicht gemeint/gemein zu sein, sagt Heidegger) und dann verunsichert, weil das Man und damit wer auch immer weiß, dass das man »die Anderen« immer vorschiebt, um die »eigene wesenhafte Zugehörigkeit« zu ihnen zu vertuschen (SuZ 126; GA 2, 168). Wenn das aber so ist, dann spricht das Man hier alle an und das heißt auch den, der spricht in seiner wesenhaften Zugehörigkeit zum Man. Und dieses öffentliche Man, das immer alle sind und niemand ist, sagt hier dem Man, dass es ihm nichts zu bieten haben wird als den Anschein zu erwecken, es handle sich um wissenschaftliche Beiträge zum Fortschritt der Philosophie. Obwohl es um ganz etwas anderes geht, nicht um Beiträge, nicht um Fortschritt und auch nicht um Philosophie (als Wissenschaft), sondern worum es geht, hat mit einem Übergang und einer Übereignung zu tun, die öffentlich unbemerkt, unscheinbar (also gegen allen Anschein, der dort waltet und wirkt) und übersehen vorbereitet werden soll. Man kann sich bei diesem widersprüchlichen Anspruch, der sich gegen die falschen Ansprüche wehren will, die Heidegger als anA
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spruchslos (blass, gewöhnlich, nichtssagend) und sogar als unansprechbar (Vernutzung, Zerstörung) eben dennoch: anspricht, nicht lange genug aufhalten, weil diese auch den Stil ansprechen. Der Versuch, den Heidegger auf komplizierte Weise öffentlich gegen-öffentlich nicht mehr »anmeldet«, sondern »wagt«, muss »jedem falschen Anspruch auf ein ›Werk‹ bisherigen Stils fernbleiben« (GA 65, 3). Man kann das auf der ersten Seite Mitgeteilte defensiv nennen: Erst wird man resignativ den Ansprüchen des rechthaberischen Man gerecht, dann wendet man sich gegen falsche Ansprüche auf ein »Werk bisherigen Stils«. »Die Öffentlichkeit« mit ihrem berechenbaren Verständnis von Philosophie als Wissenschaft wird und kann von diesem Stil(ein)bruch nichts bemerken, obwohl sie es ist, die auf sonderbare Art und Weise hier adressiert wird. Es stellt sich aber dann, auch angesichts der abgelehnten, fernzuhaltenen »falschen Ansprüche« die Frage, wer hier wie wen anspricht. Diese Anspruchsfrage meint ganz genau den Ort oder die Bewegung der Philosophie bzw. des Denkens selbst und also nicht einfach kulturkritische Missgunst Heideggers gegenüber (!) der Öffentlichkeit. Heideggers Abfälligkeiten gegenüber allem Alltäglichen, Gewöhnlichen sind gewiss nichts Neues; es reicht aber auch nicht, sie als kulturkritischen Kitsch abzutun, um zu einem davon unberührten, unkontaminierten »Wesentlichen« seines Denkens überzugehen, etwa in der Annahme, man sei hier eineR der Angesprochenen, frei von den falschen Ansprüchen der Öffentlichkeit, der Wissenschaftlichkeit, der Philosophie. Heidegger denkt die Öffentlichkeit, er nimmt sie seit Sein und Zeit ernst und daher steht sie an erster Stelle auf dieser ersten Seite, die den Anspruch erheben muss, die falschen Ansprüche vom Wesentlichen fernzuhalten und dem Öffentlichen zu überlassen. Öffentlich also gibt sich das Denken blass, gewöhnlich, nichtssagend. Es muss einen Anschein erwecken. Mit seiner Nichtssagendheit und Blassheit und Gewöhnlichkeit, also in seiner vollständigen Banalität erweckt es dennoch etwas, nämlich eben einen Anschein: Es tut so, als wäre es ein wissenschaftlicher Fortschritt; genauer liefert es sich nicht nur dem aus, was es als zwangsläufiges Missverständnis vorversteht, sondern ist höchst aktiv, erweckend, aber Falsches und zwar zwangsläufig Falsches. Es camoufliert sich. Im gekappten Bezug – und nicht diesseits oder jenseits –, sondern als dieser gekappte Bezug wird es etwas anderes, nämlich zur Mitteilung des nichts/Nichts Sagenden: Dieses Denken trägt zu etwas bei, das als eine Art Schauspiel der Philosophie gesehen werden muss, in dem es nicht auftreten will, aber 214
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zwangsläufig auftreten muss. Der Rückzug ist unmöglich, die Ignoranz der Öffentlichkeit ist unmöglich, die Öffentlichkeit selbst ist ein unmöglicher Ort: Es wird geredet, dabei aber nichts gesagt und das Denken nimmt als nichtiger Anschein seiner selbst daran teil, obwohl ihm diese Teilnahme nicht gemäß ist, ihm aber keine andere bleibt. Es teilt also auf seltsame Weise mit, dass die Mitteilung als im reinen Sinn verständliche Botschaft unmöglich ist, weil die Verbindung durch Vernutzung und Zerstörung gekappt ist. Der Denker teilt mit, dass es öffentlich nichts mitzuteilen gibt. Nichts Wesentliches von Seiten des Denkens, das geteilt, mitgeteilt werden könnte. Was mitgeteilt werden kann, ist nichtssagend, sagt also: nichts. Es handelt sich hier nicht einmal um ein Missverständnis, es geht nicht um ein Ausräumen, sondern um ein Einräumen, dass öffentlich genau und exakt und nichts anderes als: nichts mitgeteilt werden kann. Mitgeteilt wird der unüberbrückbare Abstand zwischen den Beiträgen zur Philosophie und einem Vom Ereignis angesprochenen, angegangenen Denken. Dazwischen, zentral: Stileinbruch. Heidegger bestimmt einige Seiten weiter (vgl. GA 65, 33) den nicht mehr bisherigen, sondern künftigen Stil als den der »Verhaltenheit« und setzt die wesentliche Verhaltenheit vom ungehaltenen Unwesen des Öffentlichen ab, das vor allem laut, lärmend und bloßer Schall ist. Der künftige Stil orientiert sich absetzend, aussetzend und mit einem gewissen Willen zur Verrückung am Öffentlichen und am paradoxen Verhältnis zu eben diesem – das in der Mitteilung einer nicht nur zurückgehaltenen, nicht nur verhaltenen, sondern nichts sagenden Verlautbarung besteht. Der vor der Veröffentlichung lang gehütete, im Gegensatz zum Lauten der Öffentlichkeit stille und das Bisherige übergehende Nicht-mehr-Werk-Anspruch spricht nichtsdestotrotz als erstes öffentlich. Bei allem Anspruch sich zu entziehen, müssen sich die Beiträge öffentlich exponieren in all ihrem blassen, gewöhnlichen, nichts sagenden Ton. So wie Heidegger die Öffentlichkeit seit Sein und Zeit denkt, nämlich als Durchschnitt, Mittelmaß, also statistisch, ist sie eine völlig geschlossene Veranstaltung oder wie Heidegger in Sein und Zeit auch sagt: sie ist die »Diktatur« des Man (SuZ 126; GA 2, 169). Und diese Diktatur diktiert nun Titel und Beginn der Beiträge. So sehr es danach aussieht, als ob die Öffentlichkeit nach dieser Erwähnung links liegen gelassen werden soll, weil es ans Wesentliche geht, das öffentlich zwangsläufig missverstanden wird, so sehr dominiert sie nicht nur allein durch ihre Position die ganze Anspruchsproblematik zwischen falsch und richtig. Wer wird hier angesprochen mit diesem A
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Titel, der sich vorauseilend camoufliert (und diese Camouflage gleich wieder zurücknimmt)? Wer ist »die Öffentlichkeit«? Alle und Keiner … Man/man … Wenn hier noch gilt (und es gilt und zwar unter dem Namen »Weg-sein«, dazu komme ich noch), was Heidegger in Sein und Zeit über »das Man« sagt, 4 dass es nämlich dem Dasein unmöglich ist (es »vermag« solches nicht, schreibt er, mit allem Gewicht auf dieses »Vermögen«), sich dieser »alltäglichen Ausgelegtheit« als öffentliches Gerede zu entziehen, wenn es sogar so ist, dass sich »in ihr und aus ihr und gegen sie« »alles echte Verstehen, Auslegen und Mitteilen, Wiederentdecken und neu Zueigen« vollzieht und es nicht so ist, »daß je ein Dasein unberührt und unverführt durch diese Ausgelegtheit vor das freie Land einer ›Welt‹ an sich gestellt würde, um nur zu schauen, was ihm begegnet« und wenn es schließlich sogar so weit geht, dass die »Herrschaft der öffentlichen Ausgelegtheit sogar schon über die Möglichkeit des Gestimmtseins [entscheidet], das heißt über die Grundart, in der sich das Dasein von der Welt angehen läßt«, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass für den (und vielleicht nicht nur für ihn) »bisherigen« Stil gilt: le style, als Anrede, Anspruch und Adresse – c’est le Man. Das Gewicht, das der Öffentlichkeit als unhintergehbare Alltäglichkeit in Sein und Zeit zukommt, ist hier nicht verflogen oder sonstwie erleichtert, sondern wiederholt sich in der paradoxen Ansprache der Öffentlichkeit auf der ersten Seite der Beiträge. Je mehr dieses Werk, das als kein Werk bisherigen Stils mehr verstanden werden will, sich von den falschen Ansprüchen fernhalten will, desto mehr muss es sie ansprechen, antizipieren, sich von ihnen ansprechen lassen. Die Öffentlichkeit hört und redet mit bei der Bestimmung des Denkens. Und die Beiträge lesen sich als unmögliche Suche nach der Möglichkeit, das Öffentliche (restlos) ins Offene zu verwandeln bzw. solche Verwandlung zu bereiten. Ich bleibe hier so lange auf dieser ersten sich in sich windenden, sich in sich faltenden und sich selbst aushöhlenden Seite der Beiträge und beharre darauf, dass man hier jeden Anspruch und jeden Widerspruch und den Anspruch als Widerspruch hört, weil man das gesamte Buch nach den zwei angesprochenen, sich widersprechenden Registern
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Alle folgenden Zitate aus SuZ, 169 (GA 2, 225).
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des öffentlichen, nichtssagenden Anmeldens und des übereigneten Zugehörens organisieren kann. Einmal hallt die Thematik des Verstehens, des Rückzugs vom Verstehen in der Ausrichtung auf: wen ansprechen?, wer wird verstehen?, wer will überhaupt verstehen? (vor allem auf den ersten hundert Seiten und zuweilen als Echo Nietzsches) nach; gleichzeitig spielt sich das vorbereitende Stiften der Zugehörigkeit ab, als Hören des Klangs, als Bereiten, Stimmen eines Klangraums. Man kann eine Montage aus diesem labyrinthischen Buch herausschreiben, die folgende Szenen beinhaltet bzw. über folgende Schnitte/ Schritte (sich) verläuft: – An wen richtet sich das Denken? Wer versteht es? – In welcher Sprache sich (un)verständlich machen und die Angesprochenen sich selbst unverständlich werden lassen? – Inwiefern geht es gar nicht um Verstehen, sondern um etwas anderes? – Um den Klangraum der Zukunft bzw. die Zukunft als Klangraum? – Gibt es nicht vielleicht schon einen Klangraum? Da alles von diesem sich gegen sich selbst wendenden, doppelten Titel organisiert wird, kommt Heidegger selbst immer wieder darauf zurück, an einer Stelle präzisiert er: »›Das Ereignis‹ wäre der rechte Titel für das ›Werk‹, das hier nur vorbereitet werden kann; und daher muß stattdessen stehen: Beiträge zur Philosophie.« (GA 65, 77) Diejenigen, die ein Werk im wesentlichen Sinn erwarten – also in dem, den es im Kunstwerk-Aufsatz erhält, wo gesagt wird, dass ein Werk nichts ist ohne die, die es zu bewahren vermögen (GA 5, 54) – gibt es nicht, sie werden durch das Werk erst gestiftet und derweil ist alles Vorbereitung auf dieses. Das Wer? wird erst durchs Werk, das Wer? ist Werk des Werks. Daher ist auch bei Heidegger alles »stilbereitend« und zwar für einen künftigen, d. h. geschichtlichen Werkstil und das heißt immer für einen »Stil des Da-seins«: Es handelt sich nicht etwa darum, dass Werke grundsätzlich nicht mehr und nie mehr möglich sind, im Gegenteil kreist alles um die Vorbereitung auf ein solches. 5 Und dieses Werk, das Da-sein/Volk als Werk hat dann wieder einen ihm eigenen Stil, während im Übergang, als und dem Übergang nur der Stil der Verhaltenheit gemäß ist. Der Stil der Verhaltenheit ist, insofern er in die Ver»Wenn uns eine Geschichte, d. h. ein Stil des Da-seins, noch geschenkt sein soll […]« (GA 65, 34) Werk, Stil, Geschichte und Volk laufen alle auf dasselbe hinaus.
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haltenheit gehört, ihr entspricht, auch gleichzeitig der verhaltene Stil, das verhaltene Werk. Dieses »Werk« ist immer ein Gründen, Stiften und die Vorbereitung, ist ein notwendiges Ungenügen als Bereiten einer Selbstgenügsamkeit: »Als Übergängliche dieses Übergangs müssen wir durch eine wesentliche Besinnung auf die Philosophie selbst hindurch, damit sie den Anfang gewinne, aus dem sie, unbedürftig jeder Stütze, wieder ganz sie selbst sein kann (vgl. Vorblick, 15. Die Philosophie als ›Philosophie eines Volkes‹).« (GA 65, 177) »Die Philosophie eines Volkes ist jenes, was das Volk zum Volk einer Philosophie macht, das Volk geschichtlich in sein Da-sein gründet und zur Wächterschaft für die Wahrheit des Seyns bestimmt.« (GA 65, 43)
Da diese Gründung aussteht und erst zu bereiten ist, ist es schwierig zu sagen, an wen man sich wenden soll: »Niemand versteht, was ›ich‹ hier denke […] Niemand begreift dieses […] Und der, der es einstmals begreifen wird, braucht ›meinen‹ Versuch nicht; denn er muß selbst den Weg dahin sich gebahnt haben.« (GA 65, 8) »Der«, der einst kommen wird, um zu begreifen, muss einer sein, der von Heideggers Versuch angesprochen wird als sei es sein eigenster; er muss zu denken verstehen, was anderes meinen soll, als den Nachvollzug eines Arguments, das logische Begreifen von Aussagesätzen; dieses Denken ist ein Nachgehen des Heideggerschen Versuchs (der nicht der »seine« ist, wie er durch die Anführungszeichen betont, wobei allerdings »der, der einstmals begreifen wird« ohne solche Anführungszeichen auskommt …), aber so, als bräuchte es diesen gar nicht. Ein Nachgehen, das ein eigenes Bahnen und Gehen ist, und dabei gleichzeitig die Wiederholung eines Vor-gangs. Woher aber kommt dieser Künftige, der seinen eigenen Weg geht und gleichzeitig auf der Spur bleibt? »Die Heutigen gar, die kaum in einer Abkehr von ihnen erwähnenswert sind, bleiben vom Wissen des denkerischen Weges ausgeschlossen« (GA 65, 18). Im weiteren Verlauf des Zitats wird zwar deutlich, dass »die Heutigen« die sind, die durch »Politisches« und »Rassisches« die »Schulphilosophie« aufputzen wollen. Aber »heute«, »die Heutigen« meint bei Heidegger nie die reine Angabe einer Zeitgenossenschaft, nie eine historische Einordnung, sondern immer sind die Heutigen ohne Angabe einer Dauer diejenigen, die sich von den Künftigen unterscheiden. Das »Heute«, »die Heutigen« und »wir Heutigen« ist nie geschichtlich, sondern steht vor der fundamentalen Entscheidung, geschichtlich – und das heißt immer: ein Volk – zu sein oder 218
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nicht. 6 Insofern sind mit diesen »Heutigen« wie im Man und der Öffentlichkeit und dem alltäglichen Meinen wieder zwangsläufig alle und keiner gemeint. Und der rote Faden der Problematik, wie man sich vom Man absetzt, d. h. nicht mehr man, gewöhnlich, alltäglich, sondern geschichtlich ist, zieht sich weiter durch: Denn wer ist dieses Wer?, das hier allererst gegründet, dessen Gründung vorbereitet werden soll? Es ist nicht vorhanden. Genauer gesagt ist es nur vorhanden, (miss)versteht sich als dieses Vorhandene und ist von vornherein weg. Das Wer ist zuerst, zunächst und zumeist immer ein »Weg« (und als Da-sein ist ein Werk). Und man muss im Weg-sein, das sich auf den ersten Blick wie das Gegenstück zum Da-sein anbietet (was es nicht ist), auch den Weg, also den Gang mithören und auch die der Geschlechtsumwandlung, die darin besteht, wie aus dem neutralen das »Weg« ein der Weg im Sinne der Künftigen, der Wanderer wird. »Ist nämlich das Da-sein als der schaffende Grund des Menschseins erfahren und damit zum Wissen gebracht, daß das Da-sein nur Augenblick und Geschichte ist, dann muß das gewöhnliche Menschsein von hier aus als Weg-sein bestimmt werden. Es ist ›weg‹ aus dem Beständnis des Da und ganz nur beim Seienden als dem Vorhandenen (Seinsvergessenheit). Der Mensch ist das Weg. Weg-sein ist der ursprünglichere Titel für die Uneigentlichkeit des Daseins.« (GA 65, 323 f.)
Zunächst steht im Weg-sein oder als dieses Weg-sein das Verstehen im Weg. Das Verstehen als Selbstverständnis ist das Hindernis (GA 65, 61) schlechthin, die herrschende »unausgesprochene Selbstauffassung« des »heutigen Menschen«, der sich als Exemplar einer Gattung versteht, macht ihn geradezu anspruchslos, d. h. taub für jegliche wesentliche Erfahrung. Daher kann und darf das wesentliche, d. h. übergängliche Denken ganz entschieden nichts mit dem Verständlichen zu tun haben: »Die übergänglichen und dem Wesen nach zweideutigen Denker müssen auch noch dieses ausdrücklich wissen, daß ihr Fragen und Sagen unverständlich ist für das in seiner Dauer nicht errechenbare Heute. Und das nicht etwa, weil die Heutigen zu wenig klug und zu kurz unterrichtet wären für das Gesagte, sondern weil Verständlichkeit schon die Zerstörung ihres Denkens bedeutet. Denn Verständlichkeit zwängt ja alles in den Umkreis des bisherigen Vorstellens zurück. Der Auftrag der Übergänglichen ist, aus Jenen, die so ›brennend‹ »Die schon längst im Verborgenen und Verstellten angebrochene Entscheidung ist die zur Geschichte oder zum Geschichtsverlust.« (GA 65, 69)
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das ›Verständliche‹ wünschen, Unverständige zu machen und Noch-nichtVerständigte, die das Wohin nicht wissen, weil sie ein erstes Notwendiges geleistet: nicht von einem Seienden die Wahrheit zu erwarten, ohne dem Zweifel und der Verzweiflung anheimzufallen. Die Nochnicht-Verständigten, die noch nicht die Abrede über alles sich gesichert haben, sondern das Erste und Einzige, das Seyn, zur Frage aufbewahrt haben, sind die anfänglichen Wanderer, die am weitesten herkommen und deshalb die höchste Zukunft in sich tragen. Die Übergänglichen müssen zuletzt das wissen, was alles Dringen auf Verständlichkeit zuerst verkennt: daß jedes Denken des Seins, alle Philosophie, nie bestätigt werden kann durch die ›Tatsachen‹, d. h. durch das Seiende. Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Philosophie.« (GA 65, 435)
In welcher Sprache soll aber Heidegger sich (un)verständlich, (un)beständig machen, wenn es erstens nicht um das Verständliche, Verständige geht – das Man hat ständig alles verstanden, was wiederum nur das Man zu sich, von sich sagen kann – und zweitens nur die alltägliche, vernutzte und verbrauchte Sprache der Verständigung bleibt? Das ist das unlösbare Problem: Wie soll ausgehend von der alltäglichen und das heißt: vernutzten, bezugslosen Sprache (dem Instrument der Kommunikation und Information) Wesentliches gesagt werden? Wie soll aber das Wesentliche anders denn in der »vorhandenen« alltäglichen Sprache gesagt werden? 7 »Jedes Sagen des Seyns hält sich in Worten und Nennungen, die, in der Richtung des alltäglichen Meinens des Seienden verständlich und in dieser Richtung ausschließlich gedacht, als Ausspruch des Seyns missdeutbar sind. Es bedarf somit gar nicht erst eines Verfehlens der Frage […], sondern das Wort selbst schon enthüllt etwas (Bekanntes) und verhüllt damit jenes, was im denkerischen Sagen ins Offene gebracht werden soll. Diese Schwierigkeit ist durch nichts zu beheben, ja der Versuch dazu bedeutet schon die Verkennung alles Sagens vom Seyn. Diese Schwierigkeit muß übernommen und in ihrer Wesenszugehörigkeit (zum Denken des Seyns) begriffen werden. Das bedingt ein Verfahren, das in gewissen Grenzen zuerst immer dem gewöhnlichen Meinen entgegenkommen und eine gewisse Strecke weit mit ihm gehen muß, um dann im rechten Augenblick den Umschlag des Denkens zu fordern, aber unter der Macht des selben Wortes.« (GA 65, 83 f.)
Dieses Problem behandelt Jean-Luc Nancy als Folge der bei Heidegger zwar erwähnten, aber nie ausgearbeiteten und vernachlässigten Analyse des ontologischen Mitseins: Nancy, Jean-Luc: singulär plural sein, Berlin 2004, bes. 151 ff.
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Das Problem liegt im »entgegenkommen«: Ist das Denken schon woanders als alles und alle Gewöhnliche(n), um von dort aus den Gewöhnlichen entgegen zu kommen? Wie kam es aber dorthin, ins Außergewöhnliche oder Ungewöhnliche? Oder ist es auf halbem Weg? Aber auch wenn das Denken unterwegs ist ins Ungewöhnliche oder als Ungewöhnliches, vielleicht auch als Ungewöhnlicher, muss es seinen Ausgangspunkt beim Gewöhnlichen nehmen. Das suggeriert auch das »Verfahren«, das nicht umsonst seine Zweideutigkeiten hat (es ist ganz bestimmt das Unwesen des »Erfahrens«, ein Hilfsmittel, kurz: eine Technik, insofern ist der Beiklang des Irrtums, des Sich-Verfahrens im wesentlichen Sinne mit in Kauf genommen). Wenn der Gang nicht vor dem Gehenden schon bereitsteht, sondern im Gehen ergangen und erfahren wird, von jedem, jeweils und zwar so, dass es den Vorgänger gar nicht braucht (nicht brauchen darf, er wird in gewisser Weise umgangen), wie sieht dann dieses »entgegenkommen« aus? Wie kommt das Denken erst ins Ungewöhnliche, um von dort aus zu den (restlichen?) Gewöhnlichen zu sprechen? Dieses Rätsel löst sich nicht und lässt sich nicht lösen, weil es zwischen dem, der oder das hier den Anspruch, die Forderung ausspricht und denen, die er oder es ansprechen, entweder nur radikalen, unüberbrückbaren, unerklärbaren Abstand oder totalen Zusammenfall gibt. Was der Umschlag aber hören lässt, diesseits dessen, dass man ihn als aus der Behandlung eines vorhandenen Materials (Alltagssprache) zum Zweck seiner Umformung hervorgehende Forderung versteht, ist etwas anderes, das nichts mit der Hervorbringung einer eigentlichen, unvernutzten und unzerredeten Bedeutung zu tun hat, sondern mit einem Ton. Es gibt keinen (Um)Schlag, den man nicht zuerst hört, bevor man feststellen kann, was er bedeutet. Das Verrücken, von dem bei Heidegger so viel die Rede ist, wenn es um die Aufgabe geht, erst einmal das allzu und allen zu Selbstverständliche ins Unverständliche zu verrücken, ist als Ruck immer erst spürbar, bevor er eine Bedeutung hat (oder anders gesagt verrückt der Ruck nicht eine Bedeutung in eine andere ohne dabei als Ruck anders als bedeutend erfahren zu werden). Und in jenem Register, das es in den Beiträgen auch gibt, kommt diese Ebene des Hörens, Stimmens, Klingens zur Sprache, wenn auch in zumindest zwei Twists. Der erste Twist, der sich ankündigt und mitschwingt, hat mit Not und Not der Notlosigkeit zu tun: »Woher aber kommt der künftigen Philosophie ihre Not? Muß sie nicht selbst – anfangend – diese Not erst A
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erwecken?« (GA 65, 99) »Der Anklang der Wahrheit des Seyns und seiner Wesung selbst aus der Not der Seinsvergessenheit.« (GA 65, 114) »Ob wir Künftigen das Ohr haben für den Klang des Anklangs, der in der Vorbereitung des anderen Anfangs zum Klingen gebracht werden muß?« (GA 65, 112) Man braucht bei drei Buchstaben keine besondere Begabung für Palindrome, um aus diesen Sätzen herauszuhören, dass die Not der Seinsvergessenheit ein Ton ist. Und da es bei der Not immer darum geht, sie von ihrem Unwesen (ihrem bloßen Schallen der Öffentlichkeit) ins Offene der Erfahrung der Not der Notlosigkeit als geschichtliche Entscheidung, d. h. als Volk zu verwandeln, geht es auch darum, diesem Ton einen Klangraum zu erschaffen. Man beachte aber zuerst das »Erwecken«: Während auf der ersten Seite die Philosophie einen Anschein erwecken muss, öffentlich, weil jeder echte Bezug zum Wort zerstört ist, muss sie hier die Not erwecken bzw. als dieses Erwecken einen Klangraum bauen. Die Ordnung des Selbstverständlichen, Öffentlichen, Wissenschaftlichen wird durch die Ordnung des Hörbaren, Klingenden subvertiert (um nicht zu sagen: revolutioniert). Um anders als verständliche, selbstverständliche Not sein zu können, braucht es eine Modifikation im Ton oder als Ton. Und da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Klangraum ist schon da und man muss »nur« auf ihn und d. h. mit ihm hören oder er muss erst bereitet werden. Der Schwerpunkt liegt gewiss und in aller Deutlichkeit auf dem Bereiten: »Die geschichtliche Bestimmung der Philosophie gipfelt in der Erkenntnis der Notwendigkeit, Hölderlins Wort das Gehör zu schaffen. Das Hören-können entspricht einem Sagen-können, das aus der Fragwürdigkeit des Seyns spricht. Denn diese ist das Geringste, was zur Bereitung des Wortraumes geleistet werden muß.« (GA 65, 422) »›Geschichtlich‹ meint hier: zugehörig der Wesung des Seyns selbst, eingefügt in die Notwendigkeit jener Entscheidung, die überhaupt über das Wesen der Geschichte und ihrer Wesung verfügt. Darnach ist die Philosophie jetzt zuerst Vorbereitung der Philosophie in der Weise der Erbauung der nächsten Vorhöfe, in deren Raumgefüge Hölderlins Wort hörbar wird, durch das Dasein beantwortet und in solcher Antwort zur Sprache des künftigen Menschen gegründet.« (GA 65, 421 f.)
Ich setze mich hier nicht mit der Frage auseinander, wieso Heidegger auf die Idee kommt, dass Hölderlin der einzige Dichter ist, der als Dichter des Dichtens das stumme Wort des Seyns zur Sprache bringen könnte. Wichtiger ist hier, dass für »Hölderlin« ein Raumgefüge erbaut 222
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werden soll, ein Resonanzraum, der die Dichtung empfängt, der erst eingeräumt, gestimmt werden muss, damit die Stimmung, die Empfänglichkeit stimmt. Hier ist alles auf das künftige Gehör als gesammeltes, gesamtes Hören abgestellt, hier geht es nicht um Verstehen, sondern um einen künftigen Sound, auf den die Philosophie als Vorbereitung einstimmt. Es wird zwar in weite, weite Ferne entrückt, vollkommenes Wegdriften aus einer Gegenwart, die gerade historisch andere Töne anschlägt – gleichzeitig Bereitschaftsdienst und innere Emigration, vielleicht zeichnet das Heidegger zu dieser Zeit, seit dieser Zeit aus – aber gleichzeitig ist deutlich, dass die Philosophie als Vorbereitung der Philosophie in erster Linie mit Resonanz, Schwingung und Hören zu tun hat. Der Übergang zwischen Metaphysik und Denken, Öffentlichkeit und Offenem ist ein Wortraum, ein Gehörgang. Und der andere, künftige Sound klingt an im Resonanzraum des Alltäglichen: »Ein Anderes gilt es: im Sichnichtkümmern um das Seyn einen notwendigen Zustand zu erkennen, in dem sich ein ausgezeichnetes Stadium der Geschichte des Seyns selbst verbirgt. Aus diesem Gleichgültigsten vielleicht aller Vorkommnisse innerhalb heutiger Begebenheiten den Anklang des entscheidenden Ereignisses herauszuhören.« (GA 65, 445)
Den Superlativ dieses »Gleichgültigsten« hier beiseite lassend geht es doch darum: Dieses »Heraushören« setzt voraus, dass man mithört und mitspricht. So sehr das Öffentliche, Alltägliche der größte Angriff auf das Denken ist, so wenig handelt es sich darum, ihm entgegenzukommen oder vor ihm zurückzuweichen. Im alltäglichen Mithören und Mitsprechen hört und redet auch Man immer mit und es gibt keine vom Man unkontaminierte Sicherheitszone. Auch nicht, wenn das Denken das Denken anredet. Vielleicht ist das Öffentliche nicht das Unwesen des Offenen, sondern eine differentielle, inhomogene und plurale Kontaminationszone, in der man immer mithört und mitspricht. Das Offene nicht als Öffentlichkeit im Gegensatz zu einem Privaten und nicht als Offenes im Gegensatz zum Öffentlichen als spektakelhafter Veranstaltung, sondern so, dass das Öffentliche durchzogen ist von differenten Offenen (Plural), was auch bedeutet, dass es nicht homogen, undurchdringlich ist und ausschließlich konsistentes, konstantes Missverstehen als immer schon alles zu gut verstehen produziert. Wenn man mit man redet, mag sich alles im Kreis der Berechenbarkeit drehen, weil man immer schon weiß, was man eben so weiß. Aber dass man A
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mithört und mitredet und sei es: man mit man, heißt: auch schon als Selbstgespräch, dass es einen Abstand gibt, der die Berechenbarkeiten verrückt. Und man redet mit, man hört mit und zwar beim bedeutungslosesten, bloßen Geplapper und hohlen Geklapper der Begriffe wie beim Anspruch reinsten Denkens. Auch die Wenigen, »denen keine Öffentlichkeit gehört« (GA 65, 400), gehören in die Öffentlichkeit, in welchen medialen, technischen, alltäglichen Dimensionen man sie sich auch vorstellen mag. * * * Das »notwendig« Blasse und Gewöhnliche und Nichtssagende der Öffentlichkeit unterstellt eine abwesende »Größe«, die es (wieder)herzustellen gelte. Es ist aber dieses »Gewöhnliche«, als das und in dem jede Anrede und damit auch die Frage, wie das Denken das Denken, also alle anredet, anklingt. Im Allgemeinen, jetzt, hier, beim Schreiben, beim Lesen als ein Akt – der vielleicht sonderbar sein mag, aber nichts Besonderes. Sonderbar zumindest auch deswegen, weil solcherlei Fragen nach dem Stil, der Anrede wie ein Bumerang sind, der auf den- und diejenige, der/dem sie sich stellen, zurückkommen. Deswegen treiben sie um, sind unumgänglich und wiederholen sich. Was als Frage nach dem Stil eines Autors und seines Werks erst nach der wohlbekannten philologischen Frage geklungen haben mag, die nach einer ebenso wohlbekannten Charakteristik verlangt, lässt gleichzeitig etwas anklingen, das man die Frage nach dem Unterschied von Gleichklang und Anklang nennen kann. Bei aller (und nicht nur bei Heideggers) Tendenz, Öffentlichkeit und Alltäglichkeit als Durchschnittlichkeit und Homogenität zu denken und zu erfahren, in die erst von irgendwo draußen herkommend eine Differenz »sich einschreiben« müsste, geht es heute vielleicht genau darum, den Anklang als Öffnung, Anrede und Anfang nicht gegen und nicht von außerhalb kommend, sondern im Gleichklang zu hören (zu lesen, zu schreiben, anzusprechen) … Und jede Anrede klingt anders, ist Akt, noch bevor sie Stil, Charakter, Figur ist. Wenn sich also heute erneut und wiederholt die Frage nach dem Wie? eines Denkens aufdrängt, so weniger, um dessen Charakterzüge zu erfassen, festzustellen und zu beurteilen, sondern um in der Indifferenz der anklingenden Differenz nachzugehen. Und das wiederum ist dann nichts anderes als eine ganz und gar philologische Aufgabe, ein Beitrag zu einer »Heidegger-Philologie«, 224
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wenn solche Philologie nichts anderes tut – und das wäre nicht wenig – als jenem Sprechen zuzuhören und es zu wiederholen und damit etwas zu sein, was Hamacher »eine Para-logie, in der der Logos bloß fortspricht, aber nicht bedeutet« 8 nennt. Was also bedeuten würde, sich einer Blöße hinzugeben, die der Reinheit zum Verwechseln ähnlich sieht und sie doch nicht ist.
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IV. Überschreibungen – Überschreitungen: Stil als Grenze
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1.
Das Problem
Dass Stil und Performativität Elemente philosophischer Texte und philosophischer Rede sind, ist unbezweifelbar. Die Unterschiede zwischen einem Platonischen Dialog und einer Aristotelischen Vorlesung, zwischen Nietzsches Zarathustra und Wittgensteins Tractatus sind unübersehbar und unverwechselbar. Die Frage ist also nicht, ob in der Philosophie Stil zu finden sei, ob er in sie eingedrungen ist, sondern ob ihm eine philosophische Bedeutung zukommt und, falls das so ist, welche. Der Stil scheint also den Sinn womöglich nicht nur eines spezifischen Textes, sondern der Philosophie überhaupt zu betreffen. 1 Dabei findet eine Art von Interferenz zwischen dem Was und dem Wie des Sinnes statt. Vorausgesetzt wird, dass das, worum es in der Philosophie geht, von der Art und Weise, wie dieses Was zum Ausdruck gebracht wird, nicht abgekoppelt werden kann. Die Frage nach dem Stil – oder, wie Heidegger vielsagend schreibt, nach der »Gebärde des Denkens« – ist also die Frage nach der Signifikanz und dem Status des Wie im Bezug zu seinem Was. Damit übrigens befindet sich diese Frage in der Nachbarschaft zu den Legitimationsbewegungen der so genannten »Medienphilosophie«. Ich werde darauf zurückkommen. Eines eigentümlichen Stil-Begriffs bedient sich übrigens Husserl in seiner so genannten Krisis-Schrift. Dort spricht er von einem »empirischen Gesamtstil« »unserer empirisch anschaulichen Umwelt«, von einem »invarianten allgemeinen Stil«, der auch »universaler Kausalstil« genannt werden kann. Es setzt schon einen bestimmten Blick voraus, die Kausalität als Stil zu bezeichnen. Das führt notwendig zu einer interessanten Ausdehnung des Stil-Begriffs. Im Grunde setzt sie die oben behauptete Differenz des Wie vom Was des Denkens außer Kraft. Noch der überzeugteste Universalist und Rationalist würde einen spezifischen Stil bevorzugen. Damit käme der Begriff des Stils allerdings an eine Grenze, jenseits welcher er seine Bedeutung verlöre (Husserl, Edmund: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Husserliana VI. Hg. von Walter Biemel. The Hague 1976, 28 f.). 1
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Das Wie, um das es in der Frage nach dem Stil geht, muss mithin ein irreduzibles Wie sein, ein Wie, das nicht mehr in ein Was überführt und aufgelöst werden kann. Zur Erklärung nehme ich ein Beispiel: Nietzsches Zarathustra ist eine Gestalt, deren Sinn schon deshalb nicht darin bestehen kann, Nietzsche selbst zu repräsentieren, weil ihre Einführung dann sinnlos wäre. Außerdem muss Nietzsches Zarathustra – vom Philosophen auch als »Sohn« bezeichnet – etwas darstellen, was den Sinn seiner Lehre tangiert. Was Zarathustra sagt, kann nicht Nietzsche sagen. Schließlich dürfte nicht erwartet werden können, dass das, was Zarathustra darstellt, selbst in eine einfache Erklärung übertragen werden kann, in ein weiteres Was also. Sollte das gelingen, wäre die Gestalt und so das Wie und, nebenbei angesprochen, auch das Was des Gesagten unterminiert. Das Werk Also sprach Zarathustra wäre erledigt. Der Stil würde kein Problem mehr sein. Er wäre sinnloses Beiwerk. Doch bereits hier dürfte das besondere Problem des Stiles deutlicher werden. Sollte das Wie in dem Sinne irreduzibel sein, dass wir es in kein wie auch immer geartetes Was transformieren können, bleibt es von Anfang an jenseits jeder Möglichkeit, es zu benennen. Der Stil selbst bleibt stumm, was sich »mitteilt« 2 , ist etwas anderes. Sollte das aber der Fall sein, wäre nicht weiter einzusehen, inwiefern es für die Philosophie relevant sein könnte. Das betrifft überhaupt den philosophischen Status der »Abwesenheit«. Warum berücksichtigen, was sich nicht sagen lässt? Ein weiterer Aspekt der Idee des Stils ist der, dass sie notwendig eine Pluralität von Stilen impliziert. Jeder Stil erhält sein spezifisches Profil nur dadurch, dass er sich von anderen unterscheidet. Ein »absoluter Stil« wäre ein Widerspruch in sich. Vermutlich reagiert eine Verwendung dieses Begriffs sogar primär darauf, dass sich ein spezifischer Stil von anderen Stilen differenziert. In diesem Sinn wäre der Begriff des Stils von Anfang an die Kategorie einer weiter zu bestimmenden Ordnung von Stilen. Der philosophische Gegner des Stils ist der rationale, universalistiNietzsche, Friedrich: Ecce homo. Wie man wird, was man ist (KSA 6, 255–374), 304: »Einen Zustand, eine innere Spannung von Pathos durch Zeichen, eingerechnet das tempo dieser Zeichen, mitzutheilen – das ist der Sinn jedes Stils […].« Der Stil bestimmt den Charakter der Mitteilung, aber wie? In einer gewissen Hinsicht geht Nietzsches Stil weit über seine eigene Bestimmung hinaus. Die Gesamtgestaltung eines Textes wie Der Fall Wagner bezieht sich zwar auf die Mitteilung, doch inwiefern?
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sche Diskurs. Dieser Diskurs muss darauf bestehen, dass das, was an Argumenten philosophisch relevant ist, signifikant zur Sprache gebracht werden kann. Damit wird nicht geleugnet, dass es Stil und Performativität in der Philosophie gibt, es wird nur festgestellt, dass wir entweder in der Lage sein müssen, erklären zu können, welche Rolle der Stil im Bezug auf die Ideen und Argumente selbst spielt, oder dass, im Falle der Unmöglichkeit einer solchen Erklärung, der Stil als solcher bedeutungslos, quantité negligable, ist. Ein Gedanke ist entweder falsch oder wahr, gleichgültig ob er schön oder hässlich dargestellt wird. Für das sich an der universalistischen Vernunft orientierende Bewusstsein beansprucht die hässliche Wahrheit Geltung, die schöne Unwahrheit nicht. Lediglich so allerdings wenig periphere Phänomene wie die Liebe scheinen diese Ordnung durcheinander bringen zu können. Die Vernunft und das Faktische – ein Konflikt, eine Hoffnung. Möglich übrigens, diese Problemlage bereits in Platons Auseinandersetzungen mit den Sophisten und den Dichtern oder in der Aristotelischen Rhetorik aufzusuchen. Die Frage nach dem Stil involviert die nach der Redekunst. Doch ich möchte behaupten, dass das Problem des Stils in der Philosophie nicht durch eine Beschäftigung mit der Rhetorik gelöst werden kann. Die Rhetorik scheint mir, kurz, zu kurz gesagt, den Versuch darzustellen, den Stil zu katalogisieren. Damit folgt sie dem Stil, ist von ihm abhängig, kann ihn aber als solchen oder kann das Problem, das er darstellt, nicht erfassen.
2.
Klassische Stil-Auffassung
»Le style est l’homme même.« 3 Diese Worte stammen aus der Feder des berühmten George-Louis Leclerc de Buffon, dieses verfemten Verfassers u. a. einer Histoire naturelle, mit welcher sich kein Geringerer als Rousseau in seinem genialen Discours sur l’inégalité et les fondements de l’inégalité parmi les hommes auseinandersetzte. Genauer gesagt stammen sie aus Buffons Discours sur le style, die er als Antrittsrede vor der Academie française im Jahre 1753 präsentierte. »Il est trouvé dans tous les temps des hommes qui ont su commander aux autres par la puissance de la parole.« 4 Der Stil ist also der Mann 3 4
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Buffon, George-Louis Leclerc de: Discours sur le style. Rom 1967, 55. Buffon: Discours sur le style, 44.
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selbst, der über die Macht der Rede – die »éloquence« – verfügt, Andere zu kommandieren. Solche Männer, so Buffon, affizierten sich sehr lebendig. Diese innere Lebendigkeit könne von ihnen in eine Äußerlichkeit übertragen und in dieser »markiert« werden. »Par une impression purement mécanique, ils transmettent aux autres leur enthousiasme et leurs affections, c’est le corps qui parle au corps; tous les mouvements, tous les signes concourent et servent également.« 5 Buffon ist in seinen Ausführungen über den Stil der von Descartes beeinflusste Naturforscher, der den Stil als Ausdruck einer Mechanik betrachtet. Der Stil ist gekonnte Übertragung von Enthusiasmus und Affektion. Es ist der Körper, der zum Körper spricht, mechanisch. So mechanisch nach Buffon der Vorgang der stilistischen Überredung und Übertragung aufgefasst werden soll, so sehr ist er sich bewusst, dass dasjenige, was sich durch den Stil mitteilt, nichts Beliebiges sein kann. Das Erste am Stil sei die Ordnung und Bewegung, die man seinen Gedanken gebe: »sans cela, le meilleur écrivain s’égare, sa plume marche sans guide« 6 . Der Stil beginnt als Denk-Stil, erst dann werde er Schreib-Stil. »Le style doit graver des pensées.« 7 Der Mann selbst erscheint als Denker, jedenfalls als einer, der mit seiner Feder Sinn einzugravieren vermag. Das mechanische Element des Stils besteht demnach vor allem in der Transmission der Gedanken und Gefühle in die Zeichen, in die Schrift. Es geht also um die Feder, die oft genug mit dem Schwert verglichen wurde. Indem es um die Feder geht, geht es jedoch nicht bloß um die Schrift, sondern um die Handschrift. Worum es bei Buffon geht ist primär rhetorischer Natur. Zwar wird betont, dass der Stil nicht erst in der Feder (oder dem Schwert) beginnt, sondern eben beim Denker und seinem Denken, d. h. bei der die Feder führenden Instanz. Doch für den Cartesianer Buffon heißt das lediglich, dass der Denkende als solcher in der Lage sein muss, seine Begriffe den Ansprüchen der wahren Methode gemäß klar und deutlich zu explizieren. In dieser Hinsicht ist Buffon gewiss ein Vertreter jener Position, die den Stil auf eine rhetorische Bedeutung restringiert. Der Stil betrifft das Wie des Sagens, jedoch nicht das Was des Denkens. Stilus – die Etymologie des Wortes geht durchs Lateinische zum 5 6 7
Buffon: Discours sur le style, 45. Buffon: Discours sur le style, 46 f. Buffon: Discours sur le style, 52. A
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griechischen στύλοϚ (stylos) zurück. Doch das griechische στύω (styo) meint »aufrichten«, στύλοϚ (stylos) als das Aufgerichtete ist die Säule, hat also unmittelbar mit stilus nichts zu tun. Stil wäre eher noch mit der griechischen λέξιϚ (lexis) zu übersetzen. Stilus ist zuerst der »Griffel« zum Eindrücken und Ausstreichen der auf der Wachstafel eingeprägten Schrift. Dann wird das Wort bereits bei den Römern im Sinne von Stil, eben als gleichsam »unverwechselbare Handschrift«, verwendet. Für Buffon ist klar, dass der Stil etwas mit der Einprägung oder dem Ausdruck der Gedanken durch die Feder in die und in der Handschrift zu tun hat. Freilich gebrauchen wir den Stil-Begriff heute vor allem als Ordnungskategorie in der Kunstgeschichte (seit Winckelmann oder noch prägnanter bei Wölfflin) noch anders, z. B. wenn wir vom Stil der Renaissance sprechen. Für Heidegger gehört »das mit dem Wort ›Stil‹ benannte überhaupt zum Dunkelsten im Bereich der Kunst« (GA 43, 145). Ein epochaler Stil setzt sozusagen einen anderen Schreiber, einen anderen Autor und eine andere Geschichte voraus. Was aber in diesem Kontext entscheidender ist, ist die Verbindung zwischen dem Stil und dem Werk. Wo ein Werk ist, ist notwendig »Stil«.
3.
Stil und Metaphysik
Betreten wir Heideggers philosophische Landschaft, diese Brüche des Seins, das, was er zuweilen das »Geschick« nannte. Dieses »Geschick« macht den Anschein, als müsse Heidegger den Stil als ein »neuzeitliches« Phänomen bezeichnen. Bereits Rousseau kritisiert Buffon als Cartesianer. Der Stil, welcher der Mann selbst ist, ist Stil eines »Subjekts«, zudem noch eines »Subjekts«, das danach strebt, den Anderen mit der »puissance de la parole« zu beherrschen. Dass Heidegger auch der mechanistischen Auffassung des Körpers, der zu Körpern spricht, nichts hätte abgewinnen können, dürfen wir annehmen. Diese Vermutung kann noch dadurch bekräftigt werden, dass sich vor allem Nietzsche des Stil-Begriffs affirmativ bedient hat, so wenn er etwa am Beginn des »Antichrist« vom »Wille[n] zur Ökonomie grossen Stils« 8 (vgl. auch GA 43, 146 f.) spricht. Der »grosse Stil« gehört gewiss zur Semantik des »Willens zur Macht«. 8
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Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist (KSA 6, 165–254), 167.
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Schließlich kann noch angemerkt werden, dass der stilus sowohl als Griffel als auch als Stil römischer Herkunft ist. Die Griechen jedenfalls kennen keinen »Stil« (selbst wenn der frühe Nietzsche gern »Styl« schreibt, wird sich das, was er meint, nicht in die griechische Antike rückübertragen lassen). Auch das wäre ein Kontext, der gegen ein übermäßiges Interesse von Heidegger am Stil spricht. Mit Rücksicht auf Buffons Bestimmung des Stils ließe sich im Grunde zeigen, dass der Stil überhaupt ein Element der »Metaphysik«, wie Heidegger sie denkt, ist. So denkt Buffon den Stil als eine Übertragung des Übersinnlichen (res cogitans) in das Sinnliche (res extensa), wobei die eigentliche Kunst des Stils darin besteht, diese Übertragung so zweckdienlich wie möglich zu gestalten. Die Zweckdienlichkeit dieser Übertragung freilich ist die »puissance de la parole«. Alles in allem betrachtet ist eine Stil-Geschichte eine metaphysische Geschichte.
4.
Stil jenseits der Metaphysik?
Doch entgegen der Vermutung, der Stil wäre ein Element der Metaphysik und daher zu »überwinden«, ist Heidegger an einem eigenen Verständnis des Stils interessiert. 9 Eine prinzipielle Bemerkung zum Thema hat der Philosoph einmal in einem Brief an Ernst Jünger aus dem Jahre 1950 fallen lassen. »Vielleicht«, schreibt Heidegger da, gebe es »noch einmal eine Gelegenheit zum Gespräch, in dem wir die Fragen zur Sache und zum Stil durchgehen« könnten. »Beides« sei »nicht zu trennen«. Und dann: »Die Stilfrage ist zugleich ein Geheimnis der Werkstatt und der Berufung. Sie läßt sich nicht öffentlich erörtern. Sie bleibt aber das Nötigste und Notvollste für uns. Stil gehört zur Sache selbst.« 10 Die Äußerung dürfte sich auf Jüngers Beitrag Über die Linie zu den »Anteilen«, die Heideggers 60sten Geburtstag feiern, beziehen. Der Autor spricht dort u. a. vom »Denkstil« und vom »Erkenntnisstil«. 11 Heidegger verwendet den Stil-Begriff schon früh, und zwar in der Vorlesung Ontologie (Hermeneutik der Faktizität) vom SS 1923. Dort wird er als »die jeweilige Gestaltart des Ausdruckseins« (GA 63, 52) bezeichnet. 10 Jünger, Ernst; Heidegger, Martin: Briefwechsel. Hg. von Günter Figal. Stuttgart / Frankfurt am Main 2008, 20. 11 Jünger, Ernst: Über die Linie. Frankfurt am Main 1950, 42 f. 9
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Heidegger betont demnach die Zusammengehörigkeit der »Sache selbst« und des Stils. Das Was und das Wie des Denkens seien aufeinander bezogen. Wir können dem noch drei weitere Hinweise entnehmen. Der Stil steht in einem geheimen Bezug zur »Werkstatt« und »Berufung«, d. h. überhaupt zum Bereich des Schaffens und des Werks. Man kann nicht öffentlich über ihn verhandeln, d. h. er hat eine »esoterische« Bedeutung. »Aber« er sei »das Nötigste und Notvollste«, d. h. der Stil oder die »Stilfrage« sei von einer enormen Bedeutung für die Veränderung einer spezifischen Situation. Der Hinweis darauf, dass die »Stilfrage« nicht »öffentlich erörtert« werden könne, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den »esoterischen« Kontext des Heideggerschen Denkens, d. h. auf jene »seynsgeschichtlichen Abhandlungen«, die Heidegger Mitte der dreißiger Jahre jenseits der Öffentlichkeit zu schreiben begann. In der Tat ist in den Beiträgen zur Philosophie an nicht wenigen Stellen von einem spezifischen »Stil« die Rede. Heidegger spricht von einem »Stil des anfänglichen Denkens«. »Stil« sei »als gewachsene Gewißheit das Vollzugsgesetz der Wahrheit im Sinne der Bergung in das Seiende« (GA 65, 69). Die »Bergung« ist für Heidegger der gesamte Bereich des Schaffens als eines »Ins-Werk-setzens der Wahrheit«. Im »Werk«, in dem sich »Wahrheit« ereignet, erhält das »Seiende« seinen in der Neuzeit und erst Recht in der Moderne verloren gegangenen Sinn, notwendiges Element der »Wahrheit« zu sein, zurück. Dieser Gedanke verweist auf Heideggers Auslegung der Kunst überhaupt. Deswegen macht der Philosoph sogleich darauf aufmerksam, dass es beim »Stil des anfänglichen Denkens« nicht darum geht, den »Stilgedanken« »von der Kunst her« »auf das Da-sein als solches erweitert« zu übertragen. Es wäre ein zu enger Begriff der »Bergung«, sie einzig und allein auf die Kunst zu beschränken. Vielmehr gehören für Heidegger neben dem »Werk« auch das »Zeug«, das »Ding«, »Tat und Opfer« (GA 65, 391) zur »Bergung«. Darüber hinaus meint »Werk« bei Heidegger in dieser Zeit durchaus nicht das Kunstwerk im überlieferten Sinne, sondern auch jene Schrift, die als Spur der »Lichtung des Seyns« (GA 66, 37) zu dieser hinleitet, d. h. die »seynsgeschichtliche Abhandlung« selbst. In dieser Hinsicht gehöre der Stil zum »Dasein« überhaupt und zwar als dessen »Selbst-gewißheit« »in seiner gründenden Gesetzgebung und in seiner Beständnis des Grimmes« (GA 65, 69). So sei der 234
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Stil »Stil der Verhaltenheit«. Das »Gesetz«, um das es hier geht, ist die »Wahrheit des Seins« bzw. die Elemente, die zu diesem Geschehen gehören. Eines dieser Elemente ist die »Endlichkeit«, die zuerst freilich das »Dasein« selbst betrifft. Den »Grimm« zu »bestehen« heißt das »Sein zum Tode« anzuerkennen. Die »Selbst-gewißheit« betont dann eine spezifische haltungsmäßige Festigkeit hinsichtlich des »Vollzugs« des »Daseins«. Ich habe Heideggers Erörterung der »Grundstimmungen« in diesem Zusammenhang einmal als dessen »Tugendlehre« bezeichnet. 12 Und dann, im Sinne einer noch zu »gründenden Gesetzgebung«, sei die »Verhaltenheit« der »Stil des künftigen Menschseins« (GA 65, 33), ein Stil der Zukunft also, ein Stil der Möglichkeiten, ein fruchtbarer Stil.
5.
Vertiefung
Die Frage ist nun gewiss die, wie der von Heidegger konstatierte Zusammenhang von Sache und Stil genauer zu verstehen ist. Dass es sich in Heideggers Denken nicht um einen Stil in rhetorischer Funktion handelt, dürfte inzwischen klar geworden sein. Dennoch bleibt dunkel, inwiefern der »Stil der Verhaltenheit« eine andere Sache entfaltet als, sagen wir, der Stil des neuzeitlichen Subjekts. Heidegger hat sein Verständnis an die »Seinsfrage« bzw. an die »Geschichte des Seins« zurückgebunden. Dabei ist es für den Philosophen nicht nur relevant, inwiefern die Bewegung dieser Geschichte sich in verschiedenen »Menschentümern« niederschlägt. Ein solcher Blick auf die Geschichte wäre ohnehin durch das Problem geschwächt, dass er eine übergeschichtliche Perspektive beanspruchen müsste. Dem Selbstwiderspruch des »Historismus«, der Alles aus spezifischen historischen Kontexten erklären will bis auf sich selbst, verfällt Heidegger nicht. Auch Heideggers Denken selber unterliegt der »Seinsgeschichte«. Das zeigt u. a. eine weitere »seynsgeschichtliche Abhandlung« vom Anfang der vierziger Jahre, in der die Beiträge zur Philosophie selbstkritisch betrachtet werden. Sie seien noch zu sehr im »Stil der Metaphysik gefaßt« (GA 71, 4). Das lässt die Vermutung zu, dass Heidegger die Pluralität der Stile vom Singular des »Seyns« aus denkt. In 12
Trawny, Peter: Adyton. Heideggers esoterische Philosophie. Berlin 2010. A
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dieser Hinsicht ist dann klar, dass jeder Stil ein solcher des »Seyns« ist. Sache und Stil sind so eine Einheit, die sich in die Vielheit der Geschichte entfaltet. Sollte dieses Verständnis von Heideggers Verwendung des StilBegriffs zutreffend sein, könnte sich nun in der Tat behaupten lassen, dass das Was und das Wie in der Philosophie nicht zu trennen sind. Die »Metaphysik« wäre insofern ein »Stil«, als ihr »Gegenstand« mit ihrer »Methode« zusammenhängt. Die Vernunft ist beides. Außerhalb der »Metaphysik« hätte das Denken einen anderen »Gegenstand« wie eine andere Weise, diesen zu erörtern. Doch damit hat sich die »Stilfrage« im Heideggerschen Denken noch nicht erledigt. Es ist nötig, sie zu vertiefen. Diese Vertiefung knüpft noch einmal an Heideggers Äußerung in seinem Brief an Jünger an. Denn dort hatte er ja behauptet, die »Stilfrage« betreffe das »Geheimnis der Werkstatt und der Berufung«.
6.
Der Stil und die Handschrift
Die Philosophen »beim Wort zu nehmen« ist noch das wenigste, was wir von uns verlangen müssen. Heidegger spricht davon, dass die »Stilfrage« ein »Geheimnis« sei. Offenbar geht es nicht darum, dieses »Geheimnis« zu lüften, sondern anzuerkennen, dass es ein solches überhaupt gibt – und zwar ein solches von »Werkstatt und Berufung«. Beides verweist auf die Tätigkeit des Philosophen insofern, als Heidegger ein flüchtiges Licht auf die Hervorbringung der Texte und seine Motivation dazu aufscheinen lässt. Es geht ums Schaffen und die Befähigung zu solchem Tun, um das Denken und seine Verkörperung vielleicht. »Vielleicht« deshalb, weil wir uns beim Verhältnis von Denken und Verkörperung immer noch und immer schon bei Descartes und Buffon und d. h. in der Metaphysik befinden. Von der Verbindung zwischen Stil und Werk, Denken und Verkörperung hatte bereits Buffon gesprochen, wenn er auf die Feder und so an die Hand, die Handschrift also, erinnert. Auch für Heidegger liegt dieser Zusammenhang nahe, indem er etwa im »Humanismus-Brief« vom »rar gewordenen Hand-werk der Schrift« (GA 9, 344) spricht. Die Schrift, das Werk, ist die Handschrift. Dafür spricht z. B. Heideggers Hermeneutik von »Schreibmaschine« und »Maschinenschrift« in seiner Vorlesung Parmenides vom Beginn der vierziger Jahre. Die 236
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»Schreibmaschine« sei »sogar mit ein Hauptgrund für die zunehmende Zerstörung des Wortes« (GA 54, 119). Die »Maschinenschrift« – zerstörte Worte, der Tod der Sprache? Ich möchte versuchen, diese Mitteilung nicht (nur) als bloße Verfallsklage zu verstehen. Zu fragen ist, was die »Hand« vor der »Maschine« und zwar in Bezug auf die »Schrift« voraus hat. Bekannt ist, dass Heidegger den Tieren die »Hand« abspricht, weil diesen nicht das »Wort«, mithin die Sprache gegeben sei. Die von Derrida begonnene Diskussion zur Ehrenrettung der Primaten möchte ich hier übergehen, da sicherlich gezeigt werden kann, dass ohne das »Wort« wohl auch keine »Maschine« sei. 13 So wären demzufolge auch »Maschinen« für Primaten denkbar, der »Planet der (leider: sprechenden) Affen« erzählt uns diese Geschichte. Ich möchte auf etwas Anderes hinaus. Für Heidegger ist das »Wort als das eingezeichnete und so dem Blick sich zeigende« das »geschriebene Wort, d. h. die Schrift« bzw. die »Handschrift«. Gewiss, das dem Blick erscheinende Wort ist Schrift, doch warum »Handschrift« und nicht »Maschinenschrift«? Was vermag die »Handschrift«, was die »Maschinenschrift« nicht vermag? Die »Handschrift« ist als »Einzeichnung« Erscheinung einer vielfältigen »Gebärde«, die in der »Maschinenschrift« vereinheitlicht und so vernichtet wird. Dann unterscheidet der Charakter – das Wie – der »Einzeichnung« »Handschrift« und »Maschinenschrift«? Freilich wäre das zu wenig. Denn der Stil, falls er in der Philosophie von Bedeutung sein soll, muss das Wie und das Was des Denkens zugleich betreffen.
7.
Intermezzo: Stil und Medium
Ich möchte an dieser Stelle meine Ausführungen zu Heidegger und dem Stil kurz unterbrechen, um auf ein mögliches Problem der »Medienphilosophie«, wie Sybille Krämer sie in ihren »Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren« 14 entwirft, hinzuweisen. Krämer interessiert sich in diesen »Thesen« für die Derrida, Jacques: Geschlecht (Heidegger). Wien 1988, 65 ff. Krämer, Sybille: »Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren.« In: Stefan Münker, Alexander Roesler, Mike Sandbothe (Hg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Frankfurt am Main 2003, 78–90.
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»Verkörperung« der Sprache, und zwar »als Stimme und als Schrift«. Dabei handelt es sich um die für die Bedeutung des »Mediums« relevante »Übertragungsleistung« von etwas. Dass es keine Sprache außerhalb einer solchen »Übertragung« und folglich außerhalb des »Mediums« geben könne, ist eine von Krämers »Maximen«. Der Cartesianer Buffon hätte diese »Maxime« ohne Zweifel anerkannt. Wie bekannt muss die »Medienphilosophie« notwendig behaupten, dass die Sprache ein »Medium« ist. Ich bin nicht dieser Ansicht. Doch darum geht es hier nicht. Anscheinend meint Krämer nun der »Übertragungsleistung« der »Stimme« eine größere Authentizität der Äußerung zusprechen zu können als z. B. der »Schrift«. Der »Stimme« sei »eine bindende und entzweiende Kraft des Appells eigen, die wirksam wird, noch vor aller argumentativen Verteidigung intersubjektiver Geltungsansprüche der Rede«. Das wird deutlich nicht nur im Angstschrei, sondern auch im Gesang. Zur Phänomenologie der Stimme gehöre nach Krämer die Verdeutlichung ihres flüssig-flüchtigen, musikalischen, ereignishaften und heterogenen Charakters. Hinzuzufügen wäre die Beobachtung, dass es beim Gesang nicht um die Übertragung des semantischen Sinns eines Textes geht, sondern um etwas anderes. Die Schrift dagegen sorge für die »Identifizierbarkeit und Reidentifizierbarkeit sprachlicher Einheiten«. Das »Schriftbild dekontextualisiere das Sprechen« in allgemeingültige Zeichen. So werde durch die Schrift das Sprechen »›unpersönlich‹« und die Sprache »ein solitäres Medium der Kommunikation«, Schrift als Versteinerung der endlichen Stimme, die Schrift als handout universaler Verantwortung. Denkt Krämer bei einer solchen Schrift an die »Maschinenschrift«? Ist auch schon die »Handschrift« ein Mittel zur Dekontextualisierung appellativen Sinns? Ist die »Handschrift« dieselbe »Verkörperung« wie die »Maschinenschrift«? Gibt es eigentlich (noch) die »Handschrift«? Im Gegensatz zur »Maschinenschrift« ist die »Handschrift« flüchtig, ereignisbezogen (durch ihr Pathos) und heterogen in ihrer Performativität. Die »Hand« »zeichnet« ihre »Gebärde« »ein«. Das bezeugt nicht zuletzt die Signatur, diese unverwechselbare Spur des Sich-Einzeichnenden.
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8.
Der Stil und die Spurlosigkeit
»Berufung« – dieses Wort ist – jedenfalls wenn Heidegger es gebraucht – missverständlich. Die gewöhnliche Bedeutung des Wortes verweist auf die Exzellenz eines Einzelnen, der dazu »berufen« war, z. B. die Geschichte der Physik auf den Kopf zu stellen: ein Genius, eine Ausnahme, heute zumeist Einer oder Eine mit sehr hohem Intelligenzquotient und erfolgreichem Netzwerk. Die »Berufung« geht zurück auf den »Ruf« oder das »Rufen«, von dem Heidegger einmal rätselhaft sagt, es komme »in Wahrheit bereits von dort her, wohin der Ruf ergeht« (GA 8, 129). »Rufen« und »Ruf« begegnen sich demnach in einem Selben, in der Außerkraftsetzung einer Differenz, jedenfalls in dem Erreichen oder, wie der Philosoph sagt, »Hingelangen« an einen Ort, von dem der »Ruf« ausgeht. In einem solchen »Hingelangen«, diesem Hervorrufen des Zirkels, soll dann ein »Aufenthalt« für »Schmerz« und »Freude« möglich sein. Der »Ruf« ist nach Heidegger anders als der »Schrei« »Aufenthalt«. Die »Berufung« ist die Anerkenntnis, dass es so etwas wie einen »Ruf« überhaupt gibt. Es muss nicht erst gesagt werden, dass dieser »Ruf« kein »Seiendes« ist. Der »Ruf« ist nichts anderes als die Stille, das Unsagbare, das »Seyn«. Erst diese Anerkenntnis setzt die »Werkstatt«, die Hervorbringung in Gang, ist also sozusagen eine Hervorbringung der Hervorbringung. Das lässt sich auf die Frage nach der Schrift übertragen. Denn die Schrift empfängt ihren Sinn aus der »Gebärde«, die ihn auch nicht von sich selber her nimmt, sondern keinem anderem als dem »Ruf« verdankt. Die Schrift kann keinen Sinn hervorbringen strictu senso, sie ist wie ein Echo oder eben wie jene Spur. Lässt sich aber daraus nicht entnehmen, dass der Sinn der »Berufung« über alle Signatur hinausgeht, ja, dass die Signatur dem Sinn einer solchen »Berufung« widerspricht? Müssten wir nicht beginnen, die »Handschrift« anders zu lesen denn als Spur eines Namens? Im Grunde haben wir immer schon und immer noch begonnen, die »Handschrift« anders zu lesen. Die Signatur ist nicht die Bekundung eines Genies, sondern die Spur einer Abwesenheit, die sogar in den Tod zu zeigen vermag. Die Signatur bleibt – als Echo eines Spurlosen. Die reinste Spur ist dann die Spurlosigkeit.
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9.
Die Frucht-Spur
Der Stil ist ein »Geheimnis von Werkstatt und Berufung«, d. h. nun von Hervorbringung und Signatur. Das »Geheimnis« dieser Verbindung besteht darin, dass Heidegger sie in das »Seyn« transformiert. Was in der Werkstatt geschieht, ist die Einzeichnung eines Rufes, der aus dem Ungesagten kommt – Spur der Spurlosigkeit. Wollten wir Heidegger im Denken folgen, hätten wir den Ort erreicht, an welchem der »Autor« und seine »Autorschaft« verlöschen. Es bleibt nur – das »Seyn« und sein »Denken«. »Le style est l’homme même.« – Dieser Satz klingt inzwischen wie eine Naivität. Und doch möchte ich ihn abschließend einmal wörtlich nehmen. Ich werde Heidegger damit nicht gerecht, ich weiche ab, gehe zur Gewalt, zur Vergewaltigung über. Der Stil ändert sich. Ich zerreiße den Text. Was wäre, wenn der Stil der Mann selbst wäre? Dringen wir zunächst ein wenig weiter vor in der Beobachtung der »Einzeichnung« der »Hand« oder der »Gebärde« durch ihre »Schrift«, so müssen wir zwei Aspekte dieses Phänomens hinzufügen; Aspekte, die Heidegger mehr oder weniger ignoriert. Die »Einzeichnung« bedarf einer Unterlage, einer Matrix oder nach Derrida eines »Subjektils«. Zudem verlangt sie nach einem zeichnenden Seienden, nach einem Griffel, einer Feder oder einem Stift bzw., so Derrida, nach einem »Projektil«. Die sich einzeichnende Hand setzt diesen Kontext voraus, es gibt sie nur in ihm. Die »Einzeichnung« ist Verkörperung im Auf-, ja Ineinander von Griffel, Feder oder Stift und empfangender Matrix; vorausgesetzt wir sind gewillt, die »Handschrift« einen Körper oder die Spur eines Körpers zu nennen. 15 In den Aufzeichnungen zur »Überwindung der Metaphysik« vom Anfang der vierziger Jahre schreibt Heidegger einmal: »Der Schrifttumsführung im Sektor ›Kultur‹ entspricht in nackter Konsequenz die künstliche Schwängerungsführung.« (GA 7, 93) Das mag so sein, doch wer würde schon in »nackter Konsequenz« an eine Verbindung zwischen dem Schreiben und der »Schwängerung« denken? Dabei ist sie im Grunde evident. Heidegger hat einmal seiner Frau gestanden, dass »der Flügelschlag jenes Gottes [Eros]« ihn »jedesmal« berühre, wenn er »im DenVgl. Derrida, Jacques: »Das Subjektil ent-sinnen«. In: ders. und Paule Thévenin: Antonin Artaud. Zeichnungen und Portraits. München 1986, 49–109.
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ken einen wesentlichen Schritt tue« und sich »ins Unbegangene wage«. Er berühre ihn »vielleicht stärker u. unheimlicher als andere, wenn lang Geahntes in den Bezirk des Sagbaren herübergeleitet« 16 werden solle. Diese Mitteilung dürfte den Charakter eines »bloß« persönlichen Geständnisses übertreffen. Immerhin spricht der Philosoph von der Spur des Spurlosen, von dem, was in der »Werkstatt« geschieht, der Hervorbringung und der Einzeichnung. Heidegger war um sein »wachsendes Werk« 17 besorgt, und er forderte die Bedingungen ein, die er für seine Hervorbringung brauchte. Dann fließt in das Denken ein tiefes Begehren ein, das sich stets nur insoweit sublimiert als es den Rückgang in die erste Fruchtbarkeit wieder und wieder genießt. Nun ist auch dieses echtester Stil, weil die Einzeichnung sich von dem nicht trennt, was sie einzuzeichnen begehrt. Selbst das rhetorische Moment im Stil kann nun berücksichtigt werden als Teil eines Begehrens, das allerdings nicht nur überreden, sondern verführen und befruchten will. Die Spur wird zur Verkörperung, es geht um einen Körper, der zum Körper spricht, erotisch. Auch hier geht es um eine spezifische Abwesenheit, einen Entzug, der sich in einer Abwesenheit zur Erfahrung bringt. Die Träne, das Blut, das Sperma oder die Trauer, das Herz, die Fruchtbarkeit, diese Elemente des Erotischen Stils, sind in der Philosophie anwesend, doch erscheinen nicht. Jetzt ist die Philosophie auf den Abgrund einer anderen Abwesenheit verwiesen. Es ist die Abwesenheit eines Lebens, das seine Spurlosigkeit in ihren Spuren zeigt. Zu Beginn wurde behauptet, dass der Stil ein irreduzibles Wie sein müsse, d. h. dass er nicht übertragbar sein dürfe in ein neues Was. Es hat sich inzwischen gezeigt, was das bedeutet. Wir können zwar bestätigen, dass der Stil zur »Sache selbst« gehört. Doch es ist unmöglich, diese Zugehörigkeit präzise zu bezeichnen. Diese Unmöglichkeit besagt aber nicht, dass die Frage nach dem Stil in der Philosophie keine Rolle spielt. Vielmehr ist sie ein Hinweis auf Abwesenheiten, die sich als die Herkunft des Stils erweisen. In diesem Sinne ist er also in der Tat ein »Geheimnis«. Gibt es aber einen Sinn von Abwesenheit in der Philosophie? Sie setzt darauf, in einer Helligkeit, die ihr selbst entstammen soll, noch ein 16 Heidegger, Martin: ›Mein liebes Seelchen!‹ Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride 1915–1970. Hg. von Gertrud Heidegger. München 2005, 264. 17 Heidegger: ›Mein liebes Seelchen‹, 244.
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Licht entzünden zu können. Und doch bleiben die Träne, das Blut, das Sperma als Trauer, Herzlichkeit und Zeugung Risse in einem solchen Vernunftlicht. Risse deshalb, weil dieses Licht zwar dekretieren kann, dass ein sprachloses Scheitern des Lebens – ein Verschwinden in der Spurlosigkeit, ein Weggehen in die Abwesenheit – unvernünftig ist. Aber am Faktischen kann es nichts ändern. Mit jenen kontingenten Elementen von Trauer, Herzlichkeit und Zeugung zeichnet sich endlich etwas in die Philosophie ein, dringt in sie ein, löst sich in ihr auf, das unsagbar bleibt. Dann ist die Philosophie nicht nur jenes Licht, sondern zugleich als tiefste, scheinbar unerschöpfliche Matrix immer noch die unzugängliche Dunkelheit, die jedem Licht vorausliegt. Unerschöpfliche Matrix der Philosophie, weil zeitschwanger – möglicherweise und doch unwahrscheinlich »Stil des künftigen Menschseins« oder vielleicht doch immer schon und immer noch spurlose Spur des Menschlichen. Ich beginne noch einmal: Der stilus – der Mann oder der Mensch – geht ganz in seinen Zeichen auf, verschwindet in ihnen und bewahrt, was geschah, unwiederholbar und, wie einmal gesagt wurde, »deutungslos« in der Tränen-, Blut- und Frucht-Spur seiner Zeichnung.
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Über das Lesen. Heidegger und die Vermeidung des Aussagesatzes
Drei Hinführungen* 1. Es gibt einen kurzen Text von Martin Heidegger, nicht mehr als ein paar Bemerkungen, in denen er das Verhältnis von Denken, Buch – also Schrift – und Lesen ausdrücklich aufgreift und kommentiert. Dieser Text findet sich gewissermaßen selbst außerhalb eines Buches und fungiert als Vorwort seines Bandes Vorträge und Aufsätze. Er umfasst nur wenige Zeilen und sei den weiteren Überlegungen vorangestellt, da er offensichtlich bereits das gesamte Themenfeld umreißt: »VORWORT Das Buch ist, solange es ungelesen vorliegt, eine Zusammenstellung von Vorträgen und Aufsätzen. Für den Leser könnte es zu einer Sammlung werden, die sich um die Vereinzelung der Stücke nicht mehr zu kümmern braucht. Der Leser sähe sich auf einen Weg gebracht, den ein Autor vorausgegangen ist, der im Glücksfall als auctor ein augere, ein Gedeihenlassen auslöst. Im vorliegenden Falle gilt es, sich wie vordem zu mühen, daß dem von altersher zu-Denkenden, aber auch Ungedachten, durch unablässige Versuche ein Bereich bereitet werde, aus dessen Spielraum her das Ungedachte ein Denken beansprucht. Ein Autor hätte, wäre er dies, nichts auszudrücken und nichts mitzuteilen. Er dürfte nicht einmal anregen wollen, weil Angeregte ihres Wissens schon sicher sind. Ein Autor auf Denkwegen kann, wenn es hochkommt, nur weisen, ohne selbst ein Weiser im Sinne des σοφόϚ zu sein. Denkwege, für die Vergangenes zwar vergangen, Gewesendes jedoch im Kommen bleibt, warten, bis irgendwann Denkende sie gehen. Während das geläufige und im weitesten Sinne technische Vorstellen immer noch vorwärts * Beim vorliegenden Text handelt es sich um den Versuch, eine langjährige Beschäftigung mit Texten, die gemeinhin als »schwierig zu lesen« gelten, unter dem systematischen Gesichtspunkt einer »Phänomenologie des Lesens« zusammenzufassen. Der Charakter eines überblickshaften Vortrags ist hier noch weitgehend erkennbar. A
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will und alle fortreißt, geben weisende Wege bisweilen eine Aussicht frei auf ein einziges Ge-birg. Todtnauberg, im August 1954« (GA 7,1)
Ich verweise zunächst auf die ersten drei Absätze dieses Vorworts und lege die Aufmerksamkeit insbesondere auf das grammatische Tempus des Ausdrucks: Heidegger beschreibt im ersten Satz das einzuleitende Buch im Präsens als eine bloße Zusammenstellung – betont dabei jedoch ein gewisses »Ablaufdatum« für diese äußerliche Beschreibung: »solange es ungelesen vorliegt«. Durch den »Leser« – das heißt wohl durch den Akt des Lesens – würde aus dem Selben jedoch ein anderes werden – ohne dass das Buch im Präsens dabei in seiner bloßen Zusammenstellung zu existieren aufgehört hätte. Das Lesen würde also eine Veränderung nach sich ziehen, ohne dass es zu einer äußeren Veränderung käme. Zugleich kippt das Tempus der »Beschreibung«, die solches aussagt, vom Indikativ Präsens in den Konjunktiv, der eine gewisse futurische Möglichkeit zumindest mit ins Auge fasst. Schließlich würde der Leser jedoch durch seine Lektüre das Buch nicht zu einem Idiom seiner selbst, das heißt seiner eigenen Projektionen werden lassen, sondern würde sich in einer neuen Situation vorfinden, die ihn gleichwohl an das Ereignis vor-dem-Buch rückbindet: »Der Leser sähe sich auf einen Weg gebracht, den ein Autor vorausgegangen ist«. Der zweite Absatz lässt offen, ob er nun ausdrücklich vom Autor oder vom Leser spricht. Letztlich scheinen die Sätze – erneut im Präsens gehalten – auf beide zugleich beziehbar zu sein: »Im vorliegenden Falle gilt es, sich wie vordem zu mühen, daß dem von altersher zu-Denkenden, aber noch Ungedachten, durch unablässige Versuche ein Bereich bereitet werde, aus dessen Spielraum her das Ungedachte ein Denken beansprucht.« Schließlich wird im dritten Absatz, in dem wieder der Konjunktiv das Tempus der Aussage bildet, der Autor in seiner Autorität doch stark zurechtgestutzt. Der Autor, der als solcher gerade nicht in Frage gestellt sondern vielmehr vorausgesetzt wird, würde – so betont Heidegger – nicht seine eigene Sache zum Ausdruck bringen. Gemäß der Bestimmung am Ende des ersten Absatzes wäre der Autor vielmehr ein Lassender, ein »Gedeihenlassender«. In gewisser Weise wäre hier, würde man es sich leisten können Heidegger unhinterfragt zu trauen, bereits alles gesagt … 244
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Über das Lesen
2. Eine zweite Beobachtung an einem heideggerschen Text führt auch den von mir gewählten Untertitel in die Thematik des Lesens ein. Er bezieht sich ebenfalls auf eine kurze Anmerkung Heideggers, diesmal jedoch innerhalb eines Gedankengangs – oder doch zumindest innerhalb des Randes eines Gedankengangs –, am Ende der Einleitung zu dem Vortrag Zeit und Sein aus dem Jahr 1962. 1 Dort heißt es gleich zu Beginn: »Ein kleiner Wink für das Hören [des Vortrags; PZ] sei gegeben. Es gilt, nicht eine Reihe von Aussagesätzen anzuhören, sondern dem Gang des Zeigens zu folgen.« (GA 14,6) Dieser Hinweis, an dessen Tempus und Struktur ebenfalls mehrere Auffälligkeiten zu bemerken wären, besitzt bekanntlich ein Pendant am Ende des Vortrags. Dort wird nochmals der Ausdruck des heideggerschen Gedankengangs eigens thematisiert – genauer: jener Vollzug des aussagenden Sprechens, der sich in der sprachlichen Gestalt eines Vortrags bzw. eines vorliegenden Textes manifestiert. Heidegger spricht in diesem Kontext von einem »Sagen«, dessen Wesen wohl zu den Schlüsselthemen seines Denkens gehört. Gleichwohl lässt er jedoch eine Art Riss, eine Uneinigkeit zwischen dem unsichtbaren Vollzug dieses Sagens und seiner wahrnehmbaren Gestalt erkennen. – Ich zitiere also die abschließenden Sätze dieses Vortrags, in dem es nicht zuletzt um eine Klärung dessen gegangen ist, was Heidegger »Ereignis« nennt. Doch nicht die Erörterung des Ereignisses soll uns im Augenblick hier interessieren, sondern vielmehr die damit offensichtlich untrennbar verbundene Struktur des sprachlichen Ausdrucks des genannten Sagens: »Es gilt unablässig, die Hindernisse zu überwinden, die ein solches Sagen leicht unzureichend machen. [/] Ein Hindernis dieser Art bleibt auch das Sagen vom Ereignis in der Weise eines Vortrags. Er hat nur in Aussagesätzen gesprochen.« (GA 14,30) 3. Und noch ein dritter Einstieg in die folgenden Überlegungen sei hier gewählt – und zwar diesmal mit einem Vers von Paul Celan – mit drei Zeilen aus dem Beginn eines Gedichts: »Sprich auch du, / sprich als letzter, / sag deinen Spruch.« 2 In einem Seminar, das Jacques Derrida im Herbst 2002 zum Thema »Zeugnis geben« in New York gehalten hatte, wurde die erste Sitzung Vgl. Heidegger, Martin: »Zeit und Sein« (GA 14, 3–30). Celan, Paul: »Sprich auch du«. In: ders.: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 1. Frankfurt am Main 1986, 135. 1 2
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damit eröffnet, dass Derrida diese drei Verse auf die Tafel schrieb. Wer mit Derridas Texten und den performativen Ausdrucksformen seines Denkens vertraut ist, weiß, dass bei ihm zumeist im ersten Gestus eines Textes bereits alles gesagt ist. Es wird allerdings erst im Fortgang des Diskurses deutlich, wie dieser erste Gestus angemessen gelesen werden kann. Eine Nähe zur Poetologie von Celan (wie vielleicht auch zu manchen Ausdrucksformen des späten Heidegger) lässt diese Vorgangsweise als keineswegs singulär erscheinen. Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, sei bei dem von Derrida zitierten Gedichtanfang Celans die Aufmerksamkeit fürs erste lediglich auf das Wort »auch« im ersten Vers gelenkt. Durch dieses Wort erhält der vermeintliche Imperativ, der die drei Verse zu durchziehen scheint, einen völlig anderen Charakter als den der bloßen Aufforderung: Er wird zu einer Konsequenz. Der mit diesem Imperativ Angesprochene ist damit nicht einfach zu einem beliebigen Sprachvollzug aufgefordert, sondern letztlich zur Wiederholung eben jener Geste, die der celansche Vers offensichtlich auch selbst in eben diesem Augenblick seines Geschrieben-seins und Gelesen-werdens vollzieht. In diesem Sinne wäre die derridasche Wiederholung dieses Imperativs, der – im Kontext eines Gedichts – weniger »anspricht« als vielmehr »zum Ausdruck« bringt, ebenfalls bereits alles, was es zum gegebenen Thema zu sagen gäbe.
Phänomenologie des Lesens Wenn im Folgenden der Versuch unternommen wird, einen ersten Überblick über eine Phänomenologie des Lesens vorzutragen, so wird vielleicht die Hauptschwierigkeit dieses Unternehmens darin bestehen, jene Situation näher zu bestimmen und sprachlich in den Blick zu bekommen, die hier mit dem Begriff »Lesen« umschrieben wird. Zum einen handelt es sich – in gewohnt phänomenologischer Herangehensweise – natürlich um eben jenes Lesen, das wir alltäglich zu vollziehen gewohnt sind. Doch bei genauerer Betrachtung wird es schwierig einzugrenzen, worauf genau sich ein solcher Akt des Lesens bezieht: Bloß auf die Sammlung von Zeichen, wie z. B. jene Buchstaben, die das ausmachen, was wir gemeinhin einen Text nennen? Oder doch eher auf jene Leistung, die mit diesen Zeichen einen Sachverhalt verbindet? Worin aber bestünde dann das »Lesen« eines Bildes? Bedarf das Lesen einer Art Ausbildung und Einübung wie etwa derjenigen, die wir »Schule« 246
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nennen? Oder könnte der Begriff des Lesens nicht eigentlich auch auf jede Form des Umgangs mit Wahrnehmungen ausgedehnt werden? Bleibt das Lesen schließlich auf Wahrnehmungen beschränkt, und welches wäre der ausgezeichnete Sinn für diese Wahrnehmung? Auf den Sehsinn scheint das Lesen nicht beschränkt zu sein, denn auch der Blinde vermag zu lesen – z. B. wenn ihm ein Text in Form der Blindenschrift zugänglich gemacht wird. Vielleicht ist das Lesen ja auch nicht so sehr an eine bestimmte Form der Wahrnehmung gebunden – wie dies auf den ersten Blick beim Hören und Sehen der Fall zu sein scheint –, sondern eher an eine Gegebenheitsweise, die in ihrer allgemeinsten Formulierung »Schrift« genannt werden kann. Lesen hätte es in diesem Sinne also mit Schrift zu tun. Allerdings kann sich eine ernst zu nehmende Phänomenologie nicht in der analysierenden Beschreibung wahrnehmbarer Phänomene erschöpfen. Jene »Phänomenologie des Lesens«, die es hier in Angriff zu nehmen gilt, hat vielmehr mit einer Ebene zu tun, die in den Eingangszitaten zumindest vage bereits angeklungen ist. Um die Ausdrucksweise von Heideggers Vorwort zu übernehmen, so würde es hier um jenes Lesen gehen, mit dem derjenige konfrontiert ist, den Heidegger »der Leser« genannt hat. Es würde um jenes Lesen gehen, das derjenige vollziehen muss, der mit Heideggers »Sagen vom Ereignis« in der Weise eines Vortrags konfrontiert ist. Es ginge um jenes Lesen, das einerseits zwar offensichtlich stets so etwas wie »Aussagesätze« vorfindet, andererseits aber zugleich dazu angehalten ist, nicht diese Aussagesätze »anzuhören«, »sondern dem Gang des Zeigens zu folgen« (GA 14, 6). Eine solche Phänomenologie des Lesens kann an dieser Stelle vermutlich noch gar nicht beginnen, da sie sich bisher noch nicht ihres Phänomens zu versichern vermochte. (In Anlehnung an Eugen Finks VI. Cartesianischer Meditation 3 , die die Notwendigkeit einer Phänomenologie des Phänomenologisierens aufzeigt, könnte man sie allenfalls als eine Phänomenologie des »transzendentalen Lesens« kennzeichnen.) Für eine entsprechende Ausarbeitung ist hier vielmehr zunächst auf Autoren und philosophische Diskurse einzugehen, mit denen jener Aspekt der Sprache, den Heidegger in den genannten Zitaten allenfalls indirekt und gewissermaßen defensiv anspricht, über-
Fink, Eugen: VI. Cartesianische Meditation, Teil 1: Die Idee einer transzendentalen Methodenlehre. Dordrecht 1988.
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haupt erst in den Blick zu kommen vermag – selbst wenn auch dort das Lesen selbst nicht ausdrücklich thematisiert wird.
Von der Schrift zur Stimme In einem knappen Aufriss sollen zunächst einige Erkenntnisse und Konsequenzen des sogenannten »post-strukturalistischen« oder »postphänomenologischen« 4 Denkens in Erinnerung gerufen werden, das immer noch allzu oft in grober Verzerrung dargestellt wird. Ich beschränke mich in der folgenden Darstellung aus Gründen einer konsistenteren Begrifflichkeit dabei zunächst vor allem auf das Denken von Jacques Derrida. Die angezeigten Grundstrukturen des Denkens sind jedoch bei zahlreichen zeitgenössischen Autoren, die die genannten Etikettierungen tragen, trotz der Differenzen in den Ansätzen beim gegebenen Thema fast identisch. Doch zunächst zu Jacques Derrida, der bekanntlich als Denker der Schrift (écriture) gilt. »Es gibt nichts außerhalb des Textes«, »es gibt kein Text-Außerhalb«, »alles ist Schrift« – so lauten die bekanntesten Eine kurze, grundsätzliche Anmerkung zur Verwendung der Vorsilbe »post-« (»poststrukturalistisch«, »post-phänomenologisch«) sei hier gestattet: Zum einen handelt es sich bei diesen Termini um Fremdetikettierungen, über die nachzudenken nicht allzu viel bringt, weil diese Etikettierungen zumeist sehr uneinheitlich auf unterschiedlichste Diskurse angewendet werden. Allenfalls müsste innerhalb eines einzelnen Diskurses (z. B. des lyotardschen Verständnisses von »Postmoderne«) auf die jeweilige Bedeutung des post- eingegangen werden. Im vorliegenden Kontext verstehe ich das »post-« in einem heuristisch durchaus ernst gemeinten Sinne als Kennzeichnung eines »mehr-als-«: Es geht hier um solche Diskurse, die sich an einem gewissen Punkt genötigt sahen, die methodischen Begrenzungen, die in ihren Vorgängerdiskursen aufgetaucht waren, zu überschreiten – ohne jedoch bloß wiederum eine Art »Alternative« anbieten zu können. In diesem Sinne könnte man hier auch von Diskursen der »Alternativlosigkeit« sprechen, wenn dies nicht im Sinne einer zwingenden Bestimmung, sondern eines Müssens aufgrund eines vorgängigen Scheiterns verstanden wird … Wenn man die Ausdrucksgestalt der Spätwerke von Derrida, Levinas oder Foucault ernst nimmt – oder den Gestus, den ein Alain Badiou an den Tag legt –, so wird hier nicht zuletzt auch eine Neubestimmung der Modalität der Notwendigkeit sichtbar. Auch bei Heidegger findet sich dieser Gestus sowohl im eingangs zitierten Vorwort als auch im »Zeit und Sein«-Vortrag – und zwar genau dort, wo ein spezifisches »es gilt« auftaucht. Das französische Pendant dazu hieße »il faut« oder »il faudrait« – »es ist notwendig« / »es wäre notwendig« bzw. »man muss« / »man müsste« – und ist ein strukturelles Leitwort u. a. bei Jacques Derrida und Emmanuel Levinas.
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Schlagworte, die vor allem mit seinem Frühwerk verbunden werden. Im Hintergrund dieser vielzitierten Phrasen steht die Entdeckung der différance (mit a) und damit die Erkenntnis, dass jeder Versuch eines unmittelbaren Zugangs zu einem wie auch immer gearteten Ursprung bereits an der unumgehbaren Ausdrucksgestalt, die bereits das Denken einer solchen Unmittelbarkeit durchkreuzt, scheitern muss. Es bleibt eine unhintergehbare différance, die allem, was begegnet, Schriftcharakter verleiht. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Vollzug des Philosophierens selbst, wie auch für jedes Denken einer politischen Praxis, die allerdings beim Thema des Lesens erst im Nachhinein in den Mittelpunkt der Überlegungen rücken wird. Entscheidender ist eine nur selten beachtete Revision des »Alles ist Schrift«-Gedankens, die sich bei Derrida findet. Vielleicht sollte man auch besser von einer Differenzierung sprechen, die in dem Augenblick »notwendig« (im Sinne von »alternativlos«) wurde, als sich für Derrida in einer – der finkschen transzendentalen Methodenlehre durchaus vergleichbaren – Reflexion zeigte, dass es auch die »Schrift«, also die spurhaft manifestierte différance (mit a), nicht in Reinkultur gibt. Es gibt auch die Schrift niemals als »reine Schrift«, wenn man so sagen kann, sondern stets bereits als gelesene Schrift. In einem kleinen Text mit dem Titel feu la cendre 5 , der zu Beginn der 1980er-Jahre verfasst wurde, wird diese Erkenntnis gewissermaßen performativ dadurch vor Augen geführt, dass der Buchpublikation dieses Polylogs eine Audiokassette mit dem von zwei Stimmen gelesenen Text beigelegt ist und durch die besondere Struktur des Textes eine Spannung zwischen der geschriebenen und gelesenen Fassung sichtbar und hörbar wird. 6 Auch die Schrift begegnet also niemals bloß als solche, sondern immer schon in einer Weise, dass ihr Stimme verliehen worden ist von einem nachträglichen, von der Schrift angesprochenen Subjekt, das von dem, was in der Schrift nur spurhaft, also differantiell anwesend ist, Zeugnis zu geben versucht. Schrift gibt es in diesem Sinne nicht ohne den Leser. In gewissem Sinne könnte man hier von einer Rehabilitierung der Stimme bei Derrida sprechen – wenn man sich dabei jedoch bewusst bleibt, dass diese von der Schriftspur Zeugnis gebende Stimme der 5 Derrida, Jacques: feu la cendre. Paris 1987. Dt. u. d. T. Feuer und Asche. Berlin 1988. – Zunächst erschien der Text 1980 in der französischen Zeitschrift Anima. 6 Eine deutende Lektüre dieses besonderen Textes findet sich in Zeillinger, Peter: Nachträgliches Denken. Skizze eines philosophisch-theologischen Aufbruchs im Ausgang von Jacques Derrida. Münster 2002, 188–206.
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Schrift eben nicht – wie in der Tradition – voraus-geht, sondern eine dem Schriftcharakter nachträgliche Stimme darstellt. Auch hier sind die Konsequenzen in jenen Philosophien, die diese Spannung wahrgenommen haben, vielfältig gewesen: Zunächst kam es zu einer Neubestimmung des Subjektbegriffs, die zwar die vielkritisierte Rede von einem »Tod des Subjekts« 7 keineswegs verworfen hatte, aber die Frage »Was kommt nach dem Subjekt?« 8 nicht durch eine Rückkehr zum starken Subjekt der traditionellen Philosophie, sondern durch eine konsequente Reflexion auf die »Subjektposition« zu beantworten suchte. Das Ergebnis war ein Subjektverständnis im Sinne eines nachträglichen Zeugnis-Subjekts. 9 Vor diesem Hintergrund wurde in den genannten Diskursen eine neue Möglichkeit einer affirmativen Bestimmung des Politischen und des Ethischen sichtbar – wenn auch notwendiger- bzw. alternativloser Weise nur über einen responsiven Bezug auf Alterität oder das, was man innerhalb der jüngeren Politischen Philosophie eine »Leerstelle« bzw. das Ereignis nennt. Konsequenterweise musste nun, da eine metaphysische Letztfundierung nicht mehr möglich war, die (nachträgliche) philosophische Ausdrucksgestalt selbst ins Zentrum der Überlegung rücken – die Ausdrucksgestalt jenes Diskurses, der sich seines Bezugspunktes zwar nicht mehr unhinterfragt vergewissern konnte, gleichwohl aber eben diese differantielle Einsicht nicht nur sichtbar werden lassen, sondern in weiterer Folge auch irgendwie Konsequenzen daraus ziehen musste. Das Schreiben jener Autoren, die sich der unhintergehbaren différance aktiv und produktiv gestellt haben, veränderte sich zwangsläufig (– also alternativlos –) und radikal: Der affirmative Bezug auf dasjenige, das sich dem sprachlichen Zugriff zwar bleibend entziehen würde, aber dennoch zugleich den »Grund« bildete für das, was zu sagen war, – dieser affirmative Bezug auf die »Leerstelle«, das »Alteritäre«, das »Unsagbare«, »Nicht-Darstellbare«, das »ErVgl. Herta Nagl-Docekal, Helmut Vetter (Hg.): Tod des Subjekts? Wien / München 1987. 8 Vgl. Eduardo Cadava, Peter Connor, Jean-Luc Nancy (Hg.): Who comes after the subject? New York / London 1991 – mit Beiträgen von Alain Badiou, Etienne Balibar, Maurice Blanchot, Gilles Deleue, Jacques Derrida, Luce Irigaray, Sarah Kofman, Philippe Lacoue-Labarthe, Emmanuel Levinas, Jean-François Lyotard, Jean-Luc Marion, Jacques Rancière u. a. m. 9 Vgl. Zeillinger, Peter: »Zeugnishaftes Subjekt. Jacques Derrida und Alain Badiou«. In: Michael Zichy, Heinrich Schmidinger (Hg.): Tod des Subjekts? Poststrukturalismus und christliches Denken. Innsbruck / Wien 2005, 243–262. 7
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eignis« (oder wie auch immer es genannt wurde) musste letztlich zum einzig verbliebenen »Kriterium« für ein »angemessenes« Sprechen und Handeln werden. Es galt daher, dem sprachlichen Ausdruck selbst dasjenige ansehen zu lassen, was als solches gerade nicht in der sprachlichen Gestalt als solcher manifest werden konnte. Die Sätze der Diskurse, die einen differantiellen Bezug/Entzug »angemessen« zu thematisieren versuchten, mussten für den Leser unterscheidbar werden von jenen, die diesen Bezug/Entzug erneut in einem metaphysischen oder klassisch transzendentalphilosophischen Konzept zum Verschwinden bringen würden. Die vermeintliche Alternative der Ver-Metaphysizierung – nämlich: die Preisgabe auch noch des Entzugs selbst – würde dabei auf subtilste Weise erneut in eine (nun allerdings unreflektierte) quasi-metaphysische Ordnung münden: die der Beliebigkeit. Es bleibt daher keine andere Möglichkeit als das Unsagbare in der Ordnung des »Gesagten« (Levinas) zum Ausdruck zu bringen und sichtbar werden zu lassen. Um es mit einem Bild von Agnes Heller zu sagen: Dort, wo die Leerstelle durch eine wie auch immer geartete Identifikation besetzt würde, würde eine Art Ideologie in den Diskurs Einzug halten, die sich selbst nicht mehr verantworten könnte – dort jedoch, wo man meinte, auf diese Stelle des Entzugs und der Leere überhaupt verzichten zu können, da sie ja niemals positiv identifiziert werden könnte, dort würde sich nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln in Beliebigkeit verabschieden. 10 Zahlreiche Autoren, die in weiterer Folge gemeinhin als »schwierig zu lesen« galten, rangen vor diesem Hintergrund um einen »angemessenen« performativen und in letzter Konsequenz sogar mehr-alsperformativen Ausdruck ihres Denkens. Zu nennen wären hier in besonderer Weise nochmals Jacques Derrida und Emmanuel Levinas, in deren Texten diese Gratwanderung am deutlichsten nachvollziehbar ist. Aber auch Autoren wie Maurice Blanchot oder Paul Celan ringen um den Ausdruck ihres Werks vor dem eben skizzierten Hintergrund. Dasselbe gilt von Jean-François Lyotard und vor allem dem späten Michel Foucault sowie auf nochmals andere Weise auch von Alain Badiou und vielen anderen in jeweils mehr oder weniger großer Stringenz. – In Vgl. Heller, Agnes: »Politik nach dem Tod Gottes«. In: Jörg Huber, Alois Martin Müller (Hg.): Instanzen / Perspektiven / Imaginationen. Basel / Frankfurt am Main 1995, 75–94, hier 94.
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gewisser Weise würden also gerade jene Diskurse, die so gerne mit dem Prädikat »(postmoderne) Beliebigkeit« und »Auflösung aller Wahrheit« versehen werden, um die Überwindung dieser falschen Alternative ringen. In diesem Sinne wäre auch Martin Heideggers Wink in »Zeit und Sein« zu lesen – selbst wenn er mit einem gewissen Scheitern verbunden wird. Denn Heidegger fordert seine Leser zwar auf, nicht bloß Aussagesätze »anzuhören«, muss aber am Ende gestehen, dass der Text in seinem ihm eigentümlichen Sagen, obwohl er das Sagen des Ereignisses hätte sein sollen, letztlich doch an die Form des Aussagesatzes gebunden geblieben ist.
Das Phänomen des Lesens und das »Symptom« An diesem Punkt scheint es notwendig, schließlich eine Phänomenologie des Lesens einsetzen zu lassen. Wenn beim Sprechen und in der Schrift letztlich ein Unsagbares zum Ausdruck kommt – welche Konsequenzen hat dies für ein angemessenes Verständnis von »Lesen«? Doch erneut bedarf es hier der Bemerkung, dass sich für das in den Blick kommende Lesen das zugrunde liegende Phänomen immer noch nicht als ein solches gezeigt hat. Weder im Sinne eines Erscheinenden, das es zu lesen gälte, noch als Phänomen des Vollzugs des Lesens im Sinne der finkschen transzendentalen Methodenlehre. Es wäre ein grobes Missverständnis, die Phänomenologie des Lesens allzu platt auf die Lektüre eines Geschriebenen in unserem Alltagsverständnis desselben zu beziehen oder gar zu beschränken. Dafür hätte es der bisherigen Hinführung nicht bedurft. Dafür würde die Wahrnehmung der différance (mit a), ihre Konsequenz für ein allgemeines Schriftverständnis und dessen subtile Relativierung auf das Phänomen einer stets gelesenen und mit einer subjektalen Stimme bezeugten Schrift nicht notwendig sein. Ich werde also ein letztes Mal auf die notwendigen (alternativlosen) Konsequenzen, die innerhalb jener bereits genannten Diskurse der différance, der Alterität, des Entzugs oder der Leerstelle aufgetaucht sind, zurückgreifen. Und erneut ist es Jacques Derrida, der m. E. diese Konsequenzen am ehesten ausdrücklich gemacht hat – und zwar durch den (allerdings erst angedeuteten) Gestus einer Übersteigerung des Aspekts der Performativität, die letztlich aber nicht nur die Ausdrucksgestalt seiner eigenen Texte prägt. Worin liegt nun das Problem dieser 252
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performativen Sprechweise? Wieso muss sie überstiegen werden? Sie hat ja zunächst den Vorzug, dass sie das in ihr zum Ausdruck kommende nicht einfachhin identifiziert bzw. »auf den Begriff bringt«, sondern es vielmehr dadurch zur Erscheinung kommen lässt, dass sie es in ihrer Ausdruckgestalt gleichsam evoziert. Das Problem des Performativs liegt jedoch darin, dass er für seinen Ausdruck immer noch ein vermögendes und daher in gewisser Weise auch »starkes« Subjekt vorauszusetzen scheint – jenes Subjekt, das sich so jedoch nicht mehr fassen lässt. Vielleicht liegt es ja an diesem Manko, dass die klassische phänomenologische Literatur diesen performativen Sprachmodus, soweit ich sehen kann, fast gänzlich vermeidet. Der Verdacht gegenüber der Performativität liegt in ihrer Mehrdeutigkeit – das heißt, nicht eigentlich darin, dass der performative Sprechakt mehrere Zugänge zu seiner Deutung zulässt, sondern darin, dass der Modus des Performativen einen Akt des Ins-Werk-Setzens erfordert, der in seiner Endgestalt nicht grundsätzlich unterschieden werden kann von der »bloßen« Inszenierung. Diese Ununterscheidbarkeit bezieht sich zwar zunächst bloß auf die Struktur des Performativen, nicht auf den ausgedrückten Gehalt. Allerdings würde es nicht gelingen können, diesen Gehalt nachträglich zum Kriterium zu machen um die »bloße Inszenierung« vom performativem Ausdruck einer différanceoder Alteritätsbeziehung bzw. der politischen Repräsentation einer Leerstelle zu unterscheiden. Ein solcher Versuch kriteriologischer Differenzierung würde nämlich hinter jene Einsicht zurückfallen, die den performativen Sprachmodus überhaupt erst notwendig gemacht hatte: nämlich die Uneinholbarkeit eben dessen, was hier missverständlich »Gehalt« genannt wird. Es ist daher notwendig, im Akt des Performativen eine noch subtilere Differenzierung am Werk zu sehen als dies in den gängigen Theorien über Sprechakte zum Ausdruck zu kommen vermag. – Mit den Worten Derridas: »Obwohl der performative Sprechakt das Ereignis, von dem er spricht, sagt und hervorbringt, neutralisiert er es zugleich in dem Maß, in dem er es der Herrschaft eines »Ich kann« (I can, I may) unterwirft. Vor einem reinen Ereignis, das dieses Namens würdig ist, müssen Performativ und Konstativ gleichermaßen kapitulieren. Eines Tages muss man daraus einmal alle Konsequenzen ziehen.« 11 11
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Diese Konsequenzen werden von Derrida und anderen zunächst vor allem implizit gezogen. Es wird alles daran gesetzt, in höchst selbstreflexiver Weise jedes Missverständnis der bloßen Inszenierung im eigenen performativen Ausdruck zu vermeiden. Zu erinnern wäre hier etwa an die frühe Formulierung bzw. Umschreibung des Vollzugs von Derridas eigenem responsiv-dekonstruktiven Schreiben: Man muss »sich-selbstriskieren im Nicht-Sagen-Wollen.« 12 – Allerdings gibt Derrida in dem gerade zitierten Ereignis-Seminar in Montréal, in dem er sich (ähnlich wie Heidegger in seiner Schlussbemerkung in »Zeit und Sein«) der Problematik des Sagens des Ereignisses zuwendet, auch einen ersten entscheidenden Hinweis, in welche Richtung das Verständnis einer differenzierenden Überschreitung des performativen Sprechens, das ein Ereignis zu sagen versucht, gehen könnte. In Anlehnung an den Diskurs der Psychoanalyse, insbesondere derjenigen von Jacques Lacan, spricht Derrida mit Bezug auf das performative Sagen des Ereignisses von einem »Symptom«. Es handelt sich dabei jedoch nicht um den freudschen Symptombegriff, der die Möglichkeit einer Entschlüsselung und damit eines Verschwindens des Symptoms implizieren würde, sondern eher um jenes Verständnis, das der späte Lacan mit dem altfranzösischen Terminus »sinthome« zu umschreiben sucht. 13 Das sinthome Berlin 2003, hier 56 f. – Der Text geht auf eine Seminarsitzung zurück, die Derrida im April 1997 in Montréal gehalten hatte. Die deutsche Übersetzung des französischen Titels Une certaine possibilité impossible de dire l’événement verfehlt allerdings dessen Pointe, da es nicht darum geht, über das Ereignis zu sprechen, sondern darum, das Ereignis sprechend hervorzubringen. – Eine vergleichbare Forderung eines mehr-als-performativen Sprechakts findet sich auch in: Derrida, Jacques: Die unbedingte Universität. Frankfurt am Main 2001, 72–79. 12 Derrida, Jacques: »Implikationen. Gespräch mit Henri Ronse (1967)«. In: ders.: Positionen. Graz / Wien 1986, 33–51, hier 50. – Zur Interpretation dieses Textes im Kontext der Entdeckung und Formulierung der différance (mit a) siehe: Zeillinger, Peter: Nachträgliches Denken, 107–119; sowie ders.: »Vielleicht wird das Unmögliche daher notwendig gewesen sein. Überlegungen ›vor‹ der Freundschaft.« In: Erik M. Vogt, Hugh J. Silverman, Serge Trottein (Hg.): Derrida und die Politiken der Freundschaft. Wien 2003, 59–79. 13 Vgl. Lacan, Jacques: Le Séminaire XXIII. Le sinthome (1975–76). Paris 2005. Vgl. Thurston, Luke (Hg.): Re-inventing the Symptom. Essays on the Final Lacan. New York 2002. – Eine Hinführung zu Derridas Ereignis-Denken im Kontext des sinthome-Verständnisses und vor dem Hintergrund seines Gesamtwerkes findet sich in: Zeillinger, Peter: »Das Ereignis als Symptom. Annäherung an einen entscheidenden Horizont des Denkens«. In: ders., Dominik Portune (Hg.): Nach Derrida. Dekonstruktion in zeitgenössischen Diskursen. Wien 2006, 173–199.
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wäre demnach nicht ein verschlüsselter Ausdruck eines verdrängt-Abwesenden, sondern vielmehr der implizit wahrnehmbare Ausdruck eines Prinzipiell-Entzogenen – und wird daher auch von keinem Subjekt im engeren Sinne »beherrscht«. »Jenseits aller Verifikationen und aller Diskurse der Wahrheit und des Wissens ist das Symptom eine Zustellung (signification) des Ereignisses, die niemand beherrscht, die kein Bewusstsein, kein bewusstes Subjekt sich aneignen oder beherrschen kann. Weder in Form einer theoretischen oder urteilenden Aussage noch in Form eines performativen Sprechakts. Es gibt Symptom.« 14
Ich halte hier von allem bisher Gesagten fest, dass für das philosophische Sprechen, nachdem es sich der bestimmten Uneinholbarkeit eines letzten Grundes und der unhintergehbaren Nachträglichkeit des eigenen Vollzugs bewusst geworden ist, zunehmend auch der Vollzug und die Gestalt des eigenen Ausdrucks zum Problem geworden ist – und zwar über die Möglichkeiten eines klassischen Verständnisses von Performativität hinaus. Derridas Hinweis auf ein Sagen des Ereignisses »nach Art eines Symptoms/sinthomes« 15 lenkt nun aber den Blick von der Allgemeinheit der écriture, also des Schriftcharakters alles Erscheinenden, über die bezeugende Stimme jenes responsiven Subjekts, das den différance- bzw. Alteritätsbezug performativ zum Ausdruck zu bringen sucht, erneut hin auf jenen Schrift-Ort, an dem das Ereignis zwar nicht als Ereignis auftaucht, sondern spurhaft als écriture-Phänomen wahrnehmbar wird. Ich benenne hier mit dem Namen »écriturePhänomen« nicht eine Teilmenge dessen, was in der Phänomenologie »Phänomen« genannt wird, sondern bestimme umgekehrt all das, was in den vielfältigsten Differenzierungen der Phänomenologie »Phänomen« genannt wird, von eben diesem Schrift-Charakter her. In diesem Sinne wäre nun in weiterer Folge das Phänomenologisieren selbst als ein »Lesen« zu verstehen, das sich seines spezifischen Charakters jedoch erst langsam vergewissern muss. Der Terminus »Lesen« scheint dabei in zweifacher Hinsicht angemessen zu sein: zum einen, weil er den Bezug auf ein Schriftartiges erkennen lässt, das seinerseits nur das spurhaft Lesbare eines prinzipiellen Entzugs darstellt, und zum anderen, weil er einen Akt benennt, der der responsiven Benennung des bezeugenden Subjekts voraus-geht.
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Vor diesem Hintergrund erst ist es möglich, zu einer näheren Bestimmung dessen anzusetzen, was in weiterer Folge eine Phänomenologie des Lesens genannt werden soll.
Phänomenologie des Lesens – Ausgangspunkte Ich nenne hier zunächst in aller Kürze einige zentrale Bestimmungen, die – so hoffe ich jedenfalls – ein allzu grobes Missverständnis des zuSagenden vermeiden könnten. Die Möglichkeit des Missverständnisses ist hier jedoch nicht auf Grund einer Art »Unvermögen« der Beteiligten gegeben, sondern vielmehr grundsätzlicher Art. Sie liegt in der unvermeidbaren Mehrdeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks – insbesondere seiner Begriffe – begründet. Mit dieser Mehrdeutigkeit umgehen zu können – das benennt die zentrale Thematik einer Phänomenologie des Lesens. Das Programm einer solchen Phänomenologie lässt sich vielleicht in drei Punkten grob umreißen: 1. Eine Phänomenologie des Lesens richtet ihre Aufmerksamkeit nicht auf ein »Gelesenes«, sondern auf jenen Vollzug, der sich seinerseits auf das zu-Lesende richtet. 2. Das zu-Lesende – also im genannten Sinn das écriture-haft Erscheinende (in seiner Doppeldeutigkeit des zur-Erscheinung-Gekommenen und des in-Erscheinung-Tretenden) – ist nicht einfach »gegeben«, denn als »Gegebenes« wäre es bereits in gewisser Hinsicht »gelesen«. Vielmehr wird es allenfalls erst durch das Lesen selbst zu einem solchen. Es ist dasjenige, das im dem-Lesen-gegeben-sein als sich-Entziehendes dennoch zur Erscheinung kommt. 3. In dieser Hinsicht richtet sich das Lesen also auf ein Unbekanntes, und es wäre zu fragen, was eigentlich – wenn überhaupt – dieses Lesen »motiviert«. Wodurch könnte der Vollzug des Lesens initiiert sein, wenn nicht durch die Gegebenheit eines Gegebenen? Doch worin bestünde dies – wenn es nicht durch irgendein Vorverständnis einer »Unmittelbarkeit« bereits vorausgesetzt wird und damit jeden Eigenstand verliert? Was initiiert den Vollzug des Lesens, wenn es nicht das in der Lektüre Gegebene ist, das ja – wie gesagt – überhaupt erst durch das Lesen als ein solches erscheint? 256
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An dieser Stelle müsste eine neuerliche Lektüre (diesmal im durchaus traditionellen Sinn) all jener Autoren und Diskurse stattfinden, an die sich die vorliegenden Ausführungen bereits bisher angelehnt haben: Was hat Derrida, Levinas, Lyotard – oder auch Badiou zu ihrem jeweiligen Werk motiviert? Zumindest bei einigen der bisher Genannten lässt sich diese Frage aus dem Werk selbst beantworten: Bei Derrida etwa war es zum einen das Scheitern der Benennung der eigenen Grundlagen in den stärksten Diskursen seiner Zeit und zum anderen der Widerspruch, der erschien, wenn die Prämissen dieser Diskurse konsequent auf sie selbst angewendet wurden. 16 Daher war die sogenannte »Entdeckung« der différance eher eine »notwendige Konsequenz« im Sinne der bereits angesprochenen »Alternativlosigkeit« 17 . Die différance bezeichnet somit ausdrücklich kein »Gegebenes«. Bei Levinas war es zunächst das Phänomen des Ekels, das sich der gewohnten Vorstellung vom Sein entzog und ein Begehren zu einem anders-als-sein erkennen ließ. 18 Schließlich jedoch war es sein Scheitern an der konsequenten Formulierung einer Alterität im Sinne einer Exteriorität, also eines »Außerhalb des Seins«, die ihn in seinem Spätwerk dazu nötigte, ausgehend von einem Begriff der Spur, den es erst in der Sprache selbst zu entwickeln galt, 19 ein Denken des Anderen-imSelben zu enfalten, das sich ebenfalls jeder Form von »Gegebenheit« entzieht. 20 Auch bei Lyotard findet sich als Konsequenz der Wahrnehmung einer prinzipiellen »Grundlagenkrise« 21 der Bezug auf ein solches, das Siehe zum Beispiel Derridas Lektüren durchaus heterogener Diskurse in: Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 6 1994 (frz. 1967). 17 Derrida, Jacques: »Die différance«. In: ders.: Randgänge der Philosophie. Wien 2 1999 (frz. 1972), 31–56. – Zur chronologischen Lektüre des derridaschen Werkes vgl. Zeillinger, Nachträgliches Denken. 18 Levinas, Emmanuel: Ausweg aus dem Sein / De l’évasion. Französisch-deutsch. Hamburg 2005. 19 Eine Nachzeichnung der Entwicklung des Begriffs der Spur bei Levinas findet sich in: Zeillinger, Peter: »Phänomenologie des Nicht-Phänomenalen. Spur und Inversion des Seins bei Emmanuel Levinas«. In: Michael Blamauer, Wolfgang Fasching, Matthias Flatscher (Hg.), Phänomenologische Aufbrüche. Frankfurt am Main / Berlin / Bern u. a. 2005, 161–179. 20 Vgl. insbesondere Levinas’ Spätwerk im Ausgang von: Levinas, Emmanuel: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Freiburg / München 1992 (frz. 1974). 21 Lyotard, Jean-François: »Grundlagenkrise«. In: Neue Hefte für Philosophie, 26. Jg. (1986), 1–33. 16
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sich jeder Form der »Gegebenheit« im engeren Sinn entzieht. In seinem Text »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« 22 heißt es diesbezüglich programmatisch, es gälte jene Regeln zu erfinden, die – später einmal – gegolten haben werden. Das »Gegebene« wäre hier also allenfalls eines, das, aus der Zukunft kommend, die Gegenwart in die Pflicht nehmen würde. Damit komme ich zur ursprünglichen Frage zurück: Was initiiert und motiviert nun also jenes Lesen, von dem hier die Rede sein soll? Es scheint, als ob die Struktur der Motivation jener zeitgenössischen Diskurse, die sich selbstreflexiv der Frage nach den »Grundlagen« des Denkens stellen, stets eine ziemlich ähnliche oder doch zumindest vergleichbare ist: Es ist das Scheitern eines kontinuierlichen Vollzugs der jeweils herrschenden Ordnung zumindest hinsichtlich der Grundlegung ihres eigenen Tuns. – Im Kontext der Frage, worauf sich nun das hier zu erörternde Lesen richtet bzw. wodurch das zu-Lesende des Lesens motivierend »gegeben« sei, müsste also nicht nur betont werden, dass das zu-Lesende ein Unbekanntes, ja sogar Unsagbares sei, sondern auch, dass es sich als Störung im Kontext des Gegebenen als das bleibend Nicht-Gegebene gleichwohl aufdrängt. Wenn dem so wäre – das heißt, wenn wir es im Ausgang von den Erkenntnissen des geschilderten phänomenologisch/post-phänomenologischen bzw. dem sog. »post-strukturalistischen« Denken mit einem Akt des Lesens zu tun haben, das zwischen der grundsätzlichen Nachträglichkeit des Schriftcharakters der Welt und dem davon zeugenden Vollzug des je eigenen Ausdrucks dieses Sachverhalts zu verorten ist, was würde dies in letzter Konsequenz für eine Phänomenologie dieses Lesens, also eines Lesens des Lesens (erneut vergleichbar mit der transzendentalen Methodenlehre der VI. Cartesianischen Meditation von Eugen Fink) bedeuten? Die eingangs erwähnten Beispiele von Martin Heidegger und Paul Celan spielen je auf ihre Weise zumindest implizit auf diese Frage an: Das Vorwort zu Vorträge und Aufsätze und die rahmenden Bemerkungen des Vortrags »Zeit und Sein« richten sich an den Leser bzw. Hörer des Heidegger’schen Sprechakts bzw. der Heidegger’schen écriture und wissen um die Schwierigkeit, mit der der Leser/Hörer konfrontiert ist, der dem Gang des Heidegger’schen Denkens folgen will. Wäre dies aber Lyotard, Jean-François: »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?«. In: ders.: Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982–1985. Wien 1987, 11–31.
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ein Problem, das Heidegger selbst – insofern er denkt – nicht haben würde? Würde derjenige, der auf philosophische Weise selbst denkt, gegenüber demjenigen, der sich mit einer Hermeneutik desjenigen Gedachten, das schließlich in der Form der écriture vorliegt, herumschlagen muss, im Vorteil sein? Ich denke, dass genau dies nicht der Fall ist. Es wäre ein höchst fragwürdiges Meister-Schüler-Verhältnis, wenn der Vorausgang des Denkers eine Situation erzeugen würde, in der der Nachhinkende zudem noch mit den zusätzlichen Schwierigkeiten einer angemessenen Hermeneutik des sprachlichen Ausdrucks des Vordenkers zu kämpfen hätte. Selbst wenn man manchmal nicht umhin kann, vielleicht gerade Martin Heidegger ein solches Modell zu unterstellen, weist zumindest die Schlussbemerkung in »Zeit und Sein« auf eine andere Schiene. Der Autor hat nicht nur das Problem eines eventuell unaufmerksamen oder unverständigen Lesers/Hörers, sondern selbst auch das Problem des Ausdrucks seines eigenen Denkens: Er hat nur in Aussagesätzen gesprochen, und er wird auch weiterhin nur in Aussagesätzen gesprochen haben. Das heißt, dass nicht nur das Lesen des Lesers, sondern auch das eigene Sagen in seinem Ausdruck dem »Sagen des Ereignisses« gegenüber unzureichend bleibt. Diese selbstkritische Beurteilung würde allerdings in genau jenem Augenblick einen völlig anderen Horizont eröffnen, in dem auch für den Autor, das heißt für den Ins-Werk-Setzenden, der Ausdruck selbst zu einem Sagen wird – wenn also nicht bloß ein Sagen »zum Ausdruck kommt«, sondern eben der Ausdruck zu einem Sagen wird.
Sprich auch Du, sag’ Deinen Spruch … Ohne auf die notwendigen Erörterungen angemessen eingehen zu können, wäre dennoch hier der Ort, darauf zu verweisen, dass eben dieser Umschlag vom Ausdruck eines Sagen zum Ausdruck als Sagen im Spätwerk von Emmanuel Levinas in stringenter Weise aufgezeigt und durchgeführt wird und damit einen explizit politischen Horizont des Alteritätsdenkens eröffnet. 23 Außerdem ist bereits sichtbar geworden, Der Übergang von einem »dualen« Alteritätsdenken (»Das Ich ist die Geisel des Anderen«) zur Rede vom »Dritten« und seinen politischen Konsequenzen findet sich nachgezeichnet in: Zeillinger, Peter: »›eins, zwei, viele, …‹ – oder: Ohne Selbst, aber in Gemeinschaft. Der Einbruch des Anderen-im-Plural bei Levinas«. In: Matthias Flatscher,
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inwiefern die mundane écriture die Notwendigkeit eines performativen Zeugnisses im Sinne eines lesend-deutenden Stimme-Verleihens evoziert. Darüber hinaus hat Derrida auch erkannt, dass der Begriff einer unhintergehbaren Performativität für das Verständnis dieses Vollzugs phänomenaler Wahrnehmung nicht hinreicht – und hat vorgeschlagen, hier stattdessen von einer sinthome-artigen Struktur zu sprechen, von einem »Sagen nach Art eines Symptoms« 24 . – Dies hat Konsequenzen für die Lektüre gerade jener Texte, die sich im Sinne einer transzendentalen Methodenlehre mit dem Vollzug des Lesens selbst (bzw. des heideggerschen Hörens) auseinandersetzen. Eine Phänomenologie des Lesens wird sich nicht »vom Ausdruck« sondern »am Ausdruck« sagen lassen, was vom Ausdruck als solchem nicht gesagt werden konnte. Wie aber wäre der Ausdruck auf das hin, was er nicht sagt, zu befragen? Wie lässt sich ein sinthome lesen? Wie wäre am Ausdruck dasjenige, was nicht durch ihn gesagt werden kann, abzulesen? Wie wäre jenem Entzug, der sich am Ausdruck gleichwohl körperlich manifestiert, nachzudenken – ohne dabei in einem performativen Selbstwiderspruch den Entzugscharakter des Ereignisses des Sagens bzw. des Sagens des Ereignisses in einer falschen Identifizierung zu verlieren? Es sollte deutlich geworden sein, dass die Betonung und Einforderung des »Lesens« hier keinen willkürlich eingeführten Akt des Zugangs zur differantiellen écriture bezeichnet, sondern gewissermaßen den mundanen Vollzug benennt, der sich im strengen Sinn als einziger Akt anbietet, der der genannten Struktur zu entsprechen vermag. Eine Phänomenologie des Lesens müsste nun eben diesen Akt auf durchaus klassisch-phänomenologische Weise zu analysieren trachten. Die einzige Einschränkung, die gegenüber einer alltäglichen Herangehensweise an das Phänomen des Lesens vorgebracht werden müsste, bestünde im sinthome-Charakter der écriture, mit der wir es hier zu tun haben. Das alltägliche Verständnis des Lesens meint nur allzu leicht, sich dessen, was in der Lektüre zur Erscheinung kommt, auch auf andere, unmittelbarere Weise versichern und damit das Gelungensein einer Lektüre gewissermaßen überprüfen zu können. Eben dies ist vor dem Hintergrund der unhintergehbaren différance (mit a) und der damit verbundenen Nachträglichkeit allen Denkens aber nicht mehr möglich. Sophie Loidolt (Hg.): Das Fremde im Selbst – Das Andere im Selben. Transformationen der Phänomenologie. Würzburg 2010, 225–247. 24 Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 48.
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Eine Phänomenologie des Lesens müsste sich daher zu versichern suchen, inwiefern es der Lektüre eines sinthomes, das ja selbst nicht einfach als ein solches »identifizierbar« ist, sondern eher spurhaften (also enigmatischen) 25 Charakter hat, überhaupt gelingen kann, der écriture im engeren Sinn das Sagen des Entzugs anzusehen. Ich werde diese Beobachtungen abschließen, indem ich zumindest einige Hinweise zu geben versuche, in welcher Hinsicht eine solche Vergewisserung vielleicht zu gewinnen wäre.
Aufspreizung der Sprache Erlaubt man sich einmal, die Texte jener Autoren, auf die hier schon mehrfach angespielt wurde, einmal wirklich zu lesen, das heißt sich zu fragen, warum sie genau so formuliert sind, wie sie formuliert sind, – erlaubt man sich einmal, das irreduzible Wie dieser Texte ernst zu nehmen ohne es sofort mit externen Assoziationen zu überhäufen und zu verzerren, so gelänge es vielleicht, einige materiale Kriterien für ein phänomenologisches Lesen zu erheben, die unser gewohntes Verständnis des Funktionierens eines sprachlichen Ausdrucks subtil unterwandern. – Ich nenne hier nur zwei solcher Indizien: 1. Der Wechsel in den Konjunktiv, wie er sich z. B. bereits im eingangs zitierten Vorwort Heideggers findet: Harald Weinrich hat in mehreren Arbeiten zum Tempus und zur Textgrammatik der deutschen und französischen Sprache 26 gezeigt, inwiefern das Tempus des Verbs in einem Satz – und noch vielmehr der stets mehrfach auftretende Wechsel des Tempus in einem Text – nicht so sehr eine Repräsentation der Zeitmodi der Wirklichkeit darstellen – deren alltägliches Verständnis eine Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mehr oder minder objektiv und konfliktfrei erlaubt –, sondern vielmehr die Struktur einer Sprechperspektive. Die Formulierung im Konjunktiv, die auf den ersten Blick den Eindruck einer Unsicherheit erwecken könnte, erhält im KonZum Verhältnis von Spur und Rätsel (gr. enigma) vgl. Levinas, Emmanuel: »Rätsel und Phänomen«. In: ders.: Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Freiburg / München 1983, 236–260. 26 Weinrich, Harald: Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart 6 2001 (1 1964). – Ders.: Textgrammatik der deutschen Sprache. Hildesheim / Zürich / New York 4 2007. – Ders.: Textgrammatik der französischen Sprache. Stuttgart 1982. 25
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text eines selbstreflexiven Sagens einen völlig anderen Zug: Sie entzieht dem Text das Subjekt als wissenden Garanten der erzählten Wirklichkeit, ohne deshalb auf den erzählenden Gestus selbst zu verzichten. Das sprechende Subjekt bleibt in gewisser Hinsicht immer noch ein »starkes Subjekt«, jedoch nicht mehr so, dass es unhinterfragt »Herr der Lage« wäre, sondern vielmehr so, dass es sich genötigt sieht, von etwas zu sprechen, das es als solches nicht zu garantieren vermag. Die Verantwortung für die Aussage liegt beim Konjunktiv nicht mehr im Subjekt als solchem, sondern in jenem Kontext, von dem der selbstreflexive Text Zeugnis zu geben versucht. – Mit anderen Worten: Die Formulierung im Konjunktiv performiert zum einen eine gewisse Sprecherintention, die gleichsam von sich wegzuweisen versucht, zum anderen aber wird sie selbst zum Symptom für jenes von-sich-Wegweisen. Die reine Performanz könnte immer noch durch einen präsentischen Aussagesatz substituiert werden, in der das zuvor Performierte nun einfachhin ausgesagt wird. Eine notwendige Spannung zwischen dem aussagenden Subjekt und dem Gehalt der Aussage. Der Wechsel in den Konjunktiv entlastet das Sprechsubjekt von dieser Spannung und zwingt die Lektüre auf die Beachtung des Kontextes, die diesen Konjunktiv rechtfertigt. Eine vorsichtige Lektüre z. B. von Levinas’ Autrement qu’être würde etwa erkennen lassen, 27 wie sich Levinas in einer fast scholastisch anmutenden Weise seiner eigenen Argumentation immer wieder mit radikalen Objektionen ins Wort fällt, ohne eine klare Präferenz für eine bestimmte Aussagerichtung erkennen zu lassen. In einem letzten Schritt wird von ihm dann schließlich der Versuch einer Konsequenz formuliert – diese Konsequenz steht jedoch im Konjunktiv. 2. Ein zweites Indiz findet sich in der erstaunlichen Häufung des Tempus des futur antérieur, das sich insbesondere bei Lyotard, Derrida, Levinas und an zentralen Stellen auch bei Alain Badiou findet. 28 Prominent zu ergänzen wäre hier noch Giorgio Agamben, der jedoch eher lesend als mit eigener Stimme sprechend die Struktur des futur antéVgl. etwa Weber, Elisabeth: Verfolgung und Trauma. Zu Emmanuel Lévinas’ »Autrement qu’être ou au-delà de l’essence«. Wien 1990. 28 Vgl. dazu: Zeillinger, Peter: »Dem Ereignis nach-denken. Hat Badious Philosophie eine Zukunft?« In: Jens Knipp, Frank Meier (Hg.): Treue zur Wahrheit. Die Begründung der Philosophie Alain Badious. Münster 2010, 221–237. 27
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rieur als messianische Struktur zu erheben sucht. 29 Eine wichtige Formulierung in diesem Tempus liegt in der bereits zitierten Bestimmung der Aufgabe der Postmoderne bei Lyotard vor: nämlich jene Regeln zu erfinden, die (später einmal) gegolten haben werden. 30 Hans-Dieter Gondek hat einmal darauf aufmerksam gemacht, dass das Tempus der Vorzukunft in unserem Sprachgebrauch implizit stets einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zu benennen scheint, an dem und von dem an das zunächst als zukünftig Ausgesagte selbst zu einem Präsens bzw. einer Vergangenheit würde. Dem ist tatsächlich so. Der Satz »Ich werde dort gewesen sein« muss sich die Frage gefallen lassen, wann denn dies der Fall sein sollte. Im responsiven Kontext des philosophischen Sprechens fällt jedoch der der Narration eigentümliche Übergang der Zukunft in die Gegenwart und schließlich in die Vergangenheit weg. Die im philosophischen Diskurs ausgesagte Zukünftigkeit bleibt im genannten Kontext zu-künftig (à-venir). Der lyotardsche Satz oder auch die derridasche Formulierung einer democratie á-venir (die zunächst ja gar kein futur anterieur erkennen lässt und dennoch eben dessen Struktur besitzt) zielen vielmehr darauf ab, dass dasjenige, was in der Zukunft liegt, die Gegenwart bereits insofern bestimmt, als sie eben diese Gegenwart auf die Zukunft hin aufsprengt. Es gilt, hier und jetzt jenen Akt zu setzen, der ein demokratischer/gerechter Akt gewesen sein wird. Es wird nicht gelingen, diesen Akt als einen demokratischen/gerechten vorab zu identifizieren, gleichwohl heißt dies nicht, dass das Demokratische/Gerechte in der Gegenwart nicht stattzufinden vermag. Vielmehr bestimmt eben jenes Demokratische/Gerechte, das im Kommen bleibt und durch seine stets perspektivische Identifizierung sich selbst per se auflösen würde, bereits die gegenwärtige Entscheidung in ihrer Struktur. Schließen möchte ich mit einer letzten Bemerkung, die vielleicht ebenfalls nur im Konjunktiv zu formulieren ist: Eine Phänomenologie des Lesens im genannten Sinn würde letztlich gerade nicht auf eine Hermeneutik konkreter sprachlicher Eigenheiten bestimmter philosophischer Sprechakte beschränkt sein – ebenso wenig wie ein philosophiAgamben, Giorgio: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Frankfurt am Main 2006. Vgl. Zeillinger, Peter: Messiansmus und futur antérieur. Grundlagen einer allgemeinen Struktur des Politischen. In: Sabine Biebl, Clemens Pornschlegel (Hg.): Paulus-Lektüren. Paderborn 2013, 45–62. 30 Vgl. Lyotard: »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?«, pass. 29
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sches Sprechen von nun an genötigt wäre, bestimmte performative Strategien der Formulierung seiner Aussagen zu befolgen. Es wäre keineswegs notwendig, nun stets im Konjunktiv oder im futur antérieur zu formulieren. Vielmehr würde eine ernsthaft durchgeführte Phänomenologie des Lesens wohl kaum umhin können, jeden einzelnen Sprechakt, jedes einzelne Bezeugen einer differantiellen Beziehung bereits in jenem Modus zu hören, der durch den Konjunktiv, das futur antérieur, das Vielleicht, den Nominalsatz usw. performativ repräsentiert wird. Nicht die Formulierung, sondern das Lesen im Sinne dieser Modi ist alternativlos.
Fin Wird es also mit Blick auf Heideggers Rahmung von Zeit und Sein notwendig sein, den Aussagesatz zu vermeiden? Nein, wohl kaum – weil es ihn ja in gewisser Weise gar nicht gibt. Würde er zu formulieren versucht werden, hätte er sich gleichwohl je schon in einen Gestus verwandelt, der seinerseits nur im Tempus des futur antérieur angemessen zum Ausdruck gebracht werden könnte. – In diesem Sinne, im Durchgang durch eine Phänomenologie des Lesens, könnte am Ende daher Heidegger sogar widersprochen werden: Nein, das Sagen des Ereignisses hat auch in der Gestalt des Vortrags nicht bloß in Aussagesätzen gesprochen. Wir haben uns jedenfalls nicht bloß Aussagesätze angehört.
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Helmut Stockhammer (1946–2009) in memoriam … über die Sprache sprechen ist vermutlich noch schlimmer als über das Schweigen schreiben. (Die Sprache, GA 12, 10)
… und über die Stille schreiben gehört zweifellos mit zum Allerschlimmsten, dessen man sich überhaupt schuldig machen kann. Weniger einen Aufsatz im Vollsinn des Wortes, also Aufstellung, Verfolg und Beleg einer mehr oder weniger starken These, denn ein paar lose Bemerkungen im Stil versprengter Beobachtungen zum Vorkommen des Themas »Stille« bei Heidegger bietet der vorliegende Text. Diese Beobachtungen werden freilich, wenn sie zusammengehören, zusammengehalten durch die vorläufige thetische Behauptung, die da lautet: Le style est l’homme même, der Stil, das ist der Mann selbst, und Heideggers Stil – das ist die Stille, und zwar näherhin die Stille als das V/Erschweigen des Stils im Sinne des Satzes von Buffon, diesen aber dennoch nolens volens in gewissem Sinn bestätigend. Denn was da verschwiegen wird, wie Peter Trawny es in seinem Beitrag eigentlich recht schön und jedenfalls recht deutlich sagt, ist das Leben: die Tränen, die Herzlichkeit, die Zeugung. Von meiner Warte aus stellt sich diese Dreifalt des verschwiegenen Lebens bei Heidegger, das von der Stille gestillt, d. h. in die Ruhe geborgene oder vielmehr, wenn es nach dem Willen des Denkers geht, dorthin, in die Stille geborgen sein sollende, zur Ruhe gebrachte Leben freilich als V/Erschweigen dessen dar, was ich mit einem von Günther Anders zuerst bemerkten und dann von Hannah Arendt ausgearbeiteten und popularisierten Ausdruck die Geburtlichkeit des Menschen nenne. Dies nur zum Kontext, in dem sich meine Ausführungen situieren. A
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Ihr Angelpunkt ist die Frage nach dem Stil Heideggers, die ich entlang einer Spurensuche nach seiner Auseinandersetzung mit der Stille anfänglich behandeln, wenngleich nicht oder noch nicht beantworten will.
1. Gewiss ist Martin Heidegger kein stiller Denker gewesen. Indes: Er hat die Stille, ja er hat im Stillen gedacht. Im Stillen denken ist der Denkstil Martin Heideggers. Heideggers stillem Denken wollen die folgenden Gedanken denn auch nachdenken, die sich im Übrigen als Gedanken eines orthodoxen Heideggerianers gleichermaßen verstehen wie missverstehen lassen. Heidegger hat das Denken in die Stille gedacht – akkusativisch bzw. lokal verstanden, so wie man sagt, man habe eine Sache ins Reine gebracht oder, mit Hölderlin zu reden: ins Offene; – so hat Heidegger die Sache des Denkens ins Stille gedacht. Die Stille ist der Entzug der Sache. Welche Haltung entspricht ihr? Welche Beziehung besteht zwischen der Stille und dem Schweigen – im Allgemeinen, näherhin im Werk Heideggers über dessen zeitliche Entwicklung hin, insbesondere aber zwischen der Stille von Heideggers Denkstil und seinem Schweigen nach 1945? Ist das Fragen die Frömmigkeit des Denkens, so ist die Stille der Raum, in dem und in den hinein das Fragen sich ereignet. Die Antwort bricht, ja zerstört die Stille, vertreibt sie jedenfalls und in eins damit auch das Fragen. Ist es dies, was Heideggers stilles Denken uns lehrt? »Schiksaalgesez ist diß, daß Alle sich erfahren, [/] Daß, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei.« – Diese Verse aus der siebten Strophe von Hölderlins erst 1945 wiederentdeckter und veröffentlichter Hymne Friedensfeier zitiert Martin Heidegger in seinem 1957/58 in Freiburg gehaltenen Vortrag Das Wesen der Sprache (GA 12, 172) 1 und nennt damit ein wesentliches Moment seines Denkens, seines späten zumal: die Stille. Diese implizite Chronologisierung will freilich gleich wieder relativiert sein: Die Stille nimmt einen wesentlichen (und im Wesentlichen zwischen frühem und spätem Denken konsistenten)
Vorher erläutert Heidegger: »Der Gesang ist die Feier der Ankunft der Götter – in welcher Ankunft alles still wird.« (GA 12, 171 f.)
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systematischen Ort in Heideggers Denken ein. 2 Kaum verhohlen ist der Selbstbezug, wenn Heidegger im dritten, »Wende« überschriebenen Abschnitt seiner in den dreißiger und vierziger Jahren verfassten Berichte Aus der Erfahrung des Denkens unter dem Titel »Der Stiller« zusammenreimt: »Hirt, du Stiller, selber still aus Wende, still die Gegenstände erst zu Dingen, still die Dinge in ihr Eigen, laß sie zeigen das Entwenden alles Eignen ins Verspenden an den Hehl, wo nie Befehl, nur Huld entschuldet alle Schuld zum reinen Tragen einst gestilltes* Sagen.« (GA 81, 86)
Und erläuternd mit einem Asterisk hinzusetzt: »* das eigentlich Stillende ist die Stille des Ereignens […]. Stillen: beruhigen in den Reich-tum der Ruhe im Eigentum aus Ereignis. Still: gestillt aus Stille.« (Ebd.) Der Stiller ist also derjenige, der, »selber still aus Wende« – man darf wohl konjizieren: aus der Erfahrung der Kehre zurückge-kehrt, d. h. die ontologische Differenz jetzt als Austrag des Streits von Welt und Erde denkend –, im Ereignis ein Sagen »stillt«, sich und die Dinge in ihr Eigenstes beruhigt, dorthin, von woher sie ihre »Huld« oder, wie andere Texte aus der zeitlichen Nähe es ausdrücken, ihre Gunst beziehen: aus dem Seyn. So lesen wir im Vortrag Die Sprache (1950): »In die Ruhe bergen ist das Stillen. Der Unter-Schied stillt das Ding als Ding in die Welt. [/] Solches Stillen ereignet sich jedoch nur in der Weise, daß Dies anders lautenden Deutungen, bspw. jener Cathrin Nielsens (vgl. dies.: Die entzogene Mitte. Gegenwart bei Heidegger. Würzburg 2003, 140), zum Trotz; nicht, dass Heideggers einschlägige Betrachtungen keinem Wandel unterlägen, aber von einem »Gegensatz« (ebd.) zwischen Sein und Zeit und späteren Behandlungen des Themas zu reden (von der Äußerlichkeit unterschiedlicher Terminologien abgesehen – so steht in Sein und Zeit das »Schweigen« im Vordergrund, wo später die Stille »läutet«), scheint jedenfalls überzogen.
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zugleich das Geviert der Welt die Gebärde des Dinges erfüllt, insofern das Stillen dem Ding Genüge gönnt, Welt zu verweilen. Der Unter-Schied stillt zwiefach. Er stillt, indem er die Dinge in der Gunst von Welt beruhen läßt. Er stillt, indem er die Welt im Ding sich begnügen läßt. In dem zwiefachen Stillen des Unter-Schiedes ereignet sich: die Stille.« (GA 12, 26)
Und, noch lapidarer, im Vortrag Die Kehre (1949): »Die Stille stillt. Was stillt sie? Sie stillt Sein in das Wesen von Welt.« (GA 11, 124) Völlig zutreffend bemerkt Willem van Reijen zu diesem Zusammenhang: »Heidegger nutzt die Äquivokation von ›Stillen‹, einen Säugling stillen, und Stille (Ruhe), um das Verhältnis von Handeln/Ruhe und Laut/Stille miteinander zu verschränken und so eine Dimension jenseits diskursiv benennbarer Gegensätze zu eröffnen. Jenes Rufen, das vorhin als ›Heißen‹ apostrophiert wurde, kann nun als Stillen bestimmt werden – das Geheiß als ›Geläut der Stille‹. Jetzt schließt sich der Kreis: ›Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.‹« 3
Der Kreis ist freilich noch umfassender – oder geschlossener, je nachdem –, als van Reijen im Blick hat, wenn man, wie ich es tun möchte, in der nämlichen Äquivokation zugleich einen Bezug zwischen Stillen, Sprache und Geburt erkennt, wofür nicht zuletzt auch die Verbrämung des Gebärens zur Gebärde im selben Text spricht, die ich andernorts aufgewiesen und kritisiert habe: 4 Worum es geht, wird deutlich in einem ästhetisch nicht weniger als oben zitiertes fragwürdigen Gedicht Heideggers aus dem ebenfalls der Erfahrung des Denkens sich verdankenden Textkonvolut: »Die Geburt der Sprache Erwinket die Höhe zum Grüßen der Tiefe. Sät aus der Höhe den Samen des Wortes. Bringt aus der Tiefe sein Reifen zur Sage. Hütet dem Ungesprochnen das Schweigen. Bauet aus ihm die Behausung des Menschen: die Sprache. Eh denn der Mensch waltet sein Wesen, Ruft zur Geburt die reine Behausung,
Van Reijen, Willem: Martin Heidegger. Paderborn 2009, 110. Vgl. Boelderl, Artur R.: »Geburtsräume des Daseins. Über Heideggers Sprachgebär(d) en«. In: Thomas Bedorf, Gerhard Unterthurner (Hg.): Zugänge. Ausgänge. Übergänge. Konstitutionsformen des sozialen Raums. Würzburg 2009, 27–39.
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ahndend die Wiege des Wohnens.« (GA 81, 205)
Hier wird die zuvor dem Stiller als Imperativ im Singular zugeschriebene bzw. von ihm wenn nicht bereits erbrachte, so doch prinzipiell erwartbare Leistung zu einem Imperativ Plural erweitert und dezidiert mit Wesen und Entstehung der Sprache in Zusammenhang gebracht. Aus dem Ungesprochenen, dem Schweigen, bauen die angesprochenen Ungenannten (von den Beiträgen her vielleicht konjizierbar: die Zukünftigen) wie zuvor der Stiller die Sprache als Behausung des Menschen; bevor der Mensch Mensch ist und Sprache »hat« (»sein Wesen waltet«), ergeht an ihn der Ruf der reinen Sprache, also des Schweigens, wie es andernorts die Stille selbst ist, die ruft, 5 und von der gesagt wird, dass erst in ihr und durch sie, also in der Stille und durch die Stille, die Sprache sich zur Sprache bringt 6 . Wohin ruft dieser Ruf der Stille den Menschen? Zur Geburt; der Ruf heißt ihn in die Welt kommen, in »die Wiege des Wohnens«, die er – vorsprachlich – kaum noch ahnt. Ich behaupte, dass der Konnex von Sprache/Schweigen/Stille einerseits und Geburt andererseits keineswegs zufällig ist, und will diese Behauptung durch eine weitere Parallele plausibilisieren, die sich mir aufdrängt – die zwischen dem hier als Ungesprochenes firmierenden Schweigen und dem in der Erörterung von Georg Trakls Gedicht als Wink auf die »stillere Kindheit« gedeuteten »Ungeborenen«. In diesem Konnex, auf den ich gleich noch näher eingehe, offenbart sich der verborgene Sinn von Heideggers angesichts der sonstigen Wandlungen seines Denkens bemerkenswert konsistenter Insistenz auf der Bedeutung des Schweigens und der Stille, zumal es ja bereits in Sein und Zeit von Ersterem geheißen hatte, es sei eine andere wesenhafte Möglichkeit des Redens (SuZ, 164) und diese Möglichkeit dem Gewissen als dessen Modus der Rede zugeschrieben wurde (vgl. SuZ, 273): 7 Als Schweigen ergeht der Ruf des Gewissens in einer Stille, die dieses zugleich beruhigt, es in die Ruhe stillt – die Stille, deren »Huld alle Schuld entschuldet«, wie es im Gedicht Der Stiller heißt, ist die Ant»F: So hätte alles Anwesen seine Herkunft in der Anmut im Sinne des reinen Entzückens der rufenden Stille.« (GA 12, 133) 6 Vgl. van Reijen: Martin Heidegger, 111. 7 Vgl. Thomä, Dieter: »Die späten Texte über Sprache, Dichtung und Kunst. Im ›Haus des Seins‹ : eine Ortsbesichtigung«. In: ders. (Hg.): Heidegger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2003, 306–325, hier 308: »Die Formen der Sprache, die in Sein und Zeit privilegiert werden, sind das ›Fragen‹ und das ›Schweigen‹.« 5
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wort des Menschen auf die Not, die er angesichts des Fehls der Götter, und das heißt: des Fehlens heiliger Namen (einer reinen Sprache), empfindet. Daher kann Heidegger auch in der Auseinandersetzung mit Hölderlin gleichermaßen elliptisch wie bündig von der »Stille des Danks« reden und sie mit der »Beschweigung des Seyns« korrelieren (vgl. GA 75, 376); im selben Kontext zitiert er zustimmend Ludwig von Pigenots 1923 erschienene Hölderlin-Studie Das Wesen und die Schau mit der für Heidegger offenbar ganz maßgeblichen Erläuterung, dass der von Hölderlin des Öfteren apostrophierte »Dank«, welcher für den Dichter in sowohl wortgeschichtlichem als auch sachlichem Zusammenhang mit dem Denken, näherhin mit dem Gedächtnis (Andenken) stehe, als den Göttern abgestatteter kein anderer sei als der des Kindes an die Mutter. 8 Meines Erachtens stehen diese und sämtliche Ausführungen Heideggers zum Themenkomplex Rede/Schweigen-Sprache/Stille unter den Vorzeichen jener Konzeption ihres jeweiligen Verhältnisses, wie sie die Beiträge zur Philosophie im Rückblick und in Abhebung von Sein und Zeit einerseits sowie im Ausblick auf und Anstoß zum späteren Ereignisdenken andererseits entwickeln. Da sie dies dezidiert unter Verwendung der Rede vom Stil tun, scheint es mir unumgänglich, sie hier vor meiner angekündigten Auslegung von Heideggers Erörterung von Trakls Gedicht und zur Ermöglichung eines besseren Verständnisses dessen, was diese Auslegung, ihrerseits Heidegger deutend, jener Erörterung hinzufügt, kurz in Erinnerung zu rufen.
2. Wenn man von den Beiträgen gesagt hat, in ihnen kündige sich die Kehre insofern an, als es Heidegger nun nicht mehr, wie angeblich in Sein und Zeit, darum gehe, das Sein vom Seienden, vom Dasein her zu denken, sondern umgekehrt das Seiende vom Sein her, so kann man Von Pigenot, Ludwig: Hölderlin. Das Wesen und die Schau. München 1923, 66 f., zitiert von Heidegger in GA 75, 310 ff., hier 311. Von Pigenot macht dort auf die für Hölderlin als »Worte nachbarlichen Ranges« geltenden Worte Denken und Gedächtnis aufmerksam und zitiert seinerseits Brod und Wein: »… aber es lebt stille noch einiger Dank.« (Zur Figur der Mutter wäre gesondert einiges zu sagen, wofür hier nicht der Ort ist; ich verweise nur auf die Auslegung von Hölderlins Hymne »Germanien«, in der Germania ja als Mutter adressiert wird und die Flüsse als deren Söhne.) 8
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gleichen Sinnes sagen, in und seit den Beiträgen denke Heidegger die Sprache von der Stille her und nicht mehr die Stille (Schweigen) von der Sprache (Rede), 9 oder präziser: Wie in der Kehre Sein und Dasein nicht einfach Plätze tauschen, sondern sie selbst als Figur des Bezugs von Sein und Seiendem und damit als Ort des Austrags der ontischontologischen Differenz thematisch wird, so tauschen im Spätwerk mit Blick auf das Frühwerk nicht einfach Sprache und Stille die Plätze, vielmehr wird die Stille als Wesen der Sprache erkannt, entpuppt sich die Logik als Sigetik, zeigt sich die Tautologie als Form der Tautosigé 10 . »Kehre ist Wider-kehre«, heißt es da (in den Beiträgen) etwa, und: »Der Anruf auf den Zu-sprung in die Ereignung ist die große Stille des verborgensten Sichkennens. Von hier [sc. aus der Stille] nimmt alle Sprache des Da-seins ihren Ursprung und ist deshalb im Wesen das Schweigen.« (GA 65, 407 f.) An anderer Stelle treten »Stille und Ursprung des Wortes« ganz unvermittelt nebeneinander (GA 65, 294), wobei in der elliptischen Form der (Aussage-)Satz nicht nur faktisch vermieden, sondern diese Vermeidung auch theoretisch begründet wird, in einer denkerischen Wendung, die explizit zur Skizzierung eines künftigen Stils des Denkens / des Stils eines künftigen Denkens überleitet: »Die Grunderfahrung ist nicht die Aussage, der Satz, und demzufolge der Grundsatz, […] sondern das Ansichhalten der Verhaltenheit gegen das zögernde Sichversagen in der Wahrheit (Lichtung der Verbergung) der Not, der die Notwendigkeit der Entscheidung entspringt. [ / ] Wenn diese Verhaltenheit zum Wort kommt, ist das Gesagte immer das Ereignis. Dieses Sagen verstehen heißt aber, den Entwurf und Einsprung des Wissens in das Ereignis vollziehen. Das Sagen als Erschweigen gründet. […] Das Suchen als Fragen und dennoch Erschweigen.« (GA 65, 80)
Von dieser »Verhaltenheit« wird nun weiter gesagt, sie sei »der Stil des anfänglichen Denkens« als »Stil des künftigen Menschseins, des im Dasein gegründeten« und müsse dies werden, weil sie, die Verhaltenheit, »diese Gründung durchstimmt und trägt«. Damit ist Verhaltenheit – und Heidegger wiederholt es: »als Stil« – »die Selbstgewißheit der 9 Als zusätzliches Indiz hierfür mag folgende Stelle aus dem Vortrag Der Weg zur Sprache von 1959 dienen: »So ist denn auch das Schweigen, das man gern dem Sprechen als dessen Ursprung unterlegt, bereits ein Entsprechen [Vgl. Sein und Zeit. 1927, § 34]. Das Schweigen entspricht dem lautlosen Geläut der Stille der ereignend-zeigenden Sage. Die im Ereignis beruhende Sage ist als das Zeigen die eigenste Weise des Ereignens. Das Ereignis ist sagend.« (GA 12, 251; Zusatz in eckigen Klammern von Heidegger) 10 Ein Ausdruck, für den ich Martina Roesner zu Dank verpflichtet bin.
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gründenden Maßgebung […] des Daseins. Sie bestimmt den Stil, weil sie die Grundstimmung ist« (GA 65, 33). Verhaltenheit als Grundstimmung des Daseins wird zum einen von Sein und Zeit her kontextualisiert und verortet, wenn Heidegger weiter ausführt, sie sei »der Grund der Sorge« (GA 65, 35), 11 zum anderen aber und im selben Gestus von dieser Bindung an Sein und Zeit und damit an ein in seinen Grundzügen noch isoliert-jemeiniges Dasein gelöst, indem sie zum »Ursprung der Stille« und »Gesetz der Sammlung«, des Logos, und diese, »die Sammlung in der Stille«, als »Bergung der Wahrheit« (GA 65, 35) bestimmt wird. Stil des anfänglichen Denkens, des künftigen, im Da-sein gegründeten Menschseins und damit Stil des Denkers Heidegger selbst als Vordenker dieses künftigen Menschseins ist also, mit anderen Worten und Heideggers einschlägige Ausführungen nur um ein Weniges extrapolierend gesagt, die Stille selbst, und zwar die Stille als Verhaltenheit (worin nicht zufällig die Haltung als Zurückhaltung, als Ethos des Ansich-haltens mitschwingt, wie es auch in jenem anderen Wort, der Gelassenheit, zum Ausdruck kommt), mithin nicht irgendeine – unbestimmte oder zufällige – Stille, sondern eine ge- oder bestimmte Stille (wie es im Gespräch von der Sprache heißt: die Stimme, die in unserem Fall die Stille selbst ist, das Wesen der Sprache; vgl. GA 12, 106), und nicht die Stille eines Einzelnen (mehr), kein individuelles Verstummen in der oder angesichts der Not des Fehlens heiliger Namen, sondern die »große Stille«, als welche sich die Zusammengehörigkeit von Verhaltenheit, Schweigen und Sprache zeigt, die Heidegger so fügt: »Sprache und die große Stille, die einfache Nähe des Wesens und die helle Ferne des Seienden, wenn erst das Wort wieder wirkt.« (GA 65, 36) Auf die daran unmittelbar anschließende Frage »Wann wird diese Zeit sein?« (GA 65, 36) bleibt Heidegger die Antwort nicht schuldig: »Wenn uns eine Geschichte, d. h. ein Stil des Da-seins, noch geschenkt sein soll, dann kann dies nur die verborgene Geschichte der großen Stille sein, in der und als welche die Herrschaft des letzten Gottes das Seiende eröffnet und gestaltet.« (GA 65, 34) Denn: »Nur auf die Verhaltenheit trifft die Herrschaft des letzten Gottes; die Verhaltenheit schafft ihr, der Herrschaft, und ihm, dem letzten Gott, die große Stille. […] Also muß erst die große Stille über die Welt für die Erde kommen. »Das Denken des Seyns ist die Sorge für den Sprach-gebrauch«, heißt es als einer der »Winke« in GA 13, 33.
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Diese Stille entspringt nur dem Schweigen. Und dieses Erschweigen entwächst nur der Verhaltenheit.« (GA 65, 34)
Daher auch ist das gesuchte »anfängliche Denken […] in sich sigetisch, in der ausdrücklichsten Besinnung gerade erschweigend« (GA 65, 58), »[vollzieht sich] der andere Anfang als Erschweigung« (GA 65, 77), »[entspringt d]ie Erschweigung aus dem wesenden Ursprung der Sprache selbst« (GA 65, 79): »37. Das Seyn und seine Erschweigung (die Sigetik) […] Die Erschweigung ist die besonnene Gesetzlichkeit des Erschweigens (σιγᾶν [sigan]). Die Erschweigung ist die ›Logik‹ der Philosophie, sofern diese aus dem anderen Anfang die Grundfrage fragt. […] [/] Wir können das Seyn selbst, gerade wenn es im Sprung ersprungen wird, nie unmittelbar sagen. Denn jede Sage kommt aus dem Seyn her und spricht aus seiner Wahrheit. Alles Wort und somit alle Logik steht unter der Macht des Seyns. Das Wesen der ›Logik‹ (vgl. SS. 34) ist daher die Sigetik. In ihr erst wird auch das Wesen der Sprache begriffen.« (GA 65, 78 f.)
Gründet die Sprache so als Grund des Da-seins im Schweigen, wie es im »Die Sprache (ihr Ursprung)« überschriebenen letzten Stück (Nr. 281) der Beiträge als prosaischem Pendant zum oben zitierten pseudo-poetischen Reimstück »Die Geburt der Sprache« heißt (vgl. GA 65, 510), so ist sie, ist die Sprache als Schweigen »das verborgenste Maß-halten«, »Maß-setzung im Innersten und Weitesten« (GA 65, 510) und steht damit in einer wesensmäßigen Verbindung zum Ereignis. Als »höchste denkerische Erschweigung« »leistet« die Sprache in der Stille das »Sagen von der Wahrheit« (GA 65, 13) des Ereignisses, in welchem und als welches sich der letzte Gott in der Wesung der Wahrheit des Seyns verbirgt (vgl. GA 65, 24). Von daher bestimmt sich wiederum der Stil des anfänglichen Denkens: »Stil: die Selbst-gewißheit des Daseins in seiner gründenden Gesetzgebung […]. [ / ] Der Stil der Verhaltenheit, weil diese von Grund aus die Inständlichkeit durchstimmt, die erinnernde Erwartung des Ereignisses. […] [ / ] Stil ist als gewachsene Gewißheit das Vollzugsgesetz der Wahrheit im Sinne der Bergung in das Seiende.« (GA 65, 69)
Als solche Bergung in das Seiende ist der Stil keine dem Denken noch der Geschichte des Denkens äußerliche Form, sondern vielmehr die Erfüllung eines Auftrags. »Das [sc. der Stil als Verhaltenheit, als Schweigen, Stille] ist […] ein Ursprüngliches, die Fülle der Gewährung des Seyns in der Verweigerung. Hierin gründet der Ursprung des künftigen A
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Stils, d. i. der Verhaltenheit in der Wahrheit des Seyns.« (GA 65, 405) In der Verhaltenheit als Stil verbirgt sich nämlich die bereits erwähnte Not der Entscheidung, der eine Entschiedenheit (Selbst-gewissheit) auf Seiten des Da-seins zu entsprechen hat, muss doch »der Mensch als Gründer des Da-seins zum Wächter der Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes werden« (GA 65, 23). »Die Entscheidung« zur Übernahme dieses Auftrags »fällt« nicht zufällig »im Stillen« (GA 65, 97), näherhin »dadurch, daß die Notwendigkeit des äußersten Auftrags aus der innersten Not der Seinsverlassenheit erfahren und zur bestandhaften Macht ermächtigt wird« (GA 65, 96). Der Auftrag selbst aber besteht in der »Bergung der Wahrheit des Ereignisses aus der Verhaltenheit des Daseins in die große Stille des Seyns« (GA 65, 96). Und Heidegger schließt seinen Gedankengang mit einer pointierten Reformulierung des Bezugs von Seyn und Dasein von der Stille her: »So allein wird das Seyn die Befremdung selbst, die Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes. Das Dasein aber ist ereignet im Seyn als die Gründung der Wächterschaft dieser Stille.« (GA 65, 406) Dies alles, wie gesagt, nur zur Erinnerung und als Vorbereitung zur vorläufigen Beantwortung der Frage, die sich mir und uns als entscheidende für das Verständnis nicht nur des späten Heidegger aufdrängt: Um welche Stille handelt es sich hier? Was heißt Stille? Worauf zielt ein Stil, der sich der Stille wenn nicht gleich selbst verschreibt, so sie doch als Fluchtpunkt seiner selbst ansetzt? Und mit Blick auf den von Heidegger stark gemachten Zusammenhang von Stil und Verhaltenheit, Stille und Schweigen gesagt: Wird in dieser Stille etwas v/erschwiegen und womöglich anderes, als Heidegger nahelegt?
3. Ich kehre im Ausgang von dieser Frage und den sie bestimmenden Präliminarien in den Beiträgen zurück zu meinem angekündigten Vorhaben einer Deutung von Heideggers Trakl-Vortrag Die Sprache im Gedicht von 1952 entlang einer Parallelisierung von Ungesprochenem/ Schweigen einerseits und Ungeborenem/stiller(er) Kindheit andererseits und schreibe Heideggers Ausführungen zu Stille und V/Erschweigung so in den nicht zuletzt von ihm selbst evozierten Kontext der Rede von der Geburt der Sprache ein, die allein durch den Umstand, dass 274
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Heidegger zufolge die Sprache der Grund des Daseins ist, zumindest metonymisch mit der von ihm sonst peinlich vermiedenen Thematik der Geburtlichkeit des Daseins verknüpft ist. Diese Verknüpfung, um nicht zu sagen: diese verschwiegene Bindung ist es, die Heidegger im gegenständlichen Trakl-Vortrag gleichsam nolens volens erschweigt, und dies auf sehr spezifische, vielsagende Weise. Aus Platzgründen folge ich dabei hier nicht dem gesamten Gang des Textes, sondern konzentriere mich auf dessen zweiten Teil (GA 12, 48–73), in dem Heidegger, nachdem er im ersten Teil Trakls Vers »Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden« (aus dem Gedicht Frühling der Seele) seiner theologischen Anklänge zu entkleiden und »irdisch« auszulegen versucht hat, so zwar, dass diese Seele als ein Fremdes »in den Untergang« (GA 12, 47) gerufen ist, wohin ihr jene folgen sollen, die nicht dem »alten Geschlecht« angehören, das »in die Zwietracht der Geschlechter auseinandergeschlagen ist« (GA 12, 46), diesen Untergang als Ort des Gedichts näher zu bestimmen sucht, indem er ihn »die Abgeschiedenheit« (GA 12, 48) nennt und fragt: »Wer ist der Abgeschiedene?« (Ebd.) In ihm erkennt Heidegger den »Frühverstorbenen« wieder, den Knaben Elis aus einem anderen Gedicht Trakls, den er als den »in den Untergang gerufene[n] Fremdling« identifiziert, dessen »zarte[r] Leichnam« »eingehüllt ist in jene Kindheit, die alles nur Brennende und Sengende der Wildnis [sprich: die Leidenschaften des Lebens, die im Erwachsenenalter das Wechselspiel der Geschlechter bestimmen] stiller verwahrt« (GA 12, 50), weil sie noch nicht und nie in die Zwietracht der Geschlechter auseinandergeschlagen (s. o.), sondern in deren »sanfte«, zuvor auch als »einfältig« apostrophierte »Zwiefalt« geborgen ist (GA 12, 51 bzw. 46). Vor diesem Hintergrund erneuert Heidegger seine bereits aus dem früheren Trakl-Vortrag von 1950, Die Sprache, bekannte Auslegung des Austragens von Welt und präzisiert sie zugleich als das Austragen eines Ungeborenen. Wird das im einen wie im anderen Fall von »[u]nsere[r] alte[n] Sprache« (GA 12, 19), nur einmal vom althochdeutschen giberan, das andere Mal vom mittelhochdeutschen »bern, bären« hergeleitete Austragen im früheren Vortrag vom »gebären« zur Gebärde stilisiert (vgl. GA 12, 19) 12 und damit aus dem konnotativen Umkreis von Geschlecht und Geschlechtlichkeit und Geburt zumal entfernt, so
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Vgl. zudem Boelderl: »Geburtsräume des Daseins«, pass. A
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wird diese Geste nunmehr so wiederholt, dass sie zugleich ihre eigentliche Intention offenbart: »Elis ist der Tote, der in die Frühe entwest. Dieser Fremdling entfaltet das Menschenwesen voraus in den Anbeginn dessen, was noch nicht zum Tragen (althochdeutsch giberan) gekommen. Jenes ruhendere und darum stillendere Unausgetragene im Wesen der Sterblichen nennt der Dichter das Ungeborne. Der in die Frühe verstorbene Fremdling ist der Ungeborene.« (GA 12, 51)
Trakls Vers »Und Ungebornes pflegt der eignen Ruh« erfährt von daher folgerichtig die Auslegung: »Es [sc. das Ungeborne] hütet und wahrt die stillere Kindheit in das kommende Erwachen des Menschengeschlechts.« (GA 12, 51) Der »dunklen Stille der Kindheit« des geborenen und damit schon in die Zwietracht der Geschlechter, in welcher »das Knabenhafte […] in einem Gegensatz zum Mädchenhaften« (GA 12, 51) steht, entlassenen Menschen des alten Geschlechts kontrastiert Heidegger »die hellere, weil noch stillere und darum andere Kindheit« (GA 12, 52) des Ungebornen, deren »Frühe« »das immer noch verhüllte ursprüngliche Wesen der Zeit [verwahrt]« (GA 12, 53): Dieses »bleibt dem herrschenden Denken auch fernerhin verschlossen, solange die seit Aristoteles überall noch maßgebende Vorstellung von der Zeit in Geltung bleibt« (ebd.). »Aber die wahre Zeit ist Ankunft des Gewesenen. Dieses ist nicht das Vergangene, sondern die Versammlung des Wesenden, die aller Ankunft voraufgeht, indem sie als solche Versammlung sich in ihr je Früheres zurückbirgt« (GA 12, 53), d. h. indem sie das faktisch Gewordene ungeschehen macht, das tatsächlich Gesprochene ins Ungesagte, ins Schweigen zurückführt und so stillt (dies die Aufgabe des Stillers, des pacifiers, wortwörtlich: des Friedenmachers, der angelsächsische terminus technicus für das, was wir im Deutschen als Schnuller kennen). Daher auch sind die in Trakls letztem Gedicht Grodek genannten »ungebornen Enkel« für Heidegger »keinesfalls die ungezeugt gebliebenen Söhne der gefallenen Söhne, die dem verwesenden Geschlecht entstammten« (GA 12, 61, Hervorh. von mir), sondern die »eine[r] andere[n] Generation« Zugehörigen: »Sie ist anders, weil andersartig gemäß ihrer anderen Wesensherkunft aus der Frühe des Ungeborenen.« (GA 12, 62) Der als Zwietracht diffamierten Geschlechtlichkeit der Geborenen stellt Heidegger die »in der stilleren Einfalt der Kindheit […] dorthin versammelte geschwisterliche Zwiefalt des Menschengeschlechtes« (GA 12, 63) gegenüber, in deren »Abgeschiedenheit« als 276
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dem Ort des Ungeborenen das Böse »verwandelt« (ebd.) ist: »Die Abgeschiedenheit ist die Versammlung, durch die das Menschenwesen in seine stillere Kindheit und diese in die Frühe eines anderen Anbeginns zurückgeborgen wird.« (GA 12, 63) In diesem anderen Anbeginn ist das Menschenwesen ganz im Sinne der von Heidegger auch andernorts eingeforderten Besinnung »sinnender, weil stiller, stiller, weil selbst stillender« (GA 12, 51). Ich breche meine Rekonstruktion der Erörterung von Georg Trakls Gedicht an dieser Stelle ab (es gibt im Übrigen einen etymologisch korroborierten, sachlichen Zusammenhang zwischen »stellen« und »stillen«, dem angelegentlich von Heideggers Kritik des Ge-stells eigens nachzusinnen wäre: Still ist etwas, das und nachdem es hinge-stellt worden ist) und versuche zu einer vorläufigen Antwort auf die Frage, welche Sache des Denkens Heidegger ins Stille gedacht habe, zu gelangen. Das Ideal des Da-seins im anderen Anfang, jener herbeigerufene zukünftige Stil des Denkens, die Verhaltenheit als Stille, ist – in der Sprache schon der Beiträge gesagt – das »Weg-sein« nicht im Sinne des Nicht-mehr-seins der Kindheit oder des Noch-nicht-seins der Zukünftigen, noch auch im Sinne einer Vorzukunft, die die Gegenwart auf die Zukunft hin aufspreizt. Das Stilideal des Denkens im anderen Anfang ist vielmehr die Stille des »Ungebornen«, jene »stillere« Kindheit, die Heidegger mit Trakl zeichnet, die nicht vorläufige Stille der infantia, des noch nicht zur Sprache gekommenen geborenen Kindes ist, sondern die radikale Stille des absoluten Schweigens dessen, was – oder vielmehr: der bzw. die – niemals zur Sprache gelangen kann: die Stille des, wie die Angelsachsen sagen, stillborn, was nicht meint: des still oder in der bzw. in die Stille Gebor(g)enen, sondern der Totgeburt. In einem in der Tat radikalen Sinn offenbart Heideggers Erörterung von Georg Trakls Gedicht die Wahrheit des Seyns, die sich schon in Sein und Zeit in der merkwürdigen Verbrämung der Geburtlichkeit des Menschen zur Geworfenheit und der mehrmals textuell inszenierten V/Erschweigung des Herlaufens des Daseins von der Geburt zugunsten der Analyse seines Vorlaufens zum Tod angekündigt hatte – Heideggers Dasein ist eine Totgeburt. Die »Fülle der Gewährung des Seyns«, darin »der Ursprung des künftigen Stils [gründet]«, mithin die »Wahrheit des Seyns« (GA 65, 405) gibt sich nur in der »Verweigerung« desselben, in dessen »Befremdung« (GA 65, 406), d. h. als Geburtsverweigerung. Die im Spätstil und A
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als Stil des anderen Anfangs gesuchte Stille ist die Stille des Toten, die gegenüber dem lärmenden Geräusch des Lebendigen, als welches die Rede das Sein daran hindert, sich zu ereignen, positiv abgesetzt wird. Es geht Heidegger also nicht – um die eingangs aufgeworfene Frage nach dem möglichen Zusammenhang, einer Kontinuität zwischen seiner Konzeption der Stille einerseits und seinem befremdlichen Schweigen nach 1945 abschließend noch einmal aufzugreifen –, es geht ihm nicht, wie man mit Blick auf Paul Celan meinen könnte, um das Versagen der Sprache im Angesicht der Katastrophe, um ein Sprechenmüssen angesichts des Unsagbaren, das sich als ein Nur-noch-lallenKönnen (»Pallaksch pallaksch«) – sc. wie die Kinder, die infantes – manifestiert. Das reine Sagen des Einfachen, welches in die »große Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes« mündet, ist vielmehr die Apotheose eines huldvoll von aller Schuld entschuldeten, radikal unschuldigen und in diesem Sinne stillen, in die Ruhe des Seyns als Nichtseins geborgenen Ungeborenen. 13 Der Intention nach, freilich nicht der Sache nach und noch weniger aus der Sprache getilgt ist bei Heidegger also im Wortsinn das Leben: die Tränen, die Herzlichkeit, die Zeugung, und zwar zugunsten des Todes, der sich mit zunehmender Deutlichkeit als Tod nicht eines Geborenen und insofern Sterblichen zu erkennen gibt, sondern als das Ungeborensein eines in diesem Sinne Unsterblichen, radikal Zukünftigen, das bzw. der eo ipso im Kommen bleiben muss. So betrachtet ist Heideggers Schweigen, wie Matthias Flatscher in seinem Beitrag in den Raum stellt, in der Tat ein beredtes Schweigen oder, wie ich an anderer Stelle bereits gesagt habe und womit ich hier schließe: Mag auch die Stille stillen, die Sprache spricht, und Heideggers Sprache zumal. 14 Seiner, Heideggers Stille, wäre vielleicht jene andere, zutiefst lebendige Stille entgegenzuhalten, der Hans Saner ein anarchisches Momentum zuerkennt:
Sehr zutreffend beobachtet daher Kim, Hyung Kang: Ästhetik der Paradoxie. Kafka im Kontext der Philosophie der Moderne. Würzburg 2004, 68: »Heideggers Entdeckung der Stille für die Sprache kann in Analogie mit Freuds Entdeckung des Todes im Innern des Lebenden betrachtet werden« und fügt unter Hinweis auf Gianni Vattimo hinzu: »[…] auf echte Weise sprechen heißt mit dem ›Anderen des Signifikanten‹, dem ›Anderen der Sprache‹, in Beziehung treten.« 14 Boelderl: »Geburtsräume des Daseins«, 39. 13
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»Die Stille ist ohne Anfang. [ / ] Was anfängt, ist das Geräusch. [ / ] Der Klang dagegen wächst aus der Stille und ist wie diese ohne Anfang. [ / ] Das Geräusch verstummt, und der Klang klingt nach. Im Verstummen ebbt das Geräusch ab; im Nachklang klingt eine Ordnung aus. Bis alles in die Stille mündet, die ganz anarchisch ist.« 15
15 Saner, Hans: »Die Anarchie der Stille«. In: ders.: Die Anarchie der Stille. Basel 1990, 67.
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Siglenverzeichnis
Martin Heidegger Gesamtausgabe, hg. von Hermann Heidegger in Verbindung mit Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt am Main 1975 ff. GA 1: GA 2: GA 4: GA 5: GA 7: GA 8: GA 9: GA 10: GA 11: GA 12: GA 14: GA 15: GA 16: GA 17:
Frühe Schriften (1912–1916) Sein und Zeit (1927) Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (1936–1968) Holzwege (1935–1946) Vorträge und Aufsätze (1936–1953) Was heißt Denken? (1951–1952) Wegmarken (1919–1961) Der Satz vom Grund (1955–1956) Identität und Differenz (1955–1957) Unterwegs zur Sprache (1950–1959) Zur Sache des Denkens (1962–1964) Seminare (1951–1973) Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges (1910–1976) Einführung in die phänomenologische Forschung (Wintersemester 1923/24) GA 18: Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie (Sommersemester 1924) GA 21: Logik. Die Frage nach der Wahrheit (Wintersemester 1925/26) GA 24: Die Grundprobleme der Phänomenologie (Sommersemester 1927) GA 25: Phänomenologische Interpretationen von Kants Kritik der reinen Vernunft (Wintersemester 1927/28) GA 28: Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart (Sommersemester 1929) GA 29/30: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit (Wintersemester 1929/30) GA 32: Hegels Phänomenologie des Geistes (Wintersemester 1930/31) GA 33: Aristoteles, Metaphysik Θ 1–3. Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft (Sommersemester 1931) GA 36/37: Sein und Wahrheit. 1. Die Grundfrage der Philosophie (Sommersemester 1933); 2. Vom Wesen der Wahrheit (Wintersemester 1933/ 34) GA 38: Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache (Sommersemester 1934) A
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Siglenverzeichnis GA 39:
Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« (Wintersemester 1934/35) GA 40: Einführung in die Metaphysik (Sommersemester 1935) GA 43: Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst (Wintersemester 1936/37) GA 50: Nietzsches Metaphysik (für Wintersemester 1941/42 angekündigt, aber nicht vorgetragen). Einleitung in die Philosophie – Denken und Dichten (Wintersemester 1944/45) GA 52: Hölderlins Hymne »Andenken« (Wintersemester 1941/32) GA 54: Parmenides (Wintersemester 1942/43) GA 55: Heraklit. 1. Der Anfang des abendländischen Denkens (Sommersemester 1943). 2. Logik. Heraklits Lehre vom Logos (Sommersemester 1944) GA 56/57: Zur Bestimmung der Philosophie: 1. Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem (Kriegsnotsemester 1919). 2. Phänomenologie und transzendentale Wertphilosophie (Sommersemester 1919), 3. Anhang: Über das Wesen der Universität und des akademischen Studiums (Sommersemester 1919) GA 62: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung (Wintersemester 1921/22) GA 63: Ontologie. Hermeneutik der Faktizität (Sommersemester 1923) GA 64: Der Begriff der Zeit (1924) GA 65: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (1936–1938) GA 66: Besinnung (1938/39). Im Anhang: Mein bisheriger Weg (1937/38) GA 67: Metaphysik und Nihilismus. 1. Die Überwindung der Metaphysik (1938/39). 2. Das Wesen des Nihilismus (1946–48) GA 68: Hegel. 1. Die Negativität (1938/39). 2. Erläuterung der »Einleitung« zu Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1942) GA 71: Das Ereignis (1941/42) GA 74: Zum Wesen der Sprache GA 75: Zu Hölderlin – Griechenlandreisen GA 77: Feldweg-Gespräche (1944/45) GA 79: Bremer und Freiburger Vorträge. 1. Einblick in das was ist. Bremer Vorträge 1949. 2. Grundsätze des Denkens. Freiburger Vorträge 1957 GA 80: Vorträge GA 81: Gedachtes
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Patrick Baur studierte Philosophie, Germanistik und Biologie in Freiburg und Basel. Er promovierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zum Thema Phänomenologie der Gebärden. Leiblichkeit und Sprache bei Heidegger, Freiburg / München 2013, und lehrt Philosophie am Philosophischen Seminar der Universität Freiburg. Veröffentlichungen u. a. zu Heidegger, Husserl, Aby Warburg und Pindar. Forschungsschwerpunkte: Phänomenologie (Heidegger/Husserl) und Kritische Theorie; Philosophie der Neuzeit, insbes. Descartes und Hegel; Philosophie der Antike (Platon, Aristoteles, Epikur); Medizinphilosophie. Seit 2008 Wissenschaftlicher Beirat der Publikations- und Veranstaltungsreihe Aspekte der Medizinphilosophie. Artur R. Boelderl, Studium der Germanistik und Philosophie, Promotion sub auspiciis praesidentis Rei Publicae 1995, Habilitation für Philosophie 2006 in Klagenfurt, lehrt an der Kath.-Theol. Privatuniversität Linz sowie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Arbeitsschwerpunkte: Philosophie des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, bes. Phänomenologie, Hermeneutik, Dekonstruktion; Sozialphilosophie; Kultur- und Religionsphilosophie; Ästhetik, Literatur- und Texttheorie. Veröffentlichungen: »Geburtsräume des Daseins. Über Heideggers Sprachgebär(d)en«, in: Thomas Bedorf/Gerhard Unterthurner (Hg.), Zugänge. Ausgänge. Übergänge. Konstitutionsformen des sozialen Raums, Würzburg 2009; Von Geburts wegen, Würzburg 2006; Georges Bataille, Berlin 2005 Arno Böhler ist Universitätsdozent am Institut für Philosophie der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Poststrukturalismus, Indische Philosophie, arts-based research. Gründer des Philosophie-Performance-Festivals Philosophy On Stage. Leitung des FWF-Forschungsprojekts »Korporale Performanz – Generating Bodies« TRP12-G21
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(2010-2013). Weitere Informationen: http://homepage.univie.ac.at/ arno.boehler Bernd Bösel, Studium der Philosophie in Wien, Promotion mit der Arbeit Philosophie und Enthusiasmus. Studien zu einem umstrittenen Verhältnis, Wien 2008. Diverse Lehraufträge (Ethik, Ästhetik, Technikphilosophie) an der Universität Wien und an der Kunstuni Linz. Seit September 2011 Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (APART-Programm) mit dem Projekt »Die Kunst, Emotionen herzustellen. Philosophie als kritische Psychotechnik«. Seit Oktober 2012 Fellow an der Kunsthochschule für Medien, Köln. Matthias Flatscher studierte Philosophie und Germanistik in Wien. Forschungsaufenthalte in Stony Brook / New York (USA), Innsbruck (Österreich) und Freiburg / Br. (Deutschland). Promotion 2006 im Fach Philosophie an der Universität Wien. Derzeit Universitätsassistent am Philosophischen Institut an der Universität Wien. Veröffentlichungen u. a.: Logos und Lethe. Zur phänomenologischen Sprachauffassung im Spätwerk von Heidegger und Wittgenstein, Freiburg 2011; Mithg. v. Das Fremde im Selbst – das Andere im Selben. Transformationen der Phänomenologie, Würzburg 2010; Hg. v. Heidegger, Martin / Ficker, Ludwig von: Briefwechsel 1952–1967, Stuttgart 2004. Susanna Lindberg works as professor of philosophy at the University of Tampere. She defended her PhD Thesis at the University of Strasbourg on Heidegger’s readings of Hegel (a part of this work has appeared as Heidegger contre Hegel : Les irréconciliables. Paris 2010 and Entre Heidegger et Hegel : L’éclosion et vie de l’être. Paris 2010.) She has worked as a postdoctoral researcher of the Academy of Finland and the University of Helsinki with research projects on the concepts of life and the elemental in German Idealism and Contemporary philosophy. See http://uta-fi.academia.edu/SusannaLindberg Sandra Man(hartseder), geboren in Knittelfeld, aufgewachsen in Klagenfurt, Studium (Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie) in Wien, Paris, St. Petersburg und Berlin. Wohnt und schreibt in Berlin. Künstlerische Projekte u. a.: Jetzt Wird’s Ernst (Text-Installation, Ballhaus Ost Berlin 2012), Die Umsetzung (Hör-Stück, Potsdam und Ballhaus Ost Berlin 2011). Veröffentlichungen u. a. »Wir Schrei284
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ben Lust«, in: Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa, hg. von E. Hutfless, G. Postl, E. Schäfer, Wien 2013; »Eine Sendung für Alle und Keinen«, in: Vom Publicum: Das Öffentliche in der Kunst, hg. von D. Kammerer, Berlin 2012. Dieter Mersch, Studium der Mathematik und Philosophie an den Universitäten Köln und Bochum. Seit 2004 Professor für Medientheorie und Medienwissenschaften an der Universität Potsdam. Zahlreiche Gastprofessuren in Chicago, Budapest, Luzern, Fellow am IKKM Weimar, Fellow an der ZHdK Zürich, zudem Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs (1539): Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens an der Universität Potsdam. Arbeitsschwerpunkte sind Medienphilosophie, Philosophische Ästhetik und Bildtheorie, Kunstphilosophie, Semiotik, Hermeneutik und Philosophie des 20. Jahrhunderts. Publikationen u.a.: Umberto Eco zur Einführung, Hamburg 1992, Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, Ereignis und Aura. Untersuchungen zur einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt/M 2002, (Hg.) Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens, München 2003; (Hg.), Medientheorien zur Einführung, Hamburg 2006, (Hg.) (zus. mit Michaela Ott): Kunst und Wissenschaft, München 2007, (Hg) Logik des Bildlichen (zus. mit Martine Heßler) 2009, Posthermeneutik 2010, Ordo ab Chao / Order from Noise, Berlin/Zürich 2013. Adrián Navigante, Studium der Altphilologie, Literaturwissenschaft und Philosophie in Buenos Aires (Argentinien). Promotion in Deutschland (2008). Zwischen 2008 und 2010 freier Dozent an verschiedenen Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seit 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fundamentaltheologie der Universität Wien. Martina Roesner, Studium der Philosophie in Rom, Paris, Tübingen und Salzburg, 2001 Promotion an der Université Paris IV-Sorbonne, danach Forschungs- und Lehrtätigkeit am C.N.R.S./Archives Husserl de l’École Normale (Paris), an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Gegenwärtig ist sie als Lise-Meitner-Stipendiatin an der Universität Wien tätig. Forschungsschwer-
A
Die Stile Martin Heideggers
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punkte: Phänomenologie, Neukantianismus, Mittelalterliche Philosophie, Anthropologie und Religionsphilosophie. Peter Trawny studierte Philosophie, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte in Bochum, Freiburg, Basel und Wuppertal. Er lehrte an Universitäten in Shanghai, Wien und Stockholm, zurzeit lehrt als außerplanmäßiger Professor für Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal, er ist Leiter des Martin-Heidegger-Instituts. Mitherausgeber der Martin Heidegger-Gesamtausgabe (GA 35, 69, 86, 90). Letzte Veröffentlichungen: Adyton. Heideggers esoterische Philosophie (2010); Medium und Revolution (2011), beide bei Matthes & Seitz, Berlin. In Vorbereitung: Ins Wasser geschrieben. Versuche über die Intimität. Forschungsgebiet: Politische Philosophie und Ästhetik. Vgl. auch den Wikipedia-Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_ Trawny. Peter Zeillinger, katholischer Theologe und Philosoph, Lektor am Institut für Philosophie der Universität Wien, wissenschaftlicher Assistent der »Theologischen Kurse« der Österreichischen Bischofskonferenz; Arbeitsschwerpunkte: zeitgenössische Philosophie, Dekonstruktion, Poststrukturalismus und Politische Theorie; Publikationen zu Jacques Derrida, Emmanuel Levinas, Alain Badiou, Giorgio Agamben u. a.
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ALBER PHILOSOPHIE
Patrick Baur / Bernd Bösel / Dieter Mersch (Hg.)
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