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German Pages 404 Year 1991
SUSANNE ZIEGLER
Heidegger, Hölderlin und die 'AAtl0Eta
Philosophische Schriften Band 2
Heidegger, Hölderlin und die 'AA~OEta Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944
Von
Susanne Ziegler
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Ziegler, Susanne:
Heidegger, Hölderlin und die 'AAij8ELu: Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944 / von Susanne Ziegler. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Philosophische Schriften; Bd. 2) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07142-5
NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-07142-5
Vorwort Diese Arbeit hätte nicht begonnen werden können ohne die vielen Anregungen, die ich in Vorlesungen und Seminaren von Prof. Dr. Richard Wisser an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, erhielt. Auch der Fortgang der Arbeit wurde durch derartige Denkanstöße immer wieder neu belebt. Hierfür danke ich Professor Wisser von Herzen. Darmstadt, im März 1991 Susanne Ziegler
Inhalt Siglen..............................................................
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§ 1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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§ 2. Horizontale Zeit und existenziale Geschichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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§ 3. Heideggers Gespräch mit Hölderlin .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
23
§ 4. Der in Hölderlins Dichtung gegründete Anfang einer anderen Geschichte.
GA 39: Hölderlins Hymnen "Germanien" und "Der Rhe.in". Wintersemester 1934/35 .................................................... 26
a) Das Reinentsprungene als Leitform für die Bewegtheit der abendländischen Geschichte .............................................. b) Das Wesen der Dichtung als Stiftung des Seyns ..................... c) Das Seyn des Menschen als Gespräch. .. . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Das Denken der Halbgötter. Dichten und Denken .................. e) Das Ereignis des Wahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. f) Das "Vaterland". Das Mitgegebene und das Aufgegebene. . . . . . . . . . . .. g) Die Grundstimmung der Dichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
31 40 45 47 50 54 57
§ 5. Wieder-holung des Anfangs der Geschichte und Verwandlung in den an-
deren Anfang. GA 40: Einführung in die Metaphysik. Sommersemester 1935............................................................ 65
a) Geschichtliches Fragen der Seinsfrage .. . . . .. . . . .. . . .. . .. . . . . . . . . .. b) Das Walten der tj>vO'U;; als An-wesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Der Wesensbezug des Denkens zum Sein. Sein als Grundgeschehnis ... d) Der Wandel des Seins von tj>vO'U;; zu iOe:a. Der Einsturz der äÄft9€1.a . . .. e) Die Unterscheidung von Sein und Seiendem als das die Geschichte Tragende .....................................................
66 73 80 93 100
§ 6. Das Wesen der Wahrheit im anderen Anfang: die Lichtung. GA 45:
Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte "Probleme" der "Logik". Wintersemester 1937/38. Erster Entwurf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107
a) Wahrheit als Lichtung für das sichverbergende Seyn . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 b) Die Lichtung als Grund des Menschseins .......................... 116 § 7. Das Fragen der Wahrheitsfrage im Hinblick auf den zukünftigen Anfang
der Geschichte. GA 45: Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte "Probleme" der "Logik". Wintersemester 1937/38 ......................... 126
8
Inhalt
a) Das Wesen der Philosophie und die Wahrheitsfrage .. . . . . . . . . . . . . ... b) Geschichtliche Besinnung auf die Wahrheit als Richtigkeit. Die Kehre der Wahrheitsfrage ............................................ c) Die Wesenheit des Wesens .................................... " d) Gründung des Grundes. Die äAi!9€la als ursprüngliches Wesen des Wahren ...................................................... e) Die Notwendigkeit der Wahrheitsfrage aus dem Anfang der Geschichte f) Not und Notwendigkeit des ersten Anfangs. Die Grundstimmung des Er-staunens ................................................. " g) Die Not der Notlosigkeit. Die Seinsverlassenheit des Seienden. . . . . . .. § 8. Das zeit- und orthafte Wesen des Seins. GA 51: Grundbegriffe. Sommersemester 1941 . . . . . . . . . . . .. . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .
a) Grund-Begriffe als Be-greifen und Ein-begriffen-sein . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Unterscheidung von Sein und Seiendem als Aufenthalt des Menschen........................................................ c) Das zwiespältige Wesen des Seins. .. . ... . . . . . . .. . . . . . . . ... . . . . . . . d) Der Bezug des Menschen zum Sein und des Seins zum Menschen ..... e) Das Verhältnis von Seiendem und Sein im Spruch des Anaximander. ..
127 133
135
138 140 147
155
160 160
164 166
171 177
§ 9. Der Übergang von der gewesenen in die künftige Geschichte. GA 52: Hölderlins Hymne "Andenken". Wintersemester 1941/42. . . . . . . . . . . . . . . . .. 192
a) Das dichtende Wort. . . .. . .. . ... . . . . . . . ... . . . . . . ... . . . . . . . . . . . .. b) Das Wesenhafte aller Geschichte ruht im Finden, Aneignen und Gebrauchenkönnen des Eigenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Fest als Grund und Wesen der Geschichte. Das Sein als Ereignis.. d) Das eigentliche Wesen des Denkens: Andenken. .. . . . . . . . . . . . . . . . ..
192 198
204 214
§ 10. Geschichte als Heimischwerden. GA 53: Hölderlins Hymne "Der Ister". Sommersemester 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223
a) Das zeit- und orthafte Wesen der Ströme. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. 226 b) Heimischwerden aus der Zugehörigkeit zum Sein. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 236 c) Das Gesetz des Unheimischseins als Gesetz des Heimischwerdens. Das Wesen des Dichters.. . . . . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255 § 11. Geschichte als Geschehen der' AAi!9€\.(X. GA 54: Parmenides. Wintersemester 1942/43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 270
a) Verborgenheit und Streit im Wesen der äAi!9€la . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das griechische Gegenwesen zur äAi!9€la: M96v und 1jJ€UOOI;; . . . . . . .. c) Die Geschichte des Wesenswandels der Wahrheit. Das römische Gegenwesen zur Wahrheit: falsum. Das Verhältnis von verum und ''wahr''. d) Geschichte als Zuweisung des Seins .............................. e) Arten der Verbergung. Der )J.v9oc;; als anfängliches Wort. Drei einfache Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. f) Das anfängliche Wesen der Verborgenheit: Ai!9Tl. Das Ereignis der Vergessung (Pindar) ..............................................
276 276
281
287 290 295
Inhalt
g) Das Wesen des griechischen Göttertums .......................... h) Der Ort der Vergessung (Platon). Entbergung und Bergung. . . . . . . . .. i) Das Gesetz des Anfangs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. j) Das Nächste im Wesen der a~:fle€la: das Offene .................... k) 'M..,e€1a als Anfang der Geschichte des Abendlandes ..............
9 305 317 324 328 338
§ 12. Die anfänglichen Namen des Seins. GA 55: Der Anfang des abendländi-
schen Denkens. Heraklit. Sommersemester 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 346 a) Wesentliches und gewöhnliches Denken. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. 349 b) Der Bezug des Menschen zum Niemals-Untergehen ("ro J.Ln ~vv6v nOT€) . • • . . . . . • • • . . . . • . • • . . . • • • . . . . • • • . . • • • • • . . . • • • • • • • • • • . . .• 353 c) Der Bezug von Aufgehen und Sichverbergen im Wesen der cl>oou;; •..•• 357 d) Die cl>vO'U;; als unscheinbare Fügung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 363
Myc;;) kommt über den Menschen und das Seiende (e:mf}aiV€l) und bringt Verdüsterung über sie. Die Wolke kommt "zeichenlos" (Cx-tEKJ.UXP"ta), das heißt sie wird nicht bemerkt. Die den Menschen und alles Seiende überfallende Verfinsterung geschieht so, daß sie den "geradeaus gerichteten Weg" (6p9av 006v), der durch Unverstelltes hindurch auf das Unverborgene zugeht, denn er verläuft im Bereich der "Handlungen" (npayJ.LCx-twv), "abseits zieht" (napEAK€l). Damit ist das ganze Wesen des Menschen, sein Bezug zum Seienden bzw. zum Sein - von letzterem ist im ersten Satz Pindars die Rede - in die Verborgenheit gestellt. Mit der Auslegung dieser Pindar-Stelle hat Heidegger gezeigt, daß die Griechen das Vergessen als "Ereignis" (121) erfahren haben. Daß Pindar die Al19", das Ereignis der Vergessung, zusammen nennt mit dem "Weg" im Bereich der "Handlungen", führt Heidegger auf das Verhältnis von Mensch und Ding. Das Verhältnishafte überhaupt war bereits an der Grammatik des Verbs Aav9avw sichtbar geworden. Heidegger schließt seine Erläuterung ab: "Die All9" verbirgt, indem sie entzieht. Sie entzieht, indem sie, sich selbst vorenthaltend, das Unverborgene und dessen Entbergung in das Weg einer verhüllten Abwesung wegfallen läßt" (123).8 1 In seiner Vorlesung "Grundfragen der Philosophie" hatte Heidegger im Zusammenhang mit der Selbstverständlichkeit und Fraglosigkeit des Seienden dessen "Seinsverlassenheit" konstatiert und die Vermutung ausgesprochen, daß dieser "Entzug" vielleicht "zum Wesen des Seyns" gehört (oben 158). In derselben Vorlesung ist im Hinblick auf unsere künftige Geschichte davon die Rede, daß der große Anfang sich uns entzieht (oben 134). Durch das Wort napEAK€lV, 'wegziehen', aus Pindars Ode, werden diese Gedanken wieder vergegenwärtigt. Sie sind verwandt mit Heideggers Erörterung des Unheimischseins, das aus dem Chorlied von Sophokles' "Antigone" spricht: der Mensch scheint aus dem Sein vertrieben (oben 240), ausgeschlossen (oben 241), das Heimische ist ihm verwehrt (oben 245). Pindars Verse und Heideggers Auslegung zeigen, wodurch der Mensch aus dem Sein vertrieben ist: nämlich durch das Ereignis einer Verbergung, das, wie eine Wolke, Verdüsterung über alles gebracht hat. Mit dem entziehenden Ereignis der Verbergung (At;9n) bekommt Heideggers Gedanke der Seinsvergessenheit diejenige Gestalt, die seinem späteren Denken zu Grunde liegt: nicht mehr wir haben die Frage nach dem Sein vergessen, sondern das Sein hat sich uns entzogen durch ein Ereignis der Ver81 In der ersten seiner Tübinger Vorlesungen von 1950-1972 kommt Wolfgang Schadewaldt ausdrücklich auf Heideggers Deutung der X1'len zurück. Er sagt: "Ich bin als Philologe überzeugt, daß die Heideggersche Deutung des Begriffs von lethe als 'Schwund', 'Entzogenheit' (von der das 'Vergessen' nur ein Teil ist) richtig ist, und daß aletheia also 'Unentzogenheit' bedeutet, wie ich es lieber nenne, weil'Unverborgenheit' schon einen mythischen Klang hat". Schadewaldt, o.c.31.
g) Das Wesen des griechischen GöttertuIDs
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bergung am Anfang unserer Geschichte. Durch die ereignishaft gedachte Vergessung kann Heidegger seinem ursprünglich gebrauchten Wort "Seinsvergessenheit" (oben 103) einen neuen Sinn geben und muß nicht mehr, wie 1937/38, von "Seinsverlassenheit" reden (oben 111; 156). An den Pindar-Versen hat Heidegger zunächst das Phänomen gezeigt, wie ein Ereignis der Verbergung den Menschen und die Dinge und ihr Verhältnis überkommt. Der Zusammenhang mit der abendländischen Geschichte ist angesprochen, wenn Heidegger vom gewandelten Bezug des Seins zum Menschen, der in der Benutzung der Schreibmaschine und der Maschinentechnik überhaupt zum Vorschein kommt, vermutet, "daß das Sein sich dem Menschen entzogen hat und daß der neuzeitliche Mensch in eine ausgezeichnete Seinsvergessenheit hinabgefallen ist" (128). In der Parmenides-Vorlesung hält Heidegger die Seinsvergessenheit offenkundig für überwindbar. Wäre die Vergessenheit eine totale, könnte Heidegger ja nicht, was er in der Vorlesung intendiert, das Wesen des Seins und der aAtl9€1a denken.
g) Das Wesen des griechischen Göttertums Mit den Pindar-Versen und ihrer Auslegung brachte Heidegger seinen Hörern dichterische Worte zu Gehör, die vom Wesen der Ar,9Tl und ihrem Zusammenhang mit der aAr,9€1a sagen. Von den griechischen Denkern wurden weder aAr,9€1a noch Ar,9Tl, sagt Heidegger, 'Je eigens auf ihr eigenes Wesen und auf ihren Wesensgrund durchdacht" (129). Hierauf wies Heidegger bereits mehrfach hin (vgl. oben 110; 146). aAtl9€1a und Ar,9Tl sind nach Heideggers Überzeugung dasjenige, was allem Dichten und Denken voraufgeht, weil es das "Zu-denkende" (129) schon durchwest. Das bedeutet: Was auch immer das Denken als seine Aufgabe, das heißt als sein zu Denkendes, ergreift, das Denken und sein zu Denkendes sind von vornherein durchwaltet vom Ereignis von Entbergung und Verbergung. Nur wenn aAr,9€1a als Entbergung waltet, kann das Denken eine Zuweisung und Schickung empfangen, denn das entbergende Walten der aAr,9€1a ist selbst das Zudenkende (Betonung auf der ersten Silbe). Dem Griechentum genügte es nach Heidegger, "von der aAtl9€1a selbst angesprochen und umfangen zu sein" (129). An diesem Satz wird deutlich, wie Heidegger sich anschickt, das von den Griechen erfahrene eigene Wesen der aAtl9€lCX zu durchdenken. Die aAtl9€1a als Anspruch ist ihr zuweisendes, zudenkendes Wesen. Beim "umfangen" hat Heidegger sicherlich das von Parmenides der •AATl9EiTl zugefügte Adjektiv €VKVKAt1c;; im Sinn, wodurch er schon 1937/38 angeregt wurde, "Wahrheit" wie einen freien, lichten Platz im dunklen Wald aufzufassen (oben 113). Das eigene Wesen der aAr,9€1a wäre dann als Anspruch und Zudenken: Zeit, als das Umfangende: der Ort der lichtung. Den Zeitcharakter von Entbergen und Verbergen stellt Heidegger noch dar, indem er einen Sophokles-Text erläutert (unten 329 ff). Es geht Heidegger in der Vorlesung immer noch um die dritte Weisung, die uns das übersetzende Wort "Unverborgenheit" gibt, um in den Erfahrungsbereich der aAr,9€1a zu gelangen: wir werden verwiesen auf das Gegenwesen zur UnverborgenZiegler 20
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§ 11. Geschichte als Geschehen der •AAf)eEIIX
heit, auf die Verborgenheit. Deren anfängliches Wesen ist die griechische X-r,9ll. "die als Vergessung sich entziehende zeichenlose Verbergung" (140). Der zweite Text, den Heidegger über das Wesen der X-r,911 befragt, ist der in Platons "Politeia" am Schluß des 10. Buches (614 b 2 bis 621 b 7) erzählte J.Lu9LAIa verwandtes Phänomen zur Sprache kommt: der Eros. Das Fragment lautet: ßpW'tLO'tOV J.L€V "Epw'ta 9€@v J.LTl'tlaa'to ßaV'twv,46 nach Heideggers Übersetzung: '''Als ersten freilich Eros der Götter erraten hat (sie) aller'" (132). Das in Klammern gesetzte "sie" bezieht sich auf die OOLJ.LWV 1\ ßav'ta Kvt)€pVaL aus Fragment 12, Vers 3.47 Zwischen ihr und dem Eros besteht die Beziehung des "Erratens", was für Heidegger ''voraussagend er-sinnen" bedeutet (132).48 Im Heraklitvon 1929/30; sie lautet: "'Das Walten der Dinge hat in sich selbst das Streben, sich zu verbergen'" (GA 29/30,41).
44 Passow 2,2261: 'lÄia "das Verhältnis gegenseitigen Wohlwollens, gegenseitiger Zuneigung und wohlwollender, freundschaftlicher Dienstleistungen". Pape 2,1278: ~lÄia "Liebe, Freundschaft, Zuneigung, Gunst, Huld". 45 Diels-Kranz 1,159: EV 'tQ ~v ~oOvov AEYEa9al OUK E9EAEI Kai E9EAEI ZT\VOc; ÖvoJla. ZU als dem "eigentlich Zuwissenden" vgl. unten 374. - Heidegger kommt auf die Erläuterung der Philosophie als eines liebenden Bezogenseins auf das ~v in seinem Vortrag von 1955 "Was ist das die Philosophie?" zurück (Phil13). C7~V
46 Diels-Kranz 1,243: "Zuallererst ersann sie (Die Daimon der Geburt oder der Liebe) von allen Göttern den Eros (darauf aber ...)". 47 Diels-Kranz 1,243: "Die Daimon (Göttin), die alles lenkt".
48 Zu den Verben mit 'er'- vgl. oben 94Anm.
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§ 12. Die anf"aogIichen Namen des Seins
Spruch 123 kommt, nach Heideggers Auslegung, das Bezughafte im Sein selbst zur Sprache.
clnlau;; lCpUm:€a9al ,1A€l besagt demnach: "Das Aufgehen gönnt dem Sichverschließen, daß es wese, weil das Sichverbergen selbst aus seinem 'Wesen' dem Aufgehen dasjenige vergönnt, was dieses ist" (131). Das erste Gönnen ist im Wort ,1A€l genannt, das andere Gönnen liegt, wie es etwa die Pflanze zeigt, im Phänomen des Aufgehens (,U€a9al): das Aufgehen kommt aus dem Sichverbergen her; insofern gönnt auch das Sichverbergen dem Aufgehen dessen Wesen. "Wesen" steht in Anführungszeichen, weil es in Heideggers Sinn, also verbal, und nicht wie in den bekannten Übersetzungen des Fragments 123 gemeint ist.
'OOU;; zeigt sich jetzt nicht nur als das Aufgehen, dem ein Sichverbergen entgegenwaltet; ,uau;; ist vielmehr das einheitliche Geschehen von Aufgehen und Sichverbergen. In diesem Sinne sagt Heidegger: Die Gunst ist "das wechselweise Gönnen der Gewähr, die ein Wesen dem anderen gibt, in welcher gegönnten Gewähr die Einheit des Wesens verwahrt ist, das mit dem Namen 'OOU;; genannt wird" (136). Weil das Gönnen und Gewähren ein wechselweises ist, kann es von beiden Seiten her betrachtet werden, vom Sichverbergen und vom Aufgehen her. Heidegger führt dies näher aus: Das Sichverbergen gönnt dem Aufgehen sein Wesen, indem es zuläßt, daß "das Wesen und Walten von Unverborgenheit" "frei anhebt". Heidegger sagt mit Nachdruck: "Dieses freie Anheben ist der Anfang selbst: der Anfang 'des' Seyns als das Seyn" (131). Hier zeigt sich wieder die Selbigkeit des Waltens von Unverborgenheit, von Anfang und Seyn, wie sie auch in der Vorlesung des letzten Semesters zutage trat (oben 273; 339). Das freie Anheben des Waltens von Unverborgenheit ist dasselbe Phänomen wie das "Weltwerden" und Raum-Aufreißen, worin Heidegger in "Einführung in die Metaphysik" das Wesen der 'OOU;; sah. Wie das Sichverbergen dem Aufgehen sein Wesen gönnt, so auch umgekehrt das Aufgehen dem Sichverbergen; davon ist im Heraklit-Spruch die Rede. Diese Art des Gönnens geschieht so, daß das Aufgehen gewissermaßen sich als Aufgehen aufgibt und sich dem Verbergen überläßt. So gönnt es dem Sichverbergen dessen Wesen, nämlich der Ort zu sein, in dem es, das Aufgehen, "ruht", in den es "zuvor und stets zurückgehalten und zurückgeborgen" (137), in den es "gegründet bleibt" (141). Im Wort KpUm:€a9aL ist deswegen nicht nur das Sichverbergen zu hören, sondern, weil es ja im Bezug steht zum Aufgehen, auch das "Bergen" und "Verwahren" (139). Das Aufgehen gönnt dem lCpuß't€a9aL dessen Wesen so, daß es ihm die Gunst gewährt, sein, des Aufgehens, Wesen zu bergen, "das Bergende seines Wesens zu bleiben" (140).49 Solches Gönnen entläßt aus sich das Phänomen des Untergangs, das ouvov. Eine Weise des Bergens in die Verborgenheit machte Heidegger im letzten Semester ansichtig anhand des griechischen Wortes lC€il9€LV; es nennt das Bergen der Gestorbenen in die Erde und in den Tod (oben 290). In der Heraklit-Vorlesung lenkt Heidegger den Blick auf die Quelle. Er sagt von ihr: "Sie muß den verborgenen Wassern gehören, welches Gehören sagt, daß die Quelle ihrem Wesen nach in 49 Zu "bleiben" vgl. oben 222.
c) Der Bezug von Aufgehen und Sichverbergen im Wesen der +0011;
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die sich verbergenden Wasser geborgen und nur aus ihnen her die Quelle bleibt" (137). In der "Andenken"-Abhandlung von 1943, demselben Jahr also, aus dem die Heraklit-Vorlesung stammt, denkt Heidegger das Phänomen des Sichbergens in eine Verborgenheit als das Sichfestigen der Quelle bzw. des Ursprungs in den Grund (oben 221 Anm.). Offenbar klingt das 'Anfangen' und 'Bleiben', welches das Reinentsprungene charakterisiert, in der Heraklit-Vorlesung nach, wenn Heidegger sagt, daß das Aufgehen "zuvor und stets" dem Sichverbergen gehört. Daß die Erde die Bergende ist für die Toten und für die die Quelle speisenden Wasser, macht noch einen anderen Wesenszug an ihr sichtbar, als daß sie dem menschlichen Wohnen Grund und Boden bietet, wie es in der "Ister"-Vorlesung besprochen wurde. Es wurde mehrfach erwähnt, daß Heidegger in seinem späten Denken das "Herz der 'A~:I19€Ia" in der Afl9n vermutet (SD 78). Ein ähnlicher Gedanke ist in der Heraklit-Vorlesung angesprochen, wenn Heidegger sagt, daß "vielleicht sogar das Sein" als Eingehen in die Verbergung west (oben 354). Meiner Ansicht nach ist die später gesehene Priorität des Seins in seinem sich verbergenden Wesen in Heideggers Deutung des Fragments ~ooU; KpUm:€0'9aL ~tA€l von 1943 bereits angelegt. Im wechselweisen Gönnen und Gewähren von Aufgehen und Sichverbergen scheint mir das Gönnen von seiten des Sichverbergens ein reicheres zu sein,50 und das aus folgendem Grund: Das Sichverbergen gewährt dem Aufgehen dessen Wesen so, daß es das Aufgehen aus sich, dem Dunkel, entläßt und daß es dem Aufgehen den Ort bietet, wohin es wieder untergehen, wo es ruhen kann. Umgekehrt gönnt das Aufgehen dem Sichverbergen dessen Wesen, indem das Aufgehen das Sichverbergen den Ort sein läßt, wo es selbst, das Aufgehen, Ruhe und Bergung findet. Während das Aufgehen also im Sichverbergen ruht, ruht das Sichverbergen in sich selbst. Zu einem ähnlichen Ergebnis war ich im Zusammenhang mit dem Umeinanderkreisen von Sein und Seiendem gekommen, das ich in einem Bild anschaulich zu machen versuchte (oben 336). Auch dort ruht, so könnte man sagen, die Lichtung im Sein als dem Bergenden, nicht aber ruht das Sein als Sichverhüllendes in der Lichtung, denn es ist weiter als diese. Die Haupttendenz von Heideggers Gedanken in der Vorlesung von 1943 ist allerdings so, daß das Sein nicht im Sichverbergen ruht, sondern im Niemals-Untergehen (oben 356), also in der Unverborgenheit. In der Parmenides-Vorlesung beleuchtete Heidegger die Phänomene, die im griechischen Wort' AAfl9€1a verborgen liegen. In der Vorlesung von 1943 betrachtet er das Phänomen der ~ooU;, das Heraklit nennt. Während 'AAfl9€1a in den Zusammenhang mit der abendländischen Geschichte gebracht wird, und zwar so, daß 'AAfl9€1a dasselbe ist wie der Anfang, sagt Heidegger das in der Heraklit-Vorlesung von der ~uO'U; nicht ausdrücklich. Da 'AAfl9€1a für Heidegger jedoch das Innere oder den Grund der ~OOU; darstellt, wird die Geschichte sozusagen auch von den Wesenszügen der ~uO'U; durchwaltet: 51 Das aufgehende Wesen der ~ooU; bezieht 50 Die unterschiedlichen Arten des Gönnens bringt auch Parvis Emad in seiner Auslegung des Heidegger-Textes zum Ausdruck: "rising' favours 'concealing' and 'concealing' grants 'rising'" (Hervorh. S.Z.). Email, Heidegger'sOriginaryReading.p.110. 51 Nach Auffassung von Klaus Held ist im Spruch über die +