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German Pages 469 [472] Year 2002
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann
Band 163
Jörg Appelhans
Martin Heideggers ungeschriebene Poetologie
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002
Diese Studie wurde im J a h r 2001 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu K ö l n als Dissertation angenommen.
Meinem. Großvater Erich Reihl zum Gedenken.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Appelhans, Jörg: Martin Heideggers ungeschriebene Poetologie / Jörg Appelhans. - Tübingen : Niemeyer, 2002 (Studien zur deutschen Literatur; Bd. 163) ISBN 3-484-18163-X
I S S N 0081-7236
© M a x Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: G u i d e - D r u c k , Tübingen Einband: Geiger, Ammerbuch
Was heißt denn: das steht in einem Text und das nicht? Martin Heidegger, Hölderlins Hymne >Andenken
Germanien< und >DerRhein
Hölderlin und das Wesen der Dichtung
Andenken< . . . . 3.3.4 Heideggers Vorlesung über die Hymne >Der Ister< Rilke - Die Globalisierung des Seins George - Die Macht der Sprache und die dichterische Erfahrung Trakl - Die Monophonie und die Mystik des Ungesagten . . . . Der Kanon des Seins Resümee
4 Heidegger, George und die Literaturwissenschaft 4.1 Akklamation und Distanz - Die Literaturwissenschaft zu Heideggers Hermeneutik 4.2 Personengeschichtliche Hintergründe von Heideggers Wissenschaftskritik 4.2.1 Wissenschaftskritik I: Heideggers Begriff von Wahrheit als Macht 4.2.2 Wissenschaftskritik II: Grundlinien des Antiszientismus bei George 4.2.3 Wissenschaftskritik III: Pädagogische Wirkung und bündische Konzepte bei Heidegger und George 4.3 Elemente hermeneutischer Kohärenz zwischen Heidegger und Hellingrath 4.4 Die Disziplinierung durch Dichtung - Heidegger und Kommerell 4.5 Derpoeta vates als Selbstdeutungsmuster und Protofiktion . . . 4.6 Regression und Reflexion — Heidegger und die vorneuzeitliche Hermeneutik 4.7 Resümee 5 Perspektiven der Kritik 5.1 Heidegger als »verspäteter Denker« 5.2 Heideggers Deutung von Dichtung - eine »Pflege des Buchstabens«? 5.3 »Pflege des Buchstabens« als Aufgabe der Literaturwissenschaft 6 Literaturverzeichnis 6.1 Werke Martin Heideggers VIII
220 227 237 246 268 285 306 317 323 326 326 333 337 345 354 363 377 396 404 419 422 422 427 436 440 440
6.1.1 Heidegger-Gesamtausgabe ( G A ) 6.1.2 Weitere Schriften Martin Heideggers 6.1.3 Briefwechsel 6.2 Hölderlin-Ausgabe 6.3 Historische Quellen und Darstellungen der Forschung
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Zur poetologischen Dimension im Denken Heideggers
Im 20. Jahrhundert ist Philosophie nicht mehr ausschließlich rationale und wissenschaftlich fundierte Durchdringung der Gegebenheiten von Welt, sondern dehnt sich aus auf die Aneignung und ultimative Deutung künstlerischer Leistungen. Die Philosophie nutzt die kognitive Kraft ihrer Modelle immer seltener zur Prüfung und Reflexion des ständig wachsenden Wissensbestandes und erprobt sich stattdessen in ästhetischen Bereichen, die außerhalb ihrer disziplinar gesetzten Grenzen liegen. Infolge dieser Neuausrichtung löst sich das philosophische Interesse von der Aufbereitung des Wissens und konzentriert sich auf neue Aufgaben in der Vermittlung von Kunst: Anstatt die Kunst philosophisch zu begreifen ..., nähert sich das Philosophieren der Kunst als dem, was Menschen benötigen, um die Menschen in sie hineinzuweisen, um sie ihnen nahezubringen - indem das Philosophieren von sich und seiner Art von theoretischer Tätigkeit und theoretischem Wissen fortweist. 1
Die Philosophie verläßt ihre angestammten Aufgabenbereiche und flüchtet sich auf der Suche nach neuen Impulsen in die Nähe der Kunst. Eine Ursache dafür kann in dem allgemeinen »Zweifel an einer systematischen Leistungsfähigkeit der Philosophie« gesehen werden. 2 Den historischen Hintergrund dieses Zweifels bilden die Erschöpfungserscheinungen in der Auseinandersetzung mit Problemen der philosophischen Tradition und der wachsende Legitimationsdruck durch die öffentlich artikulierte Frage nach Sinn und Nutzen philosophischer Tätigkeit. Die Wissenschaft hat sich in Konkurrenz zur Philosophie mit Hilfe eines weitverzweigten institutionellen Apparates als die verbindliche und begriffsbildende Form des Wissens im 20. Jahrhundert auf breiter Front durchgesetzt. Die Krise der Metaphysik ist als philosophische Legitimationskrise ausgemacht und scheinbar nur dadurch zu bewältigen, daß die Philoso1
Vgl. P. Janssen, Über einige Aporien der Philosophie der Kunst der Gegenwart - am Beispiel Heideggers, 1997, S. 82. Im folgenden werden die Angaben zu Quellen und zur Sekundärliteratur in den Fußnoten aus Gründen der Raumersparnis bei wiederholtem Auftreten mit einem Kurztitel genannt. Bei selbständigen Veröffentlichungen werden zusätzlich Verlagsort, Band und Erscheinungsjahr sowie bei Bedarf Auflage, bei Aufsätzen in Zeitschriften, Gesamtausgaben und Sammelbänden nur das Erscheinungsjahr bzw. Auflage der benutzten Ausgabe angegeben. Die vollständigen bibliographischen Angaben sind im Literaturverzeichnis zusammengestellt.
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Vgl. R . Bubner, Ästhetische Erfahrung, Frankfurt a.M. 1989, S.9. I
phie in der Vermittlung von Kunst ihre Definitionsmacht erprobt und sich ihrer eigenen Bestimmungen aufs N e u e vergewissert. A u f diese Weise überträgt die Philosophie des 20. Jahrhunderts die Orientierungsfunktionen, die sie ehemals selbst innehatte, auf die Kunst. Als Rechtfertigung führt die Philosophie dabei ins Feld, daß die Kunst im Zeitalter des technischen Fortschritts neuer Beschreibungen und Sinnsetzungen bedarf. Sie leitet daraus den Anspruch ab, gültige methodische Leitlinien für die Deutung v o n Kunst formulieren zu können, und richtet sich erneut in einer Sinngeberrolle ein. Charakteristisch f ü r dieses Selbstverständnis der Philosophie im 20. Jahrhundert ist der Standpunkt A d o r n o s , der die philosophische Deutung als notwendiges Komplement der Kunst betrachtet und zur Vorbedingung einer ganzheitlichen ästhetischen E r fahrung erklärt: Jedes Kunstwerk bedarf, um ganz erfahren werden zu können, des Gedanken und damit der Philosophie, die nichts anderes ist als der Gedanke, der sich nicht abbremsen läßt.3 D i e Verbindung v o n Kunst und Philosophie bringt jedoch nicht nur neue Theoriekonzepte hervor, sondern beschwört auch diskursive Rivalitäten herauf. Die Philosophie mobilisiert mit dem Gedanken, »der sich nicht abbremsen läßt«, ein erhebliches Maß an hermeneutischer Energie, die propositional aufgeboten wird, u m Geltungsansprüche zu artikulieren, zu behaupten und durchzusetzen. 4 So sind Kompetenzkonflikte mit den Disziplinen der akademischen Kultur, die sich professionell mit der Deutung von Kunst befassen, vorgezeichnet. Die kurze Skizzierung einer zentralen Problemstellung der Philosophie im 20. Jahrhundert lenkt den Blick auf Martin Heidegger, dessen Denken sich in radikaler Weise als einzig mögliche A n t w o r t auf die Frage begreift, was die Philosophie z u m Verstehen von Kunst beitragen kann. I m Mittelpunkt des Heideggerschen Denkens steht die Dichtung Hölderlins, aber auch die G e dichte Georges, Rilkes und Trakls sind f ü r ihn von großer Bedeutung. Immer geht es Heidegger bei seinen denkerischen Bemühungen darum, »das rechte Verhältnis zur Dichtung zu finden« und sich nicht damit zufriedenzustellen, »sie als Bildungsgut gelten zu lassen«. 5 Diese poetologische Dimension seiner Lektüre bringt ihn in Opposition zu den Fachkommentaren der Literaturwissenschaft: Inzwischen ist die Frage laut geworden, ob Hölderlin den Philologen oder Philosophen gehöre. Er gehört weder den einen noch den anderen, auch nicht beiden. Dieses
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T.W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. "1992, S.391. Vgl. dazu J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1981, S-49f. ' Vgl. M. Heidegger/E. Blochmann, Briefwechsel 1918-1969, Marbach 1989, S.95.
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Entweder-Oder läßt, wie immer man es entscheiden mag, den maßgebenden Sachverhalt außer acht.6 H e i d e g g e r will sich w e d e r in die E c k e der philosophischen H e r m e n e u t i k noch in die der philologischen Interpretation drängen lassen. E r versucht, sich d e m Widerstreit z w i s c h e n Philosophie u n d F a c h w i s s e n s c h a f t e n und damit den üblichen Kategorien des Sprechens ü b e r D i c h t u n g zu entziehen, indem er den K o n f l i k t u m die v o n Philosophie und Philologie gleichermaßen beanspruchte R o l l e des Sinngebers grundsätzlich f ü r unmaßgeblich erklärt. D i e A b l e h n u n g konventioneller D i s k u r s e ermöglicht ihm den Blick auf den »maßgebenden Sachverhalt« v o n D i c h t u n g . D i e s e n Sachverhalt will H e i d e g g e r mit d e m didaktischen K u n s t g r i f f eines poetologischen M o d e l l s illustrieren u n d die D i s k u s sion u m das literarische K u n s t w e r k so in die R i c h t u n g seines D e n k e n s lenken. D i e klassischen R e f l e x i o n s f e l d e r der P h i l o s o p h i e sind v o n H e i d e g g e r nicht bestellt, ihre B e s t i m m u n g s g r e n z e n sind v o n ihm ignoriert, ja sogar b e w u ß t unterlaufen w o r d e n . S o hat H e i d e g g e r nach eigenem Verständnis keine Ä s t h e t i k geschrieben, genausowenig w i e er eine E t h i k , A n t h r o p o l o g i e o d e r E r k e n n t n i s theorie verfaßt haben will. D i e B e g r ü n d u n g d a f ü r lautet, daß H e i d e g g e r s D e u tung v o n K u n s t seiner Philosophie entspringt u n d v o n dieser, aber auch anderen w e n i g e r expliziten Wurzeln der Theoriegeschichte nicht getrennt w e r d e n kann. H i n t e r der konsequenten V e r m e i d u n g der traditionellen theoretischen G r e n z z i e h u n g e n steht eine radikale M e t h o d e , die auf die Vereinzelung des D e n k e n s , einen prätendierten R ü c k z u g aus den wissenschaftlichen D i s k u r s e n und die B e g r ü n d u n g eines neuen A n f a n g s abzielt. Dieser N e u a n f a n g , den die F o r s c h u n g üblicherweise mit dem B e g r i f f der » K e h r e « markiert, der sich tatsächlich aber schon im f r ü h e n D e n k e n Heideggers abzeichnet, ist der A u f t a k t einer A n n ä h e r u n g v o n Heideggers P h i l o s o p h i e an die D i c h t u n g . V o r d e m H i n tergrund der poetologischen R e f l e x i o n e n , die sich durch das mittlere und späte Werk Heideggers ziehen, ergeben sich drei grundsätzliche F r a g e n , die im R a h men d e r vorliegenden U n t e r s u c h u n g i m m e r w i e d e r a u f g e w o r f e n w e r d e n sollen: 1. W a r u m hat H e i d e g g e r sich als P h i l o s o p h der D i c h t u n g z u g e w a n d t ? 2. Welche wesentlichen M e r k m a l e schreibt er der D i c h t u n g zu? 3. W o d u r c h ist seine Wahl einzelner D i c h t e r motiviert? D i e vorliegende U n t e r s u c h u n g möchte v o r dem H o r i z o n t dieser F r a g e n nachzeichnen, w i e H e i d e g g e r in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit D i c h t u n g die G r u n d elemente eines poetologischen M o d e l l s gewinnt, das er dann seinem D e n k e n e i n f o r m t . D a b e i steht nicht n u r die F r a g e der Modalität, s o n d e r n i m m e r auch die d e r Legitimität seiner dichtungstheoretischen A u s s a g e n z u r D i s k u s s i o n . 6
M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Gesamtausgabe [im folgenden G A ] Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 153. 3
D i e Legitimität einer A u s s a g e zeigt sich aber nicht n u r unter formalen B e d i n gungen, s o n d e r n v o r allem in ihrem R e k u r s auf v o r g e f u n d e n e Positionen und theoriegeschichtliche Einflüsse. D i e U n t e r s u c h u n g versucht dieser Prämisse R e c h n u n g zu tragen, indem sie sich auf f o l g e n d e T h e s e n stützt: ι . H e i d e g g e r s B e r u f u n g auf Dichtung läßt sich nicht v o n der zentralen V o r a u s setzung seines D e n k e n s trennen, die abendländische M e t a p h y s i k u n d mit ihr die A u f s p a l t u n g der modernen Weltauslegung in S u b j e k t und O b j e k t habe verheerende F o l g e n f ü r Philosophie und Kulturgeschichte gehabt. 2. H e i d e g g e r s D e u t u n g der Dichtung läßt sich z u einer Poetologie z u s a m m e n fassen, die aus dichterischen Texten das V o k a b u l a r u n d die G r a m m a t i k des Seins ableiten u n d so einen A u s w e g aus den erschöpften B e s t i m m u n g e n der B e g r i f f s p h i l o s o p h i e aufzeigen will. 3. H e i d e g g e r s G r u n d s c h r i t t e zu einer Poetologie w e r f e n auf den G e b i e t e n der H e r m e n e u t i k , des Textverständnisses, des A u t o r b i l d e s , der L e s e r f u n k t i o n und der K a n o n b i l d u n g eine Vielzahl v o n F r a g e n auf, die als Beitrag z u D i s kussionen der Literaturwissenschaft gewertet w e r d e n können. 4. H e i d e g g e r s Dichtungstheorie ist ungeschrieben geblieben, weil sie ein immanenter Bestandteil reflexiver Selbstverständigung ü b e r die G r u n d l a g e n seines D e n k e n s ist. 5. H e i d e g g e r s poetologische Setzungen stehen in einem theoretischen Spannungsfeld, das einerseits durch die kunstphilosophischen und antiwissenschaftlichen K o n z e p t e Stefan G e o r g e s u n d seines Kreises, andererseits durch den regressiven Rekurs auf interpretationstheoretische K o n z e p t e der V o r m o d e r n e gekennzeichnet ist. D i e L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t ist einer näheren Darstellung der sich im D e n k e n H e i d e g g e r s herausschälenden Poetologie lange Zeit aus d e m Weg gegangen. E i n G r u n d d a f ü r m a g darin liegen, daß sich H e i d e g g e r s D e n k e n gegen alle B e g r i f f e u n d K a t e g o r i e n abschirmt, die v o n der Wissenschaft an es herangetragen w e r d e n . V o r diesem Hintergrund prätendierter T h e o r i e d i s t a n z mag es voreilig erscheinen, H e i d e g g e r s Äußerungen über D i c h t u n g mit d e m kritischen B e g r i f f einer » D i c h t u n g s t h e o r i e « oder »Poetologie« z u belegen. D o c h seine Beiträge z u r D e u t u n g v o n D i c h t u n g sind keine R a n d b e m e r k u n g e n geblieben. H e i d e g gers D e n k e n f o r m t sich in der » Z w i e s p r a c h e « mit der D i c h t u n g zu der Gestalt, die z u r bleibenden u n d maßgeblichen wird. 7 D a h e r ist es angemessen u n d auch i m Interesse v o n Mitteilbarkeit u n d Definitionsschärfe, i m Verlauf der f o l g e n den U n t e r s u c h u n g mit theoretischem V o k a b u l a r z u operieren u n d v o n einem »poetologischen E n t w u r f « , einer »Dichtungstheorie« o d e r » O n t o p o e t o l o g i e « H e i d e g g e r s z u sprechen.
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Vgl. O. Pöggeler, Einleitung: Hölderlin, Hegel und Heidegger im amerikanisch-deutschen Gespräch, 1992, S. 37.
D i e s e V o r g e h e n s w e i s e stützt sich auf die A n n a h m e , daß sich in Heideggers poetologischen R e f l e x i o n e n in dem M o d e l l der » Z w i e s p r a c h e « eine hermeneutische Strategie abzeichnet, die sich einfügen läßt in die Theoriegeschichte der Interpretation. Heideggers Auseinandersetzung mit D i c h t u n g besitzt damit im K e r n ein intentionales und historisch gewachsenes Prinzip, das ihr eine richtungsweisende S y s t e m a t i k verleiht. Seine D e u t u n g v o n D i c h t u n g kann deshalb auf d e r G r u n d l a g e des T h e o r i e b e g r i f f s H a n s B l u m e n b e r g s in ihrer Gesamtheit als theoretischer T y p u s ausgewiesen w e r d e n , denn nach B l u m e n b e r g besteht theoretisches Verhalten aus » H a n d l u n g e n , die unter intentionalen R e g e l n stehen u n d z u K o m p l e x e n v o n A u s s a g e n in regulierten Z u s a m m e n h ä n g e n f ü h ren«. 8 Z w a r könnte dagegen der klassische E i n w a n d erhoben w e r d e n , daß ein großes T h e m a des Heideggerschen D e n k e n s die Frage ist, w i e Philosophie möglich ist, ohne gleichzeitig Theorie z u sein. 9 D a m i t ist sein D e n k e n aber nicht per se d e m Gravitationsfeld theoretischer Systeme entzogen. I m G e g e n teil: Spätestens seit der Veröffentlichung der >Logik der Forschung< v o n K a r l P o p p e r im J a h r 1 9 3 5 ist f ü r die Wissenschaftstheorie deutlich g e w o r d e n , daß es in d e r empirischen w i e in der geistigen Welt keine theoriefreie B e o b a c h t u n g gibt u n d auch nicht geben kann, denn die » T h e o r i e ist das N e t z , das w i r auswerfen, u m >die Welt< einzufangen - sie zu rationalisieren, zu erklären u n d zu beherrschen«. 1 0 D a s gilt auch f ü r Heidegger, dessen S o n d e r w e g der V e r w i n d u n g rational-theoretischer R a h m e n b e d i n g u n g e n im G r u n d e eher strategischen als theorieskeptischen A m b i t i o n e n folgt. U m so n o t w e n d i g e r und zielführender scheint es, die B e d i n g u n g e n und Möglichkeiten, mit denen das poetologische M o d e l l H e i d e g g e r s operiert, unter der W a h r u n g wissenschaftlicher G r u n d s ä t ze z u analysieren u n d seine geistige H e r k u n f t u n d Theoriegebundenheit nachzuweisen. D i e B e g r i f f e » O n t o p o e t o l o g i e « , »Poetik des Seins« o d e r » D i c h t u n g s t h e o rie« f ü r H e i d e g g e r s seinsorientierte L e k t ü r e v o n D i c h t u n g w e r d e n im f o l g e n den k o n s e q u e n t durchgehalten. D a b e i ist zu berücksichtigen, daß es sich bei H e i d e g g e r s Interpretationen natürlich nicht u m eine Poetik in d e m engen Sinne einer regelhaften und normativ gesetzten A n l e i t u n g zum richtigen und guten D i c h t e n handelt. D i e vorliegende A r b e i t verbindet mit d e m O b e r b e g r i f f der » P o e t o l o g i e « keine »Regelpoetik« im n o r m a t i v e n Sinne, sondern die strukturierte B e s c h r e i b u n g eines hermeneutisch gelenkten u n d theoriegeschichtlich befruchteten Prozesses in der geistigen A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit D i c h t u n g . So versteht auch J ü r g e n K ü h n e l in einem L e x i k o n a r t i k e l die P o e t i k als » D i c h -
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Vgl. H. Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt a.M. 1998, S.9. Vgl. G. Figal, Der Sinn des Verstehens. Beiträge zur hermeneutischen Philosophie, Stuttgart 1996, S. 35. Vgl. K. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 6 i976, S. 31. 5
tungstheorie, d.h. als theoretische Auseinandersetzung mit dem Wesen der D i c h t u n g und der poetischen Gattungen, ihren F u n k t i o n e n , ihren spezifischen Ausdrucksmitteln«. 1 1 Dieser Auffassung schließt sich Werner J u n g an, der darauf hinweist, daß P o e t i k von ihrem Anfang in der griechischen Antike an als »das N a c h d e n k e n über die literarische Kunst, als Reflexion des Werks und seiner Wirkung und Selbstreflexion des Künstlers« betrachtet werden muß. 1 2 D i e se charakteristischen Merkmale finden sich in der Gestalt von Fragen nach dem Wesen und der F u n k t i o n von Dichtung sowie nach der Existenzform des D i c h ters in Heideggers Auseinandersetzung mit D i c h t u n g , so daß es auch gattungsspezifisch legitim ist, zusammenfassend von einer Poetologie und ihren theoriegeschichtlichen Voraussetzungen zu sprechen. G l e i c h w o h l drängt sich der Eindruck auf, die Tatsache, daß Heidegger sich als Philosoph mit den Dichtungen Hölderlins, Rilkes, Georges und Trakls beschäftigte, sei für die Germanistik G r u n d genug gewesen, die Auseinandersetzung mit ihm bis auf wenige Ausnahmen der philosophischen Forschung zu überlassen. S o konnten auch die zahlreichen ideengeschichtlichen Prozesse, die sich in der poetologischen Dimension des Heideggerschen D e n k e n s eingeschliffen haben, lange unbemerkt bleiben. D i e vorliegende Untersuchung folgt deshalb einer Aufgabenstellung, die J e a n Bollack pointiert formuliert hat. D i e unumgängliche Voraussetzung einer Beschäftigung mit Heidegger m u ß nach B o l l a c k heute mehr denn je darin bestehen, »die intellektuellen Voraussetzungen seiner Aufsätze zu historisieren und die über die phänomenologische B e fragung von Sprache hinausgreifende besondere Fragestellung von den zugrunde gelegten implizierten Werten her zu verstehen«. 1 3 A u f diese Weise kann deutlich werden, daß Heideggers Deutung von D i c h t u n g von der rationalen und theoretischen Voraussetzungs- oder Interesselosigkeit, die sie vorschützt, weit entfernt ist. D a m i t ist zugleich eine der grundsätzlichen, bislang aber noch nicht hinreichend durchdachten Schwierigkeiten angesprochen, die in der Beschäftigung der Literaturwissenschaft mit dem D e n k e n Heideggers liegt. D i e Literaturwissenschaft durchleuchtet und erarbeitet Dichtungstheorien, die sie für g e w ö h n lich in ein Gravitationsfeld geschichtlicher, politischer und sozialer Kräfte einordnet. E i n e Dichtungstheorie kann jedoch nur dann untersucht und beleuchtet werden, wenn sie in einer kritik- und diskussionsfähigen F o r m vorliegt. Dieses ist bisher für Heideggers Auseinandersetzung mit der D i c h t u n g nicht geleistet worden - Heideggers »ungeschriebene« Poetologie ist bis heute auch nicht ansatzweisc beschrieben worden. D i e vorliegende Arbeit sieht sich deshalb vor der Aufgabe, im folgenden den ontopoetologischen E n t w u r f im D e n -
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Vgl. J. Kühnel, [Art.] Poetik, 1984, S.332. Vgl. W. Jung, Kleine Geschichte der Poetik, Hamburg 1997, S. 8. Vgl. J. Bollack, Die kritische Potenz der Wissenschaftsgeschichte, 1993, S. 117.
ken Heideggers in seinen Grundlinien nachzuzeichnen und in einem weiteren Schritt die Vorbilder, Theorien und Konzepte der Theoriegeschichte, auf die Heidegger zurückgreift und von denen er sich leiten läßt, zu benennen und zu erklären. Dabei soll aus den einzelnen poetologischen Motiven und Fragmenten Heideggers eine Theorie des Ganzen gewonnen werden. Die Komplexität der Heideggerschen Arbeiten über Dichtung wird damit für die Literaturwissenschaft wieder neu zugänglich, weil an die Stelle vieler verstreuter Einzelaspekte ein zusammenhängendes und überschaubares Forschungsfeld tritt. 14 D a die einzelnen Motive, die Heideggers Beschäftigung mit Dichtung auszeichnen, herausgearbeitet und zu einem Gesamtbild zusammengestellt werden sollen, richtet sich die vorliegende Arbeit methodisch an einem Q u e r schnitts-Ansatz aus. Dabei erscheint es natürlich nicht unproblematisch, zusammenhängende Texte wie Vorlesungen oder Aufsätze nur in knappen Auszügen zu zitieren. Dieses Verfahren hat aber den Vorteil, daß Heideggers Deutung von Dichtung in der Breite ihrer Varianten und Themen erfaßt wird. Die Untersuchung verfährt deshalb nicht nach einer immanent historischen Verfahrensweise, die Heideggers Entwicklung Punkt für Punkt abarbeitet. Vielmehr sollen Heideggers Auslegungen eingeordnet werden in die Geschichte der Texte selbst - eine Geschichte der Veränderung, die sich aus dem wiederholten Lesen von Texten ergibt.'® Ziel der Arbeit ist es, einen Deutungsrahmen 1 6 für Heideggers Deutung von Dichtung zu rekonstruieren. Im Fortgang der Arbeit wird dabei deutlich werden, was für Heidegger ein Text ist, wie Heidegger poetische Texte liest, welche Ziele er dabei verfolgt, welche bewußten und unbewußten subjektiven Voraussetzungen er anlegt, was er in die Texte hineinlegt. Der Deutungsrahmen erscheint wie der Rahmen eines Webstuhls: Wie an einem Webstuhl soll hier im Theorieraum des Deutungsrahmens ein Sinngebilde entwickelt werden, durch das die poetologische Konzeption Heideggers schließlich wie ein Muster hindurchscheint. Kein Text kann ohne seinen Kontext gedeutet und verstanden werden. Texte und Kommentare, Gedichte und Interpretationen folgen nicht einfach aufeinander, sondern stehen in gemeinsamen, intertextuell bestimmbaren Zusammenhängen. Leitfunktion einer jeden Interpretation muß daher sein, das Gesamtbild einer Lektüre vor dem Hintergrund ihrer sozialgeschichtlichen, ideen- und institutionengeschichtlichen Voraussetzungen in den Blick zu be14
Wenn der Eindruck der Kompilation dabei teilweise nicht vermieden werden kann, so sei darauf verwiesen, daß sich die Heidcggerschen Betrachtungen über Dichtung in einer Vielzahl von historischen Perspektiven brechen und daher auch einem steten Wandel unterliegen. ' ' Vgl. H.-J. Frey, Der unendliche Text, Frankfurt a.M. 1990, S. n . 16 Ich entnehme den Begriff des »Deutungsrahmens« einem hilfreichen Aufsatz von Aleida Assmann, Im Dickicht des Denkens. Hodegetik - Hermeneutik - Dekonstruktion, 1996, S. 537.
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kommen. Die Berücksichtigung des Kontextes ist also immer auch Berücksichtigung der allgemeinen Historizität von Texten. Hier stellt sich aber im Hinblick auf Heideggers Deutung von Dichtung eine grundsätzliche Frage: Wie Heidegger lesen? Wie kann sich die Literaturwissenschaft dem historischen Heidegger nähern, ohne daß der Heidegger, den die Wirkungsgeschichte hervorgebracht hat, die Betrachtungsweise einseitig verstellt? Das ist zumal vor dem spezifischen Hintergrund der Heideggerschen Wirkungsgeschichte ein nicht zu unterschätzendes Problem, das bereits Jacques Derrida in intellektuelle Nöte gebracht hat: Seit langem versuche ich, die alte Alternative zu verschieben zwischen einer »externen« Geschichtsschreibung und Soziologie einerseits, die im allgemeinen unfähig sind, sich mit jenen Philosophemen zu messen, die sie erklären wollen, und der »Kompetenz« einer »internen« Lektüre andererseits, die wiederum blind für die politischhistorische Einordnung und vor allem für die Pragmatik des Diskurses ist.' 7
Damit ist jene Schwierigkeit beschrieben, vor die sich jede bewertende und urteilende Erörterung von Heideggers Denken und seiner Sprache generell gestellt sieht: Entweder werden Denken und Sprache von außen betrachtet, analysiert und kritisiert, oder beides wird von innen, also aus dem Werk heraus, verstanden.' 8 Die erste Möglichkeit birgt die Gefahr einer Verfremdung dessen, was Heidegger ursprünglich meinte, durch eine andere Sprache. Ein solches Verfahren kann leicht an der Oberfläche des von Heidegger Gesagten bleiben und erzielt dann keine eigentlichen Resultate, wenn es voreilig urteilt und nicht versucht, den Denkweg Heideggers auch ein Stück mitzugehen. Die zweite Möglichkeit droht bei einer restringiert textimmanenten Untersuchungsperspektive und reinen Wiedergabe der Heideggerschen Gedanken in eine undifferenzierte, vorbehaltlose Paraphrasierung umzuschlagen. Wenn beide Möglichkeiten der Interpretation jedoch unzureichend erscheinen, wie kann dann die Zielsetzung einer Deutung formuliert werden, die der Aussage Heideggers gerecht wird? Die Ambiguität, die sich im Vollzug eines wissenschaftlichen Verfahrens einstellt, ist bereits von Hegel systematisiert worden: Die Aneignung des U n tersuchungsgegenstandes im Bewußtseinsvollzug macht diesen zu einem Gegenstand unseres Bewußtseins, wodurch als sein Wesen nicht mehr seine eigene Wahrheit, sondern nur noch das Wissen von ihm behauptet werden kann.' 9 Daher ist es nach Hegel erforderlich, Begriff und Gegenstand als Maßstäbe der Untersuchungsmethode nicht nach eigenen Prämissen zu entwerfen, sondern in dem Wissen, das untersucht wird, selbst zu finden: Dadurch gerät die Sache, 17
J. Derrida, Die Hölle der Philosophie, 1988, S. 86. Vgl. hierzu die Bemerkungen von W. Biemel, Dichtung und Sprache bei Heidegger, 1969, S. 48/ff. ' ' Vgl. G . W . F . Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt a.M. 1980, S. 76. 18
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»wie sie an und für sich selbst ist«, in den Blick. 20 Unabhängig von den Problemen, die dieser idealistische Reflexionsbegriff heute für die Wissenschaft mit sich bringen mag, läßt sich eines feststellen: Wenn die Sache als Erkenntnisobjekt im Vordergrund des Untersuchungssinteresses steht, können extreme Deutungsmöglichkeiten der einen wie der anderen Art zumeist vermieden werden. Eine Voraussetzung ist dabei die korrekte Anwendung der philologischen Mittel, etwa die kontextualisierende und exakte Lektüre der Originaltexte. Ein Interpret, der die Tatsachen des Textes mißachtet, setzt sich auch über die Gesetze der Interpretation hinweg, die sich aus diesen Tatsachen ableiten lassen.21 Gleichzeitig ist jede Interpretation genötigt, Ergebnisse anzugeben und muß dazu Textstellen aus ihrem Kontext lösen. Die Hinzuziehung einer besonderen Untersuchungsmethodik neben dem üblichen literaturwissenschaftlichen Instrumentarium erübrigt sich im vorliegenden Fall jedoch, weil Heidegger in seinen Interpretationen von Dichtung vorwiegend eigene Konkretionen entwickelt. Hier liegt das methodisch Fragwürdige, das aus dem Gegenstand der Arbeit selbst gewonnen werden kann, hierin besteht aber auch die Herausforderung für die Germanistik, sich mit Heideggers Deutungen zu beschäftigen.22 Dennoch bleibt die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Heideggers Denken ein schwieriges Unterfangen, weil Heidegger die für tragfähig gehaltenen Fundamente der wissenschaftlichen Argumentation scharf angreift, sich hinter einem Deutungsmonopol verschanzt und der Debatte und dem wissenschaftlichen Meinungsaustausch aus dem Wege geht. Heideggers Denken ist im Kern Wissenschaftskritik: Es verweigert sich der wissenschaftlichen Gemeinschaftsfähigkeit und begibt sich in eine splendid isolation. Heideggers Denken weist der Dichtung und dem Dichter einen exemplarischen Rang zu, der sich zwingend aus der Überwindung rationaler Wissenschaft und dem Versuch alternativer Neubegründung von Wahrheitsansprüchen im Rückgriff auf die Dichtung ergibt. Eine Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird darin liegen, die Reichweite dieser Distanznahme zur Wissenschaft für das Feld der Dichtungsinterpretationen auszuloten. Dabei soll der Annahme nachgegangen werden, daß die Vehemenz der Selbstabsetzung nicht darüber hinwegtäuschen 20
V g l . ebd., S . 7 7 .
21
V g l . P. Szondi, Hölderlin-Studien. Mit einem Traktat über philologische Erkenntnis, F r a n k f u r t a . M . 1967, S. 14. Biemel hat die Schwierigkeiten, die eine Auseinandersetzung mit dem D e n k e n H e i deggers bereitet, eingehend erörtert, k o m m t aber zu dem Schluß, daß eine Interpretation Heideggers nicht möglich sei, »weil w i r eigentlich befremdet bleiben v o r diesem D e n k e n « . E r v e r w i r f t deshalb den Begriff der Interpretation und spricht stattdessen v o n der vorbereitenden A r b e i t einer A n n ä h e r u n g an Heidegger, da die Zeit einer wirklichen Auseinandersetzung noch nicht g e k o m m e n sei. V g l . W . Biemel, D i c h t u n g u n d Sprache, 1969, S. 49off. Ein derartiger Attentismus bleibt hinter den M ö g l i c h k e i ten einer D e u t u n g zurück, da nicht einmal der Versuch unternommen w i r d , in den Bereich des K r i t i k w ü r d i g e n vorzudringen.
22
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kann, daß Heideggers Denken in vielen Punkten und Bezügen mit der literaturwissenschaftlichen Arbeit seiner Zeit verknüpft bleibt. Die vorliegende Arbeit wird daher versuchen, zu den bislang wenig beachteten Einflüssen der literaturwissenschaftlichen Arbeiten Norbert von Hellingraths, Max Kommereils und Erich Auerbachs auf Heideggers poetologische Positionen vorzudringen. Zugleich soll die in Heideggers Denken aufscheinende Rationalitätskritik vor dem Hintergrund der Umbrüche im Wissenschaftsgefüge des frühen 20. Jahrhunderts begriffen, seine Positionen damit in einen größeren Zusammenhang gestellt und so aus ihrer vorgeblichen ideengeschichtlichen Isolierung herausgeführt werden. Z u der Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit gehört nicht zuletzt auch die Reflexion über dasjenige, was sie im Rahmen ihrer selbstgesteckten Grenzen nicht berücksichtigen kann. Die vorliegende Untersuchung folgt der Einschätzung, daß die Literaturwissenschaft fehlginge, wenn siesich darauf beschränken würde, über Heideggers Interpretationen fachkundig Gericht zu sitzen und ihm das Punktekonto seiner zahlreichen philologischen Fehltritte und Irrtümer vorzurechnen. Die rein philologisch abstellende Text- und Editionskritik bleibt immer tangential und dringt nicht in den eigentlichen Problemkreis vor. Heideggers Auslegungen sind auf der Ebene der Textkritik in ihrem Kern nicht zu fassen, weil seine Auslegungen sich nicht als Beiträge zur literaturhistorischen Forschung begreifen lassen wollen. 23 Die literaturwissenschaftliche Kritik an Heideggers Auslegung von Dichtung kann sich daher im einzelnen nicht mit dem Aufzeigen der Verstöße gegen die Regeln der Philologie begnügen, sondern muß ansetzen an dem zweifelhaften hermeneutischen Versuch, poetische Varianz und Polysemie über den einen Leisten der Philosophie des Seins zu schlagen. Die Kritik der Literaturwissenschaft an Heideggers Erläuterungen ist daher nicht nur ein Versuch, das intellektuelle Territorium der Deutung von Dichtung zu behaupten. Es geht vielmehr um die Behauptung der durch Heidegger in Frage gestellten Grundbegriffe und Erkenntnisvorgänge der Literaturwissenschaft. Es gehört zum Selbstverständnis der Literaturwissenschaft, daß sie im Hinblick auf einen einzelnen Textcorpus eine Vielzahl möglicher Deutungen akzeptiert. Sie muß aber gleichzeitig auch die Autorität von Interpretationen anhand eigener Regeln und Kriterien prüfen - nicht, um die reine Lehre der Interpretationswissenschaft zu erhalten, sondern um das gefährliche Wuchern von misreadings und Fehlinterpretationen zu verhindern. Wenn Heideggers Interpretationen aus Sicht der Literaturwissenschaft dem Sinngehalt eines poetischen Textes nicht standhalten, so ist das als Ausdruck eines wissenschaftsimmanenten Regulierungs- und Prüfungsmechanismus' zu verstehen, der auch über die eigenen Fachgrenzen hinaus auf interpretatorische und methodische Defizite hinweist. Dieser Mechanismus wird nicht im Interesse der Reinheits25
10
Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.7 [Vorwort].
geböte der Literaturwissenschaft in G a n g gesetzt, sondern geschieht um der Texte und ihrer Geschichte willen. D i e Literaturwissenschaft will den Text nicht als K a m p f p l a t z konkurrierender Deutungen sehen, sondern als Initium der unendlichen Geschichte zahlreicher, einander widersprechender und ergänzender Deutungen. Die Textgeschichte, die in ihrem Kern nicht B e w a h rungsgeschichte, sondern Deutungsgeschichte ist, muß fortgeschrieben werden können. D i e Unabschließbarkeit des Deutungs- und Erkenntnisprozesses ist kein autonomer, bis in alle Unendlichkeit ablaufender Vorgang, sondern durch Deutungen, die ihn definitiv abschließen wollen, gefährdet. Diese sich ultimativ gebenden Deutungen können jedoch produktiv integriert werden, wenn sie nicht marginalisiert, sondern als strittige Positionen durch den wissenschaftlichen Diskurs ernstgenommen und widerlegt werden. Dieses zu gewährleisten ist eine der vornehmsten Aufgaben der Literaturwissenschaft. Sie soll dabei nicht inquisitorisch Mißdeutungen anprangern, aber im Interesse der Texte selbst f ü r die Sicherung der Bedingungen und Möglichkeiten der D e u tungsgeschichte sorgen und auf Interpretationen, die f ü r sich Unhintergehbarkeit beanspruchen, kritisch eingehen. Deshalb bleibt die distanzierte literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Heideggers Denken ein erklärtes Ziel der vorliegenden Arbeit. Dieses Vorgehen kann sich letztlich auf Heidegger selbst berufen, der in dem R u n d funkvortrag >Was heißt Denken?< (1952) sein D e n k e n deutlich genug von der Wissenschaft abgegrenzt hat: Allein die Beziehung der Wissenschaft zum D e n k e n ist nur dann eine echte und fruchtbare, w e n n die K l u f t , die zwischen den Wissenschaften und dem D e n k e n besteht, sichtbar geworden ist und z w a r als eine unüberbrückbare. 2 4
Die vorliegende Untersuchung setzt sich nicht zum Ziel, die »unüberbrückbare Kluft« zwischen philologischer Wissenschaft und Sonderweg des Denkens zu überbrücken. Vielmehr soll versucht werden, das andere Ufer, die gegenüberliegende antiphilologische und antiwissenschaftliche Seite, schärfer in den Blick zu bekommen. Es geht darum, die ungeschriebene Poetologie Heideggers aus Sicht der Literaturwissenschaft zu beschreiben und zu erklären, sie aus ihrer selbstgewählten Isolation zu lösen und im Hinblick auf ihr theoriegeschichtliches Erbgut zu durchleuchten. So kann im günstigsten Fall die verdeckte N ä h e eines sich sezessionistisch gebenden Denkens zur Theoriegeschichte am Beispiel eines poetologischen E n t w u r f s deutlich hervortreten.
24
M . Heidegger, Was heißt D e n k e n ? , " 1 9 9 7 , S. 128.
2
Dichten, Denken und Sprache
2.1
Die Überwindung der Metaphysik in der Dichtung Gegensatz von Subjekt und Objekt...: diese Unterscheidung überlasse ich den Erkenntnistheoretikern, welche in den Schlingen der Grammatik (der Volksmetaphysik) hängengeblieben sind. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft
In einer Rundfunkrede zum achtzigsten Geburtstag Martin Heideggers betont H a n n a h Arendt, daß das Denken Heideggers das »Gebäude der ü b e r k o m m e nen Metaphysik, in dem sich ohnehin schon geraume Zeit niemand so recht w o h l fühlte«, zum Einsturz gebracht habe und daß damit die Metaphysik zu E n d e gedacht worden sei. 1 Die »Verwindung« der Metaphysik und ihrer Traditionen, die H a n n a h Arendt als ein Zuendedenken mit dem Charakter der Vollendung sieht, ist das oft beschriebene, in seiner inneren Abgründigkeit und äußeren Tragweite bis heute noch nicht vollständig ausgelotete G r o ß p r o j e k t H e i deggers. Heidegger bringt sein D e n k e n damit auf eine fast hybrid erscheinende Fallhöhe, deren Anspruch auch an den P r o b l e m e n , die in dieser Arbeit berührt werden, gemessen werden muß. D e n n o c h kann nicht übersehen werden, daß die Infragestellung der Metaphysik kein singuläres, nur im D e n k e n Heideggers auftretendes P h ä n o m e n ist, sondern vielmehr ein elementarer Bestandteil der F r a g e der modernen Philosophie nach sich selbst. Bereits K a n t hat die Metaphysik in seiner Vorrede zur ersten Auflage der >Kritik der reinen Vernunft« als den Kampfplatz endloser Streitigkeiten bezeichnet und in der sie betreffenden Auseinandersetzung nicht nur den » M o d e t o n des Zeitalters« vernehmen wollen, sondern auch die »Beweise einer gründlichen Denkungsart« gesehen. 2 Vergegenwärtigt man sich mit dem Kantischen Hinweis den Aspekt der k o n t r o versen Zusammengehörigkeit von Metaphysikkritik und Metaphysik, so fällt es leichter, das Heideggersche Pathos des anfänglichen Denkens 3 historisch einzuordnen in die D i m e n s i o n der umfänglichen und vielgestaltigen Selbstbefra-
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2 3
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Vgl. H. Arendt/M. Heidegger, Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, Frankfurt a.M. 1998, S.i83f. Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1993, S. 5 ff. [A VIII ff.]. Vgl. M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S . j 5 f f .
gung der Philosophie - eine dialektische Frage auch der Selbstüberwindung, in der sich die Philosophie im Laufe ihrer Geschichte immer wieder mit der Metaphysik identifiziert, gleichzeitig aber auch von ihr distanziert hat. 4 Walter Schweidler hat das Problem der U b e r w i n d u n g der Metaphysik, das in der Selbstthematisierung der Philosophie aufscheint, zutreffend beschrieben: Was mit Uberwindung der Metaphysik gemeint ist, hat der verstanden, der erkennt, daß die Beschreibung der Metaphysik entweder metaphysisch oder aber nicht philosophisch ist.®
A u c h Heidegger hat wohl sehr gut verstanden, was U b e r w i n d u n g der Metaphysik bedeutet und daher das metaphysische Inventar seines Denkens bis in die Begrifflichkeiten und Beschreibungen hinein ablegen wollen, um zu einem D e n k e n außerhalb der Bestimmungsgrenzen der Philosophie zu gelangen. D o c h so einleuchtend dieses Projekt Heideggers auf den ersten Blick scheinen mag, so unbestimmt, unscharf und weitgefaßt erscheint der Begriff von Metaphysik, den Heidegger ihm zugrunde legt. Heidegger begreift den Begriff Metaphysik nicht als »Titel einer >Disciplin< der Schulphilosophie«, sondern gebraucht ihn »unbedenklich zur Kennzeichnung der ganzen bisherigen Geschichte der Philosophie«. 6 Dennoch bleibt Heidegger mit seinem Verständnis der Metaphysik im Rahmen der geistesgeschichtlich tradierten Übereinkünfte: Er sieht die Metaphysik ganz allgemein und im klassischen Sinne als eine Disziplin, in der ein reines Denken nach einem über die finite F o r m hinausgehenden Wesen des Seienden fragt: Der Name soll sagen, daß das Denken des Seins das Seiende im Sinne des AnwesendVorhandenen nimmt für den Überstieg zum Sein ... 7
Gerade diese Frage nach Wesen und Substanz unter Voraussetzung einer herrschenden, rational einsichtigen Regularität ist in der Philosophiegeschichte immer ein Kristallisationspunkt der Metaphysik und ihrer Kritik gewesen. 8 Heideggers Angriff auf den Primat der Substanz, die daraus abgeleitete Unterstel4
Vgl. zu diesem ambivalenten Zusammenhang die einleitenden Bemerkungen in der tiefgreifenden Studie von W. Schweidler, Die Uberwindung der Metaphysik. Zu einem Ende der neuzeitlichen Philosophie, Stuttgart 1987, S. 13-22. Reinhard Mehring hat darauf hingewiesen, daß Heidegger sich in der Kritik an der neuzeitlichen Subjektivität, in der Insistenz auf einer Transzendenz des Seins und schließlich in der kritischen Wendung gegen die Legitimität der Neuzeit im Einklang mit dem Denken Carl Schmitts befindet. Vgl. R. Mehring, Der philosophische Führer und der Kronjurist. Praktisches Denken und geschichtliche Tat von Martin Heidegger und Carl Schmitt, 1994, S . 3 5 1 .
5
Vgl. W. Schweidler, Die Überwindung der Metaphysik, Stuttgart 1987, S. 17. Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S.423. Ebd. Vgl. E. Angehrn, Der endlose Streit der Vernunft. Metaphysik im Spiegel ihrer Kritik, 1998, S. 51.
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!3
lung eines vergegenständlichenden Zugs im metaphysischen Denken sowie seine Kritik an der im Letzten religiös verwurzelten, auf dem Wege eines vernunftbestimmten Ordnungsdenkens gewonnenen metaphysischen Weltdeutung ist für sich genommen also nicht spektakulär, sondern immanenter Bestandteil der Diskussionsgeschichte des Begriffs der Metaphysik. 9 Das läßt den Rückschluß zu, daß die Uberwindung der Metaphysik bereits historisch war, als Heidegger die erste Projektskizze dazu in >Sein und Zeit* entwarf. Aufschlußreicher hingegen ist die Weise, wie Heidegger die Metaphysik kritisiert: Er drückt einer Reihe von Zunftkollegen das Feldzeichen der Metaphysik in die Hand, um sie und ihre Denkformen gegen sein eigenes, »anfängliches« Denken zu setzen. Den Begriff der Metaphysik versieht Heidegger in wechselnden Kontexten mit zahlreichen Etiketten wie »Gegenständigkeit«, »vorstellendes Denken«, »Herrschaft des Subjekts«, »Subjekt-Objekt-Beziehung« und »Seinsverlassenheit«, läßt ihn aber inhaltlich weitgehend unbestimmt. Das ist notwendig, denn die Metaphysik erscheint bei Heidegger im Gewand eines Kampfbegriffs, der in den entsprechenden Theorieschlachten mit variablen Inhalten gefüllt wird. Heideggers Betonung des Gegensatzes zwischen dem anfänglichen Denken und dem Denken der Metaphysik setzt dabei einerseits für die Metaphysik eine konzeptionelle Einheitlichkeit voraus, die historisch nicht zu belegen ist. Andererseits dient sie der Absicherung des neuen Denkhorizontes durch Marginalisierung der Konzepte des herkömmlichen Denkens, denen Heidegger attestiert, keine Möglichkeit zu bieten, die »Grundzüge des erst beginnenden technischen Zeitalters denkend zu erfahren«. 10 Diese Selbststilisierung erfüllt unzweifelhaft auch strategische, auf die Wissenschaftskultur gerichtete Zielsetzungen." Heideggers Ablehnung der Metaphysik ist zugleich aber auch ihre faktische Anerkennung als zentrale prägende Geistesdisziplin der abendländischen Denkgeschichte. Darüber hinaus können nicht zuletzt auch die Eigenheiten des Heideggerschen Denkens wie das Ursprungspathos, der Anspruch auf Letztbegründung, der Blick in den Wesensgrund der Dinge, die unifikatorischen Obsessionen und die Selbstabschottung gegenüber konkurrierenden Denkmustern als urmetaphysische Optionen begriffen werden. Diese Ambivalenzen sind zugleich also Symptome der vielgestaltigen reflexiven Selbstbe-
' Eine umfassende Diskussionsgeschichtc der Vernunftkritik, in der auch die historische Genealogie der Metaphysikkritik große Berücksichtigung finden müßte, steht noch aus. Sie w ä r e f ü r eine genauere E r f o r s c h u n g der Spielarten der Vernunftkritik und den daran beteiligten Typen von Rationalität unentbehrlich. Vgl. hierzu C . J a m me, Grenzziehungen. D i e Vernunft in der M o d e r n e . Einleitung, 1997, S. 9. 10
V g l . G . N e s k e u. E . Kettering (Hgg.), A n t w o r t . Martin Heidegger im Gespräch, P f u l lingen 1988, S. 1 0 3 . " G ü n t e r Figal hat eine ähnliche Strategie am Beispiel Derridas deutlich nachgezeichnet. V g l . G . Figal, Metaphysik und Hermeneutik, 1998, S. 1 0 4 - 1 0 9 .
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schäftigung der Philosophie. Heideggers A b w e r t u n g der Metaphysik wird in der vorliegenden Arbeit deshalb vor allem als polemischer A u f t a k t zu den Bemühungen gesehen, die Ressentiments gegen die zeitgenössische Philosophie und ihre rationalen Darstellungsmuster mit dem Projekt der Verwindung der Metaphysik theoretisch zu lizenzieren. 1 2 B e v o r dieser Zusammenhang jedoch weiter vertieft wird, soll in Erinnerung gerufen werden, worin Heidegger den zentralen epistemischen Defekt der Metaphysik sieht. Seine Ablehnung der tradierten Metaphysik gründet im Kern in deren Blindheit f ü r das Sein als solches: D i e Metaphysik stellt z w a r das Seiende in seinem Sein v o r und denkt so das Sein des Seienden. A b e r sie denkt nicht den Unterschied beider.... D i e M e t a p h y s i k fragt nicht nach der Wahrheit des Seins selbst.' 3
Damit ist das zentrale Anliegen der denkerischen Bemühungen Heideggers erreicht: Die Neuentfaltung der Seinsfrage, mit der sich die abendländische Philosophie seit ihren Ursprüngen auseinandersetzt. D e n gedanklichen Entwicklungsvorgang, in dem die Seinsfrage von immer wieder neuen Seiten beleuchtet wird, hat Heidegger selbst von seinen Zielsetzungen her in drei Phasen unterschieden.' 4 Es handelt sich dabei 1. um die Frage nach Sein und Zeit und nach dem »Sinn von Sein«' 5 , 2. um die Frage nach der Wahrheit des Seins und der Wahrheit als »Geschichte des Seins«' 6 3. und schließlich im Spätwerk um die Frage nach dem »Gelichteten« als dem Ort des sich verbergenden und entbergenden Seins.' 7 Diese Fragen weisen in unterschiedliche Richtungen, besitzen jedoch einen gemeinsamen Ausgangspunkt. Heideggers grundsätzlicher Vorbehalt gegenüber
12
Heideggers Kritik am zeitgenössischen Denken in der »Seinsverlassenheit« macht drei Bezugspunkte aus: D i e »Berechnung«, die »Schnelligkeit« und den » A u f b r u c h
des Massenhaften«. Vgl. M . Heidegger, Beiträge, G A B d . 6 $ , F r a n k f u r t a.M. 1989, S. 1 2 0 - 1 2 2 . ' 3 M . Heidegger, U b e r den H u m a n i s m u s , F r a n k f u r t a . M . ' 1 9 9 1 , S. 14. ' 4 Vgl. M. Heidegger, Seminare, G A B d . 1 5 , F r a n k f u r t a . M . 1986, S. 344. A n dieser Trichotomie richtet ein Großteil der philosophischen F o r s c h u n g seine entwicklungsgeschichtlichen B e m ü h u n g e n um das W e r k Heideggers bis heute aus. Ihre Musterqualität darf jedoch nicht die problemgeschichtlichen Bedingungen von Heideggers D e n ken außer A c h t lassen: Heideggers Seinsgeschichte kann nicht v o n der Zeitgeschichte abgekoppelt werden. Vgl. dazu etwa O . Pöggeler, D i e Frage nach der Kunst. V o n H e gel zu Heidegger, Freiburg/München 1984, S. 224; vgl. auch ders., Es fehlen heilige N a m e n . D a s D e n k e n Martin Heideggers in seinem B e z u g auf Hölderlin, 1 9 7 7 , S. 67 und ders., Heideggers B e g e g n u n g mit Hölderlin, 1 9 7 7 , S. 1 5 . ' 5 V g l . M . Heidegger, Sein und Zeit, T ü b i n g e n ' 7 1 9 9 3 , S. 1 1 . 16 Vgl. M . Heidegger, Ü b e r den H u m a n i s m u s , F r a n k f u r t a . M . ' 1 9 9 1 , S . 3 4 ; 47. ' 7 Vgl. M . Heidegger, Die Frage nach der Technik, ' 1 9 9 7 , S. 28f.
:
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der traditionellen Ontologie leitet sich aus der Annahme ab, diese habe die ontologische Differenz, das »Nicht zwischen Seiendem und Sein«' 8 , nicht berücksichtigt. Gleichzeitig sei aber auch die positive Wendung der ontologischen Differenz, die Frage nämlich, warum »überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts« ist, von der Metaphysik nicht bedacht worden. 1 9 Heidegger vermutet deshalb, daß »alles Denken, das lediglich die Denkgesetze der herkömmlichen Logik verfolgt, von vornherein außerstande ist, von sich aus überhaupt die Frage nach dem Seienden auch nur zu verstehen.,.«. 2 C Die Tradition hat sich damit selbst die Möglichkeit verbaut, nach dem Sein des Daseins und damit nach dem Sinn von Sein überhaupt zu fragen. 2 1 Wenn aber die herkömmliche Metaphysik weder die ontologische Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden noch den Ursprung ihrer ersten und zugleich letzten Grundlagen zum Thema macht, so muß an ihre Stelle ein Denken treten, dessen fundamentale Leistung darin besteht, das Sein nicht mehr vom Seienden aus, sondern es unmittelbar von sich selbst her wahrzunehmen. Dieses anfängliche Denken der Wahrheit des Seins kann nur dann gelingen, wenn nicht nur der ontologische Unterschied, sondern dieser selbst als Unterschied und nicht als Vergleich gedacht wird. 2 2 In >Sein und Zeit< ( 1 9 2 7 ) formuliert Heidegger erstmals explizit den A n spruch, alle seinsphilosophischen Lehren zu überholen. D e r Entwurf seines Denkens soll zu einem »Begriff einer Wissenschaft v o m Sein als solchem, seinen Möglichkeiten und Abwandlungen« 2 3 führen. Als methodische A u f g a b e einer derartigen, fundamentalen Ontologie sieht Heidegger die »Abhebung des Seins v o m Seienden und die Explikation des Seins selbst«. 24 Dabei kommt der Untersuchung des Daseins, Heidegger nennt sie »Existenzialanalytik«, eine besondere Bedeutung zu: D a s Dasein ist vor allem Seienden ontisch ausgezeichnet, weil es ein Verhältnis zu sich hat und sich aus seiner Existenz selbst erschließt. 2 ' Die Auszeichnung des Daseins liegt darin, daß es ein Seinsverständnis hat, also das Sein des Seienden ontologisch begreifen kann. 2 i Dieser existenziale Verstehensbegriff Heideggers nimmt damit Abstand von jeglicher ko-
1,1 19
Vgl. M . Heidegger, V o m Wesen des Grundes, F r a n k f u r t a . M . ' 1 9 4 9 , S. 5. Vgl. M . Heidegger, E i n f ü h r u n g in die M e t a p h y s i k , G A B d . 4 0 , F r a n k f u r t a . M . 1983,
S.3. 20
Vgl. ebd., S. 27. 21 V g l . M . Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i 9 9 3 , S . 4 8 f f . " V g l . B . Allemann, Hölderlin und Heidegger, Z ü r i c h / F r e i b u r g i.Br. 1954, S.70. 23 V g l . M . Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i 9 9 3 , S. 230. 24 Vgl. ebd., S. 27. 25 Wörtlich heißt es in der bekannten dialektischen Wendung: »Es [das Dasein, A n m . d. V e r f . ] ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.« E b d . , S. 1 2 . 26
16
Vgl. ebd., S . i 2 f .
gnitiver Engführung und setzt den Akzent auf die menschlichen Verhaltungen.27 Ausgehend von einer Hermeneutik der Faktizität, die das Dasein aus dem Horizont seiner Geschichtlichkeit28 bestimmt, entwirft Heidegger in >Sein und Zeit< das Programm einer existenzialanalytischen, also den grundlegenden Bestimmungen des Daseins Rechnung tragenden Fundamentalontologie: Deren Aufgaben sollen durch die »am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie« 2 ' gewonnen werden. Für Heidegger stellt die Frage nach dem Sein eine Fundamentalfrage der Philosophie dar, die in der Geschichte der Ontologie bzw. Metaphysik in Vergessenheit geraten ist und deshalb nun wieder geweckt werden muß.3° Heidegger hebt in >Sein und Zeit< außerdem hervor, daß seit den Anfängen bei den Griechen das Sein einseitig auf das Merkmal ständiger Anwesenheit festgelegt worden ist.3' Er sympathisiert mit dem frühgriechischen Denken und kritisiert den ungeschichtlichen, in der Gestalt beständigen »Anwesens« die gesamte Philosophiegeschichte überspannenden Reflexionsbogen, der aus seiner Sicht immer dem Gegenständlich-Gegenwärtigen verpflichtet war, etwa in Gestalt der Idee bei Piaton, der cartesischen Idee der Substanz als Bestimmung von Dinghaftigkeit oder als Willen bei Schopenhauer und Nietzsche. 32 Die perpetuierte und häufig polemische Auseinandersetzung mit dieser selbstgesetzten Grundannahme der Verengung des Seinsdenkens auf ein »anwesendes Anwesen« gibt Heideggers Ausbruchsversuch aus der Metaphysik die notwendige Schubkraft. Um die Frage nach dem Sein zu wecken, die Philosophie aus dem Bann der Gegenständlichkeit zu befreien und schließlich die Metaphysik zu überwinden, benötigt Heidegger einen reinen, nicht attribuierten Seinsbegriff. Mit programmatischer Diktion erklärt er daher in seinen >Beiträgen zur Philosophie< (1936-1938):
27
Vgl. J . Greisch, Hermeneutik und Metaphysik. Eine Problemgeschichte, München 1993, S . i 9 f . 28 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 I993, S. 20. 2 ? Vgl. ebd., S. 22. 30 Vgl. ebd., S. 27. 31 Vgl. ebd., S.22. 32 Michael Theunissen sieht Heideggers Denken einer schlechten Dialektik verfallen: Zum einen versperre seine Deutung den Zugang zum frühen Griechentum und verdecke damit das Denken, das er gegen die Metaphysik stelle. Zum zweiten verfehle Heidegger das vormetaphysische Denken dadurch, daß er nicht wahrnehme, was dieses mit der Metaphysik verbinde. Vgl. M. Theunissen, Vormetaphysisches Denken, 1998, S.45. Zum dritten, so könnte man Theunissen ergänzen, ist Heidegger schließlich auch blind für die metaphysischen Elemente seines eigenen Denkens, die er dadurch, daß er sich von der Metaphysik abstößt, um so nachdrücklicher mit dem herkömmlichen Denken in Verbindung bringt.
U
D i e Ü b e r w i n d u n g der Metaphysik bedeutet die Freigabe des Vorrangs der Frage nach der Wahrheit des Seins v o r jeder »idealen«, »kausalen« und »transzendentalen« und »dialektischen« E r k l ä r u n g des Seienden. 3 3
Die Philosophie hat mit diesen Seinsentwürfen immer unter der Hegemonie der »selbstverständlichen Botmäßigkeit der Ontologie des Substantialen« 34 gestanden. Heideggers Denken konzipiert einen Gegenentwurf zum »vulgären Seinsverständnis«, das »>Sein< indifferent als Vorhandenheit versteht«. 35 Damit will Heidegger sich von der Gewohnheit der überlieferten Metaphysik abstoßen, »das Sein wie ein für sich stehendes und dann auf den Menschen erst bisweilen zukommendes Gegenüber vorzustellen«. 30 Das Sein ist nach Heideggers Auffassung weder vorstellbar noch verfügbar oder von einem anderen Seienden her direkt ansprechbar und deduzibel, sondern muß als Wahrheit in eigenen, maßgeblichen Weisen geschichtlich hervorgebracht und dann von sich selbst aus gedacht und verstanden werden. 37 Um sich vom vorstellenden Denken der Metaphysik abzusetzen, nennt Heidegger seine Philosophie in Anlehnung an die späte Hölderlinsche Hymne >Andenken< auch »andenkendes Denken« oder »andenkendes Fragen«. 38 Das andenkende Denken soll erörtern, worauf das Sein des Seienden selbst, das die Geschichte und ihre Geschehnisse nach Heideggers Auffassung durchwaltet, beruht. 3 ' Die ständige Anwesenheit des Seins in einer herkömmlichen ontologischen Form wie der Idee ist für Heidegger fragwürdig, weil Seiendes in seinem Sein damit im zeitlichen Modus der Gegenwart und so auf ungeschichtliche Weise verstanden wird. 4 " Heidegger will das Sein im Gegenzug vor dem Horizont einer umgreifenden Temporalität, in deren Umkreis auch das Dasein steht, bestimmen: So ist beispielsweise das Sein des Daseins als Sorge von der triadischen Einheit der Ekstasen, von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart ergriffen, durch die es gezeitigt wird und auf die hin es sich entwirft. 4 ' Heidegger greift auch die Selbstgewißheit des cartesischen cogito in seiner postulierten 33
M . Heidegger, Beiträge, G A B d . 6 5 , F r a n k f u r t a.M. 1989, S. 504. V g l . M . Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 1 9 9 3 , S. 320. » Vgl. ebd., S.389. 3Sein und Zeit« aus eben diesem Grund nicht geschrieben werden konnte: Der fragliche Abschnitt wurde zurückgehalten, weil das Denken im zureichenden Sagen dieser Kehre versagte und mit Hilfe der Sprache der Metaphysik nicht durchkam. 56
Die aus der Metaphysikkritik hergeleitete Notwendigkeit einer neuen Sprache für den Neubeginn im Denken bringt Heidegger zur Sprache der Dichtung. Die poetische Sprache Hölderlins, Rilkes, Georges und auch Trakls wirkt sich auf Heideggers Denken nicht nur intellektuell inspirierend aus, sondern führt gleichzeitig Elemente und Inhalte eines entgrenzten Sprechens mit sich, das ähnlich wie in der Sprache der Religion - in einen jenseitigen Verfügungsraum weist und so von Heideggers Denken zu einem neuen Anfang genutzt werden kann. Inwiefern diese Integration der Dichtung in das Denken die Kritik an der Metaphysik untermauert, wird im folgenden noch darzustellen sein.
53
Vgl. U. Claesges, Heidegger und das Problem der Kopernikanischen Wende, 1984,
54
Vgl. J . Habermas, Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a.M. »1988, S. 50. Vgl. M. Heidegger, Wissenschaft und Besinnung, '1997, S. 52. Vgl. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. 4 i994, S. 19.
55 56
S.92.
21
Heidegger will sein antimetaphysisches Projekt in zwei Entwicklungsstufen verwirklichen: D e r Verwindung der Metaphysik geht nach seiner Auffassung die U b e r w i n d u n g der Metaphysik als einer notwendigen Phase der Seinsgeschichte und als Vorzeichen der Verwindung der Seinsvergessenheit voraus. 5 7 D i e Heideggersche Kritik an der Metaphysik kann daher nicht funktional auf den ontologischen A b b r u c h des »Wohnsitzes der abendländischen P h i l o s o phie« reduziert werden - das von H a n n a h Arendt verwendete Bild eines » G e bäudes der Metaphysik«, das von Heidegger mit nahezu allgemeiner Billigung zerstört wird, führt in diesem Zusammenhang in die Irre. D e r in >Sein und Zeit< geprägte Begriff der D e s t r u k t i o n ' 8 impliziert zwar auch die Zerstörung eines Alten, M o r s c h e n und legt damit die Deutung nahe, das D e n k e n Heideggers habe das Ziel, etwas Besseres, Größeres zu begründen und aufzubauen. Heidegger selbst weist jedoch später diese Engfassung seines D e n k e n s zurück und beschreibt die Ü b e r w i n d u n g der Metaphysik als Abstieg aus der Subjektivität, als positive U b e r w i n d u n g der neuzeitlichen rationalen Wissenschaft 5 9 und als R ü c k k e h r in eine ursprüngliche N ä h e : Das Denken überwindet die Metaphysik nicht, indem es sie, noch höher hinaufsteigend, übersteigt und irgendwohin aufhebt, sondern indem es zurücksteigt in die Nähe des Nächsten. Der Abstieg ist, zumal dort, wo der Mensch sich in die Subjektivität verstiegen hat, schwieriger und gefährlicher als der Aufstieg. 00 Heideggers Destruktion der Uberlieferung zielt auf eine Auflösung ihrer rational geprägten O r d n u n g e n und D e n k f o r m e n . D e r Abschied von der S u b j e k t philosophie vollzieht sich jedoch nicht mit linearer Stringenz oder w o m ö g l i c h logischer Zwangsläufigkeit. Vielmehr sind Heideggers Aussagen zur Verwindung der M e t a p h y s i k häufig ambivalent und widersprüchlich. Auf der einen Seite steht die bekannte Polemik Heideggers, die Philosophie sei der Seinsvergessenheit anheimgefallen: Die Metaphysik ist in allen ihren Gestalten und geschichtlichen Stufen ein einziges, aber vielleicht auch das notwendige Verhängnis des Abendlandes ... Die Metaphysik ist Verhängnis in dem strengen, hier allein gemeinten Sinne, daß sie als Grundzug der abendländisch-europäischen Geschichte die Menschentümer inmitten des Seienden hängen läßt, ohne daß das Sein des Seienden jemals... erfahren und erfragt und gefügt werden könnte. 6 ' Heideggers Polemik gegen die Metaphysik identifiziert diese in erster Linie mit der neuzeitlichen Wissenschaft. I n diesem Zusammenhang stehen aber unvermittelt auch Äußerungen, die Heideggers A b k e h r v o m »Denken der H e r -
57 58 59 60
22
Vgl. M. Heidegger, Überwindung der Metaphysik, 8 1997, S. 74. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i993, S. 22. Vgl. M. Heidegger, Wissenschaft und Besinnung, 8 i997, S.Ö2ff. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S.42. M. Heidegger, Uberwindung der Metaphysik, 8 i997, S. 73f.
kunft« relativieren. Heidegger räumt der Metaphysik im Kontext der Seinsgeschichte als prägende K r a f t in den Wissenschaften einen wichtigen Daseinsgrund ein und scheint sich ihr auf dieser Linie wieder anzunähern: G e m ä ß der wesenhaften, durch die M e t a p h y s i k selbst geforderten und immer wieder neu gesuchten Verflechtung der M e t a p h y s i k mit den Wissenschaften, die zur eigenen N a c h k o m m e n s c h a f t der M e t a p h y s i k gehören, muß sich das vorbereitende D e n k e n bisweilen auch im U m k r e i s der Wissenschaften bewegen . . . 6 l
A n anderer Stelle formuliert Heidegger eine Art verbindliche Synthesis zu den vorgenannten Positionen: E i n D e n k e n , das an die Wahrheit des Seins denkt, begnügt sich z w a r nicht mehr mit der Metaphysik; aber es denkt auch nicht gegen die M e t a p h y s i k . 6 '
In diesem Spannungsfeld oszilliert Heideggers Denken, das sich weder als Philosophie noch als Metaphysik ausweist, zugleich aber erklärt, an der Schwelle zu einem Neuanfang im Denken zu stehen, dabei mit seiner ideengeschichtlichen H e r k u n f t aber nicht völlig brechen will. D i e spezifisch neuzeitliche Voraussetzung, daß eine neue Philosophie ihren Sinn und ihre Legitimität immer auch daraus schöpft, besser zu sein als die vorausgegangenen 6 4 , tritt in Heideggers Texten zumindest nicht offen zutage. Die Gestalt der Metaphysik in der abendländischen Philosophie, der Primat des Subjekts und die emanzipatorische Idee sind f ü r Heidegger nicht in erster Linie die Etappen einer intellektuellen Verfallsgeschichte des abendländischen Denkens - in dieser Hinsicht ist er häufig mißverstanden worden. In den f ü r die Selbstaufklärung des Philosophen wichtigen Briefen an Hannah Arendt macht Heidegger sehr deutlich, daß es ihm in seinem Denken nicht um die Begründung einer neuen, überzeugenderen Philosophie geht, weil ihm der Begriff von Geschichte selbst zweifelhaft gew o r d e n ist: Was den wenigsten aufgeht, ist v o r allem dies: Seynsgeschichte v o n der Aletheia bis z u r ewigen Wiederkehr des Gleichen ist keine Verfallsgeschichte, innerhalb derer die Philosophie auf A b w e g e geraten sein könnte, von denen H e i d e g g e r gar sie z u r ü c k holt. Seynsgeschichte ist überhaupt nicht Geschichte im Sinne des Geschehens eines Wirkungszusammenhangs. 6 '
In einem Fernsehinterview mit Richard Wisser im Jahr 1969 gibt Heidegger auf die Frage, ob er versuche, die bisherige Philosophiegeschichte als Verfallsgeschichte zu denken, eine abschlägige Antwort:
6i 63 64 65
M . Heidegger, Nietzsches W o r t » G o t t ist tot«, ' 1 1 9 9 7 , S. 1 1 1 . V g l . M . Heidegger, Was ist M e t a p h y s i k ? , F r a n k f u r t a.M. I 4 i 9 9 2 , S. 9. V g l . W. Schweidler, D i e U b e r w i n d u n g der M e t a p h y s i k , Stuttgart 1987, S. 14. H . A r e n d t / M . Heidegger, Briefe, F r a n k f u r t a . M . 1998, S. 1 1 2 .
2
3
Es ist nicht eine Verfallsgeschichte, sondern es ist ein Entzug des Seins, in dem wir stehen."
Wie läßt sich jedoch Heideggers Kritik an der Metaphysik und sein Projekt der Destruktion in diesen Zusammenhang dann einordnen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Heideggers Auffassung, die Philosophie versteife sich seit 2.400 Jahren auf den Gedanken der sich selbst behauptenden Subjektivität, und seiner These, der Ursprung des Denkens lasse sich am Kunstwerk exemplarisch nachweisen? Dieses Problem läßt sich offenbar nicht lösen, wenn Heideggers Denken nur unter der Optik eines Gegenentwurfs zur Metaphysik betrachtet wird. Eine solche Sichtweise, basierend auf begrifflichen Dichotomien und der Annahme geistesgeschichtlicher Peripetien, läßt die Vielzahl der ideengeschichtlichen Verstrebungen zwischen Heideggers Denken und der Metaphysik unberücksichtigt. Heideggers Projekt der Verwendung der Metaphysik erschöpft sich trotz zahlreicher antiszientifischer Evokationen nicht in der »Wendung ins Irrationale«.67 Vielmehr geht es um eine, in der Wortwahl zwar häufig esoterisch erscheinende, aber in ihrer inneren Anlage genau kalkulierte Neuvermessung derjenigen semantischen Bezirke, in denen in Kunst und Philosophie von Sein, Wahrheit und Sprache die Rede ist. Das Projekt dieses »denkenden Dichtens« läuft auf eine Bestimmung dessen hinaus, was Heidegger in Anlehnung an die Fachsprache der Landvermesser die »Topologie des Seyns« nennt.68 In dieses im Kern sehr rationale Verfahren seiner neuen philosophischen »Raumordnung«, das eben auf eine genauere Erfassung der Eröffnung des Seins im Raum zielt 6 ', ordnet Heidegger auch die Geschichte der Metaphysik bzw. des »ersten 66
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4
Vgl. den Sammelband von G. Neske/E. Kettering, (Hgg.), Antwort. Martin Heidegger im Gespräch, Pfullingen 1988, S.23. Jürgen Habermas ist zwar zuzustimmen, wenn er Heideggers »mystisches Seinsdenken« in eine Reihe mit den antiwissenschaftlichen, auf Rückgewinnung von Totalität durch Verzicht auf konkurrenzfähige Erkenntnis ausgerichteten Konzepten Jaspers', Wittgensteins, Adornos und Derridas stellt. Dabei dürfen jedoch nicht die Querverbindungen zur Metaphysik und der Rückgriff auf rationale Reflexionsformen, derer sich Heidegger ebenfalls bedient, aus dem Blick kommen. Der Rekurs auf die Metaphysik bleibt ein bestimmender Grundton des Heideggerschen Denkens. Vgl. J. Habermas, Nachmetaphysisches Denken, Frankfurt a . M . 2 1 9 8 8 , S.45. Vgl. M. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, G A Bd. 13, Frankfurt a.M. 1983, S. 84. Die gedanklichen Zusammenhänge zwischen Heideggers Begriff der »Unverborgenheit des Seins« und dem Begriff des »Raums« als einer ursprünglichen Einheit hat Susanne Ziegler erschöpfend herausgearbeitet. Vgl. S. Ziegler, Heidegger, Hölderlin und die Aletheia. Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944. Berlin i99i,S.Ister-HymneDer IsterMetaphysikDichten und Denkens die für das Wintersemester 1944/45 angekündigt war, aber durch den Einzug Heideggers zum Volkssturm unterbrochen wurde, war die letzte Vorlesung Heideggers in der Funktion eines offiziellen Lehrstuhlinhabers. 152 Vgl. ebd., S.95. Hier sind die von Dieter Henrich betriebenen Studien zur Rolle Hölderlins im Deutschen Idealismus besonders verdienstvoll. Vgl. etwa D. Henrich, Hegel und Hölderlin, 4 i988, S.9-40. 154 Einen guten Überblick über die Aussagen und Einstellungen Hölderlins zur Philosophie und deren Einarbeitung in sein dichterisches Werk gibt der Aufriß von H. Bothe, Hölderlin zur Einführung, Hamburg 1994. 155 Jochen Schmidt hat diese von Hölderlin in den späten Hymnen unternommene universalistische Versöhnung auf die epochalen Gegensätze von Vernunft und Religion bezogen. Vgl. J. Schmidt, Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen >Friedensfeier< - >Der Einzige< - >PatmosSein und Zeit< setzt Heidegger die Frage nach dem Sein der Sprache auf die Tagesordnung der philosophischen Forschung und formuliert eine erste Kontur seines Sprachbegriffs: A m Ende muß sich die philosophische Forschung einmal entschließen z u fragen, welche Seinsart der Sprache überhaupt z u k o m m t . 1 , 4 met dieser Feststellung aber inhaltlich keine weitere Zeile. Vgl. P. Prechtl, Sprachphilosophie, Stuttgart/Weimar 1999. 189 190
Vgl. M. Heidegger, Ü b e r den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. j f . Das Grundproblem der Sprachwissenschaft sieht Heidegger offenbar darin, daß diese sich über die Sprachc in einem unzureichenden Sprechen und bloßem »Reden über« äußert und daher dem Gegenstand ihrer Untersuchungen immer fernbleibt. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 179. Z u d e m lasse die Sprachforschung die Grundtatsache, daß die Sprache immer das Feld aller Erwägungen und Ä u ß e r u n gen bleibt und daher nicht verlassen werden kann, unberücksichtigt. Vgl. W . A n z , D i e Stellung der Sprache bei Heidegger, 3 1994, S. 306. N a c h dem gleichen Argumentationsschema kritisiert Heidegger alle Wissenschaften, die seiner Meinung nach ihrem Wesen immer fernbleiben, weil sie außerstande sind, ihr eigenes Wesen vorzustellen. Vgl. M. Heidegger, Wissenschaft und Besinnung, "1997, S.61.
191
Vgl. M. Heidegger, >AndenkenSein u n d Zeit< als M e r k m a l e , die den M e n s c h e n v o r allen L e b e w e s e n auszeichnen: F ü r das »Sein des D a « ist nach H e i d e g g e r »die R e d e konstitutiv«, und er ergänzt: das »Dasein hat Sprache«. 2 0 0 H e i d e g g e r verweist außerdem auf die v o n Aristoteles geprägte D e f i n i t i o n des M e n s c h e n als eines ζ ω ο ν λόγον έχον. 2 0 1 ,9
> Ebd. Vgl. ebd. 197 Ebd., S.165. " 8 Vgl. ebd., S.160. '»» Vgl. ebd., S . 1 6 1 . 200 Vgl. ebd., S.165. 201 Heidegger kritisiert an dieser Stelle bereits den Begriff vom Menschen als »vernünftigem Lebewesen«, weil er die Fähigkeit des Daseins zur Rede als Welterschließung verdecke. Vgl. ebd. Möglicherweise zeichnet sich hier aber auch schon Heideggers generelle Skepsis gegenüber dem Vernunftbegriff der Tradition ab. Deutlich in diese Richtung weisen bereits Heideggers Formulierungen in der Freiburger Ontologie-Vorlesung vom Sommersemester 1923: Heidegger betont dort, der Begriff »vernunftbegabtes Wesen« treffe nicht den entscheidenden Sinn des ζφον λόγον εχον, denn λόγος bedeute bei den Griechen nicht Vernunft, sondern Rede, Gespräch. Heideggers eigene Ubersetzung des ζφον λόγον έχον geht daher einen Schritt weiter und hebt nicht den menschlichen Sprechakt als solchen, sondern die Passivität eines Angesprochenwerdens hervor: Heidegger bestimmt den Menschen als »ein Seiendes, das seine Welt hat in der Weise des Angesprochenen«. Diese Ubersetzung nimmt die Metapher der rezeptiven Haltung des Angerufenwerdens und Hörens, die für Heideggers Konzeption der Zwiesprache später eine große Bedeutung bekommt, schon vorweg. Vgl. M. Heidegger, Ontologie (Hermeneutik der Faktizität). G A Bd.63, Frankfurt a.M. 1988, S . 2 1 . 196
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D o c h Sprache ist f ü r Heidegger bald m e h r als nur ein spezifisch menschliches D i f f e r e n z m e r k m a l . In dem 1 9 4 6 an J e a n Beaufret gerichteten Brief >Uber den Humanismus< korrigiert H e i d e g g e r seinen existenzialanalytisch geprägten Sprachbegriff: Allein die Sprache ist nicht bloß Sprache, insofern wir diese ... als die Einheit von Lautgestalt (Schriftbild), Melodie und Rhythmus und Bedeutung (Sinn) vorstellen Wir denken die Sprache gewöhnlich aus der Entsprechung zum Wesen des Menschen ... Doch wie in der Humanitas des homo animalis die Ek-sistenz und durch diese der Bezug der Wahrheit des Seins zum Menschen verhüllt bleibt, so verdeckt die metaphysisch-animalische Auslegung der Sprache deren seinsgeschichtliches Wesen. 202 A h n l i c h e Z u s c h r e i b u n g e n finden sich bereits im K u n s t w e r k a u f s a t z ( 1 9 3 5 / 3 6 ) : A u c h dort betont Heidegger, daß die »Sprache nicht nur u n d nicht erstlich ein lautlicher u n d schriftlicher A u s d r u c k dessen, w a s mitgeteilt w e r d e n soll«, ist. 2 0 3 N o c h deutlicher w i r d Heidegger in seinem Vortrag ü b e r >Hölderlin u n d das Wesen der DichtungSein u n d Zeit< eine existenziale B e s t i m m u n g des In-der-Welt-seins und hilft dem M e n s c h e n , sich in der Vielfalt der Z u s a m m e n hänge von D i n g e n und Möglichkeiten zurechtzufinden u n d so geschichtlich zu handeln. D i e s e B e d e u t u n g der R e d e als Seinscharakter geht weit über das I n strumentale hinaus, w e s w e g e n H e i d e g g e r später v o r einer A b s c h l e i f u n g der Sprache zu einem rein verkehrstechnischen Instrument warnt. 2 0 6 M a n verstünde H e i d e g g e r jedoch falsch, w o l l t e man aus seinen Ä u ß e r u n g e n ü b e r die Sprache n u r eine völlige A b l e h n u n g der instrumentellen S p r a c h a u f f a s sung und d e r Verständigungsfunktion herauslesen. In d e m Vortrag »Hölderlin u n d das Wesen d e r Dichtung* ( 1 9 3 6 ) nennt H e i d e g g e r die Sprache ein »Besitzt u m « und ein »taugliches Werkzeug« des Menschen, der über sie » E r f a h r u n g e n , Entschließungen u n d Stimmungen« mitteilt u n d sich so verständigt. 2 0 7 H e i d e g ger greift hier einen G e d a n k e n s Wilhelm v o n H u m b o l d t s aus dessen A b h a n d lung >Uber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren E i n fluß auf die geistige E n t w i c k l u n g des Menschengeschlechts* auf: D a n a c h ist 202 203 204 205 206 207
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M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 24. Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 1994, S. 61. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 38f. Vgl. W. Anz, Die Stellung der Sprache bei Heidegger, 3 1994, S. 306. Vgl. M. Heidegger, >AndenkenLogik der K u l t u r w i s s e n s c h a f t e n diesen A n s a t z weiterentwickelt u n d in A n l e h n u n g an H u m b o l d t die Sprache als den »Inbegriff psychisch-geistiger A k t e « 2 1 2 bezeichnet. Sprache ist ein d i f f e renzierendes und attestierendes P h ä n o m e n des Geistes: S p r a c h b e w u ß t s e i n ermöglicht nach Cassirer ein S y m b o l b e w u ß t s e i n , das den R a h m e n der W a h r n e h m u n g und der gegenständlichen A n s c h a u u n g absteckt. D i e s e B e w u ß t s e i n s f o r men organisieren ihre U m w e l t , indem sie wiederkehrende B e d e u t u n g e n , also Kontinuitäten, unterscheiden u n d kennzeichnen. 2 ' 3 M i t der Sprache als einer gemeinsamen Welt partizipiert das Ich an der schon bestehenden O r d n u n g , baut sie mit auf und n i m m t so A n t e i l an ihr. 2 ' 4 Cassirer sieht die Sprache also als intellektuellen Vollzugsakt der Partizipation an Welt, dessen einheitliches Strukturgesetz als s y m b o l i s c h e F o r m einer sozialen G e m e i n s c h a f t den E r w e r b v o n Weltwissen ermöglicht. D i e F u n k t i o n des S y m b o l i s c h e n , der auch die Sprache zugeeignet ist, strukturiert die Gesamtheit der G e b i l d e der Welt und das F e l d der menschlichen W a h r n e h m u n g . 2 1 ' 208 209 2,0 211
212
2,5 2.4 2.5
Vgl. W. v. Humboldt, Schriften zur Sprachphilosophie, Darmstadt 1963, S.414. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 38. Vgl. O.F. Bollnow, Wächst das Rettende?, 1977, S. 101. Vgl. W. v. Humboldt, Schriften zur Sprachphilosophie, Darmstadt 1963, S. 390. Den Zusammenhang von Sprache, Welterfahrung und Welthorizont der Sprache nimmt auch Hans-Georg Gadamer in seine Überlegungen auf. Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 6 1990, S. 442-460. E. Cassirer, Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien, Darmstadt '1994, S. 14. Vgl. ebd., S . i 4 f . Vgl. ebd., S.15. Vgl. ebd., S.26.
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H e i d e g g e r hat sich z w a r mit den A n s ä t z e n H u m b o l d t s auseinandergesetzt, k o m m t aber zu völlig anderen Ergebnissen als die H u m b o l d t - T r a d i t i o n . D e n n o c h b e r u f t er in seinem späten Vortrag >Der Weg z u r Sprache< ( 1 9 5 9 ) den S p r a c h f o r s c h e r z u m Z e u g e n seiner A u f f a s s u n g v o n Sprache: H u m b o l d t s »tiefdunkle B l i c k e in das Wesen der Sprache« haben nach H e i d e g g e r s U b e r z e u g u n g einen m ö g l i c h e n geschichtlichen Wandel in u n s e r e m Verhältnis z u r Sprache schon v o r a u s g e s e h e n . 2 ' 6 In >Sein und Zeit< geht H e i d e g g e r das P r o b l e m der Sprache n o c h v o n einer anderen Seite an: E r erklärt dort, daß seine A u s e i n a n dersetzung mit Sprache jenseits des sprachphilosophischen H o r i z o n t e s H u m boldts liegt. 2 ' 7 D a s Wesen der Sprache kann w e d e r ü b e r Cassirers B e g r i f f der s y m b o l i s c h e n F o r m gewonnen, noch als » A u s s a g e « , » A u s d r u c k « oder » K u n d gabe« verstanden w e r d e n . 2 ' 8 Heideggers G e d a n k e n gehen in eine andere R i c h tung: E r m ö c h t e Sprache aus den F o r m e n , B e g r i f f e n u n d Kategorien herauslösen, u m sie dergestalt als ein entformalisiertes, aber geschichtliches G e s c h e h e n begreifen z u k ö n n e n . Sprache ermöglicht nach H e i d e g g e r s A u f f a s s u n g Welterfahrung u n d s c h a f f t Weltbewußtsein, sie spannt aber auch die Weltbezüge, die eine V o r a u s s e t z u n g des Handelns sind. 2 1 9 H e i d e g g e r betont dieses H a n d l u n g s m o m e n t auch in seinem Vortrag über »Hölderlin u n d das Wesen der D i c h tungc Nur wo Sprache ist, da ist Welt, das heißt: der stets sich wandelnde Umkreis von Entscheidung und Werk, von Tat und Verantwortung, aber auch von Willkür und Lärm, Verfall und Verwirrung. 220 W o Welt waltet, ist Geschichte - d.h. dort, w o der M e n s c h in seinem weltlichen V e r s t ä n d n i s h o r i z o n t agiert und reagiert, hat er eine Sprache, die gewährleistet, daß er »als geschichtlicher sein kann«. 2 2 ' D i e Sprache ist das Ereignis, das über die höchste M ö g l i c h k e i t des Menschseins v e r f ü g t , da sie den M e n s c h e n in seine G e s c h i c h t e weist u n d dabei selbst U r s p r u n g dieser G e s c h i c h t e wird. 2 2 2 H e i d e g ger schlägt mit dieser R ü c k f ü h r u n g der Sprache auf ihre geschichtliche D i m e n sion w i e d e r den B o g e n z u m Sein: Sprache ist U r s p r u n g der Geschichte, und G e s c h i c h t e des M e n s c h e n geschieht immer u n d ausschließlich als Sein. 2 2 3 I m H ö l d e r l i n - V o r t r a g setzt H e i d e g g e r die Sprache in ein Verhältnis z u m Sinn v o n Sein. Sprache ist nicht nur die Voraussetzung aller D i c h t u n g , sie f ü h r t den M e n s c h e n auch auf den G i p f e l p u n k t seiner E r k e n n t n i s , indem sie das Sei2li
Vgl. M. Heidegger, Der Weg zur Sprache, " 1 9 9 7 , S. ι6γ{. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen I 7 i993, S. 166. 2,8 Vgl. ebd., S.163. 2I ' Vgl. O.F. Bollnow, Wächst das Rettende?, 1977, S. 102. 220 M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 38. 121 Vgl. ebd. 222 Vgl. ebd. 223 Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit. Zu Piatons Höhlengleichnis und Theätet, G A Bd. 34, Frankfurt a.M. 1988, S. 145. 217
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ende in seiner Wahrheit zeigt und ihm so zu Weltverständnis und Seinsverständnis verhilft. Die von Heidegger angedeutete Zusammengehörigkeit von Sprache und Welt eröffnet in ihrer zweckrationalen Vertiefung den Horizont einer Weltorientierung, die von Arnold Gehlen umfassend beschrieben worden ist: Gehlen sieht die Sprache als »Universalinstrument«, dessen »Abstraktionsleistung ... eine Entlastung hohen Grades« darstellt.224 Diese Entlastung, die von Gehlen als Entlastung von der Auseinandersetzung mit der Natur begriffen wird, besteht darin, daß sie »allen Ereignissen und Dingen gegenüber eine und dieselbe Verhaltensweise« einer »rationalen Theorie und Praxis« möglich macht. 22 ' Damit zeigt sich deutlich, daß die geistigen Fluchtlinien des Weltumgangs in den sprachphilosophischen Überlegungen Heideggers auf rationale Welterklärungsmuster zulaufen, die auch von Gehlen in den Blick genommen werden. Für Heidegger reicht Sprache als höchste Möglichkeit des Menschseins in die »Ortschaft des Seins«, weil sie den Menschen in der Offenheit des Seienden hält. Sie ermöglicht dadurch Geschichte, da jedes Wort für sich eine neue Welt eröffnet, die seinen unmittelbaren Bedeutungshorizont übersteigt und dahinter neue Sinngehalte erschließt.226 Damit ist der Grundzug der Sprachauffassung Heideggers herausgearbeitet, die Sinndimension der Sprache aber noch nicht erschöpft. Es ist deutlich geworden, wie die Frage nach der Sprache in der Entwicklung des Heideggerschen Denkens ein immer größeres Gewicht gewinnt. In dem Maße, wie die Sprache als Sprache der Dichtung in seinen Sprachbegriff einsickert, versucht Heidegger nun, die Sprache in ihrem Bezug zum Sein und zur Wahrheit des Seins zu denken: D e r Mensch aber ist nicht nur ein Lebewesen, das neben anderen Fähigkeiten auch die Sprache besitzt. Vielmehr ist die Sprache das H a u s des Seins, darin w o h n e n d der Mensch eksistiert, indem er der Wahrheit des Seins, sie hütend, gehört. 2 2 7
Damit ist die Sprache als Raum bestimmt. Heidegger erweitert hier den auf Humboldt zurückgehenden Begriff von Sprache als Welt hin zum Begriff von Sprache als Raum des Seins. Das geschichtliche Wesen der Sprache entfaltet sich nach Heidegger aus dem Geschehen von Wahrheit in der Dialektik von Unverborgenheit und Verborgenheit. Sprache ist für Heidegger nun im wesentlichen Offenbarungssprache, und als solche konnotiert sie eng mit dem Wahrheitsbegriff der Aletheia. Diese spezifische Auffassung von Sprache als Ort der Wesung der Wahrheit des Seins gewinnt Heidegger in der Auseinandersetzung mit Dichtung. Der Impuls für die Hinwendung zur poetischen Sprache ist Heideg224
225 226 227
V g l . A . Gehlen, D i e Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, H a m b u r g 1 9 5 7 , S . 9 2 . V g l . ebd. V g l . M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t 1 9 8 1 , S. 38. M . Heidegger, Ü b e r den H u m a n i s m u s , F r a n k f u r t a . M . ' 1 9 9 1 , S. 24.
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gers Erfahrung, daß die Sprache unter dem Eindruck der Subjektivität in der herrschenden neuzeitlichen Metaphysik aus ihrem eigentlichen Element herausfällt und damit die Ausdrucksmöglichkeiten für ein neues Sprechen erschöpft sind. Heidegger verschärft die getroffene Definition von der Sprache als Raum noch: Das Wesen der Sprache ist, »daß sie das Haus der Wahrheit des Seins ist«.228 Als das Haus des Seins »versammelt die Sprache das Geschehen der Unverborgenheit«. 229 Die Dichter und Denker sind »die Wächter dieser Behausung« und ihr »Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren«.230 Die Sprache ist deshalb »lichtend-verbergende Ankunft des Seins selbst«. 23 ' So läßt sich festhalten: Dichtung und Denken sind die Bereiche, in denen das Sein den Raum für sein Wort hat und damit zur Sprache kommt. Tatsächlich hat Heidegger damit aber immer noch nicht die endgültige, »wesentliche« Beschreibung der Sprache gefunden. In dem Vortrag >Die SpracheEin Winterabend< dient, heißt es schließlich: Darum fragen wir: Wie west die Sprache als Sprache? Wir antworten: Die Sprache spricht. 232
Mit dieser Selbstprädikation erreicht Heidegger die Maximalposition seiner Sprachauffassung und nähert sich in Ermangelung zureichender Begriffe einer nahezu metaphorischen Beschreibung von Sprache.233 Der tautologisch anmutenden und forcierten Wendung eines »Sprechens von Sprache« haben sich selbst Heidegger geneigte Wissenschaftler und Philosophen lange Zeit heftig widersetzt, denn nach allgemeiner Überzeugung ist es der Mensch als animal rationale, der spricht.234 Für Heidegger sind derartige subjektgebundene Vorstellungen und Beschreibungen des Sprechens nur begrenzt gültig, denn sie verfestigen das tradierte Bild von der Sprache, indem sie es in eine »metaphy-
228 229 230 231 232 233
234
56
Vgl. ebd., S. 10. Vgl. O. Pöggeler, Der Denkweg, Stuttgart 4 i994, S. 279. Vgl. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. 4 i994, S. 5. Vgl. ebd., S.18. Vgl. M. Heidegger, Die Sprache, " 1 9 9 7 , S. 12. Ein vergleichbarer Ansatz zur tautologischen Bestimmung der Sprache als Ausdruck ihres geistigen Wesens und Medium ihrer eigenen Mitteilung findet sich in einem Aufsatz Walter Benjamins, in dem es heißt: »Die Sprache teilt sich selbst mit.« W. Benjamin, Uber die Sprache überhaupt und die Sprache des Menschen, 1 9 9 1 , 8 . 1 4 2 . Hans-Georg Gadamer hat im Gespräch mit Jean Grondin seinen langjährigen Bedenken gegenüber dieser Formulierung Heideggers deutlich Ausdruck verliehen. Vgl. H . - G . Gadamer/J. Grondin, Dialogischer Rückblick auf das Gesammelte Werk und dessen Wirkungsgeschichte, 1997, S. 286.
sisch-animalische A u s l e g u n g « z w ä n g e n . 2 " D e r Leitsatz » D i e Sprache spricht« macht hingegen deutlich, daß nicht der M e n s c h der E i g e n t ü m e r der Sprache, sondern er selbst E i g e n t u m der Sprache ist. M i t dieser eigenartigen Z u s c h r e i bung destruiert H e i d e g g e r f u n k t i o n a l die G r u n d v o r s t e l l u n g v o m M e n s c h e n als sprechendem Wesen und in einem weiteren Sinne die vorherrschenden G r u n d meinungen ü b e r die Sprache selbst. 2 3 6 Heideggers D e n k e n richtet sich an dem Ziel aus, die »Sprache als die Sprache zur Sprache zu bringen«. 2 3 7 D a b e i ist Sprache mehr als ein überindividuelles System v o n Zeichen, Bildern u n d Regeln. Sie ist auch nicht die formalisierte Sprache, die als I n f o r m a t i o n in der Welt der modernen Technik dient. 2 3 8 Sprache ist f ü r H e i d e g g e r etwas Fernes, erst noch zu Findendes. H e i d e g g e r versteht sein D e n k e n folglich als Suche und sieht sich selbst als einen Suchenden, der noch »unterwegs z u r Sprache« ist: Seine Z i e l v o r g a b e lautet dabei, »ein rein G e sprochenes zu finden«. 2 3 9 D a s F e l d dieses Suchens ist die Sprache der D i c h t u n g , denn: »Rein G e s p r o c h e n e s ist das Gedicht.« 2 4 " D a s G e d i c h t als rein G e s p r o chenes ist f ü r H e i d e g g e r die F o r m , in der sich das Sprechen der Sprache letztlich vollendet. 2 4 ' Z u s a m m e n f a s s e n d läßt sich Heideggers äußerst eigenwilliger Begriff v o n Sprache in die f o l g e n d e n Bestandteile auffächern: 1. D i e Sprache spricht. 2. D e r M e n s c h spricht, insofern er der Sprache entspricht. D a s Entsprechen ist Hören.242 3. D i e Sprache spricht als das G e l ä u t der Stille. 2 4 3 4. [Wir] e r b l i c k e n . . . das S p r a c h w e s e n stets nur insoweit, als w i r v o n ihm selbst angeblickt, in es vereignet sind. 2 4 4 Inmitten des v o n der Sprache aufgespannten K r ä f t e p a r a l l e l o g r a m m s steht der Mensch, g l e i c h w o h l nicht als aktives, die Welt sprachlich durchgestaltendes und denkendes Selbst, sondern als ein verfügbares, der Sprache höriges Wesen.
235
23,1
237 238 239
240 241 242 243 244
Vgl. M. Heidegger, Die Sprache, " 1 9 9 7 , S. 15. Vgl. auch ders., Brief über den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 25. Vgl. F.-W. v. Herrmann, Dichtcrische Einbildungskraft und andenkendes Denken, 1983, S.49. Vgl. M. Heidegger, Der Weg zur Sprache, "1997, S. 242; 250. Vgl. ebd., S.263. Vgl. M. Heidegger, Die Sprache, " 1 9 9 7 , S. 16. Den Begriff des »rein Gesprochenen« bildet Heidegger wohl in semantischer Analogie zu Hölderlins Wort vom »Reinentsprungenen« in der großen Stromhymne >Der RheinDie Zeit als Einbildungskraft des Dichters< zeigt sich deutlich die N ä h e zu Heideggers Einebnung der Subjektivität in der Sprache der Dichtung: D e r Begriff »Subjekt« ist fast hinfällig. D e n n w e r ist das noch, der in dem letzten Vers »ich selber« sagt? Einer, der gerade jetzt am wenigsten ein Selbst ist, sondern aufgegangen in dem Ubermächtigen ... S o ist man denn versucht zu sagen: er v e r f ü g t nicht über die Sprache, die Sprache verfügt über ihn. 2 6 0
257 258
259 260
60
V g l . P.J. Brenner, D a s Problem der Interpretation, T ü b i n g e n 1998, S. 175. V g l . H . Blumenberg, Wirklichkeiten in denen w i r leben. A u f s ä t z e und eine Rede. Stuttgart 1996, S. 1 3 8f. V g l . J . - F . L y o t a r d , D e r N a m e und die A u s n a h m e , 1 9 8 8 , 8 . 1 8 1 . E . Staiger, D i e Zeit als Einbildungskraft des Dichters, Zürich 1963, S . 4 1 ; 46; 5 1 .
Heidegger sieht das Wesen der Kunst nicht als einen »Ausdruck von Erlebnis« oder von »Seelenleben«. 201 Dabei erscheinen seine Ablehnung des Subjektbegriffs und der damit unmittelbar verbundenen Idee einer Erlebnislyrik 2 6 2 im Hinblick auf die Dichtung von Trakl, Rilke und George nicht völlig unbegründet. Die »klassische« Auffassung, daß das Subjekt sich in der poetischen Sprache über etwas ausspreche, wird auch im Verlauf der Entwicklung moderner Lyrik hinterfragt und in Teilen sogar abgelegt. Die Auslöschung der Individualität gerät damit zu einem wichtigen konzeptionellen Element moderner Lyrik. Dichter wie Heine, Rimbaud oder Mallarme - alle drei sind als »Väter der modernen Dichtung« von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Lyrik der Moderne - schaffen sich ein Rollen-Ich, das sie z u m Träger eines fiktional dargestellten Ereignisses machen. 263 U n d auch in Trakls Gedichten ist das Subjekt aus der dichterischen Sprache ganz zurückgezogen - an seine Stelle tritt ein »Es«, das nicht mehr in die Gestalt eines lyrischen Subjekts zurückkehrt. 2 6 4 Die Zersprengung der menschlichen Verfügungsgewalt über die Sprache ist zentraler Ausdruck des Konfliktes, den die Dekonstruktion mit den vermeintlichen Logozentrismen des abendländischen Denkens austragen will. Im U m kreis dieser Kontroverse entstehen alternative, auch weniger radikale Konzepte: So zeigt U m b e r t o Eco mit seiner Zeichentheorie, daß die A b w e n d u n g vom Subjekt in der neueren Theoriegeschichte zwar weiterhin virulent ist, aber nicht in eine völlige Verabschiedung umschlagen muß. Eco entwirft seine semiotische Theorie als ein Modell des Weltverstehens, das von einem handelnden oder sprechenden Subjekt in historischen, politischen oder sozialen Bezügen zunächst absieht. In der F o r m reiner Abstraktion schafft sich die Semiotik als Wissenschaft ihren eigenen, subjektentmächtigten Gegenstand, indem sie das Subjekt als Funktionsträger im Zusammenhang mit einer möglichen Theorie der Zeichenerzeugung betrachtet. Das Subjekt ist in erster Linie Subjekt einer Ä u ß e r u n g und damit Träger eines Hinweisaktes innerhalb einer SenderEmpfänger-Beziehung. 2 6 5 Damit erklärt Eco das Subjekt zu einem Subjekt der Signifikation innerhalb eines nie abgeschlossenen Systems der Signifikationssysteme. 266 Innerhalb der Semiotik besitzt das Subjekt f ü r Eco als physischer Zeichenerzeuger aber immerhin noch eine, w e n n auch rein strukturelle Relevanz: Die Semiotik kann das Subjekt zwar nur in der Erzeugung von Zeichen-
261
Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit. Zu Piatons Höhlengleichnis und Theätet. G A Bd. 34, Frankfurt a.M. 1988,8.63. 262 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 26-30. 263 Vgl. P. Bürger, Das Verschwinden des Subjekts. Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes, Frankfurt 1998, S. 198. 264 Vgl. F. Schirrmacher, Die Stunde der Welt. Fünf Dichter - Ein Jahrhundert. Berlin 1996, S. 5 of. 26 ' Vgl. U. Eco, Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. München 2 i 9 9 i , S. 399. 266 Vgl. ebd., S.401.
61
funktionen, der Kritik anderer Zeichen-Funktionen und der Umstrukturierung vorhandener Zeichenfunktionen anerkennen, sie hält damit aber gleichzeitig an der Subjektgebundenheit eines »Verursacherprinzips« fest. 267 Damit ist nur in einigen rudimentären Ansätzen punktuell angedeutet, welche Impulse aus der Auseinandersetzung mit Dichtung Heideggers Kritik an der metaphysischen Sprachtheorie zugrunde liegen, wie breit sie rezipiert wurde und welche Wege sie damit vorgezeichnet hat. Es wurde deutlich, daß die von Heidegger in Angriff genommene Erschütterung der auctoritas kein interpretationsgeschichtliches Epiphänomen bleibt, sondern sich wirkungsmächtig einfügt in den vielgestaltigen diskursiven Zusammenhang der Bedeutung und der Deutung von Sprache in der neueren Philosophie. An diesen Zusammenhängen hat nicht zuletzt auch die von Freud formulierte Auffassung, »daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus« 268 , kräftig mitgearbeitet. 269 Dabei darf nicht übersehen werden, daß mit der Verabschiedung der Individualität im Gewand der Autorschaft ein anderes Element des Unhintergehbaren, Ursprünglichen, aber auch Urtümlichen in die Sprache zurückkehrt. Dieses geschieht vor allem bei Heidegger mit durchaus taktischen Absichten, auf die später zurückzukommen sein wird. Vorerst kann mit Blick auf Heideggers Sprachbegriff festgehalten werden, daß die Nichtung des Subjekts durch die voraussetzungslose Ubermacht der Sprache nur ein weiteres Element in der Choreographie der Verabschiedung subjektzentrierten Denkens ist. Der Heideggersche Sprachbegriff bleibt dabei aber eigentümlich leer, weil Heidegger durch die Ineinssetzung von Dichten - Denken - Sprache das spezifisch Trennende dieser Sageweisen nicht berücksichtigen kann und will. Ähnlich wie in seiner hermeneutischen Praxis zeigt sich auch hier Heideggers Tendenz zur Entropie: Das Subjektive wird durch die Sprache aufgesogen, die nun selbst spricht und zu ihrem eigenen Medium wird. In letzter Konsequenz ist die Sprache für Heidegger nicht mehr nur das alles überformende »Haus des Seins«, sondern wird in ihrem Wesen auf das Sein selbst zurückgeführt: Die Sprache entspringt dem Scyn und gehört deshalb zu diesem/ 7 0
Die Sprache entspringt und spricht für Heidegger aus einer ontologischen Quelle. Sie ist nicht auf den Menschen, sondern durch und durch auf das Sein bezogen. 27 ' Deswegen bezeichnet er sie als »das Verhältnis aller Verhältnisse. Sie verhält, unterhält, reicht und bereichert das Gegen-einander-über der Welt-
267 2i!S 269
270 271
62
Vgl. ebd., S.403. Vgl. S. Freud, Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, 1955, S. 1 1 . Zu den weitreichenden theoriegeschichtlichen Folgen dieser Position vgl. P.J. Brenner, Das Problem der Interpretation, Tübingen 1998, S. 1 1 7 . M. Heidegger, Beiträge, G A Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989, S. 501. Vgl. ebd.
gegenden«. 272 Heideggers Versuch, die Sprache von metaphysischen Trübungen zu reinigen und zu ihrem Wesen vorzustoßen, gipfelt in einem chiastischen »Leitwort«: Das Wesen der Sprache: die Sprache des Wesens. 273
In dieser formelhaften Wendung bringt Heidegger seinen eigenen Gedankengang und sein eigenes Unterwegssein zur Sprache in eine Abbreviatur: Die Formulierung vor dem Doppelpunkt ist als Frage nach dem Wesen noch der platonischen Tradition und damit der Metaphysik verpflichtet: Heidegger erklärt, daß das auf diese Weise als essentia verstandene Wesen in den Kategorien des Begriffs und der Vorstellung eingegrenzt wird. 274 Der Doppelpunkt deutet dagegen an, daß dasjenige, »was vor ihm steht, sich öffnet in das, was auf ihn folgt«. 27 ' Der Doppelpunkt ist das signum einer Kehrtwendung von der geläufigen Vorstellung der Metaphysik zu der von Heidegger vorgestellten geschichtlichen Grundstruktur des Wesens und seiner Sprache. Das Wesen ist für Heidegger nun ein »Zeitwort«, das sich anwesend und abwesend in der Sprache ausspricht. Die Sprache selbst ist nun ein Teil dieses Wesens, sie »eignet dem alles Be-wegenden als dessen Eigenstes«. 276 Vor diesem Hintergrund soll der Zusammenhang von Dichten und Denken noch einmal abschließend beleuchtet werden: Es wurde herausgearbeitet, daß Dichtung und Denken für Heidegger Bereiche sind, in denen das Sein zur Sprache gelangt. Hölderlins Dichtung sagt zwar nicht dasselbe wie Heideggers Denken, aber Hölderlin dichtet das »Selbe«, was Heidegger zu denken beansprucht. Die Möglichkeit einer Begegnung im Selben ist jedoch gebunden an die fortdauernde Verschiedenheit von Denken und Dichten. 277 So entsteht eine Konstruktion von changierender Gegensätzlichkeit, in der Denken und Dichten in ihrer Eigenart erhalten bleiben sollen, aber im Selben immer wieder zusammenfinden. Das Unterschiedene und Auseinandergehaltene weist in einen gemeinsamen Ursprung zurück, der aber nicht hervortritt. 278 Dieses dialektische Grundmodell wird von Heidegger in der Spätphase seines Denkens immer weiter ergänzt und relativiert. In dem Aufsatz >Das Wesen der Sprache< (1957/ 58) ist die ursprüngliche strenge Geschiedenheit von Denken und Dichten ab272 27J
274
Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, Stuttgart " 1 9 9 7 , S. 215. Ebd., S. 200. Der Chiasmus ist für Heidegger die syntaktische Form, in der er das Anliegen seines Denkens angemessen beschrieben sieht. In chiastischer Weise entfaltet Heidegger daher auch in den >Beiträgen< die Frage nach dem »Wesen der Wahrheit« und der »Wahrheit des Wesens«. Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989, S.288.
Vgl. > Vgl. 276 Vgl. 277 Vgl. 278 Vgl. 27
M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S.201. ebd., S. 200. ebd., S.201. M. Heidegger, »... dichterisch wohnet der Mensch ...«, '1997, S. 187. W. Anz, Die Stellung der Sprache bei Heidegger, 3 1994, S. 315.
63
geschwächt in eine »zarte, aber helle Differenz«, die beide unterscheidet. 279 Dichten und Denken sind nach Heidegger nicht in einer völligen Bezugslosigkeit voneinander getrennt, sondern schneiden sich wie Parallelen in einem unendlichen Punkt, einer Art »Niemandsland« des Wesentlichen, das die Differenz des dichterischen und des denkerischen Wesens aufhebt. Die Nähe, in der sich Denken und Dichten aufhalten, und die Heidegger als »Nachbarschaft« bezeichnet, ist das Ereignis des Seins. Mit dem Konstrukt einer vorgängigen Nachbarschaft der beiden Weisen des Sagens löst Heidegger die alte Rangstreitfrage zwischen Denkenden und Dichtenden. Wie ein deus ex machina soll diese Nachbarschaft das Getrennte wieder miteinander versöhnen und die Spannung der Polpaare neutralisieren. Dichter und Denker, die »nahe wohnen auf getrenntesten Bergen« 280 , treffen sich in ihren von Heidegger als »gleichursprünglich« und »nachbarlich« bezeichneten Weisen im Feld der Sprache. Dabei meint das Epitheton »gleichursprünglich« in der Heideggerschen Terminologie eine Eigenschaft, die irreduzibel, also nicht weiter ableitbar ist. Gleichursprünglichkeit und Nachbarschaft kennzeichnen ein den beiden Polpaaren analoges Moment: Beide Sageweisen sind in der Nähe des Seins und gehen seinem Wesen zur Hand, indem sie seine Wahrheit, jede auf ihre eigene Art und Weise, mitteilen. Dieses Wesen des Seins ist für Heidegger das »Selbe«, dem Denken und Dichten als verschiedene, aber gleichermaßen wahrheitsnahe Sageweisen unterstehen. Die nachbarschaftliche Zusammengehörigkeit in der grundlegenden Verschiedenheit, die inhaltliche Identität bei wesentlicher Differenz in der Aussageform kann als »ontologische Koexistenz« bezeichnet werden. Das gemeinsame Existieren im Sein oder, wie Heidegger es nennt, die Öffnung des Offenen 281 , vollzieht sich auf der gemeinsamen Grundlage der Sprache und schafft so eine Nachbarschaft, in der Emil Kettering die Voraussetzung der Zwiesprache von Dichter und Denker gesehen hat: Grundbedingung dieser Zwiesprache ist die Nachbarschaft von Dichten und Denken. Beide sagen das Selbe, nicht aber das Gleiche. Beide bewegen sich im gleichen Element: der Sprache. Nachbarschaft impliziert Gemeinsamkeit und Verschiedenheit, meint Identität im Sinne von Zusammengehören. 282
So erscheint verständlich, was Heidegger meint, wenn er sagt, daß das Selbe als Zusammengehören den Unterschied wahrt - Dichten und Denken verbleiben in ihrer wesenhaften Verschiedenheit, vereinen sich jedoch im ontologischen Status der Nähe ihres Aufenthaltes beim Sein:
179 280 281 282
64
Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 186. Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, Frankfurt a.M. ' 4 i992, S. 52. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd. 4, Frankfurt a.M. 1981, S. 103. E. Kettering, N Ä H E , Pfullingen 1987, S. 214.
Das dichtend Gesagte und das denkend Gesagte sind niemals das gleiche. Aber das eine und das andere kann in verschiedenen Weisen dasselbe sagen. Dies glückt allerdings nur dann, wenn die Kluft zwischen Denken und Dichten rein und entschieden klafft. 2 8 ' D e n k e n ist das »andere D i c h t e n « und D i c h t e n ist das »andere D e n k e n « - diese chiastische Q u i n t e s s e n z ergibt sich aus Heideggers M o d e l l der N a c h b a r s c h a f t der ausgezeichneten Weisen des Sagens. D e n k e n u n d Dichten erscheinen w i e z w e i Seiten einer Medaille, die geprägt ist im M ü n z s t o c k der G e s c h i c h t e v o n Verborgenheit und U n v e r b o r g e n h e i t des Seins. D i e Sprache der D i c h t u n g ist zugleich die Sprache des w a h r e n , also ursprünglichen Denkens. 2 8 4 D a s D e n k e n muß dichten und das D i c h t e n denken, ohne daß beide dabei ihre spezifische E i genart aufgeben d ü r f t e n , die in der ontologischen K o e x i s t e n z g e w a h r t bleibt. D a s G e m e i n s a m e dieser beiden Sageweisen entsteht gleichsam im D e n k e n u n d D i c h t e n ihrer D i f f e r e n z . E s ist gezeigt w o r d e n , daß Dichten u n d D e n k e n f ü r H e i d e g g e r aufeinander angewiesene Relate eines V e r w e i s u n g s z u s a m m e n h a n g s sind, in d e m spezifische K o n t u r e n und D i f f e r e n z m e r k m a l e unscharf w e r d e n und in R i c h t u n g des allein U r s p r ü n g l i c h e n und Wesentlichen v e r s c h w i m m e n . In diesen Kreislauf seines D e n k e n s hebt H e i d e g g e r auch das Dichten H ö l d e r l i n s , das ihm, w i e sein eigenes D e n k e n , als das »Einfachste und H ö c h s t e « erscheint, »weil es den B e z u g des Seins z u m M e n s c h e n angeht«. 2 8 ' H a n n a h A r e n d t hat mit B l i c k auf die Spätphilosophie Heideggers darauf hingewiesen, daß H e i d e g g e r das D e n k e n entsubjektiviert und es z u einer F u n k t i o n des Seins umwertet, indem er ihm sein Subjekt, den M e n s c h e n als animal
rationale,
nimmt. 2 8 6 D i e s e r P a r a d i g m e n -
w e c h s e l unter ontologischem Vorzeichen, der die grundlegende Sichtweise v o n einem k o n k r e t e n S c h ö p f e r s u b j e k t in der Sprache ersetzt, ist genauso gültig f ü r das D i c h t e n . H e i d e g g e r w i r f t d e m »modernen Subjektivismus« vor, dieser habe das Schöpferische i m m e r »im Sinne der genialen Leistung des selbstherrlichen Subjekts« mißdeutet. 2 8 7 V o r d e m H i n t e r g r u n d dieser tiefen Skepsis gegenüber der überlieferten G e n i e - Ä s t h e t i k entzieht H e i d e g g e r d e m D e n k e n u n d d e m D i c h t e n als Weisen menschlich tätigen H e r v o r b r i n g e n s ihr S u b j e k t , den M e n schen als denkendes u n d dichtendes Wesen. E r bestimmt D e n k e n u n d D i c h t e n als »ausgezeichnete Weisen des Sagens« und bringt sie so in die N a c h b a r s c h a f t der Wahrheit des Seins. 2 8 8 Alles, w a s der M e n s c h denkt o d e r dichtet, entspringt nicht seiner künstlerischen o d e r intellektuellen B e g a b u n g , sondern ist »die ge-
283 284
285 286 287 288
M. Heidegger, Was heißt Denken?, '1997, S. 132. Vgl. E. Heller, Thinking about Poetry. Hölderlin and Heidegger, Tübingen 1976, S. 170. Vgl. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 5. Vgl. H. Arendt, Vom Leben des Geistes, Bd. 2, München 2 i989, S. 166. Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 i994, S. 6}f. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 202.
65
horsame A n t w o r t auf den Ruf des Seins« 2 8 ', die D e n k e r u n d D i c h t e r als die »großen S c h a f f e n d e n « k r a f t ihres eigentlich erhöhten Daseins aus einem besonderen Seinsverhältnis heraus in Partnerschaft geben, weil sie derselben F r a g e gegenüber stehen. 2 9 0 D a s Sein macht die künstlerische Imaginations- und S c h ö p f e r k r a f t z u einem subalternen P h ä n o m e n : E s beherrscht als ontologisches G r u n d p r i n z i p die wesentlichen E b e n e n des sich aussprechenden Daseins und entwertet dessen Elementarbegriffe zu reinen E m a n a t i o n e n des Seins, a u f gehoben u n d b e w a h r t im Schaffen und in den Sprachen der D i c h t e r und D e n ker. B e d a A l l e m a n n hat in seiner Studie »Hölderlin u n d Heidegger< ( 1 9 5 4 ) die P r o b l e m a t i k der Unterscheidung v o n Dichten und D e n k e n a u f g e g r i f f e n und herausgearbeitet, daß im Bereich logischer D i s t i n k t i o n e n der Vergleich des Verschiedenen, e t w a der Dichtung Hölderlins mit d e m D e n k e n H e i d e g g e r s , durchaus m ö g l i c h ist. I m Bereich des E i n e n u n d Selben j e d o c h , den H e i d e g g e r als das » O f f e n e « der Wahrheit des Seins bestimmt, trägt diese D i f f e r e n z i e r u n g nicht mehr, s o n d e r n w i r d aufgehoben in einer ursprünglichen Einheit des D e n kens an das Selbe u n d des Dichtens dieses Selben, die v o r der M e t a p h y s i k und der ihr eigenen L o g i k ansetzt. 1 ' 1 Heideggers D e n k e n des D i c h t e r w o r t e s u n d seine daraus entfaltete Dichtungstheorie stehen daher in einem untrennbaren Z u s a m m e n h a n g mit der V e r w i n d u n g der M e t a p h y s i k . D i e D i c h t u n g ist nach A l l e m a n n s A u f f a s s u n g deshalb sogar schon in >Sein u n d Zeit< als Beleg des Seins in den B l i c k genommen. 2 ' 2 D o c h die Basis, auf der Heidegger die Gegensätzlichkeit v o n Dichten und D e n k e n a u f b a u t , ist zu brüchig, u m als F u n d a m e n t f ü r eine Dichtungstheorie v o n allgemeiner B e d e u t u n g herhalten zu k ö n n e n . S o bleibt der Unterschied, den H e i d e g g e r z w i s c h e n den seinsnahen Weisen des D i c h t e n s und des D e n k e n s geltend z u machen versucht, m e r k w ü r d i g d i f f u s , o b w o h l gerade hier b e g r i f f l i che K l a r h e i t v o n n ö t e n wäre. Heidegger k o m m t i m m e r w i e d e r auf das Selbe zu sprechen, das n u r gesagt werden kann, w e n n der Unterschied zwischen D e n ken und D i c h t e n bedacht wird. D o c h gerade in dieser D i a l e k t i k bleibt die spezifische D i f f e r e n z undifferenziert: Handelt es sich u m eine rein äußerliche D i f f e r e n z z w i s c h e n D i c h t e n und D e n k e n , soll diese D i f f e r e n z die G r e n z e der G a t t u n g s f o r m e n bilden o d e r geht es u m einen Unterschied in der ontologischen R e i c h w e i t e ? H e i d e g g e r löst seinen L e t z t b e g r ü n d u n g s a n s p r u c h , der die gemeinsame, »gleichursprüngliche« Wurzel v o n D i c h t e n u n d D e n k e n z u erkennen v o r g i b t , nicht ein. D i e reine u n d entschiedene K l u f t 2 " , die f ü r ihn z w i s c h e n
289
Vgl. Vgl. 2.1 Vgl. 2 2 ' Vgl. Vgl. 2.0
66
H. Arendt, Vom Leben des Geistes, Bd. 2, München ^ y S y , S. 166. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 53. B. Allemann, Hölderlin und Heidegger, Zürich/Freiburg i.Br. '1956, S. 102. ebd., S. 86ff. M. Heidegger, Was heißt Denken?, "1997, S. 132.
Dichten und Denken besteht, soll als imaginäre Grenzlinie einem Identitätsverlust und der Selbstauflösung der beiden Sageweisen vorbeugen. Dabei faßt Heidegger die spezifische Differenz von Dichten und Denken aber nicht terminologisch, sondern behauptet sie ohne nähere Definition als Voraussetzung der Nachbarschaft zum Selben. Heidegger vergibt die Möglichkeit einer begrifflichen Bestimmung dadurch, daß er Dichten und Denken als Prämissen je mit dem Anspruch der Unmittelbarkeit ausstattet. D a Dichten und Denken dieses Unmittelbare zwar mitzuteilen, nicht aber zu erklären haben, bleibt f ü r ihn auch die Bestimmung desjenigen, was sie unterscheidet, eine subjektive Leistung, die vor der objektiven Valenz des Unmittelbaren, die Heidegger fortwährend behauptet, obsolet erscheint. D u r c h die ontologische Amalgamierung von Dichten und Denken in der Sprache gibt Heidegger nicht nur ein ordnendes Prinzip aus den Händen, sondern entledigt sich der kritischen A u f g a b e der Philosophie, wie sie Blumenberg beschrieben hat: Wenn aber die Sprache in dieser Weise den Spielraum der Möglichkeiten und U n m ö g lichkeiten des Denkens präformiert, dann muß sich die kritische A u f g a b e der Philosophie darauf richten, den Uberschuß der Sprache über das reelle, verifizierbare, zu rechtfertigende D e n k e n methodisch aufzudecken . , . 2 ' 4
Heidegger selbst bekennt angesichts der vollzogenen A u f l ö s u n g schließlich in seinem zweiten George-Vortrag, daß die Nachbarschaft von Dichten und D e n ken eine offene Frage bleibt: Wir finden uns ratlos zwischen zwei durchaus verschiedenen Weisen des Sagens. 2 ' 5
Wie schwer es Heidegger gefallen sein muß, die rätselhafte Beziehung des Vereint-Geschiedenen von Denken und Dichten nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Sprache zu verdeutlichen und schlüssig zu begründen, läßt sich nur ahnen. Der Verzicht auf begriffliche Trennschärfe führt schließlich auch Heidegger an den Rand der Sagbarkeit. So klingt sein Versuch einer Explikation in dem N a c h w o r t zu der Schrift >Was ist Metaphysik?< wenig überzeugend und fast ratlos: Wie freilich, aus dem Wesen des Seins gedacht, das Dichten und das D e n k e n und das D a n k e n zueinander verwiesen und zugleich geschieden sind, muß hier o f f e n bleiben.2'6
2.2.1 D i e Zwiesprache als hermeneutische Strategie N a c h d e m in einem ersten Schritt Heideggers Aussagen über das Dichten und D e n k e n mit Blick auf den dahinterstehenden Begriff von Sprache zusammen-
294
H . Blumenberg, Wirklichkeiten in denen w i r leben, Stuttgart 1996, S. 1 3 9 . " M . Heidegger, D a s Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 195. 2,6 M . Heidegger, Was ist Metaphysik?, F r a n k f u r t a . M . ' 1 9 5 1 , S.46 [ N a c h w o r t ] , 2
67
gestellt und erläutert wurden, soll nun in einem zweiten Schritt Heideggers Interpretationsweise von poetischen Texten, die Zwiesprache, davon abgehoben werden. Die Zwiesprache ist als genuines Auslegungsverfahren Heideggers der Brennpunkt seiner ästhetischen und hermeneutischen Überlegungen, zugleich aber in ihrer hermeneutischen Konfiguration angeblich auch ein Rätsel, das nie abschließend beantwortet werden kann: Man kennt wohl manches über das Verhältnis der Philosophie und der Poesie. Wir wissen aber nichts von der Zwiesprache der Dichter und Denker, die »nahe wohnen auf getrenntesten Bergen«. 2 ' 7
Die Zwiesprache spannt sich auf in der Relation von Dichten und Denken. Dabei bleiben die Bemerkungen Heideggers zum Verhältnis von Dichten und Denken, wie oben gezeigt, mit ihren Elementarbegriffen »Nachbarschaft« und »Gleichursprünglichkeit« in einem oftmals widersprüchlichen und daher heiklen Bereich der Abstraktion, der als ontologische Koexistenz gefaßt werden kann. Das Konzept der Zwiesprache zeichnet sich im Kern dadurch aus, daß es die konfligierenden Wahrheitsdiskurse von Denken und Dichten miteinander verschmilzt und die abstrakten Reflexionen in die Form einer Lesart bringt, die Heidegger zum Paradigma der Textpraxis schlechthin erhebt. Im folgenden soll nachgezeichnet werden, wie das Gedankengebäude, das Heidegger auf dem Fundament der ontologischen Koexistenz von Dichten und Denken aufrichtet, eine strukturelle Entsprechung und konkrete Anwendbarkeit in der hermeneutischen Strategie der Zwiesprache findet. Heidegger verfolgt damit zwei Ziele: Er will einerseits eine innere Wahrheit, die er der Dichtung zuschreibt, erschließen und andererseits sein Vorgehen vor den Einwänden der philologischen Methodik rechtfertigen. Schließlich ist die Analyse des Heideggerschen Interpretationsansatzes auch deshalb wichtig, weil sich an ihr am Ende die Eigenart einer möglichen Poetologie Heideggers enthüllen wird. Dabei soll gezeigt werden, wie Heidegger seine Erläuterungen selbst in Frage stellt und so das Auslegungsgeschehen zum Paradigma der Verwindung von Metaphysik stilisiert. Heideggers Zwiesprache mit den Dichtern Hölderlin, Rilke, Trakl und George fügt sich in den Kontext seiner weitgestreuten Kunstreflexionen ein. Dieses Nachdenken über Kunst und insbesondere Dichtung hat, wie bereits gezeigt wurde, »kein aphoristisches Aroma«. 2 ' 8 Heideggers ästhetische Uberlegungen ziehen sich vielmehr wie ein roter Faden durch den ambivalenten Zusammenhang von Sein, Dichtung und Philosophie, der sein Denken grundsätzlich kennzeichnet. Die Zwiesprache bildet im Bereich der Kunst den hermeneutischen Horizont von Heideggers seinsphilosophischen Überlegungen,
297 2,8
68
Ebd., S. 51. Vgl. W. Perpeet, Heideggers Kunstlehre, 4 1994, S. 217.
wobei die Grenzen hier fließend sind. Grundsätzlich ist die Zwiesprache ein Gespräch zwischen Dichter und Denker, die in einem wechselseitigen Austausch über das »Selbe« reflektieren. Sie wird ermöglicht durch das ausgezeichnete und ursprüngliche Verhältnis, das Dichten und Denken zur Sprache, dem Aufenthaltsort des »Selben« als der Offenheit des Seins, unterhalten. Die Zwiesprache wird so zum Ereignis des Seinsgeschicks, mit dem ein ursprünglicheres Denken und ein ursprünglicheres Dichten den Abstieg aus der Metaphysik vorbereiten. 2 " In diesem Anspruch, die Nähe einer neuen Unmittelbarkeit erschließen zu können, fordert sie die Wissenschaft heraus und gelangt zu Aussagen, die für Literaturwissenschaft und Philosophie gleichermaßen anstößig erscheinen müssen: Sie [die Z w i e s p r a c h e , A n m . d. Verf.] gilt der literarhistorischen F o r s c h u n g unvermeidlich als ein unwissenschaftliches Vergewaltigen dessen, was jene f ü r die Tatsachen hält. D i e Z w i e s p r a c h e gilt der Philosophie als A b w e g in die Schwärmerei. A b e r das Geschick zieht um solches unbekümmert seine B a h n . ' 0 0
Die Zwiesprache, die auf die »Bahn der Geschichte des Seins«' 0 1 führt, wird von Heidegger als eine Form der eigentlichen Aneignung gesehen, die sich in einem antagonistischen Verhältnis zu jeder rationalen und wissenschaftlichen Interpretation befindet, weil sie, verortet im Seinsgeschick, eine Destruktion auf die ursprünglichen Erfahrungen vollzieht und damit ihr Teil zu dem Projekt beisteuert, das als »Überwindung des herkömmlichen Denkens« oben bereits behandelt worden ist. Heidegger sieht sich mit der Zwiesprache im Besitz einer hermeneutischen Position, die ihres subjektiven Charakters dadurch enthoben ist, daß ihre Betrachtungen über das bisherige Denken hinaus in den Bereich des wesentlichen Denkens gelangt sind. In der Zwiesprache mit dem Dichter übernimmt der Denker daher die Aufgabe, das anfänglich Gedichtete neu zu erschließen, und zwar dergestalt, daß sich das Sein des Seienden im Gesprochenen selbst zu denken gibt. 302 Der eigentliche Sinn und Zweck der Interpretation ist daher für Heidegger die Bewahrung einer ursprünglichen Wahrheit, die zum Beispiel in Hölderlins Gedichten aufscheint, aber wieder in die Verborgenheit zurückweicht, wenn sie nicht von der Zwiesprache erschlossen wird. Es lassen sich damit vier Aspekte zusammenfassen, die für Heideggers Verständnis der Zwiesprache konstitutiv sind: i . Die Erörterung von Gedichten ist für Heidegger grundsätzlich eine »denkende Zwiesprache mit dem Dichten«.' 0 ' In dieser hermeneutischen Inner2,9 500 301 302 303
V g l . H . J . S c h r i m p f , Hölderlin, Heidegger und die Literaturwissenschaft, 1977, S. 246. M . Heidegger, W o z u D i c h t e r ? , 7 1 9 9 4 , S. 274. V g l . ebd., S . 2 7 3 . V g l . P . B . K r a f t , D a s anfängliche Wesen der Kunst, F r a n k f u r t a . M . 1984, S. 55. V g l . M . H e i d e g g e r , D i e Sprache im Gedicht. Eine Erörterung v o n G e o r g Trakls G e dicht, " 1 9 9 7 , S. 39. 69
lichkeit distanziert sich die Zwiesprache von jeglicher kontextuellen Einordnung von Dichtung, »sie stellt weder die Weltansicht eines Dichters dar, noch mustert sie seine Werkstatt.« 304 2. D i e Zwiesprache ist das Feld der Begegnung des Denkens mit dem Dichten, weil beiden ein »ausgezeichnetes, wenngleich je verschiedenes Verhältnis zur Sprache eignet«. 305 3. Die Zwiesprache ist f ü r Heidegger der einzige Weg der hermeneutischen B e fragung von Dichtung mit dem Ziel, »das Wesen der Sprache hervorzurufen, damit die Sterblichen wieder lernen, in der Sprache zu wohnen.« 3 0 0 4. D i e Zwiesprache ist eine Herausforderung der Literaturwissenschaft und fügt sich als solche ein in das Großprojekt der Verwindung der Metaphysik.3^ Bereits diese skizzenhaften Beschreibungen machen deutlich, daß Heideggers Zwiesprache nicht als streng normative Methodik der Auslegung gesehen werden kann. V o m wissenschaftstheoretischen Standpunkt gesehen ist dem Interpretationsansatz der Zwiesprache sogar ein methodologisches Defizit vorzuwerfen, denn Heidegger hat sein Verfahren weder explizit dargelegt noch in Thesenform gebracht, sondern nur - und zudem häufig genug bildlich - beschrieben. D i e Interpretationsweise, aus der Heideggers Erläuterungen ihre Resultate gewinnen, ist deshalb keine »Methode«, wenn darunter die formale Seite der Wissenschaft und der Weg verstanden wird, auf dem Wissenschaft ihre Erkenntnisse und Inhalte gewinnt. Bei Heidegger bleibt dasjenige, was zwischen der hermeneutischen Voraussetzung und den tatsächlichen Ergebnissen liegt, ein weißer Fleck: D a s Kontaktglied zwischen These und Resultat, ein methodisch-argumentatives Verfahren als verifizierbarer und nachvollziehbarer G a n g der Erkenntnis, fehlt in der Zwiesprache.' 0 8 Unter der Voraussetzung aber, daß Heidegger mit seiner Auslegung auf die Frage nach dem Sein in seiner geschichtlichen Grundstruktur zurückgreift und damit einem ureigenen philosophischen Anliegen folgt, offenbart sich in seinen Erörterungen von Dichtung ein konsistentes poetologisches Modell, das einer eigenen hermeneutischen Gesetzmäßigkeit gehorcht: I m Unterschied zu den Methoden der historischen Philologie, die ihre eigene A u f g a b e hat, steht ein denkendes Zwiegespräch unter anderen G e s e t z e n . 3 0 ' 304 305
'o6 307
308
305
7°
Vgl. ebd. Vgl. ebd., S . 3 8 . Vgl. ebd. A u f diesen A s p e k t hat Schrimpf hingewiesen. Vgl. H . J . S c h r i m p f , Hölderlin, Heidegger und die Literaturwissenschaft, 1977, S.240; 2 4 8 - 2 5 3 . Vgl. K . W e i m a r / C . J e r m a n n , »Zwiesprache« oder Literaturwissenschaft? Z u r R e v i sion eines faulen Friedens, 1984, S. 1 2 1 . M . Heidegger, K a n t und das Problem der Metaphysik, G A B d . 3, F r a n k f u r t a . M . 1 9 9 1 , S . X V I I [ V o r w o r t z u r zweiten Auflage].
D i e s e eigene G e s e t z m ä ß i g k e i t des d e n k e n d e n Z w i e g e s p r ä c h s soll im weiteren im R a h m e n einer A n a l y s e näher b e s t i m m t w e r d e n . E s liegt auf der H a n d , daß die Interpretationsweise H e i d e g g e r s in einen K o n f l i k t mit anderen, literaturw i s s e n s c h a f t l i c h e n D e u t u n g s a n s ä t z e n gerät. H e i d e g g e r e n t w i r f t mit der Z w i e sprache eine hermeneutische Strategie der ontologischen B e f r a g u n g v o n D i c h t u n g 3 ' 0 , mit der er die E r g e b n i s s e aus der T h e o r i e g e s c h i c h t e der H e r m e n e u t i k hinter sich lassen möchte. D i e F r o n t s t e l l u n g z u r L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t , die H e i d e g g e r m i t d e r Z w i e s p r a c h e a u f b a u t , soll an dieser Stelle j e d o c h z u n ä c h s t z u r ü c k g e s t e l l t w e r d e n . S i e w i r d i m v i e r t e n K a p i t e l d i e s e r A r b e i t ein w i c h t i g e r G e g e n s t a n d der U n t e r s u c h u n g sein. E l e m e n t a r w i c h t i g f ü r die E r ö r t e r u n g v o n h e r m e n e u t i s c h e n M o d e l l e n u n d I n t e r p r e t a t i o n s v e r f a h r e n ist d i e F r a g e
nach
d e m T e x t v e r s t ä n d n i s , auf d e m sie a u f b a u e n . U m die Strategie d e r Z w i e s p r a c h e in d e n B l i c k z u b e k o m m e n , m u ß z u n ä c h s t H e i d e g g e r s T e x t v e r s t ä n d n i s als d a s F u n d a m e n t seines exegetischen G e b ä u d e s freigelegt werden. A u f diesem Wege soll H e i d e g g e r s B e z i e h u n g zu T e x t e n aus d e m B l i c k w i n k e l unterschiedlicher, aber für Heidegger grundlegender theoretischer Voraussetzungen
erarbeitet
werden.3'1
3,0
I m folgenden soll Heideggers Interpretationsverfahren mit dem Begriff »hermeneutische Strategie« oder »Strategie des Verstehens« gekennzeichnet werden. G r u n d l a g e dieser Kennzeichnung ist die Definition von H a b e r m a s , der im Bereich sprachlichen Handelns erfolgsorientierte H a n d l u n g e n »strategisch« nennt, w e n n sie »unter dem A s p e k t der B e f o l g u n g von Regeln rationaler Wahl« betrachtet werden können und die »Einflußnahme auf die Entscheidungen eines rationalen Gegenspielers« ansteuern. Vgl. J . H a b e r m a s , Theorie des kommunikativen Handelns, B d . 1, F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S. 38 D i e Terminologie des strategischen Handelns trifft z w a r nicht genau den K e r n des Heideggerschen Interpretationsverfahrens, weil sie eine methodologische N ä h e suggeriert, die Heideggers D e n k e n zu umgehen sucht. D e r Terminus » D i s k u r s « scheint in diesem Zusammenhang aber noch weitaus unglücklicher, da er gegen andere B e g r i f f e w i e »Text« oder »Methode« schwer abzugrenzen ist und in der aktuellen Diskussion dadurch häufig unbestimmt und inhaltsleer scheint. A u ß e r d e m eignet ihm ein Element des K o m m u n i k a t i v e n , das bei Heidegger, wie gezeigt werden w i r d , in dieser F o r m nicht zu finden ist. J e a n Bollack und H e i n z Wismann haben mit B l i c k auf Heideggers Heraklit-Interpretation als erste den Terminus einer exegetischen »Strategie« geprägt, die den A n s p r u c h auf philosophische Souveränität hegt, aber die D e f i zite der philologischen Arbeit dennoch nicht kompensieren kann. Vgl. J . B o l l a c k / H . Wismann, Heidegger der Unumgängliche, 1976, S. 1 1 5 ; 1 2 1 .
3
" D i e Darstellung bleibt im folgenden auf die A s p e k t e beschränkt, die einen direkten B e z u g z u m Heideggerschen Verstehen v o n Texten haben. F ü r eine globale und u m fassende W ü r d i g u n g bedarf es einer multiperspektivisch und diachron angelegten Untersuchung, die auch die methodische Disziplinierung der Auslegung als historisches P r o b l e m umfaßt. Ich verweise in diesem Z u s a m m e n h a n g auf die gedanklich weitausgreifende A r b e i t von P.J. Brenner, D a s P r o b l e m der Interpretation. E i n e E i n f ü h r u n g in die Grundlagen der Literaturwissenschaft, Tübingen 1998.
71
2.1.1.1
Text ohne Autor? Überlegungen zu Heideggers
Textverständnis
Wer die Stelle eines Autors »tiefer erklärt«, als sie gemeint war, hat den Autor nicht erklärt, sondern verdunkelt. Friedrich Nietzsche, Menschliches Allzumenschliches
Heideggers Deutung von philosophischen und poetischen Texten beruht auf einer subtilen Strategie des Verstehens, die sich auf die Spuren einer im Text aufgefundenen und mithin unangreifbaren Eindeutigkeit beruft. Dieses Zusammenspiel von Deutung und Textverständnis in der Zwiesprache bildet das Zentrum der Heideggerschen Beschäftigung mit Dichtung. Der Begriff »Textverständnis« kann bei Heidegger in seiner doppelten Bedeutung entfaltet werden: Zum einen sagt der Begriff Textverständnis, was ein Text im Ganzen seiner Verfaßtheit nach Heideggers Verständnis ist. Das ist die Sichtweise der Phänomenologie. Zum anderen meint Textverständnis aber auch die Art und Weise, wie und woraufhin ein Text nach Heideggers Auffassung verstanden werden sollte. Diese Fragen stellt die Hermeneutik. In Heideggers Beschäftigung mit dichterischen Texten durchdringen sich beide Sichtweisen und können in ihrer spezifischen Differenz nicht immer trennscharf auseinandergehalten werden. Die Untersuchung verzichtet deshalb darauf, Heideggers Textverständnis anhand dieser übergeordneten Leitkategorien oder »Disziplinen« zu untersuchen. Zur Klärung sollen im folgenden vielmehr vier Ebenen einer möglichen Strategie des Heideggerschen Textverstehens herausgearbeitet werden: i. z. j. 4.
Ebene: Ebene: Ebene: Ebene:
Selbstreferentialität Gewaltsamkeit der Auslegung Verschwinden der Auslegung Ahistorizität
Heideggers Frage nach dem richtigen Verständnis von Texten läßt sich nicht ablösen von dem hermeneutischen Grundproblem, welche Kriterien eine der Verständigung über Dichtung und Denken gemäße und zureichende Sprache zu erfüllen hat. 3 ' 2 Dabei bilden philosophische und poetische Primärtexte die Grundlage von Heideggers Versuchen, die Prinzipien eines angemessenen Verstehens aus seiner eigenen Philosophie heraus zu entwickeln. Eine frühe Problematisierung des Verstehens von Texten findet sich in der Marburger Vorlesung Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft* (1927/28). Die Zielsetzung dieser Vorlesung sieht Heidegger darin, ein »philosophisches Verständnis von Kants Kritik der reinen Vernunft zu gewinJ
" Vgl. B. Allemann, Denken, Dichten: Literaturtheoretisch, 1989, S.395. Allemann weist nicht ganz ohne Berechtigung darauf hin, daß die Literaturwissenschaft diese Fragestellung sogar mit Heidegger teilen könnte, wenn sie sich im Rahmen methodischer Diskussionen über ihre Grundbegriffe stärker mit dem Problem einer zureichenden Sprache für Philosophie und Dichtung beschäftigen würde.
72
nen, u n d das heißt p h i l o s o p h i e r e n zu lernen«.3'3 E i n e u n v e r z i c h t b a r e V o r a u s s e t z u n g d a f ü r ist d a s r i c h t i g e V e r s t e h e n d e s K a n t i s c h e n T e x t e s : K a n t recht verstehen heißt dann, ihn besser verstehen als er sich selbst verstand. ... Recht verstehen heißt demnach: es absehen auf das, was K a n t hat sagen wollen, und somit nicht bei seinen Beschreibungen stehen bleiben, sondern zurückgehen auf die Fundamente dessen, was er m e i n t . 3 ' 4 A u f f ä l l i g an d i e s e m G e d a n k e n g a n g ist, d a ß H e i d e g g e r d a s r i c h t i g e V e r s t e h e n e i n e s T e x t e s als e i n b e s s e r e s V e r s t e h e n k e n n z e i c h n e t . D i e s e s b e s s e r e V e r s t e h e n i s t n a c h s e i n e r A u f f a s s u n g n u r e i n e m I n t e r p r e t e n m ö g l i c h , d e r r i c h t i g liest: E i n s o l c h e r L e s e r sieht das U n g e s a g t e hinter der b l o ß e n B e s c h r e i b u n g u n d geht z u r ü c k auf die G r u n d l a g e n dessen, w a s der A u t o r eigentlich sagen w o l l t e . B e m e r k e n s w e r t ist, d a ß H e i d e g g e r h i e r e i n e n o f t z i t i e r t e n , a u f K a n t z u r ü c k g e h e n d e n hermeneutisch-philologischen
Imperativ
aufgreift, den beispielsweise
F r i e d r i c h S c h l e i e r m a c h e r in seiner A b h a n d l u n g > H e r m e n e u t i k u n d
auch
Kritik
Gespräch v o n der Sprache< ebenfalls auf die besagte A b h a n d l u n g Schleiermachers ein, um die D i v e r g e n z zwischen der Auslegungskunst, dem Auslegen selbst und seinem eigenen Ansinnen, das Wesen der A u s l e g u n g aus dem Hermeneutischen zu bestimmen, darzulegen. Heideggers B e m ü h u n g e n um das »Wesen« (von Sprache, Dichtung, Wahrheit, Auslegung) sind ein topisches Prinzip seines D e n k e n s und stehen in engem Z u s a m m e n h a n g mit dem Ziel, der abendländischen M e t a p h y s i k einen W e g in einen anderen A n f a n g zu weisen. V g l . M . Heidegger, A u s einem G e s p r ä c h v o n der Sprache, " 1997, S. 97.
315
3,6
G a d a m e r sieht in Chladenius den Begründer der hermeneutischen Einsicht, daß z w i schen dem Verständnis eines A u t o r s und dem Verstehen einer R e d e o d e r Schrift ein Unterschied existiert und d e m z u f o l g e »ein A u t o r den wahren Sinn eines Textes nicht selber zu erkennen brauche und daher der Interpret mehr verstehen könne und müsse als er«. Vgl. H . - G . G a d a m e r , Wahrheit und Methode, T ü b i n g e n ' 1 9 9 0 , S. 187; 3 0 1 . Brenner weist darauf hin, daß Chladenius' Skepsis gegenüber der Vorstellung, die Autorabsicht sei problemlos zu rekonstruieren, ein A n k n ü p f u n g s p u n k t f ü r die mit der Uneindeutigkeit des dichterischen Wortes operierende literarische Hermeneutik gewesen sei. Vgl. P.J. Brenner, D a s Problem der Interpretation, T ü b i n g e n 1998, S. 35.
73
thut, was er sehen und thun könte; so kann auch dem Verfasser auch etwas verborgen seyn, was gewisse Leser doch haben gedencken müssen ... 3 ' 7 D i e s e A n n a h m e hat innerhalb der hermeneutischen Theoriegeschichte weitreichende K o n s e q u e n z e n für das Verständnis der Rolle des Autors gehabt: D a sich die hermeneutische Achse vom A u t o r hin z u m Interpreten verlagert, ist der A u t o r letztlich nicht mehr alleiniger H e r r in seinem Textgebäude.'' 8 D e r B e griff des Autors, mithin ein »Zentralbegriff neuzeitlicher Literatur« 3 ' 9 und nach Foucault »le m o m e n t fort de l'individualisation dans l'histoire des idees, des connaissances, des litteratures, dans l'histoire de la philosophie« 3 2 0 , wird graduell hinterfragt. A n dieser Einschränkung auktorialer Autorität arbeitet bereits der frühe Heidegger mit, indem er verdeutlicht, daß der Verfasser selbst gebunden ist an außertextuelle Gegebenheiten wie Vorstellungen, Ideen, G e danken und Bedeutungen, auf die sein eigenes Meinen zurückgeht und die sein schöpferisches Selbst- und Sachverständnis konditionieren. I m Verlauf seines D e n k e n s unterzieht Heidegger seine Auffassung v o m A u t o r einer weiteren Radikalisierung: D e r A u t o r artikuliert als Medium einen Text, der ihm seinsgeschichtlich vermittelt ist, w o d u r c h seine »persönliche Sensitivität« in bezug auf den Text fast vollständig ausgelöscht wird. 3 2 1 D e r R a n g eines Denkens b e m i ß t sich für Heidegger jetzt darin, inwieweit ein D e n k e r als A u t o r das wesentlich Ungesagte des Seins zu präsentieren vermag oder durch rationalen Schein verstellt. 3 2 2 Das Ungesagte erhält eine hyperdimensionale B e deutung, die das tatsächlich Gesagte in den Hintergrund treten läßt; der A u t o r transmutiert zu einem Medium der »Hindurchgesprochenheit«.
A u f der
Grundlage dieser Verdrängung des Autors aus seinem Werk errichtet Heidegger den für sein D e n k e n zentralen hermeneutischen Ansatz, den er im Fortgang J 7
' J . M . Chladenius, Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften. Mit einer Einleitung von Lutz Geldsetzer, Düsseldorf 1969, S. 5 39. 3,8 Vgl. M. Wehrli, Vom Subjekt der Literaturgeschichte, 1990, S. 368. An dem Begriff des Autors entzünden sich seit einigen Jahren immer wieder heftige Debatten, die in ihrer Komplexität hier nicht wiedergegeben werden können. Jeremy Hawthorn hat die Diskussionslinien erläutert. Vgl. J. Hawthorn, Grundbegriffe moderner Literaturtheorie. Ein Handbuch, Tübingen/Basel 1994, S. 24. A m Rande vermerkt sei, daß sich auch in der Gegenwartsliteratur ein extrem reduziertes Autorbild und eine Aufwertung des Lesers finden, so etwa bei Hermann Lenz, der sagt: »... jedes Buch lebt nur durch den Leser und im Leser. Was der Autor sich beim Schreiben gedacht hat, mag vielleicht den und jenen interessieren, aber wichtig ist seine Meinung nicht.« Vgl. H . Lenz, Leben und Schreiben. Frankfurter Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1986, S. 24. ' ' ' Vgl. C. Pornschlegel, Der literarische Souverän. Zur politischen Funktion der deutschen Dichtung bei Goethe, Heidegger, Kafka und im George-Kreis, Freiburg i.Br. 1994, S. 10. 320 Vgl. M. Foucault, Qu'est-ce qu'un auteur?, 1994, S. 792. 321 Vgl. D. Moran, Die Destruktion der Destruktion, 1992, S. 299. 322 Vgl. R. Spaemann, Zur Einführung: Philosophiegeschichte nach Martin Heidegger, 1989, S.4. 74
seiner Beschäftigung mit Fremdtexten weiterentwickeln und noch verschärfen wird: Verstehen heißt für ihn von nun an, hinter dem unmittelbaren Sinn der vordergründigen Beschreibungen eines Textes auf den »tiefer« liegenden Ausdrucksebenen eine vom Autor ungesagte, unbekannte, ursprüngliche und wesentliche Botschaft zu finden. Durch die Ablösung vom vorgestellten Subjekt des Autors gewinnt der Text jedoch keine dauerhafte Autonomie als eigenständiger Sinnkörper, sondern wird mit der hermeneutischen Erwartungshaltung auf das Ungesagte hin erneut befrachtet und einem höchsten Zweck unterstellt. Nicht nur Heidegger, sondern auch die Hermeneutik hat sich in Teilen die Auffassung zu eigen gemacht, daß in einem Text gerade auch das Nicht-Gesagte, das sich nicht an der Oberfläche des Ausdrucks zeigt, von einem Leser als Akteur kooperativ hervorgehoben, ja als Bedeutung »generiert« und so »aktualisiert« werden muß. 323 Heideggers Interpretationsansatz weist jedoch über diese vergleichsweise moderate Position hinaus: Er erweitert die interpretative Kompetenz des Lesers von der möglichen Mitarbeit am Sinngeschehen hin zum Postulat eines tieferen Verstehens, das die in den Text eingeschriebene Intention des Autors überholt und übertrifft. Heidegger hat dieser Auffassung in einer späteren Reflexion im Vorwort zu der Textsammlung >Vorträge und Aufsätze< noch einmal besonderen Nachdruck verliehen und dabei auch seine eigene Rolle als Autor miteingeschlossen: I m vorliegenden Falle gilt es, sich w i e v o r d e m zu mühen, daß ... ein Bereich bereitet werde, aus dessen Spielraum her das Ungedachte ein D e n k e n beansprucht. E i n A u t o r hätte, wäre er dies, nicht auszudrücken und nichts mitzuteilen. 3 2 4
Das biographische und historische Gewicht des Autors schwindet vor der Aufgabe, dem Denken den Weg zum bisher Ungedachten zu ebnen. Heidegger minimalisiert den Beitrag des Autors zur Sinngestalt des Textes und löst das historisch gewachsene Autorkonzept 3 2 ' auf in einem »Spielraum«: Dieser Spielraum ist aber keinesfalls mit dem von Kant beschriebenen »Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen« 3 2 6 zu verwechseln, sondern meint vielmehr den Raum der reinen Unmittelbarkeit eines schlechthin Ungedachten, den Heidegger an anderer Stelle als »Zeit-Raum, zugehörig dem Wesen der Wahrheit als lichtendem Grund für die Verbergung« faßt. 327 Damit distanziert er seine Auslegung gleichzeitig von der kooperativen Reflexion über die Bedingungen
323
Vgl. etwa U . E c o , Lector in fabula, D i e Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, M ü n c h e n 2 1 9 9 4 , S.62.
324
M . Heidegger, V o r w o r t , ' 1 9 9 7 , S . 7 . Vgl. hierzu die erhellenden A u s f ü h r u n g e n v o n P.J. Brenner, D a s P r o b l e m der Interpretation, T ü b i n g e n 1998, S. 2 5 5 - 2 6 0 .
325
326 327
V g l . I. K a n t , Kritik der Urteilskraft, H a m b u r g 1 9 9 3 , S. 5 j f . V g l . M. Heidegger, Beiträge, G A B d . 65, F r a n k f u r t a . M . 1989, S. 377.
75
und Möglichkeiten seines Verstehens mit dem Ziel, zu einem ursprünglicheren O r t von Sinn und Bedeutung des Textes zu gelangen. 328 Gadamer hat sich durch Heideggers Textverständnis zu einer eigenen Position des Textverstehens anregen lassen. A u c h f ü r ihn erschöpft sich der Sinn eines Textes nicht in dem v o m Autor ursprünglich Gemeinten. D e r Sinn eines Textes ist in der F o r m historischer Uberlieferung durch ein nachfolgendes Verstehen besser zu erschließen - dieses nachkommende Verstehen ist der ursprünglichen Produktion des Textes deshalb prinzipiell überlegen, weil es den historischen Abstand der Uberlieferung als positive Verstehensmöglichkeit nutzt: D e r wirkliche Sinn eines Textes, w i e er den Interpreten anspricht, hängt eben nicht v o n dem O k k a s i o n e l l e n ab, das der Verfasser und sein ursprüngliches P u b l i k u m darstellten. ... D e n n er ist immer auch durch die geschichtliche Situation des Interpreten mitbestimmt und damit durch das G a n z e des objektiven G e s c h i c h t s g a n g e s . 3 2 '
Gadamer gründet das Besserverstehen - das nicht als »Besserwissen« des Interpreten, sondern als objektiver Wahrheitsgewinn gesehen werden muß - auf die produktive N u t z u n g des historischen Abstandes zwischen A u t o r und Leser: D e r zeitliche A b s t a n d ... läßt den wahren Sinn, der in einer Sache liegt, erst voll herauskommen.330
Heidegger bleibt dagegen f ü r seinen Anspruch, es gelte den A u t o r besser zu verstehen, als er selbst sich je verstehen kann, eine nähere Begründung schuldig. Seine Position erscheint deshalb in diesem isolierten Zusammenhang schwer verständlich, ja willkürlich. Heideggers hermeneutische Überschärfe in bezug auf die eigene Auslegung ist völlig blind für die Annahme einer AutorIntention, und sei es auch nur als einer approximativen Richtgröße der hermeneutischen Bemühungen. 3 3 ' Mit Recht hat der Heidegger nicht fern stehende 328
329
Weimar und J e r m a n n haben in bezug auf Heideggers Interpretationsstrategie sogar v o n einem »Verzicht auf hermeneutische R e f l e x i o n « gesprochen. D a s ist in der Tat ein entscheidendes M e r k m a l von Heideggers Auslegungen: H e i d e g g e r bricht mit der hermeneutischen Prämisse, die Voraussetzungen seiner Interpretation auf ihre G ü l t i g keit zu befragen und ihre Subjekthaltigkeit kritisch zu erwägen. V g l . K . W e i m a r / C . J e r m a n n , » Z w i e s p r a c h e « oder Literaturwissenschaft?, 1984, S. 1 3 4 f .
V g l . H . - G . G a d a m e r , Wahrheit und Methode, T ü b i n g e n '195)0, S. 3 0 1 . ° E b d . , S. 303. 131 H a n s - G e o r g G a d a m e r hat ebenfalls die einseitige R e d u z i e r u n g des literarischen W e r kes auf die A u t o r m e i n u n g als »hilflose Verkennung dessen, was Literatur ist«, bezeichnet. Vgl. H . - G . Gadamer, V o n der Wahrheit des Wortes, 1997, S. 130. A n anderer Stelle vermerkt G a d a m e r , daß Texte nicht als Lebensausdruck der Subjektivität des Verfassers verstanden werden dürfen. Vgl. H . - G . G a d a m e r , Wahrheit und M e thode, T ü b i n g e n ' 1 9 9 0 , S. 399. Gadamers A u f f a s s u n g ist zweifellos begründet, muß aber ergänzt werden: Eine um Ausgewogenheit und Angemessenheit des Urteils bemühte A u s l e g u n g darf die Intention des A u t o r s auch nicht völlig ignorieren. A u t o r w i e Interpret gehören z u m Text und können schwer v o n der A u s l e g u n g ferngehalten J3
76
Literaturwissenschaftler Beda Allemann Kritik an dieser »zu kecken hermeneutischen Meinung« geübt und darauf hingewiesen, daß es nicht nur darum gehe, den Autor besser zu verstehen, sondern seinen Text und die ihm eigene Sprechweise als Funktion im Text zu deuten.332 So wenig, wie ein oberflächlicher, auf den Autor ausgerichteter Biographismus zu einem fundierten Textverständnis beitragen kann, so unzureichend ist eine rein textbezogene und werkimmanente Interpretation, wenn sie es versäumt, den Text in einem Gefüge politischer, sozial- und problemgeschichtlicher Zusammenhänge zu sehen. Dabei ist der Text nicht nur als Medium der Widerspiegelung geschichtlicher Prozesse, sondern selbst als ein historischer Vollzug im literarisch-poetischen Gewand zu erörtern.333 Unter dieser Voraussetzung kann allein die Untersuchung der Beziehungen von Text, Kontext, Leser und Autor der literaturwissenschaftlichen Auslegung eine besondere Tiefenschärfe verleihen. Heideggers Äußerungen zum Autor-Problem sollen im folgenden exkursartig vertieft und in einen größeren rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhang gebracht werden. Kafka rechtfertigt sich in einem Briefentwurf an den Vater mit der Selbstbeschreibung, daß »ich nichts anderes bin als Literatur und nichts anderes sein kann und will«. 334 Diese knappe Bemerkung aus Kafkas Tagebuch wird häufig als Beleg dafür herangezogen, daß die Autorschaft für ihn - und pars pro toto damit für die Literatur der Moderne - nicht einmal mehr ein Problem, sondern bereits absolut sekundär ist. Tatsächlich scheint der Akt des Schreibens als solcher für Kafka zur individuellen Erfüllung und alleingültigen Existenzlehre geworden zu sein, denn: »Alles, was nicht Literatur ist, langweilt mich und ich hasse es.«33S Kafka ist neben Musil oder Beckett jedoch nur ein Beispiel dafür, daß das Konzept des schöpferischen Subjekts, das über lange Zeit als anthropologische Konstante das literarische Schaffen normierte, in der Literatur der Moderne in theoretischer Belanglosigkeit versinkt. Die Selbstauflösung des Autors, der mit seinem Werk verschmilzt und damit seine eigene Identität auslöscht, scheint in der Nachfolge Nietzsches für eine Vielzahl von Geistesgrößen in Philosophie und Kunst ein attraktives ästhetisch-ethisches Konzept gewesen zu sein, sich von der Vorherrschaft der Subwerden. Der Nachvollzug des vom Autor Gemeinten ist für den Interpreten, der sich mit Umsicht auf dem schwankenden Boden der Auslegung bewegt, ein hilfreicher Handlauf auf dem Weg zur Erschließung des Textsinns. Insofern kann, wie Norbert Mecklenburg verdeutlicht hat, in der Intentionalität eines poetischen Textes oder der Intention seines Autors eine »regulative Idee« gesehen werden, die »das Bemühen der Interpretation, den Sinn eines Textes zu ermitteln, objektivieren hilft«. Vgl. N . Mecklenburg, Kritisches Interpretieren. Untersuchungen zur Theorie der Literaturkritik, München 1972, S.91. 332 333 334 335
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
B. Allemann, Denken, Dichten: Literaturtheoretisch, 1989, S. 396. ebd., S.401L F. Kafka, Tagebücher 1 9 1 0 - 1 9 2 3 , Frankfurt a.M. 1976, S.233. ebd., S.234.
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jektivität zu befreien und nach transindividuellen Sinnentwürfen zu suchen. 3 3 6 D i e im Grenzgebiet von Literatur und Philosophie geborene Vorstellung v o m Autor, der sich seinem Werk opfert, ist beispielsweise von Maurice Blanchot theoriegeschichtlich neu inszeniert worden. 3 3 7 In seinen Essays bringt Blanchot den Vorgang des Schreibens mit dem Sterben in Verbindung und bereitet dadurch dem erst im Poststrukturalismus zu voller Blüte gelangten Begriff v o m »Tod des A u t o r s « einen geistigen Nährboden. In seinem Essay >Der zufriedene Tod< (1952) vertritt Blanchot die A u f f a s s u n g , der Schriftsteller schreibe, um sterben zu können, und er erhalte sein Schreibvermögen eben durch sein v o r weggenommenes Verhältnis zum Tode. 3 3 8 Dieses »Schreiben zum Tode« scheint die Berufskrankheit aller großen und schöpferischen Autoren der Moderne zu sein. Die literarische Produktion ist der subjektiven Selbstbefragung enthoben: »Man kann gewiß schreiben, ohne sich zu fragen, w a r u m man schreibt.« 339 In diesem Punkt hat Blanchots Standpunkt auch auf Foucault abgestrahlt und ihn in seinem A u f s a t z >La pensee du dehors< zu der respektvollen Bemerkung veranlaßt, Blanchot halte sich in seinem Werk »hors de toute subjectivite pour en faire surgir comme de l'exterieur les limites, en enoncer la fin, en faire scintiller la dispersion et n'en recueillir que l'invincible absence«. 340 Damit ist ein exklusiver Reflexionsschritt vollzogen, der mit der Subjektivität auch den empirischen A u t o r aus seinem Werk ausschließt. 34 ' D i e Verflüchtigung des Autors und seines Aussagewillens in der L i teratur der Moderne korreliert mit einer Vielzahl v o n philosophischen E n t w ü r fen gegen die »Machtergreifung v o n Rationalität«. 3 4 2 Heideggers A b w e n d u n g v o m Subjekt im Rahmen der Destruktion der Metaphysik findet deshalb einen deutlichen Niederschlag in seinen an der Dichtung erprobten poetologischen E n t w ü r f e n ; diese initiieren zugleich eine Denkbewegung, in deren hermeneuti336
337
V g l . dazu M . F r a n k , Die Unhintcrgehbarkcit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum anläßlich ihrer »postmodernen« Toterklärung, F r a n k f u r t a . M . 1986, S. ·){. H e r m a n n T i m m weist darauf hin, daß bereits f ü r die vorneuzeitliche Inspirationstop i k der T o d des A u t o r s als Sprechersubjekt einhergeht mit dem Sagen singulärer W o r t e und daß sich dieses Modell in der Goethezeit erneuert. Vgl. H . T i m m , D i e B o t schaft h ö r ich w o h l . . . Dichter-Theologie nach der A u f k l ä r u n g , 1986, S. 34L
3,8
V g l . M . Blanchot, D e r zufriedene T o d , 1 9 9 1 , S. 1 1 3 . 339 V g l . M. Blanchot, D i e Literatur und das Recht auf T o d , 1 9 9 1 , S. 1 1 . 340 341
341
Ζ»
V g l . M . Foucault, L a pensee du dehors, 1994, S. 5 2 1 . D e r T o d des A u t o r s im T e x t (Autor als poetologische Instanz) führt aber nicht z u m T o d des A u t o r s des Textes (Autor als historische Person). H i e r muß auch weiterhin sauber unterschieden werden. Das A u t o r - P r o b l e m ist nicht zuletzt dadurch entstanden und wissenschaftlich problematisch geworden, daß die Hermeneutik die F u n k tion des A u t o r s in der literarischen Kategorie, also als Erzähler oder lyrisches Ich, nicht als das Ergebnis der künstlerischen P r o d u k t i o n aufgefaßt, sondern mit dem realem A u t o r - S u b j e k t identifiziert hat. V g l . M. F r a n k , D i e Unhintcrgehbarkcit v o n Individualität, F r a n k f u r t a.M. 1986, S. 10.
scher A u s f o r m u n g die Souveränität des Autors zunehmend durch die Souveränität des Interpreten ersetzt wird. D e r A u t o r ist nicht mehr der unhintergehbare Bezugspunkt hermeneutischer Verfahren, an seine Stelle treten Text und L e ser. Diese Verlagerung leistete einen wichtigen Beitrag zur A u f w e r t u n g der Hermeneutik, bewirkte aber zugleich die zunehmende theoretische A b w e r tung schöpferischer Fähigkeit. Einen vorläufigen und paradigmatischen E n d punkt dieser Denkbewegung bilden die Reflexionen Foucaults über den A u tor-Begriff, die er in seinem 1969 bei der >Societe Fran^aise de Philosophie* gehaltenen Vortrag >Was ist ein Autor?« niedergelegt hat. Foucault entfaltet seine Diskussion des Autor-Begriffs ausgehend von der Beckettschen Maxime des »Wen kümmert's, w e r spricht« 343 und leitet daraus die Feststellung ab, daß das Schreiben sich aus dem Bannbereich des Ausdruckshaften gelöst und in eine neue Selbstbezogenheit begeben habe. Diese Selbstbefreiung gleicht nach F o u cault aber auch einer Selbstauslöschung, weil dadurch ein R a u m eröffnet wird, »oü le sujet ecrivant ne cesse de disparaitre«. 344 D i e Stellung der Diagnose allein reicht aber nicht aus: Die Vermessung und nähere Bestimmung dieses desubjektivierten Raumes und der »fonctions libres que cette disparition fait apparaitre«, bilden das zentrale Interesse Foucaults. 3 4 5 B e v o r er zur eigentlichen Bestimmung des Autor-Begriffs gelangt, referiert Foucault die Positionen der Literaturwissenschaft bzw. Literaturkritik, die nach seiner Meinung den A u t o r als Gegenstand ihrer Reflexionen erst konstruiert haben. E r vermerkt, daß die auktoriale Konstruktion auf Regeln der Betrachtungsweise von Texten basiert, die im Wandel der Zeiten weitgehend unverändert geblieben sind und den Authentizitätskriterien des Hieronymus und damit letztlich der christlichen Exegese sehr nahestehen: Ein A u t o r wird demnach definiert als »niveau constant de valeur«, als »champ de coherence conceptuelle ou theorique«, als »unite stylistique«, als »moment historique defini et point de rencontre d'un certain nombre d'evenements« und als »principe d'une certaine unite d'ecriture«. 34(i Diese Kategorien des Autor-Begriffs haben über Epochen hinweg die Souveränität des Autors, die Privilegiertheit, ja Heiligkeit seines Sprechens und seine Verfügungsgewalt über das geschaffene Werk garantiert. Diesen Bestimmungen stellt Foucault seine eigene Sicht der Dinge entgegen. Seiner Meinung nach ist es sowohl falsch, den Autor »du cöte de Pecrivain reel« als auch »du cöte de ce locuteur fictif« zu suchen, die Funktion A u t o r müsse gerade aus dem Bruch und der Distanz dieser Bestimmungen heraus bestimmt
343 V g l M. Foucault, Qu'est-ce qu'un auteur?, 1994, S. 792. 344 345 346
V g l . ebd., S . 7 9 3 . V g l . ebd., S.796. V g l . ebd., S. 8oif.
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werden. 5 4 7 D e r A u t o r besitzt nach Foucault eine »fonction classificatoire« und verlängert somit die innerweltlichen Ausschluß- und Eingrenzungsmechanismen in den Bereich der literarischen und literaturwissenschaftlichen Diskurse. 348 Der N a m e eines A u t o r s funktioniert wie eine A r t »Textmarker«, indem er an Textgrenzen drängt, an ihnen entlangfährt, sie zuschneidet und dadurch bestimmte literarische Diskurse in einer Gesellschaft erst hervorbringt, mit deren Rezeption er zwingend verbunden bleibt.' 49 Foucaults Resümee lautet: Wenn die Funktion des A u t o r s von so zentraler Bedeutung f ü r die Organisation und Zirkulation von Diskursen ist, dann ließe sich ausgehend v o m diskursiven Merkmal des Bezugs zu einem Autor eine Typologie oder auch eine historische Analyse der Diskurse verfertigen, die deren sich wandelnde Zuschreibungen, Wertungen und Verbreitungen anhand der Funktion des A u t o r s überprüft. 3 5 0 Diesen Gedanken greift Foucault an anderer Stelle ebenfalls auf: Wenn der A u tor als dasjenige definiert werden kann, »ce qui donne ä l'inquietant langage de la fiction, ses unites, ses noeuds de coherence, son insertion dans le reel«, dann erklären sich daraus auch die »difference de l'ecrivain« und die »singularite f o n damentale qu'il accorde depuis longtemps deja ä >l'ecritureAndenkcnErfahrung< des U n e n t scheidbaren,... die einen in die Politik treibt«. Critchley zieht daraus den Schluß, daß diese »nichtdekonstruierbare Bedingung der Möglichkeit der D e k o n s t r u k t i o n ... eine Verpflichtung auf Gerechtigkeit [ist], die sich in den B e g r i f f e n einer ethischen Beziehung zum A n d e r e n definiert, eine A n t w o r t auf ein Leiden darstellt, das eine unendli-
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D i e gewaltsame, sich gegen gängige Lesevorschriften wendende Lektüre Heideggers ist ein zentrales Element seiner hermeneutischen Strategie, entbehrt aber gleichwohl der methodischen Fundierung und rückt dadurch in die G r a u z o n e illegitimer Lesarten. Ernst Cassirer hat diesen Sachverhalt bereits früh erkannt und in der Auseinandersetzung mit dem Kant-Buch Heidegger entgegengehalten, daß dieser »nicht mehr als Kommentator« spreche, sondern als »Usurpator, der gleichsam mit Waffengewalt in das Kantische System eindringt, um es sich zu unterwerfen und um es seiner Problematik dienstbar zu machen«. 408 A u c h Hannah Arendt hat zu dem Vorwurf der Gewaltsamkeit in Heideggers Interpretationen Stellug bezogen. In einem Brief an H u g o Friedrich v o m ι J . J u l i 1953 finden sich hierzu aufschlußreiche Sätze: Was Ihnen wie Gewaltsamkeit erscheint, erscheint mir als die spezifische Lebendigkeit, nämlich in diesem im Werke selbst liegenden Raum sitzend, verschwindet der Unterschied zwischen Denken und Gedachtem, Dichten und Gedichtetem, genauso wie er ursprünglich, bei der Entstehung nicht vorhanden war. 40 ' Hannah Arendt trifft hier den Kern der hermeneutischen Strategie Martin Heideggers. Das Eindringen Heideggers in den Text ist von einem spezifischen Sinnbegehren geleitet, das die ursprüngliche perspektivische D i f f e r e n z von Dichten und Gedichtetem, Denken und Gedachtem in dem R a u m einer neuen Ursprünglichkeit auflöst. Arendt stellt Heidegger als einen idealen Leser vor, der die impliziten ursprünglichen Tendenzen des Textes restituiert, indem er die im Textgeschehen aufbrechende K l u f t überbrückt: Heidegger schmilzt die beiden perspektivischen Pole des Dichtens/Denkens (Autorperspektive) und des Gedichteten/Gedachten (Leserperspektive) zusammen, um daraus seine, auf eine ursprüngliche Einheit abstellende Strategie des Verstehens zu gewinnen. Die subjektive Lesart wird dem Gedichteten nicht übergestülpt, sondern geht in ihm in einer neuen Einheit auf. A u f diese Weise verschwindet die aus Sicht der Literaturwissenschaft gebotene diskursive Trennung von hermeneutischem und poetischem Text. D o c h Hannah Arendt bleibt in ihrer Schilderung des Heideggerschen Verstehensmodells nicht vorbehaltlos positiv. Sie erkennt, daß Heidegger die hermeneutische Achse v o m A u t o r hin zum Interpreten verlagert und merkt kritisch an, daß bei einem derartigen Vorgehen »>der Interpretierende< mehr G e wicht hat als das >InterpretiertegewaltsamDichtermut< u n d »Blodigkeit* die Sphäre des U n a u s g e s p r o c h e n e n das »Gedichtete« nennt, in d e m die Wahrheit der D i c h t u n g als ein eigentümlicher B e z i r k existiert u n d erschlossen w e r d e n kann u n d dessen E r m i t t l u n g »das rein methodische, ideelle
422
Vgl. T.W. Adorno, Parataxis, 1973, S.452. Adorno trennt sich jedoch dort von Heideggers Auffassung, wo er behauptet, daß der Wahrheitsgehalt der Kunstwerke nur durch philosophische Reflexion zu gewinnnen sei. Vgl. ders., Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. '1992, S. 193f£. Das hat Karol Sauerland mit Recht zu der Frage veranlaßt, ob Adorno damit nicht die Philosophie über die Kunst stelle. Vgl. K. Sauerland, Einführung in die Ästhetik Adornos, Berlin/New York 1979, S.25. Die möglichen Grundzüge einer hermeneutischen Verwandtschaft zwischen Adorno und Heidegger können hier nicht weiter erörtert werden. Deshalb sei auf einen Aufsatz von Sabine Wilke verwiesen, der Koinzidenzen und Divergenzen der Hölderlinkritik von Adorno und Heidegger herausstellt. Vgl. S. Wilke, Kritische und ideologische Momente der Parataxis: Eine Lektüre von Adorno, Heidegger und Hölderlin, 1987, S. 627-647. Weiterführend ist auch die umfassende Arbeit von Hermann Mörchen, der, nach einem Generaleinwand Adornos gegen Heidegger suchend, einen posthumen Dialog zwischen »Kritischer Theorie« und »Seinsphilosophie« eingehen will. Vgl. H. Mörchen, Adorno und Heidegger. Untersuchung einer Kommunikationsverweigerung, Stuttgart 1982, S. 48off. Vgl. außerdem den Aufsatz von A . Polti, Ontologie als »Inbegriff von Negativität«. Zu Adornos Interpretation der Philosophie Heideggers, 1989, S. 273-290.
423
Vgl. J. Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, Darmstadt 1991, S. 67; 92. Vgl. ebd., S.93. Vgl. F.D.E. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers, Frankfurt a.M. 1977, S. 328. Vgl. P.J. Brenner, Das Problem der Interpretation, Tübingen 1998, S.4jf.; 116.
424 425
42i
96
Ziel« des Interpreten sein muß. 427 Heidegger nennt später in bemerkenswerter Analogie zu Benjamin in seiner Erläuterung der Hölderlin-Hymne >Andenken< die »dichterische Wahrheit« ebenfalls das »Gedichtete«, das er strikt abgesetzt wissen will vom bloßen Inhalt eines Gedichtes. 428 Heideggers Strategie des Verstehens geht davon aus, daß hinter dem Wortund Textsinn eines Sprachgebildes verborgen eine autonome Wahrheit existiert, die im Rahmen eines künstlerischen Geschehens entstanden ist, aber keine individuellen Züge trägt. In besonderer Weise ist Hölderlin für Heideggers exegetisches Verfahren der Dichter dieses Nichtexpliziten, des Ungesagten, dessen »rufendes Wort« noch ungehört 1st.429 Am Beispiel der Hölderlin-Interpretationen wird deutlich, daß Heidegger in seinem hermeneutischen Verfahren jedoch noch einen weiteren radikalen Schritt vollzieht. Im Vorwort zu den >Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung' erklärt er, worin der Weg seines Verstehens schließlich endet: Das Ziel der Erläuterung besteht nach seiner Auffassung darin, sich selbst überflüssig zu machen und damit »vor dem reinen Dastehen des Gedichtes« zu verschwinden. 430 Heidegger bestimmt damit den Punkt, an dem die denkerische Auslegung offenbar umschlägt in die größtmögliche Selbstentäußerung des Interpreten. Doch das, was Heidegger hier zu trennen scheint, ist bei näherer Betrachtung ein Ineineinanderfließen von Deutung und poetischem Text. Der autonomen, gewaltsamen Lektüre des Interpreten folgt in der seinsphilosophischen Anverwandlung die ontologische Metamorphose des Gedichtes zum poetischen Substrat des »reinen Dastehens«, hinter das die Erläuterung zurücktreten muß. Damit zeigen sich die Umrisse des in der Heideggerschen Auslegung waltenden Prinzips, durch das die Differenz von Deutung und Gedeutetem bzw. der von Hannah Arendt beschriebene Unterschied von Denken und Gedachtem, Dichtung und Gedichtetem aufgelöst werden. Aleida Assmann hat dieses Verfahren beschrieben: Wie die Wittgensteinsche Leiter, die man umstößt, w e n n man oben angelangt ist, soll man die A r b e i t der Interpretation vergessen, die einen ins Licht gesetzt hat. ... D i e Hermeneutik der ersten Phase stellt sich selbstbewußt ins Licht, die der zweiten Phase zieht sich schamhaft z u r ü c k . 4 3 '
Das ist in nuce die hermeneutische Strategie Heideggers. Sie operiert mit zwei Elementen: Einerseits mit der entmachtenden Subjektivität des gewaltsamen Lesers und andererseits mit der Selbstentmächtigung, die sich um den Willen
427
428 429 4JO 4,1
V g l . W. Benjamin, Z w e i Gedichte von Friedrich Hölderlin. >Dichtermut< - >BlödigkeitDer IsterGermanien< und >Der Rhein< noch vertieft werden. I m H i n b l i c k auf H e i d e g g e r s Strategie des Verstehens kann jedoch bereits festgehalten w e r d e n , daß der B e g r i f f » R u f «
4Si 487 488 489 490
Vgl. K . H . Bohrer, Der Ernstfall Heidegger, Basel 1998, S. ι γ ί . Vgl. M. Heidegger, >Der Ister«, G A Bd. 53, Frankfurt a.M. 1984, S.6. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S . 3 1 . Vgl. K.H. Bohrer, Der Ernstfall Heidegger, Basel 1998, S. 24. Bohrer wertet den Begriff »Ruf« als Nachhall der Terminologie von >Sein und ZeitSein und Zeit< erscheint der Begriff »Ruf« (des Gewissens) in der Tat ähnlich inhaltsleer und mitteilungslos wie in der Vorlesung über die Ister-Hymne: »Der Ruf sagt nichts aus, gibt keine Auskunft..., hat nichts zu erzählen.... Der Ruf entbehrt jeglicher Verlautbarung.« Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i993, S. 273. Auch Winfried Franzen ist der ideologischen Affinität einzelner Heideggerscher Termini nachgegangen. Am Beispiel von Heideggers früher Metaphysik-Vorlesung analysiert Franzen einzelne Textpassagen und findet in ihnen ein gedankliches Motiv, das dem Engagement Heideggers für den Nationalsozialismus vorgreift. Franzen macht zudem darauf aufmerksam, daß es zwischen >Sein und Zeit< und Heideggers Rektoratsrede eine auffällige Ubereinstimmung in Diktion und Vokabular gibt. Vgl. W. Franzen, Die Sehnsucht nach Härte und Schwere. Uber ein zum NS-Engagement disponierendes Motiv in Heideggers Vorlesung >Die Grundbegriffe der Metaphysik< von 1929/30, 1988, S. 82f.; 87. Es scheint sich bei den ideologischen befrachteten Begriffen Heideggers demnach doch um mehr als nur um bloßen sprachlichen Opportunismus zu handeln, wie Alexander Schwan meint. Vgl. A. Reif, Gespräch mit Alexander Schwan über Martin Heidegger, 1994, S. 522.
109
einen semantischen B e z u g zum » H ö r e n « erschließt, und sich damit als verbales Bindeglied zwischen der Dichtung und der externen Referentialität des Seins anbietet. D e r ausgezeichnete Charakter von Dichtung zeigt sich in Heideggers Blickwinkel damit nicht nur als »Berufung« oder »Sagen von«, sondern als ein » H ö r e n auf«: Dichten ist, bevor es ein Sagen im Sinne des Aussprechens wird, seine längste Zeit erst ein Hören. 49 ' Z u der These Heideggers, ohne H ö r e n k ö n n e es kein D i c h t e n geben, hat B l u menberg eine k ü h n e Antithese formuliert: Seine B e o b a c h t u n g , daß kein Sehen ohne D e n k e n möglich ist, bezeichnet Blumenberg als das »folgenreichste U r faktum der Philosophie«. Am Beispiel der H i m m e l s b e o b a c h t u n g gründet er seine Urgeschichte der Theorie auf die Annahme, daß die Prädominanz eines optischen Sensualismus die theoretische Aufmerksamkeit der Philosophen seit der Antike ausgebildet und geschärft habe. 4 ' 2 A n anderer Stelle macht B l u m e n berg die spezifische Differenz zwischen H ö r e n und Sehen noch deutlicher: Das Auge schweift umher, wählt aus, geht auf die Dinge zu, dringt ihnen nach, während das Ohr seinerseits von Schall und Wort betroffen und angegangen wird. Das Auge kann suchen, das Ohr nur ivarten.An Hans J o n a s spricht von einem »Adel des Sehens«, das sich deshalb z u m vorherrschenden Modell der Wahrnehmung entwickeln konnte, weil seine apperzeptive Leistung auf Simultaneität, Neutralisierung und D i s t a n z in der Darstellung mundaner Mannigfaltigkeit und Komplexität beruht. 4 9 4 Hannah Arendt betrachtet das H ö r e n im Gegensatz zum Leitsinn des Sehens als eine in der P h i losophiegeschichte seltene Metapher und verweist auf Heideggers Schriften als bemerkenswerte Ausnahme. 4 9 5 Ahnlich wie B l u m e n b e r g macht sie außerdem darauf aufmerksam, daß mit dem Sehen eine Aktivität verbunden ist, während dem H ö r e n ein M o m e n t der Untätigkeit, des Abwartens zuzufallen scheint. D a s H ö r e n setzt nach ihrer Uberzeugung im Gegensatz z u m Sehen ein empfangendes, also passives Subjekt voraus: Beim Hören ist der Wahrnehmende etwas oder jemand anderem ausgeliefert.49Der IsterAndenkenSein und Zeit< entfalteten Grundthese, daß das Sein kein unwandelbar und beständig Gegebenes, sondern im Gegenteil etwas Bewegtes und Geschichtliches ist, forscht Heidegger in der Sprache der Dichtung nach den Spurenelementen eines dynamischen Wahrheitsgeschehens. Die Erfahrung
1
126
D i e A n n a h m e eines höheren Waltens und die Unterscheidung regionaler O n t o l o gien, die an die scholastische Transzendentienlehre erinnert, findet sich bereits in >Sein und ZeitSein und Zeit< eine poetologische Perspektive herausgearbeitet und den Begriff der »Fundamentalpoetik« geprägt, jedoch keine weitere inhaltliche Analyse und Bestimmung dieses Begriffs geliefert.' Dezidiert hat sich auch Paul de Man geäußert, der in Heideggers Hölderlin-Interpretationen eine Ontologie des Poetischen in Gestalt einer Poetologie gesehen hat, allerdings die erforderliche inhaltliche Ausarbeitung dieser wichtigen These schuldig geblieben ist. 6 Christoph Jamme schließlich hat von einer Kunstphilosophie Heideggers gesprochen, die im Kern als praktische, also auch als politische Philosophie zu bezeichnen sei. 7
2 5
Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 146. Die klassische, aber für jede literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Heidegger nach wie vor wichtige Grundthese, daß sich Heideggers eigenes Denken an den Dichtungen Hölderlins entzündet und daß ihm der Dichter darin zum bloßen Vorwand wird, hat Else Buddeberg früh formuliert. Vgl. E. Buddeberg, Heidegger und die Dichtung, Stuttgart 1953, S.20.
4
Vgl. W. Perpeet, Heideggers Kunstlehre, '1994, S. 2 1 7 - 2 4 1 . Vgl. E. Staiger, Ein Rückblick, 3 1994, S. 244. 6 Vgl. P. de Man, Les exegeses de Hölderlin par Martin Heidegger, 1955, S. 801; 803. 7 Vgl. C. Jamme, »Dem Dichten vor-denken«. Aspekte von Heideggers »Zwiesprache« mit Hölderlin im Kontext seiner Kunstphilosophie, 1984, S. 210. s
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Beda Allemann dagegen hat es grundsätzlich abgelehnt, von Heideggers »Kunstlehre« zu sprechen, da Heidegger keine Lehre oder Doktrin entworfen habe, sondern vielmehr den Begriff von Kunst in seinem unmittelbaren Bezug zur Seinsfrage erhellen wollte. 8 Auch Peter B. Kraft hat darauf hingewiesen, daß Heidegger keine »explizite philosophische Begründung des Kunstschönen« gegeben hat. Sein Werk lege allenfalls Zeugnis davon ab, daß in der Moderne der unmittelbare philosophische Zugriff auf das Wesen der Kunst zum Problem geworden sei.' Der Querschnitt durch Heideggers Werk, so Kraft, lasse folglich an der Schnittfläche keine Kunst-Philosophie im engeren Sinne erkennen. 1 0 Krafts Beobachtung, daß Heideggers Interpretationen und Betrachtungen zur Kunst eine Sonderstellung in der Diskussion ästhetischer Fragen einnehmen, ist richtig, aber führt in dem hier angesprochenen poetologischen Zusammenhang nicht sehr viel weiter. Die vermeintliche Singularität - die im übrigen auch auf die ästhetischen Konzeptionen Adornos, Benjamins oder Ingardens zutrifft - verdankt sich der »Kehre« in Heideggers Denken, mit deren Vollzug er in den dreißiger Jahren die traditionellen Fragestellungen der Metaphysik und das ihnen anhaftende theoretisch-argumentative Inventar aufgibt, um sich nur noch von der Seinsfrage lenken zu lassen. In den tieferen Schichten der Arbeiten Heideggers über Kunst und vor allem über Dichtung finden sich jedoch Verästelungen und Querverbindungen zu Phänomenen der Philosophie- und Theoriegeschichte sowie zu zeitpolitischen Ereignissen. Diese häufig verborgenen Zusammenhänge sollen im Fortschreiten der Arbeit im Rahmen einer »Spurensicherung« aufgedeckt und näher analysiert werden, wenn Heideggers Nachdenken über Dichtung durch sie einen konstitutiven Impuls erhält. Eine der Thesen der vorliegenden Arbeit ist, daß es sinnvoll und geboten erscheint, von einer konsistenten Kunstphilosophie, ja sogar von einer Poetologie Heideggers zu sprechen. Die Arbeit folgt damit dem Ansatz Paul de Mans und schließt sich dem jüngst von Karl-Heinz Bohrer geäußerten Gedanken an, in Heideggers Hölderlin-Exegese enthülle sich der »Ansatz zu einer selbstreferentiellen Dichtungstheorie ... als eine kaum verborgene Ontologie«.' 1 Vor diesem Hintergrund steht die Auffassung Krafts, jeder Versuch, kunsttheoretische Phänomene aus Heideggers Denken zu isolieren, führe zwangs-
8
V g l . B . Allemann, Heideggers Begriff der K u n s t , ^ 9 9 4 , S. 84. V g l . P . B . K r a f t , D a s anfängliche Wesen der K u n s t , F r a n k f u r t a . M . / B e r n / N e w Y o r k 1984, S.9. IO V g l . ebd., S . 5 8 . " V g l . K . H . B o h r e r , D e r Ernstfall Heidegger, Basel 1998, S. 16. B o h r e r sieht die H ö l derlin-Interpretationen Heideggers vornehmlich unter dem B l i c k p u n k t eines philosophiegeschichtlichen Diskurswandels v o n einer Sprache der Ironie hin zu einer Sprache des Ernstes: Heidegger schreibt nach B o h r e r den E r n s t - D i s k u r s Hölderlins, der sich zwischen Erhabenheit und Enthusiasmus bewegt, als dessen E r b e fort. V g l . ebd., S. 5 - 8 ; z6f{. 9
128
läufig zurück in die Metaphysik 12 , neu zur Verhandlung. Die notorische Voraussetzung, daß Heideggers seinsfixiertes Denken sich mit allen Konsequenzen aus dem Kreis der Metaphysik verabschiedet habe, ist von neuem zum Problem geworden: Hinter dem vordergründigen Pathos der Selbstabsetzung eines neuen Anfangs im Denken, der zugleich Rückkehr in den Ursprung des abendländischen Denkens sein will und damit die Frage nach der Geschichtlichkeit des Denkens schlechthin stellt, zeichnen sich Verbindungen und Verflechtungen ab, mit denen Heideggers Denken trotz aller Ursprungsrhetorik in Kontakt zur Tradition der Metaphysik bleibt. Heideggers Hinwendung zur Dichtung kann - wie oben bereits gezeigt - als ein Versuch verstanden werden, die abgegriffene Terminologie der Metaphysik abzulegen und in den Bereichen poetischen Sprechens ein neues Sagen des Seins zu begründen. Folgt man dieser Voraussetzung, so gerät Heideggers Denken in eine aporetische Situation, die nun beschrieben werden soll. Heideggers Rückgriff auf die Dichtung ist der Versuch, ein ursprüngliches und unausgeschöpftes semantisches Potential zu erschließen, das in seiner sprachlichen Gestalt an Eindeutigkeit und Klarheit durch das geläufige Sagen nicht zu überbieten ist. Dabei gerät Heidegger zwangsläufig in die Nähe einer vergegenständlichenden Bildlichkeit und ausgeprägten Metaphorizität. Sein Rückgriff auf Dichtung wird damit immer auch zu einem Rückgriff auf Metaphern. Aus diesem Rückgriff läßt sich folgender Befund ableiten: Ein besonderes Kennzeichen des späten Heideggerschen Denkens ist seine figürliche und metaphorische, dadurch häufig opak und dunkel wirkende Sprache.'3 Eine knappe Auswahl an metaphorischen Sätzen kann dieses Charakteristikum illustrieren und die folgenden Erörterungen verdeutlichen: 1. »Das Dasein ruft im Gewissen sich selbst.«'4 2. »Der Dichter zwingt und bannt die Blitze des Gottes ins Wort und stellt dieses blitzgeladene Wort in die Sprache seines Volkes.«' 5 3. »Das Gedicht ist... in sich ein Wirbel, der uns irgendwohin reißt.«'6 4. »Die Gedichte sind im Lärm der Hindichterischen Sprachen< wie eine Glokke, die im Freien hängt und schon durch einen leichten, über sie kommenden Schneefall verstimmt wird.«' 7 5. »Es gibt aber Türme, von denen herab es läutet und die den Stundengang der Tage und Jahre zeigen. Von diesen Türmen läutet, wenn man es tiefer deutet, 12
Vgl. P.B. Kraft, Das anfängliche Wesen der Kunst, Frankfurt a.M./Bern/New Y o r k 1984, S. 9. ' 3 Eine umfassende Diskussion dieses Befundes leistet der Aufsatz von J.J. Kockelmans, Heidegger on metaphor and metaphysics, 1992, S. 293-320. ' 4 M . Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i993, S. 275. 15 M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 31. ,6 Ebd., S.45. ' 7 M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.8 [Vorwort].
12 9
das G e l ä u t der Stille: jenes Sagen, in d e m die D i c h t e r u n d die D e n k e n d e n zu sprechen versuchen.« 1 8 6. » D i e Sprache spricht als das G e l ä u t der Stille.« 1 9 7. » D i e Sprache ist das H a u s des S e i n s . . . . D e r M e n s c h ist der H i r t des Seins.« 2 0 8. » D a s metaphysische Vorstellen verdankt diese Sicht d e m L i c h t des Seins.« 2 1 E s scheint deutlich, daß Heidegger ungeachtet des Postulats v o n der »Strenge des D e n k e n s u n d des Begriffes« 2 2 in seinem philosophischen Sagen auf eine bildliche A u s d r u c k s w e i s e nicht verzichtet, sondern sie b e w u ß t einsetzt. D i e f r ü h e A u f f a s s u n g D e r r i d a s , das H e i d e g g e r s c h e Sein sei »seul ä resister absolum e n t ä toute metaphore«2i,
wird d u r c h den tatsächlichen W e r k b e f u n d w i d e r -
legt, der auf eine enge K o r r e s p o n d e n z z w i s c h e n Sein und Metapher schließen läßt. M e t a p h o r i k ist kein Phänomen in den Randbereichen v o n Heideggers D e n k e n , i m Gegenteil: Heidegger bedient sich ihrer immer dann, w e n n er sich mit Elementarbereichen seines F r a g e n s , etwa mit der F r a g e nach d e m Wesen v o n D i c h t u n g o d e r v o n Sprache, beschäftigt. D a r a u s läßt sich die T h e s e ableiten, daß die M e t a p h e r über die ihr immanente Leistungsfähigkeit zu semantischer I n n o v a t i o n u n d z u m »Mehr an Aussageleistung« 2 4 bei H e i d e g g e r das schwierige G e s c h ä f t der B e g r i f f s b i l d u n g außerhalb der terminologischen B e s t i m m u n g e n der M e t a p h y s i k ü b e r n i m m t u n d deshalb unentbehrlich f ü r sein u m die Sagbarkeit des Unsagbaren ringendes D e n k e n ist. Was aber bedeutet der G e b r a u c h v o n M e t a p h e r n f ü r ein D e n k e n , das sich v o n der M e t a p h y s i k u n d ihrer Sprache verabschieden will? Heideggers theoretische Auseinandersetzung mit d e m P r o b l e m des Verhältnisses v o n M e t a p h e r u n d M e t a p h y s i k beschränkt sich auf w e n i g e , aber aufschlußreiche B e m e r k u n gen. E i n e erste poetologisch relevante Ä u ß e r u n g z u r Bildlichkeit v o n Sprache f i n d e t sich in d e m g n o m i s c h durchsetzten T e x t >Winke< ( 1 9 4 1 ) . H e i d e g g e r erklärt dort das B i l d h a f t e z u m G r e n z k r i t e r i u m z w i s c h e n D e n k e n und Dichten: Das Sagen des Denkens ist im Unterschied zum Wort der Dichtung bildlos. 2 ' A u s g e h e n d v o n dieser radikalen G r u n d p o s i t i o n gibt H e i d e g g e r aber auch indirekt zu verstehen, im Sagen des D e n k e n s d e m selbstauferlegten Bilderverbot
18
Zitiert aus einer Ansprache Heideggers zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin an Ludwig von Ficker im April i960. Zit. n. L. v. Ficker, Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze. Reden, München 1967, S. 348. 19 M. Heidegger, Die Sprache, "1997, S. 30. 20 M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 5; 32. 21 M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, Frankfurt a.M. ' 4 i992, S.7. 22 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd.39, Frankfurt a.M. 1980, S.41. 2J Vgl. J. Derrida, L'ecriture et la difference, Paris 1967, S. 203. 24 Vgl. H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, i960, S.9. 25 M. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, G A Bd. 13, Frankfurt a.M. 1983, S.33.
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nicht vollständig entsprechen zu können. Möglichen Einwänden vorgreifend erklärt er, daß es sich dort, »wo ein Bild zu sein scheint«, immer um »Notanker der gewagten, aber nicht geglückten Bildlosigkeit handelt«. 26 Heidegger reflektiert damit eine in der philosophischen Tradition weitverbreitete Haltung: D e r Ablehnung der Verwendung von Bildern im philosophischen Sprachgebrauch liegt der Versuch zugrunde, das Denken mit seinem Anspruch auf Weltauslegung durch ein Differenzkriterium v o n dem Geltungsanspruch des poetischen Sprechens fernzuhalten. Zugleich hat sich diese zum Z w e c k der Selbstbehauptung formulierte Antithese aber auch wieder gegen die Philosophie gewendet. Die entgegengesetzte Position, das Figürliche sei ein Wesensmerkmal der metaphysischen Grundbegriffe, konnte sich aus der Frontstellung zwischen D e n ken und Dichten heraus zu einem Topos des antimetaphysischen Denkens in der Spannweite von Francis Bacon bis hin zu Nietzsche entwickeln. 2 7 U b e r diesen U m w e g gewann das poetische Sprechen für das antimetaphysische D e n k e n den Status eigentlicher Sprachbildung wieder zurück. A n diesen Entwicklungsstrang schließt auch Heideggers Denken an. In seiner Vorlesung über die H ö l d e r l i n - H y m n e >Andenken< (1941/42) findet sich ein erstes Verdikt gegen die Metapher, deren Entschlüsselung f ü r das Verständnis der Hölderlinschen Hymnendichtung nicht weiterhelfe, weil Hölderlin aus einer anderen Wahrheit heraus dichte: Wir sollen jetzt nur darauf merken, daß der Hauptschlüssel aller »Poetik«, die L e h r e v o m »Bild« in der Dichtung, von der »Metapher«, im Bereich der Hölderlinschen H y m n e n d i c h t u n g keine einzige T ü r ö f f n e t und uns nirgends ins Freie bringt. 2 8
In seinem Buch >Der Satz v o m Grund< (1957) bestimmt Heidegger die Basisfunktion der Metapher als »vielgebrauchtes Hilfsmittel bei der Auslegung der Werke des Dichtens und des künstlerischen Bildens überhaupt« und ergänzt apodiktisch: D a s Metaphorische gibt es nur innerhalb der Metaphysik. 2 i ;
Eine weitere Äußerung zum Verhältnis von Metaphysik und Metapher findet sich im Kontext der drei Freiburger Vorträge über >Das Wesen der Sprache* (1957/58). Heidegger spricht dort im Zusammenhang mit der fünften Strophe von Hölderlins H y m n e >Germanien< erneut von der metaphysischen A n b i n dung der Metapher, die f ü r ihn als Bestimmung von Dichtung ausscheidet: W i r blieben in der Metaphysik hängen, wollten w i r dieses N e n n e n Hölderlins in der Wendung »Worte wie B l u m e n « f ü r eine Metapher halten.' 0
26
V g l . ebd. V g l . B. H i l m e r , M e t a p h y s i k und Metapher, 1998, S. 1 1 1 . 28 M . Heidegger, >Andenken
Vgl. J.J. Kockelmans, Heidegger on metaphor and metaphysics, 1995, S. 307. Vgl. ebd., S.295. 65 Vgl. ebd., S.309. 66 Vgl. ebd., S . 3 1 3 . 64
:
37
... I think, that Heidegger indeed legitimately can make the claim that from his own basic conception of Being, truth, language, world and thing it is indeed the case that truly »philosophical« discourse is not and cannot be metaphorical
Kockelmans Ansatz wird zu einem Problem, wenn man die Frage aufwirft, ob es im Bereich der Metaphysik tatsächlich nicht nur rationale, sondern auch eigene terminologische Standards geben kann. Gadamer hat fundamentale Zweifel an dieser Position geäußert und mit Blick auf Heidegger gefragt, ob eine Sprache überhaupt mit Recht Sprache des metaphysischen Denkens heißen darf, »nur weil in ihr die Metaphysik gedacht oder, was mehr wäre, antizipiert worden ist«.68 Heideggers Versuche, sich von terminologischen Prädispositionen befreien und seinem Denken eine eigene Sprache zu schaffen, zeigen zwar einen Willen zum absoluten Neubeginn, tragen aber dem wirkungsgeschichtlich beförderten, prinzipiell unendlichen Bedeutungswandel aller Worte und Ausdrucksformen im Universum der Sprache keine Rechnung. Der Wandel der Metapher von einer rhetorischen Stilfigur zu einem bildlichen Bedeutungsträger, ja schließlich zum Zankapfel hermeneutischer Diskussionen ist das beste Beispiel dafür, daß es keine Reservate primordialen Sprechens gibt, sondern daß diese im Zuge einer bestimmten Betrachtungsweise erst geschaffen werden müssen. Wie einleuchtend Heideggers Ablehnung der Metapher und die postulierte Rückkehr zu uranfänglicher Bedeutung jenseits aller Schematisierungen der Metaphysik schließlich erscheint, bleibt letztlich immer eine Sache des Blickwinkels. Nähern wir uns dieser Aporie in Heideggers Denken noch von einer anderen Seite. Es ließe sich einwenden, daß unser Erkenntnisvermögen und damit die Interpretation von Metaphern nicht unbedingt nach den rationalen Prinzipien der epistemischen Tradition arbeiten müssen. Richard Rorty hat diesen Ansatz als die poetic answer Heideggers gekennzeichnet. 6 ' Ausgangspunkt von Rortys Überlegungen ist die Beobachtung, daß Heidegger in seinen Texten auditory metaphors, also »Hör-Metaphern« wie »Ruf des Gewissens« oder »Stimme des Seins« einsetzt.70 Rorty meint, daß diese Hör-Metaphern auch die besseren Metaphern seien: Als »voice from outside logical space« und »call to change one's language and one's life« seien sie bei Heidegger Beleg dafür, daß Erkenntnis und Wahrheitserwerb nicht zwangsläufig als Einordnung von In67
Vgl. ebd., S.316. Vgl. H . - G . Gadamer, Heidegger und die Sprache der Metaphysik, 1997, S. 264. ' ' V g l . R. Rorty, Essays on Heidegger and others. Philosophical papers, B d . 2 , Cambridge 1991, S 9; i6f. 70 Vgl. ebd., S. 12. Problematisch ist diese Einschränkung deshalb, weil Heidegger eine große Bandbreite von Metaphern heranzieht. Die auditory metaphors sind jedoch und in diesem Punkt erfaßt Rorty auch ohne weitere theoretische Ausführung etwas sehr wesentliches - für Heideggers hermeneutische Strategie die zentralen sprachlichen Bildformen. 68
138
formationen in ein festgelegtes Schema funktionieren. 7 ' Rorty selbst schreibt der Metapher zwar keine kognitive Relevanz zu72, aber er zeigt deutlich, daß Heidegger die Metapher zum Uberbringungsinstrument einer wie auch immer gearteten Wahrheit macht und damit zur Erkenntnisalternative aufwertet. Die Metapher hat nach Rortys Analyse für Heidegger einen Rang, der den angestammten kognitiven Kategorien, der Wahrnehmung und dem daraus resultierenden Schlüsseziehen, zumindest ebenbürtig ist: T o think of metaphorical sentences as the forerunners of new uses of language, uses which m a y eclipse and erase old uses, is to think of metaphor as on a par with perception and inference ... 7 3
Indem Rorty mit Blick auf Heidegger den Gebrauch von Metaphern zum einen als eine Art permanente, sprachliche »Flurbereinigung« begreift und zum anderen ihre Erklärungsleistung als Erkenntnisalternative bestimmt, schafft er die phänomenologische Grundlage für einen spezifischen Wahrheitsbegriff. Nach Rorty interpretiert Heidegger die Metapher als Gestalt einer äußerlich gegebenen Wahrheit, die erstens durch die Funktion der Metapher in ihrem Anderssein nicht beeinträchtigt wird und zweitens über die Brückenfunktion der Metapher in die Wahrnehmung tritt: M o r e specifically, it is to think of truth as something which is not already within us. 7 4
Heideggers Wahrheitsbegriff legitimiert nach Rortys Analyse die Hör-Metapher als voice from far off und sieht in ihr ein der Kognition nicht immanentes Datum. 75 Damit fügt sich Heidegger augenscheinlich in die Reihe derjenigen Philosophen ein, die das epistemisch lange vorherrschende ontologische Identitätsprinzip als »Skandal der (Begriffs-)logik«7Kunst-losigkeit< unseres Zeitalters« und seine U b e r z e u g u n g , mit seinem D e n k e n das Werden der K u n s t neu vorzubereiten.' 4 0 I n s o f e r n k ö n ne H e i d e g g e r s H i n w e n d u n g zur K u n s t w e d e r als frühidealistisch noch als u n m o d e r n o d e r p o s t m o d e r n interpretiert w e r d e n . ' 4 ' N e b e n den Versuchen, die Implikationen d e r B e g e g n u n g Heideggers mit H ö l d e r l i n allein aus den D e n k b a h n e n des P h i l o s o p h e n heraus z u begreifen, existiert eine R e i h e v o n U n t e r s u c h u n g e n , die unter ideologiekritischem B l i c k w i n k e l Heideggers H i n w e n d u n g z u H ö l d e r l i n nahezu ausschließlich auf einen politischen B e w e g g r u n d z u r ü c k f ü h r e n . So kennzeichnet etwa Erich Kleinschmidt die A u s l e g u n g e n Heideggers als » D e n k - u n d H a n d l u n g s a n g e b o t e « , die auf »das konservativ-revolutionäre P r i n z i p v o n der geistigen F ü h r e r s c h a f t der D i c h t e r u n d D e n k e r « ausgerichtet seien.' 4 2 Philippe L a c o u e - L a b a r t h e hat Heideggers »>hölderlinsche< Predigt« als A u f n a h m e und Fortsetzung eines 1 9 3 3 begonnenen, philosoph-politischen D i s k u r s e s aufgefaßt.' 4 3 E i n e n etwas anderen politischen A k z e n t setzt Kathleen Wright, indem sie Heideggers L e k türen in der f r ü h e n Vorlesung ü b e r die H ö l d e r l i n - H y m n e n >Germanien< und >Der Rhein< ( 1 9 3 4 / 1 9 3 5) und die spätere, mitten im K r i e g gehaltene Vorlesung über die H y m n e >Andenken< ( 1 9 4 1 / 1 9 4 2 ) miteinander vergleicht und in ihnen einen unter w a n d e l n d e r Perspektive
gleichbleibenden
nationalpolitischen
G r u n d t o n identifiziert. Wright stellt dabei die T h e s e auf, daß die L e k t ü r e H e i deggers in der ersten Vorlesung ü b e r H ö l d e r l i n eng mit seinen A n s i c h t e n über das nationalsozialistische Deutschland korreliert und daß später, in d e r H ö l derlin-Vorlesung des Kriegssemesters 1 9 4 1 / 1 9 4 2 , das Lesen und die A u s l e g u n g Heideggers an die H o f f n u n g a n k n ü p f e n , D e u t s c h l a n d k ö n n e f ü r die westliche Welt eine neue G e s c h i c h t s e p o c h e h e r a u f f ü h r e n . 1 4 4
' 3 7 Vgl. 138 Vgl. '"Vgl. 140 Vgl. '4'Vgl. 142 Vgl. 143 Vgl. '44 Vgl
ebd., S.15. ebd., S. 289. ebd. ebd., S.182. ebd., S . 1 8 1 . E. Kleinschmidt, Die Hermeneutik der heroischen Dekadenz, 1983, S. 312. P. Lacoue-Labarthe, Die Fiktion des Politischen, Stuttgart 1990, S. 31. ις Wright, Gewaltsame Lektüre deutungsloser Zeichen. Heidegger liest Hölder:
53
Die Forschung hat hinreichend herausgearbeitet, daß es Heidegger in der Auseinandersetzung mit Dichtung um die Rekonstruktion eines ursprünglichen Denkens geht. Heidegger sieht in der Uberwindung des metaphysischen Denkens ein Projekt, das ohne Hilfe der Dichtung nicht zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden kann. D i e Verabschiedung der Metaphysik, so wie sie Heidegger durchführen will, bedarf zudem erheblicher enzyklopädischer Anstrengungen, weil das Archiv der konventionellen Formeln und B e g r i f f e philosophischen Sagens aufgegeben werden soll zugunsten eines neuen, unverbrauchten Vokabulars, ohne das die Gründung des anfänglichen Denkens nicht erfolgen kann. Heideggers Sehnsucht nach A u s d r u c k prägt sich in diesem Rückgriff auf die Dichtung aus in einer neuen, mitunter stark verheißungsorientierten Sprache. In der Vorlesung E i n f ü h r u n g in die Metaphysik< (1935), in der Heidegger seiner Distanzierung von der Metaphysik erstmals öffentlichen Ausdruck verleiht, erklärt er, daß nur die »echte und große« Dichtung sich durch eine »wesenhafte Überlegenheit« gegenüber aller Wissenschaft auszeichne. 14 * Diese Überlegenheit rückt den Dichter nach Heideggers A u f f a s sung in den Z u g einer neuen Unmittelbarkeit, aus der heraus er spricht, »als werde das Seiende erstmals aus- und angesprochen«. 1415 In diesen Formulierungen tritt deutlich ein f ü r Heidegger typischer antiwissenschaftliche A f f e k t zutage. A b e r es kommt noch ein weiteres M o m e n t hinzu: Heidegger attestiert allein der großen und echten Dichtung eine besondere ontologische Leistungsfähigkeit. Hier, in der Frühzeit von Heideggers Auseinandersetzung mit der Dichtung Hölderlins, deutet sich bereits die kulturkonservative Tendenz zu einer planmäßigen Kanonisierung an.
3.3
Hölderlins Dichtung als Gegenentwurf zur Metaphysik
A d o r n o hat in seinem Parataxis-Aufsatz die Meinung vertreten, Heidegger messe Hölderlin eine »äußerste metaphysische Dignität« 1 4 7 zu. In der Tat scheint Hölderlin f ü r Heidegger der Dichter zu sein, der sich in extremen
lins » A n d e n k e n « , 1996, S . 2 3 2 ; 235; 242. Das Problematische der A u s f ü h r u n g e n Kathleen Wrights liegt allerdings darin, daß sie zum einen bei Heidegger eine bestimmte, mit Versatzstücken aus anderen Gedichten operierende Lektürepraxis kritisiert, z u m anderen aber selbst mit einem R ü c k g r i f f auf Hölderlins Gedicht >Mnemosyne< arbeitet, u m die Vermutung zu untermauern, Heideggers H ö l d e r l i n - L e k ü r e ziele auf die H e r v o r b r i n g u n g einer neuen, in Deutschland anbrechenden Geschichtsepoche. Vgl. ebd., S. 242. 145
Vgl. M . Heidegger, E i n f ü h r u n g in die M e t a p h y s i k , G A B d . 4 0 , F r a n k f u r t a . M . 1984, S.29.
146
Vgl. ebd. Vgl. T . W . A d o r n o , Parataxis, 1 9 7 3 , S . 4 5 2 .
147
:
54
R a n d l a g e n des metaphysischen D e n k e n s aufhält und über sie hinausgeht: In der D i c h t u n g Hölderlins w i r d nach H e i d e g g e r s U b e r z e u g u n g » z u m ersten Mal der Bereich der K u n s t und der Schönheit u n d alle M e t a p h y s i k , w o r i n allein beide ihre Stätte haben, überschritten«.' 4 8 D a s seinsgeschichtliche D e n k e n hebt f ü r H e i d e g g e r in H ö l d e r l i n s D i c h t u n g in d e m M o m e n t an, da es diesem gelingt, sich in der K u n s t v o n der metaphysischen Befangenheit zu befreien. Diese B e freiung v o n M e t a p h y s i k ist keine abstrakte, rein intellektuell zu vollziehende O p e r a t i o n , sondern w i r d v o n H e i d e g g e r als ein ganz realer A k t der Entscheid u n g gesehen, v o n dem es abhängt, o b K u n s t eine »üblich g e w o r d e n e Erscheinung der K u l t u r « bleibt o d e r z u m U r s p r u n g geschichtlicher Wahrheit w i r d . 1 4 9 Z w a r betont H e i d e g g e r i m m e r wieder, bei dieser Situation des E n t w e d e r - O d e r sei nicht »an das Leisten und an die A k t i o n eines sich als Z w e c k setzenden und anstrebenden Subjektes gedacht«.' 5 0 D o c h die A r t , w i e der N e u a n f a n g in der K u n s t v o n H e i d e g g e r f ö r m l i c h b e s c h w o r e n w i r d , macht deutlich, daß es bei d e m Wechsel v o n der philosophischen Leitkultur der M e t a p h y s i k hin zu einem neuen D e n k e n um eine E n t s c h e i d u n g , um ein bewußtes Sichherausstellen aus einer bestehenden O r d n u n g u n d ein Sichhineinstellen in eine neue O r d n u n g geht. Dieser Vollzugsakt mündet z w a r in einer fundamentalen O p p o s i t i o n , bleibt aber trotz aller gegenteiligen B e h a u p t u n g e n Heideggers und seiner variationsreichen Ü b e r m ä c h t i g u n g s r h e t o r i k auf das Subjekt als Träger d e r Entscheid u n g z w i n g e n d angewiesen. E i n e noch unveröffentlichte Schrift v o n 1 9 4 1 mit d e m Titel >Das Ereignis< verdeutlicht, daß Heideggers K o n v e r s i o n z u H ö l d e r l i n und sein A b r ü c k e n v o n der M e t a p h y s i k eine bewußte E n t s c h e i d u n g zugrundeliegt. H e i d e g g e r erklärt dort: I m » A u g e n b l i c k des A b w e r f e n s der letzten Mißdeutungen durch die M e taphysik, d.h. in d e m A u g e n b l i c k der ersten äußeren F r a g w ü r d i g k e i t des Seyns selbst und seiner Wahrheit (Wahrheitsvortrag
1929/30) w u r d e
Hölderlins
Wort, z u v o r schon w i e andere D i c h t e r zunächst bekannt, z u m G e s c h i c k « . ' 5 ' D e r Entschluß z u m B r u c h mit der wissenschaftlich verbrieften Tradition vollzieht sich als subjektiver A k t b e w u ß t e r A b k e h r v o m H e r k ö m m l i c h e n . H e i d e g ger gründet sein D e n k e n auf H ö l d e r l i n , weil er in dessen D i c h t u n g Matrixsätze eines die M e t a p h y s i k hinter sich lassenden D e n k e n s zu erkennen glaubt. A u s diesen Sätzen kann nach H e i d e g g e r s A u f f a s s u n g das ursprüngliche, bis dato v e r b o r g e n gebliebene Wesen der D i c h t u n g abgelesen w e r d e n . In d e r Vorlesung ü b e r H ö l d e r l i n s H y m n e >Der Ister< legt H e i d e g g e r diesen A r g u m e n t a t i o n s gang erneut dar:
148
Vgl. M. Heidegger, >AndenkenUrtheil und Seyn< einen enorm verdichteten und eigenständigen E n t w u r f philosophischer Subjektivität und individuellen Bewußtseins entwickelt, der hier nur angerissen werden kann. D o r t heißt es: »Wenn ich sage: Ich bin ich, so ist das Subject (Ich) und das Object (Ich) nicht so vereiniget, daß gar keine Trennung v o r g e n o m m e n w e r d e n kann, ohne das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verlezen; im Gegenteil das Ich ist nur durch diese T r e n n u n g des Ichs v o m Ich möglich. Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußtseyn?« Diese höchste und ursprünglichste Trennung im D e n k e n des Menschen heißt f ü r Hölderlin »Urtheil«. D u r c h diese »Ur-teilung« werden die T r e n n u n g in Subjekt und O b j e k t und die bewußte E r f a h r u n g von Welt erst möglich. V g l . S t A I V , S. 2 1 6 f . M . Heidegger, >Der Ister Vgl. "64 Vgl. "•''Vgl. 158
M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, Frankfurt a.M. "1997, S. 5. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, '1997, S. 34. ebd. ebd. ebd., S . 3 6 f .
stiegs«' 66 : Das sich übersteigende Denken versteht in radikaler Selbstbezogenheit die Ergebnisse seiner Reflexionen und Deutungen nicht als Diskussionsbeiträge, sondern als endgültige Wahrheiten mit einem absoluten Geltungsanspruch. 167 Zum anderen tendiert Heideggers Denken zu einer nicht leicht nachvollziehbaren »Verabsolutierung des Einbruchs, dem es ... zusammen mit allen anderen Beiträgen des Subjekts auch den Uberstieg aufopfert«.' 68 Dieser »Stoß des Seyns selbst«' 6 ' begründet neue Wahrheits- und Wesenskategorien wie Sprache und Dichtung, mit denen Heideggers Denken seine Frontstellung zur Metaphysik untermauern will. O b man nun diese Denkbewegung in die Philosophiegeschichte als antimetaphysisch, prämetaphysisch, protometaphysisch oder nachmetaphysisch 170 einordnet, ist für die vorliegende Untersuchung von nachrangiger Bedeutung. Eine endgültige Verabschiedung der Metaphysik und ihrer Denkformen gibt es bei Heidegger nicht. Sein Verhältnis zur philosophischen Tradition bleibt voller Widersprüche, weil sein Denken in vielen Punkten das fortzusetzen scheint, was es zu überschreiten vorgibt.' 7 ' Weil Heidegger in die Tradition verstrickt bleibt, die er überwinden möchte, erweist sich sein Denken als eine »sehr eigentümliche, als eigentümlich gebrochene Form der Metaphysik«.' 72 Trotz aller Kritik baut Heideggers Projekt der Überwindung der Metaphysik als work in progess also weiter in und an der Geschichte der Metaphysik. Vor diesem Hintergrund ist das konsequente Durchhalten einer selbsterklärten metaphysischen Abstinenz schlechthin nicht möglich. Und selbst die neuen Kategorien, die Heidegger gegen die überlieferten Orthodoxien der Philosophie stellt, sind als privilegierte Zugangsformen zur Wahrheit auf einen gemeinsamen kognitiven Nenner zu bringen, denn Heidegger setzt an die Stelle der Reflexion die Dichtung als autonomen wahrheitsfähigen Diskurs' 73 und attestiert ihr eine dem Denken ebenbürtige Erkenntnisleistung. Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß Heidegger Hölderlins Dichtung mit Hilfe einer spezifischen Strategie des Verstehens, der Zwiesprache, ontologische Dignität zuschreibt und die Grenze zwischen einer um Distanz und Objektivität bemühten Interpretation und der subjektiven Aneignung auflöst, um Grundzüge
,6i
Vgl. M. Theunissen, Vormetaphysisches Denken, 1998, S. 37. M . Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 27. 168 Vgl. M. Theunissen, Vormetaphysisches Denken, 1998, S. 37. ""'Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S.464. ,67
' 7 0 Vgl. J. Habermas, Nachmctaphy sisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a.M. 1988. ' 7 ' Vgl. P. Lacoue-Labarthe, Die Fiktion des Politischen, Stuttgart 1990, S. 3 1 . 172 Vgl. G . Figal, Verwindung der Metaphysik. Heidegger und das metaphysische Denken, 1997, S.460. 173 Vgl. H. Bothe, »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«: Die Rezeption Hölderlins von ihren Anfängen bis zu Stefan George, Stuttgart 1992, S. 2 1 1 . J
59
seiner Seinsphilosophie in weit ausgreifenden A u s l e g u n g e n an den H ö l d e r l i n Gedichten zu verdeutlichen und so die D i c h t u n g z u r Legitimation seiner Seinsphilosophie zu v e r w e n d e n . Diese B e o b a c h t u n g soll im f o l g e n d e n weiter erhärtet w e r d e n . D a b e i ergibt sich bei näherer Betrachtung auch das d i f f u s e Bild einer politisch-poetologischen Zielsetzung.
3.3.1
H e i d e g g e r s Vorlesung über die H y m n e n >Germanien< und >Der Rhein< Das Wahre ist nicht f ü r jedermann, sondern nur für die Starken.
Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik O t t o Pöggeler hat darauf hingewiesen, daß man nicht ü b e r H e i d e g g e r und H ö l derlin sprechen kann, o h n e Heideggers Verhältnis z u m Nationalsozialismus zu berühren.' 7 4 D i e G r ü n d e dafür liegen auf der H a n d : A u s Heideggers s c h w e r w i e g e n d e m E n g a g e m e n t f ü r das nationalsozialistische R e g i m e u n d seinem persönlichen politischen Scheitern auf U n i v e r s i t ä t s e b e n e ' 7 ' geht signifikanterweise eine intensive H ö l d e r l i n - R e z e p t i o n hervor, die sich in programmatischen Beiträgen ausspricht. D i e s e r Wende zu H ö l d e r l i n geht die Wahl z u m R e k t o r der F r e i b u r g e r U n i v e r s i t ä t am 2 1 . A p r i l 1 9 3 3 voraus, der w i e d e r u m der Eintritt Heideggers in die N S D A P am symbolträchtigen 1. M a i des J a h r e s als erste ö f fentliche Parteinahme f ü r den N a t i o n a l s o z i a l i s m u s , die Rektoratsrede >Die Selbstbehauptung der deutschen U n i v e r s i t ä r am 27. M a i mit ihrem A u f r u f zur Stiftung einer neuen deutschen geistigen Wirklichkeit im universitären R a u m s o w i e diverse propagandistische Aktivitäten f ü r » F ü h r e r u n d B e w e g u n g « in Leipzig, T ü b i n g e n u n d Heidelberg folgen. H e i d e g g e r sieht in der M a c h t ü b e r nahme des Nationalsozialismus eine günstige Gelegenheit, seinen A n s p r u c h auf p h i l o s o p h i s c h e Führerschaft zu festigen, u n d arbeitet zu diesem Z w e c k auch an d e r U m g e s t a l t u n g der B a d e n e r U n i v e r s i t ä t s v e r f a s s u n g im Sinne des F ü h r e r p r i n z i p s ' 7 6 u n d an der Planung einer D o z e n t e n a k a d e m i e 1 7 7 mit. Sein p o litischer E h r g e i z ' 7 8 u n d sein daraus resultierender taktischer O p p o r t u n i s m u s ' 7 9
174 175 176
Vgl. O. Pöggeler, Heideggers Begegnung mit Hölderlin, 1977, S. 24f. Vgl. hierzu O . Pöggeler, Den Führerführen? Heideggerund kein Ende, i 9 8 5 , S . 4 o f f . Vgl. R. Mehring, D e r philosophische Führer und der Kronjurist, 1994, S. 346.
1/7
Vgl. V. Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1989, S. 2 6 2 -
178
Vgl. H. Ott, Martin Heidegger und der Nationalsozialismus, 1988, S. 68. In der Forschung taucht immer wieder die Auffassung auf, Heidegger habe sich gegen seinen Willen in das Rektorat hineindrängen lassen. So bezeichnet Andreas Steffens Heidegger auf eine merkwürdig psychologisierende Weise als schüchternen »Zauderer, der das ihm angetragene Amt viel lieber ausgeschlagen hätte« und dann »in die Falle der Übererfüllung vermuteter Erwartungen getappt« sei. Vgl. A . Steffens, Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts oder Die Wiederkehr des Menschen, Leipzig 1999, S. 228f. Diese Deutung stützt sich auf Heideggers Selbstrcchtfertigung, er habe
2
179
160
77·
scheinen in d e m M o m e n t beendet, da er sein R e k t o r a t an der Freiburger U n i versität nach einjähriger A m t s z e i t am 23. A p r i l 1 9 3 4 niederlegt. M i t der A b k e h r v o n parteipolitischen Beifallsbekundungen u n d der A u f g a b e tagespolitischer Beteiligung am Nationalsozialismus im W i r k u n g s k r e i s der Universität verstärkt sich sein Interesse f ü r Hölderlins D i c h t u n g . In der Vorlesung ü b e r die H y m n e n >Germanien< und >Der Rhein< im Wintersemester 1934/35 kristallisiert sich H ö l d e r l i n erstmals als ständiger B e z u g s p u n k t des Heideggerschen D e n k e n s heraus.' 8 0 D i e Beschäftigung mit H ö l d e r l i n f ü h r t H e i d e g g e r nun in ein S p a n n u n g s f e l d z w i s c h e n Poetologie und Politik. J a m m e hat Heideggers Wende zu H ö l d e r l i n damit begründet, daß sein D e n ken nach der Enttäuschung über die nationalsozialistische »Revolution« in eine philosophische K r i s e geraten sei. D a s H ö l d e r l i n - E n g a g e m e n t markiere daher einen » s c h r o f f e n R ü c k z u g einerseits w i e eine U m o r i e n t i e r u n g andererseits«' 8 ', weshalb die erste Hölderlin-Vorlesung nach J a m m e s A u f f a s s u n g in weiten Teilen auch als Versuch einer »politischen S e l b s t k o r r e k t u r « 1 8 2 gesehen w e r d e n kann, nachdem sich die H o f f n u n g e n , die H e i d e g g e r in das umstürzlerisch-revolutionäre M o m e n t der nationalsozialistischen B e w e g u n g setzte, in der weiteren politischen P r o g r a m m a t i k und Praxis des R e g i m e s nicht bewahrheiteten. das Amt angenommen, weil er gehofft habe, »dem Vordringen ungeeigneter Personen und der drohenden Vormacht des Parteiapparates und der Parteidoktrin begegnen zu können«. Vgl. M. Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Rede zur Übernahme des Rektorates der Universität Freiburg i.Br. 1933. Das Rektorat 1933/34-Tatsachen und Gedanken, Frankfurt a.M. 1983, S. 24. Die historischen Fakten, etwa Heideggers Eintritt in die nach Umsetzung des »Führerprinzips« an den Universitäten strebende kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft Deutscher Hochschullehrer im März 1933, können dagegen belegen, daß Heidegger das Rektorat aus politischer Uberzeugung und mit strategischem Kalkül angesteuert hat. Vgl. hierzu H. Ott. Martin Heidegger und der Nationalsozialismus, 1988, S. 66ff.; R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, München 1994, S. 277-28 5 u. G. Leaman, Heidegger im Kontext. Gesamtüberblick zum Engagement der Universitätsphilosophen, Hamburg 1993, S. 109-140. 180
Hier kann auf die vielfältigen Voraussetzungen von Heideggers aktiver Teilnahme an der politischen Entwicklung in Deutschland ab 1933 sowie auf die Motivation dieser Aktivität nicht vertiefend eingegangen werden. Die vorliegende Arbeit möchte vielmehr aufzeigen, inwieweit die politischen Hoffnungen und Defekte Heideggers in seine Hölderlin-Beschäftigung abstrahlen und sie politisieren. Für die tiefgehende historisch-politische Beschäftigung mit Heideggers Drängen in die Politik und seiner Option für den Nationalsozialismus empfehlen sich die Arbeiten von H. Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt a.M./New York 1988; V. Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1989; J. Altwegg (Hg.), Die Heidegger-Kontroverse, Frankfurt a.M. 1988 u. P. Kemper (Hg.), Martin Heidegger - Faszination und Erschrecken. Die politische Dimension einer Philosophie, Frankfurt a.M./New York 1990.
' 8 1 Vgl. C. Jamme, Hölderlin und das Problem der Metaphysik. Zur Diskussion um >Andenken8ς>, S. i^6f{. ,8 ' V g l . ebd., S . 1 9 8 . '8Ausdruck< seelischer Erlebnisse«, kategorisch abgelehnt.' 9 < i Wenn D i c h t u n g mit d e m p o e t o l o gischen Problembegriff der seelischen A u s d r u c k s e r s c h e i n u n g nicht adäquat gefaßt ist, so kann sie grundsätzlich auch nicht in den Bereich der Kulturleistungen eingeordnet w e r d e n , z u denen - w i e H e i d e g g e r ironisch anmerkt auch Sport u n d Industrie zählen k ö n n t e n . ' 9 7 M i t dieser P o l e m i k gegen das Ver189
Diese Schlußfolgerung Jammes geht weit über die von der neueren Forschung häufig vertretene Meinung hinaus, Heideggers Philosophie leiste dem Politischen allenfalls Vorschub oder bewege sich nur in einer bestimmten Lebensperiode in politischen Dimensionen. Vgl. C. Jamme, Hölderlin und das Problem der Metaphysik, 1988, S.653. 190 Vgl. C. Jamme, »Dem Dichten vor-denken«, 1984, S.210. 191 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 26; 30. 192 Vgl. G. W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt a.M. 1986, S. 222f. 1,3 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 28. 194 Vgl. ebd, S.zßf. ,9 >Vgl. ebd., S.27. 196 Vgl. ebd., S.28. 197 Vgl. ebd., S. 3 jf. 163
stehen von Dichtung als Ausdruck eines individuellen oder kollektiven Erlebens verwirft Heidegger grosso modo alle konkurrierenden Deutungsmuster von Dichtung. D i e diesen Deutungsmustern eigene Position, Dichtung als A u s d r u c k einer wie auch immer gearteten »Seele« zu sehen, lehnt Heidegger als poetologisches Derivat der neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität ab. 1 ' 8 A n dieser Stelle sei ein erster Hinweis auf den politischen Zusammenhang der Vorlesung gegeben: Heidegger hat im »Spiegel-Gespräch« seine erste Hölderlin· Vorlesung, w o h l wegen der genannten Polemik gegen Rosenberg und K o l benheyer, als eine »Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus« bezeichnet. 1 ' 9 Tatsächlich übt Heidegger in dieser Vorlesung jedoch weder offene Kritik am Nationalsozialismus noch zieht er einen Schlußstrich unter sein politisches Engagement, denn die Figuren Rosenberg und Kolbenheyer waren innnerhalb der nationalsozialistischen Bewegung durchaus umstritten und die Kritik an ihnen demzufolge risikolos, ja sogar konsensfähig. Hitler und andere führende Nationalsozialisten lehnten beispielsweise Rosenbergs ideologisches H a u p t w e r k >Der Mythus des 20. Jahrhunderts< ab, und auch dessen kulturpolitische Aktivitäten, etwa die Gründung der >NS-Kulturgemeinde< ( N S K G ) , w a ren eine Quelle ständiger innerparteilicher Konflikte. 2 0 0 In der ersten Hölderlin-Vorlesung zeichnet sich ab, daß Heidegger mit H ö l derlin einen geistigen Mangelzustand, geboren aus der kulturellen Krise der Moderne, beheben will. E r fordert, die Dichtung wieder als »Machtbereich« zu denken: A b e r noch sind w i r ohne Dichtung. D o c h das ist die geringere N o t . Die größere liegt darin, daß w i r statt Dichtung stellenweise eine gepflegte Literatur besitzen, daß man gute R o m a n e schreiben und zuweilen ein gelungenes G e d i c h t aufsetzen kann und sogar inhaltlich zeitgemäße. Dieses gerade ist es, w a s uns v o m Machtbereich der D i c h tung aussperrt. 2 0 1
Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang nicht nur der aus der Sphäre des Politischen stammende Ausdruck »Machtbereich«, der später erörtert werden soll, sondern auch die strikte Trennungslinie, die Heidegger zwischen D i c h tung und Literatur zieht. In der Dichotomie dieses Ansatzes spiegelt sich eine 1,8
D i e Meinung, Heideggers Grundvorstellung von Dichtung sei aus der A b l e h n u n g der neuzeitlichen Metaphysik entsprungen, hat zuerst Pöggeler vertreten und damit der neueren F o r s c h u n g einen entscheidenen Impuls gegeben. Vgl. O . Pöggeler, H e i deggers Begegnung mit Hölderlin, 1977, S . 4 5 . V g l . G . N e s k e u. E . Kettering (Hgg.), A n t w o r t . Martin Heidegger im Gespräch, P f u l lingen 1988, S . 9 3 .
2
°° V g l . R. B o l l m u s , A l f r e d Rosenberg - C h e f i d e o l o g e des Nationalsozialismus ? , 3 1 9 9 4 , S. 226f.; 2 3 1 . Vgl. auch ders., Das A m t Rosenberg und seine Gegner. Studien z u m Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970; S. 2 5 f.; 7 i f f . Z u Heideggers K o n f l i k t mit R o s e n b e r g vgl. G . Leaman, Heidegger im K o n t e x t , H a m b u r g 1993, S. 1 3 - 1 5 ; 1 2 3 - 1 2 5 ; 1 2 8 - 1 3 2 . 201 M . Heidegger, Hölderlins H y m n e n , G A B d . 3 9 , F r a n k f u r t a.M. 1980, S . 2 2 1 .
164
poetologische Auffassung, die Dichtung in der Tradition des George-Kreises als eigentlichen und singulären Ausdruck betrachtet und Literatur als Domäne des Sozialen und Zeitgemäßen negativ davon abheben will. 202 Das trennende Kriterium ist in den latent geringschätzigen Attributen enthalten, die Heidegger in diesem Kontext der Literatur zuspricht: Literatur kann Besitz sein, sie kann als Roman niedergeschrieben oder als Gedicht aufgesetzt worden sein. Diese literarischen Erscheinungsformen stehen in der Verfügungsgewalt eines Subjekts, das sie hervorgebracht und hergestellt hat. Heidegger verweist deshalb an anderer Stelle auf die griechische Wurzel »poiein« (ποιεΐν) in dem Wort, das eine Form künstlerischer Schöpfung als »Poesie« benennt. Poiesis meint das »Hervorgebrachte eines Hervorbringens, das Hingestellte eines Herstellens und das Herstellen selbst«.203 Diese allgemeine Wortbedeutung - machen, tun, herstellen von etwas - dringt, für sich genommen, jedoch noch nicht zum Wissen um das Wesen des Dichterischen vor.204 Dichtung erschöpft sich nach Heidegger nicht in der Erschaffung von sprachlichen Kunstwerken, die wir »haben wie Kunstseide« 205 , sondern erscheint erst dann in ihrem Wesen, wenn sie vom Blickpunkt der Poiesis her als »Hervorbringung« eines Wahrheitsgeschehens und eine Weise der Offenbarkeit des Seins begriffen wird. Literatur ist für Heidegger ein eigenes, von der Dichtung strikt zu trennendes Phänomen des Kulturbetriebes, das den Blick auf die »innerste Not des Todes der Götter« 200 verstellt und vom Machtbereich der Dichtung ausschließt. Heidegger betrachtet diesen negativ eingefärbten Literaturbegriff als ein Derivat der abendländischen Kunst- und Geistesgeschichte, die alles unter dem Vorzeichen des platonischen Wesensbegriffes und der Vorhandenheit begreift, für das Wesen der Dichtung seiner Auffassung nach jedoch blind geblieben ist. Die Dichtung ist im Gegensatz zur Literatur nicht dem »Kulturbetrieb« verfallen, sondern besitzt ihre eigene Dignität und Authentizität als Ort der Wesung des Seins. Dichtung ist nichts Verfügbares, sondern der Machtbereich, in den die Anziehungskraft des Seins im Gedicht denjenigen hineinzieht, der entschlossen und imstande ist, »mit dem Dichter in der rechten Weise mitzuhören«. 207 Heidegger rechtfertigt mit einem weiteren Negativkriterium, das er den gängigen metaphysischen Verbindlichkeiten zuordnet, seinen neuen Zugang zur Dichtung. Dieses Ausschlußkriterium lautet:
201
Vgl. zu Ursprung und poetologischer Wirkung dieses Ansatzes auch J . Jurt, Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis, Darmstadt 1995, S.3ff. 203 Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, Bd. 2, Pfullingen 1961, S. iy2f. 204 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 29. 2 °> Vgl. ebd., S.222. 206 Vgl. ebd., S.ioo. 207 Vgl. ebd., S. 199. 165
D a s Gedicht ist nicht das nur vorhandene sinn- und schönheitsbehaftete Sprachgebilde. 2 0 8
N a c h Heideggers Auffassung hat die Ästhetik als metaphysische Disziplin das Gedicht immer als ein »vorhandenes Lesestück«, das in seinen Einzelheiten analysiert u n d erklärt werden kann, gesehen. 2 0 ' Auf dieses Geltungsparadigma zielt die Kritik Heideggers: Die Vorhandenheit von Dichtung entspricht zwar einer alltäglichen Stellung zu poetischen Kunstformen und ist Ausdruck von deren Gebrauchscharakter. Nach Heidegger m u ß dieses Vorhandenheitsmerkmal jedoch getilgt werden, weil damit das Dasein »schaltend und waltend« über die D i c h t u n g verfügt, anstatt sich in ihren Machtbereich zu stellen und selbst zum Lebensträger der Macht der Dichtung zu werden. 2 1 0 Ähnlich gelagert ist Heideggers Kritik am wissenschaftlichen Zugriff auf die Dichtung. Heidegger kritisiert zum einen den wissenschaftlichen Zugang als oberflächliche B e m ü h u n g um die bloße Vorhandenheit des Gedichts, die ebenso wie der alltägliche Gebrauch in privater Lektüre die Möglichkeit eines dichterisch ausgerichteten Lebens verhindert: Es soll daher, so Heideggers Anspruch, nicht »Griffiges und Gangbares f ü r Tagesbedürfnisse angeboten« oder Hölderlin »eine billige Zeitgemäßheit« verschafft w e r d e n . 2 " In diese Kritik schließt Heidegger auch die Philosophie mit ein, die er der Gefahr ausgesetzt sieht, das Gedicht nur nach philosophischen Lehrsätzen und Meinungen abzusuchen, u m daraus dann, wie im Fall Hölderlins, ein übergeordnetes philosophisches System zusammenbauen zu können. 2 1 2 Sein Ziel, so formuliert Heidegger mit apodiktischer Strenge, sei es, Hölderlins Dichtung zum Maß für »uns und die Kommenden« zu machen. 2 ' 3 Mit Recht hat die Heidegger-Forschung diesen »enervierend existenziellen Zug der Heideggerschen Auslegung« 214 als Bruch mit den bisherigen wissenschaftlichen Meinungen zu Hölderlin aufgefaßt. Der antiwissenschaftliche und antiphilologische Affekt zeigt sich weiter in der >Vorbemerkung< zur ersten Hölderlin-Vorlesung, die vermutlich als Reaktion auf eine von Paul Böckmann verfaßte Hölderlin-Monographie 2 1 ' entstanden ist: 216 208
Vgl. Vgl. 2,0 Vgl. 2.1 Vgl. 2.2 Vgl. 2.3 Vgl. 214 Vgl. 2I ' Vgl. 209
2,6
166
ebd., S.28. M. Heidegger, Hölderlins H y m n e n , G A B d . 39, F r a n k f u r t a . M . 1980, S. 19. ebd. ebd., S.4. ebd., S.5. ebd., S.4. I. B u c h h e i m , Wegbereitung in die Kunstlosigkeit, W ü r z b u r g 1994, S. 55. P. B ö c k m a n n , H ö l d e r l i n und seine G ö t t e r , M ü n c h e n 1 9 3 5 .
H e i d e g g e r hat diese > Vorbemerkung« als Zettel seiner ersten H ö l d e r l i n - V o r l e s u n g beigelegt, worauf Pöggeler hinweist, der zur B e g r ü n d u n g Heideggers Bestreben anführt, sich von den Beiträgen der zeitgenössischen Literarhistorie zu distanzieren. V g l . O . Pöggeler, Heideggers Begegnung mit Hölderlin, 1 9 7 7 , S. 42. E s ist offensichtlich, daß Heidegger an Böckmanns Interpretationen Anstoß genommen hat, aus w e l -
Man schreibt jetzt über >Hölderlin und seine GötterDie Grundbegriffe derMetaphysik< im Wintersemester 1929/30 mit der dynamisch-politischen Metapher des Wirbels seine Definition von Philosophie:
254
M . Heidegger, Reden und andere Zeugnisse, G A B d . 16, F r a n k f u r t a.M. 2000, S. 1 1 7 .
2
" V g l . ebd. 25Der IsterDie Titanen«: »Göttliches trifft untheilnehmende nicht«. Vgl. S t A II, S . 2 1 7 .
271
Vgl. M . Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen
176
,7
i 9 9 3 , S. i j o f .
dikalisierung der Zeitlichkeit des Verstehens« 272 führt zum Paradoxon einer »Theorie der Geschichtsvermeidung« 2 7 ', da die Vielfalt der von der Vergangenheit bis zur Gegenwart reichenden historischen Horizonte von Heidegger nicht annähernd in Betracht gezogen wird, sondern ausschließlich die Zeit »an sich«, an der sich das Verstehen ausbildet. Die vorgängigen Setzungen, mit denen Heideggers Verstehensbegriff hier operiert, verstellen außerdem den Blick auf die Tatsache, daß jede Interpretation von einem Standpunkt der Gegenwart aus geschieht. Die Annahme einer Vorstruktur, auf der das Verstehen immer beruht, greift zu kurz, weil jeder Interpret in starkem Maße auch von aktuellen Strukturen, etwa von Absichten und Meinungen der Gegenwart, geleitet ist. Es läßt sich festhalten, daß die universale Verzeitlichung des Verstehens die subjektive Historizität des im Akt des Lesens und Verstehens von Texten produktiv veranschlagten Hintergrundwissens um Vergangenheit und Gegenwart verdeckt. Die Möglichkeit einer individuellen, aus dem Kontext vermittelter und erfahrener Wirklichkeit entspringenden und darin immer geschichtlichen Deutung zieht Heidegger auch in der ersten Hölderlin-Vorlesung nicht in Betracht. Hier wird die Interpretationsleistung unseres, so Heidegger polemisch, »vermeintlichen Besserwissens und unserer kleinen Schlauheit«, durch die in Dichtung und Denken des Seins waltende ursprünglich-geschichtliche Zeit der Völker förmlich ausgelöscht. 274 Damit ist klar: Die Zeit ist für Heidegger nicht Realgeschichte, sondern die von im selbst abgefaßte Geschichte des Seins. Doch als solche kann sie für die historischen Wissenschaften keinen geeigneten hermeneutischen Hintergrund zur Erklärung der Vielfalt historischer Details und Phänomene bilden. Jean Grondin hat darauf hingewiesen, daß Chladenius' Lehre vom »SehePunckt« von sämtlichen Historikern der Hermeneutik wegen ihrer Modernität hervorgehoben worden ist. 275 Die Einführung der Perspektive in die Hermeneutik schenkte dem Verstehen eine neue geistige Voraussetzung, denn nun konnte dem Befund der vielgestaltigen und subjektiven Aufnahme von Texten - Chladenius spricht in diesem Fall von den individuellen und »unzehligen Abwechselungen der Begriffe, die die Menschen von einer Sache haben« 276 - auch
272
Vgl. P.J. Brenner, Das Problem der Interpretation, Tübingen 1998, S. 59. Vgl. W. Franzen, Von der Existenzialontologie zur Seinsgeschichte. Eine Untersuchung über die Entwicklung der Philosophie Martin Heideggers, Meisenheim 1975, S. 129. 274 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 51. Zum Anfang einer in Dichtung und Denken gegründeten »anderen Geschichte« vgl. auch S. Ziegler, Heidegger, Hölderlin und die Aletheia, Berlin 1991, S. 26ff. 275 Vgl. J . Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, Darmstadt 1991, 2/)
176
S.72. Vgl. J . M . Chladenius, Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften, Düsseldorf 1969, S. 188. r
77
im Rahmen der Theoriebildung Rechnung getragen werden. Heideggers Hermeneutik versagt sich in diesem Punkt einem Anschluß. Er verabschiedet die Perspektivierung des Verstehens, indem er die »Lage des Betrachters« von außen in das Innere des Hölderlinschen Gedichtes verlegt. Durch diese komplexitätsreduzierende Operation kehrt Heidegger zu einer vormodernen Leküre zurück, die den Text nicht als ein interpretierbares Anderes, sondern als Offenbarung, die vernommen werden muß, begreift. Die Aufgabe, die dem Leser vor diesem Hintergrund zukommt, ist nicht Interpretation, sondern Partizipation: ... wir müssen am Ende sogar erst und gerade teilnehmen an der Dichtung, um allererst die notwendige Bedingung dafür zu schaffen, daß es die Zeit wird, in der wir dann überhaupt erfahren können, wer wir sind. 277
Die Teilnahme an der Dichtung verbindet Heidegger mit einer der Selbstaufklärung dienenden Leseerfahrung. Man verstünde Heidegger aber falsch, wenn man dieses Lesen als besinnliche Selbsterfahrung deuten wollte. Die Erfahrung des Eigenen läßt sich nicht durch das »selbstische Machen« 2 7 8 der Reflexion erwerben. Heidegger hat immer und ausschließlich den Bezug des Menschen zum Sein im Blick, wenn er darauf verweist, daß nur die Teilnahme an Dichtung schließlich zu einem Wissen um die eigentliche Zeit führt, die unbehelligt von der Geschichtlichkeit des lesenden Verstehens in Hölderlins Gedicht anbricht. 27 » Der einzige Fokus, unter dem bei Heidegger die Lektüre und Deutung von Dichtung stattfindet, ist die Seinsgeschichte. Durch diese einseitige Betrachtungsweise hat Heideggers Denken sich den kritischen Blick auf die realhistorischen Vorgänge selbst verstellt und ist der radikalen Seite des Politischen zeitweise in fataler Weise erlegen. Heideggers eigenartige Terminologie der Turbulenz und der Erschütterung findet sich nicht nur in seinen Vorlesungen zu Hölderlin, sondern erscheint beispielsweise auch in seiner ersten Bekenntnisrede zu Hitler, w o es wörtlich heißt: Die nationalsozialistische Revolution ist nicht bloß die Übernahme einer vorhandenen Macht im Staat durch eine andere dazu hinreichend angewachsene Partei, sie bringt die v o l l i ge U m w ä l z u n g u n s e r e s d e u t s c h e n D a s e i n s . 2 1 , 0
»Wirbel« und » U m w ä l z u n g « sind Metaphern des Umsturzes und der Beseitigung von Ordnung. Diese Begriffe sind als Indizes einer dionysisch-vitalistisch unterströmten Philosophie zu lesen, als deren Gründervater der junge Nietzsche gesehen werden kann. 2 8 ' Nietzsches >Geburt der Tragödie aus dem Geiste 2/7
Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. j8f. Vgl. M. Heidegger, >Der Ister«, G A Bd. 53, Frankfurt a.M. 1984, S. 24. 279 Dieser Gedanke wird von Heidegger als »Heimischwerden im Eigenen« später in der Ister-Vorlesung weiter vertieft. Vgl. ebd., S. 60. 280 Zitiert nach G . Schneeberger, Nachlese zu Heidegger, Bern 1963, S. 1 $0. 281 Vgl. P.J. Brenner, Das Problem der Interpretation, Tübingen 1998, S . 2 3 i f . 278
178
der Musik< liefert nicht allein rauschvoll-plastische Schilderungen des dionysischen Bacchanals, sondern entwickelt mit dem Dualismus des »Apollinischen« und »Dionysischen« den Gedanken einer Ursprungskonstellation, aus derem impliziten Gegensatz Geschichte, Kunst und damit Welt erst hervorgehen. Während das Apollinische für die gestalterische Ausgewogenheit und harmonievolle Formung in der schönen Kunst steht, in der sich dasprincipium individuationis als Bewußtsein und Intellekt artikuliert und so den Schein der Schönheit über die Abgründe des Urnatürlichen breitet, zerreißt das Dionysische mit Gewalt den Schleier, den die Erkenntnisformen der Erscheinung über den Urgrund der Natur legen.282 Das principium individuationis zerbricht, weil das Dionysische das Subjektive bis zur völligen Entgrenzung steigert, verabsolutiert und dann in Selbstvergessenheit versinken läßt.28' Nietzsche erklärt die von kognitiven Beschränkungen, vom Primat der Nützlichkeit und moralischen Erwägungen befreite und darin schließlich sich selbst entäußerte Subjektivität zur »Gegeninstanz zur Vernunft« und weist damit einen »Fluchtweg aus der Moderne«.284 Das dualistische Konzept des Apollinischen und Dionysischen ist durch die Nietzsche-Rezeption weiterentfaltet worden und konnte so seine begriffsgeschichtliche Karriere bis weit in den akademischen Bereich fortsetzen. Heideggers Auflösungsvision des geschichtlichen Subjekts, das im Wirbel des Gedichtes seine eigentliche Bestimmung erfährt, schließt direkt an Nietzsches »Denken des Außen« 28 ', sein dualistisch ausgerichtetes Asthetik-Konzept und dessen lebensphilosophische Implikationen an. In seinen NietzscheVorlesungen bezeichnet Heidegger den »Widerstreit« des Dionysischen und des Apollinischen in den Werken Nietzsches und Hölderlins als ein »verborgenes Stilgesetz der geschichtlichen Bestimmung«, das die Deutschen »bereit und vorbereitet finden muß zu seiner Gestaltung«.286 Der Nachweis von lebensphilosophischen Polaritätskonzepten wie dem Widerstreit des Dionysischen und des Apollinischen war auch in der nach nationalen Wesensschichten forschenden Germanistik der frühen zwanziger Jahre eine verbreitete Richtung. 2 ' 7 Daß 282
Vgl. F. Nictzsche, Werke, Bd. 1, Darmstadt 1997, S. 24. ' V g l . ebd. 284 Vgl. J . Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M. '1985, S. 1 1 7 . 285 Vgl. M. Foucault, La pensee du dehors, 1994, S. 522. Foucault sieht außerdem in der Dichtung Hölderlins und ihrer Trauer um die Abwesenheit der Götter die Chiffren für die »experience du dehors« - ein weiterer Grund dafür, daß Heidegger gerade Hölderlins Dichtung zum grenzüberschreitenden Thema seines sich der Subjektivität entäußern wollenden Denkens macht. Vgl. ebd., S. J 2 i f . 296 Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, Bd. 1, Pfullingen 1961, S. 124. 287 Vgl. J. Hermand, Geschichte der Germanistik, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 86. So spricht Hermann Pongs beispielsweise von Hölderlins »Doppelumfassen deutschen und griechischen Wesens, das er wiederum tiefsinnig jedes in sich selber aufspürt als i8
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Heidegger diese dualistische Typologie als ein deutsches Stilgesetz deutet, gibt einen ersten Hinweis darauf, daß ihm die zeitgenössischen Forschungstendenzen in der Germanistik geläufig gewesen sind und auf sein Denken abgestrahlt haben. Darüber hinaus trifft sich Heidegger mit Nietzsche in der Ablehnung einer theoretisch konstituierten Kunst und in dem Versuch, im Künstlerischen einen Erfahrungsraum freizulegen, der den Menschen unmittelbar in Anspruch nimmt. Kunst ist nicht mehr ein Gegenstand der Repräsentation, sondern ein Faktum der Überwältigung rationaler Weltsicht. Heidegger faßt diese Erkenntnis in einem Satz zusammen: »Der ästhetische Grundzustand ist der Rausch ,..«. 288 Während bei Nietzsche die Naturgewalten des Dionysischen und des Apollinischen die sokratisch-theoretische Kultur überwinden, sind es bei Heidegger die »Seinsmächte« der Philosophie, der Dichtung und der Politik, die entropisch in die erlebte Wirklichkeit des Menschen hineinbrechen, Altes beseitigen und Neues schaffen. Diese Sprengung vertrauter, theoriegestifteter Ordnungen vollzieht sich in einer Art Kettenreaktion und schafft dadurch erst die geschichtliche Zeit: Das geschichtliche Dasein der Völker, nämlich »Aufgang, Höhe und Untergang«, entspringt aus der Dichtung, »aus dieser das eigentliche Wissen im Sinne der Philosophie und aus beiden die Erwirkung des Daseins eines Volkes als eines Volkes durch den Staat - die Politik«. 2 " 9 Wiederholt spricht Heidegger deshalb in seiner Vorlesung das Werden geschichtlicher Gemeinschaft an und wiederholt die Aufgabenbereiche der Seinsmächte. Während der Dichter die »Wahrheit des Daseins eines Volkes« ursprünglich stiftet, bringt der Denker diese auf den Begriff als »Seyn«, das durch den Staatsschöpfer schließlich in eine geschichtliche Wahrheit umgesetzt wird. 2 ? 0 U m diesen Vorgang geschichtlicher Transgression und ursprünglicher Neustiftung in seiner Singularität einprägsam darzulegen, fällt Heidegger in einen expressivemphatischen Sprachgestus: Diese Zeiten der Schaffenden ragen hinaus über das bloße Nacheinander der eiligen Tage in der Flachheit des Alltäglichen und sind doch kein starres, zeitloses D a r ü b e r hinaus, sondern Zeiten a u f w o g e n d über die Erde hin, eigenes Fluten und eigenes G e setz. 2 !"
Heidegger bestimmt das Schaffen der Schaffenden als geschichtlichen Ausnahmezustand, der über die Grenzen der Alltäglichkeit hinausragt und seine eige-
ein duales Ringen griechisch-dionysischen Rausches, der sich in apollinische F o r m beruhigt, und deutsch-apollinischen Genügens, das der dionysischen E n t r ü c k u n g bedarf«. V g l . H . P o n g s , D a s Bild in der Dichtung, Bd. i , M a r b u r g 1 9 2 7 , S . 2 8 3 . 288
Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, Bd. 1 , Pfullingen 1 9 6 1 , S. 1 1 6 . V g l . M . Heidegger, Hölderlins H y m n e n , G A B d . 39, F r a n k f u r t a.M. 1980, S. 5 1 . 290 V g l . ebd., S . 1 4 4 . 2S ' Ebd., S.52. 289
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nen Gesetzmäßigkeiten besitzt, dabei aber nicht in die Zeitlosigkeit des A b s o luten enthoben ist, sondern in der Z e i t u n d über die Zeit in die Welt hineinw i r k t . Im G e g e n s a t z zu Nietzsche, der seine Entgrenzungsphantasien auf das G e b i e t der K u n s t beschränkt, bleiben H e i d e g g e r s Visionen über Erschütterung, A u f l ö s u n g v o n G r e n z e n u n d N e u a n f a n g keine ästhetischen Phantasmagorien, sondern stehen in einem evidenten K o n t a k t mit der politischen W i r k lichkeit, die in den dreißiger J a h r e n das U m f e l d seiner O p t i o n f ü r den N a t i o nalsozialismus bildet. H e i d e g g e r sieht noch 1 9 3 4 / 3 5 die D i c h t u n g H ö l d e r l i n s als ein A g e n s der neu hereinbrechenden geschichtlichen Wirklichkeit u n d betrachtet die nationalsozialistische R e v o l u t i o n als Trägerin dieser Wirklichkeit. H ö l d e r l i n selbst w i r d als D i c h t e r angesprochen, der in einem geschichtlich-politischen A u g e n b l i c k das k ü n f t i g e Sein eines Volkes in seine Geschichte v o r a u s spricht. 2 9 2 D e r Wirbel v o n D e n k e n u n d D i c h t u n g hebt als eine A r t o n t o l o g i sches B e w e g u n g s m o m e n t das V o l k in die Bodenlosigkeit eines eigentlichen D a seins, welches H e i d e g g e r freilich nicht näher beschreibt, weil f ü r ihn allein der V o r g a n g dieser Selbstwerdung als solcher von B e d e u t u n g ist. D a s a n o n y m e , weltkonstituierende »Ich bin« mit seinem selbstverantwortlichen Verhältnis z u einer G e m e i n s c h a f t v e r n u n f t b e g a b t e r Subjekte w i r d v o n H e i d e g g e r somit v ö l lig ausgeklammert. Stattdessen ernennt er mit H ö l d e r l i n einen D i c h t e r z u m konkreten Sprecher u n d K ü n d e r eines k o m m e n d e n Heilsgeschehens, der als stellvertretend handelnder E x p o n e n t einer eigentlichen, w a h r e n u n d geschichtlichen G e m e i n s c h a f t dargestellt w i r d . E s kann daher kein Z w e i f e l d a r ü b e r bestehen, daß H e i d e g g e r mit seinen B e trachtungen über H ö l d e r l i n tatsächlich in seine damalige politische G e g e n w a r t hineinwirken wollte. F ü r die f r ü h e H ö l d e r l i n - V o r l e s u n g ist als charakteristisch festzuhalten, daß sie keine philologische, w e n i g e r eine philosophische, aber sicher eine politisch-pädagogische Zielsetzung v e r f o l g t . 2 ' 3 D a s zeigt sich in der eigentümlichen D u r c h d r i n g u n g u n d Vermischung v o n politischer Partizipa-
292 295
Vgl. ebd., S.146. Die Auffassung, daß Heidegger mit seiner Hölderlin-Vorlesung in seine damalige Öffentlichkeit hineinwirken wollte, unterstützt auch Jamme, Hölderlin und das Problem der Metaphysik, 1988, S. 656. In diesem Zusammenhang erhält auch Heideggers Wort von der »Ermächtigung der Macht des Wesens der Dichtung« einen prekären Unterton. Der Begriff von der »Ermächtigung der Dichtung« gerät in eine gefährliche Nähe zum Vokabular des politischen Geschehens, in dem sich zuvor, am 23. März 1933, die faktische Ausschaltung des Parlamentes durch das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich«, dem sog. »Ermächtigungsgesetz«, ereignet hatte. Die eingeschränkte Verwendbarkeit dieses Begriffs, der eng mit der »Machtergreifung« konnotiert ist, kann Heidegger indes nicht entgangen sein: Offenbar scheute Heidegger die Nähe seines Denkens zur Tagespolitik nicht, sondern beabsichtigte sie sogar, denn sonst hätte er, der in der Begriffsfindung um Neuschöpfungen nie verlegen war, wohl ein anderes Wort gefunden. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 222. 181
tion, pessimistischer Zeitdiagnose und M e t a p h y s i k k r i t i k : In diesem K o n f l i k t feld w i r d H ö l d e r l i n politisch überhöht und z u m G e w ä h r s m a n n und Stifter einer »neu anfangenden N o t unseres geschichtlichen Daseins in der m e t a p h y s i schen N o t des Abendlandes«. 2 9 4 D i e s e neue » N o t « ist f ü r H e i d e g g e r mehr als das politische P r o g r a m m des N a t i o n a l s o z i a l i s m u s - es ist ein weit ü b e r den tagespolitischen Betrieb hinausgehender, »meta-politischer«, aber dabei ziellosdezisionistischer u n d inhaltlich v o l l k o m m e n leerer A u f b r u c h , in dem »ein A n deres v o r sich geht als die bloße A b w a n d l u n g innerpolitischer Z u s t ä n d e « . 2 " A u s d e r A n n a h m e dieser neuen N o t erklären sich auch Heideggers v o l k s p ä d agogische B e m ü h u n g e n , der D i c h t u n g H ö l d e r l i n s »das rechte H ö r e n z u erziehen« und damit letztlich einen Beitrag z u r E n t f a l t u n g der F r a g e nach d e r Wahrheit des Seins zu leisten. 2 ' 6 V o r d e m H i n t e r g r u n d dieser A s p e k t e w i r d deutlich, daß H e i d e g g e r z u m Z e i t p u n k t seiner H i n w e n d u n g z u H ö l d e r l i n mehr w a r als ein opportunistischer akademischer K o m p l i z e des Nationalsozialismus. Beseelt von der eigenen A u f g a b e der Destruktion d e r M e t a p h y s i k als rationaler D e n k f o r m erscheint H e i d e g g e r im Politischen zugleich intellektuell fasziniert v o n den W i r k u n g e n eines »großen Prozesses d e r D e m o n t a g e v o n Tradition« 2 9 7 u n d der d a mit einhergehenden Totalität der V e r ä n d e r u n g , die die politische B e w e g u n g des N a t i o n a l s o z i a l i s m u s f ü r sich in A n s p r u c h nahm. D i e totale U m w ä l z u n g der politischen Verhältnisse und der totale N e u a n f a n g in der P h i l o s o p h i e werden deshalb v o n Heidegger über einige J a h r e h i n w e g als geistige Parallelbewegungen gesehen, die in der subversiven A b l e h n u n g des Bestehenden u n d in d e m G l a u b e n an die N o t w e n d i g k e i t eines N e u a n f a n g s gemeinsame verhängnisvolle A u s g a n g s p u n k t e haben. Erst das Scheitern des auf d e m Wege zu einer P o e t o l o gie ausgearbeiteten, aber nicht u m z u s e t z e n d e n politischen K o n z e p t s läßt das Politische in Heideggers D e n k e n w i e d e r auf eine w e n i g e r augenscheinliche E b e n e herabsinken. A l e x a n d e r Schwan ist in seiner maßgeblichen Studie ü b e r den politischen H e i d e g g e r z u dem Ergebnis g e k o m m e n , daß die U b e r e i n k u n f t zwischen N a tionalsozialismus und Heideggerschem D e n k e n im A u s m a ß des J a h r e s 1 9 3 3 k e i n e n Bestand haben konnte, »wenn H e i d e g g e r s Philosophie sich nicht selbst a u f g e b e n wollte, so sehr auch die B e j a h u n g des Führerstaats zunächst in ihr angelegt w a r « . D e r wesentliche G r u n d d a f ü r ist nach Schwans A u f f a s s u n g die ideologisch-totalitäre Erstarrung der nationalsozialistischen B e w e g u n g z u m S y s t e m : D i e s e E n t w i c k l u n g begleite H e i d e g g e r mit kritischen B e m e r k u n g e n ,
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"Vgl. ebd., S.134. Vgl. ebd. 296 Vgl. ebd. S . i 4 8 f . 297 Vgl. R. Dahrendorf, Der moderne soziale Konflikt. Essay zur Politik der Freiheit, München 1994, S. 110. 295
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die sich zwar gegen die herrschende Ideologie, aber nicht gegen den Führerstaat als solchen wenden. 2 ' 8 U b e r die politisch-denkerische Indienstnahme der Dichtung Hölderlins entzieht sich Heidegger nach dem Scheitern des R e k t o rats schrittweise den äußeren politischen Gegebenheiten, die nach seiner Einschätzung immer mehr dem »Bedürfnis des wildgewordenen Kleinbürgers« entsprechen. 2 " Damit ist jedoch keine Dissidenz oder »innere Emigration« verbunden. Die politisch-denkerische Indienstnahme Hölderlins entfernt sich zwar von den direkten tagespolitischen Vorgängen, konserviert sich aber beispielsweise in Verbindung mit der ideologisch kaum verhüllten Technikkritik auch in den weiteren interpretatorischen Bemühungen Heideggers um den Dichter. Die Kritik an der Technik ist also keine resignative » A b k e h r von der Politik des Zeitalters in allen ihren Formen«' 0 0 , sondern bleibt von seinsgeschichtlich ausschweifenden, im Kern aber immer politischen Zielsetzungen beherrscht. So heißt es noch in einer Vorlesung des Wintersemesters 1 9 4 1 / 4 2 über Hölderlins Werk und seinen Anspruch: Es handelt sich darum, ob das Wesen des ungeschichtlich gewordenen planetarischen Menschen ins Wanken und damit in die Besinnung gebracht w i r d . 3 0 1
Es ist gezeigt worden, daß Heideggers erste Hölderlin-Vorlesung unter dem Eindruck der tagespolitischen Vorgänge von 1933 steht. Das ist die eine Ebene dieser Vorlesung, die offensichtlich erscheint und leicht nachgewiesen werden kann. Die andere Ebene liegt tiefer, jenseits unmittelbarer tagespolitischer E r eignisse, im Bereich des denkerischen Umgangs mit und der Deutung von Dichtung. Daß sich auch auf dieser Ebene politische Vorgänge vollziehen können, gehört zu den Grundeinsichten sozialgeschichtlicher Forschung - schließlich ist Politik weder f ü r das Denken noch f ü r das Dichten ein unzugänglicher oder wesensfremder Raum. M a x Weber hat in dem Vortrag »Politik als Beruf< die Politik definiert als »Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt«. 302 Diese Aussage kann auch allgemein bezogen werden auf die Vielzahl der Gegensätze zwischen konkurrierenden Personen und Institutionen des wissenschaftlichen Raumes. Sie gilt im besonderen auch für die G r u p p e derjenigen Subjekte, die sich als Akteure einer Interpretationsgemeinschaft professionell mit dem Verständnis und der
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V g l . A . Schwan, Politische Philosophie im D e n k e n Heideggers, K ö l n / O p l a d e n 1 9 6 5 , S. i o i f . 2 " S o Heidegger in seiner N i e t z s c h e - V o r l e s u n g von 1939. Vgl. M. Heidegger, N i e t z sche, B d . 1, Pfullingen 1 9 6 1 , S. 146. 300 V g l . A . Schwan, Politische Philosophie, K ö l n / O p l a d e n 1965, S. 105. 301 M . Heidegger, >AndenkenHomburger Fragmenten*, etwa im >Grund z u m EmpedoklesAn die Deutschen< und interpretiert es als poetisches Selbstbekenntnis: Ο ihr Guten! Auch wir sind / tatenarm und gedankenvoll! 401
Dieses Odenwort, das als Klage über die Tatferne ein Grundthema der Dichtung Hölderlins berührt, steht leitmotivisch über Heideggers Ausführungen zum ersten Leitwort, auch wenn die direkte Zuweisung dieses Wortes unterbleibt. Heidegger zeichnet hier das Gegenbild einer politisch-operativen, »engagierten« Literatur, die in die gesellschaftlichen Realitäten ihrer Zeit hineinwirken will und damit Zwecke außerhalb ihrer selbst setzt und findet. Die Dichtung, deren Begriff Heidegger aus dem Hölderlin-Zitat des »unschuldigsten Geschäftes« herausliest, ist ohne den »Ernst der Handlung« und »hat nichts von der Tat, die unmittelbar in das Wirkliche eingreift und es verwandelt«, sie ist »wie ein Traum« dem direkten Einflußbereich des Faktischen enthoben und daher tatfern und »versonnen«, also kontemplativ. 402 Auch Walter Benjamin hat diese Attribute der Tatferne in der dichterischen Haltung Hölderlins beschrieben und gerät damit in die Nähe der poetologischen Positionen Heideggers: In die Mitte des Lebens versetzt, bleibt ihm nichts, als das reglose Dasein, die völlige Passivität, die das Wesen des Mutigen ist ... 4 ° 3
Die »völlige Passivität« ist nach Heideggers Auffassung jedoch nicht als Analogon einer Flucht des Dichters aus der Welt in die Innerlichkeit zu sehen. Für Heidegger ist Dichtung ein »Spiel in Worten« 404 , und als solches eröffnet sie einen Spielraum, die Lichtung, deren Tiefendimension auf die Wahrheit verweist. 4 0 ' Derjenige, der in diesem Spielraum steht - und das ist für Heidegger der Seinsdichter Hölderlin - ist verpflichtet, nach der Wahrheit jenseits der H o rizonte des Seienden zu fragen, einer Wahrheit, die sich ihm aufgrund eines anderen, singulären Bezugs zum Sein erschließt. Die Spielmetapher impliziert also einen ethischen Imperativ, den Martin Seel deutlich definiert:
« ' V g l . ebd. Seel betont, Heidegger setze die Metapher des Spiels unter ethischen Vorzeichen ein, um das Verhältnis des Menschen zum Sein zu veranschaulichen. Vgl. M. Seel, Heidegger und die Ethik des Spiels, ' 1 9 9 1 , S. 2J4ff. 401 StA II, S.9. 4 z ° Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.35. 40) W. Benjamin, Zwei Gedichte von Friedrich Hölderlin, 1972, S. 125. 404 M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.35. 405 Vgl. E. Tugendhat, Heideggers Idee von Wahrheit, '1994, S.297. 400
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Im Gebrauch der Spielmetapher zur Charakterisierung der Stellung des Menschen zum Sein dramatisiert Heidegger die ethischen Konnotationen, die allen seinen Analysen beigelegt sind. 4 ° 6 In K a p i t e l 2 . 1 ist bereits entwickelt w o r d e n , daß d e m schöpferischen Tun, im b e s o n d e r e n aber der künstlerischen S c h ö p f u n g , durch ein Wahrheitsgeschehen ein b e s o n d e r e s Verhältnis zur Wirklichkeit des Seins eignet. H e i d e g g e r e n t w i k kelt aus d e m H ö l d e r l i n - Z i t a t v o m »unschuldigsten G e s c h ä f t « ein G r u n d m o t i v seiner P o e t o l o g i e , f ü g t jedoch einschränkend hinzu, daß diese Außenseite des D i c h t e n s allein das Wesen der D i c h t u n g nicht ermessen kann: Indem wir die Dichtung für das »unschuldigste aller Geschäfte« nehmen, haben wir allerdings noch nicht ihr Wesen begriffen. 407 H e i d e g g e r adaptiert den polaren D i c h t u n g s b e g r i f f , den H ö l d e r l i n in d e m Brief an seinen B r u d e r entwickelt hat: D a s Spielerische der D i c h t u n g w i r d dort v o n H ö l d e r l i n als die »anspruchlose Außenseite, die freilich v o n ihrem Wesen [dem Wesen der Poesie, A n m . d. Verf.] unzertrennlich ist« 4 ° 8 , erläutert. D i e Innenseite u n d w a h r e N a t u r der Dichtung ist, so f ä h r t H ö l d e r l i n fort, dagegen die »lebendige R u h e , w o alle K r ä f t e regsam sind«. 4 0 9 Heideggers A u s f ü h r u n g e n bew e g e n sich in diesem ersten Abschnitt des R o m v o r t r a g s auf einer R e f l e x i o n s stufe, die deutlich v o n Hölderlins G e d a n k e n inspiriert ist. D e r Inhalt des besagten H ö l d e r l i n - B r i e f e s liegt wie eine unsichtbare, aber immer gegenwärtige R e f e r e n z f o l i e unter seinen Überlegungen u n d entspricht d e m f o l g e n d e n G e d a n ken: D i e Außenseite der Dichtung ist in ihrer H a r m l o s i g k e i t u n d in ihrer die Z w e c k s e t z u n g e n der V e r n u n f t überspielenden Wirkungslosigkeit das exoterische P h ä n o m e n des »unschuldigsten G e s c h ä f t e s « . Sie kann zugleich einen » F i n g e r z e i g « auf das andere Wesensmerkmal geben, das neben der K o m p o n e n te des Spiels ein zweiter, integraler Bestandteil des Wesens der D i c h t u n g ist die D i c h t u n g als gefährlichstes G u t .
3.3.2.6 Die Sprache als gefährlichstes Gut In d e r Erläuterung des zweiten L e i t w o r t e s entwickelt H e i d e g g e r eine weitere K o m p o n e n t e der D i c h t u n g , die sich aus ihrer G e b u n d e n h e i t an die Sprache als »gefährlichstes G u t « ergibt. Diese neue B e d e u t u n g s s t r u k t u r soll im f o l g e n d e n erarbeitet w e r d e n . D a s zweite Leitwort des R o m v o r t r a g s ist dem F r a g m e n t >Im Walde< 4 '° e n t n o m m e n . Heidegger isoliert daraus als L e i t w o r t im P r o l o g des Vortrages die Textzeile » D a r u m ist der G ü t e r Gefährlichstes, die Sprache d e m 406
M. Seel, Heidegger und die Ethik des Spiels, z i 9 9 i , S. 255. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.35. 408 Vgl. StA VI, S.305. 409 Vgl. ebd. 4,0 S t A II, S.325. 407
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Menschen gegeben ... damit er zeuge, was er sei...«, führt zu Beginn seiner Erläuterung aber das gesamte Fragment an. Vorausgehend hatte Heidegger den Gedanken des »unschuldigsten Geschäftes« erörtert; diesem ersten zentralen Motiv seiner Dichtungstheorie stellt er nun die Sprache, »der Güter Gefährlichstes«, gegenüber und konstruiert so eine Antinomie, deren scheinbaren Widerspruch er im weiteren auflösen will. Dabei nennt Heidegger zunächst drei Fragen, die zuvor bedacht werden sollen: »Wessen Gut ist die Sprache?«, »Inwiefern ist sie das gefährlichste Gut?« und »In welchem Sinne ist sie überhaupt ein G u t ? « 4 " An den Anfang seiner Erläuterungen zur Sprache stellt Heidegger die fundamentale Frage menschlicher Existenz, die anthropologische Frage schlechthin: »Wer ist der Mensch?« Er entfaltet dieses Problem jedoch nicht in der üblichen Weise, indem er explizit ausführt, was den Menschen kennzeichnet und was ihn von den anderen Lebewesen unterscheidet. Die Frage nach dem Wesen des Menschen kann von der traditionellen Anthropologie nicht zufriedenstellend beantwortet werden, denn - so betont Heidegger im Humanismusbrief - »im Wer? oder Was? halten wir schon nach einem Personhaften oder nach einem Gegenstand Ausschau«. 412 Bereits in >Scin und Zeit< wendet sich Heidegger gegen den Versuch der Anthropologie, anhand der griechischen Definition und eines theologischen Leitfadens eines Wesensbestimmung des Menschen vorzunehmen, weil die Frage nach dem Seienden versäumt, nach dem Sein zu fragen und sich den ontologischen Zugang zum Wesen des Menschen damit verschließt. 4 ' 3 Heidegger kritisiert den Versuch der Anthropologie, das Menschsein über die Personalität qua Selbstverfügung und Selbstbewußtsein zu erklären, denn »das Personhafte verfehlt und verbaut zugleich das Wesende der seinsgeschichtlichen Ek-sistenz«. 4 ' 4 Wie kann aber die seinsgeschichtliche Existenz dann begriffen werden? In der Vorlesung Einführung in die Metaphysik< hatte Heidegger das Menschsein im Rekurs auf die Seinsfrage noch als Stätte der Seinseröffnung definiert. 4 ' 5 Im Romvortrag tritt ein neuer Aspekt hinzu, denn Heidegger beantwortet die aufgeworfene Frage (»Wer ist der Mensch?«) mit Blick auf Hölderlin: Der Mensch ist »jener, der zeugen muß, was er sei«. 4 ' 6 Menschliche Existenz zeichnet sich demnach durch die Bezeugung des eigenen Daseins aus. Heidegger greift paraphrasierend auf das besagte Hölderlin-Wort zurück und schließt einen Exkurs an: Zeugen meint Bekunden, in einer weitreichenderen Bedeutung sagt es »für 4
" M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.35. Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 18. 413 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1 7 i993, S.49. 414 Vgl. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 18. 415 Vgl. M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, G A Bd. 40, Frankfurt a.M. 1983, S. 214. 4,Sein und Zeit< hat hier eine Änderung der Hinsicht stattgefunden: In >Sein und Zeit< war die Welt als Möglichkeit und Seinscharakter (Existenzial) erklärt worden, deren Auffassung nicht auf die Faktizität reduziert werden dürfe. 4 ' 9 Den Bezug des Menschen zur Welt definierte Heidegger im Rahmen seiner Daseinsanalyse als In-der-Welt-sein. Das Subjekt ist damit in einer ihm vertrauten Außensphäre des nächsten Umgangs situiert, auf die es sich erkennend, intentional und besorgend bezieht, von der es aber auch geprägt wird. 4 2 0 Gadamer hat mit leiser Ironie darauf hingedeutet, daß vor diesem Hintergrund der Begriff der Erde wie ein »mythischer und gnostischer Urlaut, der in der Welt der Dichtung Heimatrecht haben mochte« 4 2 ', klingt. Eine ontologische Beziehung zwischen der »Zugehörigkeit zur Erde« und dem In-der-Welt-sein ist aus der in >Sein und Zeit< entworfenen zentralen Befindlichkeit menschlichen Daseins nicht abzuleiten. Offenbar ist der Begriff der Erde auf diesem Wege nicht zu erklären. U m diese Leerstelle zu füllen, kann aber der Aufsatz >Der Ursprung des KunstwerkesSeyn Urtheil Möglichkeit«, 1987, S. 124. 432 In Hölderlins Aufsätzen sind auch Theoreme der zeitgenössischen Philosophie verarbeitet, etwa der Gedanke einer Hervorbringung absoluter Einheit (omnitudo reali426
209
Es wäre für ein vollständiges Verständnis der Beziehung zwischen Hölderlin und Heidegger unentbehrlich, die inhaltlichen und strukturellen Entsprechungen des Hölderlinschen wie des Heideggerschen Denkens einander gegenüberzustellen und sie im Rahmen einer solchen synoptischen Zusammenschau miteinander zu vergleichen: Dem »höchsten Kampf« 453 mit der wechselseitigen Durchdringung des organischen und des aorgischen Prinzips im »Grund zum Empedokles« entspräche dann der »wesenhafte Streit« zwischen Erde und Welt bzw. Lichtung und Verbergung, in dem »jedes das andere über sich hinaus« 434 trägt. Dem könnten weitere Vergleichspaare hinzugefügt werden: Der Held Empedokles ist als Brennpunkt, in dem das Harmonisch-Entgegengesetzte eins wird, das Modell für die Daseinsbestimmung Heideggers, der die menschliche Existenz als Bezeugen der Innigkeit versteht und die »die Dinge im Widerstreit auseinanderhält und damit zugleich zusammenschließt«. 435 Das »reale Ubermaas der Innigkeit aus Feindseeligkeit und höchstem Zwist« 436 wäre dem »Aufstellen einer Welt und dem Herstellen von Erde« 437 gegenüberzustellen, die in der Vereinigung der Extreme erreichte »reinere Allgemeinheit« 438 koinzidiert mit der im Kunstwerk hervorgebrachten »Offenheit des Seienden«.439 Schließlich könnte auch die harmonische Entgegensetzung von Natur und Kunst 440 auf das »Gegeneinander von Welt und Erde« 441 bezogen werden. Eine derartige Synopse müßte die These erhärten, daß Heideggers Denken sich
tas, die Fichte als absolutes Ich denkt) aus der V e r b i n d u n g des Entgegengesetzten in einer höchsten Synthesis, den Fichte in seiner »Wissenschaftslehre« entwickelt hat. V g l . J . G . Fichte, G r u n d l a g e der gesamten Wissenschaftslehre als H a n d s c h r i f t f ü r seine Z u h ö r e r , 1965, S. Die Forschung hat daraus die V e r m u t u n g gewonnen, daß Fichtes »Wissenschaftslehrc« mit der in den dichtungstheoretischen Texten H ö l d e r lins dargelegten Vereinigungsphilosophie korrespondiert. Vgl. G . K u r z , Mittelbarkeit und Vereinigung. Z u m Verhältnis von Poesie, R e f l e x i o n und R e v o l u t i o n bei Hölderlin, Stuttgart 1 9 7 5 , S. 16; 8off. s o w i e D . Henrich, H e g e l im Kontext, F r a n k f u r t a . M . 4 i 9 8 8 , S. 2of. Eitel T i m m weist in einer phänomenologischen Betrachtung des dichterischen G e f ü h l s dagegen darauf hin, daß die E r f a s s u n g des N u m i n o s e n und der Stiftungscharakter des Dichtcns nicht aus der »Wissenschaftslehre« gewonnen w e r den können und daher als genuin Hölderlinscher Beitrag z u r Dichtungsästhetik betrachtet werden müssen. Vgl. E. T i m m , Das L y r i s c h e in der Dichtung: N o r m und Ethos der G a t t u n g bei Hölderlin, Brentano, E i c h e n d o r f f , R i l k e und Benn, München 1992, S. 2off. Z u r K r i t i k Hölderlins an Fichtes K o n z e p t i o n des absoluten Ich siehe M. Franz, H ö l d e r l i n s L o g i k , 1987, S. io4f. 433
Vgl. Vgl. 4 " Vgl. 436 Vgl.
S t A I V , S. 1 5 3 . M . H e i d e g g e r , D e r Ursprung, ' 1 9 9 4 , S . 3 5 . M. H e i d e g g e r , Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S. 36. S t A I V , S. 1 5 5 .
437
M . H e i d e g g e r , D e r U r s p r u n g , 7 1 9 9 4 , S. 3 5. S t A I V , S. 1 5 4 . M . H e i d e g g e r , D e r Ursprung, ' 1 9 9 4 , S. 50. S t A I V , S. 1 5 2 . M . Heidegger, D e r U r s p r u n g , 7 1 9 9 4 , S. 3 5.
434
438 439 440 441
210
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
von Hölderlins Denken grundlegend unterscheidet. Dieses führt jedoch über die Aufgabe, die sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt, hinaus. 442 Heideggers anthropologische Erwägungen beschränken sich nicht allein auf die Zugehörigkeit des Menschen zur Erde oder die skizzenhafte Bemerkung zum Weltproblem. Sie sind vielmehr unterströmt von einem Existenz- und
442
D e r knappe Verweis, mit dem Heidegger das Hölderlinwort »Innigkeit« samt seiner weitreichenden Bedeutung in die Gedankengänge des Romvortrages hineinstellt, ist nicht unproblematisch, da Hölderlin die »Innigkeit« anhand eines speziellen Menschenbildes am Beispiel der dramatischen Figur Empedokles erläutert. Hölderlin entwickelt seine vereinigungsphilosophischen Gedanken als Theorie der Aufsätze oder als Strukturprinzip der späten Hymnen vom Bezugspunkt der menschlichen Subjektivität aus, der es obliegt, das Fortschreiten über Entgegensetzungen zu einer höchsten Vereinigung nachzuvollziehen. Vgl. E. Buddeberg, Heidegger und die Dichtung, Stuttgart 1953, S. 24. In dieser Vereinigungsphilosophie, die den Menschen unter die zwei antinomischen Prinzipien des Unendlichen und des Endlichen stellt, zeigt sich der Einfluß einer Epoche, die das Absolute denkend erschließen will. Die Prinzipien des Absoluten und des Endlichen, Natur und Kunst, können vom Menschen im Verzicht auf seine Individuation (empedokleisches Prinzip) wieder versöhnt werden. Dieses vereinigungsphilosophische Motiv wird in Heideggers Gedankengängen im Romvortrag reflektiert, wenn Heidegger den Menschen in eine Sphäre des Aufgangs und des Untergangs, des Schaffens und der Zerstörung einer Welt stellt. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 36. Doch diese Ubereinstimmung gilt nicht schlechthin: Die Differenz zu Hölderlins Deutung des Menschen im »Grund zum Empedokles« liegt darin, daß Heidegger den Menschen nicht als entsagendes und im Absoluten jenseitig aufgehendes Subjekt sieht, sondern eben in seiner Zugehörigkeit zur E r d e , v o n d e r e r erbt und lernt. Mit anderen Worten: Heidegger ersetzt den Hölderlinschen Begriff der »Natur« kommentarlos durch den Begriff der »Erde«. Zwar entwickeln Heidegger und Hölderlin ähnliche Standortbestimmungen des Menschen, den sie beide in die Mitte eines aufeinander verwiesenen Weltganzen stellen. Hölderlin aber sieht den Menschen im »Grund zum Empedokles« als Wahrnehmenden: Aus der Weise, wie sich der Mensch wahrnehmend ein Verhältnis zur Welt schafft, begreift er sich selbst in seinen Möglichkeiten und Bedingtheiten und leitet daraus die Erscheinungsformen seines Wesens ab. Vgl. W. Binder, Hölderlin-Aufsätze, Frankfurt a.M. 1970, S. 120. Hölderlins Empedokles verkörpert diesen wahrnehmenden Menschen als tragischen Typus, der sich im Freitod selbst entäußert, um seine Bedingtheit zu verlieren und des Absoluten teilhaftig zu werden. Heidegger dagegen betrachtet den Menschen als Teilnehmenden am Diesseitigen, der nicht allein von der Erde lernt, sondern als Erbe Teil hat am Aufgang sowie an der Zerstörung einer Welt und damit Träger des naturbeherrschenden Prinzips ist. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd. 4, Frankfurt a.M. 1981, S. 36. Der Mensch muß als sprechendes Wesen seine Erdverbundenheit bezeugen und bekunden, alles, was er an Wissen erworben hat, von der Erde gelernt und geerbt zu haben. Heidegger begreift den Menschen in seiner irdischen Zugehörigkeit als Manipulator des Irdischen, dessen Selbstproduktion aber in der Selbstzerstörung der eigenen Kultur enden kann, die unter ihren Entdeckungen begraben wird. So bleibt der Anspruch Heideggers, seine anthropologische Konstruktion mit dem Verweis auf die Hölderlinsche »Innigkeit« erhärten zu können, bei näherer Betrachtung haltlos, da Hölderlins Wesensbild des Menschen weitgehend von Heideggers Auffassung abweicht.
211
Entscheidungspathos, das bis weit in die vierziger Jahre hinein ein Proprium der Heideggerschen Philosophie darstellt und als ein poetologisches Merkmal des Prologs zum Romvortrag bereits in Kapitel 3.3.2.2 erörtert worden ist. Die Bezeugung des Menschseins, so legt Heidegger in der zweiten Leitwort-Betrachtung dar, geschieht aus der Freiheit der Entscheidung.443 Dieser Gedanke ist eine Grundannahme der herkömmlichen Anthropologie: Der Mensch verfügt kraft Freiheit der Wahl über die Möglichkeiten seines Daseins, indem er sich zu einer Möglichkeit entschließt und eine andere dabei übergeht. Heidegger räumt in den >Beiträgen< ein, daß die Frage nach der Entscheidung immer auch das »Moralisch-Anthropologische« berührt.444 Er will jedoch die Entscheidung nicht unter diesem verengten Blickwinkel verstanden wissen, sondern betrachtet sie als die seinsgeschichtliche Option, von der es abhängt, »ob das Seyn sich endgültig entzieht oder ob dieser Entzug ... zum anderen Anfang der Geschichte wird«. 445 Vor diesem seinsgeschichtlichen Hintergrund muß im Romvortrag die Erweiterung der freien Entscheidung um die »Bindung eines höchsten Anspruchs« verstanden werden.446 Auffällig ist, daß Heidegger von der Freiheit der Entscheidung spricht, gleichzeitig den Menschen als handelndes Subjekt jedoch aus seinem Weltbezug löst, indem er auf einen höchsten Anspruch verweist, dem sich der Mensch als Ansprechpartner des Seins zu stellen hat. Die offensichtliche Heteronomie dieses Gedankens ist von Adorno scharf angegriffen worden: Heidegger sieht das Dasein zwar in der Verfügungsgewalt des Einzelnen, limitiert es gleichzeitig jedoch radikal durch die besagte Bindung an den höchsten Anspruch des Seins, zu dem der dezisionistische Imperativ auffordert. 447 Heideggers folgende Gedanken konzentrieren sich auf das Verhältnis von Sprache und Sein. In einer zirkulären Argumentationsfolge erklärt Heidegger 443
Vgl. M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S. 36. Vgl. M . H e i d e g g e r , Beiträge, G A B d . 6 5 , F r a n k f u r t a . M . 1989, S. 87. 44 >Vgl. ebd., S.90. 446 Vgl. M . H e i d e g g e r , Erläuterungen, G A B d . 4, F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S. 36. 447 A d o r n o spricht v o n der »Bindung eines höchsten Befehls« und bezieht sich dabei auf eine Textstelle im Erstdruck des Aufsatzes »Hölderlin und das Wesen der Dichtung*, erschienen im D e z e m b e r h e f t der Zeitschrift >Das Innere ReichIm WaldeIm Walde< spricht an keiner Stelle von der »Erde«, sondern von der »Meisterin und Mutter«. 450 Wie die Forschung herausgearbeitet hat, meint Hölderlin damit nicht die »Erde«, sondern die »Natur« und den engen Bezug des Menschen zu ihr. 45 ' Der Mensch profitiert von der Natur, indem er ihre Gesetze studiert, sie sich zu Nutze macht und dadurch in seinem Leben neue Einsichten und Möglichkeiten gewinnt. Deshalb soll der Mensch davon zeugen, von der Natur als »Meisterin und Mutter« gelernt und geerbt zu haben. Genau diesen Bedeutungshorizont verfehlt Heidegger aber, wenn er die von Hölderlin intendierte grundsätzliche Verwiesenheit von Mensch und Natur übergeht und das Menschsein einfach mit der irdischen Zugehörigkeit verschmilzt. Schon in seiner ersten Hölderlin-Vorlesung bezeichnet Heidegger den Menschen als »Sinn der Erde« 4 ' 2 und bestimmt das Menschsein über das Vermögen unmittelbarer Wahrnehmung und Erkenntnis. Die darauf gründende Auslegung Heideggers, daß der Mensch als wahrnehmendes Wesen der Erde seine Zugehörigkeit bezeugen soll, unterschlägt nicht nur den für das Textstück zentralen Aspekt des menschlichen Verhältnisses zur Natur, sondern fügt einen neuen Gedanken hinzu, für den sich im Text selbst kein Beleg findet. Diese Vorgehensweise legt den Schluß nahe, daß Heideggers Lesart des vorliegenden Hölderlin-Fragmentes mehr von Inspiration als von Interpretation geleitet ist: Die Dichtung ist eher Anlaß als Gegenstand der Erörterung, die sich dadurch von den Grundsätzen philologischer Textkritik und Interpretation weit entfernt. 453 Das Zeugnis des Menschen, so fährt Heidegger fort, geschieht als Geschichte, die ihrerseits nur durch Sprache möglich ist.454 Die Sprache ist damit als Gravitationszentrum der geschichtlichen Existenz des Menschen bestimmt. In >Sein und Zeit< kennzeichnet Heidegger das Wesen des Menschen noch mit einer vergleichsweise konventionellen Feststellung: »Der Mensch zeigt sich als ein Seiendes, das redet.«455 Die Fähigkeit des Sprechens und die Möglichkeit zur Sprache sind Merkmale, die den Menschen vor allen Lebewesen auszeichnen; der Mensch ist ein »worthabendes Lebewesen«, ein ζωον λόγον έχον. In
448
Vgl. Μ. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.36. Vgl. ebd. 45 °Vgl. StA IV, S.325. 451 Vgl. etwa R.-E. Schulz-Seitz, »Bevestigter Gesang«, 1970, S.93. 452 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 61. 45J Vgl. E. Kleinschmidt, Die Hermeneutik der heroischen Dekadenz, 1983, S. 308. 454 Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 36. 455 M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i993, S. 165. 449
213
>Sein u n d Zeit« erscheint die Sprache als M e d i u m des Sich-aussprechens u n d besitzt keine V e r f ü g u n g s g e w a l t über das A u s g e s p r o c h e n e , sondern sagt allein etw a s über das Wesen der angesprochenen D i n g e , die der M e n s c h k r a f t seiner Sprache benennt. 4 ' 6 In >Hölderlin und das Wesen der Dichtung« e r ö f f n e t sich dagegen eine neue Perspektive, denn H e i d e g g e r weist der Sprache eine w e l t s c h a f f e n d e u n d -gestaltende Qualität zu. H e i d e g g e r beginnt mit der Frage, inwiefern Sprache als »gefährlichstes G u t « zu sehen ist. Sprache als Voraussetzung v o n G e s c h i c h t e s c h a f f t die M ö g l i c h k e i t der G e f a h r , der » B e d r o h u n g des Seins durch Seiendes«. 4 5 7 Dieses muß erläutert w e r d e n : H e i d e g g e r s A u f f a s s u n g sieht den M e n s c h e n als eine innerweltliche Kontaktstelle des höchsten Anspruchs. D e r M e n s c h bezeugt diesen A n s p r u c h , der zugleich d e r B e z u g z u r Wahrheit des Seins ist, indem er als Dichter, D e n k e r o d e r Staatsgründer Wahrheit ins »Werk setzt«. 4 ' 8 D i e Sprache aber, die diese Wahrheit austrägt, indem sie das Seiende als solches im Werk o f f e n b a r t u n d v e r wahrt 4 5 9 , unterliegt nach Heideggers A u f f a s s u n g auch der G e f a h r des Seinsentzuges o d e r Seinsverlustes. Diese G e f a h r erklärt sich aus der » A p o r i e i m Sein« 4 6 0 , das seine Wahrheit auch auf der E b e n e der Sprache abwechselnd v e r birgt u n d entbirgt. Heidegger f ü h r t diesen G e d a n k e n jedoch noch ü b e r die W a h r h e i t s d y n a m i k hinaus und attestiert der Sprache als » G e f a h r aller G e f a h ren« 4 6 ' eine immanente bedrohliche Eigenschaft. Sie birgt in sich eine f o r t w ä h rende G e f a h r 4 6 2 , w o d u r c h sie sich selbst in z w e i f a c h e r Hinsicht gefährdet: D i e B e r g e f u n k t i o n v o n Sprache wird konterkariert v o n der semantischen Variabilität der Sprache, die das »Reine«, » G e m e i n e « , »Verborgenste« u n d » V e r w o r r e n ste« a u s d r ü c k e n kann. 4 6 3 D a s in der Sprache b e w a h r t e »wesentliche Wort« m u ß sich d e m Verständnis der Allgemeinheit anpassen, u m allgemeiner B e s i t z w e r den zu k ö n n e n . Sprache läuft dadurch aber G e f a h r , das Wesentliche u m des A l l gemeinen willen zu verlieren. H e i d e g g e r zitiert als Beleg aus einem w e i t e r e n Hölderlinfragment.· Gemeiner muß, alltäglicher muß die Frucht erst werden, dann wird sie den Sterblichen eigen. 464 456
Vgl. O.F. Bollnow, Wächst das Rettende?, 1977, S. 101. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 36. 458 Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 i994, S.49; 62-65. Alexander Schwan hat versucht, Heideggers Bestimmung des Wesens der Politik als eines Werkes von verborgener Wahrheit als »negativen«, aber gleichwohl bedeutenden Beitrag zur Politischen Philosophie zu interpretieren. Vgl. A. Schwan, Politische Philosophie im Denken Heideggers, Köln/Opladen 1965, S. ioff. 459 Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 37. 460 Vgl. W. Anz, Die Stellung der Sprache bei Heidegger, 3 1994, S. 314. 461 Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 36. 462 Vgl. ebd., S.37. 463 Vgl. ebd. 464 StA II, S.322. 457
214
Sprache setzt sich desweiteren der Gefahr aus, weil sie sich in einen eo ipso erzeugten Schein stellt, in dem das Wort allein nicht Aufschluß darüber geben kann, ob es sich um ein wesentliches Wort oder nur um »Blendwerk« handelt. Durch die Möglichkeit des Scheins und der Täuschung aber gefährdet Sprache »ihr Eigenstes, das echte Sagen« 46 ', worin nach Heidegger der Bereich der Seinsgegenwart angesiedelt ist. Warum Sprache sich selbst diesem Schein unterstellt, kann an dieser Stelle des Vortrags noch nicht einleuchten. Heidegger geht von der Annahme aus, daß Philosophie nicht in der reinen Wahrheit beginnen kann, sondern immer erst einen Bezirk des Scheins durchschreiten muß, um in ein anfänglich Wahres zu gelangen.466 Das wesentliche Wort hinter dem Schein der Sprache ist für Heidegger das Wort des Wahren, das Wort der Stiftung des Seins, was sich jedoch erst am Ende des Vortrags herausstellt. Damit ist die Sprache auch hier nicht als diskursives Werkzeug, sondern als ein Raum des Verstehens bestimmt, in dem Seiendes sich zeigt und als Ganzes gedacht und verstanden werden kann. 46/ Nach diesen Reflexionen über das Wesen von Sprache schließt Heidegger mit der auf das dritte Leitwortkapitel hin öffnenden Frage »Wie geschieht Sprache?«.
j.j.2.7
Das wesentliche Gespräch und das Nennen der Götter
Das dritte Leitwort findet Heidegger im zweiten Versentwurf Hölderlins »Versöhnender, der du nimmer geglaubt« zu der erst 1954 wieder aufgefundenen geschichtsphilosophischen Hymne >FriedensfeierAndenken< entnimmt: Was bleibet aber, stiften die Dichter. 4 9 '
Heidegger betont am Anfang seiner Überlegungen ausdrücklich, daß dieses Wort seine Frage nach dem Wesen der Dichtung und damit seine weiteren Erläuterungen erhellen kann 4 ' 6 , wodurch er ihm den Rang einer poetologischen Schlüsselmaxime zuweist, die zugleich im Hinblick auf seine ästhetischen Theoreme eine weitere Differenzierung ermöglicht. Der Dichtungsbegriff, den Heidegger im folgenden entfaltet, bezieht das Stiften der Dichter auf das bleibende Seinsgeschehen. Dichtung besitzt für Heidegger eine performative Kraft: Sie leistet die Eröffnung des Seins, das sich in seine eigene Offenbarung drängt und im Dichterwort, unabhängig von jeder freien Schöpfertätigkeit, seine Wahrheit »diktiert«. Im Werk der Dichter spiegelt sich für Heidegger eine ursprüngliche, aller Metaphysik enthobene Sicht der Verhältnisse von Endlichem und Bleibendem und von Sein und Seiendem: Dichtung findet ihre höchste Aufgabe in der ontologischen Enthüllung eines »Bleibenden«, das sich durch die Dichter in einem nach Heideggers Uberzeugung ametaphysischen Stiftungsakt vergegenwärtigt. Das »Bleibende« wird in der Dichtung zum ontologischen Bezugsrahmen der Wahrnehmung, in dem der Mensch der Welt begegnet und sich geschichtlich verhält. 4 ' 7 Im vierten Kapitel des Romvortrags löst Heidegger nun aus dem besagten Verswort die Elemente »das Bleibende«, »die Stiftung« und »die Dichter«, um sie in ein neues Verhältnis zu bringen, das seine Diagnose des Seinsproblems fundieren kann. Heidegger stellt Hölderlins Dichtung in den Dienst seines ontologischen Untersuchungsinteresses und klammert bewußt die subjektive Komponente des dichterischen Weltverständnisses aus. Er sieht den Dichter als Rezeptor und Stifter des Seins und löst ihn so aus der Selbstbezogenheit seiner künstlerischen Tätigkeit. Der Grund für dieses deutlich ergebnisorientierte Verfahren ist darin zu sehen, daß Heidegger in der Erhebung subjektiv begründeter Wahr-
494 495 4,6 457
220
Vgl. StA Vgl. Vgl.
M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.40. II, S. 189. M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.41. O . F . B o l l n o w , Wächst das Rettende?, 1977, S. 104.
heitsansprüche eine Gefährdung der kunstwerkimmanenten Wahrheitsstruktur sieht. Er bindet die künstlerische Tätigkeit an einen höchsten Zweck: Das Seiende im Ganzen zu offenbaren ist der Auftrag des Dichters, dem dieser jedoch nicht mehr gerecht werden kann, wenn er in seinem Schaffen der Autoreflexion verhaftet bleibt. Heidegger konstruiert einen Dichtungsbegriff, in dem die Reflexion des Seienden ersetzt wird durch die Reifikation des Seins. Dieser Paradigmenwechsel erklärt schließlich, warum Heidegger das Dichten als »Sagen in der Art des weisenden Offenbarmachens« bestimmt. 498 Er begreift Dichtung nicht als Kulturerscheinung in historischen Bezügen, sondern definiert sie umgekehrt über ihre geschichtsbildende Rolle. 4 " Während das Schöpferische eine Abwertung erfährt, wird zugleich das Dichterische unter seinsgeschichtlicher Voreingenommenheit aufgewertet. Die Stiftung eines »Bleibenden« durch die Dichter öffnet den Blickwinkel in Richtung des Seins, das - folgt man dem Gedankengang des Kunstwerkaufsatzes - in der Dichtung vernehmbar und als Wahrheit geschichtlich wirksam wird. 500 Die dichterische Stiftung eines »Bleibenden« ist ein kurrentes topisches Motiv der abendländischen Literaturgeschichte und schon in der antiken Literatur nachzuweisen. 501 Hintergund dieser Topik ist die Beobachtung, daß das Wort nach George Steiner das fragilste aller Medien 502 - seine Zeit überdauert. So heißt es bereits bei Ovid: »Durat opus vatum«5°3, womit dem dichterischen Kunstwerk eine Beständigkeit vorhergesagt wird, die die Lebensdauer seines Schöpfers weit übertrifft. Ein ähnlicher Gedanke, daß das Kunstwerk dem Künstler ewigen Ruhm schaffe, findet sich bei Horaz: »Exegi monumentum aere perennius«. 5 ° 4 Auch Heidegger bezieht sich auf die Beobachtung, daß große Kunst dauerhaft ist, nicht dem Prozeß der Zeitigung und schon gar nicht der Lebenszeit des Künstlers zu unterliegen scheint. Doch nicht die Zeitlosigkeit oder Uberzeitlichkeit der Kunst steht im Mittelpunkt von Heideggers Interesse, sondern das Seinsverständnis, das im Kunstwerk als Wahrheit vermittelt wird. 505 Die Rede von dem Ewigkeitswert und der Unsterblichkeit der Kunst zeiht Heidegger als »halbgedachte Redensarten«, die zum Wesen der Kunst nicht vorzudringen vermag. 506 Kunst ist für Heidegger eine Weise, wie Wahr-
498
Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 3of. Vgl. P.B. Kraft, Das anfängliche Wesen der Kunst, Frankfurt a.M. 1984, S. 107. 500 Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 i994, S. 66. 501 Ernst Robert Curtius hat diesen Aspekt der »Dichtung als Verewigung« für die europäische Literaturgeschichte herausgearbeitet. Vgl. E . R . Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen/Basel " 1 9 9 3 , S.469. 502 Vgl. G . Steiner, Der Garten des Archimedes, München/Wien 1997, S. 12. 503 Ovid, Amores [III, 9]. 504 Horaz, Carminum liber [III, 30]. 505 Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, '1994, S. 25. 50,5 Vgl. ebd., S.6 7 f.
499
221
heit seiend, also geschichtlich wird. 5 0 7 Das Wesen der Kunst ist geschichtlich, aber nicht in dem Sinne, daß es historische Veränderungen und Entwicklungen verursacht, fördert oder durchsetzt, sondern dergestalt, daß es als Dichtung zu einem Fundament der Geschichte selbst wird. So konkretisiert sich im künstlerisch-dichterischen Entwurf die allgemeine Daseinsverfassung des In-derWelt-seins zu einem gleichursprünglichen, dem Sein korrelativ entsprechenden Handlungsideal, w o d u r c h Heidegger die Möglichkeit eines Endes der Geschichte im Kunstwerk suggeriert. Damit ist die gedankliche Perspektive von Entwurf und Geschichte umrissen, die Heidegger im f ü n f t e n Leitwortkapitel mit dem Gedanken einer G r ü n d u n g des geschichtlichen Daseins auf die Dichtung beschließen wird, nachdem er im zweiten Leitwortkapitel bereits die Sprache z u r Voraussetzung geschichtlicher Existenz erklärt hatte. D i c h t u n g und Sprache gerinnen im vierten Leitwortkapitel zu einer untrennbaren Einheit, denn Stiftung als der Zweck der Dichtung ist nur möglich im Wort und durch das Wort. Heidegger gründet seine poetologische Konstruktion auf einen ontologischen Logozentrismus, der im weiteren Sinne erklärt, weshalb sich sein Denken an Hölderlins Dichtung entzündet: Was Heidegger more pkilosophico erhellen will, findet er von Hölderlin in dessen sich ursprünglich aussprechenden D e n k e n in dichterischen Worten gesagt. Das D e n k e n Heideggers setzt sich in einen Bezug z u m Dichten, weil es sich diesem im gemeinsamen Element der Sprache verbunden fühlt und aus ihm sein eigenes Anliegen, die Rückkehr in die N ä h e des Seins, vernimmt. s°8 D e n n o c h stellt sich die Frage, was in der Dichtung gestiftet wird. Heidegger antwortet: »Das Bleibende« und nimmt sofort einen möglichen Einwand vorweg: »Aber kann das Bleibende denn gestiftet werden? Ist es nicht das immer schon Vorhandene?« 5 " 9 Das »Bleibende« kann aber nicht das Vorhandene sein, denn Heidegger geriete mit diesem Satz in einen fundamentalen Widerspruch zu seinen U n t e r suchungen zur Seinsproblematik, die das »Bleibende« über dasjenige begriffen haben, was es eben nicht ist: Das »Bleibende« ist keine ουσία, also nichts anwesend Vorhandenes, kein Bestand und keine H a b e , sondern ein Geschehen. Heidegger vermeidet hier die Kontradiktion, es ergibt sich aber unter der Voraussetzung seiner Grundüberlegungen eine deutliche Aporie, die im folgenden aufgewiesen werden soll. Die Aporie, in die Heideggers Darlegung hier gerät, läßt sich auf zwei Gegensätze zuspitzen: Entweder ist das Sein in seiner Bestimmung ein Bleibendes als Beständiges und rein Unwandelbares, das gegen das Kontinuum des Zeitstroms z u m Stehen gebracht werden kann 5 ' 0 , oder es ist als Erschlossenheit auf
507
Vgl. ebd., S.66. Vgl. B. Allemann, Hölderlin und Heidegger, Ziirich/Freiburg i.Br. 2 i956, S. 178. 509 M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.41. s ' ° V g l . ebd. 508
222
ein Wahrheitsgeschehen von Unverborgenheit und Verborgenheit bezogen und damit als, wie Heidegger formuliert, »in ihrer Einigung waltende Beweg u n g « 5 " der Zeitlichkeit unterworfen. Die Forschung steht hier vor einem der problematischsten Aspekte von Heideggers Nachdenken über Hölderlin, da ganz offensichtlich das Prinzip gleichbleibender Identität und das Prinzip zeitlicher Erstrecktheit jeden Vollzugs miteinander kollidieren. Heidegger sieht das »Bleibende« als beständiges »Bei-sich-Bleiben« und bereitet so den Gedanken des »dichterischen Wohnens«, der im nachfolgenden Leitwortkapitel wichtig wird, vor. Das traditionelle metaphysische Denken hat das Sein dagegen als Einheit in sich verstanden, als ständige, anwesende Identität. 512 Diesen Gedanken scheint in ähnlicher Weise auch das »Bleibende« zu verkörpern, womit Heidegger den Zusammenhang mit der Metaphysik zu wahren scheint. Zugleich ist das »Bleibende« für Heidegger aber auch das »Flüchtige«, was er mit einem Zitat aus Hölderlins Gedicht >Friedensfeier< pointiert: So ist schnell; vergänglich alles Himmlische; aber umsonst nicht. 5 ' 3
Zur Wahrheit des Seins gehört also auch die Zeithaftigkeit seines Ereignisses, genauer die Vergänglichkeit bzw. das »Flüchtige«. Diese Voraussetzung kann Heidegger nicht aufgeben, weil er ein tragendes Fundament für die Bestimmung von Kunst benötigt, und das pure Zeitlose nicht zur Bestimmung dessen herhalten kann, was der Zeit unterworfen ist. Ferner betont Heidegger im Romvortrag, daß das »Bleibende« im Medium der Dichtung als jenes in das Offene kommt, »was das Seiende im Ganzen trägt und durchherrscht«. 514 Das ist die abstrakte Umkehrung einer Vorstellung, die sich in >Sein und Zeit< noch als Kerngedanke der Umweltlichkeit findet - der Mensch weiß eher Bescheid über dasjenige, womit er umgeht, als über sich selbst. Oder anders formuliert: Das ihm ontisch Nächste ist ontologisch gerade das Fernste. 5 ' 5 Weil dem Menschen seine ontologische Realität nur verdeckt und annähernd aufscheint, erklärt Heidegger sein methodisches Vorgehen in >Sein und Zeit< mit der Bestimmung eines Seienden, in welchem das Sein angetroffen und auf es hin befragt werden kann. 5 ' 6 Im Hölderlinvortrag fehlt eine derartige methodische Grundlegung: Da das Sein nicht aus dem Vorhandenen abgeleitet werden kann, muß es »frei
5
" Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, '1994, S . 7 1 . Vgl. O. Pöggeler, Der Denkweg, Stuttgart 4 i994, S. 147. 5 J ' StA III, S.534. 514 Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S . 4 1 . 5,5 Vgl. M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, G A Bd. 24, Frankfurt a.M. 1975, S. 220. Ahnlich argumentiert Hans Blumenberg, der eine zirkelfreie Definition des Zeitbegriffs für unmöglich hält: »Zeit ist das am meisten Unsrige und doch am wenigsten Verfügbare.« Vgl. H . Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt a.M. 1986, S.74. s 6 ' Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen , ? I993, S. 67. 512
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geschaffen, gesetzt und geschenkt werden«. 5 ' 7 Heidegger vermeidet es, den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem »Bleibenden« und dem »Flüchtigen« argumentativ auszutragen, sondern bringt die opponierenden Seinsbestimmungen in eine kontrastierende Formel, die lautet: Aber eben dieses Bleibende ist das Flüchtige.'' 8
Damit wird das Unvereinbare in einem Gesamtbegriff aufgelöst: Das Bleibende, in dem die Temporalität gleichsam »eingefroren« erscheint, ist trotzdem gebunden an die Zeithaftigkeit des Flüchtigen. In einem späteren Aufsatz über die Hymne >Andenken< greift Heidegger den Gedanken des »Bleibenden« erneut auf und bestimmt es als das Unveränderliche und Immerwährende.'' 9 Das Gedicht Hölderlins vollendet sich im Nennen des Bleibenden als des Gestifteten.' 20 Eine nähere Bedeutungsbestimmung des »Bleibenden« unterbleibt aber; stattdessen unternimmt Heidegger den Versuch einer inhaltslosen, tautologisch anmutenden Kennzeichnung: Ein Bleibendes ist das Bleibende eines eigenen Bleibens.' 2 1
Diese tautologische Formulierung weist zurück auf die Grundvoraussetzung Heideggers, wonach das Sein nicht näher zu bestimmen ist, weil es in sich ruht und sich im Wahrheitsgeschehen entäußert, in diesem jedoch nicht zu differenzieren ist. Mit anderen Worten: Der Ort des Seins kann zwar erfragt werden, aber das Wesen des Bleibens ist nur von demjenigen zu erfassen und zu erfüllen, der in die Nähe des Ursprungs kommt.' 2 2 Heidegger schafft für seine Idee des »Bleibenden« einen »Raum des Dauerns«, den er in die Wirklichkeit der Kunstwerke, die in einem eigentümlichen Bezug zur Wahrheit des Seins stehen, verlagert. In den Räumen der Kunst ereignet sich das »bleibend-flüchtige« Sein, indem es in ihnen immer und unwandelbar es selbst ist. Wenn das Sein derartige Wesensmerkmale aufweist, so verwundert es nicht mehr, wenn Heidegger es in der Erläuterung der Gedichte Hölderlins mit dem Bereich des Numinosen verbindet und in einem Atemzug mit den »Göttern« nennt. Das Kunstwerk selbst aber wird im Seinsereignis in eine neue, die »reißende Zeit« überdauernde Wirklichkeit gehoben, die es zur Ewigkeit befähigt.' 23 Der Bereich des Numinosen entzieht sich der näheren begrifflichen Fixierung, weshalb Heidegger
! 7
' Vgl. M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.41. ' | S Ebd. " ' V g l . ebd., S. 144. 520 Vgl. ebd., S.145. 521 Ebd. 522 Vgl. ebd., S . i 4 j f . *23 Vgl. E. Buddeberg, Denken und Dichten des Seins. Heidegger. Rilke, Stuttgart 1956, S. 20.
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den Dissens zwischen der Identität des »Bleibenden« und der »Flüchtigkeit« des Wahrheitsgeschehens bestehen läßt. Die vorliegende Untersuchung hat bislang Heideggers Auffassung nachgezeichnet, nach der sich das Sein im Werk ausgezeichneter geschichtlicher Subjekte ver-dichtet. Der dichterische Entwurf ist komplementär zum Seinsentwurf, der sich in der Stiftung des Kunstwerkes selbst auslegt. In diesem Vorgang stiftet das Kunstwerk Geschichte und stellt sich in einen übergreifenden, seinsgeschichtlichen Horizont. Das Befremdliche an Heideggers Erklärung der Seinsgeschichte ist das Fehlen der Horizontalisierung, einer teleologisch-progressiven Perspektive, die dem traditionellen Geschichtsbegriff immanent ist. Geschichte wird nicht durch das Handeln des Individuums bestimmt und vorangetrieben, sondern von Heidegger als »freie Schenkung« verstanden. Geschichte vollzieht sich aus einem Gewährungsgeschehen heraus in der Weise, daß sich das Sein in einem dreischrittartigen Vorgang von Herkunft, Ankunft und Abkunft entweder schenkt oder entzieht. Das Wesen der Dichtung ist »worthafte Stiftung des Seins«' 24 und Geschichte ist Schenkung des Seins, das als einsichtig handelndes, vorausschauendes Unverfügbares erscheint und in Heideggers Rede von den »entflohenen Göttern« letztlich religiös bzw. polytheistisch konnotiert wird.' 2 ' Damit ist die poetologische Grundidee des Romvortrags in ihren wesentlichen Zügen und seinsphilosophischen Verflechtungen bestimmt. Hölderlins Gedichte werden in ihrer höchsten Vollendung kraft der ihnen innewohnenden Wahrheit zu Werken der Geschichte. Die Wahrheit, die sich in ihnen zeigt, gerät zum geschichtlichen Bewegungsmoment. Heideggers poetologische Theorie ist damit als eine Theorie zu bezeichnen, die auf die Geschichte des Seins abgestimmt ist und das Wahre in dichterischen Texten mit der Wahrheit des Seins identifiziert. Im Umkehrschluß bedeutet das aber auch, daß es keinen anderen deutenden Zugang zur Dichtung als Heideggers ontologische Hermeneutik geben kann, die im »Sprachgeschehen« ein »Wahrheitsgeschehen« sieht und den poetischen Entwurf zur Entfaltung der eigenen philosophischen Position verwendet. Die Ausführungen müssen nun noch mit einer Erläuterung der Typologie des Dichters, die Heidegger entwirft, vervollständigt werden. Es wurde bereits deutlich, daß Heidegger in seinen Hölderlin-Deutungen den Dichter als Schöpfersubjekt verabschiedet. Im Romvortrag zeigt sich zudem deutlich ein hagiographes Dichterbild, das den Einfluß der George-Schule widerspiegelt. Der Dichter stiftet das Sein, denn er bringt in seinem Kunstwerk das Ursprüngliche, Unvermittelte und Nicht-Deduzible zur Evidenz. Der Dichter antwortet und entspricht dem Anspruch des Seins, weil seine poetische Sprache gegen524 525
Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.42. Vgl. A. Gethmann-Siefert, Heidegger und Hölderlin, 2 i989, S. 222. 225
über der Alltagssprache eine entscheidene Differenzqualität besitzt. 526 Die begriffssprachliche Rede über innerweltliche Verhältnisse erweist sich nach Heideggers Meinung im ontologischen Untersuchungsrahmen als defizitär - allein die »eigentliche Rede« kann den Ursprung vermitteln, denn der Dichter verfügt in seinem ausgezeichneten Bezug zum Sein über eine ontologische Gewißheit. Der Dichter hat aber auch die Aufgabe, das Unvermittelte, was sich selbst nicht vermitteln kann, zu vermitteln. Er spricht das wesentliche Wort von den Göttern und nennt sie und alle Dinge in dem, was sie sind.' 27 Es ist die singulare Leistung des Dichters und seiner dichterischen Sprache, die Götter und die Dinge aus der chaotischen Multiplizität qua Bestimmung und Benennung herauszuheben und sie als solche in ihrem Wesen erst zu erschaffen. 528 Das Sagen des Dichters ist schließlich aber nicht allein Stiftung im Sinne von Schenkung, sondern auch »feste Gründung des menschlichen Daseins auf seinen Grund«.' 2 9 Dichtung muß nach Heideggers poetologischer Grundüberzeugung als auratische Geburtsstätte der Geschichte gesehen werden, die im dichterischen Kunstwerk als dem tragenden Grund entspringt. Einerseits vermittelt der Dichter den Überfluß des Seins, den er empfängt, andererseits gründet er das menschliche Dasein und bereitet so die Basis eines höchsten und letzten Seienden, auf die das geschichtliche Dasein verwiesen ist. Gründen meint das Auferlegen von Sein, das Bringen des Daseins vor die Macht des Seins als Weltprinzip. 53 ° Gründung ist also nicht als Begründung neuer Institutionen, neuer Formen des Zusammenlebens oder Veränderung der Lebensrealitäten zu sehen, sondern meint die Einsicht, daß das Sein - unabhängig von einem Agens oder einer Wirkursache - die Daseinsbezüge des Menschen durchherrscht, weil es als Geschichte des Menschen, als Geschichte eines Volkes geschieht. 53 ' Es ist aufgewiesen worden, in welche Dimensionen seiner eigenen Philosophie Heideggers Interpretation des Verswortes »Was bleibet aber, stiften die
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527 528
529 530
226
V g l . C . Albert (Hg.), Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus, Stuttgart/Weimar 1994, S. 2 1 1 . V g l . M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S . 4 1 . I m V o r g r i f f auf Kap. 4.5 sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß eine derartige A u f f a s s u n g von Hölderlin als des Mittlers zwischen Göttern und Menschen die m y thisch-chiliastischen Deutungsmuster des G e o r g e - K r e i s e s mit Motiven aus M a x K o m m e r e l l s 1928 erschienenen B u c h >Der D i c h t e r als Führer in der deutschen K l a s sik« verschmilzt. D o r t beschreibt K o m m e r e i l Hölderlins Dichten als »die Tat des Mittlers, die K r a f t der Götter zu den M e n s c h e n zu leiten und durch Benamung im irdischen Kreis festzuhalten«. Vgl. M . K o m m e r c l l , D e r Dichter als Führer in der deutschen Klassik. K l o p s t o c k , Herder, G o e t h e , Schiller, Jean Paul, Hölderlin. Berlin 1928, S. 444. V g l . M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S.42. V g l . I. Buchheim, Wegbereitung in die Kunstlosigkeit, W ü r z b u r g 1994, S. 106. V g l . M . Heidegger, V o m Wesen der Wahrheit, G A Bd. 34, F r a n k f u r t a . M . 1988, S. 145.
Dichter« vorstößt. Ein möglicher anderer Sinn des Verswortes, etwa die resignierte Rückschau auf »dahingegangene Hoffnungen, denen allein die Dichtung ein bleibendes Asyl geben kann« 532 , oder die Funktion von Dichtung als Halt in einer revolutionären Zeit des Übergangs 533 , kommen für Heidegger nicht in Betracht, da sein hermeneutischer Blick in Hölderlins Dichtung allein das Paradigma des Seins erkennt und der daraus sich ergebenden, ontologischen Lesart einen hegemonialen Status einräumt. Diese Lesart sieht in der Diskontinuität einen Wesensgrundsatz von Kunst - ein Gedanke, der, auf die geschichtliche Wirklichkeit bezogen, weitreichende Folgen hat: Kunst erscheint dann als notwendig für das Hervorbringen von Welt und wird als geistig-reflexive Tätigkeit zu einem Handeln von weltgeschichtlicher Tragweite überhöht. Als Ursprungsphänomen wäre Kunst dann der ständige Neubeginn, das fiat ars, ihrem permanenten Werden folgte auf das Verharren dann stets der Rückschritt. Die etwas mechanistisch anmutende Formel von der Kunst als Bruch mit dem Althergebrachten, die Destruktion herkömmlicher Wahrnehmungsmuster und das antizipatorische Aufzeigen eines »Kommenden« können Wesensmerkmale wegweisender Kunst sein.534 Im Bereich ästhetischer Wahrnehmung kann die Vorstellung von der Ursprungsnähe der Kunst daher ein Erklärungsmodell dafür liefern, wie die Vorgänge künstlerischer Schöpfung und künstlerischen Bildens zweckfrei historische Ballast, Tradition und Entscheidungen, die noch die Gegenwart bestimmen, negieren und ummünzen in utopische Entwürfe. Bedenklich bleibt dagegen Heideggers Projektion des ästhetischen Ursprungsgeschehens auf die Ebene geschichtlicher Mächte und Prozesse.
3.3.2.9
Dichtung in dürftiger
Zeit
Mit einem Gedicht, dessen Autorschaft die Große Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe aufgrund fehlender handschriftlicher Uberlieferung für zweifelhaft hält, eröffnet Heidegger das fünfte und letzte Leitwortkapitel in seinem Romvortrag.535 Seine Überlegungen kreisen um das Verswort: Vgl. K. Stierle, Ein Auge zu wenig. Erde und Welt bei Heidegger, Hölderlin und Rousseau, 1992, S. 98. 533 Vgl. G . Kurz, Mittelbarkeit und Vereinigung, Stuttgart 1975, S. 144L 534 In diesem Sinne war der abstrakte Utopismus der späten Hymnen Hölderlins ein Neuanfang auf dem Gebiet der Dichtung, der von den Zeitgenossen - wie die Vorbemerkung zur Hymne >Friedensfeier< zeigt - als »unfaßlich«, »anstößig« und »wenig konventionell« aufgefaßt wurde. Vgl. StA III, S. 532. 535 Das von Heidegger angeführte Gedicht >In lieblicher Bläue blühet* kann von Hölderlin stammen, eventuell ist aber auch Hölderlins Freund Wilhelm Waiblinger der Verfasser gewesen oder hat das Manuskript verändert, bevor er es in einem seiner Bücher veröffentlichte. Vgl. StA II, S. 372. Heidegger ist in dem späten, 1970 veröffentlichten Aufsatz >Das Wohnen des Menschen« auf die Frage der Authentizität des Textes ein-
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Voll Verdienst, doch dichterisch wohnet der M e n s c h auf dieser Erde.
Hier zeigt sich, daß Heideggers Denken nach »Sein und Zeit< in der Auseinandersetzung mit Kunst eine aufschlußreiche Wende vollzieht: Während in >Sein und Zeit< noch von der Unheimlichkeit, dem existenzialen Modus des Un-zuhause, die Rede war, betont Heidegger im Romvortrag das Bleibende als Modus des Bei-sich-Bleibens und gipfelt schließlich in der Vorstellung eines eigentlichen Heimischwerdens, des »Dichterischen Wohnens«. 5 3 6 »Dichterisch Wohnen« nennt Heidegger die Möglichkeit des Menschen zu Authentizität im Gegensatz zur undichterischen Existenz, die eine Privation des Daseins bedeutet, das eigentlich nur »dichterisch« ist. Der Mensch »wohnt dichterisch«, wenn er in der Gegenwart der Götter und Wesensnähe der Dinge steht. 557 Mit der Dichtung verknüpft sich als Handlungspostulat die Aufforderung, dem Modell des dichterischen Daseins zu entsprechen. Im Durchgang durch den vorangehenden Teil des Romvortrags vergegenwärtigt Heidegger erneut die Generalthesen: Das Dasein ist in seinem Grunde dichterisch - und zwar nicht aufgrund eines Verdienstes, sondern durch die Schenkung, die ihm in der Stiftung erwächst. Heidegger umreißt noch einmal seinen Dichtungsbegriff: Dichtung ist keine »Kulturleistung«, sondern eine Ausgesetztheit in das Sein; sie ist nicht »zeitweilige Begeisterung«, sondern stiftendes Nennen der Götter und des Wesens der Dinge." 8 Der Dichtung, die im Nennen des Heiligen und des Wesentlichen die Kluft zwischen irdischer und transzendenter Wirklichkeit überbrückt, entspringt nach Heideggers Auffassung schließlich auch Geschichte; ja Heidegger verschärft den zuvor entwickelten Gedanken noch, indem er die Dichtung als Grund der Geschichte ausweist. Geschichte wird auf Dichtung ausgerichtet, die im Sprachkunstwerk die eigentliche Zeitigung der gegangen. V g l . M. Heidegger, Aus der E r f a h r u n g des D e n k e n s , G A Bd. 1 3 , F r a n k f u r t a.M. 1983, S.2i3f. 536
H e i d e g g e r s später Vortrag »Dichterisch w o h n e t der M e n s c h « stellt ebenfalls die Frage nach d e m Z u s a m m e n h a n g von Dichten und W o h n e n in einer Zeit, da Dichtung als Bestandteil des Literatur- und Kulturbetriebes erscheint. Heidegger betont in diesem V o r t r a g die Diesseitigkeit des Dichtens, das nicht als »Verflattern ins Unwirkliche« o d e r »Flucht in die Idylle« gesehen werden d ü r f e , sondern den Menschen auf die E r d e und so in sein W o h n e n bringe. D e r M e n s c h , so lautet Heideggers Grundthese, bleibt dabei in einer Dimension des Zwischen: In dem A u f s e h e n zum H i m m e l und im V e r b l e i b e n auf der E r d e gelangt der Mensch in das Innerste seines Wesens. Dichten ist ein M e s s e n und als solches eine M a ß n a h m e des Menschen, in der der »unbekannte G o t t « sich enthüllt. D a s Offenbarwerden des G ö t t l i c h e n im M a ß des Menschlichen kündigt die H o f f n u n g auf eine Epiphanie des G ö t t l i c h e n an, w o r i n Heidegger die geschichtliche W e n d e einer Zeit sieht, die aus der » W o h n u n g s n o t « , die »gehetzt durch die Arbeit, unstet durch die Jagd nach Vorteil und E r f o l g , behext durch den Vergnügungs- und Erholungsbetrieb [ist]«, in das dichterische W o h n e n zurückkehrt. Vgl. M . Heidegger, »... dichterisch wohnet der M e n s c h ...«, 8 i 9 9 7 , S. 1 8 1 ff.
537 V g l . M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a.M. 1 9 8 1 , S.42. » ' V g l . ebd. 228
Zeit als Geschichtlichkeit anzeigt. D e r U r g r u n d der Geschichte ist nicht mehr primär - wie noch in >Sein und Zeit< - ihre zeitliche Verfaßtheit, sondern die D i c h t u n g . 5 " Heideggers D e u t u n g betrachtet Hölderlins Dichtung deshalb isoliert von ihren zeithistorischen Bezügen und nimmt Abstand von einer Sichtweise, die vergangene historische Realitäten in der Dichtung aufspüren will. Dichtung offenbart nach Heideggers Verständnis vielmehr eine ursprüngliche Geschichtlichkeit, in der sich das Wesen der Dichtung erschließt und an der sich das menschliche Dasein ausrichten soll. Heidegger distanziert sich erneut von der H u m b o l d t s c h e n Sichtweise von Sprache, indem er betont, daß Dichtung die Sprache nicht als einen »Werkstoff« behandelt, sondern sie erst ermöglicht. 540 Mit diesem kurzen Abriß vorangehender Aussagen bereitet Heidegger die Pointe seiner Ausführungen vor: Dichtung ist die Ursprache eines geschichtlichen Volkes.... Die Ursprache aber ist die Dichtung als Stiftung des Seins. 54 '
Schon das Vorwort der Hölderlin-Erläuterungen spricht von dem »reinen D a stehen« des Gedichts im »Lärm der undichterischen Sprachen«. 542 Das Gedicht erscheint in Heideggers skeptischer Sprachauffassung als ein H o r t »reiner« Sprache, als eine Stätte der Wahrheit, die ihr Wesen dichterisch ausspricht und so das »Wesen vom Unwesen« bzw. das Absolute vom Kontingenten scheidet. 543 Heidegger k o m m t im folgenden auf die zu Beginn seines Vortrages gestellte Frage zurück, wie sich Dichtung zugleich als »unschuldigstes Geschäft« und »gefährlichstes Gut« begreifen läßt, und wie diese Eckpfeiler seines poetologischen Gebäudes zusammengesehen werden können: Das Gravitationszentrum der Dichtung Hölderlins, ihr wesentliches Wesen, fällt demnach in eine Außenseite, das »unschuldige Geschäft«, und eine Innenseite, das »gefährlichste Gut«, auseinander. Erst das Zusammendenken dieser Antinomie in einem polaren Dichtungsbegriff erhellt nach Heidegger das Wesen der Dichtung. 5 4 4 Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die harmlose Außenseite der Dichtung und ihr alltäglicher Anschein gehören nach Heideggers Auffassung z u m Wesen der Dichtung wie das »Tal z u m Berg«. 545 Schein- und Seincharakter machen gemeinsam das Wesen der Dichtung aus. Diese Konstruktion Heideggers zielt darauf ab, die Außenseite der Dichtung, das »unschuldige Geschäft«, der 5J
' Eine diametral entgegengesetzte Position vertritt Benjamin, wenn er sagt: »Das Leben liegt als letzte Einheit dem Gedichteten zugrunde.« W. Benjamin, Zwei Gedichte von Friedrich Hölderlin, 1972, S. 107. 54 °Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.43. 541 Ebd. 542 Vgl. ebd., S. 7 [Vorwort], 54 ' Vgl. ebd., S. 58. 544 Vgl. ebd., S.43. 545 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 35 und ders., Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.45.
229
Bewahrung des »gefährlichsten Werkes« der Stiftung zuzuschreiben. Der harmlose Schein garantiert Dichtung und Dichter eine Abgeschiedenheit, in der das Werk der Stiftung des Seins zu schaffen ist, eine - wie Heidegger sagt »unendliche Ruhe, in der alle Kräfte und Bezüge regsam sind«. 546 Im vorangehenden Kapitel war bereits angedeutet worden, daß Heideggers Typologie des Dichterberufs auch einen hagiographen Aspekt beinhaltet. Ausgehend von einem Brief Hölderlins an den Freund Casimir Ulrich Böhlendorff' 4 7 entwickelt Heidegger den Gedanken einer Mittlerfunktion des Dichters, der seine höchste Erfüllung darin findet, die »Winke der Götter« aufzufangen und sie ins Volk weiterzuwinken. 548 An diese Vermittlung ist die Stiftung des Seins gebunden. Heidegger sieht Hölderlin als einen »Hinausgeworfenen« 549 , der in das »Zwischen«, also in eine Sphäre des Halbgöttlichen, entrückt ist.5 50 Auch hier wird wieder deutlich, daß nicht die Autoreflexion eines dichterischen Subjektes in Heideggers poetologischer Konzeption einen zentralen Stellenwert einnimmt, sondern die Offenheit des Dichters für den Anspruch der Götter der Kern dieser Konzeption ist: »Der Dichter ist ausgesetzt den Blitzen des Gottes.« 55 ' Wenn Hölderlin als Mittler zwischen Göttern und Menschen den »Blitzen des Gottes« ausgesetzt ist, so auch erscheint sein mentaler Zusammenbruch nicht mehr als psychopathologisches Problem, sondern als Beweis für eine singuläre Seinsunmittelbarkeit, die den Wahnsinn zur Folge hat. U m diese Kausalität zwischen Hölderlins Wahnsinn und seiner Rolle als Dichter des Seins zu begründen, bemüht Heidegger den allegorischen Sprachgebrauch des Dichterischen: D i e übergroße Helle hat den Dichter in das D u n k e l gestoßen. 5 5 2
Auch an anderer Stelle begreift Heidegger Hölderlins Wahnsinn nicht als Gemütserkrankung, sondern als eine »Ver-rückung« seines Wesens, das aus der Nacht seiner Zeit in einen anderen »Zeit-Raum« eingerückt ist.5 5 3 Dieser an546
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Vgl. ebd. s o w i e I. Buchheim, Wegbereitung in die Kunstlosigkeit, W ü r z b u r g 1994, S. 1 7 2 . H ö l d e r l i n schreibt diesen Brief in der E u p h o r i e einer neuen Weltsicht: E r vergleicht sich mit Tantalus, »dem mehr von den G ö t t e r n ward, als er verdauen konnte«. V g l . StA V I , S.427. V g l . M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a . M . 1 9 8 1 , S.46. Hölderlin bezeichnet in seiner O d e >Rousseau< die W i n k e als Sprache der Götter. V g l . S t A II,
S.13V g l . M . Heidegger, Erläuterungen, G A B d . 4 , F r a n k f u r t a.M. 1 9 8 1 , S.47. M i t diesem W o r t aus Hölderlins >Hyperion< meint H e i d e g g e r nicht die soziale Marginalisierung des Dichters, sondern seine dem N u m i n o s e n ausgesetzte Exponiertheit und seine Seinsnähe. 550 V g l . ebd., S . 4 7 . » ' E b d . , S.44. 5 52 Ebd. 5 53 V g l . M . Heidegger, >AndenkenPhaidros< als eine Theorie vom göttlichen Wahnsinn des Dichters dargelegt, Horaz spricht von der amabilis insana und seiner Entrückung durch Bacchus, und Ovid erklärt, der Dichter werde von einer Gottheit inspiriert. Der Theorie vom Wahnsinn des Dichters liegt der älteste, traditionsreiche Gedanke einer Inspiration der Poesie durch das Numinose zugrunde, den Heidegger in seine Auslegungen von Hölderlins Dichtung aufnimmt. Dadurch reiht er sich trotz aller negierenden Skepsis gegenüber dem Wissen der Uberlieferung in eine von Piaton bis zur Neuzeit reichende Traditionskette ein, die die seelisch-künstlerischen Entgrenzungserscheinungen der Dichtung mit ihren Parallelphänomenen der Begriff· und Reflexionslosigkeit auf den furor divinus sive poeticus zurückgeführt hat.555 Für Heidegger ist das Gedicht eine Evidenz, in der sich die Erfahrung des Grenzbereichs der Seinsunmittelbarkeit niederschlägt, und durch die das Sein selbst gestiftet wird - das Dichten ist nach seinen Worten »ein das Seyn stiftendes Stehen >unter Gottes GewitternAndenken< Im Wintersemester 1 9 4 1 / 4 2 hält H e i d e g g e r eine zweite Vorlesung über H ö l derlins D i c h t u n g , die eine E r l ä u t e r u n g der späten G e d i c h t e >AndenkenDer IsterDie TitanenMnemosyne< und >Reif sind ...< vorsah, tatsächlich aber über eine konzentrierte Auseinandersetzung mit den ersten beiden Strophen und dem U b e r g a n g z u r dritten aus der H y m n e >Andenken< nicht hinausk o m m t . I m R a h m e n u m f ä n g l i c h e r >Vorbetrachtungen< leitet H e i d e g g e r seine Vorlesung ein mit scharfer K r i t i k an der Literaturwissenschaft. E r macht dieser den V o r w u r f , sie w o l l e mit der » B e r u f u n g auf die zeitgenössischen B e d i n g u n gen und Tatsachen« G e d i c h t e auslegen, sei aber dabei selbst B e d i n g u n g e n und Vorstellungen u n t e r w o r f e n , deren sie so w e n i g H e r r sei, daß sie ihre eigenen E r kenntnisinstrumente w e d e r erfassen noch begründen könne. 5 9 0 A n d e r s f o r m u liert: D a s , w a s im Text steht, ist f ü r H e i d e g g e r in keiner Weise identisch mit demjenigen, w a s außerhalb des Textes als kulturelle oder historische B e d i n gung E i n f l u ß ausübt u n d der wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen w i r d . H e i d e g g e r spricht der L i t e r a t u r f o r s c h u n g die Fähigkeit zu D e u t u n g u n d Verständnis v o n Geschichte deshalb r u n d w e g ab: N u r der selbst geschichtestiftende Dichter läßt erkennen, was Dichtung ist und vielleicht sein muß. Nur der geschichtegründende Denker bringt gewesene Denker zum Sprechen. 5 ' 1 O f f e n b a r sieht H e i d e g g e r sich selbst als »geschichtegründende[n] D e n k e r « . Ausgestattet mit diesem A n s p r u c h gewinnt sein Ziel, »das, w a s H ö l d e r l i n gedichtet hat, z u denken und denkend ins Wissen z u bringen« 5 ' 2 , die Qualität einer Sendung. G r u n d l a g e dieser A r g u m e n t a t i o n ist Heideggers o n t o p o e t o l o g i scher Leitsatz, daß D i c h t u n g als Substrat der Seinsgeschichte zu gelten habe. E r n e u t will H e i d e g g e r seine A u s l e g u n g nicht als literarhistorischen Beitrag v e r !9
°Vgl. M. Heidegger, >Andenkenexakt< u n d >unexaktAndenken< d e n bereits in Kapitel 2 . 2 . I . I dieser A r b e i t analysierten G e d a n k e n auf, die Interpretation diene auf diese Weise d e m G e d i c h t : U m jetzt auch nur an den Rand des Bezirks des Hölderlinschen Wortes zu kommen, bedarf es einer anderen und höheren Anstrengung, die durch die Klarheit eines Wissens hindurch muß... Sie ist nicht um ihrer selbst willen da. Das Ziel der echten Auslegung besteht allein darin, sich selbst überflüssig zu machen. 60 ' E i n weiteres zentrales Strukturelement der Interpretation Heideggers ist die H a l t u n g des H ö r e n s , die bereits G e g e n s t a n d d e r vorliegenden Darstellung war. A u c h die >Andenkenfactum est< soll i m Werk ins O f f e n e gehalten w e r d e n « . 6 ' 7 D e n n o c h bleibt das Verhältnis zwischen K u n s t w e r k und K ü n s t l e r im K u n s t w e r k a u f s a t z doppeldeutig u n d letztlich ungeklärt: S o sagt H e i d e g g e r einerseits, in der großen K u n s t bleibe der Künstler gegenüber d e m W e r k gleichgültig 6 ' 8 , andererseits gibt es aber auch aus keine K u n s t ohne Künstler, weil ein W e r k »wesentlich« die S c h a f f e n d e n braucht. 6 ' 9 In d e m 1 9 5 6 verfaßten N a c h w o r t z u m K u n s t w e r k a u f s a t z hat Heidegger auf dieses ungelöste P r o b l e m selbst hingewiesen und erklärt, es liege ihm fern, mit seinen B e trachtungen das Rätsel der K u n s t zu lösen: » Z u r A u f g a b e steht, das Rätsel zu sehen.« 6 6 0 D i e s e schwebende Unentschiedenheit in der Wertung v o n K u n s t w e r k und K ü n s t l e r bleibt in den gesamten K u n s t w e r k a u f s a t z eingezeichnet. E i n e B e trachtungsweise, die das K u n s t w e r k v o r allem aus dem S c h ö p f u n g s a k t eines Künstlers begreifen will, kann v o r diesem H i n t e r g r u n d f ü r die Heideggersche K u n s t k o n z e p t i o n definitiv ausgeschlossen w e r d e n . H e i d e g g e r setzt die z w e i M o m e n t e »Künstler« und »Werk« in seiner B e s t i m m u n g der K u n s t schroff nebeneinander und attestiert ihnen damit Gleichwertigkeit: Der Künstler ist der Ursprung des Werkes. Das Werk ist der Ursprung des Künstlers. 66 ' D i e s e r Wechselbezug in einer kunstphilosophischen G l e i c h u n g mit z w e i U n bekannten läßt sich nicht in üblicher Weise auflösen in die eine o d e r andere R i c h t u n g , sondern muß vielmehr durch ein vermittelndes Drittes z u s a m m e n gedacht w e r d e n . F ü r H e i d e g g e r ist die F r a g e nach d e m Bindeglied zwischen den M o m e n t e n »Künstler« und »Werk« zugleich die elementare F r a g e nach der K u n s t selbst. E r stellt die K u n s t als einen vermittelnden U r s p r u n g vor, aus dem s o w o h l W e r k als auch Künstler hervorgehen, u n d entwirft nach diesem P r o f i l schließlich das Wesen der K u n s t als Wahrheitsgeschehen. 6 6 2 E s läßt sich festhalten, daß H e i d e g g e r seine selbstgeschaffene ästhetische D i a l e k t i k durch den R e k u r s auf ein unumgängliches, vorgängiges Drittes u m geht. D e r allgemeine Begriff v o n K u n s t als »Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit« 6 6 ' ü b e r f o r m t den B e f u n d partikularer ästhetischer Erscheinungen, die sich darstellen als Künstlerindividuen, verschiedene Kunstgattungen
und
-richtungen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich deutlich, daß Heidegger, gerade w e i l er das K u n s t w e r k doppeldeutig zugleich als W e r k eines menschlichen
6 7
' Vgl. ebd., S . j i f . Vgl. ebd., S.26. 6 « V g l . ebd., S.54. 660 Ebd., S.67. 661 Vgl. ebd., S . i . 66i Vgl. ebd., S . i ; 44; 59. 663 Vgl. ebd., S.25. 658
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Schöpfers und Werk des Seins bestimmt, Schwierigkeiten hat, den Begriff des Künstlers als Autor oder Schöpfer in seine Kunsttheorie zu integrieren. Die Frage, die sich vor diesem Hintergund stellt, lautet: Wie läßt sich diese Doppeldeutigkeit mit seiner auf ontologische Eindeutigkeit zielenden kunstphilosophischen Konzeption in Einklang bringen? Günter Figal hat versucht, eine Antwort auf diese Frage zu formulieren. Er weist darauf hin, daß Heidegger mit dem Begriff der »Erde«" 4 eine Bedingung für Kunst vorstellt, die dem schöpferischen Subjekt schon voraus ist und die Tätigkeit des Künstlers so erst ermöglicht. 66 ' Nach dieser Vorstellung, so Figal, kann das Kunstwerk zwar nicht ohne den Künstler gedacht werden, es gerät aber auch nicht in den Bannkreis der Subjektivität eines Künstlers im Rahmen einer Geniekonzeption, denn die Wahrheit des Kunstwerkes müsse von der »Erde« her gedacht werden. 666 Trifft diese Voraussetzung zu, dann ist es Heidegger nach Figals Auffassung gelungen, »die verbreitete Alternative einer Orientierung an der Rezeption oder an der Produktion in seinem Konzept von Kunst zu unterlaufen«. 6 6 7 Der Begriff von Erde als einer formenden Kraft, der von Heidegger in seinem Kunstwerkaufsatz eher am Rande entwickelt wird, ist bei aller verdunkelnden Rhetorik jedoch konventioneller angelegt als es nach Figals Interpretation scheint. Heidegger beschreibt den Begriff Erde wie folgt: D i e Erde ragt ins Werk, weil das Werk als solches west, w o r i n die Wahrheit am Werke ist, und weil Wahrheit nur west, indem sie sich in ein Seiendes einrichtet. 6 6 8
Auf den ersten Blick scheint Heidegger mit dem Begriff der Erde nur einen weiteren Ausdruck für die in der Ästhetik beheimateten Kategorie des »Stoffes«, aus dem der Künstler sein Werk formt, vorzustellen. Er erklärt jedoch ausdrücklich, mit diesem Begriff nicht »das für sich vorgestellte Stoff-Form-Gefüge« zu meinen. 66 ' Heidegger setzt die Auseinandersetzung mit dem klassischen Schema der Ästhetik an dieser Stelle jedoch nicht fort, sondern greift wieder die Idee einer Wirkursache auf: Wir verfehlen, so Heidegger, die Wirklichkeit des Kunstwerkes, »solange wir uns nicht dazu verstehen, das Werk als ein Gewirktes zu nehmen«. 670 Weil aber das Werk sich nicht selbst generiert, sondern geschaffen wird, bedarf das werkbildende Schaffen selbst auch einer Ursache, eines »Mediums«, »aus dem und in dem es schafft«. 6/1 Die gestaltgebende Spon-
664
V g l . ebd., S . 5 7 .
665
V g l . G . Figal, Martin Heidegger. P h ä n o m e n o l o g i e der Freiheit, F r a n k f u r t a . M . 1 9 9 1 , S.395. 666 V g l . ebd., S . 3 9 4 f . 6Daß< des Geschaffenseins«, dort am deutlichsten wird, wo die individuellen Umstände der Entstehung eines Werkes im Dunkeln bleiben. 673 Er bestreitet aber nicht, daß der Genese eines Kunstwerkes eine Art schöpferisches Apriori vorausgehen muß. Der Stoß, der das Werk in sein Geschaffensein bringt, ist für Heidegger folglich kein aus der Luft gegriffenenes Metaphysicum, sondern bleibt auf den Impuls eines Agens bezogen. Doch gerade weil Heidegger in seinem Kunstdenken hier noch an der Idee des schöpferischen Subjekts grosso modo festhält, kann vor diesem Hintergrund die beginnende Distanzierung vom Begriff des Subjekts erste Konturen gewinnen: J e einsamer das W e r k . . . in sich steht, j e reiner es alle B e z ü g e zu den Menschen zu lösen scheint, u m so einfacher tritt der Stoß, daß solches Werk ist, ins O f f e n e ... 6 ? 4
Wichtig ist die Einschränkung Heideggers, daß sich das Werk aus der subjektiven Bezüglichkeit zu lösen scheint. Dieser Befund einer beginnenden Erosion des Subjektes antizipiert eine Denkbewegung, die in der Auseinandersetzung mit Hölderlins Dichtung konkretisiert wird und sich in Heideggers Spätphilosophie immer mehr Raum verschafft. Für den Kunstwerkaufsatz gilt hingegen noch, daß der Akt künstlerischer Tätigkeit als Bestimmungsgrund des Kunstwerkes in Kraft und vorläufig unhintergehbar bleibt: S o müssen w i r uns unter dem Z w a n g der Sache doch dazu verstehen, auf die Tätigkeit des Künstlers einzugehen, um den U r s p r u n g des K u n s t w e r k e s zu treffen. 6 7 5
Heidegger entscheidet sich in seinem Kunstwerkaufsatz, die Bindungswirkungen entfaltende Konzeption eines schöpferischen Subjekts nicht völlig aufzugeben und hält an einem ästhetischen Theorem rationalen Denkens fest. Damit wird Figals These, Heidegger gelinge durch die Bestimmung der Wahrheit des Werkes als »Erde« mithin eine Ersetzung des Begriffs vom subjektiven Schöpfertum, durch Heidegger selbst aufs Deutlichste widersprochen. Die von Figal angenomme Ausblendung der Künstlerperspektive im Kunstwerkaufsatz zeigt sich bei genauer Betrachtung als kurzfristige Verdeckung mit dem Ziel, deutlicher zu machen, »was im Werk am Werke ist«. 676 Der Versuch, das »Werksein des Werkes rein aus diesem selbst zu bestimmen«, erweist sich nach Heideggers
672 673 674 675 676
V g l . ebd., S. 53. V g l . ebd. V g l . ebd., S.54. V g l . ebd., S . 4 5 . V g l . ebd.
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Worten schließlich als undurchführbar und muß daher als gescheitert betrachtet werden/ 77 Es ist deutlich geworden, daß Heidegger im Kunstwerkaufsatz noch vor dem Schritt zurückweicht, den Ursprung des Kunstwerkes völlig von der künstlerischen Tätigkeit abzukoppeln. Zwar erscheint bereits schemenhaft die Möglichkeit einer Destruktion des Schöpfertums. Doch Heidegger hält am Künstler als Schöpfer und an der formenden Kraft des Menschen nicht zuletzt auch deshalb vorerst fest, weil er die Abstraktion seines Seinsdenkens nicht in eine Dimension führen kann, in der das Kunstwerk sich selbst schafft. Aus diesem Blickwinkel verfolgt der Kunstwerkaufsatz im Vergleich zur ersten Hölderlin-Vorlesung mit ihrer vitalistisch klingenden Definition des Kunstwerkes als »Wirbel« 678 wieder einen vergleichsweise moderaten, fast konventionellen kunstphilosophischen Ansatz, der nicht zuletzt deshalb breit rezipiert wurde, weil Heidegger hier an der subjektiven Verankerung des Kunstwerkes im Letzten festhielt. Die absolute und sich nur aus sich selbst bestimmende Kunst bleibt für Heidegger aber ein Faszinosum. Die Suche nach dieser Kunst geht einher mit dem Versuch einer immer weiterreichenden Auflösung subjektiver Voraussetzungen in seinem Denken. Auch die Ister-Vorlesung leistet eine Fortschreibung von Heideggers Projekt der Desubjektivierung. Mit dem absichtsvollen »Verkennen des spezifisch Hölderlinschen Subjektivismus zugunsten einer angeblichen Hölderlinschen Ontologie« 679 geht Heidegger hier im Vergleich zum Kunstwerkaufsatz einen deutlichen Schritt weiter. Hölderlins Dichtung wird als Paradigma subjektferner Dichtung vorgestellt: Dieses Dichten dieses Dichters dreht sich nicht u m das eigene Ich des Dichters. Kein deutscher Dichter hat je diese Ferne z u m eigenen Ich erlangt, die Hölderlins H y m nendichtung bestimmt Wenn Hölderlin das Wesen des Dichters dichtet, dann dichtet er Bezüge, die nicht in der »Subjektivität« des Menschen ihren G r u n d haben. 6 8 0
Der Dichter dichtet nach Heidegger dasjenige, was in seinem Wesen »ein ZuDichtendes« ist.681 Dieses wahrhaft Zu-Dichtende läßt sich nicht als Seiendes im Seienden finden, es kann nur »er-funden« werden, läßt sich jedoch nicht als das Produkt künstlerischer Imaginationskraft herstellen, es ist auch nicht als etwas Seiendes innerhalb des Wirklichen anzutreffen, sondern das Sein selbst.682 Wenn Hölderlins Hymnen aber als Manifestationen des Seins selbst zu bestimmen sind, dann ist das Dichten Hölderlins auch kein Dichten mehr, sondern ein
677 678
V g l . ebd.
Vgl. » Vgl. 680 Vgl. 681 Vgl. 682 Vgl. 6/
2
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K a p . 3.3.1 der vorliegenden Arbeit. K . H . Bohrer, D e r Ernstfall Heidegger, Basel 1998, S. i 8 f . M . Heidegger, >Der IstcrWas ist Metaphysik?< fort. 6 8 3 A m Beispiel der I s t e r - H y m n e verdeutlicht Heidegger, daß das dichterische N e n n e n von einer einmaligen, weltbildenden Leistungsfähigkeit ist: N e n nen bedeutet demnach, das Genannte - also den von Hölderlin geschilderten D o n a u s t r o m - in sein Wesen zu rufen und dieses Wesen als dichterisches W o r t erst zu gründen. 6 8 4 Das dichterische Sagen Hölderlins erhält durch diese Stiftung eine einzigartige Bestimmung, die sich nicht allgemein auf andere D i c h t e r und Dichtungen ausweiten läßt. 0 8 5 In der dichterischen Gründung vollzieht sich, wie B o h r e r gezeigt hat, die eigentliche Heideggersche Reduktion und Vereindeutigung von Hölderlins Sprache als der poetischen Sprache schlechthin: 6 8 6 Das » N e n n e n « wird auf diesem Wege z u m »Enthüllen« der Verborgenheit des »stromhaften Tuns« und begründet den poetologischen G e g e n e n t w u r f zur herrschenden Kunstauffassung. 6 8 7 Worin liegt nach Heidegger nun die eigentliche Aufgabe des Dichters, was ist seine Bestimmung? D e r D i c h t e r ist für Heidegger, so könnte man sagen, im doppelten Sinne ein »Ausgezeichneter«. Z u m einen wird im Dichten »das Z u geschickte der Geschichte gesagt und dadurch die Geschichte des Menschen in sein Heimischwerden gegründet«. 6 8 8 Diese geschichtsphilosophische
Aus-
zeichnung der Dichtung Hölderlins im H i n b l i c k auf die Stiftung einer neuen Anfänglichkeit im Heimischsein ist, wie oben bereits gezeigt, der thematische K e r n der Ister-Vorlesung. Z u m anderen stellt Heidegger den D i c h t e r und seine K u n s t in einen höheren Verweisungszusammenhang. E r bezieht sich dazu auf die Hymnenverse »Ein Zeichen braucht e s , . . . damit es S o n n ' / und M o n d trag' im G e m ü t h ' , untrennbar, U n d fortgeh' ...« 6 8 9 und leitet daraus ab, daß der D i c h t e r selbst zum »Zeichen« wird: Wenn das hier gemeinte Zeichcn in seinem Gemüt die »Welt« trägt und, zwischen den Menschen und den Himmlischen stehend, der Halbgott ist, dann kann, wenn Hölderlin im Wesen der Ströme »Halbgötter denkt« und den Halbgott als Wesen des Dichters begreift, das Zeichen nur der Name sein für den Dichter.1690 D e r D i c h t e r selbst ist also nicht nur ein Hinzeigender, sondern wandelt sich z u m Zeichen; er wird jedoch kein »dinghaftes Zeichen« im Sinne semiotischer T h e o r i e n , sondern ein Zeichen, das »eine >Seele< hat« und das »Zuzeigende erst
683
Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, Frankfurt a.M. ' 4 i992, S. 51 [Nachwort]. Vgl. M. Heidegger, >Der IsterVgl. ebd. 686 Vgl. K . H . Bohrer, Der Ernstfall Heidegger, Basel 1998, S. 17. 687 Vgl. M. Heidegger, >Der Ister«, G A Bd. 53, Frankfurt a.M. 1984, S.21. 688 Vgl. ebd., S.160. 689 Vgl. ebd., S.186. 690 Ebd., S.187. 684
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erscheinen läßt«. 6 ' 1 Eine weitere Bestätigung dieser ontologisch-dichterischen Zeichensetzung liest Heidegger aus dem Anfang der Hölderlin-Hymne >Mnemosyne< heraus, der lautet: Ein Zeichen sind wir, deutungslos / Schmerzlos sind wir und haben fast / Die Sprache in der Fremde verloren. 6 ' 2
Über diese Zeichenfunktion hinaus wird nun auch eine prototheologische Funktion des Dichters deutlich: Als Halbgott zeigt er den indifferenten Göttern, die in ihrem eigenen Wesen verharren und sich nicht aus eigenem Antrieb zum Seienden verhalten können, das Heilige und vermittelt ihnen damit ein eigenes Sein. 6 ' 3 Durch das Zeichen des Dichters überwinden »die Himmlischen« ihre Situation der Isolation und Beziehungslosigkeit - Heidegger nennt das die »Bezuglosigkeit des Einandernichtkennens«- und werden in ihr eigenes Wesen gerufen. 694 Die dichterische Stiftung stellt damit die Verbindung zwischen Himmlischen und Sterblichen her und baut, so Heidegger, schließlich die »Treppen für das Herunterkommen der Himmlischen«. 6 9 5 Heideggers ontologisch-dichterische Zeichensetzung beruht also auf einer Doppelwendigkeit: Auf der einen Seite wird der Dichter als Zeigender über alles andere gestellt, auf der anderen Seite verliert er aber in dieser Zeichenfunktion seine schöpferische Personalität und Unabhängigkeit. Heidegger hebt deshalb hervor, daß es das Vorrecht der »großen Dichter und Denker« und ihr ureigenes Vermögen sei, sich beeinflussen zu lassen. 6 ' 6 Die Rede der Dichter vom Heiligen wird so zum sprechenden Gegenentwurf der rationalen Wirklichkeit von Welt. Sie eröffnet zugleich aber auch einen Kommunikationsraum, in dem Heidegger die vorgestellte Ontologie des dichterischen Zeichens in Richtung einer »Art Theologie der Wörter« 6 ' 7 weiterentwickeln kann. Karl-Heinz Bohrer hat jüngst darauf hingewiesen, daß Heidegger in seinem Entwurf dichterisch-ontologischer Zeichensetzung die Zeichen-Metapher aus der Ister-Hymne auch deshalb aufgreift, weil er das in der Ästhetik vorherrschende sinnbildliche Verständnis und die Verweisungsfunktion der metaphorischen Figur destabilisieren möchte. 6 ' 8 Nach Heideggers Auffassung, so schließt Bohrer daraus, ist das Zeichcn »die nach einer aktuellen Erfüllung erst Ausschau haltende Aura der Unbestimmtheit« und steigert den Rätselcharak-
6
"Vgl. Vgl. 6 "Vgl. 694 Vgl. Vgl. 692
696
ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,
S.i88f. S.189. S.194. S.192; 194. S.195.
Vgl. ebd., S. 62. Vgl. K . H . Bohrer, Der Ernstfall Heidegger, Basel 1998, S. 17. 698 Vgl. ebd., S. 13. 697
z56
ter der D i c h t u n g . 6 " B o h r e r s T h e s e ist z u z u s t i m m e n , allerdings muß sie u m einen A s p e k t ergänzt werden: D i e A u r a der U n b e s t i m m t h e i t definiert sich nicht allein durch die A u s s c h a u , vielmehr konkretisiert sich in ihr zugleich die A n t i zipation einer E r f ü l l u n g . H e i d e g g e r sagt deshalb ganz deutlich: Das anscheinend Unbestimmte ist das im höchsten bestimmte Eine, das Einzige, was für die ganze Dichtung das von ihr im voraus Zu-Dichtende bleibt. 700 H e i d e g g e r sieht in der Vielzahl poetischer E l e m e n t e u n d A k t e u r e , in Zeichen, H a l b g o t t , Strom u n d Dichter, nur einen Z w e c k : die E r f ü l l u n g seiner geschichtsphilosophischen Vision in der D i c h t u n g . 7 0 1 E s ist also nicht allein die A u f g a b e v o n D i c h t u n g , eine ferne E r f ü l l u n g z u m Vorschein z u bringen ( » A u s schau«), sondern sie soll diese E r f ü l l u n g auch zu sich selbst k o m m e n lassen durch die Stiftung einer im H i e r u n d Jetzt z u ergreifenden geschichtlichen L e b e n s f o r m (»Antizipation«), D i e v o n B o h r e r angesprochene Destabilisierung des herrschenden sinnbildlichen Verständnisses der M e t a p h e r f ü h r t direkt w i e der z u r ü c k zu der Frage, welches Kunstverständnis H e i d e g g e r mit seinen p o e tologisch-ontologischen A n m e r k u n g e n hinter sich lassen will. D i e im R a h m e n eines kurzen E x k u r s e s in der Ister-Vorlesung geübte Kritik Heideggers an der herkömmlichen, im ideengeschichtlichen Z u s a m m e n h a n g des Deutschen Idealismus stehende K u n s t a u f f a s s u n g soll deshalb hier k u r z skizziert w e r d e n . H e i d e g g e r greift in seiner Darstellung der metaphysischen D e u t u n g v o n K u n s t eine D e f i n i t i o n auf, die er bereits im K u n s t w e r k a u f s a t z entwickelt hatte. D i e U n t e r s c h e i d u n g v o n » S t o f f « u n d » F o r m « ist demnach das » B e g r i f f s s c h e m a schlechthin f ü r alle Kunsttheorie u n d Ästhetik«. 7 0 2 Diese U n t e r s c h e i d u n g greift H e i d e g g e r in seiner Ister-Vorlesung w i e d e r auf, indem er die seit Piaton gültige Trennung z w i s c h e n einem Bereich des Nichtsinnlichen (νοητόν) u n d einem Bereich des Sinnlichen (αίσΰητόν) 7 0 ' z u m A n g e l p u n k t seiner Kritik an der metaphysischen K u n s t a u f f a s s u n g macht. 7 0 4 Innerhalb dieses metaphysischen G r u n d s c h e m a s sind die D i n g e der N a t u r als »sinnlich-faßbare E r s c h e i n u n gen«, und demnach als »Bild« gefaßt, w ä h r e n d der geistige Gehalt, der sich in einem Bild ausdrückt, auf die nichtsinnliche E b e n e verweist und das B i l d erst z u m »Sinnbild« macht. 7 0 ' V o r dem H i n t e r g r u n d dieses Dispositivs kann D i c h tung unter dem O b e r b e g r i f f des Sinnbilds als Allegorie, S y m b o l oder auch M e -
699
Vgl. ebd. Heidegger selbst weist darauf hin, daß seine Deutung den Rätselcharakter von Hölderlins Dichtung noch verstärkt. Vgl. M. Heidegger, >Der IsterDer IsterAndenken< (1943): Schönheit w i r d dort f o r m a l als » A n w e s e n h e i t des S e y n s « , aber nicht m e h r als Wahrheitskriterium begriffen. 7 2 1 E s ist bis hierhin deutlich geworden, daß H e i d e g g e r in der Ister-Vorlesung die v o n ihm als metaphysisch bezeichnete K u n s t a u f f a s s u n g an das disponierende J u n k t i m des »Sinnlichen« und des »Nichtsinnlichen« bindet. D o c h geht es ihm nicht ausschließlich darum, die B e d i n g u n g e n der Möglichkeit v o n metap h y s i s c h e r K u n s t zu p r ü f e n , zu v e r w e r f e n oder gegebenfalls beizubehalten. Heideggers A m b i t i o n e n reichen weiter: I m Z e n t r u m seiner K u n s t r e f l e x i o n e n steht der Versuch, die B e d i n g u n g e n der M ö g l i c h k e i t v o n Kunstlosigkeit zu entw e r f e n . A u s g a n g s p u n k t dieser Ü b e r l e g u n g e n ist die pointiert f o r m u l i e r t e G r u n d a n n a h m e , daß die K u n s t als U r s p r u n g s p h ä n o m e n bisher nicht auf einen B e g r i f f gebracht w o r d e n ist: Ein »Begriff f ü r dieses Verhältnis z w i s c h e n d e m U r s p r ü n g l i c h e n fehlt«, das Fehlen w i r d aber auch »nicht als Mangel gespürt«, da die sinnbildlich-metaphysische K u n s t alle A n s p r ü c h e und B e d ü r f n i s s e k o m pensiert. 7 2 2 D i e herrschende A u s l e g u n g v e r w e h r t somit den Blick auf die K u n s t als Wahrheitsgeschehen. B u c h h e i m hat darauf hingewiesen, daß sich die K u n s t a u f f a s s u n g Heideggers durch eine eigene Transitorik auszeichnet: Wenn H e i degger H ö l d e r l i n s H y m n e n d i c h t u n g als nicht-metaphysisch anspricht, dann ist damit die A u f g a b e genannt, »denkerisch die Scheidung und E n t s c h e i d u n g v o n metaphysischem D e n k e n und nicht mehr metaphysischem, also den Ü b e r gang gründend z u vollziehen.« 7 2 3 Zentraler Impuls dieses D e n k e n s ist die A u f f a s s u n g v o m E n d e der wesentlichen K u n s t , die H e i d e g g e r mit H e g e l z u teilen scheint. D o c h w ä h r e n d Hegel das » M o m e n t der Endlichkeit der K u n s t « anspricht und ihre Z u k u n f t in der » w a h r h a f t e n Religion« sieht 7 2 4 , transponiert H e i d e g g e r die K u n s t ins O n t o l o g i s c h e und erklärt den Künstler unter B e r u -
720
Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, '1994, S. 69. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S. 134. 7 " Vgl. M. Heidegger, >Der IsterDuineser Elegien< u n d die >Sonette an O r pheusWie die N a t u r die Wesen überläßt ...Penseesunerhörte Mitte< der reinen Schwerkraft«. 808 Auch den »Weltinnenraum«, die Schutzzone vor dem rechnenden Herstellen der Welt, halluziniert Heidegger als »heile Kugel des Seins«, deren Einheit »alle Wesen, sie unendlich entschränkend, durchkreist«. 809 Die Dichter kommen diesem Weltin-
803
Vgl. C. Groppe, Die Macht der Bildung. Das deutsche Bürgertum und der GeorgeKreis 1890-1933, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 139. Uber die Einrichtung des Kugelzimmers und die daraus im Hinblick auf George entstehenden Eindrücke berichtet Hans Brasch: »Der Raum wurde das Kugelzimmer genannt, weil er von einer in der Mitte hängenden Milchglaskugel beleuchtet wurde. Diese einfache sonnenartig im Raum hängende Lampe war damals etwas ganz Fremdes ... Damals erinnerte die Kugellampe an etwas wie Sonne, Kosmos, Mitte und Runde, und war wie ein Abbild seines [Georges, Anm. d. Verf.] Wesens.« Zit. n. R. Boehringer, Mein Bild von Stefan George, München/Düsseldorf 1951, S. 160.
804
Vgl. F. Gundolf, Goethe, Berlin 1916, S. 15. Vgl. hierzu auch G . Zöfel, Die Wirkung des Dichters, Frankfurt a.M./Bern/New York/Paris 1987, S. 1 1 8 - 1 2 3 . 805 Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 301. 806 Vgl. ebd. 807 Vgl. ebd., S . 3 o i f . 808 Vgl. ebd., S.302. a ° ' V g l . ebd., S . 3 1 5 . 2
75
nenraum nach Heideggers Verständnis am nächsten, denn ihr »Gesang feiert das Unversehrte der Kugel des Seins«. 810 Die Zielsetzung dieser geometrisch-symbolischen Ausdrucksweise, die Heidegger in seinem Rilke-Vortrag erstmals durchgängig erprobt 8 ", und die er in seinen späteren Arbeiten, beispielsweise in der dialektischen Metaphorik der Welt als Geviert von Göttlichen und Sterblichen, Erde und Himmel konsequent weiterentwickelt hat, bleibt ohne kontextuelle Einordnung im Unklaren. Im weiteren werden deshalb einige Überlegungen zu der These angestellt, daß Heidegger mit der angesprochenen Dimension des Metaphorischen antimoderne Grundpositionen seines Denkens erhärten will. Heidegger distanziert sich von den Denkfiguren der Moderne und stellt sich, das wird nicht zuletzt durch die Erwähnung der ontologischen Globologie des Parmenides deutlich, in die geistig-morphologische Kontinuität einer kosmologischen Metaphorik, deren ideengeschichtlichen Radius Blumenberg in seinem bemerkenswerten Aufsatz >Paradigmen zu einer Metaphorologie< am Beispiel wichtiger Stadien ausgeschritten hat. Blumenberg stützt sich in seinen Erörterungen auf eine 1937 erschienene Arbeit von Dietrich Mahnke mit dem Titel >Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt. Beiträge zur Gcneaologie der mathematischen M y stik. 8 · 2 An dieser Stelle muß kurz auf biographische Anknüpfungspunkte zwischen Mahnke und Heidegger eingegangen werden: Mahnke war wie Heidegger Husserl-Schüler und bis zu seinem Tode 1939 Ordinarius für Philosophie in Marburg. 8 ' 3 Die Biographien Heideggers und Mahnkes sind aber nicht nur durch die Marburger Dozentenjahre und die gemeinsame akademische Herkunft als Assistenten Husserls miteinander verbunden. Mahnke zählte wie 8,0
Vgl. ebd., S . 3 1 9 . ' " S p o r a d i s c h erscheinen einzelne kreismetaphorische Ausdrücke in der Vorlesung Einführung in die MetaphysikDeutschen Vierteljahrsschrift f ü r Literaturwissenschaft und GeistesgeschichteBekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen StaatUnendliche Sphäre< gekannt und offenbar zur ideengeschichtlichen Ergänzung seiner eigenen Parmenides-Lektüre genutzt hat. Heidegger trifft sich mit Mahnke dabei vor allem in der Auffassung, daß die im Denken der präsokratischen Griechen und dabei vor allem bei Parmenides aufgeworfene Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Denken und Sein so außerordentlich und metaphysisch so ungebrochen ist, daß sie nicht in Verbindung mit dem »geometrischen Symbolismus« gebracht werden kann. 823 Das beweist, daß Heideggers Vision eines unverstellten und anfänglichen Denkens kein vollkommen neuer Gedanke war, sondern auch in den Reihen der arrivierten Wissenschaft Vertreter und Sympathisanten hatte. Gleichwohl deutet Mahnke darauf hin, daß Parmenides die Wahrheit durch das »vernünftige Denken, durch die logisch-mathematische Fixierung der fließenden Sinnesempfindung« finden will. Hier widerspricht Mahnkes um die Mystik erweiterte Auffassung der Mathematik dem Heideggerschen Ansatz: Heideggers
8,
'Vgl. Vgl. 8.9 Vgl. 820 Vgl. 821 Vgl. 822 Vgl. 823 Vgl. 8.8
278
ebd., S.232. M. Heidegger, Wozu Dichter?, 7 i994, S.310. D. Mahnke, Unendliche Sphäre, Halle 1937, S.232f. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S . 3 1 9 . D. Mahnke, Unendliche Sphäre, Halle 1937, S.232. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S . 3 0 1 . D. Mahnke, Unendliche Sphäre, Halle 1937, S. 234.
Hauptkritik an der abendländischen Wissenschaftskultur zielt gerade auf das »Handeln eines Rechnens«, »das dort am zähesten herrscht, wo es der Zahlen nicht bedarf«. 824 Im Gegensatz zu Mahnke, für den sich die ideengeschichtliche Morphologie der Kugelgestalt im Großen und Ganzen doch als kontinuierliche Entwicklungslinie der mathematischen Mystik entrollt, versucht Blumenberg, anhand der geometrischen Symbolik die Differenzpunkte und Bruchstellen zwischen Vormoderne und Neuzeit deutlich zu machen. Blumenberg weist zunächst darauf hin, daß Parmenides und Empedokles mit der Metapher von der Kugelstalt des Seins dessen »unzerstückbare Einheit, die homogene Unantastbarkeit und Atomizität« beschrieben haben. 82 ' Für Piaton, so führt Blumenberg weiter aus, habe die Kugel die höchste Fassungskraft des dem Demiurgen angemessenen Werkes sowie die Identität von Vollständigkeit und Begrenzung bedeutet.826 Aristoteles leite die Kreisbewegung der Gestirne aus der Analyse des Zeitbegriffs ab, Plotin sehe in in der Kreisbewegung um den νοϋς den »Ursprung der Weltseele«.827 Nikolaus von Kues hat nach Blumenberg den Kreis als sphaera infinita auf die theologische Ebene gehoben und zum Modell aller Aussagen über Gott erklärt. 828 Durch Kepler schließlich erfolgt nach Blumenberg eine für den weiteren theoretisch-kosmologischen Prozeß entscheidende »Umschaltung«: In der »Aufgabe der Kreisform als Konstruktionsprinzip der Planetenbahnen« zugunsten der Berechnung der »Proportion von Sonnendistanz und Weg in der Zeiteinheit« sieht Blumenberg das spezifisch Moderne von Keplers Leistung, genauer: die »Ablösung von der geometrischen Eidetik«.829 Der Tod der Kugel als Metapher des Universums markiert für Blumenberg zugleich den Beginn der Moderne, die mit Newtons >Philosophiae naturalis principia mathematica< (1687) und dem dort entwickelten Gesetz der universalen Gravitation eine erste Weltformel zur Berechnung aller Bewegungen im Universum erhält. Zusammenfassend stellt Blumenberg fest, daß sich wesentliche geistesgeschichtliche Vorgänge der Neuzeit strukturell ausprägen als »Entmachtungen der Kreismetaphorik«. Die negative Bestätigung dieser These liegt seiner Auffassung nach darin, daß:
824
Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 292. Vgl. H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, i960, S. 125. 82i V g l . ebd. 827 Vgl. ebd., S . i 2 9 f . 828 Vgl. ebd., S . 1 3 5 . 829 Vgl. ebd., S. 138. Kepler hatte 1605 entdeckt, daß sich die Bahn des Planeten Mars nicht als Kreis, sondern durch unendlich viele Ellipsen beschreiben läßt. Vgl. ebd., S.ij8f. 825
2
79
... Reaktion und Widerspruch gegen den Geist der Neuzeit sich unter die Metaphorik des Kreises stellen, ihre Verbindlichkeit erneuern, ganz prononciert natürlich bei Nietzsche. 8 ' 0
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich auch Heideggers Denken in diesen Zusammenhang der Kritik an der Philosophie der Neuzeit einordnen läßt. Die Terminologien des Rilke-Vortrags machen die Verlaufsrichtung der antimetaphysischen Denkbahn Heideggers erneut besonders deutlich: An die Stelle des erkennenden Subjekts als Schwerpunkt der neuzeitlichen Metaphysik rückt Heidegger unter Rekurs auf Rilke nun den Bezug zur »reinen Schwerkraft« in dem »weitesten Kreis« des Seins. 8 ' 1 Die epistemische Gravitationskraft des Denksubjekts und die neuzeitliche Forderung nach »Modernität« stellen für Heidegger Bedrohungen dar, von denen er sein Denken unbedingt fernhalten will. Heidegger greift in seinem Denken und in seiner philosophischen Sprache deshalb zurück auf verbale Strukturen und semantische Möglichkeiten, die bereits im vorneuzeitlichen Denken gebahnt worden sind. Es lassen sich daraus drei Positionen herauslösen, die in deutlicher Kontinuität zu vormodernen Denkformen stehen: ι. Heideggers Denken restituiert eine zirkuläre Eidetik, indem es auf die Kugel als Symbol der Totalität zurückgreift. An die Stelle der befehdeten Metaphysik tritt eine Kosmologie des Seins, die sich beispielsweise in der Entsprechung kosmologischer Grundbegriffe wie des Offenen und des Geschlossenen herausbildet: Die »Kugel des Seins« definiert Heidegger als »das Offene als das Geschlossene der schrankenlos ineinander überfließenden und so zueinander wirkenden Kräfte«. 8 ' 2 Diese Denkfigur von der paradoxalen Raumlosigkeit des Seins findet sich, dort freilich übertragen auf die einschließende Unendlichkeit Gottes, bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts bei dem Mystiker und Theologen Valentin Weigel: Gott ist »das Infinitum, alle finita sind in dem infinito eines, und kommen daraus, und müssen darin beschlossen werden«. 8 " Die hier zutagetretende »Verflüssigung« eines Weltbildes bildet den ultimativen und vormodernen Gegenentwurf zur Statuarik des neuzeitlichen Denkens in den Kategorien von Subjekt und Objekt, in dem Heidegger nur die Folge des »sich einrichtenden Wesens der Technik« mit seinem Zug zur Verdinglichung erkennen will. 8 ' 4 Die Metaphorik des Ineinanderfließens verweist zugleich auf die organische Bewegungsdimension des Seins, das sich nur durch sich selbst übertreffen kann: »Das Sein durchmißt selbst diesen Herübergang und ist selbst dessen Di830
Vgl. ebd., S.140. Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 302. 852 Vgl. ebd. 8,5 Zit. n. D. Mahnke, Unendliche Sphäre, Halle 1937, S. 123. 834 Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 290. 831
280
mension«. 8 » In der dem Rilke-Gedicht entnommenen kosmischen Kennzeichnung des Seins als »Umkreisen« - dahinter steht immer die Denkfigur einer gleichförmigen und infiniten Bewegung - manifestiert sich ein perspektivischer Wechsel von den modernen Konzepten geschichtlicher Weltanschauung hin zu einer Weltbetrachtung unter der Optik unwandelbarer Präsenz. Die Kreisbahn ist eine weitere Chiffre für Heideggers tiefe Skepsis gegenüber allen herkömmlichen historischen Fragestellungen. 2. Heideggers Denken wendet sich gegen das berechnende Wesen der Technik, die den Menschen zum »Funktionär« herabstuft. 836 Das cartesische Cogito beherrscht seiner Meinung nach das neuzeitliche Denken, indem es zu einem »Vorstellen« führt, »das die Art der Berechnung hat«.837 Dem rechnenden und vergegenständlichenden Bewußtsein der Metaphysik, das sich aus der konsequenten Negation des Todes speist 838 , stellt Heidegger seinen ontologischen Kugel-Kultus sowie ein fast sentimentales Lob der Innerlichkeit und des Herzens entgegen. Die Hintergrundmetapher seiner Überlegungen bildet auch hier die wenig greifbare Sehnsucht nach einer durch die rationale Entzauberung der Welt verlorengegangen Utopie des Offenen. Das seit Kepler more geometrico waltende Prinzip kosmischer Bestimmung wird zugunsten dieser vorwissenschaftlichen Utopie annulliert. Daran schließt sich Heideggers Kritik an der modernen Wissenschaft als Folge des Wesens der Technik nahtlos an: Die Atomphysik wird Heidegger zur verhängnisvollen Leitwissenschaft des neuzeitlichen Denkens, weil in ihr der Angriff auf alles Lebendige und die Spaltung des Elementaren kulminieren. 839 3. Heideggers Denken fordert eine neue, fast religiös gemahnende Andacht ein: Der Mensch soll sich in der »umkehrenden Er-innerung« in die Innerlichkeit des »Weltinnenraums« zurückziehen. 840 Der Impuls zu dieser ontologischen praxis pietatis841 geht ebenfalls von der kosmischen Metaphorik aus, die Heidegger auch deshalb in seine Rede vom Sein überträgt, weil sie ideengeschichtlich mit der Mystik korrespondiert.
835
Vgl. ebd., S. 310. Vgl. ebd., S.294. 837 Vgl. ebd., S.305. 838 Vgl. ebd., S.303. 835 Vgl. ebd., S.290. 840 Vgl. ebd., S. 316. Mahnke weist darauf hin, daß die kabbalistische Metaphysik den »inneren Ort aller Dinge« mit Gott identifiziert hat. Vgl. D. Mahnke, Unendliche Sphäre, Halle 1937, S. 22. 841 Heidegger spricht 1953 in seinem Vortrag >Die Frage nach der Technik< bezeichnenderweise von der »Frömmigkeit des Denkens«. Vgl. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962, S. 36. Vgl. auch ders., Die Frage nach der Technik, 8 1997, S. 40. 836
281
Auf den Rezeptionsbogen der kosmischen Metaphorik macht auch Peter Sloterdijk in seinen jüngsten sphärologischen Studien aufmerksam: Den ideengeschichlichen Ausgangspunkt der Inzentrizität sieht er in der Parmenideischen Seinskugel, dem »Inbegriff einer all-immanenten Erschließungsfigur«, deren Ausläufer bis in die spätmittelalterliche Mystik reichen und von dort aus noch im Deutschen Idealismus und in der Heideggerschen Auslegung des In-derWelt-Seins rezipiert werden. 8 4 2 In ähnlicher Weise argumentiert auch Blumenberg: Die kosmischen Kreismetaphern zählen seiner Meinung nach aufgrund ihrer Begriffsgeschichte zu den absoluten Metaphern, deren Bedeutung und Wahrheit darin liegt, daß sie Begriffslücken im Denken auffüllen und als Orientierungshilfen Verhalten und Strukturen von Welt ausbilden können. 843 Eine wichtige pragmatische Leistung der absoluten Metapher liegt f ü r Blumenberg darin, daß sie eine Haltung und ein Verhalten induziert, die »mit großer Allgemeinheit als >mystisch< bezeichnet werden« können. 8 4 4 Diese Funktion zeigt sich deutlich auch im Rilke-Vortrag: Heidegger aktiviert sein Denken an der Gedankenwelt der M y s t i k , wenn er das »kommende Weltalter«, das Rilke in seinen Gedichten vorzeichnet, mit den folgenden Worten beschreibt: Dieses Weltalter ist w e d e r Verfall noch Untergang. A l s G e s c h i c k beruht es im Sein und nimmt den Menschen in seinen Anspruch. 8 4 5
A u c h diese Regressionsphantasie eines künftigen Weltalters ist nicht neu, sondern erscheint als geistesgeschichtliche Fortführung einer Traditionslinie, die sich als Gegenreaktion auf die durch Aufklärung und transzendentalen Idealismus vermittelten Verlusterfahrungen verstehen läßt.84SphärenSphären< entwickelt Sloterdijk eine T h e o r i e p e r m a nenter transsubjektiver K o e x i s t e n z aus der D e n k f i g u r der mikrosphärischen »Blasen«: D e r einzelne lebt in starken »Zweieinigkeiten«, die i m m e r auf die V e r v o l l k o m m n u n g durch den anderen ausgerichtet sind. D e r m o d e r n e Individualismus erweist sich daher als Trugschluß, denn Subjekte sind n u r »Teilhaber einer geteilten und zugeteilten Subjektivität«. 8 4 8 Im G r u n d z u g ist diese T h e s e bereits ganz allgemein in der erzromantischen N a t u r p h i l o s o p h i e
Lorenz
O k e n s vorgezeichnet: D i e Basis der organischen Welt ist f ü r O k e n eine » U n endlichkeit v o n Bläschen« o d e r »Sphären« im weiteren Sinne, die jede f ü r sich m i k r o k o s m i s c h das G a n z e abbilden und so auf eine infinite Totalität hindeuten.8« M i t d e m zweiten B a n d der >SphärenGloben< trägt, erklärt Sloterdijk die Idee der K u g e l bis zu ihrem E x i t u s in der philosophischen Situation der M o d e r n e zur zentralen D o m i n a n t e des D e n k e n s . 8 ' 0 Sloterdijk untersucht das m o r p h o l o g i s c h e Leitbild der K u g e l in einem begriffsgeschichtlichen K o n t e x t , den v o r ihm M a h n k e u n d B l u m e n b e r g z u m T h e m a ihrer ideenhistorischen Betrachtungen gemacht haben. U n t e r m a k r o s p h ä r o l o g i s c h e m A u s p i z sieht Sloterdijk in der philosophischen » G l o b a l i s i e r u n g « das »beherrschende M o t i v des europäischen D e n k e n s in seinem metaphysischen Zeitalter«: Im Zeichen der geometrisch vollendeten Rundform, die wir bis heute mit den Griechen Sphäre, doch mehr noch mit den Römern Globus nennen, entfaltet und erschöpft sich die Affäre der okzidentalen Vernunft mit dem Weltganzen. 851
847
M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 320. Vgl. P. Sloterdijk, Sphären, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1998, S.63; 8$f. 849 Vgl. D. Mahnke, Unendliche Sphäre, Halle 1937, S. I4f. 8s °Vgl. P. Sloterdijk, Sphären, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1999, S. 136. 8 >'Vgl. ebd., S.47. 848
283
Das Ursprungsdatum der metaphysischen Globalisierung verlegt Sloterdijk in die Epoche der Griechen: Die griechischen Philosophen, die sich mit der Denkfigur der Kugel in ein besonderes, geometrisch intelligibles Verhältnis zum Weltganzen setzen, vollziehen die »entscheidende Tat der früheuropäischen Aufklärung«. Dieser »formalisierte Gewaltstreich« entfaltet eine enorme, vereinheitlichende Wirkung: Die in den Disziplinen der Ästhetik und der Ethik denkenden Einzelsubjekte werden nach Sloterdijk in eine »starke Beziehung zur Seinsmitte eingespannt« und so auf die Gestaltidee der Geometrie, der »Einheit, Ganzheit und Rundheit des Seienden«, vereidigt.8®2 Auf diese Weise avanciert die Meditation der Kugel zum Kerngeschäft der abendländischen Metaphysik: D i e O n t o l o g i e der Kugel - die Grundlehre altabendländischer Metaphysik ... ist ihrem Wesen nach eine Meditation über die Unmöglichkeit, daß dem Sein etwas verlorengehe. D a s Sein, wie das Haus, verliert nichts.® 5 3
Noch deutlicher auf Heideggers Spuren wandelt Sloterdijk, wenn er sein Bedauern darüber äußert, daß die moderne Philosophie das sphärische Denken abgelegt hat und nur noch Ausreden dafür auflistet, »den Seinsapfel nicht fangen zu können«. 8 ' 4 Das ideengeschichtliche Absterben der kosmologischen Kugelgestalt vollzieht sich seiner Meinung nach in Korrespondenz zur Vollendung der alteuropäischen Metaphysik im Hegeischen System: Indem das Weltganze sich ins nüchterne Wissen auflöst, verliert der H i m m e l — als letztes B o l l w e r k eines objektiven K o s m o s - zuletzt auch seinen verbliebenen naiven R e präsentanten, den uranischen G l o b u s . 8 "
Mit der Kugel stirbt die ursprüngliche Idee der Metaphysik. Mit dem Ende der Metaphysik tritt die Selbstbezüglichkeit des Denkens als »Kernthema der Moderne« auf den Plan. 8 ' 6 In dieser Diagnose und der deutlichen Unzufriedenheit mit der Philosophie der Moderne knüpft Sloterdijk an Heidegger an - vor allem, wenn er das ursprüngliche Heil gerade in der zerbrochenen Metaphysik vermutet und deshalb im »Sein-in-der-Kugel« den Sinn sieht, »die Punkt-Individuen aus ihrem egoistischen Selbstbezug zu lösen«. 8 ' 7 Hier schließt sich auch der Kreis zur Heideggers desubjektivierenden Rilke-Reflexionen: Diese zielen ebenfalls auf die Wiedergewinnung einer verlorengegangenen, ursprünglichen All-Einheit, die sich im Rekurs auf die frühabendländische Gestaltidee der Kugel rekonstruieren läßt. Heidegger versteht diese diffuse Rückwendung in die Vergangenheit philosophischen Denkens als antimetaphysisch. Er macht dabei '»Vgl. '»Vgl. "»Vgl. '»Vgl. 8 6 ' Vgl. '"Vgl. 284
ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,
S.jo. S.120. S.42. S.76. S.136. S.124.
jedoch intellektuelle Anleihen, die sich ideengeschichtlich als das genaue Gegenteil erweisen: Die »sphaira«, darauf weist Sloterdijk mit Recht hin, ist das »metaphysische Denkbild/w excellence«, weil es »den Ubergang von der sinnlichen Anschauung zum intellektualen Vorstellen einleitet und vollendet«.8'8 Der Versuch Heideggers, eine kryptische Identität von Sein (als Kugel) und Sprache (als Dichtung) herauszuarbeiten, führt schließlich in eine Bildersprache, die jegliche terminologische Präzision hinter sich läßt. Dies wird besonders deutlich, wenn Heidegger die Sprache als »das Haus des Seins« bezeichnet: In diesem wolkigen Begriff spiegelt sich die von Sloterdijk angesprochene frühgeschichtlich-philosophische Vollständigkeit als eine antithetische Metapher zu den Verlusterfahrungen der modernen Philosophie. In ähnlichen Regressionsphantasien wurzelt schließlich auch Heideggers euphorisches Bekenntnis zur Sprache, denn allein die Sprache eröffnet den Weg der Umkehr in das mystisch gesättigte »Innerste des Herzraumes«, den noch die unzerbrochene Sphäre des Seins umgibt. 8 ' 9
3.5
George - Die Macht der Sprache und die dichterische Erfahrung
Zu den wenigen Dichtern, deren Werk Heidegger in seine poetologischen Überlegungen direkt miteinbezieht, zählt auch Stefan George. George nahm vor allem im Kulturleben der ersten zwanzig Jahre des 20. Jahrhunderts eine prägende Stellung als geistige Institution ein und übte in dieser Funktion, nicht zuletzt über seinen Schüler-Kreis, besonders auf die intellektuelle Jugend und damit auch auf das wissenschaftlich-akademische Umfeld seiner Zeit großen Einfluß aus. Auf besonders viel Zuspruch stieß Georges Lyrik dabei bei der Jugendbewegung, deren neoromantische und lebensreformatorische Ideale sich gegen die Verknöcherungen der Wilhelminischen Gesellschaft richteten.860 Max Kommereil, der sich als Gymnasiast selbst für die Ideen der »Jugendlehrer« Gustav Wyneken und Hans Blüher erwärmte861, hat die Begeisterung der 8 8
' V g l . ebd., S . 8 1 . Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S . 3 1 1 . 860 Vgl. hierzu B. Würffei, Wirkungswille und Prophetie. Studien zu Werk und Wirkung Stefan Georges, Bonn 1978, S. 5 1 - 7 1 . Hans Blüher, einer der Chefideologen der J u gendbewegung, stellt seinem Buch >Führer und Volk in der Jugendbewegung< als Motto einige Zeilen aus Georges Vorrede zum Maximin-Zyklus voran, in denen es u.a. heißt: »was uns not tat war Einer der von den einfachen Geschehnissen ergriffen wurde und uns die Dinge zeigte wie die Götter sie sehen«. Vgl. H . Blüher, Führer und Volk in der Jugendbewegung, Jena 1917, S. 1. 859
861
Die Jugendbriefe Kommereils belegen die geistigen Sympathien für die Ideen der Freien Schulgemeinden Gustav Wynekens. Vgl. M. Kommereil, Briefe und Aufzeichnungen, Olten/Freiburg i.Br. 1967, S. 67-75. 285
Jugendbewegung für George in seinem Vortrag »Jugend ohne Goethe< (1931) aus der Rückschau mit spitzer Feder karikiert: Zwar hatten jene sich gruppenweis in die Wälder zerstreuenden etwas sorglos gekleideten Knaben- und Mädchenscharen kein Dichtungserlebnis, und für den Rohstoff des Menschlichen, den sie allenfalls auszudrücken hatten, genügte der Zupfgeigenhansel. Später aber bekannte man sich, erst vereinzelt, dann in Scharen und jetzt in einer fast beunruhigenden breiten Allgemeinheit zu einem Dichter, der die höhere Gemeinschaft, die der Wunsch aller war, gewährleistet - zu George. 8 6 2
Auch für Heidegger und sein Denken stellt die Jugendbewegung einen wichtigen Erfahrungshintergrund dar: Ihre Sozialkritik ist in seine frühe Ablehnung bürgerlicher Strukturen und Konventionen eingeflossen; sie bildete zugleich einen ideologischen Nährboden für seinen Antiakademismus und seine philosophische Kritik an der Moderne. Ein weiteres Spurenelement der Vermittlungsleistung, das die Jugendbewegung bei Heidegger hinterlassen hat, ist auch das Interesse an der Lyrik Stefan Georges: Noch in seiner Spätphilosophie vergegenwärtigt Heidegger sich die Konsequenzen des neuzeitlichen Denkens mit einer Verzeile aus Georges Ode >Der KriegAckermann< zu Günter Grass, Tübingen 1996, S. 200. 878 Vgl. H. v. Hofmannsthal, Ein Brief, 1991, S.49. 879 M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S.78.
290
Heideggers Blick auf die Situation der Sprache nicht nur skeptisch, sondern vernichtend illusionslos. Auf die in den >Beiträgen< aufgeworfene Frage, ob eine neue Sprache für das Sein erfunden werden kann, gibt Heidegger eine klare Antwort: »Nein.« 880 Dieser Ansatz prägt auch die George-Vorträge. Deshalb versucht Heidegger im ersten George-Vortrag, die Sprache über die dichterische Erfahrung mit dem Wort in den Blick zu bekommen. Er stellt fest, daß unser Verhältnis zur Sprache immer noch »unbestimmt, dunkel, beinahe sprachlos« ist. Auch die wissenschaftlichen und philosophischen Bemühungen um die Sprache helfen nicht weiter, sondern schaffen sich nur einen künstlichen Untersuchungsgegenstand, die »Metasprache«.881 Die Wissenschaften gelangen zu keiner neuen Einsicht in das, was Sprache im wesentlichen ist, sondern übertragen lediglich die Kenntnisse der Technik auf ihre Forschungsgebiete. Die Folge dieser Operation ist für Heidegger nichts weniger als fatal: Sie führt zur »Technifizierung aller Sprache zum allein funktionierenden interplanetarischen Informationsinstrument«. 882 Heidegger spitzt sein Urteil noch polemisch zu: Metasprache und Sputnik, Metalinguistik und Raketentechnik sind das Selbe. 883
Gegen den wissenschaftlich-technischen Erkenntnisbegriff von Sprache setzt Heidegger deshalb seinen Erfahrungsbegriff mit Sprache. Spracherfahrung ist für Heidegger im wesentlichen auf dem Wege der Selbsterfahrung zu machen: Nur in den Erfahrungen, die wir mit Sprache machen, bringt sich die Sprache selbst zur Sprache. 884 Das geschieht beispielsweise dort, »wo wir für etwas, was uns angeht, uns an sich reißt, bedrängt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden«.885 Das Wesen der Sprache zeigt sich für Heidegger deshalb im Ungesprochenen, in der Unfähigkeit, das rechte Wort zu finden und zu sagen und auch in der Art, wie sich Sprache verweigert und entzieht. Nur im Entzug von Sein, Wahrheit oder auch Sprache ist nach dem Grundgesetz Heideggerschen Denkens eine Erfahrung des Wesentlichen überhaupt möglich. Die Karenz der Sprache zeigt ihre verborgene Präsenz - das Schweigen ist kein semantisches oder phonetisches Nichts, sondern - getreu dem Grundsatz Spinozas: omnis determinatio est negatio - der Hintergrund, vor dem sich das Wesen der Sprache am deutlichsten abhebt. 886 In den >Beiträgen< heißt es da-
880
Vgl. ebd. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 160. 881 Vgl. ebd. 88j V g l . ebd. 884 Vgl. ebd., S . 1 6 1 . 885 Vgl. ebd. 88< Stegmüller legt seiner Erklärung des »Nichts« in Heideggers Philosophie die gleiche Logik zugrunde. Vgl. W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung, Bd. 1, Stuttgart '1989, S. 159. 881
291
her, daß die »Erschweigung« dem »wesenden Ursprung der Sprache selbst entspringt« und damit die Grunderfahrung f ü r das »zögernde Sichversagen in der Wahrheit« in der Dialektik von Lichtung und Verbergung eröffnet. 8 8 7 Diese paradoxe Einsicht läßt sich auf die Formel bringen, daß erst das Schweigen vielsagend ist und sein kann. 888 Das Schweigen der Dinge ist f ü r Heidegger deshalb Ausdruck des Wesens der Sprache, weil »im Schweigen das mögliche, aber zurückgehaltene oder vorenthaltene Sprechen liegt«, das eine wichtige Voraussetzung der Interpretation ist. 88 ' A u c h die Konturen dieser Position sind in Hofmannsthals >Chandos-Brief< bereits vorgezeichnet: L o r d Chandos muß schweigen, weil ihn die Worte im Stich lassen, zugleich ist dieses Schweigen aber auch die Voraussetzung einer extrem gesteigerten Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeit von Welt und Dingen, die er beredt zu beschreiben versteht: E i n e Gießkanne, eine auf dem Felde verlassene E g g e , ein H u n d in der Sonne, ein ärmlicher K i r c h h o f , ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das G e f ä ß meiner O f f e n b a r u n g werden. J e d e r dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein A u g e mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann f ü r mich plötzlich ... ein erhabenes und rührendes G e p r ä g e annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen. 8 9 0
Heidegger versucht nun, das Wesen der Sprache aus der dichterischen E r f a h rung Georges zu begreifen. Diese Erfahrung kommt in Georges Gedicht »in einer hohen und edlen Weise zur Sprache«. 8 ' 1 Dieser Rückgriff auf das Verbalsortiment der Asthetikdiskussionen des 18.Jahrhunderts bringt die klassizistischen Spurenelemente in Heideggers Dichtungstheorie erneut zum Vorschein. Das Vokabular der Erhabenheit soll in diesem Kontext jedoch auch Singularität bis hin zur Exorbitanz vermitteln: Dichtung ist nicht von der Alltäglichkeit der Welt berührt, sondern dem ganz »Anderen« verpflichtet, dessen C h i f f r e n »Wesen« oder »Sein« als unbestimmter A u s d r u c k einer verbalen Fassungslosigkeit fungieren. Die Auseinandersetzung mit dieser Dichtung hegt deshalb, so bemerkt Heidegger ausdrücklich, nicht den Anspruch der Wissenschaftlichkeit - den sie im übrigen gar nicht erfüllen könne, da ihr jegliche begriffliche Exaktheit und inhaltliche Festlegung fremd sei. 8 ' 2 D a die
887
V g l . M . Heidegger, Beiträge, G A B d . 6 5 , F r a n k f u r t a . M . 1989, S . 7 9 f .
888
E s scheint, als w o l l e Heidegger mit der mystifizierenden Argumentation eines »wesentlichen Erschweigens« auch d e m eigenen Schweigen über sein politisches Versagen philosophische Dignität verleihen und es so dem Verdacht des Verschweigens entziehen.
S8
' V g l . G . Figal, F ü r eine Philosophie von Freiheit und Streit. Politik - Ästhetik - Metap h y s i k , Stuttgart/Weimar 1994, S . 9 . S? ° H . v. H o f m a n n s t h a l , E i n Brief, 1 9 9 1 , S. 50. 891 M . Heidegger, D a s Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 165. s a ' V g l . ebd., S. 162.
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Sprache z u m reinen Informationsinstrument herabgesunken und damit o n t o logisch w e r t l o s g e w o r d e n ist, f o k u s s i e r t H e i d e g g e r seine Sprachreflexionen auf das einzelne Wort. D a s W o r t s c h a f f t ein Weltverständnis, es ordnet die L e b e n s w e l t u n d gibt den D i n g e n ihr Sein: » D a s Wort v e r s c h a f f t dem D i n g erst das Sein.« 8 ' 3 D o c h auch der G e l t u n g s b e r e i c h des Wortes, das den D i n g e n ihr Sein stiftet, ist gefährdet. D i e planetarische H e r r s c h a f t der Technik, in der nicht Worte, sondern Taten zählen, scheint das G e s e t z der Seinsgebung durch das W o r t u m z u k e h r e n . E i n Beispiel d a f ü r ist f ü r H e i d e g g e r der russische Satellit »Sputnik«, dessen E x i s t e n z bereits gegeben ist, b e v o r das D i n g als solches mit einem Wort beschrieben w e r d e n kann. 8 ' 4 Heideggers philosophische A u f a r b e i t u n g des » S p u t n i k - S c h o c k s « v o m 4. O k t o b e r 1 9 5 7 identifiziert jed o c h auch hier schließlich ein Sprechen als Wirkursache: D a s Geheiß d e r Eile im Sinne der »größtmöglichen technischen Steigerung der G e s c h w i n d i g k e i ten«, dieses selbst a n o n y m e »Wort des Stellens«, begründet auch die Seinsweise des Sputnik-Satelliten. 8 " H e i d e g g e r w e n d e t sich nach diesem E x k u r s w i e d e r seinem ursprünglichen Ziel zu, die Möglichkeit f ü r eine E r f a h r u n g mit der Sprache vorzubereiten und zu verdeutlichen. A u s der z u r Debatte stehenden Verszeile G e o r g e s hört er nun die K a r e n z der Sprache u n d das A u s h a l t e n der daraus hervorgehenden Verlusterfahrung heraus. D i e E r f a h r u n g des »So lernt ich traurig den verzieht: K e i n ding sei w o das w o r t gebricht« lehrt den D i c h t e r z u m einen, den Verlust am R a n d e des Sagens zuzulassen und z u m anderen, auf die übliche u n d vorherrschende M e i n u n g über das Verhältnis v o n D i n g und Wort z u verzichten. 8 ' 6 D i e s e r Verzicht ist die »Bereitschaft zu einem anderen Verhältnis«: H e i d e g g e r faßt den G e o r g e - V e r s als Imperativ auf, als Geheiß, nichts als seiend gelten zu lassen, was nicht in Worte gefaßt w e r d e n k a n n . 8 ' 7 D a s S c h w e i gegebot, das G e o r g e hier i m Sinn hat u n d das in ähnlicher Weise auch in Wittgensteins M e m e n t o »... w o v o n man nicht reden kann, darüber m u ß man schweigen« 8 ' 8 oder in E r n s t J ü n g e r s F o r m u l i e r u n g » D a s U n s a g b a r e ist zu verschweigen«8" zum Ausdruck kommt, wird von Heidegger aufgenommen und neu gedeutet: N i c h t allein die E r f a h r u n g des U n s a g b a r e n , sondern die E r f a h r u n g des Dichters mit der » W ü r d e des Wortes« f ü h r t in die G r e n z b e r e i che sprachlicher Verfügbarkeit u n d Sagbarkeit v o n Welt. Diese G r e n z b e r e i che k o m m e n d o r t z u m Vorschein, w o das W o r t »ein D i n g als das D i n g , das es
»"Vgl. 'tVgl. 8 «Vgl. 896 Vgl. ""Vgl. 898 Vgl. '"Vgl. 8
ebd., S.164. ebd. ebd., S.165. ebd., S.167. ebd., S. 168. L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt a.M. 1966, S. 7. E. Jünger, Autor und Autorschaft, Stuttgart 1984, S. 178. 2
93
ist, erscheinen und also anwesen läßt«. 9 °° Aus diesen Reflexionen, die den spekulativen Seins-Abstraktionen durch die Koppelung von Wort und Wesen eine logozentrische Dimension verleihen, zieht Heidegger einen ersten poetologischen Schluß: D a s Wort ist aber zugleich jenes G u t , das dem Dichter als Dichter auf eine ungewöhnliche Weise zugetraut und anvertraut wird. D e r Dichter erfährt den Dichterberuf im Sinne einer B e r u f u n g z u m Wort als d e m B o r n des S e i n s . ' 0 1
D e r Dichter reicht nach Heideggers Auffassung über die Grenzen der sprachlichen Verfügbarkeit hinaus in den Bereich des Unaussprechlichen, das sich nach Heidegger im besonderen als das Sein, nach Blumenberg allgemein als das Mystische zeigt u n d nicht unter den allgemeinen Wirklichkeitsbegriff fällt. 902 Die bei Heidegger anklingenden prophetisch-priesterlichen Konnotationen wie etwa die exklusive Berufung zu dem Auftrag, das Wort als G u t gegen die banale Welt abzuschirmen und aufzubewahren, sind zugleich der esoterischen Idee eines dichterischen Hohepriestertums geschuldet, wie sie der George-Kreis nach dem Postulat Mallarmes ästhetisch und soziologisch nachdrücklich kultiviert hat. Die schon am Beispiel Hölderlins aufgewiesene poetische Grunderfahrung, als Künder des Fehls gelassen zwischen der »Nähe des Entzogenen« u n d dem für eine »anfängliche A n k u n f t Gesparten« ausharren zu müssen' 0 3 , hält den Dichter zugleich in einer permanenten Vibration zwischen Sein u n d Ding. D e r trauernde Dichter des George-Verses transfiguriert bei Heidegger zum Schmerzensmann der ontologischen Differenz. Sprachlicher Ausdruck und ontologischer Nachweis dieses mystischen Spannungsverhältnisses ist das dichterische Wort: D a s Wort selber ist das Verhältnis, das jeweils in sich das D i n g so einbehält, daß es ein D i n g »ist«. 904
Heideggers Reflexionen spitzen sich in seiner Spätphilosophie immer weiter auf das einzelne Wort zu. Eine der Grundfragen im seinem späten D e n k e n lautet: »Wann werden Wörter wieder Wort?« 905 Es geht Heidegger dabei nicht um mehr Aufmerksamkeit f ü r die im Wörterbuch katalogartig gesammelten »gedruckten Dinge« 906 , sondern darum, sich auf die Erfahrung des Dichters mit dem Wort einzulassen. Diese Erfahrung macht der Dichter nicht als selbständig Handelnder, sondern als jemand, dem etwas zugesagt wird 900 901 902 903 904 905
906
294
V g l . M. Heidegger, D a s Wesen der Sprache, " 1997, S. 168f. E b d . , S. 169. V g l . H . Blumenberg, A u s b l i c k auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit, 1 9 8 3 , 8 . 4 4 4 . V g l . M. Heidegger, D a s Wesen der Sprache, 1 ' 1997, S. 169. E b d . , S. 170. V g l . M. Heidegger, A u s der E r f a h r u n g des D e n k e n s , G A B d . 1 3 , F r a n k f u r t a . M . 1983, S. 229. V g l . M. Heidegger, D a s Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 192.
und dessen Verhältnis z u m W o r t sich dadurch v e r w a n d e l t . ' 0 7 Wieder tauchen die Schemen einer höheren Entität auf, auf die der D i c h t e r zu hören hat und v o n der er eine Z u s a g e erhält: D e r D i c h t e r muß auf den A n s p r u c h verzichten, die Sprache und mit ihr das Seiende beherrschen zu k ö n n e n , u m sich stattdessen d e m Imperativischen Z u s p r u c h der Sprache zu unterstellen.' 0 8 A n die Stelle der v o n H e i d e g g e r bereits vielfach v e r w o r f e n e n und kritisierten E r l e b nislyrik, in der sich die S e l b s t w a h r n e h m u n g des Dichters kristallisiert, rückt die Idee der E r f a h r u n g s l y r i k : D i e E r f a h r u n g des Dichters mit d e m Wort und mit der Sprache. A u c h in diesem P u n k t zeigt sich H e i d e g g e r in seiner dichtungstheoretischen P o s i t i o n als G e s i n n u n g s g e n o s s e G e o r g e s , f ü r den nach dem Zeugnis E d i t h L a n d m a n n s ebenfalls »Dichtung nicht Erlebnisausdruck ist, sondern Spracherlebnis«.' 0 9 D i e mystifizierende B e s c h r e i b u n g des D i c h t e r b e r u f s mündet bei H e i d e g ger in einer Feststellung, die auch die F r a g e als Mittel der K r i t i k entschärft: D a s F r a g e n ist nicht die » G e b ä r d e des D e n k e n s « , sondern das » H ö r e n der Z u s a g e dessen, w a s in die Frage k o m m e n s o l l « . ' 1 0 U m g e k e h r t gilt f ü r das D e n k e n , daß es nicht v o r r a n g i g ein F r a g e n , sondern v i e l m e h r ein »Sichsagenlassen« sein muß. H e i d e g g e r erhärtet damit auch in der Beschäftigung mit G e o r g e die G r u n d a u s s a g e seines hermeneutischen P r o g r a m m s , w o n a c h an die Stelle der kritischen R e f l e x i o n die Bereitschaft tritt, einen höheren A n spruch zu vernehmen. D i e s e r A n s p r u c h ist das eigentlich F r a g w ü r d i g e , in dem sich das »Wesen der Sprache: D i e Sprache des Wesens« als das » G a n z e , was uns jetzt anspricht«, durch die Vermittlung des dichterischen Wortes artikuliert.' 1 1 H i n t e r diesen o p a k e n F o r m u l i e r u n g e n steckt eine simple M e c h a n i k , mit der die rational nicht ü b e r b r ü c k b a r e D i s k r e p a n z der poetologischen Volten, die Heideggers D e n k e n schlägt, gestützt wird: N e b e n der H e r m e n e u t i k des H ö r e n s redet H e i d e g g e r einem L o g o z e n t r i s m u s das Wort, der als außertextuelles Sinnzentrum die dichterische E r f a h r u n g mit B e d e u t u n g füllt. D a s Wort ist jetzt »das G e b e n d e « , denn nach »der dichterischen E r f a h r u n g und nach äl'°7Vgl. ebd., S.170. 908 Vgl. T. Böning, Fahlstimmig·. Paul Celans »Einspruch« gegen Das Wort Stefan Georges und Martin Heideggers. Ein Versuch, 1999, S. 540. Böning sieht in diesem Imperativ der Sprache etwas verkürzt den entscheidenden Unterschied zwischen Heideggers Sprachauffassung und der Humboldtschen Lehre von der weltbildenden Funktion der Sprache. ' " ' V g l . E. Landmann, Gespräche mit Stefan George, Düsseldorf/München 1963, S. 87. Gerhard Zöfel weist ebenfalls auf Georges starke Betonung der Differenz von Erlebnis und Dichtung und seine Ablehnung der Doktrin, die das Kunstwerk als Spiegelbild seelischer Erlebniswelten begreifen will, hin. Vgl. G . Zöfel, Die Wirkung des Dichters, Frankfurt a.M./Bern/New York/Paris 1987, S. 2off. '""Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, "1997, S. 175. ' " V g l . ebd., S.176.
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tester Überlieferung des Denkens gibt das Wort: das Sein«. 9 ' 2 Die Suche nach dem Sinn der Worte ist damit nicht mehr nötig, der Interpret kann die Hände in den Schoß legen und gelassen das sich Zusagende vernehmen. Auslegung erscheint hier also nicht als das Ergebnis einer geistigen Tätigkeit, die sich an einem objektiven Gegenstand abarbeitet und als praktisches Verhalten in der Zielsetzung des Verstehens erkennbar wird 9 ' 3 , sondern mutiert vom Reflexionsprozeß schließlich zum ontologischen Induktionsvorgang. Diesen paradigmatischen Wechsel von den kritischen Denkkategorien des Fragens und Meinens hin zum Hören auf das dichterische Wort kleidet Heidegger in das Bild eines Erweckungserlebnisses: Plötzlich erwachen wir aus der Verschlafenheit des eiligen Meines und erblicken Anderes.' 1 4
Auch dieser pathetische Auftakt Heideggers zu einem beispiellosen Denken folgt einer topisch vorgezeichneten Choreographie. Die Situation der Erwekkung wurzelt in einer theologischen-metaphorischen Tradition, die von den ersten evangelischen Schilderungen der Erweckungssituationen im Umfeld der Jesusgeschichte bis hin zu religiösen Erweckungserlebnissen bei Augustinus und Nikolaus von Kues reicht und auch in der Neuzeit als Topos in philosophisch säkularisierter Form bei Rousseau und Kant noch weiterwirkt. 9 1 5 Gemeinsamer Sinn und Zweck dieser Erweckungserlebnisse ist die Diskreditierung überlieferter Denktraditionen auf dem Wege der Metaphorik. Die Schilderung einer Erweckung folgt damit einem strategischen, auf konkurrierende Denkmuster gerichteten Kalkül: Erweckungen figurieren als Ubergang in eine neue geistige Lebensform, sie stehen dabei aber nicht nur für etwas, sondern immer auch gegen etwas, das nunmehr überwunden scheint. Auffällig und heideggertypisch ist die Kollektivierung dieses Erweckungserlebnisses im »wir«: Hier zeigt sich einerseits die subkutane Virulenz volkspädagogischer Ansätze, die im Umkreis der ersten Hölderlin-Vorlesung auftreten, in der weiteren Beschäftigung mit Hölderlin jedoch durch exklusive Tendenzen, die in der Ister-Vorlesung nachweisbar sind, verdrängt werden. Auf der anderen Seite verzweigen sich in der Besinnung auf das »Hören der Zusage, die uns sagt, was es für das Denken zu denken gibt« 9 ' 6 oder in der Beschwörung des »Ubergangscharakter[s] des anfänglichen Denkens« 9 ' 7 weitere versteckte Analogien zur Dichtungstheorie Georges, denn die Erweckung durch das
9,2 513
914 915 916 917
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Vgl. ebd., S.193. Vgl. E. Betti, Die Hermeneutik als allgemeine Methodik der Geisteswissenschaften, Tübingen 1962, S. iof. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 193. Vgl. dazu P.J. Brenner, Die Grenzen des Geistes, 1997, S. 4 5 f. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 179. Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S.68.
D i c h t e r w o r t u n d der Ü b e r g a n g zählen zu den K e r n m o t i v e n dessen p o e t o l o gischer P r o g r a m m a t i k : Die dichtung hat eine besondere Stellung unter den künsten. Sie allein kennt das geheimnis der erweckung und das geheimnis des Übergangs. 9 ' 8 In seinem zweiten G e o r g e - V o r t r a g stellt sich H e i d e g g e r die A u f g a b e , den Weg v o n der Sprache z u r dichterischen E r f a h r u n g näher z u bestimmen. D a bei arbeitet er erneut deutlich seine O p p o s i t i o n z u m »eiligen M e i n e n « der hermeneutischen Wissenschaft heraus. A n den A n f a n g seines Vortrags stellt er die triftige B e m e r k u n g , die Wissenschaften verstünden den Weg z u m Wissen als M e t h o d e . D i e M e t h o d e ist aber, so f ü h r t H e i d e g g e r weiter aus, heute kein bloßes Instrument der Wissenschaften mehr, sie steht nicht m e h r im Dienste der Wissenschaft, sondern hat sich verselbständigt u n d nun ihrerseits die Wissenschaften in ihren Dienst g e n o m m e n . 9 ' 9 D i e K r i t i k an der erkenntnistheoretischen P r o z e d u r der Wissenschaft zeigt, daß die neuzeitliche W i s senschaft f ü r H e i d e g g e r kein O r t der Freiheit des D e n k e n s und der G e d a n ken ist. Sie erscheint ihm gebunden an die I m m a n e n z des methodischen Z w a n g s . D i e M e t h o d e ist das D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n der Wissenschaft, das sich im Zeitalter der Technik zum Mittel v o n G e w a l t auswächst: Das rasende Rennen, das heute die Wissenschaften fortreißt, sie wissen selber nicht wohin, kommt aus dem gesteigerten, mehr und mehr der Technik preisgegebenen Antrieb der Methode und deren Möglichkeiten. Bei der Methode liegt alle Gewalt des Wissens.' 20 D i e rationale G e w a l t s a m k e i t der M e t h o d e findet ihren A u s d r u c k auch in d e m Radikalpostulat des voraussetzungslosen Verstehens, das H u s s e r l mit seiner phänomenologischen,
alle p s y c h o l o g i s c h e n u n d geschichtlichen
Einflüsse
ausschaltenden R e d u k t i o n aufgerichtet hat: H e i d e g g e r s E n t w u r f einer V o r struktur des Verstehens und seine B e t o n u n g der Geschichtlichkeit und F a k t i zität in >Sein u n d Zeit< sind bereits als f r ü h e G e g e n b e w e g u n g e n z u dem radikalen A n s p r u c h der Husserlschen M e t h o d e zu sehen. 9 2 ' D e r erste Vertreter der T h e s e v o n der B e f e h l s g e w a l t der M e t h o d e in den Wissenschaften ist nach Heideggers A u f f a s s u n g der späte N i e t z s c h e gewesen, der im >Willen z u r Macht< nicht den Sieg der Wissenschaft, sondern den Sieg der wissenschaftlichen M e t h o d e über die Wissenschaft z u m K e n n z e i c h e n des 1 9 . J a h r h u n d e r t s erklärt h a b e . ' 2 2 D i e Methodisierung wissenschaftlicher A r b e i t setzt j e d o c h viel f r ü h e r in der Geschichte ein. S o hat B r e n n e r darauf hingewiesen, daß die 918
S. George, Über Dichtung, 1933, S. 87. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 178. 920 Ebd. 911 Vgl. H. Blumenberg, Philosophischer Ursprung und philosophische Kritik des Begriffs der wissenschaftlichen Methode, 1952, S. 139 [Anm. 22]. 922 Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 178. 919
297
Bindung wissenschaftlicher Forschung an die Methode bereits in der frühneuzeitlichen Wissenschaftstheorie Francis Bacons auftritt mit dem Zweck, die kontingenten außerwissenschaftlichen Bedingungen auszulöschen und so zur Gewißheit der Erkenntnis beizutragen. 92 ' An dieser Leitlinie schreitet die Methodisierung des Wissenserwerbs und des Erkenntnisgewinns historisch weiter voran und erreicht in der Philosophie Descartes' einen weiteren Kulminationspunkt: Im cartesischen Denken vollzieht sich »eine radikale Wendung vom naiven Objektivismus zum transzendentalen Subjektivismus«'24, in deren Folge nicht nur das ego cogito zum ersten Grundsatz der Philosophie erklärt wird, sondern auch der radikale Zweifel des Subjekts, dem nichts aus-ser ihm selbst widerstehen kann, auf dem Wege methodischer Prinzipien die nach letzter Gewißheit forschende Wissenschaft von den Verengungen und Täuschungen ihrer Umwelt befreien soll. 92 ' Die sich in Zweifel und Methodik absichernde »Selbstermächtigung des Verstandes«'26 gewinnt eine weitere wissenschaftsimmanente Qualität: Die allgemeine, methodisch gelenkte Infragestellung definiert nicht nur die autoritäre Rolle der Wissenschaft in dem sie umgebenden lebensweltlichen Gefüge, sie ist nicht nur die Quelle eines produktiven Fortschritts im Denken, sondern verhilft dem System der Wissenschaften durch die Vorausetzung eines regulativen und ordnenden Kanons zur Selbstimmunisierung gegenüber anderen, nicht rational organisierten Denkformen.' 27 Zudem verstärkt die kollektive Wendung der Wissenschaft gegen die Kontingenz ihrer Rahmenbedingungen den Homogenisierungsdruck auf die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen und bindet sie an die Konsensfähigkeit ihrer Thesen. Diese cartesische Homogenität der Methode ist nach Blumenberg universaler und fundamentaler Natur: Sie setzt sich zusammen aus einer objektiven Homogenität, in der sich die Gesamtheit möglicher Gegenstände »im Zugriff der Methode zu einem Universum der Erkenntnis zusammenschließen lassen« und einer subjektiven Homogenität, in der sich die Erkenntnissubjekte der Methode unterwerfen und so das »eine Subjekt des wissenschaftlichen Gesamtunternehmens« formieren.' 28 Vor diesem Hintergrund läßt sich festhalten, daß die Methode ungeachtet der geschichtlichen Veränderungen, die ihr
' 2 ' Vgl. P.J. Brenner, Die Grenzen des Geistes, 1997, S. 47L 924 Vgl. E. Husserl, Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänomenologie, Hamburg 1976, S. 6. 925 Vgl. R. Descartes, Discours de la methode pour bien conduire sa raison et chercher la verite dans les sciences, Hamburg 1990, S. 31; $3. 526 Vgl. P.J. Brenner, Die Grenzen des Geistes, 1997, S.48. 927 Vgl. R. Descartes, Discours de la methode, Hamburg 1990, S. 3off. 928 Vgl. H . Blumenberg, Philosophischer Ursprung und philosophische Kritik, 1952, S. 136.
298
Begriff bis heute erfahren hat, die lizenzierte Ordnung des wissenschaftlichen Diskurses darstellt.92' Auf die von Descartes vorgebahnte diskursive Selbstorganisation der Forschung durch die Methode zielt die Kritik Heideggers. Die Entwicklung der Methode hat nach seiner Auffassung den Wissenschaften nicht Freiheit und Unabhängigkeit gesichert, sondern sie dem Diktat der Technik preisgegeben. Heidegger sieht die Methode nicht als Mittel der Ausschaltung subjektiver Introjektionen im Dienste einer erst zu erlangenden, höheren Gewißheit, sondern auschließlich als ein Instrument gewaltsamer Regulierung des Wissens- und Erkenntniserwerbs. Die »durch ihre eigene Apparatur blindgemachte Forschung« 9 ' 0 unterwirft sich seiner Meinung nach einem allgemeinen Nützlichkeitspostulat, als dessen Ursache der Widerpart des Denkens, die Technik, ausgemacht werden kann. Das »Ge-stell« 93 ' der Technik gibt den Wissenschaften in Gestalt der Methode nicht nur das Thema vor, sondern legt als theoretisches Verhalten zugleich auch die innere Struktur seiner Bearbeitung fest: In den Wissenschaften wird das Thema nicht nur durch die Methode gestellt, sondern es wird zugleich in die Methode hereingestellt ... 9 } 2
Im Gegensatz dazu ist das Denken nach Heidegger »kein Mittel für das Erkennen«.933 Heideggers Denken will sich »auf die Eigentümlichkeit des Weges im Unterschiede zur Methode besinnen« und verzichtet daher auf Beweise, Begriffe und Verfahren.934 Sein reduktionistisches Denken hält sich nicht mit Methoden auf, sondern »hält sich in der Gegend auf«, die »überall offen in die Nachbarschaft zum Dichten« ist.935 Dichter und Denker treffen sich nach Heidegger in der Unmittelbarkeit und Unbegrenztheit einer Welterfahrung, die nicht von einem methodischen procedere beschnitten wird. Die Wissenschaft, die hinter dem Verzicht auf methodologische Grundlegung nur die Prinzipienlosigkeit irrationaler Denkbewegungen vermuten kann, bleibt nach dieser Auffassung blind für die enge Nachbarlichkeit von Dichten und
929
Dieser Zusammenhang wirkt sich bis in die moderne Rechtssprechung aus: So definiert das Bundesverfassungsgericht Forschung als eine »geistige Tätigkeit mit dem Ziel, in methodischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen«. Vgl. B v e r f G E 3 5 , 79 (113). 930 Vgl. M. Heidegger, »Andenken«, G A Bd. 52, Frankfurt a.M. 1982, S. 108. 931 Heidegger erwähnt diesen Begriff erstmals in seinem 1953 gehaltenen Votrag >Die Frage nach der Tcchnikwesentliche Denken< gar nicht so unvernünftig, unbegrifflich und unangreifbar, wie es erscheinen möchte, sondern noch immer dem vernünftigen Denken verbunden und ihm ausgesetzt«. 938 Mit dem dritten George-Vortrag will Heidegger nach eigenen Worten schließlich in die Möglichkeit einer Erfahrung mit der Sprache vorstoßen. 939 Dadurch soll das Verhältnis der Menschen zur Sprache gewandelt werden. 9 4 0 Heidegger setzt in diesem Vortrag die Sprache deshalb in Bezug zu dem eigenartigen mundartlichen Terminus der »Be-wegung«, den er mit den Formeln »die Gegend mit Wegen versehen« und »einen Weg bahnen« über-
936
Vgl. ebd. Vgl. H. Blumenberg, Philosophischer Ursprung und philosophische Kritik, 1952, S. 142. 938 Vgl. K. Löwith, Heidegger. Denker in dürftiger Zeit, Göttingen 3 196 5, S.72. 939 Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S. 199. 940 Vgl. ebd., S.215. 937
300
setzt. 9 4 ' A u c h hier zeigt sich, w i e H e i d e g g e r die E t y m o l o g i e nicht nur als Interpretationstechnik nutzt, sondern f ö r m l i c h zur D e n k f o r m kultiviert. D i e » B e - w e g u n g « ist f ü r H e i d e g g e r zugleich aber auch ein weiterer O p p o s i t i o n s begriff gegen den methodischen M i ß b r a u c h der rational operierenden W i s senschaften. D i e mystisch-rabulistischen R e f l e x i o n e n und A b e r r a t i o n e n , die H e i d e g g e r an dieses » B e - w e g e n « anschließt u n d mit G e d a n k e n z u Piaton, Z i taten aus der Schilderung des P f i n g s t w u n d e r s in der Apostelgeschichte s o w i e mit einzelnen Hölderlin-Versen in V e r b i n d u n g bringt, entziehen sich völlig den in wissenschaftlichen B e s c h r e i b u n g e n üblichen Kategorien. H e i d e g g e r s dritter G e o r g e - V o r t r a g ist ein hermetischer u n d thematisch zugleich äußerst p o l y p h o n e r Text, in d e m sich G e d a n k e n über das p h y s i o l o g i s c h - p h o n e t i s c h e L a u t e n der Sprache unvermittelt an Betrachtungen über N ä h e , » N a h n i s « u n d N a c h b a r s c h a f t , R a u m , Zeit und den K a m p f des rechnenden D e n k e n s u m die E r d h e r r s c h a f t anschließen. In dieser P o l y p h o n i e sollen die G r e n z e n des in die K r i s e geratenen Subjektbegriffs deutlich w e r d e n . Heidegger versucht mit diesem weitreichenden T h e m e n s p e k t r u m , sich mit sprachlicher G e w a l t aus der methodischen L o g i k der Fachdiskurse z u lösen, ja er will durch »die sanfte G e w a l t der Einfalt des H ö r e n k ö n n e n s « 9 4 2 die fixierten F o r m e n w i s s e n s c h a f t licher Selbstvergewisserung aufsprengen. N i c h t ohne G r u n d hat A l l e m a n n deshalb darauf hingewiesen, daß alle Versuche, diese D e n k b e w e g u n g » d u r c h E i n f ü h l u n g oder w i e die verbrauchten A u s d r ü c k e d a f ü r i m m e r lauten m ö gen« einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung zu unterziehen, u n a n g e messen erscheinen. 9 4 3 D e r dritte G e o r g e - V o r t r a g ist nicht nur ein w e i t e r e r Schritt Heideggers in die Isolation des w e s e n h a f t e n D e n k e n s , s o n d e r n z u gleich eine P r o v o k a t i o n der Wissenschaft und mit ihr eine fundamentale K r i tik an der Universitätsphilosophie. D i e P r o v o k a t i o n gewinnt eine deutliche K o n t u r durch ihren institutionellen K o n t e x t : H e i d e g g e r übt seine Fundamentalkritik an den Wissenschaften in einer Vortragsreihe im R a h m e n des Studium generale im Wintersemester 1 9 5 7 / 5 8 an der Universität F r e i b u r g . Seine K r i t i k trifft damit nicht n u r das metaphysische »Vorstellen« der Wissenschaften, sondern auch die Institution der Universität als den O r t , an d e m diese A u f f a s s u n g e n kursieren. D a ß H e i deggers Wissenschaftskritik aus d e m Versuch hervorgeht, ein besonderes V e r hältnis v o n Philosophiebegriff u n d Universitätsidee zu stiften, hat R e i n h a r d M e h r i n g deutlich gemacht: E r sieht H e i d e g g e r als » E r o t i k e r der Inszenierung 941
Vgl. ebd., S. 198. Mundart und wesentliche Sprache sind in Heideggers Denken auf Engste miteinander verbunden. Im Vortrag >Sprache und Heimat< (i960) bemerkt Heidegger: »Sprache ist nach ihrer Wesensherkunft Dialekt. ... Im Dialekt wurzelt das Sprachwesen.« Vgl. M. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, G A Bd. 13, Frankfurt a.M. 1983, S. 156. 942 Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, 1 1 1997, S. 207. 943 Vgl. B. Allemann, Denken, Dichten: Literaturtheoretisch, 1989, S.401. 301
seines Denkens«, der seinen politisch gefärbten Philosophiebegriff als Antwort auf die krisenhafte Situation der Universitätsphilosophie um 1900 entwickelt. 944 Deutlicher als etwa Jaspers versucht Heidegger dabei, aus seinem Philosophiebegriff universitätspolitisches Kapital zu schlagen: Nach Mehrings Auffassung arbeitet Heidegger in seinen Vorlesungen deshalb nicht nur seine philosophische Weltsicht am Beispiel der Universität aus, sondern versucht im Vollzug seiner Philosophie, die modellhafte Möglichkeit einer neuen universitären Existenz durchzusetzen.' 45 Die Inszenierung der philosophischen Existenz wird nach Mehring von zwei Bewegungen getragen: Der Tendenz zur Selbstinterpretation und der Abkehr von den akademischen Formen.' , < Die Selbstinszenierung Heideggers kumuliert schließlich in einem Führungsanspruch an der Universität, der die Durchsetzung der eigenen Philosophie mit einer revolutionär neuen, nationalsozialistischen Universitätsverfassung verbindet und seinen proklamatorischen Ausdruck in der Rektoratsrede über >Die Selbstbehauptung der deutschen Universitär findet. 947 Heidegger versucht, den Funktionsverlust der akademischen Philosophie durch den politischen Führungsanspruch seines eigenen Denkens und durch die »Restriktion auf eine pädagogische Erbauungsfunktion« abzugleichen. 948 Mit dem Scheitern des Rektorats scheitern auch Heideggers Führungsanspruch und seine politisierte Universitätsidee. Die Universität bietet für ihn nun keine Möglichkeit echter Denkerfahrungen mehr - im Humanismusbrief wird schließlich auch der Begriff der Philosophie und damit jegliche akademische Reminiszenz verabschiedet.949 Die Kritik an der Idee der Universität und ihrer formalinstitutionellen Ausprägung wendet sich in eine allgemeine harsche Wissenschaftskritik, die - wie die George-Vorträge zeigen - eng mit zeitdiagnostischen Bemerkungen verwoben ist. Heidegger verstand sich als Außenseiter in der academic society und kultivierte diese Rolle mit Hingabe. Schon aus seiner Marburger Zeit sind gezielte, teilweise sicher jugendbewegte Provokationen des akademischen Lebens und der Zunftgenossen bekannt.950 Mit dem Projekt der Destruktion der Meta944
V g l . R . Mehring, Universitätsidee und Philosophiebegriff bei Max Weber, Karl J a s pers und Martin Heidegger, 1998, S. 376.
945
Z u den einzelnen Phasen dieses philosophisch inszenierten Existenzgründungsprogramms vgl. R . Mehring, Heideggers Uberlieferungsgeschick. Eine dionysische Selbstinszenierung, Würzburg 1992, S. 3 2 - 5 7 .
946
Vgl. ebd., S. 1 3 2 . V g l . R . Mehring, Universitätsidee und P h i l o s o p h i e b e g r i f f , 1998, S. 397. V g l . ebd. V g l . M . Heidegger, U b e r den H u m a n i s m u s , F r a n k f u r t a . M . ' 1 9 9 1 , S. 54. A u s der Vielfalt der anekdotischen Ü b e r l i e f e r u n g e n seien nur zwei Beispiele herausgegriffen: S o schildert H a n s - G e o r g G a d a m e r , w i e Heidegger in M a r b u r g seine V o r l e sung in Skikluft hält und damit N i c o l a i H a r t m a n n brüskiert. A u c h Heideggers A b lehnung der akademischen »Dienstkleidung«, des schwarzen R o c k s , und sein trach-
947 948 949 950
302
p h y s i k zielt H e i d e g g e r auf das Traditionsgut der akademischen Philosophie u n d setzt sein D e n k e n als akademisches Ereignis eines » U b e r l i e f e r u n g s g e schicks« in S z e n e . " 1 A u c h der B a u der H ü t t e in Todtnauberg im J a h r 1923 kann v o r diesem H i n t e r g r u n d als ein f r ü h e r A k t der Separation gesehen w e r den: D i e »Studierzelle« der S c h w a r z w ä l d e r H ü t t e ist der auratische O r t eines D e n k e n s , das sich einsam abseits der akademischen R e s i d e n z e n der Richtigkeit »in der H ö h e v o n 1 1 5 0 m« vollzieht. 9 ' 2 N a t ü r l i c h ist auch diese F o r m des R ü c k z u g s aus dem akademischen L e b e n ein immanenter Bestandteil v o n H e i deggers Selbstinszenierung, ähnlich w i e auch die folgende B e h a u p t u n g in einem Brief v o m 18. September 1 9 3 2 an Elisabeth B l o c h m a n n : Vorläufig studiere ich meine Manuskripte, d.h. ich lese mich selbst u. muß sagen, daß es im Positiven u. Negativen viel fruchtbarer ist als sonstige Lektüre Diese A b l e h n u n g , sich mit anderen Ä u ß e r u n g e n als mit den eigenen zu beschäftigen, prägt Heideggers autoreferentiellen Habitus bereits in der Zeit v o r d e m Antritt des Rektorates. D o c h auch w e n n Heideggers D e n k w e g als F l u c h t w e g aus dem universitären Milieu u n d der akademischen Tradition verstanden w e r d e n kann - und H e i d e g g e r wahrscheinlich selbst so verstanden w e r d e n wollte - , so darf ein gegenteiliger B e f u n d dennoch nicht ohne B e a c h tung bleiben: Interessanterweise hat H e i d e g g e r seine K r i t i k an der Wissenschaft und ihren akademischen F o r m e n nicht zum A n l a ß g e n o m m e n , sich völlig v o n der Universität a b z u w e n d e n . D e r große Schülerkreis, den er als akademischer L e h r e r um sich scharen konnte und aus dem so unterschiedliche Denkerpersönlichkeiten w i e H a n n a h A r e n d t , K a r l L ö w i t h , H a n s J o n a s , H e r b e r t Marcuse, M a x Müller, G ü n t h e r Stern (Anders) und H a n s - G e o r g G a damer hervorgingen, macht deutlich, daß H e i d e g g e r mit seinem D e n k e n im wesentlichen fast ausschließlich ü b e r die Universität w i r k e n konnte und wollte. M i t H i l f e dieses akademischen Schülerkreises, der in seiner sozialen Konstellation und seinen intellektuellen Wechselwirkungen n o c h nicht ansatzweise erforscht ist, erschließt sich H e i d e g g e r seine B e r u f u n g als » E r o t i k e r
tenähnlicher »existenzieller Anzug« belegen Heideggers antiuniversitären Habitus. Vgl. H.-G. Gadamer, Philosophische Lehrjahre, Frankfurt a.M. ^1995, S. 21 jf. Karlfried Gründer hat Heideggers antiakademischen Impetus auf einem Foto, das bei den Davoser Hochschulkursen 1929 entstanden ist, nachgewiesen: Heidegger tritt dort als sportiv-dynamischer Professor »in Skikluft, mit hochgeschobener Skibrille« auf, während sein Kontrahent Ernst Cassirer »in der korrekten Kleidung eines großbürgerlichen Professors« zu sehen ist. Vgl. K. Gründer, Cassirer und Heidegger in Davos 1929, 1988, S. 300. 951
Zu dieser These vgl. R. Mehring, Heideggers Uberlieferungsgeschick. Eine dionysische Selbstinszenierung, Würzburg 1992, S. 9. 952 Vgl. M. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, G A Bd. 13, Frankfurt a.M. 1983, S.9. 953 Vgl. M. Heidegger/E. Blochmann, Briefwechsel 1918-1969, Marbach 1989, S. 53.
3°3
der universitären und wesentlich philosophischen Existenz, der seine Hörer zur Uberlieferung bestimmt«.954 Die mit der Verhängung des Lehrverbotes Ende der vierziger Jahre zumindet theoretisch gegebene Möglichkeit, mit der Kritik an der Wissenschaft tatsächlich Ernst zu machen und eine andere Öffentlichkeit zu suchen" 5 , hat deshalb für Heidegger nie wirklich zur Diskussion gestanden. Vielmehr hielt er auch während des Lehrverbotes an der Universität und privatissime Übungen ab und nahm nach dessen Aufhebung als Emeritus im Wintersemester 1951/52 seine Lehrtätigkeit wieder auf. Damit hat Heidegger trotz aller Invektiven gegen die Wissenschaft seine Beziehungen zu den Kommunikationsordnungen, den Konventionen und Formationen der akademischen Institution, deren Einfluß auf die geistige Arbeit bekanntlich nicht unerheblich ist, niemals völlig unterbrochen.956 Heidegger ist in seinem antiakademischen Habitus merkwürdig unschlüssig: Er kultiviert zwar ausgiebig seine Außenseiterolle und unterzieht die »Vorstellungen« von Wissenschaft und Lehre einer elementaren Kritik, partizipiert aber an den öffentlichen Veranstaltungen des Wissenschaftsbetriebes957 und bleibt damit auch der räumlichen und geistigen Dimension der fachwissenschaftlichen Diskurse verbunden. Diese Dimensionen bestätigt Heidegger gerade dadurch, daß er sich provokant von ihnen abzusetzen sucht: Das gewohnte Vorstellen ärgert sich an solcher Rede, und dies mit Recht. Denn es bedarf, um sie zu verstehen, der denkenden Erfahrung dessen, was Identität heißt. 958
Diese Bemerkung wirkt nicht nur durch den Ort, an dem sie ausgesprochen wird, sondern auch dadurch, daß Heidegger hier nicht ohne Überheblichkeit für sich allein das richtige Verständnis eines Zentralbegriffs des Deutschen
554 9,5
9(6
957
9,8
304
Vgl. R. Mehring, Heideggers Überlieferungsgeschick, Würzburg 1992, S. joff. Die Vorträge Heideggers vor Bremer Kaufleuten und Sanatoriumsgesellschaften auf der Bühler Höhe bei Baden-Baden entstehen durch persönliche Kontakte. Diese Vortragsaktivitäten sind nicht einer bewußten Suche nach einer antiakademischen Öffentlichkeit geschuldet, sondern bilden ein eher privates, alternatives Forum für die Zeit, in der Heidegger eine Lehrtätigkeit an der Universität untersagt blieb. Vgl. R . Safranski, Ein Meister aus Deutschland, München/Wien 1994, S. 449ff. Systematische Untersuchungen dieser Interdependenzen sind in der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung bisher leider eher ein Randgebiet geblieben. Die Arbeitsergebnisse Foucaults können auf diesen Bereich angewandt werden. Vgl. etwa M. Foucault, L'archeologie du savoir, Paris 1969, S. 232ff. Heidegger renommiert sogar mit den Zahlen der Hörer seiner Vorlesung, so etwa in einem Brief an Hannah Arendt vom 14. Dezember 1951: »Das Auditorium maximum wird schon um 1 Uhr belegt, und um 4 Uhr kommt niemand mehr hinein - ich selber kaum, die Vorlesung wird noch in zwei andere Hörsäle übertragen; im ganzen werden es 1200 Hörer sein, die aushalten.« H. Arendt/M. Heidegger, Briefe, Frankfurt a.M. 1998, S. 132. Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S . 2 1 3 .
Idealismus reklamiert, fast w i e eine ironische Pointe. In H e g e l s > Wissenschaft der LogikDer Fehl heiliger Namen< ( 1 9 7 4 ) fest, w e r d e n die M e t h o d e und die Sache des D e n k e n s identisch.' 5 9 G e nau auf diese als Ideal vorgespiegelte Identität gründet die akademische Wissenschaft in der Tradition H e g e l s ihr Selbstverständnis und s c h a f f t sich nach Heideggers A u f f a s s u n g damit ein trügerisches Selbstbild, das sie zwischen den E c k p u n k t e n v o n V e r f a h r e n und G e g e n s t a n d als O r g a n i s a t i o n s p r o z e ß ihrer A r b e i t entfaltet u n d rational durchdringt. D i e oben bereits analysierte Kritik Heideggers an den G r u n d l a g e n der Wissenschaft w i r d im dritten G e o r g e - V o r t r a g auch in die M i k r o s p h ä r e v o n Text und Sprache verlagert u n d d o r t ausgetragen. D e r antiwissenschaftliche A f f e k t kennzeichnet Heideggers Sprachbegriff in der Weise, daß das U n g e sprochene z u m Wesen der Sprache erklärt w i r d und Verständlichkeit u n d Intelligibilität als Wesensmerkmale der Sprache ihre G ü l t i g k e i t verlieren. H e i degger verzichtet damit auf die f ü r den wissenschaftlichen D i s k u r s unverzichtbaren Parameter der K o m m u n i k a b i l i t ä t u n d der A k z e p t a n z sinnhaltiger F o r m e n . ' 6 0 D i e s e r Z u s a m m e n h a n g w i r d z u m Schluß des dritten G e o r g e - V o r trags ganz deutlich. H e i d e g g e r schreibt den G e o r g e - V e r s » K e i n ding sei w o das w o r t gebricht« k u r z e r h a n d zu einem positiven seinsphilosophischen D e kret um: Ein »ist« ergibt sich, wo das Wort zerbricht.' 6 ' D a s zerbrochene W o r t wandelt sich in das »Lautlose« des U n g e s p r o c h e n e n , »von w o h e r es gewährt w i r d « - das Z e r b r e c h e n des Wortes kehrt sich also u m in den p a r a d o x e n L o g o z e n t r i s m u s des Ungesagten u n d ist f ü r Heidegger daher »der eigentliche Schritt z u r ü c k auf d e m Weg des D e n k e n s « . ' 6 2 M i t dem W o r t zerbricht die kleinste sprachliche Sinneinheit, w o b e i H e i d e g g e r jedoch im D u n k e l n läßt, w e r oder w a s das W o r t zerbricht. Diese Leerstelle kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich im Z u s a m m e n h a n g mit Texten i m m e r u m ein interpretierendes S u b j e k t handelt, das in der N e g a t i o n oder Verschiebung v o n Sinngehalten zugleich seine eigene größtmögliche Freiheit im U m g a n g mit den Worten eines Textes ausübt. D a s subjektiv errichtete Sinngebäude eines auf Verständigung ausgerichteten Sprechens erhält durch die Sinnverstrebungen der Worte seine innere semantische Architektur, es ist zugleich aber i m m e r dann v o m E i n s t u r z bedroht, w e n n der A k t des Z e r b r e -
Vgl. M. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, G A Bd. 13, Frankfurt a.M. 1983, S- 2 33· 960 Zur Bedeutung der sinnhaltigen Formen für die Kommunikationsvorgänge in unserer Begriffswelt vgl. E. Betti, Die Hermeneutik als allgemeine Methodik der Geisteswissenschaften, Tübingen 1962, S. 8. 961 Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, " 1 9 9 7 , S.216. 961 Vgl. ebd.
3°5
chens zur Verweisungsfunktion einer vagen Hintersinnigkeit gerät.' 6 ' Die von der Sprachskepsis zur Zerbrechungsrhetorik in einer Art »slow-motion fragmentation of texts«964 voranschreitenden George-Vorträge Heideggers machen in diesem Punkt die Probe aufs Exempel.
3.6
Trakl - Die Monophonie und die Mystik des Ungesagten
Heideggers Beschäftigung mit Trakl beginnt nach seiner eigenen Angabe bereits während seiner Studienzeit vor dem Ersten Weltkrieg.' 6 ' In einem Brief an Hannah Arendt erwähnt er, daß er im Jahr 1912 als Student in der »Freiburger Akademischen Lesehalle« in der Zeitschrift >Dcr Brenner< erstmals auf die Gedichte Trakls gestoßen sei und diese ihn seither nicht mehr losgelassen hätten.' 66 Eine Veröffentlichung seiner Gedanken zu Trakls Lyrik wagt Heidegger allerdings erst rund vier Jahrzehnte später. Seine Trakl-Interpretationen stehen dabei in einem engen Zusammenhang mit seinen Versuchen, das Wesen der Sprache aus der Philosophie des Seins zu begreifen. In seinem Vortrag >Die SpracheEin Winterabend< als Fluchtpunkt seiner sprachphilosophischen Reflexionen und begründet von dort aus seine Leitsätze »Der Mensch spricht nur, indem er der Sprache entspricht« und »Die Sprache spricht«.' 67 Die Kernelemente von Heideggers Sprachphilosophie waren jedoch bereits Gegenstand dieser Untersuchung' 68 , so daß im folgenden die poetologischen Aspekte von Heideggers Traklrezeption vorrangig berücksichtigt werden können. Dies soll vor dem Hintergrund eines Vortrags geschehen, den Heidegger am /.Oktober 1951 hält anläßlich des 65. Geburtstags von Gerhard Stroomann, dem Gründer und Chefarzt des Kurhauses »Bühlerhöhe« bei Baden-Baden. Dieser Vortrag erscheint 1953 zunächst mit 9Georg Trakl. E i n e E r ö r t e r u n g seines Gedichtes< in der Zeitschrift >Merkur< 9i9 u n d w i r d dann unter d e m Titel >Die Sprache im G e d i c h t . E i n e E r ö r t e r u n g v o n G e o r g Trakls Gedicht< in d e m S a m m e l b a n d >Unterwegs z u r Sprache< publiziert. D e r Trakl-Text ist nach einer Einschätzung Derridas »einer der f r u c h t b a r sten, gehaltreichsten Texte Heideggers«. 9 7 0 D i e vorliegende
Untersuchung
sieht in diesem Text zugleich ein poetologisches Manifest, dessen Kernaussagen an Trakls D i c h t u n g erhärtet w e r d e n . H e i d e g g e r geht auch hier nicht den üblichen Weg wissenschaftlicher Interpretation, den er als » I r r w e g « bezeichnet: Sein Vorgehen ist w e d e r »historisch, biographisch, p s y c h o a n a l y t i s c h , soziologisch« motiviert, sondern will erörtern, das heißt: »in den O r t w e i sen«. 9 7 1 Diese E r ö r t e r u n g zielt nicht auf die systematische, am poetischen Text g e w o n n e n e Erarbeitung v o n fundierten Deutungsergebnissen, sondern will v o r l ä u f i g , o f f e n und f r a g w ü r d i g bleiben: Doch wagen wir schon genug, wenn wir uns im folgenden mit den vorbereitenden Schritten begnügen. Die Erörterung endet, wie es einem Denkweg entspricht, in eine Frage. 972 Dieses Bekenntnis zur V o r l ä u f i g k e i t in den einleitenden B e m e r k u n g e n des Trakl-Vortrags ist jedoch in keinem Fall so zu interpretieren, als sei hier ein neuer Relativismus an die Stelle der mit apodiktischem Wortgestus vorgetragenen ontologischen Interpretation getreten. D i e Vorläufigkeit ist, w i e sich im folgenden zeigen w i r d , ein genau kalkuliertes und exemplarisches Ziel der Auseinandersetzung Heideggers mit der D i c h t u n g Trakls. F ü r die vorliegende U n t e r s u c h u n g ist j e d o c h noch ein weiterer P u n k t wichtig: nennt in den einleitenden Ü b e r l e g u n g e n summarisch fünf Grundthesen,
die seine A u s e i n a n d e r s e t z u n g
mit D i c h t u n g
Heidegger
poetologische durchgehend
kennzeichnen und die in d e r vorliegenden U n t e r s u c h u n g als Diskurslinien in anderen K o n t e x t e n bereits angesprochen oder ausführlich erläutert w o r d e n sind. D i e T h e s e n lauten: 1. »Jeder große Dichter dichtet nur aus einem einzigen G e d i c h t . « 2. » D i e G r ö ß e bemißt sich daraus, inwieweit er diesem E i n z i g e n so anvertraut w i r d , daß er es v e r m a g , sein dichtendes Sagen rein darin zu halten.« 3. » D a s G e d i c h t eines Dichters bleibt ungesprochen.« 4. » D a s G e s p r ä c h des D e n k e n s mit d e m D i c h t e n geht d a r a u f , das Wesen der Sprache h e r v o r z u r u f e n , damit die Sterblichen w i e d e r lernen, in der Sprache zu w o h n e n . «
969
Vgl. Merkur 7 (1953), S. 226-258. Vgl. J. Derrida, Vom Geist: Heidegger und die Frage, Frankfurt a.M. 1988, S. 102. 971 Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, " 1 9 9 7 , S. 37. 972 Ebd. 970
3°7
5· »Eine Erörterung des Gedichtes kann vor allem nie das Hören der Dichtungen ersetzen, nicht einmal leiten.«973 In diesem Thesenkomplex stellt Heidegger programmatisch die bekannten poetologischen Kriterien zusammen, die seiner Meinung nach die »Erörterung« von Dichtung leiten sollen. Neben der Hermeneutik des Hörens (These 5) und der Zwiesprache zwischen Dichter und Denker als Zugang zum Wesen der Sprache (These 4) nennt Heidegger das Ungesprochene als ausschlaggebendes Poetikum (These 3), das den ausgezeichneten Rang des Dichters bestimmt (These 2). Besonderes Augenmerk verdient im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit jedoch die erste These, wonach jeder große Dichter aus einem »einzigen Gedicht« dichte. Dieser poetologische Grundsatz deckt sich mit dem Untertitel des Vortrags, der eine »Erörterung von Georg Trakls Gedicht< leisten soll. Damit gibt Heidegger sub titulo bereits die exegetische Zielmarke seiner Trakl-Reflexionen an. Es bleibt in Heideggers Vortrag aber nicht bei der aus den Hölderlin-Vorlesungen bekannten, um ein einzelnes Gedicht kreisenden Auslegung. Heidegger zitiert vielmehr eine ganze Reihe verschiedener Verszeilen und einzelner Strophen aus dem Gesamtwerk Trakls und knüpft zwischen ihnen im Rahmen des Interpretationsvorgangs zahlreiche neue Verbindungen. 974 Das einzige Werk Trakls, das Heidegger vollständig zitiert, ist das Gedicht »Geistliche Dämmerung«.975 Diese Vorgehensweise ist, so räumt er ein, dem Anschein nach willkürlich, dient aber einem höchsten Zweck: Heidegger will damit den Nachweis führen, daß »jede der Traklschen Dichtungen ... in den einen Ort des Gedichtes zeigt« und der »Einklang seiner Dichtungen aus dem einen Grundton seines Gedichtes« hervorgebracht wird. 976 Mit dem poetischen Singular will Heidegger also nicht eine hinter der Dichtung Trakls wie ein »unsichtbares Gedicht« stehende Einheit von Existenz und poetischer Welt unterstreichen, wie einzelne Interpreten in der Vergangenheit vermutet haben.977 Vielmehr geht es ihm, wie Derrida richtig angemerkt hat, um die »Rettung der dichterischen Eindeutigkeit«, die er in dieser Radikalität an keiner anderen Stelle unternimmt. 978 Die Verengung der Auslegung auf eine universale Monophonie, die sich nicht in der arithmetischen Summe der Einzeldichtungen eines Gesamtwerks erschöpft,
97
> Ebd., S . 3 7 f f . 974 Veronique M. Foti spricht mit Recht von einer »strategy of fragmentation, wrenching words, verses, phrases, and even entire stanzas out of their contexts and re-connecting them to yield a thinker's poem resonant with the poet's voice«. Vgl. V.M. Foti, Heidegger and the Poets. Poiesis/Sophia/Techne, N e w Jersey 1995, S. i j f . 975
Vgl. Vgl. 977 Vgl. 5/8 Vgl. 97i
308
Μ. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, ' ' 1997, S. 48. ebd., S.39. etwa A. Focke, Georg Trakl. Liebe und Tod, Wien 1 9 5 5 , 8 . 1 3 f f . J. Derrida, Vom Geist: Heidegger und die Frage, Frankfurt a.M. 1988, S. 102.
sondern noch darüber hinaus weist, ist »Ausdruck eines Grundsatzes, der am Anfang einer von Heidegger zu verfassenden Poetik stehen könnte«. 979 Die Monophonie als poetologische Grundvoraussetzung basiert auf dem Prinzip des Einkanals, der nur die »Sendung« in eine Richtung, aber keine »entsprechende Antwort« zuläßt: Jedes echte Hören hält mit dem Sagen an sich. ... Alles Entsprechen ist auf das an sich haltende Zurückhalten gestimmt. 980
In dieser eindimensionalen Kommunikationssituation zeigt sich erneut, wie in Heideggers Beschäftigung mit Dichtung poetologische und hermeneutische Grundansichten aufs Engste miteinander verwoben sind. Heideggers Verfahren der Erörterung kann deshalb auch als »hermeneutische Hermetik« begriffen werden: Das offene Kunstwerk, dessen Sinn im historischen Rezeptionsprozeß immer weiter ausgesponnen und ausdifferenziert wird, wird von Heidegger hermeneutisch abgeriegelt, die Lektüre der Traklschen Texte a priori im Hinblick auf das Ungesagte diszipliniert und von der Geschichte der Interpretation abgetrennt. Heidegger beansprucht, das Unsagbare in Trakls Dichtung zur Sprache zu bringen. Dabei scheint er auf den ersten Blick den Begriff der Polysemie selbst nicht in Frage stellen zu wollen, denn im weiteren Verlauf seines Vortrage stellt er fest, daß »der mehrdeutige Ton des Traklschen Gedichtes ... aus einem Einklang« kommt, der »stets unsäglich bleibt«. 9 ' 1 Die Mehrdeutigkeit der Traklschen Dichtung wird von Heidegger nicht von vornherein für gegenstandslos erklärt, sondern durch das unifikatorische Geschehen des Ungesagten aufgehoben. Vielstimmigkeit und Bedeutungsvielfalt sind nur Uberlagerungen eines tieferen, unwandelbaren poetischen Kerns. Trakls dichterische Sprache unterscheidet sich in diesem Punkt von anderen, »deren Vieldeutigkeit aus dem Unbestimmten einer Unsicherheit des poetischen Umhertastens stammt, weil ihr das eigentliche Gedicht und sein Ort fehlen«. 982 Heideggers Abgrenzungsversuch mündet schließlich in einer dialektischen Volte: Die einzigartige Strenge der wesenhaft mehrdeutigen Sprache Trakls ist in einem höheren Sinne so eindeutig, daß sie auch aller technischen Exaktheit des bloß wissenschaftlich-eindeutigen Begriffs unendlich überlegen bleibt.' 83
Doch so wenig wie poetische Mehrdeutigkeit nur die Summe aller Einzeldeutungen umfaßt, so wenig läßt sie sich auch aufheben in einer höheren Eindeu-
979
Diese richtige Beobachtung äußert schon früh W. Rey, Heidegger-Trakl: Einstimmiges Zwiegespräch, 1956, S. 107. 980 M. Heidegger, Die Sprache, " 1 9 9 7 , S. 32. 981 Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, " 1 9 9 7 , S.75. 982 Vgl. ebd. 983 Ebd.
309
tigkeit. Kockelmans hat Heidegger in diesem Punkt mißverstanden und in den Erläuterungen zur Irakischen Mehrdeutigkeit ausschließlich »a sign of the richness of meaning« gesehen.' 84 Heideggers Äußerungen sind jedoch sicherlich nicht als Bekenntnis zum Bedeutungsreichtum zu lesen: Dies setzte eine theoretische Grundhaltung voraus, die das dichterische Wort nicht auf eine Bedeutungseinheit festlegt und ihm semantische Variablität einräumt. Genau das ist bei Heidegger, der das Wort des Dichters als einen ontologischen Botenstoff von eindeutiger Sinnfügung auffaßt, nicht der Fall. Für die Funktionsweise der hermeneutischen Hermetik Heideggers ist es unerheblich, ob die Bedeutungsvielfalt eines poetischen Textes in seinen Worten und damit im Werk selbst angelegt ist oder durch die individuelle Rezeptionsleistung seiner Leser erst hervorgebracht wird. Es wird deutlich, daß Heideggers Komplexitätsreduktion indirekt verläuft: Sein Ansatz ist darauf angelegt, den Befund der Mehrdeutigkeit in der Sprache des Gedichtes nicht grundsätzlich zu bestreiten, sondern diese Ambiguität einzubetten in die Zuweisung einen höchsten Bedeutung, um ihr auf diesem Wege jede theoretische Wirksamkeit, Eigenständigkeit und Konsequenz zu nehmen. Indirekt und vermittelt ist Heideggers Vorgehensweise deshalb, weil die dem Sein geschuldete semantische Schwundstufe über eine Zwischenstufe erreicht wird: Die Mehrdeutigkeit der dichterischen Sprache wird von Heidegger durch die Aufzählung einer Reihe von Bedeutungsdualismen - »>Grün< ist verwesend und erblühend, >weiß< ist bleich und rein, >schwarz< ist finster verschließend und dunkel bergend ...« - in einen vereinfachten binären Code umgebogen: D a s jetzt genannte Mehrdeutige ist zunächst nur z w e i d e u t i g . ' 8 '
Mit Hilfe dieser binären Matrix als Strukturprinzip schafft Heidegger für seine Hermeneutik klare Verhältnisse. Die Sprache des Gedichtes zerfällt nun in zwei Sphären möglicher Deutung: Die Deutung des Gesagten und die Deutung des Ungesagten. O b in der ontologischen Differenz, der Distinktion zwischen »eigentlich« und »uneigentlich« oder im dialektischen Wahrheitsbegriff von Verborgenheit und Unverborgenheit - immer ist die Zweideutigkeit für Heidegger die hermeneutische Grundsituation, in der sich seine Auslegung von den üblichen Interpretationen distanziert und zum Wesentlichen vorzustoßen vorgibt. So wie Trakl »Anderes sieht und sinnt als die Berichterstatter des Aktuellen, die sich in der Historie des Gegenwärtigen erschöpfen«' 8 6 , so liest nach eigenem Verständnis Heidegger als berufener Interpret Trakls Dichtung im Hinblick auf eine andere, elementare Sinneinheit, die nicht an der semantischen Oberfläche der Texte zu finden ist. Von der Mehr-
584
V g l . J. K o c k e l m a n s , Heidegger on metaphor and metaphysics, 1995, S. 305.
985
V g l . Μ. Heidegger, D i e Sprache im Gedicht, " 1 9 9 7 , S. V g l . ebd., S. 80.
986
310
deutigkeit über die Zweideutigkeit ist es jetzt nur noch ein Schritt zum alles auflösenden »Einklang«, in dem sich der Leser von Trakls Dichtung auf das »>gerechte Anschauen< eingelassen hat und diesem sich fügt«.' 87 Insofern ist der Auffassung Rudolf D. Schiers, Heidegger streite die Mehrdeutigkeit in Trakls Dichtungen nicht ab, zwar zuzustimmen, seine Schlußfolgerung aber, Heideggers Exegese bringe die Mehrdeutigkeit erst richtig hervor, erscheint vor dem Hintergrund der skizzierten Komplexitätsreduktion als falsch.' 88 Rey dagegen hat diesen Gegensatz von Vielheit und Einheit richtig als den »Versuch einer Gleichschaltung der historischen Vielfalt des gesprochenen Wortes auf das >ungesprochene Wort des Seins< hin« bezeichnet, der nur auf Grund des Konzepts der Seinsgeschichte zu rechtfertigen sei.' 89 Das Konzept der Seinsgeschichte wird von Heidegger aber - und in diesem Punkt ist Reys richtige Beobachtung noch zu ergänzen - nicht nur als Legitimierung seiner Auslegung herangezogen, sondern auch exemplarisch in seinem Vortragstext durchgeführt. Die aufwendigen Distinktionen und die Abgrenzungsrhetorik sind als Versuche zu werten, dem Gedicht eine domaine reserve, den Ort der »Abgeschiedenheit«, zuzuweisen. Heideggers Trakl-Lektüre scheint nicht nur aus der Perspektive der Seinsgeschichte geschrieben, sondern will offenbar selbst ein Stück Seinsgeschichte schreiben. Kennzeichnend für die Scinsgeschichte ist ihre eschatologische Ausrichtung auf ein Kommendes hin. Diese heilsgeschichtlich anmutende Dominante im Konzept der Seinsgeschichte wird unterstrichen von einer adventlichen Erwartungshaltung, die das dichterische Werk Trakls, aber auch Hölderlins nach der Lesart Heideggers zwischen den Polen des Nicht-Mehr und des Noch-Nicht einer wahren Zeit oszillieren läßt: Aber die wahre Zeit ist die Ankunft des Gewesenen. Dieses ist nicht das Vergangene, sondern die Versammlung des Wesenden, die aller Ankunft voraufgeht, indem sie als solche Versammlung sich in ihr je Früheres zurückbirgt." 0
Dieser Umschlag von Abkunft in Ankunft, von Abwesenheit in Anwesenheit ist für Heidegger das Geschehen der Zeit und definiert zugleich ihr Wesen. Da Heidegger das Wesen der Zeit als Geschichte begreift, diese aber als »Schickung« oder »Geschick« des Seins interpretiert' 9 ', kann er das über Trakls Dichtung gefällte Urteil »innerer Geschichtslosigkeit« zurückweisen und Trakl wie zuvor schon Hölderlin zum Dichter der Geschichtlichkeit in »dürftiger Zeit« ernennen:
987
Vgl. Vgl. 989 Vgl. 990 Vgl. 991 Vgl.
988
ebd., S.75. R.D. Schier, Die Sprache Georg Trakls, Heidelberg 1970, S.43 [Anm. 21]. W. Rey, Heidegger-Trakl, 1956, S. 105. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, " 1 9 9 7 , S. 57. etwa M . Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 30.
311
Sein Dichten bedarf nicht der historischen Gegenstände. Warum nicht? Weil sein Gedicht im höchsten Sinne geschichtlich i s t . " 2
Das Vokabular der von Heidegger immer wieder heraufbeschworenen »dürftigen Zeit« ist semantisch eindeutig geprägt vom »Stil der Verhaltenheit«, den er als den Stil des anfänglichen Denkens sieht. 993 Die Stilmomente Erwartung und Vorläufigkeit durchdringen auch seine Reflexionen im Trakl-Vortrag: Der Mensch wird mit Nietzsche als das »in seinem Wesen noch nicht fest-gestellte Tier« bezeichnet 994 , Trakls Dichtung hat den »wandernden Fremdling« zum Thema versammelt« und ihr Ort ist »die Abgeschiedenheit«99*, die »Sprache dieser Dichtung spricht aus dem Ubergang« und zugleich spricht in ihr »das Unterwegs«." 6 Diese Begriffe machen deutlich, daß Heidegger Trakls Dichtung als Ubergangspoesie betrachtet, und zwar nicht im Sinne ihrer künstlerischen Verfaßtheit, sondern im Hinblick auf den ihr zugeschriebenen seinsgeschichtlichen Auftrag. Von dieser Auffassung ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den Denkformen der Mystik. Seit den griechischen Tragikern verdichtet sich im Ausdruck »Mysterium« die Vorstellung von der Begegnung mit einer Wirklichkeit, die den Menschen zum Verstummen bringt: Das Mystische offenbart sich in der Erfahrung des Unaussprechlichen, Unsagbaren und deshalb Ungesagten. 997 Der Ausdruck »Logos« wird zum Schlüsselbegriff griechischen Denkens und verbindet in großer inhaltlicher Spannweite die Suche nach dem »Erfassen des allem Vielfältigen zugrundeliegenden Einen«." 8 Diese homogenisierende Bedeutung des Ungesagten für den inneren Zusammenhang der Heideggerschen Poetologie ist bereits an vielen Stellen der vorliegenden Untersuchung aufgewiesen worden; zuletzt wurde mit Blick auf Heideggers George-Deutungen herausgearbeitet, daß das Hören auf das Wort des Ungesagten für Heidegger eine zentrale Voraussetzung wesentlicher Dichtung ist. Und auch in der Ister-Vorlesung betont Heidegger, daß allein der Dichter in die Sphäre des Unaussprechlichen hineinreicht, seinen Anspruch vernimmt und das Ungesagte weitersagt." 9 Dieser paradoxe Logozentrismus zieht sich als mystisches Grundmuster durch Heideggers Deutung von Dichtung. War in der Beschäftigung mit Hölderlin und George der Begriff des Ungesagten noch als »Raum« zwischen den Zeilen des Gedichts zu lokalisieren, so 99i
V g l . ebd., S. 80. Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989, S.69. 994 Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, " 1 9 9 7 , S. 46. " ' V g l . ebd., S.52. 996 Vgl. ebd., S.74. 997 Vgl. W. Massa, Logos und Mysterium. Einheit und Verschiedenheit westlicher und östlicher Mystik, Frankfurt a.M. 1987, S. ιγ{{. 998 Vgl. ebd., S.24. 999 Vgl. M. Heidegger, >Der Ister., G A Bd. 53, Frankfurt a.M. 1984, S. 8. 993
312
k o m m t nun in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Trakl neue poetologische M o mente hinzu, die in die M y s t i k weisen und v o n den Schriften Meister E c k harts aus verstanden w e r d e n k ö n n e n . D i e vielen geistigen Impulse, die H e i degger aus der Beschäftigung mit Meister E c k h a r t f ü r sein eigenes W e r k gew o n n e n hat, k ö n n e n hier j e d o c h nur mit einigen A n m e r k u n g e n angerissen werden. 1 0 0 0 E s ist unbestritten, daß H e i d e g g e r durch das Studium der S c h r i f ten E c k h a r t s zu dem U r t e i l gelangt, daß » M y s t i k kein theoriefeindlicher, blinder Irrationalismus« ist, sondern philosophische R e l e v a n z besitzt. 1 0 0 1 B e reits in seiner Habilitationsschrift über einen d e m D u n s Scotus zugeschriebenen Traktat stellt H e i d e g g e r eine U n t e r s u c h u n g darüber in A u s s i c h t , w i e die M y s t i k Meister Eckharts ihre philosophische A u s d e u t u n g und B e w e r t u n g erhalten könne. Seiner P r o b e v o r l e s u n g nach A b s c h l u ß des H a b i l i t a t i o n s v e r f a h rens stellt er eine Sentenz E c k h a r t s aus dessen Predigt >Consideravit domum< voran. 1 0 0 2 D e r katholische T h e o l o g e Engelbert K r e b s , z u seiner Zeit w i c h t i ger Verfasser v o n A r b e i t e n zur P h i l o s o p h i e des Mittelalters u n d z u r M y s t i k , ist bis z u m B r u c h mit d e m » S y s t e m des K a t h o l i z i s m u s « ein enger F r e u n d Heideggers und steht mit ihm in einem ständigen
Gedankenaustausch.100'
F ü r das Wintersemester 1 9 1 9 / 2 0 kündigt H e i d e g g e r eine Vorlesung ü b e r >Die philosophischen G r u n d l a g e n d e r mittelalterlichen Mystik< an, die er j e d o c h nicht halten wird. 1 0 0 4 D i e erste H ö l d e r l i n - V o r l e s u n g versucht einen B o g e n zu schlagen v o n Heraklit ü b e r Meister E c k h a r t hin zu Hölderlin: D i e M y s t i k E c k h a r t s w i r d dort sogar z u m » A n f a n g der deutschen P h i l o s o p h i e « v e r klärt. 1 0 0 ' In d e m Vortrag >Der Satz v o m Grund< attestiert H e i d e g g e r der » g r o -
,ooc
Für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Verhältnis Heideggers zu Meister Eckhart empfiehlt sich immer noch die grundlegende Arbeit von J . D . Caputo, The Mystical Element in Heidegger's Thought, Ohio 1978. Caputo begreift Eckhart als »an author in whom Heidegger had, and by every indication continued to have, the greatest interest, and by whom he was most assuredly influenced, perhaps even decisively«. Die Analogien zwischen der Mystik Eckharts und dem Denken Heideggers kennzeichnet Caputo vor dem Hintergrund von Heideggers Kritik an der Metaphysik einschränkend als »a likeness in difference, a similarity of structures and relationships in the midst... of very basic differences in the content«. Vgl. ders., The Mystical Element in Heidegger's Thought, Ohio 1978, S. 7; 30. Weiter sei verwiesen auf den instruktiven Aufsatz von O. Pöggeler, Sein und Nichts. Mystische Elemente bei Heidegger und Celan, 1987, S. 270—301. Diesem Aufsatz verdankt auch die vorliegende Untersuchung eine Vielzahl von Erhellungen. Zu Heideggers Sprachmystik schließlich vgl. H. Mörchen, Adorno und Heidegger. Untersuchung einer philosophischen Kommunikationsverweigerung, Stuttgart 1991, S. 391 ff.
1001
Vgl. K. Baier, Heidegger und das Mittelalter, 1999, S. }6(. Vgl. O. Pöggeler, Heidegger in seiner Zeit, München 1999, S. 42. ,OOJ Vgl. R. Safranski. Ein Meister aus Deutschland, München/Wien 1994, S.61; 64. •004 Der Entwurf dieser Vorlesung liegt vor in M. Heidegger, Die Phänomenologie des religiösen Lebens, G A Bd.60, Frankfurt a.M. 1995, S.303-334. 1005 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980,8.123; 134. 1002
313
ßen M y s t i k « E c k h a r t s die »äußerste Schärfe u n d T i e f e des D e n k e n s « . 1 0 0 6 U n d noch in einem seiner letzten Briefe an H a n n a h A r e n d t i m M ä r z 1 9 7 4 erwähnt H e i d e g g e r den mittelalterlichen M y s t i k e r u n d erklärt: Was er in seinen deutschen Texten an Sprachschöpfung niedergelegt hat, ist erstaunlich, aber in unserem Zeitalter der linguistischen Sprachzerstörung nicht mehr zu erblicken. Aber vielleicht wird sein Denken auf diese Weise am ehesten gerettet ... I 0 0 7 D i e geistige N ä h e Heideggers zu Meister E c k h a r t markiert im T r a k l - A u f s a t z der B e g r i f f der »Abgeschiedenheit«. D i e Abgeschiedenheit ist ein Zentralw o r t des mystischen D e n k e n s Meister E c k h a r t s , dem ein gleichnamiger T r a k tat 1 0 0 8 g e w i d m e t ist und das auch in der Predigt >Misit dominus m a n u m sui m < ' ° ° ' eine bedeutende R o l l e spielt. D i e in dieser Predigt anklingende raummetaphorische Terminologie Eckharts steht f ü r den spirituellen Versuch der M y s t i k , die Z e i t als das v o n Gott Trennende d a d u r c h zu ü b e r w i n d e n , daß sie den R a u m , in d e m sich die Seele d e m Ereignis göttlicher G e g e n w a r t überläßt, in d e r R e d e v o n Abgeschiedenheit, Tiefe u n d G r u n d positiv betont.' 0 1 0 A u s dieser Perspektive lassen sich auch H e i d e g g e r s Beschreibungen der Z e i t s t r u k turen v o n Sein erklären: Heideggers R e d e v o m » Z e i t - R a u m « als einer » A u genblicksstätte f ü r die G r ü n d u n g der Wahrheit des S e y n s « , die aus der »Einsamkeit d e r großen Stille« entspringt, lesen sich w i e mystische Besinnungsf o r m e n jenseits der konventionalen Vorstellungen v o n Zeit als einer A b f o l g e v o n J e t z t - P u n k t e n . 1 0 " D e r Begriff der A b g e s c h i e d e n h e i t bezeichnet nach Meister E c k h a r t z u d e m die G e g e n d des U n g e s p r o c h e n e n , in der sich G o t t a u f h ä l t . 1 0 1 2 D e r M e n s c h kann nach der L e h r e E c k h a r t s in den Bereich des U n s a g b a r e n v o r d r i n g e n , wenn er sich dieser Abgeschiedenheit gelassen über-
" x " i Vgl. M. Heidegger, Der Satz vom Grund, Pfullingen 1957, S.71. 1007 Vgl. H. Arendt/M. Heidegger, Briefe, Frankfurt a.M. 1998, S.274. 1008 In diesem Traktat erklärt Meister Eckhart die Abgeschiedenheit zur Vorbedingung der unio mystica mit Gott: »Disiu unbewegelichiu abegescheidenheit bringet den menschen in die groeste glichest mit gote.« Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Bd. $, Stuttgart 1963, S.412. 1009 Dort betont Meister Eckhart die Bedeutung der »abegescheidenheit« für sein mystisches, auf die Aufgabe des Ich zielendes Gesamtprogramm: »Swenne ich predige, so pflege ich ze sprechenne von abgescheidenheit und daz der mensch ledic werde sin selbes und aller dinge.« Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Bd. 2, Stuttgart 1961, S. 528. 1010
Vgl. O. Pöggeler, Heidegger in seiner Zeit, München 1999, S.42. " Vgl. M. Heidegger, Beiträge, GA Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989, S.323. 10,2 »Got ist ein wort, ein ungesprochen wort.« Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Bd. 2, Stuttgart 1961, S. 529. In dem Text >Der Feldweg< sagt Heidegger über die Sprache der Dingwelt: »Im Ungesprochenen ihrer Sprache ist, wie der alte Lese- und Lebemeister Eckehardt sagt, Gott erst Gott.« M. Heidegger, Der Feldweg, 1969, S. 13. IO
3:4
läßt. Ähnlich gelagert ist auch der von Heidegger in den Trakl-Deutungen entwickelte Begriff der Abgeschiedenheit: Dort wird die Abgeschiedenheit als »Ort des Gedichtes«, also als Gegend des Ungesagten, ausgewiesen.1013 Dichtung, so Heideggers Diktion, wird an diesem Ort zum »zugesprochenen Wohllaut des Geistes der Abgeschiedenheit«. 10 ' 4 Wie groß Heideggers Wertschätzung für die Sprachschöpfungen Eckharts ist, läßt sich auch daraus ablesen, daß er neben dem Ausdruck der »Abgeschiedenheit« das Thema der »Gelassenheit« aus der Eckhart-Predigt >Beati pauperes spiritu< aufnimmt und für seine poetologischen Positionen ausmünzt. Die Nähe zur mystischen Erlebniswelt zeigt sich hier darin, daß die subjektive Fähigkeit zu Erkenntnis und Reflexion dem Zuspruch der Heideggerschen Gelassenheit, der sogenannten »Strenge des Lassenden«, weichen muß.' OIS Gelassenheit und Abgeschiedenheit sind daher als Zentralbegriffe der Heideggerschen ttnio mystica mit der Dichtung zu sehen; nur die entsprechenden Haltungen ermöglichen eine authentische Erfahrung des dichterischen Wortes. Auch Elemente der Leidensmystik, der compassio, fließen hier mit ein: So bezeichnet Heidegger in seinen Trakl-Reflexionen die Verszeile »Unendliche Qual« als »vollkommene[n], in der Fülle seines Wesens ankommendefn] Schmerz«. 10 ' 6 Heidegger verklammert schließlich die mystischen Einzelelemente miteinander: Die Wanderung in der Abgeschiedenheit, das Schauen der Anblicke des Unsichtbaren und der vollendete Schmerz gehören zusammen. 1 0 ' 7
Damit sind die Zentralelemente der auf die Dichtung zielenden unio mystica benannt. Die semantischen Überlagerungen zwischen dem Vokabular und Denken Heideggers und der Mystik Meister Eckharts sind evident. Heidegger bleibt in seinen Trakl-Interpretationen im Großen und Ganzen aber dennoch in den Bahnen, die er bereits in den Hölderlin-Deutungen vorgezeichnet hat. Hölderlins wie Trakls geschichtliche Dichtung erschließen sich nach seiner Auffassung aus einem gemeinsamen poetologischen Grundbegriff, der das Dichten als »nach-sagen« und den Dichter als »nach-lauschende[n]« begreift. 10 ' 8 Unter der Voraussetzung, daß Dichten »seine längste Zeit erst ein Hören ist« 10 ' 9 , öffnet Heidegger wie zuvor bei Hölderlin den in Trakls Dich1013
Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, ' 1 1 9 9 7 , S. 70. Vgl. ebd., S.70. " " ' V g l . ebd., S.73. Meister Eckhart begreift das »Lassen« ebenfalls als Theoriedistanz und Abstandnehmen von der Reflexion: »Also sprechen wir, daz der mensche also ledic soll stän sines eigenen wizzennes... und läze got würken, waz er welle...« Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Bd. 2, Stuttgart 1961, S. 49 5. 1016 Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht, " 1 9 9 7 , S. 72. 10,7 V g l . ebd., S.73. ,0,8 V g l . ebd., S. 7of. ""»Vgl. ebd. IO,4
3r5
tung keimhaft angelegten Horizont der Subjektlosigkeit und erklärt das Gedicht zum poetischen Manifest gegen das um das Subjekt kreisende neuzeitliche Denken in den Wissenschaften. Es ist herausgearbeitet geworden, daß Heidegger mit seinen monophonen Deutungen die Bedeutungsvielfalt dichterischer Kunst negiert und auf diffuse Epiphanien in Gestalt einer »Offenbarung des Seins« verweist. Die unendliche Anzahl semantischer Aspekte in einem Kunstwerk kann jedoch nicht auf einen einfachen Ursprung oder auf eine eschatologische Präsenz zurückgeführt werden.' 020 Heideggers Versuch, die Dichtung Hölderlins als Ort der sich verbergend-entbergenden Wahrheit des Seins und im Sinne einer dort ausgesprochenen eigentlichen Geschichtlichkeit auszulegen, erscheint als eindimensional: Das Festhalten Heideggers an der ontologischen Monosemie als der einzig »wesentlichen« Bedeutung von Dichtung ist das indirekte Eingeständnis, der divergierenden Vielfalt geschichtlicher, politischer und sozialer Standpunkte, die im Hinblick auf Dichtung einzunehmen sind, nicht gerecht werden zu wollen. Anstatt das dichterische Werk als Zeugnis einer Epoche zu lesen, versucht Heidegger, mit einer gewaltsamen hermeneutischen Kraftanstrengung Hölderlin und Trakl als Ikonen des geschichtlichen Daseins in das Schema der Seinsgeschichte einzuordnen und ihre Dichtungen der Monophonie und der Mystik eines Ungesagten zu unterwerfen. Die Historie wird gleichgeschaltet - auf den seinsgeschichtlichen Uberzeugungsstandard Martin Heideggers. Heideggers Theoreme greifen fugenlos ineinander: Der desubjektivierte Text und der dem Sein nachlauschende Dichter sind die tragenden Säulen einer Konzeption, die im Gedicht nur das Echo des Ungesagten vernehmen und vermitteln soll. Dabei ist die Heideggersche Monophonie kein poetologischer Sonderweg, sondern schließt auch an Georges Beschreibung des Dichterberufs an: Ich bin ein dröhnen nur der heiligen stimme. 1 0 2 1
In der Brechung der Autonomie des Dichterseins zeigt sich eine weitere Parallele zwischen der ästhetischen Grundhaltung Georges und dem Dichterbild Heideggers. Nach Salins Schilderung begriff George die Führungsfiguren seines Dichter-Staates als »Person« in einem ursprünglichen Sinn - als »Menschen, in denen und durch die >Das Wort< erklang«. 1022 Heidegger schreibt diese einseitige Kommunikationssituation fort, indem er seine Poetologie nach dem Prinzip der Monophonie organisiert. So läßt sich abschließend fest-
1020
1021 1022
316
Vgl. J. Derrida, Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, G u y Scarpetta, Wien/Graz 1986, S.95. S. George, Der siebente Ring, Berlin 1933, S. 123. Vgl. E. Salin, U m Stefan George, Godesberg 1948, S.49.
halten, daß sowohl nach der poetologischen Einstellung Georges als auch derjenigen Heideggers der Dichter sein souveränes
Gestaltungsvermögen
über Worte und D i n g e verlieren muß und zum hörigen Dienstleister am L o gos mutieren soll.
3.7
Der Kanon des Seins In Wahrheit ist Interpretation ein Mittel selbst, um Herr über etwas zu werden. Friedrich Nietzsche
D e r K a n o n ist eines der ältesten kulturhistorischen Selektions- und A b g r e n zungsverfahren. Erstmals taucht er in den D e b a t t e n der christlichen Kirche um die Authentizität der hebräischen Thoraschriften und der neutestamentlichen Uberlieferung auf. Als kanonisch wurden in diesem Zusammenhang Schriften bezeichnet, die die Kirche und ihre Lehrinstanzen als von G o t t autorisiert anerkannte. Schriften o h n e diese Legitimation galten als apokryph und konnten nicht in das System der O r t h o d o x i e hineingestellt werden. 1 0 2 5 Im kirchlichen Sprachgebrauch hat der Kanonbegriff damit sowohl mit dem Ursprung von Autorität als auch mit der Legitimation eines Werkes zu tun. D i e Legitimität des K a n o n s gründet sich auf seine metaphysische Ableitung, durch die das W o r t der Schrift als W o r t Gottes eine besondere Autorität erhält. Biblisches und göttliches W o r t sind ineinander verschränkt und werden für den Gläubigen zu einer wichtigen Orientierungshilfe. A u f diese Orientierungsfunktion des Kanons zielt beispielsweise Augustinus, wenn er im sechsten B u c h seiner >Confessiones< davon spricht, daß es »nicht in unserer M a c h t lag, die Wahrheit vermittels klarer Vernunftmethode zu finden«, und daß die Gläubigen daher »des Ansehens heiliger Schriften bedurften«. 1 0 2 4 I m elften B u c h des Werkes >De civitate dei< heißt es, daß die Gläubigen der »Schrift, die wegen ihres hervorragenden Ansehens kanonisch heißt, ... Glauben [schenken] in all den Dingen, die uns zu wissen heilsam ist und die wir aus uns selber nicht wissen k ö n n e n « . 1 0 2 ' D i e Heiligen Schriften sind nach Augustinus für den Gläubigen also Stab und Stecken auf dem Weg zur vollkommenen, göttlichen Wahrheit. Sie sind über ihre Primärfunktion als Orientierungshilfe im Glauben hinaus aber auch Texte, die als Regulativ funktionieren: M i t ihrer Hilfe werden Geltungsansprüche errichtet und verbrieft, abweichende Auffassungen jedoch zurückgewiesen. D i e Errichtung eines solchen Kanons er-
102
' Vgl. J. Hawthorn, Grundbegriffe moderner Literaturtheorie, Tübingen/Basel 1994, S. 1 J 4 f f . 1024 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, Stuttgart 1989, S. 149. 1025 Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, Bd. 2, Zürich 1955, S. 10. 3 '7
folgt nicht auf dem Wege der Selbstdurchsetzung, sondern wird von den gesellschaftlichen Institutionen der Zensur, der Textpflege und der Sinnpflege erst ermöglicht. 1026 Auch die Seinsphilosophie Heideggers hat ihren festen Bezugspunkt in einem verbindlichen Kanon besonders ausgezeichneter und daher bevorrechtigter Texte. Es fällt nicht schwer, in Heideggers Deutung von Dichtung ein Grundmuster zu erkennen, das die kanonische Typologie der biblischen Schriften kopiert und auf diesem Wege auf eine verbindliche Denkform festlegt. Aus diesem Grund hat auch Gadamer angemerkt, Hölderlins Dichtung sei Heidegger »wie eine Heilige Schrift« erschienen, mit der er auf den »Druck der wissenschaftlichen Aufklärung« reagieren konnte und auf die er »seine eigenen Denkversuche ausrichtete«. 1027 Dadurch, daß Heidegger die Dichtung Hölderlins, aber auch Werke Rilkes, Georges und Trakls mit hermeneutischer Uberspannung zur Dichtung des Seins hochtransformiert, bildet sich ein ontologischer Kanon mit einem expliziten Legitimationsgrund heraus. Die Kanonisierung reduziert die vielen möglichen Lesarten von Dichtung auf die ontologische: Die Dichtung wird auf diese Weise zu einem nichthintergehbaren Ursprungs-Diskurs kodifiziert, in dem der Geltungsanspruch der Theologie fortzuwirken scheint. U m so mehr verwundert es, daß die Forschung diesem Befund der Kanonisierung bislang nicht hinreichend nachgegangen ist, obwohl sie in Heideggers Arbeiten mehr als offenkundig erscheint. Klassische Kennzeichen kanonischer Texte sind dabei ihre Zeitenthobenheit und unverminderte Verbindlichkeit. 1028 Diese Kriterien übernimmt Heidegger, wenn er die Permanenz zur Voraussetzung der Offenbarkeit des Seins erklärt: Das Eine und Selbe kann aber nur offenbar sein im Lichte eines Bleibenden und Ständigen. 1029
Das Bleibende wird nach Heideggers Auffassung von der Dichtung gestiftet, die dadurch aller historischen Kontingenz enthoben zu sein scheint. Diese Resistenz gegenüber allen Tendenzen zur Verzeitlichung ist für Heidegger ein Kennzeichen großer, also durch das Sein ausgezeichneter Dichtung. Doch die Zeitresistenz dichterischer Werke ist bei nüchterner Betrachtung kein Wirkungsnachweis des Seins, sie stellt sich auch nicht von selbst ein, sondern ist das »Ergebnis einer bewußten und mühevollen Anstrengung«. 1 0 ' 0 Vor dem Hintergrund dieser Voraussetzung eines jeden Kanons einschließlich des Heideggerschen läßt sich die Kodifizierung der Dichtung Hölderlins, Rilkes, 1026
Vgl. A. Assmann/J. Assmann, Kanon und Zensur, 1987, Vgl. H . - G . Gadamer, Geleitwort, 1989, S . X V I I . 1028 Vgl. A. Assmann/J. Assmann, Kanon und Zensur, 1987, ,02 ' M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. '°J° Vgl. A. Assmann/J. Assmann, Kanon und Zensur, 1987,
S. 1 i f f .
1027
318
S. zf. 1981, S. 39. S. 1 1 .
Trakls u n d G e o r g e s zu einer übergreifenden »Pleiade« des Seins in vier einzelne K a n o n e s aufgliedern: 1. K a n o n der Autorität: J e d e r K a n o n muß, u m ein autoritärer K a n o n z u sein, unnahbar u n d unantastbar b l e i b e n . 1 0 3 ' D i e E n t r ü c k u n g der D i c h t u n g v o l l zieht sich über die Sprache d e r Dichter, die d e m Alltäglichen e n t h o b e n sind u n d das Heilige nennen. D e r in den Gedichten H ö l d e r l i n s
und
G e o r g e s aufscheinende feierliche u n d gebieterische G e s t u s bekräftigt das Ideal geistiger F ü h r u n g , das H e i d e g g e r an die D i c h t u n g heranträgt u n d das z u m fest etablierten D i s k u r s der Literaturwissenschaft der späten z w a n z i ger und dreißiger J a h r e zählt. D e r K a n o n der Autorität w i r d in d e r H e r meneutik des H ö r e n s besonders deutlich: Heideggers Interpretationen f o l gen im w o r t w ö r t l i c h e n Sinne einer D o k t r i n des »Was will uns der D i c h t e r sagen?«, deren soziopädagogischer G e s t u s die seinsphilosophische F o r d e rung umkleidet, auf den D i c h t e r z u hören und seinem Wort zu entsprechen. Diese D o k t r i n ist im K e r n konventionell, weil sie sich indirekt auf die in der Literaturwissenschaft lange Zeit f ü r evident angesehene V o r a u s setzung beruft, ein A u t o r schreibe i m m e r auch f ü r ein P u b l i k u m . 2. K a n o n der A u s l e g u n g : K e i n K a n o n kann ohne spezifische Interpretationsweise am L e b e n erhalten w e r d e n , sondern bedarf der korrekten A n w e n dung poetologischer G r u n d a u f f a s s u n g e n . D i e Vermittlung dieser I n t e r p r e tationsmuster erfolgt ü b e r fest etablierte Institutionen des Wissenschaftsbetriebs - ein weiterer G r u n d dafür, daß H e i d e g g e r bei aller K r i t i k an d e r modernen Wissenschaft der Universität v e r b u n d e n bleibt u n d seine eigene akademische W i r k u n g durch seine Schüler z u expandieren sucht. D i e V e r fahrensregeln der hermeneutischen Strategie w e r d e n v o n H e i d e g g e r nicht systematisch niedergelegt, sondern sollen sich v o n selbst ableiten aus der B e g e g n u n g mit d e m G e d i c h t und so einen Weg zur »eigenen Einheit des Gedichteten« e r ö f f n e n . 1 0 3 2 H e i d e g g e r geht dem Streit diskursiv ausgefochtener Wahrheitsansprüche der rational operierenden Wissenschaft mit dem apodiktischen H i n weis aus dem Wege, seine D e u t u n g bringe das G e d i c h t in seine eigentliche E r f ü l l u n g , in ein »reines Dastehen« des G e d i c h t e s und in die mutmaßliche Eindeutigkeit eines »Schon-immer-so-Verstandenen«, v o r d e m die »erläuternde R e d e sich und ihr Versuchtes jedesmal zerbrechen« m u ß . 1 0 3 3 Z u m einen deutet diese Konservierungstechnik im H i n b l i c k auf den k o m m e n tierten Text auf eine »Tabuisierung der Ausdrucksseite« hin, die v o r allem in den K a n o n s religiöser Riten eine R o l l e spielt u n d deren U n a n t a s t b a r k e i t
1031 1032 1033
Vgl. C. Pornschlegel, Der literarische Souverän, Freiburg i.Br. 1994, S.96. Vgl. M. Heidegger, >AndenkenSein u n d Zeit< f ü r die N a c h k r i e g s g e r manistik eine »Neuorientierung« gefordert, »die durch ein eigenes G e w i n n e n der in H e i d e g g e r s D e n k e n gegebenen Einsichten v o l l z o g e n w e r d e n muss«. 9 A u c h H e i d e g g e r s Z w i e s p r a c h e mit H ö l d e r l i n w i r d v o n R u p r e c h t positiv gew ü r d i g t : E r unterstreicht, daß D i c h t u n g nicht m e h r als » A u s d r u c k s e r s c h e i nung einer individuellen oder kollektiven Seele« zu verstehen sei, sondern aus der ihr eigenen Geschichtlichkeit b e g r i f f e n w e r d e n müsse. 1 0 D a m i t sind jedoch nicht unbedingt die historischen K o n t e x t e u n d geschichtlichen Situationen eines poetischen Textes angesprochen. R u p r e c h t e r h o f f t sich f ü r die Literaturw i s s e n s c h a f t vielmehr eine »notwendige u n d n o t w e n d e n d e R e v o l u t i o n « , mit der es gelingen soll, nicht nur »die einer Z e i t A u s d r u c k gebende >LiteraturDichtung< a u f z u z e i g e n « . 1 1 Diese R e v o l u t i o n erscheint bei Ruprecht w i e ein blasses Spiegelbild der v o n H e i d e g ger d u r c h die Z w i e s p r a c h e initiierten R e v o l u t i o n des wissenschaftlichen L e sens. Wie stark R u p r e c h t sich von H e i d e g g e r s poetologischen Positionen und seinem Dichtungsverständnis beeindrucken ließ, zeigt auch sein Vortrag bei der ersten deutschen Germanisten-Tagung in M ü n c h e n 1950: D o r t beschreibt R u p r e c h t den »Dichtungsvorgang« als ein »Sich-ins-Werk-Setzen der Wahr-
8
Vgl. ' Vgl. 10 Vgl. " Vgl. 328
B. Allemann, Hölderlin und Heidegger, Zürich/Freiburg i.Br. '1956, S. 127. E. Ruprecht, Heideggers Bedeutung für die Literaturwissenschaft, 1949, S. 140. ebd., S.142. ebd., S. 143.
heit« und übernimmt damit Heideggers ästhetische Grundformel aus dem Kunstwerk-Aufsatz. 1 2 Etwas vermittelter, aber mit weitreichender Konsequenz hat Beda Allemann die Impulse aus Heideggers Denken in sein Verständnis von Dichtung aufgenommen. In dem Vortrag »Über das Dichterische« stellt Allemann fest, daß das »Dichterische ... das Wesen nicht nur der Poesie im engern Sinn, sondern der Kunst überhaupt darstellt«. 13 Allemann folgt damit fast wörtlich der Definition aus Heideggers Kunstwerk-Aufsatz, wonach Kunst in ihrem Wesen Dichtung sei.' 4 Die zentrale These von Allemanns Vortrag lautet, daß das Wesen des Dichterischen der Rhythmus sei, der die »dichterisch-geschichtliche Gestalt« des Gedichtes hervorbringe.' 5 Allemann weist ausdrücklich darauf hin, daß dieser Begriff von der Geschichtlichkeit des Wesens von Dichtung auf Heidegger zurückgeht und knüpft daran eine deutliche Forderung: Die »Tragfähigkeit und Sachgerechtheit der modernen Literaturwissenschaft« müssen sich daran erproben, den Charakter einer historischen Disziplin zugunsten einer »echte[n] Geschichtswissenschaft« aufzugeben. 1 6 Neben der Forderung, die historischen Berührungspunkte des Untersuchungsgegenstandes außer acht zu lassen, ist es besonders aufschlußreich, wie Allemann versucht, Heideggers Begriff von Geschichtlichkeit in die Verfahrensweise der interpretierenden Wissenschaft zu integrieren: Da das Kunstwerk als Gegenstand der Wissenschaft selbst geschichtlich ist, muß die Wissenschaft sich ihm anpassen und damit nach der eigenen Logik von sich aus »ein von jeher anerkanntes und vornehmstes methodisches Gebot« erfüllen.' 7 Die Zukunft der Literaturwissenschaft liegt für Allemann also nicht mehr in der Beschäftigung mit den literarischen Gegenständen der Dichtung in ihren historischen Zusammenhängen, sondern in einem mit theoretischer Binnenlogik erzwungenen Anschluß an die im Denken Heideggers angebahnte »Vertiefung des Geschichtsbegriffs«.' 8 Der positiven Aufnahme von Heideggers Interpretationsverfahren bei Ruprecht und Allemann stehen aber auch eine Vielzahl von kritischen Stimmen gegenüber. Diese Debatte erreicht gegen Mitte der fünfziger Jahre ihren Höhe12
Vgl. den Bericht von W. Höllerer, Die erste deutsche Germanisten-Tagung in München, 1950/51, S. 147. ' 3 Vgl. B. Allemann, Uber das Dichterische, Pfullingen 1957, S.44. Dieser Vortrag entstand bezeichnenderweise ebenfalls für das Patientenpublikum des Sanatoriumsdirektors Gerhard Stroomann auf der »Bühlerhöhe« bei Baden-Baden, w o auch Heidegger während seines Lehrverbotes Vorträge hielt. 14 Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 1994, S. 63. 15 Vgl. B. Allemann, Uber das Dichterische, Pfullingen 1957, S. 1 1 ; 50. ,6 V g l . ebd., S . 7 3 f . ' 7 Vgl. ebd., S.74. 18 Wörtlich sagt Allemann: »Diese Geschichtlichkeit des Gedichtes kann gerade nicht mehr als bloße Historizität von den äußeren Umständen und den Einflüssen her verstanden werden, unter denen das Gedicht entstanden ist.« Ebd., S. 76. 329
p u n k t : Walter M u s c h g polemisiert in seiner A b h a n d l u n g >Die zerschwatzte Dichtung< mit B l i c k auf Heidegger gegen interpretative Vorgehensweisen, die in ihrem Untersuchungsgegenstand n u r sich selbst entdecken, dennoch aber den A n s p r u c h erheben auszusprechen, w a s d e r gedeutete D i c h t e r »nicht zu sagen w a g t e o d e r v e r m o c h t e « . 1 ' Wilhelm R e y r ü c k t Heideggers Interpretationsw e i s e in die N ä h e radikalpolitischer G e s i n n u n g : E r bezeichnet sie als » H e r m e neutik der Gewalttätigkeit« und »ungeheuerliche[n] Versuch einer G l e i c h schaltung d e r Vielfalt des gesprochenen Wortes«. 2 0 E i n e vergleichsweise m o d e rate P o s i t i o n n i m m t dagegen Else B u d d e b e r g ein: Sie lehnt es im H i n b l i c k auf H e i d e g g e r s R i l k e - R e f l e x i o n e n z w a r strikt ab, hierin eine M e t h o d e z u r Interpretation v o n D i c h t u n g zu sehen, folgt diesem A n s a t z aber schließlich denn o c h , u m das Z i e l ihrer Arbeit zu erreichen, »an z w e i E x p o n e n t e n der geistigen u n d künstlerischen Situation unserer Z e i t seinsgeschichtlich begründete G e meinsamkeiten ... aufzuzeigen«. 2 1 E i n e n v o r l ä u f i g e n Schlußpunkt in der wissenschaftlichen Debatte u m H e i deggers interpretatorische Verfahrensweise hat H a n s J o a c h i m Schrimpf mit seinem 1 9 5 7 zunächst im >Euphorion< v e r ö f f e n t l i c h t e n Beitrag >Heidegger, H ö l derlin und die Literaturwissenschaft< gesetzt. Schrimpf weist darauf hin, daß die Z w i e s p r a c h e f ü r sich genommen auch der Literaturwissenschaft »eine durchaus legitime F o r m der fortwirkenden A n e i g n u n g « sein kann und v o n den historischen Wissenschaften als E r k e n n t n i s f e l d folglich nicht v e r w o r f e n w e r den sollte. 2 2 D a s Problematische der H e i d e g g e r s c h e n Z w i e s p r a c h e liege nicht in der Z w i e s p r a c h e als solcher, denn auch sie k ö n n e der Literaturwissenschaft dazu dienen, Texte auf verborgene G e d a n k e n hin zu durchleuchten o d e r d e m vielzitierten U n g e s a g t e n nachzuspüren. D i e spezifische D i f f e r e n z , die H e i d e g gers Z w i e s p r a c h e f ü r eine Interpretation aus wissenschaftlicher Sicht i n a k z e p tabel macht, ist nach Schrimpfs A u f f a s s u n g deren antiwissenschaftliche Zielrichtung: Das spezifisch Heideggersche liegt also nicht in der Zwiesprache als solcher, sondern vielmehr in dem damit verbundenen Anspruch, Uberwindung und positive Destruktion der vergegenständlichenden und interpretierenden rationalen Wissenschaft zu sein. 23
E i n e A k z e p t a n z der Heideggerschen V e r f a h r e n s w e i s e k ä m e demnach einer S e l b s t a u f g a b e der Literaturwissenschaft gleich, denn H e i d e g g e r verlangt den » A b s p r u n g aus der wissenschaftlichen H a l t u n g , aus der vermittelnden Ver-
20
Vgl. W. Muschg, Die Zerstörung der deutschen Literatur, Bern 1956, S. ioöff. Vgl. W. R e y , Heidegger-Trakl: Einstimmiges Zwiegespräch, 1956, S. 99; 105.
21
Vgl. E . Buddeberg, Denken und Dichten des Seins. Heidegger. Rilke, Stuttgart 1956,
22
Vgl. H . J . Schrimpf, Hölderlin, Heidegger und die Literaturwissenschaft, 1977, S. 250. Ebd.
S.33· 25
33°
nunft in die Unmittelbarkeit der >Begegnung· Vgl. ebd., S . 1 6 . 92 Vgl. R. Rorty, Heidegger wider die Pragmatisten, 1984, S. 12. Philipp Burkard macht darauf aufmerksam, daß Rorty mit seinem Wahrheitsbegriff der Auffassung Heideggers sehr nahe kommt, weil er wie dieser eine spezifische, mit festen Kriterien begründbare Wahrheitstheorie ablehnt und den Wahrheitsbegriff mit dem Freiheitsbegriff in Verbindung bringt. Vgl. P. Burkard, Pragmatismus, Dekonstruktion, ironischer Eklektizismus. Richard Rortys Heidegger-Lektüre, 1997, S. 274. 88
95
Vgl. R. Rorty, Heidegger wider die Pragmatisten, 1984, S. 13.
342
heit »besitzt den Menschen und das so ursprünglich, daß einzig s i e einem Menschentum den alle Geschichte erst begründenden und auszeichnenden Bezug zu einem Seienden im Ganzen als einem solchen gewährt«. 9 4 Das gilt auch f ü r die Wahrheit: N i c h t der Mensch befaßt sich mit der Wahrheit, die Wahrheit befaßt sich vielmehr mit ihm. Sie ist die zentrale Kraft, die alles Seiende aus der Verborgenheit in die O f f e n b a r u n g , in die Unverborgenheit rückt. Die Geschichte ist nicht mehr das P r o d u k t individuellen Denken und Handelns, sie ist auch nicht mehr die Geschichte der menschlichen Bemühungen u m Wahrheit, sondern wird zur Geschichte der Wahrheit des Seins umgedeutet. Heidegger entzieht die Wahrheit dem menschlichen »Willen zur Wahrheit« und hypostasiert sie zu einer den geschichtlichen Wandel unsichtbar lenkenden Macht: Aus der Weise, wie das ursprüngliche Wesen der Wahrheit west, entspringen die seltenen und einfachen Entscheidungen der Geschichte."
Die Frage, welchen Anteil der Mensch an der Wahrheitsfindung hat, beantwortet sich damit fast von selbst. F ü r Heidegger »enthüllt« sich das Wesen der Wahrheit aus eigener Kraft. 9 6 Sein Wahrheitsbegriff blendet den Menschen als wahrheitssuchendes und erkennendes Subjekt aus. Wenn Wahrheit U n v e r b o r genheit bedeutet, dann k o m m t es in erster Linie darauf an, daß sich diese U n verborgenheit von sich aus zeigt und durchsetzt, aber nicht darauf, daß der Mensch diese Wahrheit durch kritische Reflexion erringt. Heideggers Wahrheitsbegriff scheint damit in die Vorstellung von autonomer Wahrheit eingekleidet zu sein, die mit den selbstbewußten und subjekttheoretischen Erörterungen der Wahrheitsfrage in der Moderne nicht mehr kompatibel ist und allenfalls noch in Diskursen der Theologie eine residuale Existenz beansprucht. 9 7 Die Forschung hat Heideggers Wahrheitsbegriff in seinen logischen und erkenntnistheoretischen Aporien zwar analysiert und kritisch hinterfragt, ist aber einer genauen geschichtlichen Bestimmung dieses Begriffes ausgewichen. Eine der wenigen Ausnahmen ist G ü n t e r Ralfs' Aufsatz >Kritische Bemerkungen zu Heideggers Lehre von der WahrheitVerhaltens«< oder mit einer »energetischefn] Qualität« verbunden wird. 102 Die metaphorische Leitvorstellung einer selbsttätigen Macht der Wahrheit zieht sich nach Blumenberg vor allem durch die Frühgeschichte des philosophischen Denkens. Aristoteles etwa habe in seiner »Metaphysik« das Motiv der Forschung nicht im Subjekt gesucht, sondern erwecke den Anschein, »als ob die Wahrheit sich selbst zur Geltung bringt«. 103 Auch Thomas von Aquin kann nach Blumenberg als Gewährsmann der These von der Macht der Wahrheit gelten, weil er die Wahrheit zur Wirkursache von Erkenntnis macht. 104 Hier läßt sich eine deutliche Parallele zu Heidegger ziehen, der - wie » Vgl. Vgl. 101 Vgl. 102 Vgl. 103 Vgl. Vgl. 100
344
ebd., S. 53sf. ebd. ebd. H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, i960, S. 13. ebd., S. 14. ebd., S. 16f.
oben bereits dargestellt - z u m einen feststellt, daß der Erkenntnis die Wahrheit als O f f e n b a r k e i t notwendig vorausgehen muß, z u m anderen aber auch die Wahrheit als ein machtvoll w i r k e n d e s P h ä n o m e n im R a h m e n eines G e s c h e h e n s beschreibt, das »das Seiende seiend sein« läßt.'° 5 D i e A n a l o g i e z u r Vorstellung v o n einer »sich im M e d i u m der prozessualen O r d n u n g durchsetzenden W a h r heit«, die B l u m e n b e r g in der mittelalterlichen Scholastik ausmacht, ist evident. 1 0 6 D i e M e t a p h o r i k v o n der M a c h t der Wahrheit, an der H e i d e g g e r f o r t schreibt, kennzeichnet seinen P a r a d i g m e n w e c h s e l in der Erkenntnishaltung: D e r im neuzeitlichen Wahrheitsbegriff angelegte »Arbeitscharakter d e r E r kenntnis« 1 0 7 w i r d aufgegeben. D i e als K r i s e e m p f u n d e n e Situation der m o d e r nen Wissenschaft bildet den H i n t e r g r u n d einer völligen
Neuorientierung,
durch die H e i d e g g e r v o m M e n s c h e n u n d seinen Reflexionsleistungen w e g denkt in R i c h t u n g eines völlig a u t o n o m e n Wahrheitsvollzuges. D e r durch die Verdrängung des Subjekts eingebrochene S i n n h o r i z o n t w i r d durch den R e k u r s auf die K u n s t , die nun ihrerseits als ein »Werden u n d G e s c h e h e n der W a h r heit«' 0 8 b e g r i f f e n w i r d , w i e d e r aufgerichtet. D e m e n t s p r e c h e n d operiert auch Heideggers D e u t u n g v o n D i c h t u n g mit einem Wahrheitsbegriff, der rational nicht vollständig zu erhellen ist, sondern sich aus einem O f f e n b a r u n g s g e s c h e hen herleitet.
4.2.2 Wissenschaftskritik II: G r u n d l i n i e n des Antiszientismus bei G e o r g e Von mir aus führt kein Weg zur Wissenschaft. Stefan George Pierre B o u r d i e u hat H e i d e g g e r als »Ausgeschlosse[n], der seinerseits ausschließt« 1 0 ', bezeichnet und damit eine der zentralen Paradoxien in H e i d e g g e r s D e n k e n auf einen Begriff g e b r a c h t . " 0 D a ß diese H a l t u n g der D i s t a n z sich v o r allem in H e i d e g g e r s Wissenschaftskritik manifestiert und in seiner gegen die
105 106 107 108
110
Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989, S. 344. Vgl. H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, i960, S. 24. Vgl. ebd., S . 3 1 . Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 i994, S. 59. Vgl. P. Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, Frankfurt a.M. 1976, S. 100. Selbst das Druckbild seiner Texte in der Gesamtausgabe spiegelt Heideggers Distanznahme zu aller Herkömmlichkeit wider: Die seltene Schrifttype »Walbaum-Antiqua«, in der bezeichnenderweise auch das 1936 erschienene >Hölderlin-Vermächtnis< des von Heidegger so verehrten Philologen Norbert von Hellingrath gesetzt ist, untermauert optisch die prätendierte Singularität seines Denkens. Das Unternehmen der Erstellung einer Gesamtausgabe folgt einer genau kalkulierten Editionspolitik, die darauf abzielt, Heideggers Autorschaft als Werkherrschaft gegen die Fremdkommentierung seiner Texte auch postum zu garantieren. Vgl. zur Editionspolitik auch R. Mehring, Heideggers Uberlieferungsgeschick, Würzburg 1992, S. I43f.; i49ff. 345
P h i l o l o g i e opponierenden Poetologie s o w i e d u r c h das Instrument eines ontologischen K a n o n s konkrete kulturpolitische U m s e t z u n g e n erfährt, hat die v o r liegende Darstellung bereits zu belegen versucht. E s w ä r e jedoch kurzsichtig, H e i d e g g e r s H a b i t u s der Singulariät u n d sein A u s s c h e r e n aus dem akademis c h e n Milieu als völlig eigenständigen P r o z e ß bar jeglicher ideengeschichtlic h e r Voraussetzungen und V o r b i l d f u n k t i o n e n betrachten zu wollen. Entscheid e n d e wissenschaftsskeptische Impulse übte auf H e i d e g g e r auch der i m geistigen L e b e n äußerst einflußreiche Stefan G e o r g e a u s . 1 1 1 D i e These, die sich daraus ableiten läßt u n d die im folgenden erhärtet w e r d e n soll, lautet: Heideggers K r i t i k an der Wissenschaft ist eine F o r t s c h r e i b u n g v o n G e o r g e s antiwissenschaftlichem D i k t u m »Von mir aus f ü h r t kein Weg zur W i s s e n s c h a f t « . " 2 D i e sich darin spiegelnde Wissenschaftskritik soll i m folgenden jedoch zunächst in ihren theoriegeschichtlichen Z u s a m m e n h a n g eingeordnet w e r d e n . Bereits v o r d e m Ersten Weltkrieg sind die vormals hegemonialen F o r schungsdisziplinen des Historismus u n d des Positivismus auf d e m R ü c k z u g , neue A n s ä t z e w i e die lebensweltlich ausgerichtete u n d u m den Erlebnisbegriff kreisende Forschungsarbeit Wilhelm D i l t h e y s liefern v o r allem in den Geistesw i s s e n s c h a f t e n neue Impulse und sorgen f ü r breite D i s k u s s i o n e n . " 3 G r ö ß t e n E i n f l u ß entwickelte dabei Diltheys 1906 erschienene und z u den literaturwissenschaftlichen Erfolgspublikationen des 20. J a h r h u n d e r t s zählende A u f s a t z s a m m l u n g >Das Erlebnis und die DichtungTransmittersystem< und zur informellen Entscheidungsinstanz« qualifizierte. 12 ' George habe, so stellt Groppe resümierend fest, damit erkannt, »daß allein die Teilnahme am Wissenschaftsdiskurs die Etablierung seiner ästhetischen Uberzeugungen sichern konnte«. 124 Dadurch habe der George-Kreis in der Weimarer Republik schließlich einen festen Platz an den Universitäten erobern und sich so zu einer bedeutenden geisteswissenschaftlichen Schule entwickeln können. 125 Rainer Kolk bestätigt in seiner Studie ebenfalls die enorme Ausstrahlungskraft des George-Kreises und betont, daß bereits vor 1900 Georges Lyrik sowohl in akademischen als auch in künstlerischen Zirkeln rezipiert wurde. Wissenschaftler der Berliner Universität wie der Literaturwissenschaftler Richard Moritz Meyer, der Kulturphilosoph Georg Simmel, der Historiker Kurt Breysig und der Kunstphilosoph Max Dessoir propagierten Georges Kunstauffassungen, organisierten und besuchten seine Lesungen und pflegten engen privaten Umgang mit ihm. Daß George seinerseits das akademische Milieu immer stärker unter strategischen Gesichtspunkten zur Durchsetzung und Vermarktung seiner Werke und Ideen sah, daß er in diesem Bereich nach möglichen »Bündnispartnern« suchte und deshalb die dorthingehenden persönlichen Beziehungen geschickt ausbaute, zeigt nach Kolk die hohe Zahl von Professoren in seiner Gefolgschaft zur Zeit seiner größten öffentlichen Wirkung - zu nennen sind nur Albrecht von Blumenthal, Erich Boehringer, Rudolf Fahrner, Friedrich Gundolf, Kurt Hildebrandt, Max Kommereil, Edgar Salin, Wolfram von den Steinen oder auch Friedrich Wolters. 116 Für den George-Kreis gerät die 122
Vgl. Vgl. 124 Vgl. ,2 ' Vgl. 123
126
G . Mattenklott, M a x Kommereil. V e r s u c h eines Porträts, 1986, S. ιγ{. C . G r o p p e , D i e M a c h t der B i l d u n g , Köln/Weimar/Wien 1997, S. 1 3 9 L ebd., S.624. ebd., S. 560.
Vgl. R . K o l k , Literarische Gruppenbildung. A m Beispiel des G e o r g e - K r e i s e s 1 8 9 0 1945, Tübingen 1998, S. i 7 3 f f . ; 1 8 j f . Dieses wissenschaftssoziologische F a k t u m steht in einem Kontrast zu der A u f f a s s u n g G e r h a r d Z ö f e l s , G e o r g e habe nicht die A b s i c h t
348
wissenschaftliche Arbeit nach Kolks Auffassung folglich zu einem Instrument, das »vom Kräftestrom des >Meisters< Zeugnis öffentlich und alltäglich ablegen soll«. 127 Es läßt sich festhalten, daß der Einfluß Georges auf die Universitäten dem Ziel diente, die Diffusion seiner Kunstvorstellungen in eine größere Öffentlichkeit voranzutreiben und den Jüngerkreis durch die Rekrutierung neuer Mitglieder zu erweitern. 128 George suchte die institutionelle Ausübung geistiger Macht als Reaktion auf die Grundlagenkrise der Wissenschaften zeitweise sogar mit einer planvollen Strategie zur Besetzung akademischer Stellen voranzutreiben. Deshalb ist seine Stellenbesetzungspolitik immer mit einem antiwissenschaftlichen Grundtenor verbunden: So erklärt er im Gespräch mit Edith Landmann, da nun »die alte Wissenschaft von selbst absterbe«, könne an ihre Stelle nun die neue Wissenschaft treten, »wenn die jetzt Jungen Lehrstühle hätten und die Wissenschaft aus ihrem Zusammenbruch in der alten Welt in eine neue hinüberretten würden«. 1 2 ' Auch Edgar Salin berichtet von einem ähnlichen Gespräch mit George, in dessen Verlauf eine Philippika des Meisters gegen die »Nutzlosigkeit des Wissenschaftsbetriebes der Universitäten« zunächst in dem Ausspruch gipfelt, »er werde daher auch niemanden zur Habilitation ermuntern«.' 3 0 Auf die entrüstete Frage aus dem Kreis, »ob der Meister nicht mehr wie früher der Ansicht sei, daß die beste deutsche Jugend zu den Hochschulen komme und daß Jeder von uns daher hier sein Amt des Sichtens und des zu-ihm-Führens zu versehen habe«, lenkt George ein und antwortet: »Doch! Wer s ο fühlt, ist recht am Platz.«' 3 ' Die Kritik Georges richtet sich also vordergründig gegen »die« Wissenschaft und die institutionellen Formen ihres »Betriebes«, sie hält sich aber schadlos an der Idee einer kulturpolitischen
verfolgt, »um sich herum die Philologen heranzubilden, die seinem Werk durch apologetische Auslegung die gebührende Resonanz verschaffen und darüber hinaus literaturwissenschaftliche Forschung und Lehre in seinem Geist ausüben sollten«. Vgl. G . Zöfel, Die Wirkung des Dichters, Frankfurt a.M./Bern/New York/Paris 1987, S. 2ff. Auch wenn die Zäsur zwischen Dichtung und Wissenschaft von George immer betont wurde und die Literaturwissenschaftler im Kreis somit einen schweren Stand hatten, kann nicht völlig darüber hinweggesehen werden, daß George grundsätzlich den akademischen Bereich als Resonanzraum seiner poetologischen Positionen sehr wohl zu schätzen wußte. Dennoch ist sein tatsächlicher Einfluß, wie Kolks personengeschichtliche Studien der akademischen Karrieren von Mitgliedern des GeorgeKreises gezeigt haben, begrenzt geblieben. Vgl. R. Kolk, Literarische Gruppenbildung, Tübingen 1998, S . 3 1 2 - 4 2 4 ; 543. 127
Vgl. ebd., S. 377. Vgl. K. Landfried, Stefan George, Heidelberg 1975, S. 86; 178. Vgl. zur pädagogischen Praxis des George-Kreises und besonders zur Rekrutierung neuer Kreismitglieder auch C. Groppe, Die Macht der Bildung, Köln/Weimar/Wien 1997, S.446-479. 129 Vgl. E. Landmann, Gespräche mit Stefan George, Düsseldorf/München 1963, S. 154. 130 Vgl. E. Salin, Um Stefan George, Godesberg 1948, S. 72. ' 3 ' Vgl. ebd. 128
349
Einflußnahme über die Universitäten. Deshalb konnte George bei aller Kritik an der institutionalisierten Wissenschaft die akademische Laufbahn als »die für uns [seine Jünger, d. Verf.] passendste« bezeichnen. 132 Trotz hoher Erwartungen blieb der direkte Einfluß Georges auf das akademische Feld jedoch begrenzt, seine Stellenbesetzungsstrategie ging nicht auf. Rainer Kolk hat diese Diskrepanz deutlich herausgearbeitet: So ist zwar einerseits nicht zu bestreiten, daß während der Weimarer Republik eine Reihe von Professuren an Freunde und Sympathisanten Georges vergeben wurden.' 3 3 Andererseits läßt die zahlenmäßig nur geringe Ausbeute an Ordinariaten und Extraordinariaten nach Kolks Auffassung nicht den Schluß zu, »daß George ein herausragender Machtfaktor an der deutschen Universität der zwanziger Jahre« gewesen sei. 134 Auch der Vorwurf des Sozialprotektionsimus erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. Kolks allgemeines Fazit lautet daher, daß die Hochschullehrer des George-Kreises auf dem Weg traditioneller akademischer Qualifikation in ihre Position gelangt seien und daß aus institutionengeschichtlicher Sicht der George-Kreis an der deutschen Universität eine zwar dauerhafte, aber in seiner Wirkung nur marginale Rolle gehabt habe."35 Georges Kritik an den Wissenschaften wird in den relevanten Zeitzeugnissen immer wieder thematisiert: So berichtet Edith Landmann, George habe die Geisteswissenschaften, dabei vor allem Philologie, Literatur- und Kunstgeschichte für verderbt gehalten, weil sie »Grosses und Kleines in gleicher Weise behandelnd, keine Auswahl kennen und nach einem bestimmten Rezept jeden zum Ziel zu führen verheissen. Ihre Lehre ist: Wie mache ich aus nichts etwas.«' 3 6 George wendet sich also gegen die vermeintliche Tendenz der Geisteswissenschaften, ihre »hohen« Gegenstände in der Stereotypie wissenschaftlicher Standards zu nivellieren. Diese von einem Erhabenheitsdiskurs gesäumte Kritik läßt sich auch bei Heideggers Interpretationen nachweisen: Die übliche Beschäftigung mit Dichtung folgt nach Heideggers Überzeugung den universal schematisierten Erkenntniswegen der verschiedenen Wissenschaftszweige und führt schließlich dazu, »daß wir Gedichte wie etwas Vorhandenes vornehmen, zergliedern und erklären, während andere sich mit mittelalterlichen Papsturkunden, andere mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, wieder andere mit Meer-
132
Vgl. K. Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, S.95· '3! Vgl. R. Kolk, Literarische Gruppenbildung, Tübingen 1998, S.414. •34 Y g l Kolk führt für die Deutsche Philologie drei Extraordinariate (Friedrich Gundolf, Albrecht von Blumenthal und Carl Petersen), für die Geschichtswissenschaft vier Ordinariate (Friedrich Wolters, Woldemar von Uxkull-Gyllenband, Wilhelm Andreae und Ernst Kantorowicz) an. · " Vgl. ebd., S.415. 136 Vgl. E. Landmann, Gespräche mit Stefan George, Düsseldorf/München 1963, S. 8i.
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schweinchen und Regenwürmern beschäftigen«. 137 Damit zielt sowohl die Kritik Georges als auch die Kritik Heideggers auf die Austauschbarkeit der Gegenstände unter der Voraussetzung der von Max Weber postulierten wertfreien, im Kern gleichbleibenden und methodisch basierten Untersuchungsperspektive der Wissenschaft. Diese Perspektive verfehlt für Heidegger den »hohen« Gegenstand der Dichtung. Als Alternativkonzepte kommen nur weltanschaulich flankierte, von wissenschaftlicher Arbeit unbeeinträchtigte Formen der Aneignung in Frage: Während Heidegger das existentielle »Einrücken in den Machtbereich der Dichtung«' 3 8 fordert, sind nach Georges Verständnis wahre und tiefe Einblicke in die Dichtung nur erlebnishaft in einem dem »schönen Leben« und der Kunst geweihten Kreis zu erlangen. Die Begegnung mit Dichtung wird im George-Kreis sogar logopädisch institutionalisiert: Das »Lautlesen« von Dichtung, das in seiner mimetischen Form und Durchführung in die Nähe liturgischer Geschehen gerät' 3 9 , markiert den authentischen Zugang zur Dichtung und dient zusätzlich der Prüfung von Tauglichkeit und der Initiation neuer Adepten des George-Kreises.' 40 Georges tiefes Unbehagen gegenüber der »Katheder-Gelehrsamkeit«' 4 ' im allgemeinen und gegenüber der textkritisch und editionstechnisch arbeitenden Literaturwissenschaft im besonderen zeigt sich auch in seiner scharfen Kritik an der Hellingrathschen Hölderlin-Ausgabe, von der Edgar Salin berichtet: George tadelt die Beibehaltung von Hölderlins Schreibweise, während Hellingrath sie als Anforderung einer wissenschaftlichen Ausgabe zu verteidigen sucht. Auf einen weiteren Rechtfertigungsversuch Friedrich Gundolfs antwortet George nur: »Kind, als Gelehrter verstehst du das nicht ...«.' 4 2 Nach Salins 137 138 ,}9
Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 19. Vgl. ebd. Robert Boehringer spricht in seinen Erinnerungen von der »Kulthandlung« des Vorlesens. Vgl. R. Boehringer, Mein Bild von Stefan George, München/Düsseldorf 1 9 5 1 , S. 1 4 1 . Vgl. zum sozialcharismatischen Vollzug literarästhetischer Handlungen im allgemeinen und zum disziplinierenden Effekt des Lautlesens im besonderen auch W. Braungart, Ritual und Literatur, Tübingen 1996, S. 102L; 2ooff.
140
Vgl. E. Salin, Um Stefan George, Godesberg 1948, S.64L Vgl. auch R. Kolk, Literarische Gruppenbildung, Tübingen 1998, S. 2 2 i f . ,4 ' Vgl. ebd., S. 58. 142 Vgl. ebd., S. 27. Ein weiterer Beleg dafür, daß die wissenschaftliche Edition von Hölderlins Gedichten ein permanenter Quellgrund für Unstimmigkeiten zwischen Hellingrath und George war, findet sich in einem Brief an Gundolf: Hellingrath beklagt dort, »dass man mich hat keine correctur der Hölderlin hymne im Jahrhundert hat lesen lassen und ich verstehe das nicht recht.« Mit »Jahrhundert« meint Hellingrath >Das Jahrhundert Goethes«, den dritten Band der von George und Karl Wolfskehl herausgegebenen Anthologie >Deutsche Dichtung«. Das Wort »hymne« bezeichnet das in die Sammlung aufgenommene Hölderlin-Gedicht >Wie wenn am Feiertage«. Zit. η. B. Pieger, Unbekanntes aus dem Nachlass Norbert von Hellingraths, 1992, S. 22 [Brief Nr. 19].
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Zeugnis sah George auch seine anderen Schüler zeitweise der »Gefahr« ausgesetzt, »daß der Professor den Dichter erstickt« und sie in die »Teufelsfallen der Philologie« tappten. 143 Wissenschaft und Dichtung sind für George Bereiche, zwischen denen eine geistige Verständigung von vornherein unmöglich erscheint. Er wendet sich gegen das »Kompromissein« und kritisiert damit die von Gundolf favorisierte interdisziplinäre Bestrebung, »es sei möglich und gelte, eine Brücke zwischen der Dichtung und der Wissenschaft zu schlagen«. 144 Trotz aller prätendierten Distanz zur Wissenschaft wirkten die Georgeschen Kunstauffassungen jedoch stark in die Literaturwissenschaft hinein: Hellingrath, Gundolf und Kommereil wollten und sollten die Uberzeugungen des Kreises in der institutionellen Wissenschaft artikulieren und durchsetzen.' 45 Nach der im George-Kreis herrschenden Auffassung hatte dabei die Wissenschaft der Dichtung zu dienen.' 4 i Diese strikte Arbeitsteilung ließ sich jedoch nicht konsequent durchhalten, sondern erzeugte Kontroversen und sogar Brüche. Ein schlagendes Beispiel dafür ist der Konflikt zwischen George und Gundolf, der hier nur kurz angesprochen werden kann. Kurt Hildebrandt berichtet in seinen Erinnerungen, daß George von Anfang an bei Gundolf die Gefahr gesehen habe, »vom dichterischen Geiste in die literarische Forschung um ihrer selbst willen abzugleiten«.' 4 7 Als Gundolf einen »Kompromiß mit positivistischer Literaturwissenschaft« versucht, fällt ihm aus Sicht Georges endgültig die Rolle des Renegaten zu. 148 Gundolf erschien in der Wahrnehmung der akademischen Öffentlichkeit als »Wissenschaftskünstler«, dessen zwischen dichterischer Ambition und wissenschaftlichem Beruf balancierende Doppelexistenz sowohl im George-Kreis als auch bei den Zunftkollegen für Irritationen und Debatten sorgte. 14 ' Unter dem Eindruck Diltheys machte er den Versuch, auch die Literaturgeschichte als Schlüsselkonzept der Erneuerung der Geisteswissenschaften in die geistige Bewegung des George-Kreises miteinzubeziehen. 1 ' 0 Damit ist die Sollbruchstelle seines Verhältnisses zu George bezeichnet: Während George den esoterischen " " Vgl. E. Salin, Um Stefan George, Godesberg 1948, S. 59; 145. 144 Vgl. ebd., S.72. 145 Diese wissenschaftspolitische Mission wird am Beispiel der Hölderlinrezeption besonders deutlich. Vgl. J . L i n k , Hölderlin — oder eine Kanonisierung ohne Ort?, 1998, S.384f. 146 Vgl. C. Groppe, Die Macht der Bildung, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 238. •47 Vgl. K. Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, S. 1 1 7 . 148 Vgl. ebd. •49 Vgl. den instruktiven Aufsatz von E. Osterkamp, Friedrich Gundolf zwischen Kunst und Wissenschaft. Zur Problematik eines Germanisten aus dem George-Kreis, 1993, S. 178L; i 8 i f f . Vgl. G. Zöfel, Die Wirkung des Dichters, Frankfurt a.M./Bern/New York/Paris 1987, S. 109.
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Charakter seiner Dichtung erhalten will, tritt Gundolf als Anwalt der exoterischen Aufgabe der Literaturwissenschaft des Kreises hervor. 1 ' 1 Diese Position erweist sich als unvereinbar mit den poetologischen Uberzeugungen Georges. Darüber hinaus hat der Konflikt zwischen Gundolf und George aber auch eine exemplarische Bedeutung. Hier ist vorgezeichnet, was sich in Heideggers Kritik am neuzeitlichen Begriff der Wissenschaft wiederholt: Die Differenz zwischen verfahrenstechnisch gewonnener und auratisch empfangener Wahrheit radikalisiert sich zum unvereinbaren Widerspruch. In dieser Situation funktioniert der Kanon als einheitswahrendes Instrument: Das Ausscheren aus der kollektiven Ordnung wird als Abfall betrachtet, das Individuum, das sich eigener Interpretation befleißigt, erscheint als gefährlich und wird daher ausgesondert. 1 ' 2 Das Verhältnis zwischen dem Meister und seinem Schüler zerbricht an der rigoros antiwissenschaftlichen Haltung und an dem kompromißlosen dichterischen Wahrheitsanspruch Georges. Die ambivalente Geisteshaltung Georges, in der sich die Fundamentalkritik an der Wissenschaft und die Nutzung ihrer Institutionen zur Durchsetzung des eigenen geistigen Einflusses nicht ausschließen, ist nicht ohne Wirkung geblieben. Die in der vorliegenden Arbeit bereits umfassend thematisierte antiwissenschaftliche Haltung Heideggers hat in Georges Antiszientismus ein inspirierendes Vorbild gefunden. Doch auch die Kehrseite dieser Skepsis teilt Heidegger mit George: Beide erkennen, daß die vollständige Kappung der intellektuellen Beziehungen zur Universität und der Rückzug aus dem wissenschaftlichen Diskurs ihrer Wirkung nicht förderlich ist. Notgedrungen und auch aus taktischen Moptiven akzeptieren sie deshalb die Universität als Instanz szientifischer Beglaubigung. U n d obwohl sie die etablierte Wissenschaft und ihre akademischen Formen grundsätzlich ablehnen, suchen Heidegger und George nach Möglichkeiten, ihren kulturpolitischen und pädagogischen Einfluß über die Institution der Universität geltend zu machen und zu erweitern. Heideggers lebenslanger innerer Zwiespalt zwischen dieser Ablehnung des Akademischen und seinem großen Interesse am pädagogischen Wirken ist in einem Brief an Hannah Arendt dokumentiert: Ich habe das Gefühl, daß ich in das Universitätsmilieu nicht mehr passe, andererseits weiß ich wohl, daß das gesprochene und streng lenkende Wort durch nichts zu ersetzen i s t . 1 "
1,2
Vgl. ebd., S . I i i . Zur Charakteristik dieser Ausschlußfunktion des Kanons vgl. A. u. J. Assmann, Kanon und Zensur, 1987, S. 2 1 . Vgl. H. Arendt/M. Heidegger, Briefe, Frankfurt a.M. 1998, S. 1 1 7 .
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4-2.3 Wissenschaftskritik III: Pädagogische Wirkung und bündische Konzepte bei Heidegger und George Die öffentliche Wirkung Stefan Georges auf das intellektuelle Klima in Deutschland zwischen 1910 und 1933 kann kaum überschätzt werden. Georges kulturpolitischer Einfluß gründete sich auf eine bildungsbürgerlich geprägte Gefolgschaft, die seine Erneuerungsideen fast missionarisch als Bildungsdiskurs verbreitete. 154 Als Visionär eines Dichter-Staats und eines »Neuen Reiches« wirkte George über sein Publikum und seine Jünger als »einer der großen Verschärfer im Reich der Kunst, das ihm gleichbedeutend mit der Welt des Sozialen w u r d e « . ' " Neben Georges künstlerischem Prestige als »Figuration des Dichters schlechthin« 1 ' 6 stand die soziale Faszination, die von der Homogenität und dem elitären Anspruch seines gleichgestimmten Jünger-Kreises ausging. Diese bündisch geschlossene Struktur des George-Kreises ergab sich aus einer Vielzahl von gemeinsamen ästhetischen, aber auch sozialen und politischen Uberzeugungen, deren Anziehungskraft und pädagogische Wirkung weit über den engen Kreis hinausreichten und wohl auch reichen sollten. Die Kernstrategie der »Kreispolitik« Georges lag darin, den Einfluß seiner ästhetischen Uberzeugungen »nicht durch Ausdehnung des Einen Kreises, sondern durch Zeugung der Sohn- und Enkelkreise wachsen« zu lassen. 1 ' 7 Dabei rückt in den zwanziger Jahren das akademische Feld als vornehmliche und pädagogisch bedeutsame Wirksphäre des George-Kreises und seiner Filiationen in den Vordergrund. So berichtet Hans-Georg Gadamer in seinen Erinnerungen von dem faszinierenden und zugleich provozierenden Eindruck, den der um Friedrich Wolters gescharte George-Kreis im Mikrokosmos des Universitätsstädtchens Marburg auf ihn ausübte: Die »Werttafeln des GeorgeKreises« schufen nach Gadamer in der sich »atomisierenden Gesellschaft« der zwanziger Jahre »ein korporatives Bewußtsein auf hoher geistiger Ebene, das einen reizen mußte, dem man um seiner Geschlossenheit und Selbstsicherheit willen seine Bewunderung nicht versagen konnte«. 1 ' 8 Dieser Anziehungskraft
154
Carola Groppe hat gezeigt, daß die Georgeaner nicht nur bildungsbürgerlicher Herkunft waren, sondern auch über den Begriff der Bildung ihre erzieherischen und kulturpolitischen Ziele zu definieren und zu verwirklichen suchten. Vgl. C. Groppe, Die Macht der Bildung, Köln/Weimar/Wien 1997, S-45ff.; 6zff.; 334ff. ' " Vgl. F. Schirrmacher, Die Stunde der Welt, Berlin 1996, S. 102. 'söffentlicheren< Kreis« gegeben habe als den G e o r g e - K r e i s - den Nachweis dafür liefern die zahlreichen, erstaunlich offenen Erinnerungen und Berichte aus den Federn der Kreismitglieder.' 6 7 Mit Öffentlichkeit ist zugleich aber immer auch öffentliche W i r k u n g verbunden. D i e erziehungspraktischen Maßstäbe und E r p r o b u n g s n o r m e n , die Max Weber für charismatisch orientierte Gemeinschaften genannt hat - E r p r o bung, Bewährung, Auslese, Exerzitien und Isolierung von der gewohnten U m g e b u n g l i 8 - gelten daher nicht nur für den G e o r g e - K r e i s , sondern lassen sich in Teilen ebenso auf Heideggers pädagogische Praxis übertragen. Es spricht einiges für die These, daß die bündische Struktur des George-Kreises und der damit einhergehende pädagogische E r o s Heideggers Selbstverständnis als H o c h schullehrer, sein erfolgreiches Wirken in der akademischen Öffentlichkeit und schließlich auch seine Haltung gegenüber den akademischen F o r m e n mitgeprägt haben. Reinhard Mehring weist darauf hin, daß Heidegger die Überlieferung seiner Denkwege bis zur Stiftung einer Gesamtausgabe nach »georginischem M u s t e r « mittels einer engen Gefolgschaft, den »Heideggerianern«, organisiert hat. 1 6 ' Dies zeigt, daß Heidegger sein D e n k e n in dem M a ß e wie G e o r g e sein D i c h t e n als Identifikationsangebot begreift, das einem bestimmten
Rezeptionskreis
pädagogisch vermittelt werden muß. Voraussetzung und signifikantes M e r k mal dieser Vermittlung aber ist die Suche nach und der emotionale Appell an Gemeinschaft.' 7 0 Gleich nach Antritt seines Extraordinariats in Marburg bahnt Heidegger deshalb erste K o n t a k t e zur »Akademischen Vereinigung Marburg«, einer aus der Jugendbewegung hervorgegangenen studentischen Verbindung, 167
Vgl. S. Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995, S. 7. Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen '1980, S. 677. •69 Vgl, r Mehring, Heideggers Uberlieferungsgeschick, Würzburg 1992, S. 136ff. 170 Ideengeschichtlicher Hintergrund dieser Betonung des Gemeinschaftsbegriffes und seiner kritischen Wendung gegen den Begriff der Gesellschaft ist die von Tönnies geprägte Dichotomie: »Gemeinschaft ist das dauernde und echte Zusammenleben, Gesellschaft nur ein vorübergehendes und scheinbares. Und dem ist gemäß, daß Gemeinschaft selber als ein lebendiger Organismus, Gesellschaft als ein mechanisches Aggregat und Artefact verstanden werden soll.« F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt 1963, S. 5. ,(s
357
die nach Safranskis treffender Charakteristik »eine Mischung aus StefanGeorge-Strenge und Wandervogel-Romantik« auszeichnete. 17 ' Die »Akademische Vereinigung« verstand sich als kleine, aber anspruchsvolle Erziehungsgemeinschaft und führte ihre geselligen Veranstaltungen im Geist des »Wandervogels« durch. 172 In ihrem Kreis verkehrten auch Dozenten, zu denen etwa Paul Natorp, Nicolai Hartmann und Rudolf Bultmann zählten. Heidegger wird in der »Akademischen Vereinigung«, die sich eine »wirkliche Reform des akademischen Lebens« auf die Fahnen geschrieben hatte und zu diesem Zweck die Kontakte zwischen Studentenschaft und Professorenschaft ausbauen wollte' 73 , mit offenen Armen empfangen: Er hält dort Vorträge, rekrutiert gleichzeitig das Publikum seiner Vorlesungen' 74 und hat sich auf diese Weise bald selbst eine »erfreuliche Hörerschaft« herangebildet.' 75 Damit ist eine Annäherung vollzogen, die Heidegger ein weites Feld pädagogischer Wirkungsmöglichkeiten erschließt. Die bündischen Pathosformeln des George-Kreises, die in der suggestiven Dichtung Georges und mit der dort vorherrschenden »Wir«-Rede bei den Rezipienten einen Prozeß der Aneignung in Gang setzen wollen, kehren auch in Heideggers Denken in verwandter Form an vielen Stellen wieder.' 76 Heidegger bezieht die Hörer seiner ersten Hölderlin-Vorlesung mit der durchgängigen Verwendung des Personalpronomens »wir« in seinen Vortrag mit ein, um so eine Rezeptionshaltung gemeinschaftlicher Identifikation mit Hölderlins Dichtung und ihrer Deutung durch sein Denken zu erzielen. Das sogenannte »Teilnehmen an der Dichtung«, also »jene Weise unseres Daseins, in der es überhaupt um das Seyn und Nichtsein geht«, ist dabei nicht nur ein rezeptionspragmatisches Signal, sondern eine konkrete Aufforderung zur Aneignung und zur Partizipation an Heideggers Philosophie.' 77 Weiter ist in den »Beiträgen zur Philosophie< explizit von den »Bündischen« die Rede, »denen es gegeben ist, aus dem Begreifen des wissenden Willens und der Gründungen der Einzelnen die Gesetze der Umschaffung des Seienden ... zu erahnen«.' 7 8 Auch hinter diesen verklausulierten Formulierungen kann das Ansinnen Heideggers erkannt
171
Vgl. R . Safranski, Ein Meister aus Deutschland, München/Wien 1994, S. 160. Vgl. S. Bias-Engels, Zwischen Wandervogel und Wissenschaft. Zur Geschichte von Jugendbewegung und Studentenschaft 1869-1920, Köln 1988, S. 1 1 0 ; 1 1 5 . 173 Vgl. ebd., S . 1 1 3 . '74 Vgl. V. Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1989, S. 106. 175 Vgl. M. Heidegger/E. Blochmann, Briefwechsel 1918-1968, Marbach 1989, S. 18. 176 Heideggers Pathos des »Wir«-Erlebnisses ist zugleich von der Gemeinschaftsideologie der Jugendbewegung inspiriert. Vgl. C . v. Krockow, Die Entscheidung, Frankfurt a.M./New Y o r k 1990, S. 32. 177 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 58. 178 Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989, S.96. 1/1
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w e r d e n , sein D e n k e n in den bündischen Kreis einer engen G e f o l g s c h a f t einzuspiegeln und dadurch dauerhafte W i r k u n g zu verleihen. D a Heideggers erste direkte B e g e g n u n g mit dem bündischen G e m e i n schaftsmodell des G e o r g e - K r e i s e s mit höchster Wahrscheinlichkeit in seine M a r b u r g e r Z e i t fällt, kann eine weitere Parallele zwischen den D e n k m u s t e r n im U m f e l d G e o r g e s und im U m f e l d Heideggers gezogen w e r d e n . D i e s e U b e r einstimmung betrifft die S e l b s t w a h r n e h m u n g dieser G r u p p e n u n d ihre selbstdarstellerische Haltung gegenüber dem sozialen U m f e l d . D e r K o p f des M a r burger G e o r g e - K r e i s e s Wolters zählte zu den »geistigen A r c h i t e k t e n « einer N e u a u s r i c h t u n g des G e o r g e - K r e i s e s , durch die G e o r g e nicht n u r als Dichter, sondern als » L e b e n s f ü h r e r « b e g r i f f e n w e r d e n sollte.' 7 9 A u f G a d a m e r macht d e r K r e i s u m Wolters daher den E i n d r u c k einer K i r c h e mit d e m katholisierenden A n s p r u c h der Ausschließlichkeit: »extra ecclesiam nulla salus«.' 8 0 D a ß die G e o r g e zugeschriebenen Qualitäten eines Lebensführers nicht n u r bei den G e orgeanern, sondern grundsätzlich bei der nach geistiger Orientierung s u c h e n den intellektuellen J u g e n d eine breite R e z e p t i o n s w i r k u n g entfalten, belegt ein 1 9 3 1 unter der U b e r s c h r i f t »Stefan G e o r g e - F ü h r e r der Jugend< erschienener Zeitungsartikel K l a u s M a n n s z u m 60. G e b u r t s t a g des Dichters. D o r t heißt es: Er ist uns, die wir während eines Zusammenbruches aufgewachsen sind, Bindung an die Werte und Traditionen großer Bildungswelten und Vergangenheiten; während er uns also vor Entwurzelung bewahrt, ist er uns ... Führer und Wegweiser in eine Zukunft des reineren Lichtes, des strengen Glücks.' 8 1 D i e kultische Verehrung G e o r g e s als » F ü h r e r und Wegweiser« e r ö f f n e t e d e r A k a d e m i k e r g e m e i n s c h a f t u m Wolters aber nicht nur die M ö g l i c h k e i t elitärer S e l b s t w a h r n e h m u n g und A b g r e n z u n g , sondern verband sich mit einem erzieherischen A u f t r a g , aus d e m sich die A u f g a b e der N e u f a s s u n g a k a d e m i s c h e r Identität im Sinne einer auf die Gestaltung der Z u k u n f t ausgerichteten B i l dungselite ableiten ließ.' 8 2 A u c h an diese Zielsetzung lassen sich D e n k m u s t e r aus d e m Wirkungskreis H e i d e g g e r s a n k n ü p f e n : D i e jungen Menschen, die sich H e i d e g g e r in M a r b u r g anschließen oder sich z u ihm hingezogen f ü h l e n , repräsentieren eine » v o m Z u s a m m e n b r u c h eines Zeitalters erschütterte G e n e r a tion« 1 8 3 , die sich einen völligen N e u b e g i n n auf die Fahnen schreibt und v o n einem ähnlichen elitären G e m e i n s c h a f t s b e w u ß t s e i n getragen ist w i e die G e o r g e J ü n g e r , ja diese vielleicht sogar imitieren will. H a n s - G e o r g G a d a m e r erinnert sich an diese Zeit:
179 180 181
182 183
Vgl. C. Groppe, Die Macht der Bildung, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 228. Vgl. H.-G. Gadamer, Philosophische Lehrjahre, Frankfurt a.M. ^1995, S. 16. Zit. η. B. Zeller (Hg.), Stefan George 1868-1968. Der Dichter und sein Kreis, München 1968, S. 305. Vgl. C. Groppe, Die Macht der Bildung, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 222. Vgl. H.-G. Gadamer, Heidegger und die Sprache der Metaphysik, 1997, S. 257. 359
Wir waren ein sehr hochmütiges kleines Volk und ließen uns den Stolz auf unseren Lehrer und sein Arbeitsethos gewaltig zu K o p f e steigen. Und nun stelle man sich erst vor, was im zweiten und dritten Gliede der Heideggerianer los war, bei denen, deren wissenschaftliches Talent geringer oder deren Ausbildungsstand noch nicht so fortgeschritten war. Auf sie wirkte Heidegger wie ein Rauschmittel. 184
Die einen begreifen George als Lebensführer, auf die anderen wirkt Heidegger wie ein Rauschmittel - so unterschiedlich die Umschreibungen der Rollen sind, die George und Heidegger in ihren jeweiligen Kreisen ausfüllten, so ähnlich sind sie doch in ihrer Funktion als intellektuelle und spirituelle Mitte dieser Gemeinschaften. George und Heidegger bilden den charismatischen Mittelpunkt einer orientierungsbedürftigen Gemeinschaft junger Menschen, auf die sie eine starke Binnenmotivation ausüben. Sie befördern bei ihren Anhängern einen »Adel des Geistes«, der sich im wesentlichen über die als Auszeichnung empfundene Zugehörigkeit begreift und sich deshalb weltanschauliche Uberzeugungen bereitwillig aneignet. Die freiwillige intellektuelle und soziale Bindung an das geistige Orientierungsangebot einer Gruppe ist zugleich eine Reaktion auf die Erscheinungen der Moderne und damit Kritik an ihren als krisenhaft und wertlos beurteilten Grundvoraussetzungen. Karl Jaspers hat in seiner vielrezipierten kulturdiagnostischen Bestandsaufnahme >Die geistige Situation der Zeit< auf dieses Bedürfnis nach geistiger Bindung und Verwurzelung in Werten hingewiesen: Wahrhaft kann in der Welt nur bleiben, wer aus einem Positiven lebt, das er in jedem Falle nur durch Bindung hat.' 8 ®
Vor dem Hintergrund sozialer und politischer Krisenerscheinungen sieht Jaspers die größte geistige Herausforderung der Zeit im paradoxen »Kampf der Freiheit... aus der Kraft, sich selbst zu binden«. 186 Auch im Denken Georges und Heideggers wird aus diesem Grund persönliche Freiheit nicht als Freisein von Bindung, sondern gerade als Freiheit zur Bindung verstanden. Der bereits von Hofmannsthal in seiner zivilisationskritischen Rede über >Das Schriftum als geistiger Raum der Nation< in Anschlag gebrachte Begriff von Freiheit zur Bindung' 87 bleibt keine weltanschauliche Leerformel, sondern wird sowohl von George als auch von Heidegger in eine konkrete pädagogische Praxis umgesetzt. George beschreibt im Gespräch mit Edith Landmann das erzieherische Verhältnis zu seinen Jüngern als Resultat von Bindung und Lebenserfüllung:
ιβ
4 Vgl. H . - G . Gadamer, Philosophische Lehrjahre, Frankfurt a.M. 2 1995, S.216.
185 186 187
K . Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin/Leipzig '1933, S. 169. Vgl. ebd. Wörtlich heiß es dort: »Denn nicht Freiheit ist es, was sie zu suchen aus sind, sondern Bindung.... Nie war ein deutsches Ringen um Freiheit inbrünstiger und dabei zäher, als dieses in tausend Seelen der Nation vor sich gehende Ringen um wahren Zwang...«. H . v. Hofmannsthal, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation, 1927, S. 23.
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Ich halte sie fest in dem Moment, in dem sie ihr höchstes Leben hatten.' 88
Auch Heidegger beschreibt in einem Brief an Jaspers vom 14. Juli 1923 sein akademisches Wirken in Marburg als einen Akt sehr konkreter pädagogischer Einflußnahme, ja Disziplinierung: ... ich lasse der Welt ihre Bücher und literarisches Getue und hole mir die jungen Menschen - »holen«, d.h. scharf zu fassen - so daß sie die ganze Woche »im Druck« sind; mancher hält es nicht aus - die einfachste Art der Auslese . . . l 8 '
Vor dem Hintergrund der verschärften akademischen Auseinandersetzung mit den Marburger Neukantianern kulminiert das nach Georgeschem Vorbild entwickelte Bündniskonzept Heideggers in der Beschwörung einer »Kampfgemeinschaft«, die Nicolai Hartmann »die Hölle heiß machen« will und zu diesem Zweck einen »Stoßtrupp von 16 Leuten« einsetzt.' 90 Unabhängig von diesen kriegerisch-martialischen Obertönen bildet die Grundüberzeugung, innerhalb einer sozialen Gruppe eine charismatische Führungs- und Lenkungsfunktion ausüben zu müssen und auf diese Weise erzieherisch formierend wirken zu können, den gemeinsamen Kern von Georges und Heideggers pädagogischen Praktiken. 1933 erklärt Heidegger in einem Brief an Elisabeth Blochmann mit Blick auf die Aufgaben der Universität, es sei nun »das Erste, den Nachwuchs und die Jüngeren zu sammeln im Willen zu einer wirklichen Erziehungsgemeinschaft«. 191 Unter diesem Anspruch pädagogischer Sammlung und Führung leistet Heidegger später auch der politischen Durchsetzung seines eigenen Denkens Vorschub: Die Idee geistiger Führerschaft gipfelt in seiner Rektoratsrede unter dem Einfluß eines unheilvollen politischen Klimas in der monströsen Dimension eines universalen geschichtlichen Führungsauftrages. 192 Es können noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen dem George-Kreis und Heideggers Wirken in Marburg ausgemacht werden. Carola Groppe weist darauf hin, daß sich die bündische Struktur des George-Kreises nicht nur durch enge persönliche Kontakte, sondern durch eine besondere Gesprächskultur auszeichnet, die als Erziehungselement von besonderer Bedeutung ist: Die Marburger Georgeaner um Friedrich Wolters führen auf ihren Wanderungen durch den Taunus »sokratische Gespräche«, die neben den Unterhaltungen mit
188 189
190 191 192
Vgl. E. Landmann, Gespräche mit Stefan George, Düsseldorf/München 1963, S. 183. M. Heidegger/K.Jaspers, Briefwechsel 1920-1963, Frankfurt a.M./München/Zürich 1990, S.41. Vgl. ebd. Vgl. M. Heidegger/E. Blochmann, Briefwechsel 1918-1969, Marbach 1989, S . 6 1 . Klemens von Klemperer macht mit Recht darauf aufmerksam, daß Heidegger in der Rektoratsrede wahrscheinlich bewußt offenläßt, ob er mit dem L o b des Führers Hitler oder sich selbst meint. Vgl. K. v. Klemperer, Martin Heidegger, Zeitgenosse. Von der Hybris einer Philosophischen Politik, 1992, S. 157. 361
dem Meister dem Zweck dienen, in den Gedankenkontext und die Weltanschauung des Kreises einzuführen.' 93 Auch Heidegger legt in Marburg großen Wert auf den privaten Umgang mit seinen Studenten. Er lädt seine Studenten in sein Haus ein, er unternimmt mit ihnen gemeinsame Wanderungen »mit Kote und Klampfe«, hält auf seiner Hütte in Todtnauberg als »heimliche[r] König der Philosophie auf bündische Weise Hof« und läßt zur Sonnenwendfeier »Feuerräder ins Tal rollen«. 1 ' 4 Die spezifische, »sokratische« Gesprächskultur des George-Kreises findet bei Heidegger ihr Pendant in der Lehrmaxime »Philosophieren wollen w i r sokratisch«' 95 , die zugleich aber auch ins Extreme gewendet wird: Heidegger stellt nicht nur seine Philosophie dar, sondern konfrontiert seine Hörer nach Gadamers Eindruck mit einem »atemberaubenden Wirbel von Fragen, die er in den einleitenden Stunden des Semesters entwickelte, um sich dann selber in der zweiten oder dritten dieser Fragen ganz zu verstricken«. 1 ' 6 Heidegger inszeniert sich in Marburg also als revolutionärer Denker, der »vor der Kühnheit seiner sich immer stärker radikalisierenden Fragen selber förmlich erschrak«.' 9 7 Reinhard Mehring weist in diesem Zusammenhang zurecht darauf hin, daß dieser radikalisierte »Sokratismus«, mit dem Heidegger auch später noch die Hörer seiner Vorlesungen zur Teilnahme an seinem Denken auffordert, ein Teil seiner antiakademischen Selbstbezüglichkeit ist, die sich in erster Linie mit dem eigenen »Geschick des Denkens« befaßt und auf die diskursive Auseinandersetzung im akademischen Raum verzichtet. 1 ' 8 Von dieser Selbstbezüglichkeit aus läßt sich eine direkte Linie zur Umgestaltung akademischer Formen der Wissensvermittlung ziehen: In Heideggers Auftreten im Marburg der frühen zwanziger Jahre kündigt sich der Wille zum »volls t ä n d i g e ^ ] Bruch mit der traditionellen akademischen Philosophie«' 9 9 an, seine Vorlesung ist »nicht mehr die >Unterrichtsveranstaltung< eines Professors, der seine Energie in Forschung und Publikationen setzte« 200 , sondern ein Ort,
193 1,4
196
200
Vgl. C. Groppe, Die Macht der Bildung, Köln/Weimar/Wien 1997, S.454. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, München/Wien 1994,8.160. Löwiths Bemerkung, Heidegger habe seine »dikatorische Prägekraft« ausschließlich auf »die Denkweise wissenschaftlich und literarisch geschulter Köpfe« konzentriert, scheint vor diesem Hintergrund zu kurz gegriffen. Vgl. K . Löwith, Denker in dürftiger Zeit, Göttingen 3 1965, S. 109. Vgl. M. Heidegger/K. Jaspers, Briefwechsel 1920-1963, Frankfurt a.M./München/ Zürich 1990, S.43. Vgl. H . - G . Gadamer, Philosophische Lehrjahre, Frankfurt a.M. ^995, S.214. Vgl. ebd. Vgl. R. Mehring, Heideggers Überlieferungsgeschick, Würzburg 1992, S. i o i f . Der entelechische Charakter des Heideggerschen Denkens zeigt sich auch darin, daß in Heideggers Publikationen sowohl kritische Apparate als auch kommentierende Literaturangaben fehlen. Vgl. H . - G . Gadamer, Heidegger und die Sprache der Metaphysik, 1997, S. 257. Vgl. H . - G . Gadamer, Philosophische Lehrjahre, Würzburg 1992, S. 214.
362
an d e m d e r P h i l o s o p h mit der geistigen G e b ä r d e des radikalen Sokratismus seine Schüler in seinen G e d a n k e n k o n t e x t hineinziehen will, u m sie als B o t s c h a f t e r seiner P h i l o s o p h i e schließlich w i e d e r zu entlassen. D i e s e m pädagogischen E r o s ist H e i d e g g e r zeit seines Lebens treu geblieben, so daß sein Schüler und Vertrauter H e i n r i c h W. Petzet in seinen E r i n n e r u n g e n noch J a h r z e h n t e später feststellte: Denn ein weltveränderndes Denken wie das seine sucht und findet seinen Saatboden allererst in der Jugend. 201
4.3
Elemente hermeneutischer Kohärenz zwischen Heidegger und Hellingrath
D i e F r a g e nach E i n f l ü s s e n aus dem U m f e l d des G e o r g e - K r e i s e s auf Heideggers L e k t ü r e v o n D i c h t u n g f ü h r t beinahe z w a n g s l ä u f i g zu N o r b e r t v o n Hellingrath, d e m begabten Literaturwissenschaftler u n d »Hölderlin-Enthusiasten«. 1 0 2 Hellingrath, als P h i l o l o g e heute fast vergessen, k o m m t f ü r die Wiederentdekk u n g d e r D i c h t u n g H ö l d e r l i n s und die daran a n k n ü p f e n d e neuere H ö l d e r l i n R e z e p t i o n eine Schlüsselrolle zu: E r gewinnt die D i c h t u n g H ö l d e r l i n s f ü r die ästhetische W ü r d i g u n g z u r ü c k , indem er ihre sprachlich-stilistische und intellektuelle Eigenständigkeit betont, die späten G e d i c h t e entgegen der M e i n u n g der zeitgenössischen L i t e r a t u r f o r s c h u n g als künstlerischen G i p f e l p u n k t des Werkes a u f f a ß t u n d bei der Erstellung der ersten historisch-kritischen G e s a m t ausgabe der Werke H ö l d e r l i n s bedeutende editionsphilologische Pionierarbeit leistet. 2 0 3 D i e s e unstrittigen Verdienste Hellingraths u m das Werk H ö l d e r l i n s dürfen den rezeptionsgeschichtlichen B l i c k w i n k e l jedoch nicht verengen. D i e neuere H ö l d e r l i n - R e n a i s s a n c e im 20. J a h r h u n d e r t ist nicht m o n o k a u s a l auf die singuläre L e i s t u n g einer genialen Forscherpersönlichkeit z u r ü c k z u f ü h r e n , sondern hatte in d e m tiefgreifenden Einstellungswandel im kulturellen u n d intellektuellen K l i m a u m die J a h r h u n d e r t w e n d e ihre spezifischen u n d begünstigenden U r sachen. 2 0 4 I m Zeichen einer v o n N i e t z s c h e inspirierten konservativen Kulturrev o l u t i o n w u r d e n die theoretischen A n s ä t z e des Positivismus in der Literaturw i s s e n s c h a f t z u n e h m e n d als entseelt und mechanistisch diskreditiert. G l e i c h 201
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H.W. Petzet, Auf einen Stern zugehen. Begegnungen und Gespräche mit Martin Heidegger 1929-1976, Frankfurt a.M. 1983, S. 58. Vgl. K. Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, S.156. Vgl. in diesem Zusammenhang die rezeptionsgeschichtliche Studie von Henning Bothe, »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«. Die Rezeption Hölderlins von ihren Anfängen bis zu Stefan George, Stuttgart 1992, S. 15; 7jf.; 96-114. Vgl. ebd., S.76.
363
zeitig versuchte die geistesgeschichtliche Schule, mit d e m v o n D i l t h e y f o r m u lierten Postulat des Erlebnischarakters v o n D i c h t u n g u n d mit H i l f e seiner E i n f ü h l u n g s h e r m e n e u t i k die noch vorherrschenden literaturtheoretischen Setzungen des Positivismus hinter sich z u lassen. 2 " 5 Hellingraths E n g a g e m e n t für den »Wahnsinnsdichter« H ö l d e r l i n erscheint v o r diesem H i n t e r g r u n d nicht als voraussetzungslose Pioniertat, sondern v o l l zieht sich in einem G e s a m t g e f ü g e , das durch neue Theorieansätze eine Bereicherung und tiefgreifende U m s t r u k t u r i e r u n g erfuhr. Sein Interesse an H ö l d e r lin kann als s y m p t o m a t i s c h e r E i n s p r u c h gegen die Vorherrschaft der positivistischen D e n k r i c h t u n g u n d als gezielte, fast brutale P r o v o k a t i o n der etablierten universitären Literaturwissenschaft betrachtet w e r d e n , die nach seiner U b e r zeugung einem falschen Hölderlinbild nachhing. 2 0 6 Hellingrath bezeichnet seine Dissertation 2 0 7 ü b e r Hölderlins P i n d a r - Ü b e r t r a g u n g e n deshalb als » H u n neneinbruch in die civilisirte literarhistorie« 2 0 8 - hinter dieser F o r m u l i e r u n g steht w o h l m e h r als bloße Selbstironie. Einen konkreten H i n w e i s darauf, daß diese A r b e i t v o n den Fachgenossen als Z u m u t u n g , ja B e d r o h u n g e m p f u n d e n w u r d e , ist die beißende Kritik, die Hellingraths Dissertationsprojekt i m F a k u l tätsrat der U n i v e r s i t ä t M ü n c h e n entgegenschlägt mit der B e g r ü n d u n g , »die D i c h t u n g e n eines Verrückten seien kein T h e m a f ü r eine wissenschaftliche A r beit, und w e r sie d o c h versuche, u m dessen eigenen Verstand d ü r f e man besorgt sein«. 2 0 ' Hellingraths Forschungsarbeit kann als R e a k t i o n auf die positivistische Pathographie z u B e g i n n des 20. Jahrhunderts gesehen w e r d e n , der es w e sentlich n u r d a r u m ging, »von möglichst vielen und verschiedenen G e s i c h t s -
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Vgl. S. Wackwitz, Friedrich Hölderlin, Stuttgart 1985, S. 142f. Vgl. zu diesem Konflikt auch H. Kaulen, Der unbestechliche Philologe. Zum Gedächtnis Norbert von Hellingraths (1888-1916), 1990/91, S.20if. Bothe spricht treffend von der »philologischen Antiphilologie« Hellingraths. Vgl. H. Bothe, »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«, Stuttgart 1992, S. 101. Auch die Hölderlin-Ausgabe Hellingraths findet in der Fachwelt eine zwiespältige Aufnahme, Hellingrath selbst ahnt, daß sie den »Nimbus strenger Wissenschaftlichkeit« zerstören wird. Vgl. N . v. Hellingrath, Hölderlin-Vermächtnis, München 2 1944, S. 247. Hölderlins späte Pindar-Übertragungen sind der Gegenstand von Hellingraths Münchener Dissertation >Pindarübertragungen von Hölderlin. Prolegomena zu einer Erstausgabe^ die 1 9 1 1 in Jena bei dem »modernen« Verlag Diederichs veröffentlicht wird. Die Pindar-Übersetzungen erscheinen 1910 zunächst im Verlag der >Blätter für die KunstHyperion< formuliert er das gegen die Intuitionshermeneutik gerichtete Ziel, »Hölderlins Abhängigkeit von der Philosophie seiner Zeit hervorzuheben, selbst auf die Gefahr hin, im Vergleich zu dem feinfühligen Denker Dilthey als der verständnislos zutappende Rationalist zu erscheinen«. Vgl. F. Zinkernagel, Die Entwicklungsgeschichte von Hölderlins Hyperion, Straßburg 1907, S.XIII. Vgl. zum innerwissenschaftlichen Hintergrund der Konkurrenzsituation zwischen Zinkernagel und Hellingrath auch H. Bothe, »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«, Stuttgart 1991, S. 63-73. Vgl. F. v.d. Leyen, Norbert von Hellingrath und Hölderlins Wiederkehr, 1958/60, S.jf. Vgl. hierzu E. Salin, Um Stefan George, Godesberg 1948, S. i49ff. Vgl. auch R . Boehringer, Mein Bild von Stefan George, München/Düsseldorf 1951, S. 1 4 1 .
365
Werke H ö l d e r l i n s in akademisch-intellektuellen Kreisen. A u f dieser rezeptionsgeschichtlichen E b e n e ergibt sich ein erster B e r ü h r u n g s p u n k t z w i s c h e n H e i d e g g e r u n d N o r b e r t v o n Hellingrath: So erklärt H e i d e g g e r in einem seiner G e o r g e - V o r t r ä g e , die Veröffentlichung der P i n d a r - U b e r t r a g u n g e n u n d der späten H y m n e n H ö l d e r l i n s hätten auf ihn als Student »wie ein E r d b e b e n « gew i r k t . 2 ' 5 V o n diesem Z e i t p u n k t an scheint Heideggers Auseinandersetzung mit D i c h t u n g eng mit N o r b e r t von Hellingrath v e r b u n d e n geblieben zu sein. H e l lingrath, dessen » f o r s c h e n d e B e m ü h u n g e n um das Werk H ö l d e r l i n s ... auf einem dichterischen B e z u g zum Dichter [ruhten]« 2 ' 6 , w i r d f ü r H e i d e g g e r z u r maßgeblichen G r ö ß e seines Hölderlinbildes, seine w e n i g e n Schriften bilden den inspirierenden F u n d u s vieler poetologischer u n d hermeneutischer Positionen des D e n k e r s . I m folgenden soll der hermeneutische Z u g a n g Heideggers v o r dem H i n t e r g r u n d seiner Rezeption der Hellingrathschen Vorträge H ö l derlin und die D e u t s c h e m und >Hölderlins Wahnsinn< etwas deutlicher w e r den. H e i d e g g e r v e r w e n d e t in seiner Beschäftigung mit H ö l d e r l i n vorrangig die v o n Hellingrath b e g o n n e n e und f ü r die F o r s c h u n g lange Z e i t auch maßgebliche G e s a m t a u s g a b e . N o c h in einem Brief an H a n n a h A r e n d t b e z w e i f e l t er, daß die G r o ß e Stuttgarter A u s g a b e der Werke H ö l d e r l i n s ü b e r die historisch-kritische A u s g a b e Hellingraths hinausreichen könne. 2 1 7 E r schätzt Hellingrath jedoch weniger a u f g r u n d seiner editionsphilologischen Leistungen, sondern sieht ihn in erster L i n i e als K ü n s t l e r : In seinen einleitenden B e m e r k u n g e n z u r ersten H ö l d e r l i n - V o r l e s u n g bezeichnet H e i d e g g e r Hellingrath als den » S c h ö p f e r « der maßgeblichen H ö l d e r l i n - A u s g a b e . 2 1 8 D e r nach dem V o r b i l d G e o r g e s g e w o n nene pädagogische E r o s scheint erneut auf, w e n n H e i d e g g e r Hellingrath als den v o r V e r d u n G e f a l l e n e n dem Gedächtnis der deutschen J u g e n d empfiehlt eine A u s z e i c h n u n g , deren idolatrische Z ü g e d e m G e i s t der Zeit entsprechen und die mit d e r A n s p i e l u n g auf den soldatischen H e l d e n t o d w o h l eine politisch-pädagogische V o r b i l d f u n k t i o n aktivieren soll. 2 ' 9 A u s diesem G r u n d ist auch die W i d m u n g » N o r b e r t v o n Hellingrath / gefallen a m 14. D e z e m b e r 1 9 1 6 zum Gedächtnis«, die H e i d e g g e r seinem A u f s a t z >Hölderlin u n d das Wesen der Dichtung< voranstellt, w o h l ernster zu nehmen, als die F o r s c h u n g dies bislang getan hat. 2 2 0 Schlüssig begründen lassen sich v o r dem H i n t e r g r u n d der biographischen u n d historischen Ergebnisse, z u denen
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217 2.8 2.9 220
Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, "1997, S. 182. Vgl. M. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, G A Bd. 13, Frankfurt a.M. 1983, S.214. Vgl. H. Arendt/M. Heidegger, Briefe, Frankfurt a.M. 1998, S. 132. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 9. Vgl. ebd. Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.33.
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C l a u d i a A l b e r t im H i n b l i c k auf N o r b e r t v o n Hellingrath gelangt ist 2 2 1 , drei Interpretationsmöglichkeiten. D i e Widmung H e i d e g g e r s gilt dann 1. d e m B e g r ü n d e r einer historisch-kritischen A u s g a b e v o n H ö l d e r l i n s Werken, 2. d e m K r i e g s f r e i w i l l i g e n , der mit seinem T o d v o r Verdun 1 9 1 6 v o n der nationalsozialistischen P r o p a g a n d a als Beispiel soldatisch-heldischen O p f e r s f ü r das Vaterland gefeiert w u r d e , 3. d e m G e o r g e j ü n g e r , der noch an der Westfront H ö l d e r l i n s Ideal einer Einheit v o n D i c h t u n g u n d L e b e n repräsentieren w o l l t e . Wahrscheinlich t r e f f e n alle drei D e u t u n g e n auf ihre Weise zu. A u f s c h l u ß r e i c h f ü r d e n E i n f l u ß der zeitgenössischen H ö l d e r l i n - R e z e p t i o n auf Heideggers H ö l d e r l i n - L e k t ü r e ist aber v o r allem, daß das in der H ö l d e r l i n - F o r s c h u n g seit den z w a n z i g e r J a h r e n virulente weltanschauliche Verfahren der ästhetischen Stilisierung Hellingraths z u »Hölderlins Ideal-Ich«, in d e m eine ultimative E i n h e i t v o n D i c h t u n g und Politik gesehen w i r d , auch bei H e i d e g g e r seine volle W i r k s a m k e i t entfaltet. 2 2 2 D i e v o r allem in den K r e i s e n national-konservativer Intellektueller vorherrschende hagiographe Verehrung Hellingraths, die sich später die nationalsozialistische Propaganda f ü r politische Z w e c k e zunutzemacht 2 2 3 , zeichnet sich bei H e i d e g g e r deutlich ab: So gedenkt er noch mitten im Z w e i t e n Weltkrieg in seiner Vorlesung über H ö l d e r l i n s H y m n e >Andenken< des tapferen Frontsoldaten, der »in der vordersten Linie v o r Verdun gefallen ist«. 2 2 4 D o c h es gibt n o c h weitere H i n w e i s e auf die geistige N ä h e H e i d e g g e r s zu Hellingrath. D e u t l i c h benachbart sind H e i d e g g e r und Hellingrath auch in der sprachchauvinistischen A u f f a s s u n g , daß allein das D e u t s c h e d e m Griechischen in seiner dichterischen Qualität ebenbürtig sei. Hellingrath schreibt in seiner Dissertation über das Deutsche: ... es kann unendlich viel / wenn es nur wagt es wäre kein ende zu finden mit reden zu welcher fremdartigen grösze seine spräche zu heben so die griechen Hölderlin er-
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Vgl. C. Albert (Hg.), Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus, Stuttgart/Weimar 1994, S. i Andenkens G A Bd. 52, Frankfurt a.M. 1982, S.45.
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mutigten und wie diese fremdartige grösze doch aus dem tiefsten geist der deutschen spräche stammt. 22 ' In d e m Vortrag >Hölderlin und die Deutschen«, den Hellingrath im K r i e g s j a h r 1 9 1 5 im R a h m e n der »Kriegshilfe f ü r geistige B e r u f e « 2 2 6 w ä h r e n d eines G e n e sungsaufenthaltes in M ü n c h e n hält, heißt es: ... daß heute allein von allen die deutsche Sprache den Alten sich vergleichen darf an Wucht, Nüchternheit und heiligem Pathos, unmittelbarem Bild, Ton, Stoß, Sprachewerden des Geschauten ... ( - und was wäre sonst Aufgabe der deutschen Sprache, die an leichter, geselliger Bestimmtheit, anmutiger Beweglichkeit und an Süßigkeit des Klanges nie den romanischen Schwestern gleichkommen wird?) 227 F ü r H e i d e g g e r zählt die durch Hellingrath mitgeprägte A u f f a s s u n g v o n der besonderen philosophischen Dignität der deutschen Sprache gleichfalls z u m unverzichtbaren Ideeninventar seines D e n k e n s . D a s w i r d im »Spiegel-Interview« besonders deutlich: D o r t spricht H e i d e g g e r nicht nur v o n der n o t w e n d i g e n N e u a n e i g n u n g der philosophischen U b e r l i e f e r u n g , sondern hebt die besondere A u f g a b e u n d E i g n u n g der Deutschen im H i n b l i c k auf die innere U b e r e i n stimmung ihrer Sprache mit dem Griechischen hervor: Ich denke an die besondere innere Verwandtschaft der deutschen Sprache mit der Sprache der Griechen und deren Denken. Das bestätigen mir heute immer wieder die Franzosen. Wenn sie zu denken anfangen, sprechen sie deutsch; sie versichern, sie kämen mit ihrer Sprache nicht durch. 228 E s ist nicht zu übersehen, daß s o w o h l Hellingraths als auch H e i d e g g e r s D e n ken stark v o n sprachchauvinistischen U b e r z e u g u n g e n geprägt ist. D a s ernste und tiefsinnige, v o n den Griechen geerbte G e s c h ä f t des D e n k e n s w i r d bei beiden z u r eigentlichen B e r u f u n g der Deutschen hochstilisiert, die d a z u kraft sprachlicher V e r w a n d t s c h a f t in besonderer Weise geeignet sind. E i n m a l m e h r w i r d Sprache damit mißbraucht als Legitimationsgrundlage hermeneutischer H o h e i t im R e i c h e des Geistigen. N e b e n diesen eher allgemeinen Analogien lassen sich weitere Ähnlichkeiten zwischen H e i d e g g e r s Z u g r i f f auf poetische Werke und den v o n Hellingrath verfaßten exegetischen Beiträgen feststellen. H e i d e g g e r selbst hat auf die exegetische B e d e u t u n g Hellingraths f ü r seine Erläuterungen mit u n g e w ö h n l i c h e r Deutlichkeit hingewiesen:
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N . v. Hellingrath, Pindarübertragungen von Hölderlin. Prolegomena zu einer Erstausgabe, Jena 19x1, S. 8; 36. Vgl. N. v. Hellingrath, Hölderlin-Vermächtnis, München 2 1944, S. 246. N . v. Hellingrath, Hölderlin. Zwei Vorträge. Hölderlin und die Deutschen. Hölderlins Wahnsinn, München 1921, S. 22. Vgl. G. Neske/E. Kettering (Hgg.), Antwort. Martin Heidegger im Gespräch, Pfullingen 1988, S. io/{.
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Bei Immanuel Kant steht irgendwo dem Sinne nach folgende Bemerkung: Es ist leicht etwas zu entdecken, nachdem einem gezeigt worden wohin man sehen soll. Ein Zeigender solcher Art bleibt für uns alle im Hinblick auf Hölderlin Norbert v. Hellingrath ... 22 9
Heidegger unterstreicht, daß er seine Deutungsperspektive anhand der exegetischen Ansätze Hellingraths entfalten willl. U m so überraschender ist, daß der hermeneutische Einfluß Hellingraths auf Heidegger von der Forschung bisher nur am Rande wahrgenommen worden ist. Erste explizite Hinweise auf die Relevanz der Hellingrathschen Deutungsmuster für die Hölderlinlektüre Heideggers verdanken sich seit kurzem Henning Bothes kenntnisreicher Studie zur Hölderlin-Rezeption. Bothe geht davon aus, daß die gesamte Geschichte der Hölderlin-Rezeption maßgeblich bewegt und bestimmt ist von dem Konflikt zwischen den Diskursen Poesie und Philosophie. 230 Daraus leitet er die These ab, daß »Heidegger durch Rezeption der Rezeption zu seinem Hölderlinbild gelangte, wobei es wesentlich George, Hellingrath und ihre Nachfolger waren, auf die er sich stützte«. 23 ' Eine wesentliche Analogie zwischen Heidegger, George und Hellingrath ist nach Bothe dabei in dem Hölderlinbild zu sehen, das den Mittelpunkt ihrer Deutungen bildet: Hölderlin wird von Heidegger als »Dichter des Dichters« bestimmt, weil er nach der Aufassung Hellingraths und Georges das Selbstverständnis des Dichters reflektiert. 232 Die hermeneutische Kohärenz zwischen Hellingrath und Heidegger erstreckt sich jedoch nicht nur auf gemeinsame Züge im Dichterbild, sondern betrifft im Kern den Gesamtblick auf das Verhältnis von Leben und Werk, aus dem jede Interpretation schließlich hervorgeht. Anders formuliert: Der ästhetische Gegenstand wird im hermeneutischen Geschäft immer durch eine determinierende Optik betrachtet, deren Linsen nach allgemeinem wissenschaftlichen Verständnis nicht ohne Subjektivität und Relativität geschliffen werden können. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß auch Hellingraths Engagement für den verkannten und im Prinzip vergessenen Dichter Hölderlin weder einer editorischen Berufung noch ausschließlich philologischem Altruismus entsprang. Wie Bothe hervorgehoben hat, ging es Hellingrath bei seinen Hölderlinstudien weniger »um die Rehabilitierung der künstlerischen Leistungen eines singulären Autors«, sondern um die »Durchsetzung des ästhetischen Prinzips«. 2 3 3 An diesem, von einer Ideologie der Unmittelbarkeit geformten äs229
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M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd. 4, Frankfurt a.M. 1981, S. 152. Paul Hoffmann sieht in dieser Bemerkung Heideggers »das zentrale Motto für eine angemessene Wertung Hellingraths«, dessen Verdienst es bleibe, auf das Wesentliche gezeigt zu haben. Vgl. P. Hoffmann, Hellingraths »dichterische Rezeption« Hölderlins, 1995, S. 85. Vgl. H. Bothe, »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«, Stuttgart 1992, S. 1 1 . Vgl. ebd., S.209. Vgl. ebd., S.210. Vgl. ebd., S.76. 369
thetischen Prinzip läßt sich sein hermeneutisches Verständnis am deutlichsten ablesen. 2 ' 4 Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß der literaturwissenschaftliche Positivismus nach Hellingraths Auffassung im Hinblick auf Hölderlin versagt hat. Das ästhetische Unvermögen des Positivismus, ein sich von N o r m und Konvention lossagendes dichterisches Denken und Sprechen unabhängig von psychopathologischen Kategorien zu erfassen, ebnet damit der antihistorischen Hermeneutik Hellingraths den Weg.235 Hölderlins poetischer Sprache kann durch die Ausklammerung des geschichtlichen Kontextes ein einzigartiger historischer Rang zugewiesen werden: ... zum ersten Male in Deutschland wagt sich Dichtersprache so unverstellt vor . . . 2 ! 6
Andererseits tritt an die freiwerdende Stelle historischer Einordnung und Beurteilung nun ein hermeneutischer Unmittelbarkeitsanspruch, dessen pathetischer Stil sich in Hellingraths Hölderlin-Vorträgen besonders deutlich manifestiert. Voraussetzung dieses Anspruchs auf Unmittelbarkeit ist die Auffassung, das sich Leben und Werk Hölderlins untrennbar durchdringen. Hellingrath begreift Hölderlin in einer hermeneutisch-identifikatorischen Lesart als eine literarische Einheit, in der das Werk zugleich das Leben verkörpert. So heißt es bereits im ersten Satz des Vortrags >Hölderlins Wahnsinne Wenn ich von Hölderlins Leben Ihnen sprechen will, so ist das nichts anderes, als wenn ich von seinem Werke rede. E s gibt da nichts Doppeltes und Trennbares. 2 3 7
Dem hermeneutischen Ansatz, Werk und Leben als eine untrennbare Einheit aufzufassen, folgen auch die Hölderlin-Deutungen Heideggers: Bei keinem Dichter ist das geschichtliche Dasein, die N o t des Schaffens und das G e schick seines Werkes so innig eines wie f ü r Hölderlin. 2 3 8
Die noch bei Heidegger nachwirkende methodische Ineinssetzung von Leben und Werk wird von Hellingrath in seine hermeneutische Perspektive eingespiegelt. Hellingrath geht es nicht um die dissoziierende Erklärung oder analytische Aufhellung von Dichtung, sondern um die unmittelbare Begegnung mit dem poetischen Werk und um Anverwandlung. Er will Hölderlin »ins Leben weiter hereinreißen«. 239 Dazu prägt er eine Hermeneutik im Stil der Unmittelbarkeit, in der sich die philologische Deutung zu einer Offenbarung aufgipfelt, »vor der die geschichtlichen Horizonte zu einer Zeit verschmelzen«. 240 Den 2,4
Vgl. ebd., S . i o i f f . » Vgl. ebd., S.72. 236 Vgl. N . v. Hellingrath, Hölderlin. Z w e i Vorträge, München 1 9 2 1 , S. 62. 237 Ebd., S . 5 1 . 238 M . Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S.6. 2J ' Vgl. N . v. Hellingrath, Hölderlin-Vermächtnis, München "1944, S. 259. 240 Vgl. H . Bothe, »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«, Stuttgart 1992, S. 103. 2
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Eindruck der Ahistorizität erhöht Hellingrath in seinen Vorträgen noch dadurch, daß er eine Reihe von Zitaten aus den Gedichten Hölderlins aus ihren Kontexten löst und sie fragmentartig präsentiert - eine Technik, die Heidegger in seinem Romvortrag in Form einzelner »Leitworte« aufgreift und noch radikalisiert. Kritisch geht Hellingrath auch mit der vorherrschenden Lektüre- und Interpretationspraxis und den daraus resultierenden Fehlverständnissen von Hölderlins Werk ins Gericht. In dem Vortrag >Hölderlin und die Deutschen* heißt es: Wenn die Deutschen die größten Dichter der letzten zwei Jahrhunderte erzeugt haben, so sind sie dafür die schlechtesten Leser dieser Dichter, immer geneigt, das Gedicht mit seinem Stoff oder seinen Gedanken zu verwechseln ... 2 4 '
Im Vordergrund jeder Rezeption der Gedichte Hölderlins soll nach Hellingraths Auffassung nicht das historische, durch Faktenwissen angereicherte Interesse, sondern der »Eindruck von der sprachlichen und bildnerischen Gestaltungskraft« stehen. 242 Hellingrath wendet sich gegen das Zergliedern und gegen die Detailanalyse von dichterischen Kompositionen, weil Poesie in Gestalt der Kunst nach seiner lebensphilosophisch unterströmten Uberzeugung »Sinn des Lebens als seine eigenste und festlichste Form« ist. 243 Diese Uberzeugung bildet das Antriebsmoment seiner hermeneutischen Vorgehensweise und zeitigt rezeptionspragmatische Konsequenzen. So appelliert Hellingrath an die Hörer seiner Vorträge, den hermeneutischen Abstand zwischen Leser und Werk in einer vergegenwärtigenden und unmittelbaren Begegnung mit dem Dichter aufzuheben: Ich bitte Sie, versetzen Sie sich lebhaft in den Gedanken: Hölderlin stünde jetzt, eben auf der Stelle, bis zu der wir sein Leben begleitet haben, und Sie, jeder von Ihnen, hätte sein Los zu bestimmen ... 2 4 4
Es ist unschwer zu erkennen, daß hinter dem pathetischen Plädoyer für die Aufhebung der Differenz zwischen Leser, Autor und Werk der Diltheysche Erlebnis- bzw. Lebensbegriff und die Maximen des Intuitionismus stehen. Der empathische Habitus steht im Dienste eines auf die unmittelbare Kommunikation ausgerichteten ästhetischen Prinzips, das gegen die rationale Nüchternheit der wissenschaftlichen Analyse in Stellung gebracht wird. U m diesem ästhetischen Prinzip zu genügen, arbeitet Hellingraths Hermeneutik mit einer doppelten Identifikationsmechanik: Zum einen soll Hölderlin mit seinem Werk identifiziert werden, zum anderen sollen sich aber auch die Leser wiederum
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N . v. Hellingrath, Hölderlin. Zwei Vorträge, München 1 9 2 1 , S. 2zf. Vgl. ebd., S. 23. N . v. Hellingrath, Pindar-Ubertragungen von Hölderlin, Jena 1 9 1 1 , S. 48L N . v. Hellingrath, Hölderlin. Zwei Vorträge, München 1921, S. /o{.
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vorbehaltlos mit Hölderlin identifizieren können. Bothe hat in dieser Ideologie der hermeneutischen Unmittelbarkeit deshalb einen Interpretationsstil gesehen, der »ohne sezierende Eingriffe Hölderlin mit Hölderlin erklärt« und auf explizierende Begriffe, die den Zusammenhang des Werkes zerreißen, verzichtet. 245 Der Nachhall des Hellingrathschen Affektes gegen den unter Positivismusverdacht gestellten analytischen Zugriff auf Dichtung ist in Heideggers Hermeneutik noch deutlich zu vernehmen: A b e r - das fleißigste Zusammentragen und Verrechnen der Umstände, Einflüsse, Vorbilder und Regeln, w o d u r c h die Entstehung einer Dichtung verursacht w i r d , hilft uns nichts, w e n n nicht z u v o r die Dichtung selbst und das dichterische Dasein des D i c h ters in ihr und f ü r sie v o n G r u n d aus begriffen s i n d . 2 4 i
Nach dem hermeneutischen Konzept seines Vorbilds Hellingrath begreift auch Heidegger Dichtung und Dasein als untrennbare Einheit, die als solche die nichthintergehbare Voraussetzung aller Interpretationen bildet und von außerliterarischen und realhistorischen Bedingungen unbeeinflußt bleiben soll. In den einleitenden Bemerkungen zur >AndenkenMnemosyne< an. V g l . H . B o t h e , »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«, Stuttgart 1992, S. i o j f .
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M . Heidegger, Hölderlins H y m n e n , G A B d . 39, F r a n k f u r t a . M . 1980, S . 7 . M . Heidegger, >Andenkenreinem Dastehen* und >eigenem Gesetz< unterstellen und so die Differenz zwischen Text und Deutung unsichtbar machen will«. 24 ' Aus dieser gemeinsamen hermeneutischen Perspektive, die die Grenzmauern zwischen Deutung und Aneignung beseitigen will, kann Heidegger in Hellingrath deshalb den IdealInterpreten, der »durch sein Werk endgültig in den Bereich Hölderlins übernommen« ist, erkennen. 2 ' 0 Zum Schluß sollen kurz einige weitere Analogien zwischen Heidegger und Hellingrath aufgezeigt werden, mit denen die Kohärenz ihrer hermeneutischen Grundannahmen weiter illustriert werden kann. Hellingraths Verdienste für die Hölderlin-Rezeption liegen nach heutiger Auffassung weniger in seinen hermeneutischen Leistungen, sondern vor allem darin, daß er die spezifische poetische Modernität des späten Werkes erkannt hat und es damit von der präjudizierenden Optik des medizinischen Interesses an einem »Fall Hölderlin« befreit hat. Auch wenn diese Erkenntnis im wesentlichen einer Absetzbewegung vom positivistischen Pathographismus geschuldet ist, so gewinnt sie für die Hölderlin-Rezeption des 20. Jahrhunderts doch eine entscheidende Bedeutung. Die Umnachtung gilt nicht mehr als psychische Erkrankung, sondern verselbständigt sich zum Ausweis einer außerordentlichen künstlerischen Sensitivität, die Hölderlin in die Nähe des Numinosen bringt. Der Wahnsinn Hölderlins erklimmt auf der Rezeptionsskala der Literaturwissenschaft des frühen
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245 2,0
Vgl. C. Albert (Hg.), Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus, Stuttgart/Weimar 1994, S. 200. Vgl. ebd., S . 2 1 1 . Vgl. M. Heidegger, >AndenkenAndenken< fordert Heidegger daher explizit eine Verabschiedung der positivistisch-historischen Deutungsmodelle: Schrittweise müssen wir uns von der psychologisch-biographischen Erklärungssucht freimachen. 2 ' 5
Damit ist die theoretische Grundstellung für eine Hypostasierung der Dichtung Hölderlins erreicht, die Heidegger nach dem Vorbild Hellingraths konstruiert. Abseits der biographischen Faktenlage wird unter der vagen Berufung auf das transhistorisch Außerordentliche ein Interpretationsraum geöffnet, der Hölderlin seinen realhistorischen Lebensumständen entrückt und ihn zu einer
2,1 252 253 254 255
Vgl. J . Link, Hölderlin - oder eine Kanonisierung ohne Ort?, 1998, S. 384. N . v. Hellingrath, Hölderlin. Zwei Vorträge, München 1921, S. 52. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 3 5. Ebd., S.7. M. Heidegger, >AndenkenDer Dichter als Führer in der deutschen Klassik< (1928) Hölderlin auf die Ebene einer »neue[n] Höhe zwischen Göttern und Menschen, in der er wandelt und von der er zeugt«.266 Ahnlich wie Hellingrath sieht auch Kommereil Hölderlin »einsam in die Weltnacht verstoßen« und schreibt ihm den Auftrag zu, »das Göttliche unermüdlich herabzusingen und es zu retten über die Frist dieser Nacht hinweg«. 267 Damit rückt nach Norbert von Hellingrath ein zweiter Protagonist der Literaturwissenschaft des George-Kreises in das Blickfeld der Untersuchung philologischer Einflüsse auf Heideggers Deutung von Dichtung.
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263 264 265 266
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M . Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 219. Vgl. auch ders., Beiträge, G A Bd. 6$, Frankfurt a.M. 1989, S. 204. Vgl. N . v. Hellingrath, Hölderlin. Zwei Vorträge, München 1 9 2 1 , S. 129. M . Heidegger, Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S.47. Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 319. Vgl. M. Kommereil, Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik. Goethe, Schiller, Jean Paul, Hölderlin, Berlin 1928, S.458. Vgl. ebd., S.452.
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4-4 Die Disziplinierung durch Dichtung Heidegger und Kommereil J'aime l'art comme pouvoir. Stefan George D i e V e r b i n d u n g v o n D i c h t u n g u n d Politik zieht sich als roter F a d e n d u r c h die Literaturgeschichte. Sie kann zugleich als eine der hervorstechenden ideengeschichtlichen L e i t f u n k t i o n e n der literarischen M o d e r n e betrachtet w e r d e n . D e r S o z i o l o g e u n d K u l t u r p h i l o s o p h G e o r g Simmel, dessen D e n k e n den kulturellen E r f a h r u n g e n u n d ästhetischen E r s c h e i n u n g s f o r m e n der M o d e r n i t ä t in besonderer Weise verpflichtet w a r und dessen Ideen in den ersten J a h r z e h n t e n des 20.Jahrhunderts eine weitreichende, wenngleich auch häufig a p o k r y p h e A n e i g n u n g erfuhren 2 6 8 , hat den Z u s a m m e n h a n g zwischen Politik u n d m o d e r ner L y r i k in seinem A u f s a t z >Stefan G e o r g e . E i n e kunstphilosophische B e trachtung« ( 1 8 9 8 ) erstaunlich f r ü h formuliert. Simmel weist hier darauf hin, daß die L y r i k v o n G e o r g e nicht mehr reines Mittel des G e f ü h l s a u s d r u c k s ist, sondern »das G e f ü h l zu einem Mittel f ü r den K u n s t z w e c k « u m k e h r t . 2 6 ' D i e K u n s t löst sich » v o n allen subjektiv-natürlichen G e f ü h l s r e f l e x e n « 2 7 0 u n d schüttelt alle individuellen Eigenarten ab, u m als das »Ueber-Subjektive« völlig in der » K u n s t f o r m « a u f z u g e h e n . 2 7 ' D i e L y r i k gelangt auf diesem Wege in das m o d e r ne Stadium des l'art p o u r l'art: Sie kann nun in der »Alleinherrschaft des K u n s t gefühles« zu einer souveränen M a c h t heranwachsen, in der sich »die H e r r s c h a f t des Poeten über die Welt vollendet«. 2 7 2 In Simmeis A u f s a t z sind mit der Entpersonalisierung und der E r m ä c h t i g u n g v o n K u n s t in der M o d e r n e bereits die beiden T h e o r e m e angesprochen, die als E c k p u n k t e v o n Heideggers und G e o r g e s ästhetischen U b e r z e u g u n g e n z u sehen sind. Simmeis G e o r g e - A u f s a t z sanktioniert nicht allein eine allgemeine sinnstiftende F u n k t i o n v o n D i c h t u n g , sondern artikuliert die machtpolitische Ü b e r h ö h u n g des D i c h t e r b e r u f s z u einer » H e r r s c h a f t des Poeten«. D a s politische Sinnpotential v o n D i c h t u n g erhält durch die Kategorie der D i c h t e r h e r r schaft seine theoretische K o n t u r . D i e in die politische Praxis w e i s e n d e F r a g e nach Sinn und M ö g l i c h k e i t dichterischer A u t o r i t ä t in einer als geistfeindlich und w e r t l o s erfahrenen, »entgötterten« Welt kann nach Simmeis theoretischer 168
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Deutlichen Aufschluß darüber gibt die Selbstwahrnehmung Simmeis: »Ich weiß, daß ich ohne geistigen Erben sterben werde (und es ist gut so). Meine Hinterlassenschaft ist wie eine in barem Gelde, das an viele Erben verteilt wird, und jeder setzt sein Teil in irgendeinen Erwerb um...«. Vgl. G . Simmel, Fragmente und Aufsätze aus dem Nachlaß und Veröffentlichungen der letzten Jahre, München 1923, S. 1. Vgl. G. Simmel, Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung, 1992, S. 290. Vgl. ebd., S.293. Vgl. ebd., S.29of. Vgl. ebd., S. 291; 293. 377
V o r a r b e i t v o n G e o r g e u n d schließlich auch v o n H e i d e g g e r a u f g e g r i f f e n , ausgearbeitet u n d v e r s c h ä r f t w e r d e n . 2 7 3 So m ü n d e t die S u c h e nach einer gültigen A n t w o r t auf die F r a g e n a c h der politischen A u f g a b e v o n D i c h t u n g bei G e o r g e u n d H e i d e g g e r gleichermaßen in einem ästhetischen » F u n d a m e n t a l i s m u s der W e l t b e h e r r s c h u n g « , der die D i c h t u n g als M a c h t f a k t o r b e g r e i f t u n d dessen charismatisches L e i t b i l d der D i c h t e r als F ü h r e r ist. 2 7 4 I n der v o r l i e g e n d e n D a r s t e l l u n g ist bereits deutlich g e w o r d e n , daß der i m G e o r g e - K r e i s h e r r s c h e n d e E r o s d e r P ä d a g o g i k die I d e e eines erzieherischen u n d geistigen F ü h r e r s nachhaltig f ö r d e r t . D a G e o r g e die Idee des D i c h t e r s als F ü h r e r nicht n u r b e s c h r i e b e n , sondern v o r g e l e b t hat, k o n n t e die n a t i o n a l s o z i a listische K u l t u r p o l i t i k aus seiner D i c h t u n g p r o p a g a n d i s t i s c h e Schlüsse ziehen u n d ihr z e i t w e i s e M u s t e r q u a l i t ä t e n attestieren. 2 7 5 D e r F ü h r e r - G e d a n k e des G e o r g e - K r e i s e s hat d a r ü b e r hinaus auch auf H e i d e g g e r s D e n k e n eine deutliche R e z e p t i o n s w i r k u n g ausgeübt - vielleicht v e r d a n k t sich H e i d e g g e r s h y b r i d e Idee, den F ü h r e r f ü h r e n z u k ö n n e n 2 7 6 , s o g a r d i e s e m charismatischen L e i t -
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Wenn Georg Simmel als einer der geistigen Väter der kunstphilosophischen Vision vom Dichter-Führer gelten kann, dann ist der Führergedanke in der literarischen Moderne entstehungsgeschichtlich augenscheinlich eng mit dem politischen Führergedanken verbunden. Eine trennscharfe Differenzierung ist aber nicht möglich, da sich beide Begriffe als historische Parallelbewegungen entwickeln und durchdringen. Im ganzen gilt die lakonische Diagnose Joachim Fests, daß die ersten Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts aus »weit voneinander entfernten Quellen und unterschiedlichsten Motiven auf die Erscheinung des Führers vorbereitet« waren und daß der Führergedanke sowohl aus »dumpfen, emotionaleren Schichten« wie auch aus Poesie und Wissenschaft Zuspruch erfuhr. Vgl. J . C . Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt a.M./ Berlin 1973, S. 160. Sicher hat auch die charismatisch ausgerichtete »Führer«-Idee der Jugendbewegung zur Hochkonjunktur des Führer-Gedankens bei Heidegger und anderen erheblich beigetragen. Hans Blüher, einer der zentralen Ideologen der Jugendbewegung, schafft die theoretischen Voraussetzungen für die Verherrlichung einer Führergestalt: »Führer und Volk sind in dem Einen und Wichtigen unterschieden: daß der Führer des Volkes nicht bedarf, um Führer zu sein, daß aber das Volk nur durch den Führer Volk wird. Die Menge wird erst Volk, wenn sie folgt...«. H . Blüher, Führer und Volk in der Jugendbewegung, Jena 1 9 1 7 , S. 3.
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Zum Begriff des ästhetischen Fundamentalismus und seinen politischen Variationen vgl. S. Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus, Darmstadt 1995, S . 2 1 2 ; 2 2 1 - 2 2 6 . Bodo Würffei hat die epigonale Wirkung Georges auf die NS-Kulturpolitik und die in ihren Diensten stehende Dichtung rezeptionsgeschichtlich skizziert, weist aber auch auf die Wende in der politischen Wertschätzung und die ab 1935 in »radikale Ablehnung« umschlagende Kritik an George hin. Vgl. B. Würffei, Wirkungswille und Prophetie. Studien zu Werk und Wirkung Stefan Georges, Bonn 1978, S. 1 i2f.; 183-198; 262. Dagegen hat Rainer Kolk jüngst nachgewiesen, daß »von einer generellen Distanz aller nationalsozialistischen Institutionen zum George-Kreis nicht die Rede sein kann«. Vgl. R. Kolk, Literarische Gruppenbildung, Tübingen 1998, S. J04ff.
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Vgl. K . Jaspers, Notizen zu Heidegger, München/Zürich 1978, S. 183. Heidegger spricht direkt zu Beginn seiner Rektoratsrede von der »Verpflichtung zur geistigen Führung dieser hohen Schule«. Vgl. M. Heidegger, Reden und andere Zeugnisse, G A
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bild. 277 Die jüngst von Reinhard Mehring in Heideggers Rektoratsrede aufgewiesene Konjunktion von politischem Führungsanspruch und pädagogischer Erbauungsfunktion kann daher nicht nur als Signal des Funktionsverlustes der akademischen Philosophie gesehen werden 278 , sondern zeugt wohl auch von der nachhaltigen Wirkung des Georgeschen Führergedankens auf Heideggers intellektuelle Arbeit. Zugleich finden sich bei Heidegger geistige Dispositionen, die ihn schon früh für die Ideen geistpolitischer Führung und erzieherischer Prägung faszinieren. A m 7. November 1918 schreibt er aus dem Krieg an eine enge Freundin, die Simmel-Schülerin Elisabeth Blochmann: Sicher ist u. unerschütterlich die Forderung an die wahrhaft geistigen Menschen, gerade jetzt nicht schwach zu werden sondern eine entschlossene Führung in die Hand zu nehmen u. das Volk zur Wahrhaftigkeit u. echten Wertschätzung der echten Güter des Daseins zu erziehen. 2 7 '
Schon in dieser Forderung nach Führung und Erziehung stimmt Heidegger Töne an, die auf eine intellektuelle Nähe zu den im George-Kreis herrschenden Gesetzmäßigkeiten eines erzieherischen Künstlertums schließen lassen. Nach Boehringers Zeugnis hat George in der Dichtung eine »Macht, Menschen zu gestalten nach dem Bilde, das er schaute«, gesehen.280 Heideggers Plädoyer für geistige Führung reflektiert also nicht nur die Positionen der zeitgenössischen Zivilisationskritik, sondern verdichtet sich nach dem intellektuellen Vorbild Georges zum nationalpolitischen Pathos einer dichterischen Volks- und Staatsbildung. Auch die in der ersten Hölderlin-Vorlesung beschworene Gründung einer staatlichen Gemeinschaft aus der Dichtung 28 ', die später in den George-
Bd. 16, Frankfurt a.M. 2000, S. 107. Pöggeler sieht hierin weniger den Einfluß des George-Kreises, sondern die »Gedanken der Bewegung, an deren Spitze die Nationalsozialisten nun auch äußerlich in der Regierung der nationalen Koalition standen«. Vgl. O. Pöggeler, Den Führer führen? Heidegger und kein Ende, 198 S. 40. Dagegen kann geltend gemacht werden, daß zu diesem Zeitpunkt der politische Führergedanke mit der Lehre vom »Dichter als Führer« bereits völlig amalgamiert war, und eine Diskussion, welcher Faktor nun stärker auf Heidegger gewirkt habe, daher fruchtlos erscheint. 277
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Auch Max Kommerell, der den Führergedanken im George-Kreis ideologisch weiterentwickelt, zeigt sich zunächst fasziniert von den charismatischen Zügen des Nationalsozialismus. Vgl. S. Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus, Darmstadt 1995, S.236. Heidegger steht damit im schroffen Gegensatz zu Max Weber, der den geistigen A u f trag des akademischen Lehrers vom Führungsanspruch des Kathederpropheten unterscheidet. Vgl. M. Weber, Wissenschaft als Beruf, 1992, S.97; i o i f f . Vgl. auch den instruktiven Aufsatz von R . Mehring, Universitätsidee und Philosophiebegriff bei Max Weber, Karl Jaspers und Martin Heidegger, 1998, S. 373; 379. Martin Heidegger/Elisabeth Blochmann, Briefwechsel 1918-1969, Marbach 1989, S.12. Vgl. R. Boehringer, Mein Bild von Stefan George, München/Düsseldorf 1 9 5 1 , S. 53. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 144.
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Vorträgen durch das Postulat einer Umformung dichterischer Erfahrung zum kollektiven Hör- und Seinserlebnis sublimiert wird 2 8 2 , hat ihren konkreten geistigen Wurzelpunkt in der Georgeschen Konzeption des »Dichter-Staates«, in dem Kunst auch als politische Stiftung begriffen wird. 283 George selbst hat sich als Weg und Ziel einer neuen und exklusiven Staatlichkeit verstanden. In seiner elitären Staatsvision, die sich demokratischen Staatsformen grundsätzlich verweigert 284 , manifestiert sich die Verbindung von Ästhetik und Politik als Spezifikum seines Künstlertums. George schwebte ein Staat mit eigener Gesetzgebung vor, die allein aus der authentischen Kunstanschauung eines Dichter-Führers gewonnen wird. Trat der Dichter zunächst noch mit dem pädagogischen Anspruch auf, in seinem Jüngerkreis Menschen zum »runde[n] Menschtum« zu formen 2 8 ', so stilisierte er sich später zum auratischen Seher und Füher, der ein neues Reich des Geistes und sich selbst als dessen politischen Souverän halluzinierte. Folgende Verse aus >Das neue Reich< belegen diesen dichterischen Führungsanspruch bei der Geburt eines Staates aus dem Geiste der Kunst: Der sprengt die ketten fegt auf trümmerstätten/ Die Ordnung . geisselt die verlaufnen heim/ Ins ewige recht w o grosses wiederum gross ist/ Herr wiederum herr . zucht wiederum zucht. er heftet/ Das wahre Sinnbild auf das völkische banner/ Er führt durch stürm und grausige signale/ Des frührots seiner treuen schar zum werk/ Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich. 286
Clemens Pornschlegel hat darauf hingewiesen, daß das Ziel Georges, ein deutsches Bildungsreich zu errichten und über die politische Funktion eines charismatischen Dichter-Führers an einen deutschen Dichterstaat zu binden, keine wolkige Vision darstellte, sondern an einen konkreten Handlungsauftrag anknüpfte. 287 Dieser eigenartige politische Aktionismus klingt auch in einem Ausspruch Georges an, den Robert Boehringer zitiert: Hätte ich, zwanzigjährig, 20.000 Soldaten gehabt, so hätte ich alle Potentaten Europas verjagt. 288
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Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, S. 174; 177; 180. Zum (staats-)politischen Aspekt im Werk von George vgl. die Untersuchung von K. Landfried, Stefan George - Politik des Unpolitischen, Heidelberg 1975, S. 187—241. Für George hat nach Salins Zeugnis Demokratie »im geistigen Bereich... nichts zu suchen«. Vgl. E. Salin, U m Stefan George, Godesberg 1948, S. 47. Vgl. ebd., S.202. S. George, Das Neue Reich, Berlin 1928, S.39. Vgl. C. Pornschlegel, Der literarische Souverän, Freiburg i.Br. 1994, S. 193^ Vgl. R. Boehringer, Mein Bild von Stefan George, München/Düsseldorf 1 9 5 1 , S. 161.
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D i e Tatsache schließlich, daß der anfällige u n d stets kränkelnde G e o r g e behauptete, sein Gesundheitszustand spiegele den Z u s t a n d Deutschlands w i d e r 2 8 ' , zeigt n u r zu deutlich den W u n s c h des Dichters nach nationalpolitischer Tragweite seiner Staatsvisionen. H i e r spiegelt sich die paradoxe und h y b r i d e Verstiegenheit vieler deutscher Geistesgrößen v o n H ö l d e r l i n bis N i e t z s c h e , die sich trotz oder gerade w e g e n eigener gesundheitlicher A n f e c h t u n g e n mit Titan e n m y t h e n , U b e r m e n s c h e n t u m u n d H e r o e n k u l t in V e r b i n d u n g brachten, u m damit bereits z u Lebzeiten ein Stück A r b e i t am eigenen M y t h o s z u leisten. D i e Politisierung des Ästhetischen d u r c h machtstrategisches K a l k ü l erscheint bei Stefan G e o r g e auch als kompensatorische Problemverlagerung: E i ne K u n s t , die auf die v o n ihr a u f g e w o r f e n e n F r a g e n keine allgemeingültigen A n t w o r t e n u n d Maßstäbe mehr findet, flüchtet sich, u m nicht v o n Beliebigkeit aufgezehrt zu w e r d e n , in die eigengesetzliche Stabilität institutioneller Ersatzf o r m e n w i e den Dichter-Staat, das Meistertum und den J ü n g e r k r e i s , die zugleich als gesellschaftskritische G e g e n e n t w ü r f e fungieren. G e o r g e s K u n s t a n schauung prägt sich aus in einem geistig-elitären Sozialbündnis gegen widrige Zeittendenzen w i e beispielsweise die als borniert und spießbürgerlich e m p f u n dene G e s e l l s c h a f t im Kaiserreich u n d in der Weimarer R e p u b l i k . 2 9 0 D i e R i g o r o sität, mit der i m G e o r g e - K r e i s bestimmte V e r h a l t e n s f o r m e n inszeniert, standardisiert und A b w e i c h u n g sanktioniert w i r d , zeigt den quasi-institutionellen A n s p r u c h der G r u p p e , die gesellschaftliche Institutionen negiert u n d durch eigene O r d n u n g s f o r m e n zu substituieren sucht. 2 9 1 E i n besonderes L i c h t auf das kulturpolitische Machtinteresse G e o r g e s w i r f t auch sein frühes A n s i n n e n , H u go v o n H o f m a n n s t h a l z u m Bündnispartner f ü r eine »sehr heilsame diktatur« zu gewinnen, w a s dieser jedoch ablehnte. 2 ' 2 1909 vollendet Friedrich Wolters mit >Herrschaft u n d Dienst< die mystischpolitische Verfassung des »Geistigen Reiches«. 2 9 3 In dieser auf das Wirken G e o r g e s zugeschnittenen und v o n G e o r g e selbst hochgeschätzen Staatsgeschichte 2 9 4 stehen poetologisch-politische Ideen v o n der B e g r ü n d u n g einer höchsten D i c h t e r - H e r r s c h a f t und d e m a u f o p f e r u n g s v o l l e m D i e n s t an ihr an erster Stelle. Wolters v e r w i s c h t in seiner Schrift die G r e n z e n z w i s c h e n D i c h t u n g 289
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So äußert sich George in den Gesprächen mit Edith Landmann: »Ich bin ein Barometer für Deutschland. Durch Krankheit und Niedergeschlagenheit zeigt sich mir an, was am Leibe Deutschlands geschieht.« Vgl. E. Landmann, Gespräche mit Stefan George, Düsseldorf/München 1963, S.47. Nach den Erinnerungen Edith Landmanns bezeichnet George Deutschland als »Hort der Reaktion«. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. hierzu R. Kolk, Literarische Gruppenbildung, Tübingen 1998, S. 251. Vgl. R. Boehringer (Hg.), Briefwechsel zwischen George und Hofmannsthal, Berlin 1938, S. 150. Vgl. F. Wolters, Herrschaft und Dienst, Berlin 1920. So das Zeugnis Kurt Hildebrandts. Vgl. K. Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, S.45. 381
und Politik: H i e r mischen sich » i m Gefühl des Gottesdienstes« 2 9 5 Panegyrik, Christusmystik, Zeit- und Subjektivitätskritik: Der Dichter ist als Herrscher die Kraft der »Geistigen Tat«, mit der er die »Ebenen des Reiches seiner formung unterwirft«. 2 ' 6 Auf die Herrschaft ausgerichtet ist der Dienst, der sich dem »begriff der gleichheit auf alle lebensrechte« und dem »begriff der freiheit bis zur Verneinung jeder seelischen Ergebung, bis zur Verleugnung jedes geistigen herrscherrechtes« entgegensetzt. 2 9 7 Dieser Dienst an dem geistigen Herrscher erfordert die »Selbsthingabe«, das »rückhaltlose opfer des eigenen wesens an die höhere Wesenheit«, und ermöglicht so das »erlöstwerden aus dem toten kerker ... des I n d i v i d u u m infecundumDer D i c h t e r als F ü h r e r in der der deutschen KlassikDas B i l d in der DichtungArchipelagus< und nennt Hölderlin einen »Seher«, der sich nach seiner »dämonischen Berufung« und nicht »nach den Ansprüchen der Zeit« richten muß, »wie man im demokratischen Zeitalter fordert«. 3 ' 4 Kommereil spricht von Hölderlin als dem »Seher, dem nichts mehr fromm heißt als stumme Rückkehr zur Gottheit«.'" Zugleich stützen die Publikationen des George-Kreises auch die Selbstinszenierung Georges 3 ' 6 als eines überzeitlichen »Sehers« und schließen sein dichterisches Werk in eine historische Traditionslinie von Dante über Shakespeare bis zu Hölderlin mit ein.397 Der Begriff des Sehers weist in den Problemkreis eines kultisch-religiösen Diskurses, der durch die Persönlichkeit Georges mit eigentümlichen, ritualhaften Erscheinungsformen in Verbindung gebracht wird. Eine davon ist das Symposion, dessen ritueller, im Stil eines antiken Gastmahls gehaltener Ablauf die sozialen Interaktionsformen des Kreises in einen ideellen Zusammenhang den der Bildung und Erziehung durch Dichtung - stellen soll. 3 ' 8 Eine weitere ritualisierte Interaktionsform des Kreises ist das Lautlesen, dessen erzieheri-
3,1
S . G e o r g e , Hölderlin, 1 9 1 9 , 8 . 1 1 .
392
Vgl. N . v. Hellingrath, Hölderlin. Z w e i Vorträge, München 1 9 2 1 , S. 3 1 . 3,3 Vgl. R . Boehringer, M e i n Bild von Stefan G e o r g e , München/Düsseldorf 1 9 5 1 , S. 1 4 1 . 394 V g l F. G u n d o l f , Hölderlins Archipelagus, 1 9 2 1 , S. 20. 395
Vgl. M . K o m m e r e i l , D e r Dichter als Führer, Berlin 1928, S.447. M a x K o m m e r e l l spricht in seinen unveröffentlichten A u f z e i c h n u n g e n sogar von der »Selbstritualisierung« Georges. Vgl. I . J e n s , Max K o m m e r e l l . E i n e E i n f ü h r u n g , 1969,
396
S. 18. 397 398
Vgl. C . G r o p p e , D i e M a c h t der Bildung, K ö l n / W e i m a r / W i e n 1997, S. 627. Vgl. ebd. S. 465. K u r t Hildebrandt erinnert sich an ein solches S y m p o s i o n : » D e r M e i ster hilft uns beim A n l e g e n der G e w ä n d e r , die v o n einem früheren Fest bereit liegen: Wolters erhält das weiße G e w a n d des Dichters und Vates w i e G e o r g e selbst, Vallentin ein blutrotes, ich das gelbe von G u n d o l f . A u f dem niederen Tisch zwischen den L i e gebänken stehen Zinnschalen mit Broten, Feigen und O r a n g e n . . . . N u r sich selbst bekränzt anfangs der Meister mit einem Lorbeerreis.« K . Hildebrandt, Einnerungen an Stefan G e o r g e und seinen Kreis, B o n n 1965, S.68.
398
sehe Wirkung als Initiationsritus bereits angesprochen w o r d e n ist. Gemeinsames Kennzeichen dieser Ritualformen ist der Versuch, eine echte und ursprüngliche Kunst durch einen sozialen Vollzug zu rekonstruieren. Diese protofiktionalen, sich im Ritual reaktualisierenden Kunstauffassungen Georges bleiben überdies keine Randerscheinung, sondern ziehen weite Kreise: So findet sich bei Walter Benjamin eine ganz ähnliche, auf die Kunst der Moderne gerichtete Nostalgie des ästhetischen Ursprungs. In seinem 1936 erschienenen kunsttheoretischen Entwurf >Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit< stellt Benjamin fest: Der einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks hat seine Fundierung im Ritual, in dem es seinen ersten und ersten Gebrauchswert hatte Die »auratische Daseinsweise des Kunstwerks« ist nach Benjamins A u f f a s s u n g untrennbar mit einer Ritualfunktion verbunden. 4 0 0 Eine Restaurierung der durch die Entwicklung der technischen Möglichkeiten der Reproduktion in der Moderne verlorengegangenen A u r a ist nur dann möglich, wenn Kunst sich mit einer Re-Ritualisierung verbindet und die Gestaltungs- und Inszenierungsmöglichkeiten des Rituals neu nützt. 401 Es ist daher nicht erstaunlich, daß viele der theoretischen Versuche, Kunst im Prozeß der Moderne den Status der U r sprünglichkeit nachzuweisen, auf das Ritual zurückgreifen. Das Ritual ist nicht nur eine Funktion der Selbstauslegung und der O r d n u n g von Bedeutung, sondern zugleich ein legitimatorisches Instrument zum Ausweis protofiktionaler Bestimmungen von Kunst. D e r Reaktivierung regressiver Vorstellungen der Ideengeschichte liegt häufig die Absicht zugrunde, die von der Moderne verbrauchten Geltungspotentiale erneut mit Sinn und Bedeutung aufzuladen. Sowohl in Georges antikisierender Inszenierung von Dichtung als auch in Heideggers Seinsgeschichte ertönt ein »traditionalistisch-autoritäre[s] Gegenprogramm, die Propaganda der Wiederverzauberung:
Reauratisierung
der
Kultur,
Resakralisierung
der
Kunst«. 4 0 2 Heidegger und der George-Kreis treffen sich in dem Anliegen, der Dichtung mit H i l f e der üdfej-Figur die A u r a und die Bedeutung von U r sprünglichkeit zu verleihen. Diese Regression steht im Dienste der Selbstbeschreibung: G e o r g e rekonstruiert nicht nur die an die Moderne verlorene A u r a der Dichtung, sondern erklärt den Seher-Dichter zum Vorläufer seines eigenen Dichtens. Konkreter Erfahrungshintergrund dieser Selbstdeutung ist das Ritual der feierlichen Zusammenkunft, das als kultisches Verhaltensmuster über die
3,9
400 401 402
V g l . W. Benjamin, D a s K u n s t w e r k im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, F r a n k f u r t a . M . 1996, S. 16. V g l . ebd. V g l . W. Braungart, Ritual und Literatur, T ü b i n g e n 1996, S. 2 1 5 . V g l . H . B r u n k h o r s t , Heidegger, A d o r n o und die Postmoderne, 2 i 9 9 i , S. 3 1 8 .
399
Alltäglichkeit hinausweist und damit die Exorbitanz der dichterischen Rede untermauert. Das Ritual wird so zum Mittel der Repräsentation der eigenen dichterischen Berufung. Bei Heidegger ist das Motiv der Selbstdeutung ebenfalls nicht zu übersehen: Sein poetologisches Paradigma von Hölderlin als dem Seher und Künder, der imstande ist, die Spur des Göttlichen in einer verdunkelten und zerrissenen Zeit zu zeigen, kann als geistige Fortschreibung des Ritualdiskurses, den der George-Kreis durch seine begeisterte Hölderlin-Rezeption antizipiert hat, interpretiert werden. Dabei bleibt auch Heideggers Deutung von Dichtung immer der Bestimmung als Protofiktion verpflichtet. Indem Heidegger die Kunst als Ursprungsdiskurs des Seins begreift, wird der den Ursprung erblickende poeta vates zugleich zum zentralen Muster der Heideggerschen Selbstinterpretation. Das Deutungsmuster des poeta vates führt in Heideggers Denken gleichwohl nicht zu den esoterischen Inszenierungen und Interaktionsformen des George-Kreises. Während der poeta vates als Identifikationsmodell bei George vor allem im Mittelpunkt eines ästhetischen, der Selbstdefinition dienenden Rituals steht, nutzt Heidegger die prospektive Blickrichtung, die mit der vatesFigur verbunden ist. Er erklärt Hölderlin zum auserwählten Deuter der Seinsgeschichte und damit zum berufenen Interpreten seines eigenen Denkens. Dieser »Rollentausch«, in dem das Gedeutete zur Deutung der Deutung umgewidmet wird, ist ein Kennzeichen der hermeneutischen Strategie Heideggers, »der es gelingt, mit der höchsten Anstrengung der Erfassung des Werkes doch gerade von ihm zurückzutreten«. 403 Die dahinterstehende Intention ist klar: Unter dem Vorwand der Objektivität will Heidegger das zuvor Interpretierte nun für sich sprechen lassen. Hölderlins Dichtung erhält durch die Rückbindung an Deutungsmuster aus dem kultisch-rituellen Bereich eine einzigartige Dignität als eigenständiger Wahrheitsdiskurs und kann im Hinblick auf Heideggers Philosophie nun erhebliche hermeneutische Energien entfalten. Unter Rückgriff auf die in der vates-Figur angelegte Logik der Prospektion konstruiert Heidegger eine »säkularisierte Adventserwartung«:404 Hölderlin wird mit Kierkegaard und Nietzsche zu denjenigen gezählt, die »ihre Götter am innigsten erahnt haben«. 405 Hölderlin ist daher »der am weitesten Voraus-dichtende«4"6 und gehört für Heidegger zu der exklusiven Gruppe der »Zukünftigen, auf die allein das Sein (Sprung) als Ereignis zu-kommt, sie ereignet und zur Bergung seiner Wahrheit ermäch-
403 404 405 406
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
400
M. Heidegger/E. Blochmann, Briefwechsel 1918-1969, Marbach 1989, S. 89. H. Ott, Martin Heidegger, Frankfurt a.M./New Y o r k 1988, S. 159. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S. 204. ebd.
tigt«.4°7 Die Zukünftigen zeichnen sich durch zwei polare Merkmale aus: Zum einen durch den Besitz eines »herrschaftlichen als dem wahrhaften Wissen«. 408 Und zum anderen durch den in der Seher-Funktion vermittelten Besitz einer »eigentlichen geschichtlichen Erkenntnis«, die sich als Wissen um »die Stunden des Geschehens, das Geschichte erst bildet«, bestimmen läßt.4°? Was hier von Heidegger kryptisch umschrieben wird, ist im Grunde nichts anderes als die auf die Seinsgeschichte abstellende Durchdringung der bereits angesprochenen Führer-Funktion und des Seher-Motivs in der Gestalt Hölderlins. Die als Offenbarungswissen ausgewiesene Dichtung legitimiert dabei auch die politische Führungskompetenz des Dichters. Das Deutungsmuster des poeta vates wird in Verbindung mit dem Begriff des Heiligen zu einem sich wiederholenden Grundakkord des Heideggerschen Denkens. Heidegger sieht die Dichter als »jene Einzigen, Künftigen, als deren erster Hölderlin selbst alles, was zu sagen ist, vor-sagt.« 4 ' 0 Hölderlins Dichtung ist zugleich »anfängliches Rufen, das vom Kommenden selbst gerufen, dieses und nur dieses als das Heilige sagt«.411 Den Dichter kennzeichnet die »Umfängnis durch das Heilige« 412 , zugleich nennt er das Heilige. 41 ' In der AndenkenVorlesung beschreibt Heidegger den Offenbarungsauftrag des Dichters als Verkündung des Heiligen: Das Heilige muß in seinem anfänglichen Kommen gesagt, ins Wort gegründet, als das Wort den Erdensöhnen geschenkt werden und so ihre Sprache wieder zum Gespräch zurückbringen. 414
Auch in der Ister-Vorlesung knüpft Heidegger das Heilige an einen divinatorischen Auftrag Hölderlins, in dessen Hymnen »das dichterische Nennen dessen, was das ursprünglich Zu-Dichtende und deshalb das Dichterische ist«, geschieht. 4 ' 5 Der Begriff des Heiligen, der in Heideggers Poetologie eine prägende Rolle spielt, soll in seiner ideengeschichtlichen Auffüllung im folgenden etwas näher beleuchtet werden. Der Religionsforscher und Marburger Theologe Rudolf Otto definiert das Heilige als eine »Deutungs- und Bewertungskategorie«, die »komplex ist, aber ein völlig spezifisches Moment in sich hat, das sich dem Rationalen ... ent-
407 408 409 410 4,1 4,1 41J 414 4,5
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
ebd., S.401. ebd., S.396. ebd.,S.396f. M. Heidegger, ebd., S. 77. ebd., S.69. M. Heidegger, M. Heidegger, M. Heidegger,
Erläuterungen, G A Bd.4, Frankfurt a.M. 1981, S . 7 1 .
Was ist Metaphysik?, Frankfurt a.M. ' 4 i992, S. 51 [Nachwort]. >AndenkenDer IsterGanz anderes das aus der Sfäre des Gewohnten, Verstandenen und Vertrauten und darum >Heimlichen< schlechterdings Herausfallende«.421 Indem er das Erhabene als das wirksamste Ausdrucksmittel des Numinosen in der Kunst begreift 422 , stößt Otto eine ideengeschichtliche Entwicklung an, die über viele Umwege schließlich in die Diskurse des postmodernen Denkens mündet: Dort nimmt, wie Brenner gezeigt hat, das Heilige in der ästhetischen Kategorie des Erhabenen die Stelle des »Anderen« ein, weil es eine »Leerstelle« bezeichnet und daher mit immer neuen aufklärungskritischen Inhalten gefüllt werden kann. 423 Wir haben gesehen, daß Rudolf Otto das Heilige von aller rationalen Erfassung freispricht und als mystisches Ursprungsphänomen begreift. Auf dieser Linie liegt auch Heideggers Begriff vom Heiligen, der durch die Bestimmung der Dichtung als Offenbarungs- und Ursprungswissen inhaltlich ausgerüstet wird. Zugleich trägt Heideggers Rede vom Heiligen bei aller antirationalen Abwehrhaltung aber auch die Signatur eines geistigen Rituals. Erhellend für diesen Zusammenhang ist die Einsicht Hans Blumenbergs, daß das Heilige und der Ritus im Hinblick auf die »diffuse Qualität des Numinosen« 424 ein gemeinsames rationales Strukturmoment besitzen: Während das Heilige »die primäre Auslegung jener unbestimmten Mächtigkeit« bedeutet, ist der Ritus eine »sekundäre Auslegung«, die eine »urspüngliche emotionale Spannung« in Distanz
4.6
4.7 4.8 4.9 420 421 422 423 424
V g l . R. O t t o , D a s Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau ' 1 9 2 0 , S. 5. V g l . ebd., S.6. V g l . ebd., S . 7 . V g l . ebd., S . 1 3 . V g l . ebd., S . 3 9 . V g l . ebd., S.29. V g l . ebd., S.80. V g l . P.J. Brenner, D a s Problem der Interpretation, T ü b i n g e n 1998, S. 248. V g l . H . B l u m e n b e r g , Arbeit am M y t h o s , F r a n k f u r t a . M . 1996, S. 72.
402
ü b e r f ü h r t und anschaulich aufarbeitet. 4 2 5 D i e s e Distanzierung durch D e u t u n g zeigt, daß sich das Ritual nicht ausschließlich in der Praxis eines musterhaften Verhaltens e r s c h ö p f t , sondern auf intellektueller E b e n e als das P r o d u k t reflektierender u n d interpretierender H a n d l u n g e n erscheint. 4 2 6 D a s geistige Ritual, das mit der iterativen Appellation des Heiligen in der hermeneutischen F i g u r des poeta vates v e r b u n d e n ist, erfüllt in Heideggers D e n k e n damit eine strukturelle und eine strategische F u n k t i o n : 1. Heideggers Sehnsucht nach Subjektlosigkeit erfüllt sich im Heiligen, das den D i c h t e r als Seher » u m f ä n g t « u n d sein Sagen in einen ausschließlichen G e b r a u c h nimmt. 4 2 7 D i e strukturelle F u n k t i o n des geistigen Rituals liegt darin, daß es das durch die A u ß e r k r a f t s e t z u n g des Subjekts entstandene V a k u u m mit der R e d e v o m Heiligen füllt u n d so in Heideggers geistiger G e o graphie einen Stabilitätsfaktor bildet. 2. D i e umfassende D e s t r u k t i o n der herrschenden metaphysischen A u f f a s s u n gen f ü h r t H e i d e g g e r in eine selbstverantwortete Legitimationskrise. E r steht v o r der schwierigen Frage, w i e er seinem D e n k e n , das sich jeglicher methodischen K o n v e n t i o n verweigert u n d nicht als Diskussionsbeitrag verstanden w e r d e n will, dennoch G e l t u n g v e r s c h a f f e n kann. D e r R e k u r s auf die K e r n f u n k t i o n e n religiöser D i s k u r s e , die mit d e m auratischen V o k a b u l a r aus H ö l derlins D i c h t u n g angereichert w e r d e n , ist strategisch motiviert und soll seinem D e n k e n diskursive A u t o r i t ä t und semantische M a c h t verleihen. E s ist deutlich g e w o r d e n , daß d e m geistigen Ritual und der archetypischen F i gur des vates in ihrer funktionalen B e s t i m m u n g als A u s l e g u n g des » B e z u g s z u m Sein (d.h. z u m >Heiligen< ...)« 4 2 8 eine gemeinsame hermeneutische Zielsetzung zugrundeliegt. Heideggers A n n ä h e r u n g an das sich im D i c h t e r w o r t manifestierende Sein vollzieht sich auf eine Weise, die f ü r die weihevolle und repräsentative R e z e p t i o n v o n D i c h t u n g als prophetisches Wort im G e o r g e - K r e i s charakteristisch ist. Friedrich Wolters hat die Richtlinien dieser R e z e p t i o n bereits 1 9 i o im >Jahrbuch f ü r die geistige Bewegung< beschrieben: D a s m i t t e l d e s S c h a u e n s i s t d i e V e r k ü n d i g u π g . Dem Schauenden ist die tat ebenso fremd wie das werk: er ist von der glut eines einzigen strahles so erfüllt, dass alle äusserungen seines daseins nur wie ein scheinen dieses feuers sind und ob er in Worten von ihm aussagt oder nur leuchtend als ein sichtbares vorbild durch die tage
42
> Vgl. ebd. Grundlage dieser Argumentation ist wieder Heideggers bekannte Auffassung, daß das Denken handelt, indem es denkt. Heidegger hat damit selbst eine Brücke zwischen den Bereichen sozialer und geistiger Interaktion geschlagen, die neue Begründungsmöglicheiten erschließt. Vgl. M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt a.M. ' 1 9 9 1 , S. 5.
426
427 428
Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen, G A Bd. 4, Frankfurt a.M. 1984, S.69; 191. Vgl. M. Heidegger, >Der IsterAus einem Gespräch von der Sprache zwischen einem Japaner und einem Fragenden< erwähnt Heidegger, daß ihn während seines Theologiestudiums vor allem die Hermeneutik und mit ihr »die Frage des Verhältnisses zwischen dem Wort der Heiligen Schrift und dem theologisch-spekulativen Denken« beschäftigt habe. 45 ' Hier sei er bereits dem Verhältnis zwischen »Sprache und Sein«, allerdings noch »verhüllt« und »unzugänglich«, begegnet. 452 Heidegger fügt hinzu, daß er ohne diesen theologischen Hintergrund nicht auf den »Weg des Denkens« gelangt wäre. 453 Aus diesen Äußerungen können Rückschlüsse gezogen werden: Wenn eine spezifisch theologische Auslegungstechnik für Heideggers Denkweg eine solche Bedeutung gehabt hat, so ist nicht auszuschließen, daß ihm auch die Figuraldeutung als Modus der frühchristlichen Bibelexegese geläufig war und zu 449
H . - G . Gadamer, Geleitwort, 1989, S . X V I I . H . - G . Gadamer, Heidegger und die Sprache, 1990, S. 1 1 3 . 451 Vgl. M. Heidegger, Aus einem Gespräch von der Sprache, " 1 9 9 7 , S.96. 451 Vgl. ebd. 4 » Vgl. ebd. 450
408
seiner Auffassung von Textauslegung beigetragen hat. In seiner Marburger Zeit setzte Heidegger sich außerdem in einer Arbeits- und Lehrgemeinschaft mit dem Theologen Rudolf Bultmann mit Luthers Interpretationen des GalaterBriefes und seiner Auslegung vom Sündenfall in der Genesis auseinander. 454 Hermann Mörchen berichtet, daß Heidegger damals distanziert zu sagen pflegte, er nehme »nur von außen« am Gespräch der Theologen teil. 4 " Diese »äußere Teilnahme«, diese Vermutung kann und muß hier gewagt werden, beschränkte sich wahrscheinlich nicht nur auf die Beschäftigung mit den K o m mentaren der theologischen Wissenschaft, sondern umfaßte auch die Auseinandersetzung mit der Modellgeschichte der theologischen Textauslegung. Das Verdienst, den in der mittelalterlichen Bibelexegese wurzelnden Begriff der figura von der Theologie in die Literaturwissenschaft übertragen und dort intellektualgeschichtlich fruchtbar gemacht zu haben, gebührt dem Romanisten Erich Auerbach. Auerbach 4 ' 6 , dem jüdischen Großbürgertum entstammend, trat 1929 seine erste Professur in Marburg an und lehrte dort bis 1935. Infolge der Nürnberger Gesetze suspendiert, emigrierte Auerbach 1936 in die Türkei und wurde Leo Spitzers Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Romanistik der Universität Istanbul. Dort entstand zwischen 1942 und 1945 sein Hauptwerk >Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literature Nach dem Krieg lehrte Auerbach in den Vereinigten Staaten an der Pennsylvania State University und in Yale. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Heidegger die Forschungen Auerbachs kannte, auch wenn sie ihm im Detail wohl nicht geläufig waren. Heidegger bemerkt allerdings gegenüber Pöggeler, der versucht hat, seine Spätphilosophie in einen geistigen Zusammenhang einzuordnen und dazu nach inspirierenden Paralleltexten forscht, er habe Auerbachs »Mimesis« nicht gelesen. 457 Nach Auerbach ist die Figuraldeutung das zentrale hermeneutische Modell der frühchristlichen Bibelexegese. In der Patristik aus urchristlichen Quellen wie etwa den Apostelbriefen entwickelt und von Tertullian und Augustinus in der Schriftauslegung erprobt 4 ' 8 , zielte die Figuraldeutung darauf ab, »die im Alten Testament auftretenden Personen und Ereignisse als Figuren oder Realprophetien der Heilsgeschichte des Neuen zu deuten«. 459 Ihre hermeneutische Charakteristik erhält die Figuraldeutung jedoch weniger durch die Inhalte, die sie transportiert, sondern durch die ihr eigene geistig-geschichtliche Struktur. 454 455 456
457 458 459
Vgl. H. Mörchen, Heidegger und die Marburger Theologie, 1990, S.75. Vgl. ebd., S.83. Die biographischen Daten stützen sich auf U. Knoke, Erich Auerbach — eine erkenntnis- und methodenkritische Betrachtung, 1975, S. 74 [Anm. 1]. Vgl. O. Pöggeler, Der Denkweg, 4i994, S. 398. Vgl. E. Auerbach, Figura, 1967, S.65-71; 75. Vgl. ebd., S. 66. Vgl. zum Begriff der figura auch H. Brinkmann, Mittelalterliche Hermeneutik, Tübingen 1980, S. 254. 409
Innerhalb dieser Struktur ist die figura »etwas Wirkliches, Geschichtliches, welches etwas anderes, ebenfalls Wirkliches und Geschichtliches darstellt und ankündigt«. 460 Dit figura ist damit als Deutungsmuster zu bezeichnen, dem ähnlich wie dem poeta vates, der ebenfalls zur Familie der Figuren zu zählen ist461 - eine Verweisungspotenz in Richtung einer Erfüllungswirklichkeit zugeschrieben wird. In der hermeneutischen Praxis erstellt die Deutung der figura nach Auerbach eine realprophetische Bindung zwischen einer Person und einem Geschehnis, so daß »eines von ihnen nicht nur sich selbst, sondern auch das andere bedeutet, das andere hingegen das eine einschließt oder erfüllt«. 462 Beispielsweise hat Christus als Figur des Neuen Testaments nach der mittelalterlichen Bedeutungslehre das »Verborgene durch Erfüllung der Verheißungen eröffnet«. 463 Auerbach weist darauf hin, daß sich die geistige Mechanik dieser Form der Repräsentation des einen durch das andere auch in anderen Deutungsverfahren nachweisen läßt. Er nennt als Beispiele »die sogenannten symbolischen und mythischen Formen«. 464 Diese Formen haben deutliche Berührungspunkte mit der Figuraldeutung, weil sie wie diese »Anspruch auf Deutung und Ordnung des Lebens im Ganzen« erheben.46' Die Differenz zwischen den hermeneutischen Formen liegt nach Auerbach also nicht in der funktionalen Formulierung von Geltungsansprüchen, sondern in der geschichtlichen Dimension: Während das Symbol keine geschichtliche Kraft besitzt, bezieht sich die Realprophetie immer auf Geschichtsdeutung, sie ist »von Haus aus Textinterpretation« und zugleich »eignet ihr ... etwas Uraltes«. 466 Aus dieser geschichtlichen Darstellung der Figuraldeutung können erste strukturelle Homologien zur hermeneutischen Vorgehensweise Heideggers herausgelesen werden. Beide Auslegungsverfahren entstehen vor dem Hintergrund von Absetz- und Distanzierungsbewegungen in der Geschichte: Die Figuraldeutung entspringt nach Auerbach der Notwendigkeit, die Ablösung des Christentums vom Judentum mit einer »einheitlichen und zielsicheren Interpretation der Weltgeschichte und der providentiellen Weltordnung« theoretisch zu lizenzieren. 467 Heideggers Hermeneutik der Zwiesprache entsteht, wie 460
Vgl. E. A u e r b a c h , Figura, 1967, S. 65.
461
A u e r b a c h sieht in Dantes Darstellung des historischen Vergil »eine figura f ü r die nun im Jenseits erfüllte Gestalt des Dichter-Propheten als Führers«. Vgl. ebd., S. 87. Z u dem auch hier aufscheinenden komplizierten V o r g a n g der Autolegitimation durch Repräsentation vgl. C . Pornschlegel, D e r literarische Souverän, Freiburg i.Br. 1994, S. 209. V g l . E. A u e r b a c h , Figura, 1967, S . 7 7 . V g l . H . B r i n k m a n n , Mittelalterliche Hermeneutik, T ü b i n g e n 1980, S. 265. V g l . E. A u e r b a c h , Figura, 1967, S. 79. V g l . ebd., S. 80. Vgl. ebd. V g l . ebd., S . 7 9 .
462 463 464 4 s
'
466 467
410
bereits gezeigt wurde, ebenfalls aus der Dynamik einer Distanzierung von neuzeitlich-metaphysischen Rationalitätsparadigmen und dem Versuch, in der Geschichte des Denkens eine neue Ordnung zu installieren. Beide Auslegungsverfahren verzichten bei der Erforschung des Textsinns zudem auf argumentative Auseinandersetzung und bieten für konkurrierende Deutungen nur wenige Anschlußstellen. Ihre hermeneutische Operationsbasis ist eine prätendierte Eindeutigkeit, die mit dem neuzeitlichen Verständnis von Interpretation, wonach die deutende Lektüre sich immer auch durch das Rezeptionsdickicht von Kommentaren, Botschaften und divergenten Sichtweisen hindurcharbeiten muß, nicht in Einklang zu bringen ist. Ein weiterer Berührungspunkt zwischen Heideggers Hermeneutik und dem von Auerbach skizzierten Modell der Figuraldeutung ist die providentielle Ausrichtung, die mit bestimmten Figuren die kerygmatische Verkündigung einer konkreten Utopie verknüpft. So wie beispielsweise die Patristik in Moses einefigura Christi und seiner Heilsbotschaft sieht 468 , so interpretiert Heidegger Hölderlin als Stifter und seine Dichtung als »Stiftung, erwirkende Gründung des Bleibenden«. 469 Die Nähe zu Diskursen, die in ein endzeitliches Stadium vorzulaufen scheinen, ergibt sich vor allem dort, wo Heidegger explizit auf theologische Terminologien zurückgreift - allerdings niemals, ohne sich von deren Bedeutung zu distanzieren: So spricht er von der »Eschatologie des Seins«, in der das »bisherige Wesen des Seins ... in seine noch verhüllte Wahrheit unter[geht]«47°, verwahrt sich aber gegen alle auf die Metaphysik zurückgehenden »Theismen«.471 Die in der Entzauberung der Welt klaffende Absenz des Seins ist für ihn in bester Dialektik »ein Noch-nicht der verhüllten Ankunft seines unausschöpfbaren Wesens«.472 Diese eschatologisch-geschichtsphilosophische Setzung, die Heidegger mit den »Systemdenkern« der Moderne wie Hegel und Marx oder auch mit den ästhetischen Grundannahmen Adornos teilt 47 ', prägt durchgängig auch die Figuraldeutung, die aus Texten Geschichtsdeutungen entwickelt und auf etwas Zukünftiges verweisen will, »welches erst das Eigentliche, voll und wirklich und endgültig Geschehende sein wird«.474 Heideggers Deutung vollzieht sich mit Blick auf ein seinsgeschichtliches Heilsgeschehen, das er in wechselnder Terminologie als »Entbergung des Seins«, »Offenbarung der Wahrheit des Seins« oder »Unverborgenheit« bezeichnet: Das Sein soll, so will es die in dieser Untersuchung schon mehrfach nachgezeichnete Logik von Heideggers ontologischer Poetik, in der Dichtung 468 469 470 471 471 473 474
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
ebd., S.67. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S.33. M. Heidegger, Der Spruch des Anaximander, 7 i994, S. 327. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S . 4 1 1 . M. Heidegger, Das Ding, '1997, S. 177 [Nachwort]. R. Bubner, Ästhetische Erfahrung, Frankfurt a.M. 1989, S. 79. E. Auerbach, Figura, 1967, S. 80.
411
»anbrechen« und in der Zwiesprache zutagetreten. Die Idee des Wechselspiels von Unverborgenheit und Verborgenheit basiert auf der traditionellen Annahme einer allegorischen Grundfunktion des Kunstwerks: Das Werk macht mit anderem öffentlich bekannt, es offenbart Anderes; es ist Allegorie. 4 7 '
Diese Grundfunktion verknüpft Heidegger in dichterischen Texten mit der bekannten chiliastischen Perspektive: Dichtung ist weit entfernt von der »greifbaren und lauten Wirklichkeit, in der wir uns heimisch glauben«. 476 In der von Hölderlin beklagten »dürftigen Zeit« sieht Heidegger die Phase eines geschichtlichen Übergangs, in dem »die Wahrheit des Seyns zum Seyn der Wahrheit« kommt. 477 Hölderlin ist derjenige, der gegen die Seinsvergessenheit der Gegenwart die eigentliche Geschichtlichkeit einer »erfüllten Zeit« herabrufen soll. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Figuraldeutung und Heideggers Hermeneutik liegt in der prätendierten Zeitenthobenheit ihrer Sinnschöpfungen. Nach Auerbach löst die Figuraldeutung die »zeitlich-horizontale und kausale Verbindung der Ereignisse, das Jetzt und Hier ist nicht mehr Glied eines irdischen Ablaufs, sondern es ist zugleich ein schon immer Gewesenes und ein sich in Zukunft Erfüllendes«. 478 Diesen ewigen oder auch überzeitlichen Charakter der figuralen Deutungsperspektive hat Auerbach am Beispiel der Kirchenväter Tertullian und Augustinus deutlich gemacht. 479 Das Fehlen einer differentia tempus charakterisiert aber nicht nur die Figuraldeutung, sondern ist zugleich auch ein Kennzeichen der Heideggerschen Auffassung von Dichtung: Wahre Dichtung ist die Sprache von jenem Sein, das uns seit langem schon weit vorausgesprochen ist und das wir noch nie eingeholt haben. Deshalb ist die Sprache des Dichters nie heutig, sondern immer gewesen und zukünftig. 480
Diese Gleichsetzung des Vergangenem mit dem Zukünftigen ist ein weiteres geistiges Erbstück der mittelalterlichen Hermeneutik. Brinkmann weist beispielsweise darauf hin, daß nach Hugo von St. Victor in der Heiligen Schrift Künftiges als geschehen dargestellt werden kann, weil vor Gottes Ewigkeit al475
Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung, 7 1994, S. 4. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Allegorie und Symbol nimmt Heidegger nicht vor, weil er ähnlich wie Auerbach die Repräsentationsfunktion als die in der Metaphysik immer wiederkehrende ästhetische Kernfunktion begreift.
476
Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, G A Bd. 4, Frankfurt a.M. 1984,5.45. 477 Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S.415. 478 Vgl. E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen/Basel '1994, S.75. 479 Vgl. E. Auerbach, Figura, 1967, S. 7 1 . 480 M . Heidegger, Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache, G A Bd. 3 8, Frankfurt a.M. 1998, S. 170.
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les Künftige schon geschehen ist. 481 Heidegger überträgt diese theologische Denkfigur auf das Sein, das schon seit langem geschieht, in Hölderlins Dichtung aber immer zukünftig bleibt. Der diachronische Code, der in Vergangenheit und Zukunft zerfällt, soll mit dieser Vorstellung zu einer Einheit verschmolzen werden, deren Kern das Uberzeitliche bildet. Das ist jedoch keine grundlegende Revision der Subjektphilosophie, vielmehr wird hier eine Dichotomie durch eine weitere ersetzt. Habermas hat mit Recht darauf hingewiesen, daß Heidegger im Prinzip den bekannten metaphysischen Begriffszwängen folgt, weil er das »Heilige, als welches das Sein im Dichterwort zur Sprache kommen soll, ... wie in der Metaphysik als das schlechthin Unmittelbare« betrachtet. 4 ' 2 Heideggers Denken operiert auf der Basis einer selbstreflexiv gesetzten Zeitenthobenheit, die eine neue Grenzziehung zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit ermöglicht und damit doch im Rahmen der traditionellen, binär geordneten Gültigkeiten verbleibt. Heidegger sucht im Dichterwort die »Spur zum Heiligen«, das in der »Weltnacht« verborgen ist. 4 ' 3 Auch in diesem Punkt zeigt sich die eigenartige Nähe zur Figuraldeutung, die auf etwas Verhülltes, erst noch zu Offenbarendes verweisen will und aus dem biblischen Text dazu die passenden Präfigurationen kommender Erfüllungswirklichkeiten herausliest. 484 Als das zentrale Ereignis des Textes betrachten deshalb sowohl die Figuraldeutung als auch Heideggers Hermeneutik die Antizipation einer noch ausstehenden, aber kommenden zukünftigen Heilserfahrung. Dabei fällt dem Dichter nach Heideggers Auffassung eine besondere Aufgabe zu: Leichter als andere verhüllt der Dichter die Wahrheit in das Bild und schenkt sie so dem Blick zur Bewahrung. 4 8 '
Der Dichter sieht die Wahrheit und gibt sie im poetischen Bild verwandelt wieder. Heidegger bezeichnet das Dichten daher als »ein Sagen in der Art des weisenden Offenbarmachens«, der Dichter ist der »Begründer des Seyns« und bringt eine eigentliche Wahrheit zur Evidenz. 486 Das dichterische Wort öffnet
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485 486
Vgl. H. Brinkmann, Mittelalterliche Hermeneutik, Tübingen 1980, S. 255. Vgl. J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M. 2 I98J, S.181. Vgl. M. Heidegger, Wozu Dichter?, '1994, S. 295. Vgl. E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen/Basel '1994, S. 74f. M . Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S. 19. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen >Germanien< und >Der Rheins G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 3off. Eine erste theoretische Grundlegung des Logos als »Modus des Offenbarmachens im Sinne des aufweisenden Sehenlassens« findet sich schon in >Sein und Zeit< und scheint von Heidegger später auf das Dichten übertragen worden zu sein. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i993, S. 32.
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sich wie eine Pforte zum elementaren »Anderen«, dessen Sinneinheit sich hinter dem vordergründigen sensus litteralis verbirgt: D a s Wort zeigt jäh ein anderes, höheres Walten. E s ist nicht mehr nur benennender G r i f f nach dem schon vorgestellten A n w e s e n d e n , nicht nur Mittel der Darstellung des Vorliegenden. 4 8 7
Das Wort - und dabei vor allem das Wort des Dichters - beinhaltet »einen Sinn der nirgendhin mehr überhängt«.488 An anderer Stelle spricht Heidegger davon, daß das »Nennen« des Dichters kein Behängen der vorstellbaren Dinge mit Namen, kein Verteilen von Titeln oder Verwenden von Wörtern für Welt ist, sondern ein »Ins-Wort-Rufen«. 489 Das heißt: Für Heidegger ist der Mensch in seiner Durchschnittlichkeit nicht in der Lage, einen Bezug herzustellen zwischen den Worten und den faktisch gegebenen Dingen der natürlichen Welt. N u r der Dichter oder der Denker vermag durch sein nennendes Wort die Dinge »einzuladen«, so »daß sie als Dinge die Menschen angehen« und Welt »entfalten«. 490 Damit zeigt sich eine weitere offene Bruchstelle zwischen Heideggers Denken und der neuzeitlichen Philosophie: Die Theoriegeschichte der Neuzeit entwickelt sich stark unter dem Blickpunkt der subjektiven Weltermächtigung und Orientierung an sprachlichen Sinnsetzungen. Das Benennen von Welt ist, bildlich eingegossen in die Metapher eines adamitischen Aktes 491 , »ein wahrhaftiges Konstruieren, ein Zum-Leben-Erwecken, ein Entwickeln konzeptioneller Möglichkeiten«. 492 Die Idee des schöpferischen Menschen gewinnt auch in der Ästhetik an Bedeutung: Nach Blumenberg dient die Kunst von nun an dem »metaphysischen Bedürfnis« des neuzeitlichen Menschen, »das Bild zu bewahrheiten, das er von sich selbst hat«.493 Das Kunstwerk ver-
487 488
489 4,0
M . Heidegger, D a s W o r t , " 1 9 9 7 , S . 2 2 7 . V g l . M. Heidegger, A u s der Erfahrung des D e n k e n s , G A B d . 1 3 , F r a n k f u r t a.M. 1 9 8 3 , S.25. V g l . M . Heidegger, D i e Sprache, " 1 9 9 7 , S . 2 1 . V g l . ebd., S. 22. H i e r i n zeigt sich zugleich auch Heideggers Sympathie f ü r die Spracha u f f a s s u n g des Augustinus. Brinkmann charakterisiert die augustinische Sprachauffassung treffend mit den Worten: »Das W o r t lädt uns ein, eine Sache zu suchen ...«. V g l . H. B r i n k m a n n , Mittellalterliche Hermeneutik, Tübingen 1980, S . 2 5 .
491
Literarhistorisch ist der Vorgang der Benamung als Weltermächtigung beispielsweise in Grimmelshausens Simplicissimus nachzuweisen: Simplicissimus, den es nach einem S c h i f f b r u c h auf eine einsame Insel verschlagen hat, erobert die Fremdheit und Unübersichtlichkeit des neuen Lebensraums, indem er in die Rinden der B ä u m e Sinnsprüche und biblische Sprüche in vielen Sprachen einritzt. D a s hier beschriebene, noch theologisch fundierte Wcltverhalten des Simplicissimus ist zugleich ein Indiz f ü r ein beginnendes neuzeitlich-modernes, auf Schriftlichkeit und Auktorialität gegründetes Menschenbild. V g l . J . J . C . v. Grimmelshausen, D e r abenteuerliche Simplicissim u s Teutsch, B d . 2, Berlin/Weimar 1984, S. 3 1 8 .
4,2
V g l . G . Steiner, D e r Garten des Archimedes, M ü n c h e n / W i e n 1997, S. 39. V g l . H . B l u m e n b e r g , Wirklichkeiten in denen w i r leben, Stuttgart 1996, S. 57.
493
414
weist nicht mehr mimetisch auf ein exemplarisches Sein, sondern dient dem Menschen als Selbstvergewisserung seiner »originären Potenz«. 494 Dieses Leitmotiv neuzeitlichen Denkens will Heidegger außer Kraft setzen, indem er der Dichtung attestiert, daß sie nicht der vermittelnden Deutung und interpretatorischen Ausleuchtung eines Lesers bedarf, sondern bei rechtem Verständnis von selbst eine eigene und eigentliche Wahrheit offenbart. Er restituiert damit die Konturen der vorneuzeitlichen Vorstellung einer Identität von Kunst und Sein, die durch die neuzeitliche Entdeckung des Selbstbewußtseins theoriegeschichtlich eigentlich seit langem überwunden ist. An diesem Punkt stößt die vorliegende Untersuchung auf eine weitere hermeneutische Konsonanz zwischen Heideggers Interpretationsverfahren und der mittelalterlichen Allegorese. Aleida Assmann hat das System der Allegorese als ein Lektüreverfahren gekennzeichnet, mit dessen Hilfe eine spätere Auslegungsgemeinschaft den Texten einer früheren Zeit »plausible oder lebenswichtige Wahrheit« zuordne. 495 Die geistige Verwandtschaft zwischen dieser Leistung der Allegorese und Heideggers Hermeneutik ist offensichtlich: Beide Deutungsmodelle begreifen den Text als weisungsbefugt und die ihm zugeordnete, mithin selbstgesetzte Wahrheitsaussage als autoritativ, ja lebenswichtig: So zielt die Figuraldeutung darauf, im Wort der Heiligen Schrift die »Anweisung zur Lebensführung« freizulegen. 4 ' 6 Heidegger fordert das »Teilnehmen an der Dichtung« 497 und seine Beschäftigung mit Dichtung folgt dem Zweck, die »Einzigkeit des Seyns ... und das wesentliche Sichverbergen« als »Weisungen, denen folgend wir uns zuerst bereit machen müssen«, herauszuarbeiten.49® Das mittelalterliche Verstehen von Texten und Heideggers Textverständnis sind damit auf einen gemeinsamen tropologischen oder lebenspraktischen Nenner zu bringen. Hinter dieser Gemeinsamkeit steht die auf Augustinus zurückgehende prinzipielle Unterscheidung zwischen dem actus signatus, der prädikativen Aussage, und ihrem Nachvollzug im actus exercitus. Der actus signatus bezeichnet dabei dasjenige, was die Aussage als solches sagt, während der actus exercitus auf das verweist, was die Aussage als Vollzug des Verstehenden fordert. Hier liegt nach Jean Grondin offenbar die Wurzel von Heideggers Einsicht in den Vollzugssinn der Textaussage.499 Die Aussage des dichterischen Textes besteht nicht nur in einem propositionalen oder semantischen Gehalt,
494 495
496 497 498 499
Vg. ebd., S.93. Vgl. A. Assmann, Im Dickicht der Zeichen. Hodegetik - Hermeneutik —Dekonstruktion, 1996, S. 541. Vgl. F. Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, 1977, S. 14. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, G A Bd. 39, Frankfurt a.M. 1980, S. 58. Vgl. M. Heidegger, Beiträge, G A Bd.65, Frankfurt a.M. 1989, S.252. Die folgenden Ausführungen gründen auf den wertvollen Hinweisen Grondins zu Analogien der Verstehenskonzeption bei Augustinus und Heidegger. Vgl. J . Grondin, Der Sinn für Hermeneutik, Darmstadt 1994, S.2i>ff.
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sondern im ergänzenden Mitvollzug dessen, was hinter dem Wort steht. Das heißt: Das Wort stellt nicht allein eine Aussage vor, sondern fordert appellativ deren Umsetzung und Einsetzung in die Wirklichkeit. Diese handlungspraktische Auffüllung der Lektüre folgt der Rezeptionshaltung, die bereits der George-Kreis gegenüber Hölderlin an den Tag legte, sie weist aber literarhistorisch noch viel weiter zurück in die Tradition der vorneuzeitlichen Dichter-Seher-Prophetien. In diesem Sinne ist Hölderlin in einer Doppelfunktion nicht nur Sprecher des Seins, sondern selbst ein »Angesprochener«: Hölderlins Berufung liegt zum einen darin, daß er dem Anspruch des Seins in der Tatsache seiner Gedichte einen höchst appellativen Ausdruck verleiht. Zum anderen ist diese Dichtung »jetzt anfängliches Rufen, das vom Kommenden selbst gerufen, dieses und nur dieses als das Heilige sagt«.500 Die sich im Gedicht entbergende Wahrheit erscheint als die missionarische Verheißung einer unentwegten Anfänglichkeit, die - wendet man sie anthropologisch - den Menschen auffordert, sich immer wieder neu auf das Sein zu besinnen und einzulassen. Das anfängliche Rufen der Dichtung Hölderlins erfordert nach Heideggers Auffassung von denjeingen, die den Ruf vernehmen, den ergänzenden Mitvollzug. Dieser explizite Wirklichkeitsbezug wird jedoch wieder überblendet durch die autoritative Weisungsbefugnis des Wortes, mit der sich die figurale und die Heideggersche Auslegung gegen die kritische Reflexion zu immunisieren suchen. Verstehen bedeutet für Heidegger und die mittelalterliche theologische Exegese nicht primär reflektierende Rekonstruktion eines ursprünglich Gemeinten, sondern gläubiges, nahezu reflexionsloses Entsprechen einer in den Text hineingelegten Botschaft. In diesem Punkt greifen Heideggers Aussetzung der Arbeit an der Identität und der geistige Kosmos des Mittelalters, den nach Hennig Brinkmann eine »>Vermeidung des menschlichen SubjektsAndenkenAuf einen Stern zugehen« von der eigenartigen Wirkung, die von der Handschrift Hölderlins auf Heidegger ausgeht: E r möchte eigentlich noch viel erzählen von Tübingen und Stuttgart, w o er z u m ersten Male die originalen Handschriften Hölderlins in der H a n d gehabt habe; ich k ö n ne mir gar nicht vorstellen, wie erschütternd das sei. »Jetzt verstehe ich N o r b e r t v. Hellingrath - aus diesen Blättern k o m m t G e g e n w a r t . Was die Philologen daraus gemacht haben, das stimmt ja nicht.« 00
58
59 60
G . Figal, F ü r eine Philosophie von Freiheit und Streit. Politik - Ästhetik - M e t a p h y sik, Stuttgart/Weimar 1994, S. 13. V g l . K . Laermann, Schrift als Gegenstand der Kritik, 1990, S. 120. H . W . Petzet, A u f einen Stern zugehen, F r a n k f u r t a.M. 1 9 8 3 , S. 9 1 .
434
Petzet erinnert sich weiter: Er hatte mir am Vortrag Photokopien der Hölderlin-Gedichte gezeigt, von denen ich sehr betroffen war. Das wunderte ihn nicht. Es sei etwas geradezu Ungeheuerliches, diese Blätter zu sehen und in Händen zu halten. Hölderlin sei damit einfach »da«. Erst jetzt könne er begreifen, was Norbert von Hellingrath begegnete ,..' 1
Als Petzet schließlich von einer Platon-Ausgabe berichtet, deren Ränder angeblich mit handschriftlichen Notizen und Anmerkungen Hölderlins bedeckt seien, ist Heidegger »wie elektrisiert« und »schlägt mit der Hand auf den Tisch vor Erregung«. 6 2 Aus diesen Zitaten wird deutlich, daß Heidegger Hölderlins Handschriften nicht als Dokumente historischer Lebenszusammenhänge sieht, sondern in sie seine eigenen philosophischen Grundformeln wie die Präsenz des Gewesenen hineinprojizieren will.'' 5 Das Zeichenhafte des Geschriebenen, das buchstäbliche Material und sein expliziter und impliziter Sinn dienen Heidegger als Nachweis des Wechselspiels von Entbergung und Verborgenheit des Seins. Das ist ein fundamentaler Charakter seines Denkens, der wiederholt beschrieben worden ist. Doch es fällt noch etwas weiteres auf: Nicht nur das Sein ist in der Handschrift Hölderlins gegenwärtig, sondern auch Hölderlin selbst ist »einfach >daSein und Zeit< aufgegriffen, phänomenologisch ausgewertet und zum Strukturgesetz seiner existenzialanalytischen Hermeneutik erhoben: Eine sachgerechte Auslegung darf sich demnach die Prämissen ihres Verstehens nicht durch »Einfälle und Volksbegriffe« vorgeben lassen, sondern soll sie vielmehr durch »Ausarbeitung aus den Sachen selbst« gewinnen. 66 Von dieser modellhaften Forderung, den Maßstab der Auslegung dem Gegenstand der Auslegung anzupassen und nicht umgekehrt, entfernt sich Heidegger in seinen Deutungen von Dichtung jedoch endgültig. Mit der schwindenden Bereitschaft, das eigene Denken nach konsensfähigen, wissenschaftlichen Prinzipien zu organisieren, wächst Heideggers Bestreben, das Dichterwort dem eigenen Denken dienstbar zu machen. Heideggers Einwände gegen die Literaturwissenschaft schließlich werden entkräftet, wenn diese nachweist, daß sie den dichterischen Text nicht auf das Gegenständliche reduziert, sondern sich in ihren Deutungen an die Sprache dieses Textes heranarbeitet, seine historischen Voraussetzungen erschließt und dabei Sinn nicht mit Wahrheit verwechselt. Eine Literaturforschung, die dem untersuchten Text gerecht werden will, weiß zugleich um die Historizität der eigenen Maßstäbe und ist bereit, die Voraussetzungen ihrer Konkretionen am Text kritisch zu überprüfen, zu überdenken und eventuell zu korrigieren. Die Literaturwissenschaft leistet damit eine elementar andere »Pflege des festen Buchstabens«: Sie ordnet und reguliert die Vorgänge des Verstehens, deckt den historischen Wort- und Textsinn auf, sucht die Relationen im Kennfeld von Leser, Text und Autor zu rekonstruieren und kritisiert hermeneutische Ansätze, die ihr willkürlich oder historisch nicht ausreichend ausgewiesen erscheinen. Ebenso beleuchtet Literaturwissenschaft die Bedingungen der Literaturproduktion, liest Texte mit dem Blick auf Zusammenhänge, Sozial-, Wirkungsund Weltgeschichte und setzt im Verstehen Akzente einer aktualisierenden
66
V g l . M. H e i d e g g e r , Sein und Zeit, Tübingen ' 7 i 9 9 3 , S. 1 5 3 .
438
Sinngebung. 67 Literaturforschung betrachtet Dichtung nicht als die überzeitliche Emanation einer entfernten Wahrheit, sondern sieht sie in einem Gravitationsfeld politischer, sozialer und geschichtlicher Kräfte, die ihre Entstehung und die nachfolgenden Verstehensvorgänge konditionieren. Unter diesen grundsätzlichen Voraussetzungen hermeneutischer Landschaftspflege kann und sollte die Literaturwissenschaft auch die Genese und den Hintergrund von poetologischen Modellen erhellen, die mit radikalen Entwürfen in ihrer Zeit einen modifizierten Dichtungsbegriff vorstellen und dafür Geltung einfordern woraus sich für die Zukunft die Notwendigkeit einer weiteren literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Heideggers Deutung von Dichtung, ihrer poetologischen Gestalt und ihren interpretationsgeschichtlichen Wurzeln und Früchten ergibt.
67
Vgl. H . R . Jauß, Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt a.M. 1970, S.
ιγι{.
439
6
Literaturverzeichnis
6. ι
Werke Martin Heideggers
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