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German Pages 38 [49] Year 1923
Die Stellung der Handelskammern im Aufbau der wirtschaftlichen 1 nteressen Vertretungen Von
DL C H R I S T I A N E C K E R T Geheimer Regierungsrat ordentlicher Professor der Staatswissenschaften an der Universität Köln
Zweite unveränderte Auflage
Bonn 1922 A . Marcus & E. Webers Verlag (Dr. jur. Albert A h n )
Nachdruck verboten. Alle Rechte, besonders das der Übersetzung in fremde Sprachen behält der Verlag sich vor. Copyright 1922 by A. Marcus 6. E. Webers Verlag, in Bonn.
Kölner Verlags-Anstalt und Druckerei A^G.
EINLEITUNG. Nach der politischen Katastrophe, wie wir sie infolge des überdehnten und gerade dadurch, trotz heroischer Opfer, verlorenen Krieges erlebten, wankt und wandelt sich das Gesamtgefüge des Staates. Jede Bekundung des Massenwillens wird umstritten. Immer wieder wird gefragt und geprüft, wieweit die seitherige Vertretung der Gruppen und Stände, die Repräsentanz der Interessen einzelner Berufe noch Geltung und Wert haben könnten. Die Reichsverfassung hat diese Fragen angeschnitten. Sie gibt Richtlinien für Neuwerdendes, läßt aber der Einzelausprägung des Kommenden Spielraum. Die Formung des von ihr Verlangten kann mannigfache Gestaltung annehmen. Dies hat zu lebhaftem Meinungsstreit geführt. Wer an die Möglichkeit geradliniger Durchführung eines großen Gedankensystems glaubt, wird in solchen Fragen andere Antwort bereithalten wie jener, der das Historisch-Gewordene als etwas Lebendiges und Lebenswertes erachtet, in dessen Fortgestaltung und schrittweiser Umwandlung er Heil und Fortschritt sieht. Neben vielen anderen Problemen ist der Fortbestand der Handelskammern, ihre künftige Gliederung, der ihnen verbleibende Aufgabenkreis lebhaft erörtert worden. Zur Frage der Handelskammern haben vielfach unmittelbar interessierte, um ihre Leitung verdiente Persönlichkeiten, ihre Vorsitzenden und Mitglieder, ihre Syndici und Angestellten Stellung genommen. Oft haben auch solche ihre Meinung geäußert, die dem Tätigkeitskreis der Handelskammern fernstehen, nur geringe und oberflächliche Kenntnis ihrer Geschichte und ihres Wirkens in der jüngsten Vergangenheit haben. Vielleicht darf auch das Wort eines Theoretikers laut werden, den wirtschaftshistorische Neigungen schon vor Jahrzehnten die Tätigkeit rheinischer Handelskammern in der Vergangenheit verfolgen ließen, dem die Durchforschung 3
der heimatlichen Gewerbeentwicklung und der Rheinschiffahrt im 19. Jahrhundert ein Bild gab, welch weitgreifenden, segensreichen Einfluß die westlichen Handelskammern im Verlauf der rückliegenden Menschenalter übten, in welch großem Umfang ihre Vorsitzenden, ihre Mitglieder, ihre Beamten den Aufstieg der deutschen Volkswirtschaft als berufene Ratgeber und Anreger gefördert haben. Die nachfolgenden Zeilen wollen versuchen, einen Umriß des Werdens und Wesens der Handelskammern in der Vergangenheit aufzuzeichnen, wollen Forderungen der Gegenwart präzisieren, einen Beitrag zur Beantwortung der Fragen liefern, nach welcher Richtung Umprägungen und Umordnungen der Kammern wünschenswert erscheinen, welche Zukunftsaufgaben ihnen noch z u gemessen werden können.
INHALTSVERZEICHNIS Einleitung
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I. Werden und Wesen der Handelskammern II. Das Rätesystem in der Reichsverfassung III. Vorschläge zur künftigen Stellung der Handelskammern bei Durchführung der Reichsverfassung IV. Tragweite des Art. 165 der Reichsverfassung V. Paritätische Umbildung der Handelskammern? . . VI. Wichtige Gegenwartsaufgaben der Handelskammern, gebunden an Wahrung ihrer Eigenart VII. Berechtigte Reformwünsche VIII. Handelskammern im besetzten Gebiet
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I.
Die preußischen Handelskammern wurzeln, ähnlich wie die Handelskammern Hessens, in der Wendezeit des 18. Jahrhunderts, da die linksrheinischen Landesteile der französischen Gebietshoheit unterworfen waren. Nach Aufhebung der altfranzösischen Handelskammern in der großen Revolution wurden durch Gesetze des Jahres 1802 neue Vertretungen der kaufmännischen Berufsinteressen in den Gewerbe- und in den Handelskammern geschaffen. Die Handelskammern sollten den Regierungsbehörden Anregungen zur Förderung des Handels, Vorschläge zur Beseitigung seiner Hemmnisse unterbreiten, sollten die dem Warenaustausch dienenden Verkehrseinrichtungen überwachen und zugleich helfen, die Verordnungen gegen den Schmuggel durchzuführen. Die Kölner Handelskammer war die erste Preußens, die auf dieser Grundlage weiterbaute, nachdem das linke Rheinufer an Deutschland zurückgegeben war. Seit den Tagen des Wiener Kongresses, seit den Versuchen zur Herbeiführung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, des Ausbaus der Volkswirtschaft ist das Bedürfnis nach Handelsvertretungen auch in andern Teilen der norddeutschen Großmacht fühlbar geworden. Die Gründungen geschahen in der Art, daß der König die Satzung neugebildeter Handelskammern durch Verordnung bestätigte. Die Trennung zwischen der Pflege des Handels und des Gewerbes, wie sie die französischen Kammern vorgesehen hatten, begann sich zu verwischen. Die neuen Kammern fühlten sich als Vertretungen des Handels und Verkehrs wie der die Rohstoffe gewinnenden und verarbeitenden Gewerbe. Seit 1830 sind sie statutengemäß gehalten, nicht nur über den Gang des Handels und der Schiffahrt, sondern auch des „Manufakturgewerbes" Gutachten zu erstatten. Bis 1840 blieb die Errichtung solcher Handels7
kammern in Preußen auf die westlichen Landesteile beschränkt. In den alten Gebieten der Monarchie wurden die in bedeutenderen Handelsplätzen wirkenden kaufmännischen „Korporationen", wie sie bis 1820 bspw. in Berlin errichtet waren, mit ähnlichen Aufgaben betraut. Diese unterschieden sich in ihrem Wirkungskreis von den rheinischen Handelskammern durch ausgedehntere Verwaltungstätigkeit. Mit den vierziger Jahren beginnt sich das Schwergewicht der Entwicklung mehr und mehr nach der Seite der Handelskammern zu verlegen. Seit dem Einführungsgesetz zum Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch bestand der wesentlichste Unterschied zwischen den Korporationen Altpreußens und den Handelskammern darin, daß der Zutritt zu den Korporationen freier Entschließung der Interessenten vorbehalten blieb, während die Handelskammern Zwangsvertretungen darstellten. Um Einheitlichkeit im Aufbau der bestehenden Handelskammern zu erzielen und für die Einrichtung neuer Kammern Gleichmäßigkeit anzubahnen, erging am 11. Februar 1848 eine Königliche Verordnung, die eine allgemeine Unterlage für den Weiterbau schuf. In den Aufgaben der Kammern wird nichts Wesentliches geändert. Sie sind beratende Körperschaften, die bei den Staatsbehörden die Interessen von Handel und Gewerbe durch Ratschläge und gutachtliche Äußerungen vertreten. Nach dem Zuwachs, den Preußen durch die Ereignisse von 1866 gewonnen hatte, wurden weitere Maßnahmen notwendig. Um die neu erworbenen Landesteile, die bis dahin teils überhaupt keine Kammern besaßen oder deren Handelskammern sich nach anderen Richtlinien entwickelt hatten, den schon länger zu Preußen gehörenden Gebietsteilen anzunähern, war das Gesetz vom 24. Februar 1870 bestimmt. Nach ihm ist die Errichtung von Handelskammern nur noch an die ministerielle Genehmigung gebunden. Auch nach diesem Gesetz bleiben die Handelskammern beratende Fachorgane, die sich grundsätzlich auf tatsächliche Angaben über vorhandene Handelsgebräuche und Verkehrszustände wie auf Erstattung von Gutachten beschränken. Wenn ihnen einzelne Verwaltungsaufgaben, z. B. die Ernennung von Handelsmaklern und die Beaufsichtigung von Börsen, übertragen waren, so wurde doch für eine allgemeine Verwaltungstätigkeit in dem neuen Gesetz keine Grundlage gegeben. Seine Abänderung ist durch Novelle vom 19. August 1897 erfolgt. Sie erweitert die Befugnisse der Handelskammern und verleiht ihnen Rechtspersönlichkeit. Nach diesem noch heute 8
geltenden Handelskammergesetz sind die Kammern Vertretungen des Handels und der Gewerbe unter Ausschluß des Handwerks, für das besondere Organisationen bestehen. Sie bleiben beratende Fachorgane zur Unterstützung der Behörden in Förderung von Handel und Gewerbe. Bestimmte Verwaltungsaufgaben sind den Handelskammern in einzelnen Gesetzen zugewiesen. Sie sind aber auch in der Lage, sich Verwaltungsaufgaben zu Nutzen von Handel und Gewerbe und der darin beschäftigten Gehilfen und Lehrlinge selbsttätig zu stellen. Für den Bezirk, für den sie errichtet sind, sind die Kammern Zwangsorganisationen, denen sich niemand aus den von ihnen vertretenen Erwerbszweigen entziehenkann. Die preußischen Handelskammern sind also nicht durch einheitlichen Gesetzgebungsakt entstanden, sondern sie entwickelten sich nach Maßgabe der Fortgestaltung des wirtschaftlichen Lebens in den einzelnen Landesteilen. Eine Schwäche ihrer Organisation verursachte die Zersplitterung seit den 60er und 70er Jahren, in denen man an die Allheilkraft des Prinzips wirtschaftlicher Freiheit glaubte. Man dachte die richtige Abgrenzung und lebenswahre Betätigung zusammengefaßter Interessen am besten dadurch zu sichern, daß man die Gründung der Handelskammern der Initiative eingesessener Kaufleute und Industrieller überließ. In vielen Fällen hat dies System zum Ziel geführt, in andern versagte es infolge mangelnder Einsicht oder aus persönlichen Gegensätzen. Das ideale Ziel für das Gesamtgebiet Preußens war demnach noch nicht erreicht. Auch die Frage der staatsrechtlichen Stellung der Handelskammern in ihrem Verhältnis zu Reich und Bundesstaaten, in ihrer Eigenschaft als behördliche Hilfsorgane des Staates, bei der Betätigung der kaufmännischen und industriellen Selbstverwaltung blieb im Fluß. In den mittel- und süddeutschen Staaten haben sich die Handelskammern ähnlich wie in Preußen entwickelt. Dreiundzwanzig von den ehemaligen deutschen Bundesstaaten erlassene Gesetze stimmen in den wesentlichen Sätzen mit Preußens Normen überein. Trotz der Menge der Gesetzgeber ist die Einheit der vorherrschenden Gedanken gewahrt, sind die Aufgaben aller deutschen Kammern im wesentlichen auf gleichen Grundanschauungen fundamentiert. Fast wortgetreu findet sich in den Texten immer wiederkehrend der Satz, daß die Kammern die Gesamtinteressen der Handelund Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, besonders 9
die Behörden in der Förderung des Handels und der Gewerbe durch tatsächliche Mitteilungen, Anträge, Erstattung von Gutachten zu unterstützen haben. In der ersten Zeit der Handelskammern war das deutsche Wirtschaftsleben noch wenig entwickelt gewesen. Die Ansprüche, die an eine Vertretung der gewerblichen und kaufmännischen Interessen gestellt wurden, konnten leicht und mit bescheidenen Mitteln befriedigt werden. Diesen Zuständen entsprach die schlichte, einfache Arbeitsweise der Handelskammern. Sie blieben Körperschaften, bei denen die kaufmännischen Interessen die ursprünglichen gewesen, die Interessen der Industrie sich erst allmählich und oft im Gegensatz zu der früheren Struktur durchgebildet hatten. Als nach der Gründung des Kaiserreichs, nach der Verflechtung Deutschlands in den weltwirtschaftlichen Güteraustausch die ökonomischen K ä m p f e schärfer einsetzten, der Streit über das große Problem des Schutzzolls oder Freihandels ausgefochten wurde, standen die Handelskammern bescheiden im Hintergrund. Sie schienen in allgemeinpolitischen wie in wirtschaftspolitischen Fragen zur Neutralität verpflichtet zu sein. Darin lag eine Stärke und zugleich eine Schwäche ihrer Position. Bedeutsam wurden in dieser Hinsicht neben ihnen neugegründete Vereinigungen, wie der Zentralverband deutscher Industrieller, mit ihrem ausgesprochenen, scharf verteidigten Wirtschaftsprogramm. Auch die Fachvereine f ü r Einzelgewerbezweige, die sich mit der wachsenden Komplizierung des Wirtschaftslebens neu bildeten, waren den Handelskammern gegenüber nach dieser Richtung im Vorteil. In den großen Industrien und Industriegebieten hatten die Handelskammern teilweise damit zu kämpfen, daß sich die Riesenwerke und Syndikate eigenen volkswirtschaftlichen Apparat und eigene Rechtsberatung zu schaffen wußten, die statistischen Hilfsmittel und die Arbeitsleistungen der Kammern wenig mehr in Anspruch zu nehmen brauchten. So führte der immer breiter werdende Strom der wirtschaftlichen Entwicklung zu einer Arbeitsteilung der Interessenvertretungen, von der die Handelskammern mitergriffen worden sind. Trotzdem dehnte und verbreiterte sich der Wirkungskreis namentlich der großen Kammern von J a h r zu J a h r . Weitgehend war bspw, der Einfluß, den bedeutendere Kammern in den letzten Jahrzehnten f ü r Verbesserung aller Verkehrsmöglichkeiten ausgeübt haben. Sie gaben beachtliche Anregungen f ü r zweck10
mäßige Gestaltung der Eisenbahnverbindungen, beeinflußten den Ausbau der Tarife im Personen- wie Güterverkehr, widmeten sich auch sonst mit Erfolg den Angelegenheiten der Verfrachtung, der Weitergestaltung des Post-, Telegraphen- und Fernsprechdienstes, die Handel und Industrie in immer größerem Umfang f ü r ihre Zwecke benötigten. Auch in allen Schiffahrtsfragen gewann die Haltung der Kammern immer größere Bedeutung. Hervorzuheben sind nicht minder die erfolgreichen Bemühungen der Kammern um Einrichtung, Ordnung und Überwachung des Börsenverkehrs. Sowohl das Gebiet des börsenmäßigen Effektenhandels wie die immer bedeutsamere Ausgestaltung der Warenbörsen ist ihnen in erster Linie zu danken. Sie wußten auch ihren Wert dadurch zu bekunden, daß sie als Bildungsförderer zunächst f ü r den engeren Kreis ihrer Mitglieder, dann aber für die gesamte Kaufmannschaft zu arbeiten begannen. Hervorragende Verdienste erwarben sich fast alle Handelskammern durch Pflege des kaufmännischen Schulwesens. Den höheren Handelsschulen wie den kaufmännischen Fortbildungsschulen schenkten sie ihre Aufmerksamkeit, stellten sie Mittel in größerem Umfang zur Verfügung. Ein guter Teil der Handelsschulen und kaufmännischen Fortbildungsschulen ist von Handelskammern begründet, ist ganz oder teilweise von ihnen unterhalten worden, ging erst später in städtische Betriebe über. Auch die um die Jahrhundertwende in Deutschland neugegründeten HandelsHochschulen haben von den Handelskammern tatkräftige Förderung erfahren. Vorbildlich auf diesem Gebiet ist die Stellung der Handelskammer in Köln und wenig später der Handelskammer in Frankfurt a. M. gewesen. Der Krieg hat an die Handelskammern wie an die freien Verbände neue wachsende Anforderungen gestellt. Während die letztgenannten die Regierung bei Durchführung der Zwangswirtschaft unterstützen konnten, kamen die Handelskammern hauptsächlich für den Dienst als Auskunftsstellen in Betracht. J e mehr Verordnungen sich aneinanderreihten, durch die sich kein K a u f mann, kein Gewerbetreibender mehr durchfinden konnte, desto umfangreicher wurde der Aufklärungsdienst, den die Handelskammern ihrerseits zu übernehmen hatten. Wesentliches Verdienst haben sich die Handelskammern dadurch erworben, daß sie die Anträge auf Zurückstellung voin Heeresdienst ihrerseits prüften und begutachteten. Bei dem Bedarf an Menschen, den der 11
Großkrieg verschlang, bei der Notwendigkeit anderseits, das Wirtschaftsleben in tunlichst weitgehendem Umfang aufrecht zu erhalten, war die Prüfung der Reklamationsgesuche durch die Kammern, die die besten Kenntnisse der wirtschaftlichen Anforderungen ihrer Gebiete besaßen, von besonderer Bedeutung. Durch Gutachten über die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit von Heereslieferanten haben die Kammern wesentlichen Nutzen gestiftet. Eine ganze Reihe von Kammern vermochten durch Schaffung besonderer Einrichtungen für die Verteilung von Heereslieferungen nützliche Dienste zu leisten. So haben die Handelskammern, die über einen großen, finanziell leistungsfähigen Bezirk verfügten, verstanden, sich den schnell wandelnden Verhältnissen und den wachsenden, an sie herantretenden Bedürfnissen gut anzupassen. Sie haben, wie schon in den rückliegenden Friedensjahren, auch in der Kriegszeit, trotz mancherlei Anfeindungen, nach äußerem Umfang und innerem Wert ihr Wirken vervielfacht. Nur die kleineren versagten gutenteils aus Mangel an Persönlichkeiten und Mitteln. Der preußische Reformversuch, der durch Gesetz die Voraussetzungen für leistungsfähige Industrie- und Handelskammern schaffen wollte, ist 1918 gescheitert. Die Regierung vermochte nicht, die widerstrebenden Parlamentarier für ihren Entwurf einer Neuregelung zu gewinnen. Angriffe aus Kreisen der freien Vereine, das Verhalten mancher Behörden ließen dennoch Zweifel auftauchen, ob überhaupt amtliche Vertretungskörperschaften zeitgemäß blieben, ob man nicht alles freien Vereinen überlassen könne. Auch die Frage, ob die Handelskammern als bundesstaatliche Einrichtungen weiter bestehen bleiben sollen, ob das Reich sie nicht in seinen Wirkungskreis hineinziehen könne, ist vor und in dem Krieg lebhaft erörtert worden. Vorschläge einer Neugestaltung durch Gesetz und Selbsthilfe waren schon bei der Zusammenkunft der vereinigten deutschen Handels- und Gewerbekammersekretäre im Oktober 1916 erörtert worden, auf der Dr. Brandt-Düsseldorf, Dr. Lohmann-Barmen, Dr. Wiedemann-Elberfeld (jetzt Köln) Referate erstatteten, die die Problemstellung formulierten und Linien des Neuzufordernden vorzuzeichnen suchten. Dem Übermaß der Organisationen und der Zersplitterung der Kräfte sollte durch Vereinfachung und Zusammenfassung der Vertretungsorganisationen, durch stärkere Betonung der Gesamtinteressen von Handel, Industrie und Schiffahrt, der gemeinsamen Berufs- und Standesaufgaben im Rahmen 12
der deutschen Volkswirtschaft entgegengearbeitet werden. Damals wurde die Frage in den Mittelpunkt gestellt, die auch heute noch nicht eindeutig beantwortet ist: in welcher Form finden Industrie und Handel die zweckmäßigste, den heutigen Ansprüchen genügende, die großen Aufgaben der nächsten Zukunft meisternde Berufsvertretung ihrer Gesamtinteressen?
II. In den Jahren des Kriegs und des Zusammenbruchs sind diese Fragen nicht gelöst worden, aber auch nicht zur Ruhe gekommen. Unseren Tagen sind sie neugestellt, in den kommenden Jahren müssen sie entscheidend beantwortet werden. Sollen die Handelskammern, die sich trotz einzelner erkannter Mängel bewährt haben, einem problematischen Radikalismus zum Opfer fallen? Sollen sie so umgewandelt werden, daß von ihres Wesens Kern nichts übrig bleibt? Oder sollen sie nach neuen Zeitbedürfnissen geformt, aber in ihrer Hauptaufgabe und Blickrichtung nicht angetastet neben andere Körperschaften treten, mit denen sie organisch zu neuen Problemlösungen sich finden? Welche Wirkensmöglichkeiten sind ihnen nach Annahme der neuen Reichsverfassung belassen? Die Verfassung von Weimar schiebt für die Regelung der Interessenvertretung an Stelle der landesgesetzlichen Regelung die Autorität des Reiches. Wie die Zuständigkeit der deutschen Republik auf vielen Gebieten weit größer ist, als die des Kaiserreichs je gewesen, so hat sie gerade auch in Beeinflussung des Wirtschaftslebens ihren Aufgabenkreis geweitet. Nr. 10 des grundlegenden Artikels 6 der neuen Reichsverfassung besagt ausdrücklich, daß die Schaffung beruflicher Vertretungen dem Reiche vorbehalten sei. Damit ist jede Gesetzgebung hinsichtlich der Handelskammern Reichssache geworden. Grundsätzliche Verschiedenheiten der bisherigen Regelung solcher Vertretungen in den einzelnen deutschen Staaten können danach ohne weiteres ausgeglichen und beseitigt werden. Die Zuständigkeit der früheren Bundesstaaten, der jetzigen Länder des Reichs, bei Zuteilung von Einzelaufgaben an die Kammern bleibt aber unberührt. Des weiteren besagt Art. 156 der Verfassung, daß das Reich befugt ist, in einzelnen Wirtschaftszweigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gemein13
der deutschen Volkswirtschaft entgegengearbeitet werden. Damals wurde die Frage in den Mittelpunkt gestellt, die auch heute noch nicht eindeutig beantwortet ist: in welcher Form finden Industrie und Handel die zweckmäßigste, den heutigen Ansprüchen genügende, die großen Aufgaben der nächsten Zukunft meisternde Berufsvertretung ihrer Gesamtinteressen?
II. In den Jahren des Kriegs und des Zusammenbruchs sind diese Fragen nicht gelöst worden, aber auch nicht zur Ruhe gekommen. Unseren Tagen sind sie neugestellt, in den kommenden Jahren müssen sie entscheidend beantwortet werden. Sollen die Handelskammern, die sich trotz einzelner erkannter Mängel bewährt haben, einem problematischen Radikalismus zum Opfer fallen? Sollen sie so umgewandelt werden, daß von ihres Wesens Kern nichts übrig bleibt? Oder sollen sie nach neuen Zeitbedürfnissen geformt, aber in ihrer Hauptaufgabe und Blickrichtung nicht angetastet neben andere Körperschaften treten, mit denen sie organisch zu neuen Problemlösungen sich finden? Welche Wirkensmöglichkeiten sind ihnen nach Annahme der neuen Reichsverfassung belassen? Die Verfassung von Weimar schiebt für die Regelung der Interessenvertretung an Stelle der landesgesetzlichen Regelung die Autorität des Reiches. Wie die Zuständigkeit der deutschen Republik auf vielen Gebieten weit größer ist, als die des Kaiserreichs je gewesen, so hat sie gerade auch in Beeinflussung des Wirtschaftslebens ihren Aufgabenkreis geweitet. Nr. 10 des grundlegenden Artikels 6 der neuen Reichsverfassung besagt ausdrücklich, daß die Schaffung beruflicher Vertretungen dem Reiche vorbehalten sei. Damit ist jede Gesetzgebung hinsichtlich der Handelskammern Reichssache geworden. Grundsätzliche Verschiedenheiten der bisherigen Regelung solcher Vertretungen in den einzelnen deutschen Staaten können danach ohne weiteres ausgeglichen und beseitigt werden. Die Zuständigkeit der früheren Bundesstaaten, der jetzigen Länder des Reichs, bei Zuteilung von Einzelaufgaben an die Kammern bleibt aber unberührt. Des weiteren besagt Art. 156 der Verfassung, daß das Reich befugt ist, in einzelnen Wirtschaftszweigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gemein13
wirtschaftlicher Selbstverwaltung zusammenzuschließen. Von einschneidender Bedeutung endlich ist Art. 165 der Reichsverfassung, der den Rätegedanken in dem demokratischen Staatswesen verwirklichen will. Er sucht die Verankerung des Rätesystems in den Grundrechten und Grundpflichten zu gewährleisten. Zu ihnen gehört ein System von Räten, das fünffach gegliedert ist: Betriebsarbeiterräte, Bezirksarbeiterräte, Reichsarbeiterrat auf der einen Seite, Bezirkswirtschaftsräte und Reichswirtschaftsrat auf der andern. Die Arbeiterräte sollen mehr die sozialpolitischen Zwecke, die Wirtschaftsräte die produktions-politischen erfüllen. Die Versuche, berufsständische Gedanken zu verwirklichen, sind gerade den Deutschen nicht fremd, sind bei uns, so sehr auch die jüngste Entwicklung westländischen Einflüssen unterlegen ist, im alten deutschen Ständetum verwurzelt. In der Zeit von der großen französischen Revolution bis zum deutschen Revolutionsversuch von 1848 und von der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder bis 1918 wurde die Forderung berufsständischer Vertretung verschiedenartig begründet. Zeigte die erste Periode vorwiegend das Streben der einflußreichen Gesellschaftsschichten, alte Standesvorrechte durch berufsständisches Wahlrecht zu erhalten und festzulegen, so traten in der zweiten Periode Staatsmänner und Staatswissenschaftler auf, die die berufsständische Idee zur Überwindung der Parteiherrschaft, zur Geltendmachung der wahren Volksinteressen nützen wollten. Der November 1918 brachte in Deutschland mit Übernahme der aus Rußland bekannten Einrichtung der Arbeiter- und Soldatenräte eine neue Triebkraft für die Entwicklung des Problems. Die Arbeiter- und Soldatenräte, die im Chaos des 9. November 1918 die politische Gewalt in Deutschland verkörperten, betrachteten sich überwiegend als vorläufige Revolutionsorgane, die die Errungenschaften der Revolution behaupten und ausbauen sowie die Gegenrevolution niederhalten wollten. Die Grundfragen, ob das Deutsche Reich eine Räterepublik nach russischem Vorbild sein solle, oder ob über dessen künftige politische Gestaltung eine verfassunggebende Nationalversammlung, die aus allgemeinem, gleichen Wahlrecht hervorgehen würde, zu bestimmen habe, waren zunächst lebhaft umstritten. Die Entscheidung fiel auf dem Mitte Dezember 1918 in Berlin tagenden ersten Rätekongreß, der sich mit starker Mehrheit für die Einberufung der Nationalversammlung entschied. Daraus entwickelte sich der bittere Kampf der in der Minderheit 14
gebliebenen unabhängigen sozialdemokratischen Partei und der Spartakusleute gegen die Reichsregierung und den Zentralrat um den Fortbestand des Rätesystems. Hie Nationalversammlung — hie Rätesystem! Demokratie auf der einen Seite, Diktatur des Proletariats auf der andern waren die Schlagworte, unter denen gekämpft wurde. Der Rat der Volksbeauftragten, hinter dem in diesem Punkt nachdrücklich alle bürgerlichen Parteien standen, sah in den Arbeiterräten nur eine vorübergehende Erscheinung, für die nach Durchführung einer demokratisch-parlamentarischen Ordnung keine Wirkungsmöglichkeit mehr blieb. Nachdem die Wahlen zur Nationalversammlung nicht die von vielen erwartete sozialistische Mehrheit gebracht hatten, sah man auf der bürgerlichen Seite schon die Arbeiterräte als endgültig abgetan, während die Linksradikalen nunmehr schärfer in den Kampf gegen die Nationalversammlung eintraten. War man in den ersten Revolutionsmonaten in breiteren Schichten geneigt, das Rätesystem in seiner russischen proletarischen Art auch in Deutschland durchzufechten, so entwickelte sich, seitdem der Gedanke der Nationalversammlung gesiegt und deren Wahl stattgefunden hatte, im ersten Drittel des Jahres 1919 eine neue Form des berufsständischen Gedankens in der Forderung einer Verankerung des Rätesystems in der Verfassung. Unter dem Eindruck der Verhandlungen der Nationalversammlung, die im Februar 1919 vor sich gingen, trat mehr und mehr ein Umschwung in der Stimmung der Arbeitermassen in Erscheinung. Mit dem Sinken der Achtung vor der Nationalversammlung, in der man zunächst den machtvollen Ausdruck des wahren Volkswillens gesehen hatte, die man dann aber, als die alten Parlamentarier und die alten Parteien wieder die Oberhand bekamen, in ihrer Bedeutung anders wertete, minderte sich zugleich die Achtung vor dem demokratischen Prinzip überhaupt. Hatte noch am 26. Februar 1919 die Regierung verbreiten lassen, daß kein Mitglied des Kabinetts daran denke oder je daran gedacht habe, das Rätesystem in irgendwelcher Form in die Verfassung oder in den Verwaltungsapparat einzugliedern, daß besonders die Sozialdemokratie es aufs schärfste ablehne, die Demokratie durch die Diktatur, die notwendig mit dem politischen Rätesystem verbunden sei, zu trüben, so wandelte sich dies Bild, als der offene Kampf von neuem begann und zunächst in Mitteldeutschland der Generalstreik erklärt wurde. Schon am 5. März 1919 15
sah sich die Regierung gezwungen, in der Frage der Arbeiterräte nachzugeben. Sie gab die Erklärung ab: die Arbeiterräte werden als wirtschaftliche Interessenvertretungen grundsätzlich anerkannt und in der Verfassung verankert. Unter dem Druck der fortgesetzten Unruhen sah sich die Regierung dann zu weiterem Entgegenkommen genötigt und gab am 6. April den Entwurf eines neuen, ursprünglich nicht vorgesehenen Verfassungsartikels bekannt, der das vorher gegebene Versprechen einlösen sollte. Nur wenige haben damals den lebendigen Kern des Rätegedankens, losgelöst von demokratischer wie proletarischer Lehrmeinung, erfaßt und daran gedacht, die Räte in den demokratisch aufgebauten Staat einzugliedern. Mit ihrem Plan, beispielsweise dem Gedanken einer berufsständischen „Kammer der Arbeit", fanden sie in weiteren Kreisen kein Gehör. Die Frage, die in den nächsten Monaten aufs heftigste umstritten blieb, die sich in dem Problem zuspitzte, wieweit es möglich sei, eine unmittelbare Beteiligung des einzelnen am Staatsleben durch Wahl in Betrieb und Beruf, durch Aufbau des Staates in Pyramidenform sicherzustellen, fand schließlichjceine andere Lösung, als sie die Regierung zuletzt vorgesehen und versprochen hatte. % Die Nationalversammlung nahm den Entwurf der Regierung fast so an, wie er dem Parlament unterbreitet worden war. Art. 165 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 lautet in seinen drei ersten, für unsere Erörterung wesentlichen Absätzen wie folgt: % „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten und in einem Reichsarbeiterrat. Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat treten zur Erfüllung der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und der Mitwirkung bei der Ausführung der Sozialisierungsgesetze mit den Vertretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise 16
zu Bezirkswirtschaftsräten und zu einem Reichswirtschaftsrat zusammen. Die Bezirkswirtschaftsräte und der Reichswirtschaftsrat sind so zu gestalten, daß alle wichtigen Berufsgruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung darin vertreten sind."
III. Fraglich ist, ob bei diesem Zuwachs an Organisationen die bestehenden Vertretungsformen überhaupt noch, ob sie in den seitherigen Formen, ob sie als Unterbau des Neuwerdenden und wieweit sie als amtliche Organe fortbestehen sollen. Schon in den Beratungen der Nationalversammlung über die geplante Reichsverfassung hat der damalige Abgeordnete Dr. Brauns, der jetzige Reichsarbeitsminister, als einhellige Meinung der Mitglieder des Verfassungsausschusses festgestellt, daß die bestehenden Kammern künftig verbleiben sollten. Auch im Aufriß der Planwirtschaft, wie sie Reichsminister Wissel vorschwebte, bleibt den Handelskammern eine wichtige Stelle eingeräumt. Vornehmlich wird jedoch die Idee verfochten, daß die Handelskammern in ihrer derzeitigen Zusammensetzung, falls sie nicht durch die Zuziehung von Arbeitern zu „paritätischen" Körperschaften umgestaltet würden, als amtliche Vertretungen ihres Berufes nicht mehr anerkannt werden sollten. Ein Jahr nach dem Zusammenbruch, wenige Monate nach Annahme der neuen Reichsverfassung, am 6. und 7. Oktober 1919, wurde zu Weimar bei der Zusammenkunft der Vereinigung deutscher Handels- und Gewerbekammersekretäre eine lebhafte Aussprache über die Zukunft der Handelskammern erzielt, bei der sich die Anschauungen zu klären begannen. Leider gelang es nicht, rechtzeitig amtliche und freie Interessenorganisationen zur Verfolgung gemeinsamen Zwecks, vereinbarten Zielstrebens zusammenzufassen und in ihren Willensäußerungen wechselseitig zu binden. Wenn im Krieg und der ihm zunächst folgenden Zeit wirtschaftlicher Umwälzungen amtliche und freie Interessenorganisationen sich ergänzten, so war damals doch die Einsicht dafür, daß sie sich wechselseitig zu stützen hätten, keineswegs in allen Kreisen gegeben. Nach Verabschiedung der Reichsverfassung war zur Erledigung der dringendsten Aufgaben des Reichswirtschaftsrates zunächst 17
zu Bezirkswirtschaftsräten und zu einem Reichswirtschaftsrat zusammen. Die Bezirkswirtschaftsräte und der Reichswirtschaftsrat sind so zu gestalten, daß alle wichtigen Berufsgruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung darin vertreten sind."
III. Fraglich ist, ob bei diesem Zuwachs an Organisationen die bestehenden Vertretungsformen überhaupt noch, ob sie in den seitherigen Formen, ob sie als Unterbau des Neuwerdenden und wieweit sie als amtliche Organe fortbestehen sollen. Schon in den Beratungen der Nationalversammlung über die geplante Reichsverfassung hat der damalige Abgeordnete Dr. Brauns, der jetzige Reichsarbeitsminister, als einhellige Meinung der Mitglieder des Verfassungsausschusses festgestellt, daß die bestehenden Kammern künftig verbleiben sollten. Auch im Aufriß der Planwirtschaft, wie sie Reichsminister Wissel vorschwebte, bleibt den Handelskammern eine wichtige Stelle eingeräumt. Vornehmlich wird jedoch die Idee verfochten, daß die Handelskammern in ihrer derzeitigen Zusammensetzung, falls sie nicht durch die Zuziehung von Arbeitern zu „paritätischen" Körperschaften umgestaltet würden, als amtliche Vertretungen ihres Berufes nicht mehr anerkannt werden sollten. Ein Jahr nach dem Zusammenbruch, wenige Monate nach Annahme der neuen Reichsverfassung, am 6. und 7. Oktober 1919, wurde zu Weimar bei der Zusammenkunft der Vereinigung deutscher Handels- und Gewerbekammersekretäre eine lebhafte Aussprache über die Zukunft der Handelskammern erzielt, bei der sich die Anschauungen zu klären begannen. Leider gelang es nicht, rechtzeitig amtliche und freie Interessenorganisationen zur Verfolgung gemeinsamen Zwecks, vereinbarten Zielstrebens zusammenzufassen und in ihren Willensäußerungen wechselseitig zu binden. Wenn im Krieg und der ihm zunächst folgenden Zeit wirtschaftlicher Umwälzungen amtliche und freie Interessenorganisationen sich ergänzten, so war damals doch die Einsicht dafür, daß sie sich wechselseitig zu stützen hätten, keineswegs in allen Kreisen gegeben. Nach Verabschiedung der Reichsverfassung war zur Erledigung der dringendsten Aufgaben des Reichswirtschaftsrates zunächst 17
ein Wirtschaftsrat beim Reichsministerium gebildet worden. Durch Verordnung vom 4. Mai 1920 wurde dann der vorläufige Reichswirtschaftsrat ins Leben gerufen, der aus 326 Mitgliedern besteht. Er soll die Möglichkeit geben, eine Mitwirkung der interessierten Wirtschaftskreise an den Umgestaltungen bereits vor dem Aufbau der neuen Räte sicherzustellen. Er darf bei Schaffung des Unterbaus für den endgültigen Reichswirtschaftsrat, also vor allem bei der Gesetzgebung für die Bezirksarbeiter- und Bezirkswirtschaftsräte mitwirken. Erst wenn dieser Unterbau vorhanden ist, soll der Reichswirtschaftsrat gesetzlich festgelegt werden. Bei den Beratungen über die Bildung dieses vorläufigen Reichswirtschaftsrates haben Handelskammern und freie Verbände sich zunächst heftig befehdet. Der Ausgang dieses Kampfes gab den Sieg den Fachverbänden. Nach Zusammentritt des vorläufigen Reichswirtschaftsrates zeigte sich, welche Fehler dadurch begangen worden waren, daß man den Fachverbänden so starke, den Verbänden, die nach räumlicher Gliederung aufgebaut waren, verhältnismäßig schwache Vertretung gestattete. Die ernste Kritik, die gegen diese Art des Vorgehens und die sich daraus ergebende Zusammensetzung des vorläufigen Reichswirtschaftsrates einsetzte, hat die sogenannten Spitzenverbände später sich besser finden lassen. Schon im April 1920 haben bei der Sitzung des Hauptausschusses des Deutschen Industrie- und Handelstags die einsichtigen Kenner des Wirtschaftslebens den Ausgleich der Interessen zwischen den hauptsächlichen Wirtschaftsgruppen und ihren Interessenvertretungen zur Gewinnung größerer Stoßkraft befürwortet. Syndikus Dr. Wiedemann-Köln, Geheimrat Dr. Duisberg-Leverkusen, Dr. MostDuisburg waren darin einig, daß der rückliegende schädliche Streit zwischen Handelstag und Reichsverband der Deutschen Industrie über die Zusammensetzung des Reichswirtschaftsrates begraben werden müsse. Eine Verständigung der Handelskammern mit den freien Verbänden für Industrie und Handel wurde von allen Seiten gefordert Mit Fug wurde betont, daß die Geringschätzung der Handelskammern auf der Seite der Vereine bereits im Schwinden begriffen sei und daß der Reichsverband der Deutschen Industrie zur Zusammenarbeit mit dem deutschen Handelstag gewiß geneigt sein werde. Eine Unterlage für die Gestaltung der Arbeiter- und Wirtschaftsräte gemäß Art. 165 der Reichsverfassung wo'lte dann eine Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums im August 1920 geben 18
Mit dem Aufbau der neuen R ä t e , wie sie die Verfassung vorsieht, sollten die Pläne zur Umbildung der seither amtlich anerkannten Berufsvertretungen, insbesondere auch der Industrie- und Handelskammern verbunden werden. Ein doppeltes Schema wurde vom Reichswirtschaftsministerium der weiteren Beschlußfassung unterbreitet. In jedem der zwei Aufrisse soll in drei Stufen (Unter-, Mittel-, Oberstufe) der Wunsch der Reichsverfassung verwirklicht werden. Nach Plan A sollen in der Unterstufe die Handels-, die Handwerks-, die Landwirtschaftskammern zu „Unternehmervertretungen" gestaltet werden. Die Handelskammern sollen Bezirke von der Größe etwa eines preußischen Regierungsbezirks umspannen. Als Arbeitnehmervertretungen (Arbeiterkammern) sind Bezirksarbeiterräte auch wieder für den Bezirk etwa in Größe eines preußischen Regierungsbezirks vorgesehen. Beide Gruppen sollen durch Bildung paritätischer Ausschüsse miteinander verbunden werden. Auch nach dem Plan B , der in der Unterstufe nur fachliche Organisationen kennt, bleiben die Industrie- und Handelskammern wie die Handwerkskammern reine Unternehmerorganisationen. E s werden ihnen Arbeitnehmervertretungen, gebildet aus Arbeitnehmervertretern des gleichen Berufszweiges, als Arbeiterkammern zur Seite gestellt. Beiderlei Vertretungen entsenden Mitglieder in einen gemeinsam gebildeten, paritätischen Ausschuß, der eine Reihe von Aufgaben der Kammern übernimmt und künftig als die amtliche Berufsvertretung gilt. Den Vorsitz in diesem gemeinsamen Ausschuß der „Wirtschaftskammer" führen die beiden Vorsitzenden der Sonderkammern gemeinschaftlich. Durch Verbindung der Büros und der Beamten soll weitgehendes Zusammenarbeiten erstrebt werden. Die grundsätzlichen Unterschiede bei diesen beiden Plänen liegen darin, daß im Plan A nachdrücklicher W e r t auf den Bezirksarbeiterrat in einem räumlichen Gebiet mäßigen Umfangs, unter gemeinschaftlicher Beteiligung von Arbeitnehmern aller Produktionszweige gelegt wird. E r läßt daneben die bisherigen a m t lich anerkannten Berufsvertretungen als solche, ohne Beteiligung der Arbeitnehmer, bestehen. Demgegenüber will der zweite Plan in der Unterstufe die Arbeitnehmervertreter fachlich zusammenfassen und will die amtlichen Berufsvertretungen nur Körperschaften übertragen, an denen auch die Arbeitnehmer beteiligt sind. 19
Nach der Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums vom August 1920 ergibt sich beim Gegenüberstellen von Vorteilen und Nachteilen beider Pläne folgendes: Der erste Plan baut die Unterstufe auf der Unternehmerseite fachlich auf, auf der Arbeitnehmerseite dagegen zwischenfachlich. Es erscheint dem Reichswirtschaftsministerium als Nachteil, daß voraussichtlich die Arbeitnehmervertreter weniger nach fachlicher Befähigung als in der Erwartung gewählt werden, daß gerade sie geeignet seien, allgemeine Arbeiterforderungen den Unternehmern gegenüber am wirksamsten durchzusetzen. Wird dadurch die Tätigkeit der Arbeiterfachausschüsse, sobald sie von der Sozialpolitik nach der Wirtschaftspolitik hinübergreift, berührt, so erscheint dem Ministerium auf der anderen Seite auch die räumliche Verschiedenheit der Grundlagen der Entsendungskörperschaften für die paritätischen Fachausschüsse nicht unbedenklich. Der andere Plan knüpft in der Unterstufe an die bestehenden Unternehmerorganisationen an, indem er für Industrie und Handel der bisherigen Unternehmerkammer eine Arbeitnehmerkammer auf gleicher fachlicher und räumlicher Grundlage gegenüberstellt. Eigenschaften der amtlichen Berufsvertretung überträgt er einem gemeinsamen Ausschuß beider, der „Wirtschaftskammer". Gegen ihn sind von der Unternehmerschaft wie der Arbeiterschaft Widersprüche erhoben worden. In der 4L Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelstages am 3. Dezember 1920 wurde die ganze Frage der künftigen Interessenvertretung für Industrie und Handel nach einem eingehenden Referat des Generalsekretärs Dr. Soetbeer weiter geklärt. Fast einstimmig kam eine Erklärung zur Annahme, die besagt: „Der Deutsche Industrie- und Handelstag spricht sich dafür aus, daß bei der künftigen Interessenvertretung für Industrie und Handel ein Übermaß von Organisation vermieden wird und bestehende Einrichtungen nicht ohne Not zerstört oder beeinträchtigt werden. Die Handelskammern sind zu erhalten und nach wie vor als amtliche Berufsvertretungen anzuerkennen. Daß neben Unternehmern auch Arbeitnehmer Mitglieder der Handelskammern werden, ist abzulehnen, da dies weder zweckmäßig noch durch die Verfassung des Deutschen Reiches vorgeschrieben ist. Dasselbe gilt von Ausschüssen aus Handelskammervertretern und Arbeitnehmern, soweit sie als ständige Einrichtungen gedacht sind, den Handelskammern Aufgaben entziehen und ihnen übergeordnet 20
sein sollen. Eine Verbesserung des Handelskammerwesens ist dahin vorzunehmen, daß die Organisation auf alle Teile des Reichs ausgedehnt wird, zu kleine Handelskammern mit anderen verschmolzen werden und die Wahl der Handelskammermitglieder nach Fachgruppen (Industrie, Großhandel, Kleinhandel) vorgeschrieben wird." Im Januar 1921 haben der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Reichsverband der Deutschen Industrie und die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, die bei Bildung des vorläufigen Reichswirtschaftsrates in mangelnder Einsicht der GefahrmögSichkeit einander befehdet hatten, sich auf einer Grundlage geeinigt, die vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus begrüßt werden darf. In einer gemeinsamen Resolution verlangen sie, daß i n der Unterstufe des Rätesystems die Handelskammern als öffentlich-rechtliche Vertretungskörperschaften der Unternehmer bestehen bleiben sollen, und erkennen deren große Bedeutung rückhaltlos an. So haben die Unternehmervertretungen seit dem Erlaß der Reichsverfassung immer entschiedener und in wachsender Einigkeit sich dafür ausgesprochen, daß die Handelskammern ohne prinzipielle Umgestaltung ihrer Zusammensetzung als Vertretungen der Unternehmer und der Unternehmungen in der Unterstufe des neuen Systems von Vertretungen der Berufsinteressen ihren Rang und ihre Wirkungsmöglichkeit behalten sollen. Zu gedankenreichen Aussprachen, aber auch zu heftigem, nicht zu überbrückendem Meinungsstreit haben endlich die Verhandlungen des Verfassungsausschusses des vorläufigen Reichswirtschaftsrates in diesem Frühjahr geführt. In den Sitzungen vom 19.—21. April 1921 wurden Aufgaben, Gebietsabgrenzung und Aufbau der Bezirkswirtschaftsräte unter Vernehmung von Sachverständigen besprochen. Es wurde dabei erörtert, ob es nötig sei, den Bezirkswirtschaftsräten noch einen Unterbau zu geben und welche Gestaltung dieser erfahren solle. Insbesondere wurde in Rede und Gegenrede dargelegt, welche Gründe dafür sprechen, die bestehenden Berufsvertretungen, vor allem die Handelskammern, als Unterstufe gelten zu lassen, ob bei deren Weiterwirken sie durch Hinzuwählen von Arbeitern und Angestellten paritätisch auszubauen seien oder ob besondere den einzelnen Unternehmerkammern «entsprechende Arbeitnehmerkammern geschaffen werden müssten. F ü r den letzteren Fall wurde überlegt, auf welche Weise die gemein21
same Tätigkeit der Unternehmer- und Arbeiterkammern geregelt werden könne. Freunde und Gegner der Handelskammern habere dabei ihre Meinungen lebhaft verfochten. Es sind so ziemlich alle Möglichkeiten, die denkbar erscheinen, erörtert worden. Es bleibt also offene Frage und ist erneut zu prüfen, ob der Wunsch nach tunlichster Wahrung des Bestehenden und Bewährten, seiner vorsichtigen Anpassung an werdende Verhältnisse unter Ausschaltung erkannter Mängel, leidenschaftsloser Nachprüfung berechtigt erscheint.
IV. Ob der Art. 165 einen Haltepunkt der Entwicklung darstellt,, ob in ihm der Keim einer Wandlung liegt, die vom heutigen Parlamentarismus zur berufsständischen Volksvertretung führt, o b eine Bewegung eingeleitet ist, die sich, wenn auch in schweren, inneren Kämpfen, doch unaufhaltsam fortsetzt, ist heute nicht abzusehen. Für den, der Besserung des Gegebenen, nicht Umsturz alles; Seienden wünscht, ist die Frage zu stellen, welche zwingenden Schlüsse aus der Verfassung sich für die nächste Zukunft ergeben, welche Umänderungen des Bestehenden tunlichst gefördert werden sollen, welche vermieden werden können. Die ganz radikalen Anschauungen, die bald nach dem Zusammenbruch in Überschätzung; des Rätegedankens gelegentlich ausgedrückt worden waren, als ob Vertretungen wie die Handelskammern in die neue Zeit überhaupt nicht mehr hineinpaßten, haben sich schnell verflüchtigt, sind nicht mehr ernstlich zu fürchten. Zunächst läßt sich aus Art. 165 der Verfassung nicht, wie behauptet worden ist, herauslesen, daß nur die aufgeführten Räte künftig bestehen, daß dagegen die nichtgenannten Vertretungen, beseitigt werden sollen. Zuzugeben ist, daß die Formulierung, wie bei jedem Gesetzestext, vieldeutig ist, der Erläuterung und Auslegung bedarf. Es gibt keinen juristischen Satz, über den nicht Streit herrscht, weil einerseits der dem Gesetzgeber vorschwebende Gedankeninhalt sich niemals restlos in Worte bannen läßt, weil anderseits die Vielgestaltigkeit des Lebens allen Normierungen Widerstand leistet und sich nicht in noch so überdachte, vorsichtig gewählte Formeft 22
same Tätigkeit der Unternehmer- und Arbeiterkammern geregelt werden könne. Freunde und Gegner der Handelskammern habere dabei ihre Meinungen lebhaft verfochten. Es sind so ziemlich alle Möglichkeiten, die denkbar erscheinen, erörtert worden. Es bleibt also offene Frage und ist erneut zu prüfen, ob der Wunsch nach tunlichster Wahrung des Bestehenden und Bewährten, seiner vorsichtigen Anpassung an werdende Verhältnisse unter Ausschaltung erkannter Mängel, leidenschaftsloser Nachprüfung berechtigt erscheint.
IV. Ob der Art. 165 einen Haltepunkt der Entwicklung darstellt,, ob in ihm der Keim einer Wandlung liegt, die vom heutigen Parlamentarismus zur berufsständischen Volksvertretung führt, o b eine Bewegung eingeleitet ist, die sich, wenn auch in schweren, inneren Kämpfen, doch unaufhaltsam fortsetzt, ist heute nicht abzusehen. Für den, der Besserung des Gegebenen, nicht Umsturz alles; Seienden wünscht, ist die Frage zu stellen, welche zwingenden Schlüsse aus der Verfassung sich für die nächste Zukunft ergeben, welche Umänderungen des Bestehenden tunlichst gefördert werden sollen, welche vermieden werden können. Die ganz radikalen Anschauungen, die bald nach dem Zusammenbruch in Überschätzung; des Rätegedankens gelegentlich ausgedrückt worden waren, als ob Vertretungen wie die Handelskammern in die neue Zeit überhaupt nicht mehr hineinpaßten, haben sich schnell verflüchtigt, sind nicht mehr ernstlich zu fürchten. Zunächst läßt sich aus Art. 165 der Verfassung nicht, wie behauptet worden ist, herauslesen, daß nur die aufgeführten Räte künftig bestehen, daß dagegen die nichtgenannten Vertretungen, beseitigt werden sollen. Zuzugeben ist, daß die Formulierung, wie bei jedem Gesetzestext, vieldeutig ist, der Erläuterung und Auslegung bedarf. Es gibt keinen juristischen Satz, über den nicht Streit herrscht, weil einerseits der dem Gesetzgeber vorschwebende Gedankeninhalt sich niemals restlos in Worte bannen läßt, weil anderseits die Vielgestaltigkeit des Lebens allen Normierungen Widerstand leistet und sich nicht in noch so überdachte, vorsichtig gewählte Formeft 22
einpressen läßt. Wer aber den angeführten Artikel unbefangen liest, muß denen, die andere Organisationen als die genannten verneinen, entgegenhalten, daß ein diese Meinung irgendwie bestätigender Satz, wie etwa „Alle nicht genannten Vertretungen werden beseitigt", fehlt. Der Sachverständige, Geheimrat Kahn, hat in den Aprilverhandlungen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates schon darauf aufmerksam gemacht, daß mindestens der dritte Absatz des Art. 165, der die Parität für Bezirkwirtschaftsrat und Reichswirtschaftsrat fordert, die Ansicht jener stützt, die den in vergangenen Zeiten gewordenen und gewachsenen Unterbau tunlichst als Tragpfeiler des Neuwerdenden mitverwenden wollen. Wie Kahn m. E. beweiskräftig ausführt, kann per argumentum e contrario aus dem zitierten Satz geschlossen werden, daß auf der Unterstufe die einzelnen Gruppen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gesondert beraten sollen. Zum mindesten ist nicht zu bestreiten, daß diese Anschauung nach Wortlaut und Sinn der Reichsverfassung zulässig ist. Die Behauptung, daß der Art. 165 der Verfassung den Fortbestand der Handelskammern unmöglich mache, ist also irrig. Hach ihm besteht, wie dies bspw. auch Minister Drews im Verfassungsausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrates deutlich betont hat, keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, die Vertretungen der Unternehmer umzuändern. Wohl aber sind die Arbeiter und Angestellten dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Wesensbesonderheiten werden anerkannt. Die Frage spitzt sich also dahin zu, wie und in welcher Form, durch welche Organe diese positive Forderung der Verfassung verwirklicht werden kann. Die Verfassung bestimmt, daß die Arbeitnehmer in den Berufsvertretungen hinzutreten sollen. Ob besondere Vertretungen von Arbeitern in den bestehenden Aufbau hineingezogen werden oder daneben treten und ob sie sich darüber noch zu vereinigen haben, bleibt offen. Auch soweit man sich über das Ziel: Zusammenfassen der Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Dienst =der Unternehmung, klar ist, kann der Entscheid darüber, wie die Berufsvertretungen auszubauen sind, verschieden ausfallen. Es &ommt auf die Zweckmäßigkeit der erstrebten Regelung an. Für 23
die Frage, ob die Handelskammern in ihrer jetzt gegebenen Eigenart bestehen bleiben, wie sie als Unterbau der Bezirkswirtschaftsräte zu behandeln sind, wird man die Antwort nicht rein verstandesmäßig finden. Wer die darüber gepflogenen Beratungen, wer dere ganzen Gedankenaustausch verfolgt, dem will es, wie schon Reichsminister a. D. Preuß ausgedrückt hat, scheinen, als ob der Streit letzten Endes mehr Gefühlssache als eine Angelegenheit sei, die sich mit dem reinen Verstand, mit Gründen pro et contra zu einer Entscheidung bringen lasse. Ich glaube betonen zu müssen, daß die Erfüllung der Verfassungswünsche ohne Zertrümmerung und ohne völligen Umbau der bewährten Vertretungen unterer Instanz möglich ist. Es scheint mir zweckmäßig, im Unterbau die berufsständische Interessenvertretung tunlichst wenig zu ändern, Gewordenes und Eingelebtes neuen Forderungen nur so weit anzugleichen, daß die Lösung der Kernaufgaben gerade dieser Institutionen dadurch nicht gestört wird. Nicht auf neue Formen, sondern auf neuen Geist, der iiii ihnen lebendig wird, kommt es entscheidend an.
V. Der Fortbestand der Handelskammern, die Frage ihrer bestmöglichen Zusammensetzung ist unlöslich mit dem Umfang und der Art ihres Tätigkeitskreises in der Zukunft verknüpft. Hauptaufgabe der Handelskammern ist Wahrung und Schutz: der Interessen der Bezirkseingesessenen durch eine Körperschaft,, die keine Ausführungsgewalt besitzt, sondern lediglich durch Anträge und Anregungen bei Behörden auf Mängel, Fehler, Unvollkommenheiten und die Möglichkeit ihrer Abstellung hinweisen kann. Sie sind Verteidiger der Gesamtinteressen der Bezirkseingesessenen, aber nicht in erster Linie um des Bezirks willen, sondern zum Wohle des Gesamtwirtschaftskörpers, der nur gedeihen kann, wenn seine einzelnen Teile, wenn jedes seiner Organe gesund bleibt. Die betonte Förderung der Gesamtinteressen der Handelsund Gewerbebetriebe ist das Moment, das die Eigenart der Handelskammertätigkeit ausschlaggebend bestimmt. Die Aufgaben der Handelskammern werden am deutlichsten^ wenn man sich vergegenwärtigt, daß in ihnen Kollegien von Sach24
die Frage, ob die Handelskammern in ihrer jetzt gegebenen Eigenart bestehen bleiben, wie sie als Unterbau der Bezirkswirtschaftsräte zu behandeln sind, wird man die Antwort nicht rein verstandesmäßig finden. Wer die darüber gepflogenen Beratungen, wer dere ganzen Gedankenaustausch verfolgt, dem will es, wie schon Reichsminister a. D. Preuß ausgedrückt hat, scheinen, als ob der Streit letzten Endes mehr Gefühlssache als eine Angelegenheit sei, die sich mit dem reinen Verstand, mit Gründen pro et contra zu einer Entscheidung bringen lasse. Ich glaube betonen zu müssen, daß die Erfüllung der Verfassungswünsche ohne Zertrümmerung und ohne völligen Umbau der bewährten Vertretungen unterer Instanz möglich ist. Es scheint mir zweckmäßig, im Unterbau die berufsständische Interessenvertretung tunlichst wenig zu ändern, Gewordenes und Eingelebtes neuen Forderungen nur so weit anzugleichen, daß die Lösung der Kernaufgaben gerade dieser Institutionen dadurch nicht gestört wird. Nicht auf neue Formen, sondern auf neuen Geist, der iiii ihnen lebendig wird, kommt es entscheidend an.
V. Der Fortbestand der Handelskammern, die Frage ihrer bestmöglichen Zusammensetzung ist unlöslich mit dem Umfang und der Art ihres Tätigkeitskreises in der Zukunft verknüpft. Hauptaufgabe der Handelskammern ist Wahrung und Schutz: der Interessen der Bezirkseingesessenen durch eine Körperschaft,, die keine Ausführungsgewalt besitzt, sondern lediglich durch Anträge und Anregungen bei Behörden auf Mängel, Fehler, Unvollkommenheiten und die Möglichkeit ihrer Abstellung hinweisen kann. Sie sind Verteidiger der Gesamtinteressen der Bezirkseingesessenen, aber nicht in erster Linie um des Bezirks willen, sondern zum Wohle des Gesamtwirtschaftskörpers, der nur gedeihen kann, wenn seine einzelnen Teile, wenn jedes seiner Organe gesund bleibt. Die betonte Förderung der Gesamtinteressen der Handelsund Gewerbebetriebe ist das Moment, das die Eigenart der Handelskammertätigkeit ausschlaggebend bestimmt. Die Aufgaben der Handelskammern werden am deutlichsten^ wenn man sich vergegenwärtigt, daß in ihnen Kollegien von Sach24
verständigen sich zusammengefunden haben, um das Wirtschaftsleben zu beobachten und darüber zu berichten, Gutachten zu erstatten, Anregungen zu gewähren, Auskunft und Rat zu erteilen. Diese Fülle von Meinungsäußerungen wird einmal den Behörden und gesetzgebenden Körperschaften, aber auch den im Bezirk eingesessenen Firmen und solchen, die sich von auswärts an die Kammer wenden, zur Verfügung gestellt. Gerade die Beratung der angeschlossenen Firmen gehört nicht zu den letzten und geringsten Arbeiten. Die große erzieherische Tätigkeit und Wirkung, von der an anderer Stelle gesprochen wird, hängt damit eng zusammen. Bei dem überwiegenden Teil dieser Aufgaben wird das Feld der Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitern gar nicht betreten. Wir kennen ganze Gruppen von Arbeiten der Kammern, bei denen ein Gegensatz zwischen Arbeitgebern und -nehmern überhaupt nicht in Betracht kommt, kaum denkbar ist, wo die Handelskammern ohne weiteres in der Lage sind, die Unternehmungen, nicht bloß die Unternehnierinteressen, zu vertreten. Bei der eben genannten beobachtenden und berichtenden, bei der auskunfts- und raterteilenden, auch bei der begutachtenden und anregenden Tätigkeit der Handelskammern dienen diese den Unternehmungen als solche. In den Fragen des Verkehrs, der Zölle, des Geld- und Börsenwesens bestehen zum mindesten keine Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und -nehmern der gleichen Branche. Die beiden Schichten desselben Gewerbes- sind, soweit hier Berufsinteressen in Frage kommen, fast ausnahmslos einig. Freilich gibt es auch Gruppen von Fragen, in denen die Handelskammern seither nur die Vertreter der Unternehmer gewesen sind. Dies ist das Gebiet der sozialen Gesetzgebung. Frage bleibt, ob um dieses Teilgebiets willen der völlige sogen a n n t e paritätische Umbau der Kammern durch gleichmäßige, der Zahl oder dem Gewicht der Stimmen nach gleichstarke Zuziehung von Arbeitnehmern zu den jetzt überwiegend in den Kammern vorhandenen Arbeitgebern nötig ist. Ich bin aus einer Schulrichtung hervorgegangen, die man vor mehr als einem Menschenalter durch den Spottnamen der „Kathedersozialisten" zu verfehmen suchte. Lange vor dem Krieg und dem ihm folgenden Chaos habe ich allezeit im Arbeiter ein Wirtschaftssubjekt gesehen. Ich betrachtete ihn niemals als willenloses Rädchen im Mechanismus neuzeitlicher Wirtschaftsführung. 25
Ich bin überzeugt, daß eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit das Zusammenführen der Unternehmer und Arbeiter bleibt, d a ß sie zur gemeinsamen Überlegung und Beschließung gebracht werden müssen. Ich weiß, wie viel an scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzen verschwindet, sobald man nur am richtigen Ort, zur richtigen Zeit zum Gedankenaustausch kommt, der das Unmögliche wechselseitiger Forderungen und Gegenforderungen erkennen läßt. Der Fortgang wirtschaftlichen Werdens und nutzbringender ökonomischer Neugestaltung wird wesentlich davon mitbedingt, daß auch die Arbeiter immer mehr Interesse am Werk gewinnen, d a ß ihre Einsicht an dessen Maßnahmen wächst, daß Mitberatungsrecht, Mitentscheidung auch ihnen zufällt. Trotzdem kann ich mich nicht dafür aussprechen, daß jedes Organ, jede Vertretung, jede Stelle, die bisher ihren Wirkungskreis h a t t e , im sogenannten paritätischen Sinn umgestaltet werden muß. Das Schlimmste wäre, wenn man auf diesem Gebiete zur Mechanisierung käme. Es wird immer zu überlegen bleiben, wann und wo Unternehmer mit Arbeitern am besten zusammenzuführen sind. Im Einzelwerk ist die Teilnahme der Arbeiter durch das Betriebsrätegesetz gesichert, dessen wesentlichster Vorteil darin zu erblicken ist, daß einzelne Arbeitnehmer Einblick in die Schwierigkeit und Gefährdung neuzeitlicher Geschäftsführung gewinnen. In den Arbeitsgemeinschaften, die im wirtschaftlichen Leben dem sozialen Ausgleich dienen, haben sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber schon seit den Kriegsjahren zusammengefunden in gemeinsamem Zielstreben, an Stelle rücksichtslosen Interessenkampfes die Ausgleichung der Gegensätze und Streitpunkte durch wechselseitiges Nachgeben, durch bewußtes Entgegenkommen zu setzen. An der obersten Spitze der Berufsvertretung, in deren großen Zwischengliedern, im Mittelbau der Interessenorganisaltfun, werden Arbeiter und Unternehmer zusammengeführt. Soll aber neben diesen Neuschöpfungen und Neueinrichtungen wirklich alles Bestehende abgebaut, soll es so von Grund auf verändert werden, daß von den ursprünglichen Betätigungsmöglichkeiten nichts mehr verbleibt? Meines Erachtens ist eine wichtige Voraussetzung des den Ausgleich der Interessenten suchenden Reichswirtschaftsrats und des Wirkens der Bezirkswirtschaftsräte, daß in der Unterstufe fachlich durch Körperschaften vorgearbeitet wird, die rein und unverfälscht ihren S t a n d p u n k t zum Ausdruck bringen. An irgend 26
einer Stelle müssen die wirtschaftlichen Anschauungen der Unternehmer auf der einen, der Arbeiter und Angestellten auf der anderen Seite, ihre jeweilige Beurteilung schwebender Fragen klargestellt werden. Das Mißtrauen aller gegen alle wird nicht beseitigt, wenn alle immer mithorchen und mitreden wollen, wie dies bei dem Zusammensetzen von Unternehmern und Arbeitern in jeder Instanz in Erscheinung tritt, wenn an keiner Stelle mehr ungehemmt, unbeeinflußt das Urteil gebildet wird. Man kann doch logischerweise erst den Ausgleich der Interessen versuchen, wenn diese Interessen zunächst einmal von den Beteiligten richtig erkannt und abgeschätzt sind. Dies geschieht am besten in amtlich anerkannten Körperschaften auf der Unterstufe, die die Willensmeinung ihrer Wähler und deren Vertreter unverfälscht zum Ausdruck bringen. Der Interessenausgleich wird zweckmäßigerweise erst in der mittleren und oberen Stufe versucht, wie dies die Reichsverfassung in der Mittel- und Oberstufe vorsieht. Ein zeitweises Zusammentreten der getrennten Vertretungen in der Unterstufe zu gemeinsamen paritätischen Beratungen wird anzustreben und leicht durchzuführen sein. Die zweckentsprechende Abgrenzung der Geschäfte zwischen den Bezirkswirtschaftsräten auf der einen und den HandelsKammem sowie den neben ihnen stehenden Handwerker- und Landwirtschaftskammern auf der anderen Seite ist allerdings nicht leicht. Ein dienlicher Anhalt dafür ergibt sich, wenn man Gedanken von Dr. Most folgt und die letztgenannten als Vertretungen der beruflichen Interessen, soweit sie regional abgegrenzt sind und Lokalfärbung zeigen, nimmt, während der Bezirkswirtschaftsrat das wirtschaftliche Durcheinander, das Vielerlei des ganzen Bezirks zusammenfassen und ausgleichen soll. Die Ausscheidung des sozialen Tätigkeitsfeldes aus der Handelskammertätigkeit, die man befürworten muß, wenn man ihre derzeitige Gliederung wahren will, ist sachlich gerechtfertigt. Fragen der sozialen Gesetzgebung umspannen fast durchweg Probleme, die nicht in besonderen regionalen Interessen verankert sind, sondern die über den Handelskammerbezirk hinausgreifende Bedeutung haben. Die Fülle dieser sozialen Probleme, die Überwindung des Gegensatzes zwischen Unternehmerinteressen auf der einen, Angestellten- und Arbeiterinteressen auf der andern Seite lassen 27
sich bei Fortbestehen der Handelskammern auf zweierlei Weise lösen. Einmal ausgehend von der eigenen Interessenvertretung der Arbeitnehmer im Bezirksarbeiterrat. Wird dieser fachlich aufgebaut, dann kann er leicht Ausschüsse für den Bezirk jeder Handelskammer einsetzen. Es müssen in diesem Falle die Handelskammern gehalten werden, alle in das Gebiet der sozialen Fragen einschlagenden Beratungsgegenstände dem Bezirksarbeiterrat zur Kenntnis zu geben, der dann darüber sich schlüssig werden kann, ob er seinen Ausschuß oder den ganzen Bezirksarbeiterrat dazu Stellung nehmen lassen will. Die Verhandlung seines zuständigen Ausschusses zusammen mit einem von der Handelskammer zu bestimmenden Ausschuß würde in vielen Fällen zum Ziel führen. Damit wäre die Möglichkeit einer ständigen Überbrückung der Gegensätze bereits in der Unterstufe gegeben, ohne daß man das Gute der Handelskammertätigkeit antastet und deren Wirksamkeit Jahmlegt. Eine andere Möglichkeit besteht in der Schaffung von Arbeiterund Angestelltenkammern, die auch wieder in Ausschüssen jederzeit mit Ausschüssen der Handelskammern die betreffenden Fragen behandeln können, wobei nicht ausgeschlossen ist, da£ die Vollversammlungen beider Kammern gelegentlich ein wichtiges Problem in Rede und Gegenrede behandeln. Wer im Gegensatz zu diesen Gedanken die sogenannte Parität der Interessenvertretung durch völligen Umbau der Handelskammern anstrebt, sollte nicht verkennen, welche Schwierigkeiten aus der Verwirklichung solcher Ideen erwachsen. Die Fragen eines gemeinschaftlichen Bureaus, des Wechsels des Vorsitzes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der Stellung der Syndici und viel anderes würde Verwicklungen bringen, deren Tragweite nicht leicht abzusehen ist. Mehr noch als diese bureaumäßigen, organisatorischen Schwierigkeiten, die sich schließlich überwinden ließen, ist den Wünschen der weit überwiegenden Mehrzahl der Handelskammermitglieder Rechnung zu tragen. Fast alle, die ehrenamtlich an ihnen tätig sind, die gerade auch in den Kriegsj a h r e n und während des ihnen folgenden wirtschaftlichen Wirrwarrs Zeit und K r a f t für die Kamniertätigkeit geopfert haben, wünschen ähnlich wie in der Vergangenheit wirken zu können. Sie meinen, es sei von W e r t , wenn sie nicht nur untereinander frei und ungebunden sich aussprechen können, sondern auch ihre Anschauungen in ihrer Eigenart unverfälscht bekunden dürfen. 28
Wer mit der Geschichte auch nur einzelner der großen Kammern vertraut ist, weiß, daß die ersten, weitsichtigsten, opferfreudigsten Führer unseres Wirtschaftslebens in ihnen wirkten. Es waren und sind Männer, die reiche Kenntnisse und Erfahrungen in den Dienst der Gemeinarbeit fürs Volksganze stellten, die sich durchaus bewußt blieben, daß sie nicht f ü r das Wohl ihrer Wirtschaftsspezialität» nicht f ü r einseitige Unternehmerinteressen, sondern f ü r die Gesamtheit der Berufsinteressenten und aller Volksgenossen wirken sollten. Wer wünscht, diese Kräfte der heutigen Generation zu erhalten, der darf auch deren Stimmungen nicht gering achten. Zu Ehrenämtern sind heute besonders geeignete Persönlichkeiten schwerer zu gewinnen als ehedem, zumal die deutsche Republik an Lockmitteln f ü r Opfertätigkeit im Dienste des Gemeinwohls ohnehin ärmer ist als das vergangene Kaiserreich. Es ist kein Zufall, daß für Fortgestaltung der Handelskammern und f ü r ihre Wirksamkeit im seitherigen Rahmen gerade die am entschiedensten eintreten, die über die längsten und sichersten Erfahrungen verfügen. In den Verhandlungen des Verfassungsausschusses des vorläufigen Reichswirtschaftsrates im April 1921 haben Sprecher aus Gegenden, in denen die Handelskammerentwicklung verhältnismäßig spät begonnen hat, also solche, die bspw. in der Reichshaupts t a d t wohnen, sich f ü r einschneidende Umwandlung der Handelskammern ausgesprochen. Die Wortführer der rheinischen Handelskammern, der süddeutschen, namentlich der bayerischen und württembergischen Kammern haben mit starker Überzeugungskraft sich f ü r deren Fortbestand eingesetzt. Fortbildung des Bestehenden, nicht Einrichtung eines theoretisch Ausgeklügelten, völlig Neuen f ü h r t in vielen Fällen zum erwünschten Ziel. Könnte man heute alles ganz neu gestalten, dann würde man Organe wie die Handelskammern vielleicht nicht in dieser Art ins Leben rufen. Aber es geht nicht gut an, nachdem sie historisch geworden sind, den Boden ihrer seitherigen Wirksamkeit abzubauen. Man soll sich klar vor Augen halten, daß historisch Gewordenes meist nicht völlig beseitigt werden kann, ohne daß man die Erfahrungen und die Ersparnisse vergangener Tage damit fast restlos preisgibt. Man wird, wie der frühere Reichsminister Preuß in den Verhandlungen des Verfassungsausschusses ausführte, kaum ohne sehr starke Kraftverschwendung alles beseitigen können, um erst eine leere Baustelle zu schaffen, auf der man neu bauen k a n n . 29
VI. Läßt man die Handelskammern in ihrer Wesensart unberührt, so wird man ihnen, wie oben zugestanden, wohl ein Tätigkeitsfeld, den Komplex der sozialen Probleme, künftig abzweigen müssen. Dies sind Fragen, die durch andere Organe bearbeitet und gelöst werden können. Dagegen behalten die Kammern die Wirkungsmöglichkeit für die wichtigste ihrer seitherigen Aufgaben, die sie nach paritätischer Umbildung gewiß nicht besser, wahrscheinlich unvollkommener bewältigen könnten. Dazu treten Angelegenheiten von täglich wachsender Bedeutung, die sie allein, die sie mindestens am besten von allen Arten der Berufsvertretungen, aber nur in ihrer seitherigen Zusammensetzung, in ihrem heutigen oder einem ihm verwandten Aufbau fördern können. Ihnen fällt eine Pflicht zu, deren Erfüllung täglich nötiger wird. Den Handelskammern liegt es ob, verschiedene Branchen, die sich vielfach bekämpfen, die sich gegenseitig nicht verstehen, einander anzunähern, ihre grundsätzlichen Wünsche auszugleichen. Eine der wichtigsten Sorgen unserer Tage bleibt doch, die Fachfremdheit zu überwinden, die sich mit der fortschreitenden Spezialisierung, mit dem Herausbilden von Sondertypen bei weitgehender Geschäftsdifferenzierung immer stärker geltend macht. Die Versöhnung der sich teilweise widerstreitenden Geschäftsziele, die Zusammenführung der Erwerbszweige im Dienst höherer Interessen und weitgreifender Gemeinschaft gehört zu den wichtigsten Rollen, die den Handelskammern zufallen können. Hier ist der P u n k t , wo ihre Verpflichtungen über das Sehfeld der Fachvereine hinauswachsen. Ihre Gutachten, ihre Willensäußerungen, die von Mitgliedern der verschiedenen Gewerbe- und Handelszweige gemeinsam beraten und festgelegt werden, ermangeln zwar des öfteren der advokatorischen Zuspitzung, auch mitunter der Schärfe, wie sie Vertretern von Einzelinteressen erwünscht scheinen; aber sie gewinnen in ihrem Streben nach dem Gesamtwohl an Gründlichkeit und Unparteilichkeit. Gerade weil die Kammern in den letzten Jahrzehnten an diesen Grundgedanken bewußt festgehalten haben und festhalten mußten, konnten sie in einer Zeit gemehrter Reibungsflächen, verschärfter Interessengegensäze, die die Fachverbände auf den Plan riefen, ihre Bedeutung behalten und nachdrücklich in Erscheinung bringen. Diese sind ausgesprochene Vertreter der Fachgruppen, der Spezial30
interessen einzelner Branchen. In der Verfolgung ihrer Ziclgedanken durch ganz gleich eingestellte, gleichinteressierte engere Berufsgenossen liegt Kraft und Begrenzung ihrer Wirkensmöglichkeit. Während die freien Verbände die Beurteilung von Verordnungen und Anordnungen lediglich unter dem Gesichtspunkt der einzelnen Erwerbsgruppen vornehmen können, muß den Handelskammern die Beurteilung der verschiedenen wirtschaftlichen Maßnahmen v o m Standpunkt der allgemeinen Interessen von Handel und Industrie vorbehalten bleiben. Die Handelskammern allein umfassen, von Minderkaufleuten abgesehen, die Gesamtheit von Handel und Industrie. Das Gegenspiel zu Fachvereinen erschöpft sich nicht darin, daß jene fachlich, diese territorial organisiert sind. Nachdrücklicher fällt ins Gewicht, daß jene eine einseitige, diese eine Allgemeinvertretung darstellen. F ü r Behandlung aller Fragen, die sich nicht auf einzelne Gewerbezweige beziehen, kommen Handelskammern wegen ihrer Zusammensetzung aus mannigfaltigen Industrie- und Handelskreisen vorzüglich und vor den Fachvereinen in Frage. Dazu kommt ein anderes wichtiges Problem. Die Mehrzahl der Unternehmer ist in ihrem Denken privatwirtschaftlich eingestellt. Mitarbeit in der Handelskammer und die beurteilende gutachtliche Tätigkeit der Handelskammer gewöhnt deren Mitglieder und weite Kreise darüber hinaus daran, die Dinge auch volkswirtschaftlich sehen zu lernen. Die Erziehung zu volkswirtschaftlichem Denken ist ebenso wichtig wie die feste Einbürgerung sozialpolitischer Anschauungen. Die letztere ist auf dem besten Weg. F ü r sie ist seit langem schon, insbesondere aber auch in den letzten Jahren viel geschehen. An der volkswirtschaftlichen Schulung mangelt es sehr. F ü r sie, für Mitarbeit an Erfüllung dieser Forderung von höchster Tragweite, sind die Handelskammern wie wenig andere Stellen berufen und aus ihrer seitherigen Entwicklung heraus geeignet. Durch die Teilnahme an ihren Beratungen, durch ihre Gutachten und Anregungen werden weiten Kreisen der an der Handelskammer Interessierten Überlegungen nahegebracht, die zeigen, daß die Privatunternehmung auf die Dauer nur gedeiht, wenn das Volk vorwärtsgeführt wird. Der einzelne wird dahin gebracht, zeitweise Opfer zu bringen, damit das Ganze voranschreitet, Opfer des Augenblicks, die sich für die Unternehmung selbst in Zukunft lohnen. 31
Die Erziehung zur bewußten Mitarbeit an den Problemen der Volkswirtschaft, die Entwicklung wahrhaft staatsbürgerlicher Gesinnung sind nach dein verlorenen Krieg, sind im heutigen Wirtschaftschaos von besonderer Bedeutung. Sie sind wichtiger noch als in der Zeit zwischen 1870 und 1900, wo der junge Reichtum der Industriellen, der „Schlotbarone", wie man sie damals nannte, sich auszuwirken begann, wo die Autodidakten jener kräftigen Unternehmergeneration vielfach im Kampf mit altüberkommenen Handelsund Wirtschaftssitten standen. Den Handelskammern ist zu danken, d a ß die Eingliederung der damals schnell wohlhabend werdenden Persönlichkeiten und riesenhaft wachsenden Unternehmungen, deren Eingewöhnung in Wirtschaftsehrlichkeit und Wirtschaftsanstand schneller, in größerem Umfang sich vollzogen hat als in anderen Ländern ähnlicher Wirtschaftslage. Mehr noch als in den Gründerjahren nach der Entstehung des Deutschen Reichs ist heute die gleiche Erziehertätigkeit vonnöten. Nach Krieg und Revolution sind nicht nur soziale Schwierigkeiten, sondern auch schier unbegrenzte wirtschaftliche Möglichkeiten gewachsen. Die Überwachung des Geschäftslebens gegen Schiebungen aller Art und infamen Wucher hat besondere Bedeutung gewonnen. Sie wird vielfach ausschlaggebender, aber zugleich schwieriger sein als der Interessenausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitern, der ohnehin im Gang ist. Für die nächste Z u k u n f t wird mitentscheidend werden, ob es gelingt, die Wirtschaftsehrlichkeit der vergangenen Jahrzehnte wieder herauszubilden, uns zurückzuführen zu verlorenen Kaufmannssitten, damit das deutsche Geschäftsleben das verlorene Ansehen im Inland und draußen wiedergewinnt. Hier wachend, belehrend, anregend zu wirken, ist kein Organ besser in der Lage als unsere Handelskammern in ihrer seitherigen Gliederung.
VII. Wir lehnen den Gedanken der sogen, paritätischen Gestaltung der Handelskammern als wenig glücklich ab, wir wollen sie in ihrer jetzigen Form erhalten, weil wir von der in der Gegenwart fortwirkenden Bedeutung der Handelskammern überzeugt sind, der sie in ihrer Eigenart am leichtesten gerecht werden; aber wir verkennen anderseits nicht, daß ihre Gliederung, auch wenn ihr Wesen unangetastet bleiben soll, verbesserungsfähig ist. 32
Die Erziehung zur bewußten Mitarbeit an den Problemen der Volkswirtschaft, die Entwicklung wahrhaft staatsbürgerlicher Gesinnung sind nach dein verlorenen Krieg, sind im heutigen Wirtschaftschaos von besonderer Bedeutung. Sie sind wichtiger noch als in der Zeit zwischen 1870 und 1900, wo der junge Reichtum der Industriellen, der „Schlotbarone", wie man sie damals nannte, sich auszuwirken begann, wo die Autodidakten jener kräftigen Unternehmergeneration vielfach im Kampf mit altüberkommenen Handelsund Wirtschaftssitten standen. Den Handelskammern ist zu danken, d a ß die Eingliederung der damals schnell wohlhabend werdenden Persönlichkeiten und riesenhaft wachsenden Unternehmungen, deren Eingewöhnung in Wirtschaftsehrlichkeit und Wirtschaftsanstand schneller, in größerem Umfang sich vollzogen hat als in anderen Ländern ähnlicher Wirtschaftslage. Mehr noch als in den Gründerjahren nach der Entstehung des Deutschen Reichs ist heute die gleiche Erziehertätigkeit vonnöten. Nach Krieg und Revolution sind nicht nur soziale Schwierigkeiten, sondern auch schier unbegrenzte wirtschaftliche Möglichkeiten gewachsen. Die Überwachung des Geschäftslebens gegen Schiebungen aller Art und infamen Wucher hat besondere Bedeutung gewonnen. Sie wird vielfach ausschlaggebender, aber zugleich schwieriger sein als der Interessenausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitern, der ohnehin im Gang ist. Für die nächste Z u k u n f t wird mitentscheidend werden, ob es gelingt, die Wirtschaftsehrlichkeit der vergangenen Jahrzehnte wieder herauszubilden, uns zurückzuführen zu verlorenen Kaufmannssitten, damit das deutsche Geschäftsleben das verlorene Ansehen im Inland und draußen wiedergewinnt. Hier wachend, belehrend, anregend zu wirken, ist kein Organ besser in der Lage als unsere Handelskammern in ihrer seitherigen Gliederung.
VII. Wir lehnen den Gedanken der sogen, paritätischen Gestaltung der Handelskammern als wenig glücklich ab, wir wollen sie in ihrer jetzigen Form erhalten, weil wir von der in der Gegenwart fortwirkenden Bedeutung der Handelskammern überzeugt sind, der sie in ihrer Eigenart am leichtesten gerecht werden; aber wir verkennen anderseits nicht, daß ihre Gliederung, auch wenn ihr Wesen unangetastet bleiben soll, verbesserungsfähig ist. 32
Die Mängel im Aufbau und der Verteilung der Handelskammern •waren im Krieg deutlicher als im Frieden in Erscheinung getreten. Sie hatten dazu geführt, daß die Durchführung mancher kriegswirtschaftlichen Maßnahmen statt den Handelskammern mehr und snehr freien Berufsvereinen übertragen wurde. Den hohen Anforderungen der neuzeitlichen Wirtschaftspolitik können die Kammern nur genügen, wenn die leistungsschwachen Bezirke zusammengelegt und die noch handelskammerfreien Bezirke in den Wirkungsbereich eingezogen werden. Schon der preußische Reformentwurf von 1896, den der damalige Handelsminister v. Berlepsch dem Abgeordnetenhaus vorlegen ließ, •drängte auf Schaffung leistungsfähiger Kammerbezirke. Alle Kenner stimmten damals im Urteil überein und verlangten als wichtigste und unentbehrlichste Vorbedingung, um den Handelskammern die nötige Bedeutung, genügenden Einfluß und als Voraussetzung dafür finanzielle Leistungsfähigkeit zu sichern, eine Vergrößerung der Bezirke. Berlepschs großzügig gedachte Reform setzte sich die Aufteilung des gesamten Staatsgebietes in leistungsfähige Kammerbezirke zur Hauptaufgabe. Der von den meisten preußischen Kammern grundsätzlich gebilligte Entwurf von 1896 scheiterte im Abgeordnetenhaus an kleinlichen, auf Unkenntnis der Verhältnisse beruhenden, zum 'I eil direkt handelsfeindlichen Erwägungen. Das unter dem Nachfolger des Ministers geschaffene Gesetz von 1897 ließ, wenn es auch sonstige Mängel beseitigte, zahlreiche schwache Kammern fortbestehen und ließ auch handelskammerfreie