Die Seele wahrnehmen: Zur Geistesgeschichte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie 9783666623455, 3525623453, 9783525623459


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German Pages [280] Year 1994

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Die Seele wahrnehmen: Zur Geistesgeschichte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie
 9783666623455, 3525623453, 9783525623459

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V&R

Arbeiten zur Pastoraltheologie

Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 28

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Seele wahrnehmen Zur Geistesgeschichte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie

Von Martina Plieth

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufrahme Plieth, Martina: Die Seele wahrnehmen : zur Geistesgeschichte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie / von Martina Plieth. - Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Arbeiten zur Pastoraltheologie ; Bd. 28) ISBN 3-525-62345-3 NE: GT

© 1994 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

"Bis gestern noch meinten wir, menschliches Agieren und Reagieren fein säuberlich getrennt nach Leib, Seele und Geist diagnostizieren zu können. Auch heute noch haben die unter uns keinen leichten Stand, die den Mut haben, ihre jeweiligen Bunker zu verlassen und über die Grenze zu gehen, um sich Informationen zu verschaffen. Dabei wird nicht selten - nur der für 'exakt' in seiner Wissenschaft angesehen, der es nicht wagt, die Konsequenzen aus der Ganzheit unserer menschlichen Existenz zu ziehen und aufzuzeigen. Die Hüter der 'reinen Lehre' verbergen sich nur zu oft ebenso unter schwarzen Talaren wie unter weißen Mänteln. Wer den sicheren Bunker verläßt, kann leicht zu Schaden kommen. Es bedarf immer einer gewissen Portion Mut, Grenzen zu überschreiten." (Thilo 1974, 5)

Vorwort

"Neben der klassischen Gefahr, auf den Hörnern eines Dilemmas aufgespießt zu werden, sollten wir heute noch eine weitere erkennen, nämlich die der Spaltung durch eine falsche Dichotomie." 1

Man könnte meinen, mit diesem Diktum aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts seien Hauptschwierigkeiten in der aktuellen Auseinandersetzung um das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie beschrieben worden; zumindest begegnet derjenige, der nach einem möglichen Miteinander beider Disziplinen fragt oder nach notwendigen, mitunter zwangsläufigen Abgrenzungen zwischen ihnen Ausschau hält, unterschiedlichsten Dilemmata und Dichotomien: Da kommt zum einen das längst noch nicht geklärte Verhältnis von Praktischer Theologie und Humanwissenschaften in den Blick und zum anderen das vielschichtige Beziehungsgeflecht von Theorie und Praxis. Besonders problematisch wird es im näheren Umfeld von Seelsorge und Psychologie dort, wo utilitaristisches Machbarkeitsdenken auf Ohnmachtsgefühle trifft. Wo dies geschieht, prallen (mitunter maßlos übersteigerte) Entgrenzungs- und Begrenzungsphantasien aufeinander und wirken dabei persönlichkeitsverändernd, da sie kaum Selbst- und Ideologiekritik zulassen. Auf diese Weise werden sachbezogene Analysen und zielgerichtetes Handeln unnötig erschwert und die Debatte um das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie mit weiteren Dilemmata und

1 Henderson 1935, 72.

7

Dichotomien belastet: Auf der einen Seite herrscht ein sich u.U. verselbständigender Methodismus zwanghafter Prägung vor, der sich nicht eben selten als Zeitgötze und Ersatzreligion geriert; er begünstigt die Herausbildung einer regelrechten 'Therapeutokratie', in der die zum Aktivismus treibende Eigendynamik menschlicher Möglichkeitsvorstellungen vorrangig ist. Dem entgegen steht auf der anderen Seite eine Haltung, die durch reinen Kritizismus und schroffe Methodenfeindlichkeit gekennzeichnet ist; sie befördert die Entwicklung eines therapeutischen Nihilismus, der (bisweilen ebenfalls zwanghaft und sich verselbständigend) als 'Geist, der stets verneint', in Erscheinung tritt und so auch positive Veränderungen implizierende 'Aufbrüche' verhindert. Theologie, die nach dem Verhältnis von Seelsorge und Psychologie fragt und dabei ahnungslos, selbstvergessen oder narzißtisch solche Voraussetzungen ignoriert, ist in zweifacher Hinsicht gefährdet: Sie wird entweder unrettbar in Allmachtsphantasien verstrickt oder aber zur Koketterie mit dem eigenen 'Nicht-genügen-Können' verführt. Am schlimmsten jedoch ergeht es ihr, wenn sie Omnipotenzvorstellungen und Ohnmachtsgefühle unversehens miteinander verquickt und so von einem Extrem in das andere getrieben wird, bis ein regelrechter Circulus vitiosus entsteht, dem aus eigener Kraft nicht zu entkommen ist; am Ende erfolgt dann so oder so der unwiderrufliche Exitus theologischer Reflexion; ihr wird höchstens noch ein steinernes Denkmal gesetzt... Wer einer solchen Entwicklung wehren möchte, hat seine Chance m.E. auch und gerade dort, wo es um das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie geht, im Aufruf zum Exodus auf das eine Wort Gottes hin. Denn wer diesem Aufruf folgt, gerät meiner Erfahrung nach in Bewegung, aber nicht in Panik. Er verliert die Angst vor fremden und/oder eigenen Dilemmata und Dichotomien, die ihn und seine Wirklichkeit 'aufspießen' bzw. 'aufspalten' könnten; er lernt, mit ihnen umzugehen, anstatt sie zu umgehen, und beteiligt sich demgemäß nicht - angstvoll vermeintliche Gefahren abwehrend - an der unkritischen Herausbildung solcher Strukturen, die kommunikationshemmend wirken und ein tatsächliches Miteinander von Seelsorge und Psychologie behindern oder sogar verunmöglichen. In der vorliegenden Arbeit wird - diesen Umstand und damit verbundene Dilemmata und Dichotomien berücksichtigend - Wesentliches zur Geistesgeschichte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie zusammengetragen und kritisch ausgewertet: Nach grundsätzlichen methodischen Vorüberlegungen und einer kurzen Einführung in die spezifische Problematik des Themas werden in

8

einem ersten großen Teil (A) klassische 'Gegnungs-Modelle'2 des 20. Jahrhunderts vorgeführt. Neben den Theologen O.Pfister, W. Buntzel, E. Thurneysen, D. Stollberg und H. Tacke kommt der Tiefenpsychologe C.G. Jung zu Wort. Mit dieser Auswahl sollen - zumindest ansatzweise die maßgeblichen 'Entwicklungsspitzen' in der Auseinandersetzung um Seelsorge und Psychologie berücksichtigt und sichtbar gemacht werden; Vollständigkeit kann hier nicht angestrebt sein - stattdessen wird auf Grundsätzliches und Paradigmatisches (so z.B. die Diskussion um den Begriff bzw. die Bedeutung der sogenannten 'Hilfswissenschaft') rekurriert, um den ca. 1905 inganggesetzten und nach wie vor andauernden Denk- und Handlungsprozeß im Umfeld von Seelsorge und Psychologie möglichst anschaulich darzubieten. Eine kritische Würdigung und Zusammenschau der gegenwartsrelevanten Ansätze von E. Thurneysen, H. Tacke und D. Stollberg schließt den ersten Teil meiner Ausführungen ab und kulminiert in der Entwicklung des von mir so genannten 'poimenischen Dreiecks', das die zentralen Aspekte christlicher Seelsorge überhaupt wiedergibt und das Strukturprinzip meines eigenen Seelsorgeansatzes anzeigt. In einem zweiten großen Teil (B) geht es darum, 'Gegnt/rtgs-Modelle' der Gegenwart theoretisch zu sichten und kategorial zu erfassen. Zum einen werden die Positionierungen der evangelischen Theologen R.Riess, T.U.Schall und J.Scharfenberg sowie die ihrer katholischen Kollegen N.Mette und H.Steinkamp berücksichtigt, zum anderen wird der Versuch unternommen, mit Hilfe der Riemannschen 'Grundformen der Angst' selbständig Begründungen für die Herausbildung bestimmter 'Vergegnungs-Typen' anzuvisieren und Grundlegendes für die Ermöglichung lebendiger 'Begegnung(en)' zu benennen. Eine kritische Zusammenschau der 'Gegnungs-Entwicklung' im Verhältnis von Seelsorge und Psychologie im Bereich evangelikaler Seelsorge seit 1976 schließt - als Konkretion des zuvor erhobenen allgemeinen theoretischen Befundes - den zweiten Teil meiner Ausführungen ab; durch sie soll exemplarisch deutlich gemacht werden, wie Ängste bei der Herausbildung unterschiedlicher 'GegnMngi-Paradigmata' wirken und welche Ängste welche 'Gegni/ngj-Strukturen' (bzw. Seelsorgekonzeptionen mit spezifischer 'Gegnimgi-Struktur') befördern.

2

Von 'Gegnungeri spreche ich hier und im folgenden dort, wo die Summe von mehr oder weniger unglücklichen 'Vergegnungeri bzw. 'Entgegnungen' und glücklichen 'Begegnungen gemeint ist.

9

Im letzten Hauptteil (C) vorliegender Arbeit wird, im Rückgriff auf das zuvor entwickelte 'poimenische Dreieck', eine neue induktiv-erfahrungsbezogene Seelsorgekonzeption konturiert, die m.E. - in sich dialogisch strukturiert - wirkliche 'Begegnungen' zwischen Seelsorge und Psychologie ermöglicht, ohne die Gefahr einer unkritischen Therapeutisierung christlicher Seelsorge bzw. die einer nicht gewünschten Verchristlichung säkularer Therapie heraufzubeschwören. Ein Ausblick auf mögliche Konsequenzen einer Neuorganisation des wechselseitigen Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie auf wissenschaftstheoretischer Ebene und ein darauf Bezug nehmendes kurzes Nachwort schließen die Ausführungen des dritten Hauptteils vorliegender Arbeit ab.

10

Inhalt Vorwort

7

Methodische Vorüberlegungen

15

Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie Im Irrgarten der Verhältnisbestimmungen I

20

A . VERHÄLTNISBESTIMMUNGEN IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART

-

E I N HISTORISCHER ÜBERBLICK

O. Pfister: Auf zu neuen Ufern 1

31

Exkurs: F. W. Foerster: Wider die Freudsche Künstelei

40

O. Pfister: Auf zu neuen Ufern II

46

W. Buntzel: Ruf zur 'mittelbaren' Nutzung

49

Exkurs: Zur Vorstellung von der sogenannten 'Hilfswissenschaft'

55

E. Thurneysen: Auf das Wort kommt es an

58

D. Stollberg: Kontextuelle Prägungen

79

H. Tacke: Rückkehr zum Prinzipiellen

100

C. G. Jung: Der Sinn ist das Ziel

114

Zum Verhältnis von Heil und Heilung

119

Auswertung: Das 'Poimenische Dreieck'

128 11

B . VERHÄLTNISBESTIMMUNGEN IN THEORIE UND PRAXIS E I N SYSTEMATISCHER ÜBERBLICK

/. Theoretische Verhältnisbestimmungen - Kategorial erfaßt

139

R. Riess: Zur Polarisierung von Positionen

139

T. U. Schall und J. Scharfenberg: Zwei unterschiedliche Zuordnungsraster (Loccumer Thesen)

148

N. Mette und H. Steinkamp: Zum Modell der konvergierenden Optionen

152

F. Riemann: Zu den Grundformen der Angst

156

II. Evangelikaie Verhältnisbestimmungen Theoretisch analysiert

165

Evangelikaie Seelsorge von 1976 - 1981

166

Wort(e) der Konferenz Bekennender Gemeinschaften H.-K. Hofmann: Psychonautik Stop

166 168

J. E. Adams: Nuthetische Beratung

169

Stellungnahme des Albrecht-Bengel-Hauses (Tübingen)

172

Zwischenbilanz I

174

Evangelikaie Seelsorge von 1984 - 1989

175

W. Wanner: Seelsorgerische Jesus-Therapie

175

M. Dieterich: Biblisch-therapeutische Seelsorge

183

S. Pfeifer: Moderne Psychiatrie und biblische Seelsorge

186

L. J. Crabb: Plünderung der Ägypter

188

Zwischenbilanz II

195

12

Evangelikaie Tendenz-Latenzwende - Lohn der Angst ?!

196

Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie Im Irrgarten der Verhältnisbestimmungen IIA

199

K. Winkler: Mut zur Konkurrenz

201

Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie Im Irrgarten der Verhältnisbestimmungen IIB

206

C . V E R S U C H EINER NEUEN STANDORTBESTIMMUNG

Prolegomena

211

Zum 'Versprechungszusammenhang' von Tradition und Situation

217

Zum materialen Aspekt der Seelsorge: Antwort auf die 'Was-Frage'

221

Zum formalen Aspekt der Seelsorge: Antwort auf die 'Wie-Frage'

227

Zum personalen Aspekt der Seelsorge: Antwort auf die 'Wem-Frage'

236

Zusammenfassung

250

Zur Frage nach dem Verhältnis von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie: Antwort

254

Nachwort

261

Literatur

263

13

Methodische Vorüberlegungen

Sollen im folgenden Ausführungen zum Verhältnis von Seelsorge und Psychologie 1 gemacht werden, so gilt es dabei, drei wesentliche Aspekte zu berücksichtigen: Erstens zielen meine Bemühungen nicht darauf ab, eine Geschichte (oder sogar die Geschichte) des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie darzustellen. Es geht hier nicht um die Gesamtheit (und nicht einmal um einen Ausschnitt der Gesamtheit) aller im Kontext der 'Gegnung' von Seelsorge und Psychologie nachweisbaren Ereignisse, sondern um den Prozeß ihrer Reflexion, mithin um deren Rezeption und Verortung bzw. Bewertung. Aus diesem Grunde führe ich die Bezeichnung Geistesgeschichte ein. Zweitens kann hier nur der Versuch unternommen werden, einige markante Stationen in der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie zu rekonstruieren;2 meine

1 Selbstverständlich könnte auch von einem Verhältnis zwischen Theologie und Psychologie ganz allgemein gesprochen werden. So hat z.B. die tiefenpsychologische Deutung biblischer Texte Eingang in die Exegese gefunden (siehe z.B. Drewermann 1980, 1986 u. 1987) und auch die homiletische Arbeit nachhaltig beeinflußt (siehe z.B. Haendler 1960 und Stollberg/Lührmann 1978); selbst die therapeutische Funktion des kirchlichen Unterrichts darf inzwischen als durchaus anerkannt gelten (siehe dazu z.B. Stoodt 1975). 2 Ich beziehe mich in den Hauptpassagen der vorliegenden Arbeit auf die Höhepunkte der geistesgeschichtlichen Entwicklung im deutschsprachigen Bereich und verzichte bewußt auf die Darstellung der früh einsetzenden und weitreichenden Debatte um das Verhältnis von Theologie (Seelsorge) und Humanwissenschaften (Psychologie) in den USA, die m.E. - zumal ihrer systematisch-theologischen Ausrichtung wegen (vgl. z.B. die Ausführungen in dem von P. Homans herausgegebenen Sammelband 'The Dialogue between Theology and Psychology' (Homans 1969; siehe dazu die Rezension von Scharfenberg 1972) - einer gesonderten Untersuchung bedürfte. Autoren wie J.E.Adams oder L.J.Crabb und D.B.Allender werden nur deshalb berücksichtigt, weil ihre Rezensionquote und damit ihr Einfluß im deutschsprachigen praktisch-theologischen Umfeld, wenn auch regional und traditional begrenzt, ausgesprochen hoch bzw. nachhaltig zu sein scheint.

15

Vorgehensweise ist demgemäß bewußt selektiv, Vollständigkeit kann und soll nicht angestrebt werden. 3

3 Einen guten Überblick über die geistesgeschichtliche Entwicklung im Verhältnis von Seelsorge und Psychologie vermittelt der von V.Läpple und J.Scharfenberg herausgegebene Sammelband 'Psychotherapie und Seelsorge' (Läpple/Scharfenberg 1977; vgl. dazu auch den Sammelband 'Psychoanalyse und Religion', Nase/Scharfenberg 1977b dort besonders die Bibliographie von E.Nase, Nase 1977). Es ist frappant und m.E. zugleich signifikant, welch unterschiedliche Zuordnungen - mit divergierenden Vorordnungen - in den hier präsentierten Aufsätzen vorgenommen werden. Siehe dazu folgende Übersicht, in der ich die jeweiligen '(Vergleichs-)Objekte' der einzelnen Aufsätze der Reihe nach aufliste: Psychanalyse seelsorgerliche Methode Psychoanalyse Seel sorge Psychoanalyse Seelsorge Psychoanalyse Seelsorge Psychotherapie Seelsorge Seelsorge Psychotherapie Seelsorge Psychotherapie Psychotherapie Seelsorge Psychotherapie Seelsorge Psychotherapie Seelsorge Psychoanalyse Seelsorge psychoanalytische Situation zwischenmenschliche personale Psychotherapie

Beziehung religiöse Funktion des Traumes Theologie Christus Psychotherapie Seelsorger Psychotherapie Seelsorge

Psychotherapie Psychotherapie Analogia Fidei Psychotherapeut Seelsorge Psychotherapie Balint-Gruppe für Pastoren Pastoralpsychologie Selbsterfahrungsgruppen mit Theologen Psychotherapie Seelsorge Rekonstruktion des Menschen Abgesehen davon, daß bei Läpple/Scharfenberg 1977 die Psychoanalyse ebenso selbstverständlich wie die Selbsterfahrung dem Stichwort 'Psychotherapie' subsumiert erscheint, wird bei insgesamt vierundzwanzig Titeln und zwanzig Gegenüberstellungen nur viermal 'Theologisches' 'Psychologischem' vorgeordnet. Das mag Zufall sein, kann jedoch u.U. auch auf das Vorverständnis des jeweiligen Verfassers zurückverweisen. - Die Geschichte des Gegensatzes zwischen Pastoraltheologie und Psychoanalyse in ihren frühen Phasen ist bereits Ende der 60er Jahre eindrücklich nachgezeichnet worden. Siehe z.B. Scharfenberg 1968, 20ff. u. 182ff. Ich beziehe mich in

16

Drittens ist das breite Bedeutungsspektrum der Begriffe 'Seelsorge' und 'Psychologie' allen Ausführungen implizit zugrunde zu legen, obwohl es im Rahmen meiner geistesgeschichtlichen Bemerkungen nicht im einzelnen expliziert werden kann. Im hier gegebenen Kontext scheint es vollkommen ausreichend, beide Begriffe zunächst einmal als 'Sammelchiffren'4 für den Großbereich seelsorg(er)licher5/psychologischer Erkenntnisse und/oder der Anwendung derselben aufzufassen. So soll es denn auch nicht weiter verwundern, daß die Begriffe 'Psychologie', 'Tiefenpsychologie', 'Psychoanalyse' und 'Psychotherapie' synonym verwandt werden. Dies entspricht durchaus dem gängigen Zuordnungsraster im Gesamt der Psychologie als selbständiger Erfahrungswissenschaft (Empirische Psychologie); 6 es empfiehlt sich jedoch auch aus rein pragmatischem Grund: die wenigsten der im folgenden zitierten Autoren nehmen eine exakte Begriffs-Differenzierung7 vor. Wie weit das im einmeinen Ausführungen in erster Linie auf diese Untersuchung bzw. deren Rezeption bei Riess 1973, 33ff. sowie auf die Ausführungen bei Rössler 1982, 116ff. Auch R. Riess handelt gemäß der Maxime bewußter Selbstbeschränkung, wenn er die 'exemplarische Darstellung der Polarisierung von Positionen' anvisiert. Vgl. Riess 1973,32. 4 Zum breitgefächerten Bedeutungsspektrum des Begriffes 'Psychologie' vgl. die Abbildung 1 bei Krech u.a. 1985a, 15. Hier wird daraufhingewiesen, "daß das Ganze (der Psychologie) mehr ist als die Summe der Teile (d.h. aller Sparten der Psychologie)". Vgl. dazu auch die entschieden ältere - m.E. jedoch detailliertere - Übersicht aus Dorsch 1976, 466. Die Beantwortung der Frage danach, was Seelsorge ihrem Wesen nach sei, ist kein leichtes Unterfangen und kann letztlich nur exemplarisch versucht werden. Vgl. u.a. die einschlägigen Ausführungen von Riess 1973, Schütz 1977, Wintzer 1978 und Blühm 1983. 5 Eine klarere Differenzierung zwischen 'seelsorgerlichen' und 'seelsorglichen' Aspekten ist m.E. erst im Gefolge der Ausführungen Chr. Möllers von 1983 ('Seelsorglich predigen') zu verzeichnen. In älteren Publikationen wurde das Moment des Seelsorglichen zwar nicht gänzlich ausgespart, aber selten auf den Begriff gebracht. Um einer pastoralen Verengung zu begegnen, könnte hier und im folgenden mit Chr. Möller mit dem Adjektiv 'seelsorglich' operiert werden. Dadurch wäre u.U. zu vermeiden, daß die Person des Seelsorgers von vornherein unverhältnismäßig in den Mittelpunkt gerückt wird und womöglich die parakletische Dimension ausgespart bleibt. Vgl. dazu Möller 1983, 9. Da es im Kontext meiner Ausführungen aber in erster Linie um professionelle Seelsorge speziell dazu Beauftragter geht, entscheide ich mich für eine 'Zwischenlösung', die deutlich macht, daß alles seelsorgerliche Verhalten seelsorglichen Charakter aufweisen sollte, und verwende hier und im folgenden - außer in Zitaten - die Formulierung 'seelsorg(er)lich'. 6 Vgl. dazu die Übersicht von Dorsch 1976, 466. 7 W. Schütz dürfte als einer der ganz wenigen gelten, die begrifflich exakte Ausführungen bieten. In der 1977 vorgelegten 'Seelsorge' wird auf jeden Fall zwischen Psychologie allgemein und Psychotherapie unterschieden. Vgl. Schütz 1977, 65ff. u. 116ff.;

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zelnen jeweils auf Kenntnisreichtum oder aber Unkenntnis bzw. Ignoranz zurückzuführen ist, sei dahingestellt. 8 - Es muß allerdings selbstverständlich davon ausgegangen werden, daß die einzelnen bezeichneten Größen in einem spezifischen Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander stehen. Der allgemeinste Begriff dürfte unumstritten der der Psychologie sein. '"Psychologie ist die Wissenschaft, welche die bewußten Vorgänge und Zustände sowie deren Ursachen und Wirkungen untersucht' (Rohracher) ,.."9 Sie '"ist die Wissenschaft von den subjektiven Lebensvorgängen, die gesetzmäßig mit den objektiven verknüpft sind'."10 Die Tiefenpsychologie verstehe ich mit F.Dorsch als "Sammelbegr.(iff) für die Richtung der Ps.(ychologie), die vorgibt, nicht an der Oberfläche des bewußten Seelenlebens haften zu bleiben, sondern in die unterbewußte und unbewußte Tiefe der Seele hineinzuleuchten und dabei insbesondere die Beziehung zwischen Gefühl und Willen 'triebdynamisch' in den Vordergrund zu rücken"11. Es verkompliziert eine exakte Definition des Begriffs 'Tiefenpsychologie', daß - wie F.Dorsch richtig bemerkt - "die T.(iefenpsychologie) inzwischen Therapie, Wissenschaft und Weltanschauung zugleich geworden" 12 ist. Die Psychoanalyse kann als "ursprünglich ein von Breuer und Freud Ende des 19. Jhdts. geschaffenes Verfahren zur Heilung seelisch bevgl. auch Blühm 1983, 35ff. u. 38ff. Wollte ich eine hierarchische Ordnung der Begriffe 'Psychologie', 'Psychotherapie', 'Tiefenpsychologie', 'Psychoanalyse' und 'Psychotherapie' aufstellen, so müßte ich die Psychologie als übergeordnetste Größe und die Psychotherapie als untergeordnetste Größe bezeichnen, wobei die Unterordnung keiner Mindereinstufung gleichkäme. Es ist nur so, daß zwar jede Psychotherapie Psychologie darstellt, aber längst nicht jede Psychologie als Psychotherapie zu bezeichnen ist. Tiefenpsychologie wiederum ist auf jeden Fall immer auch Psychologie, aber längst nicht jede Psychologie kann als Tiefenpsychologie bezeichnet werden. Die Psychoanalyse stellt als tiefenpsychologische Richtung mit Handlungsrelevanz ein Zwischenglied dar. Sie vermittelt zumindest partiell zwischen Tiefenpsychologie allgemein und Psychotherapie. Vgl. dazu im einzelnen die Ausführungen bei Dorsch 1976 zum Stichwort Psychologie (465ff.), zum Stichwort Tiefenpsychologie (613f.), zum Stichwort Psychotherapie (459f.) und ganz besonders die bereits oben angeführte Skizze (466). 8 Es ist erschreckend, wie wenig differenzierend mitunter sogenannte 'fromme' Autoren ans Werk gehen. Vgl. z.B. Adams 1980, lff. Hier kommt Glauben einem 'sacrificium intellectus' gleich. 9 Dorsch 1976, 465. 10 Dorsch 1976,465. 11 Dorsch 1976, 613 (Erg. in KI. M.P.). 12 Dorsch 1976, 613 (Erg. in KI. M.P.).

18

dingter Erkrankungen"13 aufgefaßt werden und ist, zur "tiefenps.(ychologischen) Lehre ausgebildet"14, der Tiefenpsychologie einzugliedern. Die Psychotherapie soll verstanden werden als "die Wissenschaft von der Behandlung seelischer und seelisch bedingter Leiden mit psychologischen Mitteln"15. Gemäß der hier angeführten Rasterung erscheint es mir stringent, generell von Ausführungen zur Geistesgeschichte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie zu sprechen; wird doch so im Gegenüber zur Seelsorge der übergeordnetste Begriff zum Ausgangspunkt erklärt, ohne die Tatsache, daß heute die Rezeption psychologischer Erkenntnisse in der Seelsorge häufig in Form der Auf- und Übernahme speziell psychotherapeutischer Einsichten und Methoden erfolgt, anzutasten.

13 Dorsch 1976,459. 14 Dorsch 1976, 459 (Erg. in Kl. M.P.). 15 Dorsch 1976,483.

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Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie Im Irrgarten der Verhältnisbestimmungen I Die vorwissenschaftliche Beziehung zwischen Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie 1 besteht seit Jahrtausenden; 2 die wissenschaftliche Erörterung des Zuordnungsverhältnisses von beiden hat ihre Wurzeln erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, in dem sich allmählich eine Psychologie mit wissenschaftlichem und methodischem Anspruch herausbildete. 3 M.E. ganz besonders bezeichnend ist es, daß sich die 'Öffnung hin zur anderen Disziplin' im Gefolge dieser Entwicklung zunächst, wenn auch nur sehr zögernd, auf seiten der Theologenschaft einstellte. Die Ärzte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheinen hingegen fast einheitlich für eine 'klare Grenzziehung' zu plädieren. So schreibt z.B. J. Ch. A. Heinroth in seinem 'Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens' 1818: "Die Geistlichen, als die anerkannten Seelenärzte, eignen sich, von ihrem Standpunkte aus, und nach der Bildung und Richtung, die sie erhalten, ebenso wenig zu dem Geschäft, von welchem hier die Rede ist (gemeint ist die Behandlung 'seelisch Gestörter'). Denn das Feld ihrer Tätigkeit ist die moralische Natur des Menschen, so lange sie besteht, nicht aber, nachdem sie, wo nicht untergegangen, doch wenigstens eine Zeitlang in der Erscheinung verschwunden ist. Ihr Geschäft, ihr Beruf ist demnach in einer ganz anderen Gegend einheimisch als in derjenigen, mit welcher der psychische Arzt vertraut seyn muß." 4 Nicht weniger deutlich sind die Ausführungen F.Nasses von 1844. Bei ihm heißt es unmißverständlich: "Ehre und Dank dem Streben des Geistli-

1 Extrem frühe Formen von 'Psychotherapie' finden sich z.B. im Schamanismus, in dem Krankheit als 'Verlust der Seele' aufgefaßt wird. Vgl. Eliade 1961, Sp.1388. Zum Schamanismus allgemein vgl. Eliade 1975 und zum Stichwort 'Archaische Psychotherapie' Schmidbauer 1971, 21 ff. 2 Die Ausführungen bei Schmidbauer 1971 vermitteln eindrucksvoll den Gang der Entwicklung innerhalb der Psychotherapie von der Magie zur Wissenschaft. 3

Vgl. Rössler 1982, 116. - Bereits bei Köstlin 1907, 173f. findet sich eine Aufzählung von Literatur zum Stichwort 'Psychologie.'

4

Heinroth 1 8 1 8 , 4 4 f . (Erg. in. Kl. M.P.).

20

chen zur Herbeifuehrung des Reiches, um dessen Kommen wir taeglich bitten, die innigste Anerkennung dem Beistand, der uns den Weg weist und uns befreien hilft aus der groeßten Noth des Herzens. Bei dieser Anerkennung koennen wir uns jedoch nicht verbergen, daß sich der Geistliche nicht zum Helfer in Seelenkrankheiten eigne. ... Die Kenntniß von den Zustaenden des menschlichen Koerpers, in welchem die bloße Erwaegung der sittlichen Kraft des Menschen ihn nur einen Diener der Seele sehen laeßt, bleibt ihm meist fremd." 5 Als eine ziemliche Ausnahme in der Beurteilung der Wirksamkeit von Arzt und Seelsorger mag die offene kooperationsbereite Position des Arztes M.Jacobi gelten. Er sieht Arzt und Geistlichen "im Leben neben einander stehen" 6 und geht davon aus, daß "die Wirksamkeit des einen durch die des anderen nicht ersetzt, sondern gelegentlich nur ergänzt werden kann" 7 . Die Arbeit von Arzt und Geistlichem geht so "heilbringend Hand in Hand" 8 , ohne, und das ist für die Einschätzung M. Jacobis sehr wichtig, daß das Spezifikum des Seelsorgers aufgelöst bzw. abgelöst oder die Möglichkeit weltanschaulich bedingter Ablehnung eines Seelsorgers durch einen Arzt verunmöglicht würde. 9 Legitimiert wurde der Einbezug psychologischer Erkenntnisse in die praktisch-theologische Reflexion in erster Linie durch den Verweis auf ihre Bedeutung für die Praxis kirchlichen Handelns. Der 'Förderung von Menschenkenntnis' sowie der 'Vermittlung von Seelenkunde' wurde dabei besonderes Gewicht zugemessen. 10 So formuliert z.B. C. I. Nitzsch:

5

Nasse 1844, 41f. (i.O. mit eingeschriebenem e in den Umlauten).

6

Jacobi 1844, 404.

7 8

Jacobi 1844,404. Jacobi 1844,404.

9 10

Vgl. Jacobi 1 8 4 4 , 4 0 5 . So z.B. Knoke 1889, 146f.: "Da die Seelsorge einen bestimmenden Einfluß auf die Charakterbildung ausüben soll, muß sie zur individuellen Psychagogie werden. Ohne genaue Menschenkenntnis und ohne Verständnis für die individuellen Seelenzustände arbeitet der Seelsorger vergeblich." Vgl. auch ebd., 50ff., w o ausführlich auf die pädagogischen Voraussetzungen für eine kirchliche Katechumenatserziehung eingegangen wird. Hier werden sowohl anthropologische (vgl. ebd.) als auch didaktische (vgl. ebd., 52ff.) und sogenannte 'pädeutische' Voraussetzungen (vgl. ebd., 58ff.) besprochen. Als erklärtes Ziel des Studiums der Psychologie von Theologen bezeichnet z.B. Köstlin 1907, 174 "die Förderung der Menschenkenntnis und Seelenkunde, die uns dazu hilft, die Menschen zu verstehen und einem jeden das Evangelium von der Seite nahezubringen, die seinem Verständnis am nächsten liegt". - Besonders interessant mag es erscheinen, daß bereits 1906 in der Zeitschrift 'Die christliche Welt' ein religionspsychologischer Kursus zur Schärfung psycholo-

21

"Wir sinnen billig dem Seelenpfleger Menschen-Kenntniß an, daß er sich auf das menschliche Herz und Wesen nach dem Maaße unserer Beschraenktheit recht gruendlich verstehe."11 Die Selbsterkenntnis wird dabei als wesentliche Quelle der Menschen-Kenntnis empfohlen, wobei erstere das Maß letzterer sowohl quantitativ als auch qualitativ bestimmt.12 Mit fortschreitender Berücksichtigung empirischer Gesichtspunkte im Gesamt des Kanons der Wissenschaften (mithin auch im Bereich von Praktischer Theologie und Psychologie) avancierte die Psychologie zu einem selbständigen Thema der Seelsorge(lehre) 13 . Insbesondere die empirische Psychologie, die von W. Wundt14 mit dem 'Instigischen Einfühlungsvermögens für Pastoren, Kandidaten und Theologiestudierende angeboten wurde. Die Veranstaltung war darauf angelegt, "die wissenschaftliche Psychologie für die Theologie zu verwerten und durch solche psychologische Theologie eine Grundlage zu schaffen für die Behandlung der Seele" (Redaktionelle Notiz 1906 (Hervorhebung durch Fettdr. M.P.)). 11 Nitzsch 1857, 119 (i.O. mit eingeschriebenem e in den Umlauten). 12 Vgl. Nitzsch 1857, 120. - C.I. Nitzsch begründet seine Forderung nach Intensivierung der Menschen-Kenntnis respektive Selbsterkenntnis, indem er betont, daß das Wort Gottes, sofern es wirklich für alle und für alles da ist, sich nach Zeit, Ort und Person individualisieren müsse. Vgl. ebd., 118. Dahinter steht die Überzeugung, daß Seelsorge nicht allen und jedem Gleiches mitzuteilen habe, sondern in angemessener Weise (dem Wort) Zugang zum Herzen des jeweiligen Menschen gewonnen werden soll. Vgl. ebd., 127. Die vornehmste Aufgabe des Seelsorgers besteht mithin darin, das individuelle Wort zu finden. Die Individualität, der dieses Wort zugedacht ist, wird u.a. durch den Rückgriff auf die gesamte Biographie eines Menschen anschaulich. Vgl. ebd., 123ff. Je mehr der Seelsorger dazu in die Lage versetzt ist, das Spezifische an der Lebenslage eines Menschen zu erkennen (unterschiedliche Standpunkte, Bildungsgrade, Seelenstimmungen und Bewußtseinsstufen), desto eher wird er auch das richtige Wort finden. Vgl. ebd., 134ff. - Es ist bemerkenswert, daß mehr als hundert Jahre nach den Äußerungen C.I. Nitzschs mit fast gleichlautenden Worten von A. Allwohn die Verzahnung von Menschenkenntnis und Selbsterkenntnis bzw. deren Bedeutung für die Seelsorge herausgestellt wird. Vgl. All wohn 1970, 101. 13 Ich spreche hier betont von 'Seelsorge(/e/jre)', da in erster Linie Seelsorge als wissenschaftliche Disziplin gemeint ist. Im folgenden soll der Begriff 'Seelsorge' allerdings Praxis und Theorie bezeichnen. Wiewohl eine klare Unterscheidung beider Bereiche von Fall zu Fall möglich wäre, unterbleibt diese, um so den Seelsorgebegriff dem Psychologiebegriff bzw. dem Psychotherapiebegriff zumindest strukturell anzugleichen. Letzterer kann nach F. Dorsch sowohl Therapeutisches (d.h. Praktisches) als auch Wissenschaftliches und Weltanschauliches bezeichnen. Vgl. Dorsch 1976,613. 14 Der 1920 verstorbene W. Wundt hat - obwohl selbst Arzt - stets auch das Interesse von Philosophen und Theologen auf sich gezogen. Siehe z.B. Koenig 1909, Emmel 1911, Petersen 1925 und nicht zuletzt Arnold 1980.

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tut für experimentelle Psychologie' in Leipzig begründet wurde, 15 sowie die Psychoanalyse, die in Gestalt der Freudschen Theorie zu einer völlig neuen psychologischen Richtung mit eigener Schulbildung 16 führte, gewannen zunehmend an Bedeutung. 17 Bisher so nicht vorhandene neue Grundlagen für das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie bildeten sich heraus. Die fortschreitende Entfaltung autonomer psychotherapeutischer Praxis mit wissenschaftlichen Prämissen sowie deren wachsende Emanzipation (Anerkennung?!) in der Öffentlichkeit verursachte in der Folgezeit für die kirchliche Praxis einen durchaus ernstzunehmenden Konflikt. 18 Möglichkeiten, Grenzen, Ziele und Methoden von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie wurden zunehmend verglichen bzw. konkurrierend einander gegenübergestellt. Die Klage über die erfolgreiche Konkurrenz speziell der Psychotherapie wurde zu einem Dauerlamento 19 in den Reihen der Theologenschaft, wiewohl auch die Stimmen derer, die für eine legitime Konkurrenz eintraten, 20 unüberhörbar laut wurden. Letztlich konnten auch irenische Vermittlungsversuche 21 nicht darüber hinwegtäuschen, daß es mehr und mehr zu einer Herausbildung polarisierter Gegensätze im Dunstkreis von Seelsorge und Psychologie/ Psychotherapie kam. In manchen Fällen könnte man rückblickend wohl eher von einer 'Vergegnung' 22 denn von einer Begegnung der beiden Disziplinen sprechen. 23 Äußerst zutreffend scheint angesichts dieser Tatsache die 1970 vorgenommene Situationsbeschreibung W. L.Furrers, der versucht, dem 'Mißverhältnis' von Seelsorge und Psychotherapie im Bilde gesprochen nachzuspüren: Allzusehr "wurde in der ersten Zeit der Auseinandersetzung auf beiden Seiten von vornherein und fast selbstverständlich die andere Position als unvereinbarer Gegensatz behandelt. Die Stellung der 15

Das Leipziger Institut darf als das erste psychologische Institut der Welt bezeichnet

16

Siehe dazu Eicke 1976 und 1977.

werden. Vgl. Kindler 1976, 11. 17

Vgl. Rössler 1986, 174f.

18

Vgl. Riess 1973, 32.

19

Die Artikulierung oder auch Apostrophierung dieses Lamentos findet sich fast stereotyp in zahlreichen problemrelevanten Arbeiten. Vgl. dazu u.a. Jahn 1927, bes. 12f. u. 52ff„ Schulte 1953, bes. 97, Seitz 1969, 152f. und Wulf 1970, 124.

20

Vgl. dazu v. Gebsattel 1947, 17ff. und Jung 1973b.

21

In diesem Zusammenhang sei u.a. auf die programmatischen Titel 'Ärztliche Seelsor-

22

Zum Begriff der 'Vergegnung' vgl. Buber 1963, 2.

23

Zu den unterschiedlichen 'Mustern eines Mißverhältnisses' vgl. Riess 1973, 32ff.

ge1 (Frankl 1952) und 'Sprechzimmer und Beichtstuhl' (Goldbrunner 1965) verwiesen.

23

Psychoanalyse in ihrer historischen Ausgangslage hat Weichen gestellt, auf denen die Züge dann fahrplanmäßig aneinander vorbeifuhren. Psychotherapie und Seelsorge galten als zwei Gebiete, die wie unüberbrückbare Gegensätze nebeneinander stehen; Gegensätze der Auffassung vom Menschen und vom Umgang mit Menschen: hier der empirische Mensch in seiner gegenwärtigen Wirklichkeit, dort seine ewige Heilsbestimmung; hier Wissenschaft, in gewissem Sinne sogar Naturwissenschaft, dort Offenbarung; hier Berufung auf Wissen, dort Berufung auf Glauben, der alles Wissen übersteigt." 24 In der Diskussion um das sogenannte Proprium von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie lassen sich m.E. zumindest zwei - nicht immer exakt voneinander zu trennende - Argumentationsstränge erkennen: ein, wie ich ihn hier nennen will, referentiell- kontextueller sowie ein mehr inhaltlich-methodisch bestimmter. 25 Die bereits 1962 in dritter Auflage erschienene 'Lebendige Seelsorge' 26 von Th. Bovet soll um des besseren Verständnisses willen an dieser Stelle stellvertretend für den referentiell-kontextuellen Denkansatz zitiert werden. Th. Bovet erklärt nachdrücklich, daß das Bezugssystem von Arzt und Seelsorger ein grundsätzlich verschiedenes sei. 27 Es bestehe zwischen einem Arzt und einem "Seelsorger ein ähnliches Verhältnis wie zwischen dem Geologen und dem Astronomen: Während für den ersten die Erdkugel das Ganze ist, dessen Mittelpunkt die Schwerkraft bestimmt, dessen innere Spannung er mißt und zur Erklärung des Geschehens heranzieht, ist die Erde für den Astronomen ein kleiner Satellit der Sonne, und die von ihr ausgeübte Gravitationskraft interessiert ihn nur im Hinblick auf die Mondbahn und auf die Beeinflussung anderer Planetenbahnen. Beide Betrachtungsweisen schließen einander nicht 24

Furrer 1972, 19. - Ich beziehe mich hier und im folgenden auf die zweite Auflage von 'Psychoanalyse und Seelsorge'. - Scharfenberg 1968, 20ff. u. 182ff. hat die Geschichte von Pastoraltheologie und Psychoanalyse in ihren frühen Phasen sehr anschaulich nachgezeichnet; vgl. dazu auch Riess 1973, 33ff., der sich in seiner Situationsskizze in erster Linie auf J. Scharfenberg bezieht.

25

Der Gegensatz zwischen 'referentiell-kontextuell' und 'inhaltlich-methodisch' orientierter Argumentationsweise bestimmt auch noch die aktuelle Diskussion. So wird der Ansatz D. Stollbergs häufig ersterer und der E. Thurneysens letzterer zugeordnet. Zur Verdeutlichung genereller Tendenzen mag eine solche Rasterung hilfreich sein; der Komplexität eines einzelnen Ansatzes - sei es der Stollbergsche oder der Thurneysensche - kann auf diese Weise jedoch überhaupt nicht Rechnung getragen werden.

26

Bovet 1962.

27

Vgl. Bovet 1962, 16.

24

aus, aber man darf die beiden Terminologien nicht vermischen." 28 Die Verschiedenartigkeit von Arzt und Seelsorger verhindere jedoch nicht, daß es zu einer wechselseitigen Bereicherung beider komme. Die Ausführungen Th. Bovets lassen offen, wie die 'Vermittlung' (der Wissens- und Erfahrungstransfer) zwischen Arzt und Seelsorger im einzelnen vonstatten gehen soll. Der Verweis darauf, die genaue Abgrenzung respektiver Begriffssysteme mache es möglich, zu erkennen, daß es Aspekte der Wahrheit gebe, die einem selber bisher abgingen und die es aufzunehmen gelte, 29 erscheint ein wenig naiv. Und der Verweis darauf, die klare Abgrenzung der Begriffssysteme schließe eine 'Personalunion' nicht aus, sondern mache diese eigentlich erst möglich, 30 muß m.E. als simplifizierend gelten. Bloße Abgrenzung respektiver Begriffssysteme ("Sauberkeit der Begriffe" 31 ) und 'Erkenntnistransfer' bzw. das Postulat desselben führen noch nicht zu einem lebendigen Beziehungsgeflecht zwischen unterschiedlichen Größen. Überhaupt scheint es so, als wolle Th.Bovet mit Bezug auf den Menschen als "Ganzperson" 32 gewiß vorhandene (und von ihm selbst ja letztlich auch konstatierte) inhaltliche Unterschiedenheit der Zugänge von Medizin und Theologie (es erscheint mir zulässig, die Begriffe Psychologie/Psychotherapie und Seelsorge hier einzulesen) zumindest verwischen, wenn nicht gar leugnen. In gewisser Weise steht er damit in eindeutiger Nähe (zumindest inhaltlich) zu H.F. Bürki, der 1978 in der Geschichte des Verhältnisses von Psychotherapie und Seelsorge ein "Scheinproblem" 33 erkennt und diesem mit Formulierungen des Chalcedonense von 451 zu begegnen versucht. H.F.Bürki führt aus: "Auf die Frage, in welchem Verhältnis Psychotherapie und Seelsorge zueinander stehen, antworte ich zunächst mit einer alten Kurzformel, deren Bedeutung für unser heutiges Denken und Handeln nicht sofort einsichtig sein mag: 'unvermischt und ungetrennt'. Damit will ich ausdrücken, daß es nicht der Wirklichkeit des Menschen entspricht, wenn man Psychotherapie und Seelsorge miteinander vermischt oder sie voneinander trennt." 34 Die vorliegenden Ausführungen machen deutlich, daß ein lebendiger Bezug zwischen Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie in erster 28

Bovet 1962, 16f.

29

Vgl. Bovet 1962, 17.

30

Vgl. Bovet 1962, 17.

31

Bovet 1962, 17.

32

Bovet 1962, 15.

33

Bürki 1 9 7 8 , 7 .

34

Bürki 1978, 9.

25

Linie durch 'Blockbildung' 35 erschwert bzw. gänzlich verunmöglicht wurde. Die 'Mißverhältnisbeschreibung' W.L. Furrers erinnert m.E. nicht von ungefähr an das Diastasenmodell der frühen Dialektischen Theologie. 36 Hier wie dort führt das 'Denken im Gegensatz' zum Dilemma. Ist doch mit "der Darstellung eines jeden Sachverhaltes ... die Ablehnung eines Gegensatzes notwendig verbunden. An jedem Einzelpunkt wird der Position eine Negation gegenübergestellt." 37 Ein mögliches Miteinander von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie gerinnt so zum bloßen Nebeneinander; eine 'Zwei-Welten-Theorie' entsteht. Auf der einen Seite rangieren diesseitsorientierte Werte (empirische Erfaßbarkeit, Wissenschaftlichkeit, Aufweisbarkeit von erfolgter Heilung etc.), auf der anderen Seite erscheint ein kategoriales System genuin transzendenter Prägung (Offenbarungsmäßigkeit, Glaubensgebundenheit, Bezogenheit auf angesagtes Heil u.a.). Seelsorger und Psychologe/Psychotherapeut stehen einander, manifestiert sich die 'Blockbildung', wie feindliche Brüder (vom selben Stamme?!) gegenüber. Die proklamierte Andersartigkeit der Referenzsysteme führt dabei selten zu gegenseitiger Achtung. Für den Psychologen/Psychotherapeuten ist der Seelsorger allzu oft 'Fachmann für Jenseitiges' und damit ins 'eschatologische Abseits' verbannt. Seine Zuständigkeit beginnt vermeintlich erst auf bzw. jenseits der Lebensgrenze und steht damit zwar nicht in Frage, aber generell noch aus. Umgekehrt wird die psychotherapeutische Intervention von Seelsorgern u.U. als wohl notwendig (d.h. akute Not wendend), aber auf keinen Fall /tg/fonotwendig erachtet. Sie gehört demgemäß zu den vorletzten Dingen und relativiert sich durch ihren angeblich ausschließlichen Immanenzbezug systematisch selbst. Es dürfte kein Zufall sein, daß die Beschreibung des Verhältnisses (bzw. des 'Miß- und Unverhältnisses') von Seelsorge und Psychologie/ Psychotherapie zu metaphorischen Anleihen führt. So wie W.L.Furrer von 'Weichenstellung' und 'vorbeifahrenden Zügen' spricht 38 , (ich selbst benutzte soeben das Bild feindlicher Brüder), versuchte W.Schütz sieben Jahre später die Kompatibilität von Seelsorge und Psychotherapie 35 Zwischen 'Seelenheil-Kundigen' auf der einen und 'Seelen-Heilkundigen' auf der anderen Seite. 36 Vgl. dazu besonders den 1922 in veränderter Auflage erschienen 'Römerbrief von K. Barth (hier Barth 1978). - Einen informativen einführenden Überblick zur frühen Dialektischen Theologie bietet Kreck 1978, 9ff. - Speziell zum Begriff der 'Diastase' siehe Zähmt 1978, 24. 37 Rössler 1962, 42; vgl. auch Offele 1966, 146. 38 Vgl.Furrer 1972, 19.

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durch das Symbol zweier sich überschneidender Kreise zu 'bezeichnen\39 So eingängig diese Vorstellung auch sein mag, man kommt m.E. nicht umhin, mit D. Rössler die Frage zu stellen, was denn gemäß dem Schützschen Diktum das Gemeinsame und was das jeweils Besondere sei. 40 "Gibt es überhaupt menschlich-existentielle oder seelische Konflikte, die nicht in die Zuständigkeit der Psychotherapeuten fielen? Und gibt es andererseits menschliche Lebensfragen, 'bei denen man Gott, seine Verheißung und seinen Willen prinzipiell ausklammern könnte' ...?"41 Unter Aufnahme der Ausführungen D.Rösslers könnte ich nun selbstverständlich ebenfalls zurückfragen, ob es denn - gemäß der angenommenen 'schlechthinnigen Verwobenheit' von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie - überhaupt noch sinnträchtig sein kann, nach dem Spezifikum der beiden Disziplinen zu fragen. Eine Diskussion um das sogenannte Proprium von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie wäre damit doch von vornherein unnötig gemacht, und letztendlich gälte es, den Rekurs auf die Instanz des Priesterarztes 42 vergangenheitserinnernd zu wagen. 43

39 40 41 42

Vgl. Schütz 1977, 117. Vgl. Rössler 1982, 116. Rössler 1982, 116. Zum Verhältnis von Arzt und Seelsorger vgl. Köberle 1957; vgl. auch Furrer 1972, 19ff. 43 Im Grunde genommen könnte alle Psychotherapie als "säkularisierte Seelsorge" (Allwohn 1970, 96) bezeichnet werden: "Die Psychotherapie steht zwar nicht in Überlieferungs-, aber in Sinnzusammenhang mit Beichte, Seelenkathartik, Seelenführung gläubiger Zeitalter. Wir haben heute den Tatbestand, daß Nervenärzte säkularisiert das tun, was früher auf Glaubensgrundlage vollzogen wurde. Unsere Zeit hat den Arzt in die Rolle gedrängt, in wachsendem Umfange Aufgaben zu erfüllen, die früher Sache des Priesters waren." K.Jaspers zitiert bei ebd. ohne exakte Angabe des Fundortes (der Verweis auf Jaspers 1955, 40 u. 47 ist zwar inhaltlich korrekt, von einem wörtlichen Zitat kann jedoch nicht die Rede sein). Vgl. zum Voraufgehenden auch Bonhoeffer 1972, 397, wo Psychotherapie als "säkularer Ableger der Beichte" apostrophiert wird, und v. Hattingberg 1943, 35, der darauf verweist, der Psychotherapie werde häufig aufgrund ihres theologischen Einschlags ihre Daseinsberechtigung im Bereich der wissenschaftlichen Medizin abgesprochen. Dieses Diktum der 40er Jahre dürfte auch heute noch Gültigkeit haben; fortschreitende 'Säkularisierung der Seelsorge' läßt sich vielerorts nachweisen (so z.B. bei Bemet 1988), mehr und mehr jedoch wird auch eine Tendenz zur 'Klerikalisierung von Psychotherapie' sichtbar. Psychologie/Psychotherapie sind nicht mehr ausschließlich Wissenschaften), sondern zunehmend 'Glaubensschaft(en)', die zum alles bestimmenden Lebensinhalt werden können. Vgl. dazu Hemminger 1987, 52ff. - J. Bopp verweist auf die Gefahr einer Herausbildung regelrechter 'Psychokulte', deren Spezifika eine

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Die oben vorgenommene Grobskizzierung der Entwicklung des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie läßt eines deutlich erkennen: ich habe es hier nicht mit einem kontinuierlichen Prozeß im evolutiven Sinne zu tun; demgemäß läßt sich in der Auseinandersetzung zwischen den beiden Fakultäten Theologie (Seelsorge) und Psychologie (Psychotherapie) kein zeitliches Nacheinander von Ablehnung und Annahme der Erkenntnisse (Sichtweisen, Methoden etc.) der je anderen Disziplin bzw. Öffnung für diese konstatieren, stattdessen habe ich von einem zeitlichen Nebeneinander der kontroversen Grundparadigmata 'Negation' und 'Position' auszugehen. Dies sollte jedoch nicht davon abhalten, generelle Tendenzen und deren zeitgeschichtliche (mithin auch theologiegeschichtliche) Bedingtheit im Beziehungsgeflecht von Seelsorge und Psychologie aufzuzeigen.

"messianische Aufladung der Psychotherapie" und die zunehmende "Verbreitung von Erlösungsversprechen" sind. Er bezeichnet in diesem Zusammenhang Therapie als "Ersatzreligion

und Ersatzphilosophie" und apostrophiert Therapeuten

"Therapiepriester". Alle Zitate bei Bopp 1989, 32.

als

A. Verhältnisbestimmungen in Vergangenheit und Gegenwart Ein historischer Überblick

O. Pfister: Auf zu neuen Ufern I Das Wirken des Züricher Pfarrers O. Pfister (1873-1956) 1 darf als Meilenstein in der Entwicklung des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie angesehen werden. O. Pfister versuchte - angeregt durch C.G. Jung und S.Freud 2 - eine Integration von Glaubenslehre, Psychologie, Seelsorge und Philosophie "zu einer Theorie und Praxis der Liebe"3. Es gelang ihm, die Psychoanalyse in Pädagogik und Seelsorge so einzuführen, daß ihm noch 1968 aus berufenem Munde attestiert wurde, er sei dabei nicht "in jene unangenehme Anbiederungstheologie ... geraten, die mit jedem Wolf heulen und mit jedem Schaf blöken muß, so lange nur Heulen und Blöken der letzte Schrei sind"4. Bereits 1905 beklagte der damals 32jährige Pfarrer und Doktor der Psychologie, daß die wissenschaftliche Glaubenslehre sich nicht um den vielgestaltigen konkreten Jammer des Volkes bekümmere5 und "in psychologischer, logi-

1 Eine Einführung in O. Pfisters Programm findet sich in dem Vorwort, das Th. Bonhoeffer dem Neudruck des Pfisterschen Buches 'Das Christentum und die Angst' (in erster Auflage 1944 erschienen) vorangestellt hat (siehe Bonhoeffer 1985). Zum literarischen Schaffen O. Pfisters siehe die bibliographischen Hinweise bei Scheible 1973 und Nase 1974. 2 Von C. G. Jung wurde O. Pfister in einem pathologischen Seelsorgefall beraten (siehe Bonhoeffer 1985, IX); S.Freud lernte er zunächst durch die Lektüre seiner Schriften 1908 (siehe ebd.) und dann 1909 persönlich kennen (siehe vom Scheidt 1976, 13). 3 Bonhoeffer 1985, IX. 4 Görres 1968, 29. - Das Zitat entstammt einem Aufsatz, der 18 Jahre nach seinem Erstdruck Aufnahme in den Sammelband 'Kennt die Psychologie den Menschen?' (Görres 1986a) fand. Die insgesamt vorgenommenen Textveränderungen erscheinen unwesentlich, interessant jedoch ist die Titeländerung. War 1968 ganz allgemein von 'klassischer Anthropologie' die Rede, so wird 1986 zwischen 'klassischer' und 'christlicher' Anthropologie unterschieden (siehe Görres 1986b). Das mag mit dem Untertitel des Sammelbandes zu tun haben und rein formal begründet sein; es könnte jedoch auch damit zusammenhängen, daß in den 80er Jahren genuin Christliches nicht mehr selbstverständlich zum Kanon des Klassischen zugehörig zu sein scheint. 5 "Es muß einmal gesagt werden. Das Ärgernis ist da, ob man schweige oder rede. Vielleicht spreche ich aus, was viele mit mir fühlen. Vielleicht stehe ich mit meiner Entrüstung und Betrübnis nicht allein. Aber es ist ein Ärgernis, daß man heute sechs, acht, zehn Semester Theologie studieren kann, ohne in den Vorlesungen seine brennendsten Fragen, das tiefste Sehnen, die quälendste Not, die leuchtendste Hoffnung seiner Seele kraftvoll in Behandlung genommen zu sehen. Es ist etwas Empörendes, daß die wissenschaftliche Glaubenslehre sich nicht kümmert um den vielgestaltigen konkreten Jammer des Volks, der Jesus das Herz erschütterte, um die heiligen Keim-

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scher, soziologischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht unreif, dilettantisch, konfus"6 erscheine.7 In späteren Jahren wurde dem Seelsorger und Psychoanalytiker8 der 'alte seelsorg(er)liche Betrieb', der auf eben dieser überholten unzeitgemäßen Glaubenslehre aufbaute, zusehends suspekter. Schließlich forderte O.Pfister 1927, jeder, der seine seelsorg(er)liche Aufgabe ernst genug nehme, müsse auf "neue Hilfsmittel"9 ausgehen, um so den zahllosen schwierigen Seelennöten beizukommen. 10 Die analytische Methode habe einen derartigen Schritt vorwärts gebracht,11 daß "sich der gewissenhafte Seelsorger nicht auf Dauer von ihr fernhal-

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kräfte, die er im Unmündigen, im Ausgespieenen, im Verbrecher so rührend sorgsam aufspürte." Pfister 1905, 209. Pfister 1905, 212. Im gleichen Zusammenhang heißt es: "Zusammengefasst: Die heutige Glaubenslehre ist antiquarisch, abstrakt, scholastisch, unwissenschaftlich, desorientiert." Pfister 1905, 212. Vgl. dazu auch Pfister 1944, XXXVI. "Pfister gehörte einerseits zu den ersten Analytikern und stand, trotz der weltanschaulichen Gegensätze, mit Freud bis zu dessen Tod in freundschaftlicher Verbindung; von Pfister stammt das erste Lehrbuch der Psychoanalyse, zu dem Freud 1913 das Vorwort schrieb. Pfister war andererseits der erste Theologe, der in einem selbständigen Entwurf die Psychoanalyse in die Praxis und Lehre der Kirche hineinholte." Bonhoeffer 1985, VII. Pfister 1927, 4. - Bereits 1909 heißt es in der Selbsteinschätzung O.Pfisters 'kühn': "Die Praktische Theologie als wissenschaftliche Disziplin hat noch selten eine derartige Bereicherung ihrer Methodik erfahren, wie sie ihr durch Sigmund Freuds Psychologie zuteil wird. Nicht nur die Seelsorge am gemütskranken Menschen, sondern auch die Seelsorge im weitesten Sinne, die Pflege der religiös-sittlichen Gesundheit gewinnt durch die Arbeit des großen Wiener Psychiaters eine Fülle neuer Ziele und mannigfacher Mittel, die evangelischen Heilskräfte zur Geltung zu bringen." Pfister 1909b, 7. Wo der Seelsorger die psychanalytische Methode anwendet, übt er - so Pfister - "jene Heilandstätigkeit aus, die Jesus seinen Jüngern so dringend auferlegt" (ebd., 32) und handelt damit gemäß Mt 10,8 ('Machet die Kranken gesund, treibet die Teufel aus!'). Die Freudsche Lehre eröffnet nach O.Pfister die Möglichkeit, "Glaubenswissenschaft am wirklichen Menschen zu treiben, und nicht beständig in die Mauern der Büchergestelle gebannt zu sein" (ebd., 39); s.E. ist die "Frömmigkeit ... durch die neuen Forschungen nicht kleiner, sondern viel, sehr viel größer geworden." Ebd. Demgemäß gilt das Postulat: "Wollen wir Seelsorger sein, die sich als echte Söhne der universitas literarum ausweisen, indem sie die für ihr Arbeitsfeld nötigen Wissensschätze dankbar übernehmen ..., so müssen wir psychanalytisch gebildet und geschult sein." Ebd., 40.

10 Vgl. Pfister 1927, 3f.; auch bei Pfister 1928b, 90 heißt es apodiktisch: "Die Anwendung der Psychoanalyse ist... nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht derjenigen Berufsseelsorger, die sie auszuüben verstehen." 11 Sie ist nach Pfister 1928b, 82 dafür verantwortlich, daß "die Glazialperiode der seelsorgerlichen Erstarrung ihrem Ende entgegenzugehen scheint".

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ten"12 könne13, zumal die hergebrachten seelsorg(er)lichen Mittel in vielen Fällen als ungenügend zu bezeichnen seien. 14 O.Pfister versuchte, Seelsorge und Psychoanalyse konzeptionell zu verbinden15 und gelangte

12 Pfister 1927,4. 13 Für O.Pfister ist die Anwendung der nichtärztlichen analytischen Seelsorge kein 'Soll', sondern ein 'Muß'. Demgemäß spricht er von der 'Pflicht', sie auszuüben. Vgl. Pfister 1927, 132f. Diese 'Pflichterfüllung' bedarf des sittlich gereiften Menschen, der "über theoretische Begabung, Menschenkenntnis und erzieherische Tüchtigkeit verfüge. Taktlose, Ungefestigte und Ungeschickte richten bei jeder seelsorgerlichen Methode nur Unfug an" (ebd., 132). 14 Vgl. u.a. Pfister 1927, 9. - O. Pfister spricht explizit von einer kirchlich und theologisch festgesetzten "Seelsorgernot" (ebd., 7), die sich in einem auffallenden und folgenschweren Umschwung in der Seelsorge - zumal des Katholizismus niederschlug. "Ihr Horizont (der Horizont der Seelsorge, M.P.) verengert sich rasch, das seelsorgerliche Interesse wird mehr und mehr auf die jenseitigen Güter, das ewige Heil der Seele zugespitzt ... Die Seele, für die es zu sorgen gilt, ist nicht mehr im allgemeinen menschlichen Sinne verstanden, sondern im metaphysischen. Nicht alle menschlichen Leiden und Freuden bewegen den kirchlichen Seelsorger, sondern wesentlich das Schicksal der Seele nach dem Zerfall der Leibeshülle." Ebd. In der Seelsorge des Katholizismus erkennt O.Pfister demgemäß eine "Zerklüftung" (ebd.), die zwischen "Krankheitsbehandlung ohne Seelsorge" (ebd.) und "Seelsorge ohne Krankheitsbehandlung" (ebd.) als Zuständigkeitsbereich des Pfarrers, sprich Seelsorgers, trennt. Im Protestantismus bleibt die Seelsorge in der Einschätzung O. Pfisters ebenfalls "auf die religiös-sittliche Sphäre im engeren Sinne beschränkt, und was ihren Gegenstand anbelangt, auf das von den Medizinern als gesund anerkannte menschliche Denken, Wollen und Tun" (ebd., 8f.). Die protestantische Seelsorge bleibt so in der Einschätzung O. Pfisters "in Klerikalismus und Kirchenbanden gefangen" (ebd., 9). 15 Auf diese Weise geriet die psychoanalytische Methode an einen Ort, an dem sie sich gemäß der Auffassung S.Freud eigentlich nicht hätte befinden dürfen. In einem Brief vom 25.11.1929 (S.Freud an O.Pfister) heißt es: "Ich weiß nicht, ob Sie das geheime Band zwischen der 'Laienanalyse' und der 'Illusion' erraten haben. In der ersten will ich die Analyse vor den Ärzten, in der anderen vor den Priestern schützen. Ich möchte sie einem Stand übergeben, der noch nicht existiert, einem Stand von we/ilichen Seelsorgern, die Ärzte nicht zu sein brauchen und Priester nicht sein dürfen." Freud/Pfister 1980,136. S. Freud bezieht sich auf eigene Schriften von 1926 und 1927 (siehe hier Freud 1948a und 1948b). Diese Ausführungen S.Freuds kollidieren ein wenig mit denen vom 9.2.1909, wo von der psychoanalytischen Methodik als 'außerordentlicher Hilfe' für die Seelsorge gesprochen wird. Vgl. Freud/ Pfister 1980, 13. - Das Freudsche Votum für die Notwendigkeit der Existenz weltlicher Seelsorger wurde u.a. von W. Bernet aufgenommen, der darauf hinweist, "daß nichts die Säkularität der Seelsorge so behindert hat wie das Sakramental-Priesterliche und das Medizinisch-Priesterliche" (Bernet 1988, 9) und demgemäß als Theologe zu 'weltlicher Seelsorge' ermutigen und anleiten möchte.

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so zur sogenannten 'analytischen Seelsorge116, derjenigen "Tätigkeit, welche durch Aufsuchung und Beeinflussung unbewußter Motive religiöse und sittliche Nöte und Schäden zu überwinden trachtet"17. O.Pfister verstand demgemäß Seelsorge sowohl als analytischen als auch 'reparativen' Akt, wobei es ihm hauptsächlich um die Erforschung und 'Reparation' des Unbewußten ging. 18 Die 'analytische Seelsorge' erwies sich dabei in erster Linie als ein praktisches Programm, durch das zu seelsorg(er)lichem Handeln direkt und methodisch angeleitet werden sollte. Entsprechend sind die Ziele dieser Arbeit konkret und empirisch zu beschreiben.19 - Endlich schien eine Antwort auf eine lange schon akute Frage gefunden, die O.Pfister wie folgt formulierte: "Woher stammen die unterirdischen Mitregenten des menschlichen bewußten Lebens, die soviel Seelennot und Seelenverkrüppelung hervorbringen und dem Druck der alten seelsorgerlichen Maßregeln so oft erfolgreich widerstehen?"20 - Eine Seelsorge, die sich dieser Frage öffnete, bot erstmalig tiefenpsychologisches Basiswissen für Theologen, das zu einer Vertiefung menschlicher Selbsterkenntnis beitragen sollte. 21

16 Pfister 1927, 10 führt aus: "Wegen dieses Zusammenhanges mit der Psychoanalyse wäre es angezeigt, von einer 'psychoanalytischen Seelsorge' zu reden, wenn die Wortverbindung nicht gar zu häßlich klingen würde." - Die Verbindung von Analyse und Seelsorge war für O. Pfister wohl deshalb nicht problematisch, weil er davon ausging, daß alle Psychoanalyse ohnehin nichts anderes sei "als Seelsorge im weitesten Sinne" (Pfister 1928b, 85). 17 Pfister 1927, 10. 18 Ich könnte statt von 'Erforschung' und 'Reparation' auch von 'Analyse' und 'Synthese' sprechen. Letztere schien O. Pfister, so jedenfalls in der Einschätzung S.Freuds, tendenziell höherwertig. Siehe dazu Freud/Pfister 1980, 62f.: "Was fällt Ihnen denn ein, die Zerlegung des Sexualtriebes in Partialtriebe zu bestreiten, wozu die Analyse uns jeden Tag nötigt? ... In der Wissenschaft muß man zuerst zerlegen, dann zusammensetzen. Mir scheint, Sie wollen eine Synthese ohne eine vorherige Analyse. In der psychoanalytischen Technik braucht es eine besondere synthetische Arbeit nicht; das besorgt das Individuum selbständig besser als wir." 19 Es geht vorrangig um die Behebung sittlicher und religiöser Schäden, deren Deskription und 'Therapie' die beiden Hauptteile der 'analytischen Seelsorge' ausmacht. "Unter den sittlichen Schäden werden Probleme der Sexualität, Konfliktsituationen, Fragen der Identitätsfindung, des Fehlverhaltens auf verschiedenen Gebieten und anderes mehr verhandelt, und zwar jeweils im Zusammenhang mit konkreten Fallbeispielen. Als religiöse Schäden werden insbesondere Aberglauben, Glaubensverirrungen und Einschränkungen der Lebensfähigkeit in deren Gefolge erörtert." Rössler 1982, 117. 20 Pfister 1927, 13. 21 Vgl. Wintzer 1978, XXVIII.

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Die alte Praxis, die die unter der Schwelle des Bewußtseins befindlichen 'Mitregenten' ignorierte bzw. nicht kannte, wurde von O. Pfister endgültig verworfen. Sie glich in seinen Augen "der Landratte, die sich nicht erklären kann, warum ein Schiff trotz kräftigen Antriebes nicht ordentlich vom Fleck kommt, weil sie von Tang und Muscheln, die den Schiffsbauch beschweren und von Meeresströmungen unter der Oberfläche nichts weiß" 22 . Nicht-wissen bzw. Nicht-wissen-wollen führten in den Augen O. Pfisters zu einer bloßen Oberflächen-Seelsorge, die darauf abzielte, verwerfliche Handlungen und Gesinnungen direkt in Angriff zu nehmen; Vertröstung und Ablenkung waren für ihn unausweichliche Folgen davon. 23 Der Seelsorger, der sich solcher 'Vertröstungs-' und 'Ablenkungsmanöver' befleißigte, erschien O. Pfister "wie jemand, der Sonnenkringel an der Wand vertreiben möchte, indem er nach ihnen hascht, anstatt die Fensterläden zu verschließen, oder der einen vom Transmissionsriemen erfaßten Arbeiter retten wollte, indem er den Riemen festhält, anstatt den Stellhebel zu ziehen, oder der ein verankertes Schiff durch stärkere Anstrengung der Dampfkessel und Schrauben fortbewegen wollte, anstatt zuerst die Anker zu lichten" 24 . Diesem törichten Unterfangen stellte O. Pfister sein neues Programm der Tiefen-Seelsorge gegenüber; er wollte nicht mehr länger an Symptomen herumlaborieren bzw. herumkurieren, sondern den Zugang zu den eigentlichen Ursachen (den Wurzeln) des Übels (den religiös-sittlichen Konflikten) eröffnen helfen. 25 Die Ideen und Ausführungen O. Pfisters blieben nicht unangefochten. Anfragen und Zweifel wurden laut und zwangen zur Apologie und mitunter sogar zur Polemik. 26 Dem Vorwurf, eine wissenschaftliche Untersuchung religiöser Vorgänge sei der Würde der Religion unangemessen, begegnete O. Pfister aufs schärfste. 27 In der Verbindung von 22

Pfister 1927, 12f.

23

Vgl. Pfister 1927, 20.

24

Pfister 1 9 2 7 , 1 6 .

25

Vor allem die ältere Suggestionstherapie erachtete O. Pfister als ein bloßes 'Kurieren am Symptom'; stattdessen empfahl er eine 'ursächliche Seelsorge im Sinne Jesu'. Vgl. Pfister 1927, 20.

26

Im theoretischen Schlußteil seiner 'analytischen Seelsorge' schreibt O. Pfister: "Es ist immer sehr erstaunlich, wie wir Analytiker jahrelanger Forschungen bedürfen, um uns ein Urteil bilden zu können, während andere, die nicht eine einzige Analyse durchzuführen imstande sind, vor jeglicher Prüfung naserümpfend ihr Urteil abgeben zu dürfen glauben." Pfister 1927, 122. Der spöttische Unterton dieser Zeilen ist unüberhörbar.

27

Vgl. u.a. Pfister 1927, 122ff.

35

analytischer Seelsorge und analytischer Religionspsychologie sah der "Einzelgänger zwischen den Fronten"28 ganz im Gegenteil die Möglichkeit umfassender Förderung religiösen Lebens.29 O.Pfister führte aus: Die "wirkliche Religionspsychologie, und nicht nur jene sammelnde und ordnende, dabei die hauptsächlichsten Triebkräfte weglassende Vorarbeit, die man schon fälschlich als Religionspsychologie bezeichnet hat (Heiler), schadet dem religiösen Leben bei richtigem Verhalten keineswegs, fördert es aber tausendfältig auf das erfreulichste, wie es auch das mit ihm aufs engste zusammenhängende sittliche Leben befruchtet und vielfach vor dem Verderben bewahren hilft" 30 . Erhöhung der Selbsterkenntnis und "Einsicht in die Stufenleiter der Werte"31 machten das Programm der Pfisterschen analytischen 'Tiefen-Seelsorge' aus. "Das delphische: 'Erkenne dich selbst!' leuchtet über der gesamten analytischen Arbeit, aber es wird ergänzt durch die Forderung: 'Erkenne das Leben in seinen tiefsten Zusammenhängen und in seiner höchsten Bedeutung!'."32 Letztlich redet O.Pfister von der Bestimmung des Menschen und von Gott nicht im analytischen, sondern im philosophisch-theologischen Kontext. Er ging grundsätzlich vom Ganzen aus, und wo das Einzelne sich nicht zum Ganzen fügte, wurden pathologische Strukturen (religiös-sittliche Konflikte) vermutet: "Alle Libido- und Angstphänomene müssen ihrer gottgewollten Bestimmung in der Weltordnung zugeführt werden."33 Durch diese Bestimmung machte O.Pfister die sich zunächst einmal wertneutral gebärdende Analyse zu einer Hilfswissenschaft in genuin religiösem (d.h. weltanschaulich gebundenem) Umfeld und repräsentierte so eine 'psychagogisch-psychosynthetische Grundhaltung'34/35. Diese wurde von S. Freud kritisiert und als unnötig ausgewie-

28 29

30 32 34

35

36

Bonhoeffer 1985, VII. Bei Pfister 1928b, 90f. heißt es: "Ich danke Gott, daß mir Freuds Methode und Forschung Gelegenheit verschafft hat, sehr vielen, denen mit den alten seelsorgerlichen Mitteln nicht aus ihrem Elend geholfen werden konnte, ein Führer zu Gott werden zu dürfen und so mit meinen schwachen Kräften den seelsorgerlichen Auftrag, den Jesus mir verliehen hat, besser als zuvor auszuführen." Pfister 1927, 4. 31 Pfister 1927, 24. Pfister 1927, 24. 33 Bonhoeffer 1985, X. Vgl. Wiesenhütter 1977, 116. - S.Freud betonte nachdrücklich, die Psychoanalyse sei weltanschaulich nicht gebunden: "An sich ist die Psychoanalyse weder religiös noch das Gegenteil, sondern ein unparteiisches Instrument, dessen sich der Geistliche wie der Laie bedienen kann, wenn es nur im Dienste der Befreiung Leidender geschieht." Freud/Pfister 1980, 13. Obwohl sich S. Freud vehement gegen die damit s.E. von O. Pfister vorgenommene

sen, da seiner Annahme nach Individuen selbständig (selbsttätig) synthetische Arbeit leisteten.36 Nichtsdestoweniger schreibt der Analytiker S.Freud seinem im Christentum verankerten Freund O.Pfister: "Ich bin sehr frappiert, daß ich selbst nicht daran gedacht habe, welche außerordentliche Hilfe die psychoanalytische Methodik der Seelsorge leisten kann, aber es geschah wohl, weil mir als bösem Ketzer der ganze Vorstellungskreis so ferne liegt."37 "... Sie sind in der glücklichen Lage, auf Gott weiter zu leiten und jenen in dem einen Punkte glücklichen Zustand früherer Zeiten herzustellen, in dem die religiöse Gläubigkeit die Neurosen erstickte."38 - Der "Behauptung, die Psychoanalyse sei ein naturalistisches Unterfangen, das sich mit Seelsorge nicht vertrage"39, begegnete O. Pfister mit bemerkenswerter Metaphorik: "Die Religion als sublimierte Libido verstehen zu wollen, wäre so einfältig, wie wenn man den Kölner Dom in der Geologie behandeln, das Beethovensche Violinkonzert als Schafsdarmerschütterung erklären, oder die Blume als umgewandelten Dünger verstehen wollte. Es wäre schlimmer als falsch; es wäre dumm."40 O.Pfister bezeichnete die Psychoanalyse als "seelenkundliche Forschungsmethode"41, "Summe von wissenschaftlichen Erkenntnissen"42, "Behandlungsmethode"43 und "Weltanschauung" u . In-

'Verkehrung' seiner Sexualtheorie verwahrte (vgl. dazu das Schreiben vom 9.10.1918 bei Freud/Pfister 1980, 62ff.), insistierte O.Pfister darauf, eine geistigreligiös fundierte Lebensauffassung bedeute nicht nur bei den meisten Menschen eine "mächtige Förderung der Kur" (ebd., 125), sondern sei als Philosophie und Weltanschauung unerläßlich, da beide über den reinen Naturalismus und Positivismus hinausführten und seelen- und sozialhygienisch einen unschätzbaren Faktor für das Selbstverständnis des Menschen in Natur und Kosmos darstellten. Vgl. ebd. 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. Freud/Pfister 1980, 63. Freud/Pfister 1980, 13. Freud/Pfister 1980, 12. Pfister 1927, 122. Pfister 1927, 123. Pfister 1927, 123. Pfister 1927, 123. Pfister 1927, 124. Pfister 1927, 124. - O.Pfister bezeichnet zwar die Psychoanalyse als 'Weltanschauung', warnt jedoch gleichzeitig vor dem allzu mißverständlichen Begriff, denn wie "kann Auflösung gewisser psychischer Gebilde oder Vorgänge - denn dies bedeutet das Wort eigentlich - eine ganze Weltanschauung enthalten oder verschaffen" (Pfister 1927, 125)? Wohl mag die Analyse "wichtige Bausteine" (ebd.) zur Herausbildung einer Weltanschauung liefern, "niemals aber alle, die erforderlich sind, oder gar den Plan, nach dem sie zum Gebäude zusammenzufügen wären. Praktische Ana-

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sofern die Analyse Schädigungen der Liebe im Sinne der höchsten Ethik und Religion zu beseitigen trachtet, versteht er sie als "eine dem Ideal möglichst angenäherte Liebesorthopädie" 45 . Religiöse Überzeugungen werden durch diese s.E. nicht negativ beeinflußt. 46 O.Pfister faßt zusammen: "Weit entfernt davon, dem Wesen und dem Erfolge nach den Naturalismus zu fördern, liefert die analytische Seelsorge uns vielmehr die tauglichsten Waffen, um ihn zu bekämpfen und eine gesunde Religion und Sittlichkeit zum Siege zu führen."41 Dies gelte besonders deshalb, weil vermittels der Analyse Unechtes und Illusorisches ausgemerzt, Echtes und Großes jedoch gefördert werde. 48 Somit sind nur falsche Frömmigkeit und Sittlichkeit durch die Analyse 'bedroht': echtes Empfinden hingegen ist in keiner Weise gefährdet. 49 Hinzu kommt für den überzeugten Christen die Einschränkung, Analyse wolle und könne letztlich nicht mehr als ein "Pflügen" 50 sein; "daher käme es ihr auch niemals in den Sinn, analytische Seelsorge als für das wahre Heil ausreichend anzusehen ... Analytische Seelsorge ist immer nur korrektiv und vorbereitend ... Die Aufgabe der analytischen Seelsorge ist dann erfüllt, wenn der Analysand befähigt ist, die Heilswahrheiten frei vom Hindernis der Triebverklemmungen aufzunehmen. Dagegen darf man nicht erwarten, daß die analytische Seelsorge sittliche Kämpfe erspare. Abgesehen davon, daß dies kein erstrebenswerter Zustand wäre, ist es unpsychologisch gedacht." 51

lyse treibt der jüdische, katholische, protestantische, atheistische Arzt, der Kantianer, Schopenhauerianer, Nietzscheaner. Wenn Freud und andere Analytiker auf Religion und Philosophie verzichten, so taten sie dies schon vor ihrer Bekanntschaft mit der Analyse, nicht infolge ihrer" (ebd.). 45

Pfister 1927, 124.

46

O. Pfister führt aus: "Als ich mit der Analyse bekannt wurde, warnte mich ein ärztlicher Psychoanalytiker, der selbst dem christlichen Glauben nicht oder nur wenig ergeben war, vor Verlust meiner religiösen Überzeugung. Ich hielt ihm entgegen, daß die Wahrheit mit dem christlichen Glauben wohl kaum zusammenstoßen könne, und daß ich gerade als Christ auf die Seite der Wahrheit treten müßte, wenn diese auf Seiten der Analyse läge, das Christentum aber sich mit ihr nicht vertrüge." Pfister 1927, 125.

47

Pfister 1927, 125.

48

Vgl. Pfister 1927, 126.

49

Bei Pfister 1927, 125 heißt es: "Meine Erwartung ist erfüllt worden: Die Psychoanalyse hat meine religiösen Überzeugungen in keiner Weise erschüttert, wohl aber ihre hohe bewahrende und rettende Kraft in einem neuen Lichte gezeigt."

50 51

Pfister 1927, 139; vgl. auch Pfister 1928b, 85. Pfister 1927, 139.

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Analytische Intervention durch den Seelsorger ist also sozusagen 'Vorfeldarbeit', die den Boden für den Samen des 'Eigentlichen' bereiten helfen soll; 52 bei ihr geht es nicht um Sinnstiftung, sondern um die Ermöglichung von Sinnfindung. Das Programm der analytischen Seelsorge zielt demgemäß nicht auf die Erschütterung oder sogar Eliminierung religiöser Überzeugungen ab, sondern auf deren Bewahrung, Befestigung und Rettung durch Interpretation.53 Eine Welt ohne Religion, ohne Kunst und ohne Dichtung kam O.Pfister wie eine Stätte vor, in der nur der Teufel leben könne. 54 Sollte Psychoanalyse ein solch grausiges, eisiges Klima bieten, könne er es den Leuten nicht verübeln, daß sie Krankheiten bevorzugten. 55 Insofern O.Pfister jedoch davon ausging, Religion, Kunst und Dichtung seien mit der neuen analytischen Methode kompatibel, konnte er in großer Freiheit mit ihr umgehen und mußte sie nicht umgehen. Scherzhaft schrieb der Pfarrer O.Pfister 1928 an den Psychoanalytiker S.Freud: "Die Gefahr ist nicht groß, daß Sie sich zur Taufe melden, oder daß ich von der Kanzel herunterhüpfe."56 Aus dieser 52 Bereits 1918 erklärt O.Pfister, die Analyse des Seelsorgers sei "Wegbereitung, negative Vorarbeit, sonst nichts" (Pfister 1918, 67); und er schließt seine Ausführungen programmatisch: Die Analyse "ist keine neue Heilsbotschaft, aber doch ein Heroldsruf zum Heil, und sie erschließt euch das, was euch vonnöten ist: Einen neuen Zugang zum alten Evangelium." Ebd., 100. 53 Diese Feststellung legt es nahe, auf eine gewisse Parallelität zwischen O. Pfisters Argumentationsweise und R. Bultmanns Entmythologisierungsprogramm zu verweisen. In beiden Fällen lautete das ursprüngliche programmatische Postulat: 'Interpretieren statt eliminieren!'. R. Bultmann wurde dennoch - vielleicht gerade deshalb - kritisiert. Einerseits wurde ihm vorgeworfen, er trage zu subjektivistischer Auflösung von in der Schrift bezeugten Wahrheiten bei (vgl. Ott 1958, Sp.498), andererseits, er halte unverständlicherweise am Kerygma von der einen Heilstat Gottes in Christus fest (vgl. ebd.). Will ich analog dazu die Kritik an O. Pfister formulieren, muß ich entweder sagen, er habe die Religion durch Anwendung naturalistisch verengter Methode (eben der Psychoanalyse) gefährdet (diesem Vorwurf begegnet O.Pfister selbst; vgl. Pfister 1927, 122ff.), oder aber darauf verweisen, daß seine "psychagogisch-psychosynthetische Haltung" (Wiesenhütter 1977, 1166) letztlich nicht radikal genug sei. 54 Vgl. Freud/Pfister 1980, 124. 55 Vgl. Freud/Pfister 1980, 124. 56 Freud/Pfister 1980, 131. - Vgl. dazu aber die von S.Freud angeblich gern kolportierte Anekdote (bei Nase/Scharfenberg 1977a, 2), der Psychoanalyse sei es in ihrem Verhältnis zur Religion so gegangen wie dem Pfarrer, der einen Versicherungsvertreter auf dem Sterbebett bekehren wollte, ihn aber schließlich unbekehrt verließ und stattdessen eine Versicherung abgeschlossen hatte. - Fühlt sich der Tiefenpsychologe S. Freud doch ein wenig mit dem Taufwasser O. Pfisters besprengt? Oder haben E. Nase und J. Scharfenberg die Freudsche Überlieferung verkehrt (verstan-

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Bemerkung spricht nicht zuletzt O.Pfisters Grundüberzeugung, das bzw. der je andere müsse und könne anerkannt werden, um so im 'Streit der Fakultäten' zu einer ersprießlichen Arbeitsgemeinschaft vorzudringen. 57

Exkurs: F.W. Foerster: Wider die Freudsche Künstelei Das revolutionäre Vorgehen O. Pfisters fand - wie bereits oben bemerkt keineswegs nur Befürworter, sondern stieß auf schärfste Kritik und Ablehnung zumal in den Reihen derer, denen die Freudsche Methode als solche suspekt erschien. Der wohl heftigste Disput fand in den Jahren 1909 und 19 1 0 5 8 statt und wurde - gleichsam als 'Foerster-

den) und den eigenen Wunschvorstellungen angepaßt? Was, wenn es der Religion in ihrem Verhältnis zur Psychoanalyse so ginge wie dem Pfarrer, der ...? 57 Im Verhältnis zwischen Ärzten und Seelsorgern erkannte O. Pfister zwar durchaus Probleme; er ging jedoch davon aus, daß diese grundsätzlich zu bewältigen seien. In der 'analytischen Seelsorge' 1927, 128 heißt es: "Die große Mehrheit der Ärzte versteht von Seelsorge nur sehr wenig, da das ganze Studium nur auf leibliche Vorgänge und auf ihre Behandlung eingestellt ist. Analytische Seelsorge ist Erziehungsarbeit; sie betrifft die allerschwierigsten Fälle, die es überhaupt gibt. Und da soll der Arzt, der von diesen Dingen rein nichts gelernt hat, dem nichtärztlichen Seelsorger ohne weiteres überlegen sein, sogar dem Pfarrer, der sich berufsmäßig mit der Pflege der Seele befaßt?" - Trotz der hier unüberhörbar geäußerten Kritik schließt O.Pfister seine diesbezüglichen Ausführungen wenige Seiten später: "..., wird der Pfarrer den Arzt nicht als Laien betrachten, wenn er analytische Seelsorge betreibt, und ebenso wenig der Arzt den Pfarrer, Lehrer, nichtärztlichen Berufsanalytiker, der Kranken seine Hilfe gewährt und dabei seine Schranken innehält. Der 'Streit der Fakultäten' hat zu einer für alle ersprießlichen Arbeitsgemeinschaft geführt." Ebd., 131. 58 Einen interessanten Kontrast dazu bilden die polylogischen Ausführungen in der Zeitschrift 'Ethik' Ende der 20er Jahre (vgl. Abderhalden 1928 und Pfister 1928b). Der aggressive Ton der frühen Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Seelsorge und Psychoanalyse erklingt hier nicht. Stattdessen dringen besonnene Stimmen durch; es wird argumentiert und bedachtsam abgewogen. Abderhalden 1928,33 resümiert: "Enthusiastischste Aufnahme und schroffste Ablehnung waren in den letzten Jahren das Schicksal der Freudschen Lehre, die allerdings vielfach ganz verzerrt zum Gegenstand von Kritik und Gegenkritik gemacht worden ist. Jetzt beginnt sich der Sturm zu legen, und es stellt sich wieder ruhige, besinnliche Arbeit ein."

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Pfister-Streit'59 - in der Zeitschrift 'Evangelische Freiheit' dokumentiert.60 Der dem Katholizismus nahestehende Protestant61 F.W. Foerster62 (1869-1966) moniert in erster Linie den Pansexualismus der Freudschen Analyse 63 und betont, es handle sich bei derselben um "eine von der Nichtsdestoweniger lassen sich auch zwanzig Jahre nach Beginn der Debatte um die 'Freudsche Kur' - zumal in bezug auf deren Rezeption durch Seelsorger - polemische Tiraden hören. So ertönt z.B. bei E.Jahn 1927 das alte Lied von 1909 und 1910 ganz neu. "Die Konstruktivität der psychanalytischen Diagnose" (Jahn 1927, 34) erscheint ihm nach wie vor als große Gefahr. Ebenso die s.E. "oberflächlich mißverständliche Auffassung gerade der Sexualtheorie" (ebd.), vermittels derer die Krankheit geschaffen werde, die es zu beheben gilt. E. Jahn spricht von "grobnaturalistische(r) Befangenheit" und "ausgesprochene(r) Wertblindheit" (ebd., 41, Erg. in Kl. M.P.) der Freudschen Methode; er sieht die "psychoanalytische Theorie auf der Grenze zwischen Genialität und Entartung (ebd., 42) und konstatiert, sie ermangle des "Organ(s) für die Größe und Tiefe lebendiger Religion" (ebd., 42, Erg. in Kl. M.P.) und ertrinke 'ersatzweise' geradezu in psychologischem Relativismus bzw. psychologischer Einfühlung, die sich mit Anwandlungen eines nicht zu begründenden ethischen Optimismus' paare (vgl. ebd., 45). Am Ende der Jahnschen Gravamina erschallt - einem Trompetensolo gleich - in altbekannter Weise der 'Ruf in die Eigentlichkeit', der Ruf zur Willensbildung durch Seelenführung. "Denn wichtiger als die Triebveredlung ist die Triebüberwindung." Ebd., 46. 59 Eröffnet wurde die Fehde im September 1909 durch F.W. Foerster, der "eine Reihe schwerer Bedenken gegenüber den Gesichtspunkten des Pfisterschen Aufsatzes (vom März 1909, M.P.) sowie überhaupt gegenüber den darin mit außerordentlicher Zuversicht akzeptierten und propagierten Erklärungsversuchen und Methoden zu formulieren" (Foerster 1909, 335) suchte. 60 Siehe Pfister 1909a und Foerster 1909 sowie Pfister 1910 und Foerster 1910. 61 Vgl. dazu Pfister 1910, 190; nach Scheuerl 1958 fand F.W. Foerster "aus freidenkerischer Tradition zum christlichen Glauben, ohne sich einer Konfession anzuschließen". 62 F.W. Foerster wirkte als Philosoph und Pädagoge. "Seine von hohem pädagogischen Ethos und Heilswillen getragene Zeitkritik, sein ethischer Pazifismus und seine Moralpädagogik fanden weiten Nachhall, führten aber auch zu Widerspruch, Boykott und Verfehmung ..." Scheuerl 1958. 63 Foerster 1909, 336 führt aus: "Charakteristisch für die Freudsche Analyse ist die Tendenz, fast überall sexuelle Ursachen für die Neurose zu vermuten und auch die Aufmerksamkeit des Patienten durch die Art der Deutung auf die betreffenden Assoziationen zu konzentrieren." Vgl. auch ebd., 342 u. 345. - Ein solches Vorgehen lehnt F.W. Foerster prinzipiell ab. Er betont: "Ich habe nicht den Finger in die Wunde gelegt und in ihr herumgewühlt, sondern den Kranken gesagt, dass ich auf Grund von Erfahrungen an anderen Kranken annehmen müsse, dass irgendwelche dem Sexualleben entstammenden Vorstellungen sie belästigen. Eines Eingehens auf die Einzelheiten aber bedürfe es nicht, da ich infolge meiner Erfahrungen an anderen Kranken mir genau vorstellen könne, was sie quäle." Ebd., 339. Auch bei

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großen Mehrzahl der Neurologen und Psychiater schwerbestrittene, ja sogar absolut abgelehnte Lehre" 6 4 . Gerade Vertreter der 'religiösen Seelsorge' hätten ihr "mit einer gewissen abwartenden Würde gegenüberzustehen und die einseitigen und oft sehr mechanischen Erklärungsprinzipien ... durch eine universellere und tiefere Psychologie zu korrigieren" 65 . Im übrigen sei durch die nachweislichen Heilungen vermittels analytischer Kur der wissenschaftliche Wert des Freudschen Erklärungsprinzips noch keineswegs erwiesen. 66 Heilungen - kurzfristige und längerfristige - erwirkten auch Kurpfuscher, Gebetsheiler, Beutelschneider und Wundertäter, "weil eben die bloße Tatsache einer neuen Erklärung und Prozedur mit ihren teils beruhigenden, teils belebenden Suggestiv-Wirkungen sehr stark auf Psyche und Nervensystem" 67 wirke. Obschon O. Pfister die Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse vehement postuliere, müsse ein Fehlen der Elemente wissenschaftlicher Gedankendisziplin konstatiert werden. 68 Stattdessen obwalte eine 'Schlußverfahrenstech-

Foerster 1910, 272 wird "die große und weit unterschätzte Gefahr, die es für das ganze Seelenleben Gesunder und Kranker haben muß, wenn sie dazu angeregt werden, hinter Allem und Jedem einen sexuellen Komplex zu suchen" betont. Vgl. dazu Pfister 1910, 137ff. oder auch 1928b, 86. 64

Foerster 1909, 336; vgl. dazu Pfister 1910, 68ff.

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Foerster 1909, 337.

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Über die Effektivität der psychoanalytischen Therapie und deren Bedeutsamkeit für die Stringenz der analytischen Theorie ist auch in jüngster Zeit wiederholt nachgedacht worden. Bei Zimmer 1986, 341, heißt es z.B.: "Aber als Therapie wirkt die Psychoanalyse doch? Macht diese Tatsache sie nicht auch als Theorie glaubwürdig? Oder: Ist es nicht am Ende gleichgültig, warum sie wirkt, solange sie nur überhaupt wirkt - so daß es der Praxis, die die Psychoanalyse auch ist, gar nichts anhaben kann, wenn sie als Theorie in die Enge getrieben wird?" D.E. Zimmer beantwortet diese Fragen selbst mit nicht zu überbietender Deutlichkeit. Seiner Auffassung nach endet die Metaanalyse der kontrollierten Effektivitätsforschung für die analytischen Therapien generell mit einem Fiasko. Vgl. ebd., 361. "Nicht die Besonderheiten der psychoanalytischen Praxis sind es, die wirken, sondern gewisse ihrer unbeabsichtigten, unspezifischen Merkmale, die sie mit anderen Therapien teilt. Wenn das Therapeutikum aber unspezifische Merkmale sind (sie!), bestätigen die Erfolge nicht die spezifischen Aussagen der zugrundeliegenden Theorie. Wenn eine Therapie unterdurchschnittlich wirksam ist wie die Psychoanalyse, muß man im Gegenteil annehmen, daß ihre spezifischen Merkmale, hervorgegangen aus spezifischen theoretischen Annahmen, den möglichen Erfolg sogar drücken." Ebd. Zum Thema 'Erfolgsbilanz' der Psychoanalyse vgl. auch ebd., 367.

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Foerster 1909, 338; vgl. dazu O. Pfisters Ausführungen zum Thema 'Psychanalyse und Heilerfolg' (Pfister 1910, 143ff.). Vgl. Foerster 1909, 340f.; siehe auch Foerster 1910, 266 u. 272.

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nik'69, "bei der aller gesunde Menschenverstand ins Unterbewußtsein 'verdrängt' ist und die aller Erkenntnistheorie ins Gesicht schlägt"70/71. Es entstehe so zwangsläufig der "Eindruck der Phantasterei"72; die "naive Sicherheit"73 der "fast monomanischen Deutungsmethode"74 S.Freuds sei geradezu "ekelerregend"75 und beruhe auf dem schlimmsten Materialismus, in dem keinerlei Verständnis für die wirkliche menschliche Psyche stecke. 76 F.W. Foerster klagt: "Und aus solchen trüben Quellen soll jetzt die christliche Seelsorge schöpfen!"77 Und das, obwohl es kaum eine größere Hemmung für die wirkliche Erkenntnis gebe als das bloße Vortäuschen von Gewißheiten des Wissens auf dem Hintergrund vager Vermutungen und gewagter Hypothesen.78 Für F.W. Foerster ist das Unterbewußtsein "noch ein dunkler Kontinent und darum ein reiches Freigebiet für Fabeleien, Faseleien und Phantastereien"79/80. Die

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Laut Foerster 1909, 341 wird in der Freudschen Analyse "oft in geradezu laienhafter Weise vom post hoc auf das propter hoc geschlossen". 70 Foerster 1909, 341. 71 Bei Foerster 1910, 272 heißt es: "Kein Wort kann scharf genug sein, um die Dreistigkeit und Unwissenschaftlichkeit zu kennzeichnen, mit der hier eine noch ganz der subjektiven Willkür preisgegebene Technik des Deutens bereits als eine wissenschaftliche Methode empfohlen wird. Dies ist der Kardinalpunkt, durch den alles Gute, was von manchen Freudschen Anregungen ausgehen könnte, in eine absolute Gefahr für Patienten und Analytiker, ja geradezu in einen gemeingefährlichen Unfug verkehrt wird." Vgl. dazu auch ebd., 264, wo das methodische Vorgehen O. Pfisters innerhalb seiner Analysen als "merkwürdiges Gemisch ... von ganz natürlichen und aus richtigem Seelsorge-Instinkt kommenden Explikationen mit ganz geschraubten, künstlichen und willkürlichen Deutungen, die nur geeignet sein könnten, die ungesunden Seelenelemente im Patienten zu verstärken" bezeichnet wird. 72 Foerster 1909, 342. - Dies gilt nach F.W. Foerster besonders in bezug auf die Freudsche Traumdeutung. 73 Foerster 1909, 342; vgl. Foerster 1910, 266. 74 Foerster 1909, 342; vgl. auch ebd., 345 u. Foerster 1910, 263. 75 Foerster 1909, 342; vgl. auch Foerster 1910, 266 u. 270. 76 Vgl. Foerster 1909, 342 u. 385; vgl. Pfister 1910, 72. - Bei Foerster 1910, 271 heißt es in ähnlichem Zusammenhang, "daß die ganze Art, wie die betreffenden Forscher (im Gefolge S. Freuds, M.P.) mit dem 'Unbewußten' umgehen, nur zu deutlich zeigt, daß sie der ganzen Welt des Seelischen nicht viel anders gegenüberstehen wie ein Klavierbauer einer Bachschen Kantate". 77 Foerster 1909, 343. 78 Vgl. Foerster 1909, 345. 79 Foerster 1909, 346. 80 Foerster 1910, 272 protestiert "gegen die durch nichts gerechtfertigte Sicherheit, daß man in der Freudschen Methode nun bereits den untrüglichen Schlüssel zu den Seelen gefunden habe".

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Freudsche Analyse gehöre dabei nicht zu den 'erhellenden Momenten', sondern erscheint eben als "Künstelei"81, als "Wust von psychoanalytischem Hokus-pokus"82/83, der für die moralische Gesundheit der Menschheit weit mehr Gefahren als Nutzen bereithalte.84 F.W. Foerster spricht in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr von der "Zangenkunst der Freudschen Methode"85, die Moral- und Religionspädagogik eher verflache und mechanisiere, denn vertiefe. 86 Die einzige Wohltat, die durch die Freud-Jungschen Methoden dem 'religiösen Seelsorger' bzw. dem Moralpädagogen erwiesen wird, besteht seiner Ansicht nach "einfach darin, dass die Herrn dadurch einmal angeregt werden, überhaupt von der deduktiven schulmeisternden Methode zur 'induktiven' Methode überzugehen, d.h. den Zögling, Klienten oder Patienten durch Ausgehen von seinem eigenen Leben und Erfahren, durch tiefere Interpretation, Klärung und Vergeistigung seiner Eindrücke und Zustände zu einem höheren Standpunkt emporzuleiten"87. Es handle sich bei der Psychoanalyse allerdings nichtsdestoweniger um eine Art Epidemie, 81 Foerster 1909, 375; vgl. ebd., 377. 82 Foerster 1909, 375; vgl. ebd., 380. 83 O. Pfister spricht in bezug auf die 'gewählte' Nomenklatur F.W. Foersters von einer 'unritterlichen Taktik', mit der man vielleicht für einen Augenblick sein Herz erleichtere, aber das gewaltige Problem keinen Zoll fördere. Vgl. Pfister 1910, 199. 84 Vgl. Foerster 1909, 377. 85 Foerster 1909, 378. 86 Vgl. Foerster 1909, 378. 87 Foerster 1909, 379f. - Siehe auch Foerster 1910, 264. Dort heißt es: "Wäre psychoanalytische Propaganda nur Nonsens, so wäre sie nicht so gefährlich, wie sie in der Tat ist." Obwohl F.W. Foerster hier negativ formuliert, wird deutlich, daß er der Freudschen Methode durchaus eine gewisse Berechtigung und Bedeutsamkeit zubilligt. Vgl. dazu auch ebd., 271, wo postuliert wird, "daß in der Freudschen Verdrängungslehre gewiß ein richtiger Kern steckt, der im Rahmen einer tiefen Psychologie segensreich wirken könnte, der aber in der Übertreibung und als allgemeine psychologische Theorie zweifellos zu einer absoluten Gefahr für die seelische Gesundheit und für den Charakter werden muß", da die Freudsche Analyse "die höhere geistige Natur des Menschen fast gänzlich vernachlässigt". Ebd., 275, heißt es denn auch im Blick auf die Zukunft der Psychoanalyse: "Die Zeit wird kommen, wo auch Freuds Anregungen im Ganzen der Seelsorge ihr begrenzter, heilsamer Platz angewiesen werden wird - dazu brauchen wir aber psychologisch und pädagogisch wahrhaft gebildete Mediziner, Männer, die wenigstens soviel psychotherapeutische Elementarweisheit besitzen, daß sie auf die moderne, haltlose und sexuell überreizte Menschheit nicht noch unfertige Theorien loslassen, die geradezu eine Epidemie von Sexual-Assoziationen hervorrufen müssen, und aufs verhängnisvollste die Neigung des Zeitalters steigern, schwere Seelenprobleme von ganz einseitigen Gesichtspunkten aus zu erledigen."

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die, wenn auch nur vorübergehend, das Land überschwemme und verwüste. 88 Das konstante "Belauern der Assoziationen"89, die "Wühlerei im eigentlichen Unbewussten"90 und die "atemlose Jagd nach ... Komplexein)" 91 hält F.W.Foerster dabei für absolut gefährlich. Er geht davon aus, "dass durch solche Psycho-Analysen mehr Gesunde ins Irrenhaus gebracht als Kranke beruhigt werden"92. "Voreiligkeit des Urteils"93, grober Materialismus und "banausische Explikationen"94 suggerierten, "dass wir dort, wo wir scheinbar höheren geistigen Antrieben folgen, doch nur Marionetten unserer verdrängten Komplexe sind. Diese Theorie muß auf alle Charakterstärke und sittliche Verantwortlichkeit direkt auflösend wirken."95 F.W.Foerster kommt demgemäß zu dem Schluß, daß S.Freud und O.Pfister völlig unvereinbare Grundanschauungen repräsentieren.96 "Pfisters höherer Appell stammt aus der christlichen Religion, aus einer Anschauungswelt, in der neben und über dem Natürlichen das Göttliche, neben und über der Triebwelt das Geistige als selbständige Macht anerkannt wird - die Freudsche Anschauung stammt aus einer chaotischen Welt, wo es wüst und leer ist und nicht einmal der Geist Gottes über all den verdrängten Komplexen schwebt." 97 Wer versuche, beide Vorstellungen zu vertreten, der komme nicht umhin, sich selbst zu widersprechen.98 Er gerate unweigerlich in den Sog eines "Schlussverfahrens, das aller wissenschaftlichen Disziplin 88 Vgl. Foerster 1909, 378. 89 Foerster 1909, 381. 90 Foerster 1909, 381; vgl. dazu Pfister 1910, 144, wo es heißt: "Die Kunsthilfe der Psychanalyse ist von 'Wühlerei', wie Foerster sie zu nennen beliebt, ebenso weit entfernt als die Reinigung eines eiternden Abzesses nach der Inzision. Wer ... bei schwerer Zwangsneurose einen Sexualkomplex (Analerotismus) anschneidet, dann aber, anstatt das pathogene Material auszuführen, jeden Gedanken an sexuelle Erlebnisse streng verbietet, sollte sich über eintretende Verschlimmerungen nicht wundern. Solch eine Prozedur käme derjenigen eines Chirurgen gleich, der einen Abzeß anschneidet, sowie aber Eiter austreten will, wieder zunäht, ohne eine Reinigung vorgenommen zu haben. Das allerdings ist Wühlerei." 91 92 93 94 95 96 97

Foerster 1909, 382 (Erg. in Kl. M.P.). Foerster 1909, 384. Foerster 1909, 385. Foerster 1909, 386. Foerster 1909, 386. Vgl. dazu auch Foerster 1910, 272f. Foerster 1909, 387. - Die direkt angefügte Frage: "Und von solcher Grundanschauung aus sollen wir Psychotherapie treiben?" hat rein rhetorische Funktion und ist von vornherein mit einem eindeutigen 'Nein!' beantwortet. 98 Vgl. Foerster 1909, 387.

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Hohn spricht" 99 und versäume so u.U. die notwendige Ausbildung konkreter Pädagogik und Seelenfiihrung, die sich "auf die Besprechung, Läuterung und Beruhigung bewusster Erlebnisse und Erfahrungen beschränken und darauf vertrauen, dass von dort aus auch ein Einfluß auf das Unterbewusstsein ausgehe, der segensreicher, ordnender und befreiender wirkt als das phantastische und sprunghafte Wühlen und Deuten in den Tiefen der unterbewussten Welt, das die geistige Zucht weder beim Befragten noch beim Befrager fördert" 100 / 101 .

O.Pfister: Auf zu neuen Ufern II Will ich heute die Arbeit O. Pfisters, des "Apologeten der Psychoanalyse" 102 , wenigstens ansatzweise beurteilen, komme ich - trotz aller gebotenen Anerkennung - nicht umhin, kritisch auf einige 'Schwachstellen' im Pfisterschen System zu verweisen. Zum einen darf nicht außer acht gelassen werden, daß O. Pfisters analytische Technik aus der 'Gründerzeit' der Psychoanalyse stammt; 103 die später entwickelte differenzierte Widerstands- und Übertragungsanalyse kommt darin nicht zum Tragen. 104 Zum anderen müssen bestimmte Einzelthesen O. Pfisters als zweifelhaft herausgestellt werden. So kann ich z.B. wohl kaum davon 99 100 101

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Foerster 1909, 388. Foerster 1909, 388. "Als Saul zur Hexe von Endor hinabstieg, erfuhr er auch nichts anderes, als was ihm sein Gewissen längst im Oberbewußtsein gesagt hatte, wohl aber verlor er die letzte Entschlossenheit, dem Dämonischen in sich selber zu entrinnen und zu Gott zurückzukehren!" Foerster 1909, 388. Vgl. zum ganzen Abschnitt Pfister 1910, 198f. Scharfenberg 1968, 16. Bereits Scharfenberg 1968, 20 moniert: "Wer Freud vorwiegend durch Pfister kennenlernt - und das scheint eine ganze Generation von Theologen gewesen zu sein lernt also nur den 'frühen Freud1 kennen, dessen Spätwerk völlig unterschlagen wird." Vgl. Walser 1976, 1206. - Dies kann und muß ich zwar zu bedenken geben, kritisieren jedoch darf ich es nur bedingt. Schließlich war auch O. Pfister nur ein 'Kind seiner Zeit'. Ihn dabei zu behaften, wäre (wie O. Pfister es selbst 1927 in anderem Zusammenhang ausgedrückt hat) "so töricht, als wenn man Marconi einen Vorwurf daraus machen wollte, daß er nicht auch das Flugzeug erfand" (Pfister 1927, 139).

ausgehen, daß die Befreiung der Religion von neurotischen Zügen strukturell ähnlich bzw. gleich vor sich gehe wie die Heilung Kranker von neurotischen Symptomen, nämlich durch Wiederherstellung von Liebe und deren Erhebung zur Lebensdominante.105 "Das ist natürlich psychoanalytisch anfechtbar;"106 auch die Überzeugung O.Pfisters, der Barmherzige erlange, ohne sich dabei auf Christus zu beziehen, einzig um der Barmherzigkeit willen ewiges Heil, 107 entbehrt einer Grundlage108 - in diesem Fall einer theologischen. Und als anstößig, sowohl für Theologen als auch für Psychologen, erscheint die Pfistersche Annahme, im Handeln Jesu sei psychoanalytische Intervention präfiguriert.109 Hier schießt O.Pfister als Psychoanalytiker und Seelsorger weit über sein Ziel hinaus, wenn er freimütig formuliert: "Genau wie Freud den Zwangsneurotiker heilt, indem er die Liebe wiedergewinnt und zweckmäßig realisiert, so Jesus, er lehrte lieben und zerstörte damit die religiöse Zwangsneurose."110 - Ähnlich naiv wie die Gleichstellung von S.Freud und Jesus Christus111 erscheint der Pfistersche Versuch, die 105 106 107 108 109

Vgl. Pfister 1918, 65ff.; 1924, 559 u. 1944, XXXVIII. Walser 1976, 1207 (Hervorhebung M.P.). Vgl. Pfister 1948/49, 569. Vgl. Walser 1976, 1207. Vgl. z.B. Pfister 1918, 58ff„ bes. 66f.; 1924, 558; 1927, 20 u. 1928b, 84f. - Siehe dazu Scharfenberg 1968, 17, wo O.Pfister, berücksichtige ich die genannten Belegstellen, zu Recht "naive Jesus-Frömmigkeit" attestiert wird; auch die 'kritischen' Äußerungen bei Pfister 1928a, 154f. können an dieser Einschätzung wohl kaum etwas ändern. - Es ist m.E. erstaunlich, daß auch zeitgenössische Autoren unterschiedlichster Prägung versuchen, Jesus als Analytiker bzw. Psychotherapeuten zu apostrophieren. Vgl. dazu z.B. Wolff 1978 mit dem programmatischen Titel 'Jesus der Psychotherapeut' oder auch die Ausführungen von Hagenmaier 1989 zur 'Trendwende' in der evangelikalen Seelsorge. Der von H. Wolff vorgeblich selbstkritisch eingebrachte Verweis darauf, Grenzüberschreitungen, unzulässige Verallgemeinerungen oder Spiritualisierung der wissenschaftlichen analytischen Therapie seien von ihr ebenso wenig intendiert wie eine Reduktion bzw. Einengung von Persönlichkeit und Tun Jesu (vgl. Wolff 1978, 12), vermag m.E. nicht recht zu überzeugen. Wird hier, und womöglich auch im Bereich evangelikaler Seelsorge, nicht doch (wenn vielleicht auch unbewußt) die so vehement negierte "begriffliche Falschmünzerei" (ebd., 14) betrieben?

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Pfister 1924, 559. - Scharfenberg 1968, 18 bemerkt dazu: "Der Versuch, Jesus und Freud auf eine Ebene zu stellen, mußte den wissenschaftlichen Theologen als Absurdität, den Frommen aber als Blasphemie erscheinen ..." Zu derart naiven Parallelisierungen und Gegenüberstellungen neigt O. Pfister ganz offensichtlich prinzipiell. Vgl. z.B. die Ausführungen zur Seelsorge Jesu im Gegenüber zu der E. Thurneysens bei Pfister 1947, 175ff. Ist die hier zu konstatierende Polemik wirklich inhaltlich bestimmt oder richtet sie sich ad personam? Letz-

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weltanschauliche Gebundenheit der Psychoanalyse generell zu dementieren bzw. diese als unbewußt christliche zu deklarieren.112 Und so bleibt die offene Frage: Obwaltet bei den zahlreichen Bemühungen O.Pfisters, das 'Schreckgespenst der Weltanschauungsfrage' zu verscheuchen 113 , nicht letztlich doch das Angstprinzip, dem zu entkommen, eines seiner vordringlichsten Anliegen 114 war?

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teres anzunehmen liegt nahe, berücksichtige ich die nicht weniger unsanften Töne, die E. Thurneysen 1948 (als Replik auf die Monita von 1947?) anschlägt, wenn er O. Pfister den Vorwurf entgegenschleudert, er sei seinem psychoanalytischen Meister weltanschaulich so weit gefolgt, daß die christliche Substanz seiner Ausführungen auf einige bloß ethische Rudimente zusammengeschrumpft sei. Vgl. Thurneysen 1988, 178. Vgl. zum ersten die Ausführungen O.Pfisters in seinem Brief an S.Freud vom 14.2.1924 (Freud/Pfister 1980, 95) sowie Pfister 1928b, 83 und zum zweiten Pfister 1928a, bes. 149f. u. 183f. Der Versuch, S.Freud zum 'unbewußten Christen' bzw. Theologen hochzustilisieren, wurde keineswegs nur von O. Pfister unternommen; noch in den 60er Jahren zeigen sich derlei Anklänge. Bei Schreiber 1967, 193 z.B. wird danach gefragt, ob S.Freud "das reformatorische sola scriptura nicht doch insgeheim, ohne es selbst zu wollen oder zu wissen, im Unterschied zu manchen theologischen Strömungen seiner Zeit radikal wahrnahm. Denn der sittliche Ernst..., mit dem er an die Seite des von religiösen Vorstellungen und Mächten versklavten Menschen tritt, um ihn zum Leben zu befreien, erinnert ja nicht zufällig an Jesu Auftreten (vgl. z.B. Mk. 3,1-6) und Luthers Verhalten ..." S.Freud erscheint als "Prophet, der das Gebot Gottes einschärft" (ebd., 194) und zumindest vermuten läßt, daß er "indirekt als Anwalt des unwissenden gemeinen Mannes den Anspruch, die wahre Religion zu vertreten" (ebd.) erhebe. Und so schließt J.Schreiber seine Ausführungen mit der Feststellung, S.Freud gehöre "zu der Kirche außerhalb der Kirche" (ebd., 207) und zwar als "Theologe im Laienstand" (ebd.). Vgl. dazu Scharfenberg 1968, 18f. Siehe dazu Pfister 1944.

W.Buntzel: Ruf zur 'mittelbaren' Nutzung115 Von O.Pfister deutlich abgehoben 116 vertrat der schlesische Pastor W.Buntzel ( 1 8 8 1 - 1 9 4 5 ) 1 1 7 die Auffassung, christliche Seelsorge habe sich durch eine eher 'mittelbare' Nutzung psychoanalytischer Kenntnisse und Einsichten auszuzeichnen. 118 Seelsorge solle letztlich keine methodisch durchgeführte analytische Praxis sein, die durch regelrechte Heilverfahren (Traumdeutung, Assoziationsexperimente etc.) Komplexe in ihrem jeweiligen Zusammenhang aufzudecken suche; 1 1 9 sie habe vielmehr die Psychoanalyse als ein Mittel "zur Schärfung des Blickes für die verborgenen Anliegen der Gemeindeglieder" 120 zu verstehen. Gele115

Da O.Pfister bereits 1903 - lange vor W.Buntzel (vgl. Rössler 1986, 175) und damit als 'erster' (vgl. Pfister 1927, 3) - die Aufnahme der Psychoanalyse in die Seelsorge propagierte und damit eine prinzipielle Neuerung in das Verhältnis von Psychologie und Theologie brachte, habe ich mich dazu entschlossen, die Ausführungen W. Buntzels im Rahmen meiner 'geistesgeschichtlichen Bemerkungen' an zweiter Stelle rangieren zu lassen, obwohl dies chronologisch - zumindest bezogen auf die hauptsächlich zitierten Passagen aus Buntzel 1926 und Pfister 1927 nicht ganz folgerichtig ist. Eine Wertung impliziert die gewählte Reihenfolge nicht.

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Vgl. Buntzel 1926, 48ff. - Der gesamte theoretische Abschluß der 'Analytischen Seelsorge' O. Pfisters kann als Auseinandersetzung mit W. Buntzel gesehen werden. Vgl. Pfister 1927, 116ff.

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Die Lebensdaten W. Buntzels entnehme ich dem Historisch-statistischen Handbuch über das evangelische Schlesien (Hultsch 1953, 36), das auch nähere Angaben über den Kirchenkreis Brieg (Bezirk Breslau) in Niederschlesien vermittelt, dem W. Buntzel als Superintendent vorstand. Vgl. dazu ebd., 35ff.

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Vgl. Buntzel 1 9 2 6 , 4 8 .

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Vgl. Buntzel 1 9 2 6 , 4 8 . Buntzel 1926, 48. - Von 'psychoanalytischer Blickschärfung' spricht W.Buntzel auch in bezug auf den kirchlichen Unterricht: "Wiederum sagen wir, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, etwa, wie man das vorgeschlagen hat, von jedem Kinde, das den kirchlichen Unterricht besucht, eine ausführliche Analyse aufzunehmen. Das ist nicht nur praktisch unmöglich, sondern würde auch dem Wesen des kirchlichen Unterrichts nicht entsprechen. Aber Jahr um Jahr begegnen uns die Kinder, die durch ihre besondere Anschmiegsamkeit oder Zurückhaltung, Aufmerksamkeit oder Unaufmerksamkeit, Nervosität oder Trägkeit aus dem Rahmen der Klasse herausfallen. Unsere Lieblings- und Sorgenkinder! Gerade ihnen gegenüber kann sich das, was wir psychoanalytische Blickschärfung nannten, bewähren - in dem Sinne, daß wir jene Dinge nicht mehr nur als gute oder schlechte Charaktereigenschaften nehmen, hier loben, dort tadeln, sondern im Zwiegespräch unter vier Augen den tieferen Anlässen nachspüren." Ebd., 58f.

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gentlich könne in der Seelsorge auch die "Anwendung psychologischer Hilfsmittel"121 zum Zwecke der "Beeinflussung"122 einzelner erfolgen. Grundsätzlich habe der Seelsorger sich dabei "vor dilettantischen Grenzübergriffen strenge zu hüten"123. W.Buntzel betonte, die Zusammenarbeit124 von Arzt und Geistlichem sei außerordentlich wichtig, dürfe jedoch nicht zu einer geistlichen Tätigkeit des Arztes oder zu einer ärztlichen Tätigkeit des Geistlichen führen.125 Derartige Kombinationen böten zwar "sicherlich viel Verlockendes"126, seien aber aus zeitlichen Gründen127 und aufgrund der "Gefahr der Kurpfuscherei"128 abzulehnen. Darüberhinaus wies W. Buntzel auf gewisse Unvereinbarkeiten zwirn 123 124

Buntzel 1926, 48. 122 Buntzel 1926, 48. Buntzel 1926, 49. Unter 'Zusammenarbeit' versteht W. Buntzel eine Kooperation, "die noch etwas mehr ist als nur ein Weitergeben des Patienten aus einer Hand in die andere" (Buntzel 1926, 49). Hier geht es also nicht in erster Linie um eine gut funktionierende 'Überweisungskette'.

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Vgl. Buntzel 1926,49. 126 Buntzel 1926,48. Vgl. Buntzel 1926, 48. - Gegen das 'Zeitargument' hat sich O. Pfister in seiner 'Analytischen Seelsorge' von 1927 vehement verwehrt. Bei Pfister 1927, 131 heißt es: "Ich bedaure, Buntzel hier nicht folgen zu können, so gerne ich seine Verdienste um die Förderung elementarer psych-analytischer Kenntnisse unter seinen Berufsgenossen anerkenne. Was würden wir sagen, wenn die Ärzte beim Aufkommen neuer, zeitraubender Methoden, die einen gewaltigen Fortschritt der Krankenbehandlung bedeuteten, abgelehnt hätten mit den Worten: 'Wir haben schon bisher viel zu arbeiten gehabt; diese neuen Arbeiten müssen wir daher ablehnen'? Jesus erzählt vom guten Hirten, der die 99 Schafe stehen ließ und dem verlorenen nachging. Wir Pfarrer verrichten Land auf Land ab hunderterlei Arbeiten, die gar nicht oder nur locker mit dem Pfarramt zusammenhängen. In Schul-, Armen-, Gemeindeangelegenheiten aller Art lassen wir uns ins Joch spannen und tun es gerne, sofern wir dadurch Gutes tun können. Aber wenn dabei das Zentrum unseres Berufes, die Seelsorge, verkürzt werden muß, so ist es unsere Pflicht, uns gegen solche Zumutungen aufzulehnen. Und wir lernen ungeheuer vieles, das wir selten oder gar nie in unserem Amte gebrauchen; allein, unser eigentlichstes Arbeitsfeld, die Seele, erforschen wir nur mit den kläglichen Mitteln der hergebrachten Universitätspsychologie, die uns blutwenig nützt, und wenn uns eine neue, von den Ärzten und Erziehern freudig begrüßte wissenschaftlich begründete Methode, die uns herrliche Ausblicke erschließt, angeboten wird, dürften wir sagen: 'Es fehlt uns die nötige Zeit'? - Was Buntzel von einer Vervielfältigung der Zahl der Geistlichen sagt, halte ich für eine starke Übertreibung. Man vergesse nicht, daß viele Fehlentwicklungen in den Anfängen mit geringer Mühe berichtigt werden können, wenn erst einmal die Pfarrer, Lehrer und gebildeten Laien analytische Kenntnisse erworben haben, um Frühzeichen seelischer Nöte zu erkennen."

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Buntzel 1926, 48; vgl. dazu Pfister 1927, 129f. Zum Begriff des 'Kurpfuschers' vgl. auch Freud 1948a, 262.

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sehen der Freudschen Lehre und christlicher Weltanschauung hin. Er beklagte die bei S.Freud s.E. "zweifellos vorhandene Verwischung der Grenze zwischen Krankheit und Sünde ... sowie die Überschätzung des Trieblebens im Menschen"129. W.Buntzel führte aus: "Der Freudsche Libido-Monismus, der letzten Endes jeglichen Persönlichkeitswert aufhebt und das Real-Ich nur als Produkt der Triebe und ihrer durch die Kultur erzwungenen Sublimierungen kennt, er ist uns ebenso untragbar wie etwa der Häkeische Monismus." 130 Zu dem Vorwurf des 'Libidomonismus' gesellte W.Buntzel einen weiteren: den des rigiden Determinismus.131 Durch ihn werde jegliche Durchbrechung eines Kausalzusammenhanges durch Gnade zur Inkonsequenz bzw. völlig verunmöglicht. 132 Nichtsdestoweniger behauptete W.Buntzel, Psychoanalyse und christliche Gedankenwelt seien nicht grundsätzlich unvereinbare Gegensätze, es müsse nur bei der Psychoanalyse für "die Auffüllung durch christlich-religiöse Motive" 133 gesorgt sein; eine solche gebe der Analyse erst ihre volle Wirkungsmöglichkeit.134 Wie weit diese letztlich reiche, könne jedoch im einzelnen nicht bestimmt werden. 135 Das sei

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Buntzel 1926, 46. Buntzel 1926, 46. Vgl. Buntzel 1926,47. Vgl. Buntzel 1926,47. Buntzel 1926, 48. Bei Buntzel 1926,46f. heißt es: "Man sieht ja schon bei oberflächlicher Beschäftigung mit der Psychoanalyse sehr deutlich jene Stellen, an denen die nüchtern formale Neutralität des Arztes nach einer Auffüllung durch religiöse Faktoren verlangt; wir denken da vor allem an die Sublimierung, Übertragung und Absolution, also an das alles, was über die bloße Bewußtmachung der Komplexe hinausgeht. Wenn hier der Arzt, um die großen Wirkungen zu erzielen, sich zu Anleihen bei der Religion gezwungen sieht, wie nahe muß er uns dann doch im Grunde schon stehen." Besonders in bezug auf die Übertragung von sogenannten 'Restaffekten' erkannte W. Buntzel auf seiten der Theologie/der Seelsorger eine klar ausgewiesene 'Überlegenheit' (vgl. ebd., 47), ich könnte auch sagen: einen 'Mehrwert' gegenüber der Analyse. Der Verweis auf Jesus Christus bzw. das Christusereignis (Kreuz und Auferstehung) ermöglicht ein radikales Nach-vorn-Blicken und gleichzeitig "die Loslösung des Patienten von seiner Vergangenheit" (ebd.). Was sonst als Absolution (Loslösung) bezeichnet wird, ist für W.Buntzel "lediglich Ablenkung oder willentliche Abwendung von der Vergangenheit, nicht Loslösung, und darum immer fragwürdig. Volle innere Freiheit von der Vergangenheit gibt dem Patienten kein Menschenwort, nur die vergebende Gottesgnade kann sie ihm verbürgen" (ebd.).

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Wenn W. Buntzel von der letztlich unauslotbaren Reichweite der Psychoanalyse spricht, dann tut er das nicht nur im Blick auf ihre positiven, sondern auch im

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u.a. darauf zurückzuführen, daß der bei jeder analytischen Intervention wichtige "Assoziationsvorgang zu den dunkelsten Gebieten psychischen Geschehens gehört".136 Überhaupt weise die Freudsche Lehre in ihrer "mechanisierten Vereinfachung"137 abschreckende Fehlerquellen auf. 138 Sie könne der konstatierbaren Mannigfaltigkeit menschlichen Seelenlebens nicht gerecht werden 139 und gefährde zudem höchste ethische Werte. 140 "Vor allem aber: die methodische Anwendung der Psychoanalyse, ihre praktische Verwertung am lebendigen Menschen, sie bedeutet einen bewußten Eingriff in das Heiligtum der Persönlichkeit, zu dem wir uns nur unter den äußersten Kautelen und Sicherungen entschließen

Blick auf ihre negativen Auswirkungen. So heißt es z.B. bei Buntzel 1926, 50: "Ferner ist, wie wir schon andeuteten, bisher noch keine Gewähr dafür gegeben, daß durch die streng durchgeführte psychoanalytische Behandlung tatsächlich nur schädliche Elemente aus dem Seelenleben ausgemerzt werden. Ich befürchte, daß einstweilen noch dem Messer der psychischen Chirurgen sehr viel gesundes Fleisch mit zum Opfer fällt!" 136 137 138 139 140

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Buntzel 1926, 49; vgl. Pfister 1927,127. Buntzel 1926, 49. Besonders anfällig für Fehldeutungen erschien W. Buntzel der Assoziationsvorgang bei sexuellen und religiösen Topoi. Siehe dazu Buntzel 1926, 49f. Vgl. Buntzel 1926,49. Vgl. Buntzel 1926, 46 u. 50. - Höchste ethische Werte sah W. Buntzel durch die psychoanalytische Behandlung gefährdet: "Elternliebe, Geschwisterliebe, Selbstverantwortlichkeit u.a.m." Ebd., 50. Die angeblich 'wertzerrüttende' Wirkung der Analyse wurde auch noch in späteren Jahren gegen S. Freud und seine Lehre ins Feld geführt. Auf extrem überspitzte Polemik traf ich besonders bei sogenannten 'evangelikalen' Autoren. Bei Adams 1980, 4 heißt es z.B., die "Lehren Freuds waren eine der Hauptvoraussetzungen, die zum allgemeinen Zusammenbruch des Verantwortungsgefühls in der modernen amerikanischen Gesellschaft geführt haben". S. Freud sei es auch, der die Grundlagen zur 'neuen Moral' (im Sinne J.E.Adams der 'neuen Unmoral') lege. Ihren Gipfelpunkt erreicht die beißende Kritik in der Aufnahme eines zeitgenössischen Folksongs von A.RUSSEL bei Adams (ebd., 7): '"Ich ging zu meinem Psychiater zur Analyse, um herauszufinden, warum ich die Katze umgebracht und meinem Mann ein blaues Auge geschlagen habe. Er legte mich auf eine weiche Couch, um zu sehen, was er herausbringen könnte. Und folgendes hat er aus meinem Unterbewußten ausgebaggert: Als ich ein Jahr alt war, versteckte meine Mutti mein Püppchen im Koffer, daraus folgt logischerweise, daß ich jetzt dauernd betrunken bin. Als ich zwei Jahre alt war, sah ich, wie Vati das Dienstmädchen küßte, und deshalb leide ich heute an Kleptomanie. Mit drei Jahren war ich zwiespältig meinen Brüdern gegenüber. Daraus folgt logischerweise, daß ich alle meine Liebhaber vergifte. Aber ich bin glücklich. Ich kenne die Lektion, die es daraus zu lernen gibt: An allem, was ich tue, ist stets ein anderer schuld.'"

sollten."141 Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen gelangte W. Buntzel zu der Überzeugung, daß keine Rede davon sein könne, "daß die Zeit der kirchlich-religiösen Seelsorge vorüber und ihr Ersatz durch ärztliche Behandlung gekommen sei"142. Allerdings ging er schon davon aus, daß sich die Seelsorge in der von der Psychoanalyse angedeuteten Richtung wandeln müsse. 143 Das besage allerdings noch nicht, "daß wir mit Freuds Lehre von den Verdrängungen und ihren unbewußten Kundgebungen auch den ganzen Apparat seiner Methode in unsere Seelsorge zu übernehmen gehalten wären. Die bleibe medizinische Angelegenheit - es ist auch ohne sie genug des Guten und Wertvollen, was wir aus Freuds Lehre uns für die kirchliche Praxis zu Nutze machen können". 144 Vor allem im Bereich der Beichtpraxis könne diese erhellend wirken, vermittle sie doch "neue Einsicht in das Schuldgefühl und Erlösungsbedürfnis der Menschen" 145 , indem sie in die "düstere Unterwelt des Seelenlebens"146 blicken lehre. Mit Hilfe analytischer Einsichten könnte dem allseits vorhandenen Beichtbedürfnis ebenso wie der andererseits auch feststellbaren Beichthemmung angemessener begegnet werden. 147 "Die Kunst zuzuhören, und zuhörend, weder Trost noch Mahnung zu früh einsetzend, immer mehr noch aus dem Beichtenden herauszuholen"148, das schließlich sei es, worauf es ankomme. "Und: was man von Freud lernen soll!"149 Abschließend bezeichnete W. Buntzel den durch psychoanalytische Schulung zu erreichenden Ge-

wi 143 145 147 148 149

Buntzel 1926, 50. 142 Buntzel 1926, 51. Vgl. Buntzel 1926, 51. 144 Buntzel 1926, 51. Buntzel 1926, 51. 146 Buntzel 1926,52. Vgl. Buntzel 1926, 52ff. Buntzel 1926, 56. Buntzel 1926, 56. - S. Freud hat sich zum Verhältnis von Beichte und Analyse eindeutig - und m.E. durchaus im Gegensatz zu W. Buntzel - geäußert. Er sieht die Beichte als 'Einleitung' der Analyse an, die darauf abzielt, konkrete Krankheitssymptome zu beseitigen, nicht umgekehrt die Analyse als Hinführung zur oder Ermöglichung der Beichte. Vgl. Freud 1948a, 215f. Zum Verhältnis von Analyse und Beichte vgl. auch Pfister 1927, 117ff. Für O. Pfister besteht die einzige 'Verwandtschaft' zwischen Beichte und Analyse darin, daß es bei beiden "um eine Aussprache gewisser peinlicher Stoffe persönlicher Art an einen andern" (ebd., 117) geht. Zweck, Inhalt, Bedingungen und Abschluß der Aussprachen sind jedoch grundsätzlich voneinander unterschieden. "Allein wer in den Gegenstand auch nur ein wenig tiefer eingedrungen ist, erkennt die abgrundtiefen Klüfte, die beide Tätigkeiten voneinander trennen." Ebd. Werden in der Beichte 'bewußte Fehler' angesprochen, so in der Analyse das "Verdrängte und seine Weiterbildungen, die unbewußten Absichten, die in der Verdrängung festhalten" (ebd., 118).

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winn als "Konkretisierung der Seelsorge"150. Der versierte Seelsorger, der sich der Freudschen Lehre und vor allem den durch ihre Anwendung gewonnenen Erkenntnissen öffnet, redet - nach W. Buntzel - nicht mehr ins Allgemeine hinein, indem er nur mehr von Pflichten und Verantwortungen spricht, sondern ist in der Lage, konkrete Einzelpflichten und -Verantwortungen bezogen auf bestimmte Personen und deren Situation (innere und äußere) zu benennen.151 Trotz dieses positiven Zugewinns sah W. Buntzel in der Psychoanalyse keinen Ersatz für die herkömmliche Seelsorge. 152 Die Buntzelsche Maxime lautete vielmehr: "Nicht Psychoanalyse oder Seelsorge, sondern Psychoanalyse in der Seelsorge!" 153 Die Freudsche Lehre war damit eindeutig als Hilfswissenschaft charakterisiert und letztlich, obwohl W. Buntzel von einer "Synthese der Wissenschaften"154 sprach, ins vermeintlich 'zweite Glied' zurückgedrängt; Eigenständigkeit wurde ihr auf diese Weise nicht zugebilligt.

150 151 152 153 154

54

Buntzel 1926, 62. Vgl. Buntzel 1926, 62. Vgl. Buntzel 1926, 66. Buntzel 1926, 66. Buntzel 1926, 66. - Es ist m.E. erstaunlich, daß W. Buntzel hier von einer 'Synthese' spricht, obwohl er doch letztlich eher eine 'Arbeitsgemeinschaft' anstrebt. O. Pfister hingegen spricht von 'Arbeitsgemeinschaft' (vgl. Pfister 1927, 131) und strebt eine 'Synthese' an. Die 'Synthese' von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie wurde auch in späteren Jahren immer wieder heraufbeschworen. So formuliert z.B. Allwohn 1970, 112: "Das Gebot der Stunde ist nicht die Antithese, sondern die Synthese." Arzt/Psychotherapeut und Seelsorger arbeiten als gleichberechtigte Partner im '"Heilkollegium' am Krankenbett" (ebd., 183). Wenige Seiten später verhandelt A. Allwohn das Verhältnis von Seelsorge und Psychotherapieunter der Überschrift "Umfassende Arbeitsgemeinschaft" (ebd., 193); Synthese und Arbeitsgemeinschaft werden hier demgemäß wenig differenziert miteinander verbunden bzw. gleichgesetzt.

Exkurs: Zur Vorstellung von der sogenannten 'Hilfswissenschaft' Wie ich sehen konnte, erkannte sowohl O.Pfister als auch W.Buntzel der Psychoanalyse eine Art 'Hilfsfunktion' zu. 155 Nun dürfte allerdings klar sein, daß der Begriff der Hilfe im höchsten Maße deutungsbedürftig ist. So wird denn auch das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie recht unterschiedlich zu bestimmen sein, je nachdem, ob ich Hilfe mehr im Sinne von 'HilfsWissenschaft' oder aber mehr im Sinne von 'Hilfsm/7tel' auffasse bzw. aufgefaßt sehe. 156 Bei O.Pfister mögen letztlich beide Deutungsbegriffe zum Tragen gekommen sein. 157 Auf jeden Fall ging es ihm nicht darum, "freimütig ins Arsenal der Psychoanalyse zu greifen und sich das auszuwählen, was (man) ... gebrauchen kann" 158 . Diese Inkonsequenz, die "die praktischen Funde der Analyse zu einer Art Freiwild macht, von dem man sich greifen konnte, was einem beliebte, während man alles, was einem nicht gefiel, der weltanschaulichen Voreingenommenheit Freuds zur Last legen und nach wie vor ablehnen kann" 159 , dürfte schon eher bei W.Buntzel zu vermuten sein. Sein Ansatz der 'mittelbaren Nutzung' psychologischer Erkenntnisse 160 erinnert an "die allzu griffige Phrase von der 'ancilla theologiae', der sich Philosophen wie Philologen, Pädagogen wie Psychologen und andere lange genug ausgesetzt sahen" 161 / 162 . An der grundsätzlichen Überlegenheit der seelsorg(er)lichen Methoden wird dabei festgehalten; 163 ein 'herrschaftsfreier Dialog' 164 (so weit es diesen überhaupt geben kann) bleibt somit von vornherein ausgeschlossen. Kooperation kann sich letztlich nur

155

Vgl. z.B. Pfister 1927, 4 und Buntzel 1926, 48.

156

Vgl. Rössler 1982, 123. - Bei der Unterscheidung von 'HilfsWissenschaft' und 'Hilfsmirre/' ist nicht nur an eine eher oberflächliche Trennung von Theorie und Praxis gedacht; hier schwingt immer auch untergründig eine Wertung mit.

157 158

Vgl. Rössler 1982, 123. So Scharfenberg 1968, 26 im Blick auf E. Thurneysen (Erg. in Kl. M.P.).

159 160 161

Scharfenberg 1968, 26. Vgl. Buntzel 1926, 48. Riess 1973, 61.

162

Zum 'ancilla'-Paradigma vgl. Mette/Steinkamp 1983, 166ff.

163 164

Vgl. Scharfenberg 1968, 26 in bezug auf E. Thurneysen. Mit der Chiffre 'herrschaftsfreier Dialog' ist (ebenso wie mit dem Ausdruck 'herrschaftsfreie Kommunikation') - mit J. Habermas gesprochen - eine 'ideale Sprechsituation' gemeint. Zum letztgenannten Begriff vgl. z.B. Habermas 1968, 31 u. 1 9 7 3 , 2 5 5 .

55

eklektisch im hierarchischen Gefälle von oben nach unten bzw. zudienend (und damit abhängig) von unten nach oben vollziehen. Gelingt es mir, die Vorstellung von der 'Hilfswissenschaft' historisch zu betrachten und ihr dabei eine 'überbrückende Funktion' zuzubilligen ("von der Attitüde ausgesprochener Ablehnung zur Konzeption der Korrelation" 165 ), dann verliert die Definition des Begriffs - um es mit Worten von R. Riess zu sagen - "ihren dazumal despektierlichen Klang und ihren klerikalistischen Anspruch" 166 . Es kann dann u.U. zu einem in Freiheit vollzogenen partnerschaftlichen Austausch von Ideen und Instrumenten für einen bestimmten Zeitraum und für einen bestimmten Zweck kommen. 167 Um diesem Ziel näherzukommen, scheint es mir angeraten, den Wurzeln des Begriffs 'Hilfswissenschaft' ein wenig intensiver nachzuspüren. Er wurde 1929 von E. Pfennigsdorf (1868-1952) in die Theologie eingeführt und bezeichnete zunächst einmal solche empirischen Wissenschaften, die auf je spezifische Weise in ein für die Praktische Theologie wichtiges Wissensgebiet einführten. Nach E. Pfennigsdorf sind darunter Kirchenkunde, religiöse Volkskunde und religiöse Psychologie zu verstehen. 168 Das Charakteristikum dieser 'Hilfswissenschaften' besteht darin, daß sie deskriptiv, aber nicht präskriptiv arbeiten; "sie vermögen nicht, ... Ziele und Normen aufzustellen. Sie sagen nur, was ist, nicht, was sein soll. Deshalb sind sie Hilfswissenschaften der Pr.(aktischen) Th.(eologie), die das von ihnen erarbeitete Wissen aufnimmt und für ihre Zwecke verwendet." 169 Zumal die Religionspsychologie wurde von E. Pfennigsdorf als "Tatsachenwissenschaft" 170 eingestuft, "welche die Theologie ebenso wenig entbehren kann wie z.B. die Kirchengeschichte und Exegese" 171 . Von ihr erhoffte er sich "Aufhellung mancher religiöser Erscheinungen" 172 bzw. "Winke, die sie (die Praktische Theologie) von daher für die seelsorgerliche Behandlung gewisser Abwege und Irrungen erhält" 173 . Umgekehrt legte E. Pfennigsdorf größten Wert darauf, daß die Praktische Theologie der Tiefenpsychologie gegenüber stets zu betonen habe, "daß das bewußte Seelen165 166 167 168 169 170 171 172 173

56

Riess 1973, 61. Riess 1973, 61. Vgl. Riess 1973, 61. Vgl. Pfennigsdorf 1929, 17. Pfennigsdorf 1929, 17 (Erg. in Kl. M.P.). Pfennigsdorf 1929, 17. Pfennigsdorf 1929, 17. Pfennigsdorf 1929, 16. Pfennigsdorf 1929, 16 (Erg. in Kl. M.P.).

leben eigenen Normen und Gesetzen folgt und daß dieses auch das unbewußte (sie!) fort und fort beeinflußt und bereichert"174. Die Praktische Theologie durfte mithin - so E. Pfennigsdorf - die Erkenntnisse der Hilfswisssenschaften "für ihre Aufgaben nutzbar machen" 175 , war jedoch gleichzeitig aufgerufen, "die von ihnen gebotenen Stoffe für ihren besonderen Zweck umzubilden, damit sie dem Zweck des kirchlichen Handelns dienen"176. Der Ansatz E. Pfennigsdorfs lebt von der Grundannahme, es gebe auf der einen Seite wertneutrale, objektiv beschreibende Wissenschaften, die konzeptionell von auf der anderen Seite befindlichen, präskriptiven, weltanschaulich gebundenen Systemen zu unterscheiden seien. Betrachte ich das Gesamt gegenwärtig auszumachender psychologischer Schulen und Richtungen177, muß diese Unterscheidung in ihrer Schlichtheit jedoch als überholt angesehen werden. Die heutige Psychologie ist keineswegs ausschließlich deskriptiv orientiert und kann damit letztlich nicht länger als 'Hilfswissenschaft' im Sinne E. Pfennigsdorfs angesehen werden. Anders als in der Pfennigsdorfschen Praktischen Theologie von 1929 wurde der Begriff der 'Hilfswissenschaft' von E.Thurneysen eingebracht. Die nun folgenden Ausführungen mögen die Verhältnisbestimmung von Theologie und Psychologie innerhalb seiner Seelsorgekonzeption exemplarisch vorstellen bzw. veranschaulichen.178

174 175 176 177

178

Pfennigsdorf 1929, 16. Pfennigsdorf 1929, 11. Pfennigsdorf 1929, 11. Vgl. Dorsch 1976, 466. - Einen guten Überblick über die speziell tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegenwart vermittelt Wyss 1977. Vgl. Schmidbauer 1971. - Die wissenschaftliche Erörterung des Zuordnungsverhältnisses von beiden hat ihre Wurzeln erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, in dem sich allmählich eine Psychologie mit wissenschaftlichem und methodischem Anspruch herausbildete.

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E. Thurneysen: Auf das Wort kommt es an Die Vorstellung von der 'Psychologie als Hilfswissenschaft' hat sich bei E. Thurneysen (1888-1974)179 erst allmählich herausgebildet und wurde einmal ausgesprochen - zwar nicht mehr revidiert, jedoch variiert. Es wäre demgemäß unangemessen, pauschal von der Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Psychologie bei E. Thurneysen zu sprechen. Es liegt vielmehr nahe, die Entwicklung(slinien) seines Seelsorgeansatzes nachzuzeichnen und die unterschiedlichen Tendenzen in der Beurteilung des Verhältnisses von Seelsorge (Theologie) und Psychologie aufzuweisen. In seiner programmatischen Schrift 'Rechtfertigung und Seelsorge' von 1928180 beschreibt E. Thurneysen eindrücklich die Seelsorge(r)not seiner Zeit. Er führt aus: "Dieselbe Erkenntnis von Gottes Macht in Gottes Wort, die uns zum Predigen zu zwingen begann, machte uns schweigsam, sobald wir bei Hausbesuchen und im Studierzimmer vor den Menschen standen, die ihre mannigfachen religiösen und moralischen Bedürfnisse an uns herantrugen, damit wir sie im seelsorgerlichen Gespräche stillen und befriedigen sollten."181 Der Seelsorger dieses Szenarios verstummt nicht angesichts der Menschlichkeit des Menschen, sondern eingedenk der Gottheit Gottes. Dies vorausgesetzt, wäre es unangemessen, weil im wahrsten Sinne des Wortes 'zweitrangig', die Befried(ig)ung menschlicher Bedürfnisse durch menschliche Mittel anzuvisieren bzw. herbeizuführen. Der frühe 'Dialektiker' E. Thurneysen kann in solchem Ansinnen nur "jenes Wichtignehmen und Großmachen 179

180

181

58

Einen guten Überblick über das literarische Werk E. Thurneysens bieten die Bibliographien von M. Thurneysen in den Festschriften 'Gottesdienst - Menschendienst' (Thurneysen, M. 1958) und 'Wort und Gemeinde' (Thurneysen, M. 1968). Es ist u.a. das Verdienst E. Thurneysens, daß die Poimenik zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer grundlegenden Revision unterzogen wurde. In 'Rechtfertigung und Seelsorge' (Thurneysen 1928) ist erstmalig der 'cantus firmus' der neuen theologiegeschichtlichen Epoche formuliert: Die 'Theologie des Wortes Gottes' wird hier zur Sprache gebracht. Die gesamte Thurneysensche Argumentation kommt von der Überzeugung her, daß es auch in der Seelsorge nur um Verkündigung (des Evangeliums) gehen kann. Zahllose Autoren sind E. Thurneysen hierin gefolgt (siehe z.B. Vischer 1988), und so ist er denn - auch und gerade da, wo man sich von ihm abwandte - richtungweisend für die neuere Seelsorge geworden. Vgl. Rössler 1962, 11. Thurneysen 1928, 199.

des Menschlichen"182 erkennen, das die Gefahr tiefster Gottlosigkeit impliziert.183 Er befürchtet die Leugnung und Entthronung Gottes, sobald ein Mensch sich selber in die Mitte und damit in die Ehre setzt. 184 Schließlich kommt nur Gott selbst zentrale Bedeutung zu. "Er, Gott, steht in der Mitte"185, und der Mensch wird zur 'Randexistenz'186, auf die man sich - auch und gerade als Seelsorger - nur bedingt einlassen darf, will man nicht die für E. Thurneysen irrige Vorstellung nähren, "es gebe irgendwie einen Ausweg, einen frommen, religiösen Ausweg ... aus ... Lebensnöten"187/188. Sieht man den Menschen coram Deo, so erblickt man ein Wesen in völliger Ausweglosigkeit, dem man "die Sinnlosigkeit aller ... 'Werke', das Sichwerfen aufs Erbarmen allein verkündigen kann und darf' 189 . Und sobald dieser Ausweglose als Geschöpf

182 183

Thurneysen 1928, 199. Vgl. Thurneysen 1928, 199. - De Quervain 1977, 45 bemerkt wohl nicht zu Unrecht im Blick auf das Verhältnis der frühen dialektischen Theologie zur Psychoanalyse: "Weil die dialektische Theologie in gewisser Hinsicht die Religionskritik der Psychoanalyse bejaht, muss sie sich auch besonders betont von der Psychoanalyse abgrenzen. In dieser frühen Kampfsituation ist deshalb eine fruchtbare Auseinandersetzung noch nicht möglich. Erst ein Reifeprozess auf beiden Seiten führt hier weiter. Indem Theologie und Psychoanalyse ihrer Identität bewußter werden, gelingt es ihnen auch, die Wahrheitswerte der anderen Seite zu beachten." Vgl. auch ebd., 43. Nichtsdestoweniger wurde ein Wandel vom Pfarrer zum "Pfarrer-Psychotherapeuten" (ebd., 36) seitens der dialektischen Theologie vehement abgelehnt.

184 185 186 187 188

Vgl. Thurneysen 1928, 199. Thurneysen 1928, 199. Vgl. Thurneysen 1928, 199. Thurneysen 1928, 200. Der Mensch muß erkennen, daß er mit all seinem Tun an eine seinerseits unüberwindliche Grenze stößt, deren 'Jenseits' zu erreichen ihm unmöglich ist. Thurneysen 1982, 88 formuliert dies wie folgt: "Das Ziel liegt nicht irgendwie über uns oder vor uns, es liegt, und das ist etwas ganz anderes - jenseits von uns. Der Himmel ist nicht ein Berg, der sich im Menschenlande (wenn auch zu höchster Höhe) erhebt und von da aus bestiegen werden kann." Alle menschlichen Bemühungen - seien sie auch titanisch - fruchten demgemäß nichts, sondern wirken (so ebd., 19 in bezug auf gottesdienstliche Aktionen) wie "leerlaufende Räder, sie haken und greifen nicht ein, sie bewegen uns nicht". Was einzig bleibt, ist ein angestrengtes "verwegenes Griffesuchen und Sichemporstemmen an schwindelnden Wänden" (Barth/Thurneysen 1974, 17 in bezug auf die Arbeit im kirchlichen Unterricht), das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Der "Durchstoß zur Transzendenz" (Wölber 1965, 207) gelingt erst dort, wo Gott direkt und doch vermittelt - wie "in einem Handschuh" (ebd.) - nach dem Menschen greift.

189

Thurneysen 1928, 200.

59

Gottes gesehen wird, hat - so jedenfalls E. Thurneysen - die Beschreibung dessen, was gesehen wird, "nichts zu tun mit irgendeiner psychologischen Feststellung"190. Es geht bei diesem 'Sehakt' vielmehr um einen Akt des Glaubens, bzw. den Akt des Glaubens, "der allen andern Glaubensakten zu Grunde liegen muß, ... Und insofern ist dann allerdings Seelsorge nicht nur eine Funktion neben anderen, sondern die eine Arbeit und Aufgabe, die uns vor allem obliegen muß."191 - Folgerichtig postuliert E. Thurneysen in diesem Zusammenhang die "Ausschaltung aller anderen Gesichtspunkte psychologischer und soziologischer Art"192. Denn: Seelsorge als "ein Spezialfall der Predigt"193, als Verkündigung des Wortes Gottes194, ist grundsätzlich zu unterscheiden von einem Gespräch "mit dem Psychologen, dem Psychoanalytiker, dem Juristen, selbst dann, wenn es um ganz die gleichen Dinge sich handelt, über die er (der Hilfesuchende) ... auch mit den genannten Instanzen reden wird"195/196. Strukturell Ähnliches (Gleich[förmiges!) wird 190 191 192 193

194

195 196

60

Thurneysen 1928, 209. Thurneysen 1928, 209. Thurneysen 1928, 210. Thurneysen 1928, 210; vgl. dazu auch D. Bonhoeffers Ausführungen zum Auftrag der Seelsorge in den Nachschriften der Halbjahrs-Seminarvorlesungen im Predigerseminar Finkenwalde und in den Sammelvikariaten zwischen 1935 und 1939 (hier Bonhoeffer 1972, 364ff.), wo mitunter fast wortgleich argumentiert wird, obwohl D. Bonhoeffer insgesamt m.E. der Psychologie (speziell der Psychotherapie, die er als säkularen Ableger der Beichte versteht, vgl. ebd., 397) distanzierter gegenübersteht als E. Thurneysen, wenn nicht sogar ablehnend. Vgl. Thurneysen 1928, 210. - Bei Bonhoeffer 1972, 386 heißt es - wenn auch speziell bezogen auf die Seelsorge an Gebildeten - gewiß generell gemeint: "Der christliche Glaube läßt sich schlecht diskutierend und diskursiv sagen, sondern nur verkündigend." Thurneysen 1928, 211 (Erg. in Kl. M.P.). Diese deutliche (und schroffe) Trennung zwischen Seelsorge- und Therapiegespräch' findet sich auch bei D. Bonhoeffer, der "die schwüle Atmosphäre psychischer Unmittelbarkeit" (Bonhoeffer 1972, 371) mitunter letzterem, aber nicht ersterem zuweist. Wo der Therapeut (speziell der Psychoanalytiker) - zumindest vorübergehend - an sich selbst bindet, befreit der Seelsorger durch "Bindung an Wort, Gebet und Glaube" (ebd.). Wird der Abstand zwischen Arzt und Patient durch Wissen und Können erwirkt, so der zwischen Seelsorgeübendem und Seelsorgesuchendem durch "Auftragsverschiedenheit" (ebd.). "Allein unser Auftrag bindet und ruft uns. Der Seelsorger ist nicht ein Mann besonderer Erfahrungen, Kräfte und Reife. Er soll sich auch nie als einen solchen ausgeben, etwa als 'Mann des Vertrauens', 'priesterlichen Menschen' oder dergleichen. Damit kann er nur an die Stelle Jesu treten und eine Erwartung wecken, die er notwendig enttäuschen muß. Das würde ja darauf hinauslaufen, daß Menschen sich uns anvertrauen. An-

hier keineswegs gleich wertig gesehen. Und so erschallt denn in 'Rechtfertigung und Seelsorge' 1928 an allen Enden unüberhörbar der Ruf: 'Schuster, bleib bei deinem Leisten!'. Apodiktisch und kompromißlos formuliert der zu diesem Zeitpunkt auch ansonsten schroffe Antithetiker E. Thurneysen: "Wir sollen uns davor hüten, die Bereiche jener Instanzen zu betreten, wir sollen nicht den Psychologen spielen, nicht den Arzt, nicht den Juristen, selbst dann nicht, wenn wir es vielleicht in Hinsicht unserer Kenntnisse tun könnten, selbst dann nicht, wenn der bei uns Hilfe Suchende es von uns erwarten oder verlangen sollte."197 Der Theologe in E. Thurneysen ereifert sich nachgerade und spricht von der "Versuchung"198, die von der Psychoanalyse ausgeht, von der "Neigung zu Grenzüberschreitungen und fragwürdigen Vermählungen von kirchlicher Seelsorge und Psychoanalyse"199. 'Schuster, bleib bei deinem Leisten!', d.h. hier: 'Seelsorger, bleibe nicht im Vorletzten, Uneigentlichen stecken!' Menschenliebe, Menschenverständnis200 und noch so gutes Meinen sind niemals genug, um "jenes andere Gespräch"201, jenes eigentliche Gespräch in 'göttlicher Sphäre' zu führen. 202 - Dem 'frühen' E. Thurneysen geht es in der Seelsorge nun einmal nicht um Quantitäten, sondern um Qualität. Und eben diese Qualität des Seelsorgeaktes wird seiner Meinung nach davon bestimmt, ob dieser zur Erkenntnis der vertrauen sollen sie sich aber allein dem Wort, Christus, wozu wir ihnen behilflich sein können." Ebd., 371 f. Psychologische Erkenntnisse sind hierbei nicht ausschlaggebend, sondern vielmehr meditatio und tentatio des Kreuzes, die zu Schuld- und Sündenerkenntnis führen. Vgl. ebd., 372 u. 398. "Der Seelsorger kann vom Psychologen nur sehr wenig lernen, im Grunde nur zu beobachten, zu beurteilen, zu analysieren." Ebd., 372. Der Psychotherapeut ist nun einmal - "auch wenn er sich noch so sehr auf den Boden der Realität der Sünde stellt, dem anderen 1. zu fern, da er dem Übel mit eigenen Kräften beikommen will; 2. zu nah, da er dem Kranken in seinen Beziehungen zu unmittelbar ist; 3. zu erotisch, da er im Unterschied zur Liebe Christi nur auf menschliche Beziehungen baut" (ebd., 372f.). - Vgl. dazu auch D. Bonhoeffers Ausführungen in seiner Schrift 'Gemeinsames Leben' von 1939, hier Bonhoeffer 1987, 99f. 197 198 199 200

Thurneysen 1928, 211. Thurneysen 1928, 211. Thurneysen 1928, 211. In den frühen Äußerungen E. Thurneysens kommt dem Begriff 'Menschenverständnis' noch keine spezifische Bedeutung zu; hier geht es schlicht um das Verstehen des Menschen (gen. obj.) und nicht um ein bestimmtes Verständnis vom Menschen. Vgl. z.B. Thurneysen 1928, 212. Ganz anders erscheint die 'Begriffslage' ab 1946.

201 202

Thurneysen 1928, 211 (Hervorhebung M.P.). Vgl. Thurneysen 1928, 211 f.

61

Sünde 203 führt oder nicht. 204 Seelsorge hat demgemäß immer aufdekkende Funktion, stellt ein Stück 'Desillusionierung' dar.205 Es geht in ihr primär um den Aufweis der Lage des Menschen vor Gott, die sich letztlich immer als Notlage, als desolate Lage erweist. Der Seelsorger fungiert somit als 'Ent-täuscher', der kraft des verkündigten Wortes Gottes (im Modus des Gesetzes) 206 das Ende einer Täuschung herbeiführt, zur realistischen Situationsanalyse vordringen läßt und so den Weg für die Aufnahme der 'not-wendigen' Vergebungsbotschaft bahnt.207 Im Blick auf dieses Letzte und Eigentliche ist Seelsorge ihrer Tendenz nach bei E.Thurneysen immer 'progredient'208, sie ist "nicht auflösend, nicht 203

Der sündige Mensch ist Thurneysenschem Denken nach der ruhelose, nicht befriedete Mensch, der in der Gottesferne lebt. Dieser treibt - um es wie E. Thurneysen mit M. Claudius zu sagen - viele Künste und kommt dadurch nur weiter ab vom Ziel, welches wie folgt definiert ist: "Das Ziel ist unser zur Ruhe Kommen darin, daß wir wieder unter unseren Herrn kommen, daß wir wieder anfangen lernen beim ersten Gebot, das uns zu dem Gott weist, vor dem wir mit allen unsern vielen unnützen Fragen und Künsten nur immer neu schuldig werden, der uns aber in Christus alle diese Fragen und Künste abnimmt, indem er sie uns vergibt." Thurneysen 1928, 200. Bildhaft und darin sehr eindrücklich vergleicht E.Thurneysen wenige Zeilen später die Existenz des (sündigen) Menschen als "Sumpfgelände ..., das man nicht betreten soll, demgegenüber es nur eines gibt, die gründlichste Entwässerung und Trockenlegung".

204 205 206

Vgl. Thurneysen 1928, 212. Vgl. Thurneysen 1928, 212. Vgl. dazu Thurneysen 1928, 214. - Ganz ähnlich argumentiert D. Bonhoeffer unter der Überschrift 'Gesetz und Evangelium in der Seelsorge': "Solange wir uns entziehen und unsere Sünde rechtfertigen, müssen wir mit dem harten Gesetz getrieben werden. Das pecca fortiter gilt erst da, wo der Mensch an sich selbst verzweifelt." Bonhoeffer 1972, 368. Ganz ähnlich argumentiert D. Bonhoeffer, wenn er davon ausgeht, der Seelsorger wisse "um den anderen immer schon besser Bescheid als dieser über sich selbst. Er versteht dessen Fragen recht. Er hört hinter der enthüllten Not das noch nicht gewagte Geständnis der Sünde" (Bonhoeffer 1972, 368; vgl. auch ebd., 370). Wo der Seelsorgesuchende mit Vorwänden operiert, muß der Seelsorger von diesen "wegführen hin zum Eigentlichen" (ebd., 368). Denn nicht "Lebensmethode, sondern Gottes Vergebungswille hilft" (ebd.; vgl. auch ebd., 398 u. Bonhoeffer 1987, 99f.). Der Seelsorgeprozeß ist bei E. Thurneysen seiner Struktur und Ausrichtung nach 'fortschreitend' gedacht. Bei diesem 'Fortschreiten' aber geht es immer auch um 'Fortschritt' hin zu Besserem, Höherem. Der Seelsorgesuchende soll eine Entwicklung durchmachen: vom Unglauben zum Glauben, vom Zweifel zur Gewißheit etc. Ich könnte demgemäß die Seelsorge E. Thurneysens als 'progressive Seelsorge' bezeichnen (vgl. dazu auch Thurneysen 1971, 215), verzichte darauf jedoch eingedenk des mit diesem Begriff verbundenen Vorverständnisses.

207

208

62

zerstörend, sondern im tiefsten Sinne aufbauend" 209 . Anders dagegen wird das psychoanalytische Gespräch eingeschätzt; in ihm wird zumindest latent stets die "Gefahr der Auflösung der Persönlichkeit" 210 erkannt. 211 Seine vermeintlich ausschließlich zersetzende Tendenz gilt als wenig 'heilsam' 212 und wird von ihrem Ergebnis her als eindeutiges Indiz für die 'Heülosigkeit' bzw. 'Heilsbedürftigkeif des Menschen coram Deo angeführt. 213 Jede Analyse menschlicher Wirklichkeit bedarf - um überhaupt ausgehalten werden zu können - der "göttlichen Synthese der Vergebung" 214 , auf deren Nachvollzug (nicht Vollzug!) alles seelsorg(er)liche Handeln hinzielt. Und so geht es denn "bei der Seelsorge um ein neues Sehen und Verstehen des Menschen von Gott

209 210 211

Thurneysen 1928, 213. Thurneysen 1928, 212. Ganz ähnlich argumentiert D. Bonhoeffer, wenn er davon ausgeht, daß für die Psychotherapie die Methode des Ausforschens alles sei, wohingegen der Seelsorger "grundsätzlich vormethodisch, vorpsychologisch, im guten Sinne naiv" (Bonhoeffer 1972, 370) zu bleiben habe. Wo dies nicht geschieht, könne es dahin kommen, "daß in der Seelsorge Magie und Dämonie herrschen statt Reinheit und Einfalt brüderlicher Liebe" (ebd., 370).

212

Die in der deutschen Sprache als Adjektivsuffix auftauchende Endung 'sam' hat von ihren Ursprüngen her ein - zumal im hier gewählten Zusammenhang - bemerkenswertes Bedeutungsspektrum. Sie entstammt dem gotischen 'sama' in 'lustusama', das soviel bedeutet wie 'ersehnt' oder als selbständiges Wort verwandt 'von gleicher Beschaffenheit'. Auch das althochdeutsche 'samo' (derselbe) bzw. 'sama' (ebenso) gehören hierher. In gewisser Weise wird immer 'Deckungsgleichheit' anvisiert oder als bereits vorhanden herausgestellt (so auch im Englischen 'the same'). In deutlicher Nähe zur Endsilbe 'sam' stehen die Wurzeln der Wörter 'sammeln' und 'zusammen'. 'Sammeln' (im Mittelhochdeutschen 'samelen' oder älter 'samenen') geht zurück auf das althochdeutsche 'saman' (beisammen) und gehört in die gleiche Reihe wie 'sem', das so viel bedeutet wie 'eins, in eins zusammen'. Das althochdeutsche 'zizasamene' bzw. sein mittelhochdeutsches Gefolgswort 'zesamene' stellt eine verdeutlichte Form zu 'saman' - germanisch 'samana' - mit der Bedeutung 'nach demselben Orte hin' dar. Vgl. hierzu Wahrig u.a. 1973, 3022 (...sam), 3024 (sammeln) u. 4149f. (zusammen). 'Heilsam' dürfte demgemäß all das sein, was dem Heil entgegen- bzw. in es hineinführt und so gleichsam 'Dekkungsgleichheit' herbeiführt.

213

Die Entdeckung(en) der Psychologie und ganz besonders die der Psychoanalyse interpretiert E. Thurneysen auf recht eigenwillige Weise; "sie bestätigen ihm die chaotische Seite des menschlichen Seelenlebens und die Macht der Sünde. Deshalb geht es ihm von Anfang an darum, auf die biblische Botschaft als eine Antithese zu den Verwicklungen und dem Elend der menschlichen Existenz hinzuweisen." ( De Quervain 1977, 36)

214

Thurneysen 1928, 212 (Hervorhebung M.P.).

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her" 215 . E.Thurneysen faßt abschließend zusammen: "Und sofern zur Vorbereitung dieses im Akt der Seelsorge sich vollziehenden Sehens und Verstehens und daraus sich ergebenden Ansprechens des Menschen eine grundsätzliche Rechenschaft über den Menschen dienlich sein kann, und diese Rechenschaft in Anlehnung an den Sprachgebrauch Psychologie genannt werden sollte, so wäre endlich noch ein Wort zu sagen von einer von den hier gezeichneten Voraussetzungen aus zu gewinnenden neuen Psychologie. Denn den Menschen als unter Gericht und Gnade Gottes gerufen zu betrachten, das ist zweifellos etwas ganz anderes als ihn unter den Voraussetzungen betrachten, unter denen gemeinhin Psychologie betrieben wird. ... Auf eine letzte, jenseits aller bewußten und unbewußten psychischen Nöte liegende Not wird alles bezogen, und aus einer letzten und ersten, jenseits aller auch der tiefsten seelischen Möglichkeiten des Menschen stehenden Hoffnung heraus wird dem Menschen zugesprochen. Und von da aus werden alle seine seelischen Tatsachen und Gegebenheiten in ein neues Licht rücken und man wird sie auch als solche besser und richtiger verstehen lernen können, als es der gewöhnlichen, auch der sogenannten Tiefenpsychologie möglich ist."216 Psychologie wird hier zunächst gesehen als eine Maßnahme (unter anderen), die dazu dient, 'Rechenschaft über den Menschen abzulegen'. Dieser 'alten', und in der Vorstellung E. Thurneysens längst überholten Größe, steht eine 'neue', der göttlichen Sphäre verhaftete, 'theologisch'217 operierende und verantwortete Psychologie gegenüber. 218 Ich habe es demnach zwar mit der gleichen Forme 1 (Psy-

215 216 217

218

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Thurneysen 1928, 217. Thurneysen 1928, 217. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob hier nicht Theologie und Teleologie in unzulässiger Weise vermischt werden. Natürlich kennt auch die Psychologie ein Telos (inwieweit und in welcher Ausprägung es im Einzelfall zum Tragen kommt, hängt sicher auch von der jeweiligen psychologischen Schule ab). Dies aber muß ihrem eigenen Selbstverständis nach keineswegs theologisch verortet sein, in gewisser Weise kann es das nicht einmal - zumindest nicht, ohne aus Psychologie im letzten Theologie werden zu lassen. Das von E.Thurneysen entwickelte Zukunftsprogramm einer neuen Psychologie wird von R. Bohren wie folgt kommentiert: "Die Frage entsteht, wie sich die neue zur alten Psychologie verhalte, wie denn die 'seelischen Tatsachen und Gegebenheiten' aussehen, wie sie ins neue Licht gerückt werden. So einsichtig es ist, daß 'den Menschen als unter Gericht und Gnade Gottes gerufen betrachten' auch eine psychologische Wirkung auf den Betrachter wie auf den zu betrachtenden Menschen hat, so schwierig wird die Vermittlung zwischen der eschatologischen Ver-

chologie), aber nicht mit identischem Bedeutungsge/za/? zu tun. Vielmehr dient hier ein Begriff zur Beschreibung zweier Welten. Nichtsdestoweniger scheint mir die so vorgeführte 'Zwei-Welten-Theorie' letztlich monistisch geprägt. Das verwandte Vokabular (Rechenschaft ablegen) legt zumindest die Vermutung nahe, daß E. Thurneysen bereits im Bereich des Vorläufigen, Vorletzten die transzendente Größe Gott einliest. Es mag sicher verschiedene Instanzen geben, die Rechenschaft abzulegen erforderlich erscheinen lassen; wer aber - außer Gott - sollte im letzten ein Anrecht darauf haben, einen 'Rechenschaftsbericht' zu (er)fordern ...? Für den christlichen Theologen E.Thurneysen gibt es kein autonomes, ausschließlich sich selbst verpflichtetes Wissenschaftssystem. Und somit ist auch die 'alte' Psychologie im 'Reich zur Linken' eigentlich der Verfügungsmacht Gottes unterstellt. Daß sie sich autark gebärdet, zeigt einmal mehr die Sündhaftigkeit und damit Gottlosigkeit der Welt. 219 In der erstmalig 1946 erschienenen 'Lehre von der Seelsorge' 220 exborgenheit des neuen Menschen und den Wirkungen der Gnade auf die Seele. Wollte man Thurneysens Programm wieder aufnehmen, würde sich das Problem 'Seelsorge und Psychologie' verschieben in das von 'neuer' und 'alter' Psychologie bzw. in das von Prophetie und Psychologie." (Bohren 1982, 224) - Wie weise und wohltuend, daß R.Bohren hier von 'Problemverschiebung' und nicht von 'Problemlösung' spricht. - Zum Stichwort 'neue Psychologie' vgl. auch ebd., 466ff., bes. 467, wo es heißt: "säkulare Psychologie ist eine Wissenschaft aufgrund gehabter Erfahrung und Beobachtung - biblische, spirituelle und damit neue Psychologie ist demgegenüber eine Wissenschaft von künftiger Erfahrung, eine Art Futurologie der Seele, wobei anzumerken wäre, daß keine Futurologie von gehabter Erfahrung abstrahieren kann ..." 219

Die frühen und in ihrer Tendenz kritisch distanzierten Äußerungen E. Thurneysens zur Psychologie muten nachgerade liberal und aufgeschlossen an, wenn ich sie z.B. mit Ausführungen H. Asmussens vergleiche, der "die moderne Psychiatrie, die mit allen Mitteln der Psychoanalyse und der Psychologie arbeitet, um den Menschen die Ruhe ihrer Seele wiederzugeben" (Asmussen 1934, 30), als unseliges Menschenwerk - wenn nicht gar Teufelswerk abstempelt. Wer die Grenze zur Psychologie überschreitet, der erkennt früher oder später: "Das Satanische ist nahe! Der Großinquisitor bekommt das Wort! Die Sonne Satans geht auf und beginnt zu scheinen. Fabelhaftes wird geleistet. Alle Kraft des Menschen und alle Erfindungsgabe wird aufgeboten. Die Kraft leistet etwas! Erfindungen werden gemacht, derart, daß wir über uns selbst staunen - und einige Zeit bei dem Glauben uns beruhigen, es sei ein Irrtum, daß Gott uns zürne." Ebd.

220

Die 'Lehre von der Seelsorge' ist inzwischen 1988 in sechster Auflage (auf diese beziehe ich mich hier und im folgenden) erschienen, was auf eine enorme Nachfrage schließen läßt. E. Thurneysen hat eben doch 'schulbildend' gewirkt. Vgl. Rössler 1962, 11.

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pliziert E.Thurneysen seine Vorstellung des (möglichen) Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie bzw. Seelsorge und Psychotherapie221 auf insgesamt fünfzig Seiten. Was in 'Rechtfertigung und Seelsorge' noch ein wenig unstrukturiert zur Sprache kommt, wird hier differenzierender und m.E. differenzierter222 dargelegt: "Das Ansprechen des Menschen im Seelsorgegespräch setzt Menschenkenntnis voraus: Die Seel221

Psychologie und Psychotherapie unterscheiden sich bei E.Thurneysen in erster Linie im Blick auf ihre jeweilige Bezugsgruppe. Psychologie richtet ihr Interesse auf den 'gesunden', die Psychotherapie das ihre auf den 'kranken' Menschen. "Angesichts der Tatsache, daß das seelische Leben des Menschen ein unablässig von Krankheit bedrohtes und gestörtes Leben ist, wandelt sich die Seelsorge zur Krankenseelsorge. Sie stößt dabei auf die Psychiatrie und Psychotherapie. Sie führt die Auseinandersetzung mit ihr, indem sie auch hier dem ihr gegebenen Menschenverständnis folgt und Krankheit und Heilung auf Sünde und Gnade bezieht. Die Erkenntnisse der Psychiatrie und Psychotherapie werden mit aufgenommen und dienen dazu, die Botschaft von der Vergebung nur umso faßbarer und kräftiger hervortreten und ausrichten zu lassen." Thumeysen 1988, 193. - Es kann im gegebenen Zusammenhang nicht darum gehen, den Krankheits- bzw. Gesundheitsbegriff E. Thurneysens ausführlich darzustellen und zu diskutieren. Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß eine vorschnelle Gleichschaltung von 'Krankheit' und 'Sünde' den Intentionen E. Thurneysens im letzten nicht entspricht. Zwar wird in der 'Lehre von der Seelsorge' davon ausgegangen, daß der Mensch "krank um seiner Sünde willen" (ebd., 194) ist, immer aber geht es dabei um das Kranksein des Menschen vor Gott (vgl. ebd., 194ff.). Sünde und Krankheit stehen nach E. Thumeysen nicht in einem Kausalzusammenhang (weil jemand sündigt, wird er krank), sondern in einem geistlich zu verstehenden Entsprechungszusammenhang (Kranksein als Zeichen des Gerichtes Gottes über dem Menschenleben). Vgl. ebd., 196. So kann denn auch E.Thurneysen in bezug auf neurotische Störungen formulieren: "Sünde ist also etwas toto genere anderes als Neurose. Beide aber sind aufeinander bezogen, stehen in jenem Zusammenhang der Entsprechung, der für das Menschenverständnis des Glaubens kennzeichnend ist. Der Seelsorger versteht diese Entsprechung so, daß die Krankheit, die der Arzt Neurose nennt, ein Zeichen ist jener tiefen Störung des Lebens, die zwischen Gott und den Menschen eingetreten ist. Diese Störung ist etwas für sich, sie ist etwas anderes als die Neurose, sie wird aber unter Umständen im Ausbruch einer Neurose sichtbar, sie geht sozusagen im Gewände einer Neurose einher." Ebd., 198.

222

Nichtsdestoweniger gilt m.E., was bei de Quervain 1977, 38 festgestellt wird: "Zwar ist es für Thumeysen schon in seinem Aufsatz von 1928 eine Selbstverständlichkeit, dass die Psychoanalyse manchen Ratsuchenden helfen kann, und er betont auch 1946 noch, Freuds Psychoanalyse enthalte 'eine so unwiderlegbare Wahrheit, dass ihre Bestreiter ihr nichts anhaben können. Ein Zurück hinter ihre wesentlichen Ergebnisse gibt es nicht mehr' ... Im Grunde ist ihm aber die Psychoanalyse unheimlich. Deshalb neigt er dazu, sie im Guten wie im Bösen zu überwerten. Der Analytiker erscheint ihm als eine bedrohende Macht, dessen Vorgehen er als ein Eindringen in die seelische Welt des Patienten versteht."

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sorge bedarf darum der Psychologie als einer Hilfswissenschaft, die der Erforschung der inneren Natur des Menschen dient, und die diese Kenntnis vermitteln kann. Sie hat sich dabei kritisch abzugrenzen gegen ihr wesensfremde weltanschauliche Voraussetzungen, die mitlaufen, und die das ihr eigene, aus der Heiligen Schrift erhobene Menschenverständnis beeinträchtigen könnten,"223 Die hier vorgestellte Ausgangsthese des Paragraphen 10 der Thurneysenschen 'Seelsorgelehre' macht eines ganz deutlich: Psychologie als Hilfswissenschaft dient der Exisienzerhellung, indem sie Menschenkenntnis vermittelt; sie kann bzw. besser darf nach E.Thurneysen jedoch nicht Essentials menschlichen Lebens berühren. Das obliegt allein der Theologie, der es nicht nur um empirisch ableitbare Menschenkenntnis, sondern um umfassende Menschenerkenntnis (ein bestimmtes Menschenverständnis224) zu gehen hat. Dieses Menschenverständnis gründet im biblischen Zeugnis, ist demgemäß 'norma normata' gegenüber der 'norma normans' Bibel. Eine Gefährdung der so normierten Anthropologie vermutet E. Thurneysen dort, wo sie sich unkritisch ihr wesensfremden weltanschaulichen Voraussetzungen (an)nähert bzw. diese ungeprüft übernimmt.225 Da die Seelsorge "aller Psychologie und Psychotherapie gegenüber etwas unabtauschbares Anderes, Eigenes, Neues" 226 besitzt,227 hat sie es aber auch gar nicht

223 224

225

226 227

Thurneysen 1988, 174. In 'Rechtfertigung und Seelsorge' 1928 wird der Begriff 'Menschenverständnis' wie bereits festgestellt - noch ohne Problematisierungstendenz verwandt. Vgl. Thurneysen 1928, 212. Erst 1946 wird er als genuin anthropologischer Grundbegriff eingebracht und in deutlicher Abgrenzung zum Begriff 'Menschenkenntnis' erörtert. Vgl. z.B. Thurneysen 1988, 185f. Was in der Vorstellung E. Thurneysens dabei herauskommt, veranschaulicht sehr pointiert eine in ganz anderem Zusammenhang entstandene Karikatur aus dem Jahre 1949 (siehe Karikatur 1949), auf die ich zufällig beim Durchblättern der Reihe 'Unterwegs' stieß: Ein ausgezehrter Mensch mit verbundenen Augen schleppt sich ziellos über den Erdball; an einem Seil zieht er einen anderen Menschen hinter sich her, der zwar sieht, wohin der Weg führt, aber keinen Einspruch erheben kann, weil ihm der Mund zugeschnürt wurde. - Wohlgemerkt, diese Zeichnung entstammt nicht der Feder E. Thurneysens und wurde bisher auch nicht in Zusammenhang mit seinen Aussagen gebracht; und doch erscheint es so, als sei hier eine 'Verbildlichung' derselben vorgenommen worden. Wo die Theologie sich unkritisch von der Psychologie ins Schlepptau nehmen läßt, wird sie mundtot (gemacht) und gerät in den Sog einer (betriebs)blinden Führung, die orientierungslos umherirrt und kein übergeordnetes (transzendentes) Ziel kennt, geschweige denn erreicht. Thurneysen 1988,175. Vgl. dazu auch Thurneysen 1988, 216ff., wo der Unterschied zwischen analyti-

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nötig, nach neuer Orientierung oder Systematisierung zu streben. E c h t e S e e l s o r g e z e i c h n e t sich nun einmal durch " E i g e n s t ä n d i g k e i t " 2 2 8 aus. Ihrem W e s e n

nach

ist und bleibt

sie

"Wortverkündigung

an

den

e i n z e l n e n u n d kann und will nie e t w a s anderes sein. Aber, u n d hier setzt nun die B e z i e h u n g ein, in der die S e e l s o r g e zur P s y c h o l o g i e steht, u m d e n M e n s c h e n mit d e m V e r g e b u n g s w o r t anzusprechen, m ü s s e n wir über ein m ö g l i c h s t exaktes, m e t h o d i s c h e s und u m f a s s e n d e s W i s s e n v e r f ü g e n v o n s e i n e m s e e l i s c h e n Zustand. O h n e e i n s o l c h e s W i s s e n kann unser R e d e n zu i h m hin u n m ö g l i c h zielsicher und h e i l s a m sein." 2 2 9 S o , w i e die P s y c h o l o g i e bei E. T h u r n e y s e n grundsätzlich d e m B e r e i c h d e s V o r l ä u f i g e n zugeordnet ist, s o ist die A n w e n d u n g derselben e t w a s 'Vorlaufendes', das z u m 'Eigentlichen' hinführt. "Es wird sich daher die B e z i e hung z w i s c h e n S e e l s o r g e und P s y c h o l o g i e dahin b e s t i m m e n lassen, daß Psychologie

zur

Seelsorge

im

Verhältnis

einer

Hilfswissenschaft

steht." 2 3 0 D e r hier verwandte B e g r i f f der 'Hilfswissenschaft' ist m . E . deutlich

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230

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anders

geprägt

als

der

von

E. P f e n n i g s d o r f

eingeführte.

schem und seelsorg(er)lichem Gespräch erörtert wird. Das permanente Pochen darauf, Seelsorgegespräche seien etwas "toto genere und unaustauschbar Anderes" (ebd., 216), hat u.a. dazu geführt, daß J. Scharfenberg - mit nicht eben wenig Ausdrucksstärke - von dem 'Eisernen Vorhang' spricht, der sich bei E. Thurneysen zwischen zwei verschiedenen Bereichen, die eigentlich nichts miteinander zu tun hätten, heruntersenke (vgl. Scharfenberg 1968, 26 u. 1973, 12) und von einer "böswilligen Undurchdringlichkeit" (Scharfenberg 1973, 12) geprägt sei. Thurneysen 1988, 175. Thurneysen 1988, 175. - Da in diesem Zusammenhang von 'echter' Seelsorge gesprochen wird, kann und muß wohl auch davon ausgegangen werden, daß jede seelsorg(er)liche Bemühung, die dem hier genannten Kriterium nicht entspricht, in der Einschätzung E. Thurneysens 'unechte', und damit eben 'Nicht-Seelsorge' darstellt. Thurneysen 1988, 176. - E. Thurneysen bezeichnet in diesem Zusammenhang den Seelsorger als einen "Übersetzer des Wortes" (ebd.). Er führt aus: "Wir denken bei dem Wort 'übersetzen' an einen Strom, bei dem man von einem Ufer zum andern hinübersetzen muß. Für den, der dieses Hinübersetzen ausführen soll, gilt es, die rechte Stelle ausfindig zu machen, wo er mit seiner Botschaft landen kann. Er muß also die Uferlandschaft, er muß die Menschen da drüben sehr gut kennen, um sie in der rechten Weise anzureden." Ebd. Auch hier wird eine Art 'Zwei-WeltenTheorie' vertreten. Vgl. Bohren 1982, 225, wo sogar von einer "Art Zwei-ReicheLehre" gesprochen wird. In gewisser Weise ist sogar ein 'Drei-Welten-Modell' auszumachen: hier das alte Ufer, das es zu verlassen gilt, dort neue Ufer, richtige und falsche. Bleibe ich im Bilde, würde der Seelsorger, der sich weltanschauliche Voraussetzungen der Psychologie zu eigen machte, in die Gefahr geraten, am verkehrten Ufer anzulanden bzw. anderen Horizonten zuzustreben, um dort die Botschaft an ungeeigneter Stelle zu hinterlassen.

E. Thurneysen sieht in der Psychologie alles andere als eine rein deskriptive, nondirektive - und damit neutrale, weil nicht normsetzende Größe. Er erkennt ihr 'Autonomiestreben', aber er will es nicht zulassen, sieht es nachgerade als Gefährdung par excellence an. 231 Die Hilfswissenschaft ist demgemäß für den Bereich der Theologie 'domestizierte' Wissenschaft. Sie hat ihre spitzen Krallen behalten, darf aber nicht kratzen. 2 3 2 Sie ist grundsätzlich normativ, soll es jedoch im theologischen Umfeld nicht sein. 233 Zuträgerdienste 234 aber sind nicht nur erlaubt, sondern geboten; 235 allein, alles, was darüber hinausgeht, wird als nicht zuträglich abgewehrt. 236 Denn es ist "der Primat der Heiligen Schrift auf231 232

Hier gilt bei E. Thurneysen der Grundsatz: 'Was nicht sein darf, das nicht sein kann, obwohl es doch sein könnte.' Vgl. dazu auch Riess 1973, 171. In diesem Zusammenhang sei auf den Kirchenvater Hieronymus (ca. 345-420) verwiesen, der den für Christen angemessenen - weil schützenden - Umgang mit der gefährlichen weltlichen Wissenschaft wie folgt beschreibt: "Christum scimus sapientiam. hic thensaurus (sie!) in agro scripturarum nascitur, haec gemma multis emitur margaritis. sin autem adamaueris captiuam mulierem, id est sapientiam saecularem, et eius pulchritudine captus fueris, decalua eam et inlecebras crinium atque ornamenta uerborum cum emortuis unguibus seca. laua eam prophetali nitro et tunc requiescens cum illa dicito: sinistra eius sub capite meo et dextera illius amplexabitur me et multos tibi fetus captiua dabit ac de Moabitide efficietur Israhelitis." Hieronymus 1910, 658.

233

"Für alle Psychologie liegt also über ihrem eigentlichen Gegenstand, der Seele des Menschen, letztlich der Schleier einer nicht aufhebbaren Verborgenheit. Sie vermag es wohl, die seelischen Tatbestände darzustellen, und diese Darstellung ist dann der Inhalt jener Menschenerkenntnis, die von einer rechten Psychologie zu erwarten ist. Aber die letzte Deutung dieser Tatbestände, die Weiterführung der Menschenkenntnis zum wirklichen Menschenverständnis ist nicht mehr ihres Amtes. Versucht sie es dennoch, in weltanschaulicher Weise und aus ihren Voraussetzungen heraus ein solches Menschenverständnis zu entwerfen, greift sie somit über die ihr gesetzten Grenzen einer deskriptiven Phänomenologie hinaus, so wird sie spekulativ und gerät ins Schwanken, ja ins Schwärmen." Thurneysen 1988, 180f.

234

Es geht E. Thurneysen nicht um die Psychologie als solche, sondern um deren 'Anwendung'. Vgl. Thurneysen 1988, 178. "Gäbe es keine Psychologie als Wissen um die innere Natur des Menschen, und keine Psychotherapie als Versuch, ihm Hilfe zuteil werden zu lassen, sie müßten von der Vergebung der Sünden her gefordert und entwickelt werden." Thurneysen 1988, 176. Echte Seelsorge hat der Psychologie "gegenüber auf der Hut zu sein. Sie wird eine strenge Unterscheidung durchführen müssen zwischen den psychologischen Tatbeständen als solchen und den weltanschaulichen Deutungen, die mitlaufen" (Thurneysen 1988, 185). Es ist nur konsequent, daß E. Thurneysen diesen Ausführungen gemäß die Arbeit O. Pfisters äußerst kritisch verfolgte und die 'Analytische

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gerichtet der Psychologie und ihrer Menschenerkenntnis gegenüber. Was überhaupt gilt, gilt auch hier: Das Wort Gottes ist nicht eine Erkenntnisquelle neben andern, es ist der Grund aller Erkenntnis auch in Sachen des Menschenverständnisses. Die Psychologie und ihre Forschung ist damit keineswegs abgewertet. Sie steht in voller Geltung und wir sollen sie brauchen, sollen ihr Gold mit uns führen wie einst Israel das Gold der Ägypter. Aber wenn wir in der Seelsorge nach den Erkenntnissen der Psychologie greifen, so meinen wir damit nicht, daß wir das Verständnis des Menschen, wie es uns aus der Bibel zukommt, dadurch ersetzen oder auch nur ergänzen könnten, sondern unser Gebrauch der psychologischen Erkenntnisse dient nur dazu, das uns im Worte Gottes gegebene Menschen Verständnis daran zu verdeutlichen. Das Wissen um den Menschen, wie die Psychologie es uns vermittelt, gibt das Material ab, an dem das aus der Heiligen Schrift geschöpfte Menschenverständnis zur Entfaltung und zur Anwendung kommt und dadurch wirksam und kräftig wird."237 Wird der 'Primat des aus der Bibel geschöpften Menschenverständnisses' preisgegeben, so tritt nach Auffassung E. Thurneysens in der Seelsorge "unweigerlich eine Verkürzung und Entwertung des ihr gegebenen Auftrages ein"238. "Seelsorge wandelt sich dann in psychologische Beratung mit religiösem Ein-

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Seelsorge' als wenig fundiert ansah. Er schreibt über "das von dem ehemaligen Zürcher Pfarrer Dr. O. Pfister verfaßte Schrifttum" (ebd., 178) - der polemische Unterton dürfte alles andere als rein zufällig sein - wenig freundlich: "Es ist in strenger Anlehnung an die Freudsche Analyse verfaßt und mag von daher gesehen unanfechtbar sein, umso anfechtbarer und ungenügender ist es in theologischer Hinsicht. Pfister ist seinem psychoanalytischen Meister weithin auch weltanschaulich gefolgt, und darüber ist die christliche Substanz auf einige bloß ethische Rudimente zusammengeschrumpft." Ebd. Thurneysen 1988, 179 (Hervorhebung durch Fettdr. M.P.); siehe dazu auch ebd., 182f. Dort heißt es: "Eine Freigabe der Psychologie erfolgt insofern, als mit der über die innere Natur des Menschen getroffenen Bestimmung der Gegenstand der Psychologie festgestellt wird und klar umrissen ist. Sie braucht nicht mehr zu schwanken zwischen Empirie und Spekulation, sie bearbeitet und erhellt die innere Natur des Menschen und bringt sie nach Möglichkeit zur Darstellung. Die Seelsorge aber übernimmt ihre Ergebnisse, um sie in den Dienst der ihr gebotenen Wortverkündigung zu stellen. ... Was es gibt und geben muß, das ist ein christlicher Gebrauch der Psychologie, eine Anwendung ihrer Ergebnisse im Gebiet der Seelsorge der christlichen Kirche. ... Damit will nicht gesagt sein, daß nicht auch der Bereich der natürlichen Erkenntnis, in welchem Psychologie sich ereignet, unter der Macht des Wortes Gottes steht. Er steht freilich darunter! So wahr die ganze Natur und ihre Erkenntnis aus dem Worte Gottes lebt." Thurneysen 1988, 186.

schlag. Es dreht sich alles um: Statt des Wortes Gottes steht die psychologische Betrachtung an erster Stelle. Die Worte des Glaubens, sofern sie noch gebraucht werden, werden ihres Eigengehaltes entkleidet und zu bloßen Symbolbegriffen, die zur Herausstellung rein psychischer Tatbestände verwendet werden." 239 Eine solche 'gewandelte Seelsorge' stellt für E.Thurneysen eine Verkehrung guter Ordnung dar; auf rein psychologischem und psychotherapeutischem Gebiet mag damit Staat zu machen sein, letztlich jedoch bleibt der 'eigentliche' seelsorg(er)liche Auftrag unerfüllt. Seelsorge, die in bloße Beratung 'degeneriert', "hat ihr Erstgeburtsrecht verkauft. Sie ist als pseudomorph anzusprechen, und das Wort aus der Bergpredigt vom dumm gewordenen Salz tritt an ihr in Kraft" 240 . Die Thurneysenrezeption der letzten Jahre konzentriert sich in erster Linie auf die Hauptwerke von 1928, 1946 und 1968; weniger Beachtung erlangten die Publikationen 'zwischen den Zeiten', so z.B. der in der Reihe 'Unterwegs' erschienene Aufsatz 'Psychologie und Seelsorge'241. Hier schlägt E. Thurneysen der Psychologie gegenüber einen etwas gelasseneren Ton an, obwohl (oder gerade weil) er bei seiner Forderung nach strikter Grenzziehung bleibt.242 Er betont allerdings, Anthropologie könne "weder rein geistlich noch rein medizinisch-biologisch entworfen werden. Denn der Mensch ist, und zwar der kranke wie der ge-

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Thurneysen 1988, 186 (Hervorhebung durch Fettdr. M.P.). - Symbole scheinen für E. Thurneysen nur ein schwacher Abglanz der tatsächlichen Wirklichkeit zu sein, und so erhält seine Rede in bezug auf dieselben unüberhörbar despektierlichen Klang. Dazu ganz anders D. Stollberg (siehe z.B. Stollberg 1969b, 151) oder auch J.Scharfenberg (siehe z.B. Scharfenberg 1974, Scharfenberg/Kämpfer 1980 u. Scharfenberg 1985, 44ff„ 60ff„ 85ff„ u. 146ff. sowie Schall u.a. 1982, 321ff.) Der mögliche Einwand, letztere seien durch eine ganz andere 'Schule' gegangen und hätten es im Umgang mit Symbolen als Kinder ihrer Zeit von vornherein leichter als der Dialektiker E. Thurneysen als Kind seiner Zeit, vermag nicht zu überzeugen, betrachte ich die Ausführungen O. Pfisters zum Thema 'Symbolismus' aus dem Jahre 1913 (vgl. hier Pfister 1924, 242ff.).

240 241 242

Thurneysen 1988, 187. Thurneysen 1949. E. Thurneysen beginnt seine Ausführungen mit der Frage: "Woher kommt es, daß wir heute wieder viel freier und ruhiger über die Beziehungen zwischen Psychologie und Seelsorge miteinander reden können als es vielleicht noch vor ein paar Jahren möglich war? Wir befürchten nicht mehr von vornherein Einbrüche des Einen in das Gebiet des Andern. Wir wissen um die Grenzen, die uns gesteckt sind, aber diese Grenzen trennen nicht nur, sie verbinden auch." Thurneysen 1949, 267.

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sunde, ein Ganzes" 243 . Demgemäß ist auch die Verantwortung, die es bei Beschäftigung mit diesem Menschen zu übernehmen gilt, immer ganzheitlich orientiert.244 E.Thurneysen weist in diesem Zusammenhang auf die rasante Entwicklung im Bereich der psycho-somatischen Forschung/Medizin hin und betont die Notwendigkeit der Erfassung und Berücksichtigung der Zusammenhänge des Leiblichen mit dem Seelischen. 245 Dabei bleibt es jedoch nicht. Geht es doch in der Seelsorge als "persönlich geschehende(r) Verkündigung des Wortes Gottes von Mensch zu Mensch" 246 immer auch darum, den Menschen als Geschöpf und Kind Gottes anzusprechen.247 Denn: "Der totalen Anschauung vom Menschen entspricht die totale Seelsorge und der ihr entspringende Trost für Leben und Sterben, von dem keiner ausgeschlossen ist." 248 Fazit: Dem von E.Thurneysen hier eingebrachten Ganzheitsbegriff gemäß wird die Psychologie - ebenso wie in früheren Ausführungen als Hilfsmittel erkannt. Nun aber heißt es in gewisser Weise durchaus anerkennend: "Gibt es ... für den, der es mit Menschen zu tun hat, eine andere Möglichkeit, als sich der Psychologie zu bedienen als des wichtigsten Hilfsmittels zum Verständnis der jeweiligen Lebenslage eines Menschen?" 249 - Nichtsdestoweniger, der Seelsorge wird ein 'Mehrwert' zuerkannt; sie hat ein 'Überschießendes' und führt "an den Ort, wo wir

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Thurneysen 1949, 267. Vgl. Thurneysen 1949, 267. Vgl. Thurneysen 1949, 270f. Thurneysen 1949, 275 führt aus: "... die Seele lebt als Seele ihres Leibes, der Leib als Leib seiner Seele." - Zur 'Leib-Seele-Dyade' und damit 'Leib-Seele-Einheit' bei E.Thurneysen siehe Thurneysen 1959, bes. 259ff. Thurneysen 1949, 271 (Erg. in Kl. M.P.). Vgl. Thurneysen 1949, 270. Thurneysen 1949, 272. Thurneysen 1949, 270. Eine Seite weiter im Text heißt es: "Nicht tief, nicht eindringend genug kann der Seelsorger, um seine Botschaft recht auszurichten, um echtes Menschenverständnis ringen. Und wie sollte er da nicht mit Begier greifen nach dem, was die heutige Psychologie und die darauf begründete Deutung des menschlichen Daseins ihm zu geben hat?" - Im so vorgestellten Zusammenhang wird der Begriff 'Menschenverständnis' von E. Thurneysen verhältnismäßig 'unkritisch' verwandt. Es geht hier (ebenso wie bei Thurneysen 1928, 212) um das bessere Verstehen des Menschen (gen. obj.) und nicht um ein spezifisches Verständnis vom Menschen. In gewisser Weise fällt E.Thurneysen, der an dieser Stelle einerseits gleichsam eigene Vorstellungen überholt, damit andererseits zumindest was die Klarheit der Begriffe anlangt - hinter seine Ausführungen von 1946 (siehe Thurneysen 1988, 185f.) zurück.

das ganz Andere erkennen, das, was keine Psychologie und Biologie uns sagen kann" 250 . In 'Seelsorge und Psychotherapie', einem im Frühjahr 1950 anläßlich einer Tagung von Seelsorgern und Ärzten in Düsseldorf gehaltenem Vortrag 251 , bezeichnet E.Thurneysen Psychologie und Psychotherapie als "Helfer" 252 bei der "Neuordnung des inneren Haushaltes des Menschen" 253 . Beide werden dabei als normative Größen erkannt, die sich nicht in der bloß beschreibenden Darstellung ihres Gegenstandes erschöpfen. 254 Allein - die innere Not des Menschen 255 gebietet die Berücksichtigung psychologischer Erkenntnisse.256 E. Thurneysen stellt fest, "daß Psychotherapie und Seelsorge in der Bewegung einer Annäherung zueinander begriffen sind"257. Beide kommen einander entgegen, um dem in Not geratenen Menschen zu helfen. Nicht nur der Seelsorger bedarf der Kenntnis im Bereich des Psychologischen, sondern "auch der Psychotherapeut verlangt in steigendem Maße nach Zusammenarbeit mit dem Seelsorger. Er stößt nämlich bei der Bearbeitung der innern Natur des Menschen auf Tatbestände und Fragen, die metabiologischer und metapsychologischer Art sind."258 Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es "einer Auffassung und Schau des Menschen, die den psychosomatischen Bereich des Lebens transzendiert. Es wird eine Anthropologie sein müssen, die über die bloß natürliche Anthropologie hinausgreift in eine neue, dem Bios und der Psyche gegenüberliegende, dritte 250 251 252 253 254 255

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Thurneysen 1949, 276. Thurneysen 1950. Thurneysen 1950, 3. Thurneysen 1950, 3. Vgl. Thurneysen 1950, 3. E. Thurneysen vergleicht die Menschen seiner Zeit mit "einem Schwärm von Vögeln, der durch den Schuß eines Jägers aufgeschreckt ist und nun unruhig in der Luft flattert und nicht weiß, wo er sich niederlasssen soll" (Thurneysen 1950, 4). Auch zur Veranschaulichung dieses Sachverhalts benutzt E. Thurneysen ein Bild: Die innere Natur des Menschen erscheint als weite, unwirtliche Landschaft, welche von der Psychologie erkundet wird. Der Mensch ist der Wanderer, der diese 'Seelenlandschaft' durchschreitet. Er bedient sich dabei der Hilfen der Psychologie, die eine 'Seelenlandkarte' bereitstellt. Abgründe und Unwegsamkeiten werden dort verortet. Kommt der Wanderer dennoch vom Weg ab, bietet die Psychotherapie Orientierungshilfe. Sie löst aus Verschlingungen und stärkt den Mut zur Fortsetzung der Wanderschaft. Die Hauptsache jedoch ist der Wanderer bzw. das Geheimnis seines Ichs. Er geht - von weither gerufen - seinen Weg, der letztlich zur Freiheit (zu Gott) führt. Vgl. Thurneysen 1950, 22. Thurneysen 1950,4. Thurneysen 1950, 4.

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Dimension, in die Dimension des Glaubens und der vom Glauben her sich erschließenden göttlichen Wirklichkeit einer Anthropologie, die den Menschen von daher versteht und seine Lebensprobleme von daher aufgreift." 259 Auch hier wird wieder unterschieden zwischen Diesseitigem und Zukünftigem, zwischen Vorläufigem und Eigentlichem. Die Psychologie kennt und stellt viele Fragen, aber die Antworten zu geben, ist sie nicht imstande; diese kommen von "anders woher" 260 , eben von Gott, aus der 'dritten Dimension'.261 Diese ist die eigentliche Domäne des Seelsorgers, die er auf keinen Fall außer acht lassen darf. "Psychologisierende und Psychiatrie statt Seelsorge übende Pfarrer - das ist etwas vom Allerschlimmsten! Das führt zu einem Absturz nach zwei Seiten hin." 262 Wer als Seelsorger psychologische Beratung oder womöglich gar psychiatrische Behandlung durchführt, steht zum einen in der Gefahr, seinen 'amtlichen' Auftrag zu vernachlässigen, und zum anderen gerät er fast zwangsläufig in den Sog eines gefährlichen Dilettantismus. 263 Beidem ist dadurch zu wehren, daß man sich dem Eigenen und Eigentlichen zuwendet. Im Vorwort zu seinem Aufsatz 'Der Mensch von heute und das Evangelium' 264 schreibt E.Thumeysen 1963: "Die neue Seelsorge muß sich lösen aus allen klerikalen und moralistischen Verengungen. Sie muß sich ganz neu ausrichten lassen auf die Botschaft vom kommenden Reich und sie muß geschehen in echter Begegnung mit dem Menschen von heute im Horizont der Hoffnung." 265 Wieder einmal ist der grund-

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Thumeysen 1950, 5. Thurneysen 1950, 6. "So sind wir von der Psychologie selber her hingewiesen auf den Bereich des Glaubens. Und damit stehen wir vor der Tür, über der geschrieben steht: Seelsorge. Diese Tür muß sich öffnen, und zwar in einer neuen und lebendigen Weise öffnen. Es genügt nicht, daß der Mensch in seiner seelischen Not nur von der Psychologie und ihrer Therapeutik her angeredet wird. Es bedarf einer Anrede noch ganz anderer Art, eben der Anrede vom Glauben her. Um diese Anrede ginge es in der Seelsorge." Thurneysen 1950, 8f. Thumeysen 1950, 10 (Hervorhebung M.P.). Vgl. Thurneysen 1950, 10. Thurneysen 1964. Thurneysen 1964, Vorwort (nicht paginiert). - Es fällt auf, daß E. Thurneysen sich in diesem Zusammenhang, wie eigentlich auch sonst in seinem Werk, kaum zur Methodenfrage äußert. 'Was' es zu tun gilt, wird klar definiert; 'wie' dabei vorzugehen ist, bleibt letztlich unerörtert. Vgl. Wintzer 1978, XXXII. Dies ist ein deutliches Manko der Seelsorgetheorie E. Thurneysens, das auch nicht dadurch aufgewogen wird, daß die Frage nach der "Theologiekompetenz der Seelsorge" (ebd.,

sätzlich dichotome Ansatz E. Thurneysens deutlich zu erkennen. Auf der einen Seite steht der Mensch von heute als Bürger dieser Welt, auf der anderen erscheint die Botschaft vom Reich. 266 Wo aber diese Botschaft (auf) den Menschen trifft, wird die Dichotomie überwunden bzw. in ein zweiseitiges neues Ganzes umgewandelt. Es kommt zu einer 'Horizontverschmelzung' im Akt echter Begegnung. Der Mensch von heute wird zum 'Bürger zweier Welten' bzw. zum Weltbürger, der bereits jetzt an der zukünftigen neuen Welt Gottes partizipiert. Unter dieser Voraussetzung kann menschliche Existenzanalyse267 nur mehr bedingt erhellend sein. Im letzten kann nur das Wort Gottes zur wahren Erkenntnis führen, denn "nicht von unten, nicht aus irgendeinem wie immer gearteten Vorverständnis gewinnen wir wirkliches Menschenverständnis, sondern nur von der Heiligen Schrift her, wobei alles, was die moderne Psychologie und Philosophie, vor allem aber die Geschichtswissenschaft zu sagen hat über unsere Lage als Menschen dieser Zeit und Welt, unentbehrlich ist zur Erlangung des Bildes vom Menschen von heute, eines Bildes, das doch erst dann zu uns redet, wenn es mit seinen dunklen Umrissen in das Licht des Wortes Gottes gerückt und damit transparent wird." 268 Unentbehrlich werden Psychologie, Philosophie und Geschichtswissenschaft hier genannt, unentbehrlich allerdings wieder einmal als Hilfswissenschaft. Auch 1963 ist eine psychologisierte Seelsorge in den Augen E. Thurneysens degenerierte Seelsorge.269 Diagnostische Erkenntnisse kann und soll der Seelsorger aus und durch die Psychologie seiner Zeit

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XXVIII) hier nicht nur gestellt, sondern auch sachbezogen und überzeugend beantwortet wird. Selbstverständlich erscheint die 'Botschaft vom Reich' verbal vermittelt. Es darf dabei jedoch nicht außer acht gelassen werden, was Hoch 1977, 12 - ja nun gerade auch in Auseinandersetzung mit E. Thurneysen - ausführt: "Es gibt kein 'reines' Wort und kein abstrakt reines 'Vehiculum', sondern so gewiß Jesus Christus wirklich Mensch geworden ist und unsere Lebensbedingungen angenommen hat, um uns zu erreichen, so gewiß inkarniert sich 'DAS WORT' auch heute in unseren menschlichen Bedingungen." Gemeint sind: in erster Linie das denkerische Werk M. Heideggers, die Psychologie C.G. Jungs und die Anthroposophie R.Steiners. Vgl. Thurneysen 1964, 7. Thurneysen 1964, 7. Die herkömmliche Seelsorge seiner Zeit leidet für E. Thurneysen unter einer dreifachen Gefangenschaft: sie ist unheilvoll klerikalisiert, maßlos moralisiert und eben psychologisiert, was s.E. immer auch Substanzverlust bedeutet. Vgl. Thurneysen 1964, 17f. Zum Letzten vgl. ganz ähnlich Tacke 1979, 148 u. 1989g, 125ff., bes. 127.

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gewinnen, zur eigentlichen Therapie aber ist er nicht gerufen. 270 Seine Berufung liegt woanders:271 "Er soll das Heil Gottes verkündigen, indem er zum Reiche Gottes ruft. Daß dann von der Seelsorge auch heilende Kraft ausgehen kann und wird, sei wahrhaftig nicht bestritten." 272 Die 1968 erschienene 'Seelsorge im Vollzug' 273 streift das Problem des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie nur mehr am Rande. Die Bemühungen von Psychologie und Psychiatrie werden von E. Thurneysen durchaus gewürdigt274, sind jedoch nach wie vor in erster Linie Instrument zur Aufdeckung der "Folgen unserer Abwendung von Gott und damit den in vielerlei Gestalten aufsteigenden seelischen Mächten und Konflikten ..., die uns durcheinanderbringen und verwirren"275. Die Beseitigung seelischer Not durch therapeutische Mittel wird keineswegs geringgeschätzt, sondern als "etwas Großes" 276 betrachtet. "Aber letztlich ist es doch der Ruf zum Reich Gottes, der den Menschen die entscheidende Hilfe bringt." 277 Auch in dem 1969 gehaltenen und 1971 gedruckten Vortrag 'Erwägungen zur Seelsorge am Menschen von heute' 278 bleibt E. Thurneysen seiner 'Idee' von der Hochwertigkeit und 'Prae-valenz' des Wortes Gottes treu; wo Seelsorge zu rein zwischenmenschlichem Tun ohne Verkündigungsgehalt wird, erscheint sie ihm haltlos, "wodurch Begegnung und Dialog aller Substanz verlustig gehen und in Unverbindlichem stekken bleiben könnten" 279 / 280 . Wahrhaft 'substantielle' Seelsorge - in

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Speziell die Psychoanalyse ist für E. Thurneysen in erster Linie ein "Diagnose-Instrument und erst in zweiter Linie eine Behandlungsmethode" (de Quervain 1977, 38); letzteres aber auch nur für Psychotherapeuten und Psychiater etc. Vgl. Thurneysen 1964, 18. Thurneysen 1964, 18. Einige Zeilen später heißt es abschließend: "Arzt und Seelsorge sollen zusammenwirken, aber es soll einer den andern nicht ausschalten wollen. Und darum gilt es auch, daß wir Seelsorger immer wieder nach Ärzten ausschauen, die auf dem Boden der Gemeinde stehen und die dann auch ihrer Psychotherapie Türen zu öffnen vermögen, die zum Glauben und damit zum Reiche Gottes hinführen." Thurneysen 1968. Vgl. Thurneysen 1968, 69. Thurneysen 1968, 68. Thurneysen 1968,73. Thurneysen 1968, 73 (Hervorhebung M.P.). Thurneysen 1971. Thurneysen 1971, 214. So sehr E. Thurneysen die Bedeutung des Wortes betont, so deutlich warnt er davor, Menschen mit Seelsorgeworten 'abzuspeisen'. "Seelsorge muß immer auch

Thurneysenscher Diktion "echte Seelsorge"281 - gibt es nur dort, wo angesichts des von Gott entfremdeten Menschen 282 "das große Vonvornherein Gottes"283 angesagt und "zum Anruf an den einzelnen" 284 wird. Christlicher Seelsorge geht es nun einmal primär um das eine: "die Botschaft des Glaubens"285, und eben darin "unterscheidet sie sich von aller bloßen Psychologie und Psychiatrie"286. Letztere sind zwar hilfreich, aber bleiben dennoch Hilfswissenschaften. Als solche tragen sie durchaus dazu bei, "das Spielfeld des Lebens zu ebnen"287. Das eigentliche Spiel aber, "das nun beginnen muß, ist demgegenüber etwas Besonderes und Eigenes"288; sein Verlauf wird weder durch psychologische noch durch soziologische Mittel bestimmt.289 Betrachte ich das Gesamt der vorgestellten Aussagen E.Thurneysens, so komme ich zu folgendem Schluß: Psychologie und Psychotherapie führen s.E. womöglich zur Heilung-, sie sind diesseitsorientiert und erarbeiten zunächst einmal rein wissenschaftliche Fakten. 290 Die Seel-

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zur Fürsorge werden." Thurneysen 1971, 225. Sie betrifft das Ganze der menschlichen Existenz und nicht nur einzelne ihrer Teile. Thurneysen 1971,221. Nach E. Thurneysen geht es in der Seelsorge in erster Linie um die Durchbrechung menschlicher Entfremdung Gott, sich selbst und dem Nächsten gegenüber. Vgl. Thurneysen 1971, 212. Der Seelsorgeakt ist demgemäß ein regelrechter 'Wiederaneignungsprozeß', dem die Entmachtung göttergleicher Kräfte und Gewalten (Kratien, Ideologien und Ismen aller Art - wie z.B. Mammonismus und Absolutismus) voraufgeht. Vgl. dazu ebd., 223. Das Motto Thurneysenscher Seelsorge lautet deshalb nicht von ungefähr mit EKG 233,8: '"Die falschen Götter macht zu Spott, der Herr ist Gott, der Herr ist Gott!'" Ebd. 'Gebt unserm Gott die Ehre!' Thurneysen 1971, 214. Thurneysen 1971, 220. Thurneysen 1971, 221. Thurneysen 1971, 221 (Hervorhebung M.P.). Thurneysen 1971, 221. Thurneysen 1971, 221. Vgl. Thurneysen 1971, 221. Die Psychologie ist in den Augen E. Thurneysens eben "nichts anderes und darf nichts anderes sein als eine phänomenologisch vorgehende Naturwissenschaft, die rein wissenschaftliche Fakten erarbeitet und deren anthropologische Feststellungen vor metabiologischen, metapsychologischen, metaphysischen Fragen enden" (Riess 1973, 171). "Seelsorge lehrt den Menschen eschatologisch sehen, Psychologie sieht am Menschen, was vor Augen ist." Bohren 1982, 223. Solange die Psychologie/Psychotherapie dieses Umstandes eingedenk auf dem Boden sachlicher Arbeit verbleibt und sich ausschließlich dem Bereich der Heilung zuwendet, ohne dem Glauben widerstreitende weltanschauliche Deutungen vor- bzw. anzu-

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sorge hingegen dient dem menschlichen Heil und ist damit immer auch 'zukunftsorientiert'291 oder besser gesagt transzendent. 292 Selbstverständlich dürfen beide Größen (Heilung und Heil ebenso wie Psychologie und Theologie/Seelsorge) nicht einfach auseinanderdividiert werden, denn zumindest nominell handelt es sich bei ihnen immer um ein komplexes 'Entsprechungsverhältnis'. 293 Letzteres wird ganz besonders deutlich in der Thurneysenschen Seelsorgepraxis 2 9 4 , die die ambivalente Grundhaltung der Psychologie gegenüber bzw. die alternative Gegenüberstellung von Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie zu überwinden versucht. 295 Selbstverständlich darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß es hier niemals zu einer völligen Gleichrangigkeit von Seelsorge und Psychologie kommt, ja im letzten nicht einmal kommen kann (es sei denn, ein Seelsorger handelt pflichtvergessen und nicht seinem originären Auftrag gemäß). 296 Die von E.Thurneysen immer wieder herausgestellte "Prävalenz des Wortes Gottes" 297 führt zwangsläufig zu einer deutlichen Relativierung der Psychologie sowie deren Nachbarwissenschaften. Letztere klären zwar notwendige 'Vorfragen', stellen jedoch keine heilsnotwendigen 'Grundfragen' und bieten

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nehmen, ist sie als wertvolles Hilfsmittel zu betrachten. Vgl. Riess 1973, 170. Nur 'proflexiv' darf sie nicht sein, das kommt allein der Seelsorge zu, die immer dazu anleitet, den Vorgang bloßer 'Reflexion' zu transzendieren. Von einer 'Jenseitsorientierung' der Seelsorge spricht E.Thurneysen meines Wissens (bewußt?) nicht. Das wäre auch - angesichts der futurischen und präsentischen Ausrichtung eschatologischer Existenz - wenig stringent, ganz abgesehen davon, daß Theologie als Vertreterin von 'Jenseitskategorien' mehr als genug desavouiert worden ist. Vgl. dazu auch Thurneysen 1968, 85ff. u. 197f. u. 1988, 197ff. - Das Verhältnis von 'Heil' und 'Heilung' ist in den letzten Jahren vielfach zur Sprache gekommen. Die Frage, inwieweit sich theologische und psychotherapeutische Aussagezusammenhänge über das Heil respektive das Unheil des Menschen als Psyche überhaupt decken, wurde jedoch erst spät gestellt. Vgl. dazu Bach 1980, 4. Die Ausführungen H. Bachs konzentrieren sich auf die theologisch-soteriologischen Implikationen der Seelenheilkunde S.Freuds und C.G.Jungs; beide Ansätze wurden von E. Thurneysen wahrgenommen und mit beiden setzt er sich auseinander - sei es auch manchmal, indem er sie und sich 'auseinander setzt'. Vgl. dazu Bohren 1982, 222. Vgl. dazu die sehr persönlichen Ausführungen bei Hoch 1977, 9f. Vgl. Riess 1973, 172. Wie sollte es auch anders sein bei einer Theologie, die sich als Wort-GottesTheologie versteht, welche vom Wort herkommend mit allen menschlichen Worten auf das eine göttliche Wort hinzielt? Vgl. Riess 1973, 172. Wintzer 1978, XXXII.

erst recht keine Antworten auf diese. 298 Die Psychologie kann und darf demgemäß nichts anderes als Hilfsdisziplin sein, ist sie doch in den Augen E. Thurneysens 'heilende' und nicht aus sich heraus 'heilsame' Wissenschaft.

D. Stollberg: Kontextuelle Prägungen Die Überlegungen D. Stollbergs zum Problem der Verhältnisbestimmung von Theologie und Humanwissenschaften ganz allgemein - bzw. im besonderen von Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie - nehmen ihren Ausgangspunkt 1968 in der Frage danach, was Pastoralpsychologie sei.299 Unter Verweis auf P. Tillich und K.Frör kommt D. Stollberg zu dem Schluß, daß Pastoralpsychologie auf keinen Fall "theologisch gefärbte Pseudopsychologie"300 darstelle, die ihr Eigendasein neben einer säkularen psychologischen Disziplin führe; es gehe vielmehr um ein System mit gleichwertigen Gesprächspartnern, in dem die Pastoralpsychologie in erster Linie erkenntniskritische Funktion im Rahmen systematisch-theologischer Arbeit übernimmt. 301 Vom Standpunkt kirchlicher Praxis aus wird demgemäß definiert, daß Pastoralpsychologie "Psychologie im Dienste der Glaubenserkenntnis"302 sei. Praktische Theologie, die sich als empirisch-systematische Wissenschaft und damit als einen Ort der Vermittlung von Theologie und Kirche bzw. von Lehre und Leben versteht, darf nach D. Stollberg auf diese keinesfalls verzichten. Es muß allerdings gewährleistet sein, daß die Einbeziehung pastoralpsychologischer Erkenntnisse nicht zu einer Preisgabe des Amtes der Versöhnung zugunsten einer Art 'Amateurpsychotherapie' gerät. 303 Dort aber, wo die Theologie 'Eigenprofil' wahrt, wird die Pasto298

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Die 'Vorfragen' sind für die Lebenserhaltung des Menschen gewiß relevant; die 'Grundfrage' nach dem Gottesverhältnis jedoch stellt für E. Thurneysen die einzig zentrale Frage dar. Vgl. Wintzer 1978, XXX. An ihrer Beantwortung bemißt sich die Lebensqualität des - auf jeden Fall - zu erhaltenden Lebens. Siehe dazu Stollberg 1968. Stollberg 1968, 211. Vgl. Stollberg 1968,211. Stollberg 1968, 211. Vgl. Stollberg 1968, 214. - D. Stollberg zitiert hier W. Herrmann, G. Lautner und J. Smart.

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ralpsychologie als Psychologie im Dienste kirchlicher Praxis zur 'Erkenntnishilfe1 - und das in dreifachem Sinne: Sie macht vertiefte theologische Erkenntnis möglich, trägt zu größerer Menschenkenntnis bei und verhilft als "Psychologie im Dienste pastoraler Selbsterkenntnis"304 zu ausgeprägterem 'Selbstverständnis'.305 So gesehen ist die Pastoralpsychologie keineswegs nur Hilfswissenschaft der Poimenik, sondern "Psychologie für die gesamte Praxis der Kirche"306. Sie erwächst als selbständige Größe aus der kirchlichen Praxis, für die sie eigenständig ihren wissenschaftlichen Beitrag leistet. Seit 1969 stehen die Beiträge D. Stollbergs unter der programmatischen Überschrift 'Therapeutische Seelsorge'307 und kulminieren in der Feststellung, Seelsorge sei "Psychotherapie im kirchlichen Kontext" 308 / 309 . Die Unterscheidung zwischen 'generellem' und 'spezifischem' Proprium der Seelsorge310 nimmt dabei weiten Raum ein und soll deshalb wenigstens kurz nachgezeichnet werden. In der Stollbergschen Dissertation311, in der es um die Darstellung und Kritik der amerikanischen Seelsorgebewegung geht, wird das generelle Proprium christlicher Seelsorge noch als dogmatisch bestimmtes und das spezifische Proprium als ein solches allgemeinmenschlicher Art vorgestellt.312 Ersteres unterscheidet die Seelsorge von säkularer Psychotherapie, denn insofern die Kirche - und damit dann auch die Seelsorge - ein auf Christus bezogenes Mandat vertritt, besitzt sie theologisch bestimmbare Motive und Intentionen.313 Geprägte (und damit auch spezifizierbare) Überzeugungen 314 gestalten so die empirische 304 305 306 307 308 309 310

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Stollberg 1968, 215. Vgl. Stollberg 1968,215. Stollberg 1968, 216. Stollberg 1969b. Stollberg 1972, 33 (ähnlich 63) u. 1978a, 29 sowie 1978b, 43 u.ö. D. Stollberg verwies inzwischen selbst darauf, daß derartige Feststellungen und damit eben auch Festlegungen mißverständlich sind. Vgl. Stollberg 1978b, 41. Die Rede vom 'generellen Proprium' erscheint mir in sich widersprüchlich und ebenso widersinnig wie die vom schwarzen Schimmel; stellt doch ein Proprium immer etwas Spezifisches und nichts allgemein Verbindliches dar. Stollberg 1969b. Vgl. Stollberg 1969b, 157. - Diesen Ausführungen diametral entgegengesetzt erscheinen diejenigen bei Stollberg 1978a, 20ff. u. 29ff., wo die 1969er Begriffe 'generell' und 'spezifisch' miteinander vertauscht werden. Vgl. dazu im einzelnen Stollberg 1969b, 155ff. Es handelt sich dabei sowohl um "ein theologisches Vorverständnis der Weltwirklichkeit" (Stollberg 1969b, 149) als auch um "ein ekklesiologisches Selbstver-

Wirklichkeit von Kirche im allgemeinen und von Seelsorge im besonderen.315 Das spezifische Proprium christlicher Seelsorge erkennt D. Stollberg in der Kommunikation als wesentlicher Existenzform des Menschen. 316 Diese bedient sich verschiedener Ausdrucksmöglichkeiten; es gibt verbale und nonverbale Kommunikationsformen, deren Formalstruktur allen Menschen gemeinsam ist, während die inhaltliche Determinante jeweils variabel bleibt. 317 So können die unterschiedlichen Kommunikationsmodi durchaus paränetischen, aber auch diakonischen, didaktischen, therapeutischen oder missionarischen Charakter tragen.318 "Wenn sich die Kommunikationsmodi nicht gegenseitig ausschließen, dann ist es lediglich eine Frage der durch den systematisch-perspektivischen Rahmen bedingten Akzentsetzung, ob man eine Predigt als Seelsorge oder eine therapeutisch-kommunikative Seelsorge letztlich als Predigt versteht."319 Für D. Stollberg gibt es demgemäß kein alternatives Gegenüber von Wort und Heilung. 320 Verkündigung ist so auf ihren therapeutischen Aspekt hin zu prüfen wie die Therapie auf ihren verkündigenden. Es ist nur folgerichtig, daß in der 'Therapeutischen Seelsorge' ständnis" (ebd.). Das generelle Proprium erscheint als theologischer '"Überzeugungshintergrund'" (ebd., 154) mit eschatologischen Zügen, der auf Begründungen, Zielsetzungen und Gesamtbewertungen therapeutischer Prozesse im kirchlichen Kontext (in der Diktion D. Stollbergs 'Seelsorge') Einfluß nimmt. Vgl. dazu auch ebd., 149. Der in diesem Zusammenhang verwandte Ausdruck 'Überzeugungshintergrund' mag befremdlich erscheinen; er entspricht jedoch der generellen referentiell-kontextuellen Prägung D. Stollbergs. Vgl. dazu auch Stollberg 1978b, 43, wo ebenfalls vom Glauben als weltanschaulichem 'Hintergrund' die Rede ist. 315

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Vgl. Stollberg 1969b, 149. - D. Stollberg verweist an dieser Stelle darauf, daß keineswegs von vornherein gesagt sei, daß der Seelsorger im Gegensatz zum Psychotherapeuten seine Glaubensüberzeugung im therapeutischen Prozeß funktional einsetzen müsse. Außerdem sei es fraglich, ob überhaupt ein Mensch - gleich auf welchem Sektor - völlig losgelöst von seinen Überzeugungen handeln könne. Vgl. Stollberg 1969b, 150. Vgl. Stollberg 1969b, 150. - "Die Grundelemente der Kommunikation sind Erfahrungswerte repräsentierende Symbole verbaler und nichtverbaler Art, welche die Kommunikationsmodi inhaltlich determinieren. Sie sind deshalb variabel, weil die Kommunikation von Erfahrung und Symbol, also die Sprachbildung (im weitesten Sinne des Wortes, besser: Ausdrucksbildung o.ä.), von Gruppe zu Gruppe (Milieu zu Milieu, Volk zu Volk, Kultur zu Kultur etc.) variiert." Ebd., 151. Vgl. Stollberg 1969b, 152. Stollberg 1969b, 152. Ich könnte auch sagen, daß weder das in, mit und unter dem Wort angesagte Heil als erratischer Block neben real-faktischer Heilung noch die nachweisbare Heilung abgekoppelt vom verheißenen Heil betrachtet werden darf. Beides gehört zusammen. Vgl. dazu Stollberg 1972, 28: "Gnade muß 'empirisch' werden."

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demgemäß der Unterschied zwischen konventionellem Beichtgespräch mit nachgängiger Absolution und psychotherapeutischer Sitzung oder einem intensiven Gespräch zwischen Freunden als bloßer '"Stilunterschied'"321 gewertet wird. 322 Nichtsdestoweniger (oder vielleicht gerade deshalb) kommt es D. Stollberg darauf an, Seelsorge, die eindeutig Gesprächscharakter aufweist, vom Gespräch zu unterscheiden. Ein Gespräch - auch unter Christen - wird erst durch seine spezifische Funktion im Rahmen der interpersonalen Kommunikation zur Seelsorge. Diese Funktion kann als diakonisch-therapeutische oder eventuell missionarische bestimmt sein, ihre inhaltliche Füllung erfährt sie auf jeden Fall durch die Konkretion des generellen Propriums. 323 Letzteres stellt kein endgültig fixiertes bzw. fixierbares Objektivum dar, sondern realisiert sich jeweils neu im spezifischen Charisma des Amtsträgers. 324 Der Schnittpunkt beider Seelsorgeproprien liegt also in ihrer empirisch-personalen Konkretion,325 wobei die theologische Dimension, bezogen auf Motivation und Intention, im Seelsorgeakt situationserschließend und situationsverändernd wirkt. Dabei ist zweierlei wichtig: Zum einen die Tatsache, daß christliche Seelsorge in der Perfektizität des Heils gründet und von der Hoffnung auf das eschatologische Heilsereignis in Jesus Christus lebt. Sie will in diesem Sinne "Werkzeug des Christus praesens" 326 sein und ein Glaubensgeschehen mit pneumatologischem Charakter begründen. Zum anderen darf nicht außer acht gelassen werden,

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Stollberg 1969b, 152. Bei Stollberg 1969b, 152f. heißt es betont: "Kein 'Stilunterschied' ist es allerdings, ob ich mich in einem Fall für diesen oder jenen Modus entscheide, wenn ein Modus der Kommunikation förderlicher als der andere ist. Hier spielt das Moment ethischer Verantwortung herein, das in den Bereich des generellen Propriums verweist." Vgl. Stollberg 1969b, 153. Vgl. Stollberg 1969b, 154. - "Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Seelsorgewirklichkeit nicht einseitig durch die Person des Seelsorgers, sondern ebenso durch die des Pastoranden bestimmt wird. Sie realisiert sich in der Begegnung, die wiederum auf die einzelnen, die sie prägen, zurückwirkt. Hier ist auch der Ort der Gemeinde als eines Faktors kirchlicher Seelsorge. Seelsorge kommt gerade dadurch zustande, daß eschatologisch bestimmter Glaube und empirischnatürliche Vorfmdlichkeit eine personal-kommunikative Realisation erfahren." Ebd., 155. Seelsorge ist letztlich ein Vorgang im Wechselspiel von Person(en), Begegnung und Situation, wobei das generelle Proprium stärker dem Individuum, das spezifische stärker der Begegnung zuzuordnen ist. Vgl. ebd., 157. Vgl. Stollberg 1969b, 151, Anm.13 u. 153ff., bes. 154, Anm. 20. Stollberg 1969b, 156.

daß gerade christlicher Seelsorge "medialer Charakter" 327 zu eigen ist. Nicht die Seelsorge schafft Heil, sondern Gott bedient sich - so er denn will - der Seelsorge, "um 'in, mit und unter' der Gestalt seiner Kirche die Schöpfung zu erlösen"328. Der allein Handelnde ist Gott, und die Aufgabe der Seelsorge/des Seelsorgers besteht darin, das sich perfektisch, präsentisch und futurisch darstellende Heilshandeln dieses Gottes zu verkündigen. Es versteht sich für D. Stollberg von selbst, daß diese Aussage nicht 'verbalistisch' mißverstanden werden darf. 329 Verkündigung ist "Kommunikation aller Art"330, die darauf abzielt, "dem Menschen zur Realisierung seines Menschseins auf dem Ermöglichungsgrund des Christusereignisses zu helfen" 331 . Als Maßstab fungiert dabei die christliche Anthropologie.332 Nicht minder deutlich vertritt D. Stollberg sein 'Seelsorge-Kontextmodell' in dem Aufsatz 'Seelsorge und Psychotherapie - zwei Wege, ein Ziel?' 333 . Auch hier wird von struktureller Gleichartigkeit bzw. Vergleichbarkeit von kirchlicher und nicht-kirchlicher Seelsorge (Psychotherapie) ausgegangen; verschieden erscheint nur der jeweilige Rahmen, "der kirchliche oder nicht-kirchliche Kontext"334. Generelles und spezifisches Seelsorgeproprium werden wie in der 'Therapeutischen Seelsorge' voneinander abgegrenzt bzw. aufeinander bezogen. 335 Auch hier erscheint die kirchliche Seelsorge als der Ort des personal-kommunikativen Zusammentreffens von eschatologisch orientiertem Christusglauben und empirisch-vorfindlicher Existenz des Menschen. 336 Seelsorge und Psychotherapie sieht D. Stollberg in erster Linie verbunden durch das Interesse am 'Sprachgeschehen' in konkreter Situation, ich könnte auch sagen, durch das Interesse am kommunikativen Akt. 337 Dieser muß, soll er den Menschen existentiell betreffen, so ausgestaltet sein, daß Partizipation an subjektiv Erfahrenem möglich wird. Es ist "dem Christen aufgegeben, das Erfahrene so zu übermitteln, daß auch andere daran teilhaben - und

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Stollberg 1969b, 156. Stollberg 1969b, 156. Vgl. Stollberg 1969b, 156. Stollberg 1969b, 156 (Hervorhebung M.P.). Stollberg 1969b, 157. Vgl. Stollberg 1969b, 156. Stollberg 1969a. Stollberg 1969a, 397. Vgl. Stollberg 1969a, 398ff. mit Stollberg 1969b, 148ff. Vgl. Stollberg 1969a, 401. Vgl. Stollberg, 1969a, 402.

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das heißt: an meinem Heil, meinem Geheilt-worden-Sein partizipieren und darin selbst Heilung erfahren - können" 338 . Diese Art der Kommunikation kennt keinen "autoritären Verbalismus"339; sie ist ganzheitlich orientierte 'Wort-Tat-Einheit', die darauf abzielt, den 'ganzen' Menschen zu erreichen und ernst zu nehmen. Sie entspricht - so D. Stollberg damit zumindest strukturell dem psychotherapeutischen Prozeß, der auch präverbale und verbale Kommunikationsstufen umfaßt. 340 So wichtig die Verbalisierung leibhafter Vorgänge etc. ist, so wichtig ist umgekehrt auch die 'Verleiblichung' verbaler Aussagen. Es darf eben nicht übersehen werden, "daß das Wort Fleisch geworden ist und nicht als besondere himmlische oder geistliche Sprache tradiert wird. Sage ich einem anderen Menschen: 'du bist von Gott angenommen', so mag er das bezweifeln; er kann es nicht nachvollziehen. Nehme ich ihn aber so an, wie er ist, so vermittle ich ihm eine elementare Erfahrung, die es ihm vielleicht ermöglicht, das Wort vom Angenommensein 'nachzusprechen', also dem Evangelium zu 'glauben'."341 Eine weitere Verbindung zwischen Seelsorge und Psychotherapie besteht für D. Stollberg in dem Verzicht auf konkrete Weisungen. Eine regressive Tendenz zur Unmündigkeit ist weder im Evangelium und damit in evangeliumsgemäßer Seelsorge noch in psychotherapeutischer Praxis intendiert. In beiden Bereichen geht es vielmehr darum, das Individuum zu eigenverantwortlichen Entscheidungen und selbständiger Situationsbewältigung anzuleiten. 342 "Die gelegentlich zu hörende Behauptung, Seelsorge unterscheide sich von Psychotherapie dadurch, daß der Pfarrer seinem Klienten klar zu sagen vermöchte, was gut und was böse sei, was er zu tun oder zu lassen habe ..., ist unhaltbar. Theologische Information braucht noch keine Seelsorge zu sein - sie ist es auch dann nicht, wenn sie dem einzelnen appliziert wird." 343 Wer seinem Gegenüber als Seelsorger Entscheidungen abnimmt, macht sich (von wenigen Ausnahmen abgesehen) der "Kurpfuscherei" 344 schuldig. - Dies alles voraussetzend kommt 338 339 340 341

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Stollberg 1969a, 402f. Stollberg 1969a, 401 in bezug auf E. Thumeysen. Vgl. Stollberg 1969a, 403. Stollberg 1969a, 403; so auch Stollberg 1972, 54: "Die Gottesbeziehung als solche läßt sich nicht isoliert betrachten oder gar heilen, sie ist nur in, mit und unter den zwischenmenschlichen und - wiederum davon abhängig - innerseelischen Beziehungen gegeben. Gott ward Fleisch." Vgl. Stollberg 1969a, 404. Stollberg, 1969a, 404f. Stollberg, 1969a, 405.

D. Stollberg zu dem Schluß, daß Seelsorge und Psychotherapie, mögen sie auch aus pragmatischen Gründen im Detail voneinander unterschieden sein, ein und dasselbe Ziel 345 verfolgen, nämlich "die Erweiterung der Ich-Bewußtheit und des Realitätssinns des Menschen, der lernen soll, sich verantwortlich zu entscheiden"346. Es bedeutet allerdings 'viel' so wird resümiert -, daß der heilende zwischenmenschliche Prozeß in der Seelsorge und in der Psychotherapie jeweils anders verstanden, begründet und benannt werden kann. 347 1970 beschreibt D. Stollberg 'Formen der Einzelseelsorge'348 und betont, daß der empirische Unterschied zwischen kirchlicher Seelsorge und säkularer Therapie nicht nur im Bereich der Deutung liege, sondern auf jeden Fall auch in den personalen und situationsbedingten Konsequenzen von Interpretationsdifferenzen und/oder eventuellen methodologischen Unterschieden der jeweils angewandten Therapieformen. 349 Ich möchte hier die Frage stellen, ob so nicht doch zwei Wege zu einem Ziel bezeichnet werden? Auch die von D. Stollberg generell konstatierte Integration psychotherapeutischer Erkenntnisse in das poimenische Handeln der Kirche 350 weist m.E. in diese Richtung. Wie sollte es zu einem hermeneutischen Zirkel bzw. Regelkreis zwischen völlig Gleichem kommen? - Im Blick auf die Zukunft der Seelsorge erscheint der Stollbergsche Ansatz 1970, verglichen mit früheren Äußerungen, eindeutig radikalisiert. Mag die Forderung nach einem fachpoimenischen Studium noch in Einklang mit der Funktionsbeschreibung der Pastoralpsychologie von 1968 stehen,351 die Aussage, zukünftige Seelsorgepraxis werde in erster Linie psychotherapeutisch orientiert sein, geht darüber hinaus. Und die apodiktische Feststellung, 'Seelsorge auf lange Sicht' könne ausschließlich von psychoanalytisch geschulten Seelsorgern sinnvoll wahrgenommen werden,352 erscheint - zumindest im ursprünglichen Sinne des Wortes - fragwürdig. In der Folgezeit konzentriert sich das Interesse D. Stollbergs eindeutig auf das Rechtfertigungsgeschehen - zumal in seiner Bedeutung für 345 346 347 348 349 350 351 352

Auch von 'zwei Wegen' will D. Stollberg letztlich nicht sprechen. Vgl. Stollberg 1969a, 405. Stollberg 1969a, 405. Vgl. Stollberg 1969a, 405. Siehe dazu Stollberg 1970. Vgl. Stollberg 1970,42. Vgl. Stollberg 1970,45. Vgl. Stollberg 1968, 215f. Vgl. Stollberg 1970, 49.

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den konkreten Seelsorgeakt. Der Gruppenseelsorge bzw. der Seelsorgegruppe kommt dabei ganz besondere Bedeutung zu. 353 Ihr obliegt es, die Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnaden so weiterzugeben, daß deutlich wird: sie kommt nicht senkrecht von oben, sondern gewinnt Gestalt in konkreter und einmaliger Situation, dem "Kairos Gottes" 354 . Es geht dabei nicht - so betont zumindest D. Stollberg - um psychologisch garantierte religiöse Erneuerung, Erfahrung von Toleranz, Annahme und Vergebung, bzw. befreiende kathartische Aggression und Emanzipation, sondern um 'Entideologisierung', um Befreiung vom "Zwang sozialreformerisch oder denkerisch agierender religiöser Selbstrechtfertigung" 355 / 356 . Wo sie gelingt, müssen weder gruppentherapeutische Prozesse durch religiöse Interpretation überhöht noch seelsorg(er)liche Gruppentherapien auf ein 'transzendentales Mehr' religiöser, eschatologischer Prägung verpflichtet werden. Seelsorge, die die Rechtfertigungsbotschaft beherzigt, geschieht im Kontext des Glaubens und bedarf säkularer Seelsorge gegenüber keiner Selbstrechtfertigungs- und Abgrenzungsstrategien mehr. 357 In 'Mein Auftrag - Deine Freiheit' von 197 2 358 entfaltet D. Stollberg seine Grundthese, Seelsorge sei eine Weise, Theologie zu treiben; sie sei keine Form der Anwendung, "sondern eine Verleiblichung von Theologie" 359 . Sein Ausgangspunkt ist dabei - wie bereits 1969 - die 'therapeutische Seelsorge'. Diese ist ein Geschehen, bei dem eine Trennung zwischen Heil und Heilung weder möglich noch nötig ist. 360 "Der therapeutische Seelsorger sieht sich außerstande, dem Arzt die Kompetenz für den Leib, sich selbst aber die für die Seele zuzuerkennen. Der ganze Mensch ist sein Gesprächspartner, und die Arbeitsteilung zwischen Arzt und Seelsorger ist rein pragmatischer, nicht grundsätzlicher Art, wenn man davon ausgeht, daß es körperliche Folgen haben kann, ob ein Mensch sich von anderen angenommen und verstanden fühlt oder 353 354 355 356

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Siehe dazu Stollberg 1971. Stollberg 1971, 193. Stollberg 1971, 193. Ein gewisser Gegensatz zu den Ausführungen bei Stollberg 1969a, 403 ist hier unverkennbar. Warum wird die zwischenmenschliche Erfahrung von Annahme, Toleranz und Vergebung plötzlich so geringgeschätzt? Vgl. auch Stollberg 1972, 54, wo D. Stollberg die kathartische Funktion der Seelsorge expliziert. Vgl. Stollberg 1971,191. Hier, bei Stollberg 1972, geht es darum, 'Thesen zur Seelsorge' zu formulieren. Stollberg 1972, 7. Vgl. Stollberg 1972, 12.

nicht, und daß es seelische Folgen haben kann, wenn unser Leib mechanisch oder chemisch beeinflußt wird, z.B. durch Rauschmittel, Folterung oder Operation."361 Grundsätzlich gilt demgemäß, daß unter Seelsorge methodisch ganzheitlich orientierte "helfende und heilende Kommunikation von Mensch zu Mensch"362 zu verstehen ist. 363 Diese dient - gemeint ist wohl in erster Linie 364 - "nicht dem Christsein, sondern dem Menschsein"365; die 'Sache' der Theologie ist zwar zum einen deren "theologische Wertorientiertheit"366, zum anderen aber gleichzeitig und auf jeden Fall ihre "anthropologisch-humanwissenschaftliche Notwendigkeit (Bedingtheit, Strukturiertheit)"367. D. Stollberg betont, man könne aus theologischer Dimension keine empirisch gültigen Methoden ableiten, und kommt zu dem, offensichtlich gegen E. Thurneysen gerichteten Schluß, daß es 'theologische' Seelsorge als solche - verstanden etwa im Gegensatz zu 'therapeutischer' Seelsorge - gar nicht geben könne. 368 Seelsorge sei erklärtermaßen "Psychotherapie im kirchlichen Kontext"369, deren Unterschied zur säkularen Seelsorge nicht in der Metho-

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Stollberg 1972, 12. Stollberg 1972, 15. Die Kommunikation erlangt für D. Stollberg nachgerade sakramentalen Charakter. Bei Stollberg 1972, 63 heißt es - pointiert an das Ende der Ausführungen gerückt: "Seelsorge ist - theologisch gesehen - das Sakrament echter Kommunikation, welches sich die Partner aus der mit dem Mensch-Sein geforderten 'Solidarität der Not' heraus (im Vollzug ihres allgemeinen Priestertums) gegenseitig spenden." Kontextbezogen glaubte ich, die äußerst schroffe Setzung D. Stollbergs, nicht um das Christsein, sondern um das Menschsein ginge es in der Seelsorge, etwas relativieren zu können bzw. zu müssen. Allerdings komme ich nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß die Gefahr 'christologischer Engführung' bei D. Stollberg zwar gebannt zu sein scheint, daß aber stattdessen die Gefahr 'anthropologischer Engführung' um so krasser zu Tage tritt. In gewisser Weise erinnern die Stollbergschen Ausführungen hier an M. Mezger, bei dem es heißt: "Das Anthropologische ist nun einmal unwahrscheinlich konstant." Mezger 1964, Sp.514. Stollberg 1972, 31. - "Christsein verleiht keine besondere Qualität gegenüber dem Menschsein - auch Christen bleiben Sünder und werden als Sünder gerechtfertigt sondern Christsein heißt Menschsein im Bewußtsein, Mensch sein zu dürfen." Ebd. Stollberg 1972, 31. Stollberg 1972, 31. Vgl. Stollberg 1972, 33. Stollberg 1972, 33. - Diese programmatische Formulierung hat zu sehr vielen Mißverständnissen und Auseinandersetzungen geführt. D. Stollberg selbst kommentiert 1981 diesen Sachverhalt und spricht von "dem viel mißbrauchten Thesenheft von 1972" (hier May 1986, 65). "Es ist viel mißbraucht, weil die These,

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denwahl, sondern in dem vom Seelsorger in die Situation370 eingebrachten "Glaubens-Vor-Urteil"371 bestehe. 372 Von diesem 'Glaubens-Vorurteil' her gewinnt nach D. Stollberg der Seelsorger seine Wertvorstellungen, gemäß denen er den Pastoranden im Seelsorgeakt 'konditioniert' (bestätigt oder nicht bestätigt).373 Das Ziel der Seelsorge ist dabei auf die immer zitiert wird, so ja gar nicht, wenn man das ganze Heft liest, gemeint ist. Ich habe jetzt hier in dieser - entschuldigen Sie - komischen Handreichung wiedergefunden, Seelsorge sei nur Psychotherapie im kirchlichen Kontext. Und ich sage es auf bayerisch: Das stinkt mir gewaltig, weil das so da nicht drinsteht. Außer, Sie nehmen ein paar Vokabeln raus und lassen den ganzen Zusammenhang weg, wie er gemeint ist, und das ist kein verantwortlicher Umgang mit Sprache. Es ärgert mich heute noch wie schon damals. Ich habe angefangen damals mit Luthers 95 Thesen. Und eben genau mit dem, worum es gestern abend ging, daß Theologie Aussagen macht und daß das Ganze nur einen Sinn haben kann aus Seelsorge heraus auf Seelsorge hin." Ebd. 370

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Die Situation ist bei D. Stollberg eine kategoriale Größe (vgl. Stollberg 1972, 57), die für die Seelsorge konstitutiv ist. "In der Situation sind Empirie und Theologie eine Einheit. Eine Situation ist ein Schnittpunkt persönlicher und überpersönlicher Bedingungen und Bedingtheiten. Sie besteht in der Seelsorgewirklichkeit stets aus sich überschneidenden Situationen der Beteiligten." Ebd., 38. Stollberg 1972, 33. - Der Ausdruck 'Glaubens-Vor-Urteil' erscheint mir ein wenig mißverständlich. Schließlich ist ein Vor-Urteil allgemeinem Sprachgebrauch nach ein Urteil, daß man fällt, ohne Erfahrungen gemacht zu haben. Wer aber wollte einem Seelsorger von vornherein Erfahrungen im Bereich des Glaubens absprechen? Geht es bei dem Begriff des 'Glaubens-Vor-Urteils' nur darum, deutlich zu machen, daß der Seelsorger seine Glaubensüberzeugung bereits vor Eintritt in die Seelsorgesituation gewonnen hat, gäbe es gewiß treffendere Formulierungen. Neben dieser Kritik ist anzumerken, daß auch E. Thurneysen von einem theologischen "Vor-Urteil" (Thurneysen 1988, 115) im Rahmen der Seelsorge spricht. Allerdings handelt es sich hierbei um ein göttliches Urteil, das nicht ohne, sondern trotz aller Erfahrungen gefällt wurde, und in dessen Licht alle menschlichen Dinge ganz neu gesehen werden (müssen). Dieses 'Vor-Urteil' bestimmt bei E. Thurneysen zunächst in latenter Weise das kommunikative Geschehen der Seelsorgesituation; im Verlauf des Gesprächs wird es jedoch in manifester Weise wirksam. Weigert sich der Seelsorgesuchende, dieses 'Vor-Urteil' Gottes zu akzeptieren, dann "wird das seelsorgerliche Gespräch zum Kampfgespräch, in welchem um die Durchsetzung des Urteils Gottes zum Heil des Menschen gerungen wird" (ebd., 114). Vgl. dazu Kurz 1985a, 441 f. Wo es um den realen Menschen geht, hat Seelsorge therapeutische Relevanz, da Leib und Seele nicht auseinanderdividiert werden können. Vgl. Stollberg 1972, 36 und 40. Vgl. Stollberg 1972, 45. - M.E. sind diese Ausführungen - mögen sie auch situationsbezogen zutreffend sein - leicht mißverständlich, stehen sie doch mit ihrer geprägten Begrifflichkeit in gewisser Spannung zu dem kurz darauf Vorgebrachten. Seelsorge, die zum Heil überredet, überlistet oder sogar zwingt, sei nicht

keinen Fall die "Bekehrung des Partners, sondern dessen Annahme gerade in seinem Anderssein"374/375. Die seelsorg(er)liche Arbeit geschieht also "auf der Grundlage prinzipieller Toleranz gegenüber Verschiedenheit"376 und ist demgemäß kein "Sich-Absetzen"377, sondern ein "Sich-Aussetzen"™. Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen unterscheidet D. Stollberg zwischen funktionaler und intentionaler Seelsorge. "Funktionale Seelsorge ist alles, was die Kirche nicht mit dem Hauptzweck der Seelsorge veranstaltet, was aber trotzdem auf einige Beteiligte einen seelsorgerlichen Effekt haben kann."379 "Intentionale Seelsorge ist demgegenüber eine bewußt herbeigeführte Gesprächssituation mit dem Ziel gemeinsamer Bearbeitung von Lebensschwierigkeiten dessen, der Seelsorge begehrt."380 In den Bereich des Intentionalen gehören folgende Seelsorgefunktionen: die Beistandsfunktion (auch soziale oder Solidaritätsfunktion genannt), die kathartische Funktion (auch Mitteilungsfunktion genannt), die artikulierende und klärende Funktion, die Verarbeitungsfunktion, die therapeutische und didaktische Funktion, die emanzipatorische und befreiende Funktion, die verkündigende Funktion evangeliumsgemäß, lautet es dort, schließlich heiße das Ziel der Seelsorge nicht 'Bekehrung' des Gegenübers, sondern 'Annahme' der Person des anderen gerade im Anderssein. Es fällt mir nicht schwer, das Postulat freiheitlicher Seelsorge, die zur Freiheit führt, nachzusprechen; es ist jedoch schwer, wenn nicht gar unmöglich, das mit der Vorstellung eines 'konditionierenden' Seelsorgers in Einklang zu bringen. Wo bleibt da die Freiheit, die ansonsten zum Programm erhoben wird? Oder anders gefragt, wie können die von D. Stollberg beschriebenen (Grund-) Funktionen der Seelsorge, die alle auf Emanzipation und Mündigkeit hinzielen, durch Konditionierung ausgeübt werden? M.E. müßte hier entweder die Wortwahl anders getroffen oder aber der Kontext geändert werden. 374

Stollberg 1972, 45. - Es läßt m.E. auf ein sehr enges eingeschränktes Verständnis schließen, daß D. Stollberg 'Bekehrung' ausschließlich mit negativen Größen wie List und Tücke bzw. Zwang in Verbindung bringt. Das mag seine historische Verankerung in gewissen 'heilsmethodistischen' und damit dann auch 'bekehrungsmethodistischen' Vorgehensweisen z.B. im Pietismus haben, es läßt auf jeden Fall außer acht, daß die Bekehrung in christlicher Tradition als wiederholte Hinwendung zum dreieinigen Gott den Neuanfang menschlichen Lebens, und zwar einen Neuanfang in Freiheit, markiert.

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Mission im klassischen Sinne ist damit ausgeschlossen; dies heißt jedoch nicht von vornherein, daß der Seelsorge überhaupt keine missionarische Funktion zukäme. Vgl. dazu z.B. Stollberg 1969b, 157. Stollberg 1972,45. Stollberg 1972,46. Stollberg 1972,46. Stollberg 1972, 52. Stollberg 1972, 53.

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und die Funktion der Überweisung. Zusammenfassend kann ich bei D. Stollberg von drei Grundfunktionen der Seelsorge sprechen. In erster Linie geht es in der Seelsorge um Angstminderung durch Beistand. Zweitens wird die Verbesserung des Realitätsbezugs des Pastoranden angestrebt. Und drittens zielt jedwedes seelsorg(er)liche Handeln auf Tiefung des Verstehens (Hermeneutik und Empathie) ab. 381 Das Wesen derartig 'funktional' verorteter Seelsorge macht, methodisch gesehen, nicht "nur beistehende und realitätszugewandte, sondern vor allem verstehende Kommunikation" 382 aus. Letztere geht aus zwischenmenschlicher Beziehung als grundlegendem Medium der Seelsorge 383 hervor und konstituiert diese zugleich. 384 Es ist aufgrund dieses Umstandes nur konsequent, daß D. Stollberg der 'Seelsorgesituatiori (Setting 385 ) besondere Aufmerksamkeit widmet. 386 Es kommt dabei sowohl auf den 'Macrokontext' als auch auf den 'Microkontext' an. Der soziokulturell individuelle Bezugsrahmen des Pastoranden 387 (Frame of Reference) sollte demgemäß ebenso Berücksichtigung finden wie die der Seelsorgesituation jeweils voraufgehende bzw. nachfolgende Einzelsituation 388 (Precounseling Situation). Wo dies gelingt, ist Seelsorge auch in ihrem Situationsbezug 'ganzheitlich' orientiert. Die Stollbergschen Thesen blieben in den folgenden Jahren nicht unkritisiert 389 und wurden mitunter deutlich mißverstanden. 390 Um des besseren Verständnisses willen formulierte D. Stollberg 1975 - vielleicht diesmal bewußt änigmatisch - "Seelsorge ist nicht und ist doch Psychotherapie" 391 . Vom systematisch-theologischen Standpunkt aus gehe es 381 382 383 384 385 386 387 388

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Vgl. zum Voraufgehenden insgesamt Stollberg 1972, 54ff. Stollberg 1972, 57. Vgl. Stollberg 1972,57. Dabei werden verbale und nonverbale Kommunikationstechniken eingesetzt, letztere jedoch "stets funktional, seltener intentional" (Stollberg 1972, 52). Zum 'Setting' gehört immer auch eine konkrete vorgegebene oder auszuhandelnde Zeitstruktur. Vgl. dazu Stollberg 1972, 59f. Stollberg 1972, 57 spricht sogar von der "Kategorie der Situation". Dieser Bezugsrahmen ist vor allem biographisch-historisch geprägt. Vgl. Stollberg 1972, 58. In jeder Seelsorgesituation heißt es nach Stollberg 1972, 58 wieder neu: "Wo kommt der Klient her, wo will er hin? Wo komme ich her, wo will ich hin? Wie beeinflussen sich die Antworten auf diese Fragen gegenseitig?" Zu den Kritikern D. Stollbergs gehört z.B. H. Tacke, dessen 'Glaubenshilfe' 1975 in erster Auflage erschien (siehe hier Tacke 1979). Vgl. dazu Stollberg 1978b, 41. Stollberg 1978b, 41 in der Überschrift.

in ihr, sofern sie therapeutische Seelsorge sei, "um die Relevanz des Evangeliums für Menschen hier und heute, in Raum und Zeit, diesseits der Todesschwelle" 392 . Empirisch-phänomenologisch gesehen vertrete die therapeutische Seelsorge "ein - übrigens biblisches - ganzhei(t)liches Menschenbild, das den innigen Zusammenhang von Leib und Seele ernst nimmt" 393 . Beides zusammengenommen sollte deutlich werden, daß kirchlicher Seelsorge zwar therapeutische Relevanz zukommt, falls sie konkret wird, 394 daß sie jedoch deshalb noch lange nicht von vornherein identisch mit säkularer Therapie ist. Seelsorge ist "nicht ohne weiteres Psychoanalyse (Freud), Daseinsanalyse (Binswanger, v. Gebsattel), Logotherapie (Frankl), Schicksalsanalyse (Szondi), Gesprächspsychotherapie (Rogers) usw., sondern sie stellt ein eigenständiges Verfahren dar, das unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, daß die Frage nach der Heilung bewußt um die Dimension der Frage nach dem Heil erweitert und theologisch beantwortet wird"395. Das Ziel der Seelsorge ist dabei "helfende Verständigung"396, ihr weltanschaulicher "Hintergrund" 397 der christliche Glaube. Die Chiffre 'therapeutische Seelsorge' steht demgemäß für "seelsorgerlich-konkrete Theologie"398. Die Ausführungen in 'Wahrnehmen und Annehmen' 399 von 1978 stellen eine im großen und ganzen wenig veränderte Neuauflage der vorherigen Überlegungen D. Stollbergs dar. Auffällig ist allerdings die Vertauschung der Begriffe 'generell' und 'spezifisch'.400 All das, was bisher in den Bereich des generellen Propriums der Seelsorge gehörte, erscheint nun - inhaltlich unverändert - subsumiert unter den Begriff 'spezifisches Proprium' und umgekehrt.401 Das generelle Proprium der Seelsorge gehört jetzt als allgemeinmenschliches Phänomen in den Be392 393 394 395 396 397

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Stollberg 1978b, 41. Stollberg 1978b, 41 (Erg. in Kl. M.P.). Vgl. Stollberg 1978b, 42. Stollberg 1978b, 42. Stollberg 1978b, 43. Stollberg 1978b, 43. - D. Stollberg hätte hier getrost vom (Unter-)'Grund' der Seelsorge sprechen können; schließlich ist der Glaube mehr als ein Hintergrundsphänomen. Vgl. dazu auch Stollberg 1969b, 154. Stollberg 1978b, 44. Stollberg 1978a. Diese wird bei Stollberg 1978a, 20, Anm.2 lapidar angezeigt und als "sprachliche Korrektur" der Äußerungen bei Stollberg 1969b, 148ff. ausgewiesen. M.E. wäre hier ein deutlicherer Reflex auf die gedankliche Veränderung der Stollbergschen Gesamtkonzeption wünschenswert - zumal diese durchaus folgerichtig erscheint. Vgl. Stollberg 1978a, 20ff.

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reich der Schöpfung und damit für D. Stollberg in den Bereich des Gesetzes. Das spezifische Proprium hingegen steht für den Bereich des Evangeliums. 402 "Generelles und spezifisches Proprium gehören aber dennoch zusammen: Die Schöpfung wird verändert als Schöpfung, wo sie auf dem Weg über Sündenerkenntnis und Gewissenspein Einsicht in ihre Unfähigkeit zum Guten entwickelt, ihre Ansprüche aufzugeben wagt und sich, schlecht wie sie ist, zum fröhlichen Weiterleben entschließt, sozusagen in letzter Verzweiflung Gott an die Brust wirft, wo sie den Weg des Gesetzes als Sackgasse erlebt und den des Evangeliums beschreitet." 403 Diesen Ausführungen gemäß bezeichnet D. Stollberg Seelsorge als "Einheit im Vollzug"404, in der Psychotherapie und Methode ebenso eine Rolle spielen wie Bekenntnis und Glaube. 405 "Seelsorge geschieht als ganzheitlicher Vollzug zwischenmenschlicher Hilfe unter Einbeziehung der Sinnfrage und der spezifischen Antwort des christlichen Credo."406 Sie ist damit eine "Vermittlungsaktion" 407 im Spannungsfeld der beiden Proprien, sie konkretisiert sich in der Vermittlung zwischen Rechtfertigungsglauben und menschlichem Selbstrechtfertigungsstreben.408 Eine deutliche Zäsur zwischen kirchlicher Psychotherapie (Seelsorge) und säkularer Seelsorge (Psychotherapie) erkennt D. Stollberg dort, wo es um die Frage der impliziten Anthropologie geht. Wo das spezifische Proprium der Seelsorge gefragt ist und gebraucht wird, tritt eine - verglichen mit der des generellen Propriums - qualitativ andere Dimension des Menschseins in den Vordergrund. "Das spezi-

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Vgl. Stollberg 1978a, 36. Stollberg 1978a, 36. - Ebenfalls hier wird das Verhältnis der beiden Proprien zueinander mit dem von Schöpfung und Erlösung beschrieben. Auch der Verweis auf die beiden Brüder aus Lk 15,1 lff. taucht auf. Das generelle Proprium wird in Entsprechung zu dem angepaßten daheimgebliebenen Sohn gesehen, das spezifische in Entsprechung zu dem verlorenen Sohn, der Hilfe sucht. Ob die beiden Brüder wirklich als Repräsentanten von Gesetz und Evangelium in Antithese darzustellen sind, erscheint mir - zumindest im Ursinne des Wortes - fragwürdig. Stollberg 1978a, 41. - Der Anklang an E. Thurneysens 'Seelsorge im Vollzug' ist hier unüberhörbar und bewußt intendiert. Vgl. auch ebd., 42. Vgl. Stollberg 1978a, 41. - Eine Seite weiter im Text weitet D. Stollberg seine Äußerung aus. Hier ist von einer "Einheit von Psychotherapie und Bekenntnis, von Methode und Glaube, aber auch von Indikativ und Imperativ, von Evangelium und Gesetz, von 'Wort Gottes' und 'Religion', von 'weltlichem' (generellem) und 'geistlichem' (spezifischem) Proprium" die Rede. Stollberg 1978a, 42f. Stollberg 1978a, 43. Vgl. Stollberg 1978a, 43.

fische Proprium der Seelsorge gilt den 'Sündern', den 'Kranken', den Skrupulanten und Neurotikern, nicht den 'Gesunden'."409 Es gilt denen, die an der Diastase von Norm und Wirklichkeit leiden und demgemäß Hilfe suchen. 410 Der solcherart 'hilfsbedürftige' Mensch ist Sünder, d.h. schlecht, und bleibt Sünder; er ist jedoch auch und gerade als Sünder gerechtfertigt, und d.h. im Stollbergschen Sinne 'gut' (simul peccator et iustus). Die Begriffe 'schlecht' und 'gut' erfahren ihre inhaltliche Konkretion in der Gegenüberstellung von anthropologischem Pessimismus und theologischem Optimismus. Letzterer führt für D. Stollberg über die Psychoanalyse hinaus, und eine Seelsorge, die sich diesen Optimismus zu eigen macht, setzt "an die Stelle des tragischen Ödipus-Mythos das hoffnungsvolle Credo an den gekreuzigten und auferstandenen Christus"411. Hieraus erwächst die freudige und befreiende Botschaft: "Der Mensch ist Sünder und todverfallen, aber als solcher gerechtfertigt und zum Leben bestimmt."412 Einen weiteren Unterschied zwischen säkularer und kirchlicher Seelsorge sieht D. Stollberg in punkto Leistungsorientiertheit. "Seelsorge geschieht im Gegensatz zur Psychotherapie jenseits des Leistungsprinzips."413 Sie muß sich nicht als effektiv rechtfertigen, obwohl sie in praktisch-methodischer Hinsicht durchaus überprüfbar und qualifizierbar ist.414 Insofern kirchliche Seelsorge 'nicht-leistungsorientiert' ist, muß sie auch von jeglicher Psychotherapie, die sich

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Stollberg 1978a, 49f. Vgl. Stollberg 1978a, 50. Stollberg 1978a, 50. Stollberg 1978a, 50. - D. Stollberg lehnt eine "undialektische Auflösung der Gleichzeitigkeit von menschlicher Verworfenheit und göttlicher Begnadigung" (ebd., 52) - wie er sie bei E. Thurneysen zu erkennen meint - radikal ab. Die schreckliche Erkenntnis, daß der Mensch auch als Freigelassener in der Sünde verharrt (vgl. Thurneysen 1988, 230), ist für ihn "Inbegriff des Evangeliums" (Stollberg 1978a, 52).

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Stollberg 1978a, 51. - Siehe auch ebd., 50; dort heißt es: "Psychoanalyse als Therapie will verändern, muß verändern - im Rahmen des generellen Propriums unterliegt sie Leistungs- und Erfolgszwängen. Seelsorge unterliegt solchen Zwängen prinzipiell nicht..." "Da Seelsorge unter Menschen aus Fleisch und Blut geschieht, unterliegt sie psychologischen, pädagogischen, soziologischen, medizinischen usw. Bedingungen. Sie hat eben auch ein generelles Proprium, welches das Evangelium immer wieder bindet, 'erdet' und gefährdet. So ist Seelsorge methodisierbar und überschreitet doch (durch ihr spezifisches Proprium) ständig die Grenzen der Methode: Wir reden in einer grammatikalisch überprüfbaren Sprache von etwas, das alle Grammatik relativiert." Stollberg 1978a, 51.

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als "Symptomtherapie"415 erweist, abgegrenzt werden. Das bloße Kurieren an Symptomen führt auf den Weg der Selbstrechtfertigung qua Gesetzeserfüllung und damit in die Irre. "Kirchliche Seelsorge im Rahmen ihres spezifischen Propriums gilt jedoch denen, die auf diesem Weg der Gesetzeserfüllung gescheitert sind"416/417. Eine interessante Fortführung der Stollbergschen Überlegungen zum Thema 'Theologie und Humanwissenschaften' (Seelsorge und Psychologie) bietet der 1975 erschienene Aufsatz 'Seelsorge in der Offensive' 418 . Seine Darstellung soll deshalb den Abschluß meiner Ausführungen bilden, obwohl dies der bisherigen chronologischen Vorgehensweise nicht entspricht. In seinen 'theologischen Anmerkungen zur Seelsorgebewegung' 419 versucht D. Stollberg, Theologie und Psychologie in eine Beziehung zu bringen, die der Komplementarität lebendiger Wirklichkeit näherkommt als der Versuch, theologische und andere Gesichtspunkte völlig getrennt und damit losgelöst voneinander zu betrachten420/421. Demgemäß lautet 415 416 417

Stollberg 1978a, 54. Stollberg 1978a, 54. Bei Stollberg 1978a, 55f. ist allerdings betont, daß kirchliche Seelsorge keineswegs ganz und gar ohne Gesetzespredigt auskommen könne: "In der Seelsorge kommen Bedürfnisse nach Grenzziehung, nach einem Sicherheit gebenden Nein des Seelsorgers oft in Form penetranter unmäßiger Forderungen vor. Hier hat das Evangelium die Gestalt des begrenzenden Gesetzes. Allerdings ist dieses so zu vermitteln, daß es nicht das Kind-bleiben-Wollen verfestigt, sondern daß es anleitet zu selbständiger und schöpferischer Verantwortung. Das Gesetz führt, recht 'gepredigt', zu einer Relativierung seiner selbst, als 'Laufstall' für Kinder wird es irgendwann überschritten (transzendiert). Jedoch muß mancher Erwachsene in der Seelsorge erst noch sein Defizit an begrenzter Sicherheit im Schutzraum des Gesetzes - wie verschieden dieses auch im Einzelfall aussehen mag - aufholen. Wo das Gesetz zum Selbstzweck wird, wird Gott der Schöpfer zu einem Götzen, der Gott den Erlöser und Gott den Heiligen Geist in ihrer Liebe und Freiheit erstickt und verschlingt."

418 419 420

Stollberg 1975. Vgl. dazu den Untertitel von Stollberg 1975, 268. Vgl. dazu aber Stollberg 1975, 269, Anm.4, wo in bezug auf theologische und andere (z.B. psychologische) Gesichtspunkte das Unterscheidungsgrundmuster 'Sachverhalt - Interpretation' verteidigt wird. D. Stollberg betont, daß man Theologie durchaus als Interpretation von Welterfahrung verstehen könne, ohne dem Vollzug kirchlicher Praxis seine theologische Qualität aberkennen zu müssen. Nach der Theologizität von Methoden sei hier auf jeden Fall zu fragen, da reflektierend-theoretischer ebenso wie handelnd-praktischer Vollzug Interpretation bedeute.

421

D. Stollberg ist sich des Umstandes bewußt, daß die Integration verschiedener

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das implizite Stollbergsche Diktum: 'Integration statt Isolation'. Im Vordergrund steht dabei die "Kategorie der Situation"422, "welche die Wahrheit erst zur Wahrheit macht, indem sie Richtigkeit und Wahrhaftigkeit zur Deckung bringt - oder, wo dies nicht gelingt, die 'Wahrheit' als Lüge entlarvt" 423 / 424 . Schließlich ergeht auch das Evangelium situationsbezogen in konkreten Situationen und ist nicht losgelöst von seinen Zeugen zu betrachten.425 Speziell die Seelsorgesituation ist geprägt durch Fragen, Nöte und Probleme etc. konkreter Menschen in konkreter Verantwortlichkeit, zwischen Bedürfnis, Notwendigkeit und Zwang. 426 Und gerade dies ist für D. Stollberg "ein Thema, das dialektische und empirische Theologie ebenso verbindet wie Theologie und Tiefenpsychologie" 427 . Wo ein Mensch damit beginnt, Passivität gegen Aktivität einzutauschen, wird Freiheit in und durch Verantwortung(sfähigkeit) möglich; der Heilungsprozeß setzt ein. Wenn mit der Botschaft vom Heil ernst gemacht wird, indem hier und jetzt mit ihr und ihren Konsequenzen gerechnet wird, indem ein Mensch damit beginnt, sein eigenes Leben zu riskieren, kann sich etwas ändern. D. Stollberg faßt zusammen: "In dieser Erfahrung treffen sich antike, mittelalterliche und neuzeitliche Perspektiven, biblische, theologische und psychologische Theorien, exorzistische Praktiken der Wunderheilung, systematisch geübte Empirie von Seelsorge, Beichte und Absolution und moderne Psychotherapie."428 Die Chance der Integration von Seelsorge und Psychologie liegt also in der - zumindest angedeuteten - Konvergenz theologischer und nicht-theologischer Weisen der Wirklichkeitserfassung/ des Wirklichkeitsverständnisses.429 Seelsorge, die mit Konzepten empirischer Theologie arbeitet und sich dabei selbst als empirische Theologie versteht, richtet ihr Augenmerk auf die Konkretion der Beziehung zwischen Wort und Wirkung, Heil und Heilung etc. im Hier und Jetzt

Perspektiven kategoriale Klarheit und systematischen Durchblick gefährdet. Vgl. Stollberg 1975, 269. 422

Stollberg 1975, 270; vgl. Stollberg 1972, 38.

423

Stollberg 1975, 270.

424

D. Stollberg unterscheidet demgemäß zwischen geschichtlicher Wahrheit und von konkreter Situation losgelöster, zum Dogma erstarrter Wahrheit. Vgl. Stollberg 1975, 270.

425

Vgl. Stollberg 1975,271.

426

Vgl. Stollberg 1975,271.

427

Stollberg 1 9 7 5 , 2 7 1 .

428

Stollberg 1975, 272.

429

Vgl. Stollberg 1975, 272.

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der Kirche; 430 sie weiß um die Relativität von Wahrnehmungsperspektiven ein und derselben Welterfahrung und reflektiert diese auch. 431 Auf diese Weise ist eine doppelte Gefahr gebannt: zum einen entsteht keine "abstrakt-zeitlose Seelsorge dogmatischer Art" 432 , zum anderen wird "subjektivistische Beratung, welche die Angewiesenheit des einzelnen auf Gemeinschaft und Solidarität übersieht"433, vermieden. Der konkrete Mensch in seiner konkreten Lebenssituation (Setting) mit all ihren Innen- und Außenbezügen kommt stattdessen zur Sprache und wird selbst sprachfähig gemacht. Methodisch geschieht dies im diskursiven Dialog, in dem Ratsuchender und Berater Position beziehen, ohne das Wert- und/oder Wunschsystem des Gegenübers ungeprüft zu übernehmen. 434 Die Dialektik verschiedener Standpunkte erscheint so als ein Spezialfall situativer Relativität.435 Das Durcharbeiten des ursprünglichen Konflikts von Position und Gegenposition führt dabei idealiter zu einer neuen (mitunter gemeinsamen) Position und damit zu erneuter Herausforderung, die ihrerseits Reaktion(en) provoziert. Der solcherart beschriebene Vorgang "ist ein sprachlicher, ein Kommunikationsprozeß, in dem sich die Botschaft von der Befreiung des Ich ... bei seinem Adressaten in neue Anfragen und neue Antworten verwandelt. Theologie und Seelsorge teilen diese prozessuale Struktur ... mit allen menschlichen Äußerungen. Man spricht deshalb herkömmlicherweise vom Wort-Charakter der Theologie und Seelsorge."436 Zu diesem gehört für D. Stollberg immer auch ein gewisses Maß an Aggressivität437, das dazu verhilft, "offensive Position"438 zu beziehen, anstatt in 'schweigender Positionslosigkeit' zu verharren.439 Dabei darf es - in der guten Absicht, "Methodenindifferentismus" 440 zu überwinden - auf keinen Fall zur 430 431 432 433 434 435 436 437

Vgl. Stollberg 1975, 273. Vgl. Stollberg 1975, 273. Stollberg 1975, 273. Stollberg 1975, 273. Vgl. Stollberg 1975, 275. Vgl. Stollberg 1975, 275. Stollberg 1975, 275. Stollberg 1975, 276 erklärt: "Aggredi heißt: auf den anderen zugehen. Wo mir die Wahrnehmung meiner Fähigkeit, aktiv und zielgerichtet in mein Schicksal einzugreifen, verloren gegangen ist, äußert sich dies in der Regel als depressives Syndrom. Der Depressive bedarf des anderen, um zu seinem Recht zu kommen, aber er erreicht weder den anderen noch sich selber direkt..."

438 439 440

Stollberg 1975, 276. Vgl. Stollberg 1975, 276. Stollberg 1975, 276.

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Herausbildung eines nicht minder ignoranten 'Methodismus' kommen. "Beide Einstellungen sind Perversionen. Während sich das eine Mal methodische Inkompetenz und persönliche Rückgratlosigkeit hinter der 'Sache' verstecken, verbirgt sich das andere Mal unter dem Plastikschleier pseudochristlichen Dienstes 'in aller Bescheidenheit' jene Ichschwäche, welche die eigene Sache nur als fremde vortragen und den eigenen Anspruch nur im scheinbaren Interesse anderer vertreten kann." 441 Gerade letzteres ist ein 'trauriges Zeichen der Zeit', das auf die 'Krise der Kirche' insgesamt ebenso hinweist wie auf die spezielle 'Krise der Seelsorge'.442 Benötigt wird mehr denn je "der Mut zu einem klaren Anspruch auf Kompetenz, der Mut zum Bekenntnis zur darin enthaltenen Diesseitsrelevanz des Evangeliums als der eigenen Überzeugung und zum Risiko, sich auf Konflikte einzulassen, die nicht ausbleiben, wo Anspruch gegen Anspruch und Position gegen Position gesetzt werden" 443 . Seelsorge darf sich nicht länger mit falschen Etiketten versehen lassen. Die Überzeugung, seelsorg(er)liche Intervention sei therapeutisch irrelevant, da - bedingt durch die "Jenseitskompetenz"444 des Seelsorgers - ausschließlich jenseitsorientiert, muß einer endgültigen Revision unterzogen werden. 445 Wo dies nicht gelingt, wird vermehrt das pathologische "Symptom einer sekundären Kompetenz" 446 auftauchen; werden mehr und mehr Theologen versuchen, autodidaktisch oder sogar institutionalisiert außertheologische Zusatzkenntnisse zu erwerben, um so vermeintlich wenigstens etwas Konkretes leisten zu können. 447 Auch hier gilt die Devise 'Integration statt Isolation'. Transzendenz und Immanenz gehören zusammen und kommen in der Diesseitsrelevanz des Evangeliums (des Glaubens) zum Tragen. Und "nur wenn Psychotherapie als 'profane' Äußerung von Hilfe transparent wird für die 'sakrale' Dimension der Existenz, oder anders herum gesagt: nur wenn die Diesseitsrelevanz des Evangeliums sich auch darin erweist, daß von Christen

441 442 443 444 445 446 447

Stollberg 1975, 276. Vgl. Stollberg 1975, 277ff. Stollberg 1975, 277. Stollberg 1975, 277. - Die hier benannte 'Jenseitskompetenz' kann für D. Stollberg keine Kompetenz sein, da sie immer 'Diesseitsinkompetenz' impliziert. Vgl. Stollberg 1975, 277. Stollberg 1975, 278. D. Stollberg lehnt hier nicht den überlegten Erwerb methodischer Kompetenz durch z.B. ein Zweitstudium ab, sondern die Verschleierung zumeist unbewußt vorhandener Unzulänglichkeitsgefühle durch Dauerkompensation. Vgl. Stollberg 1975,278.

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betriebene Psychotherapie sich von anderer Psychotherapie unterscheidet und in Konkurrenz zu ihr geraten kann, läßt sich der vertretene Anspruch auf Diesseitsrelevanz des Glaubens aufrechterhalten" 448 / 449 . Ein Problem für die Konvergenz von säkularer Seelsorge (Psychotherapie) und Psychotherapie im kirchlichen Kontext (Seelsorge) erkennt D. Stollberg in weltanschaulichen Vorurteilen sowie 'Selbstmißverständnissen' der Vertreter beider Bereiche. Psychotherapeuten wähnen sich selbst häufig weltanschaulich tolerant oder sogar neutral. Nicht selten lehnen sie es deshalb ab, 'religiöse Probleme' so zu verhandeln, daß ihre eigene Überzeugung (in ihrer Relativität) erkennbar und damit auch benennbar (bzw. umgekehrt benannt und damit erkennbar) wird. Unterstützt wird diese Haltung durch die klassische 'Abstinenzregel'450. Wo weltanschauliche Stellungnahme abgelehnt wird, kommt es in der Regel auch zur Ablehnung der Seelsorge, da diese mit bestimmten geprägten Weltanschauungen assoziiert wird. Völlig außer acht gelassen ist dabei, daß die grundsätzliche Relativierbarkeit psychotherapeutischer Metatheorien451 keineswegs von vornherein weltanschauliche Neutralität bedeutet. 452 Mitunter bedarf der Therapeut einer ganzen Theologie, um seine eigene methodische Haltung auf dem Hintergrund weltanschaulicher Entscheidungen aufrechterhalten zu können. 453 So wie bei den Therapeuten u.U. 'Weltanschaulichkeit' abgelehnt wird, so bei den Theologen/Seelsorgern scheinbar untheologische, rein weltliche Fragestellungen. Beide Haltungen sind gekennzeichnet durch schroffes dichotomes Denken, das da Alternativen aufstellt, wo Dialektik und Koinzidenz angemessenere Verständniskategorien bildeten. Im letzten führt das zu einer unverantwortlichen Ausgrenzung bzw. Elementarisierung (Aufsplitterung) von Wirklichkeit. In gewisser Weise wird durch die Trennung von metho448 449

450

Stollberg 1975, 279f. Seelsorge, die mit dem hier Geäußerten ernst macht, bannt die "Gefahr eines protestantisch-isolationistischen Individualismus" (Stollberg 1975, 281) und gelangt über ihren 'evangelischen Relativismus' zum Menschen in seiner konkreten Lebenssituation. Sie ist wahrhaftige "'Verleiblichung' von Theologie" (ebd.). Die analytische Abstinenzregel darf nicht mißverstanden werden. Sie fordert den Therapeuten keineswegs dazu auf, den Klienten zu weltanschaulicher Enthaltsamkeit zu bewegen, sondern ist als Hinweis darauf zu verstehen, daß Liebes- und Glaubensfähigkeit nur dort wiederhergestellt und erweitert werden können, wo Aberglaube und Irrtum zunächst einmal zugelassen und nicht sofort mit einer Gegenposition konfrontiert werden.

451 452 453

Dies gilt ebenso für pastoralpsychologische Ansätze. Vgl. Stollberg 1975, 282. Vgl. dazu Stollberg 1975, 282, wo auf Th. Oden Bezug genommen wird.

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disch-formalen und theologisch-materialen Kompetenzen auch der grundsätzlich unteilbare Mensch künstlich gespalten. Derartige Aufspaltungen) sind jedoch praktisch-faktisch nicht durchzuhalten. Einen Beweis dafür sieht D. Stollberg in der "Tatsache, daß die Psychotherapeuten zu weltanschaulich-inhaltlichem und die Seelsorger zu methodisch-formalem Dilettieren bei gleichzeitiger Leugnung der Relevanz des jeweils vernachlässigten Aspekts gezwungen waren" 454 bzw. vielerorts immer noch sind. Dieser Dilettantismus kann - speziell für die Seelsorge - dort überwunden werden, wo es gelingt, zur Relevanz des Evangeliums hier und jetzt, in seiner politischen, diakonischen, therapeutischen und didaktischen Dimension, durchzudringen. Das so entstehende Selbstverständnis kirchlicher Seelsorge ermöglicht auch einen veränderten Umgang mit christlicher Eschatologie. "Der Zusammenhang von Heil und Heilung ist im Sinne präsentischer Eschatologie zu interpretieren und durchaus empirisch verifizierbar. Glaube und Gesundheit gehören zusammen." 455 Dieser Umstand sollte selbstverständlich keine Rückkehr zu rigidem Moralismus ermöglichen, sondern - im Gegenteil - die Überwindung desselben vorantreiben und unterstützen 4 5 6 Der einzelne soll zu persönlicher Verantwortung 457 angeleitet und zu offener Kommunikation458 seiner diesbezüglichen Fragen und Probleme befähigt werden. Wo dies gelingt, kommt der wirkliche Mensch ganzheitlich 'zur Sprache', 'geistlicher' und 'fleischlicher' Aspekt der einen menschlichen Wirklichkeit werden aufeinander bezogen 459 ,

454 455 456

457

458 459

Stollberg 1975, 283. Stollberg 1975, 285. Wo die Kirche abstrakte 'Über-ich-Moral' repräsentiert, wird dem Ruf zur Verantwortung für die je eigene Person ausgewichen bzw. der Verantwortungslosigkeit das Wort geredet. Vgl. Stollberg 1975, 287. Manche symbiotische Beziehung muß dabei fallen. Der einzelne soll lernen, 'Ich' sagen zu können und für dieses Ich eigenverantwortlich und selbständig einzustehen, um das angeblich Konflikte vermeidende "Mischmasch von Ich und Du" (Stollberg 1975, 288), welches zur Konfusion führt und viele Beziehungen letztlich zerstört, zu überwinden. Dies ist freilich kein leichtes Unterfangen, da gerade in der Kirche Ich-Ansprüche häufig über den Dienst am Du realisiert werden und Herrschaft eine ganz auf den Nächsten gerichtete Opferhaltung beansprucht. Um eine Wahrnehmung ängstigenden Getrenntseins zu verhindern, werden nicht selten 'missionarische' Vereinnahmungstendenzen aktiviert und mit moralischem Terror verbunden. Vgl. ebd., 291. 'Offene Kommunikation' ist dort möglich, wo "verlogene Abwehrsysteme" (Stollberg 1975, 288) in Frage gestellt und erschüttert werden. Vgl. Stollberg 1975,291.

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und jeglicher doketistische Dualismus wird so überwunden 460 . Auf diese Weise gewinnt die Seelsorge an Direktheit, Offenheit, Wahrhaftigkeit etc. und ermöglicht echte Begegnung und damit Wahrnehmung des Unterschieds zwischen Ich und Du. 461 Die solcher Seelsorge gemäße Kommunikationsform ist die der 'subjektiven Redeweise', die den Mut zum Ich deutlich werden läßt und in der Relativierung der eigenen Aussagen Verantwortung wahrnimmt. "Die subjektive Redeweise dient also nicht etwa einer Zementierung des absoluten Individualismus, sondern sie liegt im Interesse echter Kommunikation eines Wir, das sich um die gemeinsame Sache bemüht ,.."462 Diese gemeinsame Sache ist die eine Wirklichkeit mit ihren vielen unterschiedlichen Perspektiven, die im helfenden Team anders als in hierarchisch strukturierten Systemen fruchtbar gemacht werden können 463 und zur Einheit von Theorie und Praxis, von Wort und Tat hinführen 464 .

H. Tacke: Rückkehr zum Prinzipiellen465 In der 1975 in erster Auflage erschienenen 'Glaubenshilfe' 466 spricht H. Tacke (1928-1988) von einer Relativierung der Funktion des Seelsorgers durch die Christusrelation.467 Der auf Jesus Christus hin ausgerichte460

461 462 463 464

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Dies meint "nicht etwa Überwindung des kerygmatischen Charakters von Seelsorge, nicht Abschaffung eines Seelsorgeverständnisses, das Verkündigung zum Zentrum hat" (Stollberg 1975, 289). Vgl. Stollberg 1975, 292. Stollberg 1975, 293. Vgl. Stollberg 1975, 296. Vgl. Stollberg 1975, 294. - "Theologie äußert sich nicht nur als dogmatische Theorie von Tun, sondern als Tun selbst sowie als adäquate Theorie dieses Vollzugs, sei sie philologischer, psychologischer oder sonstiger Art. Jede Wissenschaft kann durch das Interesse des Glaubens, der sie benützt, zu einem Vehikel von Theologie werden ..." (ebd., Anm.44). Ebenso gut könnte ich von einer 'Rückkehr zum Substantiellen' sprechen, geht es H. Tacke doch in erster Linie um den Inhalt/die Inhalte des Evangeliums (Jesus Christus als 'principium'/Anfang, Ursprung und Grundlage) und nicht so sehr um die Herausbildung eines strukturell-funktionalen Seelsorgeansatzes (mit bestimmten 'Prinzipien'/Regeln und Verhaltensanweisungen und -weisen). Zitiert wird hier die zweite Auflage, Tacke 1979. Vgl. Tacke 1979, 147.

te, von ihm her orientierte Seelsorger ist "nicht der mit spezieller Annahmekapazität ausgestattete Therapeut, sondern er ist Zeuge des Evangeliums, der dadurch zum Glauben hilft, daß er sich selber im Glauben bewähren muß" 468 ; er bezeugt das "grundsätzliche Voraussein der Seelsorge Gottes"469, indem er dem Seelsorgebedürftigen die rechtfertigende Annahme durch Gott verbal470 vermittelt. Zeugnisschaft ist hier 'Wortgeschehen', in dem Glaube und Wort einander bedingen und fordern. 471 Die Worthaftigkeit der Seelsorge wird dabei keineswegs als bloß formaler Aspekt gesehen, sondern als dem Evangelium entsprechendes, erwähltes (und das heißt in freier Wahl gewähltes) Mittel der Kommunikationsverwirklichung.472 Wo das Evangelium zur Sprache gebracht, d.h. verbal bezeugt wird, da gewinnt Seelsorge die Gestalt relationalen Geschehens, das als solches in Relation setzt. Das von H. Tacke anvisierte relationale Gefüge ist dabei - zumindest vom Glauben her - mehrdimensional zu sehen. Das inkamierte (und damit dann auch immanente, wenn auch nicht in der Immanenz aufgehende) Wort führt zur Begegnung in der Horizontalen, d.h. zur Begegnung von Mensch zu Mensch; diese jedoch ist sich selbst - von der Vertikalen her initiiert - niemals genug, sie strebt zurück in die Vertikale, d.h. zur Gottesbegegnung. Wo diese 'gelingt', bricht das Transzendente in den Raum des Immanenten ein - ich könnte auch sagen: wo das Wort Gottes waltet, wird die Immanenz menschlicher Kommunikation aufgebrochen und auf Transzendenz hin orientiert. Im letzten transzendiert sie sich damit sozusagen selbst, wenn auch nicht von selbst. In der zunehmenden Therapeutisierung der Seelsorge erkennt H. Tacke "einen weitgehenden Ausfall an verbaler Präsenz des Evangeliums"473, oder anders ausgedrückt: radikalen Substanzverlust.474 "Wo der seelsorgerliche Habitus, die nonverbale Kommunikation, das seelsorgerliche Zeugenwort vertreten oder ersetzen muß, ist die höchst fragwürdige Gestalt eines religiösen Therapeuten in die Mitte der Szene getreten, der ausgeliefert zu sein in dem sorgenden Menschen sehr am468 469 470

471 472 473 474

Tacke 1979, 147. Tacke 1979, 147. Tacke 1979, 147 betont: "Kein noch so intensives akzeptierendes Verhalten kann es überflüssig machen, die rechtfertigende Annahme durch Gott dem seelsorgebedürftigen Menschen verbal zu vermitteln." Vgl. Tacke 1979, 147. Vgl. Tacke 1979, 147. Tacke 1979, 148. Dazu vgl. ganz ähnlich Thurneysen 1964, 17f.

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bivalente Gefühle wecken wird." 475 Der 'religiöse Therapeut' erscheint als 'Seelsorger ersten Grades', indem er sich so gebärdet, als könne er Heil evozieren, wenn nicht sogar produzieren. Dies ist letztlich eine unverzeihliche Provokation, ist doch die Kirche Jesu Christi daran gehalten, mit 'Seelsorgern zweiten Grades' zu arbeiten, d.h. mit Zeugen, die von sich selbst wegweisen hin auf den, der Heil ermöglicht, anstatt die eigene Person zur 'Heilsproduzentin' zu stilisieren. 476 Wer die Liebe Gottes aus ihrer christologischen Verankerung löst, sie abkoppelt von ihrer Konkretion in Jesus Christus, der verringert die Kraft des Evangeliums. Er tauscht damit göttliche Liebesqualität gegen seelsorg(er)liche Empathiefähigkeit 477 ein, wechselt vom Göttlichen, Transzendenten hin zum rein Menschlichen, Immanenten. Dieser Vorgang ist für H. Tacke seiner Natur gemäß ein reduktiver, weil horizontmindernder, und d.h. bezogen auf von Christen durchgeführte Seelsorge - ein möglichst zu vermeidender. 478 Wo säkulare Hilfsprogramme (H. Tacke spricht von "säkular-seelsorgerlichen Praktiken" 479 ) non-direktiv, aber direkt (unmittelbar) arbeiten, ist die evangelische Seelsorge ihrem Proprium gemäß aufgefordert, direktiv-orientierend, aber indirekt (vermittelnd) vorzugehen. "Der Seelsorger soll und darf an Christus delegieren, was er selber nicht erfüllen kann: Zuflucht und Halt für die Verzweifelten zu sein und Konstanten der Treue für die Trostlosen zu bieten." 480 Nicht um den Seelsorger bzw. den Glauben an ihn ist es im Seelsorgeakt zu tun; 481 es geht vielmehr um Christus, von dem her Glaube kommt und auf den hin geglaubt wird. Seelsorge von Christen ist eben nicht "Seelsorge der unmittelbaren therapeutischen Beziehung, sondern der Glaubensvermitt-

475 476 477

478 479 480 481

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Tacke 1979, 148. Vgl. Tacke 1979, 148. Selbst der seelsorglichste Seelsorger (oder vielleicht sogar gerade er) steht in der Gefahr, sich selbst eine Mittelpunktstellung einzuräumen und so das MenschlichAllzumenschliche in den Vordergrund zu rücken. Dies gilt es jedoch grundsätzlich zu vermeiden, denn - so wichtig Empathievermögen auch sein mag - wo es zum (alleinigen) Maßstab der Seelsorge wird, verleitet es zu mitunter verhängnisvollen 'Selbstmißverständnissen'. Vgl. Tacke 1979, 148. Tacke 1979, 149. Tacke 1979, 149. "Nicht Bezeugung seines eigenen Glaubens führt zur Seelsorge, sondern Bezeugung dessen, was den Zeugen selbst im Evangelium ergriffen hat." Tacke 1979, 153.

lung" 482 ; sie ist als 'Christenseelsorge' immer und in erster Linie 'Christusseelsorge'.483 H. Tacke sieht darin eine ganz erhebliche Entlastung, zumal, da die Verpflichtung, dem anderen im Seelsorgeakt 'zum Christus' zu werden, so aufgehoben ist. 484 Wo im Sinne H. Tackes Seelsorge geschieht, begegnen sich gleichrangige Partner als "zwei seelsorgebedürftige Menschen auf gleicher Ebene. Wenn dennoch der eine dem anderen zum Seelsorger wird, dann nicht aus geheimen Quellen therapeutischer Kraft, sondern aus der Relation zu Christus. Seine Seelsorge selber in Anspruch zu nehmen ist die Möglichkeit dessen, der Glaubenshilfe geben möchte und also über sich hinausweist."485 Dieses 'Übersich-hinausweisen' darf selbstverständlich nicht "zur Kühle bloßer Belehrung" 486 und/oder in die "Druckzone kerygmatischer Monologe" 487 führen. Glaubenshilfe bedeutet immer auch ganzheitlich ausgerichtete Kommunikation, Empathie und volle Zuwendung zum Partner.488 'Christusseelsorge' entlastet zwar, aber sie entpflichtet nicht völlig.489 Denn wo die Botschaft vollends vom Botschafter abgelöst wird, da ist sie nicht mehr länger menschliche Botschaft, sondern Geisterbotschaft. 490 Ein zentraler Unterschied zwischen dem Therapeuten und dem Zeugen besteht nach H. Tacke darin, daß der Therapeut sich weitgehend mit seinem Angebot identifiziert. "Er braucht von seiten des Klienten ein gewisses Maß an 'Glauben' und dessen Bereitschaft, sich seiner persönlichen Ausstrahlung und Erfahrung anzuvertrauen."491 Der Seelsorger hingegen präsentiert nicht sich, sondern die Sache, d.h. die Sache des Evangeliums. Diese ist niemals "Summe eigener Erfahrung und gesammelter Kräfte" 492 , sondern eine "vom Jenseits aller psychischen Be482 483

484 485 486 487 488 489 490 491 492

Tacke 1979, 149. "Dem Seelsorgepartner soll es zur Gewißheit werden, daß er sich nicht selbst überlassen ist, sondern daß er in der Christusgemeinschaft zum Seelsorgepartner Gottes bestimmt ist. Das Wachsen solcher Gewißheit geschieht weder automatisch noch durch innere Einkehr, noch in, mit und unter dem Einbezogensein in mitmenschliche Kommunikation." Tacke 1979, 153. Vgl. Tacke 1979, 149. Tacke 1979, 149. Tacke 1979, 150. Tacke 1979, 150. Vgl. Tacke 1979, 159. Von Entpflichtung geht H. Tacke nur da aus, wo ihm die aufgetragene Pflicht als 'Über-Forderung' erscheint. Vgl. Tacke 1979, 149. Vgl. Tacke 1979, 151, wo auf R. Bohren Bezug genommen wird. Tacke 1979, 154f. Tacke 1979, 155.

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wegtheit ausgehende" 493 Größe. Diese Verschiedenheit vorausgesetzt, postuliert H. Tacke eine "saubere Differenzierung" 494 zwischen Therapeut und Seelsorger bzw. Therapie und Glaubenshilfe. Das eine muß vom anderen getrennt behandelt werden, "wenn nicht die Gestalt eines modernen Medizinmannes bzw. des Priesterarztes heraufbeschworen werden soll" 495 / 496 . Das Feld der Auseinandersetzung zwischen Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie ist für H. Tacke ein traditioneller 'Kampfplatz', der "alles erlebt, was zwei zunächst in erbitterter Feindschaft gegeneinander angetretene Heere bei ständiger Frontverschiebung erleben können: frontale Angriffe, Rückzüge, Fahnenflucht und Waffenstillstand." 497 Der um Glaubenshilfe Bemühte erinnert daran, daß es keineswegs abzusehen ist, ob der Versuch der Rekrutierung eines Einheitsheeres aus ehemaligen Gegnern erfolgreich endet. 498 Auf dem Hintergrund dieses Umstandes wird H. Tacke zum Mahner, der zu bedenken gibt, "daß die kirchliche Seelsorge noch andere Themen zu bewältigen hat als das ihres Verhältnisses zur Psychotherapie. Vielleicht sollte es bei einem geteilten Aufgabenbereich bleiben, zumal jede Seite mit ihrem unterschiedlichen 'Programm' genügend ausgelastet ist." 499 - 'Christusseelsorge', die sich auf ihre ureigene(n) Grundlage(n) besinnt, ist 'praxis Euangelii'500, sie hat hermeneutische, aber nicht therapeutische Funktion. 501 Die Hinwendung zur Therapie und damit zur Psychologie in den 493 494 495 496

497 498 499 500

501

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Tacke 1979, 155. Tacke 1979, 155. Tacke 1979, 155. Die von H. Tacke postulierte "saubere Differenzierung" (Tacke 1979, 155) schließt m.E. ebenfalls die Vorstellung eines Seelenarztes mit priesterlicher Funktion (siehe dazu Jung 1973b, 372) aus. Auch der weltliche Seelsorger Bernetscher Prägung (siehe z.B. Bernet 1988, 132f.) dürfte als 'dritte Kraft' neben 'Priesterarzt' und 'Arztpriester' nicht das Gefallen H. Tackes finden. Tacke 1979, 155. Vgl. Tacke 1979, 155. Tacke 1979, 155. H. Tacke verweist auf die Verwendung dieses gefüllten Begriffs bei M. Josuttis und führt dazu aus: "Eine Praxis, die nicht nur vom Evangelium inspiriert, sondern in voller Präsenz des Evangeliums und eben darum als praktiziertes Evangelium den seelsorgerlichen Dienst vollzieht, muß notwendigerweise an einer besonderen Vollmacht der seelsorgerlichen Hilfe zu erkennen sein. Dieser Praxis kann also auch nur ein Ziel entsprechen, das nicht nur in der Bezeugung oder Verkündigung des Evangeliums, sondern das in seiner Verwirklichung besteht." Tacke 1979, 27. Vgl. Tacke 1979, 159.

Reihen der Theologen geht für H. Tacke mit einer Simplifizierung reformatorischer Grund(er)kenntnisse einher. 502 Überaus kritisch wird in der 'Glaubenshilfe' resümiert: "Die Praktische Theologie und besonders die kirchliche Seelsorge zeigen die Neigung, ihrem heutigen Partner solche christologischen 'Umwege' möglichst zu ersparen. Wenn überhaupt der Glaube im seelsorgerlichen Gespräch noch eine Rolle spielt, wird ihm mit Nachdruck das Siegel des 'pro me' aufgedrückt. Es ist aber kein im 'extra nos' verankertes 'pro me', sondern nur noch ein Anzeichen für existentielles Betroffensein." 503 Dies führt zumindest tendenziell zu theologischer Selbstverleugnung versehen mit dem Etikett 'Beratung'.504 Das in Christus aufgehobene Selbst des Menschen wird ausgeblendet oder geflissentlich übersehen; stattdessen wird auf religiöse Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung in konkreter Situation gesetzt. Die aus dieser Grundhaltung resultierende 'Hilfe' zielt in erster Linie auf Situationserhellung bzw. auf "korrelative Inanspruchnahme der 'Situation'"505 hin. Da nun aber das Evangelium zwar situationsbezogen, aber nicht situationsimmanent ist, lehnt H. Tacke die ausschließliche Konzentration auf das jeweilige 'Setting' im Hier und Jetzt ab. 506 Er hält die Berücksichtigung des situativen Kontextes für durchaus relevant, will jedoch auf keinen Fall zugunsten einer Situationsanalyse von den 'Zumutungen des Evangeliums' lassen. Kirchliche Seelsorge habe - so betont H. Tacke theologische Qualität aufzuweisen, die über bloßes Analogiedenken hinausführen müsse. Es gehe nicht an, die 'soteriologische Differenz' zwischen Göttlichem und Menschlichem (oft genug allzu Menschlichem) außer Kurs geraten zu lassen. Denn: "Analogische Theologie als Mittel zur Qualifizierung einer Seelsorge, die Inkarnation nicht verbal bezeugen, sondern habituell realisieren will, entspricht nicht mehr dem Heilshandeln Gottes, sondern gerät zu Imitationen und Identifikationen."507 In letzter Konsequenz führt das zu einer Gewichtsverlagerung, ich könnte auch sagen zu einem Ungleichgewicht. Das Humanum wird dem

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Vgl. Tacke 1979, 138. 503 Tacke 1979, 138. Vgl. Tacke 1979, 138. 505 Tacke 1979, 138. Vgl. dazu Tacke 1979, 138 u. 139ff„ wo sich H. Tacke kritisch mit den Konzepten C. Odens und P. Tillichs auseinandersetzt. Tacke 1979, 140. - Tacke führt diesbezüglich aus: "Eine Seelsorge, die ihr Tun gern als psychologische Verwirklichung von theologischen Verkündigungsinhalten versteht, muß sich fragen lassen, ob sie durch das Analogieschema nicht zu Identifikationen verführt wird, an denen sie sich übernehmen muß, und ob die Worte nicht zu groß sind, mit denen sie ihre Möglichkeiten und Erfolge beschreibt." Ebd., 144.

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Christianum vorgeordnet; der zwischenmenschlichen Analogie kommt mehr Bedeutung zu als der 'Sache' selbst. "Sie verweist nicht länger auf Gottes Annahme des Menschen, sondern sie mutet sich zu, selber die Verwirklichung dieser Annahme Gottes zu sein. ... Das menschliche Akzeptieren trägt und verwirklicht Gottes Akzeptieren."508 Solche Vorgehensweise führt nach H. Tacke zu einem defizitären Seelsorgemodell, das in sich - zumindest was die Vertikale anlangt - kommunikationshemmend wirkt. Die Begegnung mit Gott wird unnötig gemacht bzw. gänzlich verunmöglicht. Die Rechtfertigung des Gottlosen ist von der Christologie abgekoppelt und auf die Ebene des rein Menschlichen verschoben. Das aber muß letztlich zu "Verlust an Gewißheit"zu radikalem Sinnverlust führen. "Die in Christus realisierte Rechtfertigung des Gottlosen kann nicht durch Transposition ins Psychologische, durch Empathie und Acceptation erfahrbar gemacht werden. Wären Vergebung und Liebe Gottes an die Kräfte mitmenschlicher Vergebung und Liebe gebunden, so bliebe das Kreuz Jesu Christi verborgen, wo Gottes Acceptation des gottlosen Menschen einen Ausdruck gefunden hat, der keine Analogie mehr zuläßt." 510 Auf der einen Seite wird die Seelsorge dadurch entleert, regelrecht 'entkerygmatisiert', auf der anderen Seite werden die seelsorg(er)lichen Funktionen überfrachtet, wo das verbale Zeugnis in seiner Verweisstruktur durch eindimensionale Kommunikation abgelöst/ersetzt wird. Psychologische Kategorien aber können auch und gerade dann, wenn ihnen theologische Relevanz zugesprochen wird - weder die Fülle noch die Unanschaulichkeit der Rechtfertigung aus Gnade durch Anschauung und Erfahrung transformieren.511 "Sie scheuen das 'extra nos', weil es sich psychologisch nicht verrechnen läßt." 512 Gerade darin erkennt H. Tacke die Gefahr einer unsachgemäßen "Sentimentalisierung der Seelsorge"513, da der Dimension des Erlebens fast zwangsläufig vermehrte Aufmerksamkeit zukommen muß. Psychologische Unmittelbarkeit wird so zur Heilsfunktion per se übersteigert und verfällt dadurch der Selbstüberschätzung, die mit unverantwortlichem Reduktionismus im Bereich des Christologischen einhergeht. Damit aber hat die Seelsorge Entscheidendes abgegeben und so ihr Eigentliches preisgegeben. Wo derart verfahren wird, kann nach H. Tacke nicht länger von christlicher Seelsorge gesprochen werden, denn deren Kennzeichen ist es, "daß ihre Partner sich nicht nur einander zuwenden, 508 510 512

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Tacke 1979, 141 f. Tacke 1979, 143. Tacke 1979, 146.

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Tacke 1979, 143. Vgl. Tacke 1979, 145f. Tacke 1979, 146.

sondern daß sie auch miteinander die Wendung zu Jesus Christus vollziehen" 514 . Auf den ersten Blick mag der Ansatz H. Tackes - zumal da, wo die therapeutische Seelsorge kritisiert wird 515 - wie eine Neuauflage der Anliegen E. Thurneysens erscheinen. Relationen im Bereich des Zwischenmenschlichen, Mitmenschlichen - so heißt es nicht nur einmal - dürfen nicht mit der Gottesrelation in eins gesetzt werden, 516 die Bedeutung des verbalen Zeugnisses wird aufs Deutlichste expliziert.517 "Die Hilfe zum Glauben braucht das Wort." 518 Nichtsdestoweniger ist die 'Glaubenshilfe' nicht nur von der in Tackescher Einschätzung gesprächsverabsolutierenden Lebenshilfe (sprich Beratung) amerikanischer Provenienz deutlich zu scheiden. Sie ist vielmehr ebenso scharf von der 'kerygmatisch-proklamativen' Vorgehensweise E. Thurneysens abzugrenzen. 519 Denn, so führt H. Tacke aus: "Die Vermittlung von Glaubenshilfe bedarf eines spezifischen Gesprächs, das nicht als vorläufige Form des 'Eigentlichen' zerbrochen werden darf, das aber auch nicht aus sich selber lebt." 520 Bei H.Tacke ist die Seelsorgesituation durch völlige Gleichberechtigung der in ihr Befindlichen geprägt. Im Seelsorgegespräch kommt es für ihn auf "gesprächsgerechte Mitsprache des Glaubens" 521 an, in der sich 'doppelte Partnerschaft' (eben Partnerschaft in der zwischenmenschlichen und der göttlichen Relation) als bereits vorhandene zeigt sowie als noch ausstehende, aber immer schon anstehende anbahnt. 522 Insofern in der Seelsorgesituation die Glaubensrelation zum Tragen kommt, fällt der kerygmatische Anspruch, ein bestimmtes Soll an Verkündigung erfüllen zu müssen. 523 Der Seelsorger und sein Partner haben "den Zeit-Raum zur ungestörten Begegnung" 524 ; es ergibt

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Tacke 1979, 146. 515 Vgl. z.B. Tacke 1979, 20ff. Vgl. Tacke 1979, 169 u.ö. 517 Vgl. z.B. Tacke 1979, 145. Tacke 1979, 180. Es kommt bei H. Tacke zu einer Abgrenzung nach zwei Seiten: Weder verabsolutiertes Gespräch noch kerygmatisch-proklamativer Bruch finden seine Zustimmung. Vgl. Tacke 1979,170. Tacke 1979, 170. 521 Tacke 1979,170. Vgl. Tacke 1979, 170. Daneben gilt selbstverständlich auch, daß, insofern die Kommunikation als Mitmenschlichkeit verstanden wird, diese von dem Druck entlastet ist, ein therapeutisches Verfahren sein zu müssen. Vgl. Tacke 1979, 171. Tacke 1979, 173. - Es ist wohl nicht von ungefähr, daß H. Tacke in diesem Zusammenhang K. Barth zitiert: "Es geht für das Ich darum, sich dem Du gegenüber auszusprechen. Gesprochenes, von mir gesprochenes Wort ist meine aktive

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sich so weder die Gefahr psychischer 525 noch die geistlicher Überforderung, denn die "Basis der Mitmenschlichkeit unter dem Schutz der Glaubensrelation gewährt volle Hinwendung zum anderen ohne klerikale Hintergedanken, ohne die Angst, den 'Kairos' zu verpassen"526. Die Christusrelation ist als solche (vertikal/horizontal ausgerichtet) partnerschaftlich orientiert und läßt so auch horizontal Partnerschaftlichkeit zu, ohne einseitigen Partnerzentrismus auszulösen. 527 Letzterer ist als therapeutischer und kerygmatischer gleichermaßen abzulehnen, da er im Extrem zur Verobjektivierung des Gegenübers im Seelsorgeakt führen kann. 528 Der Seelsorgesuchende darf aber weder zum Objekt therapeutischer Bemühungen noch zum Gegenstand verkündigender Bemühungen werden. 529 Vielmehr gilt es, 'anredenden Umgang' mit Menschen zu pflegen und diese so in ihrer Originalität und Einzigartigkeit ganz ernst zu nehmen. 530

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Selbstkundgabe zum Du hin, mein spontanes Überschreiten der notwendigen Grenze, meines bloßen Sichtbarseins für den Anderen." Barth 1948, 304. Die Gefahr psychischer Überforderung erkennt H. Tacke da, wo der Seelsorger unter den Zwang gerät, mit seinen eigenen Worten und Taten zur Vergegenwärtigung Jesu Christi beitragen zu müssen. Vgl. Tacke 1979, 173. Tacke 1979, 173. Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß H. Tacke durchaus die Notwendigkeit partnerzentrierter Ausrichtung eines Seelsorgegesprächs sieht. Er spricht sogar von einer "Priorität ... der 'Exploration' des hilfesuchenden Menschen" (Tacke 1979, 174), verweigert sich jedoch den Seelsorgemodellen, bei denen seiner Meinung nach "die partnerzentrierte Einstellung zu einer auf den Partner fixierten Methode" (ebd.) wird. Wo dieser 'Umschlag' erfolgt, wird der Seelsorger unversehens zur 'religiösen Übertragungsfigur', die sich auf 'Re-flexion' beschränkt und hauptsächlich schweigt bzw. so spricht, daß seine Worte von dem leben, was der andere sagt. Bei Tacke 1979, 174 heißt es: "Es gibt eine 'partnerzentrierte' Seelsorge ohne Partnerschaft." Gemeint ist die 'client-centered' Methode der amerikanischen Seelsorgebewegung. Vgl. Tacke 1979, 175. Vgl. Tacke 1979, 175. - Generalisierung und Klischeebildung gibt es sowohl im psychologischen als auch im theologischen Bereich. Kein Mensch geht aber in psychologischen und/oder theologischen Kategorien vollends auf. Es ist interessant, daß H. Tacke gerade in diesem Zusammenhang von der Seelsorge-und Gebetspraxis E. Thumeysens spricht. Bei H. Tacke heißt es: "Das Gebet verhindert das Überschätzen der eigenen Kunst, Technik und Erfahrung. Das Gebet verhilft zu einer Einstellung, die das Einmalige und Unvergleichliche, das die Lebenssituation des Menschen auszeichnet, in jeder Begegnung sehen und respektieren kann." Ebd.

In gewisser Weise kann ich die Ausführungen H.Tackes mit W. Neidhardt als 'neo-orthodox'531 bezeichnen, da sie, in einer Zeit der Hochschätzung anthropologischer Konstituenten, dem eindeutigen Postulat nach theologischer Qualifikation aller Seelsorgebemühungen wieder das Wort reden. Hier steht H. Tacke - von Unterschieden in anderen Bereichen einmal abgesehen - eindeutig in der Nachfolge E.Thurneysens. Im Tackeschen Ansatz ist demgemäß das Proprium christlicher Seelsorge keineswegs der Verzicht auf ein Proprium, wie ihn seiner Meinung nach die therapeutische Seelsorge fordert. 532 "Das 'generelle' Proprium, also die theologische Motivation und Intention des seelsorgerlichen Dienstes, darf nicht ausschließlich von der Glaubensüberzeugung des Seelsorgers vertreten sein. Nicht nur der Seelsorger, sondern die Seelsorge selbst, die Form der Begegnung, die Gestalt des Gesprächs, die Thematik in ihrer Entfaltung und Durchführung, die gewonnenen Einsichten und die vermittelte Hilfe - das alles müßte theologisch qualifiziert sein, wenn es dem Namen einer kirchlichen, evangelischen Seelsorge entsprechen soll."533 Dabei darf es selbstverständlich nicht darum gehen, theologische Intentionen um jeden Preis - auch auf Kosten des Seelsorgesuchenden - zu verwirklichen.534 Es kommt vielmehr darauf an, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, d.h. hier, die Seelsorge an das Evangelium zu binden, um so auf das ihr anvertraute Eigene verweisen zu können, ohne den Seelsorgesuchenden auszugrenzen bzw. in seiner Lebenssituation nicht genügend zu berücksichtigen. 'Glaubenshilfe als Lebenshilfe' will die Transzendenz Gottes in der Immanenz menschlichen Daseins aufweisen und zur Sprache bringen. Der transzendente Gott soll dabei nicht zu einem in der Immanenz aufgehenden gewandelt werden, sondern umgekehrt soll der Mensch auf Transzendenz hin orientiert werden, um so von der Vertikalen her das Leben in der Horizontalen zu deuten und schließlich auch zu bewältigen. Seelsorgedienst ist damit in erster Linie immer 'Glaubensdienst'. Dieser Tatsache eingedenk kann der Seelsorger "dankbar die Hilfe der Soziologie und Psychologie in Anspruch nehmen" 535 ; er soll aber seinen eigentlichen Auftrag niemals vergessen, er darf nicht außer acht lassen, daß es in der Seelsorge darum geht, den Glauben als Erkenntnisquelle und Er-

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Zum Begriff 'neo-orthodox' vgl. die Überschrift bei Neidhardt 1977, 219. Vgl. Tacke 1979, 20. Tacke 1979, 21. Das wäre m.E. monistisch-einliniger Dogmatismus schlimmster Art. Tacke 1979, 33.

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mutigung in Anspruch zu nehmen, um dann in einem zweiten Schritt die existentielle Betroffenheit, die aus dem Glauben erwächst, in Korrelation mit den seelsorg(er)lichen Problemen zu bringen. 536 Evangelische Seelsorge ist - wird dies alles beherzigt - eine Bewegung 'vom Glauben her auf Glauben hin', die es nicht nötig hat, "im Gewand säkularer Verkleidung" 537 daherzukommen, um so dem Leben vermeintlich näher zu sein. 538 "Der Glaube konkurriert nicht mit dem Leben, sondern das Leben kommt im Macht- und Schutzbereich des Glaubens zu seinem Recht." 539 Es ist von daher nicht einzusehen, warum das Proprium christlicher Seelsorge nur noch verschämt und getarnt in Erscheinung treten sollte. Wo es dazu kommt, muß dies als Krise der Seelsorge gesehen und letztlich als Krise des Glaubens verstanden werden, 540 Neun Jahre nach Erscheinen der 'Glaubenshilfe' in zweiter Auflage 541 betont H. Tacke nach wie vor den Rechtfertigungscharakter evangelischer Seelsorge 542 / 543 . Er kommt zu dem logischen Schluß, daß jeglicher Siwiverlust in bezug auf Rechtfertigung allgemein auch einen Relevanzverlust der auf Rechtfertigung bezogenen Seelsorge nach sich zieht. Oder anders gesprochen: der Bedeutungsschwund christlicher Seelsorge erscheint symptomatisch und verweist auf den Bedeutungsschwund des Rechtfertigungsgeschehens bzw. seiner An- und Aussage. 544 Für die allmähliche Auflösung evangelischer Seelsorge der Rechtfertigung lassen sich nach H. Tacke auch noch andere Gründe benennen, Gründe, die ihrerseits zur inhaltlichen Entleerung des Rechtfertigungsgedankens beitragen. Dies gilt z.B. für die fortschreitende Trennung (Abkoppelung) von Gesetz und Evangelium. Wo das Bewußtsein dafür, daß das Evangelium 536 537 538

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Vgl. Tacke 1979, 33f. Tacke 1979, 35. Tacke 1979, 32 definiert Seelsorge wie folgt: "Seelsorge ist praxisbezogene Vermittlung des Evangeliums in Form eines freien Gesprächs, in dem die Seelsorge Gottes zur Sprache kommt. Das seelsorgerliche Ziel besteht in der Hilfe zum Glauben, so daß der Glaube sich als Lebenshilfe erweisen kann." Tacke 1979, 35. Vgl. Tacke 1979, 34. Die erste Auflage erschien 1975. In der Diktion H. Tackes 'kirchlicher' Seelsorge. Vgl. Tacke 1989d, 193. Ich beziehe mich hier und im folgenden auf Ausführungen, die H. Tacke in einem Vortrag während des Symposions anläßlich des 100. Geburtstags von E. Thurneysen in der Evangelischen Akademie Iserlohn am 18.6.1988 hielt (siehe Tacke 1989d). Vgl. dazu Tacke 1989d, 193.

auch in der Form des Gebotes, als Gebot der Gnade, zur Sprache kommt (kommen kann), verloren geht, ist radikaler Substanzverlust zu verzeichnen, der von der Einheit zweier wechselseitig aufeinander bezogener Größen zur Einseitigkeit und d.h. zum Monismus führt. 545 Eine weitere Schwierigkeit erkennt H. Tacke in der Differenz(ierung) von Seelsorge und Seelenleitung. Zum einen führt diese Unterscheidung zu einer künstlichen Zergliederung des Menschen, der in seiner sarkischen Existenz durch Leib und Seele als Einheit konstituiert ist; 546 zum anderen zu einer Scheidung zwischen 'Seelsorge Gottes' und 'beratender, problemorientierter Seelenpflege'. Die Kontrapunktik im Verhältnis der beiden letztbenannten Größen birgt die Gefahr einer verabsolutierten Betonung des 'extra nos' bei gleichzeitiger Herabminderung des 'in nobis'. Die daraus resultierende hierarchische Über- und Unterordnung verschiedener Seins-Relationen (Bezogensein auf Gott, Bezogensein auf [einen] Menschen) verkennt die spannungsreiche Dialektik christlichen Glaubens, der zwar exterritorial verankert ist (extra nos), aber doch das eigene Haus erwärmt (in nobis).547 Die Abwehr und häufig auch Abwertung evangelischer Seelsorge hat nach H. Tacke einen weiteren Grund in der unsachgemäßen Vermischung (Verwechselung) von Kanzel rede und Seehorgegespräch. Stellt erstere die 'Königsgestalt' der Seelsorge dar, die reichlich gibt, ausspricht und zuspricht,548 so letzteres ihre 'Bettlergestalt', die anspricht und dann aussprechen läßt, die sozusagen die Hand aufhält, um entgegen-

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Vgl. dazu Tacke 1989d, 193f. - Daß dialektisches/dualistisches Denken mitunter auch spezifische Schwierigkeiten mit sich bringt, erläutert H. Tacke am Begriff der Paraklese, die sowohl Ermutigung als auch Ermahnung sein soll. Tröstendes Ermahnen und ermahnendes Trösten erscheinen beide u.U. als "hölzernes Eisen" (ebd., 194), das realiter nicht gegeben sein kann. Der Mensch hat keine Seele, sondern er ist eine Seele, so wie er 'leibt' und lebt. Vgl. dazu Tacke 1989d, 197. H. Tacke wehrt sich - m.E. zu Recht - gegen eine 'Zweiklassen-Seelsorge', die den Mehrwert des Transzendenten proklamiert und das menschliche Sein in seiner Immanenz abwertet. Selbstverständlich ist auch die Predigt als zumeist monologische Kanzelrede auf den Dialog angewiesen. Sie ist idealiter ein Teil des gemeindlichen Gesamtkommunikationsprozesses; in und mit ihr setzt sich der Predigende mit vorhandenen Fragen auseinander, versucht, erste Antworten zu geben und formuliert stellvertretend weiterführende Fragen. Nichtsdestoweniger ist der Hauptkommunikationsmodus der Predigt auf seiten des Predigers die Rede; sein Hören geht der eigentlichen Predigt vorauf oder nach.

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zunehmen. 549 Auf der Kanzel wird Rede erwartet, die Situationskenntnis zum Ausdruck bringt, im Seelsorgegespräch zunächst ein offenes Ohr und dann ein hilfreiches Wort550. Wo dieses Zuordnungsverhältnis von Reden und Hören situationsbezogen gestört ist, wird Kommunikation gehindert - schlimmstenfalls sogar verhindert. Um die Balance 551 von Hören und Reden im Seelsorgegespräch zu ermöglichen und/oder zu halten, empfiehlt H. Tacke Mut zur Seelsorgesituation ohne "feststehendes Methodenkonzept, aber auch ohne evangelistisches Verkündigungskonzept"552; erkennt er doch in ersterem die Gefahr einer Überbetonung des Hörenmüssens und in letzterem die Gefahr fortwährenden Bekenntnis- und Redezwangs. Wenig einladend wird nach H. Tacke häufig in der gegenwärtig vorfindlichen evangelischen Seelsorge die Bibel eingesetzt. Sie erscheint allzu oft als unzeitige 'schriftliche Erstarrungsform des Evangeliums'553, die in erster Linie dogmatisch gedeutet und appliziert wird. Das dynamische Element - die 'Dynamis des Evangeliums' - bleibt dabei unberücksichtigt und verkümmert; es kommt kaum mehr in den Blick, daß die biblische Geschichte als unvollendete und unendliche nach vorn drängt und forterzählt werden will. 554

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Vgl. dazu Tacke 1989d, 198f., wo Bezug auf H. Wilkens genommen wird. Die hier konstatierte Vorordnung des Hörens im Seelsorgegespräch (ebd., 198 ist vom "Primat des Hörens" in der Seelsorge die Rede) schließt das gesprochene Wort des seelsorg(er)lich Tätigen keineswegs aus, sondern selbstverständlich ein. Allerdings gehört in der Seelsorge - im Gegensatz zur Kanzelrede - der Hörvorgang direkt zur Situation dazu und bietet nicht nur deren Rahmen. Es muß selbstverständlich nicht bei Worten bleiben, obwohl alles auf das eine Wort, das sich auch tatsächlich aussprechen will, konzentriert sein sollte. Eine völlige Ausgewogenheit von Hören und Reden im Seelsorgegespräch ist kaum vorstellbar und auch nicht erstrebenswert; es geht vielmehr um ein 'Fließgleichgewicht', das situationsbezogen je neu entsteht. Tacke 1989d, 199. Vgl. Tacke 1989d, 199. H. Tacke postuliert für die Seelsorge den Gebrauch der Bibel als Erzählbuch, dessen narrative Ethik sich selbst expliziert. Es geht nicht darum, auf die Bibel hinzuweisen, sondern darum, "sie selber zu Wort kommen zu lassen - nicht nur mit den Stimmen ihrer Glaubenden, sondern auch mit den Stimmen ihrer Angefochtenen" (Tacke 1989d, 199f.). Denn die "Bibel hilft dem in sich selbst gefangenen Menschen, aus seiner Sprachlosigkeit herauszukommen. Er soll j a nicht nur angesprochen werden, sondern er soll sich auch selber aussprechen. Aus der Bibel kommt ihm dazu die entscheidende Sprachhilfe entgegen." Ebd., 200; Hervorhebung M.P.

Eingedenk der o.g. Gefahren und Defizite im Bereich evangelischer Seelsorge kommt H. Tacke zu dem Schluß, daß Seelsorge der Rechtfertigung eine dreifache Ausprägung und (erneute) inhaltliche Füllung erfahren muß, soll sie nicht zu einer sich zwangsweise und zwanghaft selbstrechtfertigenden Seelsorge verkommen. Seelsorge der Rechtfertigung ist: 1) "'Ergänzungs-Seelsorge'"555, die Trost zuspricht und so durch Auffüllung eines Defizits tröstet. 2) "'Geborgenheits-Seelsorge'"556, die in Gemeinschaft (wieder)eingliedert und so Nähe vermittelt und (erneut) zulassen lehrt. 3) "'Aufwertungs-Seelsorge'"551, die den Menschen als Bundespartner Gottes ausweist und so in seinem Selbstwertgefühl stabilisiert. In allen drei Dimensionen kommt die qualitative Unterschiedenheit zwischen Gott und Mensch (der Bruch558) zum Tragen, aber auch das modale Element der Wendung, der gemeinsamen Hinwendung (von Seelsorgebedürftigem und Seelsorgegewährendem) trotz aller Funktionsunterschiedenheiten, wirkt sich aus. Rechtfertigung erscheint demgemäß in 'flüssigem Zustand' ohne Verfestigungen und Formelhaftigkeiten; sie ermöglicht prozeßhaftes Seelsorgegeschehen in bewußter Abkehr von poimenischem Methodismus oder Pragmatismus. Der Mensch, der verzweifelt er selbst sein will, kommt dabei ebenso in den Blick wie der, der voller Verzweiflung versucht, nicht er selbst zu sein. Beiden wendet sich die Seelsorge der Rechtfertigung zu; beiden versucht sie zu dienen in ihrer Funktion als Glaubenstherapie zwischen Verheißung und Erfüllung.559

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Tacke 1989d, 201. Tacke 1989d, 201. Tacke 1989d, 202. Vgl. dazu z.B. Kurz 1985a. Vgl. dazu Tacke 1989d, 201, wo der Begriff 'Glaubenstherapie' - anders als im mündlichen Vortrag - nicht vorkommt und es (etwas abgeschwächter?) heißt: Theologisch verantwortete Seelsorge "sieht Adam auf dem Wege zu Christus, auf dem Weg von der Verheißung zur Erfüllung". Zum Begriff 'Glaubenstherapie' vgl. ansonsten Tacke 1989b, 36: "Dem homo incurvatus und seiner Seelsorgebedürftigkeit ist nur die biblisch verankerte Glaubenstherapie gewachsen. Darum ist die kirchliche Seelsorge nicht 'Psychotherapie im kirchlichen Kontext' (D. Stollberg), sondern etwas ganz anderes, nämlich Glaubenstherapie im eschatologischen Kontext von Verheißung und Erfüllung."

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C.G.Jung: Der Sinn ist das Ziel Zum Verhältnis von Theologie und Psychologie bzw. Seelsorge und Psychotherapie haben sich zahllose Theologen zu Wort gemeldet; das Gros der Psychotherapeuten, Analytiker etc. blieb schweigsam. Nur wenige in ihren Reihen ergriffen das Wort, und verschwindend gering war und ist unter diesen die Zahl derer, die für ein Miteinander der beiden oft so ungleichen Schwestern Theologie und Psychologie eintraten bzw. eintreten. 560 Eine deutliche Ausnahme stellt der Schweizer Analytiker C.G. Jung (1875-1961) dar. 561 Seine Ausführungen seien hier deshalb exemplarisch und stellvertretend vorgestellt. In dem 1928/29 erschienenen Aufsatz 'Psychoanalyse und Seelsorge' 562 bezeichnet C.G. Jung die beiden benannten Größen zunächst einmal als "zwei wesensverschiedene Dinge"563. In der durch einen Geistlichen ausgeübten Seelsorge erkennt er den Hang zu religiöser Beeinflussung auf der Grundlage christlichen Glaubensbekenntnisses,564 die Psychoanalyse hingegen wird als neutraler Eingriff zum Zwecke der Bloßlegung bestimmter Inhalte des Unbewußten angesehen. 565 Letztere hat in den Augen C.G.Jungs sozusagen 'Schlüsselfunktion' im Rahmen der Seelsorgehandlung, und so kommen Seelsorge und Analyse dann doch zusammen, obwohl sie Größen verschiedenen Wesens sind. Denn insofern in der Seelsorge Seele auf Seele wirken will, müssen in ihr 560 561

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Vgl. aber Benedetti 1968 oder auch Zöllner 1985. C.G.Jung war zunächst enger Mitarbeiter und designierter Nachfolger S.Freuds; persönliche und fachliche Differenzen führten jedoch zum Bruch zwischen den beiden 'Pionieren' der psychoanalytischen Bewegung und auf Seiten C.G.Jungs zur Herausbildung einer eigenständigen psychodynamischen Theorie, die von ihm selbst als 'analytische Psychologie' bezeichnet wurde. Zu deren Spezifika vgl. Krech u.a. 1985b, 45ff. Jung 1973a. Jung 1973a, 377. Vgl. Jung 1973a, 377. Vgl. Jung 1973a, 377. - Differenzierend und differenziert verweist C.G. Jung darauf, daß längst nicht alle tiefenpsychologischen Schulen rein deskriptiv vorgehen. In der Methodik A.Adlers z.B. wird eine "Weiterbildung der französischen 'reéducation de la volonté' und der Dubois'schen 'psychischen Orthopädik"' (ebd.) erkannt. Nichtsdestoweniger bleibt auch die Adlersche Methodik von der Seelsorge unterschieden. Beide haben "nur einen Punkt gemeinsam, und das ist die Tatsache, daß sich beide an das Bewußtsein wenden und dabei an Einsicht und Willen appellieren" (ebd.).

viele Türen aufgeschlossen werden; die Mittel dazu, ansonsten verschlossene Türen zu öffnen, aber hat die Psychoanalyse.566 Wo sie Unbewußtes bzw. Unterbewußtes zutage fördert, da stellt sie "den Patienten vor sein Lebensproblem und damit vor gewisse letzte ernste Fragen, denen er bis dahin ausgewichen ist"567. Diese Fragen aber - einmal gestellt - sollen erwartungsgemäß nicht vom Arzt, sondern vom Theologen/Geistlichen beantwortet werden. 568 Hier wird nicht ärztliche Hilfe erbeten, sondern eine religiöse Lösung seitens des Seelsorgers gesucht.569 C.G. Jung betont: "Der Arzt kann das Problem auf der Basis des wissenschaftlichen Materialismus mit ärztlicher Diskretion behandeln, d.h. die Ethik seines Patienten kann er als etwas betrachten, das jenseits der ärztlichen Kompetenz liegt. Er kann sich ruhig hinter den berühmten Satz zurückziehen: 'Da müssen Sie eben selber sehen, wie Sie durchkommen.' Der protestantische Seelsorger kann aber meines Erachtens seine Hände nicht in Unschuld waschen, sondern müßte eigentlich die Seele des sich ihm anvertrauenden Menschen auf ihrem dunklen Gange begleiten. Dabei nützt ihm ein reduktiver (psychoanalytischer) Standpunkt wenig, denn Entwicklung ist Aufbau und nicht Zerlegung" 570 . Das Verhältnis von Psychoanalyse und Seelsorge ist diesen Ausführungen gemäß in gewisser Weise das von Frage und Antwort. 571 Die Psychoanalyse führt zu den wesentlichen Lebensfragen hin, sie hilft, sie bzw. sich ihnen zu stellen; die Seelsorge sollte sie beantworten (helfen). Angesichts der oftmals bedrängenden 'Lebensfrage(n)' stoßen Arzt und Geistlicher in der analytischen Psychologie unweigerlich aufeinander. 572 Dieses Zusammenprallen aber sollte zu fruchtbarer Zu566 568 570

Vgl. Jung 1973a, 380. 567 Jung 1973a, 380. Vgl. Jung 1973a, 381. 569 Vgl. Jung 1973a, 381. Jung 1973a, 381. - Es ist nicht von ungefähr, daß C.G. Jung zwischen protestantischer und katholischer Seelsorge unterscheidet. Letztere kann seiner Meinung nach die Elemente seelischer Analyse eher und leichter verwenden als erstere, da sie zum einen über historisch festgelegte Verhaltensschemata und zum anderen über eine anschauliche rituelle Symbolik verfügt, während die protestantische Seelsorge in Ermangelung eben dieser rituellen Formen in wesentlich stärkerem Maße der psychologischen Technik bedarf.

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Siehe dazu ähnlich - wenn auch in überspitzter Form - Bernet 1988, 129ff., bes. 132f. Der bei C.G.Jung einmal angeschlagene Ton dringt auch bei seinen Schülern durch. So schreibt v.Brasch 1976, 36: "... dass die Zäune zwischen Theologie und Psychotherapie soweit wie möglich abgebaut werden sollten; denn wir (Theologen und Psychotherapeuten, M.P.) arbeiten ja beide am selben Thema, nämlich am Begreifen des Menschen, um ihm in seiner Not zu helfen."

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sammenarbeit zum Wohle des jeweiligen Klienten und nicht zur Feindschaft führen. 573 Im Grunde kann nach C.G. Jung jeder einsichtige Psychotherapeut die Bemühungen eines Seelsorgers nur begrüßen. 574 "Allerdings wird die Problematik der menschlichen Seele, der sich Geistlicher und Arzt von entgegengesetzten Seiten nähern, keine geringen Schwierigkeiten verursachen, nicht zum mindesten wegen der Verschiedenheit der Standpunkte. Aber man darf gerade aus diesem Zusammenstoß fruchtbarste Anregungen für beide Seiten erhoffen." 575 In dem im Mai 1932 gehaltenen Vortrag über die 'Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge'576 sieht C.G. Jung das Verbindungsglied zwischen psychotherapeutischen und seelsorg(er)lichen Interventionsmaßnahmen in der Kategorie des Sinnes. Das Leiden eines Neurotikers wird als ein Leiden der Seele definiert, die ihren Sinn nicht gefunden bzw. verloren hat.577 Die solcherart orientierungslose Seele versucht, dem, was sie ergreift, bzw. der chaotischen Verworrenheit ihrer selbst, sinnvolle Gestalt zu verleihen.578 Situationsbezogene Erklärungen und tröstende Worte können dabei insofern hilfreich sein, als sie Sinn oder ganz allgemein Bedeutung übermitteln.579 'Sinn' ist dabei als ein geistiges 'Etwas' zu verstehen. C.G. Jung führt aus: "Man kann es meinetwegen Fiktion nennen. Durch Fiktion aber beeinflussen wir die Krankheit in unendlich viel wirksamerer Weise als durch chemische Präparate, ja wir beeinflussen sogar den biochemischen körperlichen Prozeß. Ob sich nun die Fiktion in mir erzeugt oder von außen durch Sprache mich erreicht - sie kann mich krank oder gesund machen - Fiktionen, Illusionen, Meinungen sind wohl die aller intangibelsten, allerunwirklichsten Dinge, die man sich denken kann, und doch sind sie seelisch und sogar psychophysisch die allerwirksamsten."580 Dies alles vorausgesetzt, be573 574 575 576

577

578 579 580

116

Vgl. Jung 1973a, 382. Vgl. Jung 1973a, 383. Jung 1973a, 383. Der ursprüngliche Titel des vor der Elsässischen Pastoralkonferenz zu Straßburg gehaltenen Vortrags lautete: 'Die Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge' (Jung 1932); 1973 erscheint der gleiche Beitrag unter der leicht veränderten Überschrift: 'Über die Beziehung der Psychotherapie zur Seelsorge' (Jung 1973b) in der Jungschen Gesamtausgabe. "Aus dem Leiden der Seele aber geht alle geistige Schöpfung hervor und jeglicher Fortschritt des geistigen Menschen, und der Grund des Leidens ist der geistige Stillstand, die seelische Unfruchtbarkeit." Jung 1973b, 358. Vgl. Jung 1973b, 359. Vgl. Jung 1973b, 357. Jung 1973b, 358.

steht die Aufgabe des Psychotherapeuten in erster Linie darin, Sinnfindung zu ermöglichen. Es geht dabei nicht darum, sinnstiftend vorzugehen; nicht der Therapeut gibt von außen (einen) Sinn vor, sondern der Klient soll dazu in Stand gesetzt werden, seinen eigenen Sinn aufzuspüren und zu benennen. Alle sinnhaften Errungenschaften menschlichen Strebens sind nach C.G. Jung "an eine, menschlicher Willkür entzogene, irrationale Bedingung geknüpft, nämlich an das Erlebnis. Erlebnisse aber können nie 'gemacht' werden. Sie geschehen, aber nicht absolut, sondern glücklicherweise relativ. Man kann sich ihnen nähern,"581 Der Weg zum Erlebnis ist dabei immer ein Wagnis, ein Wagnis auf Widerfahrnis hin. 582 - Das Problem des seelisch Leidenden nun ginge nach C.G. Jung, gerade weil es ein Leiden an der Sinnlosigkeit des Daseins darstellt, in erster Linie den Seelsorger an. 583 Dieser wird sozusagen als 'Sinnfachmann' apostrophiert, wenn auch nicht konsultiert.584 Im letzten jedoch steht der Seelsorger in Tat und Wahrheit ebenso wie der Arzt mit leeren Händen und oft genug auch mit leeren Worten da. 585 Dieser Umstand ist für C.G. Jung Indiz genug dafür, daß es höchste Zeit sei, daß Psychotherapeuten und Seelsorger sich die Hand reichten, um endlich dazu beitragen zu können, den immensen Sinnverlust seinerzeit zu stoppen bzw. rückgängig zu machen. 586 Denn, so führt C.G. Jung aus: "Unter allen meinen Patienten jenseits der Lebensmitte, das heißt jenseits 35, ist nicht ein einziger, dessen endgültiges Problem nicht das der religiösen Einstellung wäre. Ja, jeder krankt in letzter Linie daran, daß er das verloren hat, was lebendige Religionen ihren Gläubigen zu allen Zeiten gegeben haben, und keiner ist wirklich geheilt, der seine religiöse Einstellung nicht wieder erreicht, was mit Konfession oder Zugehörigkeit zu einer Kirche natürlich nichts zu tun hat."587 Das seines Sinnes verlustige Bewußtsein krankt letztlich an seinem 'So-sein' und bedarf dringend neuer Orientierung. Diese kann jedoch erst da erfolgen, wo mit dem leidenden Mensch Fühlung genommen wurde und wo er in seinem

581

Jung 1973b, 359.

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Vgl. Jung 1973b, 359.

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Vgl. Jung 1973b, 360.

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Die Gründe für letzteres sind vielfältig. Vgl. dazu Jung 1973b, 360ff.

585

Vgl. Jung 1973b, 360.

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Vgl. Jung 1973b, 362.

587

Jung 1973b, 362. - C.G. Jung verweist darauf, daß sich parallel zum Niedergang des religiösen Lebens die Zahl der Neurosen beträchtlich vermehrt habe. Vgl. ebd., 363. Hier läßt sich folgende Gleichung aufstellen: Verlust der Religion = Sinnverlust; Sinnverlust = neurotische Tendenz.

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wie auch immer gearteten So-sein angenommen wird. Fühlung jedoch "entsteht nur durch vorurteilslose Objektivität"588, die im letzten im christlichen Gebot der Nächstenliebe eingebettet ist. 589 Das Problem der Heilung hat demgemäß immer auch eine religiöse Dimension, ja, es ist nachgerade ein religiöses Problem.590 Bei der Lösung dieses Problems sollten Psychotherapeut und Seelsorger beteiligt sein, denn es geht in der Arbeit beider darum, die Einheit von Leben und Sinn (wieder)entdecken zu helfen. Es ist nach C.G.Jung ein Unding, das Religiöse im Heilungsprozeß außen vor zu lassen, wie es seiner Meinung nach in den "Psychologien ohne Seele"591 z.B. eines A.Adler oder S.Freud der Fall ist. 592 War doch der Mensch noch zu keiner Zeit imstande, "allein mit den Mächten der Unterwelt, das heißt des Unbewußten, fertig zu werden. Er bedurfte dazu stets der geistigen Hilfe, welche ihm seine jeweilige Religion gewährte."593 Wo die Seele aufgrund von Sinnverlust Schaden erlitten hat, muß sich der Therapeut entweder mit Fragen und Problemen beschäftigen, die eigentlich in den Bereich der theologischen Fakultät gehörten; der Seelenarzt übernimmt dann selbst eine beinahe priesterliche Funktion,594 oder er muß mit dem Seelsorger

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Jung 1973b, 367. Vgl. Jung 1973b, 367f. Vgl. Jung 1973b, 369. Jung 1973b, 361. Freudianer und Adlerianer antworten nicht; zu ihren Standards gehört es nachgerade, Antworten auszusparen, um so bei den - mitunter brennenden - Fragen ihrer Klientel zu verweilen. Bei Bernet 1988, 132 wird dieses 'Grundprinzip der Versagung' wie folgt charakterisiert: "Der Analytiker - ob er nun glaubt oder nicht, ob er eine Beziehung zum Christentum hat oder nicht - darf nach seiner Kunstregel keine Antwort geben. Er darf auch keinen Hinweis auf einen letzten Beantworter aller Fragen geben." Ihm ist von seiner Profession her ein methodischer Atheismus obligat zugeordnet. Dieser methodisierten 'Gottlosigkeit' (Antwortsverweigerung) steht nach W. Bernet auf Seiten der Seelsorge die methodisierte Nennung Gottes gegenüber; sie ist "für den Seelsorger - ob er nun glaubt oder nicht - notwendig" (ebd., 133) und führt zu einem methodischen Theismus (methodischen Christismus?), der m.E. ebenso blutleer und seelenlos 'wirken' kann wie das schroffe Versagungsprinzip der klassischen Analyse. In beiden Fällen wird u.U. Etikettenschwindel betrieben und so eine echte Begegnung mit dem hilfsbedürftigen Gegenüber verhindert. Ein künstliches Setting mit pflichtgemäß verweigerten bzw. geäußerten Antworten kann vielleicht vorübergehend Krisen auffangen, aber nicht wirkliches Leben mit seinem spannungsreichen Ineinander von unterschiedlichen Antworten und mancherlei offenen Fragen ersetzen.

593 594

Jung 1973b, 372. Vgl. Jung 1973b, 372f.

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so kooperieren, daß Sinnfindung erneut und auch unter Absehung von konkreter (womöglich konfessionsbezogener) Sinnbindung möglich wird. Es geht dabei nicht in erster Linie darum, unabänderliche Wahrheit zu vermitteln, sondern vielmehr darum, die Fülle des Lebens aufzuschließen und das Augenmerk des Klienten auf das zu richten, was wirklich ist. 595 Und wirklich ist nach C.G. Jung das, was wirkt. 596 In gewisser Weise ist die Beschreibung des Verhältnisses von Psychotherapie und Seelsorge bei C.G. Jung ein 'Ko(n)-sens- Modell'; der mögliche 'Di(s)-sens' wird nicht geleugnet, sondern diskutiert. Es kommt eben nicht darauf an, unterschiedliche Sinne gleichzuschalten und einen einzigen gültigen Einheitssinn heraufzubeschwören; die friedliche Ko-existenz unterschiedlicher 'Sinne' wird durchaus für möglich gehalten, ja, Sinnpluralität wird im letzten vorausgesetzt (zwanghafter Kon-sens führt zum Non-sens). Wichtig ist vielmehr der 'Sinn-Transfer' im Modus ganzheitlich ausgerichteter (Sinn-)Kommunikation (sei es in einer Therapie- oder in einer Seelsorgesituation). Er führt an das Wagnis der 'Sinn-Suche' heran und macht so 'Sinn-Findung' möglich.

Zum Verhältnis von Heil und Heilung597 Der Versuch, das Verhältnis von Heil und Heilung inhaltlich zu bestimmen und begrifflich zu fassen, stellt im letzten eine exemplarische Erörterung des Verhältnisses von Theologie und Humanwissenschaften allgemein bzw. von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie im besonderen dar.

595

Vgl. dazu auch Haendler 1971, 71, der postuliert, die Theologie in Theorie und Praxis sollte "sich von Jung zeigen lassen, wie wichtig und unerläßlich zum kirchlichen Dienst in heutiger Zeit neben und mit der Theologie der Glaubenswahrheit die Psychologie der Glaubenswirklichkeit ist" (Hervorhebung M.P.). Diese Forderung O. Haendlers entspricht seiner Auffassung, die Auseinandersetzung mit der Tiefenpsychologie sei kein Randproblem theologischen, zumal dogmatischen Denkens, sondern Kernproblem der Existenz. Vgl. Scharfenberg/Winkler 1971, 5.

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Vgl. Jung 1973b, 371.

597

Umfassende Literaturhinweise zum Thema 'Heil und Heilung' bietet eine Übersicht des Comenius-Institutes Münster (Im Blickpunkt 1990, 44ff.), die problemrelevante Grundlagentexte und schwer zugängliche Materialien dokumentarisch erfaßt.

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In der Frühphase der Auseinandersetzung um Seelsorge und Psychologie standen die Chiffren 'Heilung' und 'Heil' stellvertretend für zwei grundverschiedene Welten, die des Therapieprozesses und die der Sündenvergebung.598 So konnte S.Freud 1928 in deutlicher Abkehr von der s.E. "logisch unhaltbaren, psychologisch nur zu begreiflichen Inkonsequenz des Lebens"599, der Annäherung an Gott und Christus, von der "Blamage"600 sprechen, der er sich als ordentlicher Professor aussetzen würde, spräche er einem Klienten die Vergebung der Sünden zu. 601 Letzteres wäre im Sinne S.Freuds eine eindeutige Grenzverletzung mit anschließendem Terrainverlust, die den Psychoanalytiker von seiner eigentlichen Aufgabe der Übertragungsanalyse wegführte. Der positive therapeutische Auftrag würde dabei der Freudschen Auffassung gemäß umgemünzt zu einem minderwertigen bloßen Sich-Begnügen mit Suggestionserfolgen. 602 In der neueren Diskussion um das Verhältnis von Heil und Heilung 603 ist das dichotome Zuordnungsmodell weitestgehend aufgegeben worden; 604 mehr und mehr wurde die transzendente Größe Heil in die Immanenz des täglichen Lebensvollzuges integriert bzw. als immanent

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Riess 1987, 217 spricht von einem "Aufeinanderprallen zweier grundverschiedener Welten". Freud/Pfister 1980, 135. Freud/Pfister 1980, 136. Vgl. Freud/Pfister 1980, 135f. Vgl. Freud/Pfister 1980, 136. Speziell zum Verhältnis von Heilung und Heil bzw. Heilung und Erlösung bei S. Freud und C.G. Jung vgl. die m.E. bislang unüberholte Arbeit von Bach 1980. Vgl. dazu aber z.B. die Ausführungen von Herzog-Dürck 1979. Hier wird zwar einerseits auf das Ineinander und Miteinander von Heil und Heilung verwiesen: "Schon die Worte sagen ja, wie eng diese Vorgänge sich berühren, wie scheinbar künstlich die Unterscheidung ist. Gibt es 'Heil' ohne 'Heilung' - 'Heilung' ohne 'Heil'? Beide haben es mit dem ganzen Menschen zu tun ..." (ebd., 225). Andererseits wird weiterhin streng zwischen Seelsorge und Psychotherapie getrennt: Beide haben es zwar mit dem ganzen Menschen zu tun, "jedoch auf verschiedene Weise" (ebd.). "Theologische Seelsorge ist nicht Psychotherapie, Psychotherapie ist nicht theologische Seelsorge ... Dort geht es um die Hilfe, Weisung und Erhellung, die der Seelsorger dem um das Wachstum seines Glaubens Ringenden zu geben vermag, geht es um die Verwaltung der Sakramente. Hier geht es ... um die Selbstverwirklichung des leidenden Menschen, um die Heilung der Neurose, die ja immer einen Bruch in der Selbstverwirklichung des Menschen enthält. Dort geht es um Fragen des ewigen Heils, hier um Fragen der seelischen Heilung." Ebd. Dort steht die "Übung im Christsein" (ebd., 232) im Vordergrund, hier die "Übung im Menschsein" (ebd.).

bereits Vorhandenes anerkannt;605 neue 'Formen eines Miteinander' bildeten sich heraus und ergänzten das diffuse 'Feld der Mißverhältnisse'. Mit R.Riess läßt sich gegenwärtig ein dreifaches Verständnis des Zusammenhanges von Heil und Heilung konstatieren:606 Als 'Muster eines Mißverhältnisses'607 erscheinen erstens Identifizierung und zweitens Isolierung-, in Riess'scher Diktion ein magisches bzw. materialistisches Verständnis. Als 'Muster eines Miteinanders'608 stellt sich drittens der komplementäre Zusammenhang von Heil und Heilung dar (das eschatologische Verständnis). Die häufig völlig kritiklose Identifizierung von Heil und Heilung 609 entspringt menschlichen Omnipotenzphantasien, der "magischen Leitvorstellung von der Machbarkeit aller Sachen"610. Die Therapie/der Therapeut (bzw. die Seelsorge/der Seelsorger) wird in diesem Konzept häufig zur 'Heilsinstanz', die Unlust- bzw. Ohnmachtsgefühle aufhebt bzw. aufheben soll. 611 Mitunter wird auch an die 'Selbstheilungskräfte'

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Diese Entwicklung führte keineswegs nur zu positiven Ergebnissen. Riess 1987, 218 führt aus: "Gerade der Bedeutungsgehalt von 'Heil' erweist sich heute als hochaktuell. Er spiegelt sich in einem Spektrum von Versuchen, wenigstens Spuren von 'Heil' oder von einer 'heilen Welt' lebendig zu erleben: im politischen Tagtraum oder im Trancezustand von Drogen, in der Faszination der Waren oder in fernöstlicher Religion, im ekstatischen Tanz oder in mystischer Versenkung, in der Selbstbetäubung durch Schmerzstiller oder in der Utopie des guten Herzens." Auch die sprunghafte Entwicklung des 'New-Age-Gedankens' findet m.E. in diesem Zusammenhang eine Erklärung, ist doch die Proklamation holistischer Weltsicht letztlich Ausdruck menschlicher 'Ganzheits(sehn)sucht', ich könnte auch sagen: menschlicher Suche nach Heil.

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Vgl. dazu insgesamt ausführlich Riess 1987, 218ff. Ich übernehme diese Formulierung von R. Riess, der in bezug auf das Verhältnis von Seelsorge und Psychotherapie zwei 'Muster eines Mißverhältnisses': die Ablehnung (vgl. dazu Riess 1973, 32ff.) und die Auslieferung (vgl. dazu ebd., 40ff.) diskutiert. Auch diese Formulierung geht auf Riess 1973 zurück, wo in bezug auf Seelsorge und Psychotherapie Formen des Annehmens und Anerkennens des jeweils anderen erörtert werden. Vgl. dazu Riess 1973, 53ff. Vgl. dazu ausführlich Riess 1987, 219ff. - Diese beginnt m.E. bereits dort, wo Heilen (mit 'Erfolgsgarantie'?) als Auftrag der Kirche zur 'nota ecclesiae' hochstilisiert wird. So z.B. bei Bittner 1984, 38 oder bei Hollenweger 1989, bes. 408; vgl. dazu kritisch Bach 1988, 64. Riess 1987, 220. "Je weniger das Heil im Jenseits erwartet wird, desto utopischer werden irdische Heilungserwartungen." Lorenz 1981, 492. Illusionäre Gesundheitsvorstellungen werden zum Krankheitsfaktor, und wo im partiellen Heilwerden das absolute Heil

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des jeweiligen Klienten appelliert; die oft leidvoll erlebte "AllmachtsOhnmachts-Konstellation"612 menschlichen Lebens wird auf diese Weise selbstverständlich keineswegs überwunden, sondern stattdessen direktiv festgeschrieben. Es entsteht ein ewiger Zirkel von Allmacht und Ohnmacht, der dazu zwingt, endlos um sich selbst und die Machtfrage zu kreisen. Introspektive Fähigkeiten werden dabei u.U. bis zum Exzeß ausgebildet;613 unangemessen verstärkt wird so "gerade jenes magische Mißverständnis, demzufolge die Macht das A und das O des menschlichen Lebens sei"614. Die "Dimension des Wunders"615 wird dabei völlig außer acht gelassen bzw. zugunsten von 'Therapeutokratie' und utilitaristischem 'Machbarkeitsdenken'616 negiert.617 Das elementare, lebens-

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gesucht bzw. gesehen wird, da "wird Heilungserwartung zum Unheilsfaktor" (ebd., 493). Riess 1987, 220. Ich könnte von einer regelrechten 'Flucht in die Innenwelt' sprechen. Riess 1987, 222. - Allmachts- und Ohnmachtsgefühl zwingen den Menschen gleichermaßen dazu, "unaufhörlich und sozusagen mit 'zusammengebissenen Zähnen' sich und anderen zu zeigen, daß er etwas kann, daß er etwas ist" (ebd.). 'Allmachter' und 'Ohnmachter' sind demgemäß in sich verkrümmte Existenzen, die unter der Last ihres Selbstbildes leiden. Riess 1987, 222. - Der bei R. Riess eindeutig theologisch zu deutende Begriff 'Wunder' kann m.E. durchaus auch auf den Bereich therapeutischer Wirklichkeit bezogen werden, wobei eine Ausweitung des Wunderbegriffes impliziert sein kann, aber nicht sein muß. Das Wunder ist auf jeden Fall ein von außen auf den Menschen zukommendes, unverfügbares Widerfahrnis, das alltäglicher Erfahrung entgegenläuft. Es kann mit Gott in Zusammenhang gebracht werden (theologische Deutung) oder aber ganz allgemein als Einbruch transzendenter Wirklichkeit in immanente Wirklichkeitsbereiche verstanden sein (transzendente Deutung). Bei dieser Art von Differenzierung gilt es zu beachten, daß zwar jede theologische Deutung auch transzendente Deutung ist, aber längst nicht jede transzendente Deutung theologische Qualität aufweisen muß.

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Beide Fehlformen lassen sich bei Seelsorgern und Therapeuten gleichermaßen feststellen, obwohl erstere eher dazu neigen, (mitunter kokett) auf die Ohnmacht als Proprium der Seelsorge (vgl. z.B. Piper 1982) hinzuweisen. Aber sind Seelsorger wirklich passionierte 'Ohnmachter'? Ist die ständige Rede von der Ohnmacht nicht im letzten Ausdruck verkappter und uneingestandener Allmachtswünsche? Und wäre es nicht angeraten, die Spannung zwischen Macht und Möglichk e i t e n ) auszuhalten zu versuchen, anstatt sie zugunsten der Ohnmacht oder der Allmachtsphantasie aufzugeben? - Zum Verhältnis von Macht und Ohnmacht in der Seelsorge siehe auch Bohren 1988 und Stollberg 1988.

617

Diese Negation führt mitunter zu völliger 'Transzendenzvergessenheit' und damit zu einem 'immanentistischen Selbst(miß)verständnis' - und das keineswegs nur in der Therapie. Zur Überwindung bzw. Ablösung der Heilsverkündigung durch moderne Emanzipationsideologien vgl. Werbick 1972, 216ff.

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fördernde Spannungsverhältnis zwischen der "Kategorie der Macht" 618 und der "Kategorie der Möglichkeit" 619 wird damit aufgehoben. 620 Die künstliche Isolierung von Heil und Heilung 621 führt zu einer unangemessenen Aufgliederung von Wirklichkeit. Die Komplexität menschlichen Lebens 6 2 2 erfährt dabei eine eindeutig negative Reduktion; der Mensch selbst erscheint als dichotomes Wesen, das durch die Getrenntheit von Seele und Leib (Leben und Tod) gekennzeichnet (stigmatisiert) ist 623 und in all seinen Lebensbezügen und -äußerungen der "Kategorie der Spaltung"624 'unterliegt'. Das elementare Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz (Liebe und Trennung), das konstitutiv zum menschlichen Leben dazugehört, wird auf diese Weise monistisch verengt. An die Stelle eines auch durch Ambivalenzen geprägten Beziehungsgeflechts tritt Verhältnislosigkeit. Diese mag zwar vorübergehend^) Konfliktfreiheit suggerieren, führt jedoch im letzten zur Erstarrung, die jedwede Entwicklung verunmöglicht. Und auch die wandelnde Kraft des "Evangelium(s) verkümmert, wo man Seele und Leib, Heil und irdische Hilfe für die Heillosen scheidet, die Freiheit nur dem

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Riess 1987, 223. Riess 1987, 223. Das Wunder, das zwischen der Kategorie der Macht und der der Möglichkeit dem Glauben zur Deutung, zum Staunen und zum Einverständnis anvertraut ist (vgl. Riess 1987, 223), kommt demgemäß nicht mehr in den Blick. Vgl. dazu ausführlich Riess 1987, 223ff. Wissenschaftstheoretisch gesehen gibt es weder eine Wirklichkeit noch die Wirklichkeit schlechthin. Alle Wirklichkeit ist geprägt durch Mehrdimensionalität und das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Wirklichkeitsebenen. Vgl. Weischedel 1973, 343f. bzw. Riess 1987, 226. - Es kann bzw. darf demgemäß auch bei der Vermittlung zwischen Theologie und Human- oder Sozialwissenschaften (von Heil und Heilung) nicht um eine bloße Zusammenpassung unterschiedlichster Gegenstandsbereiche mit dem Ziel der Herausbildung einer neuen Wirklichkeit gehen, sondern um verschiedene Weisen der Welterfassung. Vgl. dazu Rendtorff 1974, 105. Dieser dichotome Grundansatz entspricht weder der biblischen Anthropologie noch der christlichen Tradition. Er entstammt vielmehr vor- und außerchristlichen Lehrmeinungen wie der des Orphismus bzw. des Platonismus/Neuplatonismus. Vgl. u.a. Bultmann 1969, 134. Das Leib-Seele-Problem (vgl. dazu als zusammenfassenden Überblick Hartmann 1960) ist in den vergangenen zehn Jahren mehr denn je in den Blick geraten. Das zeigen zum einen neuere philosophische Publikationen (wie z.B. Seifert 1979, Jonas 1981 oder Wiesendanger 1987) und zum anderen populärwissenschaftliche Veröffentlichungen, die sich vermehrt dem Ganzheitsgedanken in Theologie und Medizin zuwenden, wie z.B. Lubkoll 1988. Riess 1987, 225.

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Himmel vorbehält und sie damit irdisch in ein Opium für Ausgebeutete, Gemarterte, Vergewaltigte verfälscht" 625 / 626 . Fazit'. Identifizierung und Isolierung von Heil und Heilung führen beide - so unterschiedlich sie im Grundansatz auch sein mögen - zu ein und derselben Konsequenz: einer deutlichen Überhöhung der Wertigkeit des therapeutischen Handelns. 627 Werden Heil und Heilung in eins gesetzt, dann erscheinen beide als 'Werk' des Menschen; magische Praktiken entwickeln sich zu 'Heilsgarant(i)en'. 628 Werden Heil und Heilung voneinander abgekoppelt und das Heil in den Bereich der Metaphysik gedrängt (und damit abgewehrt), muß der Mensch sich um so mehr auf das Machbare konzentrieren, um den Bereich des Immanenten für sich autonom zu strukturieren und zu beherrschen. 629 In beiden Fällen bleibt die transzendente Dimension in ihrer Eigenart unberücksichtigt. Entweder wird sie unkritisch in immanentes Geschehen hineinverlagert (Transzendenz geht dann in Immanenz auf) oder aber allem immanenten Geschehen vorgelagert bzw. nachgeordnet (Transzendenz geht dann nicht mehr in die Immanenz ein). Im ersten Fall entsteht ein künstlicher Monismus, im zweiten ein nicht minder konstruierter Dualismus, der Heil entleiblicht 630 und zu einer rein abstrakten Größe stilisiert. 631 "Heil wird (so) weltlos und Welt heillos." 632 Gegen einlinigen Monismus und schizoiden Dualismus führt R. Riess sein theologisch reflektiertes Konzept vom komplementären Zusam625 626

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Käsemann 1982, 224 (Erg. in Kl. M.P.). Schließlich machen weder Leibhaftigkeit noch Mitmenschlichkeit und lebensgeschichtliche Zukunft "halt in einer geschlossenen Innerweltlichkeit, sondern ragen schon immer über diese hinaus auf das ewige Leben. Die Integrierung der oft gegensätzlichen Dimensionen des Heils ist insofern nicht nur ein theologisches, sondern auch ein anthropologisches Problem; es geht dabei nicht nur um die Verbindung des innerweltlichen mit dem transzendenten Heil, sondern um die Ganzheit des Menschen selber" (Wiederkehr 1982, 335). Diese Überhöhung kommt mitunter einer Sakralisierung immanenter (profaner) Vorgänge und Bezüge gleich. Bei Klienten und den sie Betreuenden (in Seelsorge und Therapie) kann das u.U. zu unreflektiertem 'Guruismus' mit starkem Suchteffekt führen. Seelsorge und/ oder Therapie werden dabei als Surrogat für ungelebtes (ungeliebtes) Leben (von Klient und/oder Seelsorger/Therapeut) eingesetzt. Zur Problematik von 'Therapie als Lebensinhalt' vgl. Hemminger 1987, 52ff. Vgl. dazu Riess 1987, 228. Zum Begriff der 'Entleiblichung von Heil' vgl. Lorenz 1985, 393. Dies kommt einer wesensverändernden Reduktion gleich, denn: das "Heil will leiblich werden" (Josuttis 1982, 100). Lorenz 1985, 394 (Erg. in Kl. M.P.).

menhang von Heil und Heilung an. 633 Das Neue Testament wird dabei exemplarisch als Größe mit kerygmatischer Intention und Hinweischarakter vorgestellt, die die eschatologische Spannung zwischen angekündigtem zukünftigen und bereits angebrochenem gegenwärtigen Heil in zahllosen Erzählungen, in deren Beispielen und Bildern, zum Ausdruck bringt.634 Das Ineinander von futurischem Noch-nicht und präsentischem Schon-jetzt charakterisiert ganz besonders die in den Evangelien geschilderten Geschehnisse, die über sich selbst hinausweisen und damit Offenheit für ein umfassendes letztgültiges Handeln Gottes beweisen. 635 Immanentes Geschehen (so z.B. die Heilung des Gichtbrüchigen in Mk 2) wird hier auf Transzendenz hin ausgedeutet bzw. Transzendenz wird in der Immanenz angedeutet. Die "Kategorie der Verborgenheit"636 gewinnt dabei ebenso zentrale Bedeutung wie die "Kategorie des Überganges" 637 / 638 . Heil ist nicht immer 'aussagbar', wohl aber als angesagtes 'ansagbar'; es ist nicht immer 'aufweisbar' und doch kann darauf hingewiesen und im Übergang hingelebt werden.639 So sehr vom Heil nur indirekt zu reden ist - alle Rede vom Heil stellt einen bloßen 'Redeversuch' dar -, so sehr kann und muß die Entdeckung des Heils konkret vollzogen werden. 640 Das Ganze des Heils wird dabei nicht abgebildet

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Vgl. dazu Riess 1987, 228ff. Vgl. dazu auch Theurich 1989, bes. 45. Im Vordergrund steht dabei der Gedanke an die "personale Selbstvergegenwärtigung Gottes in Jesus Christus" (Seils 1985, 630), von der her "verstanden und begründet werden kann, daß Gott... Heil als universal gültig und schlechthin verläßlich verkündigen läßt" (ebd.). Riess 1987, 228. R. Riess verweist in diesem Zusammenhang auf Kol 3,3f.: '... ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, unser Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.' - Ein Verweis auf 1 Kor 13,12 ('Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.') liegt m.E. ebenso nahe. Riess 1987, 231. Riess 1987, 231 spricht von der "Hermeneutik des Überganges", die sich "in der Gestalt von Sprache und Gespräch" vollzieht und Zugang zur transzendenten Dimension ermöglicht (so z.B. im Sakrament oder bei der Beichte mit anschließender Absolution). Die Deutung des komplementären Zusammenhanges von Heil und Heilung bzw. von Verborgenheit und Offenbarung läßt sich nur im wahrsten Sinne des Wortes 'geistesgegenwärtig', im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes, vollziehen. Vgl. Riess 1987, 232. Vgl. Sauter 1973b, 308. - "Heil wird im Redeversuch entdeckt: es wird in der

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oder dargestellt; es kommt nur partiell (punktuell) und zeichenhaft in begrenzten, vorläufigen Geschehnissen (so z.B. in den neutestamentlichen Heilungswundern) in den Blick. 641 Alle Rede vom Heil ist somit unvollendete, die noch auf vollkommene Erfüllung642 hindrängt, aber dabei deutlich werden läßt, "welches Maß des Lebens, des Glücks, der gespannten Hoffnung (augenblicklich bereits) gewährt ist" 643 / 644 . Die Sache des Heils ist dabei die "der schlechthinnigen Ganzheit"645 und der Unversehrtheit des Lebens in dem, was seinen wesentlichen Inhalt ausmacht, der Integrität von Person(en) und Verhältnissen646 im Gegensatz zu Gestörtem, Kaputtem und Zerbrochenem.647 Und dieses Heil als

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Sprache, im Heilswort sichtbar." Ebd., 309. Dem 'Widerfahrnis' von Heil kommt dabei zentrale Bedeutung zu, denn der "Mensch muß in irgendeiner Weise immer schon Heil ergriffen haben, wenn so etwas wie Heil überhaupt verstehbar sein soll" (Werbick 1972, 242). "Es sind Zeichen gegeben, die nicht die Frage nach dem Heil verstummen lassen, aber diese Frage auf das Skandalon der Anwesenheit Gottes in dem Menschen Jesus hinlenken." Sauter 1973a, 243; vgl. Scheel 1966, 18 und Werbick 1972, 215. Es geht dabei um Zeichen im umfassendsten Sinne, um Hinweise auf die Diesseits und Zukunft umfassende Gottesbeziehung (vgl. dazu Scheel 1966, 19), in denen die Wirkmächtigkeit Gottes zum Ausdruck kommt und das Reich Gottes selbst bereits anfanghaft präsent ist (vgl. Werbick 1972, 215). Auch die Ausführungen bei Ritsehl 1989, 34 ("Heilungen ... sind nicht mehr und nicht weniger als Zeichen des Neuen. Sie sind nicht das Neue selbst.") stehen m.E. hierzu in keinerlei Widerspruch; sie dürfen allerdings nicht dazu mißbraucht werden, die Zeichen des Heils (des Neuen) als bloße 'Vor-Zeichen' des Eigentlichen zu mindern und so zu 'verzeichnen'. Denn obwohl die Ganzheit des Heils noch aussteht (Heilungen sind nicht das Neue selbst), wird doch bereits durch jede einzelne Heilung 'zeichenhaft' Anteil am Heil (am Neuen) gewährt. 'Vollkommene Erfüllung' meint hier Vollendung im Sinne von uneingeschränkter Aktualisierung personaler Kommunikation (vgl. Werbick 1972, 235). Sauter 1973b, 310 (Erg. in Kl. M.P.). "Das Heil (soteria) wird in der Zukunft erst vollendet, ist aber doch schon Gegenwart: 'Wir sind gerettet, doch auf Hoffnung' (Rom. 8,24)." Hahn 1967, 407. Sauter 1973a, 243. - Es geht um die "Hoffnung auf ganzheitliches Heilwerden" (Lorenz 1981, 487). Die 'Ganzheit des Daseins' (eben das Heil) - tut sich immer schon als solche(s) in den Fragmenten menschlicher Erfahrung kund und übersteigt doch immer auch das gegenwärtig Vorfindliche. Das Ganze ist eindeutig mehr als die Summe aller Teile; es ist zwar vorhanden, aber nicht zuhanden und will aktiv erhofft sein. Vgl. Werbick 1972, 246, wo auf einen bis dato unveröffentlichtes Manuskript W. Pannenbergs mit dem Titel 'Weltgeschichte als Heilsgeschichte' rekurriert wird. Es geht um das vollkommene "Sein in der Wahrheit" (Ebeling 1975, 358). Vgl. dazu Lorenz 1981, 485 und Seils 1985, 622f. - Die Rede vom Heil in und durch Jesus Christus "inkludiert die Überzeugung, daß Gott selbst sich in und

ganzheitliche transzendente Größe ist mitten in der Immanenz gegenwärtig;648 es geht in die Immanenz ein, jedoch nicht in ihr auf. 649 Allgemein gesprochen habe ich es hier mit der 'paradoxen Immanenz des Transzendenten'650 zu tun, theologisch gewendet mit der Kondeszendenz Gottes 651 , der "weder nur über, noch nur in der Welt, sondern ... in über der Welt, in ihr über ihr, in ihr ihr gegenüber"652 ist und "selbst in seiner Gnade der Heilige" 653 bleibt. 654

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durch Christus die Heillosigkeit des Menschen angeeignet und dem Menschen dadurch ein geheiltes Leben im Verhältnis zu Gott, zu sich selbst, den Mitmenschen und der Welt ermöglicht hat. 'Heil' ist damit in der Tat im wesentlichen als 'Erlösung' verstanden" (ebd., 631). "Das Ganzheitliche des Heils, das den gesunden Leib und den (von Dämonen) freien Geist einschließt, wird in Jesu Heilungen deutlich ... Heil ist im Heilen gegenwärtig." Lorenz 1981,488. Verwiesen sei an dieser Stelle auf Bonhoeffer 1970, 308. Dort heißt es: "Das 'Jenseits' Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserm Leben jenseits." Ein Zweifaches ist hier theologisch ausgesagt: Zum einen, daß Gott an der immanenten menschlichen Wirklichkeit partizipiert, zum anderen, daß er diese Wirklichkeit immer auch transzendiert. Heil erscheint auch noch in anderer Hinsicht als ein Widerspruch in sich selbst. "Soll Heil wirklich Heil sein, so daß keine weitere Unheilsbedrohung es mehr in Frage stellt, dann muß es eschatologisches Heil sein, unüberbietbare Vollendung. Jedoch: die Vollendung, die als definitives Ende dieser Welt zu denken ist, ist nicht als Heil vorstellbar. Konsequent gedacht ist sie das Ende auch aller Heilsvorstellungen. Die Antinomie von Vollendung und Ende auf Kosten eines Aspektes auflösen hieße aber, dem Ganzen nicht gerecht werden." Ebeling 1975, 354. "Der in Jesus Christus sich offenbarende Gott ist keine Transzendenz, ist auch kein transzendenter Gott. ... Er ist vielmehr ein Gott der Inszendenz oder ... der Kondeszendenz: Gott ist in Jesus Christus in die Welt gekommen, hat sich in Ihm zu uns Menschen herabgeneigt. ... Die Seinsbasis der Christusbotschaft ist weder 'Nur Welt und Mensch', noch 'Welt und Mensch vermehrt um einen dazu transzendenten Bereich', sondern der Bereich der 'Wahrheit Gottes', der von vornherein auch Mensch und Welt mit umfaßt." Stammler 1957, 17; vgl. dazu Pannenberg 1979, 74, Anm.67. Pöhlmann 1985, 124. - Siehe dazu auch Tillich 1987, 303. Dort heißt es: "Gott ist 'in' oder 'über' der Welt oder beides." Pöhlmann 1985, 105. Vgl. auch Pöhlmann 1985, 123f. sowie 132 u. 357 und Tillich 1987, 303, wo es heißt: "Gott ist der Welt immanent als ihr dauernder schöpferischer Grund, und er ist der Welt transzendent durch Freiheit. Beides, die unendliche göttliche Freiheit und die endliche menschliche Freiheit machen die Welt transzendent für Gott und Gott transzendent für die Welt." Zur 'Transzendenz göttlicher Freiheit' vgl. auch Pannenberg 1979, 73f.

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Der von R.Riess deutlich herausgearbeitete Umstand der 'schlechthinnigen Verwobenheit' so unterschiedlicher Daseinsdimensionen wie der von Immanenz und Transzendenz führt zu einem allgemeinen Postulat 655 , das auch für das Verhältnis von Heil und Heilung Relevanz besitzt: Es geht grundsätzlich darum, Spannungen (Diskrepanzen, Ambivalenzen) erkenntnismäßig zu erfassen und erfahrungsmäßig in Beziehung auszuleben, statt sie um jeden Preis zu leugnen oder aufzuheben. Menschliches Leben steht nun einmal generell - so wie auch Heil und Heilung - in der Spannung von 'Macht und Möglichkeit', von 'Spaltung und Liebe' sowie von 'Verborgenheit und Übergang'.656 Wo zugunsten einer dieser Dimensionen eine andere zurücktritt oder völlig ausgespart bleibt, wird Leben unnötig begrenzt bzw. einseitig überfrachtet. 657

Auswertung: Das 'Poimenische Dreieck' Betrachte ich die bislang vorgestellten Verhältnisbestimmungen bzw. Seelsorgekonzeptionen im Überblick, so ergibt sich ein m.E. zeit- und theologiegeschichtlich bedingt dreigeteiltes Verlaufs- und Entwicklungsschema, das das geistesgeschichtliche Feld, in dem ich meine eigene Position einzunehmen habe, markiert, und dessen kritische Würdigung eine Grundvoraussetzung für jede neue Standortbestimmung ist.

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Ich spreche an dieser Stelle von einem 'allgemeinen Postulat', um deutlich zu machen, daß es sich hierbei nicht um eine genuin theologische, ausschließlich auf den Bereich der Seelsorge bezogene Forderung handelt. Vgl. Riess 1987, 232. "Die christliche Seelsorge muß festhalten, daß Heil und Heilung zusammengehören und dem ganzen Menschen gelten, auch wo fachliche Methoden genutzt werden. Sie muß aber auch festhalten, daß derjenige, der Ganzheit will, sich entscheiden muß: Die Ganzheit, die dem Christen von Gott geschenkt wird und in der Nachfolge zeichenhaft, bruchstückhaft aufleuchtet, ist eine andere als die Ganzheit der kosmischen Schwingungen und der kosmischen Evolution, in die ich mich esoterisch einweihen lasse. Die Ganzheit einer christlichen Ehe sieht anders aus als die Ganzheit einer tantrisch gestalteten Paarbeziehung; und den einen Weg zu gehen, bedeutet den anderen zu verwerfen. Zur ganzheitlichen Sicht von Heil und Heilung gehört die Frage nach Wahrheit und Irrtum hinzu, und die Möglichkeit der Illusion, der Täuschung und des Scheiterns dürfen nicht übersehen werden." Hemminger 1988, 244f.; zu den holistischen Heilsvorstellungen innerhalb der New-Age-Bewegung siehe Schmidt-Rost 1989.

Zunächst kommen die Ansätze von O.Pfister, F.W.Foerster und W. Buntzel in den Blick. Alle drei stellen paradigmatische Erstreaktionen auf das Novum Psychoanalyse dar, wobei O.Pfisters 'analytische Seelsorge' der Freudschen Lehre eindeutig die höchste Akzeptanz entgegenbringt, F.W. Foersters Monita deutlich Ablehnung ausdrücken658 und W.Buntzels Konzept der 'mittelbaren' Nutzung eine utilitaristisch bestimmte Zwischenposition markiert. Die Konzeptionen von E. Thurneysen und H. Tacke können von ihrer Anlage her als Prototypen einer kerygmatisch-parakletischen Seelsorge 659 - die erst infolge der Herausbildung der dialektischen Theologie Gestalt gewann 660 - bezeichnet werden; sie stellen beide - wenn auch auf je eigene Weise und mit erheblichem zeitlichen Abstand voneinander661 den Versuch dar, die Dignität des Wortes Gottes aufrechtzuerhalten bzw. herauszustellen, um so dem spürbaren Substanzverlust evangelischer Seelsorge/Theologie zu wehren. 662 Bis zur zweiten Auflage seiner

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Und zwar Ablehnung in doppelter Hinsicht: Zum einen werden die Grundannahmen der Psychoanalyse verworfen, zum anderen wird deren Rezeption durch christliche Seelsorger moniert. - F.W. Foerster führt somit gleichsam einen 'Zwei-Fronten-Krieg' (wider die falsche Lehre und wider die falsche Anwendung derselben). Ich benutze die Sammelchiffre 'kerygmatisch-parakletische Seelsorge' an dieser Stelle bewußt, obwohl gemeinhin zu Recht zwischen kerygmatischer und parakletischer Seelsorge unterschieden wird. M.E. stellt die parakletische Seelsorge Tackescher Prägung einen Spezialfall bzw. eine Weiterführung der kerygmatischen Seelsorge E. Thurneysens dar, die als solche selbstverständlich auch parakletische Elemente aufweist (vgl. dazu Schneider-Harpprecht 1989, 44ff.). E. Thurneysen darf m.E. als 'direkter' Barth-Epigone bezeichnet werden ("Als Minderer stand er neben dem allzeit größeren Bruder ein Leben lang." Bohren 1982, 14.), während sich H. Tacke auf E. Thurneysen - und damit 'vermittelt' auf K. Barth - beruft und zudem Anteil am Erbe H.-J. Iwands hat (siehe dazu Tacke 1989d, 1989eu. 1989h). Zwischen dem Erscheinungsdatum des programmatischen Aufsatzes 'Rechtfertigung und Seelsorge' von E. Thurneysen (Thurneysen 1928) und H. Tackes Vortrag 'Seelsorge der Rechtfertigung' (Tacke 1989f), der am 9.3.1988 bei einem Treffen der Pfarrbruderschaft Bremen gehalten wurde, liegen z.B. 60 Jahre, d.h. ca. zweieinhalb Generationen. Siehe dazu besonders die Paragraphen 5, 6 u. 8 bei Thurneysen 1988, 87ff., lOOff. u. 129ff. sowie Tacke 1979, 147, wo es heißt: "Die Worthaftigkeit kirchlicher Seelsorge ist kein formaler Aspekt, der aus einer zähen Bindung an die 'Wort-Gottes-Theologie' abzuleiten wäre, sondern das Wort ist das erwählte Mittel zur Verwirklichung von Kommunikation, wie sie dem Evangelium entspricht. Das Wort hat die Qualität, zwischen Gott und Mensch zu vermitteln und Gemeinschaft zu stiften, ohne daß die Grenze zwischen ihnen aufgehoben würde. An das Wort

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'Glaubenshilfe' einschließlich stimmt H. Tacke mit E. Thurneysen darin überein, die 'Voraus-Gesetztheit' Gottes bzw. die 'Auf-Gegebenheit' seiner Weisungen müsse proklamatorisch bezeugt werden. Der Seelsorger erscheint demgemäß im Tackeschen Früh werk als Keryx, als Herold und Bote, der über sich selbst hinausweist auf den, der als das eine Wort Gottes Heil im umfassenden Sinne schafft und gewährt; das Telos seines Tuns ist christologisch bestimmt, seine Seelsorge ist 'Ausrichtungsseelsorge' im besten Sinne, die - selbst durch das Wort justiert - orientierend wirkt. 663 Gegen all dies ist zunächst einmal gar nichts einzuwenden; Gefahren ergeben sich allerdings dort, wo die Hochschätzung des 'verbum alienum' in der Seelsorgesituation zu verbalistischen und biblizistischen Engführungen verleitet, die Seelsorgesuchende einseitig kognitiv (von der Schrift als Wort Gottes her) 'angesprochen' sein lassen, ohne ihnen 'Aussprache' zu ermöglichen. Seelsorge erscheint dann in erster Linie als Deduktion biblisch begründeter Dogmatik, sie appliziert traditionsgebunden(e) theologische Wahrheit (expliziert sie jedoch kaum oder gar nicht) und ist demgemäß konfrontativ ausgerichtet. - Es dürfte wohl zeitbedingt sein, daß E. Thurneysen diesbezüglich kein Problembewußtsein entwickelt hat, während H. Tacke in seinem Spätwerk 664 - anders als in den 70er Jahren - vehement dafür eintrat, auch und gerade kerygmaorientierte Seelsorge situations- und erfahrungsbezogen zu üben, d.h. bei den Vorstellungen und Prägungen der jeweiligen Kommunikanten anzusetzen und den biblischen Stoff und vor allem die biblische Erfahrung so in das Gesamtarrangement der aktuellen Seelsorge hineinzunehmen, daß Tradition und Situation zusammengesprochen werden können 665 / 666 .

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gebundene Seelsorge bleibt vor Vermenschlichung Gottes und vor Vergöttlichung des Menschen bewahrt. Im Wort liegen die Elemente von Nähe und Distanz untrennbar und unvermischbar beieinander." Vgl. dazu besonders den Paragraphen 1 bei Thurneysen 1988, 9ff. sowie das Kapitel 'Therapeut oder Zeuge' bei Tacke 1979, 147ff. D.h. nach der zweiten Auflage seiner 'Glaubenshilfe', die von vielen als generelle Ablehnung der Psychologie mißverstanden wurde (vgl. dazu den Anhang bei Tacke 1979, 287ff. und Bohren 1989, 17ff.). Mit dieser Zielformulierung erinnert H. Tacke (vgl. Tacke 1989b, bes. 30f. u. 33) an die homiletische Konzeption E. Langes, der den Prediger als "Anwalt der Hörergemeinde in ihrer jeweiligen Lage und Anwalt der Überlieferung in der besonderen Gestalt des Textes" (Lange 1982c, 30) versteht und ihn demgemäß dazu aufruft, "Verheißung und Wirklichkeit miteinander zu versprechen, so daß verständlich wird, wie die Christusverheißung auch und gerade diese den Glauben bedrängende Wirklichkeit betrifft, aufbricht, in ihrer Bedeutung für den Glaubenden verändert, und wie umgekehrt auch und gerade diese ihn umgebende Wirk-

Durchaus selbstkritisch warnt H. Tacke in diesem Zusammenhang vor kerygmatischem "Eintröpfeln eines Bibelwortes"667 und der "HintertürMethode einer analogischen Phantasie, die überall die Möglichkeit... zu 'listigen' missions-poimenischen Beigaben und Beilagen" 668 wittert;669 so sehr Seelsorge nach Tackescher Auffassung Christusverkündigung darstellt, so sehr hat sie als solche zuwartend und reaktiv zu sein. Denn: "Die Christusverkündigung reagiert auf die Provokation der Anfechtung. Die Botschaft ist die Antwort auf die unmittelbare Botschaftsbedürftigkeit derer, die mit sich selbst und ihrem eigenen Glauben in die Enge geraten sind. ... Also nicht vom 'keryx', sondern von den 'tentationes' geht die Bewegung aus."670 Der Seelsorgeansatz D.Stoübergs markiert mit dem weitreichenden poimenischen Paradigmenwechsel von der kerygmatischen zur therapeutischen Seelsorge das Ergebnis eines zeit- und theologiegeschichtlichen Wandlungsprozesses (der empirischen Wende). Das anthropologische Moment findet zunehmend Beachtung; der Mensch 'coram mundo' als soziales Wesen in unterschiedlichen Bezügen, mit bestimmten Vorerfahrungen und Prägungen und mit seiner je eigenen Geschichte kommt mehr und mehr in den Blick. Kommunikation wird als Austausch von verbalen und nonverbalen Symbolen und damit Erfahrungen

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lichkeit im Licht der Verheißung auf eine eigentümliche Weise fiir Gott, für den Glauben und seinen Gehorsam in Liebe und Hoffnung zu sprechen beginnt" (ebd., 27). Vgl. dazu auch Lange 1982b, 67. Das 'biblische Material' darf dabei auf keinen Fall zum 'dekorativen Beiwerk' degenerieren, denn ihm kommt in seiner Funktion als 'Verheißungsträger' ganz besondere Würde zu. Tacke 1989a, 41 betont: "Das rechtfertigende Handeln Gottes hat in der Erfahrung und Selbsterfahrung des Menschen keinen Rückhalt. Es ist auch nicht induktiv abzuleiten. Mit keiner 'natürlichen Theologie' ist diese Hauptsache der kirchlichen Seelsorge zu entdecken. Daß Gott dem Gottlosen gerecht wird, ist unableitbar und hat keine anderen Analogien als die der biblischen Geschichte." - Die Äußerungen H.Tackes zur Bedeutung der Bibel im Kontext der Seelsorge (siehe Tacke 1989b) sind in weiten Teilen ursprünglich auf den Hebräerbrief bezogen (vgl. ebd., 28ff.); da dieser jedoch von H. Tacke als "Dokument der praktischen Seelsorge" (ebd., 31) in den Blick genommen wird, erscheint es mir legitim, sie hier und im folgenden als Explikationen zur Seelsorge allgemein aufzufassen. - Zur besonderen Bedeutung der Rechtfertigung für die Seelsorge vgl. auch Tacke 1989f. Tacke 1989b, 28. Tacke 1989b, 28. Vgl. dazu auch Tacke 1989f, 72, wo vor der Trennung von 'Biographischem' und 'Kerygmatischem' in der konkreten Seelsorgesituation gewarnt wird. Tacke 1989b, 30f.

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betrachtet;671 Seelsorge als komplexes Kommunikationsgeschehen ist demgemäß dialogisch (in Gruppen sogar polylogisch) angelegt und erfolgt diskursiv. Es geht im Kontakt zwischen Seelsorger und Klienten in erster Linie um Herausbildung des menschlichen 'Möglichkeitssinns'672 unter Bezugnahme auf das Christusereignis.673 Der einzelne soll in der Seelsorgesituation dazu befähigt werden, sich auszusprechen und dabei als Angenommener (Gerechtfertigter) positive Grunderfahrungen zu machen, die ihn in die Lage versetzen, auch in anderen Kontexten auf menschliche Nähe (emotionale Wärme etc.) und/oder Distanz (emotionale Kälte etc.) anzusprechen und persönlichkeitsspezifisch adäquat zu reagieren. Zielpunkt all dieser Bemühungen ist der sich geborgen fühlende und darum konfliktfähige Mensch, der Krisen bewältigt und Probleme selbsttätig angeht, anstatt sie zu umgehen. 674 M.E. kann gegen derlei 'Abzweckungen' in der Seelsorge grundsätzlich nichts eingewendet werden; Gefahren ergeben sich allerdings dort, wo die von D. Stollberg selbst postulierte ganzheitlich orientierte Wort-Tat-Einheit 675 zugunsten der Tat (und d.h. zuungunsten des Wortes) aufgelöst wird. Wo dies geschieht, tritt zwar kein die Situation ausblendender autoritärer Verbalismus 676 in Erscheinung,677 dafür breitet sich aber um so häufiger völlige Wertlosigkeit im Bereich der Tradition aus. 678 Die Bibel als Erfahrungs- und Verheißungsträgerin kommt dann nicht mehr in den Blick und einseitige Therapeutisierung der Seelsorge führt im Extremfall zu ihrer Entkerygmatisierung.

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Vgl. dazu z.B. Stollberg 1969b, 151. Im 'Mann ohne Eigenschaften' von R. Musil wird der 'Möglichkeitssinn' als die Fähigkeit definiert, "alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. ... Das Mögliche umfaßt jedoch nicht nur die Träume nervenschwacher Personen, sondern auch die noch nicht erwachten Absichten Gottes." Musil 1981, 17. Vgl. dazu insgesamt Luther 1986, 7, der ebenfalls auf R. Musil rekurriert. Wobei das Christusereignis in erster Linie als Menschwerdung Gottes verstanden wird. Es geht in erster Linie um Situationsbewältigung. Vgl. Stollberg 1969a, 404. Vgl. Stollberg 1969a, 403 u. 1972, 7 u. 28. Derartigen 'Verbalismus' moniert D. Stollberg bei E. Thurneysen. Vgl. Stollberg 1969a, 401. Die Gefahr einer abstrakt-zeitlosen Seelsorge dogmatischer Art ist gebannt. Vgl. dazu Stollberg 1975, 273. Es kommt dann zur Herausbildung einer schweigenden Positionslosigkeit, die auch D. Stollberg negativ sanktioniert. Vgl. dazu Stollberg 1975, 276.

Die Konzeption von C.G.Jung repräsentiert zwar eine paradigmatische Einstellung zum Verhältnis von Seelsorge/Theologie und Psychologie/Psychotherapie im außertheologischen Bereich, kann jedoch mühelos dem von mir bisher konturierten dreigeteilten Schema zugeordnet werden. Das 'Ko(n)sens-Modell' Jungscher Prägung steht zeitlich sowie inhaltlich dem integrativen Ansatz O.Pfisters nahe und wirkt, zumindest im Kontext vorliegender Arbeit, ähnlich wie dieser wie ein 'grundlegender' Vorläufer der Stollbergschen Seelsorgekonzeption. Stelle ich abschließend die Ansätze von E. Thurneyesen, H. Tacke und D. Stollberg679 einander gegenüber, so begegne ich in der Abstraktion drei zentralen Fragestellungen680, die als solche und ganz besonders durch die ihnen zugeordneten Antworten aus dem Feld von Tradition und Situation das jeweilige Seelsorgeverständnis sowie die ihm kohärente Verhältnisbestimmung zwischen Seelsorge und Psychologie maßgeblich beeinflussen: 1. die Was-Frage, die den materialen Aspekt von Seelsorge berührt, 2. die Wie-Frage, die den formalen Aspekt von Seelsorge berührt, 3. die Wem-Frage, die den personalen Aspekt von Seelsorge berührt. E. Thurneysen stellt in erster Linie die 'Was-Frage' und widmet sich dem zu verkündigenden Wort Gottes als der Substanz evangelischer Seelsorge; ich möchte dies als eine Betonung von Worthaftigkeit im Bereich der Tradition bezeichnen, die den situativen Kontext (konsequent?) vernachlässigt; er wird völlig ausgeblendet oder als nebensächlich eingestuft. Dem korrespondiert die Vorstellung von der Psychologie als 'Hilfswissenschaft', die in der konkreten Seelsorgesituation gar nicht oder nur bedingt eingesetzt werden darf. H. Tacke nimmt die 'Was-Frage' Thumeysenscher Prägung auf und erweitert sie durch die 'Wie-Frage', deren Beantwortung ihn in den Bereich des Erzählens - speziell des Erzählens biblischer Geschichte(n), 679

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Die das m.E. höchste theologische Reflexionsniveau aller vorgestellten Konzeptionen aufweisen und denen zudem - wie bereits herausgestellt auch in bezug auf das hier zu behandelnde Thema - exemplarischer Charakter eignet. Die Beschränkung auf drei Fragen erfolgt um der Übersichtlichkeit willen und ist nicht bindend. Selbstverständlich kommen auch noch andere Fragestellungen vor; so findet z.B. die 'Wer-Frage' durchaus - wenn auch nur am Rande - Berücksichtigung (vgl. z.B. Tacke 1979, 147ff„ Thurneysen 1988, 298ff. und in gewisser Weise auch Stollberg 1972, 33 u.ö.), und auch andere Fragen (wann? wo? etc.) sind von Belang.

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d.h. gestalteter biblischer Erfahrung(en) 681 , - führt; ich erkenne darin neben dem prinzipiellen Rekurs auf die Worthaftigkeit eine besondere Berücksichtigung der Bildhaftigkeit von Tradition in ihrer konkreten Bedeutung für die Seelsorgesituation, die die Herausbildung eines Traditions-Situations-Gefälles befördert, das humanwissenschaftliche Erkenntnisse grundsätzlich kritisch, aber doch zunehmend offen anvisiert sein läßt. Auch D. Stollberg stellt die 'Wie-Frage' und lenkt sein Interesse von dieser herkommend auf die 'Wem-Frage', die er situationsbezogen empirisch beantwortet. Die sprachlichen Äußerungen von Seelsorgeklienten, d.h. Symbole und Zeichen als 'austauschbare' Erfahrungsträger, werden als hermeneutischer Schlüssel für die leibhafte menschliche Existenz hier und heute verstanden; umgekehrt werden nonverbale Signale (Gestik, Mimik und Gebärden etc.) als 'Deutehilfe' in bezug auf verbal Kommuniziertes aufgefaßt. Auf diese Weise entsteht ein vielschichtiger Interpretationszusammenhang, der im kirchlichen Kontext unter Berücksichtigung der christlichen Botschaft spezifische Gestalt gewinnt. Für mich bedeutet dies besondere Konzentration auf Bild- und Leibhaftigkeit im Bereich der Situation unter Rückgriff auf wesentliche Elemente der Tradition, die zur Herausbildung eines Situations-TraditionsGefälles führt, das eine gezielte Annäherung an die Psychologie/Psychotherapie ermöglicht. 'Was-', 'Wie-' und 'Wem-Frage' zusammengenommen ergeben das nachfolgende 'poimenische Dreieck', das die von E. Thurneysen, H. Tacke und D. Stollberg jeweils unterschiedlich akzentuierten zentralen Dimensionen christlicher Seelsorge (den materialen, den formalen und den personalen Aspekt) aufzeigt und zu einer komplexen 'Spannungseinheit' zusammenführt bzw. als solche 'verbildlicht'. M.E. hat jeder Seelsorgeübende in der Selbstreflexion zunächst seinen generellen Standort im Feld von Tradition und Situation zu bestimmen, um dann kritisch danach zu fragen, ob sein Ansatz die im 'poimenischen Dreieck' aufgenommenen Fragen hinreichend berücksichtigt bzw. welche der drei benannten Zentraldimensionen sein besonderes Interesse finden und wie er sie im Feld von Tradition und Situation inhaltlich füllt. Wer sich als christlicher Seelsorger dieser Aufgabe stellt, wird m.E. sein konkretes Verhältnis zur Psychologie/Psychotherapie bzw. humanwissenschaftlichen Erkenntnissen allgemein genetisch besser verstehen und gegebe681

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Den biblischen Geschichten wird dabei Modellcharakter zugesprochen; sie präsentieren typologische Erfahrungsmuster und laden zur Identifikation ein.

nenfalls gezielt verändern können. Das Grundraster des 'poimenischen Dreiecks' ist demgemäß mehr als eine bloße Gliederungshilfe; es übernimmt im Bereich seiner kritischen Anwendung hermeneutische Funktion und wirkt so existenzerhellend.

POIMENISCHES DREIECK'

Tradition Situation E . THURNEYSEN

Tradition

H . TACKE

Tradition und Situation

D . STOLLBERG

Situation und Tradition

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B. Verhältnisbestimmungen in Theorie und Praxis Ein systematischer Überblick

I. Theoretische Verhältnisbestimmungen Kategorial erfaßt

-

Mit Fortschreiten der Debatte um das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie (Psychotherapie) entwickelte sich mehr und mehr ein dichtes Netz theoretisch orientierter 'Zuordnungsraster', von denen im folgenden vier der m.E. wesentlichsten exemplarisch dargestellt werden sollen. 1 Dabei soll das Feld unterschiedlicher 'Gegnungs-Typeri, das vorab anhand einzelner Verhältnisbestimmungen punktuell gesichtet wurde, nunmehr gleichsam 'von oben' betrachtet werden; es wird so überschaubar und systematisierbar.

R.Riess: Zur Polarisierung von Positionen Zu Beginn der 70er Jahre wurde die Vielfalt unterschiedlicher Verhältnisbestimmungen von R.Riess gemäß der konstatierbaren "Polarisierung von Positionen"2 kategorial erfaßt und geordnet.3 Als "Muster eines Mißverhältnisses"4 werden in der Riess'schen 'Seelsorge' auf der einen Seite Ablehnungstendenzen5 und auf der anderen ein deutlicher 1 Es handelt sich dabei um die Ausführungen von R.Riess (Riess 1973), T.U.Schall und J.Scharfenberg (Schall u.a. 1982, ursprünglich 1981, sowie N.Mette und H. Steinkamp (Mette/Steinkamp 1983). Diese Arbeiten weisen meiner Meinung nach den größten Rezeptionsquotienten in der Gesamtdiskussion um das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie (Psychotherapie) auf. Außerdem stellt die Analyse von N. Mette und H. Steinkamp den m.E. bislang unüberholten 'Gipfelpunkt' in der auf katholischer Seite geführten Debatte dar. 2 Riess 1973, 32. 3 Vgl. dazu Riess 1973, 31ff. und die thetische Zusammenfassung des dort Gebotenen bei Riess 1976. 4 Riess 1973, 32 u. 40. 5 Vgl. Riess 1973, 32ff. - Konkrete Beispiele für das Vorhandensein solcher 'Ablehnungstendenzen' lassen sich benennen. So z.B. die symptomatisch zunehmende Zahl von Vikaren, die sich der pastoral-psychologischen Ausbildung verweigern. Vgl. dazu z.B. die Äußerungen S. Findeisens bei May 1986, 80.

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Hang zur Selbstauslieferung6 beschrieben. In beiden Fällen ist der Verhaltensmaßstab nicht sachbezogen, sondern in erster Linie emotional (unkritisch)7 ausgerichtet. Auf diesem Hintergrund kann R.Riess die "Genealogie des Gegensatzes'"8 (die zur Ablehnung führt) von der vorbarthianischen Theologie ausgehend bis hin zum Neupietismus als eine Episode nichtbewältigter Emotionalität vorstellen.9 Die dieser Episode eingestifteten Motive wiederholen sich unablässig und sind im letzten auf zwei stark affektiv besetzte Grundmotive zurückzuführen. "Einmal ist es die zitternde Besorgnis um alles Höhere im Menschen, die deutlich die Angst vor einer Korrektur des eigenen Selbstverständnisses ausschließt. Zum anderen ist es die Auflehnung gegen den fortschreitenden Säkularisierungsprozeß gerade auch der Seelsorge, weil er die kirchliche Praxis als fragwürdig erscheinen lassen und zäh verteidigte Positionen innerhalb eines 'kläglichen Rückzugsgefechtes' erschüttern könnte." 10 Dieser ursprünglich von J.Scharfenberg erhobene und von R.Riess bestätigte Befund wird auf zwei Postulate (vielleicht wäre es angemessener, von Axiomen zu sprechen) zurückgeführt. Es geht dabei um "die hierarchische Stufung im anthropologischen Ansatz"11 sowie um "die Ableitung einer ontologischen Überlegenheit der kirchlichen Seelsorge gegenüber der säkularen Psychotherapie"12. Wo diese beiden Größen nicht als 'geworden', sondern als immer schon 'vor-gegeben' proklamiert werden, wird herrschaftsfreie Kommunikation13 von vornherein verunmöglicht (d.h., sie tritt nicht einmal mehr als Zielvorstellung auf den Plan), und "antagonistischer Abgrenzung" 14 bzw. kollektiver und/oder individueller Verunsicherung ist Tür und Tor geöffnet. 15 Das Hauptagens erkennt R.Riess 6 Vgl. Riess 1973, 40ff. 7 Emotional orientierte Verhaltensmaßstäbe müssen keineswegs immer unkritisch sein. Es gibt durchaus auch auf der Ebene der Emotionalität einen 'actus reflexus', der begründetes Eingehen auf vorhandene Emotionen möglich macht bzw. die Wirkweise bestimmter Emotionen erklärt und so 'aufklärend' wirkt. 8 Riess 1973, 33. 9 Vgl. Riess 1973, 33ff. 10 Scharfenberg 1968, 22. 11 Riess 1973, 35. 12 Riess 1973, 35. 13 Mit der Chiffre 'herrschaftsfreie Kommunikation' ist (ebenso wie mit dem Ausdruck 'herrschaftsfreier Dialog') - mit J. Habermas gesprochen - eine 'ideale Sprechsituation' gemeint. Zum letztgenannten Begriff vgl. z.B. Habermas 1968, 31 u. 1973, 255. 14 Riess 1973, 39. 15 R. Riess führt u.a. auch sachliche Gegensätze an, die den freien Umgang mit psy-

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dabei in der wechselseitig vorhandenen Angst, die letztlich verhaltensunfähig werden läßt.16 Schroffer 'Strukturkonservatismus' stellt sozusagen die Außenseite innerpsychischer Prozesse (und Konflikte) dar bzw. stellt sich als Ergebnis fragwürdiger Konfliktlösung vor. So wird nicht selten ein durch Konkurrenz hervorgerufener Konflikt17 scheinbar dadurch aufgelöst, daß inhärente Ambivalenzen zugunsten eines der widerstreitenden Aspekte negiert werden.18 Bezogen auf Seelsorge und Psychologie (Psychotherapie) kann das entweder zur polemischen Ablehnung oder aber zur Konfusion durch völlige Auslieferung führen.19 Letztere beschreibt R. Riess als psychodynamischen Prozeß im Umfeld von Identifikation und Projektion,20 wobei die Motive für übermäßige Anpassung in erster Linie in der Seelsorgeausbildung bzw. in der Praxis kirchlicher Seelsorge gesehen werden. R. Riess konstatiert, die poimenische Ausbildung sei durch drei "Barrieren"21 behindert. Sie leide an dem "Dilemma der Praktischen Theologie im Prospekt der theologischen Disziplinen"22; sie sei grund-

chologischen (zumal tiefenpsychologischen) Erkenntnissen erschwerten, wenn nicht gar verhinderten, so z.B. die Herausbildung der Libidotheorie bzw. der Ödipusthematik. Ganz besonders die im Gefolge Freudscher Theoriebildung fast zwangsläufige Pansexualisierung wird als entscheidender 'Trennungsgrund' angeführt. Vgl. Riess 1973, 37f. 16 Vgl. Riess 1973, 39. - Wer sich nicht zu verhalten weiß, der reagiert (zwar nicht immer, aber doch häufig) verhalten. 17 Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Psychologie (Psychotherapie) äußerst selten Konkurrenz von Seiten der Theologenschaft 'annimmt'. Das mag daran liegen, daß Psychologen und Psychotherapeuten sich augenscheinlich als wesentlich ichstärker erweisen als umgekehrt Theologen (Seelsorger). Es könnte allerdings auch so sein, daß die unterschiedlichen Spielarten des Prinzips arroganter Ignoranz bzw. ignoranter Arroganz von vornherein konkurrenzunfähig werden lassen, wobei letzteres gewiß für Psychologen (Psychotherapeuten) und Theologen (Seelsorger) gleichermaßen Gültigkeit in Anspruch nehmen kann. 18 Vgl. Riess 1973, 40. 19 Den Mustern eines Mißverhältnisses 'Ablehnung' und 'Auslieferung' entsprechen die bei Harris 1979, 60 dargestellten 'Lebensanschauungen'. Wer den anderen ablehnt, formuliert bewußt oder (zumeist) unbewußt: "Ich bin O.K. - Du bist nicht O.K." Wer sich selbst ausliefert, der handelt gemäß dem Grundsatz "Ich bin nicht O.K. Du bist O.K." Diese in der Transaktionsanalyse Bernescher Provenienz vorgeführten Grundprägungen sind gewiß in ihrer Aussage simplifizierend, können jedoch der Tendenz nach durchaus akzeptiert werden. 20 Vgl. Riess 1973,41. 21 Riess 1973, 43. 22 Riess 1973,43.

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sätzlich affiziert von dem klassischen "Theorie-Praxis-Problem"23 und stehe unter dem Verdikt angeblicher "Nichtmethodisierbarkeit kirchlicher Seelsorge"24. Die Praxis der Seelsorge erscheint ebenfalls in gewisser Weise grundsätzlich eingeschränkt oder situationsbezogen momentan behindert. Entweder wird die Kompetenz des 'Pastors' generell negiert oder womöglich gar nicht mehr erwogen, oder der als zuständig deklarierte 'Seelsorger' muß seine faktenbezogene und/oder faktische Überforderung zur Kenntnis nehmen (besser wäre: zur Kenntnis geben).25 Die dabei auftretenden Defizitgefühle werden nicht selten durch sich einschleichende Omnipotenzphantasien vorübergehend kompensiert und damit auf lange Sicht genährt. Es entsteht dabei häufig ein 'Erwartungsungleichgewicht'. Von der Seelsorge, d.h. von sich selbst, erwartet der Seelsorgeübende nichts mehr bzw. ausschließlich Negatives, von der Psychologie (Psychotherapie) erwartet er hingegen alles Weiterführende, Positive. Pandorens Büchse und das Horn der Fortuna stehen einander so gegenüber, und wer wollte es dem Seelsorger verübeln, wenn er sich als Anhänger Fortunas geriert?26 Eine in diesem Zusammmenhang unzweifelhaft auftretende Gefahr ist die des völligen Identitätsverlustes gepaart mit Varianten individueller 'Partialadaption'. In Anlehnung an S.Z. Klausner27, der wiederum auf R. K.Merton 28 rekurriert, unterscheidet R.Riess drei 'Adaptionstypen' voneinander: Den Innovator, der zwar die Intentionen der Eigengruppe bejaht, aber deren Prozeduren nicht anerkennt. "Seelsorger dieser Sparte bejahen die seelsorgerliche Beratung, versuchen jedoch, bessere Methoden aus den Bereichen von Individual- und Gruppentherapie zu benutzen." 29 Den Ritualisten, der die Prozeduren der eigenen Gruppe bejaht, aber mit deren Intentionen nicht unbedingt einhergeht. "Seelsorger dieser Sparte bejahen die traditionellen Praktiken der pastoralen Arbeit. Sie verwenden sie jedoch im Dienste von Zielen, die mit psychotherapeutischen Vorstellungen konform gehen: Verbesserung der kognitiven Kon-

23 24 25 26 27 28 29

Riess 1973,43. Riess 1973, 43. Vgl. Riess 1973, 43. Vgl. dazu Riess 1973,44. Siehe Klausner 1964, 112ff. Siehe die Typologien bei Merton 1963, 374 u. 1967, 139ff., bes. 140. Riess 1973, 49.

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trolle, Fähigkeit, seelischen Konflikten zu begegnen, soziale Eingliederung, psycho-physische Gesundung und dergleichen."30 Den Rebellen, der die Intentionen und auch das Instrumentarium der Eigengruppe ablehnt. Angehörige "dieser Sparte reformieren sowohl die religiösen Grundgedanken wie das Repertoire von Methoden und reformulieren sie mit Hilfe der tiefenpsychologischen Thematik"31. So differenziert die beschriebenen Adaptionsvorgänge auch sein mögen, im letzten stellen sie Typen devianten Verhaltens dar, die mit Konflikten (die häufig weder erkannt noch bearbeitet werden) in Verbindung zu bringen sind. Anstelle kritischer Auseinandersetzung mit der Eigenbzw. der jeweiligen Fremdgruppe erfolgen dann Rationalisierungen als Versuch der Selbstlegitimation. R. Riess unterscheidet in diesem Zusammenhang mit S. Z. Klausner32 insgesamt vier Rationalisierungstypen33: Das Konsolidierungsmodell, in dem Seelsorge und Psychotherapie als letztlich identische Größen vorgestellt werden. Das Komplementaritätsmodell, das zwar von grundsätzlicher Selbständigkeit von Seelsorge und Psychotherapie ausgeht, jedoch Ergänzungsbedürftigkeit bzw. -fähigkeit im personellen und institutionellen Bereich annimmt. Das Sukzessionsmodell, das davon ausgeht, daß der therapeutische Vorgang zunehmend transparenter für religiöse Geschehnisse und deren theologische Deutung wird. Das Modell sozialen Rück(be)zugs34, das vergangenheitsorientiert unter Verweis auf herausragende Persönlichkeiten (Paulus oder Luther etc.) die Rechtfertigung des eigenen Verhaltens, der eigenen Position, festschreibt. Mit R. Riess kann ich davon ausgehen, daß die Modelle der Konsolidierung bzw. der Komplementarität zu den beiden verbreitetsten Rationalisierungsgrundmustern gehören.35 Wer für Konsolidierung plädiert, fordert Nähe; wer für Komplementarität eintritt, postuliert zwar Einheit, aber Einheit in der Unterschiedenheit und deklariert damit immer auch ein Stück Distanz(iertheit). Wo Konsolidierung extreme Formen an30 31 32 33 34

Riess 1973, 49f. Riess 1973, 50. Vgl. Klausner 1964, 140ff. Vgl. Riess 1973, 51. Riess 1973, 51 spricht von "Rückbezug". Mir erscheint es sinnvoll und durchaus kontextgemäß, durch Klammersetzung auf das Ineinander von 'Rückbezug' und 'Rückzug' hinzuweisen. 35 Vgl. Riess 1973,51.

143

nimmt, gerät der Konsolidierte in die Gefahr, sein Gegenüber generell abzulehnen, um nur ja nicht völlig vereinnahmt zu werden. Wo Komplementarität exzessiv ausgelebt wird, kann Partizipation und Partialadaption zu einseitiger Auslieferung und damit pathologischer Konfusion führen. In beiden Fällen muß das Gleichgewicht von Distanz und Nähe als empfindlich gestört angesehen werden. Als "Muster eines Miteinanders"36 beschreibt R. Riess den Vorgang von Annehmen und Anerkennen des anderen im Feld antagonistischer Kräfte von Es, Über-Ich und Außenwelt.37 Markieren völlige Ablehnung und totale Selbstauslieferung die negativen Extreme möglichen Beziehungsgeflechtes, so findet das positiv orientierte Miteinander "im Spielraum zwischen Vereinzelung und Verschmelzung"38 statt; Distanz und Nähe stehen dabei in einem relativen, ausgewogenen Verhältnis zueinander, das gemäß der jeweils angestrebten bzw. erreichten Differenzierung und Integrierung je neu zu bestimmen ist. Zu den "Dispositionen der Differenzierung"39 rechnet R. Riess Komplementarität40 und Integrationsvermögen41. In der Konzeption der Komplementarität geht es sowohl um das kreative Herausstellen von Kriterien zur Definition der eigenen Position42, als auch um "die differenzierte Zuordnung zu einem Kontext anderer Disziplinen"43. Gemäß der konstatierbaren Beschleunigung sich ständig verändernder Wirklichkeitserfahrung kann dabei nicht an die Einpassung in ein komplexes, allumfassendes weltanschauliches System gedacht sein, sondern ausschließlich an 'eine integrierende Lebensgemeinschaft, die die verschiedenen Aspekte gegenwärtiger und zukünftiger Weltbewältigung miteinander in lebensfördernde Beziehung setzt'44/45. Wo die Differenzierung der Disziplinen in ein externes Kon36 37 38 39 40 41 42

Riess 1973, 53. Vgl. Riess 1973, 53f. Riess 1973, 53. Riess 1973, 56. Vgl. dazu Riess 1973, 56ff. Vgl. dazu Riess 1973, 60ff. Hier liegt nach Riess 1973, 56 "der Sinn des von Seelsorgern heute so heftig diskutierten Propriums". 43 Riess 1973, 56. 44 Riess 1973, 56. - R. Riess zitiert hier mit falscher Ortsangabe J. Hübner. 45 Dabei müssen selbstverständlich sowohl die komplizierten Kontroversen um die Problematik eines einheitlichen Weltbildes und die damit verbundenen Fragen nach dem jeweiligen Wirklichkeitsbegriff als auch die Debatte um Wissenschaftstheorie und ganz besonders den Wissenschaftscharakter der Theologie Berücksichtigung

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tinuum erschwert oder völlig verunmöglicht ist, wird durch Einzelwissenschaften, die ihre Grenzen kennen und beachten bzw. Kooperation so wahrnehmen, daß sie ihr Gebiet kritisch und kompetent verwalten, Partikularität durch und in Partnerschaft überwunden.46 Konstitutiv für diese Konzeption der Komplementarität ist der interdisziplinär geführte, interpersonale Dialog, der sich durch Offenheit für Kooperation und Kritik sowie für Toleranz und Transparenz auszeichnet.47 Er ermöglicht Komplementarität in zweifacher Weise 48 : Zum einen kann an verschiedenen Aspekten eines Gegenstandes von verschiedenen Ansätzen her gearbeitet werden, wobei die unterschiedlichen Arbeitsergebnisse nachträglich in Beziehung zueinander gesetzt werden. Zum anderen kann ein und derselbe Aspekt von verschiedenen Ansätzen her so bearbeitet werden, daß er in seinen Tiefendimensionen transparent erscheint. Der Integrationsvorgang stellt wie der Prozeß der Differenzierung eine beachtliche Ich-Leistung dar und steht für inklusive Lernprozesse des Individuums, in denen die Vielfalt organismischer, psychischer und sozialer Komponenten zu einer Ganzheit zusammengefaßt wird. 49 "Die Selektion unterschiedlicher Sachverhalte und ihrer Synthese zu einem geordneten Ganzen, zu einer 'Gestalt', sind (dabei) nicht ohne tiefen Sinn: Es ist ein unschätzbarer Schutz der lebendigen Schöpfung, aus der Flut der Signale die ihr gemäßen herauszufiltern und ihrem (Bedürfnis-, Beziehungs-)System anzugliedern. Der Kommunikation mit der Umwelt und den Konsequenzen daraus, der Kritik und der Korrektur, ist es zu verdanken, daß aus einem Konglomerat isolierter Momente eine Kontinuität des Ich in Raum und Zeit entsteht. Wie um einen Kern kristallisiert sich die ganze Komposition von Erlebnissen und Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen, kurzum von wahrgenommener Welt ..."50 Selbstverständlich kann dialogische Zusammenarbeit nur fruchtbar werden, wo Ganzheitsbestrebungen nicht auf Kosten von Individualität von Gruppen, Personen und deren Aussagen durchgesetzt werden. "Soll eine finden. Vgl. Riess 1973, 56, w o diesbezüglich weitere Literaturangaben gemacht werden. Unterbleibt an dieser Stelle die kritische Sichtung, gerät man in die Gefahr nostalgischen Regresses mit maligner Komponente. Vgl. dazu Winkler 1988, 447. 46

Vgl. Riess 1973, 58.

47

Vgl. Riess 1973,59f. Die Seelsorge erscheint in diesem Dialog als autonome Disziplin in Intention, Kontext, Konzeption, Motivation und Methodik. Vgl. Riess 1973, 59f.

48

Vgl. dazu Riess 1973, 58.

49

Vgl. Riess 1973, 60.

50

Riess 1973, 60 (Erg. in Kl. M.P.). Vgl. dazu z.B. Krech/Crutchfield 1968, 67ff. u. 173ff.

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Aussage in eine andere Disziplin übertragen werden, muß ihre Bedeutung innerhalb des jeweiligen hermeneutischen Zirkels geklärt werden."51 Denn Integration stellt keine statische Einheit mit unveränderlichen Eigenschaften her, sondern repräsentiert einen dynamischen und dialogischen Denk- und Handlungsansatz, der sich deutlich von der Attitüde der Auslieferung unterscheidet.52 Die "Dimensionen der Differenzierung"53, die R. Riess benennt, sind in drei einander z.T. durchdringende Großbereiche zu gliedern: den der Therapie, den der Theorie und den der Transzendenz,54 In der Dimension der Therapie geht es in erster Linie um die praktische Zusammenarbeit von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie im Blick auf unsere heutige multidimensionale Wirklichkeit mit ihrer mitunter zergliedernden Tendenz und die zunehmende seelische Misere der von dieser Wirklichkeit stark beanspruchten und/oder überforderten Menschen. 55 Die Dimension der Theorie verbindet pastorale Praxis und Psychologie/Psychotherapie zum einen in der Frage danach, wie es möglich ist, eine Verkehrung des praktischen Vollzugs zu pragmatischer (pragmatistischer) Routine zu verhindern, und zum anderen in der Überlegung, wie Erlebnisse zwischenmenschlicher Relation (actus directus) in Erkenntnisse distanzierter Reflexion (actus reflexus) zu überführen sind. 56 51 52 53 54 55

Fror 1961, 16. Vgl. Riess 1973, 67. Riess 1973, 67. Vgl. dazu Riess 1973, 67ff. Vgl. Riess 1973, 68. - In die gleiche Richtung zielen die Ausführungen M. Seitz's, der das Problem grundsätzlicher Ratbedürftigkeit des Menschen unserer Zeit in der mit fortschreitender Säkularisierung zunehmenden Selbstentfremdung, Orientierungslosigkeit und Verhaltensunsicherheit begründet sieht. Vgl. Seitz 1978, lOOf. Seelsorge, die für M. Seitz "weder Psychotherapie noch Anweisung und Erteilung von gutem Rat" (ebd., 102) darstellt, steht demgemäß vor der Aufgabe, psychologische und theologische Verhaltensdeutung, zielgerichtete Interaktion, kontrolliertes und methodisches Gespräch und damit Auflösung von Ratlosigkeit, Aktivierung des Möglichen und optimale Problembewältigung durch den Ratsuchenden selbst zu ermöglichen. Sie hat ihren Ort somit zwischen direkter und indirekter Interventionsform und bezeichnet "eine auf den psychischen Aspekt menschlicher Personalität bezogene verbale Kommunikation mit therapeutischem Charakter" (ebd.), die "im Bekenntnis des Glaubens" (ebd., 107) vollzogen wird. Besonders im Dialog zwischen Seelsorge und Psychotherapie wird deutlich, "daß das unverwechselbar Eigene der christlichen Seelsorge nicht methodischer, sondern dogmatischer Natur ist. Es liegt in der theologischen Qualifikation der Motive und Intentionen und im Zusammenhang von Seelsorge und Prophetie" (ebd., 106).

56 Vgl. Riess 1973, 68.

146

Für die theologische wie für die (tiefen)psychologische Theoriebildung gilt dabei der Grundsatz, daß sich Theorie bei aller Gesetzmäßigkeit niemals auf Dauer in einem geschlossenen Kreis bewegt, sondern der Kontingenz neuer Entdeckungen und Erfahrungen bedarf. Wo dies gesehen und beherzigt wird, verringert sich die Gefahr dogmatistischer Verfestigungen und ideologischer Verabsolutierungen von Vorurteilen. Eine ständige Rückkoppelung mit der jeweiligen Realität und die Kommunikation mit konkreten Menschen wird dadurch erheblich erleichtert bzw. überhaupt erst möglich gemacht.57 In der Dimension der Transzendenz sieht R. Riess eine immer schon vorgegebene Einheit von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie. Denn: "Auf die Transzendenz des menschlichen Lebens stoßen wir nicht in der philosophischen Deduktion, sondern im geschichtlichen Prozeß selbst, an dem wir alle teilhaben."58 Transzendenz manifestiert sich in der lebenslangen Suche nach Sinn, in der Frage danach, 'was Menschen unbedingt angeht und im letzten bestimmt'59. Wo diese Dimension zum Gegenstand einer dialogischen Beziehung zwischen Theologie/Seelsorge und (Tiefen-)Psychologie/Psychotherapie geworden ist, wird Kooperation und Korrelation im umfänglichsten Sinne möglich. Die Qualität der Kommunikationsbemühung(en) bemißt sich dabei daran, "ob die dritte Dimension verabsolutiert, verleugnet - oder verständnisvoll anerkannt wird"60. In seinem "Diagramm der Differenzierungen"61 versucht R. Riess, "Dispositionen und Dimensionen der Differenzierung graphisch darzustellen"62. Er kommt zu dem Schluß, daß ausschließlich ein dialogisches, auf den Erkenntnissen der modernen Ich-Psychologie aufbauendes Denkmodell im Verhältnis von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie zu einem lebendigen, wechselseitigen Austausch gelangen läßt und so Diastase und Diffusion aufhebt. 63 "Erst durch das Aushalten von Ambivalenzen, durch die Anerkennung des Anderen und seine konstruktivkritische Annahme entstehen dynamische Muster des Miteinanders."64

57 58 59 60 61 62 63 64

Vgl. Riess 1973, 73. Hollweg 1971, 295. Zur hier verwandten Begrifflichkeit vgl. Tillich 1987, 19ff. u. 247ff. Riess 1973, 77. Riess 1973, 77. Riess 1973, 77. Vgl. Riess 1973, 78. Riess 1973, 78.

147

T. U. Schall und J. Scharfenberg: Zwei unterschiedliche Zuordnungsraster (Loccumer Thesen) Anläßlich einer im Dezember 1981 in der Evangelischen Akademie Loccum veranstalteten Tagung wurde die Ausformulierung unterschiedlicher Verhältnisbestimmungen zwischen Seelsorge und Psychologie in verschiedenen Seelsorgekonzeptionen erneut diskutiert. 65 Die 1982 publizierten 'Loccumer Thesen' 66 repräsentieren die programmatischen Überlegungen von 1981 6 7 ; sie bieten zwei unterschiedliche 'Zuordnungsraster' 68 , die im folgenden kurz erläutert werden sollen. Für den Pfarrer und Diplompsychologen T.U.Schall läßt sich die Seelsorgediskussion um die Anwendung psychologischer Erkenntnisse in drei große Positionsblöcke unterteilen, wobei die Einzelpositionen s.E. bestimmten kirchenpolitischen Gruppierungen anhängig zu machen sind. 69 Im Vordergrund steht die Fraktion der Pastoralpsychologen, deren Grundansatz sich in den Äußerungen der 'Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V.' (DGfP) niederschlägt. Sie hält die Anwendung unterschiedlicher psychologischer Einsichten und Handlungsstrategien für sinnvoll und notwendig und vertritt demgemäß das Prinzip 'Bejahung des anderen'.

65

Siehe dazu May 1985; es handelt sich bei dem von H. May herausgegebenen Sammelband um die Loccumer Protokolle 35/1981, die 1986 bereits in dritter Auflage erschienen.

66 67

Schall u.a. 1982. Die 'Loccumer Thesen' von 1982 entsprechen exakt den Tischvorlagen der Loccumer Tagung von 1981. Ich könnte demgemäß von einem Wiederabdruck sprechen bzw. nach May 1986 zitieren. Um der besseren Überschaubarkeit willen wird darauf jedoch verzichtet und zwischen Schall u.a. 1982 und May 1986 differenziert.

68

Bei den thesenartig formulierten 'Rasterungen' handelt es sich um Ausführungen von T. U. Schall und J. Scharfenberg, der auf der Tagung selbst von K. Winkler vertreten wurde. D. Stollberg und M. Seitz haben das Verhältnis von Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie im Rahmen der 'Loccumer Tage' aus der Sicht der Klinischen Seelsorgeausbildung (KSA) (vgl. Schall u.a. 1982, 323f.) bzw. aus der Sicht der Pastoraltheologie (vgl. ebd., 324ff.) anvisiert. Da es sich hierbei eher um bereichsspezifische Darstellungen des Verhältnisses von Seelsorge und Psychologie handelt, soll in meinen Ausführungen nicht näher darauf eingegangen werden.

69

Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 318ff.

148

Eine diesbezüglich eindeutige Gegenposition erkennt T. U. Schall in der evangelikal70 bzw. neoorthodox orientierten71 theologischen Opposition. Diese hält die Anwendung psychologischer Denk- und Verhaltensmuster für fragwürdig oder nahezu schädlich72 und reagiert in weiten Teilen gemäß dem Prinzip 'Ablehnung des anderen'.73 Eine Zwischenposition kommt nach Auffassung T.U.Schalls den Kreisen zu, die "eine 'kirchliche Validität'"74 psychologischer Erkenntnisse und Methoden erkennen zu müssen glauben, um entsprechende Handlungsentwürfe und -konzepte als "seelsorgerlich relevant" 75 qualifizieren zu können. Positiv signalisiert das ein hohes Maß an Kritik- und Differenzierungsbereitschaft. Negativ kann die Tatsache gewertet werden, daß Vertreter dieser Gruppierung mitunter einseitig selektiv und bereichsspezifisch (ich könnte auch sagen interessenspezifisch) eine Koalition mit Vertretern des Prinzips 'Bejahung' und ab und an (mehr oder weniger begründet) eine Koalition mit Vertretern des Prinzips 'Ablehnung' bilden. Ihre Argumentation weist dabei eine bisweilen unklare, ambivalente 'Ja-Nein-Struktur' auf. 76 T. U. Schall selbst sieht Theologie/Seelsorge und Klinische Psychologie in einem orthogonalen (unabhängigen) Verhältnis einander zugeordnet. 77 Nichtsdestoweniger kann er die Klinische Psychologie als 'ancilla' der Theologie deuten, als Magd, die "aus eigener Voraussetzung keine Wertung als richtig oder falsch erweisen"78 kann und deshalb grundsätzlich dazu bereit ist, "als hilfreiche Hilfswissenschaft" 79 unter-

70 Verwiesen wird auf Henning (vgl. Schall u.a. 1982, 318); m.E. dürfte damit G. Hennig gemeint sein. 71 Verwiesen wird auf H. Tacke. Vgl. Schall u.a. 1982, 318. 72 M.E. muß die Position von H. Tacke - deutlicher als bei T. U. Schall - losgelöst von der des sogenannten 'evangelikalen Lagers' betrachtet werden. Eine - wenn auch eher implizite - 'Gleichstellung' kann hier nur verfälschend wirken und wird der differenzierten Begründungsstruktur der Tackeschen Überlegungen keineswegs gerecht. Allerdings kann es durchaus bedenklich stimmen, daß H. Tacke häufig dazu 'benutzt' wird, theologisch-konservative Strömungen mit stark vereinseitigender Tendenz zu legitimieren. 73 74 75 76

Vgl. aber die Ausführungen bei Hagenmaier 1989. Schall u.a. 1982, 318. Schall u.a. 1982, 318. Vgl. dazu Scharfenberg 1968, 26, der z.B. A. Allwohn, E. Thurneysen, I. A. C. Murray und A. C. Outler eklektizistische Vorgehensweise vorwirft. 77 Vgl. Schall u.a. 1982, 320. 78 Schall u.a. 1982, 320. 79 Schall u.a. 1982, 320.

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schiedlichen Interessen zu dienen. Die Forderung danach, Biblische Theologie habe sich den Fragen der Klinischen Psychologie offen zu stellen und diese - so weit irgend möglich - zu beantworten,80 erscheint im Vergleich dazu m.E. verhältnismäßig harmlos und kann das bezeichnete Maß der Abhängigkeiten nicht ausgleichen. Die Möglichkeit einer Partnerschaft im Sinne von Parallelität ist für T.U.Schall somit von vornherein ausgeschaltet; zwischen Seelsorge und Psychologie wird ein grundsätzlich hierarchisches Verhältnis angenommen.81 Systematischer als T. U. Schall verfährt J. Scharfenberg, wenn er insgesamt fünf unterschiedliche Modelle der 'In-Beziehung-Setzung' von Seelsorge und Psychologie thesenartig vergegenwärtigt und auf ihre Vor- und Nachteile hin überprüft: 82 "Das Modell 'Kampf " 83 : Es ist dadurch geprägt, daß die Theologie von der göttlichen Offenbarung her absoluten und ausschließlichen Wahrheitsanspruch erheben zu können glaubt. Als eine der wahren Erkenntnis teilhaftige Disziplin meint sie, über Theorie und Praxis der Psychologie verfügen, diese beurteilen und u.U. sogar verurteilen zu können. So entsteht eine Angriffssituation, die die Psychologie ihrerseits zum Gegenangriff übergehen läßt. Statt eines Gesprächs findet ein bloßer Schlagabtausch statt, der die jeweiligen Positionen nur noch mehr verhärtet; die Theologie leidet dabei unter "kläglichen Rückzugsgefechten bei ständigem Terrainverlust"84. "Das Modell 'Abgrenzung'"*5: Es erkennt in Seelsorge und Psychologie völlig verschiedene Größen, die kaum Berührungspunkte aufweisen.86 Konflikte werden auf diese Weise zwar vermieden, allerdings um den Preis der Aufgabe der einen Wirkwelt. "Theologische Aussagen vermögen ihre Relevanz für Humanwissenschaften nur noch deklamatorisch zu behaupten, aber nicht mehr zu erweisen und zu vermitteln."87 "Das Modell 'KooperationM'88: Es sieht Seelsorge und Psychologie 80 Vgl. Schall u.a. 1982, 320. 81 Vgl. dazu den Kommentar T. U. Schalls zum Thema der Loccumer Tagung bei May 1986, 68. 82 Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 321ff. 83 Schall u.a. 1982, 321. 84 Schall u.a. 1982, 321. 85 Schall u.a. 1982, 321. 86 Allenfalls kann hier wieder das vielberufene 'ancilla'-Paradigma auftauchen. Vgl. Schall u.a. 1982, 321. 87 Schall u.a. 1982, 321. 88 Schall u.a. 1982, 321.

150

auf der pragmatischen Ebene der Sorge um und für den Menschen mit seinen seelischen Möglichkeiten und Nöten miteinander verbunden. Die Praxisorientierung vermittelt direkte Erfolgserlebnisse, birgt jedoch in sich die Gefahr "einer unkritischen Anpassung an den historisch zufälligen status quo der augenblicklichen gesellschaftlichen Situation"89; die vorherrschende Handlungsstruktur ist die des medizinischen 'ut aliquid fiat', wobei Seelsorge und Psychologie Skotome im Bereich theoretischer Begründungen und innovatorischer Zielvorstellungen aufweisen. "Das Modell 'Philosophische Vermittlung'"90: Es verlagert die direkte Begegnung von Seelsorge und Psychologie auf das Feld anthropologischer Implikationen. Seelsorger und Psychologen können Zuständigkeiten delegieren und sind damit von Identitätsproblemen entlastet. Es darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß "das einigende Band der Philosophie als Grundlagenwissenschaft immer brüchiger wird" 91 . "Das Modell 'Gegenseitige Kritik'"92: Es ermöglicht einen streitbaren Dialog um die eine Wirklichkeit, in dem verschiedene Dimensionen Berücksichtigung finden. Das Gespräch zwischen Seelsorge und Psychologie wird dabei zwar als fortführungsfähig und -bedürftig erkannt, kann jedoch von Kompetenzgehabe und -gerangel nicht völlig freigehalten werden. J. Scharfenberg selbst plädiert für einen Dialog zwischen Seelsorge und Psychoanalyse,93 in dem der Gebrauch von Symbolen neue Wertigkeit erlangt. Er tritt dafür ein, die verschiedenen Arten vorhandener Symbole 94 (diskursive mathematische Symbole, allgemeine Menschheitssymbole und spezifisch christliche Symbole) je für sich zu deuten, um sie dann - unter Offenlegung der jeweiligen Hermeneutik - zueinander in Beziehung zu setzen. Der hierin zum Ausdruck gebrachte Grundansatz ist eindeutig inklusiv orientiert und versucht, die eine Wirklichkeit menschlichen Seins in ihrer Aspektvielfalt zu berücksichtigen.95 89 90 91 92 93 94 95

Schall u.a. 1982, 321. Schall u.a. 1982, 321. Schall u.a. 1982, 322. Schall u.a. 1982, 322. Siehe dazu bes. Scharfenberg 1972. Zur Bedeutung von Symbolen vgl. auch Scharfenberg 1974. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 322. - Ein typisches Beispiel für diesen Ansatz bieten die Ausführungen bei Scharfenberg/Kämpfer 1980, wo unter dem Obertitel 'Mit Symbolen leben' zwischen soziologischer, psychologischer und religiöser Konfliktbearbeitung unterschieden wird.

151

N. Mette und H. Steinkamp: Zum Modell der konvergierenden Optionen Eine sehr sorgfältige und überzeugende 'Rasterung' der unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen in bezug auf Praktische Theologie und Sozialwissenschaften allgemein nehmen N.Mette und H.Steinkamp in ihrem 1983 erschienenen Buch 'Sozialwissenschaften und Praktische Theologie' 96 vor. Obwohl diese Ausführungen nicht direkt auf die Beziehung von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie zugeschnitten sind, sollen die vier dort benannten Grundparadigmen97 kurz vorgestellt werden.98 Es ist dabei zu berücksichtigen - wie N. Mette und H. Steinkamp zu Recht betonen -, daß es weder "das Verhältnis der Praktischen Theologie (oder gar der Theologie als ganzer) zu den Sozialwissenschaften gibt"99 noch die Möglichkeit, mit Hilfe einer einzelnen Perspektive die verschiedenen Aspekte dieses Verhältnisses zu erfassen. 100 Alle paradigmatischen Beschreibungen stellen demgemäß eine "idealtypische Klassifizierung von Typen des Beziehungsverhältnisses"101 dar. Das "'ancilla'-Paradigma" 102 wurzelt in jahrhundertealter Tradition und hatte seine Blüte zur Zeit der Scholastik. Es taucht heute in zwei Varianten auf: in einer traditionellen epistemologischen 103 und in einer

96 97 98

99 100

101 102 103

152

Vgl. Mette/Steinkamp 1983. Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983, 164ff. Über eine Zuordnung von Psychologie/Psychotherapie zu den Sozialwissenschaften ließe sich gewiß streiten. Ein solcher Streit trüge im Rahmen vorliegender Arbeit jedoch nichts aus, da es hier in erster Linie um die Beschreibung der Zuordnung von Theologie (Seelsorge) zu benachbarten Fremddisziplinen (speziell der Psychologie/Psychotherapie) geht und nicht so sehr um den jeweiligen Standort der anvisierten Fremddisziplin im Gesamt des Fächerkanons. Mette/Steinkamp 1983, 164. Vgl. Mette/Steinkamp 1983, 164. - Bezogen auf Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie könnte ich analog formulieren: 'Sowenig es das Verhältnis der Seelsorge zu den Psychologien/Psychotherapien gibt, sowenig vermag eine einzelne Perspektive die verschiedenen Aspekte dieses Verhältnisses zu erfassen.' Mette/Steinkamp 1983, 166. Mette/Steinkamp 1983, 166. Eine epistemologische Variante des 'ancilla'-Paradigmas bietet der Pädagoge und Philosoph F.Fischer (1929-1970), der in seiner 'Darstellung der Bildungskategorien' (Fischer 1975) die Beziehung unterschiedlicher Einzelwissenschaften zueinander auf der Grundlage einer umfassenden Ausdeutung der 'Sinnkategorie' beschreibt und so zu einem horizontalen Gliederungssystem der Wissenschaften mit vertikalem Interpretationsprinzip (vgl. dazu ebd., 86ff., 112ff. u. 129f.) gelangt.

zeitgenössischen "'Methoden-Variante"104. Erstere wurzelt in der Vorstellung, das theologische (Wahrheits-)Vorverständnis entscheide souverän und absolut darüber, welche fremdwissenschaftlichen Erkenntnisse als nützlich und welche als schädlich zu qualifizieren seien. Letztere zeichnet sich durch partielle Rezeption humanwissenschaftlicher Methoden aus, wobei die jeweilige "Rezeptions-Schwelle"105 sehr unterschiedlich (niedrig bzw. hoch) ausfallen kann. "Je besser die(se) humanwissenschaftlichen Methoden mit kirchlichen Zielen und Werten vereinbar erscheinen, um so freudiger werden sie für kirchliche Zwecke verwendet."106 In gewisser Weise komplementär zum 'ancilla'-Denkmodell verhält sich das " 'Fremdprophetie'-Paradigma"101. Es geht davon aus, daß die Theologie fasziniert ganze Theoriegebäude, komplette Handlungsmethoden oder einen Wissensbestand aus einer anderen Wissenschaft samt der ihr impliziten Werte, Grundannahmen und Menschenbilder rezipiert. Die 'Fremdwerte' werden dabei gar nicht als fremde Werte gedeutet, sondern erscheinen als vergessene oder noch gar nicht berücksichtigte

Psychologie (Psychotherapie) verhält sich seinem Verständnis nach zur Theologie (Seelsorge) wie der 'Sinn von Sinn' zum 'Sinn aus sich selber': Auch theologische Wissenschaft befaßt sich mit dem 'Sinn von Sinn', "aber der Sinn von Sinn hat hier den Sinn aus sich selber zum Inhalt, d.h. der Sinn des Sinnes von Sinn ist hier, daß der Sinn begrenzt ist, daß menschlicher Sinn begrenzt ist zum absoluten Sinn oder daß der Sinn zum Sinn begrenzt ist" (ebd., 127). Theologie (Seelsorge) steht somit vor der Aufgabe, die Unfaßlichkeit des Absoluten zu benennen und deutlich zu machen, daß dieses unfaßliche Absolute sich selbst aussagt bzw. aussagen muß. Vgl. dazu ebd., 128. In ihr und durch sie spricht Jesus Christus als 'Sinn aus sich selber', als Gotteswort, das sich selbst gibt. In der Psychologie (Psychotherapie) kann zwar auch etwas vom 'Sinn aus sich selber' hervorleuchten; dies aber ist für die Therapiesituation - anders als für die Seelsorgesituation - nicht konstitutiv. Psychologie (Psychotherapie) erscheint demgemäß im System der Wissenschaften und speziell im Verhältnis zur Theologie (Seelsorge) als untergeordnete Größe; Theologie (Seelsorge) hingegen ist übergeordnete 'Offenbarungsträgerin', der im hierarchisch gegliederten Stufensystem der Wissenschaften ein deutlicher 'Mehr-Wert' (allen anderen Wissenschaften und damit auch der Psychologie/Psychotherapie gegenüber) zukommt; ein wirklich partnerschaftliches gleichberechtigtes Miteinander von Psychologie (Psychotherapie) und Theologie (Seelsorge) ist somit von vornherein ausgeschlossen. 104 105 106 107

Mette/Steinkamp Mette/Steinkamp Mette/Steinkamp Mette/Steinkamp

1983,166. 1983,167. 1983, 168. 1983, 168.

153

Aspekte der eigenen Denkwelt (Tradition).108 So können z.B. '"Therapeuten-Variablen'"109 wie Empathie, bedingungsloses Akzeptieren des Gegenübers und Selbstkongruenz als "originär christliche Grundhaltungen" 110 ausgegeben werden. "Theologen zögern nicht, im bedingungslosen Annehmen des Ratsuchenden ein Abbild der den Menschen unbedingt bejahenden Liebe Gottes zu entdecken."111 Im "Paradigma der konvergierenden Optionen"112 wird versucht, die Defizite der beiden erstgenannten Paradigmen aufzuheben. Es wird davon ausgegangen, daß jeder Erkenntnis- und Forschungsprozeß interessegeleitet ist und daß (u.a. auch deshalb) die abstrakte Rede von der Theologie bzw. der Humanwissenschaft zugunsten konkreter Einzelbeschreibungen aufzugeben ist. Im interdisziplinären Dialog muß dann eine wechselseitige Vergewisserung über die vorhandenen beiderseitigen erkenntnisleitenden Interessen stattfinden. Nur so kann "die Selektion des 'fremden' Wissensbestandes auf der Basis gleicher, zumindest kompatibler (= konvergierender) Optionen"113 erfolgen. Die miteinander herausgearbeiteten gemeinsamen Optionen übernehmen unterschiedlichste Funktionen: Sie lassen aus der komplexen Welt sinnvollen Wissens das momentan sinnvollste auswählen, sie leiten zu interdisziplinären Suchbewegungen an und fördern die Produktion von problembezogenem und problemlösendem Wissen. 114 Bei dem vierten Typus des Verhältnisses von Theologie und Humanwissenschaft(en) ("Praktische Theologie als Sozialwissenschaft"115) handelt es sich nach N. Mette und H. Steinkamp um mehr als ein bloßes Denk-Modell. Hier geht es um eine bereits real-existente Form der Beziehung, die als praktische Variante des dritten Modells aufgefaßt werden kann. Spezialdisziplinen der Praktischen Theologie, so z.B. die Pastoralpsychologie, sind dazu aufgefordert, ihre er- und verarbeiteten Wissensbestände über Optionen zu selektieren. Dabei muß berücksich108

Bei Mette/Steinkamp 1983, 168 werden als Vertreter des Fremdprophetie-Paradigmas O. Haendler, H.-J. Thilo, J. Scharfenberg, D. Stollberg und K. Winkler benannt.

109 110

Mette/Steinkamp 1983, 169. Mette/Steinkamp 1983, 169.

111

Mette/Steinkamp 1983,169.

112 113

Mette/Steinkamp 1983, 170. Mette/Steinkamp 1983, 170.

114

Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983, 171f., w o letzteres anhand der Option für das Subjekt-Sein veranschaulicht wird.

115

Mette/Steinkamp 1983, 172.

154

tigt werden, daß die Rezeption human- bzw. sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden noch keineswegs aus z.B. der Pastoralpsychologie eine Human- bzw. Sozialwissenschaft macht. "Praktische Theologie wird (vielmehr) dadurch zur Sozialwissenschaft, daß sie (zusammen mit anderen Wissenschaften) das empirische Phänomen des Religiösen untersucht, insofern dies ein zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum Menschen gehörendes Grundphänomen ist."116 Trotz der positiven Anklänge im dritten und vierten Paradigma kommen N.Mette und H.Steinkamp sowohl in bezug auf das Miteinander von Theologie und benachbarten Fremddisziplinen allgemein als auch in bezug auf die verhältnismäßig jungen praktisch-theologischen Spezialdisziplinen (wie z.B. die Religions- oder Pastoralpsychologie) zu dem Schluß, "daß die Theologie derzeit weitgehend die Nehmende ist"117. Von einem ausgewogenen Verhältnis, mithin von einer Balance von Geben und Nehmen (auch im Verhältnis von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie) kann somit noch keineswegs die Rede sein. So verschieden die vorgelegten theoretisch orientierten 'Rasterungen' in ihrer jeweiligen kategorialen Grundstruktur auch sein mögen, immer weisen sie eine deutliche Affinität zu der von R.Riess eindrücklich geschilderten 'Distanz-Nähe-Problematik' auf. Stets geht es dabei um Ängste, die bewußt oder (was häufiger der Fall sein dürfte) unbewußt wirken. 118 Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, soll im folgenden auf die von F. Riemann vorgelegte tiefenpsychologische Studie zu den sogenannten 'Grundformen der Angst' 119 rekurriert werden. Die Riemannschen Ausführungen werden dabei von mir eigenständig und erstmalig direkt auf die möglichen In-Beziehung-Setzungen von Seelsorge

116 117 118

119

Mette/Steinkamp 1983, 173 (Erg. in. Kl. M.P.). Mette/Steinkamp 1983, 175. Ein besonders deutliches Beispiel für das Ineinander von bewußten und unbewußten Ängsten bei Seelsorgern im Gegenüber zur Psychologie bietet die Auseinandersetzung um ein mögliches Verweigerungsrecht pastoralpsychologischer Ausbildung während der Vikariatszeit. Vgl. dazu die Äußerungen S. Findeisens bei May 1986, 80f. Auf Seiten der Verweigerungsbefürworter wird einerseits betont, ein "mitgeteiltes Recht zur begründeten Verweigerung" (ebd., 81) führe zur "Entängstlichung der Kandidaten" (ebd.), andererseits wird die Überlegung, ob die Verweigerung durch Ängste der Kandidaten motiviert sei (Ängste vor zu großem Gruppendruck oder einer Überindividuation), zugunsten eher formaler Begründungen durch Rationalisierung abgewehrt. Vgl. Riemann 1985.

155

und Psychologie/Psychotherapie bezogen. 120 Auf diese Weise wird das Feld unterschiedlicher 'Gegnungs-Typeri 'von unten' bzw. 'von innen' her betrachtet, und die 'Motivationsstruktur' einzelner Verhältnisbestimmungen bzw. bestimmter geistesgeschichtlicher Entwicklungsstränge im Verhältnis von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie kommt in den Blick.

F. Riemann: Zu den Grundformen der Angst F. Riemann (1902-1979) betont, daß der Angst, die allem Leben inhärent ist,121 ein Doppelaspekt innewohnt, wirkt sie doch einerseits aktivierend und andererseits hemmend. 122 "Angst ist immer ein Signal und eine Warnung bei Gefahren, und sie enthält gleichzeitig einen Aufforderungscharakter, nämlich den Impuls, sie zu überwinden. Das Annehmen und das Meistern der Angst bedeutet einen Entwicklungsschritt, läßt uns ein Stück reifen. Das Ausweichen vor ihr und vor der Auseinandersetzung mit ihr läßt uns dagegen stagnieren"123. Die vier erkennbaren Grundformen der Angst deutet F. Riemann auf dem Hintergrund der konstatierbaren Grundantinomien des Lebens. Gleichnishaft spricht er vom Nebeneinander bzw. Gegeneinander von "Rotation"124 und "Revolution"125 bzw. von Schwerkraft (dem "Zentripetalen 126 ") und Fliehkraft ("dem Zentrifugalen" 127 ). "Der Rotation, der Eigendrehung, entspräche psychologisch sinngemäß die Forderung zur 120

121 122 123 124 125 126 127

156

Die Ausführungen F. Riemanns eignen sich m.E. vorzüglich zur Durchdringung und Strukturierung komplexer Wirklichkeitsbereiche. Nicht zuletzt deshalb wurden sie bereits in der Vergangenheit in anderen Zusammenhängen ab und an als 'Rasterungskonzept' verwandt. So stellt z.B. der 1977 erschienene Aufsatz 'Der Gottesdienst und die vier tiefenpsychologischen Grundmuster' von H. Liersch eine interessante Applikation des Riemannschen Persönlichkeitsschemas in bezug auf den Gesamtkomplex der Gottesdiensttheorie dar. Siehe Liersch 1977. Vgl. Riemann 1985, 7. Vgl. Riemann 1985, 9. Riemann 1985, 9. Riemann 1985, 11. Riemann 1985, 11. Riemann 1985, 12. Riemann 1985, 12.

Individuation ... Der Revolution ... entspräche die Forderung, sich einzuordnen in ein größeres Ganzes ... Dem Zentripetalen, der Schwerkraft, entspräche auf der seelischen Ebene unser Impuls nach Dauer und Beständigkeit; und schließlich dem Zentrifugalen, der Fliehkraft, entspräche der Impuls, der uns immer wieder vorwärts, zur Veränderung und Wandlung treibt.""« Beziehen wir diese Grundantinomien auf das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie (Psychotherapie), so ergeben sich für beide 'Dialogpartner' jeweils vier voneinander deutlich unterschiedene Forderungen: Sie sind dazu aufgefordert, ihr Eigensein zu bejahen und so gegen den jeweils anderen abzugrenzen, daß sie unverwechselbar werden und nicht beliebig austauschbare Einheitsgrößen darstellen. Sie sind dazu aufgefordert, sich dem jeweils anderen als Teil der Welt, des Lebens, vertrauensvoll zu öffnen und sich auf das Nicht-Ich, das fremde Gegenüber, einzustellen, in Austausch mit diesem zu treten und in gewisser Weise 'Hingabe' zu üben. Beide sind damit in eine paradoxe Situation hineingenommen. Sie "sollen sowohl die Selbstbewahrung und Selbstverwirklichung leben, als auch die Selbsthingabe und Selbstvergessenheit, sollen zugleich die Angst vor der Ich-Aufgabe, wie die Angst vor der Ich-Werdung überwinden" 129 . - Zu dieser unauflösbaren Antinomie tritt eine weitere (ebenfalls durch zwei entgegengesetzte Forderungen konstituierte) hinzu. Wiederum gelten beide sowohl in bezug auf die Seelsorge wie auch in bezug auf die Psychologie (Psychotherapie). Sie sind dazu aufgefordert, Dauer anzustreben und mit dem eigenen Bleiben, mit dem Bleibenden überhaupt, zu rechnen, um so Stabilität zu erlangen und Zukunft zu entwerfen, als sei damit Festes und Sicheres verbunden. Sie sind dazu aufgefordert, stets dazu bereit zu sein, sich zu wandeln, Veränderungen und Entwicklungen zu bejahen und Vertrautes aufzugeben, um sich stattdessen Neuem zu öffnen und Unbekanntes zu wagen. Es geht demgemäß um das unlösliche Verwobensein von Streben nach Dauer und Streben nach Wandel, von Einsicht in die unausweichliche Notwendigkeit und von Einsicht in die unaufhaltbare Vergänglichkeit allen Seins und allen So-Seins.130 128 129 130

Riemann 1985, 12. Riemann 1985, 14. Vgl. hierzu und zum Folgenden Riemann 1985, 15.

157

Die mit diesen vier Forderungen unweigerlich verbundenen Ängste lassen sich exakt benennen. Es geht um: 1. die Angst vor Selbsthingabe, die als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt wird, 2. die Angst vor Selbstwerdung, die als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt wird, 3. die Angst vor Wandlung, die als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt wird, 4. die Angst vor Notwendigkeit, die als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt wird. Alle anderen benennbaren Ängste stellen Varianten dieser vier Grundängste dar und korrespondieren den vier Grundimpulsen von Dasein überhaupt, die sich paarweise ergänzen und einander widerstreben: "Als Streben nach Selbstbewahrung und Absonderung, mit dem Gegenstreben nach Selbsthingabe und Zugehörigkeit; und andererseits als Streben nach Dauer und Sicherheit, mit dem Gegenstreben nach Wandlung und Risiko." 131 Eine lebendige Ordnung in diesem System von Strebungen und Gegenstrebungen ist nur möglich, solange ein verhältnismäßiges Gleichgewicht zwischen antinomischen Impulsen herrscht. Es geht dabei nicht um etwas Statisches, einen erreichten Zustand als status quo, sondern vielmehr um ein 'Fließgleichgewicht' voller innerer Dynamik, das immer wieder neu herzustellen ist.132 Wo eine der Grundstrebungen aufgegeben bzw. eine der Grundängste überdimensional herausgebildet wird, kommt es zur Verfestigung pathologischer Strukturen, die als Außenaspekt verschiedener Arten des In-der-Welt-Seins aufgefaßt werden können. 133 So wie F. Riemann von "neurotischen Varianten der Strukturtypen"134 Schizoidie, Depression, Zwangsneurose und Hysterie redet, kann ich - bezogen auf das Verhältnis von Seelsorge und Psychologie (Psychotherapie) - von schizoid, von depressiv, von zwanghaft und von hysterisch geprägten Zuordnungsmustern ('Gggnwngs-Modellen') sprechen.135 Im Grunde geht es dabei immer um die Ängste (die vorherrschende Grundangst) der zueinander 131 132 133 134 135

158

Riemann 1985, 16. Vgl. Riemann 1985, 16. Vgl. Riemann 1985,17f. Riemann 1985, 18. Um der Vereinfachung willen soll hier und im folgenden jeweils das mögliche Verhalten von Theologen/Seelsorgern in den Blick genommen werden. Selbstverständlich kann und muß das so Geäußerte auch auf Psychologen/Psychotherapeuten bezogen kritisch bedacht und vorgebracht werden.

in Beziehung Tretenden bzw. der Verhältnisbestimmungen Vornehmenden. Im Zuordnungsmodell mit schizoider Komponente 136 herrscht die Suche nach größtmöglicher Unabhängigkeit vor. Die überaus stark ausgeprägte Neigung zur Autarkie führt zu einem permanenten Ausweichen vor Nahkontakten. Der egozentrisch um sich selbst Kreisende isoliert sich selbst und damit auch sein Gegenüber, wodurch es zu autistischen Ausfallerscheinungen im wahrsten Sinne des Wortes kommen kann: Kontakt entfällt, der eigene Standpunkt wird zur einzig normativen Größe und gilt als Inbegriff von Welt. Was von außen betrachtet 'Weltverlust' bedeutet, ist in der Innenansicht 'Weltgewinn' bzw. 'Weltsicherung'. Letztere ist eine regelrechte 'Über-lebens-Taktik', die dazu dient, mögliche Erschütterungen von vornherein zu vermeiden. Das daraus resultierende Verhältnis (wenn man denn überhaupt von einem Verhältnis sprechen will) ist u.U. sachlich, auf jeden Fall distanziert und geht einher mit ständig demonstrierter Überlegenheit. Erfahrungsgemäß kommt es bei Konstellationen mit schizoider Prägung häufig zur Überbetonung des eigenen 'Mehrwerts'; der Seelsorger wird zum Sachwalter höherer Werte, er optiert für das ewige Heil, fuhrt zur Transzendenz und postuliert unter Berufung darauf das generelle Prae seiner Sache. In gewisser Weise ist er damit unangreifbar gemacht, sei es auch um den Preis radikalen Näheverlusts. Wo Gewißheit fehlt, wird Sicherheit zum Programm erhoben, um nur ja nicht aus dem mühsam erkämpften inneren Gleichgewicht zu geraten. In der Einschätzung der Außenwelt wird das oft als Arroganz, Hochmut oder Borniertheit gewertet. Daß mitunter tiefe Selbstzweifel und Unsicherheiten mitschwingen, wird nur selten gesehen. Das Gefährdetsein menschlicher Existenz auch und gerade im Gegenüber zu anderen - zuweilen in der Tat exotisch wirkenden - Berufsgruppen kann ja auch kaum zur Sprache kommen, da bereits das 'Davon-Reden' als Unterminierung der eigenen Sicherheitsvorkehrungen erlebt wird. Wo Kontakt auf Dauer nicht vermieden werden kann, kommt es demgemäß immer wieder zu heftigen Abwehrreaktionen, die sich in plötzlicher Schärfe und explosiver Aggressivität äußern können. Auf den Punkt gebracht: Im Zuordnungsmodell mit schizoider Komponente wird der Kontakt mit Andersartigem vermieden, um nur ja nicht in die Gefahr zu geraten, die eigenen Standpunkte hinterfragen oder womöglich gar relativieren oder umstrukturieren zu müssen. Selbstverständlich gibt es aber auch positive Seiten schizoider 136

Zum schizoiden Persönlichkeitstypus vgl. zusammenfassend Riemann 1985,47ff.

159

Grundorientierung: Vereinnahmungstendenzen werden abgewehrt, souveräne Selbständigkeit (Mut zu sich selbst) und Unabhängigkeit (Autonomie) herrschen vor. Überzeugungen werden klar und kompromißlos vertreten, und neues Gedankengut wird auf keinen Fall übernommen, bevor es nicht geprüft und durchdacht ist. Dies alles kann überaus hilfreich sein, sofern es nicht zu einer Verabsolutierung einseitiger und überwertiger 'Eigendrehung' (Rotation) kommt, sondern auch die Fähigkeit zur Annäherung, zur Hingabe integriert und dann erprobt wird. Im Zuordnungsmodell mit depressiver Komponente137 steht die Hingabe bis hin zur Ich-Aufgabe im Vordergrund. Das Du, die jeweilige äußere Bezugsgröße, wird überwertig und erscheint mitunter als einziger Garant der eigenen Daseinsberechtigung. Zwangsläufig unterliegt das eigene Selbstwertgefühl in dieser Konstellation einem permanenten Minderungsprozeß. Einen eigenen Standpunkt gibt es im Grunde genommen gar nicht mehr; immer ist dieser dem des anderen gleichgeschaltet). Das daraus resultierende Verhältnis (auch hier fällt es schwer, von einem Verhältnis zu sprechen) ist geprägt durch völlige Distanzlosigkeit und ausufernde einseitige Konfusion. Der Seelsorger dieses Strukturtypus leidet u.U. an der von ihm selbst empfundenen sogenannten 'Weltfremdheit' der von ihm vertretenen Sache. Es kommt nicht selten zu einer Umwertung aller Werte, und unversehens wird das Evangelium als bloß jenseitsorientierte und damit im Hier und Jetzt irrelevante Größe (dis)qualifiziert. Das Resultat solcher Vorgehensweise ist nicht selten radikaler Verlust von Eigentlichkeit und damit völlige Preisgabe des eigenen Auftrags. In die so entstehende Lücke wird dann der Auftrag des anderen nahtlos integriert. Aus einem zunächst durchaus überzeugten Seelsorger mit theologischem Fundament wird so mitunter über die Zwischenphase des Selbstzweifels und der Verunsicherung ein fanatischer 'Pseudo-Therapeut' mit übertrieben starkem therapeutischem Habitus. In der Einschätzung der Außenwelt wird letzterer entweder als weltoffene Prägung und Orientierung gewertet oder als dilettantischer Anbiederungsversuch entlarvt und dementsprechend abgelehnt. In beiden Fällen kann es zu einer Intensivierung der Fremdorientierung kommen, sei es, um als liberaler, aufgeschlossener Theologe noch mehr Anerkennung zu erlangen oder um das Etikett 'Dilettant' (freundlicher ausgedrückt: Laie) abstreifen zu können. Wo Dauerkontakt erschwert oder sogar verunmöglicht wird, kommt es mitunter zu heftigen Abwehr137

Zum Persönlichkeitstypus mit depressiver Komponente vgl. zusammenfassend Riemann 1985, 97ff.

160

reaktionen, abgewehrt wird allerdings nicht der Einfluß der Fremdgruppe, sondern der der eigenen Gruppe. Die daraus resultierende Aggression stellt sich in erster Linie als Auto-Agression dar 138 und führt vermehrt zu Implosionen. Auf den Punkt gebracht: Im Zuordnungsmodell mit depressiver Komponente wird der Kontakt mit Andersartigem dauernd gesucht, um nur ja nicht in die Gefahr zu geraten, einen eigenen Standpunkt einnehmen, begründen und u.U. sogar verteidigen zu müssen. Natürlich weist auch die depressive Grundorientierung positive Aspekte auf: Isolationstendenzen werden abgewehrt, Verständnis und Sympathie für den anderen (Mut, anders zu sein) und Einfühlungsvermögen (Empathie) herrschen vor. Eigene Überzeugungen werden hinterfragt und neuem Gedankengut wird aufgeschlossen und übernahmebereit begegnet. Dies alles kann überaus hilfreich sein, sofern es nicht zu völliger Selbstaufgabe und überwertiger Forderung, sich einzuordnen (Revolution) kommt, sondern auch die Fähigkeit zur Abgrenzung, zum Selbstsein entwickelt und immer wieder neu als kritische Instanz (der Selbst- und Fremdprüfung) eingesetzt wird. Im Zuordnungsmodell mit zwanghafter Komponente 139 dominiert die Sehnsucht nach Dauer. Lebendige Fremdimpulse werden nur selten integriert und stattdessen meistens - da als Störung mühsam erworbener Kontinuität/Stabilität empfunden - ängstlich vermieden. Wo ein Zusammenstoß mit neuen Entwicklungen nicht verhindert werden kann, kommt es nicht selten zu krisenhaftem Erleben, dessen negative Auswirkungen als Beleg dafür gewertet werden, daß Neuerungen grundsätzlich schädlich (zersetzend) sind. Seelsorger mit extremer Beharrungstendenz verstehen sich selbst als Hüter überkommener Güter und berufen sich konfessorisch auf Orthodoxie und Orthopraxie. Das, was schon immer Gültigkeit beanspruchte, wird als rechte Lehre dogmatistisch fest- und fortgeschrieben; wer neue Ideen und Ansätze vorbringt, dem wird mit Mißtrauen und Intoleranz begegnet. Der inhaltlichen Komponente kommt dabei kaum Gewicht zu; es geht in erster Linie um Formalia, die zu Essentials erhoben werden. Das daraus resultierende Verhältnis ist weniger polemisch denn apologetisch geprägt. Der eigene Standpunkt

138

139

Die hier gemeinten Auto-Agressionen werden häufig sprachlich zum Ausdruck gebracht; sie erscheinen in Form der Selbstironie oder sogar des Sarkasmus', der bewußt verletzen soll. Zum zwanghaften Persönlichkeitstypus vgl. zusammenfassend Riemann 1985, 146ff.

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wird eindeutig als einzig richtiger und damit richtungweisender erkannt, der fremde Standpunkt muß demgemäß zwangsläufig falsch und irreführend (da anders) sein. Die (Gegen-)Beweislast liegt dabei immer beim Gegenüber. Wer so optiert, der gewinnt in der Tat Halt, sei es auch unter Inkaufnahme äußerer und innerer Erstarrung. Flexibilität bedeutet ihm Labilität und damit Gefährdung des einmal eingenommenen Standpunkts; wer Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit zeigt, gilt als ich-schwach und unselbständig und kann und muß deshalb gar nicht ernstgenommen werden. Er ist in der Selbstwahrnehmung keine ernste Bedrohung, sondern Ballast, eine permanente Belästigung, die es - wenn irgend möglich - von vornherein abzuwehren oder abzuschütteln gilt. 140 Auf den Punkt gebracht: Im Zuordnungsmodell mit zwanghafter Komponente wird Kontakt mit Andersartigem ausgespart, um jede mögliche Gefährdung von Kontinuität (d.i. Gefährdung durch Wandel) zu verhindern. Selbstverständlich können auch durchaus positive Auswirkungen zwanghafter Tendenzen im Verhältnis von Seelsorge und Psychologie/ Psychotherapie benannt werden: Traditionsbewußtsein und -Verankerung verleihen Sicherheit im Urteil und ersparen unnötige Skrupel; Wirklichkeitssinn und Verantwortungsgefühl ermöglichen Zielstrebigkeit und Klarheit im Planen und Tun. Dies alles erleichtert ein Aufeinanderzugehen, sofern es nicht zu einer Vereinseitigung des Strebens nach Dauer und Beständigkeit (Überwertigkeit der Zentripetalen) kommt, sondern der Gegenimpuls zur Bereitschaft zu lebendiger Wandlung (das Moment der Zentrifugalen) immer wieder integriert und gewagt wird. Im Zuordnungsmodell mit hysterischer Komponente141 ist die Frage der Echtheit von herausragender Bedeutung; sie spiegelt sich im Ausweichen vor der Realität in 'Rollen', das häufig gepaart mit unkontrollierten und sachlich nicht begründeten Projektionen auftritt. Fremdimpulse werden spontan und flüchtig aufgenommen; ein neuer Trend löst alte mitunter sofort ab. Wo es über längere Strecken zu keinen 140

141

162

Selbstverständlich können die unterschiedlichen Strukturtypen auch gemischt vorkommen. So gibt es sicherlich schizoid-zwanghafte und depressiv-zwanghafte Verhaltensmuster. Letztere dürften dort anzusiedeln sein, wo Seelsorger therapeutische Methoden verabsolutieren und zum bloßen Ritualismus degenerieren. Es entsteht dann leicht ein sinnentleerter Zwangsschematismus, der sich selbst ad absurdum führt. Zum Persönlichkeitstypus mit hysterischer Komponente vgl. Riemann 1985, 193ff.

sichtbaren Neuerungen kommt, entwickelt sich schnell ein Gefühl des Unbehagens, da Stagnation grundsätzlich als beeinträchtigende Größe erfahren wird. 142 Seelsorger mit auffällig starkem Fluktuationsbedürfnis verstehen sich selbst als Innovatoren, Rebellen oder Revolutionäre, die entweder um Aufmerksamkeit und Zuwendung besorgt sind oder beides als unnötiges Hemmnis ablehnen. Ein wenig gleichen sie dem (vermeintlich) ungeliebten Kind, daß sich entweder liebedienerisch einschmeichelt oder zum 'enfant terrible', das das Stigma zum Emblem erhebt, entwickelt. Althergebrachtes betrachten sie zunächst einmal kritisch, während Unbekanntes schnell ihr Interesse findet. Polemische oder apologetische Tendenzen sind hierbei von untergeordnetem Rang; es läßt sich stattdessen ein gewisser Relativismus konstatieren, der festgefügte Denkstrukturen und Überzeugungen ablehnt oder gar nicht erst an sich herankommen läßt. Auf den Punkt gebracht: Im Zuordnungsmodell mit hysterischer Komponente143 wird jeder mögliche Kontakt mit Andersartigem gesucht, aber kaum in ein komplexes Beziehungsgeflecht überführt, um jede Gefährdung von Wandel (d.i. Gefährdung durch Dauer) zu verunmöglichen. Als positive Auswirkung hysterischer Strukturanteile mag die prinzipielle Offenheit für Neues geweitet werden. Elastizität, Plastizität und Spontaneität sind Komponenten, die Bewegung (aufeinander zu) ermöglichen und impulsaufnehmend bzw. ihrerseits impulsgebend wirken können. Die vorgeführten Zuordnungsmodelle stellen vier unterschiedliche Möglichkeiten, auf ein konkretes Gegenüber (die Psychologie/Psychotherapie und deren jeweilige Vertreter) zu reagieren, dar: Seelsorger können sich erkennend distanzieren, sie haben die Möglichkeit zu liebender Identifikation, sie können Fremderkenntnisse wie Gesetze in sich aufnehmen oder versuchen, sie ihren Wünschen gemäß umzugestalten. Immer wieder sind sie aufgefordert, ihre Entscheidung zu fällen, den Dialog zu ermöglichen, fortzuführen, abzubrechen oder ihn gar nicht erst aufzunehmen. Die unterschiedlichen Reaktionsweisen verfügbar zu 142

143

Hier entsteht mitunter eine Seelsorge mit dränglerischer Note, die sehr leistungsorientiert ('wachstumsorientiert') auftritt. Immer geht es um Änderung, um Veränderung von Ansichten, von Einstellungen und von Verhaltensweisen, wobei die Forderung danach sich schließlich verselbständigt und losgelöst von den betroffenen Personen Dignität beansprucht bzw. besser zugesprochen bekommt. Zum Persönlichkeitstypus mit hysterischer Komponente vgl. Riemann 1985, 193ff.

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haben und sie je nach Situation und eigener bzw. fremder Konstitution anzuwenden oder zumindest als anwendbare Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, ist ein Zeichen von Lebendigkeit. Mitunter sind gerade Seelsorger dazu aufgefordert, alle vier Impulse gleichzeitig in lebendiger Durchdringung zu leben, um Vollständigkeit in, mit und unter der Begegnung mit anderen zu erlangen. Hierbei ist jedoch ein Diktum aus der Schlußbetrachtung F. Riemanns zu beherzigen: "Solche Vollständigkeit ist... dem einzelnen immer nur begrenzt möglich, da wir als Menschen unvollkommen und unvollständig sind. Es scheint ... aber wichtig zu sein, die uns individuell begrenzenden Einseitigkeiten unseres Wesens an der vorschwebenden Vorstellung einer solchen Ganzheit auszurichten ... Der eine wird nun versuchen, seine Begrenztheit und Einseitigkeit zu bejahen und möglichst fruchtbar zu leben, weil er weiß, daß die 'Ganzheit' nicht erreichbar ist ... Und ein anderer wird versuchen, sich der Ganzheit, der Vollständigkeit immer mehr zu nähern, weil er weiß, daß 'Vollkommenheit' nicht erreichbar ist, und daß die reichste Selbstverwirklichung nur aus dem eigenen Wesen heraus nicht möglich ist." 144 So wie der eine lernen muß, seine Grenzen zu akzeptieren und auf auch noch Mögliches zu verzichten, so der andere u.U., Wesensfremdes und zunächst Fernliegendes zu integrieren und sich selbst damit erneut zu weiten. 145 Auf die vier Grundstrebungen angewandt bedeutet das für Seelsorger folgendes 146 : Immer können sie versuchen, losgelöst vom Ich einfühlend und selbstlos Grenzüberschreitungen vorzunehmen und transzendierende Hingabe bzw. partielle 'Selbstaufgabe' zu praktizieren. Immer können sie versuchen, ihre Werte als absolut gültige anzuerkennen und gegen wechselnde Einflüsse für deren Dauer einzutreten. Immer können sie ihre Freiheit fordern und den immerwährenden Wandel von Leben bejahen. Immer können sie schizoid Kontakt vermeiden, depressiv (aufgrund von Verlustangst) in Abhängigkeiten verbleiben, zwanghaft (aus Angst vor Wandel und Vergänglichkeit) an Gewohntem festhalten oder hysterisch der Willkür verfallend allen möglichen Anforderungen ausweichen, wobei in jedem einzelnen Fall nur von 'fragmentarischer Identität' gesprochen werden kann. 144 145 146

164

Riemann 1985, 203f. Vgl. Riemann 1985, 204. Vgl. dazu Riemann 1985, 204.

Je mehr Seelsorger sich der Vollständigkeit und Ausgewogenheit der verschiedenen Weisen des In-der-Welt-Seins annähern und diese auch auf sich zukommenden Fremdgrößen applizieren, desto geringer wird das Maß der Angst vor Selbst- und Fremdwahrnehmung werden. Und je besser sie sich selbst und andere wahrzunehmen und einzuschätzen lernen, desto eher können sie es wagen, am anderen zu partizipieren bzw. den anderen an sich partizipieren zu lassen.147

II. Evangelikaie Verhältnisbestimmungen Theoretisch analysiert

-

Um den zuvor erhobenen allgemeinen theoretischen Befund zu konkretisieren, sei im folgenden exemplarisch auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, die sich innerhalb der letzten Dekade - bislang weitestgehend unbemerkt 148 - im Bereich evangelikaler Seelsorge149 vollzogen hat. Ausgehend von eindeutigen Ablehnungstendenzen (gegenüber der Rezeption humanwissenschaftlicher Erkenntnisse speziell aus dem Bereich der Psychologie/Psychotherapie) bildete sich dort in den letzten Jahren eine ganz offensichtlich zweideutig auf (Selbst-?)Auslieferung hin angelegte neue 'Front', deren Vertreter den fundamentalistischen Bibelzentrismus der Vorjahre mit dem gegenwartsrelevanten Stichwort 'therapeutisch' zu verbinden wissen, ohne zu einem wirklichen 'Muster des Miteinanders' zu gelangen. Der hierbei leitende Verhaltensmaßstab erscheint unkritisch emotional begründet, und es liegt die Vermutung nahe, daß in erster Linie nichtreflektierte Ängste impulsgebend waren bzw. sind. Um diese identifizieren und differenzieren zu können, soll

147

148 149

Wo dies gelingt, steht die Seelsorge weder in der Gefahr, als "kirchlicher Affe des Psychologen" (Bohren 1988,472) das Elend der Welt zu stabilisieren, noch in der, die Psychologie zum 'kirchlichen Affen der Seelsorge' zu degradieren. Siehe aber Hagenmaier 1989. Dieser Sammelbegriff ist selbstverständlich differenzierungsbedürftig und sollte nicht als - womöglich stigmatisierende - 'Einheitsformel' mißverstanden werden. Auch evangelikale Seelsorge bietet eine relativ breite Palette unterschiedlicher Konzepte und Modelle, wobei allerdings das - ohnehin äußerst begrenzte - Quantum der als zulässig eingestuften Methoden qualitativ ganz offensichtlich nur akzentweise variiert wird.

165

zunächst eine doppelte Bestandsaufnahme durchgeführt werden, die sich zum einen auf Verlautbarungen aus den Jahren 1970 bis 1981 und zum anderen auf solche der jüngeren Vergangenheit bezieht. 150

Evangelikaie Seelsorge von 1976 - 1981 Noch Mitte bzw. Ende der 70er Jahre zeigte die evangelikale Seelsorge ganz unverblümt ihre reservierte - wenn nicht sogar ablehnende - Haltung gegenüber der Verwendung humanwissenschaftlicher (speziell psychotherapeutischer) Erkenntnisse und Methoden in der Seelsorge.

Wort(e) der Konferenz Bekennender Gemeinschaften Im Mai 1976 erschien das Wort der Konferenz der Bekennenden Gemeinschaften in den Evangelischen Kirchen in Deutschland151 zur Aufnahme gruppendynamischer Methoden in die kirchliche Rüstzeiten- und Ausbildungspraxis. In diesem Schreiben wird die Verdrängung biblischorientierter vollmächtiger Seelsorge durch "Scheinerfolge einer PseudoSeelsorge durch die Gruppe" 152 konstatiert und negativ sanktioniert. Es ist die Rede von dem "der Sünde verfallenen Gruppengeist in seiner Abgründigkeit"153, der "Psychotechnik an die Stelle der Erlösung durch Jesus Christus, den Herrn" 154 , setze und damit einem 'anderen Geist' diene. 155 Gottes Heiliger Geist, der sich nicht methodisieren lasse, stelle im Gegensatz dazu das "Ende aller Wege und Methoden menschlicher Selbsterfassung und Selbsterlösung"156 dar und schließe somit "eine 150

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Die dabei vorgenommene Literaturauswahl berücksichtigt solche Publikationen, die für die Grundhaltung der anvisierten Gruppe (betrachte ich Selbstaussagen, Verbreitungsgrad, Auflagenhöhe und Rezeption etc.) repräsentativ erscheinen. Zur Aufnahme ... 1979. - Ich beziehe mich hier und im folgenden auf den Abdruck des Memorandums in dem von H. Reller und A. Sperl herausgegebenen Sammelband 'Seelsorge im Spannungsfeld' (Reller/Sperl 1979). Zur Aufnahme ... 1979, 200. Zur Aufnahme ... 1979, 200. Zur Aufnahme ... 1979, 200. Vgl. Zur Aufnahme ... 1979, 200. Zur Aufnahme ... 1979, 200.

Einbeziehung psycho-technischer Methodik aus"157. Wo letztere Raum greife, werde das "aufgetragene Zeugnis in einem pseudo-christlichen Sinn verändert und zerstört"158 und wirke mit "an der ideologischen Selbsttäuschung und damit an der Selbstzerstörung des Menschen"159. 1978 forderte die Konferenz Bekennender Gemeinschaften die Kirchenleitungen der EKiD wiederholt und unmißverständlich dazu auf, Abstand von sogenannter "psychotechnischer Surrogatseelsorge"160 zu nehmen und zur biblischen Grundorientierung zurückzukehren. Nur so könne eine geistliche Erneuerung der Kirchen und ihres Ausbildungswesens erlangt werden.161 Derartige Ausführungen sind m.E. eindeutig durch das Prinzip 'Ablehnung des anderen' bzw. die Modelle 'Abgrenzung' und 'Kampf geprägt162; sogenannte 'wahrhafte' Seelsorge (die der Wahrheit dient) wird wehrhaft verteidigt und vor angeblich 'schädlichen' Fremdeinflüssen bewahrt.

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Zur Aufnahme ... 1979, 200. Zur Aufnahme ... 1979, 201. Zur Aufnahme ... 1979, 201. Acht Bitten ... 1978,424. Obwohl die zweite Verlautbarung der Konferenz bekennender Gemeinschaften den versöhnlichen Titel 'Acht Bitten ... an die Kirchenleitungen' (Hervorhebung M.P.) trägt, ist ihr Grundton eher aggressiv-fordernd: "Die Kirchenleitungen müssen endlich die Problematik der Gruppendynamik erkennen ... Die bisherige Zulassung gruppendynamischer Techniken in der kirchlichen Arbeit ohne zureichende Prüfung der ideologischen Implikationen und geistlichen Konsequenzen muß sofort gestoppt werden." Acht Bitten ... 1978, 423; Hervorhebung M.P. "Den inzwischen gruppendynamisch Versehrten ... ist jegliche erforderliche Hilfe seelsorgerlicher, materieller und juristischer Art zu leisten. Die für psychotechnische Schädigungen Verantwortlichen sind künftig strafrechtlich zu verfolgen." Ebd., 424; Hervorhebung M.P. - Auch der Schlußsatz ("Die Bekennenden Gemeinschaften erklären sich zur Mitarbeit beim Aufbau bibeltheologischer Alternativen [zur 'psychotechnischen Surrogatseelsorge', M.P.] bereit." Ebd.) klingt alles andere als freundlich entgegenkommend. M.E. entsteht so der Eindruck, hier würde unter dem Deckmantel des Miteinanders polemisiert bzw. im Ursinne des Wortes der Krieg erklärt.

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Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 318 u. 321.

167

H.-K. Hofmann: Psychonautik Stop Bereits ein Jahr zuvor hatte H.-K. Hofmann versucht, mit "Psychonautik-Stop"163 der s.E. allzuoft 'unheiligen' (unheimlichen?) Verbindung von Seelsorge und Psychologie zu wehren. Er sah den Dienst der Seelsorge "weithin in die babylonische Gefangenschaft der Tiefenpsychologie geraten" 164 und konstatierte, bestimmte Ausbildungsstätten und Beratungsformen der Kirche hätten "sich in diesem 'Babylon' so häuslich eingerichtet, daß auch das noch als Seelsorge bezeichnet wird, was längst nichts mehr damit zu tun hat, falls der Wortsinn des neutestamentlichen Tatbestands weiter erfüllt bleiben soll"165. Die ungenügende Unterscheidung von seelenärztlicher Bemühung und biblisch-orientierter Seelsorge führt nach Ansicht H.-K. Hofmanns zu "Verwirrung und Vernebelung"166; beide seien dafür verantworlich, daß "viel 'unverzollte Ladung unter den anvertrauten Segeln der Seelsorge in die Häfen der Gemeinden geschmuggelt worden'"167 sei. H.-K. Hofmann fordert demgemäß dazu auf, 'mit der Bibel' "Augenblickshilfe"168 und "Ewigkeitsgabe" 169 aufs deutlichste voneinander zu trennen, um so eine Umdeutung bloßer 'Wege zum Menschen' 170 (denen allerdings ihr relatives Recht zugesprochen wird 171 ) in wirkliche Seelsorge (den Weg zu Gott?) zu verhindern.172 Wirklich christliche Seelsorge könne nun einmal nur 163 164 165 166 167 168 169 170

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168

Hofmann 1977. Hofmann 1977, 66. Hofmann 1977, 66. Hofmann 1977, 67. Hofmann 1977, 67. Hofmann 1977, 67. Hofmann 1977, 67. Vgl. Hofmann 1977, 67. - Es mag Zufall sein, daß H.-K. Hofmann hier das 'Bild' der 'Wege zum Menschen' einbringt. Oder sollte eine direkte Gedankenverbindung zu der seit 1954 mit gleichnamigem Titel erscheinenden Seelsorge-Zeitschrift sehr wohl intendiert sein? "Durch die biblische Unterscheidung von Augenblickshilfe und Ewigkeitsgabe wird der Dienst der Nächstenliebe, das ärztliche, seelenärztliche Bemühen und diakonische Handeln nicht abgewertet. Auch wird die Notwendigkeit solcher 'Wege zum Menschen' nicht bestritten. In zahlreichen Fällen ist sogar ihre Verstärkung zu fordern, aber es muß ihrer Umdeutung in Seelsorge gewehrt werden, weil ohne den Zuspruch des Wortes die rettende Dimension des Evangeliums, die über Schuld, Leid und Tod hinausführt, ausgeblendet bleibt." Hofmann 1977, 67. Vgl. auch Hofmann 1977, 73, 74 u. 77. - Hier schwingt immer die Unterscheidung zwischen 'Vorletztem' und 'Letztem', zwischen 'Vorläufigem' und 'Eigentlichem'

der üben, der sein ganzes Leben von der Schrift bestimmen lasse (ohne auf 'Abwege' zu geraten?). Denn: '"Biblische Seelsorge wird durch die Schrift motiviert, in ihren Voraussetzungen auf die Schrift gegründet, in ihren Methoden und ihrer Zielsetzung von der Schrift bestimmt und in ihren Begriffen von der Praxis und den Prinzipien der Schrift geleitet.'"!" Eine derartige Ausrufung des sola scriptura kommt m.E. der eines solitaria scriptura mit konsequent ausschließender Funktion gleich. Hier werden Grenzen gezogen und gleichzeitig Grenzüberschreitungen geahndet. Der präsentierte Ansatz entspricht dem Prinzip 'Ablehnung des anderen' 174 bzw. dem 'Modell Abgrenzung' 175 und ist alles andere als dialogisch angelegt.

J.E. Adams: Nuthetische Beratung Ähnliches gilt für den Seelsorgeansatz von J.E. Adams, der unter dem Stichwort 'nuthetische Beratung'176 unkompliziert (naiv?), erfolgsbewußt 177 und direkt(iv) Seelsorgeprinzipien aus einzelnen Sätzen der Bibel ableitet.178 Bereits in der ursprünglich 1970 erschienenen 'Befreienden Seelsorge'179 wird massiv Kritik an den Ansätzen S.Freuds und C.Rogers' geübt; 180 besonders das Freudsche Modell habe eine (bloß!)

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178 179 180

mit. Vgl. dazu besonders ebd., 77, wo auf die Seitzschen Kategorien 'vorletzte' und 'letzte Rettung' (vgl. Seitz 1962, 25) rekurriert wird. Hofmann 1977, 74 (Erg. in Kl. M.P.). - Es handelt sich bei diesen Ausführungen um einen Auszug aus einem Votum des 1976 in Bad Nauheim gegründeten Arbeitskreises für biblische Seelsorge ohne genauere Angabe des Fundortes. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 318. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 321. Vgl. dazu Adams 1980, 37ff. Bei Adams 1980, 50 z.B. heißt es ganz unverhohlen: "Nuthetische Beratung (Seelsorge) hat vergleichsweise eine hohe Erfolgsrate." - Das klingt ein wenig nach selbstgefälliger Leistungs(be)schau (vgl. auch Adams 1976, 7), und überdies bleibt unklar, worin denn nun eigentlich der konstatierte Erfolg besteht. Vgl. Neidhardt 1977, 319. Hier Adams 1980. Für J.E. Adams verleiten die Überlegungen von S. Freud und C. Rogers in gleicher Weise dazu, Sünde als Krankheit zu bezeichnen und somit zu verharmlosen. Vgl. Adams 1980, IX.

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philosophisch und pseudowissenschaftlich ausgerichtete Grandlage geliefert, die verantwortungslose Menschen dazu (ver)führe, ihr sündhaftes Verhalten zu rechtfertigen und darin zu verharren.181 Die tatsächlich auf Empathie und aktives Zuhören ausgerichtete non-direktive Konzeption C.Rogers leite dazu an, (einfältig?) "zu nicken und zustimmend zu brummen, ohne biblische Richtlinien anzubieten"182/183. Die 'Armseligkeit' dieser Methode 184 mache sie für den wahren Seelsorger unannehmbar, denn er sei als Pfarrer dazu berufen, "ein Paraklet, nicht ein Papagei zu sein"185. Überhaupt sei es "unmöglich, die Fundamente zu zerstören und dennoch den Aufbau zu bewahren"186. Bei unbiblischen Systemen, 181

Vgl. Adams 1980, 15f. - In der Psychoanalyse erkennt J.E.Adams ein methodisiertes Mittel, "die andern herauszufinden, denen man die Schuld zuschieben kann ... Die Therapie besteht dann darin, daß man Partei ergreift gegen das zu strikte Über-Ich (Gewissen), das von den andern in das 'arme, kranke' Opfer hineinsuggeriert worden ist." Ebd., XV. Es wirkt in sich durchaus schlüssig, daß J.E. Adams auf dem Hintergrund derartiger Bewertungen in bezug auf das Freudsche Gedankengebäude allgemein zu dem Etikett "Ethik der Verantwortungslosigkeit" (ebd., 16) gelangt.

182

Adams 1980, IX. - J.E. Adams erscheint ein solches Gehabe "lächerlich" (ebd.). Vgl. dazu auch Adams 1977, 14 ("Der christliche Seelsorger darf nicht einer sein, der nur jedem sein tiefes Mitgefühl ausdrückt: er muß ein Mensch mit einer biblischen Alternative sein.") u. 15 ("Es löst keine Probleme, wenn ... erlaubt wird, im Sprechzimmer herumzutoben oder seine Frau mit bitteren Worten zu kritisieren."). - Wer die Überlegungen und Grundanliegen C.Rogers' kennt, kann - ausgehend von all diesen Ausführungen - eigentlich nur darauf schließen, daß von J.E. Adams hier und andernorts (bewußt oder unbewußt?) ein Popanz aufgebaut wird, um ihn hernach selbstgefällig und lustvoll abzuschießen. Siehe dazu auch Adams 1976, 106 ("Einem Autofahrer, dessen Wagen nicht anspringen will, beweist man am besten sein Einfühlungsvermögen, wenn man den Wagen anschiebt. Es nützt ihm nichts, wenn man seine Bitte um Hilfe 'versteht' und 'mitempfindet'.") und Adams 1980, 77, Anm.23: "Ein Selbstmordkandidat ruft an und bittet um Hilfe: 'Sie sind meine letzte Hoffnung. Ich bin daran, mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen! 'Was macht ein Rogerianer in dieser Situation?" - M.E. ganz gewiß nicht das, was J.E. Adams mit seiner spitzen Frage intendiert.

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Der für C.Rogers zentrale Begriff 'non-direktive Beratung' stellt für J.E.Adams ein Greuel dar; er ist s.E. "der bedeutsamste und verheerendste" (Adams 1976, 20) im Rogers'schen Sprachgebrauch überhaupt. Denn: "Verständnisvoll und einfühlend neben jemandem zu stehen, der Probleme hat - das genügt nicht und steht im Gegensatz zu allem, was die Bibel über Veränderung sagt. ... Ratsuchende brauchen nicht 'Unterstützung', sondern jemanden, der mit ihnen ihr Problem anpackt und nach biblischen Lösungen sucht." Ebd., 104.

184 185 186

Vgl. dazu Adams 1980, 77, Anm. 23. Adams 1980,73. Adams 1980, 89.

170

die auf unbiblischen Voraussetzungen beruhen, sei es nicht möglich, davon abgeleitete Methoden übernehmen und gleichzeitig deren Voraussetzungen verwerfen zu wollen. 187 Außerdem habe kein profilierter Seelsorger eine derartige Vorgehensweise nötig. Denn: "Qualifizierte Seelsorger mit einer hinreichenden biblischen Ausbildung sind (in Adams'scher 'Ein-Sicht') kompetente Berater - kompetenter als Psychiater oder sonst irgend jemand." 188 Sie kämen wohl nicht auf die absurde Idee, 'ihr Erstgeburtsrecht für eine psychologische Wassersuppe zu verkaufen'. 189 In dem 1976 erschienenen 'Handbuch für Seelsorge' 190 wird der einmal angeschlagene psychologiekritische (besser wäre 'psychologiefeindliche') Ton von J.E.Adams nachhaltig intensiviert. Die Psychotherapie wird zur Gegnerin, die dem Seelsorger unerlaubterweise 'Klienten' entzieht, obwohl von der Bibel her kein eigenes Fachgebiet wie das der Psychotherapie zu rechtfertigen sei.191 Fast einlenkend - möchte man meinen - proklamiert J.E.Adams im folgenden 192 , allgemeines Ziel und Methode von Psychotherapie und Seelsorge seien 'identisch'. Beide wollten das Verhalten, die Emotionen und den Charakter von Menschen verändern, indem sie eine Wandlung von Weiten und Einstellungen herbeiführten. Dies zeige, daß Psychotherapie und Seelsorge einander überschneidende Bereiche darstellten. Trotz dieser veränderten Vorzeichen im Duktus seiner Rede kommt J.E. Adams im folgenden zu dem für ihn charakteristischen Schluß, dies dürfe jedoch keineswegs so sein, denn Gott habe die Aufgabe des 'Wertwandels' "jenen übertragen, die seinem Wort dienen, und keinen andern"193. Jede Hilfe, die weniger wolle als Buße und Umkehr, sei nun einmal nicht christlich und damit im letzten auch nicht hilfreich, sondern womöglich sogar schädigend.194 Im ganzen gesehen stellen die Ausführungen J.E.Adams ein typisches Beispiel des Prinzips 'Ablehnung des anderen' 195 bzw. eine Misch-

187 188 189 190 191 192 193 194 195

Vgl. Adams 1980, 89. Adams 1980, 17 (Erg in Kl. M.P.); vgl. dazu auch die m.E. reichlich überzogene Karikatur vom 'armen Kerl auf dem Reißnagel' ebd., 89f. Vgl. dazu Adams 1980, XV, wo Mowrer 1961, 60 zitiert wird. Adams 1976. Vgl. Adams 1976, 14. Vgl. Adams 1976, 15, Anm.4. Adams 1976, 15, Anm.4. Vgl. dazu das Fallbeispiel 'Erika' bei Adams 1976, 105f. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 318.

171

form der Scharfenbergschen Modelle 'Abgrenzung' und 'Kampf 196 im Gegenüber von Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie dar. Der 'Mehr-Wert' biblisch-orientierter Seelsorge wird unablässig ausgerufen und aggressiv verteidigt; konnte H.-K. Hofmann den 'Wegen zum Menschen' wenigstens noch ihr begrenztes Recht zusprechen,197 so erscheint J.E.Adams eher dazu angetan, alle derartigen Wege zu versperren, um auf den Weg zu Gott zu zwingen 198 / 199 .

Stellungnahme des Albrecht-Bengel-Hauses (Tübingen) Entschieden disziplinierter und fundamentierter als die Adams'schen Schimpftiraden wurde 1981 von Lehrern des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen eine Stellungnahme zur sogenannten 'alternativen' Seelsorge 200 und Seelsorgeausbildung veröffentlicht. Ebenfalls dichotom angelegt versucht sie, "einen Eindruck von der reichen Vielfalt seelsorgerlichen Geschehens, das durch die Alleinherrschaft bestimmter Methoden nur eingeengt und damit dem Wirken des Heiligen Geistes entzogen würde"201, zu vermitteln. Dabei solle keineswegs der Eindruck

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201

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Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 321. Hofmann 1977, 67. Vgl. z.B. die Ausführungen zum Stichwort 'direktive Seelsorge' bei Adams 1980, 85ff. oder zu den Stichworten 'Zucht' und 'Erziehung' ebd., 132ff. Die Tatsache, daß Gott als Mensch auf menschlichen Wegen zu seinen Menschen ging (mithin das Inkarnationsgeschehen und dessen Konsequenzen), bleibt - wohl nicht von ungefähr - bei J.E. Adams unberücksichtigt; von der 'Menschlichkeit Gottes' (seiner 'Humanitas') - auch und gerade im konkreten Lebensvollzug (seiner selbst und seiner Gläubigen) - ist demgemäß kaum die Rede. "Alternative Seelsorge meint im Unterschied zur Pastoralpsychologie, die sich mehr an den Humanwissenschaften orientiert, das grundsätzlich an der Bibel und ihrer Botschaft ausgerichtete seelsorgerliche Bemühen um den Menschen. Nicht nur der Schmerz um die weitgehende Vernachlässigung der biblischen Grundlagen und Anliegen in der Pastoralpsychologie drängt zu einer solchen Alternative. Dahin führt auch die immer wieder bestätigte Erfahrung des Segens und der Wirksamkeit seelsorgerlichen Bemühens, das sich bewußt und 'einseitig' an die biblischen Grundlagen hält und doch durch eine einzige 'Methode' nicht festlegbar ist." Maier u.a. 1981, 1. Maier u.a. 1981, 1. - Ebd., 11 ist die Rede von "heute immer wieder zu beobachtenden verkürzenden Tendenzen in Seelsorgekonzeptionen und -praktiken".

entstehen, 'geistliche Gehorsamsseelsorge'202 gehe am modernen Menschen vorbei. "Seine Existenz und die sie bestimmenden Faktoren ... (würden) vielmehr ernstgenommen, wie übrigens auch die Erkenntnisse der Humanwissenschaften, aber sie ... (würden) der biblischen Erkenntnis und der Unterscheidung der Geister entsprechend einander zugeordnet und differenziert." 203 Letzteres wird in erster Linie damit begründet, daß das Neue Testament keine "'humanistische' Hilfe" 204 und "säkulare Seelsorge" 205 kenne. "Eine Entfaltung des Menschseins ohne Gott ... (sei) für das NT nicht nur fremd, sondern sündige Lösung von Gott." 206 Dieser gelte es zu wehren, 207 allerdings ohne dabei kritiklosem Machbarkeitswahn zu verfallen. "Jeder Anschein von Verfügbarkeit, mit bestimmten Mitteln bestimmte Reaktionen und Ziele zu erreichen, nimmt dem andern die Freiheit. Dies gilt von einer kasuistisch gesetzlichen Anwendung der Bibel genauso wie von psychoanalytischen Techniken, die, von einem optimistischen Menschenbild ausgehend, die menschlichen Selbstheilungskräfte mobilisieren sollen."208 Insgesamt herrscht in der Tübinger Stellungnahme (neben dem Prinzip 'Ablehnung des anderen'209 bzw. dem Modell 'Abgrenzung' 210 - 'ge202

203 204 205 206 207

"Der Seelsorger muß sich dem Wirken des Heiligen Geistes öffnen. Aber diese Offenheit ist zugleich gebunden an den Gehorsam gegenüber Gottes Wort. Von Seelsorge und Seelsorgeausbildung kann also nicht geredet und gehandelt werden, ohne die geistliche Existenz des Seelsorgers mit in den Blick zu nehmen." Maier u.a. 1981,2. Maier u.a. 1981, 2 (Erg. in Kl. M.P.); vgl. auch ebd., 11 sowie 30, 31 u. 33. Maier u.a. 1981,4. Maier u.a. 1981, 8. Maier u.a. 1981,4 (Erg. in Kl. M.P.). "Immer wenn die Bibel als die den Orientierungsrahmen bildende Größe zurücktritt, treten andere, angeblich kompetente Vorstellungen oder Wissenschaften als Ersatz auf, ein Ersatz, der sich auf einschlägige Erfahrungen und Beobachtungen beruft. ... Wenn bibelfremde Einflüsse im kirchlichen Wirkungsbereich Überhand nehmen, wird eine biblisch begründete Gegenbewegung wachgerufen, die zu einer Reformation führt." Maier u.a. 1981, 12. - Es liegt in diesem Sinne nahe, auch die Initiative 'Alternative Seelsorge' des Albrecht-Bengel-Hauses ihrem Selbstverständnis nach als 'Reform(ations)-Bewegung' zu bezeichnen; oder geht es hier um bloße 'Re-Formation'?

208

Maier u.a. 1981, 32. - Zunächst einmal klingen diese Worte einlenkend; genauer betrachtet fällt aber doch der therapeutischen Vorgehensweise der Schwarze Peter zu. Diese scheint immer mit Freiheitsentzug einherzugehen, der kasuistisch-gesetzliche Umgang mit der Bibel hingegen nur manchmal - und zwar in zu sanktionierenden Einzelfällen.

209 210

Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 318. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 321.

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kämpft' im eigentlichen Sinne wird hier nicht) das von N.Mette und H. Steinkamp vorgestellte 'ancilla'-Paradigma211 vor. Es werden durchaus für die Seelsorge 'legitime Methoden' 212 erkannt und benannt; sie bieten jedoch "höchstens einen strukturierenden, der Klärung dienenden Verständnisrahmen ... Grundregeln der Gesprächsführung können dazu genauso dienen wie etwa rückkoppelnder Erfahrungsaustausch in gemeinsamer Beugung unter Gottes Wort. Aber grundsätzlich kann es keine Methode geben, auch keine 'biblische', die ein Seelsorgegespräch allein und maßgebend bestimmen könnte." 213

Zwischenbilanz I Betrachte ich das Gesamt der bisher vorgestellten evangelikalen Verlautbarungen, läßt sich (für den Zeitraum von 1976 bis 1981) eine eindeutige Tendenz hin zu apologetisch-polemischem 'Verhalten' (Vorhaltungen) ausmachen. Nahkontakte mit humanwissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden werden (mitunter aggressiv) vermieden; Konfrontation mit lebendigen Fremdimpulsen wird ganz offensichtlich krisenhaft erlebt bzw. mit Vorurteilen belegt. Der eigene Standpunkt erscheint als normative Größe mit absoluter Gültigkeit; die Betonung seines/ihres 'Mehrwertes' erfolgt fast stereotyp. Der Seelsorger agiert (selbstbewußt?) als Sachwalter höherer Werte und postuliert das generelle Prae seiner Sache; er empfiehlt sich als Hüter überkommener Güter und nimmt einen (unangreifbaren?) konfessorischen Standpunkt ein. Wer mit den Humanwissenschaften 'paktiert', wird von dort aus zum abtrünnigen Renegaten gestempelt und (um der Erhaltung von Ruhe und Ordnung willen?) ausgestoßen. Gerade letzteres läßt darauf schließen, daß hier die Verzahnung von heftigem Streben nach Dauer und überdimensionaler Angst vor Wandlung ihren Tribut fordert und zu einer neurotischen Grundorientierung führt. Soll bei den anvisierten Positionen überhaupt von einem Verhältnis von Seelsorge und Psychologie/Psy211 212 213

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Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983, 166ff. Vgl. Maier u.a. 1981,32. Maier u.a. 1981, 32 (Hervorhebung M.P.); siehe dazu auch ebd., 30: "Psychologische und andere Sachkenntnisse können ... durchaus hilfreich sein, sind aber nicht entscheidend." Hervorhebung M.P.

chotherapie gesprochen werden, kann das m.E. nur auf der Grundlage eines Zuordnungsmodells mit schizoider bzw. zwanghafter Komponente geschehen. 214

Evangelikaie Seelsorge von 1984 - 1989 Betrachte ich die evangelikal geprägten Publikationen zum Thema Seelsorge der Jahre 1984 bis 1989, dann ergibt sich eine deutlich andere 'Klanglandschaft'. Gemäßigte(re) Stimmen in bezug auf psychologische Erkenntnisse, Methoden und Praktiken in der Seelsorge werden laut; mitunter dringen sogar selbstkritische Töne durch. Letztere werden jedoch immer wieder von solchen verdrängt, deren Qualität ganz offensichtlich nicht eindeutig zu bestimmen ist. In manchen Ohren scheinen sie - zumal nach den psychologiefeindlichen Schimpftiraden der Vorjahre - überaus euphonisch zu klingen und werden demgemäß fast euphorisch aufgenommen, in anderen hingegen wirken sie schmerzhaft dissonant, und das führt zu hoffentlich kritischer Distanz.

W. Wanner: Seelsorgerische Jesus-Therapie Extrem 'kakophone Pseudo-Harmonien' bietet z.B. W. Wanner, der 1984 die "seelsorgerische Therapie Jesu" 215 proklamiert und dazu auffordert, "sich selbst in die Sprechstunde Jesu (zu) begeben" 216 / 217 , um dort 214

Bei aller Kritik an den evangelikalen Verlautbarungen der Jahre 1976 bis 1981 müssen auch in bezug auf sie die positiven Grundzüge eines Strebens nach Dauer in den Blick genommen werden. Es soll ja keineswegs unkritisch jeglicher Versuch, unangemessene Vereinnahmungstendenzen abzuwehren bzw. Traditionsbewußtsein und -Verankerung zu demonstrieren, von vornherein negativ sanktioniert werden. Es geht vielmehr darum, kommunikationshemmende und insofern negative Einstellungen evangelikaler Seelsorge in ihrer Genese nachzuzeichnen.

215 216 217

Wanner 1984b, 5. Wanner 1984b, 6 (Erg. in Kl. M.P.). Bei Wanner 1984b, 5 heißt es zwar: "Jesus, der Seelsorger, ist auch der Therapeut. Er ist freilich mehr als beides (vgl. Hebr. 1)", aber der nachklappende Verweis auf die Aussagen des Hebräerbriefes bleibt im folgenden unerörtert. Jesus erscheint ausschließlich als 'seelsorgerischer' Therapeut bzw. als therapierender Seelsorger.

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durch "Beobachtungslernen"218 zum Helfen und Heilen ermutigt und befähigt zu werden. 219 Insgesamt neun 'Fälle'220 aus der sogenannten seelsorgerisch-therapeutischen Praxis Jesu221 werden von W. Wanner unter Verwendung eindeutig fachpsychologischen Vokabulars222 vorgeführt223 und als Beleg für das s.E. final ausgerichtete begegnungstherapeutische Handeln Jesu 224 ausgewiesen. Den glänzenden Auftakt bietet die so titulierte "seelsorgerische Langzeittherapie"225 an Simon Petrus; das nicht weniger strahlende Schlußlicht setzt als ein "Musterbeispiel der seelsorgerischen Therapie Jesu"226 die Begegnung am Jakobsbrunnen. Erstere der beiden 'Fallskizzen' soll im folgenden kurz und 218 219 220

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Wanner 1984b, 6. Vgl. Wanner 1984b, 6. Wanner 1984b, 24 spricht problemlos von den 'Fällen1, um die sich der Auferstandene bemühte (vgl. ebd., 16) oder vom bekannten '"Fall Zachäus"', wobei nur noch die Anführungsstriche darauf hinweisen, daß es sich dabei um die bzw. eine konkrete 'Lebens'-Geschichte von Menschen bzw. des Menschen Zachäus handelt. Die 'Klientel' Jesu besteht aus Simon Petrus (vgl. Lk 5,1-11), Zachäus (vgl. Lk 19,1-10), dem reichen Jüngling (vgl. Mk 10,17-31), dem Kranken am Teich (vgl. Joh 5,5-16), Nathanael (vgl. Joh 1,45-51), dem Gelähmten (vgl. Mk 2,1-12), Maria und Martha (vgl. Lk 10,38-42), Nikodemus (vgl. Joh 3,1-21) und der Frau am Jakobsbrunnen (vgl. Joh 4,6-30). Bei Wanner 1984b ist die Rede von Projektionen, von Übertragungen, von Selbstannahme und Frustration bzw. Frustrationstoleranz; es erscheinen innere Widerstände, die zunächst aufgedeckt und schließlich aufgegeben werden. Fixierungen kommen in den Blick. Die Therapie wird als Geburtsvorgang aufgefaßt, der die ganze Kunst des Therapeuten erfordert. Die unauslotbare Dunkelheit des Unbewußten wird erhellt, der eigene Schatten akzeptiert. Es geht um Vertrauensübertragung und Selbstgewißheit, um Schuldverschiebung und -Zuweisung, um Abwehrhaltungen und Aufhebung des Gespaltenseins. 'Ich' und 'Es' werden einander gegenübergestellt, Hemmungen und Blockierungen aufgelöst. Kompensation findet statt, und tiefenseelische Konflikte werden erkannt. Zu Imitationslernen wird angeleitet, und Kommunikationsbarrieren werden abgebaut. Es wird motiviert und konditioniert; es gelingt, Leidensdruck und Persönlichkeitsverengungen aufzuheben usf. - Wer angesichts all dieser Psychologismen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, bekommt ebd., 89 trostreich mitgeteilt: "Derartig komplizierte Begriffe werden von Jesus freilich nicht gebraucht. Er hatte solche Begriffe - im Gegensatz zum Seelsorger und Therapeuten heute - auch nicht nötig. Die Verwissenschaftlichung des Lebens ist erst ein Kennzeichen unserer Zeit. Der Sachverhalt ist Jesus aber keineswegs fremd." Der Haupttitel bei Wanner 1984b lautet - wohl nicht von ungefähr: "Willst du gesund werden?". Vgl. dazu besonders den 'Fall' Zachäus bei Wanner 1984b, 24ff. Wanner 1984b, 7. Wanner 1984b, 106.

exemplarisch nachgezeichnet werden, da sie gleichsam programmatischen Charakter für alles Nachfolgende aufweist. Entscheidend für die "Wandlungen des Simon Petrus"721 erscheint W. Wanner das Moment der personalen Begegnung. In ihm liege der Zugang zum Heil, es stelle den Ermöglichungsgrund 'seelsorgerischer' Therapie (dar) und sei realisiert zugleich selbst eine Art "'Kurztherapie'"228. Als solche führe es zum "Erkennen des eigenen 'Schattens'" und aktualisiere so auch "das Verhaftetsein in der Sünde"229. Die "Diskrepanz zwischen Sein und Sollen"230 werde dabei auch von Simon Petrus231 als überaus schmerzhaft und belastend empfunden, und es bedürfe deshalb eines kundigen Beistands. Denn, so lautet das Wannersche Diktum: "Niemand kann die Selbstbegegnung ohne den Helfer, den Begleiter verkraften, der mit in die Tiefe geht. Der 'Seelenführer' muß zugleich der Erlöser sein, der die störenden Mächte bindet, die Kräfte zum Leben aber löst, entbindet und entfaltet."232 Für W.Wanner ist

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Wanner 1984b, 7. Wanner 1984b, 8. - Diese 'Kurztherapie' umfaßt insgesamt zehn Punkte (vgl. dazu ebd., 8f.): - das Ansprechen - die Bitte - das persönliche Verhältnis - die Öffnung für die Verkündigung - die Forderung - den inneren Widerspruch/das Vertrauen - die Wende - die echte Kommunikation - die Selbstbegegnung/die Katharsis - das Angenommensein (Beauftragung, Motivation, Umformung). Wanner 1984b, 9. - 'Schatten' und Sünde werden von W. Wanner zwar eng aneinander gekoppelt, aber doch nicht direkt gleichgesetzt. Denn "Sünde ist - im Gegensatz zum 'Schatten' - nicht nur ein Schuldigwerden gegen sich selbst, sondern gegen Gott. 'Sünde ist das Abweichen von den göttlichen Grundlinien.' Sie ist Trennung von Gott und bewirkt das Getrenntsein ..." Ebd., 11. Wanner 1984b, 10. W. Wanner formuliert hier und andernorts (bewußt?) deduktiv. Er spricht zunächst vom Menschen, vom Menschsein ganz allgemein und dann von Simon Petrus. Letzterer fungiert nicht als einladende Identifikationsgröße, sondern als Exempel (das statuiert werden muß?). Vgl. Wanner 1984b, bes. 9f. Wanner 1984b, 10; vgl. auch ebd., 80. - Der 'Seelenführer' hat offensichtlich auch dafür zu sorgen, daß die seelischen Schmerzen nicht übermächtig und/oder vorhandene Ängste chronisch werden. Denn: "Realangst darf (so Wanner 1985, 187) "nicht zur bleibenden Angst werden, sondern nur vorübergehend wirksam

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Simon Petrus, der an der Sünde leidet, mit "dieser 'Krankheit' genau beim richtigen Therapeuten"233; und obwohl er davon nichts ahnt, kann er angeblich aus eben diesem Grunde zur Erkenntnis seines Verlorenseins und seiner Unheilbarkeit gelangen, ohne Verdrängungen und negativen Fixierungen anheimzufallen.234 Schließlich enthalte jede Begegnung mit Jesus "das Programm der Vergebung, Maßnahmen für die Befreiung von Zwängen und vom Fixiertsein"235. Der 'Fall' Petrus sei im übrigen ein typisches Beispiel für eine kombinierte 'reflektive'236 "begleitende Seelsorge als 'Langzeittherapie'"237; letztere bedeute "vor allem Lebenshilfe in allen Situationen"238 und sei "sowohl Soforthilfe im Sinne einer schnell wirksamen Korrektur des Verhaltens und der ermutigenden Unterstützung und Verstärkung als auch eine zielgerichtete Langzeithilfe"239Im folgenden zitiert W. Wanner die s.E. gängige Formel der "üblichen Therapie"241 ("Der Patient soll genußfähig und leistungsfähig werden. Er muß sich anpassen lernen (Sigmund Freud)."242) und ergänzt diese durch die Begriffe 'Liebesfähigkeit', 'Einordnung in die Umwelt', 'Fähigkeit zur Bearbeitung von Konflikten', 'Überwindung des Sinn Verlustes' und 'Entdeckung der Lebensleitlinie'.243 Die derart

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sein. ... Angst treibt zu Gott. Damit hat sie ihren Zweck erfüllt, der darin liegt, daß wir Gott näher kommen und seine Wirklichkeit und Hilfe erfahren." - Also Angst als 'Zuchtmeister auf Christus hin'? Wanner 1984b, 11. Vgl. W a n n e r l 984b, 11. Wanner 1984b, 12 (Hervorhebung M.P.). - An diesem 'Programm Jesu' orientiert sich auch das "biblische Programm für seelisches Gesundsein" bei Wanner 1985, 227ff. "Die reflektive Seelsorge bewegt den Menschen, möglichst viel über sich und sein Verhalten nachzudenken und herauszufinden. ... Es geht dabei um ein fortwährendes Sich-Erkennen und um die Hilfe zum Umdenken, zur Veränderung, die durch Anstöße von außen unterstützt werden." Wanner 1984b, 15. Wanner 1984b, 15. Wanner 1984b, 15. Wanner 1984b, 15. - Die Langzeithilfe "begann mit der ersten Begegnung, die oft zugleich eine Berufung in die Nachfolge bedeutete, und dauerte nahezu drei Jahre bis zum Kreuzestod (vgl. Joh. 19,25-27) -, ja über den Tod Jesu hinaus. Der Auferstandene bemühte sich um seine 'Fälle' und besonders um Simon Petrus, der seine stärkste Wandlung erst in der Begegnung mit dem auferstandenen Jesus am See Tiberias erlebte (vgl. Joh. 21,15-23)." Ebd., 16. Wanner 1984b, 15. Wanner 1984b, 16. Wanner 1984b, 16. Vgl. Wanner 1984b, 16.

"erweiterten Zielsetzungen machen ... offensichtlich, daß eine Therapie - und auch schon die seelsorgliche Hilfe - nicht in wenigen Wochen erfolgreich abgeschlossen werden kann."244 Langzeittherapie und begleitende Seelsorge seien schließlich "ganzheitliche Fürsorge als Begleitung auf dem Weg zur vollen Gesundung"245; Seelsorge sei "auf jeden Fall keine Endstation, sondern Stufen bietende Hilfe auf dem Weg zum Ziel" 246 / 247 . Diese Hilfe könne jedoch nur dort greifen, wo der Patient dazu bereit sei, "aktiv an diesem Prozeß mitzuwirken und sich selbst voll und ganz 'einzubringen'"248. Sei dies der Fall, könne die Loslösung von eingespielten 'Negativ-Verhaltensweisen' erreicht und eine Verhaltenskorrektur durchgeführt werden.249 Bei Simon Petrus münde diese nach "Aufarbeitung des Vergangenen, Aktualisierung der Vergebung, Übertragung echter Liebe, Aufdeckung und Überwindung der Zwiespältigkeit ... (und) Bestätigung der Berufung"250 in den neuen Auftrag, das Hirtenamt gemäß der Weisung 'Weide meine Lämmer!' wahrzunehmen. 251 Auf den ersten Blick erscheint der hier bewußt knapp dargestellte

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Wanner 1984b, 16. Wanner 1984b, 16. Wanner 1984b, 17. Insgesamt zwölf 'Stufen' werden bei Wanner 1984b, 16f. (i.O. untereinander aufgelistet) benannt: "1. das Begleiten auf dem Weg zur Reifung, 2. die unterstützende Hilfe bei der Arbeit am Charakter, 3. Hilfe zur Selbstfindung durch die begleitende Selbstbegegnung und den kontinuierlich geführten Dialog, 4. die lebensgerechte Einordnung und das stärkere Anteilnehmen am Leben, 5. die helfende Nähe beim Umgang mit dem 'Schatten', 6. die Hilfe beim Erkennen der eigenen Reaktionen und tiefenpsychologischer Vorgänge, z.B. der Abwehrmechanismen, 7. die anweisende Hilfe beim Erkennen, Werten von Projektionen und beim Zurücknehmen der Übertragungen, 8. die Betreuung in Glaubensschwierigkeiten, 9. das Ermutigen und Stärken der Glaubenskräfte, 10. das vorbildhafte Vermitteln von Verhaltensmustern, 11. das beobachtende Lernen in Konfliktsituationen, 12. die Übernahme kreativer Lebensgestaltung - und anderes mehr."

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Wanner 1984b, 18. Wanner 1984b, 17 beschreibt und erklärt (i.O. untereinander aufgelistet) das 'Negativ-Verhalten' des Simon Petrus wie folgt: "1. Rangstreitigkeiten innerhalb der Gruppe. Das könnte bedeuten: Agressionsverlagerung, Regression in frühere Verhaltensmuster, Wunschprojektion (vgl. Matth. 18,1-5); 2. Diskrepanz zwischen Begeisterung und Realität, Fehleinschätzung der eigenen Person (vgl. Lk. 22,3134); 3. Angst und mangelnde Fähigkeit der Angstverarbeitung - egozentrisches Denken und Verhalten (vgl. Lk. 22,54-62)."

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Wanner 1984b, 23 (Erg. in Kl. M.P.). Vgl. Wanner 1984b, 23 sowie die Gesamtübersicht ebd., 22f.

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Wannersche Ansatz wie ein vermittelndes Praxismodell; die Verbindung zwischen Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie ist - so könnte man meinen - problemlos vollzogen; 252 es wird häufig synthetisch formuliert253, und es entsteht - oberflächlich betrachtet - der Eindruck, hier werde ebenfalls synthetisch gedacht. Das aber ist keineswegs der Fall! Eindeutig dichotom orientiert geht W. Wanner davon aus, daß Seelsorge zum Geheimnis des Neuwerdens, der Wiedergeburt zu führen habe und nicht "im Vorfeld der beratenden Hilfe" 254 stehenbleiben dürfe. Letztere sei "zwar nicht unnötig, aber sie ... (führe) nicht zum Ziel, sie ... (biete) keine endgültige Lösung."255 Gerade auf diese aber komme es an! "Man muß (so das Wannersche 'Apo-Diktum') im seelsorgerlichen Gespräch - wenn auch behutsam - zur Sache kommen. Dies bedeutet aber immer: zur Person Jesu. Es geht um das Heil in Jesus Christus. Er ist die Gabe Gottes, die Therapie, und das bedeutet Programm und Inhalt; das Heilsgut, auf das es bei der Heilung ankommt. ... Christus ist Zielrichtung und Inhalt einer Begegnungstherapie, und nichts anderes darf an seine Stelle treten."256 Schließlich gehe es um

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"Jesus konnte ohne weiteres Seelsorge und Therapie miteinander verbinden." Wanner 1984b, 83. So z.B. bereits im Untertitel ('Hilfe und Heilung in der seelsorgerischen Therapie') bei Wanner 1984b. Wanner 1984b, 102 (Hervorhebung M.P.). - Bei Wanner 1985, 205 heißt es mit gleicher Tendenz: "Seelsorge kann auf verschiedene Art und Weise vermittelt werden. Es ist allerdings wichtig, daß sie auf der Grundlage des Wortes Gottes vermittelt wird und geschieht. Man kann die seelsorgliche Hilfe nach dem Umfang und hinsichtlich der Art und Weise der gewünschten und notwendigen Behandlung unterscheiden in seelsorgliche Beratung und in umfassende Seelsorge." Hervorhebung M.P. Letztere kann "oft nicht nur von einer Person gegeben werden. Selbst wenn wir in Rechnung stellen, daß die eigentliche Hilfe von Gott selbst kommt und der Seelsorger nur weitergeben kann, was er von Gott empfängt, ist es ratsam, daß sich gerade in schweren Fällen zwei oder drei bevollmächtigte Seelsorger eines leidenden Menschen annehmen" (ebd., 225). - Auf mögliche Gefahren derartig (voll-)mächtiger 'Sonderbehandlung', die in gewisser Weise wie eine Art wohlmeinender Christenverfolgung erscheinen kann, weist W. Wanner nicht hin; er scheint sie gar nicht auszumachen, bzw. sie scheinen ihm nichts auszumachen. Wanner 1984b, 102 (Hervorhebung und Erg. in Kl. M.P.). - Siehe dazu auch Wanner 1984a, 177: "Die Psychotherapie kann dem Menschen das Wohl aber nicht das Heil bringen; sie kann ihm Linderung der Beschwerden oder sogar Heilung von seiner Krankheit vermitteln, aber sie kann ihn von den existentiellen Ursachen und ihren Hintergründen (Eph. 6,11) nicht befreien." Hervorhebung M.P. Wanner 1984b, 110 (Erg. in Kl. M.P.).

Gnade und Wahrheit; und zwar um "Wahrheit im umfassenden Sinn"251. Wer sich dieser öffne, wer die Gabe Gottes in Jesus Christus, wer ihn selbst empfange, annehme und aufnehme, der werde gesund, der erfahre Heil und Heilung. 258 Er erfahre "Gottes unbegreifliche Gnade. Ein(en) Wesenszug der göttlichen Therapie!"259. - Letztere verhalte sich antipodisch zu aller menschlichen Therapie, die im Grunde ein bloßes 'Defizitprodukt' darstelle. "Hätte die Christenheit ... (ihre) wichtige missionarisch-seelsorgerliche Aufgabe - ihre eigentliche Berufung - vollmächtig übernommen und Seelsorge als ganzheitliche Lebens- und Glaubenshilfe praktiziert, so wäre es (nach Auffassung W. Wanners) zur Entstehung der Psychoanalyse und der Psychotherapie wahrscheinlich gar nicht gekommen." 260 Überdies seien zahlreiche tiefenpsychologische Erkenntnisse und Forschungsergebnisse im christlichen Bereich längst vor Herausbildung der Freudschen Analyse etc. - wenn auch unreflektiert vorhanden gewesen und besäßen biblische Entsprechungen (wie z.B. Rom 7 oder Jak 1,13-15).261 Soll abschließend eine Kurzdiagnose der Ausführungen W. Wanners gewagt werden, so gelange ich zu folgendem Ergebnis: Das gesamte Wannersche Konzept lebt von der unkritischen, kompilatorischen Übernahme psychologischer Fachtermini; diese werden auf das Verhalten Jesu Christi und das der ihm Begegnenden - mitunter ohne ihre ansonsten gängige inhaltliche Prägung aufrechtzuerhalten - appliziert. An und für sich komplexe Begriffe werden so naiv reduziert und kommentarlos neuen Kontexten eingegliedert. Die Nomenklatur der (vormals oder immer noch?) argwöhnisch betrachteten (Tiefen-)Psychologie wird dabei fast perfekt nachgeahmt; nur selten ist ein verräterischer 'falscher' Zungenschlag zu orten und das eigentliche Ziel der Wannerschen Seel257 258

Wanner 1984b, 111 (Hervorhebung M.P.). Vgl. Wanner 1984b, 112 und dazu die Äußerung bei Wanner 1985, 168f„ "Heil und Heilung" seien "an eine Vorbedingung geknüpft: die Umkehr und Hinkehr zu Gott, die Übergabe des Lebens und die Abkehr von den Prinzipien, die uns krank machen" Hervorhebung M.P. - Ganz abgesehen von der m.E. unangemessenen Überbetonung des Anspruchs wird hier eine gefährliche Verknüpfung von Heil und Heilung vorgenommen, die unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen kann. Was z.B. empfindet und tut ein Mensch, der solchem Denken verpflichtet ist und trotz intensiven Glaubenslebens keine Heilung erfährt? Wird ihm womöglich auch kein Heil zuteil? Lebt er als 'Unheiler' ausschließlich Unheil? Nach evangelischem (evangeliumsgemäßem) Grundsatz wohl kaum ...

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Wanner 1984b, 123 (Erg. in Kl. M.P.). Wanner 1984a, 12f. (Erg. in Kl. M.P.). Vgl. dazu Wanner 1984a, 10.

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sorge (Therapie?) auszumachen. Auf diese Weise ist kaum mehr zu bemerken, daß der vorgeblich freiheitsfördernd agierende seelsorgerische Therapeut tatsächlich überaus deduktiv und direktiv vorgeht; er erteilt Weisung und weist zurecht, er manipuliert und konditioniert. So wird zwar das dynamische Prinzip der Wandlung proklamiert, aber gleichzeitig apodiktisch und starr das zu erreichende Ergebnis der avisierten Metamorphose vorprogrammiert. Die psychologische Nomenklatur wird dabei zum (hilfreichen oder nur zweck-'dienlichen'?) Beiwerk bzw. ermöglicht 'Ummäntelung'; psychologische Erkenntnisse werden ganz offensichtlich introjiziert262 (quantitativ erfaßt), aber nicht assimiliert263 (qualitativ erfaßt). So entwickelt sich unter der Überschrift 'Seelsorgerische Therapie' eine doppelbödige 'Schein-Synthese': Es kommt zwar zu einer Verschmelzung von Seelsorge und Psychologie/Therapie in bezug auf die Person Jesu Christi, aber gerade diese überschwengliche Partialadaption schließt ein lebendiges und wechselseitiges Miteinander von Theologie und Psychologie in der gegenwärtigen pastoralen Praxis aus. 264

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Introjektion wird hier und im folgenden als passive, unkritische Aufnahme dessen, was die Umwelt anbietet, verstanden. Vgl. dazu Perls u.a. 1985, 189ff. und Polster/Polster 1988, 78ff. Assimilation wird hier und im folgenden als schöpferischer Aufnahmevorgang, der Wachstum ermöglicht, verstanden. Vgl. dazu Perls u.a. 1985, 11. An dieser Stelle sei ein bildhafter und etwas überzeichnender Vergleich zwischen der evangelikalen Seelsorgeliteratur der 70er Jahre und den Äußerungen W. Wanners erlaubt. Von 1976-1981 liefen Evangelikaie wie aufgescheuchte 'Schafe' - das Schreckgespenst des reißenden 'Therapie-Wolfes' vor Augen angstvoll blökend im engen heimischen Stall hinter Schloß und Riegel umher. Dort begannen sie schließlich damit, das Heulen der 'Wölfe' an Lautstärke und Bedrohlichkeit zu übertönen und gleichzeitig (obwohl sie Hunger quälte?) die Annahme therapeutischer Brocken standhaft zu verweigern. In den 80er Jahren nun taucht ein 'Leittier' gleicher Abstammung auf, das sich als 'Schaf im Wolfspelz' den therapeutischen Futtertrögen scheinbar 'harmlos' (und furchtlos?) nähert, um darin herumzuschnüffeln und Witterung aufzunehmen. Auf den ersten Blick scheint es so, als wolle es an fremdem Topf (gierig?) mithalten, aber der Schein trügt; der Magen des vermeintlich Hungrigen ist bereits gefüllt - und zwar mit 'rechter' Speise.

M. Dieterich: Biblisch-therapeutische Seelsorge Ebenfalls auf den ersten Blick synthetisch formuliert M. Dieterich das Programm seiner 'Biblisch-therapeutischen Seelsorge' 265 aus dem Jahre 1987266; sie versucht, "die Methoden der etablierten Psychotherapie mit den biblischen Wahrheiten zu verbinden. ... Das bedeutet für die Praxis ..., daß die aus der säkularen Psychotherapie bekannten Vorgehensweisen von ihrem ideologischen Überbau gelöst, in ihrem schöpfungsgemäßen Zusammenhang wahrgenommen und im Sinne einer biblischen Anthropologie eingesetzt werden. Klammer und Verbindung zwischen einem solchen therapeutischen Handwerkszeug und der biblischen Wahrheit ist der Heilige Geist, dessen Leitung sowohl beim Auslegen der Bibel als auch bei der Wahl der jeweiligen therapeutischen Vorgehensweise (die man natürlich vorher erlernt haben muß) unabdingbar ist."267 Bei genauerer Betrachtung erscheint auch die so proklamierte Synthese zwischen der einen (eben biblischen) Wahrheit und den vielen therapeutischen Methoden als Teil eines prinzipiell dichotom orientierten Denkgebäudes. Den 'Mehr-Wert' theologischer (besser bib265

Reihenfolge und Groß- bzw. Kleinschreibung der 'verwandten' Begriffe entsprechen (wohl nicht zufällig) dem Dieterichschen Gesamtprogramm: "'Biblisch' meint, daß mit der ganzen Heiligen Schrift als Grundlage und demnach auch als letzter Instanz und Norm Seelsorge betrieben wird. Mit dem Wort 'therapeutisch' ist ein Doppeltes gemeint: zum einen bedeutet das griechische Wort therapeuo in seinem ursprünglichen Sinne 'dienen, behandeln' und entspricht damit genau der Haltung, die von einem Helfer in Seelsorge und Psychotherapie erwartet werden muß ... Mit 'therapeutisch' ist aber auch gemeint, daß Arbeitsmittel im Sinne eines handwerklichen Instrumentariums benötigt werden, die ... vom ideologischen Überbau aus den säkularen Therapieformen getrennt werden können und die selbstverständlich biblisch legitimiert sein müssen." Dieterich 1987, 49.

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Inzwischen erschien als systematische Einführung in die Biblisch-therapeutische Seelsorge das Handbuch 'Psychologie & Seelsorge' (Dieterich 1989). Der diesbezügliche Werbetext des Brockhausverlages lautet: "Erkenntnisse der modernen Psychologie und Therapie werden auf neuestem fachwissenschaftlichen Stand mit der Verpflichtung zu einem bibeltreuen Weltbild dargestellt; die zahlreichen Quellen und Materialien machen es zu einem praxisnahen, für die Diagnostik unverzichtbaren Handbuch. Der besondere Reiz des Buches liegt aber nicht zuletzt darin, daß Michael Dieterich es versteht, auch Leser ohne fachwissenschaftliche Vorkenntnisse anzusprechen. Seine Darlegungen, Modelle und Ratschläge werden dadurch für weite Kreise von Interessierten und Betroffenen unmittelbar zugänglich." Werbetext 1989.

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Dieterich 1987, 8f. (Hervorhebung M.P.); vgl. auch ebd., 43 sowie 46 u. 49.

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lischer 268 ) Kenntnisse und Erkenntnisse ausrufend, werden psychologische/therapeutische Maßnahmen in dienender Funktion 'angekoppelt'. Da ihnen kein je spezifischer 'Eigen-Wert' zugebilligt wird, erscheinen sie beliebig auswechselbar; in der Einschätzung M. Dieterisch bedeutet das erfreuliche "Methodenvielfalt" 269 . "Die Methode in der 'Biblischtherapeutischen Seelsorge' gibt es ... nicht - häufig wechseln sogar die Vorgehensweisen innerhalb weniger Minuten. Und ... es ist der Heilige Geist, der um permanente Leitung zur Auswahl und Änderung der Methoden (die der Seelsorger natürlich erlernt haben muß) gebeten wird." 270 Im ganzen gesehen erscheint auch die 'Biblisch-therapeutische Seelsorge' Dieterichscher Prägung - trotz ihres synthetischen Etiketts - wie ein (durchaus gut organisierter) auf Kompilation hin angelegter einseitiger Auswahlakt, der durch die unanfechtbare Autorität des Heiligen Geistes legitimiert ist. Hinzu kommt das auffällige Bemühen um eine (sogenannte?) wissenschaftliche Grundlegung (Anerkennung?), die in der Gründung der DGBTS (Deutsche Gesellschaft für Biblisch-Thera-

268

Bei Dieterich 1987, 50f. wird ausdrücklich darauf verwiesen, ein Biblisch-therapeutischer Seelsorger müsse "bei der Normen- und Wahrheitsfrage nicht entscheiden, sondern die Bibel hat bereits definiert, was gut und böse, richtig und falsch ist". - Das hier obwaltende hermeneutische Prinzip ist eindeutig zu erkennen; seine kommunikationshemmende Wirkung ebenfalls. Wer zustimmt, hat nichts mehr zu sagen; wer anderer Meinung ist, darf nichts mehr sagen, weil das, was er äußern könnte, von vornherein außerhalb des positiv sanktionierten und absolut gültigen Normbereichs liegt. Auf diese Weise bewirken Grenzüberschreitungen in beide bezeichneten Richtungen das gleiche: sie machen stumm.

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Dieterich 1987, 51, wo im folgenden der Versuch unternommen wird, diese Vielfalt mit der (allerdings nicht streng mathematisch aufzulösenden) Formel "M = f(S,R,U)" zu strukturieren: "Mit M ist die jeweils einzusetzende Methode gemeint: das 'f bedeutet, daß eine Abhängigkeit besteht (M ist also eine Funktion von S, R und U), und die Buchstaben S, R und U sind Abkürzungen für den Seelsorger, den Ratsuchenden und die jeweiligen Umstände der Biblisch-therapeutischen Seelsorge." Dieterich 1987, 52. - "Zu den pluralen Ansätzen (der Biblisch-therapeutischen Seelsorge, M.P.) gehören u.a. Elemente aus: a) der parakletischen Seelsorge b) der nuthetischen Seelsorge c) der lösend-bindenden Seelsorge d) der kognitiven Verhaltenstherapie e) den gesprächsorientierten Therapieverfahren f) den tiefenpsychologisch orientierten Therapieverfahren." Ebd., 89.

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peutische Seelsorge) 271 und deren curricularen Richtlinien 272 ihren Ausdruck findet. Alles in allem Indizien dafür, daß ich es hier mit einer modernen und wohl auch durchreflektierten Form des 'ancilla-Paradigmas'273 zu tun habe, die in erster Linie bibelzentriert und in bezug auf die Rezeption humanwissenschaftlicher Erkenntnisse pragmatisch orien-

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Die sich im Spannungsfeld "verschiedener therapeutischer Vorgehensweisen bzw. auch institutioneller Angebote zur Ausbildung von Seelsorgern (z.B. der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie oder der Deutschen Gesellschaft für christliche Psychologie [IGNIS] (mit biblisch-charismatischer Ausrichtung, M.P.) usw.)" (Dieterich 1987, 49) sieht. - Es fällt auf, daß für die Abkürzung DGBTS ausnahmsweise auch das therapeutische Element 'groß-geschrieben' wird. Ein bloßer Zufall oder reine 'Formsache'...? - In diesem Zusammenhang sei daraufhingewiesen, daß am 6.10.1989 in Eggenhausen bei Altensteig (Nordschwarzwald) eine Fachklinik für christliche Psychiatrie und Psychosomatik 'IGNIS' mit insgesamt 33 Betten eröffnet wurde. H. Hemminger merkt dazu kritisch an: "Ob und wie der Versuch IGNIS gelingt, wird sich in der dortigen Praxis zeigen müssen. Die zu überwindenden Klippen zeichnen sich allerdings jetzt schon ab: So ist z.B. im Bereich der Psychotherapie (nicht unbedingt im somatischen Bereich) das Verhältnis von fachlichen Methoden und christlichem Menschenbild ungeklärt. Auf der einen Seite soll von der Psychologie gelernt werden; die Wissenschaft als Erkenntnisquelle wird anerkannt. Auf der anderen Seite will man sich von allen säkularen Therapien lösen und eine christliche Therapie anbieten. Wie diese Therapie in der Praxis aussieht, und wie sie begründet wird, sollte abgewartet werden. Eine genuin theologische Klippe könnte in einer - in der pfingstlerischen Tradition immer wieder zum Problem gewordenen - perfektionistischen Heilungserwartung liegen." Hemminger 1989, 348.

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Vgl. Dieterich 1987, 88ff. oder die detaillierte Liste zum DGBTS-Ausbildungsplan (DGBTS-Kursangebot 1989). - Die Ausbildung zum Biblisch-therapeutischen Seelsorger dauert ca. vier Jahre und erfolgt (zumeist nebenberuflich) in fraktionierten Kursen in drei aufeinander aufbauenden Stufen. Das Grundkursprogramm umfaßt 60 Stunden und dient dem Erwerb von Basiswissen (vgl. dazu ebd., 3); die Aufbau-und Vertiefungskurse der zweiten Ausbildungsphase (200 Stunden) berücksichtigen die Disziplinen Verhaltenstherapie (vgl. ebd., 3f.), Gesprächstherapie (vgl. ebd., 4f.) und Tiefenpsychologie (vgl. ebd., 5f.); der angehende Seelsorger wählt nach Abschluß des Grundkurses (s)einen Studienschwerpunkt und beschäftigt sich fortan mit einer der drei Fachrichtungen. In der dritten Ausbildungsphase werden insgesamt zehn 'Seelsorgefälle' unter Supervision vom Auszubildenden bearbeitet und in einem schriftlichen Abschlußbericht kommentiert. Der Besuch von BTS-Lehrgängen ist an keinen bestimmten Schulabschluß gebunden und wird gegenwärtig noch nicht als psychotherapeutische Zusatzausbildung anerkannt; es gibt jedoch Bestrebungen, eine derartige Anerkennung für theologische und sozialpsychologische Berufe zu erwirken. Vgl. ebd., 1.

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Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983,166ff.

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tiert 274 arbeitet. Wirkliche 'Begegnungen' zwischen Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie erfolgen in der 'Biblisch-therapeutischen Seelsorge' demgemäß nicht; die Angst, 'Umarmungen' könnten der 'Mitte' berauben, 275 hält trotz synthetischer Rede auf Distanz bzw. leitet dazu an, andere auf Distanz zu halten oder zu bringen.

S. Pfeifer: Moderne Psychiatrie und biblische Seelsorge Dem Ansatz von M. Dieterisch sehr nahe steht das Konzept von S.Pfeifer, der 1988 Stellung zum Thema 'Moderne Psychiatrie und biblische Seelsorge' bezieht. Einlenkend resümiert er, psychologische Erkenntnisse hätten viel zum besseren Verständnis des Menschen beigetragen; 276 gefährlich sei allerdings der Hang dazu, "Psychologie zur Ersatzreligion zu erheben" 277 . Sogar in evangelikalen Kreisen werde mitunter "das Evangelium der Jesus-Nachfolge zur Botschaft von der Selbst-Entfaltung umgebogen"278. Der Christ jedoch solle sich allein nach dem ausrichten, was 'droben' ist (vgl. Kol 3,2) und seine Gedanken von Gottes Wort durchdringen lassen (vgl. Kol 3,16).279 Dazu verhelfe Seelsorge als "Hilfe zur Lebensbewältigung auf der Grundlage biblischer Aussagen"28°, die eine "kognitive Verhaltenstherapie auf christlicher Basis"281 impliziere. Letztere richte den Menschen auf Gott und seine Lebensmaximen aus, so daß der göttliche "Wille und nicht nur die eigenen Kräfte und Interessen ... die tragende Säule innerer Veränderung sein" 282 könnte. Damit stehe sie in deutlichem Gegensatz zur "rein 274 275 276 277

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Wobei es m.E. hauptsächlich um 'Geschäftsförderung' (also das eigene 'Pragma') und nicht so sehr um die Praxis geht. Vgl. dazu Dieterich 1987, 47. Vgl. Pfeifer 1988, 20. Pfeifer 1988, 29 (Hervorhebung M.P.). - Siehe dazu z.B. auch Pfeifer 1987, 153, wo in bezug auf die sogenannte Ganzheitsmedizin eindeutig ablehnend angemerkt wird, ihr Ziel bestehe darin, "dem Menschen den Weg zur Selbsterlösung zu zeigen, auch wenn dabei immer wieder die Hilfe kosmischer Kräfte angeboten wird". Hervorhebung M.P. Pfeifer 1988, 35. Vgl. Pfeifer 1988, 33. Pfeifer 1988, 27. Pfeifer 1988, 33. Pfeifer 1988, 34.

diesseits und ichbezogenen Psychotherapie"283, die nach Auffassung S.Pfeifers darauf abzielt, "Schmutz aufzuwühlen und die Verletzungen der Vergangenheit zu analysieren"284. Der Pfeifersche Ansatz darf m.E. als gemäßigte Form des 'ancilla'-Paradigmas 285 bezeichnet werden. Er bietet zwar deutlich voneinander getrennte Wertstufen und ordnet alle Seelsorge der Psychotherapie vor (schroffe Wertehierarchie), enthält jedoch auch ein gewisses selbstkritisches Potential 286 . Die Bibel erscheint als Orientierungs-Instanz, wird aber nicht als alleinige Autorität für alle Wechselfälle des Lebens angeführt und so naiv mißverstanden. Es wird deutlich darauf hingewiesen, sie enthalte "nicht Antworten auf jede Detailfrage in der Psychiatrie, so wie sie auch keine Anleitung für eine Blinddarm-Operation gibt" 287 . Im übrigen gelingt es S.Pfeifer, Seelsorger und Psychotherapeuten auf Gefahren aufmerksam zu machen, die s.E. beide Berufsgruppen - und das u.U. sogar in gleicher Weise - bedrohen. Es geht dabei um den "Machbarkeitswahn unseres technisierten Zeitalters"288, den Rückzug auf Floskeln und Leerformeln 289 und die Verabsolutierung des dialogischen/diskursiven Prinzips290. Insgesamt erscheinen die Ausführungen S.Pfeifers (trotz mancher Verallgemeinerungen und m.E. unnötiger Apodiktik) durchaus moderat; hier wird exakt analysiert und situationsspezifisch argumentiert; von der Angst vor Vereinnahmung, wie sie sich bei M. Dieterich zeigt,291 ist wenig zu spüren, wobei der Umgang mit psychologischen/therapeutischen Erkenntnissen und Methoden selbstverständlich dennoch 'maßstabsgetreu' selektiv und in gewisser Weise ebenso utilitaristisch wie bei M. Dieterich erfolgt. 292

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Pfeifer 1988, 65. Pfeifer 1988, 65; siehe dazu auch Pfeifer 1987, 172, wo allerdings nicht ganz so apodiktisch pauschaliert wird: "Viele moderne Psychotherapeuten wirbeln wohl den Schmutz des Lebens auf, geben aber keine echte Hilfe. ... Der Patient verläßt ihr Sprechzimmer und geht seelisch entblößt und verwundet nach Hause." Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983, 166ff. Was natürlich massive Kritik am anderen niemals ausschließt. Pfeifer 1988,165. Pfeifer 1988,91. Vgl. Pfeifer 1988, 91. Siehe dazu Pfeifer 1988, 173: "Psychotherapie darf nicht im Dialog stecken bleiben. Seelsorge darf sich nicht im Gespräch erschöpfen." Vgl. z.B Dieterich 1987,47. Sollte dafür die Tatsache verantwortlich sein, daß der Christ S. Pfeifer Arzt (Psychiater) und eben nicht Theologe (Seelsorger) ist?

187

L. J.Crabb: Plünderung der Ägypter Den Überblick über die evangelikale Seelsorgeliteratur der 80er Jahre abschließend sei auf das sogenannte 'gemeindenahe' Konzept von L. J. Crabb verwiesen. 293 Es basiert auf der eindeutig negativ wertenden Setzung, Gemeindeglieder dürften nicht "sofort an hauptamtliche Berater abgeschoben werden"294. Stattdessen gelte es, die heilenden Kräfte eines gesunden Gemeindelebens dazu zu nutzen, "seelsorgerlich-therapeutische Hilfe"295 zu ergänzen und zu unterstützen.296 L.J.Crabb betont, "eine gewisse Kenntnis psychologischer Mechanismen"297 sei dazu "unabdingbar"298. Schließlich müsse man wissen, "wie der Mensch im Innern 'funktioniert'"299, um ihn zu geistlicher und 'psychologischer' Reife 300 zu führen. - Das diesen Vorstellungen korrespondierende Zu293 294

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Siehe dazu Crabb 1988 und Crabb/Allender 1988. Crabb 1988, 7 (Hervorhebung M.P.). - Siehe dazu auch ebd., 21: "Aber wenn wir in unseren Gemeinschaften nur vorübergehende Linderung des Schmerzes schaffen, weil unsere Worte den wahren Kern des Leidens nicht berühren, und die hartnäckigen Fälle, die sich trotzdem nicht bessern, zu weltlichen Beratungsstellen schicken, dann ist das nichts anderes als geistliche Fahrlässigkeit." Crabb 1988, 7 (Hervorhebung M.P.). Crabb 1988, 8 erläutert seine Vorstellungen wie folgt: "Steht uns in den Gemeinden nicht ein großes, noch weitgehend unerschlossenes Potential zur Verfügung? Haben Seelsorger oder Berater, die zur selben Gemeinde gehören wie ihre 'Patienten' und darum auch die anderen Gemeindeglieder kennen, nicht viel mehr Möglichkeiten, die Quellen von Freundschaft, Anteilnahme, praktischer Hilfe und Gebet in ihrer Beratung einzusetzen? In dem Modell, das ich vorschlage, werden die Menschen sich innerhalb der Gemeinde einander zuwenden oder zu solchen Gemeindegliedern gehen, die dafür geschult sind, in Problemsituationen nach biblischen Antworten zu suchen. Berater, die Glieder derselben Gemeinde sind wie ihr 'Patient', können dabei je nach Bedarf die Mithilfe der Gemeinde in Anspruch nehmen." Crabb 1988, 8 (Hervorhebung M.P.). - "Wenn die Psychologie Erkenntnisse liefert, die unsere seelsorgerliche Tätigkeit wirksamer machen, dann sollten wir sie kennen. Wenn aber alle Probleme im Kern geistlicher Natur sind, dann sollten wir die Wege zur Heilung, die uns der Herr bietet, nicht durch eine Überbewertung psychologischer Theorien vernachlässigen." So lautet die 'Gebrauchsphilosophie' zur Psychologie ebd., 26. Crabb 1988, 8. Crabb 1988, 9 (Hervorhebung M.P.). - 'Gläubige Therapeuten' müssen z.B. ein Gespür dafür entwickeln, "wie tief die Selbstsucht in unserer menschlichen Natur verwurzelt ist" (ebd., 16). Bei Crabb 1988, 16 heißt es: "Es ist erschreckend einfach, einem Menschen beim

ordnungsmodell in bezug auf Seelsorge und Psychologie bezeichnet L. J.Crabb als '"Plünderung der Ägypter'"301; es geht dabei für den gläubigen Therapeuten (den Christen) darum, diejenigen Implikationen säkularer Psychologie als unannehmbar auszusondern, die "seiner Treue zur Offenbarung der Bibel entgegenstehen"302. Alle anderen - positiv sanktionierten - therapeutischen Elemente ('"interpretierte Daten'), die dem christlichen Standpunkt nicht widersprechen"303), sollen - miteinander verbunden304 - so eingesetzt werden, daß der Weg zu biblischen Erreichen eines unbiblischen Ziels zu helfen. Als Glieder der Gemeinde Christi haben wir jedoch die Aufgabe, einander ständig zu ermahnen und daran zu erinnern, das wahre Ziel aller biblischen Seelsorge nicht aus den Augen zu verlieren. Wir sollen die Menschen zu besserem Gottes lob und Gottesdienst befreien, indem wir ihnen helfen, Gott ähnlicher zu werden. Mit einem Wort: das Ziel heißt Reife." - Vgl. dazu auch die weiteren Ausführungen ebd., 16ff., wo zwischen geistlicher und 'psychologischer' Reife (die sprachliche Ungenauigkeit hier sollte nicht überbewertet werden; selbstverständlich müßte von 'psychischer' Reife die Rede sein) unterschieden wird. Im Vordergrund sieht L. J. Crabb dabei "zwei Komponenten: 1. den unmittelbaren Gehorsam in einer bestimmten Situation und 2. ein langfristiges charakterliches Wachstum" (ebd., 17; Hervorhebung M.P.). 301

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Crabb 1988, 42. - Zu den anderen möglichen - aber im Sinne L. J. Crabbs wenig zuträglichen - Zuordnungsmodellen (1. 'Getrennt aber gleichwertig', 2. 'Eintopf und 3. 'Keine Kompromisse') vgl. ebd., 26ff. Crabb 1988, 47. - Die Ziele eines gläubigen Beraters erscheinen radikal von denen eines säkularen Therapeuten unterschieden. Vgl. ebd., 133. "Der Säkularist will mit seinen Bemühungen dem Klienten helfen, alles zu erreichen, wovon er sich Glück verspricht.... Auch dem gläubigen Berater ist am Wohlbefinden seines Klienten gelegen, doch er weiß, daß das Wohlbefinden des Menschen von seiner Beziehung zu Christus abhängt. Es gibt absolute Normen. Ein Christ wird einem Klienten nicht helfen, sich gut zu fühlen, wenn dabei diese absoluten Normen verletzt werden." Ebd., 134. Crabb 1988, 46. Der Hang zur 'Verbindlichkeit' führt bei Crabb 1988, 51 zu folgender Zusammenstellung: "Der Mensch ist dafür verantwortlich (Glasser), die Wahrheit zu glauben, was zu verantwortlichem Verhalten (Ellis) führen wird. Das wiederum wird ihn mit Sinn, Hoffnung (Frankl) und Liebe (Fromm) erfüllen und ihm dazu dienen, sinnvoll mit anderen zusammenzuleben (Adler) als einer, der sich selbst und die anderen annimmt (Harris), der sich selbst versteht (Freud), sich auf die rechte Weise ausdrücken kann (Perls) und der weiß, wie er sich selbst zu kontrollieren vermag (Skinner)." Hervorhebung M.P. - Es bleibt anzumerken, daß dieser 'L. J. Crabb-Kumulus' sehr an das zuvor negativ eingestufte 'Eintopf-Modell' (vgl. dazu ebd., 29ff.) erinnert. Es scheint so, als würden auch hier verschiedene Zutaten unter kräftigem Umrühren in einen großen Suppentopf gegeben, um das ganze in der Hoffnung auf ein genießbares Gericht aufzukochen. Die Zutaten für diesen Eintopf entsprechen jedoch angeblich dem strengen 'evangelikalen Reinheitsge-

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Verhaltensweisen bzw. zu Gott geebnet und beschritten wird. 305 Möchte jemand solcherart "ein gesundes Verhältnis von christlichem Glauben und Psychologie" 306 befördern, so unterliegt er nach Überzeugung L.J.Crabbs zwangsläufig folgendem 'Vier-Punkte-Programm': " 1. Er muß zugeben, daß die Psychologie sich der Autorität der Schrift unterzuordnen hat."307 "2. Er muß ohne Abstriche daran festhalten, daß die Bibel Gottes unfehlbare, inspirierte Offenbarung ist, die er dem Menschen anbietet."30« "3. Er muß damit einverstanden sein, daß die Bibel die 'Funktionskontrolle' über sein Denken ausübt."309 4. Er muß "ein fundamentales Interesse am Inhalt der Bibel zeigen" 310 , um durch die Schrift zu einer Überprüfung seiner persönlichen Einstellung zur Psychologie zu gelangen. 311 Nur wer all diesen 'Kriterien' genügt, kann als Seelsorger 'erfolgreich'312 gesinnungs- 313 und verhaltensändernd wirken;314 er wird die Menschen

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bot'; intensive 'Fleischbeschau' ist für L. J. Crabbs 'Haute Cuisine' selbstverständlich und garantiert auch bei schwachem Magen Bekömmlichkeit. Erklärtes "Ziel ist es, den Klienten zu einer biblisch begründeten Reaktion auf Problemsituationen zu befähigen" (Crabb 1988, 20; vgl. auch ebd., 81). Es geht darum, Gehorsam zu erlangen. Dieser erscheint jedoch nur als ein Teil des Ziels. "Ein Christ muß mehr tun, als lediglich sein Verhalten ändern. Gewohnheiten müssen geändert werden, Wünsche sollten sich allmählich dem Plan Gottes anpassen, ein neuer Lebensstil muß sich entwickeln, der aus mehr besteht als einer Reihe gehorsamer Reaktionen. Die Wandlung darf nicht nur in äußerem Gehorsam sichtbar werden, sondern muß in einer inneren Erneuerung, einer neuen Art, zu denken und zu empfinden, in neuen Zielen, einer umgewandelten Persönlichkeit zum Ausdruck kommen. ... Die Menschen müssen sich nicht nur HINÜBER, sondern auch HINAUF bewegen." Ebd., 21. Crabb 1988, 44 (Hervorhebung M.P.). Crabb 1988, 44. Crabb 1988,44. Crabb 1988,44. Crabb 1988, 45. Dabei wird ein wechselseitiges Miteinander von Orthodoxie und Orthopraxie gefordert, das durch den regelmäßigen Besuch einer "bibeltreuen Gemeinde" (Crabb 1988,45) befördert werden soll. "Jedes ... aufgezeigte Problem (Schuld, Groll, Angst etc., M.P.) kann vermieden werden, wenn die Grundannahme mit der in Christus offenbarten Wahrheit übereinstimmt." Crabb 1988, 135. "Rogers verändert Gefühle, Glasser ändert Verhalten, Skinner verändert die Umstände. Doch Christus erneuert unsere Gesinnung." Crabb 1988,135. Die 'seelsorgerlich-therapeutische' Intervention Crabbscher Prägung erfolgt ideali-

durch seine Beratung - unabhängig davon, ob dies positive oder negative Gefühle hervorruft - näher zu Gott führen (wollen) und sicher abschätzen können, was im Einzelfall der Änderung bedarf.315 Eine beliebte - und ganz offensichtlich auch wirksame - Methode hierbei ist die von L.J.Crabb so genannte '"Tonband'-Technik"316. Sie beruht auf der Annahme, falsche Lebensmuster entwickelten sich aus falschen Lebensphilosophien, und zielt darauf ab, durch 'negative Programmierung' entstandene Voraus-Setzungen (Sätze) 317 aus dem Gedächtnis 'gestörter' Menschen zu löschen und durch positive Leitvorstellungen zu ersetzen. Die Denkweise L. J. Crabbs ist dabei streng dichotom geprägt und weist Züge naiver Schwarz-Weiß-Malerei auf; simplifizierend geht es darum, von der Hölle zum Himmel, 318 von Satan zu Christus319 und von vermeintlich negativen zu vorgeblich positiven Emotionen 320 zu gelangen. Der Umschwung wird durch sogenannten 'Tonbandwechsel' erlangt; das

ter stufenweise: Stufe 1 - "Aufdecken von Problemgeßhlen" (Crabb 1988, 146), S t u f e 2 - " A u f d e c k e n des zielgerichteten (Problem)Verhaltens" (ebd., 148),Stufe3 "Aufdecken von Problemdenken" (ebd., 150), Stufe 4 -"Änderung der Annahmen" (ebd., 153) und "Förderung des biblischen Denkens" (ebd.), Stufe 5 - "Ermutigung zu Entscheidung und Mitarbeit" (ebd., 154), Stufe 6 - "Planen und Ausführen biblischen Verhaltens" (ebd., 157), Stufe 7 - "Erkennen der vom Heiligen Geist kontrollierten Gefühle" (ebd.). - Ebd., 190 wird mit gleicher Abzweckung von "Seelsorge in drei Ebenen" gesprochen. Es geht dabei - wie auch oben - um 1) Ermutigung, 2) Ermahnung und 3) Unterweisung Suchender auf dem Weg zu Gott. 315

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Vgl. Crabb 1988, 134. - Bei Crabb/Allender 1988, 104 heißt es: "Die christliche Gemeinschaft soll nicht dazu dienen, persönliche Probleme zu offenbaren; vielmehr will sie Gelegenheit bieten, mit anderen über das Wirken Jesu im eigenen Leben zu reden. Dazu gehören auch Offenheit und Selbstoffenbarung, aber nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, Christus noch besser kennenzulernen." Crabb 1988, 152. Beispiele dafür finden sich u.a. bei Crabb 1988, 90. Vgl. Crabb 1988, 69f. Vgl. Crabb 1988, 95. Negativ eingestuft werden all die Emotionen, "die unsere Anteilnahme blockieren und darum in irgendeiner Weise Sünde beinhalten" (Crabb 1988, 100); positiv erscheint das jeweilige "nicht-sündhafte Gegenstück" (ebd.); so entstehen die Paarungen 'Depression und seelischer Schmerz', 'lähmende Schuld und konstruktive Reue', 'Groll und Zorn', 'Frustration und motivierte Unzufriedenheit' sowie 'Ängstlichkeit und Vorsorge'. Vgl. dazu die Übersicht ebd., 101. - Es erscheint fraglich, ob derartige Einteilungen komplexer menschlicher Wirklichkeit mit all ihren Unwägbarkeiten und Spannungen überhaupt gerecht zu werden vermögen; im übrigen kann m.E. nicht davon ausgegangen werden, Depression, Schuld, Groll, Frustration und Ängstlichkeit seien prinzipiell Symptome verborgener Sünde. Derartige Generalisierungen entbehren jeglicher Grundlage.

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jeweils 'falsche Band' 321 wird gegen ein 'biblisches Tonband' 322 eingetauscht. 323 Praktisch geschieht dies mit Hilfe kleiner Karteikarten, auf denen Leitsätze vermerkt sind. Die Karten, deren Aufschriften bei Bedarf memoriert werden, dienen als visuelle Gedächtnisstütze und positive Verstärker. 324 Sie werden überflüssig, sobald alle wesentlichen Teile des Glaubensgebäudes eines Klienten identifiziert und verändert worden sind, d.h. wenn echte Reife erlangt wurde. 325 M.E. basiert das Konzept L.J.Crabbs auf unkritisch angewandtem Methodensynkretismus, der eine primitiv anmutende und gefährlich naive Verhaltenstherapie mit persönlichkeitsspezifischer Wirkung trotz einseitig kognitiver Komponente ermöglichen soll und ganz offensichtlich auch kann. 'Therapieerfolg' wird ausschließlich dann konstatiert, wenn 'rein biblisches Verhalten' an den Tag gelegt wird; der Klient erscheint als Konditionierungs- und Gegenkonditionierungsobjekt mit prinzipiell heteronomer Grundstruktur. Sämtliche Autonomiebestrebungen des Individuums werden deshalb als sündhaftes Verhalten (Normabweichung mit gemeinschaftszersetzender Tendenz) aufgefaßt und demgemäß direkt(iv) unterbunden. Ein auf Unterstützung angewiesener Mensch in der Krise gerät bei L. J.Crabb unversehens in den Bannkreis restriktiver Maßnahmen und wird so zum 'Opfer' eines evangelikalen Richtungsdenkens "das nicht auf Kommunikation, auf Austausch unter verschiedenen Menschen und Meinungen abzielt, sondern auf Strategien 321 322 323 324

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Nach Crabb 1988, 188 z.B.: "'Damit ich mich sicher fühlen kann, muß ich Kritik vermeiden.'" Nach Crabb 1988, 155 z.B.: '"Jesus liebt mich, darum bin ich sicher, ob ich nun kritisiert werde oder nicht.'" Vgl. dazu das Verbatim bei Crabb 1988, 183ff„ hier bes. 187f. Bei Crabb 1988, 188 findet sich folgende - den Vorgang des 'Tonbandwechsels' illustrierende - Anweisung: "Schreiben Sie auf eine Karteikarte die ... Sätze: 'Damit ich mich sicher fühlen kann, ist es nicht unbedingt nötig, daß Peter zurecht kommt. Deshalb ist es auch nicht unbedingt nötig, daß Georg mir mit Peter hilft, damit ich sicher sein kann. Ich bin in Gott sicher, geliebt und wertvoll, egal, was Georg oder Peter tun, und egal, ob andere Leute mich kritisieren oder nicht.' Und nun stellen Sie sich einmal vor, Ihr Verstand sei ein Tonbandgerät. Seit Sie fünf Jahre alt sind, haben Sie immer das falsche Band laufen lassen. Es hieß: 'Damit ich mich sicher fühlen kann, muß ich Kritik vermeiden.' Schreiben Sie auch diesen Satz auf eine Karteikarte. Tragen Sie diese Woche beide Kärtchen immer mit sich. Jedesmal, wenn Sie auf Georg ärgerlich werden wollen oder wegen Peter die Sorgen aufsteigen, nehmen Sie die Karten vor, lesen beide, stellen das falsche Band wieder ab und wiederholen zehn- oder zwölfmal das richtige Band. Ok?" 'Echte Reife' bezeichnet die Fähigkeit, '"geistliche Gefühle' zu entwickeln und zu fördern" (Crabb 1988, 157).

zur Durchsetzung der eigenen, nicht zu hinterfragenden Wahrheit, die als biblisch ausgegeben wird. Dahinter steht ein statisches Weltbild, daß nur schwarz und weiß, richtig und falsch, Abweisung oder Anpassung kennt und aggressiv auf die Veränderung von Menschen abzielt."326 Psychologische und speziell psychotherapeutische Erkenntnisse werden dazu (aus)genutzt, Menschen zu disziplinieren und zu sanktionieren; sie haben ausschließlich 'ancilla-Funktion'327 und 'dienen' in erster Linie der Systemstabilisierung, der bloßen Erhaltung eines apodiktisch für verbindlich erklärten status quo. Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß einige meiner Kritikpunkte ebenfalls in evangelikal-fundamentalistischen Kreisen gegen L.J.Crabb vorgebracht werden.328 Zum einen entbrennt auch die 'rechte Kritik' am Crabbschen Methodeneklektizismus (Stichwort 'Plünderung der Ägypter'),329 zum anderen an dem von L.J.Crabb propagierten Methodensynkretismus (Stichwort 'Eintopfmodell').330 Beides wird jedoch - anders als bei mir - nicht als Affront gegen die Psychologie (Psychotherapie) als komplexes (Wissenschafts-)System 331 verstanden, sondern als ein Angriff auf die Autorität der Schrift, der die (eine) Wahrheit ver-

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Hagenmaier 1989, 29. Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983, 166ff. Vgl. z.B. die ausführliche Kritik bei Bobgan/Bobgan 1987, 75ff. Bei Bobgan/Bobgan 1987, 80 heißt es diesbezüglich: "Who is being spoiled? The Egyptians or the Christians? If all Christian psychotherapists are 'spoiling the Egyptians', taking only the best and only that which seems to fit to Scripture, why is it that there is such a mixed bag, such a variety of salads? Every psychotherapist is eclectic. Each one picks and chooses what he wants from multitudes of manmade theories and techniques. ... When God directed the Israelites to spoil the Egyptians, He was referring to material wealth. He did not direct them to take along Egyptian ideology or idolatry into the Wilderness. When they did, they were in direct disobedience to God."

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Bei Bobgan/Bobgan 1987, 80 heißt es dazu: "We have looked at just a few of Crabb's ingredients in what he would never label a 'tossed salad'. The distinction that Crabb makes between the 'tossed salad' ingredients and his own brand of 'spoiling the Egyptians' is a false one. In fact, no integrationist would identify himself as a 'tossed salad' type. All would insist, that they are 'spoiling the Egyptians'. However, it is impossible to make sense of the fact that all Christian psychotherapists hope they are spoiling the Egyptians ... while their often conflicting myriad of approaches creates the opposite impression."

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Als solches kommt Psychologie (Psychotherapie) gar nicht in den Blick; sie wird vielmehr als "pseudoscience" (Keller 1985, IX) betrachtet und abgelehnt.

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fälscht. 332 Dieser führt - nach Ansicht von M. und D. Bobgan 333 - zu 'Amalgambildungen'334, d.h. zu 'Aufweichungen' im Bereich christlicher Seelsorge, die als 'Psycho-Häresie'335 bekämpft werden müssen. 336 Die Psychologie (Psychotherapie) wird in diesem Kontext (wieder einmal) als bestandsgefährdende Größe wahrgenommen, die das Wort Gottes subjektiviert, säkularisiert und trivialisiert und so zur Paralyse der Kirche (als Leib Christi) beiträgt.337 Und so lautet das 'rechte Pauschalurteil' zu den Ansätzen von L.J.Crabb und vielen anderen: "Pastors and parishioners alike have not only capitulated to the psychologizers; they have sadly catapulted them to the place of high priests over the problems of living. It is tragic that Christians have followed the psychological way and its false solutions to real problems. Not only have the psychologists succumbed to the deception of amalgamation, but pastors, leaders, and congregations have been deceived. As author W.Phillip Keller aptly puts it, 'All of them together have put their confidence in the wrong cure i. e. in the 'couch' instead of 'In Christ.' "'338

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"Christian psychological counselors follow such a wide variety of conflicting approaches while all claiming to be consistent with Scripture. Thus the Bible has been made to conform not only to one psychological approach, but to many conflicting approaches. Rather than being used as a standard of measure for truth, it is twisted and bent to fit whatever psychological theories appeal to the therapists." Bobgan/Bobgan 1987, 80.

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Die als Hauptkritiker im Bereich des evangelikalen Fundamentalismus auftreten. "Amalgamania has spread from the counseling room to nearly every aspect of the Christian life. Distinctions between the ways of the world and the ways of God have blurred so that psychological ideas are accepted as biblical truth." Bobgan/Bobgan 1987, 98; vgl. auch Bobgan/Bobgan 1985,173f. Vgl. dazu den Titel bei Bobgan/Bobgan 1987: "Psychoheresy. The Psychological Seduction of Christianity". "There is no need for amalgamania! Problems of living in the lives of Christians require Holy Spirit led, biblical solutions; not wisdom-in-the-flesh psychological solutions. The fact is that many Christian psychologists have become popular through their speaking and writing. And popularity has taken precendence over purity in the church." Bobgan/Bobgan 1987, 98. Vgl. dazu Bobgan/Bobgan 1987, 97ff. Bobgan/Bobgan 1987, 99 (i.O. mit Absatz nach 'living'). - Das Zitat im Zitat stammt aus einem unveröffentlichten Brief von W. Ph. Keller. Vgl. dazu auch Keller 1985, IX, wo in ähnlichem Zusammenhang von "predators" gesprochen wird, von "wolves in sheep's wool - pretending to speak for God while in reality advocating the world's ways".

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Zwischenbilanz II Betrachte ich abschließend noch einmal das Gesamt aller hier untersuchten evangelikalen Äußerungen zum Thema Seelsorge seit 1984, so läßt sich durchgängig folgende Trias erkennen: erstens der Primat biblizistischer, oft fundamentalistisch verengter Lehre, zweitens die Einstufung und der Gebrauch von Psychologie als zweckdienlicher Hilfswissenschaft und drittens die Einschätzung und die (Aus-)Nutzung von Psychotherapie als hilfreicher Methode. 339 Vormals militant abgewehrte Fremdimpulse einzelner Human Wissenschaften werden begierig introjiziert (aber nicht assimiliert!), und es kommt - zumindest auf den ersten Blick - zu sich ständig ausweitenden Partialadaptionen, die u.U. zu einer scheinbar völligen, substantiell jedoch zumeist virtuellen, Identifikation mit den vermeintlichen Aggressoren führen. Bedrohlich Empfundenes und somit Angstauslösendes wird dadurch eliminiert, daß derjenige, der sich bedroht fühlt, die Sprache und die Methode(n) seines (vermeintlichen) Gegners oder Unterdrückers übernimmt und bisweilen sogar perfektioniert. 340 In letzter Konsequenz führt das zu einer novellierten evangelikalen Ausrichtungsseelsorge, die zwar formal gewandelt auftritt, aber inhaltlich unverändert der alten entspricht.341 "Alles, was mit dem Umgang unter Menschen zu tun hat, wird aufgespalten in biblisch sanktionierte Methoden und atheistische Hintergründe. Das Böse (= Atheistische) wird ausgeschieden, um ohne Ambivalenz in einer guten (= biblisch orientierten) Welt mit den Waffen des Bösen (Methoden) zu leben und die Menschen, die sich 'ändern' wollen, therapeutisch vom Bösen zu befreien." 342 Der Seelsorgesuchende wird dabei mit dem 'seelsorgerlichen' (wenig seelsorglichen) Anspruch auf Alleinvertretung konfrontiert und mit Hilfe eigenmächtig abgewandelter Elemente der kognitiven Therapie 343 zu einer extrinsisch motivierten Sinnesänderung 339 340 341

Vgl. dazu Hagenmaier 1989, 28. Vgl. Hagenmaier 1989, 28f. Hagenmaier 1989, 29 spricht von der alten evangelikalen "Ausrichtungsseelsorge, mit verfeinertem methodischem Ansatz". - In dieser 'Wandlung' positiven Progreß zu entdecken, dürfte wohl kaum gelingen; es scheint stattdessen eher angeraten, Ideologieverdacht anzumelden und Etikettenschwindel zu vermuten.

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Hagenmaier 1989, 29. Zu den Ursprüngen bzw. der theoretischen Begründung der rationalen Therapie (RT-Therapie bzw. RET = rational-emotive Psychotherapie) siehe Ellis 1978, bes. 9ff., 39ff. u. 91ff. Die Vorwürfe, RET sei intellektualistisch und verbalistisch, sie stelle eine oberflächliche, suggestive Therapieform dar, sei direktiv und autoritär

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(Befreiung von 'falschem' Denken) geführt. Gehorsams- und Ordnungsübungen bestimmen dabei die Szenerie; Freiräume für 'Irrwege'/Umwege (vorsichtige Suchbewegungen) von Therapeut und/oder Klient ergeben sich dabei nicht bzw. dürfen oder können nicht zu- und eingestanden werden. Irrtümer sind von vornherein ausgeschlossen, da das evangelikal geläuterte Therapiegeschehen "gleichsam heilig" 344 erscheint. Der Klient gerät in eine abhängige Position, die vorhandene Unselbständigkeiten nur mehr befördert; er lernt nicht, eigenständig 'Böses' zu erkennen, zu identifizieren und einzuordnen, sondern wird restriktiv dazu angeleitet, Fremdzuschreibungen kritiklos zu übernehmen und sein Lebenskonzept dem anderer anzupassen. Es geht demgemäß nicht um die allmähliche und selbsttätige Herausbildung einer integren Persönlichkeit, sondern um die Installation einer integrierten und gefügigen Person.

Evangelikaie Tendenz-Latenzwende - Lohn der Angst?! Stelle ich abschließend die Frage nach Ursache und Begründung für den schleichenden Paradigmenwechsel (vom Modell 'Ablehnung' 345 bzw. 'Abgrenzung' und 'Kampf 346 zum 'ancilla'-Prinzip347 mit bisweilen artifizieller Überidentifikation) im Bereich evangelikaler Seelsorge, so kann eine Antwort nur ansatzweise und vorsichtig formuliert werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß dem bislang obwaltenden Streben nach Dauer bewußt ein aufrichtiges Streben nach lebendigem Wandel zugesellt

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(Gehirnwäsche) und funktioniere nur bei extrem gestörten oder geistig beschränkten Personen, versucht A.Ellis direkt aufzunehmen und offensiv zu entkräften Vgl. ebd., 197ff. Wie weit ihm das tatsächlich gelingt, sei dahingestellt. - Mir bleibt nur die Frage, was geschieht, wenn eine ohnehin schon sehr 'frag-würdige' Therapieform von ihrer Theorie losgelöst unkritisch in strukturell andersartige Handlungsbereiche transponiert wird? Ergibt sich nicht zwangsläufig ein doppelter Zersetzungsprozeß? Eine Entwicklung von der Destruktion eines therapeutischen Konstrukts hin zur Konstruktion persönlichkeitsauflösender (und Machtstruktur befestigender) Sanktions-Mechanismen (Seelsorge als rigide Zucht- und Ordnungsmaßnahme)? Hagenmaier 1989, 29. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 318. Vgl. dazu Schall u.a. 1982, 321. Vgl. dazu Mette/Steinkamp 1983.

wurde, erscheint eher gering. Auch die neueren evangelikal geprägten Seelsorgepublikationen weisen - wie oben gezeigt - autistische Ausfallerscheinungen auf und frönen ihrem gruppenorientierten und -spezifischen Egozentrismus. Wirklicher Kontakt348 ist nach wie vor nicht erwünscht. Zunächst erfolgte Dauer-Begrenzung wurde durch PseudoEntgrenzung abgelöst;349 die evangelikale Seelsorge entwickelte demgemäß keine 'Ko-respondenz-Modelle'350, sondern driftete in den Bereich diffuser Kollusionen und Konfluenzen 351 ab. Die fast beiläufig vorgebrachte Überlegung M. Hagenmaiers, "eine, lange aufgestaute, Faszination der 'Welt des Bösen'"352 sei dafür verantwortlich, kann hierbei 348

'Kontakt' soll hier im gestalttherapeutischen Sinne verstanden sein. Es geht dabei um die "Funktion, die das Bedürfnis nach Vereinigung und Trennung verbindet" (Polster/Polster 1988, 101) und nicht um bloßes Zusammensein oder Mitmachen. "Kontakt kann nur zwischen separaten Wesen auftreten, die immer Unabhängigkeit brauchen und auch immer Gefahr laufen, in der Vereinigung gefangen zu werden" (ebd., 102). "Primär ist Kontakt das Gewahrwerden und die Aufnahme der assimilierbaren Neuigkeiten, auch die Zurückweisung der unassimilierbaren Neuigkeiten. Was universell, immer gleich oder indifferent ist, ist kein Objekt für den Kontakt." Ebd., 103.

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Wirklicher Kontakt aber setzt (überschreitbare) Grenzen voraus, denn: "Kontakt unterscheidet sich vom Zusammensein oder Mitmachen dadurch, daß er an einer Grenzlinie auftritt, wo ein Gefühl des Getrenntseins beibehalten wird, so daß die Vereinigung den Betreffenden nicht zu überwältigen droht." Polster/Polster 1988, 104f. "Ko-respondenz ist ein synergetischer Prozeß direkter und ganzheitlicher Begegnung zwischen Subjekten auf der Leib-, Gefühls- und Vernunftsebene über ein Thema unter Einbeziehung des jeweiligen Kontextes." Petzold 1978, 35. Sie dient der Konstituierung von Konsens, der in Konzepten Niederschlag finden und zu kooperativem Handeln führen kann. Eine maßgebliche Voraussetzung für Ko-respondenzprozesse ist die wechselseitige Anerkennung subjektiver Integrität, die durch Konsens bezeugt wird - und sei es nur der Konsens darüber, miteinander auf der Subjektebene in den Prozeß der Ko-respondenz einzutreten. Zu den theoretischen Grandaussagen des Ko-respondenz-Modells vgl. die Thesen bei Ladenhauf 1988, 95.

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"Die Konfluenz ist ein Phantom, hinter dem diejenigen herjagen, welche Unterschiede vermindern wollen, um so die durch das Neue und Andere hervorgerufene Verwirrung zu mildern. Es ist ein Linderungsmittel, bei dem man sich mit einem oberflächlichen Arrangement abgibt, mit einem Abkommen, die Sache nicht ins Wanken zu bringen." Polster/Polster 1988, 96. Sie ist eine Art "unausgesprochener Vertrag, häufig mit versteckten Klauseln, die vielleicht nur dem einen Vertragspartner bekannt sind. In der Tat kann man an einem Konfluenzvertrag beteiligt sein, ohne jemals befragt worden zu sein oder über die Bedingungen 'verhandelt' zu haben." Ebd., 97.

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Hagenmaier 1989, 30.

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durchaus in Betracht gezogen werden,353 wobei das Faszinosum der therapeutischen Welt u.U. ganz simpel in ihrem Erfolg zu suchen ist. Es wäre durchaus möglich, daß der formale Umschwung in der evangelikalen Seelsorge in einer tiefwurzelnden Angst vor Macht- und Einflußverlust gründet; vielleicht stellt er nichts anderes dar als einen hilflosen Versuch, die Diskrepanz(en) zwischen Omnipotenzphantasie und Ohnmachtserfahrung (und daraus resultierende innerpsychische Spannungen 354 ) aufzuheben. Es ginge dann in der Tat nicht um Aneignung lebendiger Fremdimpulse (mithin Entwicklung und Veränderung des eigenen Standpunktes),355 sondern in erster Linie um taktisch klug (wenn auch nicht bewußt) vorgenommene Bestandssicherung. Wäre dies der Fall, dann hätte ich ein (zwanghaftes?) utilitaristisches Vorgehen zu konstatieren, das in gewisser Weise narzißtisch und zugleich

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Den Ausführungen M. Hagenmaiers, "die (vermutete) Krise der Psychotherapie wäre für Seelsorger aus Kreisen, die diese bisher abgelehnt haben, kein Grund, sich gerade dorthin zu wenden" (Hagenmaier 1989, 29f.) schließe ich mich an. Die zerfallen(d)e 'Psycho-Szene' der 70er Jahre dürfte (vorhandene) Ablehnungstendenzen eher verstärken, da die 'Zerfalls-Produkte' des 'grauen' und 'alternativen' Psychotherapiemarktes zunehmend mit religiösem und/oder esoterischem Anspruch bestückt auftreten. Zur Krise der Psychotherapie und deren Folgen vgl. Hemminger 1988. In der 'Neuen Zürcher Zeitung' vom 22.2.1990 äußerte der schweizerische Theologieprofessor G. Schmid die Auffassung, der fundamentalistische Glaube von Protestanten führe häufig zu innerpsychischen Spannungen und Erkrankungen: Evangelikaie "seien oft innerlich zerrissen zwischen 'göttlicher Wahrheit' und eigenen menschlichen Fehlern. Nach dem Hochgefühl der Bekehrung zu Gott komme im Alltag oft 'das entsetzliche Wissen: Ich bin nicht, was ich sein sollte. Ich empfinde nicht bibelgemäß'. Dies führt... oft zu 'fundamentalistisch gefärbten Depressionen', häufiger aber zu Aggressionen gegen die Ungläubigen der Welt. ... 'Hinter der äußeren Sicherheit verbergen sich fast unmenschliche Gegensätze', warnt Schmid und verweist auf die Intoleranz der Fundamentalisten. Das komplexe Leben werde reduziert auf die einfache Alternative Gut und Böse." epdMeldung 1990. - Gruppierungen mit fundamentalistisch-evangelikaler Prägung bezeichnet G. Schmid als '"reaktionär-religiös, da sie nicht an Traditionen des Glaubens anknüpfen wollten, sondern nur nach 'einer unerschütterbaren Wahrheit' suchten" (ebd.). Dies sei "eine Antwort auf den Zerfall religiöser Tradition, auf die verwirrende Vielfalt des religiösen Pluralismus und nicht zuletzt auch eine Antwort auf die spirituelle Armut unserer Kirchen" (ebd.); es sei demgemäß angeraten, derartige 'Bewegungen' als eine "Herausforderung zur Toleranz" (ebd.) 'wahrzunehmen'. Verändert - und das nicht selten willkürlich - wird substantiell nur der andere. Angst vor Überfremdung führt zu unsachgemäßer Verfremdung; es geht nicht um vorsichtige Annäherung und kritische Aneignung, sondern um Überwältigung.

lieblos erschiene. Die Gefahr einer neuen modernistisch verbrämten 'Eigen-Gesetzlichkeit' würde sichtbar; der therapeutisierte Biblizismus bzw. die biblizistisch orientierte Therapie erschiene als Notmaßnahme zur Restitution geschwächten Selbstverständnisses, die statt zur Begegnung nur zu einer neuen Variante klassischer Vergegnung, d.h. zu einer fragmentierten Pseudo-Beziehung zwischen Seelsorge und Psychologie/ Psychotherapie geführt hätte.

Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie Im Irrgarten der Verhältnisbestimmungen IIA "Die Diskussion darüber, wie sich Psychotherapie und Seelsorge zueinander verhalten, ist in der Gegenwart noch zu keinem definitiven Abschluß gekommen." 356 Diese vor annähernd zehn Jahren von V. Läpple und J. Scharfenberg getroffene Feststellung besitzt - betrachte ich meine bisherigen Ausführungen - auch heute noch ihre Gültigkeit, obwohl gerade das letzte Jahrzehnt geprägt war durch 'klimatische Veränderungen in der Großwetterlage' im Umfeld der offensichtlich so ungleichen Schwestern. Die unterschiedlichen Versuche einer Verhältnissetzung bzw. -bestimmung wurden dabei keineswegs weltanschauungsfrei vorgenommen, sondern verliefen gemäß der zum Teil berufsbedingten jeweiligen ideologischen und/oder theologischen Prägung. So läßt sich z.B. das gegenwärtig vorfindliche 'Klima' u.a. auch berufsgruppenspezifisch bestimmen. Auf Seiten der Theologen (Seelsorger)357 läßt sich zunehmend wohlwollende Vorsicht konstatieren; die weitgestreute Gruppe der Vertreter tiefenpsychologischer Schulen 358 repräsentiert häufig eine weniger stark auf den Dialog abzielende Haltung agnostizierenden Desinteresses. Die Praxis des Umgangs respektive des NichtUmgangs miteinander ist hüben und drüben geprägt durch in erster Linie affektive Reaktionen. Man setzt sich u.U. auseinander, indem man sich nicht zusammensetzt. Die Angehörigen beider 'Lager' schwanken zwischen Abwehr bzw. Rückzug (bei Theologen häufig legitimiert 356 357 358

Läpple/Scharfenberg 1977,1. Dieser Sammelbegriff ist ebenso definitionsbedürftig wie sein Pendant 'Psychologen/Psychotherapeuten'. Vgl. Dorsch 1976, 466. - Einen guten Überblick über die speziell tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegenwart vermittelt Wyss 1977.

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durch sogenannte 'Rechtgläubigkeit') und Neugierde, die nicht selten durch einen regelrechten 'Erfahrungshunger', ein ausgeprägtes Bedürfnis nach empirischen Grunderfahrungen und/oder empirischer Absicherung, gespeist wird. Dieser relativ große Spannungsbogen erschwert auch die Entwicklung adäquater praxisrelevanter theoretischer Konzeptionen; solange die Praxis durch Vorurteile bestimmt wird und darüberhinaus unreflektiert bleibt, erscheint es unwahrscheinlich, daß es zu einer Herausbildung konkreter Modelle der Abgrenzung bzw. In-Beziehung-Setzung von Seelsorge und Psychologie kommen kann. Wenn ich als Seelsorgerin mit christlichem Selbstverständnis meine eigene seelsorgerliche Identität359 nicht in Gefahr bringen will, darf ich humanwissenschaftlich beeinflußte Methoden und Techniken weder von vornherein abwehren noch unreflektiert als nicht-assimiliertes Introjekt360 übernehmen.361 Es gilt vielmehr zu prüfen,362 ob, und wenn ja, wie weit Integration möglich ist. Aber auch der Frage danach, ob Integration überhaupt nötig ist, darf nicht aus dem Wege gegangen werden.363 M.E. wurde in den letzten Jahren in den Debatten um Seelsorge und Psychologie allzu häufig 359

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Hier ist der Begriff 'seelsorgerlich' ausnahmsweise angemessen. Zwar mag es, rollensoziologisch gesprochen, auch eine 'seelsorgliche Identität' des Seelsorgers geben, diese wäre jedoch auf jeden Fall nur 'Teilidentität' und nicht auf die Persönlichkeit des Rollenträgers in ihrer Gesamtheit zu beziehen. Zum Vorgang der Introjektion bzw. ihrer Aufhebung vgl. u.a. Polster/Polster 1988, 78ff. Auf die Notwendigkeit geschärften Kritikvermögens auf Seiten der 'theologischen Rezipienten' psychologischer Erkenntnisse, Methoden etc. hat nicht zuletzt bereits E. Thurneysen in aller Deutlichkeit hingewiesen (vgl. u.a. Thurneysen 1988, 174), mögen dabei auch seine Motive und Abzweckungen im einzelnen anders gelagert gewesen sein als die meinigen: Wo es E. Thurneysen in erster Linie um 'kritische Abgrenzung' zu tun ist, votiere ich für 'reflektierte Übernahme'. Die Fähigkeit zur kritischen Prüfung der eigenen und fremder Überzeugungen, Meinungen und Vorstellungen etc. scheint mehr und mehr zu verkümmern. Speziell unter Theologen läßt sich eine gewisse 'Lethargie im Denken' feststellen. R. Bohren bezeichnete das Ergebnis dieser 'Denkfaulheit' in einem Vortrag während des Symposions anläßlich des 100. Geburtstags von E. Thurneysen in der Evangelischen Akademie Iserlohn am 18.6.1988 als 'Häresie der Harmlosigkeit'. Letztere läßt keine letzten Fragen zu; sie geht vielmehr mit der Verdrängung prophetischer Kritik einher und entfernt sich so von Jesus Christus, dem Antipoden aller Harmlosen. Auch die kritische Frage danach, ob die Behandlung leidender Menschen mit psychotherapeutischen Methoden (als Integrationsergebnis) im christlichen und damit im allgemeinen im kirchlichen Kontext zu den eigentlichen Aufgaben des seelsorg(er)lichen Auftrags gehören kann respektive darf, muß zugelassen sein. Vgl. z.B. Läpple/Scharfenberg 1977,1.

einem radikalen Entweder-Oder von Trennung und symbiotischer Einheit das Wort geredet. 364 W o auf den ersten Blick Verschiedenartiges, Gegensätzliches und/oder Unvereinbares zusammengebracht werden sollte, sprach man von Integration; Methoden unterschiedlichster Provenienz flössen zusammen, und das Ergebnis erhielt - mitunter vorschnell - das Etikett integrativ,365 Mehr und mehr wurde die Tatsache aus dem Blick verloren, daß es auch ohne Integration 366 ein Miteinander verschiedener Größen geben kann.

K. Winkler: Mut zur Konkurrenz Besondere 'Berührungsängste' entwickelten sich im Umfeld der Forderung nach realistischem Konkurrenzverhalten, wie sie m.E. am pointiertesten von K. Winkler vorgebracht wurde und gegenwärtig noch wird. 367 364 365

Dies gilt sowohl innerdisziplinär als auch interdisziplinär. Ein bekanntes Beispiel gelungener (?) Integration im Bereich der Psychologie dürfte die sogenannte Integrative Therapie nach H. Petzold u.a. sein. Der Name ist hier Programm - wie auch die Beiträge der seit 1975 erscheinenden Zeitschrift für Integrative Therapie zeigen. Unterschiedlichste Verfahren Humanistischer Psychologie und Pädagogik werden hier kumulativ erfaßt und miteinander verbunden. Das kann durchaus - zumal in konkreter therapeutischer Situation - hilfreich sein; es birgt jedoch, ein wenig überspitzt formuliert, auch die Gefahr synkretistischer Vereinerleiung in sich.

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Es ist mir hier nicht darum zu tun, pauschal gegen Integration - gleich welcher Art zu wettern. Integration darf jedoch nicht zur Chiffre mit 'Deckmantelfunktion' degenerieren bzw. zur einzig positiven Verhältnisbestimmung zwischen zwei autonomen Größen avancieren. Analoges gilt m.E. auch für Begriffe wie Kooperation und Konfrontation etc. So z.B. in einem Vortrag während des Symposions anläßlich des 100. Geburtstags von E. Thurneysen in der Evangelischen Akademie Iserlohn am 18.6.1988. Das hier Vorgebrachte wird im folgenden mit Hilfe von Erinnerungsprotokollen kurz zusammengefaßt, um so eine der m.E. neuesten Varianten zum Thema 'Verhältnisbestimmung zwischen Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie' zumindest ansatzweise zur Sprache kommen zu lassen. Da es sich bei den Ausführungen K. Winklers ganz offensichtlich um eine Variante (Dublette?) eines gedruckt vorliegenden Vortrags vom 17.1.1988 (gehalten während des ThurneysenSymposions in Bad Boll vom 15.1. bis zum 17.1.1988) handelt, wird in den Anmerkungen auf die Druckfassung (Winkler 1988) rekurriert, um so markante Zitate etc. exakt zu belegen.

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Diese Position verbindet Theologie/Seelsorge und Psychologie/ Psychotherapie unter bewußter Abkehr vom ansonsten gängigen Rekurs auf integrative Kräfte und beruft sich auf den notwendigen 'Kon-kurs', das latent ohnehin vorhandene Konkurrenzpotential368 zwischen Theologen und Psychologen. K. Winkler verweist auf drei - in seiner Einschätzung symptomatische - neuralgische Punkte der gegenwärtigen Seelsorge: 1) auf das insgesamt (zu) wenig reflektierte Säkularisierungsphänomen, 2) auf die mangelhafte Berücksichtigung der aktuellen 'Grundstörungsdebatte' und 3) auf das eindeutig defiziente Konkurrenzverhalten der Seelsorge(r).369 Zu l) 3 7 0 Die fortschreitende Säkularisierung und der damit zwangsläufig verbundene Funktionswandel der Religion führt nach K. Winkler entweder zu einem Wirklichkeitsverlust, der durch das starre Festhalten am Althergebrachten verursacht wird, oder aber zu einem realistischen Anerkennen und dem Versuch des Aushaltens von Ambivalenzen. Letzterem inhäriert - trotz aller positiven Bewertung - die Gefahr einer Überhöhung des Säkularisierungsbegriffs; er kann durchaus vorschnell theologisiert und damit in gewisser Weise domestiziert werden. Wo dies geschieht, wird progressive Idealbildung von regressiver abgelöst bzw. eingeholt, und es kommt schlimmstenfalls zur Abkapselung, d.h. zu rückzüglichem Verhalten, ich könnte auch sagen: zu Ausweichverhalten auf kollektiver Basis. Der einzelne wird in neue religiöse Erfahrungsgefilde geführt, ohne daß ihm die damit u.U. verbundene "maligne Regression"371, oft verknüpft mit 'verkapptem Säkularismus'372, bewußt (gemacht) wird. 373 Von einem kritischen Prinzip, das Aufnahme und Mit368

369 370 371 372 373

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Besonders in Theologenkreisen gilt Konkurrenz - m.E. - oftmals als unschicklich. Wer konkurriert, gebärdet sich angeblich unkollegial, wenn nicht sogar unsozial. Konkurrenzverhalten trägt den Stempel des Abweichenden, negativ zu Sanktionierenden; der Konkurrierende ist ein Gegner, den es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen gilt - wodurch einem ungehemmten (und in der Konsequenz oftmals negativen, weil verletzenden) Ausleben eigener uneingestandener Ängste in Form von Aggressionen Tor und Tür geöffnet wird. Realistische, progressive Konkurrenz wird so durch zerstörerische, und damit in gewisser Weise regressive, beantwortet bzw. be- und verhindert. Konkurrenz wird daraufhin häufig im 'Nachklapp' undifferenziert pauschal diffamiert. Vgl. Winkler 1988, 444f. Vgl. dazu Winkler 1988, 445ff. Winkler 1988,447. Vgl. Winkler 1988, 447. So z.B. in der New-Age-Bewegung oder auch in der 'Selbsterlösungslehre' Kübler-Ross'scher Provenienz.

nähme, oder anders gesagt: Zuhören und Zusprechen (von Trost, des Evangeliums etc.), in gleicher Weise ermöglicht, kann in diesem Zusammenhang dann kaum mehr gesprochen werden. Es geht vielmehr um Anpassung, wenn nicht gar um völlige Selbstaufgabe. Zu 2) 374 Nicht wenige Seelsorger leiden nach K. Winkler - nur selten eingestanden und darum auch häufig unausgesprochen - unter Störungen ihres Selbstwertgefühls. Die Gründe dafür sind gewiß vielfältig; einer jedoch liegt ohne Zweifel in den grundsätzlichen Antinomien innerhalb der gegenwärtigen Seelsorgeszene; diese fördern Zwiespältigkeit(sgefühle) und erschweren so die Herausbildung von Selbstvertrauen und Selbstverständlichkeit in der Eigendarstellung der Theologenschaft vor Ort. Die Vielfalt lehr- und lernbarer (tiefen)psychologischer Methoden läßt kaum etwas zu wünschen übrig; die Empfehlungen reichen vom Abwartenkönnen(müssen), dem freundlichen Verstehen und dem langanhaltenden Eintauchen in die präsentierte Klientenproblematik bis hin zur nachgehenden Vorgehensweise Thurneysenscher Provenienz. Regressionsermöglichung steht ebenso wie Progressionsverwirklichung auf dem Programm; der Seelsorger ist aufgefordert (und damit oft überfordert), ad hoc (s)eine Wahl zu treffen, und nicht selten tauchen in dieser Situation keineswegs marginale und häufig verunsichernde Fragen auf: Darf Seelsorge selektiv auf die Seelsorgesuchenden eingehen? Besteht eine Affinität zwischen einer spezifischen Seelsorgemethode und einer bestimmten Klientel? Beeinflußt womöglich die Klientel die Methode? Seelsorger, die diese Fragen unbewußt oder sogar bewußt umgehen, anstatt mit ihnen umzugehen, geraten nicht selten in den Sog methodennivellierender Gleichstellung zwischen Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie; ihnen erscheint dann alles gleich gültig375, und damit ist u.U. indifferenter Gleichgültigkeit der Weg gebahnt. Eine andere Art, der Extension und in gewisser Weise auch Inflation psychologischer Verfahrensweisen zu entkommen, mag das mitunter völlig unkritische Eingehen auf den Ruf nach einer 'neuen Psychologie' 376 dar374 375

376

Vgl. dazu Winkler 1988, 449ff. Wem alles 'gleich gültig' erscheint, dem wird mitunter unversehens alles 'gleichgültig'. Vgl. Zahrnt 1960, 30, wo diese geprägte Wendung in bezug auf die orthodoxe Inspirationslehre erscheint. Die Notwendigkeit einer 'neuen Psychologie' hat wohl als erster - wie bereits festgestellt - E.Thumeysen postuliert. Vgl. Thurneysen 1928, 217. Seine Entscheidung für diese Art der Psychologie (der man, um Mißverständnisse zu vermeiden, vielleicht einen ganz anderen Namen geben sollte - eigentlich handelt es sich bei E. Thurneysen um 'eschatologische Anthropologie'; ich könnte auch sagen: um

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stellen. Wo ein Seelsorger als selbsternannter Zeuge dieser Novität auftritt, kann er in Winklerscher Einschätzung auch sehr schnell zum heimlichen Kirchenfürsten werden und zum Propheten in eigener Sache avancieren, da die 'neue Psychologie' zwar denkbar, aber nicht erlebbar zu machen und somit schwer nachvollziehbar ist.377 Zu 3) 378 Als auffälligstes Merkmal (Stigma) im Verhaltensrepertoire von Theologen/Seelsorgern markiert K. Winkler ein - seiner Diktion nach - harmloses, unrealistisches Konkurrenzverhalten379, das sich u.a. in der Einstufung und Bezeichnung der Psychologie als bloßer Hilfswissenschaft auch sprachlich niederschlägt. So lange die Psychologie zur Helfenden domestiziert kurzgehalten werden kann, wird realistische Konkurrenz verunmöglicht; es gibt kein Einflußgleichgewicht, sondern ein künstlich erzeugtes Bedeutungsungleichgewicht. Die Theologie beschwört ihren 'Mehrwert' und nötigt sich selbst damit an der Spitze der Werthierarchie zur Gratwanderung. Wo dann in lichter Höhe - mitunter ganz plötzlich - fortschreitender Einflußverlust der Seelsorge zu konstatieren ist, wird entweder die Glaubensdimension radikal verdrängt und durch ein '"szientistisches Selbstmißverständnis'"380 ersetzt - der Seelsorger erscheint als der ausschließlich Wissende - oder aber ein elitäres Erwählungsbewußtsein (mitunter gepaart mit schroffem 'Fideismus') von den an der durch Renommeeverlust gezeichneten Seelsorge Beteiligten greift Raum. Beides vollzieht sich zunächst einmal unbewußt und soll durch Haltvermittlung entlastend wirken. Dieses Ziel dürfte jedoch auf Dauer wohl kaum erreicht werden. Vielmehr destruieren 'Szientismus' und 'Fideismus' die Bemühung(en) um Kontakt zwischen Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie in gleicher Weise - bezeichnen sie doch rein rückzügliche Festigungsstrategien, denen jegliche 'Progressivität' fehlt. Dem häufig anzutreffenden, tendenziell regressiven Konkurrenzunvermögen von Theologen/Seelsorgern stellt K. Winkler seine Forderung nach progressivem weltanschaulichem Konkurrenzvermögen gegen-

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Anthropologie im Blick auf das Eschaton) stellt jedoch alles andere als durch Überforderungsgefühle hervorgerufenen Escapismus dar. E. Thurneysen ist nicht am 'Ausstieg' gelegen, sondern am bedingungslosen Sich-Einlassen auf Gott (die andere Dimension), der dem Menschen von sich aus 'Aufstieg' gewährt. Vgl. Winkler 1988, 450. Vgl. dazu Winkler 1988, 453ff. Bei Winkler 1988, 454 ist die Rede von einer "durch Domestikation verharmlosten Konkurrenz zwischen dem Seelsorger und dem Psychotherapeuten". Winkler 1988,454 übernimmt diesen Ausdruck von J. Habermas.

über. Statt von einer 'neuen Psychologie' wird von der Notwendigkeit 'neuer Polemik' gesprochen; der Konkurrent soll weder als Freund (Symbiose) noch als Feind (Abkapselung, Trennung) gesehen werden, sondern als gleichrangiges Gegenüber, das seine Prämissen, Zielvorstellungen und Methoden möglichst angstfrei und selbstbewußt darstellt bzw. anbietet und den Vergleich mit dem anderen nicht scheut.381 Wo Konkurrenz so bewußt ausgelebt wird, erscheint sie als - vielleicht - ungeliebte, aber auf jeden Fall heilsame Beunruhigung; sie fördert nicht nur den Kontakt und (im guten Sinne streitbaren) Dialog zwischen Helfenden, sondern vermehrt auch die (Auswahl-)Möglichkeiten der Hilfesuchenden. Es wird einerseits regelrecht um Klienten geworben und andererseits für Klienten 'gehandelt'; Konkurrenz im Sinne K. Winklers ist demgemäß in mehrfacher Hinsicht förderlich und trägt zu größerer Offenheit und wohl auch Akzeptanz zwischen allen Beteiligten bei. 382 Trotz der zweifellos vorhandenen Überzeugungskraft der Überlegungen K. Winklers darf eines bei der Bewertung bzw. Rezeption seines Ansatzes nicht völlig außer acht gelassen werden: Die Forderung nach neuer Polemik und realistischem Konkurrenzverhalten ist in gewisser Weise immer von vornherein durch den Negativ-Ballast der Erfahrungen mit alter Polemik und unrealistischem Konkurrenzverhalten beschwert. Ein positives Verständnis von bzw. Verhältnis zu Polemik und Konkurrenz kann deshalb m.E. nur dort entwickelt werden, wo Begriffsklärung bzw. inhaltliche Auffüllung der Begriffe immer wieder und in extenso vorgenommen wird. Das bedeutet - rein pragmatisch gesehen - einen erheblichen Aufwand, der u.U. unzweckmäßig, wenn nicht gar zwecklos sein könnte. Neuer Wein in alten Schläuchen droht nun einmal auszulaufen bzw. nachzugären ('umzukippen'). - Im letzten sind auch die neue Polemik und die realistische Konkurrenz nur so stabil wie das jeweilige (Selbst-)Verständnis der sie Betreibenden. Realistisches Konkurrenzverhalten setzt Selbst(er)kenntnis und wirklichkeitsgerechte Selbsteinschätzung voraus; und nur wo ein Seelsorger seine spezifischen Prämissen, Zielvorstellungen und Methoden benennen kann, wird ein Vergleich mit anderen möglich. 383

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Vgl. Winkler 1988,455. "Solche Konkurrenz würde im guten Sinne des Wortes das Geschäft heben." Winkler 1988,455. Gleiches gilt selbstverständlich für die Psychotherapeuten.

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Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie Im Irrgarten der Verhältnisbestimmungen IIB Mit der zuletzt gemachten Feststellung bin ich unversehens bei der Frage nach dem sogenannten Proprium der von Christen vorgenommenen Seelsorge angelangt. Und gerade diese wurde m.E. in den letzten Jahren allzu häufig als Legitimationsfrage (miß)verstanden. Die Theologen, die sie zu stellen wagten, gerieten sehr schnell in den Verdacht, Selbstrechtfertigung statt Selbstdarstellung betreiben zu wollen bzw. noch schlimmer - zu müssen. Auch die immer wieder vorgebrachte Frage, ob die Behandlung leidender Menschen mit psychotherapeutischen Methoden im christlichen und damit zumeist im kirchlichen Kontext zu den eigentlichen Aufgaben des seelsorg(er)lichen Auftrags gehören kann respektive darf, 384 wurde anscheinend geflissentlich überhört bzw. a conto Unsicherheit der Fragestellenden verbucht.385 - In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert und in gewisser Weise bezeichnend, daß gerade die Theologen Selbstbesinnung betrieben haben, während das Gros der Psychologen/ Psychotherapeuten stillschweigend Kompetenz und/oder Zuständigkeit voraussetzte.386 Eine Diskussion um ein 'psychologisches/psychotherapeutisches Proprium' läßt sich meiner Kenntnis nach nicht nachzeichnen. Zwar gibt es einschlägige Versuche, die Spezifika unterschiedlicher psychologischer/therapeutischer Schulen zu bestimmen, 387 aber das Besondere der Psychologie/Psychotherapie im Gegenüber und/oder Gegensatz zur Theologie wird im allgemeinen nicht erörtert.388

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Vgl. Läpple/Scharfenberg 1977, 1. U.U. ist die Frage nach dem sogenannten 'Proprium' der von Christen vorgenommenen Seelsorge ebenso wie die nach der Eindeutigkeit der Zuständigkeit von Seelsorgern und Psychologen/Psychotherapeuten tatsächlich nur vorläufig und partiell zu beantworten; dies darf m.E. jedoch nicht zu einer völligen Desavouierung bzw. Ausgrenzung der Frage als solcher führen. Vgl. dazu u.a. Bernet 1988, 49ff., wo - die Ausnahme bestätigend - auf F. Meerwein hingewiesen wird. Vgl. z.B. Wyss 1977. Das mag ursächlich mit der (mitunter abstoßenden) Anspruchshaltung der Theologenschaft, mit deren Elitedenken und Absolutheitsvorstellungen, die Legitimationsdruck verursachen, zusammenhängen. Selbst ein so aufgeschlossener und kritischer Beobachter der Szene wie H.-M. Zöllner, der sich als klinischer Psychologe und Therapeut an die Frage danach, warum ein Pfarrer nicht Psychotherapeut sein kann, heranwagt, bekennt, froh darüber zu sein, daß er 'nur' Psychologe

Wenn nun hier und im folgenden der Versuch unternommen werden soll, die Propriumsfrage erneut zu stellen, dann kann das verantwortlich nur im Bewußtsein der benannten 'Vor-Urteile' und 'Ungleichgewichtigkeiten' geschehen. Es geht dabei keineswegs um die Prolongierung des bekannten (theologischen) Selbst(miß)verständnisses389, das davon überzeugt sein läßt, Absolutheitsansprüche geltend machen zu können bzw. zu müssen, ohne das jeweilige Gegenüber adäquat zu berücksichtigen. Wenn ich hier die Spezifika christlicher Seelsorge reflektiere, dann geschieht das nicht zum Zwecke überheblicher Distanzierung, sondern in der Hoffnung, eine Verhältnissetzung bzw. -bestimmung (Annäherung) zwischen Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie erlangen zu können, die den 'zweieiigen Zwillingen' gerecht wird. 390 Es erscheint mir dabei selbstverständlich, daß dies nur dann gelingen kann, wenn Vertreter beider Disziplinen dazu bereit sind, die eigenen Grundlagen zu reflektieren und auf ihre 'Tragfähigkeit' hin zu prüfen; nur gründliche (Selbst)kritik hüben und drüben kann letztlich zu einer lebensfähigen und lebbaren - wie auch immer gearteten - Beziehung führen. Ich will versuchen, meinen Beitrag dazu im folgenden zu leisten, und zwar wohl wissend, daß dies nur ein 'gewagter' Schritt sein kann, dem andere 'notwendig' folgen müssen. Erst in dem Moment, in dem auch die Psychologie/Psychotherapie (gemeint sind die Psychologen/Psychotherapeuten) damit beginnt, selbstkritisch zu verfahren, gerät die Seelsorge (und d.h. die Seelsorger) völlig aus dem Dunstkreis der Selbstbezichtigungen heraus und kann so nicht nur dialogwillig, sondern im Vollsinne dialogfähig werden.391

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ist. Vgl. Zöllner 1985, 19. In diesem Zusammenhang erscheint weniger ganz offensichtlich als mehr (wert) bzw. weniger als eher einlösbar. Das häufig mit maßloser Selbstüberschätzung und geistlicher Hybris gekoppelt erscheint. Und das ohne Begrenzungs wut auf der einen oder Entgrenzungswut auf der anderen Seite. M.E. geht die Verwendung der neutralen Sammelchiffren 'Psychologie/Psychotherapie' und 'Seelsorge' allzu oft mit einer Abstrahierung/Absehung von personaler Verantwortung einher. Die Psychologie im allgemeinen ist aber ebenso handlungsunfähig wie die Theologie im allgemeinen. Immer sind konkrete Menschen aufgerufen, etwas zu entscheiden, etwas zu tun oder eben auch nicht zu tun.

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c. Versuch einer neuen Standortbestimmung

Prolegomena Seelsorge heute ist - gewollt oder ungewollt - Teil eines dichten Beziehungsgeflechtes einer immer komplexer und komplizierter werdenden säkularisierten, sich fortsäkularisierenden Welt1, die u.a. durch zunehmende Segmentierung und fortschreitende Traditionsabbrüche2 geprägt wird. Die Notwendigkeit, sich ständig wandelnden Situationen immer wieder neu anzupassen (Flexibilitätszwang) und dabei die eigene Leistung permanent zu steigern (Leistungsdruck), führt zu ÜberforderungsSyndromen (Streß3); Unsicherheitsgefühle breiten sich aus und wirken schleichend depersonalisierend. Nicht eben selten führen gesellschaftlich bedingte 'Teil-Entwurzelungen' zu radikalem 'Heimatverlust' und verursachen Flucht- bzw. Vermeidungsreaktionen ('innere Emigration' und/oder generelle 'Sprachlosigkeit').4 Auch Seelsorger werden - angesichts dieser desolaten Grundsituation - bisweilen versucht sein, sich auf eine 'einsame weiße Insel', eine 'theologische Exklave am Rande der Zeit', zurückzuziehen (reaktiver Escapismus). Wo dies geschieht, entstehen zwangsläufig weitere Spannungen, da es zur Herausbildung einer künstlichen Gegenwelt kommt, die zusätzlich dichotomisierend, aber nicht integrierend (verbindlich verbindend) wirkt.5 Mutiger erscheint mir die Wahl der Alternative, als Seelsorger bewußt und freiwillig gesellschaftliche, und das heißt immer auch politische Funktionen zu über-

1 Säkularisierung soll hier und im folgenden mit E. Lange als historischer Prozeß des Zerfalls von Traditionen (vgl. dazu Lange 1982a, 76f.), der mit einer zunehmenden Diesseitsorientiertheit einhergeht, aufgefaßt werden. In der säkularen, sich fortsäkularisierenden Gesellschaft ist Traditionalität kein allverbindlicher, sakrosankter Wert mehr, der selbstverständlich Gültigkeit beanspruchen kann. "Überall hat der Mensch ein gebrochenes Verhältnis zur Tradition: Er wählt, er entscheidet, er meint, er eignet an, er verwirft (Pluralismus). Und das ist ein total neues Verhältnis zur Tradition, hinter das es kein Zurück gibt..." Ebd., 77. 2 Traditionsabbrüche lassen sich nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch innerkirchlich konstatieren. Überlieferte Frömmigkeitsformen werden vergessen oder von anderen Riten und Ritualen überlagert; gespeichertes Glaubenswissen 'versandet' und kann kaum mehr ausgemacht werden. 3 Zum Bedeutungsspektrum des Begriffs 'Streß' siehe Schneider-Harpprecht 1989, 188ff. 4 Und das bei Seelsorgern ebenso wie bei ihren Klienten. - 'Fern-Sehen' ersetzt 'NahSehen', Gebrauch wird durch Verbrauch abgelöst, und wo Erfüllung sein sollte, herrscht Übersättigung. 5 'Insulierung' führt zu Isolierung und macht (ver)handlungsunfähig.

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nehmen,6 um - wenigstens partiell - lebensfördernde (selbst)kritische Veränderungen zu ermöglichen und/oder lebenshemmende Entwicklungen zu verhindern.7 Wer sich dieser Aufgabe stellt, kann dazu beitragen, stabile und auch brüchige Sinnstrukturen zu thematisieren; es wird ihm möglich, bei der Repräsentation vorhandener Werte helfend zu intervenieren und die Etablierung neuer Werte stützend zu begleiten. Der Seelsorger wirkt so als 'personale Vergewisserungsinstanz', die zum Leben in Freiheit8 (auch und gerade in Grenzsituationen, die an die Ränder des Lebens führen und als Bruch, als Einbruch oder Zusammenbruch im Lebenskontinuum erfahren werden) ermutigen will bzw. kann und u.U. sogar dazu befähigt, Krisen9 generell als zum Leben gehörige 'not-wendige' Entwicklungsphasen, als Umbrüche bzw. Aufbrüche, zu akzeptieren und demgemäß zu tolerieren.10 Wo dies gelingt, wird Konfliktbear-

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Nur durch kritische Reflexion vorhandener Handlungspotentiale kann vermieden werden, daß Seelsorge (Theologie) unbewußt und unfreiwillig zur leicht lenkbaren (zuhandenen) 'Erfüllungsgehilfin' von Fremd- und Machtinteressen wird, die neutralisierend wirkt und durch Beförderung kontrollierender und strafender innerer Instanzen zur Stabilisierung autoritärer Außenstrukturen beiträgt. Seelsorge, die in erster Linie zu sozialem Konformismus und angepaßter Realitätstüchtigkeit anleitet und so im Horizont konventionell präformierter Wirklichkeit geschieht, verhindert eine "prüfende Besinnung darauf, was das 'Ich' - jenseits zugemuteter Rollenerwartungen - sein könnte und sein will" (Luther 1986, 6); sie unterdrückt die Herausbildung kritisch-transzendierender Perspektiven, die den menschlichen 'Möglichkeitssinn' freilegen, und fixiert so die Eindimensionalität bloßer Alltagsroutine.

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Konkurrenz kann und soll dabei nicht ausgeschlossen werden; sie erscheint vielmehr belebend. Vgl. dazu Winkler 1988, 455. 8 "Freiheit heißt ein Zustand, in dem alle Anforderungen des Lebens, alle Leistungen, die gefordert und beurteilt werden, in einem letzten Sinne nicht über den Bestand des Menschen entscheiden, das Leben also nicht mehr lebensgefährlich ist, ohne Risiko, alles gewinnen oder verlieren zu können. Frei sein heißt, von dieser absoluten Lebenssorge befreit zu sein. Einen Zustand nennen wir diese Freiheit, wenn die Bedingungen für diese Freiheit vom einzelnen nicht hervorgebracht werden müssen, sondern ihm gegeben werden und ihm als diese Gabe deutlich gegenübertreten." Rendtorff 1977, 129; vgl. dazu Luther 1986, 9f. 9 Zum Begriff der 'Krise' siehe Schneider-Harpprecht 1989, 195ff. 10 H. Luther betont, seelsorgerelevante Situationen seien "per definitionem gerade solche, in denen der fraglose und reibungslose Lebensvollzug eben nicht mehr gesichert und nicht mehr selbstverständlich ist" (Luther 1986, 11), und insistiert darauf, Seelsorge werde immer an den Rändern des Lebens notwendig, "dort, wo Brüche die bisherige Kontinuität irritieren und das Weitermachen-wie-bisher fragwürdig" (ebd.) wird. Seelsorgesituationen beschreibt er demgemäß als "Grenzsituationen, die durch biographisch bedingte Erfahrungen wie Krankheit, Tod, persönliches Scheitern und Versagen ebenso aufbrechen wie durch sozial vermittelte Gefährdungen

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beitung bzw. -Verarbeitung möglich; diese wiederum wirkt idealiter identitätsbildend und/oder ich-stabilisierend und verstärkt so u.a. Gemeinschaftsfähigkeit, die ihrerseits Traditionsweitergabe und -entwicklung fördert. Wo letztere im guten Sinne stabilisierend Raum gewinnen, werden neue (zunächst vielleicht befremdliche) Lebens-Perspektiven eher zugelassen;11 auch die Auseinandersetzung mit dem Numinosen, dem Heiligen, kann dann eventuell ganz neu gewagt und als Chance 'wahrgenommen' werden.12 Seelsorge tritt so als "umfassende Sorge um das 'Selbst-Sein-können'"13 einzelner (in Gemeinschaft) in Erscheinung und durchbricht die Eindimensionalität bloßer Alltagsroutine, die Grenzen verstärkt und Entfremdung befördert, indem sie die wirklichen Kräfte, die Dynamis des Evangeliums 'entfesselt'.14 Statischem Denken, das den wohl integrierten Menschen heraufbeschwört und im Gewand 'Tabu-Gehorsam'15 heischender Ausrichtungsseelsorge einhergeht, tritt dann dynamisches Denken, das personale Integrität erwirken und zulassen will, entgegen; Seelsorge wird zum 'Prozeßgeschehen', das auf diskursive 'Ko(n)sensbildung' abzielt, aber auch 'Di(s)sens' zuläßt und aushält.16

der bergenden Gemeinschaft mit anderen" (ebd.). - Ich stimme den Lutherschen Ausführungen prinzipiell zu, moniere jedoch die Ausschließlichkeit, mit der hier Seelsorge als Krisenintervention bzw. Grenzsituation verstanden wird. Seelsorge hat m.E. immer auch prä- und/oder postventive Funktionen zu übernehmen und sollte selbstverständlich außerhalb akuter Krisen in Anspruch genommen werden können. 11 Traditionen, die nicht erstarrt und verkrustet sind, schaffen 'Geborgenheitsraum', der Handlungsfähigkeit befördert, da in ihm erwartetes und/oder erwartbares Verhalten einschätzbar erscheint. Wer nicht weiß, wie er sich verhalten soll oder wie andere sich gegebenenfalls verhalten werden, reagiert häufig unbewußt verhalten und wird so handlungsunfähig. 12 Vgl. zum Voraufgehenden Morgenthaler 1989, 213. 13 Luther 1986, 7. 14 Wo zuvor angstbesetzt und angstauslösend kaschierend interveniert wurde, kann dann befreit und befreiend - (alte) Mißstände decouvrierend - Neues vermittelt werden. Niemand muß länger Überkommenes stets und von vornherein affirmativ aufnehmen, jeder darf Vorgegebenes kritisch hinterfragen und gegebenenfalls ablehnen oder nach Prüfung 'konfirmieren'; Probleme müssen nicht verdrängt oder skotomisiert sein, sondern können thematisiert und bearbeitet und dann auch verarbeitet werden; Abspaltung wird so durch Integration ersetzt. Wo Subjektstärkung erfolgt, lösen sich Pseudoobjektivierungen auf, und anstelle unkritischer Nähe wird kritische Distanz möglich. Vgl. dazu die Tabelle bei Morgenthaler 1989, 215. 15 Der zumeist mit maligner Regression gekoppelt ist. 16 Daß hierbei zahlreiche Verunsicherungen auftreten (können) und Anstrengungen in Kauf genommen werden (müssen), liegt in der Natur der Sache. Wer alte Geleise

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Selbstverständlich treten die von mir zuvor benannten möglichen (gesellschaftlichen) Funktionen von Seelsorge und deren Teilaspekte je nach Seelsorgekonzeption (und/oder -modell) verschieden stark akzentuiert in Erscheinung.17 Das jeweilige Seelsorgeverständnis18 wiederum entwickelt sich üblicherweise in direkter Abhängigkeit von der jeweiligen theologischen Grundorientierung (Glaubenshaltung) im Feld von Tradition und Situation,19 die korrelativ zur allgemeinen Lebenseinstellung und dem dazugehörigen Lebensstil ausgebildet sein dürfte. Auch die Lebenshaltung ist nicht unwandelbar vorgegeben, sondern entsteht allmählich aufgrund vieler Einzelerfahrungen und deren jeweiligen Interpretationen; diese wiederum verstärken oder vermindern vorhandene Grundängste bzw. schaffen neue Angstpotentiale, die spezifisches Verhalten provozieren bzw. blockieren.20 Letzteres ermöglicht oder verunmöglicht die Übernahme bestimmter Funktionen in persönlichem und überpersönlichem (gesellschaftlichem) Rahmen. An dieser Stelle schließt sich der Kreis, und ich kehre an den Ausgangspunkt meiner Überlegungen zurück, um von dort nach den zentralen Inhalten, Methoden und Zielen sowie nach möglichen Wirkungen meines eigenen Seelsorgeansatzes (auch und gerade in bezug auf das Verhältnis von

verläßt und neue Wege sucht, der bleibt nicht unbehelligt; sein 'Vor-Gehen' wird häufig angegriffen - und das nicht selten von denen, mit denen er bislang ging bzw. weiterhin zu gehen versucht. Kritische 'Seelsorge-Wagende', seien es Klienten oder Seelsorger, sind immer mehr oder weniger spürbaren Widerständen ausgesetzt, die sich letztlich gegen das Evangelium als (gesellschafts)verändernde Kraft und evangeliumsgemäße Seelsorge als politische Tat richten. Die archetypisch vor- bzw. mitgegebene Angst vor Wandlung läßt auch vor konkreten Einzelentscheidungen furchtsam zurückschrecken und behindert so Entwicklung. 17 Vgl. dazu Morgenthaler 1989, 213f. - Es wäre illusorisch (und nicht nur utopisch), anzunehmen, ein Seelsorgeansatz könnte sämtliche benannten Funktionen - und diese gleich intensiv - berücksichtigen. 18 Zu den divergierenden Auffassungen von Seelsorge in den von mir untersuchten Seelsorge-Konzeptionen vgl. die Übersichtstabelle am Ende meiner Prolegomena; die hier 'zusammengeschauten' Grunddefinitionen markieren jeweils ein ganz bestimmtes Vorverständnis und fungieren j e für sich als hermeneutischer Schlüssel für die Auslegung konkreter Seelsorge-Situationen. 19 Es kann natürlich vorkommen, daß propagierte theologische Lehre und Seelsorgepraxis völlig gegenläufig erscheinen; dies ist jedoch nicht der Normalfall und dürfte auf intrinsisch oder extrinsisch bedingte Entwicklungsstörungen zurückzuführen sein. 20 Vgl. dazu Riemann 1985.

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Seelsorge und Psychologie) zu fragen.21 Ich tue dies unter Rückgriff auf das zuvor entwickelte 'poimenische Dreieck' und bestimme demgemäß zunächst einmal meine Position im Feld von Tradition und Situation.22

21 Der oben vorgenommene Zirkelschluß muß - wenn er denn allgemeingültig ist auch auf mich Anwendung finden können; es dürfte demgemäß möglich sein, von meinem Seelsorgekonzept her auf die mich letztendlich bestimmenden Ängste zurückzuschließen. Allerdings stellt mein hier und im folgenden skizziertes Seelsorgeverständnis bereits das Ergebnis zahlreicher Reflexionen der mich prägenden Ängste dar und ist gleichsam als eine Replik auf diese entstanden. Da es neben den von mir erkannten und somit benennbaren Ängsten aber auch noch viele andere unerforscht wirksame gibt, ist die 'Motivsuche' noch keineswegs abgeschlossen und kann bzw. soll auch durch andere fortgeführt werden. 22 Dies geschieht in enger Anlehnung an die homiletische Theorie E. Langes, die den Zusammenhang von Tradition als 'verheißungs-volle' "Ur-Kunde vom Christusereignis ... in den biblischen Zeugnissen" (Lange 1984, 113) und Situation als Wirklichkeit des alltäglichen Lebens (vgl. dazu ebd., 116ff.) herausstellt und so Ungleichgewichtigkeiten im Verhältnis beider vorbeugt.

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