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German Pages 344 Year 2017
Schriften zum Strafrecht Band 315
Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht Zugleich eine Sanktionslehre für das Ordnungswidrigkeitenrecht
Von
Sebastian Huhle
Duncker & Humblot · Berlin
SEBASTIAN HUHLE
Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
Schriften zum Strafrecht Band 315
Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht Zugleich eine Sanktionslehre für das Ordnungswidrigkeitenrecht
Von
Sebastian Huhle
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15330-5 (Print) ISBN 978-3-428-55330-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85330-4 (Print & E-Book)
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Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam im Mai 2017 als Dissertation angenommen. Sie wurde für die Veröffentlichung geringfügig überarbeitet und ergänzt. Literatur und Rechtsprechung wurden bis Ende August 2017 berücksichtigt. Danken möchte ich zunächst meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Herrn Prof. Dr. Wolfgang Mitsch für die langjährige Betreuung meines Promotionsvorhabens, die kritische und unermüdliche Durchsicht meiner zunehmend gewachsenen Manuskripte, den Ansporn und die erbauenden Worte in Augenblicken des Selbstzweifels, aber auch für die ideellen Freiräume, in denen ich meinen Forscherdrang beinahe ungebremst ausleben konnte. Besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle auch Herrn Prof. Dr. Uwe Hellmann für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens aussprechen. Aus meiner Trierer Zeit möchte ich Herrn Prof. Dr. Timo Hebeler für den fruchtbaren Gedankenaustausch, die Förderung meiner wissenschaftlichen Fähigkeiten und nicht zuletzt für die zeitlichen Freiräume, in denen meine Arbeit gedeihen konnte, danken. Ein Dank, wie ich ihn in Worten nicht auszudrücken vermag, gebührt meiner engen Freundin und langjährigen Mitarbeiterkollegin Frau Lisa Erzinger. Mit ihr konnte ich nicht nur vortrefflich fachlich streiten, sie stand mir in guten und schweren Stunden stets zur Seite. Schließlich möchte ich meiner Familie danken, die mich während meines Studiums und Referendariats sowie in der Zeit meiner wissenschaftlichen Weiterqualifizierung in jeder Hinsicht unterstützt hat. Zu guter Letzt gilt mein tief empfundener Dank meiner Lebensgefährtin Frau Mareike Meyn. Es ist mir eine glückliche Fügung, dass sie mich auf der Zielgeraden mit Geduld und – wenn es erforderlich war – sanften Druck, aber vor allem mit ihrer Herzenswärme begleitet hat. Vor nicht allzu kurzer Zeit habe ich einen Bericht über die vollkommenste Geschichte aller Zeiten gelesen. Gemessen an dem, was über diese Geschichte berichtet wird, ist die vorliegende Untersuchung wahrscheinlich ganz weit davon entfernt, vollkommen zu sein. Wenn man Vollkommenheit als einen Zustand begreift, in dem man meint, nichts mehr weglassen zu können,1 so ist dieser Zustand in der Wissenschaft wohl auch nur selten erreicht worden. Doch, so meine ich, kommt es auf Vollkommenheit nicht an. Ich freue mich, wenn Sie meine Arbeit vielleicht auch nur zum Teil als lesenswert empfinden. Eine lesenswerte Disser1
Sinngemäß: Saint-Exupéry, S. 269.
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Vorwort
tation muss vielmehr – diesen Gedanken habe ich einmal in einem Gespräch zwischen einem guten Bekannten und seiner Betreuerin aufgeschnappt – eine gute und runde Geschichte sein. Ob mir dies gelungen ist, eine gute und runde Geschichte abzuliefern, müssen nun Sie entscheiden. Und um dies entscheiden zu können, möchte ich Sie mit den Worten in die Lektüre entlassen, mit denen die vollkommenste Geschichte aller Zeiten endete: „Hier fängt die Geschichte an.“2 Berlin, im Oktober 2017
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Moers, S. 28 f.
Sebastian Huhle
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Sonderbehandlung junger Menschen in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . 21 II. Behandlung junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . 24 III. Gründe für Sonderbehandlung und Gleichbehandlung im Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 IV. Verfassungsrechtliche Relevanz der Behandlungen junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Allgemeiner Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Elterliches Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG . . . . . . . . . . . . 28 3. Freiheitsgrundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des jungen Menschen
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4. Objektives Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 V. Thematische Eingrenzung und Schwerpunktsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 VI. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht de lege lata und ihre Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Definition der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Verhaltensnorm und Normbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Erscheinungsformen von Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Sanktionszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Repression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Prävention im Sinne von Verhaltenssteuerung und Verhaltensorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 dd) Prävention im Sinne von Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 ee) Prävention im strafrechtlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 ff) Erziehung als eine Form der Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (1) Erziehungsbegriff der Erziehungswissenschaften . . . . . . . . . . . 41 (2) Erziehungsbegriff in der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . 45 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 gg) Symbolischer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 hh) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
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Inhaltsverzeichnis 2. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts im Einzelnen . . . . . . . . . . 49 a) Hauptfolge des Ordnungswidrigkeitenrechts: Die Geldbuße gegen natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Nebenfolgen des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (1) Verbandsgeldbuße im verbundenen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . 56 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Einziehung von Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Einziehung von Gegenständen des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Einziehung von Gegenständen eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 61 (a) Gefährliche Gegenstände und Tatmittel . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (b) Bemakelte Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (3) Einziehung von Gegenständen eines Verbandes . . . . . . . . . . . . 63 (a) Zurechnung nach § 29 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (b) Andere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (4) Einziehung im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (a) Zweckverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (aa) Im Verfahren gegen einen unbekannten Täter . . . . . . . 66 (bb) Im Verfahren gegen einen bekannten Täter . . . . . . . . . 66 (cc) Im Verfahren gegen einen Verband . . . . . . . . . . . . . . . 67 (dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Anordnung des Erlöschens von Rechten am Einziehungsgegenstand gem. § 26 II OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (1) Rechte an gefährlichen Gegenständen und Tatmitteln . . . . . . . . 68 (2) Bösgläubigkeit des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 dd) Mindermaßnahme und Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG
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(1) Mindermaßnahme gegenüber einem Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (2) Mindermaßnahme gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 72 (3) Mindermaßnahme gegenüber einem Verband . . . . . . . . . . . . . . 73 (4) Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gegenüber einem Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (5) Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (6) Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gegenüber einem Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
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(7) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 ee) Einziehung des Wertersatzes gem. § 25 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber dem Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (2) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber Dritten 80 (3) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (4) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber dem Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (5) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (6) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (7) Nachträgliche Anordnung der Geldwertersatzeinziehung . . . . . 83 (8) Geldwertersatzeinziehung im selbstständigen Verfahren . . . . . . 83 (9) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 ff) Verweigerung einer Entschädigung gem. § 28 II OWiG . . . . . . . . . 85 gg) Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG . . . . . . . 86 (1) Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen . . . 86 (2) Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen . . . 93 (3) Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Verbandsvermögen 96 (4) Einziehung des Wertes von Taterträgen im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 hh) Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (1) Anordnung der Mehrerlösabführung gegenüber dem Täter . . . . 99 (2) Anordnung der Mehrerlösabführung im selbstständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (a) Gegen Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (b) Gegen Inhaber oder Leiter eines Betriebes . . . . . . . . . . . . . 101 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 ii) Das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 jj) Das Verbot der Jagdausübung gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG . . . . . . . 104 kk) Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG . . . . . . . . . 105 ll) Verwarnung ohne Verwarnungsgeld gem. § 56 I 2 OWiG . . . . . . . . 108 mm) Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 nn) Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe des JGG . . . . 112 oo) Maßnahmen nach dem BGB und dem SGB VIII . . . . . . . . . . . . . . 113 pp) Maßnahmen ohne gesetzliche Grundlage – Ermahnung, Belehrung und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
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Inhaltsverzeichnis qq) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Kostenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 d) Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 e) Maßnahmen zur Sicherung des Vollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . 121 f) Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . 121 g) Vollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Maßnahmen zur Vollstreckung von Geldforderungen . . . . . . . . . . . 123 (1) Beitreibungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Maßnahmen zur Sicherung der Beitreibungsmaßnahmen . . . . . 125 (3) Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG . . . . . . . . . . . 126 (a) Erbringung von Arbeitsleistungen (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . 127 (b) Schadenswiedergutmachung (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (c) Teilnahme an Verkehrsunterricht (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . 131 (d) Sonst eine bestimmte Leistung (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (e) Nachträgliche Änderung einer Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 2 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (f) Vollstreckungsanordnungen gem. § 78 IV OWiG . . . . . . . . 134 (g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (4) Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Maßnahmen zur Vollstreckung von Herausgabeansprüchen . . . . . . 137 (1) Wegnahme und Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Maßnahmen zur Sicherung von Wegnahme und Beschlagnahme 139 cc) Maßnahmen zur Vollstreckung von Haft und Arrest . . . . . . . . . . . . 139 dd) Maßnahmen zur Vollstreckung von Verboten . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 h) Ordnungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 i) Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 j) Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Verbot von Verbänden gem. §§ 3, 17 VereinsG . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 AktG, 62 GmbHG und 81 GenG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Entziehung der Rechtsfähigkeit eines wirtschaftlichen Vereines gem. § 43 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 dd) Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen gem. § 49 RStV und § 24 JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 ee) Änderung und Aufhebung von Zahlungserleichterungen . . . . . . . . 152 ff) Verweigerung einer Staatshaftung für Maßnahmen im Bußgeldverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (1) Verweigerung einer Entschädigung bei Verfolgungsmaßnahmen 154 (2) Verweigerung einer Staatshaftung bei sonstigen Maßnahmen 155
Inhaltsverzeichnis
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(3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 gg) Eintragungen in Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 hh) Entscheidungen über Verfahrenshandlungen und -maßnahmen . . . 157 ii) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 k) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Verwirklichung der Anlässe von Sanktionen durch junge Menschen – die Tatbestandsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen . . . . . . . 160 aa) Tatbestandsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (a) Keine Einschränkungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (b) Einschränkung durch Rechtsreflex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (c) Einschränkung durch jugendadäquate Auslegung . . . . . . . . 162 (d) Einschränkung durch Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Subjektiver Tatbestand; Einschränkung durch Subsumtion . . . . 169 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 dd) Objektive Bedingungen der Ahndbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Quasi-vorwerfbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Beihilfeähnliche Handlungen gem. § 23 Nr. 1 OWiG . . . . . . . . . . . 178 (1) Vorsätzliche Begehungsvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (a) Objektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (b) Subjektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (c) Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Leichtfertige Begehungsvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (a) Objektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (aa) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . 180 (bb) Objektive Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (cc) Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (b) Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Hehlereiähnliche Handlungen gem. § 23 Nr. 2 OWiG . . . . . . . . . . . 184 (1) Objektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (2) Subjektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (3) Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
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Inhaltsverzeichnis (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Verletzung von gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Begründung einer Pflichtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Handlungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Einschränkungen bei Maßnahme und Sanktionszwecken in Bezug auf junge Menschen – die Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Ausdrückliche Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Einschränkungen durch Rechtsreflex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Einschränkungen bei der Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Allgemeine Regelungen der Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . 198 (1) Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (a) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (2) Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (3) Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (4) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Spezielle Regelungen der Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4. Einschränkungen der Sanktionierung von jungen Menschen auf Ebene des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Ahndungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 cc) Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 dd) Folgen fehlender Ahndungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Verhandlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
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dd) Folgen der Verhandlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Einverständnis des Betroffenen mit Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Ermessen bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . 214 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Struktur des Sanktionssystems in Bezug auf junge Menschen . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Prüfungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Grundrechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits in Hinblick auf die allgemeinen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (1) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (4) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gem. § 98 I 1 OWiG . . . . . . 227 aa) Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Ungleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits im Vollstreckungsverfahren gem. § 98 I 1 OWiG – insbesondere Ungleichbehandlung von Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 aa) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (1) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (4) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (a) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im materiellen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
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Inhaltsverzeichnis (b) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im formellen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Ungleichbehandlung von Kindern einerseits und älteren Personen andererseits in Bezug auf die Anwendbarkeit der Sanktionen – insbesondere Ungleichbehandlung von älteren Kindern einerseits und jüngeren Jugendlichen andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (4) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (a) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im materiellen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (b) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im formellen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Elterliches Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG . . . . . . . . . . . . 254 a) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Sanktionen mit Geldzahlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Sanktionen mit sonstigen Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Sanktionen mit Duldungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 dd) Sanktionen mit Unterlassungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 d) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Schranken-Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (1) Prüfungsmaßstab und Abgrenzung der Sanktionen . . . . . . . . . . 264 (2) Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (3) Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (4) Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 103 III GG . . . . . . . . . . . . . 269 (5) Freiheitsbeschränkungen gem. Art. 104 GG . . . . . . . . . . . . . . . 270 (6) Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
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(7) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 5. Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des jungen Menschen . . . . . . . 272 a) Allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 cc) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 dd) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (2) Schranken-Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (a) Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (b) Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (c) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (d) Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG . . . . . . 278 aa) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 bb) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 cc) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 dd) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) Grundrechtsgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 bb) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 cc) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 dd) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 ee) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 d) Freiheit der Person gem. Art. 2 II 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 cc) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 dd) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 e) Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Grundrechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
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Inhaltsverzeichnis cc) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 dd) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 ee) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 f) Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) Grundrechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 cc) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 dd) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 ee) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 g) Verbot des Arbeitszwangs gem. Art. 12 II GG und der Zwangsarbeit gem. Art. 12 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 h) Grundrecht auf Pflege und Erziehung durch Eltern gem. Art. 6 II 1 GG 294 i) Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
C. Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. Keine Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht 297 II. Jugendordnungswidrigkeitengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 III. Anwendung des JGG auf Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Ersetzung der Geldbuße durch Ermahnung (§ 34a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Maßnahmen durch den Jugendrichter (§ 34b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Verankerung des Erziehungsgedankens (§ 34c I 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 4. Änderung und Streichung von Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 5. Geldbuße und Ermahnung; Anwendbarkeit der übrigen Sanktionen . . . . . . 310 6. Anwendbarkeit der Vorschriften auf Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 7. Behandlung von Tatmehrheiten (§§ 34d, 34e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 9. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . 314 1. Geldbuße auf Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Verbot der Nutzung sozialer Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 4. Öffentliche Bekanntmachung einer Zuwiderhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 5. Entziehung und Ausschluss von öffentlichen Ämtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 6. Sanktionen mit spielerischen Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 VI. Kinder- und Jugendhilferecht statt Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . 324
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VII. Ausbau verfahrensrechtlicher Sanktionen und Änderung des Regelungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 VIII. Sanktionierung der Erziehungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 IX. Das „junge Alter“ als kodifizierter Milderungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 X. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 D. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
A. Einführung Die Kindheit und Jugend ist ein wichtiger Abschnitt der biologischen und soziologischen Menschwerdung, den das Recht durch eine besondere Behandlung junger Menschen beachtet. Der Umfang der besonderen Behandlung ist abhängig vom Regelungsgegenstand und deshalb mal mehr, mal weniger ausgeprägt; sofern Kindheit und Jugend für einen Regelungsgegenstand irrelevant sind oder in Abwägung mit anderen Interessen als weniger gewichtig angesehen werden, so findet auch eine unterschiedslose Behandlung von jüngeren und älteren Menschen im Recht statt. Eine besondere Behandlung junger Menschen erfolgt teilweise auch im Ordnungswidrigkeitenrecht. Wie junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht behandelt werden und welche verfassungsrechtliche Relevanz diese Behandlung aufweist, soll in dieser Einführung kurz umrissen werden.
I. Sonderbehandlung junger Menschen in der deutschen Rechtsordnung Um im Ordnungswidrigkeitenrecht die Sonderbehandlung von der unterschiedslosen Behandlung abgrenzen zu können, sollen zunächst Erscheinungsformen und Merkmale von Sonderbehandlung im Allgemeinen entwickelt werden: Im Bürgerlichen Recht sind die Willenserklärungen von Personen, die das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gem. §§ 104 Nr. 1, 105 I BGB1 nichtig. Demgegenüber sind die Willenserklärungen aller natürlichen Personen, die das 18. Lebensjahres vollendet haben, unter dem Gesichtspunkt des Lebensalters wirksam, vgl. §§ 106 ff. BGB. Der Gesetzgeber hat für das Strafrecht gem. § 19 StGB2 normiert, dass Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unwiderlegbar schuldunfähig sind. Aus der amtlichen Überschrift des § 19 StGB ist zu folgern, dass sie als „Kinder“ zu bezeichnen sind. Im Umkehrschluss aus § 19 StGB folgt, dass alle Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, unter dem Gesichtspunkt des 1
Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2442) geändert worden ist.
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A. Einführung
Lebensalters widerlegbar schuldfähig sind. Nach § 10 StGB i.V.m. § 3 S. 1 JGG3 handelt eine Person, die das 14. Lebensjahr vollendet und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nur dann schuldhaft, wenn sie strafrechtlich verantwortlich ist, d. h., die Schuldfähigkeit ist bei Personen in den genannten Altersgrenzen positiv festzustellen. Diese Personen werden gem. § 1 II JGG als „Jugendliche“ bezeichnet. Demgegenüber gilt für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, dass ihre Schuldunfähigkeit positiv festgestellt werden muss, anders ausgedrückt, ihre Schuldfähigkeit wird bei Fehlen von entgegenstehenden Umständen ohne weiteres angenommen. Weiterhin gilt im Strafrecht gem. § 10 StGB i.V.m. §§ 1 II, 5 JGG, dass auf Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, anstelle der Hauptstrafen des StGB – Geld- und Freiheitsstrafe – die besonderen Rechtsfolgen des JGG – Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe – anzuwenden sind. Demgegenüber sind auf Personen, die das 21. Lebensjahr vollendet und eine Straftat begangen haben, die Rechtsfolgen des StGB uneingeschränkt anzuwenden. Im Sozialrecht gilt, dass eine Person, die das 18. aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, nach § 41 I 1 SGB VIII4 einen Anspruch auf Hilfe bei der Persönlichkeitsentwicklung und der Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung zu erhalten hat. Personen außerhalb der Altersgrenze des § 41 I 1 SGB VIII haben keinen dementsprechenden Anspruch. Das Jugendschutzrecht regelt, dass es Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gem. § 4 III JuSchG5 verboten ist, sich in einem Nachtclub aufzuhalten. Dieses Verbot fällt mit Vollendung des 18. Lebensjahres weg. Ein Gewerbetreibender macht sich gem. § 27 II Nr. 1 JuSchG i.V.m. § 28 I Nr. 5 JuSchG strafbar, wenn er einer Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vorsätzlich gestattet, sich entgegen § 4 III JuSchG in einem Nachtclub aufzuhalten, und er dabei wenigstens leichtfertig die junge Person in ihrer körperlichen, geistigen oder sittlichen Entwicklung schwer gefährdet. Für das Verfassungsrecht ist Art. 38 II GG6 zu nennen, wonach aktiv wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat (1. Halbsatz) und passiv wahlberechtigt, wer volljährig ist (2. Halbsatz; die Volljährigkeit fällt mit Vollendung des
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Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3427), das zuletzt durch Artikel 6 Absatz 28 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) geändert worden ist. 4 Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) geändert worden ist. 5 Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2730), das zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 420) geändert worden ist. 6 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist.
I. Sonderbehandlung junger Menschen in der deutschen Rechtsordnung
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18. Lebensjahres zusammen, vgl. § 15 I Nr. 2 BWahlG7); im Umkehrschluss sind also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht wahlberechtigt. Eine Sonderbehandlung wurde auch schon im Wege der höchstrichterlichen Rechtsfortbildung kreiert: Das BVerfG hat aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG das Recht des Minderjährigen auf schuldenfreien Eintritt in die Volljährigkeit gefolgert.8 Zusammenfassend lassen sich folgende Erscheinungsformen und Merkmale der Sonderbehandlung beschreiben: Erstens ist die Regelungstechnik durch das Setzen starrer Altersgrenzen (z. B §§ 104 Nr. 1 BGB) teilweise in Kombination mit normativen Tatbestandsmerkmalen (z. B. Verantwortlichkeit gem. § 3 S. 1 JGG) gekennzeichnet. Häufig werden die durch die Altersgrenzen entstehenden Zeitspannen mit bestimmten personenbezogenen Rechtsbegriffen belegt (z. B. Kind gem. § 19 StGB oder Jugendlicher gem. § 1 II JGG). Zweitens kann Sonderbehandlung sein, dass ein speziell auf junge Menschen zugeschnittener Tatbestand (z. B. § 4 III JuSchG) oder eine speziell für junge Menschen zugeschnittene Rechtsfolge (z. B. §§ 5 I, 9 ff. JGG) oder beides zusammen (z. B. Art. 38 II GG oder § 41 I 1 SGB VIII) vorgesehen ist. Sonderbehandlung kann auch sein, dass ein allgemeiner Tatbestand (z. B. Ergänzung des Straftatbestandes durch die Verantwortlichkeit gem. § 3 S. 1 JGG) oder eine allgemeine Rechtsfolge (z. B. durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) durch jugendspezifische Merkmale ergänzt wird. Drittens kann die Sonderbehandlung in einer Rechtsgewährung (z. B. Gewährung besonderen Rechtsgüterschutzes durch § 27 II Nr. 1 JuSchG i.V.m. § 28 I Nr. 5 JuSchG) oder einer Rechtsverwehrung (z. B. Art. 38 II GG) bestehen. Denkbar ist auch eine Sonderbehandlung, die sowohl Rechtsgewährung als auch Rechtsverwehrung beinhaltet (z. B. die beschränkte Geschäftsfähigkeit gem. § 106 BGB). Viertens gibt es regelmäßig in den Regelungsbereichen nicht nur eine Sonderbehandlung von jungen Menschen gegenüber älteren Menschen. Es werden junge Menschen auch untereinander unterschiedlich behandelt (z. B. die unterschiedliche Behandlung von minderjährigen Geschäftsunfähigen und minderjährigen beschränkt Geschäftsfähigen gem. §§ 104 ff. BGB). Fünftens, es finden sich Sonderbehandlungen im einfachen und im höherrangigen Recht sowie, sechstens, im Zivil-, Straf- und Öffentlichen Recht.
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Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 8. Juni 2017 (BGBl. I S. 1570) geändert worden ist. 8 BVerfGE 72, 155 (170 ff., 173).
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A. Einführung
II. Behandlung junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht Junge Menschen genießen Sonderbehandlung in Form besonderen Rechtsgüterschutzes durch das Ordnungswidrigkeitenrecht. So normiert z. B. § 28 JuSchG eine ganze Reihe von Ordnungswidrigkeiten, die als Tatobjekt Kinder (§ 1 I Nr. 1 JuSchG) sowie Jugendliche (§ 1 I Nr. 2 JuSchG) haben und ihrem Schutz dienen.9 Weitere Ordnungswidrigkeitentatbestände zum Schutze junger Menschen finden sich z. B. in § 104 SGB VIII, den Schulgesetzen der Länder (z. B. § 99 LSchulG Rh.Pf.10) oder in Staatsverträgen wie z. B. in § 24 I, II JMStV11. Daneben erfahren junge Menschen aber auch Sonderbehandlungen durch das Ordnungswidrigkeitenrecht, wenn sie als Täter oder Beteiligter einer Ordnungswidrigkeit oder einer mit Geldbuße bedrohten Handlung (§ 1 OWiG12) auftreten. Tatbestandlich unterscheidet das materielle Ordnungswidrigkeitenrecht im Allgemeinen Teil zwischen Kindern und Jugendlichen. Nach § 12 I 1 OWiG handeln Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben nicht vorwerfbar; der Gesetzgeber meinte mit diesen Personen Kinder auch wenn er dies nicht ausdrücklich ins Gesetz geschrieben hat.13 Gem. § 12 I 2 OWiG handeln Jugendliche – wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, meint der Gesetzgeber hiermit Personen
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Begründung des Gesetzesentwurfs zum JÖSchG, BT-Drs. 10/722, S. 7. Schulgesetz des Landes Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 30. März 2004 (GVBl. 2004, S. 239), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 16. Februar 2016 (GVBl. 2016, S. 37) geändert worden ist. 11 Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien vom 10. September 2002, zuletzt geändert durch Art. 5 Neunzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 3. Dezember 2015. 12 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 11 Absatz 33 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 13 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es ausreiche, wenn die Begriffe Kinder, Jugendliche sowie Heranwachsende und die diesen Begriffen zugrundeliegenden Altersgrenzen in den strafrechtlichen Kerngesetzen bestimmt seien, denn ihre Übertragung auf das Ordnungswidrigkeitenrecht verstünde sich von selbst. Im Übrigen seien die Begriffe und ihre Definitionen bereits dem Rechtsanwender geläufig. Demnach sei eine Begriffsbestimmung im Ordnungswidrigkeitenrecht entbehrlich. Siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. Ganz unproblematisch ist diese Äußerung des Gesetzgebers jedoch nicht: Sein Ergebnis begründet er mit der rigorosen Zuordnung des Ordnungswidrigkeitenrechts zum Strafrecht, was nach heutigem Stand der Forschung sowie der Rechtsprechung des BVerfG nicht korrekt ist, siehe ausführlich unten Kapitel B. I. 2. b) nn). Es lässt sich diese Äußerung nur vor dem Hintergrund verstehen, dass 1967 die Diskussion um die Rechtsnatur des Ordnungswidrigkeitenrechts noch nicht abgeschlossen war. Dieser – nach heutigen Maßstäben – Schönheitsfehler in der Begründung führt jedoch nicht zu Fehlern in den Begriffen des Kindes oder Jugendlichen oder macht es erforderlich, den Inhalt der Begriffe zu revidieren. Im Übrigen ist wohl anzunehmen, dass sich inzwischen die fraglichen Begriffe auch gewohnheitsrechtlich verfestigt haben. 10
II. Behandlung junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
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von Vollendung des 14. Lebensjahres bis Vollendung des 18. Lebensjahres –14 vorwerfbar, wenn die Voraussetzungen des § 3 S. 1 JGG gegeben sind; d. h., sie handeln nur dann vorwerfbar, wenn sie zur Zeit der Tat über die Fähigkeiten verfügen, einerseits das Unrecht einer Handlung zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) und andererseits ihre Handlungen entsprechend der gewonnenen Erkenntnis über Recht oder Unrecht auszurichten (Steuerungsfähigkeit).15 Weitere Tatbestandsmerkmale unter dem Gesichtspunkt des Lebensalters formuliert das materielle Ordnungswidrigkeitenrecht nicht. Auf Rechtsfolgenseite können jugendspezifische Gesichtspunkte in der Ermessensausübung insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden. Im Besonderen Teil finden sich anscheinend vereinzelt Delikte, die nur junge Menschen begehen können, vgl. § 75 Nr. 7, Nr. 8 FeV16 oder § 99 I Nr. 1, Nr. 2 LSchulG Rh.-Pf. Gelegentlich setzen Delikte die notwendige Teilnahme von jungen Menschen voraus, vgl. z. B. § 28 I Nr. 5 JuSchG. Das formelle Ordnungswidrigkeitenrecht (Bußgeldverfahrensrecht, Prozessrecht) bestimmt in § 98 I OWiG, dass gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden (§ 98 IV OWiG) – unter Heranwachsenden versteht der Gesetzgeber Personen von Vollendung des 18. Lebensjahres bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres –17 Vollstreckungsanordnungen getroffen werden können, die den Jugendlichen oder Heranwachsenden verpflichten, eine Handlung mit erzieherischem Zweck durchzuführen. Eine solche Vollstreckungsanordnung kann z. B. die Pflicht begründen, Arbeitsleistungen zu erbringen, vgl. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG. Ansonsten sind außer ein paar verfahrensrechtlichen Sonderbehandlungen, die sich in Spezialregelungen im OWiG finden (z. B. §§ 46 VI, 78 IV OWiG), insbesondere über die Verweisungsnorm des § 46 I OWiG aus den allgemeinen Gesetzen über das Strafverfahren Sonderbehandlungen für junge Menschen herzuleiten. Ferner ergeben sich gewohnheitsrechtlich Sonderbehandlungen von jungen Menschen im formellen Recht durch das Erfordernis der Ahndungsreife und der Verhandlungsfähigkeit. Daneben ergeben sich Sonderbehandlungen auf Seite der Rechtsfolgen des formellen Rechts auch aus den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Neben diesen Sonderbehandlungen sind im Ordnungswidrigkeitenrecht Gleichbehandlungen zwischen jüngeren und älteren Menschen festzustellen. Sofern Ordnungswidrigkeiten den Rechtsgüterschutz eines allgemeinen Personenkreises bezwecken, so sind auch junge Menschen durch diese Ordnungswidrigkeiten geschützt. Sofern junge Menschen als Täter oder Beteiligte einer Ordnungswidrigkeit oder einer mit Geldbuße bedrohten Handlung auftreten, so gelten für sie im mate14
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. Meier, in: Meier/Rössner/Schöch, § 5, Rn. 9, 11. 16 Fahrerlaubnis-Verordnung vom 13. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1980), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 8. August 2017 (BGBl. I S. 3158) geändert worden ist. 17 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. 15
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A. Einführung
riellen Recht, im Allgemeinen und Besonderen Teil, dieselben Regelungen, die auch für Erwachsene gelten. Außerdem sind im materiellen Recht keine anderen, insbesondere erzieherische Rechtsfolgen für Zuwiderhandlungen junger Menschen normiert. Im formellen Recht werden junge und ältere Menschen außerhalb der genannten Sonderbehandlungen gleichbehandelt.
III. Gründe für Sonderbehandlung und Gleichbehandlung im Ordnungswidrigkeitenrecht Soweit Sonderbehandlungen im Sinne von Ordnungswidrigkeiten normiert sind, die dem besonderen Rechtsgüterschutz des jungen Menschen dienen, so werden sie damit begründet, dass der junge Mensch aufgrund mangelnder Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht dazu in der Lage sei, sein Verhalten zu seinem eigenen Wohl einzurichten.18 Andere könnten diesen Umstand vorsätzlich ausnutzen oder vorsätzlich oder fahrlässig Gelegenheiten schaffen, in denen sich junge Menschen selbst schaden. Die verschiedenen Behandlungen junger Menschen im materiellen und formellen Recht für den Fall, dass der junge Mensch als Täter einer Ordnungswidrigkeit aufgetreten ist, begründet der Gesetzgeber folgendermaßen: Die Regelung über die Verantwortlichkeit junger Menschen gem. § 12 I OWiG ist damit gerechtfertigt, dass sich die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit junger Menschen noch entwickele und deshalb nicht unbedingt vorwerfbares Handeln angenommen werden könne.19 Sofern der Gesetzgeber im materiellen Recht hinsichtlich der Rechtsfolgen junge Menschen und ältere Menschen gleich behandelt, d. h., dass der Gesetzgeber auf besondere erzieherische Maßnahmen verzichtet und die allgemeinen Rechtsfolgen auf junge Menschen anwendet, so begründet er dies damit, dass das Verhängen von erzieherischen Maßnahmen eine den Verwaltungsbehörden wesensfremde Aufgabe sei.20 Außerdem handele es sich bei den Ordnungswidrigkeiten von jungen Menschen in der Regel um Zuwiderhandlungen mit geringer Sozialschädlichkeit, die keines besonderen erzieherischen Eingreifens seitens des Staates bedürfen.21 Weiterhin könnten junge Menschen die Geldbußen regelmäßig auch aus ihren eigenen finanziellen Mitteln bestreiten, sodass im Regelfall kein Bedürfnis für eine wirtschaftlich neutrale Sanktionsform bestehe.22
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Begründung des Gesetzesentwurfs zum JÖSchG, BT-Drs. 10/722, S. 7. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39.
IV. Verfassungsrechtliche Relevanz der Behandlungen junger Menschen
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Dass nun eine Sonderbehandlung im formellen Recht in Gestalt der Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 OWiG vorgesehen ist, rechtfertigt der Gesetzgeber wiederum damit, dass in bestimmten Ausnahmefällen eine Erziehung des Täters angezeigt oder eine Ersatzmaßnahme für den Fall notwendig sei, dass der junge Mensch aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse die Geldbuße nicht zahlen könne.23 Zusammenfassend lassen sich als zentrale Themen der Sonderbehandlung junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht erstens die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, zweitens Erziehung und drittens die besondere wirtschaftliche Situation feststellen.
IV. Verfassungsrechtliche Relevanz der Behandlungen junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht Die Sonderbehandlungen und Gleichbehandlungen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind in verschiedener Weise verfassungsrechtlich relevant. Prüfungsmaßstab ist aufgrund der Normenhierachie nur höherrangiges Recht24. Als höherrangiges Recht kommen deutsches Verfassungsrecht25, Unionsrecht26 und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts27 in Betracht. Im Folgenden soll überblicksartig aufgezeigt werden, welche Berührungspunkte sich zwischen Sonderbehandlungen und Gleichbehandlungen im Ordnungswidrigkeitenrecht und deutschen Verfassungsrecht ergeben.
23
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 40, 120. Höherrangiges Recht ist in dieser Untersuchung nur im Sinne von positivem Recht zu verstehen. Ausgeblendet sei die Fragestellung, ob irgendeine Form der Behandlung durch das Ordnungswidrigkeitenrecht mit überpositiven Recht vereinbar ist. Siehe hierzu Maurer, Staatsrecht, § 22, Rn. 27 ff. 25 Der hier geschilderte Aspekt der Normenhierachie folgt aus dem (Geltungs-)Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber einfachem Recht gem. Art. 20 III GG, siehe Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 2, Art. 20 Abs. 3, Rn. 253; Kloepfer, Band 1, § 1, Rn. 220. 26 Der (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts gegenüber einfachem nationalen Recht hat das BVerfG in seinem „Solange II“-Beschluss aus Art. 24 I GG i.V.m. Art. 59 II GG hergeleitet, siehe BVerfGE 73, 339 (375); der EuGH hatte ein solches Verhältnis von europäischen und nationalen einfachen Recht bereits vorher postuliert, siehe EuGH, Rs- 6/64, Slg. 1964, 1141 – Costa/E.N.E.L; vgl. hierzu auch: Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 2, Art. 20 Abs. 3, Rn. 255; Kloepfer, Band 1, § 42, Rn. 15 ff., 20 ff. 27 Der (Anwendungs-)Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts gegenüber einfachem nationalen Recht wird aus Art. 25 S. 2 GG gefolgert, siehe Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 2, Art. 20 Abs. 3, Rn. 254; Kloepfer, Band 1, § 35, Rn. 21 f. 24
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A. Einführung
1. Allgemeiner Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG Die geschilderten Sonderbehandlungen und Gleichbehandlungen junger Menschen durch den Gesetzgeber sind verfassungsrechtlich in Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG relevant. Es lassen sich unter dem Oberbegriff „natürliche Personen“ zwei Gruppen identifizieren. Die eine Gruppe natürlicher Personen ist durch ein der Zahl nach niedriges Lebensalter gekennzeichnet und die andere Gruppe natürlicher Personen ist durch ein der Zahl nach höheres Lebensalter gekennzeichnet. Wie in den Beispielen sichtbar geworden ist, werden beide Gruppen in bestimmten Situationen rechtlich unterschiedlich oder gleichbehandelt. Denkbar ist deshalb, dass im Ordnungswidrigkeitenrecht Ungleichbehandlungen von wesentlich Gleichem bzw. Gleichbehandlungen von wesentlich Ungleichem stattfinden, die in verfassungsrechtlicher Hinsicht rechtfertigungsbedürftig sind. 2. Elterliches Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG Die Sonderbehandlungen und Gleichbehandlungen junger Menschen sind verfassungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt des elterlichen Pflege- und Erziehungsrechts gem. Art. 6 II 1 GG bedeutsam. Soweit Sonderbehandlungen im Sinne von Ordnungswidrigkeiten normiert sind, die dem besonderen Rechtsgüterschutz des jungen Menschen dienen (z. B. § 28 JuSchG), so können diese Ausdrücke des elterlichen Pflege- und Erziehungsrechts unter dem Gesichtspunkt sein, dass Dritte davon abgehalten werden sollen, Entscheidungen hinsichtlich des jungen Menschen gegen oder ohne den Willen der Eltern zu treffen (z. B. § 28 I Nr. 5 JuSchG). Eine Sonderbehandlung oder Gleichbehandlung junger Menschen kann auch einen Eingriff in das Pflege- und Erziehungsrecht darstellen: Als Beispiel für eine Sonderbehandlung in diesem Sinne kann § 98 II 1 JGG genannt werden, wonach gegenüber einem Jugendlichen wegen der schuldhaften Nichtbefolgung einer Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 OWiG Jugendarrest verhängt werden kann. Nach h.M. bezweckt die Maßnahme, den Jugendlichen zur künftigen Befolgung von richterlichen und behördlichen Anordnungen anzuhalten.28 Da der Jugendarrest auf die psychisch-seelische Entwicklung des Jugendlichen abzielt und auch keine Mitwirkung der Eltern bei der Entscheidung über ihn gesetzlich vorgesehen ist, könnte er damit in das elterliche Erziehungsrecht eingreifen. Der Jugendarrest erfordert zugleich die physische Anwesenheit des Jugendlichen in einer Jugendarrestanstalt (§ 46 I OWiG i.V.m. § 90 II JGG). Dementsprechend könnte auch ein Eingriff in das Recht der Eltern, über den Aufenthaltsort des Jugendlichen zu bestimmen und somit in das elterliche Pflegerecht gegeben sein. 28
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 40, 121.
V. Thematische Eingrenzung und Schwerpunktsetzung
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Demgegenüber kann als Beispiel für eine Gleichbehandlung z. B. die Rechtsfolge der Geldbuße (§ 17 OWiG) genannt werden, die vom Gesetz unterschiedslos für junge Menschen wie auch für Erwachsene vorgesehen ist. Die monetäre Rechtsfolge greift in das Vermögen des jungen Menschen ein, dessen Kontrolle und Handhabung den Eltern als Teil des Pflegerechts übertragen ist. 3. Freiheitsgrundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des jungen Menschen Sonderbehandlung und Gleichbehandlung kann auch Ausdruck der Freiheitsgrundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte eines jungen Menschen sein oder in diese eingreifen. Sofern Grundrechte natürlichen Personen nicht erst ab einem bestimmten Lebensalter eröffnet werden (z. B. das Wahlrecht gem. Art. 38 II GG) gilt, dass junge Menschen uneingeschränkt grundrechtsfähig sind.29 So dienen z. B. die Ordnungswidrigkeiten des JuSchG der ungestörten Entwicklung der Persönlichkeit des jungen Menschen.30 Die Persönlichkeitsentwicklung wird durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG geschützt, sodass man die Ordnungswidrigkeiten des JuSchG als Ausdruck dieses Grundrechts auffassen kann. Demgegenüber führt eine Geldbuße gem. § 17 OWiG zu einer Belastung des jungen Menschen mit einer Geldzahlungspflicht, oder allgemeiner ausgedrückt, mit einer Handlungspflicht. Die Belastung mit einer Handlungspflicht führt zu einer Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten – d. h., es wird dem jungen Menschen die Möglichkeit genommen, eine Handlung einfach ohne Konsequenzen zu unterlassen – und damit jedenfalls der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG. 4. Objektives Verfassungsrecht Die Sonderbehandlungen und Gleichbehandlungen müssen weiterhin den Anforderungen objektiven Verfassungsrechts genügen. Zu nennen sind dabei z. B. das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
V. Thematische Eingrenzung und Schwerpunktsetzung Gegenstand der Untersuchung ist die Frage, ob die Behandlung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht verfassungsgemäß und zweckmäßig ist. 29 Eine andere Frage ist, ob junge Menschen ihre Grundrechte auch ausüben können und welcher Maßstab hierfür anzuwenden ist, siehe unten Kapitel B. IV. 2. 30 Begründung des Gesetzesentwurfs zum JÖSchG, BT-Drs. 10/722, S. 7.
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A. Einführung
Die Untersuchung möchte nicht jede Form der Behandlung junger Menschen durch das Ordnungswidrigkeitenrecht prüfen. Die Untersuchung wird sich auf jene staatlichen Maßnahmen konzentrieren, mit denen das Ordnungswidrigkeitenrecht an das Fehlverhalten eines jungen Menschen anknüpft. Dabei soll auch nicht jede Maßnahme im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten Gegenstand der Untersuchung sein wie z. B. die Anfertigung eines Bußgeldbescheides. Gegenstand der Untersuchung sollen jene staatlichen Maßnahmen sein, mit denen das Recht unmittelbar auf Fehlverhalten reagiert und die typischerweise Nachteilszufügungen zum Zweck des Schuldausgleichs bzw. der Vorbeugung neuer Fehlverhalten enthalten. Es geht also um jene Maßnahmen, die allgemein als Sanktionen bezeichnet werden. Das Erkenntnisinteresse richtet sich also auf die Frage, ob die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht verfassungsgemäß und zweckmäßig ist. Ausgehend von den Ergebnissen der vorstehenden Fragestellung wird sich die Untersuchung der Frage widmen, ob das Ordnungswidrigkeitenrecht im Hinblick auf junge Menschen reformiert werden sollte.
VI. Gang der Untersuchung Im nun folgenden Kapitel B. soll der Zustand der Sanktionierung junger Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht de lege lata festgestellt werden, d. h., es soll herausgearbeitet werden, worum es sich erstens bei den Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts handelt (siehe Kapitel B. I.) und zweitens, ob diese Sanktionen auf junge Menschen angewendet werden können (siehe Kapitel B. II.). Aus den bis dahin erarbeiteten Ergebnissen soll drittens die Struktur der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionierung von jungen Menschen in einem Stufenmodell entwickelt werden (siehe Kapitel B. III.). Viertens soll geprüft werden, ob die Sanktionsvorschriften mit deutschem Verfassungsrecht, insbesondere Grundrechten, vereinbar sind (siehe Kapitel B. IV.). Anschließend soll in dem darauffolgenden Kapitel C. dargestellt werden, ob und wie das Sanktionssystem des Ordnungswidrigkeitenrechts in Hinblick auf junge Menschen de lege ferenda weiter zu entwickeln wäre.
B. Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht de lege lata und ihre Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht In diesem Abschnitt soll erstens geklärt werden, welche Sanktionen das Ordnungswidrigkeitenrecht bereithält, zweitens ob junge Menschen in den Anwendungsbereich der Sanktionen gelangen können und drittens ob die Sanktionen, die das Ordnungswidrigkeitenrecht für junge Menschen bereithält, verfassungsgemäß sind.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts In diesem Abschnitt wird zunächst ein Sanktionsbegriff formuliert und dann werden anhand dieses Sanktionsbegriffs die einzelnen Sanktionen benannt. 1. Definition der Sanktion Der Begriff der „Sanktion“1 wird weder im Ordnungswidrigkeitengesetz noch sonst in Gesetzestexten verwendet. Dementsprechend existiert keine Legaldefinition. Außerhalb des geschriebenen Rechts hat die Rechtsdogmatik auch keinen allgemeingültigen Begriff der Sanktion entwickelt.2 1 Das Wort „Sanktion“ leitet sich vom lateinischen „sanctio“ ab und bedeutet Heiligung, Anerkennung, Bestätigung, Billigung, aber auch Strafandrohung, siehe Drosdowski, Band 7, S. 3286. 2 Der Begriff der Sanktion wird ganz überwiegend unreflektiert als Oberbegriff oder Synonym für repressive und/oder präventiv-verhaltenssteuernde Maßnahmen gebraucht, siehe z. B. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, vgl. BVerfGE 96, 245 (249); 96, 10 (25); 90, 145 (172); 28, 264 (278); 25, 269 (286); BVerfGE 45, 187 (253 f.); 32, 98 (109); 28, 264 (278); BGHSt 47, 369 (375 f.). In einzelnen Rechtsgebieten hat die Rechtsdogmatik Definitionen entwickelt, so z. B. ist die völkerrechtliche Sanktion eine Maßnahme, die aus Anlass einer Völkerrechtsverletzung stattfindet und darauf gerichtet ist, den verantwortlichen Staat mittels Zufügung von (Rechts-)Nachteilen – etwa dem Entzug von Rechten oder Vergünstigungen oder deren Vorenthaltung – zur Einstellung seines völkerrechtswidrigen Verhaltens zu bewegen, siehe Schröder, in: Vitzthum/Proelß, S. 584, oder die staatsrechtliche Sanktion ist der feierliche Akt, in dem ein Gesetz seine Gesetzeskraft verliehen bekommt, siehe Schneider, Gesetzgebung, Rn. 320, 322. Daneben wird der Begriff gelegentlich vor dem Hintergrund eines konkreten Erkenntnisinteresses definiert, so z. B. Streng, der die strafrechtliche Sanktion als eine staatliche Maßnahme im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens bezeichnet, welche sich als schuldausgleichende und/oder kriminalpräventiv aus-
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Eine erste Orientierung für einen Sanktionsbegriff kann die Soziologie liefern: Sie beschreibt die Sanktion als ein Verhalten, das aus Anlass und mit Bezug auf ein vorhergehendes – und von der Sanktion zu unterscheidendes – Verhalten geschieht. Das vorhergehende Verhalten ist für die Sanktion insoweit Anlass, als dass jenes vorhergehende Verhalten vom Inhalt einer Verhaltensnorm abweicht. Die Sanktion bezieht sich auf das vorhergehende Verhalten, indem die Sanktion bezweckt, die künftige Einhaltung der Verhaltensnorm zu fördern. Als Erscheinungsformen der Sanktion lassen sich Belohnung, Übelszufügung, aber auch neutrale Verhaltensweisen beobachten. Im Folgenden soll für die Untersuchung ein Sanktionsbegriff aus den Kategorien Verhaltensnorm und Normbruch, Erscheinungsformen der Sanktion sowie Sanktionszwecke entwickelt werden. a) Verhaltensnorm und Normbruch Die Verhaltensnorm3 bildet eine Verhaltensweise ab, die sich wiederholt und dauerhaft bei den Mitgliedern einer sozialen Gruppe beobachten lässt und deren Vornahme oder Unterlassung von der sozialen Gruppe gefordert wird.4 Den Kern einer Verhaltensnorm macht demnach die Verhaltensforderung oder, anders ausgedrückt, das Verbot oder Gebot aus.5 Verhaltensnormen enthält auch das Recht, wenn man der sog. Imperativentheorie folgt, besteht das Recht sogar nur aus Verhaltensnormen.6 Die Verhaltensnormen des Rechts unterscheiden sich von den rein sozialen Verhaltensnormen darin, dass ein besonderer Glaube der Mitglieder der Gesellschaft in die Notwendigkeit ihrer Geltung besteht7 oder, sofern man Sanktion als Merkmal einer Verhaltensnorm ansieht, ein Rechtsstab existiert, der dazu bestellt ist, die Verhaltensnormen mit Zwang – also mit Sanktionen – durchzusetzen.8 Der Normbruch9 ist das konkrete Verhalten eines Individuums, das vom Inhalt einer solchen Verhaltensnorm abweicht. Wenn also eine Norm den Inhalt des Vergerichtete Rechtseinbuße gegen denjenigen richten, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, siehe Streng, Sanktionen, Rn. 1. 3 Das Wort „Norm“ leitet sich vom lateinischen „norma“ ab und bedeutet Winkelmaß, Richtschnur, Regel oder Vorschrift, siehe Drosdowski, Band 6, S. 2753. 4 Die Untersuchung legt demnach einen normativen Normbegriff zugrunde, der auf die Handlungstheorie von Weber zurückgeht, siehe Weber, S. 17 f., 181; siehe auch Röhl/Röhl, S. 200 f. 5 Röhl/Röhl, S. 201; Peuckert, in: Kopp/Schäfers, S. 215. 6 Vertiefend zur Imperativentheorie: Röhl/Röhl, S. 230 ff., Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 148 ff. 7 Ehrlich, S. 134 ff. 8 Weber, S. 17. 9 Daneben ist es nicht erforderlich, zusätzlich von der Situation der Normerfüllung oder Normgemäßheit zu sprechen, auch wenn es die sprachlichen Fassungen vieler Gesetze nahe-
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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haltensgebots X hat und ein Individuum in einer Situation, die das Verhalten X fordert, das Verhalten Y ausführt, so liegt ein Normbruch vor. Die wichtigste Gruppe der Verhaltensnormen des Ordnungswidrigkeitenrechts findet sich – nach der Imperativentheorie teilweise –10 in den Rechtssätzen des Besonderen Teils. So beinhaltet eine Verhaltensnorm z. B. § 121 I Nr. 1 OWiG in Form eines Verbots, ein gefährliches oder bösartiges Tier sich frei umher bewegen zu lassen. Die Abweichung von einer solchen Verhaltensnorm bezeichnet das Ordnungswidrigkeitenrecht, soweit sie rechtswidrig geschieht, als eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (vgl. § 1 II OWiG), soweit sie überdies schuldhaft geschieht, als eine Ordnungswidrigkeit (vgl. § 1 I OWiG). Als eine weitere Gruppe von Verhaltensnormen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind die Tatbestände des § 23 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG zu nennen. Sie verbieten es, einen Gegenstand zur Vorbereitung oder Ausführung einer Ordnungswidrigkeit zu überlassen (Nr. 1) oder einen Gegenstand, der hätte eingezogen werden können (Nr. 2), zu erwerben. Der Normbruch ist keine Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohte Handlung, sondern nach allgemeiner Terminologie eine quasi-vorwerfbare Handlung.11 Dementsprechend soll diese Form des Normbruchs auch als quasi-vorwerfbare Handlung bezeichnet werden. Die letzte Gruppe an Verhaltensnormen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind jene des Verfahrensrechts, die dem Betroffenen Handlungspflichten auferlegen. So kann sich z. B. aus dem Gesetz die Verhaltensnorm ergeben, als Zeuge vor einem Gericht zu erscheinen, vgl. § 46 I OWiG i.V.m. § 48 I 1 StPO12. Es können sich aber Verhaltensnormen auch aus Rechtsakten nichtgesetzlicher Art ergeben, wie z. B. Urteile oder Bußgeldbescheide.13 So folgt z. B. aus dem Bußgeldbescheid die Verlegen und auch in der Rechtsdogmatik üblicherweise von der Verwirklichung einer Norm gesprochen wird. Alle Verhaltensnormen, die Gebote enthalten, können umgekehrt als Verbote interpretiert werden; alle Verhaltensnormen, die Verbote enthalten, können umgekehrt als Gebote interpretiert werden. Demnach kann immer eine sprachliche Fassung einer gesetzlichen Verhaltensnorm gefunden werden, deren Verletzung sich als Normbruch darstellt. D. h., wenn die Verhaltensnorm des § 212 I StGB lautet, dass es verboten ist, Handlungen auszuführen, die zu dem Tod einer Person führen, so kann diese auch umformuliert werden, dass es geboten ist, Handlungen zu unterlassen, die zu dem Tod einer Person führen. Im Falle der letztgenannten Formulierung wäre das die Norm verletzende Verhalten ein Normbruch. 10 Nach der Imperativentheorie besteht die Rechtsordnung überwiegend aus unvollständigen Rechtssätzen. Die Zusammenschau der unvollständigen Rechtssätze ergibt vollständige Rechtssätze, wobei jeder vollständige Rechtssatz eine Verhaltensnorm enthält. Hiernach ergibt sich aus § 121 I Nr. 1 OWiG nur ein Teil der Verhaltensnorm. Weitere Teile der Verhaltensnorm ergeben sich aus den Vorschriften des Allgemeinen Teils, z. B. § 10 OWiG der grundsätzlich vorsätzliches Handeln fordert. Vgl. zur Imperativentheorie: Röhl/Röhl, S. 230 ff. 11 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 1; vgl. zur parallelen Rechtslage in § 74a StGB: Joecks, in: Joecks/Miebach, Band 2, § 74a, Rn. 5; Eser, in: Schönke/Schröder, § 74a, Rn. 1. 12 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 17 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 13 Röhl/Röhl, S. 198.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
haltensnorm, eine Geldbuße zu zahlen. Soweit eine Verhaltensnorm aus einem Gesetz verletzt wird, so soll der Normbruch als Verletzung einer gesetzlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren bezeichnet werden. Soweit eine Verhaltensnorm aus einem Rechtsakt der Judikative oder Exekutive verletzt wird, so wird dieser Normbruch als Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren bezeichnet werden. Ordnungswidrigkeitenverfahren in diesem Sinne soll hier jedes Verfahren sein, das eine Ordnungswidrigkeit, mit Geldbuße bedrohte Handlung oder quasi-vorwerfbare Handlung zum Gegenstand hat. Auch dann, wenn sich Sanktionen durch Verweisungen des OWiG z. B. auf die ZPO14 oder AO15 ergeben, sollen sie als Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts bezeichnet werden, denn sie werden durch die Verweisungen des OWiG in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu seinen Zwecken inkorporiert. Nachdem dargestellt wurde, an welche Formen von Normbrüchen der Sanktionsbegriff anknüpft, muss nun geklärt werden, welche Anforderungen an die Wahrnehmung bzw. Feststellung eines Normbruchs zu stellen sind. Die Anwendung einer Sanktion setzt im sozialen Bereich und im Recht nicht die unmittelbare Beobachtung und das unzweifelhafte Wissen eines Normbruchs durch das Sanktionssubjekt voraus. Zwar wird man im sozialen Bereich schon die Vermutung eines Normbruchs als Anlass für eine Sanktion beobachten können, im Recht genügt eine Vermutung jedenfalls nicht. Das Recht verlangt vom Rechtsanwender vielmehr die Annahme eines Normbruchs. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Annahme eines Normbruchs können verschiedene Rechtsbegriffe herangezogen werden: Die höchste Form der Annahme eines Normbruchs ist die Überzeugung von einem Normbruch. So ist z. B. die richterliche Überzeugung notwendig für die Verurteilung mit einer Strafe, vgl. § 261 StPO. Die niedrigste Form der Annahme – und diese stellt gleichwohl die Grenze nach unten dar – ist der hinreichende Tatverdacht.16 Hinreichender Tatverdacht ist Voraussetzung für die Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 170 I StPO und liegt vor, wenn bei der bestehenden Beweislage eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.17 Eine Verurteilung ist nur dann aus Sicht des Rechtsanwenders wahrscheinlich, wenn er das Vorliegen eines Normbruchs annimmt. 14 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 15 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 15 Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61), die durch Artikel 6 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 16 Hellmann meint hingegen, dass hinreichender Tatverdacht für eine Sanktionsverhängung nicht ausreichend ist, sondern nur die Überzeugung eines Normbruchs, Hellmann, § 10, Rn. 561. 17 Moldenhauer, in: Hannich, § 170, Rn. 3.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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Demgegenüber ist der Anfangsverdacht i.S.d. §§ 152 II, 160 I StPO kein Zustand mehr, bei dem von der Annahme eines Normbruchs gesprochen werden kann. Zwar erfordert Anfangsverdacht zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Tat.18 Im Umkehrschluss zum hinreichenden Tatverdacht ist jedoch festzustellen, dass es in der Vorstellung des Rechtsanwenders offenbleiben kann, ob ein Normbruch gegeben ist oder nicht. Der Anfangsverdacht ist deshalb nur als eine Vermutung eines Normbruchs zu verstehen. Wenn im Folgenden also davon die Rede ist, dass eine Maßnahme an eine Ordnungswidrigkeit usw. anknüpft, dann impliziert dies, dass das Gesetz die Annahme eines Normbruchs – in welcher Form auch immer – voraussetzt. Sofern sich im Folgenden eine Maßnahme auf der Grenze zwischen Annahme und Vermutung bewegt, so wird dies thematisiert. Zusammenfassend bedeutet dies für den Sanktionsbegriff, dass als Normbrüche erstens eine Ordnungswidrigkeit, zweitens eine mit Geldbuße bedrohte Handlung, drittens eine quasi-vorwerfbare Handlung oder viertens die Verletzung einer gesetzlichen oder rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren in Betracht kommen. b) Erscheinungsformen von Sanktion Die Sanktion kann verschiedenartige Erscheinungsformen annehmen. Diese werden in der Soziologie und Rechtssoziologie häufig mit den Adjektiven „positiv“ oder „negativ“ gekennzeichnet.19 Positive Sanktion liegt vor, wenn eine Person aufgrund ihres Verhaltens Belohnung oder Vorteil erhält.20 Von negativer Sanktion spricht man hingegen, wenn eine Person aufgrund ihres Verhaltens Nachteil zugefügt oder Vorteil entzogen wird.21
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Diemer, in: Hannich, § 152, Rn. 7. Schäfers, in: Korte/Schäfers, S. 35; Röhl, S. 201 ff.; Raiser, S. 223 ff. 20 Soziale positive Sanktionen können in gesellschaftlicher Anerkennung wie etwa einer Belobigung durch den Vorgesetzten bis hin zu einer finanziellen Besserstellung wie etwa einer Gehaltserhöhung bestehen, vgl. Schäfers, in: Korte/Schäfers, S. 35; Peuckert, in: Kopp/ Schäfers, S. 245; Raiser, S. 223 f.; Röhl, S. 218. Im Recht kann als positive Sanktion nur der Finderlohn gem. § 971 BGB bezeichnet werden. Ob auch Subventionen, Steuervergünstigungen und staatlichen Transferleistungen als positive Sanktionen zu werten sind, ist zweifelhaft, siehe Röhl/Röhl, S. 218 f. 21 Soziale negative Sanktionen können in verbalen (z. B. Feststellung des Normbruchs durch Tadel oder Beschimpfung), physischen (z. B. Prügel) oder sozialen (z. B. Entzug von Privilegien, Störung der Kooperation, Abbruch einer geschlechtlichen oder geschäftlichen Beziehung) Verhaltensweisen bestehen. Negative Sanktionen im Recht sind demgegenüber weniger vielfältig und es scheinen quantitativ die negativen Sanktionen zu dominieren (z. B. Strafen, Bußen und Schadensersatz); siehe Röhl/Röhl, S. 218 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97a. 19
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Als eine weitere Form von Sanktion kann der Sanktionsverzicht genannt werden.22 In Situationen, in denen eine negative Sanktion wegen eines Normbruchs angewendet werden könnte, kann beobachtet werden, dass auf eine Nachteilszufügung verzichtet wird, wenn der Normbrecher eine Gegenleistung erbringt, die zumindest in dem Versprechen der künftigen Normtreue besteht.23 Der Sanktionsverzicht ist demnach nicht gar kein Verhalten, sondern ein neutrales Verhalten, das selbst keine Nachteilszufügung darstellt, aber eine Nachteilszufügung des Sanktionsadressaten gegen sich selbst veranlasst. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses dieser Untersuchung stehen negative Sanktionen, die Gegenstand staatlicher Maßnahmen sind. Im Regelfall beinhalten diese staatlichen Maßnahmen Nachteilszufügungen dergestalt, dass sie Pflichten begründen und Rechte beschneiden. Jedoch lassen sich selten auch staatliche Maßnahmen beobachten, die darin bestehen, dass der Staat dem Einzelnen das Angebot macht, durch freiwillige Leistung die Durchführung eines Verfahrens mit möglicher Sanktionsverhängung zu vermeiden (z. B. Auflage gem. § 153a StPO). Es handelt sich hierbei um die Fälle von Sanktion durch Sanktionsverzicht. Im Sanktionsbegriff sollen die im Erkenntnisinteresse stehenden Erscheinungsformen von Sanktionen durch den Begriff Maßnahme repräsentiert werden. Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs bedeutet einerseits Nachteilszufügung und andererseits neutrale Maßnahme im Sinne eines Sanktionsverzichts. Der Begriff der Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist weiterhin dahingehend zu verstehen, dass nur konkrete Maßnahmen beschrieben werden, die von staatlichen Stellen ausgehen können. Hieraus folgen drei Einschränkungen: Ausgeklammert sind demnach erstens soziale Sanktionen nichtstaatlicher Personen, die aufgrund des Bruchs einer Rechtsnorm beobachtet werden können (z. B. wenn Freunde sich von einer wegen Mordes verurteilten Person aufgrund der Verurteilung abwenden). Ausgeklammert sind zweitens auch die Sanktionen, die der Normbrecher gegen sich selbst aufgrund einer staatlichen Maßnahme im Sinne einer Sanktion durch Sanktionsverzicht durchführt. Ausgeklammert ist drittens auch die Gesamtheit der staatlichen Behandlung als Sanktion. Gemeint ist hiermit der Topos „Verfahren als Sanktion“.24 Das Erkenntnisinteresse ist in dieser Untersuchung im Wesentlichen auf die gesetzlichen Regelungen von Sanktionen gerichtet. Sofern eine Sanktion Gegenstand einer Norm ist, wird diese Norm von der Rechtssoziologie als Sanktionsnorm bezeichnet.25 Sanktionsnorm ist Gegenstand dessen, was die Rechtstheorie und die 22
Spittler, S. 106 ff. Spittler, S. 106 ff. 24 Siehe hierzu Röhl/Röhl, S. 221. 25 Der Inhalt einer sozialen Sanktion ist in der Regel willkürlich und spontan, außerdem ist die Person oder der Personenkreis, die bzw. der eine Sanktion anwendet (sog. Sanktionssubjekte) im Zeitpunkt des Normbruchs nicht fest bestimmt, siehe Geiger, S. 54 ff., 91. Als Sanktionssubjekt kommt sogar der Normbrecher selbst in Betracht, siehe Popitz, S. 55 ff. 23
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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Rechtsdogmatik als Rechtsfolge bezeichnet.26 Gleichwohl soll hier aber keine Einschränkung auf das Gesetz als Quelle der Sanktionsnormen stattfinden. Es scheint im Ordnungswidrigkeitenrecht in Hinblick auf junge Menschen auch Sanktionsnormen ohne gesetzliche Grundlage zu geben (sog. Ermahnungen, Belehrungen oder Aufklärungen). Demgegenüber steht nicht im Erkenntnisinteresse die empirische Untersuchung von tatsächlich zu beobachtenden Sanktionen. Im Übrigen beschränken sich die Ausführungen zunächst auf die unmittelbaren Folgen der staatlichen Maßnahmen. Demnach ist z. B. unmittelbare Nachteilszufügung einer Geldbuße zunächst die Begründung einer Geldzahlungspflicht. Dass durch die Geldbuße mittelbar in die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG eingegriffen wird, soll erst im Abschnitt über die Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen besprochen werden. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass Erscheinungsformen von Sanktionen im Sanktionsbegriff als Maßnahme bezeichnet werden. c) Sanktionszwecke Der Zweck von Sanktion wird allgemein mit Konformitätserzeugung beschrieben, d. h., die Sanktion soll auf ein Mitglied einer sozialen Gruppe Druck aufbauen, sich an eine für die jeweilige Bezugsgruppe geltende soziale Norm zu halten.27 Sanktion wird deshalb als ein Element der sozialen Kontrolle bezeichnet.28 Dieser allgemeine Zweck lässt sich aber noch in verschiedene spezielle Zwecke aufgliedern. Es wird unterschieden zwischen repressiven, restitutiven, präventiven und symbolischen Zwecken. Diese speziellen Zwecke können kombiniert oder allein mit einer Sanktion verfolgt werden.
Denkbar ist, dass die soziale Sanktion selbst zum Inhalt einer Verhaltensnorm wird, d. h. also Inhalt und Anwender einer Sanktion im Zeitpunkt des Normbruchs feststehen, siehe Popitz, S. 48 ff. Die Verhaltensnorm nennt man in diesem Fall Sanktionsnorm, siehe Brusten, in: FuchsHeinritz u. a., S. 589; Röhl/Röhl, S. 223. Im sozialen Bereich tut man sich schwer, eine Sanktionsnorm zu identifizieren. Man wird vielleicht im Falle des Fremdgehens sagen können, dass der Abbruch der Beziehung durch den enttäuschten Partner auf einer Sanktionsnorm beruht. Anders ist die Situation im Recht. Im Recht beruhen alle Sanktionen auf Sanktionsnormen im vorbezeichneten Sinne, siehe Geiger, S. 91. Es besteht nur ein Unterschied zwischen der sozialen und rechtlichen Sanktionsnorm hinsichtlich des Sanktionssubjekts: Zum Vollzug der Sanktion ist eine besondere Instanz – im Regelfall ein staatlicher Hoheitsträger – bestellt, siehe Geiger, S. 91 ff. 26 Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 125 f. 27 Peuckert, in: Kopp/Schäfers, S. 247; Schäfers, in: Korte/Schäfers, S. 35. 28 Peuckert, in: Kopp/Schäfers, S. 247.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
aa) Repression Zuerst sind jene Sanktionszwecke zu nennen, die als „Repression“29 bezeichnet werden. Repression bedeutet die Auferlegung eines Nachteils, um eine stattgefundene Zuwiderhandlung zu unterdrücken.30 Dabei steht nur im Vordergrund, dass dem Normbrecher ein fühlbares Übel für seine Zuwiderhandlung auferlegt werden soll; auf das künftige Verhalten des Normbrechers soll hingegen nicht eingewirkt werden.31 Ausprägungen von Repression ergeben sich aus den Anknüpfungspunkten, auf die sich das zugefügte Übel bezieht. Deshalb wird unter Repression herkömmlicherweise die „Vergeltung der Schuld“32 des Normbrechers und die „Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ verstanden.33 Schuld wird dabei etwa nach dem BGH als Vorwurf des Andershandelnkönnens und die Entscheidung für das Unrecht definiert.34 Was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, lässt sich in dieser Untersuchung kaum abschließend klären.35 Es soll für diese Untersuchung genügen, unter Gerechtigkeit einen Zustand zu verstehen, in dem einer Person das ihr Zustehende gewährt wird.36
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Das Wort „Repression“ leitet sich vom lateinischen „repressio“ ab und bedeutet zurückdrängen, unterdrücken, siehe Drosdowski, Band 7, S. 3176. 30 Durkheim, S. 116 f.; Röhl/Röhl, S. 219; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97b. 31 Durkheim, S. 116 f.; Röhl/Röhl, S. 219; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97b. 32 Anstelle von Vergeltung wird auch von Ausgleich, Tilgung oder Sühne der Schuld des Normbrechers gesprochen, Roxin, Band 1, § 3, A, I, Rn. 2. Während Ausgleich und Tilgung synonym für Vergeltung stehen, meint Sühne darüberhinaus auch die innere Annahme des gerechten Schuldausgleichs durch den Normbrecher, Roxin, Band 1, § 3, A, I, Rn. 10. Früher war umstritten, ob es sich bei Repression um einen Zweck von Sanktion handelt. Diese Annahme wurde auf die Überlegung gestützt, dass nur die Verfolgung von sozialen Zielen und nicht von Ideen (Gerechtigkeit, Vergeltung) als Zwecke zu bezeichnen sind. Nach heute allgemeiner Auffassung wird aber auch die Repression als Zweck bezeichnet, Roxin, Band 1, § 3, A, I, Fn. 4. 33 Durkheim, S. 116 f., 135 ff., 158 f.; Röhl/Röhl, S. 219; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97b; Schuldausgleich und Wiederherstellung der Gerechtigkeit werden als Sanktionszwecke auf das sog. Talionsprinzip zurückgeführt, wonach ein Normbruch durch eine dem Normbruch entsprechende Sanktion gegen den Normbrecher zu ahnden ist („Auge um Auge“, Ex 21, 23 – 25); das Talionsprinzip ist schon seit dem Altertum belegt, so z. B. im Codex Ur-Nammu des sumerischen Königs ca. 2100 v. Chr.; in der Neuzeit wurde das Talionsprinzip in den Straftheorien von Kant und Hegel aufgegriffen, siehe Kant, § 49, E, I; Hegel, §§ 99, 101. Hegel hat das Talionsprinzip weiterentwickelt, indem er postulierte, dass die Sanktion nicht gleich dem Normbruch, sondern lediglich wertgleich sein müsse, siehe Hegel, § 101. 34 BGHSt 2, 194 (200). Umfassend zum Inhalt des Schuldbegriffs: Roxin, Band 1, § 19. 35 Siehe umfassend zum Begriff der Gerechtigkeit: Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 343 ff. 36 Diese Definition von Gerechtigkeit lehnt sich an jene von Platon an, siehe Platon, Politeia, 331 e.
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bb) Restitution Weiterhin wird als Sanktionszweck die „Restitution“37 genannt.38 Restitution bedeutet, dass durch die Sanktion der Zustand hergestellt werden soll, der ohne den Normbruch bestehen würde.39 cc) Prävention im Sinne von Verhaltenssteuerung und Verhaltensorientierung Als weiteren Sanktionszweck lässt sich die „Prävention“40 benennen.41 Hierunter kann einerseits Verhaltenssteuerung verstanden werden: Die angewendete Sanktion hat den Zweck, das Verhalten des Sanktionsadressaten zu regulieren.42 Zugleich gibt sie dem Sanktionsadressaten und Dritten (Dritte sind demnach mittelbare Sanktionsadressaten) einen Anhaltspunkt, wie sie ihr Verhalten künftig auszurichten haben.43 Zweck von Sanktion ist also auch Verhaltensorientierung.44 Das reine Inaussichtstellen oder Androhen einer Sanktion kann aber auch bereits eine Verhaltensorientierung bezwecken, ohne dass es tatsächlich zur Sanktionsanwendung kommt.45 Die Sanktion kann auch Prävention in dem Sinne bezwecken, als dass sie dazu dient, Verstimmungen – im schlimmsten Fall Rachegelüste – in einer sozialen Gruppe aufgrund eines Normbruchs abzubauen und zu verhindern, dass eine Person dauerhaft zum Sündenbock wird.46 37
Das Wort „Restitution“ leitet sich vom lateinischen „restitutio“ ab und bedeutet Wiederherstellung, Wiedergutmachung, siehe Drosdowski, Band 7, S. 3183. 38 Durkheim, S. 116 f., Röhl/Röhl, S. 219; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97b; Geiger bezeichnet die Restitution als Reparation oder äquivalierender Schadensersatz, Geiger, S. 44. 39 Durkheim, S. 116 f., 162 ff.; Geiger, S. 44; Röhl/Röhl, S. 219; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97b. 40 Das Wort „Prävention“ leitet sich vom lateinischen „praeventio“ ab und bedeutet Vorbeugung, Verhütung, siehe Drosdowski, Band 7, S. 2995. 41 Röhl/Röhl, S. 219; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 97b; Durkheim, S. 136, 158 f., 162 f., Durkheim hat die Prävention als Sanktionszweck eingeordnet, jedoch den Begriff der Prävention nicht verwendet. Der Sanktionszweck Prävention ist aber schon im Altertum erkannt worden, so zitiert Seneca sinngemäß Plato: „Wie schon Plato sagt, straft ja kein vernünftiger Mensch, weil ein Fehlverhalten aufgetreten ist, sondern damit es nicht wieder auftritt. Denn was vergangen ist, kann man nicht mehr ungeschehen machen; Zukünftiges ist zu verhindern.“ („nam, ut Plato ait, nemo prudens punit quia peccatum est, sed ne peccetur; revocari enim praeterita non possunt, futura prohibentur“), siehe Seneca, De ira, Erstes Buch, XIX-7 (siehe Wildberger, S. 63), Seneca bezieht sich auf Platon, Nomoi, 934 a (siehe hierzu Schöpsdau, S. 509 ff.). 42 Schäfers, in: Korte/Schäfers, S. 35. 43 Schäfers, in: Korte/Schäfers, S. 35. 44 Schäfers, in: Korte/Schäfers, S. 35. 45 Durkheim, S. 136, 162 f.; Geiger, S. 44. 46 Raiser, S. 224.
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dd) Prävention im Sinne von Gefahrenabwehr Prävention kann andererseits auch im Sinne von „Schutz der Allgemeinheit“ verstanden werden, was eher typisch für rechtliche Sanktionen als für soziale Sanktionen ist. Der Schutz der Allgemeinheit kommt in diesem Zusammenhang mit solchen Maßnahmen vor, die der Abwehr von Gefahren – anders ausgedrückt, die Vorbeugung eines Schadenseintritts – für Güter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und Gefahrenabwehrmaßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen genannt werden. Dieser Präventionszweck kann im Zusammenhang mit einer Verhaltenssteuerung stehen (z. B. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB),47 er muss es aber nicht (z. B. bei der Einziehung eines gefährlichen Gegenstandes gem. § 74 II Nr. 2 1. Alt. StGB oder § 22 II Nr. 2 1. Alt. OWiG).48 ee) Prävention im strafrechtlichen Sinne Prävention im Sinne von Verhaltenssteuerung wird regelmäßig im Zusammenhang mit Strafen und strafähnlichen Maßnahmen in einerseits „spezielle“ und „generelle“ Prävention und andererseits in „negative“ und „positive“ Prävention differenziert: Von Spezialprävention wird gesprochen, wenn sich die Sanktion auf eine konkrete Person bezieht, die einen Normbruch begangen hat.49 Von Generalprävention wird hingegen gesprochen, wenn sich die Sanktion auf einen allgemeinen Personenkreis bezieht, der keinen Normbruch begangen hat.50 Negative Prävention meint eine Sanktion, die der Sicherung oder der Abschreckung dient.51 Positive Prävention meint die Stärkung des Rechtsbewusstseins;52 neuerdings wird als Formulierung hierfür auch das Aufzeigen der „Unverbrüchlichkeit und Gerechtigkeit der Rechtsordnung“ benutzt.53
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Beispielsweise zur Prävention im Sinne von Verhaltenssteuerung: van Gemmeren, in: Joecks/Miebach, Band 2, § 63, Rn. 1. 48 Beispielsweise zur Prävention im Sinne von Sicherung der Allgemeinheit: Joecks, in: Joecks/Miebach, Band 2, § 74, Rn. 39; Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 5. 49 Roxin, Band 1, § 3, A, II, Rn. 11 ff.; Meier, S. 24; das Konzept der Spezialprävention in ihrer heutigen Form wurde im Wesentlichen von v. Liszt entwickelt, siehe von Liszt, S. 126 ff. 50 Roxin, Band 1, § 3, A, III, Rn. 21 ff.; Meier, S. 22; das Konzept der Generalprävention in ihrer heutigen Form wurde im Wesentlichen von v. Feuerbach entwickelt, siehe von Feuerbach, S. 12 ff. 51 Roxin, Band 1, § 3, A, II, Rn. 11, 24. Meier, S. 22, 25. 52 Roxin, Band 1, § 3, A, III, Rn. 25; Meier, S. 22 f. 53 BVerfGE 110, 1 (20).
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ff) Erziehung als eine Form der Prävention Eine Form der Prävention im Recht ist die Erziehung. Obwohl es sich beim Erziehungszweck um einen Kernbegriff des Jugendrechts handelt, bestehen erhebliche Unsicherheiten dahingehend, was unter Erziehung zu verstehen ist. Symptomatisch ist hierfür, dass der Gesetzgeber sich einer Legaldefinition enthalten hat. Das Problem einer Definition von Erziehung ist aber nicht hausgemacht, sondern hat seine Wurzeln außerhalb des Rechts. Was Erziehung überhaupt ist, wie weit Erziehung gehen darf und was gute Erziehung ist, sind Themen, die seit der Antike diskutiert werden.54 Neuen Schwung erhielt die Diskussion insbesondere durch die Zeit des Nationalsozialismus55 und die 68er-Studentenbewegung (sog. kritische Erziehungswissenschaft56). Im Folgenden soll der Begriff der Erziehung entwickelt werden. Dazu soll der Begriff der Erziehung zunächst in seiner Vielschichtigkeit aufgezeigt werden, den er in der Erziehungswissenschaft erhalten hat. Danach soll der Begriff vor dem Hintergrund der rechtswissenschaftlichen Äußerungen und des Rechts entwickelt werden. (1) Erziehungsbegriff der Erziehungswissenschaften Schleiermacher (1768 – 1834) formulierte noch im frühen 19. Jahrhundert, dass jenes, was man im Allgemeinen unter Erziehung verstehe, als bekannt vorauszusetzen sei.57 Diese Einschätzung wird heute in der Erziehungswissenschaft nicht mehr geteilt, sondern ganz im Gegenteil scheint unklar zu sein, wie der Begriff der Erziehung zu definieren ist.58 Lenzen nennt verschiedene Begriffsverständnisse von Erziehung, wobei er zwischen dem wissenschaftlichen Hintergrund differenziert:59 Erziehung ist aus Sicht der prinzipienwissenschaftlichen Pädagogik das Ganze der möglichen Hilfen an der Menschwerdung der Jugend, beginnend bei der Geburt und so lange fortdauernd, bis der Zögling in seine Mündigkeit entlassen werden könne.60 Für die prinzipienwissenschaftliche Pädagogik fallen unter Erziehung nicht nur belehrende Maßnahmen, sondern jede Form der Hilfe.61 Erziehung hat in ihrer 54 Zu Erziehungstheorien im historischen Überblick, vgl. Drinck, in: Hörner/Drinck/Jobst, S. 94 ff. 55 Drinck, in: Hörner/Drinck/Jobst, S. 110 ff. 56 Drinck, in: Hörner/Drinck/Jobst, S. 90 ff. 57 Schuffenhauer, S. 35. 58 Prange, in: Mertens/Frost/Böhm/Koch/Ladenthin, S. 193; Gudjons/Traub, S. 191 f. 59 Lenzen, S. 165 ff.; Übersichten auch bei Gudjons/Traub, S. 191 ff. und Kron/Jürgens/ Standop, S. 44 ff. 60 Groothoff, S. 74. 61 Lenzen, S. 166.
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Vorstellung ein doppeltes Ziel, nämlich die Menschwerdung und das Erreichen der Mündigkeit.62 Der Begriff impliziert die anthropologische Annahme, dass der Mensch grundsätzlich im umfassenden Sinne erziehungsbedürftig sei, weil er bei Geburt noch kein richtiger Mensch sei.63 Die anthropologische Voraussetzung hat demnach einen normativen Kern, der darin besteht, dass ein Mensch nur ab einem bestimmten Zustand, nämlich dem der Mündigkeit, sich als Mensch auszeichnet.64 Aus Sicht der geisteswissenschaftlichen Pädagogik ist Erziehung die planmäßige Tätigkeit, durch welche die Erwachsenen das Seelenleben der Heranwachsenden bilden.65 Dieser Auffassung geht es darum, die Erziehungswirklichkeit zu beschreiben und zu interpretieren.66 Dieser Begriff ist wertfrei, weil er keine Ziele von Erziehung formuliert, die implizit mit Wertungen verbunden sind.67 Die empirische Erziehungswissenschaft formuliert, dass unter Erziehung solche Handlungen zu verstehen sind, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen mit psychischen und sozialkulturellen Mitteln dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.68 Dem empirischen Erziehungsbegriff geht es darum, Erziehung als Handlung von anderen Handlungen unterscheidbar zu machen.69 Im Mittelpunkt des Begriffs steht nicht die Aufgabe bzw. der Zweck von Erziehung oder ob die Erziehungsmittel die gewünschten Wirkungen zeitigen, sondern die Personen, die am Erziehungsvorgang beteiligt sind.70 Die Aufgabe bzw. der Zweck besteht für diesen Begriff nur abstrakt in der Veränderung psychischer Dispositionen, sodass auch dieser Begriff wertfrei ist.71 Aus der Sicht der kritischen Erziehungswissenschaft ist Erziehung Repression und Erziehung müsse in dem Maße kritisiert werden, wie sie unnötige Repression sei.72 Nach diesem Begriff ist Erziehung Unterdrückung von Menschen. Was eine Form von Unterdrückung darstellt, muss in wertender Betrachtung festgelegt werden, weshalb dieser Begriff nicht wertfrei ist.73 Aber, so wie der zweite Teil der Definition zeigt, ist nicht jede Repression unbedingt schlecht – obwohl es hierbei auch wiederum ganz auf die Definition der Repression ankommt – und kritikwürdig, 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Lenzen, S. 166. Lenzen, S. 166. Lenzen, S. 166. Dilthey, S. 190. Lenzen, S. 168. Lenzen, S. 168. Brezinka, S. 45. Lenzen, S. 169. Lenzen, S. 169. Lenzen, S. 169. Lenzen, S. 170. Lenzen, S. 170 f.
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sondern nur die unnötige Repression.74 Notwendig sei etwa die Repression des Vaters gegenüber seinem Kind, wenn der Vater seinem Kind verbiete, eine gefährliche Straße zu betreten, um dieses vor vorbeifahrenden Autos zu schützen.75 Nicht notwendig sei die Repression, wenn der Vater im selben Sachverhalt seinem Kind ganz verbiete, die Wohnung zu verlassen.76 Der kritische Erziehungsbegriff beschreibt im Ergebnis nicht positiv, was Erziehung ist, sondern was Erziehung nicht sein soll.77 Erziehung ist aus Sicht der strukturalistischen Erziehungswissenschaft eine strukturale Tätigkeit, durch die Menschen Weltstrukturen so transformieren, dass lernende Menschen einen Aufbau ihrer kognitiven Strukturen in optimaler Weise vornehmen können.78 Im Mittelpunkt dieses Begriffs steht die lebenslange Entwicklung des Menschen im Sinne eines Aufbaus kognitiver Strukturen.79 Diese Strukturen stehen zueinander hierarchisch, d. h., dass der Erwerb einfacher Strukturen zum Erwerb weiterer differenzierter Strukturen befähigt und notwendig ist.80 Der Strukturaufbau vollzieht sich durch eine transformierende Tätigkeit des Lerners, wobei Umweltstrukturen in kognitive Strukturen umgewandelt werden.81 Die Umweltstrukturen können so angeordnet werden, dass der Aufbau von kognitiven Strukturen erleichtert wird.82 Erziehung ist die Anordnung der Umweltstrukturen in einer Weise, die einen erleichterten Aufbau kognitiver Strukturen ermöglicht.83 Dieses Verständnis kommt ohne konkrete Ziele des Erziehers und Bewertungen von Inhalten aus und ist somit wertfrei.84 Weiterhin wird Erziehung auch aus systemtheoretischer Sicht beschrieben. Nach diesem Ansatz ist Erziehung im Gegensatz zu Sozialisation intentionalisiertes und auf Intention zurechenbares Handeln.85 Es könne sein Ziel nur durch Kommunikation erreichen.86 Als Kommunikation sozialisiere sich dann auch Erziehung, aber nicht unbedingt so, wie intendiert.87 Vielmehr gewinne der, dem Erzogenwerden zugemutet werde, durch die Kommunikation dieser Absicht die Freiheit, auf Distanz zu gehen oder gar die andere Möglichkeit zu suchen und zu finden.88 Beachte man all 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88
Lenzen, S. 170 f. Lenzen, S. 171. Lenzen, S. 172. Lenzen, S. 172. Lenzen, S. 173. Lenzen, S. 173. Lenzen, S. 173. Lenzen, S. 173. Lenzen, S. 173. Lenzen, S. 173. Lenzen, S. 173 f. Luhmann, S. 330. Luhmann, S. 330. Luhmann, S. 330. Luhmann, S. 330.
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dieses, so sei es kaum noch möglich, Erziehung als erfolgswirksames Handeln zu begreifen.89 Dieser Ansatz von Luhmann interessiert sich nicht für die Normen, die Erziehung transportiert, sondern nur für die Absichten des Erziehers.90 Weil der Ansatz sich auch nicht für bestimmte Absichten des Erziehers interessiert, ist er ebenfalls wertfrei. Schließlich wird Erziehung aus Sicht der reflexiven Erziehungswissenschaften als Tätigkeit verstanden, die dem Lernenden in seiner Selbstorganisation die Möglichkeit verschaffe, sich selbst dort zu begrenzen, wo die Aura eines anderen beginne.91 Der Grundgedanke bei diesem Ansatz ist, dass durch die Darstellung des Leidens anderer die Fähigkeit vermittelt würde, zu sehen, an welcher Stelle durch das eigene Handeln anderen Personen unberechtigterweise Leid zugefügt werde.92 Dieser Ansatz erfordert, dass der Erzieher bestimmte Situationen auswählt, in denen Leid erlebbar wird und dass der Erzieher Leid als solches auch benennt. Dadurch, dass der Erzieher Situationen wählt und Benennungen vornimmt, hat er die Kontrolle über die zu vermittelnden Normen. Da sich dieser Begriff nicht für die konkreten zu vermittelnden Normen interessiert, ist auch er als wertfrei einzuordnen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ansätze zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Erziehung recht unterschiedlich ausfallen. Wobei Unterschiede im Anknüpfungspunkt, Schwerpunkt oder in Hinblick auf Wertfreiheit bzw. Wertbeladenheit bestehen. Der Gesichtspunkt der Wertfreiheit bzw. Wertbeladenheit soll abschließend noch einmal aufgegriffen werden. Ein wertbeladener Erziehungsbegriff, d. h. ein solcher, der konkrete Ziele der Erziehung beschreibt – so z. B. der Erziehungsbegriff der kritischen Erziehungswissenschaft –, stellt im Gegensatz zu einem wertfreien Erziehungsbegriff Bezüge zu Normen her. Der Bezug auf Normen führt zu einer weiteren begrifflichen Komplexitätsebene: Es muss nämlich weiter bestimmt werden, welche Normen transportiert werden sollen. Hierbei kann man abstrakt auf die Normen der Gesellschaft als solche abstellen93 oder aber auf die individuellen Normen des Erziehers. Welche Normen dies auch seien mögen, sie sind keine konstanten Größen, sondern auch Entwicklungen unterworfen: Waren es noch im abendländischen Raum im Mittelalter (und sogar bis in die Neuzeit) die Normen theologischer Natur und der höchste Zweck die christliche Divination („Er [der Mensch] wird zum Heil erzogen und soll Christ werden und christlich leben“94), so wurden diese in der frühen Neuzeit durch die Normen der Aufklärung verdrängt und der höchste Zweck der Erziehung 89 90 91 92 93 94
Luhmann, S. 331. Lenzen, S. 174 f. Lenzen, S. 176; krit. Gudjons/Traub, S. 195. Lenzen, S. 176. So z. B. Winkler, in: Krüger/Helsper, S. 71 ff. Prange, in: Mertens/Frost/Böhm/Koch/Ladenthin, S. 198.
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wurde die Emanzipation von unberechtigter Abhängigkeit.95 Die Besinnung der Pädagogik auf die Werte der Emanzipation von unberechtigter Abhängigkeit ist noch heute unter Flagge von Begriffen wie Demokratieprinzip und freiheitlich demokratische Grundordnung das Leitbild der normativen Pädagogik. Die Bezugnahme auf die Freiheit führt aber zu einem Widerspruch: Freiheit als Leitbild der normativen Pädagogik verpflichtet zu einer wertfreien Pädagogik.96 (2) Erziehungsbegriff in der Strafrechtswissenschaft In erster Linie ist Erziehung im strafrechtlichen Sinne als Zweck zu begreifen, vgl. § 2 I JGG; dieser Gedanke gilt auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht, soweit der Gesetzgeber dem Ordnungswidrigkeitenrecht ausdrücklich erzieherische Zwecke zuordnet (insbesondere § 98 OWiG).97 Weiterhin ist die Erziehung im strafrechtlichen Sinne wertungsbeladen, denn sie dient der Vermittlung von bestimmten Normen, nämlich solchen des Strafrechts bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts. Genauer kann der strafrechtliche Erziehungsbegriff aus den Äußerungen des Gesetzgebers nicht rekonstruiert werden. Demnach ist der strafrechtliche Erziehungsbegriff als ein unbestimmter Rechtsbegriff einzuordnen.98 Die inhaltliche Unbestimmtheit in rechtlicher Hinsicht einerseits und die unterschiedlichen Auffassungen zum Begriff der Erziehung außerhalb der Rechtswissenschaft andererseits führen erwartungsgemäß dazu, dass das strafrechtliche Schrifttum den Begriff als „unscharf“99 oder „mit Unsicherheiten verbunden“100 bezeichnet; außerdem wird die „inflationäre“ Verwendung des Begriffs Erziehung durch den Gesetzgeber trotz inhaltlicher Unbestimmtheit problematisiert.101 Zur Lösung dieser begrifflichen Problemlage werden im strafrechtlichen Schrifttum verschiedene Versuche unternommen, den Begriff der Erziehung zu konkretisieren:102 Nothacker versteht unter Erziehung die Sozialisation mit dem Ziel differenzierter Legalbewährung.103 Ostendorf meint hingegen, das Ziel der Erziehung dürfe nur Verhinderung des Rückfalls sein.104 Schaffstein/Beulke/Swoboda definieren das Ziel der Erziehung ebenfalls in der Verhütung des Rückfalls, fügen aber hinzu, Erziehung müsse darüber hinaus bei schweren und vielfach wiederholten Zuwiderhandlungen den Jugendlichen positiv beeinflussen und festigen, weil in 95
Prange, in: Mertens/Frost/Böhm/Koch/Ladenthin, S. 198. Prange, in: Mertens/Frost/Böhm/Koch/Ladenthin, S. 198 f. 97 Vgl. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120 ff. 98 So auch Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 10. 99 Nothacker, Erziehungsvorrang, S. 63 f. 100 Walter, in: Walter, Beiträge zur Erziehung im Jugendkriminalrecht, S. 1. 101 Pfeiffer, S. 57 f. 102 Übersicht bei Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 5 ff. 103 Nothacker, Erziehungsvorrang, S. 82 f. 104 Ostendorf, in: Walter, Beiträge zur Erziehung im Jugendkriminalrecht, S. 103. 96
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diesen Fällen die Rückfallgefahr meist in der Persönlichkeit des Jugendlichen wurzele.105 Streng versteht unter dem jugendstrafrechtlichen Erziehungsanliegen Rückfallprophylaxe und spezialpräventive Normbestätigung.106 Außerdem bedeute jugendstrafrechtliche Erziehung die Vermeidung schädlicher Eingriffe und die Rücksichtnahme auf Entwicklungsvorgänge sowie anderweitig zu leistende Erziehung.107 Nach Wolf ist Erziehung die Gesamtheit von Handlungen und Unterlassungen einer oder mehrerer erwachsener Menschen (Erzieher), die objektiv geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, einen nicht erwachsenen Menschen (Zögling) zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen, zu zwingen oder ihm ein bestimmtes Verhalten zu ermöglichen, um dadurch die Entwicklung des Zöglings zu einer Persönlichkeit mit vom Erzieher bestimmten Eigenschaften zu fördern oder zu sichern.108 Nach Böhm/Feuerhelm sind erzieherische Hilfen in strafrechtliche Maßnahmen integriert und dienen dazu, den Jugendlichen organisch an seine Verantwortlichkeit als Erwachsenen heranzuführen.109 Ausführlich zum Erziehungsbegriff haben sich Brunner/Dölling geäußert: Sie formulieren, dass strafrechtliche Erziehung das Bemühen sei, weitere Delikte des jungen Menschen zu verhindern, was eine Abstimmung von Reaktionen und Entwicklungsstand verlange.110 Erziehung sei also jugendgemäße Spezialprävention.111 Dabei sei das Legalverhalten nicht losgelöst von der Person des Handelnden zu betrachten, sondern habe bestimmte innere Voraussetzungen.112 Diese inneren Voraussetzungen seien soziale Handlungskompetenzen und das Verantwortungsbewusstsein, die Rechtsgüter anderer und der Gemeinschaft zu achten.113 Um dieses Ziel zu erreichen, sei oftmals eine positive Veränderung der Persönlichkeit erforderlich.114 Gleichwohl sei aber Erziehung nicht mit Pädagogik gleichzusetzen („Der Jugendrichter ist nicht Erzieher, auch nicht Richter und Erzieher zugleich“115).116 Schließlich bedeute Erziehung maßvolle Normverdeutlichung, d. h., der junge Mensch müsse erkennen, dass er sein Tun zu verantworten habe und dass er sein Verhältnis zur Umgebung selbst gestalte.117 Erziehung bedeute somit auch Befähi-
105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117
Schaffstein/Beulke/Swoboda, Rn. 8, 10 f. Streng, ZStW 1994, 83 (88 f.). Streng, ZStW 1994, 83 (88 f.). Wolf, S. 172. Böhm/Feuerhelm, S. 3. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 6. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 6. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 6. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 6. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 7. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 7. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 7. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 8.
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gung zur Selbstkontrolle und somit Zwang gegen sich selbst.118 Von der Erziehung zu unterscheiden sei die Repression, diese sei nicht Bestandteil von Erziehung, könne aber ihr Mittel sein.119 Einigkeit scheint dahingehend zu bestehen, dass der Begriff der strafrechtlichen Erziehung keine Repression und Abschreckung umfasst. Übereinstimmung scheint auch dahingehend zu bestehen, dass der Zweck von Erziehung die Verdeutlichung von Normen in der Vorstellungswelt des jungen Menschen ist. Teilweise wird der Zweck der Erziehung in der Vorbeugung der Wiederholungen der gleichen Zuwiderhandlungen gesehen. Teilweise wird der Zweck der Erziehung aber auch darüber hinaus in einer weitergehenden allgemeinen Vorbeugung jeglicher Zuwiderhandlungen verstanden. Teilweise wird der Zweck der Erziehung sogar im Allgemeinen in der Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung vom jungen Menschen zum Erwachsenen verstanden. (3) Stellungnahme Die Untersuchung möchte nicht von den gesetzgeberischen Rahmenbedingungen abweichen, sondern allenfalls diese konkretisieren. Demnach ist vorgegeben, dass es sich bei Erziehung im strafrechtlichen Sinne erstens um die Beschreibung eines Zwecks handelt und dass der Zweck zweitens auf den – wie auch immer ausgestalteten – Transport von Normen, des Strafrechts bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts, gerichtet ist. Drittens ist zu beachten, dass der Gesetzgeber den Erziehungszweck von den allgemeinen Strafzwecken abheben wollte. Die Untersuchung schließt sich denjenigen Auffassungen an, die Erziehung als Normverdeutlichung im Sinne einer Unterstützung beim Normerlernen verstehen und Repression und Abschreckung als Inhalte von Erziehung ablehnen. Ein solcher Standpunkt ist vorzugswürdig, weil nach derzeitigem Stand der kriminologischen Forschung repressiv und abschreckende Einwirkungen auf junge Menschen weniger nachhaltig als solche zu wirken scheinen, die auf Normverdeutlichung im vorbezeichneten Sinne gerichtet sind.120 Würde man hier jedoch stehen bleiben, so wäre Erziehung nichts anderes als positive Spezialprävention. Eine Unterscheidbarkeit erreicht man allenfalls dann, wenn man das Ziel der erzieherischen Einwirkung nicht bloß auf das allgemeine Legalverhalten des jungen Menschen, sondern auf die Persönlichkeit des jungen Menschen bezieht und Erziehung somit als eine intensivere sowie tiefgreifendere Einwirkung begreift. Die Einwirkung auf die Persönlichkeit darf dabei aber nicht in dem Sinne verstanden werden, dass der Richter den jungen Menschen nach seinen 118
Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 8. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 9. 120 Darauf deutet die Untersuchung von Pfeiffer zum Brücke-Projekt hin, siehe Pfeiffer, S. 321 ff.; vgl. auch Pfeiffer, S. 91; Zimring/Hawkins, S. 152 ff. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die kriminologische Skepsis der 70er und 80er Jahre am Erfolg spezialpräventiver Einwirkungen wieder abzunehmen scheint, siehe Meier, S. 30 ff. 119
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Vorstellungen formt. Dies würde dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechen. Vielmehr muss der Richter im Sinne der strukturalistischen Erziehungswissenschaft die Umweltstrukturen des jungen Menschen in den Blick nehmen und seine Umwelt und die zu erlernenden Normen in einer Weise aufbereiten, dass der junge Mensch gemessen an seinen Fähigkeiten in der Lage ist, diese in seine Vorstellungswelt zu integrieren. Naturgemäß unterliegen solche Eingriffe hohen Anforderungen, denen das Strafrecht bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht aber auch gerecht wird: Dort wo keine Persönlichkeitsmängel bestehen, sind auch keine erzieherischen Maßnahmen geeignet, dort wo mildere Mittel wie die Reaktionen Dritter (Eltern, Schule) bestehen, sind erzieherische Maßnahmen nicht erforderlich, sodass staatliche Reaktionen unverhältnismäßig und Verfahren einzustellen sind. Im Jugendstrafrecht ist dies über das Mittel der Diversion gem. §§ 45, 47 JGG zu erreichen; im Ordnungswidrigkeitenrecht ist hierfür das Verfolgungsermessen gem. § 47 OWiG und das fast ausschließliche Rechtsfolgenermessen das Mittel. Neben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sind aber auch andere Faktoren zur Verhinderung unnötiger Erziehung vorhanden, wie z. B. das Schuldprinzip121 oder das Subsidiaritätsprinzip122. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass einer Abgrenzung von Erziehung im strafrechtlichen Sinne und Pädagogik, wie Brunner/Dölling sie vornehmen, nicht zugestimmt werden kann. Wie die erziehungswissenschaftliche Analyse gezeigt hat, muss die Rolle des Erziehers nicht auf Erzieher im beruflichen Sinne, Lehrer und Eltern reduziert werden. Nicht verständlich ist, warum der Richter nicht daneben treten solle – und die Situation, in der der Richter daneben tritt, ist dabei auch die Ausnahme. Mit Entschiedenheit muss deshalb die Aussage, der Richter sei nicht Erzieher, zurückgewiesen werden, weil dadurch Erziehung im strafrechtlichen Sinne und Erziehung im erziehungswissenschaftlichen Sinne voneinander aus formalistischen Gründen getrennt werden. Dies hätte nämlich zur Folge, dass man den reichen Schatz an Erkenntnissen der Erziehungswissenschaft links liegen lässt, den die Rechtswissenschaft selber kaum besorgen kann. (4) Ergebnis Erziehung im strafrechtlichen Sinne ist das Aufzeigen bzw. Verdeutlichen verletzter Normen verbunden mit der Einwirkung auf die Persönlichkeit des jungen Menschen mit dem Ziel, den jungen Menschen beim Erlernen von Normen zu unterstützen.
121 122
Siehe unten Kapitel B. II. 3. c) aa) (2). Siehe unten Kapitel B. II. 3. c) aa) (3).
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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gg) Symbolischer Zweck Schließlich können Sanktionen auch symbolische Zwecke zugeordnet werden. Mit den Überlegungen zum Schuldausgleich und der Vermeidung einer Sündenbockrolle des Normbrechers hängt zusammen, dass durch die Anwendung der Sanktion der Normbrecher von seiner Schuld „gereinigt“ wird und deshalb wieder in die Gesellschaft zurückkehren kann.123 Daneben kann Sanktion auch eine Solidaritätsbekundung mit dem Opfer eines Normbruchs sein.124 Der symbolische Zweck von Sanktion muss im Sanktionsbegriff nicht eigenständig repräsentiert werden, denn er stellt eine Teilmenge der anderen Sanktionszwecke dar. hh) Ergebnis Zusammenfassend sollen im Sanktionsbegriff die Zwecke von Sanktion mit den Begriffen repressiv, restitutiv und präventiv beschrieben werden. d) Ergebnis Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts ist eine Maßnahme, die als Reaktion auf die Begehung einer Ordnungswidrigkeit, mit Geldbuße bedrohten Handlung, quasi-vorwerfbaren Handlung oder sonst wegen der Verletzung einer gesetzlichen oder rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren vorgesehen ist und repressive, restitutive oder präventive Zwecke verfolgt. 2. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts im Einzelnen In der folgenden Darstellung soll geprüft werden, ob erstens eine fragliche Rechtsfolge ihren Anlass in einer Ordnungswidrigkeit, mit Geldbuße bedrohten Handlung, quasi-vorwerfbaren Handlung oder Verletzung einer gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren nimmt, ob zweitens diese Rechtsfolge eine Maßnahme im Sinne einer Nachteilszufügung oder eines neutralen Verhaltens ist und ob drittens die Rechtsfolge repressive, restitutive oder präventive Zwecke verfolgt.
123 124
Raiser, S. 224. Meier, S. 6.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
a) Hauptfolge des Ordnungswidrigkeitenrechts: Die Geldbuße gegen natürliche Personen Die Geldbuße ist die einzige Hauptfolge des Ordnungswidrigkeitenrechts.125 Der Begriff „Hauptfolge“ wird im Gesetz nicht ausdrücklich verwendet. Er soll die Geldbuße als jene Rechtsfolge einer Tat kennzeichnen, die eine zentrale Stellung im Rechtsfolgensystem des Ordnungswidrigkeitenrechts einnimmt. Die Hauptfolge wird somit von den „Nebenfolgen“ einer Tat abgegrenzt, die nur eine untergeordnete Stellung im Rechtsfolgensystem des Ordnungswidrigkeitenrechts einnehmen.126 Die Einordnung der Geldbuße als Hauptfolge ist formaler Natur und zeitigt darüber hinaus keine Rechtsfolgen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt mit der Geldbuße gegen natürliche Personen und der Verbandsgeldbuße verschiedene Formen der Geldbuße. Nach dem hier vertretenen Verständnis von Hauptfolge und Nebenfolgen ist die Verbandsgeldbuße127 als Nebenfolge zu qualifizieren. Die Geldbuße gegen natürliche Personen ist die Rechtsfolge eines jeden Rechtssatzes, der eine Ordnungswidrigkeit enthält.128 Die zentrale Stellung der Geldbuße im System des Ordnungswidrigkeitenrechts resultiert daraus, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption die Geldbuße das Erkennungsmerkmal der Ordnungswidrigkeit ist, vgl. § 1 I OWiG. Das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Durch die Geldbuße wird einer natürlichen Person auferlegt, einen Geldbetrag an die Staatskasse zu zahlen, ohne dass dem Betroffenen für diesen Geldbetrag ein Anspruch auf eine staatliche Gegenleistung erwächst. Die Nachteilszufügung der Geldbuße besteht in der Belastung des Vermögens des Betroffenen mit einer Geldforderung, oder allgemeiner ausgedrückt, in der Belastung des Betroffenen mit einer Handlungspflicht. Keine Nachteilszufügung tritt durch die Geldbuße dergestalt ein, dass durch ihre Verhängung ein ehrenrühriges Unwerturteil oder ein öffentlicher Tadel über den Betroffenen ausgesprochen wird.129 Die Geldbuße beinhaltet eine Nachteilszufügung und ist deshalb Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Zwecke der Geldbuße können nicht von der Kriminalstrafe und ihren Strafzwecken abgeleitet werden, denn die Geldbuße ist keine Kriminalstrafe.130 Ihre Zwecke sind demzufolge eigenständig zu bestimmen:
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Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 5. Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 5. 127 Siehe unten Kapitel B. I. 2. b) aa). 128 Eine Ausnahme hiervon ist die Geldbuße nach § 7 BDG, die nicht Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit, sondern eines beamtenrechtlichen Dienstvergehens ist, Rogall, in: Senge, § 1, Rn. 5, 16. 129 BVerfGE 9, 167 (171); 22, 49 (79); 27, 18 (33). 130 BVerfGE 22, 49 (80); 27, 18 (33). 126
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Die Geldbuße hat einen repressiven Zweck.131 Dieser lässt sich unter Heranziehung der Legaldefinition des jugendstrafrechtlichen Zuchtmittels derart beschreiben, dass die Geldbuße dem Täter eindringlich zu Bewusstsein bringen soll, dass er für das von ihm verwirklichte Unrecht einzustehen hat.132 Der repressive Zweck kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Geldbuße eine nach § 1 I OWiG vorwerfbare Tat voraussetzt. Der Vorwurf wird durch die Zahlung der Geldbuße vergolten. Weiterhin verfolgt die Geldbuße auch präventive Zwecke: Die Geldbuße soll dem Täter eine Pflichtenmahnung sein.133 Damit ist vordergründig Abschreckung von weiteren Zuwiderhandlungen im Sinne negativer Spezialprävention gemeint. Die Pflichtenmahnung ist auch an die Allgemeinheit adressiert, die gesetzte Ordnung zu beachten, weshalb der Geldbuße auch der Zweck der negativen Generalprävention zugeordnet werden kann.134 Im Hintergrund stehen demgegenüber die aus der Pflichtenmahnung folgenden Aspekte der Stärkung des Rechtsbewusstseins des Betroffenen und der Allgemeinheit im Sinne positiver Spezial- bzw. Generalprävention. Dies ist damit zu begründen, dass im idealtypischen Verfahren, das zur Verhängung einer Geldbuße führt – das Verfahren durch die Verwaltungsbehörde –, diejenigen kommunikativen Akte, die für eine wirksame Stärkung des Rechtsbewusstseins förderlich wären (z. B. direktes Gespräch zwischen Sanktionierten und Sanktionssubjekt; Probation), fehlen oder drastisch reduziert sind. Als weiteren Zweck verfolgt die Geldbuße gem. § 17 III OWiG ausdrücklich den Zweck der Gewinnabschöpfung, soweit der Täter durch die Ordnungswidrigkeit einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat. Dahinter steht der Gedanke, dass sich Ordnungswidrigkeiten nicht lohnen dürfen.135 Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG zum Verfall (jetzt: Einziehung des Wertes von Taterträgen) ist dieser Gedanke dahingehend zu verstehen, dass die Gewinnabschöpfung die durch eine Zuwiderhandlung entstandene Störung der Vermögensordnung für die Zukunft beseitigen solle, wonach die Gewinnabschöpfung „ordnend“ im Sinne des Gefahrenabwehrrechts sei, jedoch nicht dem Schutz der Allgemeinheit diene.136 Die Ordnung der Vermögenslage diene dazu, die Unverbrüchlichkeit und die Gerechtigkeit der Rechtsordnung zu erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung zu stärken, 131 BVerfGE 27, 18 (28); Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 8; Gürtler, in: Göhler, Vor § 1, Rn. 9; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 17, Rn. 2; Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 17, Rn. 2; Mielchen, in: Haus/Krumm/Quarch, § 17 OWiG, Rn. 1. 132 Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 8. 133 BVerfGE 27, 18 (33); Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 9; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 17, Rn. 2; Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 17, Rn. 2; Mielchen, in: Haus/Krumm/Quarch, § 17 OWiG, Rn. 1; a.A. BVerfGE 22, 125 (131), wenn es dort heißt, dass Prävention lediglich eine Nebenwirkung sei. 134 OLG Düsseldorf wistra 1995, 75; Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 9; Gürtler, in: Göhler, Vor § 1, Rn. 9; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 17, Rn. 2; Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 17, Rn. 2; Mielchen, in: Haus/Krumm/Quarch, § 17 OWiG, Rn. 1. 135 Gürtler, in: Göhler, § 17, Rn. 37; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 15, Rn. 15. 136 BVerfGE 110, 1 (17).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
wonach die Gewinnabschöpfung präventiv im Sinne positiver Generalprävention sei.137 Demgegenüber sei die Gewinnabschöpfung nicht im Sinne von Abschreckung des Täters oder der Allgemeinheit zu verstehen.138 Auch hier gilt, dass der nunmehr durch die Gewinnabschöpfung vermittelte Zweck der positiven Generalprävention gegenüber den anderen Zwecken im Hintergrund steht, denn die Individualgeldbuße ist aufgrund der Gegebenheiten ihrer Verhängung kaum in der Lage, eine derartige Wirkung zu erzielen. Der ordnende Zweck lässt sich vor dem Hintergrund der formulierten Sanktionszwecke auch als restitutiv bezeichnen, wobei zu differenzieren ist: Eine nur teilweise Restitution der Vermögensordnung ist dort anzunehmen, wo ein Opfer einer Ordnungswidrigkeit vorhanden ist, denn dieses bekommt durch die Geldbuße nicht spiegelbildlich seinen Vermögensschaden ausgeglichen. Eine vollständige Restitution der Vermögensordnung kann man hingegen dort annehmen, wo es kein Opfer einer Ordnungswidrigkeit gibt, dessen Vermögensschaden auszugleichen wäre (vorstellbar bei Umweltordnungswidrigkeiten). Ausweislich der Gesetzesmaterialien verfolgt die Geldbuße gegenüber jungen Menschen keine erzieherischen Zwecke: Erstens ist die Formulierung des Gesetzgebers, dass sich die Geldbuße als ein „erziehungsmäßig untaugliches Mittel“139 erweise, dahingehend zu verstehen, dass die Geldbuße abstrakt ein zu Erziehungszwecken ungeeignetes Mittel gegenüber den erzieherischen Maßnahmen des § 98 OWiG darstellt. Zweitens unterscheidet er zwischen Geldbuße einerseits und Erziehungsmaßnahmen andererseits.140 Schließlich betont der Gesetzgeber drittens, dass im Regelfall eine besondere erzieherische Behandlung junger Menschen vor dem Hintergrund des Ordnungswidrigkeitenrechts – massenhaft auftretende Fehlverhalten, die aus Gründen der Prozessökonomie nur von Behörden behandelt werden können, die in der Regel keine besondere fachliche Eignung zur Behandlung von jugendspezifischen Fragestellungen haben –141 nicht möglich ist. Die Geldbuße verfolgt also repressive, restitutive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Geldbuße gegen natürliche Personen ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. b) Nebenfolgen des Ordnungswidrigkeitenrechts Das Ordnungswidrigkeitenrecht nennt einige Maßnahmen ausdrücklich Nebenfolgen. Nebenfolgen im engeren Sinne sind alle Rechtsfolgen, die neben einer Geldbuße angewendet werden können. In diesem Sinne liegt der Begriff der Ne137 138 139 140 141
BVerfGE 110, 1 (20); a.A. Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 17, Rn. 2. BVerfGE 110, 1 (19). Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 121 f. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39 f.
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benfolge dem § 66 I Nr. 5 OWiG zugrunde. Als Nebenfolgen im weiteren Sinne werden alle Rechtsfolgen einer Tat ausschließlich der Geldbuße bezeichnet. Im Begriff der Nebenfolge im weiteren Sinne kommt zum Ausdruck, dass die Nebenfolge eine Maßnahme im Rechtsfolgensystem des Ordnungswidrigkeitenrechts ist, die im Vergleich zur Geldbuße als Hauptfolge142 eine weniger bedeutende Stellung einnimmt.143 Der Begriff der Nebenfolge im weiteren Sinne ist nur formaler Natur und aus ihm ergeben sich keine weiteren Rechtsfolgen. Die Untersuchung verwendet im Folgenden den Begriff der Nebenfolge im weiteren Sinne. Da der Begriff auf die Rechtsfolgen einer Tat beschränkt ist, fallen in diesen Abschnitt nur solche Maßnahmen, die an eine Tat im Sinne einer Ordnungswidrigkeit, mit Geldbuße bedrohten Handlung oder quasi-vorwerfbaren Handlung anknüpfen. Als Nebenfolgen sollen hier weiterhin nur jene Maßnahmen genannt sein, die tatbestandlich unmittelbar an eine Ordnungswidrigkeit usw. anknüpfen. aa) Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG Nach dem hier vertretenen Verständnis von Hauptfolge und Nebenfolgen ist die Verbandsgeldbuße als Nebenfolge144 zu qualifizieren.145 Es ist zu unterscheiden zwischen der Verbandsgeldbuße im verbundenen Verfahren gem. § 30 I OWiG – in diesem Verfahren wird neben der Geldbuße gegen eine natürliche Person zugleich im selben Bußgeldbescheid eine Geldbuße gegen den Verband festgesetzt – und der Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren gem. § 30 IV OWiG – in diesem Verfahren wird nur gegen den Verband eine Geldbuße im selbstständigen Bescheid festgesetzt. (1) Verbandsgeldbuße im verbundenen Verfahren Eine besondere Form der Geldbuße ist die Verbandsgeldbuße, die ihre Bezeichnung aufgrund der Zurechnungsnorm des § 30 OWiG erhalten hat.146 Sie ist die Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat, die durch einen Repräsentanten (Organe und Organwalter einer juristischen Person147, Vorstände oder Vorstandsmitglieder eines nicht rechtsfähigen Vereins148, vertretungsberechtigte Gesellschafter einer Personengesellschaft149, Bevollmächtigte150, sonstige 142 143 144 145 146 147 148 149
Siehe zum Begriff der Hauptfolge oben Kapitel B. I. 2. a). Siehe hierzu Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 3, 8 und § 29a, Rn. 5. Siehe zum Begriff der Nebenfolge oben Kapitel B. I. 2. b). A.A. BGH NJW 2001, 1437; Achenbach, in: FS-Stree/Wessels, S. 547, dort Fn. 4. Zur Rechtsnatur des § 30 OWiG: Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 2. Vgl. hierzu Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 62 ff. Vgl. hierzu Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 71. Vgl. hierzu Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 72 ff.
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Personen mit Leitungsbefugnissen151 oder Überwachungs- und Kontrollbefugnissen152) eines Verbandes (juristische Person153, Personenvereinigung154) in Ausübung einer Tätigkeit für den Verband begangen wurde.155 Das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Auch hier gilt, dass die Nachteilszufügung in der Begründung einer Geldforderung bzw. einer Handlungspflicht besteht.156 Besonderheit der Verbandsgeldbuße ist, dass der Adressat der Nachteilszufügung der Verband ist, für den der Repräsentant, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, gehandelt hat. Demnach wird also das Vermögen des Verbandes mit einer Geldforderung bzw. der Verband mit einer Handlungspflicht belegt. Es liegt also eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Während der Adressat der Nachteilszufügung der Verband ist, kann dieser Adressat der Sanktionszwecke nur teilweise selbst sein. Repressive Zwecke zielen auf einen Schuldvorwurf ab, der nach deutscher Rechtsdogmatik jedoch nur natürlichen Personen gemacht werden kann.157 Sofern präventive Zwecke auf eine Verhaltenssteuerung abzielen, so kann dies nur auf das Verhalten der Repräsentanten des Verbandes bezogen werden. Demgegenüber spricht nichts dagegen eine restitutive Zweckverfolgung auch gegenüber einem Verband anzunehmen. Wie oben gesehen, kann im Wege der Gewinnabschöpfung (§ 17 IV OWiG) ein solcher restitutiver Zweck für die Geldbuße begründet werden,158 der auch im Verhältnis zum Verband geltend gemacht werden kann.159
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Vgl. hierzu Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 79 ff. Vgl. hierzu Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 82 ff. 152 Vgl. hierzu Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 82 ff. 153 Als juristische Personen kommen in Betracht: Rechtsfähige Verein, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, rechtsfähige Stiftung, Aktiengesellschaft, Europäische Gesellschaft (SE), Kommanditgesellschaft auf Aktien, eingetragene Genossenschaft, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Nach h.M. fallen unter den Begriff der juristischen Personen auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts; demnach sind auch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts erfasst. Vgl. hierzu umfassend: Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 34 ff. 154 Als Personenvereinigung ist der nichtrechtsfähige Verein zu nennen und die rechtsfähigen Personengesellschaften. Als rechtsfähige Personengesellschaft kommen in Betracht: Offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), Partnerschaft, sowie die (Außen-) BGB-Gesellschaft. Vgl. hierzu umfassend: Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 40 ff. 155 Die Verbandsgeldbuße kann auch verhängt werden, wenn eine Straftat begangen wurde, § 30 I OWiG. Vor dem Hintergrund der Untersuchung bleibt dieser Anknüpfungspunkt aber außer Betracht. 156 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 157 Pohl-Sichtermann, S. 53 f.; zum Schuldbegriff ausführlich: Roxin, Band 1, § 19; zum Schuldbegriff im Ordnungswidrigkeitenrecht: Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 10, Rn. 2. 158 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 151
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Als Adressat der Sanktionszwecke kommt weiterhin der Repräsentant, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, in Betracht. Diesen treffen die repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke160 der Verbandsgeldbuße.161 Als weitere Adressaten der Sanktionszwecke sind – sofern der Verband nicht nur einen Repräsentanten im vorbezeichneten Sinne hat – die Repräsentanten desselben Verbandes und anderer Verbände erfasst, die keine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Sie sollen im Sinne von positiver Generalprävention ermahnt werden, künftig auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bei ihren eigenen Handlungen und denen ihrer Mitarbeiter zu achten.162 Als weitere Adressaten der Generalprävention sind – sofern vorhanden – Gesellschafter zu nennen, die nicht Repräsentanten im Sinne des § 30 OWiG sind, aber die Berechtigung haben, Repräsentanten eines Verbandes mitzubestimmen. Sie sollen dahingehend ermahnt werden, in Zukunft Sorgfalt bei der Auswahl der Repräsentanten walten zu lassen. Der Zweck der positiven Generalprävention lässt sich neben der Pflichtenmahnungsfunktion auch aus der Gewinnabschöpfungsfunktion der Geldbuße gem. § 17 IV OWiG herleiten.163 Schließlich wird man einen gewissen positiven generalpräventiven Zweck auch gegenüber der Allgemeinheit annehmen können. Man könnte dem zwar zunächst entgegenhalten, dass im Gegensatz zu den oben genannten weiteren Adressaten (Repräsentanten desselben Verbandes, die keine Ordnungswidrigkeit begangen haben usw.) die Allgemeinheit gar nicht zu einer Verhaltensänderung angehalten werden soll und positive Generalprävention deshalb eher als Wirkung und nicht als Zweck zu qualifizieren sei. Für die eingangs formulierte These spricht die vom BVerfG zur strafrechtlichen Gewinnabschöpfung aufgestellte Behauptung – und Gewinnabschöpfung verfolgt die Verbandsgeldbuße gem. § 17 IV OWiG auch –, dass Gewinnabschöpfung im Sinne positiver Generalprävention die Unverbrüchlichkeit und Gerechtigkeit der Rechtsordnung erweisen und somit die Rechtstreue der Bevölkerung stärken solle.164 Generalpräventive Wirkungen lassen sich jedenfalls nicht leugnen, denn die kartellrechtlichen Verbandsgeldbußen erreichen zunehmend eine breite Öffentlichkeit und befördern das Bild des wachenden und die Rechtsordnung durchsetzenden Staates.
159 So auch Rebmann/Roth/Herrmann, die den restitutiven Zweck jedoch als reparativen Zweck bezeichnen, Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, Vor § 30, Rn. 8, Stand: 8. Lfg., August 2004. 160 Ausführlich zu den repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Sanktionszwecken Kapitel B. I. 2. a). 161 Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 16; hinsichtlich des repressiven Zwecks siehe auch PohlSichtermann, S. 53. 162 Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, Vor § 30, Rn. 8, Stand: 8. Lfg., August 2004; Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 16; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 16, Rn. 7; Mielchen/ Richter, in: Haus/Krumm/Quarch, § 30 OWiG, Rn. 4. 163 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 164 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a).
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Im Vergleich zur Individualgeldbuße steht bei der Verbandsgeldbuße der Zweck der positiven Generalprävention gleichberechtigt neben den anderen Zwecken. Dies hängt damit zusammen, dass die Verbandsgeldbuße auch gerade auf die nicht unmittelbar handelnden Verantwortlichen eines Verbandes abzielt, die zum Zwecke der Gewinnerzielung Gesetzesverletzungen geschehen lassen oder ihre Kontrollbefugnisse nicht ausreichend wahrnehmen. Somit verfolgt die Verbandsgeldbuße also repressive, restitutive und präventivverhaltenssteuernde Zwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verbandsgeldbuße im verbundenen Verfahren ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. (2) Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren Nach § 30 IV 1 OWiG kann gegen einen Verband eine Geldbuße im selbstständigen Verfahren festgesetzt werden, wenn wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Verfahren nicht eingeleitet oder ein Verfahren eingestellt wird.165 Nach § 30 IV 2 OWiG kann auch bei Vorliegen einer besonderen gesetzlichen Regelung in weiteren Fällen ein selbstständiges Verfahren durchgeführt werden. Die Vorschrift befreit nicht vom materiell-rechtlichen Erfordernis einer Ordnungswidrigkeit. Die Vorschrift soll regelmäßig darüber hinweghelfen, dass die Identität des Täters nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden kann.166 Es werden demnach die Anforderungen an die Feststellung des konkreten Täters gesenkt, es muss aber feststehen, dass irgendein Repräsentant des Verbandes eine Ordnungswidrigkeit begangen hat.167 Daneben hilft § 30 IV OWiG aber auch über solche Situationen hinweg, in denen eine Ordnungswidrigkeit vorliegt und ihr Täter bekannt ist, aber aus einem anderen Grund ein Verfahren nicht eingeleitet oder ein Verfahren eingestellt wird.168 Es liegt also das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Zum Adressaten sowie zur Art und Weise der Nachteilszufügung gilt das oben Gesagte entsprechend.169 Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Bei den Zwecken, die gegenüber dem ordnungswidrig handelnden Repräsentanten verfolgt werden, muss danach differenziert werden, ob er bekannt oder unbekannt ist und welcher Grund vorliegt, der die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens erforderlich macht. 165
Das selbstständige Verfahren kann auch dann durchgeführt werden, wenn von Strafe abgesehen wird, § 30 IV 1 OWiG. Diese Variante bleibt hier aber außer Betracht, da er vor dem Hintergrund des hiesigen Sanktionsbegriffs keinen tauglichen Anknüpfungspunkt bietet. 166 Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 166. 167 Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 166. 168 Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 165, 169, 173. 169 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a).
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Eine repressive Zweckverfolgung gegenüber einem unbekannten Repräsentanten, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, scheidet aus, da kein Schuldvorwurf einer unbekannten Person vergolten werden kann. Eine repressive Zweckverfolgung scheidet auch dann aus, wenn gegen einen bekannten Repräsentanten kein Verfahren eingeleitet oder ein Verfahren eingestellt wird, weil der ihn treffende Schuldvorwurf nur gering ist.170 Da Individualgeldbuße und Verbandsgeldbuße dieselbe Ordnungswidrigkeit zum Anknüpfungspunkt haben, ist der Schuldvorwurf in beiden Fällen identisch. Wenn nun der Schuldvorwurf für die Verhängung der Individualgeldbuße zu geringfügig ist und diese nicht rechtfertigt, so kann im Rahmen der Verbandsgeldbuße nichts anderes gelten. Insbesondere ergibt sich aus § 30 OWiG auch kein eigenständiger Schuldvorwurf, der durch die Verbandsgeldbuße vergolten werden könnte, denn § 30 OWiG normiert keine Ordnungswidrigkeit.171 Eine repressive Zweckverfolgung ist z. B. dann denkbar, wenn kein Verfahren eingeleitet oder ein Verfahren eingestellt wird, weil der bekannte Repräsentant schwere Folgen seiner Ordnungswidrigkeit selbst zu tragen hat und ein Schuldvorwurf vorhanden ist.172 Hingegen können spezialpräventive Zwecke gegen einen unbekannt gebliebenen Repräsentanten angenommen werden, denn die Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren soll gerade auch vorbeugen, dass Ordnungswidrigkeiten unter dem Deckmantel unübersichtlicher Verbandsstrukturen begangen werden. Dabei besteht die Hoffnung, dass der unbekannte Täter die Verbandsgeldbuße wahrnimmt und im Sinne negativer Spezialprävention von erneuten Zuwiderhandlungen abgeschreckt wird. Demgegenüber tritt die positive Spezialprävention umso mehr in den Hintergrund, weil es nun überhaupt an einer persönlichen Ansprache – bei der Individualgeldbuße würde sie durch den Bußgeldbescheid transportiert – fehlt.173 Im Übrigen ist fraglich, ob ein unbekannter Täter sich von einer Verbandsgeldbuße in seinem Rechtsbewusstsein beeinflussen lässt. Möglicherweise stellt er sich vor, dass er glücklicherweise der staatlichen Ahndung entkommen ist, sodass er nun umso mehr motiviert ist, es erneut zu versuchen. Im Übrigen gelten gegenüber anderen Zweckadressaten (Verband, andere Repräsentanten desselben und anderer Verbände, Gesellschafter, Allgemeinheit) die oben beschriebenen Zwecke der Verbandsgeldbuße auch im selbstständigen Verfahren gem. § 30 IV OWiG entsprechend.174
170 Vgl. Mitsch zur Möglichkeit, ein Verfahren nicht einzuleiten oder einzustellen, wegen geringer Schuld, Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 111. 171 Rogall, in: Senge, § 30, Rn. 2. 172 Vgl. Mitsch zur Möglichkeit, ein Verfahren nicht einzuleiten oder einzustellen, weil den Täter der Ordnungswidrigkeit schwere Folgen seiner Tat selbst treffen, Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 115. 173 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 174 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1).
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Angemerkt sei an dieser Stelle, dass dem Zweck der positiven Generalprävention im selbstständigen Verfahren ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden kann. Indem der Staat ein Verfahren durchführt, obwohl kein Täter bekannt ist, dem ein Vorwurf gemacht werden kann, zeigt er auf, dass er willens ist, in jedem Fall die Rechtsordnung aufrechtzuerhalten. Die Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren gem. § 30 IV OWiG verfolgt also repressive, restitutive und präventiv-verhaltenssteuernde bzw. restitutive und präventiv-verhaltenssteuernde Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren gem. § 30 IV OWiG ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. (3) Ergebnis Die Verbandsgeldbuße ist in jeder Variante Sanktion. bb) Einziehung von Gegenständen Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt verschiedene Formen der „Einziehung von Gegenständen“175. Ausgehend vom Adressaten der Nachteilszufügung kann unterschieden werden zwischen der Einziehung von Gegenständen des Täters, der Einziehung von Gegenständen eines Dritten und der Einziehung von Gegenständen von Verbänden. Schließlich kann die Einziehung von Gegenständen gegen jede dieser Personengruppen im selbstständigen Verfahren durchgeführt werden, was in einem eigenen Abschnitt behandelt werden soll. (1) Einziehung von Gegenständen des Täters Die Einziehung von Gegenständen des Täters ist eine Rechtsfolge, die gem. § 22 I OWiG stets für eine Ordnungswidrigkeit ausdrücklich gesetzlich zugelassen sein muss.176 Wenn im Gesetz die Einziehung von Gegenständen gem. § 22 I OWiG ausdrücklich zugelassen ist, kann auch gem. § 22 III OWiG eine mit Geldbuße bedrohte Handlung Anlass für eine Einziehung von Gegenständen sein. Demnach sind
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Durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) hat der Gesetzgeber die Rechtsfolge „Einziehung“ in „Einziehung von Gegenständen“ umbenannt. Der Zusatz war notwendig geworden, weil zugleich die als „Verfall“ bezeichnete Rechtsfolge in „Einziehung des Wertes von Taterträgen“ umbenannt worden war. Die Reform erfolgte zur Umsetzung der Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. L 127 vom 29. April 2014, S. 39; L 138 vom 13. Mai 2014, S. 114) in innerstaatliches Recht. 176 So ist dies z. B. in § 123 I OWiG der Fall, wenn es dort heißt, dass „Gegenstände, auf die sich eine Ordnungswidrigkeit nach § 119 oder § 120 I Nr. 2 bezieht […] eingezogen werden“ können.
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die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs gegeben. Die Einziehung von Gegenständen beinhaltet verschiedene Nachteilszufügungen: Gegenstand der Einziehung im Sinne des § 22 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG können körperliche Sachen oder Rechte sein.177 Dies umfasst Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, ohne dass diese Gegenstände Mittel zur Tat sind, Werkzeuge, die zur Begehung oder Vorbereitung der Tat gebraucht oder bestimmt worden sind und Erzeugnisse, die durch die Tat entstanden oder in ihren gegenwärtigen Zustand gebracht worden sind.178 Mit der Anordnung der Einziehung von Gegenständen, aber noch vor Rechtskraft der Einziehungsanordnung, wird der Einziehungsgegenstand gem. § 26 III OWiG mit einem behördlichen Veräußerungsverbot belegt. Dies schränkt die rechtlichen Möglichkeiten des Täters ein, mit dem ihm gehörenden oder zustehenden Gegenstand zu verfahren, wie er es möchte. Mit Eintritt der Rechtskraft der Einziehungsanordnung verliert der Täter gem. § 26 I OWiG sein Eigentum oder die Rechtsinhaberschaft an dem Einziehungsgegenstand. Das vorangegangene behördliche Veräußerungsverbot fällt mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung weg, sodass sich diese Nachteilszufügung erledigt. Mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung kommt es ggf. weiterhin zu einer Nachteilszufügung dergestalt, dass den Täter eine Herausgabepflicht nach § 985 BGB trifft. Schließlich ist zu ergänzen, dass die Einziehung von Gegenständen und somit die Nachteilszufügung gem. § 24 III OWiG auch auf einen Teil des Einziehungsgegenstandes beschränkt werden kann. Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs sind gegeben. In beiden Alternativen des § 22 II Nr. 2 OWiG ist die Einziehung von Gegenständen eine präventive Sicherungsmaßnahme.179 Wird eine Einziehung im Sinne des § 22 II Nr. 2 1. Alt. OWiG angeordnet, so bezweckt sie allein Prävention im Sinne des Schutzes der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Gegenstand; eine Verhaltenssteuerung ist nicht bezweckt und allenfalls Wirkung. Wenn hingegen die Einziehung gem. § 22 II Nr. 2 2. Alt. OWiG angeordnet wird – die Einziehung also der Abwehr der Gefahr neuer Straftaten und Ordnungswidrigkeiten dient –, so tritt als weiterer präventiver Sanktionszweck neben den Schutz der Allgemeinheit auch die Verhaltenssteuerung des für die künftige Tat in Betracht kommenden Täters.180 Eine Einziehung nach § 22 II Nr. 2 OWiG bezweckt keine Repression.181 Dies ist offensichtlich, wenn die Einziehung gem. § 22 II Nr. 2, III OWiG auf eine nicht vorwerfbare Tat gestützt wird.
177
Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 9. Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 10. 179 Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 5; Gürtler, in: Göhler, Vor § 22, Rn. 3; Lemke, in: Lemke/ Mosbacher, § 22, Rn. 2, 26; Meier, S. 449. 180 Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 40. 181 Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 5. 178
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Die Einziehung von Gegenständen bezweckt repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke, wenn sich die Einziehung gem. § 22 II Nr. 1 OWiG nur darauf stützt, dass der Einziehungsgegenstand dem vorwerfbar handelnden Täter gehört oder zusteht.182 Die Einziehung von Gegenständen ist repressiv, denn die Einziehung des konkreten Gegenstands soll neben der Geldbuße ein zusätzliches Übel für den Täter sein.183 Daneben sind der Einziehung von Gegenständen in dieser Variante dieselben präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke zuzuordnen, die auch die Geldbuße verfolgt, d. h. vordergründig negative spezial- und generalpräventive Zwecke und nachrangig positiv spezial- und generalpräventive Zwecke.184 Dies folgt daraus, dass es sich bei der Einziehung von Gegenständen ihrer Rechtsnatur nach um eine Ahndung wie die Geldbuße handelt.185 Denkbar ist indes auch, dass die Einziehung von Gegenständen sowohl darauf gestützt werden kann, dass gem. § 22 II Nr. 1 OWiG der Einziehungsgegenstand dem Täter gehört oder zusteht, als auch darauf, dass gem. § 22 II Nr. 2 OWiG der Einziehungsgegenstand gefährlich ist oder für weitere strafbare bzw. ahndbare Handlungen verwendet wird. In diesem Fall sollen nach einhelliger Meinung die in § 22 II Nr. 1 OWiG transportierten repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke zurücktreten und die präventive Sicherung der Allgemeinheit im Vordergrund stehen.186 Demnach ist die Einziehung von Gegenständen in dieser Variante auch eine präventive Sicherungsmaßnahme. Die Einziehung von Gegenständen des Täters verfolgt entweder repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke oder nur präventiv-gefahrenabwehrende Sanktionszwecke. Die Einziehung von Gegenständen des Täters ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs.
182
Gürtler, in: Göhler, Vor § 22, Rn. 5 f.; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 22, Rn. 2; Mitsch hingegen nimmt anscheinend an, dass die Einziehung von Gegenständen gegen den Täter nur repressiv schuldausgleichend sei, Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 6. Der Gesetzgeber hat in den Gesetzesmaterialien zur Gesetzesreform vom 13. April 2017 festgestellt, dass mit der Reform eine Änderung der rechtlichen Einordnung der Einziehung von Gegenständen als strafähnliche Maßnahme nicht verbunden sei, Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 48. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei dieser Äußerung um ein redaktionelles Versehen handelt, denn eine Einordnung der Einziehung von Gegenständen als strafähnliche Maßnahme insgesamt, kann in Hinblick auf § 22 II Nr. 2 OWiG nicht verfangen. 183 Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 6; Gürtler, in: Göhler, Vor § 22, Rn. 6. 184 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 185 Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 6; Gürtler, in: Göhler, Vor § 22, Rn. 6; Lemke, in: Lemke/ Mosbacher, § 22, Rn. 2. 186 Gürtler, in: Göhler, Vor § 22, Rn. 5; Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 6.
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(2) Einziehung von Gegenständen eines Dritten Die Einziehung von Gegenständen kann gegenüber Dritten angeordnet werden. „Dritter“ ist, wer selbst nicht die Ordnungswidrigkeit oder die mit Geldbuße bedrohte Handlung begangen hat und an der Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung auch nicht gem. § 14 OWiG beteiligt ist. (a) Gefährliche Gegenstände und Tatmittel Ist der Einziehungsgegenstand187 gefährlich bzw. besteht die Gefahr, dass der Einziehungsgegenstand Mittel zur Begehung neuer Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sein kann, so kann er nach § 22 II Nr. 2 OWiG eingezogen werden. Dies setzt eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG) eines anderen als des Dritten voraus. Demnach setzt die Einziehung von Gegenständen in dieser Variante eine Ordnungswidrigkeit oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs voraus. Adressat der Nachteilszufügung ist bei dieser Variante der Einziehung von Gegenständen nicht der Täter der Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung oder ein hieran Beteiligter im Sinne des § 14 OWiG ist, sondern ein tatunbeteiligter Dritter. Ansonsten gilt das oben zu den Nachteilszufügungen bei der Einziehung von Gegenständen, die dem Täter gehören oder zustehen, Gesagte entsprechend.188 Auch wenn der tatunbeteiligte Dritte eine Entschädigung für den Verlust seines Gegenstandes gem. § 28 OWiG erhält, so ändert dies nichts an der Nachteilszufügung, denn auch wenn das Vermögen bei geldwerter Betrachtung ausgeglichen bleibt, so verliert der Betroffene – wenn auch nur zeitweise – einen Gegenstand mit spezifischen Gebrauchsmöglichkeiten, aus seinem Vermögen. Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs sind gegeben. Im Falle einer Einziehung nach § 22 II Nr. 2 OWiG bezweckt die Einziehung den Schutz der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Gegenstand bzw. seiner Verwendung in weiteren strafbaren oder ahndbaren Handlungen, d. h. einen präventiven Sicherungszweck189 und somit einen Sanktionszweck im Sinne der Untersuchung. Die Einziehung von Gegenständen Dritter gem. § 22 I, II Nr. 2, III GG ist Sanktion. (b) Bemakelte Gegenstände Es kann die Einziehung eines Einziehungsgegenstandes eines Dritten aber auch dann in Betracht kommen, wenn der Dritte sich in die Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) eines anderen durch eine quasi-vorwerfbare Handlung gem. § 23 OWiG 187 188 189
Siehe zum Begriff des Einziehungsgegenstands oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1).
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verstrickt hat.190 Die Einziehung gegen Dritte gem. § 23 OWiG setzt in dieser Variante eine Ordnungswidrigkeit und eine quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs voraus. Denkbar ist aber auch, dass sich eine Person in die quasivorwerfbare Handlung eines anderen durch eine quasi-vorwerfbare Handlung verstrickt hat: A überlässt einen ihm gehörenden Gegenstand dem B zu seiner Ordnungswidrigkeit und C erwirbt diesen Gegenstand von A, um eine Einziehung nach § 23 Nr. 1 OWiG gegen A zu vereiteln. In dieser Variante hat die Einziehung von Gegenständen eine Ordnungswidrigkeit und zwei quasi-vorwerfbare Handlungen zum Anlass. In jeder Variante hat die Einziehung von Gegenständen gem. § 23 OWiG einen für den Sanktionsbegriff erforderlichen Anlass. Das zu den Nachteilszufügungen Gesagte hinsichtlich Einziehungen von Gegenständen des Täters bzw. eines Dritten gilt hier entsprechend.191 Es liegen also Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Die Einziehung von Gegenständen nach § 23 OWiG verfolgt repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke.192 Gegenstand des § 23 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG sind quasi-vorwerfbare Handlungen eines tatunbeteiligten Dritten, denen der Vorwurf innewohnt, zumindest leichtfertig dem Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung durch Bereitstellung eines Mittels oder Gegenstands bei der Vorbereitung oder Durchführung der Tat geholfen zu haben (Nr. 1) oder Gegenstände des Täters einer Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung erworben zu haben, in der Absicht eine bevorstehende ahnende Einziehung zu vereiteln (Nr. 2). In beiden Fällen wird dem Dritten ein Schuldvorwurf gemacht, der durch die Einziehung vergolten wird. Hierfür spricht auch § 24 I OWiG, der den Vorwurf an den Dritten ausdrücklich als Voraussetzung der Rechtsfolge benennt. Ein repressiver Zweck ist also zu bejahen. Prävention im Sinne der Sicherung der Allgemeinheit bezweckt § 23 OWiG jedenfalls nicht, denn diese Aufgabe erfüllt bereits die Einziehung nach § 22 II Nr. 2 OWiG.193 Präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke verfolgt die Einziehung von Gegenständen jedoch gegenüber dem Dritten und der Allgemeinheit dahingehend, als dass dieser bzw. diese abgeschreckt werden soll, sich in einer der in § 23 OWiG beschriebenen Formen in die Tat eines anderen zu verstricken, im Ergebnis also
190
Dass die Einziehung im Falle des § 23 OWiG nur eine Ordnungswidrigkeit zum Anknüpfungspunkt haben kann, folgt daraus, dass die Vorschrift des § 23 OWiG ausdrücklich auf § 22 II Nr. 1 OWiG verweist. § 22 II Nr. 1 OWiG setzt im Umkehrschluss aus § 22 III OWiG eine Ordnungswidrigkeit voraus. 191 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1) und Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (a). 192 So auch Gürtler, in: Göhler, Vor § 22, Rn. 7, § 23, Rn. 2; in diesem Sinne wohl auch Mitsch und Lemke, wenn sie davon sprechen, dass die Einziehung gem. § 23 OWiG ahndungsähnlich ist: Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 2; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 22, Rn. 3. 193 Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 7, § 23, Rn. 2.
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negative Spezialprävention und Generalprävention.194 Daneben steht positive Spezial- und Generalprävention im Hintergrund.195 Die Einziehung von Gegenständen Dritter gem. § 23 OWiG verfolgt repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Sanktionszwecke. Die Einziehung von Gegenständen Dritter gem. § 23 OWiG ist Sanktion. (c) Ergebnis Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Einziehung von Gegenständen Dritter in jeder der hier aufgezeigten Varianten Sanktion ist. (3) Einziehung von Gegenständen eines Verbandes Ein Gegenstand eines Verbandes196 kann unter Anwendung des § 29 OWiG oder nach § 22 II Nr. 2 OWiG eingezogen werden. (a) Zurechnung nach § 29 OWiG Dem Verband wird durch die Vorschrift die Handlung eines seiner Repräsentanten197 als eigene Handlung zugerechnet. Der Repräsentant kann Täter einer Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG), einer mit Geldbuße bedrohten Handlung (§ 22 III OWiG) oder Dritter, der eine quasi-vorwerfbare Handlung begeht (§ 23 OWiG), sein. Anknüpfungspunkt für diese Form der Einziehung von Gegenständen ist eine Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung bzw. eine Ordnungswidrigkeit und eine quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. Das oben zu den Nachteilszufügungen Gesagte gilt hier entsprechend.198 Es liegen demnach Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Die verfolgten Zwecke richten sich jeweils nach dem verfolgten Einziehungsgrund. Dies bedeutet im Einzelnen: Wird die Einziehung gegen den Verband aufgrund § 22 II Nr. 1 OWiG oder § 23 OWiG angeordnet, so ist ein Zweckadressat zunächst der Repräsentant, der die Ordnungswidrigkeit (§ 22 II Nr. 1 OWiG) oder die quasi-vorwerfbare Handlung (§ 23 OWiG) begangen hat. Ihn treffen repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke.199 194
Gürtler, in: Göhler, § 23, Rn. 2. Vgl. oben Kapitel B. I. 2. a). 196 Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 197 Siehe zum Begriff des Repräsentanten oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 198 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1) und Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (a). 199 Vgl. zur Verbandsgeldbuße oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1) bzw. bei quasi-vorwerfbarer Handlung Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (b). 195
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Weitere Zweckadressaten sind – sofern der Verband nicht nur einen Repräsentanten hat – weiterhin andere Repräsentanten desselben Verbandes, die tatunbeteiligt und auch sonst keine Dritte im Sinne des § 23 OWiG sind; sie treffen positiv generalpräventive Zwecke.200 Schließlich sind auch Zweckadressaten die Repräsentanten anderer Verbände, die tatunbeteiligt und auch sonst keine Dritte im Sinne des § 23 OWiG sind; sie treffen ebenfalls generalpräventive Zwecke.201 Als weitere Adressaten der Generalprävention sind – sofern vorhanden – Gesellschafter zu nennen, die nicht Repräsentanten im Sinne des § 30 OWiG sind, aber die Berechtigung haben, Repräsentanten eines Verbandes mitzubestimmen. Sie sollen dahingehend ermahnt werden, in Zukunft Sorgfalt bei der Auswahl der Repräsentanten walten zu lassen.202 Fraglich ist demgegenüber, ob wie bei der Verbandsgeldbuße auch die Allgemeinheit Adressat von Zwecken der positiven Generalprävention ist.203 Die Einziehung gem. § 22 II Nr. 1 OWiG dient nicht in besonderem Maße der Gewinnabschöpfung wie die Geldbuße (§ 17 OWiG) oder die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 29a OWiG), denn ein solches hat sich im gesetzlichen Text des § 22 II Nr. 1 OWiG nicht niedergeschlagen. Dies schließt es zwar nicht aus, einen Gegenstand einzuziehen, der einen Tatgewinn oder ein Tatentgelt darstellt. Dennoch kann die Rechtsprechung des BVerfG zur Gewinnabschöpfung nicht ohne weiteres übertragen werden.204 Auf der anderen Seite ist kein Grund ersichtlich, warum die Abschöpfung finanzieller Vermögenswerte einerseits und die Einziehung gegenständlicher Vermögenswerte andererseits unterschiedlich beurteilt werden sollte. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass eine Einziehung von Gegenständen gegen einen Verband auch die Zwecke der positiven Generalprävention gegenüber der Allgemeinheit verfolgen kann. Wird die Einziehung auch unter dem Gesichtspunkt des § 22 II Nr. 2 OWiG angeordnet, so verfolgt die Einziehung nur einen präventiven Sicherungszweck.205 Die repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke des § 22 II Nr. 1 OWiG bzw. § 23 OWiG treten zurück. Die Einziehung von Gegenständen dient nur noch dem Schutz der Allgemeinheit. Die Einziehung von Gegenständen eines Verbandes unter Anwendung des § 29 OWiG ist in jeder der hier diskutieren Varianten Sanktion.
200 201 202 203 204 205
Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Vgl. zur Verbandsgeldbuße oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. a). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1).
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(b) Andere Fälle Ist der Täter der Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung kein Repräsentant des Verbandes und verwendet er einen Gegenstand des Verbandes zu seiner Tat oder bringt die Tat einen Gegenstand hervor, der dem Verband gehört oder zusteht, so kann die Einziehung des Gegenstandes nicht unter Anwendung des § 29 OWiG angeordnet werden. In diesem Fall kann eine Einziehung gegen den Verband gem. § 22 II Nr. 2 OWiG erfolgen, wenn der Einziehungsgegenstand gefährlich ist oder für weitere strafbare bzw. ahndbare Handlungen verwendet werden könnte. Der Verband wird demnach wie ein Dritter im Sinne einer Einziehung gegen einen Dritten behandelt. Es gelten demnach die obigen Ausführungen zu Anlass (Ordnungswidrigkeit etc.), Maßnahme und Sanktionszwecke hier entsprechend.206 Die Einziehung von Gegenständen eines Verbandes unter Anwendung des Einziehungsgrundes nach § 22 II Nr. 2 OWiG ist Sanktion. (c) Ergebnis Die Einziehung von Gegenständen eines Verbandes ist Sanktion. (4) Einziehung im selbstständigen Verfahren Die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren gem. § 27 OWiG kann angeordnet werden, wenn eine Geldbuße wegen faktischer (Abs. 1) oder rechtlicher Gründe (Abs. 1 und Abs. 2) nicht verhängt werden kann oder die Verhängung einer Geldbuße nicht zweckmäßig ist (Abs. 3).207 Die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren nach § 27 I OWiG setzt das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit voraus. Nach § 27 II OWiG kann auch eine mit Geldbuße bedrohte Handlung ausreichen. In der Variante nach § 27 III OWiG muss eine Ordnungswidrigkeit gegeben sein. Die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren erfüllt das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. Hinsichtlich der Nachteilszufügungen gilt das oben Gesagte entsprechend, sodass auch Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs bei der Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren gegeben sind.208 (a) Zweckverfolgung Welche Zwecke die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren verfolgt, richtet sich nach dem geltend gemachten Einziehungsgrund bzw. den 206 207 208
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (a). Vertiefend Mitsch, in: Senge, § 27, Rn. 5 ff. Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1).
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geltend gemachten Einziehungsgründen und dem Adressaten der Nachteilszufügung. Im Einzelnen sind folgende Zwecke und Zweckadressaten denkbar: (aa) Im Verfahren gegen einen unbekannten Täter Im Regelfall wird die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren durchgeführt, weil die Identität des Täters unbekannt ist, aber ein Gegenstand vorhanden ist, der sich zweifelsfrei einer Ordnungswidrigkeit bzw. einer mit Geldbuße bedrohten Handlung zuordnen lässt.209 Ist der Täter unbekannt und würde bei Bekanntsein des Täters die Einziehung nur auf § 22 I, II Nr. 1 OWiG bzw. § 23 OWiG gestützt, so kann die Einziehung keine repressiven Zwecke verfolgen.210 Sie kann aber präventiv-verhaltenssteuernd in dem Sinne sein, dass die Hoffnung besteht, dass der unbekannte Täter zumindest die Entdeckung seiner Tat wahrnimmt und deshalb im Sinne negativer Spezialprävention abgeschreckt wird. Positive Spezialprävention tritt demgegenüber mangels ausdrücklicher Ansprache naturgemäß in den Hintergrund.211 Daneben ist die Allgemeinheit Adressat von generalpräventiven Zwecken. Besondere Bedeutung erlangt hier wiederum die positive Generalprävention, denn der Staat demonstriert durch die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens trotz Unkenntnis der Identität des Täters, dass er willens ist, die Rechtsordnung durchzusetzen. Wenn hingegen der Täter unbekannt ist und bei Bekanntsein des Täters eine Einziehung auf § 22 I, II Nr. 1, Nr. 2 OWiG gestützt würde, so gilt entsprechend, dass die präventiven Sicherungszwecke des § 22 II Nr. 2 OWiG im Vordergrund stehen und die präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke in den Hintergrund treten.212 Ist der Täter unbekannt und würde eine Einziehung bei Bekanntsein des Täters nur auf § 22 II Nr. 2, III OWiG gestützt, so verfolgt die Einziehung von Gegenständen nur präventive Sicherungszwecke. (bb) Im Verfahren gegen einen bekannten Täter Auch wenn der Täter bekannt ist, können repressive Zwecke ausscheiden, wenn z. B. das Bußgeldverfahren nur deshalb nicht durchgeführt oder eingestellt wird gem. § 47 I, II OWiG, weil die Schuld gering ist.213 Jedoch können z. B. repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke verfolgt werden, wenn das Bußgeldverfahren gem. § 47 I, II OWiG eingestellt wird, weil 209 210 211 212 213
Siehe Mitsch, in: Senge, § 27, Rn. 8. Vgl. zur Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2).
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den Täter die schweren Folgen seiner Tat selbst treffen, gleichwohl jedoch eine Einziehung gem. § 22 II Nr. 1 OWiG angeordnet wird, weil der Täter aufgrund eines bestehenden Schuldvorwurfs auch nicht gänzlich ungeahndet bleiben soll.214 (cc) Im Verfahren gegen einen Verband Wenn sich die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren gegen einen Verband215 richtet und die Anlasstat von einem bekannten Repräsentanten216 begangen wurde, so hängt eine repressive Zweckverfolgung gegenüber dem Repräsentanten davon ab, warum kein Bußgeldverfahren gegen ihn durchgeführt wird. Hängt dies etwa damit zusammen, dass der ihn treffende Schuldvorwurf gering ist, wird man eine repressive Zweckverfolgung verneinen müssen.217 Wird demgegenüber etwa kein Bußgeldverfahren durchgeführt, weil den Repräsentanten schwere Folgen seiner Tat treffen und ist gleichwohl ein Schuldvorwurf vorhanden, für den ein Bedürfnis nach Vergeltung besteht, so kann eine repressive Zweckverfolgung gegenüber dem Repräsentanten bejaht werden.218 Demgegenüber scheidet gegen einen unbekannten Repräsentanten jedenfalls eine repressive Zweckverfolgung aus.219 Den Repräsentanten, egal ob er bekannt oder unbekannt ist, treffen aber jedenfalls spezialpräventive Zwecke, wobei jedoch die negativen gegenüber den positiven spezialpräventiven Zwecken im Vordergrund stehen.220 Weiterhin treffen bei einer Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren gegen einen Verband positiv generalpräventive Zwecke die – sofern vorhanden – anderen Repräsentanten desselben Verbandes, die keine Anlasstat begangen haben, Repräsentanten anderer Verbände und – sofern vorhanden – Gesellschafter, die keine Repräsentanten sind, aber ein Mitbestimmungsrecht in Hinblick auf die Auswahl von Repräsentanten eines Verbandes haben.221 Adressat der positiv generalpräventiven Zwecke ist ferner die Allgemeinheit.222 Angemerkt sei schließlich, dass die positiv generalpräventiven Zwecke aufgrund der Durchführung eines selbstständigen Verfahrens besondere Bedeutung erlangen können.223
214 215 216 217 218 219 220 221 222 223
Vgl. zur Verbandsgeldbuße im selbstständigen Verfahren oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Siehe zum Begriff des Repräsentanten oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2).
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(dd) Ergebnis Die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren kann repressive, präventiv-verhaltenssteuernde und/oder präventiv-gefahrenabwehrende Zwecke verfolgen und somit sind Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs gegeben. (b) Ergebnis Die Einziehung von Gegenständen im selbstständigen Verfahren ist unter Zugrundelegung des hiesigen Sanktionsbegriffs Sanktion. (5) Ergebnis In jeder Variante ist die Einziehung von Gegenständen Sanktion. cc) Anordnung des Erlöschens von Rechten am Einziehungsgegenstand gem. § 26 II OWiG Die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten am Einziehungsgegenstand ist in § 26 II 2, 3 OWiG geregelt. Der Begriff des Dritten in § 26 II OWiG definiert sich nicht wie in § 22 II Nr. 2 OWiG bzw. § 23 OWiG nach der Beziehung des Dritten zu der Tat eines anderen,224 sondern nach seiner Beziehung zu dem Einziehungsgegenstand. Dritter im Sinne des § 26 II OWiG kann jeder sein, der nicht Eigentümer oder Inhaber des Einziehungsgegenstandes ist. Im Regelfall wird dies ein tatunbeteiligter Dritter sein. Denkbar ist aber auch, dass der Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung, die Anlass für die Einziehung von Gegenständen ist, Dritter im Sinne des § 26 II 2 OWiG ist. Schließlich kann Dritter im Sinne des § 26 II OWiG auch ein Verband sein. (1) Rechte an gefährlichen Gegenständen und Tatmitteln Es ist das Erlöschen von Drittrechten gem. § 26 II 2 OWiG anzuordnen, wenn ein Einziehungsgrund nach § 22 II Nr. 2 OWiG einschlägig ist und damit eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG) gegeben ist. Die Anordnung nach § 26 II 2 OWiG erfordert also eine Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. Sofern eine Anordnung nach § 26 II 2 OWiG erfolgt, so kommt es zu einer Nachteilszufügung dergestalt, dass der Dritte sein Recht an einem Einziehungsgegenstand verliert. Rechte im Sinne des § 26 II OWiG sind beschränkt dingliche
224
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1).
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Rechte und Anwartschaftsrechte.225 Diese Nachteilszufügung kann im Einzelfall dadurch kompensiert werden, dass dem Dritten eine Entschädigung nach § 28 I OWiG gewährt wird. Wenn an der Belastung lediglich ein Verwertungsinteresse des Dritten besteht (so z. B. bei Pfandrecht, Hypothek, Grundschuld), so wird eine Entschädigung zur Kompensation des Vermögensnachteils ausreichend sein. Wenn die Belastung jedoch mehr dem Nutzungsinteresse des Dritten dient, dieser also noch keine oder keine umfassende Gebrauchsmöglichkeit an dem Einziehungsgegenstand hat, aber eine solche erwerben wird (Anwartschaftsrecht), so verliert er mit Erlöschen seines Rechts die künftige bzw. künftige umfassende Gebrauchsmöglichkeit an dem Einziehungsgegenstand, sodass es trotz Kompensation bei einer Nachteilszufügung bleibt. Das gilt auch, wenn ein Ersatzgegenstand bzw. eine Anwartschaft auf einen Ersatzgegenstand aufgrund der Entschädigung am Markt erworben werden kann, denn dann ist die Gebrauchsmöglichkeit bzw. die künftige Gebrauchsmöglichkeit jedenfalls zeitweise aufgeschoben. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist bei einer Anordnung nach § 26 II 2 OWiG gegeben, wenn die Belastung des Gegenstands dem Nutzungsinteresse des Dritten dient. Sofern das Erlöschen des Drittrechts nach § 26 II 2 OWiG angeordnet wird, so bezweckt die Anordnung den Schutz der Allgemeinheit mit der Begründung, dass durch die beschränkt dinglichen Rechte Nutzungs- und Verwertungsrechte gewährt werden, deren Ausnutzung das Gemeinwohl in gleicher Weise gefährdet.226 Es liegt hier also auch ein präventiver Sicherungszweck und somit ein Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 2 OWiG ist Sanktion. (2) Bösgläubigkeit des Dritten Es kann das Erlöschen von Drittrechten nach § 26 II 3 OWiG angeordnet werden, wenn eine Entschädigung gem. § 28 II Nr. 1, Nr. 2 OWiG nicht zu gewähren ist. In dieser Variante können nur die Einziehungsgründe nach § 22 II Nr. 1 OWiG und § 23 OWiG einschlägig sein, sodass als Anlass der Einziehung und der Anordnung des Erlöschens von Drittrechten nur eine Ordnungswidrigkeit bzw. eine Ordnungswidrigkeit und eine quasi-vorwerfbare Handlung in Betracht kommt bzw. kommen. Da der Einziehungsgrund, der eine mit Geldbuße bedrohte Handlung als Anlass für eine Einziehung genügen lässt (§ 22 II Nr. 2, III OWiG), bereits in § 26 II 2 OWiG erfasst ist und § 26 II 2 OWiG, sofern er einschlägig ist, aufgrund seiner obligatorischen Rechtsfolge („ist“) die Vorschrift des § 26 II 3 OWiG stets verdrängt, 225
Mitsch, in: Senge, § 26, Rn. 15; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, § 26, Rn. 8, Stand: 12. Lfg., April 2007; nach Auffassung des OLG Karlsruhe fällt das Anwartschaftsrecht nicht unter § 26 II 2, 3 OWiG, OLG Karlsruhe NJW 1974, S. 709, 710. 226 Rotberg, § 26, Rn. 7.
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kommt eine mit Geldbuße bedrohte Handlung als Anlass einer Anordnung nach § 26 II 3 OWiG nicht in Betracht. Dass eine Ordnungswidrigkeit Anlass für eine Anordnung nach § 26 II 3 OWiG i.V.m. § 28 II Nr. 2 2. Alt. OWiG sein kann, ist z. B. in folgender Konstellation denkbar, wenn der Täter einer Ordnungswidrigkeit einen Gegenstand aus seiner Ordnungswidrigkeit erhalten hat und der Dritte in Kenntnis der Ordnungswidrigkeit ein Recht an dem Einziehungsgegenstand erworben hat. Dass eine Ordnungswidrigkeit und eine quasi-vorwerfbare Handlung als Anlass für eine Anordnung nach § 26 II 3 OWiG i.V.m. § 28 II Nr. 2 2. Alt. OWiG in Betracht kommen, ist z. B. in folgender Konstellation gegeben, wenn der Täter den Gegenstand eines Dritten zu seiner Ordnungswidrigkeit verwendet, dieser Gegenstand nach § 23 Nr. 1 OWiG eingezogen werden kann, und ein anderer Dritter an diesem Einziehungsgegenstand ein Recht in Kenntnis der Umstände, die eine Einziehung gegen den erstgenannten Dritten gem. § 23 Nr. 1 OWiG zulassen, erwirbt. Die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 3 OWiG setzt demnach eine Ordnungswidrigkeit bzw. eine Ordnungswidrigkeit und eine quasivorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs voraus. Für die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 3 OWiG gelten die obigen Ausführungen zu Nachteilszufügung entsprechend.227 Die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 3 OWiG ist eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. § 26 II 3 OWiG verweist auf § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG. Die Vorschriften des § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG sind identisch mit § 23 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG. Die Zwecke, die für § 23 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG gelten, können deshalb auch auf § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG und somit auf § 26 II 3 OWiG übertragen werden. Demnach verfolgt die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 3 OWiG sowohl repressive als auch präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke gegenüber dem Dritten.228 Da Dritter auch ein Verband sein kann, kommen weiterhin bei Einziehung gem. § 26 II 3 OWiG als Zweckadressaten auch der Repräsentant, der sich stellvertretend für den Verband in die quasi-vorwerfbare Tat eines anderen verstrickt hat, andere Repräsentanten desselben Verbandes – sofern vorhanden – und anderer Verbände denen kein entsprechender konkreter Vorwurf gemacht werden kann sowie – sofern vorhanden – Gesellschafter, die ein Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Repräsentanten haben.229 Die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten verfolgt also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. 227 228 229
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) cc) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (b). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a).
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Die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 3 OWiG ist demnach Sanktion. (3) Ergebnis Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 2, 3 OWiG Sanktion ist, sofern der Dritte keine Entschädigung erhält. dd) Mindermaßnahme und Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG Die Einziehung von Gegenständen ist ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG.230 Die Eigentumsentziehung kann unverhältnismäßig im Sinne fehlender Erforderlichkeit sein, wenn durch mildere Maßnahmen bezüglich des Einziehungsgegenstandes die Zwecke der Einziehung genauso effektiv erreicht werden können. Der Gesetzgeber hat deshalb in § 24 II 1 OWiG dem Rechtsanwender die Möglichkeit eröffnet, Maßnahmen unter dem Vorbehalt der Einziehung anzuordnen, wobei die Eigentümerstellung bzw. Rechtsinhaberschaft des Täters bzw. eines Dritten als solche unberührt bleibt. Um Verwirrungen zwischen den Begriffen der Maßnahme im Sinne des § 24 II OWiG und Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vorzubeugen, werden die Maßnahmen im Sinne des § 24 II OWiG im Folgenden mit dem im Polizeirecht gebräuchlichen Begriff der „Mindermaßnahmen“ bezeichnet. (1) Mindermaßnahme gegenüber einem Täter Voraussetzung einer Mindermaßnahme nach § 24 II 1 OWiG ist, dass eine Einziehung von Gegenständen nach § 22 OWiG gegenüber dem Täter möglich ist. Anlass ist demnach eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG). Die Mindermaßnahme gem. § 24 II 1 OWiG erfüllt die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. § 24 II OWiG nennt nicht abschließend die Erscheinungsformen, die eine Mindermaßnahme im Sinne des § 24 II OWiG annehmen kann. Dies folgt aus der Aufzählung von Beispielsmindermaßnahmen, die mit den Worten „namentlich“ eingeleitet wird.231 Es lassen sich grundsätzlich zwei Formen von Mindermaßnahmen unterscheiden: Erstens sind solche Mindermaßnahmen zu nennen, die dem Täter gebieten, mit seinem Gegenstand in bestimmter Weise umzugehen oder einen bestimmten Gebrauch zu unterlassen. Sie legen dem Täter Handlungspflichten oder Unterlassungspflichten auf und beschränken somit seine Handlungsmöglichkeiten. Das 230 231
Siehe hierzu unten ausführlich B. IV. 5. c). So auch Mitsch, in: Senge, § 24, Rn. 22; Gürtler, in: Göhler, § 24, Rn. 11.
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Gesetz nennt in § 24 II 2 Nr. 1 bis Nr. 3 OWiG Beispiele solcher Mindermaßnahmen und nennt diese „Anweisungen“. Zweitens können solche Mindermaßnahmen auch in Handlungen bestehen, die von dem Rechtsanwender (z. B. der Behörde) selbst durchgeführt werden, wie z. B. die Unbrauchbarmachung des Einziehungsgegenstandes. In diesem Fall wird dem Täter eine Duldungspflicht auferlegt, wodurch seine Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Die Mindermaßnahmen sind Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Mindermaßnahme verfolgt diejenigen Zwecke, die eine Einziehung von Gegenständen verfolgen würde, würde sie angeordnet werden. Dies folgt daraus, dass die Mindermaßnahme ein weniger einschneidendes Mittel ist, das die nach einem bestimmten Einziehungsgrund zulässige Einziehung von Gegenständen ersetzt. Der jeweilige Zweck der Mindermaßnahme richtet sich also nach dem Zweck der potenziellen Einziehung von Gegenständen und dieser ist wiederum nach dem einschlägigen Einziehungsgrund zu bestimmen. Demnach kann die Mindermaßnahme repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke verfolgen, sofern sich die Einziehung nach § 22 II Nr. 1 OWiG richten würde.232 Sie kann nur präventive Sicherungszwecke verfolgen, wenn die Einziehung nach § 22 II Nr. 2 OWiG bzw. § 22 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG angeordnet würde.233 Die Maßnahme verfolgt repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke bzw. präventive Sicherungszwecke im Sinne der Sanktionszwecke des Sanktionsbegriffs. Die Mindermaßnahme gegenüber dem Täter gem. § 24 II OWiG ist Sanktion. (2) Mindermaßnahme gegenüber einem Dritten Die Einziehung von Gegenständen kann gem. § 22 II Nr. 2 OWiG und § 23 OWiG auch gegen einen Dritten angeordnet werden.234 Da § 24 II OWiG nicht ausdrücklich zwischen Täter und tatunbeteiligten Dritten unterscheidet und außerdem auf einen Fall der Einziehung von Gegenständen eines Dritten ausdrücklich Bezug nimmt (§ 23 OWiG), ist anzunehmen, dass Mindermaßnahmen gem. § 24 II OWiG auch gegen tatunbeteiligte Dritte anstelle der Einziehung von Gegenständen angeordnet werden können. Es gilt hier also der Begriff des Dritten im Sinne eines tatunbeteiligten Dritten.235 Sofern ein Einziehungsgrund nach § 22 II OWiG gegeben ist, ist Anlass einer Mindermaßnahme die Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder mit Geldbuße be232 233 234 235
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2).
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drohte Handlung (§ 22 III OWiG) eines anderen. Sofern ein Einziehungsgrund nach § 23 OWiG gegeben ist, so muss eine Ordnungswidrigkeit eines anderen und eine quasi-vorwerfbare Handlung des Dritten gegeben sein. Im Falle der Mindermaßnahme gegenüber einem Dritten sind die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung bzw. Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbares Handeln im Sinne des Sanktionsbegriffs gegeben. Der Adressat der Nachteilszufügung und der Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung fallen in dieser Variante auseinander. Ansonsten gilt zur Nachteilszufügung das oben Gesagte entsprechend.236 Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Die Zwecke der Mindermaßnahme sind nach dem jeweiligen Einziehungsgrund zu bestimmen.237 Die Mindermaßnahme gegenüber Dritten verfolgt repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke bzw. präventive Sicherungszwecke im Sinne der Sanktionszwecke des Sanktionsbegriffs. Die Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG gegenüber einem Dritten ist Sanktion. (3) Mindermaßnahme gegenüber einem Verband Eine Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG kann auch gegenüber einem Verband238 angeordnet werden, wenn gegen diesen eine Einziehung von Gegenständen unter Anwendung des § 29 OWiG i.V.m. §§ 22 II Nr. 1, 23 OWiG239 oder § 22 II Nr. 2 OWiG240 zulässig wäre. Anlass der Mindermaßnahme gegen einen Verband ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG) eines Repräsentanten241 des Verbandes, die dem Verband gem. § 29 OWiG zugerechnet wird. Anlass für eine Mindermaßnahme können auch die Ordnungswidrigkeit eines Nichtrepräsentanten und die quasi-vorwerfbare Handlung eines Repräsentanten gem. § 29 OWiG i.V.m. § 23 OWiG sein. Die Mindermaßnahme gegenüber einem Verband erfüllt die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung bzw. Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. Der Adressat der Nachteilszufügung und der Täter der Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung bzw. der Täter der Ordnungswidrigkeit sowie der Dritte, der die quasi-vorwerfbare Handlung vorgenommen hat, fallen bei der Maßnahme gegenüber einem Verband gem. § 24 II OWiG auseinander. Ansonsten 236 237 238 239 240 241
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1). Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (b). Siehe zum Begriff des Repräsentanten oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1).
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gilt das oben Gesagte zur Nachteilszufügung entsprechend.242 Mindermaßnahmen gegenüber einem Verband sind demnach Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Zwecke der Mindermaßnahme sind nach dem jeweiligen Einziehungsgrund zu bestimmen.243 Dabei gilt insbesondere das zur Einziehung von Gegenständen gegenüber einem Verband zu den Zwecken und den Zweckadressaten Gesagte entsprechend.244 Die Mindermaßnahme verfolgt demnach repressive und präventivverhaltenssteuernde Zwecke bzw. nur präventive Sicherungszwecke und somit Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG gegenüber einem Verband ist Sanktion. (4) Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gegenüber einem Täter In § 24 II 1 OWiG ist vorgesehen, dass der Vorbehalt der Einziehung von Gegenständen an einem Gegenstand anzuordnen ist, wenn eine Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG getroffen wird. Für die Anordnung des Vorbehalts gem. § 24 II 1 OWiG gegenüber dem Täter gilt demnach derselbe Anlass wie für die Mindermaßnahme gegenüber dem Täter, demnach also entweder eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG).245 Die Vorbehaltsanordnung gegenüber dem Täter gem. § 24 II 1 OWiG erfüllt das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Nachteilszufügung des Einziehungsvorbehalts besteht darin, dass mit Anordnung – und damit auch schon vor Rechtskraft der behördlichen Entscheidung – an dem Gegenstand ein behördliches Veräußerungsverbot gem. § 26 III 2 OWiG entsteht, § 26 III 3 OWiG. Dieses Veräußerungsverbot schränkt den Betroffenen in seinen Handlungsmöglichkeiten ein; der Betroffene muss es unterlassen den Gegenstand der Vorbehaltsanordnung zu veräußern. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 II 1 OWiG ist aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts zwingend zusammen mit der Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG zu treffen. Demnach teilt die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 II 1 OWiG die Zwecke der Mindermaßnahme, die sich wiederum aus dem jeweils zugrundeliegenden Einziehungsgrund ergeben.246 Demnach verfolgt die Anordnung des Vorbehalts repressive 242 243 244 245 246
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (2).
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und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke bzw. präventive Sicherungszwecke und somit Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gegenüber dem Täter gem. § 24 II 1 OWiG ist Sanktion. (5) Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gegenüber einem Dritten Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 II 1 OWiG kann auch gegenüber einen tatunbeteiligten Dritten angeordnet werden.247 Es gilt auch hier, dass die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gegenüber einen Dritten gem. § 24 II 1 OWiG dieselben Voraussetzungen wie eine Mindermaßnahme gegenüber einen Dritten gem. § 24 II OWiG und somit auch denselben Anlass hat. Anlass kann entweder eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG) eines anderen sein.248 Es kann auch eine Ordnungswidrigkeit eines anderen und eine quasivorwerfbare Handlung (§ 23 OWiG) Anlass sein.249 Demnach erfüllt die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gegenüber einem Dritten die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung bzw. Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs. Adressat der Nachteilszufügung ist der Dritte und nicht der Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung. Ansonsten gilt zur Nachteilszufügung das oben Gesagte entsprechend.250 Es liegt eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Zu den Zwecken der Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gilt das oben Gesagte entsprechend.251 Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen verfolgt repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke bzw. präventive Sicherungszwecke im Sinne der Sanktionszwecke des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 II 1 OWiG gegenüber einen Dritten ist Sanktion. (6) Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gegenüber einem Verband Der Vorbehalt der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 II 1 OWiG kann auch gegenüber einem Verband252 angeordnet werden. 247 248 249 250 251 252
Siehe zum Begriff des Dritten oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1).
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Es gilt auch hier, dass die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gegenüber einem Verband gem. § 24 II 1 OWiG dieselben Voraussetzungen wie eine Mindermaßnahme gegenüber einem Verband gem. § 24 II OWiG und somit auch denselben Anlass hat.253 Anlass ist demnach die Ordnungswidrigkeit (§ 22 I OWiG) oder mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 III OWiG) eines Repräsentanten, die dem Verband als eigene Handlung zugerechnet wird (§ 29 OWiG). Anlass kann auch die Ordnungswidrigkeit eines Nichtrepräsentanten und die quasivorwerfbare Handlung eines Repräsentanten des Verbandes sein (§ 23 OWiG). Demnach liegen die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung bzw. Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Adressat der Nachteilszufügung ist der Verband. Ansonsten gilt das oben zur Nachteilszufügung Gesagte entsprechend.254 Eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Die Zwecke der Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen sind nach dem jeweiligen Einziehungsgrund zu bestimmen.255 Es gilt das oben zu den Zwecken und Zweckadressaten Gesagte bezüglich der Einziehung von Gegenständen gegenüber einem Verband entsprechend.256 Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung gem. § 24 II 1 OWiG verfolgt demnach repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke bzw. nur präventive Sicherungszwecke und somit Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gegenüber Verbänden gem. § 24 II 1 OWiG ist Sanktion. (7) Ergebnis Die Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG und die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 II 1 OWiG sind Sanktionen. ee) Einziehung des Wertersatzes gem. § 25 OWiG Regelmäßig besteht die Gefahr, dass eine Einziehung von Gegenständen zu repressiven und negativ spezialpräventiven Zwecken gem. § 22 I, II Nr. 1 OWiG bzw. § 23 OWiG vereitelt wird, indem der Einziehungsgegenstand vor der Einziehung verwertet, zerstört oder mit dem Recht eines Dritten belastet wird. Um zu verhindern, dass sich der Adressat der Einziehung von Gegenständen den Zwecken der Sanktion entzieht, hat der Gesetzgeber in § 25 OWiG verschiedene Formen der Geldwertersatzeinziehung normiert: 253 254 255 256
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (3). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a).
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Hat der Täter einer Ordnungswidrigkeit den Einziehungsgegenstand verwertet oder die Einziehung des Einziehungsgegenstandes sonst vereitelt (z. B. indem er den Gegenstand zerstört oder verschenkt hat), so sieht § 25 I OWiG vor, dass dem Täter die Zahlung eines Geldbetrages aus seinem Vermögen auferlegt werden kann.257 Während § 25 I OWiG den Fall regelt, dass der Einziehungsgegenstand nicht mehr im Vermögen des Täters der Ordnungswidrigkeit vorhanden ist, ist aber auch die Konstellation denkbar, dass der Einziehungsgegenstand noch im Vermögen des Täters der Ordnungswidrigkeit vorhanden ist und dass der Täter der Ordnungswidrigkeit durch die Belastung des Einziehungsgegenstandes mit dem Recht eines Dritten einen Vermögensvorteil erlangt hat. In diesem Fall kann eine Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG angeordnet werden, die auf den Vermögensvorteil gerichtet ist, den der Täter durch die Belastung des Einziehungsgegenstandes mit dem Recht eines Dritten erlangt hat. Die Einziehung des Geldwertersatzes kann auch mit der Einziehung des Einziehungsgegenstandes im Sinne des §§ 22, 23 OWiG kombiniert werden (vgl. den ausdrücklichen Wortlaut des § 25 II OWiG). Beide Formen der Geldwertersatzeinziehung können auch nachträglich (§ 25 IV OWiG) und im selbständigen Verfahren (§ 27 I OWiG) angeordnet werden. (1) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber dem Täter Die Geldwertersatzeinziehung nach § 25 I OWiG kann dann angeordnet werden, wenn ein Einziehungsgrund nach § 22 I, II Nr. 1 OWiG gegeben ist, sodass als Anlasstat eine Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt. Eine mit Geldbuße bedrohte Handlung kann als Anlasstat nicht ausreichen, was zum einen damit begründet wird, dass die Geldwertersatzeinziehung Ahndungscharakter habe und folglich ein vorwerfbares Handeln voraussetze, was nur bei einer Ordnungswidrigkeit und nicht bei einer mit Geldbuße bedrohten Handlung gegeben sei.258 Zum anderen wird dies damit begründet, dass die Auswahl der Geldwertersatzeinziehung als Rechtsfolge im Falle eines Einziehungsgrundes nach § 22 II Nr. 2, III OWiG – dies ist der einzige Fall, in dem eine mit Geldbuße bedrohte Handlung für eine Einziehung ausreicht – aufgrund mangelnder Geeignetheit stets unverhältnismäßig und somit ermessensfehlerhaft sei.259 Existiert der Einziehungsgegenstand noch, so wird der Zweck der Einziehung von Gegenständen (Sicherung der Allgemeinheit260) nicht durch eine Geldwertersatzeinziehung gefördert, sondern nur durch die Einziehung des Gegenstandes von einem Dritten.261 Existiert der Einziehungsgegenstand nicht mehr, so entfällt der Zweck der Einziehung von Gegenständen (Sicherung der Allgemeinheit), sodass er auch nicht mehr durch eine 257 258 259 260 261
Siehe näheres zu den Vereitelungshandlungen bei Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 24 ff. Gürtler, in: Göhler, § 25, Rn. 15; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 25, Rn. 3. Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 4. Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 4.
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Geldwertersatzeinziehung fortgesetzt werden könnte. Aufgrund des letztgenannten Begründungsstrangs ist festzustellen, dass eine Ordnungswidrigkeit dann als Anlasstat nicht ausreichen kann, wenn (auch) ein Einziehungsgrund nach § 22 II Nr. 2 OWiG erfüllt ist. Eine Ordnungswidrigkeit und eine quasi-vorwerfbare Handlung können Anlasstaten sein, wenn der Täter der Ordnungswidrigkeit eine Einziehung von Gegenständen, die nach § 23 OWiG gegen einen Dritten zulässig gewesen wäre, vereitelt hat.262 Dasselbe gilt, wenn der Täter der Ordnungswidrigkeit eine Einziehung von Gegenständen vereitelt, die nach § 23 OWiG gegen einen Dritten zulässig gewesen wäre, der zugleich Repräsentant eines Verbandes ist und dessen quasi-vorwerfbare Handlung dem Verband gem. § 29 OWiG zugerechnet werden kann. Keine Anlasstat der Geldwertersatzeinziehung ist hingegen die Vereitelungshandlung, die eine Einziehung von Gegenständen gegenüber dem Täter unmöglich gemacht hat.263 Demnach setzt die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG eine Ordnungswidrigkeit bzw. eine Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs voraus. Die Anordnung der Geldwertersatzeinziehung legt dem Täter eine Pflicht zur Zahlung eines Geldbetrages aus seinem Vermögen auf. Demnach gilt hinsichtlich der Nachteilszufügung das zur Geldbuße Gesagte entsprechend.264 Zu ergänzen ist, dass sich – anders als bei der Geldbuße – die Höhe des zu zahlenden Geldbetrages nach dem Wert des Gegenstandes richtet, wobei sein Verkehrswert zugrunde zu legen ist.265 Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Sofern einer Geldwertersatzeinziehung der Einziehungsgrund nach § 22 II Nr. 1 OWiG zugrunde liegt, so setzt sie die vom Täter vereitelte Einziehung von Gegenständen fort und teilt auch ihre Zwecke. Die Geldwertersatzeinziehung verfolgt demnach repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke.266 Sofern einer Geldwertersatzeinziehung der Einziehungsgrund nach § 23 OWiG zugrunde liegt, so richten sich die Zwecke der Geldwertersatzeinziehung gegen einen Dritten und nicht gegen den Täter der Ordnungswidrigkeit.267 Diesen tatun262
Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 5. Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 1. 264 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 265 Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 44. 266 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). 267 Es ist zweifelhaft, ob die Zweckverfolgung gegenüber einem Dritten im Sinne des § 23 OWiG überhaupt effektiv ist. Dies wird man wohl nur dann annehmen können, wenn der Täter der Ordnungswidrigkeit und der Dritte im Sinne des § 23 OWiG vereinbart hatten, dass der Täter der Ordnungswidrigkeit einen durch die Vereitelungshandlung erlangten Vermögensvorteil dem Dritten im Sinne des § 23 OWiG überträgt. In allen anderen Fällen wird man eine 263
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beteiligten Dritten sollen repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke treffen.268 Sofern einer Geldwertersatzeinziehung der Einziehungsgrund nach § 23 OWiG zugrunde liegt und der Dritte im Sinne des § 23 OWiG zugleich Repräsentant eines Verbandes ist, so richten sich die Zwecke der Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegen den Repräsentanten, der die quasi-vorwerfbare Handlung begangen hat, – sofern vorhanden – gegen andere Repräsentanten desselben Verbandes, die weder eine Ordnungswidrigkeit noch eine quasi-vorwerfbare Handlungen begangen haben und Repräsentanten anderer Verbände, die ebenfalls weder Ordnungswidrigkeit noch quasi-vorwerfbare Handlungen begangen haben; sofern vorhanden, richten sich die Zwecke auch gegen Gesellschafter, die ein Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl eines Repräsentanten haben.269 Den Repräsentanten, der die quasivorwerfbare Handlung begangen hat, treffen repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke;270 die Repräsentanten desselben Verbandes und die anderer Verbände sowie die Gesellschafter treffen positiv generalpräventive Zwecke.271 Positiv generalpräventive Zwecke können auch die Allgemeinheit gerichtet sein.272 Den Täter der Ordnungswidrigkeit treffen auch in dieser Variante keine Sanktionszwecke. Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG verfolgt in jeder Variante Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber dem Täter ist Sanktion.
effektive Zweckverfolgung verneinen müssen; insbesondere, wenn der Täter der Ordnungswidrigkeit den Einziehungsgegenstand zerstört. Sofern es keine Vereinbarung zwischen Täter der Ordnungswidrigkeit und Dritten im Sinne des § 23 OWiG zur Übertragung des Vermögensvorteils gibt, wird die Maßnahme regelmäßig nicht geeignet im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sein, sodass ihre Auswahl ermessensfehlerhaft ist. Es stellt sich die Frage, ob diese Variante verfassungsgemäß ist. Es könnte hier eine willkürliche Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte durch den Gesetzgeber gegeben sein. Der Dritte im Sinne des § 23 OWiG könnte sich der Rechtsfolge des § 25 I OWiG nämlich ganz leicht entziehen, indem er sich eines anderen tatunbeteiligten Dritten zur Verwertung des Einziehungsgegenstandes und nicht des Täters der Ordnungswidrigkeit bedient. Demnach kann die Rechtsfolge des § 25 I OWiG ohne großen Aufwand unterlaufen werden. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der Sachverhalte – Verwertung durch Täter und Verwertung durch Dritten – ist nicht ersichtlich. 268 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (b). 269 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 270 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 271 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 272 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a).
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(2) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber Dritten Die Geldwertersatzeinziehung nach § 25 I OWiG kann nicht unmittelbar gegenüber tatunbeteiligten Dritten angeordnet werden. Dies folgt daraus, dass die Regelung ausdrücklich als Adressaten der Nachteilszufügung der Geldwertersatzeinziehung den Täter der Ordnungswidrigkeit nennt. Den Dritten können aber die Sanktionszwecke einer Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber dem Täter treffen.273 (3) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber Verbänden Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG kann gegenüber einem Verband274 angeordnet werden, wenn sein Repräsentant275 eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, die dem Verband nach § 29 OWiG zugerechnet werden kann.276 Die Geldwertersatzeinziehung gegen einen Verband gem. § 25 I OWiG erfüllt das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Nachteilszufügung der Geldwertersatzeinziehung trifft den Verband. Zur Art und Weise gilt das oben Gesagte entsprechend.277 Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Wie bereits ausgeführt, setzt die Geldwertersatzeinziehung eine vereitelte Einziehung von Gegenständen fort. Es gelten demnach die Zwecke der Einziehung von Gegenständen, so wie sie mit der ursprünglich angeordneten Einziehung von Gegenständen gegenüber dem Verband verfolgt worden wären. Demnach werden gegenüber dem Repräsentanten, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke verfolgt.278 Gegenüber anderen Repräsentanten desselben Verbandes und Repräsentanten anderer Verbände und Gesellschaftern mit Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Repräsentanten werden positiv generalpräventive Zwecke verfolgt.279 Außerdem können positiv generalpräventive Zwecke auch gegenüber der Allgemeinheit verfolgt werden.280 Die Geldwertersatzeinziehung gegenüber Verbänden verfolgt also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber Verbänden ist Sanktion. 273
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 275 Siehe zum Begriff des Repräsentanten oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 276 Es ist nicht erforderlich, dass der Repräsentant, der die Ordnungswidrigkeit begangen und der Repräsentant, der die Vereitelungshandlung begangen hat identisch sind, Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 11. 277 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). 278 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 279 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 280 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 274
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Den Repräsentanten eines Verbandes, der eine quasi-vorwerfbare Handlung begangen hat und andere Repräsentanten und Gesellschafter desselben oder anderer Verbände, können außerdem die Sanktionszwecke einer Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG gegenüber dem Täter treffen.281 (4) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber dem Täter Die Geldwertersatzeinziehung des § 25 II OWiG setzt voraus, dass eine Einziehung gem. § 22 I, II Nr. 1 OWiG möglich ist. Es muss folglich eine Ordnungswidrigkeit gegeben sein; eine mit Geldbuße bedrohte Handlung gem. § 22 II Nr. 2, III OWiG reicht demgegenüber nicht aus.282 Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG kann auch an den Fall anknüpfen, dass eine Einziehung nach § 23 OWiG gegen einen Dritten zulässig gewesen wäre und der Täter der Ordnungswidrigkeit die Einziehung vereitelt hat. Demnach können auch Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung Anlass einer Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG sein.283 Dasselbe gilt für den Fall, dass der Dritte im Sinne des § 23 OWiG Repräsentant eines Verbandes ist, dessen quasi-vorwerfbare Handlung dem Verband gem. § 29 OWiG zugerechnet werden kann und der Täter der Ordnungswidrigkeit die Einziehung von Gegenständen gegen den Verband vereitelt hat.284 Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG setzt eine Ordnungswidrigkeit bzw. eine Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs voraus. Eine Nachteilszufügung enthält die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG dergestalt, dass dem Täter die Zahlung eines Geldbetrages aus seinem Vermögen auferlegt wird. Zur Nachteilszufügung gilt das zur Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 I OWiG Gesagte entsprechend.285 Hinsichtlich der Höhe des zu zahlenden Betrages ist zu unterscheiden: Wird die Geldwertersatzeinziehung nach § 25 II OWiG ohne Einziehung des Gegenstandes angeordnet, so bemisst sich die Höhe des zu zahlenden Geldbetrages anhand des Wertes des Gegenstands.286 Wird die Geldwertersatzeinziehung demgegenüber neben der Einziehung des Gegenstandes angeordnet, so bemisst sich die Höhe des zu zahlenden Geldbetrages anhand des Belastungsbetrages, d. h. dem Betrag, der zur Beseitigung der Belastung aufgewendet werden müsste.287 Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. 281 282 283 284 285 286 287
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 44. Mitsch, in: Senge, § 25, Rn. 44 f.
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Auch die Geldwertersatzeinziehung nach § 25 II OWiG hat das Ziel zu verhindern, dass sich der Täter einer ahnenden Einziehung nach § 22 I, II Nr. 1 OWiG entzieht. Demnach setzen sich die repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke der ahnenden Einziehung nach § 22 II Nr. 1 OWiG auch in der Geldwertersatzeinziehung nach § 25 II OWiG fort.288 Sofern die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG auf den Fall des Einziehungsgrundes nach § 23 OWiG angewendet wird, richten sich die repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Zwecke der Einziehung gegen den Dritten im Sinne des § 23 OWiG; keine Zwecke werden gegenüber dem Täter der Ordnungswidrigkeit verfolgt.289 Sofern einer Geldwertersatzeinziehung der Einziehungsgrund nach § 23 OWiG zugrunde liegt und der Dritte im Sinne des § 23 OWiG zugleich Repräsentant eines Verbandes ist, so richten sich die Zwecke der Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegen den Repräsentanten, der die quasi-vorwerfbare Handlung begangen hat, – sofern vorhanden – gegen andere Repräsentanten desselben Verbandes, die weder Ordnungswidrigkeiten noch quasi-vorwerfbare Handlungen begangen haben und Repräsentanten anderer Verbände, die ebenfalls weder Ordnungswidrigkeiten noch quasi-vorwerfbare Handlungen begangen haben sowie – sofern vorhanden – Gesellschafter, die ein Mitbestimmungsrecht in Hinblick auf die Auswahl von Repräsentanten haben.290 Den Repräsentanten, der die quasi-vorwerfbare Handlung begangen hat, treffen repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke; die Repräsentanten desselben Verbandes und die anderer Verbände sowie die Gesellschafter im vorbezeichneten Sinne treffen positiv generalpräventive Zwecke.291 Außerdem können die Allgemeinheit positiv generalpräventive Zwecke treffen.292 Den Täter der Ordnungswidrigkeit treffen keine Sanktionszwecke.293 Die Geldwertersatzeinziehung gegenüber dem Täter gem. § 25 II OWiG verfolgt in jeder Variante Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Geldwertersatzeinziehung gegenüber dem Täter gem. § 25 II OWiG ist Sanktion.
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Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). 290 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Auch hier gilt, dass diese Variante wohl nur dann ermessensfehlerfrei angeordnet werden kann, wenn der Täter und Dritte die Vereinbarung getroffen hatten, dass der Täter dem Dritten den erlangten Vermögensvorteil überträgt. Schließlich stellt sich auch hier die Frage, ob diese Variante verfassungsgemäß ist. Vgl. zu beiden Fragestellungen Kapitel B., Fn. 267. 291 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 292 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (3) (a). 293 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). 289
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(5) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber Dritten Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG kann nicht unmittelbar gegenüber Dritten angeordnet werden. Dies folgt daraus, dass eine Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG aufgrund seines Wortlauts („Eine solche Anordnung“) auch nur gegen den Täter einer Ordnungswidrigkeit angeordnet werden darf. Den Dritten können aber die Sanktionszwecke einer Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber dem Täter treffen.294 (6) Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber Verbänden Eine Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG kann auch gegenüber einem Verband angeordnet werden, wenn der Repräsentant eines Verbandes eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, die dem Verband gem. § 29 OWiG zugerechnet werden kann. Es liegt somit ein tauglicher Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Es gilt das oben zu den Merkmalen des Sanktionsbegriffs, d. h. Maßnahme, Zweckadressaten und Zwecke, Gesagte entsprechend.295 Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 II OWiG gegenüber dem Verband ist Sanktion. (7) Nachträgliche Anordnung der Geldwertersatzeinziehung Die nachträgliche Anordnung der Geldwertersatzeinziehung ist in § 25 IV OWiG vorgesehen und soll verhindern, dass eine bereits angeordnete Einziehung von Gegenständen leerläuft, weil sie tatsächlich nicht mehr ausführbar oder zur Zweckerreichung unzureichend geworden ist. Hinsichtlich der Merkmale des Sanktionsbegriffs Anlass, Maßnahme und Sanktionszwecke ergeben sich bei der nachträglichen Anordnung der Geldwertersatzeinziehung in keiner der genannten Konstellationen (gegenüber Täter, Dritten, Verbänden, § 25 I, II OWiG) Abweichungen zum bislang Gesagten. Auch die nachträgliche Anordnung der Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 IV OWiG ist Sanktion. (8) Geldwertersatzeinziehung im selbstständigen Verfahren Da die Geldwertersatzeinziehung nach § 25 I und II OWiG nur eine ahnende Einziehung nach §§ 22 II Nr. 1, 23 OWiG fortsetzen kann, die eine Ordnungswidrigkeit bzw. eine Ordnungswidrigkeit und eine quasi-vorwerfbare Handlung voraussetzen,296 kann eine Geldwertersatzeinziehung im selbstständigen Verfahren auch nur nach § 27 I OWiG angeordnet werden. Aus dem soeben Gesagten folgt bereits, 294 295 296
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (4). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (3). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1).
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dass ein tauglicher Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs auch bei der Geldwertersatzeinziehung im selbstständigen Verfahren gegeben ist. In Hinblick auf das Merkmal Maßnahme ergeben sich keine Abweichungen zu oben,297 demnach ist auch das Merkmal Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs gegeben. Der Zweckadressat richtet bzw. die Zweckadressaten richten sich nach dem fortgesetzten Einziehungsgrund und danach, ob der Handelnde bzw. ein Handelnder Repräsentant eines Verbandes ist: Wird der Einziehungsgrund aus § 22 I, II Nr. 1 OWiG fortgesetzt, so ist Zweckadressat im selbstständigen Verfahren der Täter der Ordnungswidrigkeit. Wird der Einziehungsgrund nach § 23 OWiG fortgesetzt, so ist der Zweckadressat der Dritte, der die quasi-vorwerfbare Handlung gem. § 23 OWiG begangen hat, nicht aber der Täter der Ordnungswidrigkeit. Ist der Täter der Ordnungswidrigkeit Repräsentant eines Verbandes, sodass die Handlung dem Verband gem. § 29 OWiG zugerechnet werden kann, so kommen als Zweckadressaten der Täter der Ordnungswidrigkeit, der zugleich Repräsentant des Verbandes ist, – sofern vorhanden – die anderen Repräsentanten desselben Verbandes sowie anderer Verbände und – sofern vorhanden – Gesellschafter mit Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Repräsentanten in Betracht. Hat sich hingegen ein Repräsentant im Sinne des § 23 OWiG in die Ordnungswidrigkeit eines Nichtrepräsentanten verstrickt und kann die Handlung des Repräsentanten gem. § 29 OWiG dem Verband zugerechnet werden, so kommen als Zweckadressaten der im Sinne des § 23 OWiG handelnde Repräsentant des Verbandes, – sofern vorhanden – die anderen Repräsentanten desselben Verbandes sowie anderer Verbände und – sofern vorhanden – schließlich Gesellschafter mit Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Repräsentanten in Betracht. In diesen Konstellationen kommt ferner die Allgemeinheit als Zweckadressat in Betracht. Im Hinblick auf die konkreten Zwecke treffen den Täter der Ordnungswidrigkeit oder den handelnden Dritten im Sinne des § 23 OWiG repressive und präventivverhaltenssteuernde Zwecke, wenn diese Personen den Sanktionssubjekten bekannt sind.298 Soweit der Täter der Ordnungswidrigkeit oder der handelnde Dritte im Sinne des § 23 OWiG unbekannt ist, so kommen nur negativ spezialpräventive Zwecke in Betracht.299 Demgegenüber treffen alle anderen benannten Personen bzw. Personengruppen positiv generalpräventive Zwecke.300 Angemerkt sei hier, dass der Zweck der posi-
297 298 299 300
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2).
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tiven Generalprävention vor dem Hintergrund der Durchführung eines selbstständigen Verfahrens besondere Bedeutung erlangen kann.301 Demnach verfolgt die Anordnung der Geldwertersatzeinziehung im selbstständigen Verfahren in jeder Variante auch Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung der Geldwertersatzeinziehung im selbstständigen Verfahren gem. § 27 I OWiG ist Sanktion. (9) Ergebnis Die Geldwertersatzeinziehung gem. § 25 OWiG ist in jeder Variante Sanktion. ff) Verweigerung einer Entschädigung gem. § 28 II OWiG Nach § 28 II OWiG ist eine Entschädigung wegen einer Einziehung von Gegenständen einem Dritten zu verweigern, wenn dieser sich im Sinne des § 23 I OWiG in die Tat eines anderen verstrickt hat (§ 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG) oder dem Dritten aufgrund von Rechtsvorschriften302 außerhalb des OWiG auch ohne Entschädigung ein Gegenstand dauerhaft entzogen werden könnte. Anlass für eine Verweigerung nach § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG ist die Ordnungswidrigkeit eines anderen und die quasi-vorwerfbare Handlung des Dritten im Sinne des § 23 OWiG. Da im Falle einer Verweigerung gem. § 28 II Nr. 3 OWiG regelmäßig nur Kongruenz zwischen polizeirechtlicher Gefahrenabwehrvorschriften und dem Einziehungsgrund nach § 22 II Nr. 2 OWiG besteht,303 kommt als Anlass einer Verweigerung nach § 28 II Nr. 3 OWiG eine Ordnungswidrigkeit (§ 22 I, II Nr. 2 OWiG) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 22 II Nr. 2, III OWiG) in Betracht. Die Merkmale des Sanktionsbegriffs Ordnungswidrigkeit und quasi-vorwerfbare Handlung bzw. Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohte Handlung sind gegeben. Die Nachteilszufügung besteht darin, dass dem Dritten für den Eigentums- oder Rechtsverlust keine Kompensation in Geld geleistet wird und dadurch die durch die Einziehung eines Gegenstands oder Erlöschensanordnung nach § 26 II 2 oder 3 OWiG erfolgte Vermögenseinbuße aufrechterhalten wird. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Die Verweigerung einer Entschädigung nach § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG verfolgt aufgrund des identischen Wortlauts die gleichen Zwecke, wie eine Einziehung 301
Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Hiervon sind vor allem ordnungs- und polizeirechtliche Normen erfasst, wonach der Dritte als Störer für den Zustand einer Sache haftet, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit sichergestellt werden muss, vgl. z. B. § 38 I a, b OBG Bbg. 303 Mitsch, in: Senge, § 28, Rn. 22. 302
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von Eigentum Dritter nach § 23 OWiG, d. h. also repressive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke.304 Die Verweigerung einer Entschädigung nach § 28 II Nr. 3 OWiG verfolgt hingegen keinen Sanktionszweck. Die Verweigerung verfolgt den Zweck, die gefahrenabwehrrechtlichen Wertungen des Polizei- und Ordnungsrechts in das OWiG zu übertragen, wenn seine Mittel – vornehmlich die Einziehung nach § 22 II Nr. 2 OWiG – ebenfalls eine gefahrenabwehrrechtliche Tendenz aufweist. Voraussetzung für eine Entschädigung ist ein Sonderopfer des polizeirechtlich bzw. ordnungsrechtlich Verantwortlichen.305 An einem solchen Sonderopfer fehlt es aber, wenn der polizeirechtlich bzw. ordnungsrechtlich Verantwortliche durch sein Verhalten bzw. Eigentum oder seinen Besitz eine konkrete Gefahr geschaffen habe, die durch hoheitliches Eingreifen beseitigt werden muss. Anders ausgedrückt, wer eine Gefahr verursacht, die durch hoheitliches Eingreifen beseitigt werden muss, verdient keine Entschädigung, weder im Ordnungswidrigkeitenrecht noch im Polizei- und Ordnungsrecht. Dabei mag die Verweigerung einer Entschädigung nach § 28 II Nr. 3 OWiG vielleicht vom Betroffenen wie ein repressives Übel, abschreckend oder erzieherisch aufgefasst werden. Dies sind aber allenfalls Wirkungen und keine Zwecke. Demnach verfolgt nur eine Verweigerung nach § 28 II Nr. 1 oder Nr. 2 OWiG Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verweigerung einer Entschädigung nach § 28 II Nr. 1 oder Nr. 2 OWiG ist Sanktion. gg) Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG Als Adressaten der „Einziehung des Wertes von Taterträgen“306 kommen Täter, tatunbeteiligte Dritte und Verbände in Betracht. (1) Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen Die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen ist in § 29a I OWiG geregelt. Ausdrücklich reicht für eine Einziehungsanordnung gem. § 29a I OWiG aus, dass eine mit Geldbuße bedrohte Handlung gegeben ist. Dies schließt es aber nicht aus, die Einziehung des Wertes von Taterträgen auch dann anzuordnen, 304
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (b). Götz/Geis, § 15, Rn. 2 ff. 306 Durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) hat der Gesetzgeber die Rechtsfolge „Verfall“ in „Einziehung des Wertes von Taterträgen“ umbenannt. Die Reform erfolgte zur Umsetzung der Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. L 127 vom 29. April 2014, S. 39; L 138 vom 13. Mai 2014, S. 114) in innerstaatliches Recht. 305
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wenn eine Ordnungswidrigkeit gegeben ist. Der Anknüpfungspunkt Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen dient der Abschöpfung aller Vermögenswerte, die der Täter „durch“ die Vornahme einer mit Geldbuße bedrohten Handlung – umfasst sind von dieser Alternative die Tatgewinne im engeren Sinne – oder „für“ ihre Vornahme – in dieser Alternative geht es um die Tatentgelte – erlangt hat. Die Einziehung gem. § 29a OWiG wird deshalb auch als Maßnahme der Gewinnabschöpfung bezeichnet.307 Sie bezieht sich nicht auf die erlangten Gegenstände als solche, sondern auf den Wert der Gegenstände im Vermögen des Täters. Der Täter wird nicht verpflichtet, die erlangten Gegenstände herauszugeben, sondern stattdessen einen Geldbetrag aus seinem Vermögen zu bezahlen, der dem Wert der erlangten Gegenstände entspricht.308 Die Nachteilszufügung besteht also in der Belastung des Täters mit einer Geldzahlungspflicht, allgemeiner ausgedrückt, einer Handlungspflicht. Der Umfang der Geldzahlungspflicht hat sich mit der Gesetzesreform vom 28. Februar 1992 geändert: Mit der Ersetzung des Begriffs des „Vermögensvorteils“ durch „etwas“ hat der Gesetzgeber dem bisherigen Verfall gem. § 29a OWiG nach h.M. im Regelfall das sog. Bruttoprinzip zugrunde gelegt.309 Dies hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 ausdrücklich bestätigt, indem er in § 29a I OWiG das Wort „aus“ mit „durch“ ersetzt hat und in § 29a III 2 OWiG ein Abzugsverbot für Vermögenswerte normiert hat, welche der Täter für die Tat oder ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt hat.310 Demnach unterliegen der Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht nur Gewinne nach Abzug gewinnmindernder Kosten, sondern alle Vermögenswerte, die aus der Tat resultieren. Es ist demnach auch möglich, sofern der Täter nach Saldierung der Gewinne aus der Tat und Aufwendungen für die Tat einen Vermögensverlust erlitten hat, den den Vermögensverlust lediglich teilweise kom-
307 So jedenfalls noch für den Verfall nach a.F.: Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 1 ff.; Gürtler, in: Göhler, § 29a, Rn. 1; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 29a, Rn. 2 f. 308 Zum Verfall nach a.F.: Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 17, Rn. 8. 309 So die h.M. zum Verfall a.F.: BGH NStZ 1996, 539; 1995, 491, 495; 1994, 123; BayOblG NStZ-RR 1997, 339; Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 27; Gürtler, in: Göhler, § 29a, Rn. 6; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 29a, Rn. 1; Joecks, in: Joecks/Miebach, Band 2, § 73, Rn. 30; Eser, in: Schönke/Schröder, § 73, Rn. 17; Fischer, § 73, Rn. 3; a.A. Göhler, wistra 1992, 133 (135 f.); Cramer, wistra 1996, 248 (250); Tröndle/Fischer, 49. Aufl., § 73, Rn. 3a. In § 58 III MStV BB findet sich eine spezielle Verfallsvorschrift für die Abschöpfung von Werbeentgelten im Zusammenhang mit Ordnungswidrigkeiten im Rundfunk, krit. hierzu Kremer, in: Hahn/Vesting, § 49, Rn. 61. 310 So auch die ausdrückliche gesetzgeberische Absicht, siehe Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 55 f.
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pensierenden Gewinn abzuschöpfen.311 Während es vor der Gesetzesreform vom 13. April 2017 für möglich gehalten wurde, den Verfallsbetrag im Rahmen der Ermessensausübung nach dem sog. Nettoprinzip – hiernach sind vom Erlangten gewinnmindernde Kosten auf Seiten des Täters abzuziehen –312 zu begrenzen,313 ist ein solches nach der Gesetzesreform ausgeschlossen. Dies folgt schlicht daraus, dass der Gesetzgeber die Abzugsmöglichkeit von gewinnmindernden Kosten im Sinne des Nettoprinzips nunmehr ausdrücklich im § 29a III 1 OWiG normiert und diese als gebundene Entscheidung ausgestaltet hat (§ 29a III 1 OWiG: „ist“). Ob die Einziehungshöhe im Rahmen der Ermessensausübung auch aus anderen Gründen begrenzt werden kann, die nicht mit den Kosten des Täters für die Tat zusammenhängen, erscheint nach der neuesten Gesetzesreform zweifelhaft. Der Gesetzgeber hat bei den Parallelvorschriften zur Einziehung des Wertes von Taterträgen im StGB die Härtefallklausel gem. § 73c I 1 StGB a.F. gestrichen und möchte nunmehr nur noch den Einziehungsbetrag nach der Regelung des § 73d I StGB n.F. – die Regelung entspricht im Wesentlichem dem § 29a III OWiG n.F. – bestimmt haben. Die Streichung hat er damit begründet, dass die bisherige Härtefallklausel rechtliche Unsicherheiten produziert habe, die durch die ausdrückliche Regelung des § 73d I StGB n.F. vermieden werden.314 Zwar gab es im OWiG keine Härtefallklausel nach Vorbild des § 73d I StGB a.F., doch wurde eine entsprechende Regelung im Rahmen der Ermessensausübung angenommen.315 Legt man zugrunde, dass der Gesetzgeber jedenfalls in Hinblick auf die Bestimmung der Einziehungshöhe durch die parallelen Neuregelungen einen Gleichlauf zwischen StGB und OWiG hat herstellen wollen, so ist davon auszugehen, dass auch bei Anwendung des § 29a I OWiG andere als die in § 29a III 1 OWiG genannten Umstände nicht mehr zum Abzug gebracht werden sollen. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Umstritten waren seit jeher die Zwecke des Verfalls nach a.F. Ob das bislang vertretene Meinungsspektrum auch nach der Gesetzesreform von 2017 noch weiterbestehen wird, kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. Auch wenn sich der Gesetzgeber der Auffassung des BVerfG angeschlossen hat, so hat er den bisherigen Auffassungen auch nicht vollends den Boden entzogen.316 Aus diesem 311 Damit geht die Einziehung des Wertes von Taterträgen im Regelfall weiter als die Geldbuße, denn soweit sie die Gewinne aus der Tat abschöpft, ist nach ganz h.M. das Nettoprinzip anzuwenden, Gürtler, in: Göhler, § 17, Rn. 38 f. 312 Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 47. 313 Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 14. 314 Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 62 f.; kritisch zur Streichung der Härtefallklausel: Köllner/Mück, NZI 2017, S. 599. 315 Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 14. 316 Siehe zu den Einzelheiten sogleich unten.
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Grund wird die Untersuchung im Folgenden jene Standpunkte darstellen, wie sie zuletzt noch nach der Änderung des § 73 StGB bzw. § 29a OWiG mit dem Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze vom 28. Februar 1992 vertreten wurden. Hingewiesen sei im Übrigen darauf, dass die Regelungen im StGB und OWiG auch nach der jüngsten Gesetzesreform im Wesentlichen gleich sind, sodass eine Übertragung der jeweiligen Standpunkte in Schrifttum und Rechtsprechung möglich ist. Dass die Regelungen nahezu gleich sind, ist kein Zufall, sondern entspricht der Absicht des Gesetzgebers den bisherigen Verfall bzw. die neue Einziehung des Wertes von Taterträgen als ein einheitliches Rechtsinstitut zu behandeln.317 W. Schmidt bezeichnet den bisherigen Verfall als eine Maßnahme, die dem Täter selbst, vor allem aber der Allgemeinheit und allen künftigen Interessenten vor Augen führen solle, dass sich Verletzungen der Strafrechtsordnung finanziell nicht auszahlen und dass es eine Fehlspekulation darstelle, wenn der Täter das Risiko der Entdeckung und Bestrafung in der Erwartung auf sich nehmen sollte, dass ihm oder dem begünstigten Dritten doch immerhin der für die Tat erlangte Vermögensvorteil wenigstens in dem Umfang verbleibe, als er ihm nicht durch Gegenansprüche, die dem Verletzten aus der Tat erwachsen, entzogen werden könne.318 Schließlich solle der Täter den Gerichtssaal nicht mit dem Gefühl verlassen dürfen, die Tat habe sich letztlich doch gelohnt.319 Der bisherige Verfall diene so auch auf vermögensrechtlichem Gebiet der Wiederherstellung der verletzten Rechtsordnung.320 Nach W. Schmidt dient der bisherige Verfall einerseits den Zwecken negativer Spezialund Generalprävention und andererseits der Restitution. Nach Wolters hingegen verfolgt der bisherige Verfall den legitimen Zweck, die materiell ungerechte, aber formell gegebene Güterzuordnung zu beseitigen, also die durch die Tat rechtswidrig bewirkte Vermögensverschiebung zu korrigieren.321 Diesen Zweck erklärt Wolters unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der
317 Hierauf deutet der Gesetzgeber hin, wenn er bei der Neueinführung des Verfalls betonte, dass „der Entwurf […] für das neue Institut der Gewinnabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht, ebenso wie im Strafrecht, die Bezeichnung Verfall [verwendet]. Was zur Folge hat, dass die Vorschriften der Strafprozessordnung, die den strafrechtlichen Verfall betreffen, auch im Bußgeldverfahren sinngemäß anzuwenden sind (§ 46 Abs. 1 OWiG) […]“, Regierungsentwurf zum 2. WiKG, BT-Drs. 9/2008, S. 38. Hierfür spricht ferner, der Regierungsentwurf zum 2. WiKG, BT-Drs. 10/318, S. 35 f., der Regierungsentwurf zum OrgKG, BT-Drs. 11/7663, S. 47 und der Regierungsentwurf zum AWStGBÄndG, BT-Drs. 12/1134, S. 13. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Gesetzgeber durch die Gesetzesänderung vom 13. April 2017 sowohl den strafrechtlichen als auch den ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfall geändert hat und in der Gesetzesbegründung im Allgemeinen Teil nicht unterscheidet, vgl. Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 45 ff. 318 W. Schmidt, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, Band 3, § 73, Rn. 8. 319 W. Schmidt, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, Band 3, § 73, Rn. 8. 320 W. Schmidt, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, Band 3, § 73, Rn. 8. 321 Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 3, 6.
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Rechtsordnung, d. h. der positiven Generalprävention.322 Der bisherige Verfall bezwecke jedenfalls keinen Schuldausgleich oder negative Spezial- und Generalprävention.323 Zwar führe insbesondere die beschriebene Korrektur der Vermögensordnung dazu, dass das unrechtmäßig Erlangte nicht in die Begehung neuer gewinnorientierter Taten fließen könne.324 Die Verhinderung neuer Taten sei aber nicht mehr als eine vom Gesetzgeber durchaus erwünschte Wirkung (Reflex).325 Die Wiederherstellung der Vermögensordnung sieht Wolters ebenfalls nicht als verfolgten Zweck im Sinne von Restitution an, sondern vielmehr als Mittel um den legitimen Zweck zu erreichen.326 Im Ergebnis ist also festzustellen, dass nach Wolters der bisherige Verfall dem Zweck positiver Generalprävention dient. Anders beurteilt Eser die Zwecke des bisherigen Verfalls: Sofern der bisherige Verfall die Nettogewinne „aus“ der Tat abschöpfe, so sei er im Regelfall eine Maßnahme, die den Ausgleich der gesamtwirtschaftlichen Nachteile der Allgemeinheit einerseits und der Vermögensvorteile, die der Täter erlangt hat andererseits, bezwecke.327 Der bisherige Verfall verfolgt in diesem Fall nur Restitution. Im Einzelfall könne aber der bisherige Verfall von Tatgewinnen aus der Tat auch Strafzwecken dienen, nämlich dann, wenn er den Betroffenen erst für die Wirkungen der Hauptstrafe empfänglich machen solle.328 Wenn es jedoch demgegenüber um die Abschöpfung von Gewinnen „für“ die Tat gehe (Tatentgelte), so verfolge der bisherige Verfall stets den Zweck, den Täter für die Hauptstrafe empfänglich zu machen.329 Sofern der bisherige Verfall jedoch dem Täter das Erlangte aus der Tat unter Anwendung des Bruttoprinzips entziehe, so könne der Ausgleichszweck nicht mehr aufrecht erhalten werden. Wenn aus dem Vermögen des Täters der Gesamterlös ohne Rücksicht auf etwaige gewinnschmälernde Kosten abgeschöpft werde, so handele es sich bei dem bisherigen Verfall um ein „tatvergeltendes Strafübel“.330 Eser ordnet dem bisherigen Verfall bei Anwendung des Bruttoprinzips also repressive Zwecke zu. Außerdem scheint er dem bisherigen Verfall den Zweck der negativen Spezialprävention zu zuschreiben, wenn er diesem attestiert, dass der Täter befürchten solle, dass ihm über die bloße Entreicherung hinaus ein zusätzliches Übel zugefügt werde.331
322 323 324 325 326 327 328 329 330 331
Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 7. Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 7. Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 6. Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 6. Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 6. Eser, S. 85 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 73, Rn. 18 f. Eser, S. 86; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 73, Rn. 19. Eser, S. 86, 336; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 73, Rn. 18. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 73, Rn. 19. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 73, Rn. 19.
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Der BGH hat den Zweck des bisherigen Verfalls zunächst im Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebungen gesehen;332 ob der BGH damit einen restitutiven oder positiv generalpräventiven Zweck meinte, ist nicht genau erkennbar. In einer späteren Entscheidung ist der BGH zu einem präventiven Zweck im Sinne von Abschreckung übergegangen, indem er formuliert hat, dass der Gesetzgeber die Verhinderung von gewinnorientierten Taten bezweckt habe.333 Demgegenüber bezwecke der bisherige Verfall keine Repression.334 Zu einem anderen Ergebnis kam das BVerfG in seiner Entscheidung zum bisherigen erweiterten Verfall gem. § 73d StGB a.F. In seiner Entscheidung hat das BVerfG festgestellt, dass der Zweck des bisherigen Verfalls präventiv-ordnend sei: Er sei ordnend, da er eine durch die deliktische Handlung entstandene Störung der Vermögensordnung und ihr Fortdauern in der Zukunft zu beseitigen bezweckt.335 Präventiv sei der bisherige Verfall, da er die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erweise und die Rechtstreue der Bevölkerung stärken solle.336 Diese letztgenannte Zwecksetzung ordnet das BVerfG als positive Generalprävention gegenüber der Allgemeinheit ein.337 Eine repressive Zwecksetzung oder einen Abschreckungszweck verneint das BVerfG demgegenüber.338 Der wesentliche Unterschied zwischen der Auffassung des BVerfG und den übrigen Auffassungen besteht darin, dass nach dem BVerfG die Wirkungsrichtung des bisherigen Verfalls nicht nur vergangenheits- bzw. gegenwartsbezogen, sondern vielmehr zukunftsbezogen ist. Zunächst ist festzustellen, dass der Standpunkt von Eser, wonach der bisherige Verfall und somit ggf. auch die neue Einziehung des Wertes von Taterträgen Strafzwecke verfolgen könne, wenn er bzw. sie dem Zweck diene, den Täter erst für die Wirkungen der zusätzlich verhängten Hauptstrafe empfänglich zu machen, vor dem Hintergrund des Ordnungswidrigkeitenrechts nicht verfangen kann. Das OWiG schloss eine Kombination von Geldbuße und bisherigen Verfall ausdrücklich aus und schließt eine solche auch noch nach der Gesetzesreform von 2017 aus. Zuzustimmen ist der Auffassung des BVerfG. Repressive Zwecke sind auszuschließen, denn nach der Auffassung des Gesetzgebers handelt es sich beim bisherigen Verfall bzw. bei der neuen Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht um eine Ahndung, sondern um eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichen Charakter.339 Sofern, insbesondere bei Anwendung des Bruttoprinzips, die über den Tatgewinn hinausgehende Vermögenseinbuße als Übel empfunden wird, so ist dies 332
BGH NJW 1995, 2235 f. (2235). BGHSt 47, 369 (374 f.). 334 BGHSt 47, 369 (375). 335 BVerfGE 110, 1 (16 ff.). 336 BVerfGE 110, 1 (19 f.). 337 BVerfGE 110, 1 (19 f.). Siehe auch oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 338 BVerfGE 110, 1 (15 f., 18, 19, 22). 339 Vgl. Regierungsentwurf zum StrÄndG, BT-Drs. 11/6623, S. 6; Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 55. 333
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
allenfalls eine repressive Wirkung aber kein Zweck. Weiterhin entspricht der vom BVerfG beigemessene ordnende Zweck der Auffassung des Gesetzgebers, wenn dieser formuliert, dass der bisherige Verfall das Ziel verfolge, eine rechtswidrig zustande gekommene Vermögensordnung zu korrigieren.340 Dem bisherigen Verfall und auch der neuen Einziehung des Wertes von Taterträgen ist demnach ein restitutiver Zweck zuzuordnen. Der bisherige Verfall bzw. die neue Einziehung des Wertes von Taterträgen verfolgt hingegen keinen präventiven Sicherungszweck. Entsprechend hatte der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zur Gesetzesreform von 1992 formuliert, dass der Verfall wie die Sicherungseinziehung dazu dienen könne, den Tätern die wirtschaftlichen Mittel zur Vorbereitung neuer Straftaten zu entziehen341 und dass der Verfall dem öffentlichen Interesse diene, die Reinvestition von Gewinnen aus Straftaten und damit die Stärkung krimineller Vereinigungen zu verhindern.342 Das BVerfG hatte zur alten Rechtslage festgestellt, dass dieser Zweck in den Regelungen des bisherigen Verfalls keinen unmittelbaren Niederschlag gefunden habe.343 Nach der Gesetzesreform von 2017 lässt sich ein solcher Ansatz lediglich in § 76a IV StGB n.F. für das selbstständige Verfahren finden. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber auch die eingangs gemachten Überlegungen aus den Gesetzgebungsmaterialien von 1992 wieder aufgegriffen.344 Da der Gesetzgeber diesen Ansatz aber nur für das selbstständige Verfahren verfolgt, ist im Umkehrschluss daraus zu folgern, dass ein präventiver Sicherungszweck nicht im Allgemeinen der Einziehung des Wertes von Taterträgen und somit auch nicht der Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen beigemessen werden soll. Beizupflichten ist dem BVerfG auch dahingehend, dass dem bisherigen Verfall bzw. der neuen Einziehung des Wertes von Taterträgen ein positiv generalpräventiver Zweck zukomme. Der Gesetzgeber hat dem bisherigen Verfallsrecht und auch dem neuen Einziehungsrecht die Zielrichtung zugewiesen, grundsätzlich dafür zu sorgen, dass Straftaten sich nicht lohnen dürfen.345 Dass hierunter kein Abschreckungszweck zu verstehen ist – und hierin ist dem BVerfG auch beizupflichten –346 folgt daraus, dass der Gesetzgeber den Abschreckungszweck von Strafen von den Zielen der Gewinnabschöpfung unterschieden hat.347 Schließlich hat der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zu dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Ver340
Vgl. Regierungsentwurf zum StrÄndG, BT-Drs. 11/6623, S. 7. Regierungsentwurf zum StrÄndG, BT-Drs. 11/6623, S. 7. 342 Regierungsentwurf zum StrÄndG, BT-Drs. 11/6623, S. 7. 343 BVerfGE 110, 1 (18). 344 Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 58. 345 Regierungsentwurf zum StrÄndG, BT-Drs. 11/6623, S. 8; vgl. Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 55. 346 BVerfGE 110, 1 (18). 347 Regierungsentwurf zum OrgKG, BT-Drs. 12/989, S. 21. 341
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mögensabschöpfung vom 13. April 2017 die Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum bisherigen Verfall bestätigt.348 Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen restitutive sowie positiv generalpräventive Zwecke und somit Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs verfolgt. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen nach § 29a I OWiG erfüllt die Anforderungen an den Sanktionsbegriff und ist somit Sanktion im Sinne dieser Arbeit. (2) Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen § 29a II 1 OWiG sieht als Rechtsfolge vor, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen auch gegenüber einer natürlichen Person angeordnet werden kann, wenn diese Person nicht Täter oder Beteiligter (§ 14 OWiG) einer Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung ist und ein weiterer Umstand hinzutritt. Für den vorbezeichneten weiteren Umstand hat der Gesetzgeber drei Varianten normiert, die sich im Wesentlichen folgendermaßen beschreiben lassen: Es ist erstens eine Einziehung gegen einen Dritten gem. § 29a II 1 OWiG zulässig, wenn die Tat im Interesse eines Dritten begangen worden ist und der Dritte etwas aus der Tat unmittelbar erlangt hat (§ 29a II 1 Nr. 1 OWiG), zweitens wenn dem Dritten das aus der Tat Erlangte rechtsgeschäftlich übertragen worden ist (§ 29a II 1 Nr. 2 OWiG) und drittens wenn der Dritte aufgrund eines erbrechtlichen Tatbestandes etwas erlangt hat (§ 29a II 1 Nr. 3 OWiG). Anlass der Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen einen Dritten ist eine Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohte Handlung einer natürlichen Person, die nicht mit dem Adressaten der Einziehungsanordnung im Sinne des § 29a II 1 OWiG identisch ist.349 Die Merkmale des Sanktionsbegriffs Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung sind gegeben. Die Nachteilszufügung der Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen ist nicht gegen den Täter der Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung gerichtet, sondern gegen einen tatunbeteiligten Dritten. Ansonsten gilt das oben Gesagte hinsichtlich Nachteilszufügung entsprechend.350 Hinsichtlich des Umfangs der Einziehung gem. § 29a II 1 OWiG war scheinbar umstritten, ob gegen den Dritten der Verfall a.F. nach dem Bruttoprinzip351 oder nach dem Nettoprinzip352 angewendet werden kann. Aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts des § 29a III OWiG, der den unbeteiligten Dritten (§ 29a III 1 OWiG: „des 348 Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 46 f., 48, 55. 349 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 350 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 351 So zum Verfall a.F. BGHSt 47, 369 (374 f.) und Gürtler, in: Göhler, § 29a, Rn. 19. 352 So zum Verfall a.F. Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 46.
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anderen“) unterschiedslos in den Anwendungsbereich des dort verankerten Bruttoprinzips einbezieht, ist davon auszugehen, dass auch auf den Dritten nach Maßgabe des § 29a III OWiG das Bruttoprinzip anzuwenden ist.353 Eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Der oben skizzierte Streit um die Rechtsnatur und Zwecke des Verfalls von Tätervermögen a.F. setzt sich nach der Gesetzesreform aus 2017 auch bei der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gegenüber Dritten fort. Folgende Standpunkte werden vertreten: Nach W. Schmidt gebiete die Ausgleichsfunktion des bisherigen Verfalls die Abschöpfung der unrechtmäßigen Vermögensvorteile bei Dritten.354 Demnach dient nach Auffassung W. Schmidts der bisherige Verfall von Drittvermögen der positiven Generalprävention im Sinne der Wiederherstellung der verletzten Rechtsordnung. Weiterhin diene der bisherige Verfall von Drittvermögen auch dazu, den Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung abzuschrecken.355 Positive Generalprävention ordnet Wolters auch dem bisherigen Verfall von Drittvermögen als verfolgten Zweck zu.356 Eser nimmt bei Anwendung des Nettoprinzips an, dass im Verhältnis zwischen Dritten und Allgemeinheit ein Ausgleichszweck verfolgt wird, dessen Grund – das ordnungswidrige bzw. mit Geldbuße bedrohte Verhalten des Täters – dem Dritten deshalb zugerechnet werden könne, weil dem Dritten der – nicht strafrechtliche bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche – Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu machen sei.357 Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs solle daraus folgen, dass der Täter regelmäßig in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Dritten stehe und der Dritte seine Einwirkungsund Kontrollmöglichkeiten unterlassen habe, um sich so die Begünstigung einzuverleiben.358 Der Ansatz von Eser, wonach der bisherige Verfall bei Anwendung des Nettoprinzips repressive Zwecke verfolgen solle, wenn er der Empfänglichmachung des Täters für die Hauptstrafe diene,359 wird gegenüber einem Dritten nicht greifen können, da dieser keiner Hauptstrafe ausgesetzt ist und somit für nichts empfänglich gemacht werden kann – zumal eine Kumulierung von Hauptsanktion Geldbuße und Einziehung des Wertes von Taterträgen im Ordnungswidrigkeitenrecht auch nach der Gesetzesreform vom 13. April 2017 gar nicht möglich ist. Jedoch könnte dieser von Eser ausgemachte repressive Zweck gegenüber dem Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung greifen. § 29a OWiG schließt nicht aus, dass 353 Leider äußert sich der Gesetzgeber in den Gesetzgebungsmaterialien hierzu nicht eindeutig, vgl. Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 63 ff., 77 ff. 354 W. Schmidt, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, Band 3, § 73, Rn. 8. 355 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 356 Wolters, in: Wolter, § 73, Rn. 7, 23. 357 Eser, S. 288. 358 Eser, S. 288. 359 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1).
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gegen den Täter eine Geldbuße verhängt wird und gegen einen Dritten die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet wird. Sofern also die Zwecke einer Geldbuße gegen den Täter leerlaufen würden, weil er sich vorstellt, dass zumindest dem Dritten ein wirtschaftlicher Vorteil aus der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung verbleibt, so kann durch die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen den Dritten, diese die Zwecke konterkarierende Vorstellung des Täters unterbunden und der Täter somit für die Zwecke der Geldbuße empfänglich gemacht werden. Demnach kann Esers Ansatz, wonach der bisherige Verfall bei Anwendung des Nettoprinzips repressive Zwecke verfolgen könne, auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen dergestalt angewendet werden, dass diese zumindest gegenüber dem Täter repressive Zwecke verfolgt. Unklar ist, ob Esers Überlegung, dass der bisherige Verfall von Tätervermögen repressive und negativ präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke bei Anwendung des Bruttoprinzips verfolge auch für den bisherigen Verfall von Drittvermögen gilt.360 Solche Zwecke sind bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen im Verhältnis zum Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung jedenfalls denkbar. Einen repressiven und negativ präventivverhaltenssteuernden Zweck, wie Eser ihn aus dem Bruttoprinzip folgert, wird man jedoch nicht gegenüber einem Dritten annehmen können, da gegenüber diesem wohl regelmäßig das Nettoprinzip im Sinne des § 29a III 1 OWiG anzuwenden sein wird, auch wenn der § 29a III OWiG nach der Gesetzesreform vom 13. April 2017 die Grundaussage zu entnehmen ist, dass das Bruttoprinzip auch auf Dritte angewendet werden kann. Wenn sich der Dritte mit seinem Vermögen an der Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung beteiligt, wird er Täter im Sinne des § 14 OWiG. Demnach ist ihm auch das durch die Tat zugeflossene Vermögen entweder durch Geldbuße oder Einziehung nach § 29a I OWiG zu entziehen. Hat der Dritte Vermögensaufwendungen zum Erhalt des Vermögensvorteils erbracht, ohne dadurch zum Gehilfen zu werden – sind die Aufwendungen also rechtlich beanstandungsfrei –, so sind bei Anwendung des § 29a III 1 OWiG vom Einziehungsbetrag seine Aufwendungen abzuziehen.361 Demnach kommt bei einem Dritten tatsächlich nur die Anwendung des Nettoprinzips in Betracht. Der Ansatz von Eser, wonach der bisherige Verfall bzw. die neue Einziehung des Wertes von Taterträgen bei Anwendung des Bruttoprinzips repressive und negativ präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke verfolgt, greift also nicht gegenüber einem Dritten. In seiner neueren Rechtsprechung hat der BGH ausdrücklich festgestellt, dass der Präventionszweck des bisherigen Verfalls auch gegenüber einem Drittbegünstigten 360 Darauf hindeutend: Eser, in: Schönke/Schröder, § 73, Rn. 34. Siehe zu Esers Ansatz im Hinblick auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 361 In seiner Rspr. zum Verfall a.F. meinte der BGH, dass nur im Regelfall eine Begrenzung des Verfallbetrages in dieser Konstellation vorzunehmen sei, BGHSt 47, 369 (376).
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gelte.362 Der Drittbegünstigte solle nicht glauben dürfen, dass die Tatbegehung für diesen finanziell risikolos sei.363 Wenn der Drittbegünstigte ein Unternehmen sei, dann solle er zudem durch den bisherigen Verfall dazu angehalten werden, Kontrollmechanismen zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen einzurichten und einzuhalten.364 Demnach verfolgt der bisherige Verfall gegenüber dem Drittbegünstigten nach Auffassung des BGH einen präventiven Sanktionszweck. Richtigerweise wird man in Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG die Zwecke des bisherigen Verfalls von Drittvermögen bzw. der jetzigen Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen ebenfalls als präventiv-ordnend beschreiben müssen.365 Dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen genauso wie die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Tätervermögen in Hinblick auf seine Zwecke zu behandeln ist, ist daraus zu folgern, dass der Gesetzgeber beide Einziehungsformen als einheitliches Rechtsinstitut ansieht.366 Demnach verfolgt die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen restitutive und positiv generalpräventive Zwecke und somit Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen nach § 29a II OWiG ist Sanktion. (3) Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Verbandsvermögen „Anderer“ im Sinne § 29a II 1 OWiG kann auch ein Verband367 sein, sodass ein solcher auch als Adressat der Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a II OWiG in Betracht kommt.368 362
BGHSt 47, 369 (374). BGHSt 47, 369 (374 f.). 364 BGHSt 47, 369 (374). 365 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 366 In Hinblick auf die Rechtslage vor der Gesetzesreform vom 13. April 2017 wird dies aus den Formulierungen des Gesetzgebers deutlich, die nicht zwischen Verfallsvarianten differenzieren: „Intention des bestehenden Verfallsrechts [ist], grundsätzlich dafür zu sorgen, dass sich „Straftaten nicht lohnen“, Regierungsentwurf zum StrÄndG, BT-Drs. 11/6623, S. 8. Dafür, dass der Verfall von Drittvermögen andere Zwecke als der Verfall von Tätervermögen verfolgen sollte, lassen sich keine Hinweise im Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuchs (E 1962“), BTDrs. IV/650, S. 162 ff., 239 ff., 241 ff. und im Regierungsentwurf zum 2. WiKG, BT-Drs. 9/ 2008, S. 13, 35 ff. finden. In den Gesetzgebungsmaterialien zur Reform vom 13. April 2017 stellt der Gesetzgeber fest, dass der quasi-kondiktionelle Charakter der Vermögensabschöpfung insgesamt durch die Reform nicht in Frage gestellt werden soll, vgl. Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 48. Auch in dieser neuen Äußerung des Gesetzgebers fehlt es an einer Differenzierung zwischen den Einziehungsvarianten. 367 Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 368 Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 35; Gürtler, in: Göhler, § 29a, Rn. 20; Lemke, in: Lemke/ Mosbacher, § 29a, Rn. 20. 363
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Anlass der Einziehung nach § 29a II 1 OWiG ist eine Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohte Handlung einer natürlichen Person. Die natürliche Person muss nicht zwingend in einem Rechtsverhältnis mit dem Verband stehen oder ihr Repräsentant369 sein. Es genügt beispielsweise, dass eine natürliche Person die Anlasstat im Interesse des Verbandes im Sinne des § 29a II 1 Nr. 1 OWiG begangen hat. Mangels einer Vorschrift, die Handlungen einer natürlichen Person dem Verband zurechnet wie z. B. § 30 I OWiG bzw. § 29 OWiG, kann auch keine eigene Täterschaft des Verbandes im Sinne des § 29a I 1 OWiG begründet werden.370 Es liegt eine Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Zur Nachteilszufügung gilt das oben Gesagte entsprechend.371 Eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Die Ausführungen zu den Zweckadressaten und Zwecken der Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen gelten hier entsprechend.372 Die Untersuchung legt auch hier den Ansatz des BVerfG zugrunde, sodass die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Drittvermögen auch in dieser Variante restitutive und positiv generalpräventive Zwecke373 und somit Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs verfolgt. Zweifelhaft ist, ob hier auch die Grundsätze zur Generalprävention, wie sie in dieser Untersuchung im Rahmen der Verbandsgeldbuße oder Einziehung von Gegenständen gegenüber Verbänden vertreten wurden, für die Einziehung des Wertes von Taterträgen gelten.374 Es geht konkret um die Frage, ob auch insbesondere die Repräsentanten des Verbandes, Repräsentanten anderer Verbände und – sofern vorhanden – Gesellschafter mit einem Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Repräsentanten Adressaten positiv generalpräventiver Zwecke der Einziehung des Wertes von Taterträgen sind. Für eine Übertragung der Grundsätze könnte man anführen, dass dadurch die Verbandshaftung im Ordnungswidrigkeitenrecht vereinheitlicht würde. Gegen die Übertragung der genannten Grundsätze spricht jedoch, dass der Gesetzgeber sich ausdrücklich des gesetzlichen Wortlauts gegen das Modell der Repräsentantenhaftung im Sinne der §§ 29, 30 OWiG entschieden hat. Aufgrund der niedrigeren Tatbestandsanforderungen – keine Repräsentantenfunktion, sondern lediglich Begehung einer Tat im Interesse eines anderen im Sinne des § 29a II 1 OWiG – ist vielmehr anzunehmen, dass Repräsentanten und Gesellschafter durch 369
Siehe zum Begriff des Repräsentanten oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Aufgrund des weiten Wortlauts des § 29a II OWiG besteht hierfür aber auch Bedürfnis, so auch Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 18. 371 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 372 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (2). 373 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (2). 374 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 370
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den positiv generalpräventiven Zweck der Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht ausdrücklich angesprochen sind, gleichwohl aber eine unspezifische Teilmenge der angesprochenen Allgemeinheit darstellen. Eine Nebenwirkung dieses Umstandes ist aber, dass der Kreis der Zweckadressaten größer ausfällt als im Falle der Repräsentantenhaftung, denn in der Teilmenge der Allgemeinheit sind auch solche natürliche Personen enthalten, die keine Repräsentanten sind und in einem Rechtsverhältnis mit dem Verband stehen oder faktisch für einen Verband tätig sind. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Verbandsvermögen gem. § 29a II OWiG verfolgt Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus Verbandsvermögen gem. § 29a II OWiG ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. (4) Einziehung des Wertes von Taterträgen im selbstständigen Verfahren § 29a V OWiG sieht vor, dass die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gegenüber dem Täter oder Dritten (auch Verband) im selbstständigen Verfahren erfolgen kann, wenn gegen den Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. der mit Geldbuße bedrohten Handlung ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder dieses eingestellt wird. Es gelten die obigen Ausführungen zu den Merkmalen des Sanktionsbegriffs, Anlass und Maßnahme entsprechend,375 sodass diese Voraussetzungen des Sanktionsbegriffs erfüllt sind. Weiterhin gelten im selbstständigen Verfahren die obigen Ausführungen zu Zweckadressat und Zwecke der Einziehung des Wertes von Taterträgen entsprechend, d. h. die Einziehung des Wertes von Taterträgen verfolgt also restitutive und präventiv-verhaltenssteuernde Zwecke.376 Hingewiesen sei auch hier darauf, dass durch die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens der Zweck der positiven Generalprävention besondere Bedeutung erlangen kann.377 Hingewiesen sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen im selbstständigen Verfahren keinen präventiven Sicherungszweck verfolgt.378 Der Gesetzgeber hat durch die neue Regelung in § 76a IV StGB anscheinend ein entsprechendes Instrumentarium für das Kernstrafrecht geschaffen.379 Dass der Gesetzgeber beabsichtigt hat, dass die hinter dieser Regelung stehenden Überlegungen auch für das selbstständige Verfahren nach § 29a V OWiG gelten sollen, erscheint fernliegend. Zum einen hat der Gesetzgeber den Wortlaut der 375
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). Siehe gegenüber dem Täter oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1) und gegenüber einem Dritten oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (2). 377 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). 378 So der Gesetzgeber zu § 76a IV StGB n.F.: Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 58. 379 Kritisch hierzu: Trüg, NJW 2017, S. 1916 f. 376
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Vorgängerregelung beibehalten und keinen sprachlichen Gleichlauf zwischen StGB und OWiG hergestellt. Zum anderen passt auch die hinter der Regelung stehende Interessenlage – die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus –380 nicht auf das Ordnungswidrigkeitenrecht. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen im selbstständigen Verfahren verfolgt also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen im selbstständigen Verfahren gem. § 29a V OWiG ist Sanktion. (5) Ergebnis Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG ist Sanktion. hh) Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG Die Abführung des Mehrerlöses kann gegen den Täter und gegen einen engen Kreis tatunbeteiligter Dritter sowie Verbände aufgrund einer Ordnungswidrigkeit nach dem WiStG381 angeordnet werden. (1) Anordnung der Mehrerlösabführung gegenüber dem Täter Die Rechtsfolge des § 8 I 1 WiStG sieht vor, dass die Abschöpfung eines Geldbetrages angeordnet werden kann, den der Betroffene als Gegenleistung aus einem Rechtsgeschäft erhalten hat, das gegen die §§ 1 bis 6 WiStG verstößt. Die Rechtsfolge des § 8 I 1 WiStG setzt eine Ordnungswidrigkeit gem. §§ 2 bis 6 WiStG voraus. Nach § 8 I 2 WiStG reicht auch eine nur rechtswidrige Tat aus, was der mit Geldbuße bedrohten Handlung gem. § 1 II OWiG entspricht. Die Merkmale des Sanktionsbegriffs Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung sind gegeben. Durch eine Anordnung nach § 8 I 1 WiStG wird dem Betroffenen die Zahlung eines Geldbetrages aus seinem allgemeinen Vermögen auferlegt. Die Höhe des Geldbetrages ist auf den Mehrerlös beschränkt, d. h. die Differenz zwischen erzieltem und zulässigem Preis. Was noch als zulässiger Preis anzusehen ist, ist jeweils nach den §§ 1 bis 6 WiStG zu bestimmen. So kann der zulässige Preis z. B. starr in einer Rechtsvorschrift geregelt sein (z. B. § 3 I 1 WiStG), er kann aber auch erst in einer wertenden Entscheidung des Rechtsanwenders zu bestimmen sein (z. B. § 5 I, II WiStG). Die Art und Weise der Nachteilszufügung ist demnach mit der Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG oder Geldbuße vergleichbar, soweit letztere auch die Gewinnabschöpfung gem. § 17 IV OWiG bezweckt. Der Unter380 Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 58. 381 Wirtschaftsstrafgesetz 1954 in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juni 1975 (BGBl. I S. 1313), das zuletzt durch Artikel 6 Absatz 29 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) geändert worden ist.
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schied zwischen der Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG zu Einziehung des Wertes von Taterträgen und Geldbuße liegt im Umfang der Nachteilszufügung. Während nach § 8 WiStG nur der Mehrerlös abgeschöpft werden kann, kann bei Geldbuße oder Einziehung des Wertes von Taterträgen – je nachdem, ob Brutto- oder Nettoprinzip zugrunde zu legen ist – der reine Tatgewinn oder alles was aus oder für die Tat erlangt wurde abgeschöpft werden. Eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Zu den Zwecken der Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 I WiStG werden unterschiedliche Standpunkte vertreten: Teile der Rechtsprechung und der Literatur haben darauf abgehoben, dass die Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 I WiStG ein „Abschreckungsmittel“ zur Sicherung eines „angemessenen Preisgefüges“ sei.382 Demnach ist der Zweck der Maßnahme negative Spezial- und Generalprävention. Darüber hinaus hat der BGH in einer Entscheidung der Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 I WiStG einen präventiven Sicherungszweck zugesprochen.383 Sie solle durch die Einziehung des Vermögens die Gefahr weiterer Rechtsverstöße gegen die Rechtsordnung bannen und wirke deshalb wie eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Ein anderer Teil der Rechtsprechung und Literatur sprechen der Abschöpfung des Mehrerlöses einen restitutiven Ausgleichszweck zu.384 Demnach sollen dem Täter die Früchte seines Tuns genommen und damit ein öffentlich-rechtlicher Vermögensausgleich herbeigeführt werden. Diese letzte Auffassung erscheint insbesondere dann einleuchtend, wenn gem. § 9 I WiStG angeordnet wird, dass der Mehrerlös an den Geschädigten abzuführen ist. Da alle Ansichten solche Zwecke feststellen, die als Sanktionszwecke qualifiziert wurden, kann eine Entscheidung für die eine oder andere Ansicht dahinstehen. Die Abschöpfung des Mehrerlöses gem. § 8 I WiStG gegenüber dem Täter verfolgt Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung der Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 I WiStG gegenüber dem Täter ist Sanktion. (2) Anordnung der Mehrerlösabführung im selbstständigen Verfahren § 10 WiStG sieht zwei Formen des selbstständigen Verfahrens vor, in dem die Mehrerlösabführung angeordnet werden kann:
382 BGH NJW 1954, 1734; OLG Stuttgart NJW 1982, 1161 (1162); Lampe, in: Erbs/ Kohlhaas, Band 4, § 8 WiStG, Rn. 1, Stand: 205. Erg.-Lfg., Oktober 2015. 383 BGHSt 15, 399 (401); a.A. BayObLSt 1959, 46 (48). 384 OLG Hamburg MDR 1947, 103 (104); Ebisch u. a., § 11 VO PR Nr. 30/53, Rn. 35.
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(a) Gegen Täter der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung Sofern ein Bußgeldverfahren gegen den Täter einer Ordnungswidrigkeit oder rechtswidrigen Tat nach den §§ 1 bis 6 WiStG nicht durchgeführt werden kann, so sieht § 10 I WiStG die Anordnung der Mehrerlösabführung im selbstständigen Verfahren vor. Die rechtswidrige Tat ist mit der mit Geldbuße bedrohten Handlung gleichzusetzen.385 Demnach sind die Merkmale Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs erfüllt. Zur Nachteilszufügung gilt das oben Gesagte entsprechend.386 Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Zu den Zwecken gilt das oben Gesagte entsprechend.387 Eine repressive Zweckverfolgung wäre jedenfalls ausgeschlossen, wenn der Täter unbekannt wäre.388 Da jedoch eine repressive Zweckverfolgung im Zusammenhang mit der Mehrerlösabführung gem. § 8 WiStG von Niemandem vertreten wird, muss hier auch keine entsprechende Rückausnahme formuliert werden. Demnach verfolgt die Mehrerlösabführung im selbstständigen Verfahren Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung der Abführung des Mehrerlöses gegen den Täter im selbstständigen Verfahren gem. § 10 I WiStG ist Sanktion. (b) Gegen Inhaber oder Leiter eines Betriebes § 10 II WiStG sieht vor, dass die Anordnung der Mehrerlösabführung auch gegenüber dem Inhaber oder Leiter eines Betriebes und, falls der Inhaber eines Betriebes einer juristischen Person oder Personenhandelsgesellschaft ist, gegenüber dieser erfolgen kann. Anlass ist die Ordnungswidrigkeit oder rechtswidrige Tat gem. §§ 1 bis 6 WiStG einer natürlichen Person, die dem Betrieb angehört. Diese Person darf nicht mit dem Leiter oder Inhaber des Betriebes identisch sein, denn dann würde wiederum §§ 8, 10 I WiStG unmittelbar eingreifen. Die rechtswidrige Tat ist mit der mit Geldbuße bedrohten Handlung gleichzusetzen.389 Das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlung im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Adressat der Nachteilszufügung ist der Inhaber oder Leiter eines Betriebes. Inhaber oder Leiter eines Betriebes kann eine natürliche oder juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft sein. Das oben zur Art und Weise sowie zum
385 386 387 388 389
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1).
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Umfang der Nachteilszufügung Gesagte gilt hier entsprechend.390 Eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Die Zweckadressaten richten sich danach, welche Zwecke man für die Anordnung der Mehrerlösabführung für maßgeblich hält. Wenn man die Mehrerlösabführung als ein Abschreckungsmittel bezeichnet, so wird man negativ spezialpräventive Zwecke hinsichtlich des Täters der Ordnungswidrigkeit bzw. mit Geldbuße bedrohten Handlung und negativ generalpräventive Zwecke hinsichtlich des Inhabers bzw. Leiters des Betriebes, in dem die Zuwiderhandlung stattgefunden hat und anderer Inhaber bzw. Leiter anderer Betriebe annehmen müssen.391 Sofern man einen präventiven Sicherungszweck annimmt, so ist Zweckadressat lediglich die Allgemeinheit.392 Sofern man einen restitutiven Ausgleichszweck annimmt, so ist Zweckadressat der Inhaber bzw. Leiter des Betriebes und sofern der Inhaber bzw. Leiter des Betriebes ein Verband im Sinne des § 10 II WiStG ist, der Verband selbst.393 Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs liegen jedenfalls vor. Die Anordnung der Abführung des Mehrerlöses gegen den Inhaber oder Leiter eines Betriebes im selbstständigen Verfahren gem. § 10 II WiStG ist Sanktion. (3) Ergebnis Die Anordnung der Mehrerlösabführung ist Sanktion. ii) Das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG Nach § 25 I 1 StVG kann gegen den Täter einer (Verkehrs-)Ordnungswidrigkeit gem. § 24 StVG oder § 24a StVG ein Fahrverbot angeordnet werden. Demnach ist das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs gegeben. Die Nachteilszufügung ist dahingehend zu beschreiben, dass es dem Betroffenen verboten ist, ein Fahrzeug in der Dauer des Fahrverbots zu führen. Es wird demnach der Betroffene zur Unterlassung einer Handlung für einen Zeitraum verpflichtet. Außerdem wird durch das Fahrverbot eine Fahrerlaubnis zeitweise aufgehoben und dadurch der Handlungsspielraum des Betroffenen zeitweise eingeschränkt. Die beiden beschriebenen Nachteilszufügungen sind aber keine eigenständigen Einbußen, sondern nur der ins Positive oder Negative gewendete Inhalt einer Nachteilszufügung, oder, anders ausgedrückt, die zwei unterschiedlichen Seiten derselben Münze. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass das Fahrverbot eine „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“ sei und es als ein „eindringliches Erziehungsmittel“ zur 390 391 392 393
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1).
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„Hebung der Verkehrsdisziplin“ beitragen solle.394 Hieraus lässt sich in erster Linie eine positive und negative spezialpräventive Zwecksetzung herleiten.395 Erziehung ist demgegenüber nicht im Sinne jugendrechtlicher Erziehung zu begreifen. Hierfür könnte zunächst sprechen, dass der Gesetzgeber weder in der Regelung noch in der Gesetzesbegründung zwischen Jugendlichen, Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits unterschieden hat396 und weil die Rechtsordnung keine Erziehung von Erwachsenen kennt, müsste hiermit etwas anderes gemeint sein. Ein solcher Schluss wäre aber vorschnell, denn tatsächlich kennt die Rechtsordnung mit dem Besserungszweck wie er mit den Maßnahmen nach §§ 61 ff. StGB verfolgt wird, eine Form der Erziehung, die auch Erwachsenen angedeihen kann. Das BVerfG hat jedoch diesbezüglich festgestellt, dass Besserungsmaßnahmen nur dann verfassungsgemäß sein können, wenn sie dem Schutz der Allgemeinheit oder dem Schutz des Erwachsenen vor sich selbst dienen.397 Außerhalb dieser Umstände hat der Staat nicht die Aufgabe, seine Bürger zu bessern.398 Vor diesem Hintergrund ist erstens festzustellen, dass die Regelung des § 25 I 1 StVG nicht dem Schutz der Allgemeinheit noch dem Schutz des Betroffenen vor sich selbst dient. Zweitens wäre auch eine derart schwere Einwirkung auf den Bürger vor dem Hintergrund des Anknüpfungspunktes, nämlich einer Ordnungswidrigkeit, stets unverhältnismäßig. Demnach kann Erziehung verfassungskonform nur im Sinne der allgemeinen spezialpräventiven Zwecke interpretiert werden. Ob das Fahrverbot auch einen generalpräventiven Zweck verfolgt, ist umstritten.399 Die Gesetzesmaterialien liefern für diese Fragestellung keine eindeutigen Anhaltspunkte. Ob der Gesetzgeber mit der „Hebung der Verkehrsdisziplin“ nur auf den konkreten Maßnahmeadressaten oder die Allgemeinheit abzielen wollte, ist nicht klar. Indem er formulierte, dass die Maßnahme ein „eindringliches Erziehungsmittel“ zur „Hebung der Verkehrsdisziplin“ sein soll, spricht eher dafür, dass er nur auf den konkreten Maßnahmeadressaten abzielen wollte: Wenn man eindringliche Erziehung im Sinne intensiver Einwirkung versteht, so ist zweifelhaft, ob die Anordnung eines Fahrverbots gegenüber einer Person eine gleichsam intensive Wirkung gegenüber der Allgemeinheit zeitigen kann. Es ist also fragwürdig, ob der Gesetzgeber sich die Möglichkeit der intensiven Einwirkung im Wege des Fahrverbots gegenüber der Allgemeinheit vorgestellt und beabsichtigt hat. Es ließe sich allenfalls überlegen, eine generalpräventive Zwecksetzung unter dem Gesichtspunkt zu bejahen, dass das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht einen Sachbereich abdeckt, 394
Regierungsentwurf zum EGOWiG, BT-Drs. V/1319, S. 90. So auch Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, § 25 StVG, Rn. 1b; Janiszewski, Rn. 204a; Krumm, in: Haus/Krumm/Quarch, § 25 StVG, Rn. 3. 396 Regierungsentwurf zum EGOWiG, BT-Drs. V/1319, S. 90. 397 BVerfGE 22, 180 (219 f.). 398 BVerfGE 22, 180 (219 f.). 399 Bejahend: König, in: Hentschel/König/Dauer, § 25 StVG, Rn. 11; BayObLG NZV 94, 487; 96, 464; verneinend: OLG Düsseldorf VRS 93, 226 (228); OLG Hamm VRS 75, 58 (60); Krumm, in: Haus/Krumm/Quarch, § 25 StVG, Rn. 3. 395
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in dem massenhafte Zuwiderhandlungen festzustellen sind, und dass deshalb gerade erwünscht sein könnte, dass Maßnahmen eine Ausstrahlungswirkung über den konkreten Maßnahmeadressaten hinaus haben. Da wie bereits festgestellt, der Wille des Gesetzgebers unklar ist und jedenfalls spezialpräventive Zwecke bejaht werden können, soll die abschließende Klärung dieses Gesichtspunkts dahinstehen. Unklar ist demgegenüber, ob das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG auch repressive Zwecke verfolgt.400 Hiergegen spricht, dass der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien nicht ausdrücklich von repressiven Zwecken (z. B. Schuldausgleich) spricht, gleichwohl diese aber auch nicht ausschließt.401 Dafür spricht, dass das Fahrverbot wie die Einziehung gem. § 22 I, II Nr. 1 OWiG als weiteres Übel neben die Strafe tritt und außerdem tatbestandlich auch retrospektiv an begangenes Unrecht anknüpft. Die besseren Gründe sprechen dafür, dem Fahrverbot auch einen repressiven Zweck zuzuordnen, obgleich er im Verhältnis zu den spezialpräventiven Zwecken deutlich im Hintergrund steht. Das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG verfolgt Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG ist Sanktion. jj) Das Verbot der Jagdausübung gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG § 41a I Nr. 2 BJagdG402 sieht vor, dass dem Täter einer Ordnungswidrigkeit nach § 39 BJagdG vorübergehend die Jagdausübung verboten werden kann.403 Demnach ist das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs gegeben. Die Nachteilszufügung besteht in dem Verbot der Jagdausübung, d. h. es wird dem Adressaten für einen Zeitraum auferlegt, bestimmte Handlungen nach § 1 IV 400
Unklar: BVerfGE 27, 36 (41 f.); Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/ Janker, § 25 StVG, Rn. 1b; Janiszewski, Rn. 204a. 401 Regierungsentwurf zum EGOWiG, BT-Drs. V/1319, S. 90. 402 Bundesjagdgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1976 (BGBl. I S. 2849), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 4 des Gesetzes vom 23. Mai 2017 (BGBl. I S. 1226) geändert worden ist. 403 Vor der Föderalismusreform 2006 war das Jagdwesen Gegenstand der Rahmengesetzgebung gem. Art. 75 I 1 Nr. 3 Var. 1 GG a.F. Die Föderalismusreform 2006 hat das Jagdwesen mit Ausnahme des Rechts der Jagdscheine zu einem Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 72 III Nr. 1 GG gemacht. Die Bundesländer haben seitdem Jagdgesetze erlassen, die nun teilweise auch dem § 41a BJagdG entsprechende Jagdverbote enthalten. So § 50 I LJagdG Rh.-Pf., Art. 57 I LJagdG Bayern. Demgegenüber gilt § 41a I BJagdG in einigen Bundesländern noch weiter, vgl. § 37 IV LJagdG Sachsen, §§ 1, 41 LJagdG M.-V., § 61 II LJagdG Brandenburg. Nach überwiegender Auffassung handelt es sich bei dem Verbot der Jagdausübung um eine Nebenfolge einer Ordnungswidrigkeit, vgl. Mitzschke/Schäfer, § 41a, Rn. 4; Metzger, in: Lorz/ Metzger/Stöckel, § 41a BJagdG, Rn. 1; Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, Band 2, § 41a BJagdG, Rn. 1, Stand: 186. Erg.-Lfg., September 2011; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 19, Rn. 19; a.A. Seibel, in: Schuck, § 41a, Rn. 1 (Nebenstrafe).
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BJagdG zu unterlassen. Demnach wird zugleich eine bestehende Jagderlaubnis (§ 15 f. BJagdG) zeitweise aufgehoben. Zusammengenommen bedeutet dies, die Handlungsmöglichkeiten des Betroffenen werden eingeschränkt. Es liegt eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Vorbild für das Verbot der Jagdausübung war das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG.404 Deshalb werden ihm auch die gleichen Zwecke zugesprochen.405 Es ist demnach ein fühlbarer Denkzettel, bei dem die Pflichtenmahnung zu künftigen gesetzestreuen Verhalten im Vordergrund steht.406 In der Sache geht es also hier auch um spezialpräventive Zwecke. Soweit die Maßnahme als „erzieherische Nebenfolge“407 charakterisiert wird, so muss dies im Sinne von Spezialprävention und nicht im Sinne echter jugendrechtlicher Erziehung verstanden werden.408 Auch hier gilt, dass die Maßnahme gewisse repressive Zwecke verfolgt,409 diese aber gegenüber den spezialpräventiven Zwecken deutlich im Hintergrund stehen.410 Das Jagdverbot verfolgt also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Das Jagdverbot gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG ist Sanktion. kk) Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG § 56 I 1 OWiG sieht vor, dass bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten eine Verwarnung mit Verwarnungsgeld erteilt werden kann. Dies setzt voraus, dass nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein zumindest hinreichender Tatverdacht dahingehend besteht, dass der Betroffene den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht hat.411 Das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs ist erfüllt. Als Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs kommt zunächst das Verwarnungsgeld in Betracht. Die Zahlung des Verwarnungsgeldes wird dem Betroffenen nicht als eine Pflicht auferlegt, sondern es wird ihm das Angebot gemacht, freiwillig das Verwarnungsgeld zu zahlen und damit die Durchführung des Bußgeldverfahrens und die Festsetzung einer Geldbuße und eventueller Nebenfolgen zu vermeiden. Eine 404
Regierungsentwurf vom EGStGB, BT-Drs. VI/3250, S. 406 f. Metzger, in: Lorz/Metzger/Stöckel, § 41a BJagdG, Rn. 1. 406 Mitzschke/Schäfer, § 41a, Rn. 3 f. 407 Metzger, in: Lorz/Metzger/Stöckel, § 41a BJagdG, Rn. 1; Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, Band 2, § 41a BJagdG, Rn. 1, Stand: 186. Erg.-Lfg., September 2011; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 19, Rn. 19. 408 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ii). 409 Unklar: Mitzschke/Schäfer, § 41a, Rn. 3. 410 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) ii). 411 A.A. Seith, wonach ein Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit ausreiche: Seith, in: Blum/Gassner/Seith, § 56, Rn. 7; diese Auffassung ist abzulehnen, denn eine staatliche präventive Einwirkung auf eine Person ist nicht angebracht, wenn lediglich die Vermutung eines Normbruchs besteht, siehe oben Kapitel B. I. 1. a). 405
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Nachteilszufügung im Sinne einer Pflicht zur Zahlung des Verwarnungsgeldes besteht zu keinem Zeitpunkt; insbesondere wird durch das Einverständnis mit der Verwarnung gem. § 56 II 1 OWiG keine Pflicht zur Zahlung des Verwarnungsgeldes begründet. Eine Nachteilszufügung durch das Verwarnungsgeld tritt erst mit der Zahlung des Verwarnungsgeldes durch den Betroffenen ein, in Form einer Verringerung des geldwerten Vermögens des Betroffenen und somit in einer Beschränkung seiner Handlungsmöglichkeiten, soweit diese Handlungsmöglichkeiten geldwertes Vermögen voraussetzen. Diese Nachteilszufügung durch den Betroffenen gegen sich selbst stellt aber keine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs dar. Eine taugliche Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist aber das Angebot der Behörde. Es stellt ein neutrales Verhalten dar, das den Betroffenen zur Nachteilszufügung gegen sich selbst veranlasst. Demnach liegt ein neutrales Verhalten und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Als weitere Maßnahme des § 56 I 1 OWiG im Sinne des Sanktionsbegriffs kommt die Verwarnung in Betracht. Die mündliche oder schriftliche Verwarnung ist ein hoheitlicher Tadel, der dem Betroffenen das Unrecht seiner Tat eindringlich vor Augen führen und ihn darauf hinweisen soll, dass erneute Fehlverhalten Sanktionen nach sich ziehen werden.412 Die Wirkung der Verwarnung gem. § 56 I 1 OWiG kann nur als psychologisch im Sinne eines Angezähltseins eingeordnet werden. Als eine Nachteilszufügung ergibt sich aus diesem Angezähltsein eine gewisse Stigmatisierung des Betroffenen als Normbrecher durch den Staat. Anders ausgedrückt, der Betroffene muss sich gefallen lassen, vom Staat die Rolle eines Normbrechers zugewiesen zu bekommen. Die Stigmatisierungswirkung ist aber allenfalls als sehr gering einzustufen, weil einerseits das Unrecht, das durch § 56 I 1 OWiG geahndet wird, regelmäßig unbedeutend ist und andererseits verbietet sich eine allzu große Stigmatisierungswirkung daraus, dass sozialethische Unwerturteile der Strafe vorbehalten sind. Diese Stigmatisierung stellt jedoch keinen Selbstzweck dar. Sie zielt darauf ab, dass der Betroffene sich selbst innerlich eine Handlungsbeschränkung auferlegt. Sofern sich denn wirklich der Normbrecher selbst eine Handlungsbeschränkung auferlegt, so liegt hierin eine Nachteilszufügung des Normbrechers gegen sich selbst. Bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass diese Nachteilszufügungen der Verwarnung keine Erscheinungen sui generis sind. Die Zuweisung der Rolle des Normbrechers zu einem präventiv-verhaltenssteuernden Zweck wird von allen Sanktionen, die ebenfalls Verhaltenssteuerung bezwecken, verfolgt. Demnach ist Verwarnung Bestandteil einer jeden verhaltenssteuernden Sanktion, auch wenn sie 412 Rotberg bezeichnet die Verwarnung als eine Missbilligung oder Rüge, Rotberg, § 56, Rn. 2; die Verwarnung gem. § 56 I OWiG ist hinsichtlich ihrer Nachteilszufügung vergleichbar mit dem Zuchtmittel der Verwarnung gem. § 14 JGG oder der Ermahnung gem. §§ 45 III, 47 I 1 Nr. 3 JGG, deshalb sei hier auch die Charakterisierung von Würtenberger genannt, wonach Ermahnung und Verwarnung eine Zurechtweisung des Jugendlichen unter Missbilligung seiner unrechten und schuldhaften Tat seien, siehe Würtenberger, in: Schaffstein/Miehe, S. 248; vgl. zur Verwarnung gem. § 14 JGG auch: Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 197.
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nur in § 56 I OWiG ausdrücklich zur Rechtsfolge erhoben worden ist. Anzumerken ist weiterhin, dass die Nachteilszufügungen der Verwarnung aufschiebend bedingt sind durch das Einverständnis und die Zahlung des Verwarnungsgeldes, vgl. § 56 II 1 OWiG. Die Nachteilszufügung des Normbrechers gegen sich selbst ist keine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Jedoch ist die Nachteilszufügung seitens der Behörde Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Verwarnung und Verwarnungsgeld sind Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Nach einer Auffassung verfolgt die Verwarnung nur spezialpräventive, aber keine repressiven Zwecke. Sie sei „keine Ahndung im eigentlichen Sinne“413, sondern eine nur geringfügig präventive Maßnahme, die den Täter zur besseren Beachtung der Rechtsordnung anhalten solle.414 Einer anderen Auffassung zufolge verfolgt die Verwarnung präventiv-verhaltenssteuernde und repressive Zwecke. Demnach sei sie Ahndung415 im Sinne einer „förmlichen Zurechtweisung“ bzw. „Rüge“ für begangenes Unrecht.416 Nach einer weiteren Auffassung habe die Verwarnung gar keinen Sanktionscharakter.417 Richtigerweise verfolgt die Verwarnung einen spezialpräventiven und repressiven Zweck: Die Verwarnung gem. § 56 I 1 OWiG geht auf die gebührenpflichtige Verwarnung gem. § 22 I StVG 1952418 zurück.419 § 22 I StVG 1952 diente der „Entlastung der Gerichte“ und „der Beschleunigung der Ahndung“ in Hinblick auf Verkehrsübertretungen.420 Die gebührenpflichtige Verwarnung hatte also eine Surrogatsfunktion in Hinblick auf die Kriminalstrafe, weshalb auch anzunehmen ist, dass sie ihre repressiven Zwecke surrogierte. Im Verhältnis der Zwecke zueinander steht jedoch der spezialpräventive Zweck im Vordergrund. Dies galt schon für § 22 I StVG 1952, wenn der Gesetzgeber betont, dass die Verwarnung der „wirksamen 413
Gürtler bezeichnet die Verwarnung deshalb auch als „keine Ahndung im eigentlichen Sinne“, siehe Gürtler, in: Göhler, Vor § 56, Rn. 6. 414 BVerfGE 22, 125 (132); OLG Hamm NJW 1979, 2114; Gürtler, in: Göhler, Vor § 56, Rn. 5 f.; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 56, Rn. 3; Seith lässt hingegen ausdrücklich offen, ob es sich bei Verwarnung um Ahndung handelt, bejaht aber einen präventiven Zweck: Seith, in: Blum/Gassner/Seith, § 56, Rn. 1. 415 Als Ahndung bezeichnen die Verwarnung: Rebmann/Roth/Hermann, Band 1, Vor § 56, Rn. 1a, Stand: 20. Lfg., April 2014; Rotberg, § 56, Rn. 6; Cramer, Rn. 124; Lutz, in: Senge, § 56, Rn. 6; Bohnert/Krenberger/Krumm, § 56, Rn. 1; Kreusch, in: Haus/Krumm/Quarch, § 56 OWiG, Rn. 1. 416 Lutz, in: Senge, § 56, Rn. 1. 417 Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 14, Rn. 1. 418 Straßenverkehrsgesetz in der Fassung vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 837). 419 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 83. 420 Regierungsentwurf zu einem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts, BT-Drs. 02/1265, S. 11.
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Verkehrserziehung“ diene.421 Und dies gilt auch noch heute in Hinblick auf § 56 I 1 OWiG, wenn der Gesetzgeber formuliert, dass die Verwarnung einen „mehr oder minder fühlbaren Denkzettel“ darstelle.422 Es besteht Einigkeit, dass das Verwarnungsgeld bezweckt, der Verwarnung Nachdruck zu verleihen.423 Nach einer Auffassung folgt hieraus aber nicht, dass das Verwarnungsgeld Sanktionscharakter habe.424 Richtigerweise folgt aber aus dieser Verstärkungsfunktion, dass das Verwarnungsgeld die Zwecke der Verwarnung teilt und deshalb also selbst auch Sanktionszwecke verfolgt. Die Verwarnung und das Verwarnungsgeld verfolgen Zwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG ist Sanktion. Dem steht nicht entgegen, dass Rechtsprechung und Teile der Literatur die Qualität der Verwarnung mit Verwarnungsgeld als Bestrafung425 oder Ahndung426 eines Fehlverhaltens ausschließen. Die Qualität einer Maßnahme als Strafe oder Ahndung bedingt nicht die Qualität einer Maßnahme als Sanktion bzw. steht der Qualität einer Maßnahme als Sanktion nicht entgegen. ll) Verwarnung ohne Verwarnungsgeld gem. § 56 I 2 OWiG Gem. § 56 I 2 OWiG kann die Verwaltungsbehörde bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten auch eine Verwarnung ohne Verwarnungsgeld erteilen. Demnach liegt das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Das oben zu den Nachteilszufügungen der Verwarnung Gesagte gilt hier entsprechend mit der Einschränkung, dass die Verwarnung kein Einverständnis des Betroffenen zu seiner Wirksamkeit voraussetzt, denn § 56 II 1 OWiG, der das Weigerungsrecht und das Einverständniserfordernis regelt, verweist nur auf § 56 I 1 OWiG und somit auf die Verwarnung mit Verwarnungsgeld.427 Die Verwarnung kann also auch gegen den Willen des Betroffenen ausgesprochen werden, der Betroffene ist verpflichtet diese zu dulden. Da sonst keine Vorschriften Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld aufstellen, wird die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld mit Erteilung wirksam. Es liegt eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. 421 Regierungsentwurf zu einem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts, BT-Drs. 02/1265, S. 19. 422 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 84. 423 Lutz, in: Senge, § 56, Rn. 1; Gürtler, in: Göhler, Vor § 56, Rn. 7. 424 Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 14, Rn. 1. 425 BVerfGE 22, 125 (131). 426 OLG Hamm NJW 1979, 2114; Gürtler, in: Göhler, Vor § 56, Rn. 6. 427 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk).
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Zu den Zwecken gilt das oben hinsichtlich der Verwarnung Gesagte entsprechend.428 Die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld verfolgt Sanktionszwecke. Die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. mm) Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 OWiG Denkbar ist, dass eine Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG an die Erfüllung von Auflagen und Weisungen geknüpft wird und dass diese Auflagen und Weisungen Sanktionen sind. § 47 I, II OWiG normiert ein solches Vorgehen nicht. Ein solches Vorgehen ist der Rechtsordnung jedoch nicht fremd. So kann das Strafverfahren gem. § 153a StPO oder §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt werden. Fraglich ist, ob ein solches Vorgehen im Ordnungswidrigkeitenrecht zulässig ist. Die Erfüllung von Auflagen und Weisungen kann weder einen eigenen Einstellungstatbestand darstellen noch können § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG analog oder sinngemäß über § 46 I OWiG angewendet werden, denn nach einhelliger Auffassung regelt § 47 I, II OWiG die Verfahrenseinstellung abschließend.429 In Betracht kommt aber aufgrund des in § 47 I, II OWiG normierten Opportunitätsprinzips, die Erfüllung von Auflagen und Weisungen als eine Ermessenserwägung in die Einstellungsentscheidung einzubeziehen und diese hiermit zu begründen.430 Dann stellt sich aber die Frage, ob das Erteilen von Auflagen und Weisungen mit einfachem Recht oder Verfassungsrecht zu vereinbaren ist. § 47 III OWiG könnte Verfahrenseinstellungen gem. § 47 I, II OWiG unter Auflagen und Weisungen sperren. Gegen eine Sperrwirkung des § 47 III OWiG spricht jedoch, dass ausdrücklich nur solche Verfahrenseinstellungen gesperrt sind, die auf der Zahlung eines Geldbetrages an einen bestimmten Empfänger beruhen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Verfahrenseinstellungen, die auf anderen Leistungen des Betroffenen beruhen, nicht gesperrt sind.431 § 47 II 1 OWiG könnte weiterhin eine gerichtliche 428
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 78 f.; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 47, Rn. 34; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 47, Rn. 45; vgl. insbesondere zur Konkurrenz von § 47 OWiG und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG: Bohnert, S. 60 ff. 430 Ähnlich Krumm, der die freiwillige Vorleistung des Täters an einen Betroffenen (z. B. nach einem Verkehrsunfall) als gewichtige Ermessenserwägung für eine Einstellung nach § 47 OWiG anerkennen möchte: Krumm, in: Haus/Krumm/Quarch, § 47 OWiG, Rn. 14. 431 Seitz/Bauer, in: Göhler, § 47, Rn. 34; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 47, Rn. 43; a.A. Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 149; Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 47, Rn. 66; Diemer, in: Hannich, § 153a, Rn. 6; Beulke, in: LR-StPO, Band 5, § 153a, Rn. 27. Auch der Gesetzgeber ging davon aus, dass es nicht ausgeschlossen sei, die Einstellung des Verfahren von einer anderen Leistung des Betroffenen abhängig zu machen, siehe Regierungsentwurf eines Einführungsgesetzes zum StGB (EGStGB), BT-Drs. VI/3250, S. 334 f. 429
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Verfahrenseinstellung sperren, wenn es dort heißt, dass das Gericht „eine Ahndung nicht für geboten“ hält. Dies ist jedoch ebenfalls zu verneinen, denn „Ahndung“ ist im Kontext des § 47 II 1 OWiG nur die Ahndung durch Geldbuße, was sich aus systematischer Auslegung von § 47 II 1 OWiG und § 47 II 2 OWiG ergibt. Weiterhin könnten jedoch das Gesetzlichkeitsprinzip und das Analogieverbot gem. Art. 103 II GG einer Erteilung von Auflagen und Weisungen entgegenstehen.432 Das Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG fordert, dass die Rechtsfolgen einer Tat normiert sind, bevor die Tat begangen worden ist.433 Richtigerweise sind die Auflagen und Weisungen als Rechtsfolgen einer Tat anzusehen. Wie bereits festgestellt worden ist, verweist das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht ausdrücklich auf § 153a StPO oder §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG und auch über die Öffnungsklausel des § 46 I OWiG können die Vorschriften nicht in das Ordnungswidrigkeitenrecht übertragen werden. Somit fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die Erteilung von Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG. Dieser Mangel kann auch nicht durch eine analoge Anwendung der § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG überwunden werden. Das Analogieverbot gem. Art. 103 II GG verbietet auch die analoge Anwendung von Rechtsfolgen einer Tat auf nicht normierte Fälle.434 Diese Probleme wird man nur so lösen können, indem man die Erteilung einer Auflage oder Weisung nicht als einen autoritativen Befehl, sondern als eine unverbindliche formelle Anregung möglicherweise verbunden mit einer Vermittlung durch die staatlichen Stellen (z. B. durch Hinweise auf Möglichkeiten einen sozialen Trainingskurs absolvieren zu können) versteht.435 Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG zulässig sind. § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG bieten sich als Schablone für die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung an, sodass ihre Rechtsgedanken im Folgenden immer wieder aufgegriffen werden. Die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG knüpfen an den hinreichenden Verdacht einer Ordnungswidrigkeit an. In der vergleichbaren Situation des § 153a I StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG muss die Erhebung der öffentlichen Klage möglich sein, d. h., es muss der hinreichende Verdacht einer Straftat im Sinne des § 170 I StPO gegeben sein.436 Auf eine Straftat als Anlass deutet auch das Erfordernis in § 153a I StPO hin, dass die Schwere der Schuld nicht der Einstellung entgegenstehen darf, d. h., es muss also auch eine schuldhafte Tat vorliegen. Außerdem deutet in §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG das Erfordernis eines Geständnisses darauf hin, dass eine schuldhafte Tat und somit eine Straftat als Anknüpfungspunkt erforderlich ist. Das Geständnis im Sinne des 432 433 434 435 436
So Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 47, Rn. 66. Roxin, Band 1, § 5, A, Rn. 4 ff. Roxin, Band 1, § 5, E, Rn. 40. Ähnlich Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, § 47, Rn. 66. Diemer, in: Hannich, § 153a, Rn. 11.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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§ 45 III 1 JGG umfasst ein Zugeben der Tatbegehung und Eingestehen von Schuld;437 es hat die Funktion, über die objektiven Beweismittel hinaus eine Grundlage für eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Schuld zu schaffen.438 In Hinblick auf den Umfang der Zuwiderhandlung (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld) entspricht die Straftat im Ordnungswidrigkeitenrecht der Ordnungswidrigkeit. Die Auflagen und Weisungen knüpfen (zumindest) an den hinreichenden Verdacht einer Ordnungswidrigkeit an, was nach dem in dieser Untersuchung verwendeten Sanktionsbegriff als die erforderliche Annahme eines Normbruchs zu qualifizieren ist.439 Die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG erfüllen das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs. Durch die Auflagen und Weisungen werden dem Betroffenen bestimmte Handlungsmöglichkeiten angeboten, deren Erfüllung durch den Betroffenen zur Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gem. § 47 OWiG führt. Wie beim Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG gilt auch hier, dass dem Betroffenen keine vollstreckbare Handlungspflicht auferlegt wird, sondern die Erfüllung der Auflage oder Weisung freiwillig erfolgen muss.440 Die Nachteilszufügung tritt demnach nicht bereits mit der Erteilung der Auflage oder Weisung ein, sondern erst dann, sobald der Betroffene die Auflage oder Weisung vollzieht. Demnach ist der Betroffene hier auch zugleich Sanktionssubjekt gegen sich selbst. Diese Nachteilszufügung ist aber nicht ausreichend für eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs kann aber in dem Angebot gesehen werden, das Verfahren gegen bestimmte Auflagen und Weisungen einzustellen. Eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Da hier die Rechtsgedanken von § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG zum Tragen kommen, ist es auch naheliegend, sich für die möglichen Sanktionsangebote an § 153a StPO bzw. §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG zu orientieren. Denkbar ist z. B., dass dem Betroffenen die Weisung auferlegt wird, an einem Verkehrsunterricht (vgl. §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3, 10 I 3 Nr. 9 JGG bzw. § 153a I 2 Nr. 6 StPO) oder an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen (§ 153a I 2 Nr. 6 StPO). In Betracht kommt auch, dass dem Betroffenen die Auflage erteilt wird, einen Schaden, der einem Verletzten entstanden ist, durch bestimmte Handlungen wiedergutzumachen (vgl. § 153a I 2 Nr. 1 StPO).441 Zur Schadenswiedergutmachung bei einem Verletzten, der keine gemeinnützige Einrichtung oder eine sonstige Stelle ist, wäre sogar die Zahlung eines Geldbetrages nicht durch § 47 III OWiG ausgeschlossen. Es 437
Brunner/Dölling, § 45, Rn. 24. Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 45, Rn. 21; Meier, in: Meier/Rössner/Schöch, § 7, Rn. 25. 439 Siehe oben Kapitel B. I. 1. a). 440 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) kk). 441 Dass es einen Verletzten gibt ist eher selten, weil Ordnungswidrigkeitentatbestände in aller Regel nicht oder nicht ausschließlich Individualrechtsgüter schützen, Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 9, Rn. 11. 438
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
spricht nichts dagegen, dass auch andere als in § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG genannte Auflagen und Weisungen erteilt und zur Ermessenserwägung einer Einstellungsentscheidung gem. § 47 OWiG gemacht werden.442 Fraglich ist, welche Zwecke die Auflagen und Weisungen verfolgen. Eine Orientierung kann zunächst an den Zwecken der Auflagen und Weisungen gem. § 153a StPO erfolgen. Demnach ist zunächst festzustellen, dass die Auflagen und Weisungen allesamt spezialpräventive Zwecke in dem Sinne verfolgen, dass sie den Betroffenen von erneuten Fehlverhalten abschrecken und sein Rechtsbewusstsein stärken sollen.443 Daneben sollen die Auflagen und Weisungen auch Genugtuung für begangenes Unrecht sein und somit repressive Zwecke verfolgen.444 Fraglich ist, ob möglicherweise – insbesondere in Hinblick auf Jugendliche und Heranwachsende – auch erzieherische Zwecke den Auflagen und Weisungen zugrunde gelegt werden können. Dies ist zu verneinen: § 2 JGG, der diesen Zweck in §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG transportiert, gilt nicht im Ordnungswidrigkeitenrecht, auch nicht sinngemäß gem. § 46 I OWiG.445 Ein erzieherischer Zweck gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht dann, wenn der Gesetzgeber ihn ausdrücklich angeordnet hat (so z. B. § 98 I 1 OWiG).446 Ansonsten verfolgt das Ordnungswidrigkeitenrecht keinen besonderen erzieherischen Zweck. Würde man jedoch den Auflagen und Weisungen erzieherische Zwecke zuordnen, so würde diese gesetzliche Systematik durchbrochen. Die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG verfolgen Sanktionszwecke. Die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG sind Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. nn) Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe des JGG Eine Mindermeinung vertritt, dass die Ordnungswidrigkeit wesensmäßig eine Form der Straftat wäre.447 Diese Meinung wird im Wesentlichen damit begründet, dass es nur eine einheitliche Missbilligung von Fehlverhalten gebe und sich von Ordnungswidrigkeit zur Straftat hin die Quantität an Missbilligung steigere.448 Qualitative Unterschiede in der Missbilligung solle es nicht geben.449
442 Vgl. umfassend zu zulässigen und unzulässigen Auflagen und Weisungen im Kontext des § 153a StPO: Beulke, in: LR-StPO, Band 5, § 153a, Rn. 74 ff. 443 Beulke, in: LR-StPO, Band 5, § 153a, Rn. 4, 47. 444 Beulke, in: LR-StPO, Band 5, § 153a, Rn. 47; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 153a, Rn. 12. 445 Siehe unten Kapitel B. I. 2. b) nn). 446 Siehe unten Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). 447 Mattes/Mattes, Band 2, S. 251. 448 Bohnert/Bülte, Rn. 35. 449 Bohnert/Bülte, Rn. 35.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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Diese Auffassung hätte zur Folge, dass gem. § 10 StGB das JGG auf die Taten von Jugendlichen und Heranwachsenden im Sinne des § 1 OWiG anzuwenden wäre. Entscheidende Konsequenz vor dem Hintergrund dieser Untersuchung wäre, dass die Rechtsfolgen des JGG diejenigen des OWiG verdrängen würden, sodass Jugendliche und, wenn die Voraussetzungen des § 105 I JGG gegeben sind, Heranwachsende anstelle von Geldbuße mit Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe geahndet werden könnten. Diese Auffassung soll aber mit der heute ganz herrschenden Meinung verworfen werden, die einen gemischt qualitativ-quantitativen Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten annimmt.450 Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist also kein Strafrecht. § 10 StGB gilt demnach nicht für Taten im Sinne des § 1 OWiG. Auch über § 46 I OWiG kann kein anderes Ergebnis erzielt werden, denn die Vorschrift verweist nur auf das Verfahrensrecht im JGG, nicht aber auf das materielle Recht im JGG.451 Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe sind keine Sanktionen im Sinne dieser Untersuchung. oo) Maßnahmen nach dem BGB und dem SGB VIII Nach § 3 S. 2 JGG kann der Jugendrichter bei fehlender Verantwortlichkeit gem. § 3 S. 1 JGG diejenigen Maßnahmen anwenden, die auch dem Familiengericht zustehen. Dies bedeutet insbesondere die Entziehung des Personensorgerechts und des Aufenthaltsbestimmungsrechts gem. §§ 1666, 1666a BGB und die Bestellung eines Pflegers gem. § 1909 BGB. Nach h.M. kann der Jugendrichter auch Maßnahmen nach dem SGB VIII (KJHG) anordnen.452 Das sind insbesondere die Anordnung einer Erziehungsbeistandschaft gem. §§ 27, 30 SGB VIII, die Heimerziehung gem. §§ 27, 34 SGB VIII, die Familienhilfe gem. §§ 27, 31 SGB VIII, die Erziehung in einer Tagesgruppe gem. §§ 27, 32 SGB VIII oder die Vollzeitpflege gem. §§ 27, 33 SGB VIII. Die vorstehend bezeichneten Maßnahmen sind nicht bei mit Geldbuße bedrohten Handlungen gem. § 1 II OWiG anwendbar. Zum einen gilt auch hier, dass das JGG kein spezielles Recht ist, das gem. § 10 StGB für das Ordnungswidrigkeitenrecht gilt, denn das Ordnungswidrigkeitenrecht ist kein Strafrecht.453 Im Übrigen gilt das JGG nur insoweit, wie das OWiG auf das JGG verweist. Eine Verweisung des OWiG auf 450 BVerfGE 22, 49 (81); 23, 113 (126); 27, 18 (28); Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, Vor § 1, Rn. 9, Stand: 6. Lfg., Januar 2002; Gürtler, in Göhler, Vor § 1, Rn. 5; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, Einleitung, Rn. 12; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 3, Rn. 11; krit. Mitsch, in: Senge, Einleitung, Rn. 82 ff. 451 Bohnert, S. 6. 452 Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 56. 453 Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) nn).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
§ 3 S. 2 JGG existiert nicht.454 Über § 46 OWiG kann eine Anwendung des § 3 S. 2 JGG nicht ermöglicht werden, weil diese Vorschrift nur auf das Verfahrensrecht des JGG verweist und somit nicht auf die materiell-rechtliche Vorschrift des § 3 S. 2 JGG. Die Maßnahmen nach dem BGB und dem SGB VIII sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. pp) Maßnahmen ohne gesetzliche Grundlage – Ermahnung, Belehrung und Aufklärung Kinder sind gem. § 12 I OWiG stets unverantwortlich und können deshalb nicht zum Adressaten einer gesetzlichen Sanktion gemacht werden, die auf das allgemeine Legalverhalten des Kindes abzielt. Das Gleiche gilt für Jugendliche, wenn die Voraussetzungen des § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG gegeben sind. In der Literatur wird vertreten, dass in diesen Fällen gleichwohl ein Präventionsbedürfnis in Hinblick auf das allgemeine Legalverhalten bestehe, dem auch ohne Rechtsgrundlage abgeholfen werden müsse, indem Kinder und Jugendliche von einer staatlichen Stelle wegen ihres begangenen Unrechts ermahnt, belehrt oder aufgeklärt werden müssten.455 Die rechtliche Grundlage hierfür scheint das Gewohnheitsrecht zu sein.456 Im Übrigen wird sich ein solches staatliches Verhalten wohl auch gegenüber Erwachsenen beobachten lassen können, wenn ein Hoheitsträger auf eine gesetzliche Sanktion – sei es z. B. weil der Erwachsene nicht verantwortlich gehandelt hat gem. § 12 II OWiG oder die Behörde wegen geringer Schuld das Verfahren gem. § 47 I OWiG einstellt – wegen eines Fehlverhaltens verzichtet. Zunächst ist festzustellen, dass Ermahnung, Belehrung und Aufklärung an jeden möglichen Normbruch im Sinne des Sanktionsbegriffs anknüpfen können. Es kann jedenfalls ermahnt, belehrt oder aufgeklärt werden, wenn das Verfahren bei Vorliegen einer mit Geldbuße bedrohten Handlung gem. § 47 I, II OWiG eingestellt wird. Das Gericht kann ermahnen, belehren oder aufklären, wenn es das Verfahren auch wegen einer Ordnungswidrigkeit gem. § 47 II OWiG einstellt; die Verwaltungsbehörde muss demgegenüber nach § 56 I 2 OWiG verwarnen. Es kann auch ermahnt, belehrt oder aufgeklärt werden, wenn der Betroffene eine gesetzliche oder rechtliche Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren verletzt hat, denkbar ist z. B. auch, dass die Behörde den Betroffenen einer Bußgeldentscheidung, der trotz Fälligkeit der Zahlungspflicht nicht zahlt, ermahnt,
454
Bohnert, S. 23. Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, § 12, Rn. 8, Stand: 14. Lfg., Februar 2009, Vor § 56, Rn. 2b, Stand: 20. Lfg., April 2014; Rengier, in: Senge, § 12, Rn. 2; Gürtler, in: Göhler, § 12, Rn. 5, § 56, Rn. 5; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 56, Rn. 7; Bohnert/Krenberger/Krumm, § 56, Rn. 9, 25. 456 So Bohnert, S. 81. 455
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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anstatt Beitreibungsmaßnahmen einzuleiten. Ermahnung, Belehrung und Aufklärung haben demnach einen tauglichen Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs. Ermahnung und Belehrung bedeutet, jemanden eindringlich darauf hinzuweisen, dass er sich rechtswidrig verhalten hat und erneute Fehlverhalten künftig Sanktionen nach sich ziehen können.457 Aufklärung bedeutet im Wesentlichen nichts anderes, nur bringt der Begriff im Vergleich zu Ermahnung und Belehrung wohl eine weniger intensive Einwirkung bzw. einen weniger negativen und mehr neutralen Einschlag der Einwirkung zum Ausdruck. Die Ermahnung, Belehrung und Aufklärung bezwecken, dem Adressaten die Rolle des Normbrechers zuzuweisen, mit dem Ziel, dass der Normbrecher diese Rolle auch annimmt und sich innerlich eine Handlungsbeschränkung auferlegt. Die Nachteilszufügung von Ermahnung, Belehrung und Aufklärung ist demnach ihrer Wirkung nach identisch mit derjenigen der Verwarnung gem. § 56 I OWiG. Da Ermahnung, Belehrung und Aufklärung wohl kein Einverständnis des Betroffenen voraussetzen, ist die Form ihrer Nachteilszufügung – unterstellt, dass sie ihre Grundlage im Gewohnheitsrecht haben – noch näher an der Verwarnung gem. § 56 I 2 OWiG dran: Es ist der Betroffene rechtlich verpflichtet, die Ermahnung, Belehrung und Aufklärung zu dulden. Demgegenüber geht es an der sozialen Realität vorbei, wenn man annehmen würde, dass Ermahnung, Belehrung und Aufklärung sich nur in einem Hinweis auf das rechtswidrige Verhalten erschöpfen und weiter mit ihnen nichts bezweckt würde. Ermahnung, Belehrung und Aufklärung beinhalten jeweils eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Ermahnung, Belehrung und Aufklärung verfolgen zunächst spezialpräventive Zwecke. Sie sollen im Sinne positiver Spezialprävention an das Rechtsbewusstsein des Adressaten appellieren und ihm zugleich im Sinne von negativer Spezialprävention von der Begehung neuer Fehlverhalten abschrecken.458 Gegenüber jungen Menschen werden Ermahnung, Belehrung und Aufklärung wohl regelmäßig einen erzieherischen Zweck verfolgen.459 Ist der Hoheitsträger von der Schuld des Täters überzeugt, so wird er seiner Ermahnung, Belehrung und Aufklärung regelmäßig repressive Zwecke beimessen. Ist die Schuld des Täters nicht eindeutig feststellbar, so wird der Hoheitsträger regelmäßig auf eine repressive Zweckverfolgung verzichten; gleichwohl ist in einer solchen Situation aber nicht auszuschließen, dass die Ermahnung, Belehrung und Aufklärung repressiv wirken werden.
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Vgl. oben Kapitel B. I. 2. b) kk). Nach Bohnert weist die Ermahnung nur auf das Verbotensein eines Verhaltens hin, sei aber keine Sanktion: Bohnert/Krenberger/Krumm, § 56, Rn. 25. 459 Nach Auffassung von Würtenberger verfolgt die Ermahnung sogar nur erzieherische Zwecke und ist auch nur dann statthaft und wirksam, wenn sich ein Jugendlicher in einer Krisenzeit innerhalb seiner Gesamtentwicklung befindet, Würtenberger, in: Schaffstein/Miehe, S. 248 ff. 458
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Ermahnung, Belehrung und Aufklärung verfolgen Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung sind Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. qq) Ergebnis Die in diesem Abschnitt behandelten Maßnahmen sind alle Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs ausschließlich der Verweigerung einer Entschädigung nach § 28 II Nr. 3 OWiG, Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe des JGG und der Maßnahmen nach dem BGB und dem SGB VIII. c) Kostenentscheidungen Im Ordnungswidrigkeitenverfahren können verschiedene Kostenentscheidungen getroffen werden. Als Kostenarten sind die Gebühren und Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu unterscheiden. Die wichtigste Kostenentscheidung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist jene, die mit dem Bußgeldbescheid oder Urteil in Bußgeldsachen verbunden ist (sog. unselbstständige Kostenentscheidung) und bestimmt, dass die Staatskasse, der Betroffene oder sonst ein Beteiligter ganz oder teilweise die Verfahrenskosten und ggf. notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen haben. Verfahrenskosten und notwendige Auslagen können aber auch Gegenstand eines selbstständigen Kostenbescheides oder Kostenfestsetzungsbescheides sein (sog. selbstständige Kostenentscheidungen). So kann z. B. in einem selbstständigen Kostenbescheid geregelt werden, dass ein nicht zur behördlichen Vernehmung erschienener Zeuge die dadurch verursachten Kosten zu tragen hat, vgl. § 46 I, II OWiG i.V.m. § 161a II 1 StPO i.V.m. § 51 I 1 StPO. Wurde ein behördliches Ordnungswidrigkeitenverfahren durchgeführt, so gelten für die allgemeinen Verfahrenskosten und ggf. notwendigen Auslagen über die Verweisung in § 105 OWiG im Wesentlichen die Vorschriften der StPO (§§ 464 ff. StPO). In den §§ 105 ff. OWiG finden sich wenige Modifikationen. Wurde hingegen ein gerichtliches Ordnungswidrigkeitenverfahren durchgeführt, so sind gem. § 46 I OWiG die Vorschriften der StPO ebenfalls entsprechend anzuwenden. Daneben kommen noch besondere Kostenregelungen für das behördliche oder gerichtliche Verfahren über § 46 I OWiG in Betracht (z. B. § 46 I OWiG i.V.m. § 51 I 1 StPO). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im Ordnungswidrigkeitenverfahren davon abgesehen werden kann, Jugendlichen und Heranwachsenden Kosten und Auslagen aufzuerlegen, vgl. § 105 I OWiG bzw. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 74, 109 II JGG.460 460
Heidrich, in: Senge, § 105, Rn. 142; Eisenberg, § 74, Rn. 4.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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Die Auferlegung der Verfahrenskosten (z. B. § 465 I StPO) und die Nichterstattung oder Auferlegung von notwendigen Auslagen haben ganz unterschiedliche Anlässe: Knüpft die Auferlegung von Verfahrenskosten etwa an das Nichterscheinen vor der Behörde (§ 46 I, II OWiG i.V.m. § 161a II 1 StPO i.V.m. § 51 I 1 StPO) an, so ist der Tatbestand der Nichterfüllung einer gesetzlichen Pflicht gegeben (§ 161a I 1 StPO). Werden dem Betroffenen die Verfahrenskosten auferlegt und seine notwendigen Auslagen nicht erstattet, weil er wegen einer Ordnungswidrigkeit geahndet worden ist (§ 105 I OWiG i.V.m. § 465 I 1 StPO), so ist die Tat im prozessualen Sinne der Anlass, was sich mit dem Lebenssachverhalt deckt, der die Ordnungswidrigkeit umfasst. Werden einem Anzeigenden die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten oder Angeklagten auferlegt, weil er vorsätzlich oder leichtfertig eine unwahre Anzeige erstattet hat, so ist Anlass auch die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht, unwahre Anzeigen zu unterlassen. Kein tauglicher Anlass liegt jedenfalls dann vor, wenn das Verfahren eingestellt und die Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last fallen. Die Auferlegung von Verfahrenskosten oder die Nichterstattung bzw. Auferlegung von notwendigen Auslagen knüpfen an eine Ordnungswidrigkeit oder die Verletzung gesetzlicher Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an und erfüllen somit die entsprechenden Merkmale des Sanktionsbegriffs. Sie sind auch Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs, weil dem Betroffenen oder einem Dritten (z. B. Anzeigenden gem. § 469 StPO) die Zahlung eines Geldbetrages und somit eine Handlungspflicht auferlegt wird. Die Auferlegung von Verfahrenskosten und die Auferlegung bzw. Nichterstattung von notwendigen Auslagen verfolgen gegenüber Erwachsenen keine Sanktionszwecke. Sie dienen dem Zweck, die Staatskasse von Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen zu entlasten. Keine Ausnahme hiervon ergibt sich aus § 109a I, II OWiG. Die Vorschrift dient in erster Linie dazu, die Kostenbelastung der Justiz in Bagatellsachen und bei Verschleppung durch den Betroffenen zu reduzieren.461 Prävention ist allenfalls eine Wirkung aber kein Zweck der Vorschrift. Anders werden die Zwecke gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden beurteilt. Nach h.M. ist es zulässig, dem Jugendlichen oder Heranwachsenden die Kosten und/oder Auslagen (exklusive notwendiger Auslagen; hierzu sogleich unten)
461
Heidrich, in: Senge, § 109a, Rn. 1.
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aus wirtschaftlichen (nicht hingegen aus fiskalischen Erwägungen462) und erzieherischen Gründen gem. § 105 I OWiG bzw. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 74, 109 II JGG aufzuerlegen.463 Wird die Auferlegung von Kosten und/oder Auslagen auf erzieherische Gründe gestützt, so verfolgt sie Sanktionszwecke. Die Gegenauffassung hält hingegen die Verfolgung von erzieherischen Zwecken hinsichtlich der Kosten und Auslagen für unangebracht und will vielmehr nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Jugendlichen oder Heranwachsenden abstellen.464 Nach dieser Auffassung sind den Entscheidungen über Kosten und Auslagen des Verfahrens keine Sanktionszwecke beizumessen. Die besseren Gründe sprechen hier dafür, die Kostenentscheidungen nur von wirtschaftlichen und nicht von erzieherischen Gründen abhängig zu machen: Erstens droht die Beimessung erzieherischer Zwecke, den Anknüpfungspunkt der Kostenentscheidung von der Bescheidung bzw. Verurteilung hin zur Tat zu verschieben, wodurch die Kostenentscheidung zu einer Unrechtsfolge wird, was sie aber nicht ist.465 Zweitens bezweckt § 74 JGG nicht, Kosten und Auslagen aus erzieherischen Gründen aufzuerlegen. Die Vorschrift des § 74 JGG bezweckt nur, Jugendliche und Heranwachsende vor der Belastung mit Kosten und Auslagen freizuhalten, die als zusätzliche Sanktion empfunden werden könnten und so die erzieherischen Zwecke der eigentlichen Sanktionen vereiteln könnten.466 Aus erzieherischen Gründen sollen Jugendliche und Heranwachsende von Kosten und Auslagen freigehalten werden und nicht aus erzieherischen Gründen mit Kosten und Auslagen belastet werden. Schließlich ist es aber auch irrelevant, welche Zwecke § 74 JGG im JGG verfolgt, denn das Ordnungswidrigkeitenrecht verfolgt drittens keine besonderen erzieherischen Zwecke.467 Wenn § 105 I OWiG bzw. § 46 I OWiG die sinngemäße Anwendung fordert, so entfallen – wenn man § 74 JGG überhaupt erzieherische Zwecke beimisst – die erzieherischen Zwecke des § 74 JGG und es bleibt von § 74 JGG im Ordnungswidrigkeitenrecht nur übrig, dass bei Vermögenslosigkeit des Jugendlichen oder Heranwachsenden die Kosten und notwendigen Auslagen die Staatskasse zu tragen hat.468 462 OLG Hamm NJW 1963, 1168; LG Münster NStZ 1983, 138 (139); LG Gera StV 1999, 666; Heidrich, in: Senge, § 105, Rn. 142. 463 OLG Hamm NJW 1963, 1168 (1169); LG Münster NStZ 1983, 138 (139); OLG Düsseldorf MDR 1993, 1114; KG NStZ-RR 1999, 121; 2007, 64; Brunner/Dölling, § 74, Rn. 4; Heidrich, in: Senge, § 105, Rn. 142 f.; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 2, § 105, Rn. 40, Stand: 21. Lfg., Januar 2015; Gürtler, in: Göhler, Vor § 105, Rn. 132; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 105, Rn. 13; Ostendorf meint, dass die Kostenlast sogar einen repressiven Charakter haben könne, Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 327. 464 Bohnert, S. 76, Sommerfeld, in: Ostendorf, JGG, § 74, Rn. 7; so anscheinend auch der BGH in seiner neueren Rechtsprechung: BGH StV 1998, 351; NStZ-RR 2006, 224. 465 Bohnert, S. 75. 466 Eisenberg, § 74, Rn. 8a. 467 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). 468 Bohnert, S. 75.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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Im Ergebnis ist also festzustellen, dass die Auferlegung von Kosten und Auslagen keine erzieherischen Zwecke und somit keine Sanktionszwecke verfolgen. Die h.M. hält die notwendigen Auslagen des Jugendlichen und Heranwachsenden aus dem Anwendungsbereich des § 74 JGG heraus.469 Doch auch wenn § 74 JGG die notwendigen Auslagen des Jugendlichen und Heranwachsenden erfassen sollte, so soll aus erzieherischen Gründen der Jugendliche und Heranwachsende die notwendigen Auslagen regelmäßig selbst tragen.470 Die Gegenauffassung hält hingegen auch notwendige Auslagen von § 74 JGG erfasst und will diese aus erzieherischen Gründen dem Jugendlichen und Heranwachsenden regelmäßig nicht aufbürden.471 Eine Streitentscheidung ist hier nicht erforderlich, denn auch hier gilt, dass nach sinngemäßer Übertragung des § 74 JGG über §§ 46 I, 105 I OWiG, im Ordnungswidrigkeitenrecht jedenfalls kein erzieherischer Zweck und somit kein potentieller Sanktionszweck erhalten bleibt. Im Ergebnis ist festzustellen, dass Kostenentscheidungen keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs darstellen. d) Ermittlungsmaßnahmen Ermittlungsmaßnahmen dienen der Erforschung des Sachverhalts. Ausgenommen sind hier solche Maßnahmen, die daneben auch beim Betroffenen472 eine Willensbeugung473 oder sonst Verfahrensbeteiligten474 oder die Aufrechterhaltung der Ordnung475 des Ordnungswidrigkeitenverfahrens bezwecken. Rechtsgrundlagen für Ermittlungsmaßnahmen ergeben sich im Wesentlichen über den Verweis des § 46 I OWiG aus der StPO. So ist z. B. Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung § 46 I OWiG i.V.m. § 163b I 1 StPO. Für nicht speziell geregelte Ermittlungsmaßnahmen gilt die Generalklausel gem. § 46 I OWiG i.V.m. 469
KG JR 1983, 37 (38); OLG München NStZ 1984, 138; BGH NStZ-RR 2006, 224; Heidrich, in: Senge, § 105, Rn. 143; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 2, § 105, Rn. 39, Stand: 21. Lfg., Januar 2015; Gürtler, in: Göhler, Vor § 105, Rn. 133; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 105, Rn. 13. 470 Heidrich, in: Senge, § 105, Rn. 143. 471 Mellinghof, NStZ 1982, 405 (408 f.); LG Frankfurt/M StV 1982, 69; LG Münster NStZ 1983, 138 (139). 472 „Betroffener“ ist diejenige Person, gegen die ein Bußgeldverfahren durchgeführt wird, Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 26, Rn. 15 f. 473 Siehe zu Zwangsmaßnahmen unten Kapitel B. I. 2. j). 474 Der Begriff des „Verfahrensbeteiligten“ soll hier im weitesten Sinne zu verstanden sein, d. h. alle sonst am Bußgeldverfahren beteiligten Personen umfassen (z. B. Zeugen, gesetzliche Vertreter, Erziehungsberechtigte, Nebenbeteiligte des Bußgeldbescheides [vgl. §§ 66 I Nr. 1, 87 I, 88 I OWiG] oder Einziehungs- bzw. Verfallsbeteiligte [vgl. § 87 II, VI OWiG]). 475 Siehe zu Ordnungsmaßnahmen unten Kapitel B. I. 2. i).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
§ 161 I 1 StPO. Es finden sich aber auch Ermittlungsmaßnahmen, die abschließend im OWiG geregelt sind, so z. B. die Anhörung des Betroffenen gem. § 55 I OWiG. Demgegenüber regelt das OWiG aber umfangreiche Einschränkungen für Ermittlungsmaßnahmen. Zum einen gelten die Ermittlungsmaßnahmen der StPO nur soweit, wie das OWiG „nichts anderes bestimmt“, vgl. § 46 I OWiG. Etwas anderes bestimmt das OWiG z. B. in § 46 III bis V OWiG oder in § 55 I OWiG. Daneben können Ermittlungsmaßnahmen auch schon aufgrund der Natur der Sache im Bußgeldverfahren ausgeschlossen sein, was auch nicht über den gesetzgeberischen Befehl der sinngemäßen Anwendung gem. § 46 I OWiG überwunden werden kann. Beispielsweise hat § 87 StPO im Bußgeldverfahren von vornherein keinen Anwendungsbereich, weil Tötungsdelikte nur im Strafverfahren behandelt werden können und etwaige Ordnungswidrigkeiten, die in diesem Zusammenhang begangen wurden, auch im Strafverfahren mitbehandelt werden (vgl. §§ 40 ff., 82 I OWiG). Zunächst müssten Ermittlungsmaßnahmen einen tauglichen Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs haben. Die Ermittlungsmaßnahmen knüpfen an den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit an. Es wurde festgestellt, dass nur die Annahme einer Ordnungswidrigkeit und nicht die Vermutung einer Ordnungswidrigkeit tauglicher Anlass ist.476 Der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit ist die Vermutung eines Normbruchs und somit kein tauglicher Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs. Weiterhin stellen die Ermittlungsmaßnahmen auch nicht durchweg Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs dar. Im Vorverfahren kann z. B. ein Betroffener zur Vernehmung geladen werden gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 163a I 1 StPO, was die Pflicht des Betroffenen begründet, zu einem Termin vor der Behörde zu erscheinen, vgl. § 46 I OWiG i.V.m. § 163a III 1 StPO. In diesem Falle liegt eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten und somit eine Nachteilszufügung vor. Hingegen wird man jedoch eine Nachteilszufügung oder ein neutrales Verhalten im Sinne des Sanktionsbegriffs vermissen, wenn z. B. ein öffentlich Bediensteter eine Nachschau wegen einer Umweltordnungswidrigkeit (vgl. z. B. § 69 BNatSchG477 oder § 69 KrWG478) auf öffentlichem Boden durchführt. Jedenfalls verfolgen Ermittlungsmaßnahmen keine Sanktionszwecke. Ermittlungsmaßnahmen dienen der Erforschung des Sachverhalts.479 Es fehlt bei Ermittlungsmaßnahmen also an einem Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs. Ermittlungsmaßnahmen sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs.
476
Siehe oben Kapitel B. I. 1. a). Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2193) geändert worden ist. 478 Kreislaufwirtschaftsgesetz vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 9 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808) geändert worden ist. 479 Hellmann, Rn. 201. 477
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e) Maßnahmen zur Sicherung des Vollstreckungsverfahrens In diese Kategorie fallen Maßnahmen, die der Sicherung einer noch nicht erfolgten aber zu erwartenden Bußgeldentscheidung480 oder sonstigen vollstreckbaren Entscheidung (z. B. Kostenentscheidung) dienen. Rechtsgrundlagen für Anordnungen zur Sicherung des Vollstreckungsverfahrens können sich etwa aus der Generalklausel gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 161 I 1 StPO ergeben. Daneben sind besondere Eingriffsbefugnisse zu nennen, z. B. die Anordnung des dinglichen Arrests gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 111e I StPO zur Sicherung der bevorstehenden Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG oder die Anordnung der Beschlagnahme nach § 46 I OWiG i.V.m. § 111b I 1 StPO zur Sicherung einer ahndenden Einziehung gem. § 22 II Nr. 1 OWiG. Die Anordnungen zur Sicherung des Vollstreckungsverfahrens knüpfen an den Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 152 II StPO an und somit an die Vermutung eines Normbruchs an.481 Die Vermutung eines Normbruchs reicht als Anlass nicht aus, um diese Maßnahmen als Sanktion zu qualifizieren.482 Außerdem fehlt es an einem Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Maßnahmen bezwecken, ein Beiseiteschaffen von Sachen und Vermögensgegenständen, die den Rechtsfolgen eines späteren Bußgeldbescheids, Urteils oder sonstigen Entscheidung unterworfen sein könnten, zu verhindern.483 Sie bezwecken also nur die Vollstreckung der Bußgeldentscheidung zu sichern. Einen Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs verfolgen die Maßnahmen jedenfalls nicht. Maßnahmen zur Sicherung des Vollstreckungsverfahrens sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. f) Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung der Allgemeinheit In diese Kategorie fallen Maßnahmen, die der Sicherung der Allgemeinheit dienen und eine noch nicht erfolgte aber zu erwartende verfahrensabschließende Maßnahme vorwegnehmen. Hierunter fällt z. B. die Anordnung der Beschlagnahme gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 111b I 1 StPO, wenn zu erwarten ist, dass die Einziehung auf Grundlage des § 22 II Nr. 2 OWiG angeordnet wird.
480 Bußgeldentscheidungen sind alle Entscheidungen von Verwaltungsbehörden und Gerichten, in denen eine Geldbuße festgesetzt oder eine im Ordnungswidrigkeitenrecht vorgesehene Nebenfolge angeordnet wird, Mitsch, in: Senge, § 89, Rn. 7. 481 Vgl. z. B. zu § 111d I StPO a.F.: Spillecke, in: Hannich, § 111d, Rn. 4. 482 Siehe oben Kapitel B. I. 1. a). 483 Vgl. z. B. zur Anordnung des dinglichen Arrests gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 111d StPO a.F., Johann, in: LR-StPO, Band 3, § 111d, Rn. 1; Schmitt, in: Meyer/Goßner, Strafprozessordnung, 57. Aufl. (2014), Rn. 1.
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Diese Maßnahmen knüpfen an den Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 152 II StPO und somit an die Vermutung eines Normbruchs an.484 Die Vermutung eines Normbruchs reicht als Anlass nicht aus, um diese Maßnahmen als Sanktion zu qualifizieren.485 Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung der Allgemeinheit sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. g) Vollstreckungsmaßnahmen In diesem Abschnitt sollen solche Maßnahmen behandelt werden, die der Vollstreckung von Entscheidungen dienen, die im Verlauf eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens getroffen werden. Ausgenommen sind hier solche Entscheidungen, die daneben auch eine Willensbeugung beim Betroffenen oder die Aufrechterhaltung der Ordnung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens bezwecken. Diese werden unter Ordnungsmaßnahmen486 oder Zwangsmaßnahmen487 behandelt. Stellt die Verwaltungsbehörde, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht das Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht ein, so kommt es mit Abschluss des Erkenntnisverfahrens zu einer Bußgeldentscheidung488 durch die Verwaltungsbehörde oder das Gericht. Kommt der Betroffene einer Bußgeldentscheidung nicht von selbst nach, so können Maßnahmen zu deren Vollstreckung nach Maßgabe der §§ 89 ff. OWiG eingeleitet werden. Der Begriff der „Bußgeldentscheidung“ ist im weiten Sinne zu verstehen und umfasst alle Entscheidungen über Geldbußen und Nebenfolgen des Ordnungswidrigkeitenrechts.489 Die §§ 89 ff. OWiG sind demnach auf alle Arten der Verfahrensabschlüsse von behördlichen und gerichtlichen Verfahren anwendbar. Demnach spielt es keine Rolle, ob das behördliche Verfahren durch Bußgeldbescheid oder selbstständigen Bescheid abgeschlossen wurde. Beim gerichtlichen Verfahren spielt es keine Rolle, ob das gerichtliche Verfahren durch Urteil, Beschluss oder Strafbefehl abgeschlossen wurde, ob es sich bei dem gerichtlichen Verfahren um ein Rechtsbehelfsverfahren gehandelt hat oder sich dieses originär mit einer Ordnungswidrigkeit befasst hat und ob im gerichtlichen Verfahrensabschluss eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit abgeurteilt wurde oder nur eine Ordnungswidrigkeit. Es kommt nur darauf an, dass eine Bußgeldentscheidung gegeben ist.
484 485 486 487 488 489
Vgl. z. B. zu § 111b I 1 StPO: Spillecke, in: Hannich, § 111b, Rn. 9. Siehe oben Kapitel B. I. 1. a). Siehe unten Kapitel B. I. 2. i). Siehe unten Kapitel B. I. 2. j). Zum Begriff der Bußgeldentscheidung sogleich unten. Mitsch, in: Senge, § 89, Rn. 7.
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Unterschiede zwischen behördlichen und gerichtlichen Bußgeldentscheidungen ergeben sich weniger hinsichtlich der anwendbaren Maßnahmen, sondern vielmehr hinsichtlich der anwendbaren Rechtsvorschriften für die Vollstreckung: Bei der Vollstreckung von behördlichen Bußgeldentscheidungen, die eine Geldbuße oder Geldzahlungsnebenfolge zum Gegenstand haben, sind über die Verweisung von § 90 I OWiG – bei Berücksichtigung der Fallkonstellation, dass eine Bundesbehörde die Bußgeldentscheidung erlassen hat – i.V.m. § 5 VwVG490 im Wesentlichen die Vollstreckungsmaßnahmen der AO anzuwenden (teilweise wird sogar von den Vorschriften der AO weiter in die ZPO verwiesen). Für die Vollstreckung von Einziehung von Gegenständen und Unbrauchbarmachung enthält § 90 III OWiG eine Sonderregelung. Bei der Vollstreckung von gerichtlichen Bußgeldentscheidungen sind gem. § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 JBeitrG491 im Wesentlichen die Vollstreckungsmaßnahmen der ZPO anzuwenden. Für die Vollstreckung der Einziehung von Gegenständen und Unbrauchbarmachung verweist § 91 OWiG auf § 459g StPO. Für das behördliche und gerichtliche Vollstreckungsverfahren enthält das OWiG besondere Vollstreckungsmaßnahmen für die Vollstreckung der Geldbuße in §§ 96, 98 OWiG. Daneben sollen in diesem Abschnitt auch solche Maßnahmen besprochen werden, die der Vollstreckung einer Entscheidung dienen, die nicht Gegenstand der Bußgeldentscheidung ist. Dies sind die Entscheidungen über Zwangsmaßnahmen, Ordnungsmaßnahmen und Verfahrenskosten. Auch hier werden sich im Wesentlichen weniger Unterschiede hinsichtlich der anwendbaren Maßnahmen, sondern vielmehr hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften ergeben. aa) Maßnahmen zur Vollstreckung von Geldforderungen In diesem Abschnitt sollen Maßnahmen geprüft werden, die auf die Vollstreckung von Entscheidungen im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren gerichtet sind, die zur Zahlung von Geldbeträgen verpflichten. Zu prüfen sind also Maßnahmen aufgrund von Bußgeldentscheidungen, Entscheidungen über behördliche sowie gerichtliche Ordnungs- und Zwangsgelder und Kostenentscheidungen.
490
Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 201 – 4, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2094) geändert worden ist. 491 Justizbeitreibungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 1926), das durch Artikel 5 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2094) geändert worden ist.
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(1) Beitreibungsmaßnahmen Als eine Gruppe der Vollstreckungsmaßnahmen sind die Beitreibungsmaßnahmen zu nennen. Beitreibungsmaßnahmen sind solche, die unmittelbar der Befriedigung einer Geldforderung dienen. So ist bei der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen als Pfändungsmaßnahme z. B. die Inbesitznahme einer Sache zu nennen. Bei einer behördlichen Bußgeldentscheidung ist die richtige Rechtsgrundlage § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 286 I AO; bei einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung ist es hingegen § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 808 I ZPO. Eine beispielhafte Verwertungsmaßnahme von beweglichem Vermögen ist die öffentliche Versteigerung. Bei einer behördlichen Bußgeldentscheidung ist die richtige Rechtsgrundlage § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 296 I AO; bei einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung ist es § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 814 ZPO. Beitreibungsmaßnahmen zur Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind demgegenüber die Eintragung einer Sicherungshypothek, die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung. Hier ist wiederum bei einer behördlichen Bußgeldentscheidung die richtige Rechtsgrundlage § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 322 I 2 AO i.V.m. den §§ 864 ff. ZPO i.V.m. dem ZVG. Bei einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung ist § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. §§ 864 ff. ZPO i.V.m. dem ZVG richtige Rechtsgrundlage. Gem. § 87 StVollstrO492 gilt für die Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen, die zu einer Geldzahlung verpflichten, und der Verfahrenskosten ergänzend die Einforderungs- und Beitreibungsanordnung493 (EBAO). Aus dieser ergeben sich als Beitreibungsmaßnahmen z. B. die Zahlungsaufforderung gem. § 5 I EBAO oder die Mahnung gem. § 7 I EBAO. Für behördliche Ordnungsgelder und Verfahrenskosten gelten im Wesentlichen dieselben Beitreibungsmaßnahmen; nach § 90 IV OWiG werden Ordnungsgelder nach § 90 I OWiG entsprechend behördlicher Bußgeldentscheidungen vollstreckt und nach § 108 II OWiG werden behördliche Kostenentscheidungen ebenfalls nach §§ 89, 90 I OWiG vollstreckt. Nur bei behördlichen Kostenentscheidungen in Kostenfestsetzungsbescheiden wird nach den Vorschriften der ZPO vollstreckt, § 106 II OWiG. Für die Vollstreckung von gerichtlichen Ordnungsgeldern und Verfahrenskosten gelten gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 36 II StPO i.V.m. § 1 Nr. 3 und Nr. 4 JBeitrG i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG die Vollstreckungsmaßnahmen der ZPO entsprechend. Bei einem gerichtlichen Ordnungsgeld gem. § 178 I 1 GVG, wird die Vollstreckung gem. § 179 GVG i.V.m. § 1 Nr. 3 JBeitrG i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG betrieben. 492
Strafvollstreckungsordnung vom 1. August 2011 (BAnz Nr. 112a S. 1). Eintreibungs- und Beitreibungsanordnung des Bundes vom 1. August 2011 (BAnz Nr. 112a S. 1, 22). 493
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Sofern Zwangsgelder494 nach der AO oder ZPO verhängt werden, so sind die Vollstreckungsmaßnahmen der AO und ZPO diesbezüglich direkt anzuwenden. Hierunter fallen nicht die Verwarnungsgelder nach § 56 I 1 OWiG. Aufgrund der gesetzlichen Konzeption einer freiwilligen Leistung sind Vollstreckungsmaßnahmen nicht zulässig.495 Diese Maßnahmen geschehen aus Anlass der Nichterfüllung einer rechtlichen Handlungspflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren, nämlich der Nichtzahlung eines Geldbetrages aufgrund einer rechtskräftigen Bußgeldentscheidung496 (Geldbuße oder Nebenfolge, die die Zahlung eines Geldbetrages zum Gegenstand hat), Kostenentscheidung oder sonstigen Entscheidung (z. B. die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen Zeugen gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 70 I 2 StPO).497 Die Beitreibungsmaßnahmen knüpfen an die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an und haben damit einen tauglichen Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs. Ob diese Vollstreckungsmaßnahmen Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs darstellen, ist fraglich. Isoliert betrachtet führen sie eine tatsächliche Einwirkung auf das Vermögen des Betroffenen herbei. In einer Gesamtbetrachtung von z. B. Bußgeldentscheidung und Vollstreckungsmaßnahme stellen die Vollstreckungsmaßnahmen aber keine zusätzliche Belastung für den Betroffenen dar. Die Verwirklichung der Bußgeldentscheidung durch die Beitreibungsmaßnahme führt vielmehr zu einer Veränderung der Art und Weise der Belastung. Ob eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vorliegt kann jedoch dahinstehen, denn die Beitreibungsmaßnahmen verfolgen keinen Sanktionszweck. Sie dienen nur der Befriedigung der Geldforderung. Jede Sanktionswirkung ist allenfalls Rechtsreflex. Die Beitreibungsmaßnahmen verfolgen keine Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Beitreibungsmaßnahmen sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. (2) Maßnahmen zur Sicherung der Beitreibungsmaßnahmen Als eine weitere Gruppe von Vollstreckungsmaßnahmen sind jene Maßnahmen zu nennen, die der Sicherung der Beitreibungsmaßnahmen dienen. So können bei der Vollstreckung einer behördlichen Bußgeldentscheidung z. B. auf Grundlage des § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 287 I AO die Wohn- und Geschäftsräume des Vollstreckungsschuldners durchsucht werden, um so 494
Siehe unten Kapitel B. I. 2. j). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). 496 Siehe zum Begriff der Bußgeldentscheidung oben Kapitel B. I. 2. g). 497 Vgl. zur Differenzierung von Bußgeldentscheidung, Kostenentscheidung und sonstiger Entscheidung, Mitsch, in: Senge, § 89, Rn. 7, 65, 67. 495
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z. B. die Pfändung durch Inbesitznahme nach § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 286 I AO zu ermöglichen. Ein anderes Beispiel für eine solche Maßnahme bei der Vollstreckung einer behördlichen Bußgeldentscheidung ist die Anordnung einer Vermögensauskunft gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 284 I 1 AO. Anlass der Maßnahmen zur Sicherung der Beitreibungsmaßnahmen ist die Nichterfüllung einer rechtlichen Handlungspflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren, nämlich die Nichtzahlung eines Geldbetrages trotz rechtskräftiger Bußgeldentscheidung498, Kostenentscheidung499 oder sonstiger Entscheidung (z. B. selbstständige Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a V OWiG500). Die fraglichen Maßnahmen erfüllen das Merkmal Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs. Sie enthalten eine Nachteilszufügung, denn dem Betroffenen wird die Pflicht zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen auferlegt, was seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Sofern etwa dem Betroffenen die Leistung einer Vermögensauskunft gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 284 I 1 AO auferlegt wird, so hat er die Handlungspflicht, eine Erklärung über seine Vermögensverhältnisse vorzunehmen. Sofern eine Durchsuchung der Wohn- und/oder Geschäftsräume des Betroffenen gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 287 I AO angeordnet wird, so hat der Betroffene einerseits die Pflicht, die Durchsuchung seiner Räume zu dulden und andererseits die Pflicht, Störungen bei der Durchsuchung zu unterlassen. Die Maßnahmen beinhalten also Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Schließlich müssten die Maßnahmen einen Sanktionszweck verfolgen. Sie verfolgen nur den Zweck, den Erfolg der Beitreibungsmaßnahmen zu sichern.501 Hingegen werden Sanktionszwecke nicht verfolgt; Repression oder Prävention sind allenfalls Rechtsreflexe. Die Maßnahmen verfolgen keinen Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs. Maßnahmen zur Sicherung der Beitreibungsmaßnahmen sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. (3) Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG In § 98 OWiG hat der Gesetzgeber Rechtsfolgen für Jugendliche geregelt, die gem. § 98 IV OWiG auch auf Heranwachsende anzuwenden sind.502 Die Vorschrift bietet dem Jugendrichter die Möglichkeit, in einer Vollstreckungsanordnung dem 498 499 500 501 502
Siehe zum Begriff der Bußgeldentscheidung oben Kapitel B. I. 2. g). Siehe zum Begriff der Kostenentscheidung oben Kapitel B. I. 2. c). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (4). Vgl. z. B. zu § 287 AO: Fritsch, in: Koenig, § 287, Rn. 1. Siehe zu den Begriffen Jugendlicher und Heranwachsender oben Kapitel A. II.
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Betroffenen erzieherische Auflagen zu erteilen, die der Betroffene an Stelle der Zahlung einer Geldbuße erfüllen kann. Auf andere Maßnahmen, die dem Jugendlichen oder Heranwachsenden die Zahlung eines Geldbetrages auferlegen (z. B. Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG), kann § 98 OWiG nicht angewendet werden. Auf diese Weise soll das Verfahren, sofern der Jugendliche oder Heranwachsende die Auflage erfüllt, vollstreckungsrechtlich in „jugendgemäßer Weise“ zum Abschluss gebracht werden.503 Durch die Auferlegung einer Auflage entfällt nicht die Pflicht zur Zahlung der Geldbuße. Aus § 98 II 1 OWiG folgt, dass die Pflicht zur Zahlung der Geldbuße bestehen bleibt und der Betroffene nunmehr das Recht hat, wahlweise die Geldbuße zu zahlen oder die Auflage und damit die Bußgeldentscheidung zu erfüllen. Erfüllt der Betroffene eine Pflicht, so folgt aus den Worten „an Stelle“ gem. § 98 I 1 OWiG, dass die jeweils andere Pflicht gegenstandslos wird. Schließlich ist anzumerken, dass die Aufzählung des § 98 I 1 OWiG abschließend ist, was jedoch nicht zu einer wesentlichen Eingrenzung der möglichen Erscheinungsformen der Auflagen führt, weil § 98 I 1 Nr. 4 OWiG eine weit gefasste Generalklausel enthält.504 Folgende Auflagen können Gegenstand einer Vollstreckungsanordnung sein: (a) Erbringung von Arbeitsleistungen (Nr. 1) § 98 I 1 Nr. 1 OWiG sieht vor, dass dem Betroffenen die Erbringung von Arbeitsleistungen auferlegt werden kann, wenn der Betroffene nach Ablauf der Frist in § 95 I OWiG die Geldbuße nicht gezahlt hat. Sofern die Nichtzahlung deshalb erfolgt ist, weil der junge Mensch trotz wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht zahlen „will“, so liegt regelmäßig objektive und subjektive Pflichtwidrigkeit und somit der Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren vor. Sofern die Nichtzahlung deshalb erfolgt ist, weil der junge Mensch wegen wirtschaftlichen Leistungsunvermögen nicht zahlen „kann“, so wird eine objektive (und ggf. subjektive) Pflichtwidrigkeit in Bezug auf die Bußgeldentscheidung nicht zu begründen sein.505 Als Anknüpfungspunkt für die Auflage nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG kommt im Fall des Nichtzahlenkönnens nur der Rechtsgrund für die Geldbuße, d. h. die Ordnungswidrigkeit, in Betracht (die Ordnungswidrigkeit ist auch der Anknüpfungspunkt, wenn die Vollstreckungsanordnungen 503 Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 1; Bohnert ist beizupflichten, dass der Begriff der „jugendgemäßen Art der Vollstreckung“ nicht gelungen ist, weil die Auflagen des § 98 I OWiG nicht der Vollstreckung der Geldbuße dienen, sondern als Alternative neben die Geldbuße treten: Bohnert, S. 10 f. 504 Siehe unten Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (d). 505 Die Verletzung einer rechtlichen Pflicht ließe sich im Falle der Zahlungsunfähigkeit nur so begründen, dass eine Pflichtwidrigkeit bereits durch die bloße Nichtzahlung ausgelöst würde, ohne dass die Gründe für die Nichtzahlung beachtet würden. Ein solches Konzept soll hier aber nicht angewendet werden.
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nach § 78 IV OWiG getroffen werden)506. Demnach ist das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs erfüllt. Die Nachteilszufügung besteht in der Auferlegung von Arbeitsleistungen, die typischerweise in einer sozialen oder gemeinnützigen Einrichtung unentgeltlich zu erbringen sind.507 Die Auflage führt zur Begründung einer Handlungspflicht auf Seiten des Betroffenen und schränkt so seine Handlungsmöglichkeiten ein. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs ist gegeben. Die Auflage nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG teilt die repressiven sowie spezial- und generalpräventiven Zwecke der Geldbuße.508 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Zwecke der Vollstreckungsanordnung nicht vollständig andere sind, als diejenigen der Geldbuße, wenn er formuliert, dass sich die Zwecke der Geldbuße durch die allgemeinen Vollstreckungsmaßnahmen nicht verwirklichen ließen.509 Hierfür spricht auch, dass die Auflage nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG bei ihrer Erfüllung an die Stelle einer festgesetzten und rechtskräftigen Geldbuße tritt. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ist weiterhin ersichtlich, dass die Auflage nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG zusätzlich erzieherische Zwecke verfolgen kann: Nach der gesetzgeberischen Konzeption sollen die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG dann getroffen werden, wenn die allgemeinen Maßnahmen zur Vollstreckung der Geldbuße (Zahlungserleichterung, Beitreibungsmaßnahmen, Erzwingungshaft) „aus Gründen die im Alter des Betroffenen liegen, vor allem also aus Gründen der Erziehung“510 nicht angebracht erscheinen.511 Jedoch kann sich die Auflage nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG auch nur in der Fortsetzung der Zwecke der Geldbuße erschöpfen, denn es ist auch der Fall denkbar, dass gar kein erzieherisches Defizit gegeben ist und nur die wirtschaftlichen Verhältnisse des jungen Menschen die Zahlung der Geldbuße verhindern. In diesen Fällen sind die allgemeinen Maßnahmen zur Vollstreckung der Geldbuße auch nicht angebracht im Sinne des § 98 I 1 OWiG, weil sie die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ändern können und sogar – wie der Gesetzgeber selbst feststellt, indem er in den Gesetzesmaterialien formuliert, dass Erzwingungshaft und Zahlungserleichterungen aus erzieherischen Gründen regelmäßig nicht geboten seien –512 negative erzieherische 506
Siehe unten Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (f). Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 10; Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 13. 508 So auch Nestler, in: Graf, § 98, Rn. 3.1, Stand: 15. 04. 2017. Siehe zu den Zwecken der Geldbuße oben Kapitel B. I. 2. a). 509 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120. 510 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120. 511 So auch Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 1; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 1; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 98, Rn. 1; Gassner/Nenn, in: Blum/Gassner/Seith, § 98, Rn. 1; a.A. Nestler, in: Graf, § 98, Rn. 3.1, Stand: 15. 04. 2017. 512 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120. 507
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Wirkungen haben können. Demgegenüber müssen die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG möglich sein, um den jungen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, sich von der Sanktionslast zu befreien und gleichwohl das bereits bejahte Sanktionsbedürfnis zu befriedigen. Diese Auslegung der Zwecke der Vollstreckungsanordnungen kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Vollstreckungsanordnungen im Allgemeinen auch dazu dienen, „die Sache vollstreckungsrechtlich in jugendgemäßer Weise zu erledigen“513, auch wenn wirtschaftliche Verhältnisse nicht unbedingt Gründe sind, die im Alter des Betroffenen liegen. Die Auflage gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG, Arbeitsleistungen zu erbringen, verfolgt also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Auflage gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG, Arbeitsleistungen zu erbringen, ist Sanktion. (b) Schadenswiedergutmachung (Nr. 2) § 98 I 1 Nr. 2 OWiG sieht vor, dass dem Betroffenen auferlegt werden kann, dass dieser einen durch seine Handlung verursachten Schaden nach seinen Kräften wiedergutzumachen hat, wenn der Betroffene eine festgesetzte und rechtskräftige Geldbuße nach Ablauf der Frist des § 95 I OWiG nicht gezahlt hat. Die Maßnahme knüpft an eine Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an.514 Demnach ist das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs erfüllt. Die Auflage nach § 98 I 1 Nr. 2 OWiG müsste eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs sein. Die Nachteilszufügung besteht in der Auflage, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, die den individuellen Fähigkeiten des Betroffenen entspricht und darauf gerichtet ist, einen verursachten Schaden auszugleichen. In dem Begriff des Schadens spiegelt sich die feste Anbindung des § 98 I 1 Nr. 2 OWiG an die zivilrechtliche Rechtslage wieder. Eine Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG ist nur dann möglich, wenn der junge Mensch auch zivilrechtlich für einen durch die Ordnungswidrigkeit verursachten Schaden dem Geschädigten haften muss.515 Dabei darf die Schadenswiedergutmachung nicht in der Herbeiführung eines finanziellen Ausgleichs bestehen.516 Dies ist damit zu begründen, dass § 98 I OWiG seinem Sinn und Zweck nach dem jungen Menschen gerade Möglichkeiten eröffnen soll, sich ohne finanzielle Leistung von der Sanktionslast befreien zu können. In erster Linie ist deshalb eine Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG 513 514 515 516
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120. Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 15, Rn. 6. Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 11; Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 15, Rn. 4.
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dann in Betracht zu ziehen, wenn zivilrechtlich eine Naturalrestitution gem. § 249 I BGB möglich und der Geschädigte mit dieser Form des Schadensersatzes einverstanden ist; es sind aber auch Arbeitsleistungen oder eine Ehrenerklärung des jungen Menschen als Schadenswiedergutmachung anerkannt.517 Demgegenüber ist eine Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG ausgeschlossen, wenn der Geschädigte auf einen Schadensersatz durch den jungen Menschen in Geld besteht und diesen auch zivilrechtlich geltend zu machen beabsichtigt.518 Eine Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG scheidet aber auch dann aus, wenn der Schaden nicht mehr besteht, weil er bereits zivilrechtlich durch Leistung des jungen Menschen oder eines Dritten liquidiert worden ist.519 Abstrahiert von diesen zivilrechtlichen Überlegungen stellt sich die Nachteilszufügung der Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG als Belastung des jungen Menschen mit einer Handlungspflicht dar, wodurch seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt werden. Es liegt also eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Ihren materiellen Gehalt als Nachteilszufügung verliert die Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG nicht deshalb, weil der junge Mensch bereits zum Schadensersatz verpflichtet ist. Denkbar wäre, dass die durch die Ordnungswidrigkeit bereits begründete zivilrechtliche Schadensersatzpflicht – hierbei handelt es sich um eine gesetzlich begründete Handlungspflicht des Schädigers gegenüber dem Geschädigten, also auch eine Form der Nachteilszufügung gegenüber dem Schädiger – eine Nachteilszufügung gegenüber dem Schädiger darstellt, neben der eine Nachteilszufügung per Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG keinen eigenständigen materiellen Gehalt erlangen kann. Diese Auffassung könnte nur dann verfangen, wenn die Schadenswiedergutmachung im Sinne des § 98 I 1 Nr. 2 OWiG eine Form des Schadensersatzes und die Vornahme der Schadenswiedergutmachung die Erfüllung der Schadensersatzpflicht wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Schadenswiedergutmachung und Schadensersatz sind unterschiedliche Rechtsinstitute. Sie teilen sich nur den Bezugspunkt, den zivilrechtlichen Schaden, nicht aber die hierauf gerichtete Handlungspflicht. Die Handlungspflichten mögen zwar den gleichen Inhalt haben, sie werden aber unterschiedlich begründet. Die Schadensersatzpflicht tritt per Gesetz ein, die Scha517
Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 15, Rn. 4. Dieser Ausschluss ist damit zu begründen, dass die in Art. 2 I GG geschützte Privatautonomie des Geschädigten gegenüber dem Interesse des Staates an der Anordnung einer Schadenswiedergutmachung überwiegt. Die Einschränkung des staatlichen Sanktionsinstrumentariums ist aber auch deshalb hinzunehmen, weil dem Staat auch andere Sanktionen zur Verfügung stehen, um seine Sanktionszwecke zu erreichen. 519 Wurde der Schaden nur teilweise zivilrechtlich liquidiert, so kann eine Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG in Bezug auf den nicht liquidierten Teil auch weiterhin möglich sein. Angemerkt sei außerdem, dass die Erfüllung einer Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG auch umgekehrt den haftungsausfüllenden Schaden und somit die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht ganz oder teilweise ausschließen kann. 518
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denswiedergutmachungspflicht bedarf der gerichtlichen Anordnung. Aus dem gemeinsamen Bezugspunkt folgt ferner, dass beide Pflichten in einem Alternativverhältnis zueinanderstehen, d. h., die Erfüllung der einen Pflicht führt zum Ausschluss der anderen Pflicht. Schließlich sind beide Rechtsinstitute auch bei wertender Betrachtung voneinander abzugrenzen, da sie unterschiedliche Zwecke verfolgen: Der Schadensersatz verfolgt restitutive Zwecke, die Schadenswiedergutmachung gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG repressive und präventive Zwecke.520 Zu den Zwecken gilt das zu § 98 I 1 Nr. 1 OWiG Gesagte entsprechend.521 Es liegen demnach Zwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Die Auflage gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG, nach Kräften den durch die Handlung verursachten Schaden wiedergutzumachen, ist Sanktion. (c) Teilnahme an Verkehrsunterricht (Nr. 3) Nach § 98 I 1 Nr. 3 OWiG kann die Teilnahme an einem Verkehrsunterricht auferlegt werden, wenn der Betroffene eine festgesetzte und rechtskräftige Geldbuße auch nach Ablauf der Frist des § 95 I OWiG nicht gezahlt hat. Die Maßnahme knüpft an eine Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an.522 Das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs ist erfüllt. Die Nachteilszufügung besteht in der Auflage, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen, d. h. also eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Wiederum wird der Betroffene mit einer Handlungspflicht belastet, was seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Es liegt also eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Zu den Zwecken gilt das zu § 98 I 1 Nr. 1 OWiG Gesagte entsprechend.523 Es liegen demnach Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Die Auflage gem. § 98 I 1 Nr. 3 OWiG, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen, ist Sanktion. (d) Sonst eine bestimmte Leistung (Nr. 4) § 98 I 1 Nr. 4 OWiG sieht vor, dass dem Betroffenen auferlegt werden kann, bestimmte Leistungen zu erbringen, wenn der Betroffene eine festgesetzte und rechtskräftige Geldbuße auch nach Ablauf der Frist des § 95 I OWiG nicht gezahlt hat. Die Maßnahme knüpft an eine Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren 520 521 522 523
Zu den Zwecken der Schadenswiedergutmachung sogleich. Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a).
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an.524 Demnach ist das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs erfüllt. Die Nachteilszufügung besteht in der Auflage, eine sonst bestimmte Leistung zu erbringen. Aus dem Wort „sonst“ gem. § 98 I 1 Nr. 4 OWiG folgt, dass es sich hierbei um eine Generalklausel handelt, die es dem Rechtsanwender ermöglicht, auch andere als die in § 98 I 1 Nr. 1 bis Nr. 3 OWiG normierten Handlungspflichten dem Betroffenen aufzuerlegen. Der Begriff der „Leistung“ ist im weitesten Sinne zu verstehen.525 Der Gesetzgeber nannte als Beispiele für Leistungen etwa das Erlernen von Verkehrsregeln, einen Aufsatz über die Bedeutung bestimmter Verkehrsgebote zu schreiben, ein Krankenhaus zu besuchen oder sich bei dem Verletzten zu entschuldigen.526 Nach allgemeiner Auffassung können Leistungen aber auch Unterlassungen sein.527 Jedoch soll zwischen angeordneter Leistung und Tat ein dem Betroffenen einleuchtender sachlicher Zusammenhang bestehen.528 Der Betroffene wird mit einer Handlungspflicht belastet, was seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Es liegt eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Zu den Zwecken gilt das zu § 98 I 1 Nr. 1 OWiG Gesagte entsprechend.529 Es liegen demnach Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Die Auflage gem. § 98 I 1 Nr. 4 OWiG, sonst eine bestimmte Leistung zu erbringen, ist Sanktion. (e) Nachträgliche Änderung einer Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 2 OWiG Nach § 98 I 2 OWiG hat der Jugendrichter die Möglichkeit eine Vollstreckungsanordnung auch nachträglich zu ändern. In Betracht kommt, dass die Verschärfung einer bestehenden Vollstreckungsanordnung und die Anordnung einer neuen Vollstreckungsanordnung Sanktionen darstellen. Anlass der Verschärfung einer bestehenden Vollstreckungsanordnung oder der Anordnung einer neuen Vollstreckungsanordnung ist, dass der Jugendliche oder Heranwachsende weder die rechtskräftige Geldbuße gezahlt noch der Vollstreckungsanordnung bzw. den Vollstreckungsanordnungen nachgekommen ist und die bestehende Vollstreckungsanordnung bzw. bestehenden Vollstreckungsanordnungen 524
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 121. 526 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 121. 527 Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 17; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 2, § 98, Rn. 13, Stand: 7. Lfg., Januar 2003; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 13. 528 Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 13; Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 17; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 98, Rn. 17. 529 Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). 525
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unter erzieherischen Gesichtspunkten unzweckmäßig gewesen ist bzw. sind. Auch hier ist zu differenzieren: Sofern die Nichtzahlung der Geldbuße und die Nichterfüllung der Vollstreckungsanordnung nicht pflichtwidrig sind, so ist der Anknüpfungspunkt für die nachträgliche Änderung weiterhin der Rechtsgrund der Geldbuße, d. h. die Ordnungswidrigkeit.530 Sofern die Nichtzahlung der Geldbuße oder die Nichterfüllung der Vollstreckungsanordnung – oder beides – pflichtwidrig gewesen sind, so kommt auch die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren als Anknüpfungspunkt in Betracht.531 Anlass der nachträglichen Verschärfung einer Vollstreckungsanordnung bzw. der Anordnung einer neuen Vollstreckungsanordnung kann demnach erstens die begangene Ordnungswidrigkeit, zweitens die Ordnungswidrigkeit und die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren oder drittens die Verletzungen rechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren sein. Die nachträgliche Verschärfung einer Vollstreckungsanordnung und die Anordnung einer neuen Vollstreckungsanordnung haben demnach taugliche Anlässe im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verschärfung einer Vollstreckungsanordnung kann in der Erweiterung des Umfangs einer Pflichtenstellung oder der Begründung neuer Pflichtenstellungen bestehen und schränkt somit die Handlungsmöglichkeiten des Betroffenen noch weiter ein. Demnach beinhaltet die Verschärfung einer Vollstreckungsanordnung eine zusätzliche Nachteilszufügung. Die Anordnung neuer Vollstreckungsanordnungen neben bestehenden Vollstreckungsanordnungen begründet neue Pflichten des Jugendlichen und Heranwachsenden, die er erfüllen muss, wenn er die Geldbuße nicht zahlen möchte oder kann. Es liegt in diesem Fall also auch eine zusätzliche Nachteilszufügung vor. Schließlich ist denkbar, dass eine bestehende Vollstreckungsanordnung durch eine mildere Vollstreckungsanordnung ersetzt wird. Auch wenn eine schwerere Nachteilszufügung durch eine mildere Nachteilszufügung ersetzt wird, so bleibt eine Nachteilszufügung bestehen. Die Verschärfung bestehender Vollstreckungsanordnungen und die Anordnung neuer Vollstreckungsanordnungen enthalten Nachteilszufügungen und sind somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verschärfung einer Vollstreckungsanordnung und die Anordnung neuer Vollstreckungsanordnungen kann wie die erstmalige Anordnung von Vollstreckungsanordnungen repressive, präventiv- verhaltenssteuernde und/oder erzieherische Zwecke verfolgen.532 Es liegen Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs vor.
530 531 532
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Vgl. oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a).
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Die nachträgliche Änderung einer Vollstreckungsanordnung im Sinne der Verschärfung einer bestehenden Vollstreckungsanordnung bzw. der Anordnung einer neuen Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 2 OWiG ist Sanktion. (f) Vollstreckungsanordnungen gem. § 78 IV OWiG Nach § 78 IV OWiG kann der Jugendrichter im Hauptverfahren mit Festsetzung der Geldbuße eine Vollstreckungsanordnung nach § 98 I OWiG treffen. Dies hat zur Folge, dass der Betroffene bereits mit der gerichtlichen Entscheidung im Hauptverfahren die Möglichkeit hat, durch Zahlung der Geldbuße oder Erbringung der Leistung die gerichtliche Entscheidung zu erfüllen. Anderenfalls würde sich die Möglichkeit der Anordnung der Rechtsfolgen und die Möglichkeit deren wahlweisen Erfüllung zeitlich um den Ablauf der Frist des § 95 I OWiG hinausschieben. Als Anlass der Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 Nr. 1 bis Nr. 4 OWiG kommt nicht die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren in Betracht, so wie es im Regelfall nach § 98 I 1 OWiG der Fall ist. § 78 IV OWiG i.V.m. § 98 I 1 OWiG enthält eine Rechtsfolgenverweisung,533 d. h., die Vorschrift bezieht sich nur auf die Maßnahmen nach § 98 I 1 Nr. 1 bis Nr. 4 OWiG und nicht zugleich auf die Voraussetzungen der Vorschrift. Dies ist damit zu begründen, dass der Verweis auf die Voraussetzungen keinen Sinn ergibt. § 98 I 1 OWiG setzt voraus, dass der Jugendliche oder Heranwachsende die Geldbuße nach Ablauf der in § 95 I OWiG nicht bezahlt hat und die Bewilligung einer Zahlungserleichterung, die Beitreibung der Geldbuße oder die Anordnung der Erzwingungshaft nicht möglich oder angebracht ist. Im Falle des § 78 I OWiG hatte der Jugendliche oder Heranwachsende aber noch gar keine Möglichkeit, die Pflicht zur Zahlung der Geldbuße zu erfüllen. Als Anlass der Vollstreckungsanordnung gem. § 78 IV OWiG i.V.m. § 98 I 1 OWiG kommt nur die Ordnungswidrigkeit in Betracht. Dies ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung des verfahrensmäßigen Geschehens. Die Vollstreckungsanordnung wird zugleich mit der Festsetzung der Geldbuße getroffen. Sie hat demnach denselben Anlass wie die Festsetzung der Geldbuße, nämlich die Ordnungswidrigkeit.534 Demnach ist eine Ordnungswidrigkeit als Anlass der Vollstreckungsanordnungen gem. § 78 IV OWiG i.V.m. § 98 I 1 OWiG gegeben und somit liegt das Merkmal Ordnungswidrigkeit im Sinne des Sanktionsbegriffs vor.535 Zu den Merkmalen Maßnahme und Sanktionszwecke gilt das oben Gesagte entsprechend.536 Die Merkmale des Sanktionsbegriffs Maßnahme und Sanktionszwecke liegen auch bei einer Anordnung nach § 78 IV OWiG i.V.m. § 98 I 1 OWiG vor.
533
So auch Bohnert, S. 63 f. So auch Bohnert, S. 64. 535 Da die Vollstreckungsanordnungen an eine Ordnungswidrigkeit anknüpfen, könnte man sie auch als Nebenfolgen einordnen. Siehe zum Begriff der Nebenfolgen Kapitel B. I. 2. b). 536 Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). 534
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Auch bei einer Anordnung der Rechtsfolgen des § 98 I OWiG im gerichtlichen Verfahren nach § 78 IV OWiG bleiben die Anordnungen Sanktion. (g) Ergebnis Die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 Nr. 1 bis Nr. 4 OWiG bzw. § 78 IV OWiG i.V.m. § 98 I 1 Nr. 1 bis Nr. 4 OWiG sowie die nachträgliche Verschärfung einer Vollstreckungsanordnung und die Anordnung einer neuen Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 2 OWiG sind Sanktionen. (4) Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG Nach § 98 II 1 OWiG kann gegen einen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden Jugendarrest verhängt werden, wenn er weder die in einer Vollstreckungsanordnung festgelegten Auflagen nach § 98 I 1 OWiG befolgt noch die festgesetzte und rechtskräftige Geldbuße zahlt. Hier gilt sinngemäß das zur nachträglichen Änderung von Vollstreckungsanordnungen bzw. Anordnung neuer Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 2 OWiG Gesagte: Anlass des Jugendarrests können erstens die begangene Ordnungswidrigkeit – bei fehlender Pflichtwidrigkeit in Bezug auf die Zahlung der Geldbuße und die Erfüllung einer Vollstreckungsanordnung ist es aber kaum denkbar, dass Jugendarrest verhältnismäßig sein kann, denn der Jugendarrest zielt gerade auf die Pflichtwidrigkeit der Nichtzahlung der Geldbuße bzw. Nichterfüllung einer Vollstreckungsanordnung ab –537, zweitens die Ordnungswidrigkeit und die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren oder drittens die Verletzungen rechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren sein.538 Der Jugendarrest erfüllt das Merkmal Ordnungswidrigkeit bzw. Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs. Nach einer Auffassung sollen Nichtzahlung der Geldbuße und Nichterfüllung der Vollstreckungsanordnung einen jugendrechtlichen (nach Seitz sogar einen „jugendstrafrechtlichen“539) Ungehorsamstatbestand eigener Art begründen.540 Vor dem Hintergrund des hier herausgearbeiteten Sanktionsbegriffs führt dies zu keinem anderen Ergebnis, denn in jedem Fall liegt ein tauglicher Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs vor.
537
Vgl. auch in diesem Kapitel sogleich zu den Zwecken. Siehe unten Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (e). 539 Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 20. 540 Rebmann/Roth/Herrmann, Band 2, § 98, Rn. 21, Stand: 7. Lfg., Januar 2003; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 98, Rn. 19; Rotberg, § 98, Rn. 8; Gassner/Nenn, in: Blum/ Gassner/Seith, § 98, Rn. 1. 538
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Die Nachteilszufügung besteht in einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit, deren Ausmaß sich je nach Art des Jugendarrests im Sinne des § 16 JGG bemisst. Sofern ein Freizeitarrest verhängt wird, so ist die Dauer gem. § 16 II JGG auf maximal zwei Freizeiten beschränkt. Wird ein Kurzarrest verhängt, so beträgt die Dauer maximal vier Tage, § 16 III 2, II JGG. Wird hingegen Dauerarrest verhängt, so kann dieser gem. § 98 II 2 OWiG in Abweichung von § 16 IV JGG nur maximal eine Woche dauern. Der Jugendarrest schränkt die Bewegungsfreiheit und somit die Handlungsmöglichkeiten des Betroffenen ein. Dem Betroffenen wird einerseits die Handlungspflicht auferlegt, zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Haftantritt zu erscheinen und wird ihm die (Duldungs-)Pflicht auferlegt, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit zu dulden. Der Jugendarrest ist also eine Nachteilszufügung und somit Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Umstritten ist, welche Zwecke § 98 II 1 OWiG verfolgt: Nach der h.M. verfolgt der Jugendarrest den Zweck, dass der Jugendliche oder Heranwachsende in Zukunft den behördlichen und richterlichen Anordnungen mehr Beachtung schenken solle.541 Dieser Zweck wird im Sinne von Erziehung verstanden.542 Nach einer Gegenauffassung bezweckt der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG den Jugendlichen oder Heranwachsenden zur Zahlung der Geldbuße oder zur Erfüllung der Auflage zu zwingen.543 Der Zweck des Jugendarrests ist nach dieser Auffassung also die Willensbeugung. Die Erzwingung eines künftigen und konkreten Verhaltens beim Betroffenen ist eine Form der präventiven Verhaltenssteuerung.544 Der Unterschied zwischen einem Beugemittel und den bis hierhin diskutierten präventiven Maßnahmen besteht darin, dass das Beugemittel auf ein konkretes Verhalten abzielt, während die bis hierhin diskutierten präventiven Maßnahmen auf das allgemeine Legalverhalten abzielen. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit dem Jugendarrest ausdrücklich eine von der Erzwingungshaft zu unterscheidende selbstständige Unrechtsfolge normieren wollte, die erzieherische Zwecke verfolgen soll, sprechen hier dafür, den in § 98 II 1 OWiG normierten Jugendarrest im Sinne der h.M. zu verstehen.545 Der Jugendarrest verfolgt also erzieherische Zwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Fraglich ist, ob der Jugendarrest auch repressive und sonstige präventive Zwecke verfolgt. Die Annahme einer repressiven Zweckverfolgung wird dadurch nahegelegt, dass es sich, sofern man der h.M. folgt, bei § 98 II 1 OWiG um ein eigenständiges 541
Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 20; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 2, § 98, Rn. 21, Stand: 7. Lfg., Januar 2003; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 98, Rn. 19; Rotberg, § 98, Rn. 8. 542 Seitz/Bauer, in: Göhler, § 98, Rn. 20; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 2, § 98, Rn. 21, Stand: 7. Lfg., Januar 2003. 543 Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 27; Nestler, in: Graf, § 98, Rn. 36, Stand: 15. 04. 2017. 544 In diesem Sinne auch Ignor/Bertheau: Sie sagen, dass die Vorführung gem. § 51 I 3 StPO ein Zwangsmittel rein präventiver Art sei, vgl. Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 15. 545 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 40, 121.
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Delikt handelt und dieses Delikt auch Schuld voraussetzt. Die Rechtsprechung zu § 16 JGG bejaht repressive und präventive Zwecke, wenn sie formuliert, dass der Jugendarrest „Ausgleich für begangenes Unrecht […] und durch seine Einflussnahme auf den Jugendlichen auch der Besserung dienen, ferner vermöge seines harten Vollzugs abschreckend wirken“546 solle.547 Die Anwendung der Rechtsprechung zu § 16 JGG auf den Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG ist möglich, weil § 98 II 1 OWiG ausdrücklich auf § 16 JGG verweist. Hierfür spricht auch, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption der Jugendarrest die Zwecke der Geldbuße und somit auch ihre repressiven und präventiven Zwecke fortsetzen kann, was darin zum Ausdruck kommt, dass der Jugendrichter bei vollstrecktem Jugendarrest die Geldbuße für erledigt erklären kann, vgl. § 98 III 3 OWiG.548 Im Ergebnis ist also festzustellen, dass der Jugendarrest repressive und präventive Zwecke verfolgt. Weil der Gesetzgeber die erzieherischen Zwecke stärker betont, ist jedoch davon auszugehen, dass die erzieherischen Zwecke gegenüber den repressiven und präventiv-verhaltenssteuernden Zwecken im Vordergrund stehen.549 Der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG verfolgt Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG ist Sanktion. (5) Ergebnis Von den in diesem Abschnitt behandelten Maßnahmen, sind nur die Vollstreckungsanordnungen nach § 98 I 1 OWiG und der Jugendarrest nach § 98 II 1 OWiG Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. bb) Maßnahmen zur Vollstreckung von Herausgabeansprüchen Herausgabeansprüche können im Ordnungswidrigkeitenverfahren auf vielerlei verschiedene Weisen begründet werden: z. B. durch Einziehungs- (§§ 22 ff. OWiG), Unbrauchbarmachungs- (§ 24 II OWiG), Sicherstellungsanordnung (z. B. § 46 I OWiG i.V.m. § 94 I StPO) oder Überweisungsbeschluss (z. B. begründet der Überweisungsbeschluss gem. § 91 I OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 836 III 1 ZPO die Pflicht des Vollstreckungsschuldners, Urkunden über eine Forderung herauszugeben). Es stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen, die der Vollstreckung von Herausgabeansprüchen dienen, Sanktionen sind.
546 547 548 549
BGHSt 18, 207 (209). So auch Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 203. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 121 f. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 40, 121 f.
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(1) Wegnahme und Beschlagnahme Maßnahmen zur unmittelbaren Vollstreckung von Herausgabeansprüchen sind die Wegnahme oder die Beschlagnahme. So ist die Einziehungs- und Unbrauchbarmachungsanordnung aufgrund behördlicher Bußgeldentscheidung durch Wegnahme gem. § 90 III 1 OWiG zu vollstrecken. Bei Vorliegen einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung gilt gem. § 91 OWiG i.V.m. § 459g I 1 StPO nichts anderes. Eine Vollstreckung durch Beschlagnahme einer Sache kommt z. B. bei einer Beschlagnahmeanordnung gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 111b I StPO in Betracht. Die Wegnahme wird aus Anlass der Nichtherausgabe bzw. Nichtunbrauchbarmachung eines Gegenstandes durch den Betroffenen entgegen einer entsprechenden Bußgeldentscheidung angeordnet (vgl. z. B. § 90 III 1 OWiG). Anlass der Wegnahme ist demnach die Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Beschlagnahme wird aus Anlass der Nichtherausgabe eines Gegenstands durch den Betroffenen trotz entsprechender Pflicht zur Herausgabe durchgeführt, wobei sich die Pflicht zur Herausgabe unmittelbar aus dem Gesetz (so z. B. bei der Sicherstellungsanordnung gem. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 94 I , 95 I StPO) oder aufgrund einer behördlichen oder gerichtlichen Anordnung (so z. B. bei der Beschlagnahme aufgrund eines Überweisungbeschlusses durch den Gerichtsvollzieher bei der Beschlagnahme einer Urkunde über eine Forderung gem. § 91 I OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 836 III 1 ZPO) ergeben kann. Anlass der Beschlagnahme ist also die Verletzung einer gesetzlichen oder rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren. Wegnahme und Beschlagnahme erfüllen das Merkmal Verletzung einer rechtlichen bzw. gesetzlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs. Wie auch bei den oben beschriebenen Maßnahmen zur Vollstreckung von Geldforderungen ist auch bei den hier diskutierten Vollstreckungsmaßnahmen zweifelhaft, ob eine neue Nachteilszufügung durch die Wegnahme bzw. Beschlagnahme erfolgt oder ob sich hier nur die Art und Weise einer bereits bestehenden Nachteilszufügung ändert.550 Jedenfalls verfolgen Wegnahme bzw. Beschlagnahme den Zweck, die zugrundeliegende Anordnung – z. B. Einziehungs-, Unbrauchbarmachungs- oder Sicherstellungsanordnung (§ 46 I OWiG i.V.m. § 94 I StPO) – durchzusetzen und keine Sanktionszwecke.551 Wegnahme und Beschlagnahme sind keine Sanktionen.
550 551
Vgl. oben Kapitel B. I. 2. h) aa). Mitsch, in: Senge, § 89, Rn. 1.
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(2) Maßnahmen zur Sicherung von Wegnahme und Beschlagnahme Daneben finden sich Maßnahmen, die der Sicherung der Vollstreckungsmaßnahmen Wegnahme und Beschlagnahme dienen. So sieht z. B. § 90 III 2 OWiG bei der Vollstreckung einer behördlichen Bußgeldentscheidung vor, dass, sofern der Betroffene einer Einziehungsanordnung nicht nachkommt und der Einziehungsgegenstand bei ihm auch nicht vorgefunden werden kann, der Betroffene eine eidesstattliche Erklärung über den Verbleib der Sache abzugeben hat. Nach § 90 III 3 OWiG können auch die Maßnahmen nach § 883 II ZPO angewendet werden.552 Die Maßnahmen zur Sicherung von Wegnahme und Beschlagnahme knüpfen an die Verletzung einer gesetzlichen oder rechtlichen Herausgabepflicht aufgrund einer entsprechenden Anordnung – z. B. Einziehungs-, Unbrauchbarmachungs- oder Sicherstellungsanordnung (§ 46 I OWiG i.V.m. § 94 I StPO) – an. Demnach erfüllen die Maßnahmen zur Sicherung von Wegnahme und Beschlagnahme das Merkmal Verletzung einer gesetzlichen oder rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren des Sanktionsbegriffs. Sie enthalten eine Nachteilszufügung, denn dem Betroffenen werden Handlungspflichten auferlegt, z. B. bei § 90 III 2 OWiG die Pflicht vor dem Amtsgericht zu erscheinen und eine eidesstattliche Erklärung abzugeben. Die Maßnahmen zur Sicherung von Wegnahme und Beschlagnahme enthalten Nachteilszufügungen und sind somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Maßnahmen verfolgen jedoch keine Sanktionszwecke, sondern nur den Zweck, die Durchsetzung des Herausgabeanspruchs etwa zu Zwecken der Einziehung von Gegenständen oder Befriedigung der Geldforderung aus dem Bußgeldbescheid zu ermöglichen. Die Maßnahmen zur Sicherung von Wegnahme und Beschlagnahme sind keine Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. cc) Maßnahmen zur Vollstreckung von Haft und Arrest Aus Anlass unterschiedlicher verfahrensrechtlich relevanter Sachverhalte kann aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen Haft angeordnet werden: Erzwingungshaft kann gem. § 96 OWiG angeordnet werden, wenn der Betroffene einer Geldbuße die Geldbuße nicht zahlt.553 Jugendarrest, wenn der Betroffene einer Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I OWiG diese nicht befolgt und die Geldbuße nicht zahlt.554 Ordnungshaft etwa gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 51 I 2 StPO, falls ein Be-
552 553 554
Siehe unten Kapitel B. I. 2. j). Siehe unten Kapitel B. I. 2. j). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (3).
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troffener eines Ordnungsgeldes das Ordnungsgeld nicht zahlt.555 Nach z. B. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 315 II 5 2. Alt. AO bzw. § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 836 III 5 ZPO ist es dem Vollzieher bzw. Vollstreckungsbeamten gestattet, Zwangsmittel (§§ 328 ff. AO bzw. §§ 883 ff. ZPO) zur Herausgabe von Urkunden über Forderungen anzuwenden; ist das Zwangsgeld uneinbringlich, dann kann gem. § 334 I 1 AO bzw. § 888 I 1 ZPO Ersatzzwangshaft angeordnet werden.556 Während die Anlässe für die Haft und ihre Rechtsgrundlagen unterschiedlich sind, so sind die Maßnahmen, die zur Durchsetzung der Haft angeordnet werden können, im Wesentlichen gleich: Bei der Vollstreckung von Erzwingungshaft nach § 96 OWiG ergeben sich die anzuwendenden Vollstreckungsmaßnahmen aus § 87 I, II 2 Nr. 3 StVollstrO. Insbesondere ist nach § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO der Betroffene zum Haftantritt zu laden. Wenn der Betroffene nicht zum Haftantritt erscheint, kann gegen diesen Vorführungs- und Haftbefehl gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 33 StVollstrO erlassen werden. Außerdem kommen nach § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 34 StVollstrO weitere Fahndungsmaßnahmen in Betracht, z. B. die Fahndung mithilfe eines Steckbriefs (§ 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 34 I StVollstrO i.V.m. §§ 457, 131 StPO). Maßnahmen zur Vollstreckung des Jugendarrests gem. § 98 II OWiG ergeben sich ebenfalls aus der StVollstrO gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 85 VI 2 JGG. § 1 III StVollstrO nimmt diese Verweisung aber wieder zurück, soweit das JGG oder andere Gesetze nicht etwas anderes bestimmen. Hinsichtlich der Maßnahmen zur Vollstreckung des Arrests sind keine Einschränkungen zu finden, sodass auch hier z. B. die Maßnahmen nach §§ 27, 33, 34 StVollstrO gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 85 VI 2 JGG möglich sind. Wird Ordnungshaft nach § 46 I OWiG i.V.m. § 51 I 1 StPO oder Zwangshaft nach § 46 I OWiG i.V.m. § 70 II StPO angeordnet, so bestimmt § 88 I StVollstrO einen Katalog möglicher Maßnahmen, die sinngemäß Anwendung finden können. Hierunter sind auch die oben beschriebenen Maßnahmen nach §§ 27, 33, 34 StVollstrO. Für Ordnungshaft nach §§ 178 I 2, 179 GVG gelten gem. § 88 II StVollstrO ebenfalls die Maßnahmen der StVollstrO. Bei der Anordnung von Ordnungs- und Zwangshaft nach der AO oder ZPO, gelten die Maßnahmen, die jeweils in der AO bzw. ZPO geregelt sind. So ist z. B. der Haftbefehl im Falle der Anordnung von Ersatzzwangshaft gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 315 II 5 2. Alt. AO i.V.m. § 334 I 1 AO zu erlassen und dieser durch Verhaftung gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 315 II 5 2. Alt. AO i.V.m. § 334 III 2 AO i.V.m. § 802g II ZPO durchzusetzen. 555 556
Siehe unten Kapitel B. I. 2. i). Siehe hierzu sogleich in diesem Kapitel.
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Anlass der oben genannten Maßnahmen ist die Nichterfüllung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren: Anlass der Ladung zum Haftantritt zur Vollstreckung der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO – wie auch für die Anordnung der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) selbst – ist die Nichtzahlung einer festgesetzten und rechtskräftigen Geldbuße. Zu der Zahlung der Geldbuße ist der Betroffene im Zeitpunkt der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung verpflichtet. Anlass des Vorführungs- und Haftbefehls zur Vollstreckung der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 33 StVollstrO ist das Nichterscheinen zur Haft trotz Haftladung gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO. Die Pflicht zum Erscheinen zur Haft ergibt sich aus der Haftladung gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO. Anlass einer weiteren Fahndungsmaßnahme zur Vollstreckung der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 34 StVollstrO – z. B. eines Steckbriefs – ist ebenfalls das Nichterscheinen zur Haft trotz Haftladung gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO. Auch hier gilt, dass die Pflicht zum Erscheinen zur Haft aus der Haftladung gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO folgt. Für die übrigen Formen der Haft (Ordnungshaft, Erzwingungshaft) gelten die Ausführungen zur Verletzung rechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit der Vollstreckung der Erzwingungshaft entsprechend. Das Merkmal des Sanktionsbegriffs Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ist erfüllt. Weiterhin müssten die oben genannten Maßnahmen Nachteilszufügungen enthalten, um als Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs qualifiziert werden zu können. Man wird dies nur dann bejahen können, wenn die in Frage kommenden Maßnahmen eine Nachteilszufügung enthalten, die über die ursprüngliche Nachteilszufügung hinausgehen. Dies wird man bei der Ladung zum Haftantritt zur Vollstreckung einer Erzwingungshaft gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 27 StVollstrO verneinen müssen. Die Ladung konkretisiert lediglich den Zeitpunkt des Haftbeginns, enthält aber gegenüber der Anordnung der Erzwingungshaft keine weitere eigenständige Nachteilszufügung. Eine neue Nachteilszufügung wird man annehmen müssen bei der Anordnung eines Vorführungs- und Haftbefehls zur Vollstreckung der Erzwingungshaft gem. § 87 II 2 Nr. 3 StVollstrO i.V.m. § 33 StVollstrO, denn hierbei wird dem Betroffenen die Duldung der körperlichen Einwirkung zur Zuführung in die Haft auferlegt. Die Ausführungen über die Maßnahmen zur Vollstreckung der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) gelten hinsichtlich der Nachteilszufügung für die anderen Formen der Haft entsprechend.
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Die Maßnahmen zur Vollstreckung von Haft und Arrest können Nachteilszufügungen enthalten und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs sein. Letztlich fehlt es aber an einem Sanktionszweck. Die Vollstreckungsmaßnahmen verfolgen den Zweck, die Durchführung der angeordneten Haft zu sichern. Verhaltenssteuerung ist demgegenüber nur Wirkung, aber nicht bezweckt. Betont sei an dieser Stelle, dass aber verhaltenssteuernde Zwecke im Sinne von Sanktionszwecken mit der Anordnung der Haft selbst verfolgt werden. Die Maßnahmen zur Vollstreckung von Haft und Arrest sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. dd) Maßnahmen zur Vollstreckung von Verboten Der Gesetzgeber hat keine Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung von Verboten (Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG, Verbot der Jagdausführung gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG) vorgesehen. Er hat vielmehr Verstöße gegen die genannten Verbote strafrechtlich (§ 21 I Nr. 1 StVG) bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlich (§ 39 II Nr. 1 BJagdG) bewehrt. ee) Ergebnis Von den in diesem Abschnitt behandelten Vollstreckungsmaßnahmen sind nur die Vollstreckungsanordnungen nach § 98 I OWiG und der Jugendarrest gem. § 98 II OWiG Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. h) Ordnungsmaßnahmen Es kann bei der Vornahme von verschiedenen Verfahrenshandlungen im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu Störungen durch das Verhalten Betroffener oder Dritter kommen. Um die Ordnung des Verfahrens aufrechtzuerhalten, kann diesen Störungen mit verschiedenen Ordnungsmaßnahmen entgegengewirkt werden. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung Ordnungsmittel. Ordnungsmaßnahmen sind nicht im OWiG selbst geregelt, sondern finden ihre Rechtsgrundlagen in anderen Gesetzen, die im Ordnungswidrigkeitenverfahren über § 46 I OWiG zur Anwendung kommen. Ordnungsmaßnahmen sind zunächst Ordnungsgeld und Ordnungshaft. So kann die Verwaltungsbehörde im Ermittlungsverfahren Ordnungsgeld festsetzen gem. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 161a II 1, 51 I 2, 70 I 2 StPO, wenn ein geladener Zeuge nicht erscheint oder das Zeugnis grundlos verweigert. Wenn das Ordnungsgeld in dieser Konstellation nicht beigetrieben werden kann, so kann ersatzweise Ordnungshaft durch ein Gericht angeordnet werden (§ 161a II 2 StPO). Im gerichtlichen Verfahren kann auch das Gericht gem. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 51 I 2, 70 I 2 StPO Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft anordnen. Im Vollstreckungsverfahren wegen einer gerichtlichen
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Bußgeldentscheidung ist es möglich, soweit sich aus Anordnungen des Vollziehungsbeamten aus der ZPO eine Duldungs- oder Unterlassungspflicht des Vollstreckungsschuldners ergibt, dass bei dem Verstoß gegen diese Pflicht ein Ordnungsgeld oder ersatzweise Ordnungshaft gem. § 890 ZPO angeordnet wird (z. B. bei einem Verstoß gegen den Pfändungsbeschluss gem. § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I, II JBeitrG i.V.m. § 829 I ZPO i.V.m. § 890 ZPO). Ordnungsgeld und Ordnungshaft können aber auch eine sitzungspolizeiliche Maßnahme sein (z. B. gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 178 I 1 GVG). Daneben sind aber auch Ordnungsmaßnahmen möglich, die in unmittelbarem Zwang bestehen.557 Die Verwaltungsbehörde, Polizei oder Staatsanwaltschaft können Störer bei der Vornahme von Amtshandlungen in und außerhalb ihrer Diensträume gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 164 StPO festnehmen. Das Gericht kann sitzungspolizeiliche Maßnahmen bei Störungen im Gerichtssaal veranlassen, z. B. die Entfernung aus dem Sitzungssaal gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 177 GVG.558 Die oben beschriebenen Maßnahmen werden wegen der Verletzung einer gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren angeordnet. So wird z. B. das Ordnungsgeld gem. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 161a II 1, 51 I 2, 70 I 2 StPO wegen Verletzung der gesetzlichen Erscheinenspflicht des Zeugen aus § 46 I OWiG i.V.m. § 48 I 1 StPO angeordnet; eine entsprechende rechtliche Erscheinenspflicht ergibt sich auch aus der Ladung des Zeugen gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 48 I, II StPO. Die sitzungspolizeilichen Maßnahmen können wegen der Verletzung der rechtlichen Pflicht zum gebührlichen Verhalten im Gerichtssaal angeordnet werden. Die Ordnungsmaßnahmen erfüllen das Merkmal Verletzung einer gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Sinne des Sanktionsbegriffs. Weiterhin handelt es sich bei den Ordnungsmaßnahmen um Nachteilszufügungen. Die störende Person bekommt z. B. Handlungspflichten auferlegt, wenn gegen diese die Zahlung eines Ordnungsgeldes oder das Verlassen eines Gerichtssaals oder der Diensträume einer Verwaltungsbehörde angeordnet wird. Wird gegen eine Person Ordnungshaft festgesetzt, so wird dieser die Handlungspflicht auferlegt, zur Ordnungshaft zu erscheinen und die Duldungspflicht, die Freiheitsbeschränkung für einen Zeitraum hinzunehmen. Wenn gegen eine Person unmittelbarer Zwang angewendet wird, so wird gegen diese auch die Pflicht zur Duldung der Zwangseinwirkung begründet. Ordnungsmaßnahmen sind also Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Ordnungsmaßnahmen müssten auch Sanktionszwecke verfolgen. Ordnungsmaßnahmen dienen jedenfalls der Aufrechterhaltung der Ordnung des staat557 Diese Ordnungsmaßnahmen sind zugleich als Zwangsmaßnahmen zu charakterisieren. Sie unterscheiden sich von den unten diskutierten Zwangsmaßnahmen nur darin, dass sie auch den Zweck der Aufrechterhaltung der Ordnung des Verfahrens verfolgen. Siehe zu den Zwangsmaßnahmen unten Kapitel B. I. 2. j). 558 Weitere Beispiele bei Krey, Band 2, § 25, Rn. 711 ff.
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lichen Verfahrens,559 was jedoch noch keinen Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs darstellt. Wenn Ordnungsgeld und Ordnungshaft an einen dem jeweiligen Ordnungsverstoß zugrundeliegenden Schuldvorwurf anknüpfen, der durch die Maßnahme getilgt wird, so verfolgen Ordnungsgeld und Ordnungshaft repressive Zwecke (z. B. Ordnungsgeld und Ordnungshaft gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 178 I GVG).560 Diese Ordnungsmittel dienen weiterhin dazu, eine Person zur künftigen Einhaltung ihrer Pflichten anzuhalten und von neuem Fehlverhalten abzuschrecken; sie sind also auch positiv und negativ spezialpräventiv.561 Der präventiv-verhaltenssteuernde Aspekt dieser Ordnungsmittel zielt dabei auf das allgemeine Legalverhalten einer Person ab. Diejenigen Ordnungsmittel, die als unmittelbarer Zwang gekennzeichnet wurden (Festnahme oder die Entfernung aus dem Sitzungssaal), verfolgen jedenfalls keine repressiven Zwecke, weil sie kein Verschulden einer Person voraussetzen.562 Diese Maßnahmen sind verhaltenssteuernd in dem Sinne, dass sie darauf abzielen eine konkrete Störung durch eine Person zu unterbinden und ihr so ein spezielles Tun, Dulden oder Unterlassen abverlangen. Jedoch sind sie nicht langfristige Beeinflussung eines Verhaltens oder auf die Vornahme eines konkreten Verhalten in der Zukunft gerichtet, wie es der Prävention typischerweise eigen ist. Dementsprechend verfolgen die Ordnungsmittel der Störungsabwehr keine Sanktionszwecke und sind nicht als Sanktionen zu qualifizieren. In diese Kategorie fällt auch die verschuldensunabhängige Ordnungshaft (z. B. § 46 I OWiG i.V.m. § 177 GVG).563 Ausschließlich der Ordnungsmaßnahmen zur Störungsabwehr verfolgen Ordnungsmaßnahmen also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Letztere Ordnungsmaßnahmen sollen zur Abgrenzung im Folgenden als „repressiv-präventive Ordnungsmaßnahmen“ bezeichnet werden. Die repressiv-präventiven Ordnungsmaßnahmen sind Sanktionen. i) Zwangsmaßnahmen In dieser Kategorie sind solche Maßnahmen zu nennen, die ganz allgemein der Erzwingung eines konkreten Tuns, Duldens oder Unterlassens dienen. Diese Maßnahmen kann man als Zwangs- oder Beugemaßnahmen (weil sie der Beugung des Willens einer Person dienen) bezeichnen. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung als Zwangs- und Beugemittel. 559
Diemer, in: Hannich, § 176 GVG, Rn. 1. Krey, Band 2, § 26, Rn. 718; Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 15; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 51, Rn. 16. 561 Krey, Band 2, § 26, Rn. 718. 562 Diemer, in: Hannich, § 177 GVG, Rn. 5. 563 Diemer, in: Hannich, § 177 GVG, Rn. 5; Krey, Band 2, § 26, Rn. 714; Zimmermann, in: Rauscher/Krüger, Band 3, § 177 GVG, Rn. 4; a.A. Schmitt, wonach die Ordnungshaft gem. § 177 GVG Verschulden voraussetzt: Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 177 GVG, Rn. 10. 560
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Als Zwangsmaßnahme kommt zunächst Zwangsgeld in Betracht. Beispielsweise kann bei der Vollstreckung auf Grundlage des § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 334 II 2 AO einem Drittschuldner ein Zwangsgeld zur Abgabe einer Erklärung über eine Forderung auferlegt werden. Dies geht bei der Vollstreckung einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung, eines gerichtlichen Ordnungsgeldes oder der gerichtlichen Verfahrenskosten nicht, weil § 840 ZPO eine der AO entsprechende Befugnis nicht enthält. Gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 315 II 5 2. Alt. AO bzw. § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 836 III 5 ZPO kann der Vollzieher Zwangsgeld (aber auch Erzwingungshaft oder unmittelbaren Zwang gem. §§ 328 ff. AO bzw. §§ 883 ff. ZPO) zur Herausgabe von Urkunden über Forderungen anordnen. Weiterhin kommt als Zwangsmaßnahme Erzwingungshaft in Betracht. Die einzige direkt im OWiG geregelte Zwangsmaßnahme ist die Erzwingungshaft gem. § 96 OWiG. Die Erzwingungshaft nach § 96 OWiG kann zur Erzwingung der Zahlung der Geldbuße angeordnet werden. Daneben sind in zahlreichen Vorschriften aber auch die Kompetenz zur Anordnung von Erzwingungshaft vorgesehen: Z. B. kann gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 70 II StPO Erzwingungshaft (auch Beugehaft) angeordnet werden, um die Aussage eines Zeugen zu erzwingen. Nach § 46 I OWiG i.V.m. § 95 II 1 StPO kann Erzwingungshaft angeordnet werden, um die Herausgabe von Beweismitteln zu erzwingen. Unbestritten ist die Haft zur Erzwingung einer Vermögensauskunft z. B. gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 284 VIII AO (oder § 315 II 4 AO) bzw. § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 802g ZPO (oder § 836 III 4 ZPO) bei der Vollstreckung einer Bußgeldentscheidung, die auf eine Geldzahlungsnebenfolge gerichtet ist, zulässig.564 Zulässig ist sie auch, wenn es um die Vollstreckung von Ordnungsgeldern oder Verfahrenskosten geht. Umstritten ist, ob die Haft zur Erzwingung einer eidesstattlichen Versicherung zulässig ist, wenn es um die Vollstreckung einer Bußgeldentscheidung geht, die eine Geldbuße zum Gegenstand hat. Nach h.M. ist es zulässig gegen den Vollstreckungsschuldner Haft zur Erzwingung einer Vermögensauskunft anzuordnen.565 Nach einer Gegenauffassung ist die Vorschrift nicht anwendbar, weil § 96 OWiG die Anwendung des § 284 VIII AO usw. bzw. § 802g ZPO usw. sperrt.566 Dann ist als Zwangsmaßnahme die Anwendung unmittelbarer Gewalt (Zwang) zu nennen. z. B. kann gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 287 III AO bzw. § 91 OWiG i.V.m. § 459 StPO i.V.m. § 6 I Nr. 1 JBeitrG i.V.m. § 758 III ZPO der Vollzieher unmittelbare Gewalt gegen den Widerstand des Vollstreckungsschuldners anwenden, um die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen zu ermöglichen. Hierunter fällt auch die zwangsweise Vorführung eines Be564
So auch Mitsch, in: Senge, § 90, Rn. 37. So Seitz/Bauer, in: Göhler, § 90, Rn. 15a; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 90, Rn. 12. 566 Mitsch, in: Senge, § 90, Rn. 25. 565
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troffenen oder Zeugen im Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 46 I, V 1 OWiG i.V.m. § 51 I 3 StPO. Anlass einer Zwangsmaßnahme ist die Verletzung einer gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren. So knüpft z. B. die Erzwingungshaft gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 70 II StPO an die Aussagepflicht des Zeugen gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 48 I 2 StPO an. Die Erzwingungshaft gem. § 96 I OWiG knüpft an die Verletzung der rechtlichen Pflicht zur Zahlung einer Geldbuße an. Das Merkmal des Sanktionsbegriffs Verletzung einer gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ist erfüllt. Die Zwangsmaßnahmen enthalten auch Nachteilszufügungen. Durch die Anordnung eines Zwangsgeldes wird eine Handlungspflicht auferlegt. Eine Handlungspflicht wird auch auferlegt, wenn gegen die Erzwingungshaft angeordnet wird, denn in diesem Fall wird eine Person verpflichtet, zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Haftantritt erscheinen. Weiterhin wird einer Person durch die Erzwingungshaft die Duldungspflicht auferlegt, eine Freiheitsbeschränkung für einen Zeitraum hinzunehmen. Schließlich trifft eine Person bei unmittelbarem Zwang die Duldungspflicht, die Einwirkung auf ihren Körper hinzunehmen. Die Zwangsmaßnahmen sind Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Schließlich müssten die Zwangsmaßnahmen auch Sanktionszwecke verfolgen. Die Zwangsmaßnahmen dienen einerseits dem Zweck, den Erfolg einer gesetzlichen oder rechtlichen Anordnung sicherzustellen,567 was für sich genommen noch keinen Sanktionszweck darstellt. Andererseits aber zielen sie auch darauf ab, dass eine Person ein konkretes Verhalten vornimmt, zu dem sie aufgrund einer bestimmten Anordnung oder per Gesetz verpflichtet ist. So bezweckt die Erzwingungshaft gem. § 96 f. OWiG, dass der Betroffene die rechtskräftig gewordene Geldbuße zahlt, also dass der Betroffene eine bestimmte Handlung vornimmt. Das Zwangsgeld gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 334 II 2 AO bezweckt, dass der Drittschuldner eine Erklärung über eine Forderung gegenüber dem Vollstreckungsschuldner abgibt, also auch eine bestimmte Handlung vornimmt. Der unmittelbare Zwang gem. § 90 I OWiG i.V.m. § 5 VwVG (des Bundes) i.V.m. § 287 III AO bezweckt, die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume zu ermöglichen, also dass eine Person eine bestimmte Maßnahme duldet und Störungen unterlässt. Der Zweck der Zwangsmaßnahmen ist es, eine Person zu einem konkreten Verhalten zu veranlassen bzw. der weiteren Unterlassung eines geforderten Verhaltens vorzubeugen. Die Zwangsmaßnahmen sind also präventiv-verhaltenssteuernd.568 567 Vgl. z. B. zu den Zwecken von Zwangsgeld und Erzwingungshaft: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 888, Rn. 16. 568 So beschreiben z. B. Ignor/Bertheau die Vorführung gem. § 46 I, V 1 OWiG i.V.m. § 51 I 3 StPO als eine Zwangsmaßnahme mit einer präventiven Ausrichtung, Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 15.
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Im Ergebnis verfolgen die Zwangsmaßnahmen einen Sanktionszweck im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Zwangsmaßnahmen sind Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. j) Sonstige Maßnahmen Bei den nun folgenden Maßnahmen handelt es sich um solche, die nicht in die anderen Kategorien einbezogen werden konnten und möglicherweise auch Sanktionen darstellen. aa) Verbot von Verbänden gem. §§ 3, 17 VereinsG Nach §§ 3 I, 17 VereinsG569 können bestimmte Verbände570 (vgl. § 17 VereinsG) verboten werden, wenn ihre Zwecke oder Tätigkeiten Strafgesetzen zuwiderlaufen. Nach h.M. fallen unter den Begriff der Strafgesetze nur solche im engeren Sinne und keine Ordnungswidrigkeitengesetze.571 Demnach kann ein Verband gem. § 3 I VereinsG nicht verboten werden, wenn er bezweckt Verhaltensnormen des Ordnungswidrigkeitenrechts zu verletzen oder ihre Repräsentanten572 durch ihre Tätigkeiten Verhaltensnormen des Ordnungswidrigkeitenrechts verletzen.573 Das Verbot eines Verbandes gem. § 3 I VereinsG ist keine Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. bb) Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 AktG, 62 GmbHG und 81 GenG Die Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, die GmbH und die Genossenschaft können (im Folgenden auch unter dem Begriff des Verbandes574 zusammengefasst) aufgelöst werden, wenn ihre Verwaltungsträger bzw. im Falle der GmbH die Gesellschafter durch gesetzeswidrige Handlungen das Allgemeinwohl gefährden. Rechtsgrundlagen finden sich hierfür in §§ 396 I 1 AktG575, 62 I GmbHG576 und 81 I 1 GenG577. 569 Vereinsgesetz vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 419) geändert worden ist. 570 Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 571 Groh, § 3, Rn. 8; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 1, Art. 9 Abs. 2, Rn. 75. 572 Siehe zum Begriff des Repräsentanten oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 573 A.A. Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 30, Rn. 10. 574 Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 575 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2446) geändert worden ist. 576 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4123 – 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2446) geändert worden ist.
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Anlass für eine Auflösung einer Aktiengesellschaft und einer Genossenschaft ist nach den §§ 396 I 1 AktG und 81 I 1 GenG u. a. das „gesetzwidrige Verhalten“ eines Verwaltungsträgers bzw. nach § 62 I GmbHG bei einer GmbH das „Fassen gesetzeswidriger Beschlüsse“ der Gesellschafter oder das wissentliche Geschehenlassen „gesetzwidriger Handlungen“ der Geschäftsführer durch die Gesellschafter. Nach allgemeiner Auffassung ist gesetzwidriges Verhalten im Sinne der genannten Vorschriften die Verletzung einer jeden Ge- oder Verbotsnorm des geltenden Rechts.578 Demnach kann man auch Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohte Handlungen, quasi-vorwerfbare Handlungen oder Verletzung einer gesetzlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren unter den Begriff der gesetzwidrigen Handlung subsumieren. Die Auflösung eines Verbandes hat einen tauglichen Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Auflösung eines Verbandes müsste eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs sein. Die Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG besteht nicht in einer Nachteilszufügung dergestalt, dass der Verband unmittelbar seine Rechtspersönlichkeit und seine Repräsentanten sowie Gesellschafter ihre Rechte und Pflichten einbüßen würden. Durch die Auflösungsentscheidung tritt der Verband vielmehr in ein Abwicklungs- bzw. Liquidationsverfahren ein, in dem sich der Zweck des Verbandes und teilweise die Rechte und Pflichten der Repräsentanten und Gesellschafter ändern: Eine Nachteilszufügung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG besteht darin, dass der Gesellschaftszweck von Betrieb eines Unternehmens in Abwicklung der Gesellschaft geändert wird.579 Die Nachteilszufügung besteht also darin, dass der Verband gezwungen wird, seine Geschäfte auf die Beendigung des Verbandes auszurichten. Außerdem findet eine Nachteilszufügung bei der Auflösung einer Aktiengesellschaft gem. § 396 I 1 AktG dergestalt statt, dass sich der rechtliche Status der Vorstandsmitglieder in denjenigen der Abwickler ändert (vgl. § 396 II 1 AktG i.V.m. § 265 I AktG). Als Abwickler haben sie zwar weiterhin die Rechte und Pflichten inne, die sie zuvor auch als Vorstandsmitglieder hatten (vgl. § 268 II 1 AktG), ihnen ist aber insbesondere zusätzlich die Pflicht auferlegt, die Gesellschaft zu beenden (vgl. § 268 I 1 AktG). Die Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder bleiben demgegenüber unberührt. 577 Genossenschaftsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2230), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2541) geändert worden ist. 578 Schürnbrand, in: Goette/Habersack/Kalss, Band 6, § 396, Rn. 7; Limpert, in: Fleischer/ Goette, § 62, Rn. 19; Geibel, in: Henssler/Strohn, § 81 GenG, Rn. 1. 579 Zur Aktiengesellschaft: Schäfer, § 44, Rn. 4; zur GmbH: Schäfer, § 37, Rn. 4; zur Genossenschaft: Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, § 78, Rn. 2; Steding, S. 157 f.; K. Schmidt meint hingegen, dass sich der Verbandszweck auch nicht durch die Auflösungsentscheidung ändert: K. Schmidt, S. 313.
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Bei der Auflösung einer GmbH gem. § 62 I GmbHG findet eine Nachteilszufügung dergestalt statt, dass sich der rechtliche Status der Vorstandsmitglieder in denjenigen der Liquidatoren ändert (vgl. § 66 I GmbHG). Als Liquidatoren haben sie aber im Wesentlichen noch die gleichen Rechte, die sie zuvor als Geschäftsführer hatten (vgl. §§ 69 I, 71 IV GmbHG). Ihnen ist aber insbesondere zusätzlich die Pflicht auferlegt, die GmbH zu beenden (vgl. § 70 GmbHG). Schließlich ist auch bei der Auflösung einer Genossenschaft gem. § 81 I 1 GenG eine Nachteilszufügung dergestalt festzustellen, dass der rechtliche Status des Vorstandes sich in denjenigen der Liquidatoren ändert (vgl. § 83 I GenG). Dabei gilt ebenfalls, dass die nunmehr Liquidatoren ihre bisherigen Rechte und Pflichten behalten (vgl. § 89 GenG), sie aber darüber hinaus nunmehr mit der Pflicht belastet sind, die Genossenschaft zu beenden (vgl. § 88 S. 1 GenG). Demgegenüber bleiben die Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder unberührt. Den Gesellschaftern, die weder die Geschäfte des Verbandes noch die Aufsicht über den Verband führen, wird eine Nachteilszufügung dergestalt zugefügt, als dass sie erdulden müssen, dass ihre zeitlich unbefristete bzw. planmäßig befristete Gesellschafterstellung unplanmäßig bis zur Beendigung des Verbandes befristet wird. Die Auflösung eines Verbandes nach den infrage stehenden Vorschriften enthalten Nachteilszufügungen und somit Maßnahmen im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Auflösung eines Verbandes knüpft nach allen infrage stehenden Vorschriften zumindest an eine Gefahr für das „Gemeinwohl“ an, vgl. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG, 81 I 1 GenG. Die Auflösung dient also dem Schutz der Allgemeinheit im Sinne eines präventiv-gefahrenabwehrenden Sanktionszwecks.580 Der Schutz der Allgemeinheit steht hier im Zusammenhang mit einer Verhaltenssteuerung, denn durch die Auflösung sollen langfristig das Gemeinwohl gefährdende Verhaltensweisen der Verwaltungsträger beendet werden.581 Demnach ist die Auflösung eines Verbandes also auch präventiv-verhaltenssteuernd. Auch wenn ein gesetzwidriges Verhalten Schuld voraussetzt, wird aus der Maßnahme keine repressive Sanktion. Dies ergibt sich aus der besonderen Betonung der Gemeinwohlgefährdung in den §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG, 81 I 1 GenG. Die Auflösung eines Verbandes verfolgt also Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG ist demnach Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. 580
Schürnbrand, in: Goette/Habersack/Kalss, § 396, Band 6, Rn. 1; Limpert, in: Fleischer/ Goette, § 62, Rn. 2; Geibel, in: Henssler/Strohn, § 81 GenG, Rn. 1. 581 Da aufgrund des allgemeinen gesetzlichen Mechanismus die sich widerrechtlich verhaltenden Vorstandsmitglieder in die Rolle der Abwickler bzw. Liquidatoren einrücken und weiterhin die Gefahr besteht, dass diese Zuwiderhandlungen begehen werden, besteht bei einer Auflösung nach § 396 I 1 AktG und § 81 I 1 GenG die Möglichkeit, diese Abwickler und Gesellschafter auf Antrag der Verwaltungsbehörde durch gerichtlichen Beschluss abzubestellen und neue Abwickler und Gesellschafter zu bestellen, vgl. § 396 II 2 AktG, § 82 II 2 GenG. Eine solche Möglichkeit besteht bei der Auflösung einer GmbH nicht.
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cc) Entziehung der Rechtsfähigkeit eines wirtschaftlichen Vereines gem. § 43 BGB Gem. § 43 BGB kann wirtschaftlichen Vereinen die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn diese Zwecke verfolgen, die nicht in der Satzung bestimmt sind. Möglicherweise könnte ein wirtschaftlicher Verein, der die Begehung von Ordnungswidrigkeiten bezweckt, nach § 43 BGB aufgelöst werden. Man könnte die Auffassung vertreten, dass ein Verein, der verbotene Zwecke verfolgt, stets satzungsfremde Zwecke verfolgt: Stünden die verbotenen Zwecke in der Vereinssatzung, dann wäre die Satzung rechtswidrig; stünden die verbotenen Zwecke (wie zu erwarten) nicht in der Satzung, dann würde der Verein satzungsfremde Zwecke verfolgen. Gleichwohl ist eine solche Auffassung jedoch zu verneinen. § 43 BGB ist dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift nur dann anzuwenden ist, wenn der Verein satzungsfremde wirtschaftliche oder ideelle Zwecke verfolgt, die erlaubt sind.582 Der Gesetzgeber hat durch die letzte Änderung des § 43 BGB solche Tatbestände gestrichen, die eine Entziehung der Rechtsfähigkeit bei gesetzeswidrigen und gemeinwohlgefährdenden Beschlüssen und Vorstandsverhalten ermöglicht haben. Dies hat er damit begründet, dass die Entziehung der Rechtsfähigkeit kein geeignetes Mittel ist, um gesetzeswidrige und gemeinwohlgefährdende Beschlüsse und Vorstandsverhalten zu verhindern, weil auch nach der Entziehung der Rechtsfähigkeit weiterhin die Gefahr besteht, dass der nichtrechtsfähige Verein solche Verhaltensweisen fortsetzt.583 Es sollte solchen Verhaltensweisen nur noch durch das öffentliche Vereinsrecht, d. h. das VereinsG, begegnet werden.584 Dementsprechend enthält auch § 17 VereinsG eine entsprechende Verweisung auf den wirtschaftlichen Verein. Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohte Handlungen und quasi-vorwerfbare Handlungen sind gesetzeswidrige Verhaltensweisen. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich des § 43 BGB nicht eröffnet. Eine entsprechende Anwendung von §§ 3, 17 VereinsG auf die infrage stehende Konstellation ist ebenfalls nicht möglich.585 Demnach ist die Entziehung der Rechtsfähigkeit gegenüber einem wirtschaftlichen Verein gem. § 43 BGB keine Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs.
582 Schöpflin, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, § 43, Rn. 2, Stand: 15. 06. 2017; a.A. Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 30, Rn. 10. 583 Regierungsentwurf zum Gesetz zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen, BT-Drs. 16/12813, S. 11. 584 Regierungsentwurf zum Gesetz zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen, BT-Drs. 16/12813, S. 11. 585 Siehe oben Kapitel B. I. 2. k) aa).
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
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dd) Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen gem. § 49 RStV und § 24 JMStV Die Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen586 gem. § 49 IV 1 RStV587 oder § 24 VI 1 JMStV knüpft an eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Vorschrift gem. § 49 I RStV bzw. § 24 I, II JMStV an.588 Als Bußgeldentscheidungen589 kommen Geldbuße, Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG und Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG in Betracht. Eine Einziehungsentscheidung im Sinne des § 22 OWiG kann kein Anlass für eine Anordnung nach § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV sein, weil § 49 RStV keine Einziehung von Gegenständen regelt (vgl. § 22 I OWiG). Eine Verbandsauflösung gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG kann auch kein Anlass für eine Anordnung nach § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV sein, weil die Auflösungsentscheidung nicht Gegenstand einer Bußgeldentscheidung ist.590 Geldbuße und Verbandsgeldbuße knüpfen an eine Ordnungswidrigkeit,591 die Einziehung des Wertes von Taterträgen kann auch an eine mit Geldbuße bedrohte Handlung anknüpfen.592 Als Anlass einer Anordnung gem. § 49 IV 1 RStVoder § 24 VI 1 JMStV kommen demnach Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen in Betracht. Die Anordnung gem. § 49 IV 1 RStV bzw. § 24 VI 1 JMStV hat einen tauglichen Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen enthält eine Nachteilszufügung dergestalt, dass der Veranstalter eines Rundfunkprogramms – dies kann, muss aber nicht ein Verband593 sein – verpflichtet ist, die rechtskräftige Bußgeldentscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit gem. § 49 I RStV bzw. § 24 I, II JMStV in seinem Rundfunkprogramm zu verbreiten. Demnach wird eine Handlungspflicht gegenüber dem Rundfunkveranstalter begründet und seine Handlungsmöglichkeiten werden eingeschränkt. Es liegt demnach Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. 586 Im Gesetzestext heißt es einer „rechtskräftigen Entscheidung in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren“. Nach allgemeiner Auffassung ist hiermit die Bußgeldentscheidung i.S.d. §§ 89 ff. OWiG gemeint, vgl. Krone, in: Spindler/Schuster, § 49 RStV, Rn. 43 f.; Kremer, in: Hahn/Vesting, § 49, Rn. 66 ff.; a.A. Mitsch, in: Gersdorf/Paal, § 49 RStV, Rn. 77, Stand: 01. 05. 2017. Siehe zum Begriff der Bußgeldentscheidung oben Kapitel B. I. 2. g). 587 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien vom 31. Dezember 1991, zuletzt geändert durch Art. 3 Fünfzehnter Rundfunkänderungsvertrag vom 15. Dezember 2010. 588 Vergleichbare Vorschriften finden sich in § 51 V LMG BW, § 58 II und § 60 IV MStV Bbg, § 11 I 3, 4 HPRG, § 20 II 3 und § 67 IV RundfG MV, § 11 V MedienG Nds, § 27 III und § 36 VII LMG Rh.-Pf., § 63 IV MedienG SA, § 65 IV SMG, § 53 IV ThürLMG. 589 Siehe zum Begriff der Bußgeldentscheidung oben Kapitel B. I. 2. g). 590 So auch Kremer, in: Hahn/Vesting, § 49, Rn. 53. 591 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a) und Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). 592 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg). 593 Siehe zum Begriff des Verbandes oben Kapitel B. I. 2. b) aa) (1).
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Der Zweck der Anordnung ist u. a. die Verstärkung der Sanktions- und Warnfunktion der Bußgeldentscheidungen.594 Die Anordnung teilt demnach die zugrundeliegenden Zwecke einer Geldbuße, Verbandsgeldbuße oder der Einziehung des Wertes von Taterträgen. Da Geldbuße595, Verbandsgeldbuße596 und Einziehung des Wertes von Taterträgen597 Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs verfolgen, verfolgt demnach auch die Anordnung gem. § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen gem. § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV ist Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. ee) Änderung und Aufhebung von Zahlungserleichterungen Im Ordnungswidrigkeitenverfahren können verschiedene Entscheidungen getroffen werden, die zur Zahlung eines Geldbetrages verpflichten.598 Für diese Entscheidungen können Zahlungserleichterungen gewährt werden, z. B. gem. §§ 18, 93 OWiG für Geldbußen, gem. Art. 7 EGStGB599 für Ordnungsgelder oder gem. § 93 III 2 OWiG für Verfahrenskosten. Sofern die Zahlungserleichterung einen Gegenstand einer Bußgeldentscheidung600 betrifft, so können diese mit der Bußgeldentscheidung gem. § 18 OWiG oder nachträglich nach § 93 OWiG gewährt werden. Für die Abführung des Mehrerlöses gem. §§ 8 ff. WiStG und die Verfahrenskosten können nur nachträglich Zahlungserleichterungen gewährt werden, §§ 93 III 2, 99 I 1 OWiG. Für Zahlungserleichterungen für Ordnungsgelder gilt Art. 7 EGStGB. Nach Art. 7 I 1 EGStGB kann die Entscheidung über Zahlungserleichterungen mit der Entscheidung über das Ordnungsgeld verbunden werden. Nach Art. 7 II 1 EGStGB kann eine Entscheidung über Zahlungserleichterungen aber auch nachträglich getroffen werden. Bewilligte Zahlungserleichterungen können zu Ungunsten des Betroffenen geändert oder ganz aufhoben werden. Bei Geldbußen, Nebenfolgen, die zu Geldzahlungen verpflichten und Verfahrenskosten ist die Rechtsgrundlage § 93 II OWiG. Bei Ordnungsgeldern ist die Rechtsgrundlage Art. 7 II 2 und 3 EGStGB. Diese Ände594
Kremer, in: Hahn/Vesting, § 49, Rn. 67. Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 596 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa). 597 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg). 598 Siehe zur Geldbuße Kapitel B. I. 2. a), zur Einziehung des Wertes von Taterträgen Kapitel B. I. 2. b) gg), zum Ordnungsgeld Kapitel B. I. 2. i) und zu den Verfahrenskosten Kapitel B. I. 2. c). 599 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469; 1975 I S. 1916; 1976 I S. 507), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. Juni 2017 (BGBl. I S. 1612) geändert worden ist. 600 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g). 595
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rung oder Aufhebung einer Zahlungserleichterung zuungunsten des Betroffenen könnte Sanktion sein. Die Änderung zu Ungunsten des Betroffenen oder die Aufhebung einer Zahlungserleichterung tritt aus Anlass der Nichtzahlung eines Geldbetrages ein, wodurch die rechtliche Pflicht zur Zahlung des Geldbetrages verletzt wurde. Demnach ist das Merkmal des Sanktionsbegriffs Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren erfüllt. Die nachteilige Änderung oder die Aufhebung einer Zahlungserleichterung führt zu einer intensiveren Belastung des Betroffenen einer Geldzahlungspflicht. Der Betroffene muss nun z. B. innerhalb einer kürzeren Frist, in weniger Raten oder sofort und in voller Höhe die Geldbuße zahlen. Der Verlust der Begünstigung ist eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Gewährung einer Zahlungserleichterung soll die Belastung mit einer Geldforderung – sei es Geldbuße, Geldzahlungsnebenfolge oder Verfahrenskosten – entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betroffenen senken, um so die Stärke der Zweckverfolgung der jeweiligen Geldforderung in ein verhältnismäßiges Maß zu rücken. Demnach dient die Zahlungserleichterung der verhältnismäßigen Verwirklichung der Zwecke der jeweiligen Geldforderung. Sofern eine gewährte Zahlungserleichterung aufgrund nachträglich bekannt gewordener Umstände nicht angemessen ist, so dient die nachteilige Änderung oder Aufhebung einer Zahlungserleichterung dazu, die Belastung in Anschauung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen auf ein angemessenes Maß zu erhöhen. Demnach dient umgekehrt auch die nachteilige Änderung oder Aufhebung einer Zahlungserleichterung der verhältnismäßigen Verwirklichung der Zwecke der jeweiligen Geldforderung. Einen Sanktionszweck verfolgt die nachteilige Änderung oder Aufhebung einer Zahlungserleichterung nicht. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Regelung Sanktionszwecke verfolgen wollte.601 Zwar mag im Einzelfall die nachteilige Änderung oder Aufhebung einer Zahlungserleichterung sich wie ein zusätzliches Übel für den Betroffenen darstellen oder z. B. davon abschrecken, künftig falsche Angaben hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse zu machen, jedoch sind dies allenfalls Wirkungen und keine Zwecke. Die nachteilige Änderung oder Aufhebung von Zahlungserleichterungen ist keine Sanktion.
601 Siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 115 f., Regierungsentwurf eines Einführungsgesetzes zum StGB (EGStGB), BT-Drs. VI/3250, S. 337.
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ff) Verweigerung einer Staatshaftung für Maßnahmen im Bußgeldverfahren Im Bußgeldverfahren können eine Vielzahl von Maßnahmen gegen einen Betroffenen eingeleitet werden. Wenn diese rechtswidrig sind und dadurch ein Schaden entsteht, so kann der Betroffene einen Staatshaftungsanspruch haben. In Betracht kommt, dass die Verweigerung eines staatshaftungsrechtlichen Ausgleichs Sanktion ist. (1) Verweigerung einer Entschädigung bei Verfolgungsmaßnahmen Das Strafrechtsentschädigungsgesetz602 gilt gem. § 46 I OWiG sinngemäß auch im Bußgeldverfahren (vgl. Nr. 295 RiStBV), sodass bei Vorliegen der Voraussetzungen des §§ 1 ff. StrEG von Amts wegen dem Betroffenen einer Verfolgungsmaßnahme eine Entschädigung zu gewähren ist. Der Begriff der Verfolgungsmaßnahme ist weit zu verstehen und umfasst Geldbuße sowie Nebenfolgen (bei sinngemäßer Anwendung des § 1 StrEG) und bestimmte Maßnahmen im Erkenntnisverfahren (Beschlagnahme, Arrest nach § 111e StPO und Durchsuchung bei sinngemäßer Anwendung des § 2 II Nr. 4 StrEG).603 Bei Vorliegen bestimmter Ausschluss- oder Versagungsgründe gem. §§ 5, 6 StrEG kann jedoch eine Entschädigung verweigert werden. Anlass einer Verweigerung nach § 46 I OWiG i.V.m. §§ 5, 6 StrEG kann sein, dass der Betroffene durch sein Verhalten eine Verfolgungsmaßnahme veranlasst hat. Das Verhalten des Betroffenen kann z. B. darin bestehen, dass er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur behördlichen oder gerichtlichen Vernehmung erschienen ist (§ 46 I OWiG i.V.m. § 5 III StrEG), der Betroffene also eine rechtliche Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren verletzt hat. In diesem Fall liegt ein tauglicher Anlass im Sinne des Sanktionsbegriffs vor. Daneben gibt es aber auch Anlässe, die nicht unter den Sanktionsbegriff subsumiert werden können. Dies ist z. B. nach § 46 I OWiG i.V.m. § 6 I Nr. 2 StrEG der Fall, wenn eine Entschädigung verweigert wird, weil der Betroffene nur deshalb nicht geahndet worden ist, weil er nicht schuldfähig gehandelt hat oder ein Verfahrenshindernis gegeben ist. Bestimmte Verweigerungsgründe gem. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 5, 6 StrEG erfüllen das Merkmal des Sanktionsbegriffs Verletzung einer rechtlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Verweigerung einer Entschädigung ist eine Nachteilszufügung, denn es wird dem Betroffenen die Erweiterung seiner Rechtspositionen durch Begründung eines staatshaftungsrechtlichen Anspruchs verweigert. Durch die Verweigerung einer Entschädigung ist keine Nachteilszufügung im Sinne der Herbeiführung eines 602
Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. März 1971 (BGBl. I S. 157), das zuletzt durch Artikel 6 Absatz 19 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) geändert worden ist. 603 Heidrich, in: Senge, § 110, Rn. 3.
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Vermögensschadens gegeben. Der Vermögensschaden wurde unmittelbar oder mittelbar durch die Verfolgungsmaßnahme herbeigeführt. Die Verweigerung einer Entschädigung setzt vielmehr einen Vermögensschaden fort bzw. hält einen Vermögensschaden aufrecht, der durch eine Verfolgungsmaßnahme entstanden ist. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs liegt vor. Schließlich müsste die Verweigerung einer Entschädigung Sanktionszwecke verfolgen. Der Zweck der Verweigerung einer Entschädigung besteht darin, die Staatskasse von unbilligen Entschädigungsansprüchen frei zu halten. Unbillig ist eine Entschädigung im Wesentlichen dann, wenn dem Betroffenen der Vorwurf eines Mitverschuldens gemacht werden kann, wobei sich der Gesetzgeber bewusst auf den zivilrechtlichen Mitverschuldensmaßstab im Sinne des § 254 BGB bezieht.604 Zivilrechtliches Verschulden bedeutet objektiv pflichtwidriges und subjektiv vorwerfbares Verhalten, wobei subjektiv vorwerfbares Verhalten im Sinne von Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu verstehen ist.605 Da hier kein strafrechtliches Verschulden vorausgesetzt ist, d. h. ein Vorwurf eines persönlichen Dafür- und Andershandelnkönnens, kann hier auch nicht auf einen repressiven Zweck in dem Sinne geschlossen werden, dass die Verweigerung einer Entschädigung einen entsprechenden Vorwurf vergeltet. Ein präventiver Zweck, den die Verweigerung einer Entschädigung verfolgen könnte, ist nicht erkennbar. Repression oder Prävention, die wegen einer Verweigerung eintreten, sind allenfalls als Wirkungen einzuordnen, nicht aber als Zwecke. Demnach verfolgt die Verweigerung einer Entschädigung keine Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs. Die Verweigerung einer Entschädigung gem. § 46 I OWiG i.V.m. §§ 5, 6 StrEG ist keine Sanktion. (2) Verweigerung einer Staatshaftung bei sonstigen Maßnahmen Die Entschädigung nach dem StrEG umfasst nur einen Bereich der Maßnahmen, die aus Anlass des Ordnungswidrigkeitenverfahrens angeordnet und vollzogen werden können. Sofern für andere Maßnahmen (z. B. für Vollstreckungsmaßnahmen) eine Staatshaftung begehrt wird, so kann dies nur auf Grundlage des allgemeinen Staatshaftungsrechts geschehen (z. B. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG). Die Versagung eines entsprechenden Entschädigungsanspruchs, Schadensersatzanspruchs, Öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs oder Folgenbeseitigungsanspruchs verfolgt keine Sanktionszwecke, sondern dient in letzter Konsequenz dem Zweck, den Staat von unrechtmäßigen Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüchen freizuhalten. Sofern eine Versagung auf ein Mitverschulden des Betroffenen gestützt werden kann, so gilt das zu §§ 5, 6 StrEG Gesagte entsprechend.606 604 605 606
Kunz, § 5, Rn. 64, § 6, Rn. 16 f. Grüneberg, in: Palandt, § 276, Rn. 5. Siehe oben Kapitel B. I. 2. k) ff) (1).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Die Verweigerung einer Staatshaftung bei sonstigen Maßnahmen aus Anlass eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist keine Sanktion. (3) Ergebnis Die Verweigerung einer Entschädigung ist keine Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs. gg) Eintragungen in Register Entscheidungen in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren können zu Eintragungen in Registern führen. So kann eine Entscheidung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Eintragung in das Verkehrszentralregister führen (vgl. § 28 III Nr. 3 StVG). Eine Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit nach der GewO607 oder AO kann zu einer Eintragung in das Gewerbezentralregister führen (§ 149 II Nr. 3 GewO). Entscheidungen in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren führen demgegenüber nicht zu einer Eintragung in das Bundeszentralregister (§§ 3 ff. BRZG) und nicht zu Eintragungen in das Erziehungsregister (§§ 59, 60 BRZG).608 Die Registereintragungen sind Maßnahmen, die ihren Anlass in einer Bußgeldentscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit nehmen (vgl. § 28 III Nr. 3 StVG oder § 149 II Nr. 3 GewO). Registereintragungen knüpfen also an Ordnungswidrigkeiten im Sinne des Sanktionsbegriffs an. Weiterhin müsste eine Nachteilszufügung gegeben sein. Eine solche besteht darin, dass die Zuwiderhandlungen des Betroffenen dokumentiert sind und diese Dokumentierung Gegenstand einer künftigen negativen Entscheidung einer Behörde werden kann (vgl. z. B. § 150 I Nr. 2 GewO). Allgemeiner formuliert kann die Nachteilszufügung auch so beschrieben werden, dass der Betroffene staatlichen Stellen durch die Registereintragung bekannt gemacht und so seine Privatsphäre eingeschränkt wird. Eine Nachteilszufügung und somit eine Maßnahme im Sinne des Sanktionsbegriffs kann man noch bejahen. Schließlich müsste die Registereintragung Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs verfolgen. Dies ist indes zu verneinen. Die Registereintragung dient der Dokumentierung von Fehlverhalten, um bei erneuten Verstößen mit weiteren adäquaten Maßnahmen reagieren zu können. Sanktionszwecke im Sinne des Sanktionsbegriffs verfolgt die Registereintragung jedenfalls nicht. Die Registereintragungen sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs.
607
Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), die zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2789) geändert worden ist. 608 Vgl. Bohnert, S. 69 ff.
I. Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts
157
hh) Entscheidungen über Verfahrenshandlungen und -maßnahmen Die Verfolgungsbehörde oder das Gericht können auch weitere Verfahrensentscheidungen, die nicht mit der Ermittlung des Sachverhalts zusammenhängen, der Vollstreckung einer Bußgeldentscheidung oder sonst bereits explizit angesprochenen Zwecken dienen, treffen. Es geht hier um Entscheidungen über Verfahrenshandlungen und Maßnahmen, die der Durchführung des Verfahrens dienen. So kann z. B. dem Betroffenen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens die beantragte Akteneinsicht verweigert werden gem. § 49 OWiG. Es kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 52 OWiG abgelehnt werden. Nach § 60 OWiG kann die Verwaltungsbehörde einen Wahlverteidiger nach § 138 II StPO zurückweisen. Beispielsweise ist auch die Ladung zu einer Vernehmung eine solche Verfahrenshandlung, z. B. gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 161a I 1 StPO. Daneben finden sich auch Verfahrensentscheidungen, die zu Verfahrenshandlungen zwischen Behörden oder Gericht und Behörden führen und nicht die Beziehung zwischen Verfolgungsbehörde oder Gericht und Betroffenen betreffen. So z. B. die Beteiligung einer Verwaltungsbehörde durch Mitteilung einer Anklageschrift oder eines Strafbefehls bei einem staatsanwaltschaftlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 63 II OWiG. Diese Entscheidungen oder Maßnahmen sind keine Sanktionen. Einige von ihnen sind zwar auch nachteilhaft für den Betroffenen. Jedoch haben sie keinen tauglichen Anlass, denn sie knüpfen nicht an eine Ordnungswidrigkeit usw. oder die Verletzung einer rechtlichen oder gesetzlichen Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an. So knüpft z. B. die Verweigerung des Akteneinsichtsrechts gem. § 49 OWiG tatbestandlich daran an, dass schutzwürdige Interessen Dritter überwiegen. Schließlich verfolgen diese Entscheidungen auch keine Sanktionszwecke. Die Zwecke der Verfahrensentscheidungen bzw. -maßnahmen sind vielfältig. Sie können z. B. in der Gewährleistung eines effektiven und zügigen Verfahrens dienen (z. B. § 78 I 1 OWiG) oder etwa dem Schutz von Dritten (z. B. § 49 OWiG). Entscheidungen über Verfahrenshandlungen und -maßnahmen sind keine Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs. ii) Ergebnis In diesem Abschnitt ist nur die Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG, 81 I 1 GenG und die Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen gem. § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV Sanktion im Sinne des Sanktionsbegriffs.
158
B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
k) Ergebnis Unter Maßgabe des hier verwendeten Sanktionsbegriffs sind die Geldbuße609, die Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG610, die Einziehung von Gegenständen611, die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten612, die Mindermaßnahme und Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG613, die Einziehung des Geldwertersatzes gem. § 25 OWiG614, die Verweigerung einer Entschädigung gem. § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG615, die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG616, die Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG617, das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG618, das Verbot der Jagdausübung gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG619, die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG620, die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld gem. § 56 I 2 OWiG621, Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG622, die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung623, die Vollstreckungsanordnungen nach § 98 I OWiG624, der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG625, repressiv-präventive Ordnungsmaßnahmen626, Zwangsmaßnahmen627, die Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG628 und die Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen gem. § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV629 Sanktionen im Sinne des Sanktionsbegriffs.
609 610 611 612 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 624 625 626 627 628 629
Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) cc). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ff). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ii). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) jj). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ll). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (3). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Siehe oben Kapitel B. I. 2. j). Siehe oben Kapitel B. I. 2. k) bb). Siehe oben Kapitel B. I. 2. k) dd).
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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3. Ergebnis Nach Maßgabe des hier verwendeten Sanktionsbegriffs ergeben sich verschiedene Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts.
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen In diesem Abschnitt soll geklärt werden, ob Personen mit einem der Zahl nach niedrigen Lebensalter, im Folgenden schlicht „junge Menschen“, Adressaten der herausgearbeiteten Sanktionen sein können. Zur Beantwortung dieser Frage soll erstens geprüft werden, ob junge Menschen die Anlässe der herausgearbeiteten Sanktionen verwirklichen können bzw. ob sich jugendspezifische Einschränkungen in Hinblick auf die Verwirklichung dieser Anlässe ergeben (siehe Kapitel B. II. 1.). Es soll zweitens geprüft werden, ob und in welcher Form jugendspezifische Einschränkungen bei der Nachteilszufügung und den Sanktionszwecken bestehen (siehe Kapitel B. II. 3.). Schließlich soll drittens geprüft werden, ob und in welcher Form jugendspezifische Einschränkungen im Bereich des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahrens bestehen, die unabhängig von den Anlässen der Sanktionen, ihren Nachteilszufügungen und Zwecken sind und die Anwendbarkeit einer Sanktion bereits im Vorfeld einer materiell-rechtlichen Prüfung ausschließen (siehe Kapitel B. II. 4.). Wie bereits eingangs gesagt, wird als Oberbegriff für die im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehende Personenkategorie der Begriff „junge Menschen“ verwendet. Der Begriff ist nicht im sozialrechtlichen Sinne zu verstehen, wonach er gem. § 7 I Nr. 4 SGB VIII Personenkategorien bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres umfasst.630 Der Begriff umfasst die im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gebräuchlichen Personenkategorien Kinder, Jugendliche und Heranwachsende.631 „Kinder“ sind Personen bis Vollendung des 14. Lebensjahres. „Jugendliche“ sind Personen von Vollendung des 14. Lebensjahres bis Vollendung des 18. Lebensjahres. „Heranwachsende“ sind Personen von Vollendung des 18. Lebensjahres bis Vollendung des 21. Lebensjahres. In Abgrenzung zu diesen Personenkategorien sind „Erwachsene“ alle Personen ab Vollendung des 21. Lebensjahres. Sofern im Folgenden nur auf eine oder mehrere der genannten Personenkategorien oder auf abweichende Personenkategorien in anderen Rechtsmaterien Bezug genommen wird, so wird an entsprechender Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen. Im Folgenden wird gelegentlich der Begriff der „jugendspezifischen Umstände“ verwendet werden. Dieser stellt einen Oberbegriff dar, der typische innere und äu630 631
Vgl. Regierungsentwurf zum SGB VIII, BT-Drs. XI/5948, S. 50. Siehe oben Kapitel A. II.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
ßere Umstände eines jungen Menschen kennzeichnet. Innere Umstände können die kognitive und soziale Reife sein.632 Äußere Umstände sind insbesondere die Sozialisationsbedingungen wie z. B. die Zugehörigkeit zu einer Jugendgruppe. 1. Verwirklichung der Anlässe von Sanktionen durch junge Menschen – die Tatbestandsseite In diesem Abschnitt soll geprüft werden, ob junge Menschen Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohte Handlungen, quasi-vorwerfbare Handlungen oder Verletzungen von gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren verwirklichen können.633 Die als Anlässe von Sanktionen bezeichneten Gebilde, stellen vor dem Hintergrund des rechtstheoretischen Modells einer Rechtsnorm, die sich aus Tatbestand und Rechtsfolge zusammensetzt, Tatbestände dar. Aus dem Blickwinkel der Rechtsnorm ist deshalb Prüfungsgegenstand in diesem Abschnitt nur die Tatbestandsseite. a) Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen Ordnungswidrigkeit und mit Geldbuße bedrohte Handlung werden in § 1 OWiG legaldefiniert: Die Ordnungswidrigkeit ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit Geldbuße zulässt, § 1 I OWiG. Die mit Geldbuße bedrohte Handlung ist demgegenüber eine rechtswidrige Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes im Sinne des § 1 I OWiG verwirklicht, auch wenn sie nicht vorwerfbar begangen ist, § 1 II OWiG. Der Unterschied zwischen beiden Handlungsformen ist, dass die Ordnungswidrigkeit im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sprachgebrauch eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und vorwerfbare Handlung voraussetzt, während demgegenüber die mit Geldbuße bedrohte Handlung nur nach einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Handlung verlangt.634 Im Folgenden soll geprüft werden, ob junge Menschen in diesem Sinne tatbestandsmäßig, rechtswidrig und vorwerfbar handeln können. Da wie soeben aufge-
632
Siehe hierzu vertiefend unten Kapitel B. II. 1. a) cc). Siehe oben Kapitel B. I. 1. a). 634 Die Begriffe „Ordnungswidrigkeit“ und „mit Geldbuße bedrohte Handlung“ beschreiben demnach nicht wesensverschiedene Handlungsformen. Die Begriffe stellen vielmehr unterschiedliche Stufen auf einer Skala der rechtlichen Missbilligung einer Handlung dar. Die Ordnungswidrigkeit stellt aufgrund des Vorhandenseins eines Schuldvorwurfs die höhere Stufe der rechtlichen Missbilligung dar, die mit Geldbuße bedrohte Handlung aufgrund des Fehlens eines Schuldvorwurfs die niedrigere Stufe der rechtlichen Missbilligung. 633
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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zeigt, die Ordnungswidrigkeit die mit Geldbuße bedrohte Handlung beinhaltet, können beide Handlungsformen gemeinsam dargestellt werden. aa) Tatbestandsmäßigkeit (1) Objektiver Tatbestand Im Folgenden sollen jugendspezifische Einschränkungsmöglichkeiten auf Ebene des objektiven Tatbestandes diskutiert werden. (a) Keine Einschränkungsmöglichkeit Bestimmte objektive Tatbestände und ihre Tatbestandsmerkmale können junge Menschen ohne Einschränkungen verwirklichen: So normiert z. B. § 121 I Nr. 1 OWiG als objektive Tatbestandsmerkmale, dass eine Person ein wildlebendes gefährliches Tier oder ein bösartiges Tier sich frei umher bewegen lässt. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Tatbestandsmerkmal dieses objektiven Tatbestandes von einem jungen Menschen nicht erfüllt werden könnte. (b) Einschränkung durch Rechtsreflex Es gibt aber auch objektive Tatbestände, deren Tatbestandsmerkmale junge Menschen nicht verwirklichen können, weil sie Umstände normieren, die in den Personen von jungen Menschen nicht vorkommen können. Da der Gesetzgeber diesen Ausschluss nicht beabsichtigt hat, stellt diese Ausschlusswirkung einen Rechtsreflex dar.635 So hat der Gesetzgeber geregelt, dass bestimmte Tatbestände eine besondere Eigenschaft des Handlungssubjekts voraussetzen, die junge Menschen nicht erfüllen können. So erfordert z. B. der Tatbestand des § 75 Nr. 4 FeV i.V.m. § 2 II 2 FeV, dass der Täter den für eine bestimmte Fahrzeugklasse erforderlichen Führerschein beim Führen eines Kraftfahrzeugs nicht mitführt. Die Pflicht einen Führerschein mitzuführen, trifft nur Fahrerlaubnisinhaber, §§ 4 I 1, II 1, 2 FeV. Ein Kind erfüllt in keinem Fall das erforderliche Mindestalter für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, vgl. § 10 FeV. Einem Kind kann also in keinem Fall eine Fahrerlaubnis erteilt und hierüber ein Führerschein ausgestellt werden. Demnach trifft das Kind auch nicht die Pflicht gem. §§ 4 I 1, II 1, 2 FeV, einen Führerschein mitzuführen und es kann deshalb nicht den objektiven Tatbestand des § 75 Nr. 4 FeV verwirklichen.636 Ein Tatbestandsausschluss durch Rechtsreflex ergibt sich auch dann, wenn der Gesetzgeber ein Tatbestandsmerkmal normiert hat, das junge Menschen nur in ganz ungewöhnlichen und seltenen Fällen verwirklichen. So kann z. B. den objektiven Tatbestand des § 130 OWiG nur verwirklichen, wer Inhaber eines Betriebes oder 635 636
StVG.
Köbler, S. 354. Unbeschadet ist hiervon die Verwirklichung des Tatbestandes des § 21 I Nr. 1 1. Alt.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Unternehmens ist oder für einen solchen gem. § 9 OWiG handelt. Junge Menschen können zwar Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens sein oder für einen solchen handeln. Jedoch sind dies bei jungen Menschen – und insbesondere bei Kindern – eher ungewöhnliche und seltene Zustände. (c) Einschränkung durch jugendadäquate Auslegung Nach einer Auffassung in der Literatur sind Tatbestandsmerkmale in jugendadäquater Weise restriktiv auszulegen.637 D. h. Tatbestandsmerkmale, die keinen jugendspezifischen Bedeutungsgehalt haben, sollen im Wege der Auslegung mit einem jugendspezifischen Bedeutungsgehalt belegt werden. Sofern man sich dieser Auffassung anschließt, können sich hieraus weitere Einschränkungen in Hinblick auf junge Menschen auf Ebene des objektiven Tatbestandes ergeben. So wird z. B. vorgeschlagen, wenn ein Jugendlicher eine Spielzeugpistole zu einem Diebstahl gem. § 242 I StGB oder einem Raub gem. § 249 I StGB verwendet, dass diese Spielzeugpistole nicht als Scheinwaffe und deshalb als qualifizierend im Sinne der §§ 244 I Nr. 1b, 250 I Nr. 1b StGB gewertet werden solle, was damit begründet wird, dass sich bei Jugendlichen die Spielübung aus Kindestagen fortsetze.638 Es solle auch in der Konstellation des sog. Handtaschenraubes keine Gewalt im Sinne des § 249 I StGB gegeben sein, wenn ein Jugendlicher einen Gegenstand durch eine jugendtypische sportliche Begehungsweise wegnimmt.639 Außerdem sollen Jugendgruppen nicht als Banden z. B. im Sinne des § 250 I Nr. 2 StGB gewertet werden, weil einerseits sich Jugendliche typischerweise in Jugendgruppen sozialisieren, andererseits das Bandenmerkmal vom Gesetzgeber geregelt wurde, um organisierte Kriminalität und nicht Jugendkriminalität zu bekämpfen.640 Diese Auffassung wird damit begründet, dass bestimmte Tatbestände Verhaltensweisen und Umstände berühren, die junge Menschen aus jugendspezifischen Gründen typischerweise betreffen.641 Diese Betroffenheit sei aber vom Gesetzgeber nicht bezweckt, sondern ein Rechtsreflex.642 Anders ausgedrückt, eine jugendadäquate Auslegung sei deshalb angezeigt, weil junge Menschen mit ihren jugendtypischen Verhaltensweisen, nicht die typisierte rechtliche Missbilligung verwirklichen würden, die bestimmten Tatbestandsmerkmalen zugrunde liegt.643 637 DVJJ-Extra, Nr. 5, 11 f.; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 1, Rn. 10; Sonnen, in: Diemer/ Schatz/Sonnen, § 2, Rn. 9; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30; Nothacker, Jugendstrafrecht, S. 14; Eisenberg, DRiZ 2006, S. 120; Lüderssen, bei: Jeßberger/Kreß, ZStW 2001, S. 850; das BVerfG und OLG Schleswig haben eine jugendadäquate Auslegung für verfahrensrechtliche Vorschriften bejaht: BVerfG StV 2009, 82; OLG Schleswig StV 2009, 86. 638 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30. 639 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30. 640 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30; a.A. Ellbogen/Wichmann, JuS 2007, S. 115. 641 Eisenberg, § 1, Rn. 23b, § 3, Rn. 18. 642 In diesem Sinne: Eisenberg, § 1, Rn. 23b. 643 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30.
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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Die jugendadäquate Auslegung von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen wird von einer Gegenauffassung in der Literatur abgelehnt.644 Nach dieser Auffassung müsse man die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, die keine besondere jugendspezifische Ausrichtung haben, allgemein und ohne besondere Berücksichtigung jugendspezifischer Gesichtspunkte auslegen. Die Auffassung begründet dies erstens damit, dass, sofern man ein Tatbestandsmerkmal jugendspezifisch auslegen wolle, eine Differenzierung zwischen den gängigen Altersstufen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende nicht ausreichend sei.645 Die Entwicklung eines jungen Menschen verlaufe in hohen Maße individuell.646 Deshalb wäre im Ergebnis nur eine jeweils individuelle Tatbestandsauslegung für den individuellen Täter angebracht.647 Eine individuelle Tatbestandsauslegung führe aber zweitens zu einer Auflösung der herkömmlichen Begriffsbedeutungen.648 Dies wirke sich schließlich dahingehend aus, dass der Rechtsunterworfene nicht mehr genau wissen könne, wann ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal erfüllt sei oder nicht, sodass also eine solche Auslegung nicht mit den Prinzipien der Rechtssicherheit, der Vorhersehbarkeit staatlichen Ahndens und der Internalisierungsfunktion der Sanktion zu vereinbaren sei.649 Außerdem führe sie drittens gelegentlich zu einer unsystematischen Versubjektivierung der objektiven Tatbestandsmerkmale, wenn Vorstellungen von jungen Tätern mit objektiven Tatbestandsmerkmalen verknüpft würden.650 Es bestünde viertens auch gar kein Bedürfnis für eine jugendadäquate Auslegung, denn bei einer sorgfältigen Prüfung der Vorschriften über Tatbestands-, Verbots- oder Erlaubnistatbestandsirrtum könne jugendtypischen abweichenden Vorstellungen und jugendlicher Unwissenheit ausreichend Rechnung getragen werden.651 Dann sei es vorzugswürdig, sofern sonst nicht durch eine sorgfältige Subsumtion subjektiver Umstände Abhilfe verschafft werden kann, jugendspezifische Umstände auf Seite der Rechtsfolge in der Sanktionsbemessung zu berücksichtigen.652 Schließlich könnte man fünftens gegen eine jugendadäquate 644
Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64; Laubenthal, JZ 2002, S. 813; Rössner, in: Meier/ Rössner/Schöch, § 6, Rn. 2; Rössner, in: Meier/Rössner/Trüg/Wulf, § 1, Rn. 4, § 2, Rn. 25; Schaffstein/Beulke/Swoboda, Rn. 163. 645 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64; Laubenthal, JZ 2002, S. 813. 646 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64; Laubenthal, JZ 2002, S. 813. 647 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64; Laubenthal, JZ 2002, S. 813. 648 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64; Laubenthal, JZ 2002, S. 813. 649 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64; Laubenthal, JZ 2002, S. 813. 650 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64. 651 Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 64. Man könnte den Einwand weiterentwickeln, indem man sagt, dass eine jugendadäquate Auslegung gar nicht zulässig ist, weil nur in § 12 I 1 OWiG, § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG jugendspezifische Umstände berücksichtigt werden dürften. Dem kann man nur entgegenhalten, dass es aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber die Regelungen des § 12 I 1 OWiG bzw. § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG in diesem Sinne verstanden wissen wollte, siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BTDrs. V/1269, S. 47. 652 Laubenthal, JZ 2002, S. 813.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Auslegung anführen, dass sie vor dem Hintergrund des Jugendstrafrechts entwickelt worden ist und nicht auf das Ordnungswidrigkeitenrecht passt: Im Jugendstrafrecht dient die jugendadäquate Auslegung dazu, die Strafbarkeit des jungen Menschen einzuschränken, wenn dieser wegen jugendspezifischer Umstände besonders gefährdet ist, Delikte mit hohen Unwertgehalt und deshalb hoher Strafandrohung zu verwirklichen.653 Man könnte nun argumentieren, dass die Gründe, die im Jugendstrafrecht für eine jugendadäquate Auslegung sprechen, im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht verfangen, weil einerseits keine Ordnungswidrigkeit einen derartigen Unwertgehalt wie eine Straftat aufweise und andererseits auf Ebene des Verfolgungsermessens (§ 47 I, II OWiG) Ahndbarkeitsschärfungen, die auf jugendspezifische Umstände zurückzuführen sind, ausgeschieden werden könnten, sodass es schon gar nicht zu einem verschärften Bußgeldrahmen kommt. Richtigerweise ist die Möglichkeit einer jugendadäquaten Auslegung zu bejahen. Erstens ist der Einschätzung zuzustimmen, dass junge Menschen bestimmte Tatbestandsmerkmale aufgrund bestimmter jugendspezifischer Umstände typischerweise verwirklichen und der Gesetzgeber ein solches regelmäßig nicht beabsichtigt hatte. Deshalb ist es auch rechtsmethodisch der bessere Ansatz, stets dort, wo das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals entgegen seinem Sinn und Zweck bejaht werden müsste, eine teleologische Reduktion vorzunehmen. Insbesondere kann es zweitens nicht verfangen, erst Abhilfe auf Rechtsfolgenseite bei der Sanktionsbemessung zu verschaffen; schon die Einstufung eines Verhaltens als tatbestandsmäßig entgegen der gesetzgeberischen Absicht zieht die ungerechtfertigten Bewertungen einer Handlung als rechtswidrig und schuldhaft nach sich. Außerdem kann drittens nicht das Argument überzeugen, dass durch eine jugendadäquate Auslegung die Internalisierungsfunktion der Sanktion ausgehebelt würde. Wenn ein Tatbestandsmerkmal seinem Sinn und Zweck nach nicht gegeben ist, so liegt keine Normverletzung vor und es besteht kein Bedürfnis nach einer Norminternalisierung durch Sanktion, sei die Sanktion auch nur gering. Eine Norm entgegen ihren Zweck anzuwenden, nur weil bei jungen Menschen generell ein besonderes Bedürfnis zur Norminternalisierung bestünde, ist unzulässig, weil es zu einer Benachteiligung junger Menschen gegenüber Erwachsener führt.654 Schließlich ist viertens auch die Bejahung einer Norm und die Korrektur auf Rechtsfolgenseite deshalb kein gang653 Nach Rössner und Laubenthal relativiert sich dieser Einwand vor dem Hintergrund des Strafrechts, weil die Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts die allgemeinen Rechtsfolgen verdrängen und deshalb der allgemeine Strafrahmen ohne Bedeutung sei, Rössner, in: Meier/ Rössner/Schöch, § 6, Rn. 2; Laubenthal, JZ 2002, S. 813. Jedoch verkennen sie, dass die allgemeinen Strafrahmen insoweit beachtlich bleiben, als dass sie die gesetzgeberische Bewertung einer Tat als schweres Delikt weiterhin anzeigen und diese Bewertung bei der Auswahl der Sanktion berücksichtigt werden kann. Dem steht nicht entgegen, dass das Jugendstrafrecht schwerpunktmäßig ein Täterstrafrecht ist, vgl. zur Natur des Jugendstrafrechts als Täterstrafrecht: Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 56, 298. 654 Zum Benachteiligungsverbot von jungen Menschen gegenüber Erwachsenen siehe Schöch, in: Meier/Rössner/Schöch, § 11, Rn. 29; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 61; Eisenberg, § 18, Rn. 4, 23; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 18, Rn. 6.
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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barer Weg ist, weil schon die Feststellung einer rechtswidrigen und schuldhaften Zuwiderhandlung geeignet ist, eine Internalisierungswirkung herbeizuführen, die nicht gerechtfertigt ist. Es bestehen für eine jugendadäquate Auslegung aber Grenzen und insoweit verfängt die Kritik: Eine Grenze besteht erstens dort, wo aufgrund der hohen Bestimmtheit eines Tatbestandsmerkmals kein Raum für eine Interpretation besteht und eine jugendadäquate Auslegung den natürlichen Wortsinn aushöhlen oder verkehren würde. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn der Gesetzgeber gerade ein Delikt von jungen Menschen erfassen wollte, z. B. § 75 Nr. 7, 8 FeV oder § 53 I Nr. 1 WaffG655 i.V.m. § 2 I WaffG. Eine Grenze besteht zweitens dort, wo eine jugendadäquate Auslegung ein Tatbestandsmerkmal individualisiert. Ziel der Auslegung darf es nur sein, jugendspezifische Umstände einzubringen, die alle Personen der entsprechenden Altersstufe betreffen. Der konkrete junge Mensch darf dabei nur einen Anhaltspunkt für die heranzuziehende Altersstufe geben, aber nicht Schablone für die Auslegung sein. Weiterhin darf drittens eine jugendadäquate Auslegung eines objektiven Tatbestandsmerkmals nicht an Fehlvorstellungen einer Altersstufe von jungen Menschen – erst recht nicht an einer Fehlvorstellung des konkreten jungen Menschen – anknüpfen. Hierdurch würden die Grenzen zwischen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen verwischt. Typische Fehlvorstellungen eines jungen Menschen können aber bei der Subsumtion des Vorsatzes, des Tatbestandsirrtums gem. § 11 I OWiG, des Verbotsirrtums gem. § 11 II OWiG oder des Erlaubnistatbestandsirrtums berücksichtigt werden. Fraglich ist, ob auch Heranwachsende von einer restriktiven Auslegung von Tatbestandsmerkmalen unter besonderer Berücksichtigung jugendspezifischer Umstände profitieren können. Ein solcher Ansatz erscheint auf den ersten Blick nicht abwegig, denn im frühen Erwachsenenalter ist das Vorhandensein von jugendspezifischen Umstände nicht untypisch:656 Heranwachsende befinden sich wie Jugendliche noch regelmäßig in einem Prozess der Herauslösung aus dem Elternhaus und dem Eintritt in ein eigenverantwortliches Dasein, womit erhebliche Verunsicherungen hinsichtlich der eigenen Identität und Rolle verbunden sind.657 Dieser Loslösungsprozess ist regelmäßig auch noch von der Sozialisation in Gruppen Gleichaltriger begleitet. Die Suche nach der eigenen Identität und Rolle führt auch bei Heranwachsenden regelmäßig noch zu jugendtypischen Ausprobierverhalten. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass sich jugendspezifische Umstände typischerweise auch in den Personen von Heranwachsenden beobachten lassen. Dies hat auch der Gesetzgeber
655
Waffengesetz vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970, 4592; 2003 I S. 1957), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2133) geändert worden ist. 656 Umfassend zu den Lebensbiographien junger Erwachsener mit sozialen Schwierigkeiten: Busch, S. 75 ff.; siehe auch Remschmidt, in: Junge Volljährige, S. 96 f. 657 Vgl. Busch, S. 60 f.
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so gesehen und gesetzliche Regelungen für Heranwachsende geschaffen, z. B. in § 105 JGG oder § 41 I SGB VIII. Dennoch ist eine solche restriktive Auslegung für Heranwachsende unter Beachtung jugendspezifischer Umstände für das Ordnungswidrigkeitenrecht im Ergebnis zu verneinen. Der Gesetzgeber hat auf eine ausdrückliche Regelung von Einschränkungen auf Tatbestandsseite für Heranwachsende in Hinblick auf jugendspezifische Umstände verzichtet (vgl. § 12 I OWiG658). Im Umkehrschluss sind Heranwachsende auf Tatbestandsseite wie Erwachsene zu behandeln.659 Sofern also der Täter einer Ordnungswidrigkeit oder mit Geldbuße bedrohten Handlung ein Heranwachsender ist, kommt eine jugendadäquate Auslegung von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen nicht in Betracht. Jugendspezifische Umstände können für Heranwachsende aber auf Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden.660 Als ein Beispiel für eine jugendadäquate Auslegung eines objektiven Tatbestandsmerkmals im Ordnungswidrigkeitenrecht könnte man andenken, dass das Nennen eines Fantasienamens durch ein Kind gegenüber einer Behörde kein „Machen einer falschen Angabe“ im Sinne des § 111 I OWiG ist, wenn die falsche Angabe etwa im Zusammenhang mit einem Spielverhalten oder einer gewissen Einschüchterung durch das Zusammentreffen mit einem Hoheitsträger geschieht. Überlegenswert wäre z. B. auch, ein „Betreten“ im Sinne des § 114 I OWiG zu verneinen, wenn etwa ein Kind oder Jugendlicher aus kindlichen oder jugendlichen Spiel- und Bewegungseifer eine militärische Anlage erkundet. (d) Einschränkung durch Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe Eine ähnliche Einschränkung wie durch jugendadäquate Auslegung könnte durch eine jugendadäquate Ausfüllung solcher Tatbestandsmerkmale erreicht werden, die unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten.661 Der Gesetzgeber verwendet unbestimmte 658
Siehe vertiefend zu § 12 I OWiG unten Kapitel B. II. 1. a) cc). BayObLG NJW 1972, 837; hierfür spricht auch, dass der Gesetzgeber nur im Rahmen der Rechtsfolgen i.S.d. des heutigen § 98 OWiG Gesichtspunkte der Entwicklung von Heranwachsenden erwähnt hat, siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 122; so auch Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 12, Rn. 7. 660 Siehe ausführlich unten Kapitel B. II. 3. 661 Rechtsmethodisch ist von der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals, die Ausfüllung eines Tatbestandsmerkmals zu trennen. Von Auslegung ist dann zu sprechen, wenn ein Tatbestandsmerkmal unter Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden mit einem subsumtionsfähigen Bedeutungsgehalt belegt werden kann. Demgegenüber gibt es jedoch Tatbestandsmerkmale, die durch Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden nicht mit einem subsumtionsfähigen Bedeutungsgehalt belegt werden können. Dies ist dann der Fall, wenn einem Tatbestandsmerkmal im Wege der Auslegung verschiedene Interpretationen beigemessen werden können, ohne dass einer Interpretation der Vorzug zu gewähren ist. So ist z. B. die Ausfüllung des Auffangtatbestandes der Nachstellung gem. § 238 I Nr. 5 StGB der Rechtsprechung und Wissenschaft zur näheren Ausfüllung überlassen worden, siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/3641. Dies kann aber auch dann der Fall sein, wenn die Tatbestandsmerkmale an tatsächliche Umstände des Einzelfalls 659
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Rechtsbegriffe, wenn er dem Rechtsanwender die inhaltliche Bestimmung des Rechtsbegriffs im Wege der Rechtsfortbildung überlassen möchte662 oder bestimmte Sachverhalte einer allgemeinen sowie rechtsökonomischen Regelung nicht zugänglich sind und er deshalb dem Rechtsanwender eine einzelfallbezogene Beurteilung einräumt.663 Die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.664 Jedoch im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht werfen sie vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots gem. Art. 103 II GG Probleme auf, die hier im Allgemeinen nicht weiter vertieft werden sollen.665 Die Möglichkeit der Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs mit jugendspezifischen Umständen ist zu bejahen. Es gilt hier wie bei der jugendadäquaten Auslegung sinngemäß, dass bestimmte Tatbestände junge Menschen aus jugendspezifischen Gründen typischerweise betreffen, der Gesetzgeber aber eine Betroffenheit nicht beabsichtigt hat.666 Es bestehen aber auch Grenzen bei der Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs: Erstens liegt eine Grenze dort, wo die Ausfüllung den natürlichen Wortsinn des unbestimmten Rechtsbegriffs aushöhlen oder in sein Gegenteil verkehren würde. Eine weitere Grenze liegt zweitens dort, wo der Sinn und Zweck der Gesamtregelung verkehrt würde. Die soweit benannten Grenzen der Ausfüllung verlaufen damit kongruent mit den Mindestanforderungen, die das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG an einen unbestimmten Rechtsbegriff stellt.667 Schließlich bilden drittens die Wertungen des einfachen und höherrangigen Rechts Grenzen der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs.
anknüpfen, die keiner Auslegung zugänglich sind. So knüpft z. B. das Tatbestandsmerkmal Erforderlichkeit im Sinne des § 15 II OWiG an die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls an. Zwar kann durch Auslegung die auszufüllende Gesetzeslücke präzisiert werden, was diese Gesetzeslücke ausfüllt, ist aber anhand der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Eine Auslegung der tatsächlichen Umstände ist nicht möglich, weil Gegenstand einer Auslegung nur der Gesetzestext und kein tatsächlicher Umstand sein kann. Hieraus lässt sich auch schlussfolgern, dass hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals die Methoden Auslegung und Ausfüllung nicht in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen. In diesen Fällen werden die Inhalte des Tatbestandsmerkmals durch Ausfüllung bestimmt, d. h., der Rechtsanwender entscheidet sich vor dem Hintergrund des Einzelfalls in einem Akt wertenden Erkennens für einen Bedeutungsgehalt, BVerfGE 34, 269 (286 ff.); die Ausfüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen wird oft auch als Auslegung eingestuft, obwohl dies rechtsmethodisch unpräzise ist, siehe Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 836a; Röhl/Röhl, S. 60, 633. 662 Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 835. 663 Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 836. 664 BVerfGE 14, 245 (251); 26, 41 (42 f.). 665 Vertiefend: Roxin, Band 1, § 5, H, Rn. 67 ff. 666 Vgl. zur jugendadäquaten Auslegung oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c). 667 Roxin, Band 1, § 5, H, Rn. 75; a.A. BVerfGE 14, 245 (251); 26, 41 (42 f.); krit. zum Ansatz des BVerfG, Roxin, Band 1, § 5, H, Rn. 70.
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Fraglich ist insbesondere, ob auch Heranwachsende von einer Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe unter Berücksichtigung typischer jugendspezifischer Umstände profitieren können. Dies ist zu verneinen: Es gilt hier wie in Hinblick auf die jugendadäquate Auslegung, dass aus dem Verzicht des Gesetzgebers auf eine ausdrückliche Regelung von Einschränkungen für Heranwachsende auf Tatbestandsseite zu schließen ist, dass Heranwachsende wie Erwachsene zu behandeln sind und dass deshalb jugendspezifische Umstände als Gesichtspunkt der Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs außer Betracht bleiben müssen.668 Ein Beispiel für einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff ist die „grob ungehörige Handlung“ im Sinne des § 118 I OWiG. Dieser Begriff wurde dahingehend interpretiert, dass das Nacktspazieren oder Nacktjoggen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen das Scham- und Anstandsgefühl der ungewollt mit fremder Nacktheit konfrontierten Menschen nachhaltig tangieren könne und somit als grob ungehörig sei.669 Man könnte nun überlegen, den Ausfüllungsrahmen des Begriffs grob ungehörig in Ansehung von Kindern zu reduzieren, wenn diese noch so jung sind, dass sie die gesellschaftlichen Dimensionen von Scham- und Anstandsgefühl noch nicht begreifen können. Denkbar wäre auch den Ausfüllungsrahmen des Begriffs in Ansehung von Jugendlichen zu reduzieren und entsprechende Handlungen als nicht grob ungehörig auszuscheiden, wenn diese Ausdruck typischer pubertärer Auflehnung sind. Auch die rechtliche Einstandspflicht des unechten Unterlassungsdelikts gem. § 8 OWiG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar.670 Es ist anerkannt, dass auch jungen Menschen rechtliche Einstandspflichten erwachsenen können, insbesondere gegenüber ihren Eltern.671 Da jedoch die Tatbestände im Ordnungswidrigkeitenrecht selten Angriffe auf Individualrechtsgüter bewehren, ist der Fall, dass eine Person von einer Ordnungswidrigkeit betroffen ist und ein junger Mensch es entgegen seiner rechtlichen Verpflichtung unterlassen hat, diesen Angriff abzuwehren, eher selten.672 Gleichwohl werden bei Bestimmung der Grenzen der rechtlichen Einstandspflicht jugendspezifische Umstände zu berücksichtigen sein. Weitere Beispiele in dieser Kategorie sind die Hilfsbegriffe „konkrete Lage“ und „soziale Rolle“ zur Definition der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung bei Fahrlässigkeitsdelikten.673
668 669
(310). 670
Vgl. zur jugendadäquaten Auslegung oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c). VGH Baden-Württemberg NJW 2003, 234 (235); OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 309
Vgl. Rengier, in: Senge, § 8, Rn. 21 f. Der BGH hat eine Garantenpflicht des Sohnes gegenüber seinen Vater bejaht, BGHSt 19, 167; hierzu allgemein: Eisenberg, § 1, Rn. 23a; Roxin, Band 2, § 32, A, IV, Rn. 42; Mitsch, JURA 2017, S. 798 f. 672 Vgl. Klesczewski, Rn. 108. 673 Siehe hierzu vertiefend unten Kapitel B. II. 1. b) aa) (2) (a) (aa). 671
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(2) Subjektiver Tatbestand; Einschränkung durch Subsumtion Der subjektive Tatbestand enthält beim vorsätzlichen Begehungsdelikt als zu prüfendes Tatbestandsmerkmal jedenfalls den Vorsatz gem. § 10 OWiG. Zur Feststellung des Vorsatzes müssen nach h.M. ein kognitives und ein voluntatives Element festgestellt werden.674 Da im Rahmen des Vorsatzes im besonderem Maße die individuelle Situation einer Person zu berücksichtigen ist, ist er geeignet, ohne vorhergehende jugendadäquate Auslegung oder Ausfüllung unter jugendspezifischen Gesichtspunkten, jugendspezifische Gesichtspunkte in der Subsumtion zur Geltung zu bringen.675 Voraussetzung für das Vorliegen eines kognitiven oder voluntativen Elements ist implizit das Vorliegen eines bestimmten kognitiven Entwicklungsstandes. Sofern jugendtypische kognitive Entwicklungsdefizite festgestellt werden können, die Zweifel daran entstehen lassen, dass ein junger Mensch in der Lage ist, die Umstände des objektiven Tatbestandes wahrzunehmen und zu begreifen oder sein Verhalten anhand eigener Willensentscheidungen auszurichten, so sind diese kognitiven Entwicklungsdefizite unter das kognitive oder voluntative Element zu subsumieren und der Vorsatz zu verneinen. So haben z. B. die Studien des Entwicklungspsychologen Piaget676 ergeben, dass Kinder erst im Alter zwischen 2 bis 6 Jahren zunehmend die Kausalität zwischen ihren Handlungen und Ereignissen in der Außenwelt begreifen und dies zunächst auch nur dann, wenn sie die Handlungen konkret vornehmen.677 Erst im Alter von 7 bis 11 Jahren können Kinder zunehmend die Kausalität zwischen ihren Handlungen und Ereignissen in der Außenwelt mental repräsentieren und somit Schlussfolgerungen über die Auswirkungen ihrer Handlungen ziehen, ohne die Handlungen konkret durchzuführen.678 Legt man diese Erkenntnisse zugrunde, so wird man z. B. im Sinne des § 121 I OWiG einem 8jährigen, der, um sich einen Schuh zu zubinden, die Leine eines Tieres ungesichert beiseitelegt, nicht unbedingt das Wollen unterstellen können, ein Tier sich frei umherbewegen zu lassen, wenn das Tier dann tatsächlich davonläuft. 674
Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 306. Schaffstein/Beulke/Swoboda, Rn. 163; Sonnen meint hingegen, die Anforderungen an den Vorsatz müssten zuvor noch jugendadäquat ausgelegt werden: Sonnen, in: Diemer/Schatz/ Sonnen, § 2, Rn. 10. 676 Piaget hat seine Theorie der Denkentwicklung über Jahrzehnte hinweg in einer Vielzahl von Schriften entwickelt; einen Überblick über den wesentlichen Endstand findet man in: Piaget, Abriß der genetischen Epistemologie. Einen Überblick über die Theorie und die Veröffentlichungen von Piaget findet man bei Reusser, in: Schneider/Wilkening, S. 117 ff., 181 ff.; eine kompaktere Darstellung findet sich hingegen bei Sodian, in: Hasselhorn/Schneider, S. 245 f. 677 Piaget bezeichnet die Stufe als diejenige des präoperativen Denkens: Piaget, S. 40 ff., 49 ff. 678 Diese Stufe bezeichnet Piaget als diejenige der konkreten Operationen: Piaget, S. 54 ff., 66 ff. 675
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Fraglich ist wiederum, ob jugendtypische Entwicklungsdefizite bei der Subsumtion des Vorsatzes für Heranwachsende beachtlich sind. Sofern man auch hier die Studien von Piaget zugrunde legt, so dürften sich keine jugendtypischen kognitiven Entwicklungsdefizite für Heranwachsende ergeben, denn die Denkleistung erreicht laut Piaget schon im Alter zwischen 11 bis 15 Jahren ihren Höhepunkt.679 Doch auch unabhängig hiervon, ist aus der gesetzlichen Wertung, dass Heranwachsende wie Erwachsene zu behandeln sind, zu schließen, dass jugendtypische kognitive Entwicklungsdefizite unbeachtlich sein müssen.680 Das vorstehend Gesagte gilt auch dann, wenn der subjektive Tatbestand neben dem Vorsatz besondere subjektive Tatbestandsmerkmale enthält, die im Strafrecht gemeinhin als überschießende Absicht bezeichnet werden, so z. B. die Gewerbsmäßigkeit in § 23 I StVG. Besondere jugendspezifische Gesichtspunkte lassen sich insbesondere auch im Tatbestandsirrtum gem. § 11 I OWiG verwirklichen. Hierbei kann zu berücksichtigen sein, dass ein junger Mensch einen Umstand des gesetzlichen Tatbestandes nicht kennt. Beispielsweise kann gem. § 53 I Nr. 1 WaffG i.V.m. § 2 I WaffG eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, wegen des Umgangs mit nicht erlaubnispflichtigen Waffen oder nicht erlaubnispflichtiger Munition geahndet werden.681 In diesem Zusammenhang wird ein 6jähriger nicht unbedingt wissen, dass der Besitz einer Schreckschusspistole (vgl. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 Nr. 1.3 zum WaffG), die er z. B. im elterlichen Haus gefunden oder von einem älteren Geschwisterkind überlassen bekommen hat, nicht erlaubt ist. Ein Tatbestandsirrtum kann aber auch darin bestehen, dass ein junger Mensch einen gesetzlichen Umstand zwar kennt, aber seine Bedeutung nicht begreift. In der erforderlichen sog. Parallelwertung in der Laiensphäre ist dann die parallele Sichtweise eines jungen Menschen zugrunde zu legen. (3) Ergebnis Es ist festzustellen, dass junge Menschen tatbestandsmäßig handeln können. Es können sich jedoch Einschränkungen der Ahndbarkeit auf Ebene des Tatbestandes im Wege von Rechtsreflexen, jugendadäquater Auslegung, jugendadäquater Ausfüllung oder im Wege der Subsumtion ergeben.
679 Diese letzte Stufe bezeichnet Piaget als diejenige der formalen Operationen: Piaget, S. 72 ff.; neuere neurowissenschaftliche Studien legen nahe, dass die operational-logischen Denkprozesse durchschnittlich erst im Alter von 18 Jahren und die Fähigkeit zur vorausschauenden Planung und Organisation durchschnittlich erst im Alter von 25 Jahren ihren Höhepunkt finden, vgl. Dünkel/Geng, in: FS-Kerner, S. 569, 571. 680 Vgl. zur jugendadäquaten Auslegung oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c). 681 Vgl. hierzu Heinrich, in: Joecks/Miebach, Band 8, § 53 WaffG, Rn. 2.
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bb) Rechtswidrigkeit Die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens von jungen Menschen bedingt wie auch bei Erwachsenen die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens, es sei denn, es greifen Rechtfertigungsgründe ein oder das Gesetz fordert die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit wie z. B. in § 23 Nr. 2 OWiG682. In Hinblick auf Rechtfertigungsgründe wird nicht ersichtlich diskutiert, ihre Anforderungen wegen jugendspezifischer Erwägungen zu senken, um somit Ahndbarkeiten von jungen Menschen zu vermeiden. Grundsätzlich könnten auf die Rechtfertigungsgründe auch die oben bereits vorgestellten Methoden – jugendadäquate Auslegung683 oder Ausfüllung684, Subsumtion jugendspezifischer Gesichtspunkte685 – angewendet werden. Ungeeignet erscheinen zunächst die Merkmale der Rechtfertigungslagen für eine Berücksichtigung jugendspezifischer Erwägungen, da diese entweder keinen personenbezogenen Ansatzpunkt bieten (z. B. Gegenwärtigkeit im Sinne des § 16 S. 1 OWiG) oder zu allgemein sind (z. B. Angriff im Sinne des § 15 II OWiG). Denkbar wäre, auf Ebene der Rechtfertigungshandlung jugendspezifische Erwägungen einfließen zu lassen, z. B. im Rahmen der sozialethischen Notwehreinschränkungen gem. § 15 I OWiG. Man könne überlegen, das Rechtsinstitut der Notwehrprovokation einschränkend jugendadäquat auszulegen und dem jungen Menschen das Notwehrrecht auch dann einzuräumen, wenn er einen Angriff durch jugendlichen Trotz oder Übermut provoziert hat.686 Was sich im Strafrecht noch anhand einer Schulhofprügelei für Körperverletzungsdelikte bildlich vorstellen lässt, erscheint aber vor dem Hintergrund des Ordnungswidrigkeitenrechts eher als theoretische Überlegung. Das Ordnungswidrigkeitenrecht schützt hauptsächlich überindividuelle Interessen und Rechtsgüter. Es ist deshalb kaum eine Ordnungswidrigkeit denkbar, mit der sich ein junger Mensch gegen einen anderen Menschen – d. h. einen Angreifer im Sinne des Notwehrrechts –, dem das durch die Ordnungswidrigkeit des jungen Menschen geschützte Rechtsgut zusteht, verteidigen könnte.687 Es kommt jedoch grundsätzlich in Betracht, jugendspezifische Erwägungen im Rahmen der Interessenabwägung beim Notstand gem. § 16 S. 1 OWiG zu berücksichtigen. Zwar wiegt das konkrete Gefahrabwendungsinteresse eines jungen Menschen nicht wegen jugendspezifischer Erwägungen schwerer als das Gefahrabwendungsinteresse eines Erwachsenen. Insbesondere können nicht Fehlbewertungen des jungen Menschen zu einer Anerkennung oder Aufwertung seines Gefahrabwendungsinteresses führen; Fehlvorstellungen können allenfalls als Irrtum 682 683 684 685 686 687
Siehe hierzu unten Kapitel B. II. 1. b) bb) (3). Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c). Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (d). Siehe am Beispiel des Vorsatzes oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2). Zur Notwehrprovokation im Allgemeinen: Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 521 ff. Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 9, Rn. 12.
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beachtlich sein. Jedoch ist denkbar, dass dem Gefahrabwendungsinteresse gegenüberstehende Erhaltungsinteresse – d. h. das Interesse an der Einhaltung eines Bußgeldtatbestandes – einschränkend jugendadäquat auszulegen bzw. jugendspezifisch zu subsumieren. Beispielsweise könnte ein 17jähriger Schüler durch Notstand gerechtfertigt sein, wenn er wegen eines plötzlichen Rohrbruchs zuhause auf einen Klempner warten muss und nicht zur Schule erscheint. Das „Schuleschwänzen“ ist in einigen Bundesländern eine Ordnungswidrigkeit (z. B. nach Art. 119 I Nr. 4 BayEUG688). Sofern die übrigen Voraussetzungen des § 16 S. 1 OWiG erfüllt sind, könnte im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung das Erhaltungsinteresse, d. h. das Interesse am Schulbesuch und der Einhaltung der Schulpflicht, ausnahmsweise niedriger zu bewerten sein. Als besondere jugendspezifische Erwägung könnte anzuführen sein, dass der junge Mensch einen jugendtypischen Entwicklungsstand oder einen alterstypischen Bildungsstand aufweist, sodass es keiner dringenden schulischen Einwirkung bedarf und von der Schulpflicht eine Ausnahme gemacht werden kann. Schwer vorstellbar ist demgegenüber, jugendspezifische Erwägungen einschränkend auf Ebene der subjektiven Rechtfertigungselemente einzubringen. Das subjektive Rechtfertigungselement – sofern man ein solches mit der h.M. für erforderlich hält –689 setzt voraus, dass derjenige, der einen Rechtfertigungsgrund geltend macht, einerseits in Kenntnis der rechtfertigenden Umstände und andererseits mit einem besonderen Willen (z. B. Verteidigungswillen im Falle der Notwehr) handelt. In Anlehnung an die Überlegungen zum subjektiven Tatbestand wäre allenfalls überlegenswert, junge Menschen, die aufgrund kognitiver Entwicklungsdefizite nicht in der Lage sind zu begreifen, dass rechtfertigende Umstände vorliegen oder dass ihr Wille zum Angriff in eine billigenswerte Verteidigungssituation gemündet ist, vom Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements zu befreien.690 Diese Überlegung ist aber auch eher theoretischer Natur, denn in aller Regel wird bei solchen kognitiven Entwicklungsdefiziten schon der subjektive Tatbestand nicht erfüllt sein. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass junge Menschen rechtswidrig handeln können. cc) Vorwerfbarkeit Eine ausdrückliche Einschränkung der Ahndbarkeit von jungen Menschen ergibt sich aus der Verantwortlichkeit aus Altersgründen, die in § 12 I OWiG geregelt ist. § 12 I 1 OWiG ordnet für Kinder an, dass sie nicht verantwortlich sind und somit 688 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen in der Fassung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414), zuletzt geändert durch § 3 des Gesetzes vom 12. Juli 2017 (GVBl. S. 362). 689 Vgl. zum Meinungsspektrum hinsichtlich eines subjektiven Rechtfertigungselements: Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 401 ff. 690 Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2).
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nicht vorwerfbar handeln können. Die Verantwortlichkeit von Jugendlichen ist hingegen gem. § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG positiv festzustellen.691 Während § 12 I 1 OWiG die Verantwortlichkeit des Kindes anhand einer starren Altersgrenze bestimmt, macht § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG die Verantwortlichkeit des Jugendlichen einerseits von der Fähigkeit abhängig, nach seiner geistigen und sittlichen Reife, das Unrecht einer Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) und andererseits entsprechend dieser Einsicht sein Verhalten zu kontrollieren (Steuerungsfähigkeit). Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hängen in § 12 I OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG jeweils von der „geistigen“ und „sittlichen Reife“ ab.692 Geistige Reife im Sinne der Einsichtsfähigkeit bedeutet, dass der junge Mensch in der Lage ist, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden bzw. im Sinne der Steuerungsfähigkeit eine Entscheidung für das Recht anhand rationaler Maßstäbe zu treffen.693 Der Begriff der geistigen Reife umfasst den kognitiven Entwicklungsstand, d. h. im Wesentlichen die neurobiologischen und psychologischen Grundlagen Informationen, über die Außenwelt aufzunehmen, sie ihrem sozialen Sinn entsprechend zu begreifen und in Beziehung zu bereits vorhandenen Informationen zu stellen und schließlich aufgrund der Informationslage zu entscheiden.694 Sittliche Reife bedeutet hingegen, dass die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht im Sinne der Einsichtsfähigkeit bzw. die Entscheidung für das Recht im Sinne der Steuerungsfähigkeit in der Gefühlswelt des jungen Menschen verankert ist.695 Die sittliche Reife umfasst demnach den sozialen Entwicklungsstand, d. h. im Wesentlichen die Kenntnis der adäquaten Verhaltensweisen und Regeln in einer sozialen Gruppe.696 Die Kenntnis der sozialen Regeln ist hier aber nicht dahingehend zu verstehen, dass der junge Mensch etwa konkrete Strafnormen kennt, sondern es genügt, dass der junge Mensch eine Rechtsgutsverletzung und ihre Sozialschädlichkeit gefühlsmäßig erkennt.697 Die Begriffe „Reife“ und „Entwicklungsstand“ implizieren, dass es sich bei Verantwortlichkeit um einen Zustand handelt, der nicht angeboren ist, sondern sich 691
Nach Fromm würden die Bußgeldstellen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten diesen Prüfungspunkt in der Regel übergehen und die Verantwortlichkeit unterstellen, Fromm, NZV 2016, S. 58. 692 Meier, in: Meier/Rössner/Schöch, § 5, Rn. 11; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 6, 10; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 34, 36. 693 Eisenberg, § 3, Rn. 16, 17; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 6, 10; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 36, 38. 694 Vgl. Eisenberg, § 3, Rn. 16; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 6, 10. 695 Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 6; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 36. 696 Eisenberg, § 3, Rn. 15; vgl. Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 6. Anhaltspunkte für die Entwicklung der sittlichen Reife kann die Theorie der Moralentwicklung von Kohlberg liefern, siehe: Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung. Da jedoch die Reife vor dem Hintergrund einer spezifischen Rechtsgutsverletzung zu bestimmen ist, erweist sich die Theorie zur Feststellung der Verantwortlichkeit im Einzelfall als zu allgemein und unbrauchbar. Siehe zu den Umständen der Bestimmung der Reife sogleich in diesem Kapitel. 697 Eisenberg, § 3, Rn. 15; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 6 f.; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 36 f.
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entwickelt. Reife wird dabei in der Rechtswissenschaft nicht als Erreichen eines Endzustandes im klassischen biologischen Sinne verstanden.698 Reife liegt im Kontext des § 12 I OWiG vor, sobald die kognitiven und sozialen Umstände ein Mindestmaß erreicht haben, in dem Unrechtseinsicht und Hemmungsvermögen feststellbar ist.699 Dieses Mindestmaß an Unrechtseinsicht bzw. Hemmungsvermögen ist kein absoluter Wert, sondern es hängt stets von der für ein bestimmtes Delikt in Betracht kommenden konkreten Rechtsgutsverletzung ab.700 Demnach ist Reife nicht nur vom individuellen Stand der geistigen und sittlichen Entwicklung abhängig, sondern auch von dem konkreten infrage stehenden Tatbestand und der in ihm normierten spezifischen Rechtsgutsverletzung. Hinsichtlich der normierten spezifischen Rechtsgutsverletzungen ergeben sich vor dem Hintergrund des Ordnungswidrigkeitenrechts Besonderheiten:701 Die Rechtsgüter, die das Ordnungswidrigkeitenrecht schützt, und die normierten Verletzungshandlungen sind oftmals von komplexerer Natur, da sie weniger zentrale Lebensbereiche betreffen. Sie sind damit oftmals gefühlsmäßig schwieriger zu erfassen. Bei der Prüfung der sittlichen Reife ist deshalb für jedes Delikt das geschützte Rechtsgut und seine Verletzungshandlung genau festzustellen und zu prüfen, ob diese von einem jungen Menschen gefühlsmäßig erfasst werden kann.702 Ein Indiz hierfür wird sein, wie sehr ein konkretes Delikt im Lebensbereich des jungen Menschen beheimatet ist oder sich dieses konkrete Delikt für ihn als lebensfremd darstellt.703 So wird ein Jugendlicher bei einer Ordnungswidrigkeit, die in der Störung der Nachtruhe besteht, wie es in §§ 17 I e), 9 I LImschG NRW704 der Fall ist, eher in der Lage sein, das geschützte Rechtsgut – ungehinderte Schlafen und Ausruhen einer Person –705 und seine konkrete Verletzungshandlung – das Hervorrufen lauter Geräusche – gefühlsmäßig zu erfassen. Demgegenüber wird ein Jugendlicher 698 Zum Begriff der Reife im klassischen biologischen Sinne, siehe Lexikon der Biologie: http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/reife/56077, zuletzt aufgerufen: 31. 08. 2017. 699 Nach Eisenberg ist Reife weder mess- noch berechenbar, Eisenberg, § 3, Rn. 9; siehe eine Auflistung zu Beurteilungskriterien in: Eisenberg, § 3, Rn. 10 ff. 700 Es sind hier die Grundsätze, die der BGH zur Verbotskenntnis im Sinne des § 17 StGB formuliert hat entsprechend anzuwenden, vgl. hierzu BGHSt 15, 377 (383); Ostendorf will für die Unrechtseinsicht darauf abstellen, ob die Unrechtstaten in der Lebenswelt des Jugendlichen beheimatet seien oder sich für ihn als lebensfremd darstellen würden, Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 37. 701 Nach heute unbestrittener Auffassung dient auch das Ordnungswidrigkeitenrecht dem Rechtsgüterschutz, siehe Roxin, Band 1, § 2, E, Rn. 60 ff.; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 3, Rn. 9. 702 So auch Rengier, in: Senge, § 12, Rn. 6; Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, § 12, Rn. 8, Stand: 14. Lfg., Februar 2009; siehe auch Bohnert, S. 21 ff. 703 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 37. 704 Gesetz zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (Landes-Immissionsschutzgesetz – LImschG -) vom 18. März 1975, (GV. NW. S. 232), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 5. Juli 2011 (GV. NW. S. 358). 705 In diesem Sinne: OLG Düsseldorf NVwZ 1991, 815 (816); Boisserée/Oels/Hansmann, § 9 LImschG NRW, Rn. 1, Stand: 30. Erg.-Lfg., Januar 1998.
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bei einer Steuerordnungswidrigkeit gem. § 378 I 1 AO das geschützte Rechtsgut – Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer –706 und seine Verletzungshandlung – z. B. das Machen von unrichtigen oder unvollständigen Angaben – gefühlsmäßig eher nicht erfassen können.707 Wie bereits gesagt hat der Gesetzgeber auf eine ausdrückliche Regelung von Einschränkungen für Heranwachsende auf Tatbestandsseite verzichtet und insbesondere § 12 I OWiG ist nicht auf Heranwachsende anwendbar. Unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber in § 12 I OWiG das jugendstrafrechtliche System der Verantwortlichkeit (§ 19 StGB bzw. § 10 StGB i.V.m. § 3 S. 1 JGG) nachgebildet hat, wäre eine Ausdehnung des § 12 I 1 OWiG oder § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG auf Heranwachsende auch systemwidrig.708 Weiterhin können im Wege der Subsumtion z. B. jugendspezifische Umstände im Rahmen der subjektiven Fahrlässigkeitselemente eingebracht werden.709 Die jugendtypische Unkenntnis oder Falschauslegung von Verbotsnormen kann nicht in der Subsumtion des Verbotsirrtums gem. § 11 II OWiG realisiert werden, denn diese sind Gegenstand der sittlichen Reife und damit bereits abschließend in der Verantwortlichkeit gem. § 12 I OWiG geregelt.710
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Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, § 370, Rn. 2. Als weitere Beispiele dafür, dass Jugendliche eher nicht das geschützte Rechtsgut und die konkrete Verletzungshandlung einer Ordnungswidrigkeit gefühlsmäßig erfassen können, können § 334 I HGB oder § 98 AufenthG genannt werden: § 334 I HGB schützt als Sonderdelikt der Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs oder des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft das Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen über die Verhältnisse der Gesellschaft, Dannecker, in: Staub, § 334, Rn. 18; die Verletzungshandlungen des § 334 I HGB sind im Wesentlichen das Erstellen unrichtiger oder unvollständiger Bilanzen, Abschlüsse und Berichte. § 98 AufenthG schützt die Kontroll- und Steuerungsfunktion des ausländerrechtlichen Genehmigungsverfahrens, Gericke, in: Joecks/Miebach, Band 8, § 98 AufenthG, Rn. 1; die Verletzungshandlungen des § 98 AufenthG umfassen z. B. die Nichtvorlage von bestimmten Urkunden (vgl. § 98 I Nr. 3 AufenthG). 708 Im Übrigen wäre eine materiell-rechtliche Vorschrift wie § 105 JGG im Ordnungswidrigkeitenrecht sinnlos, weil das Ordnungswidrigkeitenrecht für Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene unterschiedslos Geldbuße androht, so auch Rengier, in: Senge, § 12, Rn. 15; Gürtler, in: Göhler, § 12, Rn. 7. Denkbar wäre, die Regelungen über die Verantwortlichkeit gem. § 12 I OWiG auf Heranwachsende de lege ferenda auszudehnen und somit Heranwachsende im Jugendstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht ungleich zu behandeln. Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist nicht mehr nur ein Mittel zur Handhabung von Bagatellunrecht, sondern auch zur Handhabung sehr spezieller Lebensbereiche. Ausgehend von diesen sehr speziellen Lebensbereichen, schützt das Ordnungswidrigkeitenrecht teilweise auch sehr spezielle Rechtsgüter, die gefühlsmäßig viel schwerer zu erfassen sind, als die Rechtsgüter des Kernstrafrechts. Vor diesem Hintergrund ließe sich eine Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen. 709 Siehe unten Kapitel B. II. 1. b) aa) (2) (b). 710 Eisenberg, § 3, Rn. 32. 707
176
B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Die Sperrwirkung des § 12 I OWiG muss dann konsequenterweise auch für den Erlaubnisirrtum und den Erlaubnisgrenzirrtum gelten, wenn diese durch einen Mangel an sittlicher Reife bedingt sind.711 Innere Umstände eines jungen Menschen, die sich im Rahmen des jugendtypischen Reifungsprozesses halten, können auch nicht unter den Tatbestand der Verantwortlichkeit bei seelischer Störung gem. § 12 II OWiG subsumiert werden, denn sie sind ebenfalls abschließend in § 12 I OWiG geregelt.712 § 12 II OWiG erfasst nur psychopathologische Umstände, die über den jugendtypischen Reifungsprozess hinausgehen.713 Keine Sperrwirkung entfaltet § 12 I OWiG grundsätzlich für den Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn man diesen als einen Tatbestandsirrtum im Sinne des § 11 I 1 OWiG qualifiziert, der – sofern man der eingeschränkten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie714 folgt – in analoger Anwendung der Rechtsfolge des § 11 I 1 OWiG die Vorsatzschuld und somit die Vorwerfbarkeit ausschließt. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum setzt voraus, dass der Täter irrig die sachlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes annimmt und auch mit einem entsprechenden besonderen Willen (z. B. Rettungswillen im Falle des Notstands gem. § 16 OWiG) handelt. Beispielsweise könnte ein junger Mensch aufgrund eines kognitiven Entwicklungsdefizits fehlerhaft ein harmloses Verhalten als einen Angriff im Sinne des § 15 II OWiG qualifizieren. Beispielhaft könnte auch die fehlerhafte Güterabwägung eines jungen Menschen im Rahmen des § 16 S. 1 OWiG beachtlich sein; aber auch nur, wenn die fehlerhafte Güterabwägung nicht auf einen Mangel an sozialer Reife zurückzuführen ist, wofür wiederum § 12 I OWiG lex specialis wäre. Denkbar ist schließlich auch, den Entschuldigungsgrund des Notwehrexzesses gem. § 15 III OWiG jugendadäquat auszulegen bzw. jugendspezifisch zu subsumieren. Verteidigt sich ein Mensch intensiver als erforderlich, dann handelt er rechtswidrig. Die Rechtsordnung entschuldigt sein Verhalten jedoch gem. § 15 III OWiG, wenn er aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sog. asthenische Affekte) handelt. Junge Menschen haben aufgrund ihres Lebensalters weniger Lebenserfahrung als Erwachsene und neigen auch in aller Regel zu einer fantasievolleren Vorstellungswelt. Demzufolge ist es auch nicht auszuschließen, dass fernab eines kognitiven Entwicklungsdefizits oder fehlender sozialer Reife, den jungen Menschen eher als einen Erwachsenen Verwirrung, Furcht oder Schrecken überkommen und zu einer exzessiven Notwehrausübung verleiten. Gleichwohl gilt auch wie beim Erlaubnistatbestandsirrtum, dass wenn die exzessive Notwehrausübung durch einen Mangel an sozialer Reife bedingt ist, § 12 I OWiG lex specialis ist. 711
Zum Erlaubnis- und Erlaubnisgrenzirrtum: Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 708 ff. Eisenberg, § 3, Rn. 33. 713 Eisenberg, § 3, Rn. 33. 714 BGH NStZ 2012, 272; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 704 f.; Rengier, § 30, Rn. 20; Krey/ Esser, Rn. 745; siehe zum Spektrum der verschiedenen Auffassungen zum Erlaubnistatbestandsirrtum: Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 694 ff. 712
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Kinder nicht vorwerfbar handeln können. Jugendliche und Heranwachsende können vorwerfbar handeln. dd) Objektive Bedingungen der Ahndbarkeit Bestimmte Ordnungswidrigkeiten setzen Bezugstaten als objektive Bedingungen der Ahndbarkeit voraus, so z. B. § 122 OWiG eine Rauschtat. Diese Bezugstaten müssen selbst tatbestandsmäßig und rechtswidrig sein. Für sie gelten die obigen Ausführungen zur Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit entsprechend. ee) Ergebnis Es ist festzustellen, dass Kinder nur tatbestandsmäßig und rechtswidrig handeln können. Sie können somit nur mit Geldbuße bedrohte Handlungen verwirklichen. Jugendliche und Heranwachsende können tatbestandsmäßig, rechtswidrig und vorwerfbar handeln. Sie können somit also mit Geldbuße bedrohte Handlungen und Ordnungswidrigkeiten verwirklichen. Hingewiesen sei an dieser Stelle noch ausdrücklich darauf, dass Jugendliche und Heranwachsende auch Ordnungswidrigkeiten versuchen können, wenn das Gesetz den Versuch ausdrücklich ahndet (§ 13 II OWiG). Die Versuchsahndbarkeit setzt verschiedene Elemente voraus, die auch unter jugendspezifischen Gesichtspunkten eingeschränkt werden können. Denkbar ist, z. B. im Tatentschluss den Vorsatz unter Berücksichtigung des kognitiven Entwicklungsstandes des Jugendlichen zu subsumieren und ggf. zu verneinen. b) Quasi-vorwerfbare Handlungen Die Handlungsform der quasi-vorwerfbaren Handlung gem. § 23 OWiG ist ein Oberbegriff für beihilfeähnliche (Nr. 1) oder hehlereiähnliche (Nr. 2) Handlungen, durch die sich eine Person in die Tat eines anderen verstrickt, ohne zum Beteiligten im Sinne des § 14 OWiG zu werden. Diese quasi-vorwerfbaren Handlungen sind keine Ordnungswidrigkeiten oder mit Geldbuße bedrohten Handlungen im Sinne des § 1 OWiG, sondern eigene Handlungsformen. Dementsprechend gelten grundsätzlich nicht die allgemeinen Voraussetzungen des OWiG für Ordnungswidrigkeiten bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlungen (z. B. Vorsatz gem. § 10 OWiG), sondern zunächst nur die Voraussetzungen, die in § 23 OWiG genannt sind. Soweit jedoch in § 23 OWiG Begriffe vorkommen, die auch für Ordnungswidrigkeiten bzw. mit Geldbuße bedrohte Handlungen verwendet werden, so kann das für Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen bestehende Begriffsverständnis auf § 23 OWiG übertragen werden, es sei denn, es besteht ein sachlicher Grund, von dem bestehenden Begriffsverständnis für Ordnungswidrigkeiten bzw. Geldbuße bedrohten Handlungen abzuweichen und für § 23 OWiG ein neues Begriffsverständnis zu bilden.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Es stellt sich nun die Frage, ob junge Menschen diese quasi-vorwerfbaren Handlungen begehen können. Im Folgenden wird derjenige, der die beihilfe- oder hehlereiähnliche Handlung begangen hat, als „Handelnder“ bezeichnet. aa) Beihilfeähnliche Handlungen gem. § 23 Nr. 1 OWiG (1) Vorsätzliche Begehungsvariante (a) Objektive Elemente § 23 OWiG setzt sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 2 in objektiver Hinsicht voraus, dass der Einziehungsgegenstand dem Handelnden gehört oder zusteht. Die Wendung „gehören oder zustehen“ ist dahingehend zu verstehen, dass Einziehungsgegenstand nur dingliche Herrschaftsrechte an einem Gegenstand sein können, also das Eigentum an einer Sache (z. B. Grundstücke, Kraftfahrzeuge, Tiere) oder quasidingliche Recht (z. B. Bankguthaben, Hypotheken oder Miteigentumsanteile).715 Es ist nicht ausgeschlossen, dass junge Menschen Eigentümer von Sachen oder Inhaber von Rechten sind. Dennoch folgt insbesondere aus der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Minderjährigkeit, dass je jünger ein Mensch ist, desto unwahrscheinlicher und seltener Eigentümerstellung bzw. Rechtsinhaberschaft mit der Person eines jungen Menschen zusammenfallen. So kann z. B. ein geschäftsunfähiges Kind im Sinne des § 104 Nr. 1 BGB – dies ist eine Person bis Vollendung des 7. Lebensjahres – keine dinglichen Rechtsgeschäfte in eigener Person vornehmen (vgl. § 105 I BGB), sondern muss sich bei dinglichen Rechtsgeschäften durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten lassen (in der Regel die Eltern gem. § 1629 I 1 BGB)716, wenn es nicht per Gesetz (z. B. durch Erbfall gem. § 1922 I BGB) Eigentum oder Rechte erwirbt. Nach § 23 Nr. 1 OWiG muss in objektiver Hinsicht der Einziehungsgegenstand Mittel oder Gegenstand der „Handlung oder ihrer Vorbereitung“ gewesen sein. Handlung im vorbezeichneten Sinne – nicht die beihilfeähnliche Handlung des Handelnden – kann nur eine Ordnungswidrigkeit eines anderen sein; eine mit Geldbuße bedrohte Handlung reicht demgegenüber nicht aus.717 Weiterhin muss die Sache oder das Recht „Mittel oder Gegenstand“ der Handlung oder ihrer Vorbereitung gewesen sein. Ein Gegenstand ist Mittel der Handlung oder ihrer Vorbereitung, wenn er unmittelbar zu ihrer Ausführung oder zur Herstellung von Ausfüh715
Mitsch, in: Senge, § 22, Rn. 9, 17 ff., 26; Eser, in: Schönke/Schröder, § 74, Rn. 6 f., 22 ff. Erziehungsberechtigung und gesetzliche Vertretung bestimmen sich nach dem BGB. In Regelfall fallen Erziehungsberechtigung und gesetzliche Vertretung in den Personen der leiblichen Eltern zusammen, denn von der Erziehungsberechtigung ist die gesetzliche Vertretung umfasst, vgl. § 1629 I 1 BGB. Erziehungsberechtigung und gesetzliche Vertretung können aber auseinanderfallen, vgl. z. B. § 1673 II BGB. Vertiefend Brunner/Dölling, § 67, Rn. 1 ff. 717 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (b). 716
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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rungsbedingungen benutzt wird.718 Gegenstand einer Handlung ist ein solcher, auf den sich die Tat bezieht (sog. Beziehungsgegenstände).719 Der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit muss als Tatbestandsmerkmal den Gegenstand normieren, sodass nur bei seinem Vorliegen, der Tatbestand verwirklicht werden kann.720 Hier ist nicht auszuschließen, dass junge Menschen solche Mittel oder Gegenstände besitzen, die ein anderer bei der Handlung oder zu ihrer Vorbereitung gebraucht. Denkbar wird dies vor allem bei Jugendlichen und Heranwachsenden sein, wenn diese z. B. Eigentümer eines Kraftfahrzeugs sind, das als Transportmittel verwendet wird, oder das Kraftfahrzeug selbst Beziehungsgegenstand einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist. Dann setzt § 23 Nr. 1 OWiG voraus, dass der Handelnde zu der Handlung oder ihrer Vorbereitung „beigetragen“ hat. Hierunter ist ein Verhalten zu verstehen, das in einem aktiven Tun oder einem pflichtwidrigen Unterlassen besteht und ursächlich dafür geworden ist, dass die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Handlung oder ihrer Vorbereitung werden konnte.721 Denkbar wäre z. B., den Begriff des Beitragens dahingehend jugendadäquat auszulegen, dass Handlungen, die von spielerischen Elementen geprägt sind, kein Beitragen im Sinne des § 23 Nr. 1 OWiG darstellen.722 (b) Subjektive Elemente Aus dem Tatbestandsmerkmal „wenigstens leichtfertig“ ergibt sich, dass eine beihilfeähnliche Handlung gem. § 23 Nr. 1 OWiG sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann.723 Im Folgenden soll zunächst die vorsätzliche Variante besprochen werden. Nach allgemeiner Auffassung reicht für ein vorsätzliches Handeln bedingter Vorsatz aus, d. h., es genügt, wenn der Handelnde es ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dass sein Verhalten zur Verwirklichung der objektiven Merkmale des § 23 Nr. 1 OWiG führt. In der Subsumtion des Vorsatzes kann der kognitive Entwicklungsstand von jungen Menschen insbesondere zu berücksichtigen sein.724 Im Übrigen können Fehlvorstellungen von jungen Menschen in Hinblick auf objektive Elemente in der Subsumtion eines Tatbestandsirrtums gem. § 11 I 1 OWiG berücksichtigt werden.725
718 719 720 721 722 723 724 725
Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 10. Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 11. Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 11. Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 14. Vgl. zur jugendadäquaten Auslegung oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c). Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 18. Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2). Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
(c) Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit Die beihilfeähnliche Handlung gem. § 23 Nr. 1 OWiG muss auch rechtswidrig und vorwerfbar gewesen sein.726 Die wichtigste Einschränkung für junge Menschen ergibt sich auf Ebene der Vorwerfbarkeit aus § 12 I OWiG, weshalb insbesondere Kinder von der Tatbestandsverwirklichung ausgeschlossen sind.727 (2) Leichtfertige Begehungsvariante (a) Objektive Elemente Wie bereits festgestellt worden ist, kann § 23 Nr. 1 OWiG auch leichtfertig begangen werden, was nach strafrechtlichen Verständnis mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen ist.728 Die gesetzliche Eröffnung einer leichtfertigen Begehung konstituiert als weitere objektive Elemente die objektive grobe Sorgfaltspflichtverletzung und die objektive Vorhersehbarkeit der Sorgfaltspflichtverletzung und der Tat eines anderen.729 (aa) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung Die grobe Sorgfaltspflichtverletzung liegt vor, wenn der Handelnde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt – die Sorgfaltspflicht – in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat.730 Inhalt der Sorgfaltspflicht bei § 23 Nr. 1 OWiG ist es, den eigenen Gegenstand nicht zum Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung zu machen bzw. werden zu lassen.731 Der Umfang der Sorgfaltspflicht ist ex ante aus Sicht eines besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu bestimmen.732 Bei Prüfung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung können jugendspezifische Umstände berücksichtigt werden. Einen Ansatzpunkt bietet hierfür zunächst die „soziale Rolle“ bei der Bestimmung des Umfangs der Sorgfaltspflicht. Es handelt sich bei dem Begriff soziale Rolle um einen von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Hilfsbegriff zur Definition der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung. Er stellt zwar keinen ausfüllungsbedürftigen 726
Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 16. Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) cc). 728 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 16; Roxin, Band 1, § 24, A, Rn. 81 f.; Wessels/Beulke/ Satzger, Rn. 993. 729 So z. B. Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 935 ff.; nach Mitsch ist Sorgfaltspflichtverletzung und objektive Voraussehbarkeit ein und dasselbe Tatbestandsmerkmal, Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 8, Rn. 23 ff., 27. 730 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 17; zur groben Sorgfaltspflichtverletzung im Allgemeinen, Roxin, Band 1, § 24, A, Rn. 81 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 933. 731 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 17. 732 BGH JZ 2005, 685 (686); NStZ 2003, 657 (658); Maurach/Gössel/Zipf, § 43, Rn. 33 ff.; Jescheck/Weigend, S. 578 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 943; Mitsch formuliert entsprechend, es käme auf die gegebenen Umstände und einen vernünftigen Menschen an, Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 17. 727
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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unbestimmten Rechtsbegriff im technischen Sinne dar, es können aber die diesbezüglichen Grundsätze entsprechend angewendet werden.733 Kaiser definiert soziale Rolle als Verhaltensmuster, die dem Individuum durch das jeweilige Beziehungsgefüge vorgegeben werden.734 Der Begriff regelt also, welche Erwartungen an eine Person aufgrund des sie berührenden Status zu stellen sind.735 Ein Status ist z. B. das Lebensalter einer Person oder die Altersstufe, der eine Person zugeordnet werden kann. In dem Merkmal des Lebensalters bzw. der Altersstufe ist zu berücksichtigen, dass eine Person aufgrund ihres kognitiven und sozialen Entwicklungsstandes gewisse Erwartungen weckt bzw. nicht weckt. Dabei muss aber der kognitive und soziale Entwicklungsstand für junge Menschen der jeweiligen Altersstufe generalisiert werden, anders ausgedrückt, es darf nicht auf den konkreten kognitiven und sozialen Entwicklungsstand des Handelnden selbst abgestellt werden, sondern auf den einer allgemeinen Personengruppe. Dies hat den Grund, dass nach h.M. die individuelle Situation des Handelnden Gegenstand des Fahrlässigkeitsschuldvorwurfs im Rahmen der Vorwerfbarkeit ist.736 Demnach muss auf Ebene des objektiven Tatbestands bezüglich dieses Merkmals ein allgemeiner Maßstab gelten.737 Weiter ist zu beachten, dass eine Person stets mehrere soziale Rollen zugleich einnimmt, die allgemeiner oder spezieller Natur sind. So ist z. B. eine allgemeine Rolle diejenige des jungen Menschen oder Jugendlichen. Solche sozialen Rollen kommen aber allein als Anknüpfungspunkte für eine Sorgfaltspflicht nicht in Betracht, denn dann würde das Fahrlässigkeitsdelikt zu einem allgemeinen Lebensführungsdelikt werden. Deshalb müssen die sozialen Rollen des jungen Menschen oder Jugendlichen durch Hinzufügung weiterer sozialer Rollen bzw. weiterer Rollenmerkmale präzisiert werden, z. B. durch Ergänzung von Funktionsmerkmalen in einer Familie oder einer Gruppe junger Menschen. Einen weiteren Ansatzpunkt bietet bei Bestimmung der Sorgfaltspflicht das Merkmal der „konkreten Lage“, wobei es sich ebenfalls um einen Hilfsbegriff zur Definition der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung handelt, auf den die Grundsätze über ausfüllungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe angewendet werden können. In dem Merkmal konkrete Lage sind spezifische Umstände des Einzelfalls abzubilden, die innerhalb und außerhalb einer Person liegen können. Beispielsweise können bei einer Ausbildung eines jungen Menschen an gefährlichen Geräten als innere Umstände unzureichende Fähigkeiten und als äußere Umstände fehlende Beaufsichtigung zu beachten sein. Anders als die soziale Rolle ist die konkrete Lage stets in Bezug auf den konkreten Lebenssachverhalt zu formulieren. 733
Siehe zur Ausfüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (d). Kaiser, S. 12. 735 Hierzu beispielhaft: BGHSt 7, 307 (309) – soziale Rolle eines verantwortungsbewussten Kraftfahrers; 37, 184 (190) – soziale Rolle eines Geschäftsführers; OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 205 (205 f.) – die soziale Rolle eines Hundehalters; BGH NStZ 2003, 657 (658) – soziale Rolle eines Arztes derselben Fachrichtung. 736 Vgl. unten Kapitel B., Fn. 743 und 744. 737 Kritisch zu diesem Befund: Ceffinato/Kalb, JA 2014, S. 888. 734
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Die soziale Rolle und konkrete Lage stehen überdies in einem Wechselspiel. Das Wechselspiel kommt dergestalt zum Vorschein, dass nur die jeweilige soziale Rolle in einer konkreten Lage relevant wird. So treffen z. B. ein 12jähriges Kind, wenn es zuhause auf ein jüngeres Geschwisterkind aufpasst – in dieser Situation hat das Kind eine Beschützerstellung – oder es in einer Gruppe von Gleichaltrigen um die Häuser zieht – in dieser Situation ist das Kind Mitglied einer Gefahrengemeinschaft – ganz unterschiedliche Sorgfaltspflichten. Ganz unterschiedliche Sorgfaltspflichten wird man auch dann annehmen müssen, wenn man in denselben Situationen das 12jährige Kind gegen einen 16jähriges Jugendlichen austauscht. Das Vorliegen bzw. der Umfang einer Sorgfaltspflicht i.S.d. § 23 Nr. 1 OWiG – im Wesentlichen besteht sie darin, dass Vorkehrungen getroffen werden müssen, dass bestimmte Gegenstände nicht zu Ordnungswidrigkeiten verwendet werden können – ist typischerweise in Hinblick auf junge Menschen dort zu verneinen bzw. einzuschränken, wo junge Menschen keine oder kaum wirksame Möglichkeiten haben, den Einziehungsgegenstand vor einer Verwendung in einer Tat zu sichern. Dies ist insbesondere der Fall, wenn als Täter der Ordnungswidrigkeit die Eltern des jungen Menschen und damit im Regelfall seine Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter in Betracht kommen. Die Eltern haben rechtlichen Zugriff auf die Sachen und Rechte des jungen Menschen und in Hinblick auf Sachen regelmäßig auch faktischen Zugriff auf die Gewahrsamssphäre des jungen Menschen. Es ist kaum denkbar, dass junge Menschen in ihrer sozialen Rolle und in der konkreten Lage Möglichkeiten haben werden, ihre Sachen bzw. Rechte vor dem Zugriff der Eltern zu sichern. Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung ist anhand einer fiktiven Vergleichsperson (ex ante) zu prüfen, die durchschnittliche Fähigkeiten aufweist und als gewissenhaft und besonnen zu charakterisieren ist. Diese fiktive Vergleichsperson muss im Wesentlichen dem jungen Menschen in Hinblick auf die Altersstufe entsprechen. Dies ist denknotwendig, weil unter Berücksichtigung der Altersstufe der Umfang der Sorgfaltspflicht zu bemessen ist. Es ergibt keinen Sinn, Sorgfaltspflichten für einen 12jährigen zu formulieren und diese dann an einer fiktiven erwachsenen Vergleichsperson zu messen. (bb) Objektive Vorhersehbarkeit Die objektive Vorhersehbarkeit liegt vor, wenn es sich unter den gegebenen Umständen einem gewissenhaften und besonnenen Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle hätte aufdrängen müssen, dass er einerseits durch sein Verhalten einen Beitrag zur Verwicklung der Sache in die Tat eines anderen leistet und dass andererseits diese Tat eine Ordnungswidrigkeit ist.738 Das subjektive Merkmal objektive Vorhersehbarkeit wird aus Sicht derselben fiktiven Vergleichsperson geprüft, die auch schon für die objektive Sorgfaltspflichtverletzung konstruiert wurde. Also eine fiktive Vergleichsperson, die im 738
Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 17.
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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Wesentlichen dem jungen Menschen in Hinblick auf seine Altersstufe entspricht. Es stellt sich also konkret die Frage, ob ein (fiktiver) junger Mensch mit durchschnittlichen Fähigkeiten hätte erkennen müssen, dass er einerseits durch sein Verhalten einen Beitrag zur Verwicklung der Sache in die Tat eines anderen leistet und dass andererseits diese Tat eine Ordnungswidrigkeit ist. Das Merkmal aufdrängen ist ein subjektives Element und beschreibt, dass eine Person einen Umstand in hohem Maße hätte erkennen müssen. Da hier auf eine Vergleichsperson mit durchschnittlichen Fähigkeiten abgestellt wird, kann hier auch nur in generalisierter Form die kognitive Entwicklung von jungen Menschen der entsprechenden Altersstufe berücksichtigt werden. Die individuelle kognitive Entwicklung des Handelnden ist eine Frage der subjektiven Vorhersehbarkeit. Bei Sachverhalten, die Heranwachsende betreffen, ist in Hinblick auf das Merkmal aufdrängen bei Bildung der Vergleichsperson keine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt der kognitiven Entwicklung zulässig. Wie bereits ausgeführt, sind Heranwachsende wie Erwachsene zu behandeln, sodass ihre kognitive Entwicklung als abgeschlossen gilt.739 (cc) Sonderwissen Nach h.M. ist bei Art und Maß der Sorgfaltspflicht sowie der Vorhersehbarkeit Sonderwissen des Handelnden zu berücksichtigen.740 Der Gesichtspunkt des Sonderwissens führt dazu, dass der Umfang der Sorgfaltspflicht erhöht wird und auch die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit sinken, wenn der Handelnde in einer bestimmten Situation ein individuelles Wissen hat. Sofern man mit der h.M. Sonderwissen für einen erheblichen Gesichtspunkt hält, müssen auch junge Menschen individuelles Sonderwissen gegen sich gelten lassen. (b) Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit Für eine leichtfertige Begehung des § 23 Nr. 1 OWiG sind weiterhin die Deliktsstufen Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit notwendig.741 Als besondere subjektive Elemente der Vorwerfbarkeit sind bei der leichtfertigen Begehung des § 23 Nr. 1 OWiG die subjektive (grobe) Sorgfaltspflichtverletzung einerseits und die subjektive Vorhersehbarkeit der Sorgfaltspflichtverletzung und der Tat eines anderen andererseits zu nennen.742 739
Vgl. oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c). So Jescheck/Weigend, S. 579; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 944; Rengier, in: Senge, § 10, Rn. 18. 741 Siehe zur vorsätzlichen Variante oben Kapitel B. II. 1. b) aa) (1) (c). 742 Nach h.M. ist die Leichtfertigkeit Maßstab für Unrecht und Schuld, so Maurach/Gössel/ Zipf, § 42, Rn. 37; Jescheck/Weigend, S. 569; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 929, 975; Rengier, in: Senge, § 10, Rn. 49; a.A. Mitsch, der anscheinend die Leichtfertigkeit nur auf Ebene des Unrechts für erheblich hält und auf Ebene der Schuld von den allgemeinen Anforderungen 740
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung liegt im Falle des § 23 Nr. 1 OWiG dann vor, wenn sich dem Handelnden nach seinen persönlichen Fähigkeiten hätte aufdrängen müssen, dass der eigene Gegenstand zum Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung würde und dass der Handelnde nach Maßgabe seines individuellen Könnens die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hatte, dies zu verhindern.743 Subjektive Vorhersehbarkeit liegt vor, wenn sich dem Handelnden hätte aufdrängen müssen, dass er einerseits durch sein Verhalten einen Beitrag zur Verwicklung der Sache in die Tat eines anderen leistet und dass andererseits diese Tat eine Ordnungswidrigkeit ist.744 Da die Begriffe der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung und subjektiven Vorhersehbarkeit bereits stark auf die individuelle Situation des Handelnden abstellen (persönliche Fähigkeiten, individuelles Können, aufdrängen), können jugendspezifische Umstände des Einzelfalls in der Subsumtion berücksichtigt werden.745 Hingewiesen sei auch hier darauf, dass sich die wichtigste Einschränkung auf Ebene der Vorwerfbarkeit aus der Verantwortlichkeit gem. § 12 I OWiG ergibt;746 insbesondere sind nach § 12 I 1 OWiG Kinder von der Tatbestandsverwirklichung ausgeschlossen. (3) Ergebnis Zusammenfassend gilt, dass Kinder keine quasi-vorwerfbaren Handlungen nach § 23 Nr. 1 OWiG begehen können. Jugendliche und Heranwachsende können quasivorwerfbare Handlungen nach § 23 Nr. 1 OWiG begehen. bb) Hehlereiähnliche Handlungen gem. § 23 Nr. 2 OWiG (1) Objektive Elemente In objektiver Hinsicht setzt § 23 Nr. 2 OWiG zunächst wie die Nr. 1 voraus, dass der Einziehungsgegenstand dem Handelnden gehört oder zusteht, dieser also Eigentümer einer Sache oder Rechtsinhaber ist.747 Junge Menschen können Eigentümer und Rechtsinhaber sein.748
fahrlässigen Verhaltens ausgeht, Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 16; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 8, Rn. 22. 743 Rengier, in: Senge, § 10, Rn. 40, 49. 744 Rengier, in: Senge, § 10, Rn. 40, 49. 745 Vgl. zum Vorsatz oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2). 746 Vgl. zu § 12 I OWiG oben Kapitel B. II. 1. a) cc). 747 Siehe oben Kapitel B. II. 1. b) aa) (1) (a). 748 Vgl. oben Kapitel B. II. 1. b) aa) (1) (a).
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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Aus dem Merkmal „Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten“ folgt, dass die Voraussetzungen eines anderen Einziehungsgrundes hätten vorliegen müssen. In Betracht kommen Einziehungsgründe nach § 22 II Nr. 1 OWiG, § 23 Nr. 1 OWiG und § 23 Nr. 2 OWiG.749 Der Handelnde muss den Einziehungsgegenstand erworben haben. In objektiver Hinsicht muss der Handelnde den Einziehungsgegenstand durch rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung oder durch Zession einer Forderung an ihn oder sonstige Rechtsübertragung erworben haben.750 Jedenfalls muss der Erwerbsvorgang durch einverständliches Zusammenwirken von Vorbesitzer oder Vorberechtigten und Handelnden zustande gekommen sein.751 Für Kinder gilt solange sie geschäftsunfähig sind, dass nur ein Erwerb vertreten durch ihre gesetzlichen Vertreter in Betracht kommt. Soweit Kinder und Jugendliche beschränkt geschäftsfähig sind, wird man einen wirksamen Erwerb auch nur dann annehmen können, wenn das Geschäft lediglich rechtlich vorteilhaft ist oder der gesetzliche Vertreter das Geschäft im Namen des Kindes oder Jugendlichen vorgenommen hat. Bei Heranwachsenden, die im Sinne des Bürgerlichen Rechts im Regelfall unbeschränkt geschäftsfähig sind, ergeben sich keine Besonderheiten. (2) Subjektive Elemente In subjektiver Hinsicht muss der Handelnde Kenntnis von den Umständen gehabt haben, die eine Einziehung von Gegenständen vor seinem Erwerb zugelassen hätten. Erforderlich ist positive Kenntnis.752 Die Kenntnis braucht sich nur auf die rechtlich erheblichen Tatsachen zu beziehen.753 Das Wissen um deren rechtliche Relevanz, insbesondere die exakte rechtliche Bedeutung der Einziehbarkeit, ist keine Einziehungsvoraussetzung.754 Bei der Prüfung der Kenntnis kann der kognitive Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen in der Subsumtion berücksichtigt werden.755 Probleme ergeben sich hinsichtlich der Kenntnis, wenn ein Vertretergeschäft vorliegt: Schließt der gesetzliche Vertreter (im Regelfall die erziehungsberechtigten Eltern gem. § 1629 I 1 BGB) im Namen des geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Kindes bzw. des beschränkt geschäftsfähigen Jugendlichen ein dingliches Rechtsgeschäft ab und hat nur der gesetzliche Vertreter und nicht das vertretene Kind bzw. der vertretene Jugendliche Kenntnis von den Umständen, die eine Einziehung von Gegenständen zulassen würden, so wäre eine Einziehung gem. 749 750 751 752 753 754 755
Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 20 ff. Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 23, Rn. 10 f. Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 23, Rn. 11. Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 23. Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 23. Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 23. Vgl. zum Vorsatz oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
§ 23 Nr. 2 OWiG unzulässig, weil der Handelnde (Kind bzw. Jugendlicher!) keine Kenntnis im Sinne des § 23 Nr. 2 OWiG hat. Dieses Ergebnis lässt sich nicht über § 29 OWiG korrigieren. Ebenso wenig kommt die Anwendung des § 166 I BGB in Betracht, denn die Vorschrift ist nur auf rechtsgeschäftliche Umstände anwendbar und nicht auf strafrechtliche bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche Umstände.756 Eine analoge Anwendung scheidet aus, denn dies wäre eine ahndbarkeitsbegründende Analogie im Sinne des Art. 103 II GG. Im umgekehrten Fall hingegen, in dem das Kind bzw. der Jugendliche die einziehungsbegründenden Umstände kennt, aber nicht der gesetzliche Vertreter, der das dingliche Erwerbsgeschäft im Namen des Kindes bzw. Jugendlichen vornimmt, wäre § 23 Nr. 2 OWiG anwendbar. (3) Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit Auch der Einziehungsgrund nach § 23 Nr. 2 OWiG setzt Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit voraus.757 Das Merkmal der Verwerflichkeit ist der Ebene der Rechtswidrigkeit zuzuordnen und kein objektives Element des § 23 Nr. 2 OWiG.758 Das Tatbestandsmerkmal Verwerflichkeit stellt die Voraussetzung auf, dass der Erwerbsvorgang nicht mit der Rechtsordnung im Einklang steht, weil der Erwerbsvorgang der Verhinderung einer staatlichen Maßnahme gedient hat.759 Sofern ein Handelnder einen Einziehungsgegenstand in Kenntnis der Umstände erwirbt, die eine Einziehung von Gegenständen zugelassen hätten, so handelt er bereits verwerflich. Demgegenüber handelt eine Person nicht verwerflich, wenn der Erwerb sozialadäquat gewesen ist. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn der Handelnde vor Kenntnis der einziehungsbegründenden Umstände Anspruchsinhaber war oder er den Einziehungsgegenstand trotz Kenntnis im Wege der Notveräußerung erworben hat.760 Die Sozialadäquanz ist ein normativer Rechtsbegriff, der sich nicht zur Berücksichtigung jugendspezifischer Umstände eignet, denn er ist in Bezug auf die allgemeine Verkehrsanschauung zu bestimmen.761 Ein Verwerflichkeitsbewusstsein ist keine Voraussetzung des § 23 Nr. 2 OWiG.762 Jedoch kann auf Ebene der Vorwerfbarkeit ein Irrtum gem. § 11 II OWiG hin756
Schubert, in: Säcker/Rixecker, Band 1, § 166, Rn. 37; daneben wird auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf nicht gesetzlich geregelte Fälle diskutiert, aber nicht für strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Sachverhalte, siehe Schubert, in: Säcker/Rixecker, Band 1, § 166, Rn. 41 f. 757 Vgl. zur vorsätzlichen Variante oben Kapitel B. II. 1. b) aa) (1) (c). 758 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 27. 759 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 27. 760 Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 23, Rn. 14; siehe auch Gürtler, in: Göhler, § 23, Rn. 12; Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 27. 761 Roxin, Band 1, § 10, D, Rn. 35; Jescheck/Weigend, S. 251 ff.; Maurach/Zipf, § 17, Rn. 14 ff. 762 Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 28.
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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sichtlich der Verwerflichkeit beachtlich sein, wenn Fehlvorstellungen über die Sozialadäquanz des Erwerbsvorgangs gegeben sind.763 Bei der Subsumtion des Irrtums gem. § 11 II OWiG können Fehlvorstellungen von jungen Menschen berücksichtigt werden, wenn sie nicht zugleich Ausdruck fehlender sittlicher Reife im Sinne des § 12 I OWiG sind. Sind die Fehlvorstellungen Ausdruck fehlender sittlicher Reife, so ist § 12 I OWiG lex specialis gegenüber § 11 II OWiG.764 Ansonsten ist auf Stufe der Vorwerfbarkeit wiederum die Verantwortlichkeit gem. § 12 I OWiG zu beachten; insbesondere werden durch § 12 I 1 OWiG Kinder von der Tatbestandsverwirklichung ausgeschlossen.765 (4) Ergebnis Zusammenfassend gilt, dass Kinder keine quasi-vorwerfbaren Handlungen nach § 23 Nr. 2 OWiG begehen können. Jugendliche und Heranwachsende können quasivorwerfbare Handlungen nach § 23 Nr. 2 OWiG begehen. cc) Ergebnis Im Ergebnis ist festzustellen, dass Kinder keine quasi-vorwerfbaren Handlungen nach § 23 OWiG begehen können. Jugendliche und Heranwachsende können quasivorwerfbare Handlungen nach § 23 OWiG begehen. c) Verletzung von gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren Wie bereits festgestellt, knüpfen Sanktionen auch an die Verletzung von gesetzlichen oder rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an. Ob junge Menschen diesen Anknüpfungspunkt der Sanktionen verwirklichen können, soll nun beispielhaft erläutert werden. aa) Begründung einer Pflichtenstellung Zunächst stellt sich die Frage, ob für junge Menschen sanktionsbewehrte Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren begründet werden können. Sanktionsbewehrte Pflichten können einerseits durch Sanktionen, andererseits durch Verfahrenshandlungen ohne Sanktionscharakter begründet werden.
763 764 765
Mitsch, in: Senge, § 23, Rn. 28. Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) cc). Vgl. oben Kapitel B. II. 1. a) cc).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
So wurde im Sanktionsteil aufgezeigt, dass durch die Sanktion Geldbuße die rechtliche Pflicht begründet wird, einen Geldbetrag zu zahlen.766 Sonderfälle stellen in diesem Zusammenhang das Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und die Einstellung unter Auflagen und Weisungen gem. § 47 I, II OWiG dar, denn bei beiden Sanktionen wird die rechtliche bzw. gesetzliche Pflicht erst mit Zustimmung des Sanktionsadressaten begründet.767 Schließlich können auch Verfahrenshandlungen wie die behördliche Ladung zu einer Vernehmung gem. § 46 I 1 OWiG i.V.m. § 161a I 1 StPO die rechtliche bzw. gesetzliche Pflicht begründen, zu einem Vernehmungstermin zu erscheinen. Bei Kindern können keine Pflichtenstellungen durch Sanktionen begründet werden, wenn diese Pflichtenstellungen eine Ordnungswidrigkeit oder eine quasivorwerfbare Handlung voraussetzen. Wie gesehen handeln Kinder gem. § 12 I 1 OWiG jedenfalls nicht vorwerfbar.768 Hingegen können Pflichtenstellungen durch Sanktionen begründet werden, wenn diese Pflichtenstellungen an eine mit Geldbuße bedrohte Handlung anknüpfen. Ob Kinder mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten zustimmen und dadurch Pflichtenstellungen begründen können, soll unter dem Gesichtspunkt der verfahrensmäßigen Einschränkungen besprochen werden.769 Ob Kinder Adressaten von pflichtenbegründenden Verfahrenshandlungen sein können, ist stets von der konkreten gesetzlichen Verfahrenshandlung und dem Einzelfall abhängig. Beispielsweise sieht das Gesetz bei der behördlichen Ladung gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 48 II StPO keine besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen vor,770 weshalb es auch beispielhaft an einem Ansatzpunkt für eine einschränkende jugendadäquate Auslegung fehlt.771 Jedoch ist für Verfahrenshand766
Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). Einen Sonderfall stellen die beiden Sanktionen auch deshalb dar, weil durch sie Pflichten begründet werden, die nicht vollstreckt werden können. Aufgrund der gesetzlichen Konzeption muss der Betroffene freiwillig leisten, ansonsten wird die Sanktion hinfällig, siehe Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 153a, Rn. 12. Siehe auch zum Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG oben Kapitel B. I. 2. b) kk) und zur Einstellung unter Auflagen und Weisungen gem. § 47 I, II OWiG oben Kapitel B. I. 2. b) mm). 768 Siehe zur Verantwortlichkeit von Kindern gem. § 12 I 1 OWiG Kapitel B. II. 1. a) cc). 769 Siehe unten Kapitel B. II. 4. c). 770 Senge, in: Hannich, § 48, Rn. 3 ff. 771 Eine jugendadäquate Auslegung von verfahrensrechtlichen Vorschriften wird für möglich gehalten, siehe BVerfG StV 2009, 80 (82); OLG Schleswig StV 2009, 86; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 32. Dem ist zuzustimmen (vgl. zur jugendadäquaten Auslegung entsprechend oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c)) und es ist hinzuzufügen, dass auch andere Methoden zur Einschränkung aus jugendspezifischen Gründen – jugendadäquate Ausfüllung (vgl. entsprechend oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (d)) und die einschränkende Subsumtion jugendspezifischer Umstände (vgl. entsprechend oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2)) – möglich sein müssen. Dies ist damit zu begründen, dass soweit sich Sanktionen aus den Verletzungen von verfahrensrechtlichen Vorschriften ergeben können, der Sinn und Zweck der dargestellten 767
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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lungen auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wonach beispielsweise im Falle einer Ladung gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 48 II StPO zu prüfen wäre, ob das Interesse an der Wahrheitsermittlung sowie der Wert der Aussage des Kindes einerseits, das Interesse am Schutz des Kindeswohls durch Heraushaltung aus dem staatlichen Verfahren andererseits, überwiegt. Im Regelfall wird man annehmen können, dass je älter das Kind ist, desto eher die Ladung auch verhältnismäßig sein wird. Bei Jugendlichen können Pflichtenstellungen durch Sanktionen begründet werden, wenn diese Pflichtenstellungen an Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohte Handlungen und quasi-vorwerfbare Handlungen anknüpfen.772 Ob Jugendliche mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten zustimmen und dadurch Pflichtenstellungen begründen können, soll ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der verfahrensmäßigen Einschränkungen besprochen werden.773 Zu der Frage, ob Jugendliche auch Adressaten von Verfahrenshandlungen sein können, gilt das zu Kindern Gesagte entsprechend. Die im Beispielsfall dargestellten Erwägungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit werden jedoch mit fortschreitendem Alter immer weniger ins Gewicht fallen. Bei Heranwachsenden können Pflichtenstellungen durch Sanktionen begründet werden, wenn diese Pflichtenstellungen an Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohte Handlungen und quasi-vorwerfbare Handlungen anknüpfen.774 Ob Heranwachsende mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten zustimmen und dadurch Pflichtenstellungen begründen können, soll ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der verfahrensmäßigen Einschränkungen besprochen werden.775 Heranwachsende können uneingeschränkt Adressaten von Verfahrenshandlungen werden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass junge Menschen Träger von sanktionsbewehrten Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren werden können.
Einschränkungsmöglichkeiten genauso greift, wie wenn Sanktionen von Verletzungen materiell-rechtlicher Vorschriften herrühren. 772 Siehe zur Möglichkeit der Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohten Handlungen durch Jugendliche oben Kapitel B. II. 1. a) und zur Möglichkeit der Verwirklichung quasi-vorwerfbarer Handlungen durch Jugendliche oben Kapitel B. II. 1. b). 773 Siehe unten Kapitel B. II. 4. c). 774 Siehe zur Möglichkeit der Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohten Handlungen durch Heranwachsende oben Kapitel B. II. 1. a) und zur Möglichkeit der Verwirklichung quasi-vorwerfbarer Handlungen durch Heranwachsende oben Kapitel B. II. 1. b). 775 Siehe unten Kapitel B. II. 4. c).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
bb) Pflichtverletzung Weiterhin stellt sich die Frage, ob junge Menschen die gegen sie begründeten Pflichten auch verletzen können. Es geht hier also um die Verletzungshandlung. Teilweise nennt das Gesetz ausdrücklich die einer bestimmten Pflicht entsprechende Verletzungshandlung. So ist das Nichterscheinen zu einer Vernehmung gem. § 51 StPO die Verletzungshandlung, die mit der Pflicht zum Erscheinen zu einer Vernehmung gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 161a I 1 StPO korrespondiert. Weniger konkret ist das Gesetz in § 178 I 1 GVG, wenn es ein Ordnungsmittel allein von einer „Ungebühr“ abhängig macht.776 Grundsätzlich können junge Menschen Verletzungshandlungen begehen. In Betracht kommt, durch die dargestellten Rechtsmethoden777 Verhalten von jungen Menschen aus dem Bereich des typisierten rechtlich missbilligten Verhaltens herauszunehmen und so das Vorliegen einer Verletzungshandlung zu verneinen. Ob dies möglich ist, kann aber nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt vom konkret zu prüfenden Tatbestandsmerkmal ab. So wird der Begriff der Ungebühr im Sinne des § 178 I 1 GVG dahingehend jugendadäquat auslegt werden können, dass das während einer gerichtlichen Verhandlung herumlaufende Kleinkind sich nicht ungebührlich verhält. Demgegenüber wird man den Begriff des „Nichterscheinens“ im Sinne des § 51 I 1 StPO nicht dahingehend jugendadäquat auslegen können, dass kein Nichterscheinen vorliegt, wenn ein Kind einer behördlichen Vernehmung aus kindlicher Angst vor Autoritäten oder kindlicher Scham fernbleibt. In diesem Fall ist eine einschränkende jugendadäquate Auslegung mit dem Argument zu verneinen, dass eine unzulässige Versubjektivierung des Tatbestandsmerkmals Nichterscheinen entstünde und dass das Tatbestandsmerkmal derart bestimmt ist, dass kein Auslegungsspielraum besteht.778 Zusammenfassend ist festzustellen, dass junge Menschen Verletzungshandlungen begehen können. cc) Schuld Gelegentlich setzen Sanktionen voraus, dass die ihnen zugrundeliegenden Pflichtverletzungen auch schuldhaft begangen worden sind.
776 Zum Begriff der Ungebühr, Wickern, in: LR-StPO, Band 10, § 178, Rn. 2 ff.; siehe am dort auch zu einzelnen Formen der Ungebühr, Rn. 8 ff. 777 Siehe zur jugendadäquaten Auslegung oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c), zur Ausfüllung mit jugendspezifischen Umständen oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (d) und zur einschränkenden Subsumtion mit jugendspezifischen Umständen oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2). 778 Siehe zu den Grenzen der jugendadäquaten Auslegung Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c).
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So können Sanktionen gegen einen Zeugen wegen Nichterscheinens im Sinne des § 51 I StPO nur dann angeordnet werden, wenn der Zeuge auch schuldhaft nicht zur behördlichen Vernehmung erschienen ist, § 51 II 1 StPO. Auch die Ungebühr gem. § 178 I 1 GVG muss schuldhaft begangen worden sein.779 Gegenbeispiele sind die Anordnung der Erzwingungshaft gem. § 96 OWiG780 oder die Anordnung von Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG. Diese Sanktionen setzen nicht voraus, dass die Pflichtverletzung auch schuldhaft erfolgt ist. Die Schuld ist zwar regelmäßig ähnlich wie im Strafrecht als Vorwurf des persönlichen Dafürkönnens für die begangene Pflichtverletzung zu verstehen.781 Es können jedoch auch Gesichtspunkte zum Tragen kommen, die – bei strafrechtlicher Betrachtung – nicht die Schuld, sondern andere Deliktsstufen widerlegen (z. B. Unkenntnis einer Zeugenladung im Sinne des § 51 II 1 StPO). Deshalb ist die Schuld dieser Pflichtverletzungen nicht als strafrechtliche Schuld im technischen Sinne zu verstehen. Erforderlich ist jedenfalls Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Sinne.782 Welche Entschuldigungsgründe zum Tragen kommen können, ist stets im Einzelfall in Ansehung der konkreten gesetzlichen Pflichtverletzung zu ermitteln. Entschuldigt nach § 51 II 1 StPO ist z. B., wer Unkenntnis783 von einer Ladung hat oder sich in einem unvermeidbaren Irrtum784 über die Erscheinenspflicht befindet. Entschuldigend kann in Hinblick auf § 51 II 1 StPO auch die Furcht vor Nachteilen sein.785 Nach dem hier Gesagten ist für Kinder festzustellen, dass diese im strafrechtlichen Sinne nicht schuldfähig sind, vgl. § 19 StGB bzw. § 12 I 1 OWiG.786 Dementsprechend können sie auch keine Verletzungen von gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflichten verwirklichen, wenn diese Pflichtverletzungen Schuld voraussetzen. In dem Falle, dass die Pflichtverletzung keine Schuld voraussetzt, können sich für Kinder Korrektive auf Ebene der Rechtsfolge787 oder des Verfahrens788 ergeben. Für Jugendliche ist ebenfalls zu prüfen, ob diese verantwortlich im strafrechtlichen Sinne sind gem. § 10 StGB i.V.m. § 3 S. 1 JGG bzw. § 12 I 2 OWiG i.V.m. 779
Wickern, in: LR-StPO, Band 10, § 178, Rn. 6; Diemer, in: Hannich, § 178 GVG, Rn. 5. Anders bei der Erzwingungshaft gem. § 70 II StPO, siehe Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 70, Rn. 14. 781 Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 16. 782 Vgl. zu § 51 II 1 StPO: Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 16; vgl. zu § 178 I 1 GVG: Wickern, in: LR-StPO, Band 10, § 178, Rn. 6. 783 Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 10. 784 Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 11. 785 Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 13. 786 Wickern, in: LR-StPO, Band 10, § 178, Rn. 6; Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 16. 787 Siehe unten Kapitel B. II. 3. 788 Siehe unten Kapitel B. II. 4. 780
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§ 3 S. 1 JGG.789 Neben § 10 StGB i.V.m. § 3 S. 1 JGG bzw. § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG sind Entschuldigungsgründe aus jugendspezifischen Gründen, die reifeunabhängig sind, kaum denkbar.790 Möglich wäre beispielsweise eine rechtfertigende Pflichtenkollision. Grundsätzlich gilt, dass die Erscheinenspflicht vor Gericht jeder anderen Pflicht vorgeht,791 d. h. im Kontext von jungen Menschen insbesondere auch der Schulpflicht oder der beruflichen Pflicht, am Ausbildungsplatz zu erscheinen. Eine rechtfertigende Pflichtenkollision ist allenfalls dann denkbar, wenn der junge Mensch durch die Wahrnehmung der Pflicht unzumutbare Nachteile zu erleiden droht, beispielsweise wenn er eine wichtige Prüfung verpassen würde, die nicht oder nur unter erheblicher Verzögerung wiederholt werden kann (z. B. Abiturprüfung). Ein unvermeidbarer Gebotsirrtum wegen jugendtypischer Unkenntnis über die Erscheinenspflicht ist bereits in § 10 StGB i.V.m. § 3 S. 1 JGG bzw. § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG erfasst. In Betracht kommt ein unvermeidbarer Gebotsirrtum über die Gewichtigkeit der Erscheinenspflicht gegenüber anderen Pflichten, wie er auch Erwachsenen unterlaufen könnte. Denkbar wäre, dass – sofern kein Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision vorliegt, also die Erscheinenspflicht objektiv vorgeht – ein junger Mensch irrtümlich annimmt, dass die Pflicht zur Schule zu gehen oder am Ausbildungsplatz zu erscheinen, der Erscheinenspflicht vorgeht. Als Entschuldigungsgrund ist schließlich die Furcht vor Nachteilen anerkannt,792 die bei jungen Menschen mangels Lebenserfahrung eher als bei Erwachsenen anzunehmen ist. dd) Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass Kinder, Jugendliche und Heranwachsende den Anknüpfungspunkt von Sanktion, die Verletzung von gesetzlichen bzw. rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren, verwirklichen können. d) Ergebnis Im Ergebnis ist festzustellen, dass Kinder mit Geldbuße bedrohte Handlungen begehen und gesetzliche sowie rechtliche Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren, sofern diese gesetzlichen und rechtlichen Pflichten nicht schuldhaft verletzt werden müssen, verletzen können. 789
Wickern, in: LR-StPO, Band 10, § 178, Rn. 22; Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 16. 790 Vgl. oben Kapitel B. II. 1. a) cc). 791 BDH MDR 1960, 333 (334); OLG Hamm MDR 1974, 330; Senge, in: Hannich, § 51, Rn. 11. 792 Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 51, Rn. 13.
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Jugendliche und Heranwachsende können Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohte Handlungen und quasi-vorwerfbare Handlungen begehen sowie gesetzliche und rechtliche Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren verletzen. 2. Handlungen Dritter Im Sanktionsabschnitt wurde herausgearbeitet, dass sich bestimmte Sanktionen wegen Ordnungswidrigkeiten oder mit Geldbuße bedrohte Handlungen auch gegen Dritte richten können, ohne dass es einer Mitwirkungshandlung des Dritten an einer konkreten Zuwiderhandlung bedarf. So führen insbesondere Sanktionen gegen Verbände zu einer Drittbetroffenheit hinsichtlich der Sanktionszwecke.793 Dritte können aber auch von Nachteilszufügung und Sanktionszweck betroffen sein.794 Dritte im vorbezeichneten Sinne können auch junge Menschen sein. Demnach können junge Menschen auch durch die Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohten Handlungen Dritter in den Anwendungsbereich von Sanktionen gelangen. 3. Einschränkungen bei Maßnahme und Sanktionszwecken in Bezug auf junge Menschen – die Rechtsfolgenseite In diesem Abschnitt soll geprüft werden, ob jugendspezifische Einschränkungen unmittelbar für die Maßnahme und Sanktionszwecke bestehen. Die herausgearbeiteten Sanktionen stellen vor dem Hintergrund des rechtstheoretischen Modells einer Rechtsnorm, die sich aus Tatbestand und Rechtsfolge zusammensetzt, Rechtsfolgen dar. Aus dem Blickwinkel der Rechtsnorm ist deshalb Prüfungsgegenstand in diesem Abschnitt die Rechtsfolgenseite. a) Ausdrückliche Einschränkungen Einen ausdrücklichen Ausschluss von Rechtsfolgen gegenüber jungen Menschen kennt das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht. Ebenso wenig existieren im Ordnungswidrigkeitenrecht ausdrückliche Einschränkungen für Rechtsfolgen in Hinblick auf junge Menschen wie z. B. für Jugendliche in § 10 StGB i.V.m. § 5 I, II JGG. In der Literatur werden gewohnheitsrechtliche Ausschlüsse von Sanktionen aus allgemeinen Rechtsgedanken hergeleitet: So wird von einer Auffassung angenommen, dass es einen allgemeinen Rechtsgedanken gebe, der die Einsperrung von Kindern verbiete.795 Wenn man sich dem anschließt, so wird man die Erzwingungshaft gegen Kinder gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 70 II StPO schon von vornherein 793 794 795
Siehe hierzu oben z. B. die Verbandsgeldbuße Kapitel B. I. 2. b) aa) (1). Siehe hierzu oben z. B. die Einziehung des Wertes von Taterträgen Kapitel B. I. 2. b) gg). Ignor/Bertheau, in: LR-StPO, Band 2, § 70, Rn. 8.
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als unzulässige Rechtsfolge ansehen müssen; aber auch ohne einen gewohnheitsrechtlichen Ausschluss lässt sich ein vergleichbares Ergebnis bei Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erzielen.796 b) Einschränkungen durch Rechtsreflex Daneben ergibt sich eine Einschränkung bzw. ein Ausschluss im Sinne eines Rechtsreflexes für solche Sanktionen, die an eine bestimmte Repräsentantenstellung anknüpfen, vgl. §§ 29 I, 30 I OWiG oder § 10 II WiStG. So können z. B. Vorstandsmitglieder oder Aufsichtsratsmitglieder von Aktiengesellschaften (vgl. §§ 76 III 1, 100 I 1 AktG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (§ 278 III AktG i.V.m. §§ 76 III 1, 100 I 1 AktG), der Europäischen Gesellschaften (Art. 47 II a) EGVO Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 i.V.m. §§ 76 III 1, 100 I 1 AktG), Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. §§ 6 II 1, 52 I GmbHG i.V.m. § 100 I 1 AktG) oder Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (vgl. §§ 34 S. 2, 35 III 1 VAG797 i.V.m. §§ 76 III 1, 100 I 1 AktG) nur solche Personen sein, die unbeschränkt geschäftsfähig sind. Demnach sind jedenfalls Kinder und Jugendliche mit deutscher Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 7 I EGBGB798) von diesen Funktionen ausgeschlossen und können im Ergebnis kein Repräsentant im Sinne eines vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person oder Mitglieds eines solchen Organs gem. §§ 29 I Nr. 1, 30 I Nr. 1 OWiG bzw. einer Person mit Kontroll- und Überwachungsbefugnissen gem. §§ 29 I Nr. 5, 30 I Nr. 5 OWiG sein. Sofern man mit der h.M. auch juristische Personen des öffentlichen Rechts als sanktionsfähigen Verband einstuft,799 so kann man z. B. feststellen, dass Kinder und Jugendliche regelmäßig mangels passiven Wahlrechts nicht Bürgermeister einer rheinland-pfälzischen Gemeinde und somit nicht Repräsentant im Sinne eines vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person gem. §§ 29 I Nr. 1 1. Alt., 30 I Nr. 1 1. Alt. OWiG sein können (vgl. z. B. § 53 III 1 GemO Rh.-Pf.800 : Vollendung des 23. Lebensjahres!).801 796
Siehe unten Kapitel B. II. 3. c) aa) (1). Versicherungsaufsichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl. 1993 I S. 2), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2789) geändert worden ist. 798 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 4 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist. 799 Vgl. Kapitel B., Fn. 153. 800 Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 31. Januar 1994 (GVBl. 1994, S. 153), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 2. März 2017 (GVBl. 2017, S. 21). 801 Das passive Wahlrecht wird teilweise unterschiedlich gehandhabt: Nach Art. 38 II 2. Hs. GG ist zum Deutschen Bundestag passiv wahlberechtigt, wer volljährig ist. Die Volljährigkeit bestimmt sich nach dem Bürgerlichen Recht, siehe Magiera, in: Sachs, Art. 38, 797
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Junge Menschen können aber auch indirekt von einer Repräsentantenstellung ausgeschlossen werden, wenn etwa die Wahl oder Bestellung einer Person an Umstände anknüpft, die junge Menschen typischerweise noch gar nicht verwirklichen können: Beispielsweise setzt die Wahl zum Präsidenten einer Universität in Rheinland-Pfalz voraus, dass der Kandidat ein abgeschlossenes Hochschulstudium sowie eine mehrjährige berufliche Tätigkeit, insbesondere in Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung oder Rechtspflege, ausgeübt hat (vgl. § 80 I 1 HochschulG Rh.Pf.802). Dies bedeutet jedoch nicht, dass junge Menschen gar nicht als Repräsentanten in Betracht kommen. Beschränkt geschäftsfähige Kinder und Jugendliche können z. B. Vorstand einer juristischen Person oder Mitglied eines solchen Organs in einem rechtsfähigen Verein gem. §§ 21 ff. BGB sein. Auf Heranwachsende treffen viele der oben genannten Einschränkungen nicht zu. Das Fehlen einer Repräsentantenstellung führt aber nicht dazu, dass junge Menschen generell keine Sanktionsadressaten im Kontext von Verbandssanktionen sein können: Zum einen können junge Menschen als Gesellschafter eines Verbandes betroffen sein, wenn dieser aufgelöst wird. Zum anderen treffen die Zwecke der positiven Generalprävention bei Verbandssanktionen auch Gesellschafter, die keine Repräsentanten sind. c) Einschränkungen bei der Ermessensausübung Die wichtigsten Einschränkungen ergeben sich auf Rechtsfolgenseite daraus, dass die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts fast ausschließlich im Ermessen der Behörden bzw. Gerichte stehen (eine Ausnahme ist z. B. die Unbrauchbarmachung i.S.d. § 24 II 2 Nr. 1 OWiG). Ermessen liegt vor, wenn der Gesetzgeber dem Rechtsanwender bei Verwirklichung des Tatbestandes die Möglichkeit eingeräumt hat, zwischen verschiedenen Rechtsfolgen zu wählen.803 Das Ermessen ist in Entschließungsermessen (das Ermessen, ob eine Maßnahme angewendet wird) und Auswahlermessen (das Ermessen, welche und ggf. in welchem Umfang eine Maßnahme angewendet wird) zu unterscheiden.804 Die Ermessensausübung orientiert sich naturgemäß am Einzelfall.805 Sie Rn. 101; nach Art. 76 II LV Rh.-Pf. ist zum rheinland-pfälzischen Landtag passiv wahlberechtigt, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat; nach § 53 III 1 GemO Rh.-Pf. kann Bürgermeister einer rheinland-pfälzischen Gemeinde nur derjenige werden, der das 23. Lebensjahr vollendet hat. 802 Hochschulgesetz des Landes Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 19. November 2010 (GVBl. 2010, S. 463), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 2. März 2017 (GVBl. 2014, S. 17). 803 Maurer, Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 7. 804 Maurer, Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 7. 805 Maurer, Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 13 ff.
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bietet somit einen Anknüpfungspunkt, um jugendspezifische Umstände zu berücksichtigen. Wie gesehen, können Kinder und Jugendliche Fehlverhalten begehen und somit die Tatbestandsseite verwirklichen, die zur Ermessensausübung auf Rechtsfolgenseite führt.806 Dass das OWiG fast nur auf Tatbestandsseite ausdrücklich Regelungen enthält, die jugendspezifische Umstände aufnehmen (Ausnahme: § 98 OWiG), darf nicht dahingehend interpretiert werden, dass diese Umstände auf Rechtsfolgenseite bei der Ermessensausübung unbeachtlich sein müssen. Auf diese Idee könnte man vor dem Hintergrund des § 46 III StGB kommen, der für die Strafzumessung ausdrücklich anordnet, dass Umstände, die bereits Gegenstand des gesetzlichen Tatbestandes sind, nicht zum Gegenstand der Strafzumessung gemacht werden dürfen. Jedoch hat der Gesetzgeber durch den Verzicht auf eine solche Vorschrift gerade zum Ausdruck bringen wollen, dass keine bestimmten Erwägungen von vornherein von der Ermessensausübung auszunehmen sind.807 Schwieriger stellt sich die Beantwortung der Frage dar, ob jugendspezifische Umstände bzw. Reifedefizite bei Heranwachsenden berücksichtigt werden können. Es wurde oben für die Tatbestandsseite festgestellt, dass jugendspezifische Umstände bzw. Reifedefizite für Heranwachsende unbeachtlich sind. Deshalb könnte auch für die Rechtsfolgenseite anzunehmen sein, dass jugendspezifische Umstände bzw. Reifedefizite für Heranwachsende unbeachtlich sein müssen. Tatsächlich besteht von dieser Annahme auf Rechtsfolgenseite eine Ausnahme: Nach § 98 I 1, IV OWiG können gegenüber einem Heranwachsenden Vollstreckungsanordnungen getroffen werden, wenn der Heranwachsende die Geldbuße nicht zahlt und die herkömmlichen Vollstreckungsmaßnahmen nicht möglich oder angebracht sind. Die Vollstreckungsanordnungen können einen erzieherischen Zweck haben,808 sodass – unter der Prämisse, dass erzieherische Maßnahmen bestimmten jugendspezifischen Umständen bzw. Reifedefiziten entgegenwirken sollen – in diesem Fall auch jugendspezifische Umstände bzw. Reifedefizite in der Rechtsfolgeentscheidung beachtet werden müssen. Aufgrund der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung bleibt die Berücksichtigung von jugendspezifischen Umständen bzw. Reifedefiziten in der Person eines Heranwachsenden auf die Rechtsfolgeentscheidung nach § 98 OWiG beschränkt.809 Im 806
Siehe oben zur Möglichkeit der Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen durch Kinder und Jugendliche Kapitel B. II. 1. a), zur Möglichkeit der Verwirklichung von quasi-vorwerfbaren Handlungen durch Kinder und Jugendliche Kapitel B. II. 1. b) und zur Möglichkeit der Verletzung von gesetzlichen und rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Kinder und Jugendliche Kapitel B. II. 1. c). 807 In diesem Sinne: Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 80. 808 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3). 809 Mitsch meint hingegen, dass jugendspezifische Umstände auch für Heranwachsende in Hinblick auf die Geldbuße gem. § 17 III 1 2. Alt. OWiG beachtlich seien, Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 64 – Heranwachsende.
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idealtypischen Verfahren des Ordnungswidrigkeitenrechts, d. h. dem Bußgeldverfahren der Verwaltungsbehörde, können Vollstreckungsanordnungen nur dann von der Verwaltungsbehörde beim Jugendrichter beantragt werden, wenn der Heranwachsende nicht zahlt (vgl. § 98 I 1 OWiG). Nur in dieser Situation kommt es dazu, dass die Verwaltungsbehörde prüfen muss, ob möglicherweise jugendspezifische Umstände bzw. Reifedefizite gegeben sind, die einen Antrag auf ein Vollstreckungsverfahren nach § 98 OWiG gebieten. Anders ist zwar die Situation im gerichtlichen Verfahren vor dem Jugendrichter. Der Jugendrichter hat gem. § 78 IV OWiG die Kompetenz, mit der Festsetzung einer Geldbuße Vollstreckungsanordnungen nach § 98 I 1 OWiG zu treffen. Demnach muss er schon bei Festsetzung der Geldbuße prüfen, ob nicht zugleich Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG anzuordnen sind. Die Verhandlung vor dem Jugendrichter ist aber nach der gesetzgeberischen Konzeption die Ausnahme. Das Verfahren vor dem Jugendrichter findet nur dann statt, wenn der Heranwachsende einen Einspruch gem. § 67 I OWiG gegen den behördlichen Bußgeldbescheid erhebt, eine Eigenentscheidung des Beschwerdegerichts nach Rechtsbeschwerde gem. §§ 79 VI, 83 III OWiG erfolgt, in einem Strafverfahren gegen einen Heranwachsenden auch Ordnungswidrigkeiten gem. § 82 I OWiG i.V.m. § 83 I OWiG verfolgt werden oder ein originäres gerichtliches Bußgeldverfahren gegen einen Heranwachsenden gem. § 82 II OWiG stattfindet. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auf Rechtsfolgenseite jugendspezifische Umstände bzw. Reifedefizite von Heranwachsenden nur dann berücksichtigt werden können, wenn es um die Prüfung geht, ob Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG angeordnet werden sollen. Auf Rechtsfolgenseite wird eine weitere Überlegung relevant, die an die jugendspezifischen Umstände bzw. Reifedefizite anknüpft. Es stellt sich die Frage, wie mit jugendspezifischen Umständen bzw. Reifedefiziten in der Person des jungen Menschen umzugehen ist. Es geht also um die Frage, ob der Rechtsanwender die Rechtsfolgen an erzieherischen Erwägungen ausrichten darf. Wenn dies der Fall ist, so könnten sich aus diesen erzieherischen Erwägungen ebenfalls Einschränkungen für die Anwendbarkeit der Sanktionen ergeben. Ob erzieherische Erwägungen bei einer Rechtsfolge berücksichtigt werden können, ist in erster Linie danach zu beantworten, ob eine Rechtsfolge ausdrücklich einen erzieherischen Zweck verfolgt und sie wurde hier auch schon beantwortet: Erzieherische Zwecke gegenüber jungen Menschen verfolgen die Vollstreckungsanordnungen nach § 98 I 1 OWiG810, der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG811 und ggf. die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Aufklärung und Belehrung812.
810 811 812
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (3). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp).
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Erzieherische Zwecke hält der Gesetzgeber im Rahmen des § 98 I 1 OWiG und § 98 II 1 OWiG ausdrücklich gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden für berücksichtigungsfähig.813 Fraglich ist, ob erzieherische Zwecke gegenüber jungen Menschen auch darüber hinaus in anderen Rechtsfolgen zu berücksichtigen sind. Dies wird in der Literatur nicht selten angenommen.814 Nach richtiger Auffassung ist dies aber zu verneinen: Das Ordnungswidrigkeitenrecht dient insgesamt keinen besonderen erzieherischen Zwecken, sondern nur dem allgemeinen Regelungs- und Steuerungsinteresse der Allgemeinheit.815 Erzieherische Zwecke gegenüber jungen Menschen kommen nur dort in Betracht, wo der Gesetzgeber diese ausdrücklich geregelt hat. aa) Allgemeine Regelungen der Ermessensausübung Der Rechtsanwender, sei es eine Behörde oder ein Gericht, ist gem. Art. 20 III GG an „Gesetz und Recht“ gebunden. Das Ermessen ist deshalb auch als ein rechtlich gebundenes Ermessen zu bezeichnen.816 Aus der Verfassung lassen sich verschiedene Prinzipien folgern, die den Bezugspunkt „Gesetz“ dieser Bindung ausfüllen: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, Schuldprinzip, Subsidiaritätsprinzip und Bestimmtheitsgebot. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit jugendspezifische Umstände, Reifedefizite oder erzieherische Gesichtspunkte bei Anwendung dieser Prinzipien einschränkend berücksichtigt werden können. (1) Verhältnismäßigkeitsprinzip Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist bei jeder staatlichen Maßnahme zu beachten817 und somit auch bei Sanktionen. Es kann sowohl auf Ebene des Entschließungsermessens als auch auf Ebene des Auswahlermessens Berücksichtigung finden. (a) Legitimer Zweck Denkbar wäre zunächst, eine bestimmte Zweckverfolgung gegenüber jungen Menschen für illegitim zu halten.
813
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120 ff. So Rengier, in: Senge, § 12, Rn. 10; Lutz, in: Senge, Vor § 53, Rn. 180; Rebmann/Roth/ Herrmann, Band 1, § 12, Rn. 8, Stand: 14. Lfg., Februar 2009. 815 Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 13, § 47, Rn. 79; so auch Bohnert, S. 18 f. 816 Maurer, Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 17. 817 Sachs, in: Sachs, Vor Art. 1, Rn. 135, Art. 20, Rn. 146; Mitsch, in: Senge, Einleitung, Rn. 124. 814
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So können z. B. im Einzelfall gegenüber einem Jugendlichen der generalpräventive Zweck einer Geldbuße818 und wegen einer solchen Zweckverfolgung erfolgende Sanktionsaufschläge als illegitim erachtet werden.819 In Hinblick auf erzieherische Sanktionen ist bei der Frage der legitimen Zweckverfolgung als erzieherische Erwägung die Erziehungsbedürftigkeit zu beachten. In der Sache geht es dabei darum, inwieweit der Staat erzieherisch intervenieren darf.820 Unzulässig ist es, einen erzieherischen Maßstab anzulegen, der über das Ziel, ein Leben ohne Ordnungswidrigkeiten, hinausgeht.821 Erziehungsmaßnahmen sind demnach nicht gegeben, wenn sich aus der Art der Zuwiderhandlung ergibt, dass nicht Erziehungsmängel, sondern andere Gegebenheiten (z. B. finanzielle Situation, Taten in Form eines Streichs ohne Wiederholungswahrscheinlichkeit, Unachtsamkeit) auslösend für das rechtlich erfasste Verhalten waren.822 Weil regelmäßig die Taten von jungen Menschen keine erzieherischen Mängel aufweisen (Episodenhaftigkeit von Jugenddelinquenz)823, sollte eine förmliche Reaktion genauso regelmäßig unterbleiben, damit die Zuwiderhandlung auch bei einer Episode bleiben kann und nicht die Reaktion den Grundstein für eine delinquente Karriere legt.824 (b) Geeignetheit Auf Ebene der Geeignetheit ist zu fragen, ob eine Sanktion die ihr beigemessenen Zwecke überhaupt fördern kann. Bei erzieherischen Sanktionen muss als erzieherische Erwägung die Erziehungsfähigkeit beachtet werden, wobei zwischen den Gegebenheiten auf Seiten des Erziehers (etwa Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) und des Zöglings zu unterscheiden ist.825 Ob ein junger Mensch in der Rolle des Zöglings erziehungsfähig ist, hängt davon ab, inwieweit erzieherische Mängel anlagebedingt oder erworben sind.826 Ob die Erzieher im strafrechtlichen System erziehungsfähig sind, wird vom Gesetzgeber generell unterstellt, indem er die gesetzlichen erzieherischen Maß818
Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). Hierzu tendiert anscheinend auch Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 64 – Jugendliche. 820 Eisenberg, § 5, Rn. 14. 821 Entsprechend Eisenberg, § 5, Rn. 14. 822 Eisenberg, § 5, Rn. 14. 823 Vertiefend zur Episodenhaftigkeit von Jugenddelinquenz mit weiteren Nachweisen, siehe Meier, in: Meier/Rössner/Schöch, § 3, Rn. 6 f. 824 Eisenberg, § 5, Rn. 14 f. 825 Eisenberg, § 5, Rn. 15 ff. 826 Eisenberg, § 5, Rn. 15. 819
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nahmen Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten überträgt, die erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein sollen (§ 37 JGG). Die Erziehungsfähigkeit ist nach der gesetzgeberischen Konzeption somit keine Frage des Einzelfalls, sondern wird durch die gesetzliche Funktionsübertragung abschließend geregelt. Gleichwohl wird diese gesetzgeberische Konzeption in der Wirklichkeit durchbrochen, denn im Einzelfall werden erzieherische Maßnahmen – hier ist in erster Linie an die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung usw. mit erzieherischen Zweck gedacht – wohl nicht in völlig unerheblichen Ausmaß von solchen staatlichen Institutionen (insbesondere der Polizei [Problem der sog. Polizeidiversion827]; im Ordnungswidrigkeitenrecht die Verwaltungsbehörden) durchgeführt, die nicht kraft Funktion erziehungsfähig sind. Als eine weitere erzieherische Erwägung ist die Erziehungswilligkeit des Erziehers und des Zöglings zu beachten.828 Eine Erziehungswilligkeit des Zöglings lässt sich nur dann feststellen, wenn der junge Mensch sich nicht als Objekt der Behandlung oder Betreuung, sondern als gleichwertiger Partner empfindet.829 Hierzu gehört auch, dass der junge Mensch die Sanktion als Hilfestellung annimmt.830 Auf Seiten der Erzieher gilt auch hier, dass der Gesetzgeber durch die Funktionsübertragung unterstellt, dass die mit erzieherischen Befugnissen betrauten staatlichen Hoheitsträger willig sind, erzieherisch tätig zu sein. In der Wirklichkeit des Einzelfalls ist subjektive Erziehungswilligkeit aber nicht immer auf Seiten der staatlichen Hoheitsträger gegeben, denn diese unterliegen auch allgemeinen anthropologischen Grenzen.831 Denkbar ist weiterhin, dass es gesetzliche Wertungen gibt, die in Hinblick auf junge Menschen eine bestimmte Sanktion gegenüber einer anderen Sanktion als förderlicher einstufen. Dies ist z. B. im Verhältnis zwischen Erzwingungshaft gem. § 96 OWiG und Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG anzunehmen. Hier ist stets zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch Regelung der Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG zum Ausdruck gebracht hat, dass bei jugendspezifischen Umständen oder Reifedefiziten von Jugendlichen und Heranwachsenden die Anordnung von Sanktionen i.S.d. § 98 I 1 OWiG förderlicher zur Vollstreckung der Geldbuße und zur Förderung ihres Sanktionszwecks ist als die Anordnung der Erzwingungshaft gem. § 96 OWiG.832
827 828 829 830 831 832
Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 121. Eisenberg, § 5, Rn. 15. Eisenberg, § 5, Rn. 17. Eisenberg, § 5, Rn. 17. Eisenberg, § 5, Rn. 17. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120.
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(c) Erforderlichkeit Auf Ebene der Erforderlichkeit ist zu prüfen, ob eine Maßnahme im Vergleich zu einer anderen gleichwirksam aber weniger belastend ist. Man wird sich bei schuldhaften Taten von jungen Menschen fragen können, ob nicht die bloße Durchführung des Verfahrens ein weniger einschneidendes und gleich wirksames Mittel wie die Sanktionsverhängung ist. Die Durchführung des Verfahrens kann bereits erhebliche präventive Wirkungen haben und somit das Präventionsbedürfnis befriedigen, ohne dass es einer Sanktionsverhängung bedarf.833 Auch ist z. B. regelmäßig in Hinblick auf die Zweckverfolgung die Anordnung einer Verwarnung mit oder ohne Verwarnungsgeld gegenüber einem jungen Menschen genauso wirksam wie die Anordnung einer Geldbuße, aber unter dem Aspekt der Sanktionslast milder und deshalb erforderlich.834 (d) Angemessenheit Im Rahmen der Angemessenheit müssen verschiedene Gesichtspunkte miteinander abgewogen werden. Bei Sanktionen, die Schuld voraussetzen, sind einerseits die Schwere der Sanktion und andererseits der Tatvorwurf in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Dabei ist regelmäßig zu berücksichtigen, dass junge Menschen im Einzelfall ausreichend verantwortlich sind, dass überhaupt eine Sanktion angewendet werden kann, gleichwohl die Verantwortlichkeit aus jugendspezifischen Umständen weniger stark ausgeprägt ist als bei einem Erwachsenen.835 Diese weniger stark ausgeprägte Verantwortlichkeit reduziert den Tatvorwurf, sodass – soweit der Tatvorwurf für eine Sanktion maßgeblich ist – auch nur eine mildere Sanktion angemessen sein wird. Aber auch wenn eine Sanktion keine Schuld voraussetzt, wird man die Schwere des Fehlverhaltens und das Maß der Sanktion miteinander abwägen müssen. Außerdem wird man einerseits die Folgen einer mehr oder weniger schweren Sanktion und andererseits die Folgen des Ausbleibens einer Sanktion abwägen müssen (Folgenabwägung). Dabei ist zu prüfen, ob die Sanktionen sich nachteilig auf die Entwicklung des jungen Menschen auswirken und, wenn dies der Fall ist, ob diese Wirkungen in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck und zum zu erwartenden Erfolg der Sanktion stehen. Zu beachten ist hierbei, dass die Sanktionierung auch gerade ein negatives Ereignis sein kann, das erst ein soziales Reifedefizit produziert und somit zum Auslöser für neue Zuwiderhandlungen wird. Bei freiheitsbeschränkenden Sanktionen sei insbesondere darauf hingewiesen, dass junge Menschen Freiheitsbeschränkungen aufgrund geringerer Zeiterfahrung 833
Vgl. oben Kapitel B., Fn. 24. So sieht es der Gesetzgeber: Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. 835 So auch Mitsch zum Bußgeldbemessungskriterium Vorwurf in § 17 III 1 2. Alt. OWiG, siehe Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 64 – Jugendliche. 834
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subjektiv länger empfinden und sie im Regelfall stärker und nachhaltiger beeindruckt werden als Erwachsene.836 Dementsprechend werden Freiheitsbeschränkungen gegenüber jungen Menschen regelmäßig nur dann angemessen sein, wenn ihre Dauer kürzer bemessen wird. Erzieherische Erwägungen sind in die Abwägung einzubringen, wenn Sanktionen erzieherische Zwecke verfolgen. Da sie wie bereits oben gesagt an jugendspezifische Umstände anknüpfen, ist es erforderlich, Art und Ausmaß jugendspezifischer Umstände in der Person des jungen Menschen zu ermitteln. In Hinblick auf jugendspezifische Umstände ist zwischen kognitiven und sozialen Umständen zu differenzieren. Bei kognitiven Umständen wird bereits regelmäßig die Erziehungsbedürftigkeit und somit die Geeignetheit einer erzieherischen Maßnahme infrage stehen, denn eine Sanktion kann ein kognitives Reifedefizit nur schwer abstellen bzw. eine kognitive Entwicklung beschleunigen – sieht man einmal davon ab, dass ein kognitives Reifedefizit nur schwerlich vorwerfbar ist und deshalb regelmäßig schon die Tatbestandsseite ausgeschlossen sein wird. Hingegen kann einem sozialen Reifedefizit durch eine erzieherische Sanktion entgegengewirkt werden. Denn hierbei dient die Sanktion in erster Linie dem Lernen von adäquaten Verhaltensweisen. In der Abwägung kann auch eine individuelle Ahndungsempfindlichkeit beachtet werden.837 Je höher diese ist, desto weniger scharf muss die Sanktion sein. Ist hingegen die Ahndungsempfindlichkeit niedriger, so ist zweifelhaft, ob aus diesem Grund auch eine härtere Sanktion angemessen ist. Auf den ersten Blick ließe sich zwar eine härtere Sanktion durch repressive, spezialpräventive oder erzieherische Überlegungen rechtfertigen. Jedoch droht diese spezialpräventive oder erzieherische Zweckverfolgung den Keim für ihr eigenes Fehlgehen dergestalt in sich zu tragen, als dass die Gefahr besteht, dass der junge Mensch eine härtere Ahndung im Vergleich zu anderen jungen Menschen oder Erwachsenen als ungerecht ansehen und deshalb nicht annehmen wird.838 Die Lösung des Problems der geringen Ahndungsempfindlichkeit sollte deshalb weniger in einer härteren Sanktion, sondern eher in einer besseren Kommunikation zwischen Normbrecher und Sanktionssubjekt liegen. In der Abwägung dürfen vorhergehende Sanktionierungen, die den Anschein erwecken, erfolglos gewesen zu sein, nicht zur Rechtfertigung schärferer Sanktionen herangezogen werden. Das Phänomen, um das es hier geht, wird auch als Sanktionsspirale bezeichnet. Die scheinbare Erfolglosigkeit einer Sanktion ist bei jungen Menschen nicht unbedingt auf Trotz zurückzuführen. Der Grund für die Erfolglosigkeit kann darin liegen, dass die Kommunikation zwischen dem jungen Normbrecher und dem Sanktionssubjekt fehlgeschlagen ist – und hierzu bietet das ide-
836 837 838
Schüler-Springorum, in: FS-Jescheck, S. 1133; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 298. BGH StV 1989, 152. So auch Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 299.
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altypische Bußgeldverfahren einiges an Raum.839 Außerdem trägt die im idealtypischen Verfahren erfolgende Hauptsanktion, die Geldbuße, auch einen Keim für ihr Fehlschlagen in sich, weil sie nicht auf individuelle Problemlagen eines jungen Menschen abzielt.840 Umgekehrt kann eine Maßnahme gerade auch wegen jugendspezifischer Umstände umso mehr geboten sein: Ein gefährlicher Gegenstand kann in der Hand eines Kindes weitaus gefährlicher sein als in der Hand eines Erwachsenen, sodass eine Einziehungsanordnung gegen ein Kind zur Abwehr einer Gefahr umso dringender ist. (2) Schuldprinzip Nach dem Schuldprinzip muss die Strafe und der Vorwurf, der den Täter trifft, in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.841 Es gilt aber auch für alle anderen staatlichen Maßnahmen, die an einen Schuldvorwurf anknüpfen.842 Da die Vorwerfbarkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts materiell Schuld ist, gilt auch für die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts das Schuldprinzip.843 Zur Abstimmung von Schuldvorwurf und Sanktion wurde oben bereits Stellung genommen.844 (3) Subsidiaritätsprinzip Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kann als eine weitere Einschränkung auf Rechtsfolgenseite das Subsidiaritätsprinzip hergeleitet werden.845 Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist der Einsatz belastender Mittel für den Rechtsgüterschutz dort nicht erforderlich, wo weniger belastende Mittel zur Verfügung stehen.846 Demnach könnte ein weniger belastendes Mittel z. B. die bloße Durchführung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens sein mit abschließender Einstellung des Verfahrens gem. § 47 I, II OWiG oder eine Maßnahme der Erziehungsberechtigten, des Jugendamtes, der Schule oder der Ausbildungsstätte, wenn dadurch bereits die Zwecke einer Sanktion in ausreichender Weise gefördert wurden.
839
Vgl. zu den Kommunikationsproblemen zwischen jungen Menschen und Gericht im Jugendstrafverfahren: Ohder, in: FS-Eisenberg, 2009, S. 428 f., 434; vgl. auch Eisenberg, § 5, Rn. 15. Vgl. auch oben Kapitel B. I. 2. a). 840 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 300. 841 BVerfGE 73, 206 (253 f.); 64, 261 (270 f.); 45, 187 (259 f.). 842 BVerfGE 84, 82 (87); 20, 323 (331); 9, 167 (169 f.); 6, 389 (439). 843 BVerfGE 9, 167 (169 f.); BGHSt 20, 333 (337); Mitsch, in: Senge, Einleitung, Rn. 123; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 6, Rn. 8; § 10, Rn. 2; a.A. Klesczewski, Rn. 320. 844 Siehe oben Kapitel B. II. 3. c) aa) (1) (d). 845 Roxin, Band 1, § 2, K, Rn. 98. 846 Roxin, Band 1, § 2, K, Rn. 97 ff.
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(4) Bestimmtheitsgebot Rechtsfolgen müssen durch den Rechtsanwender so formuliert werden, dass der Rechtsunterworfene sie verstehen kann.847 Dies gilt insbesondere dann, wenn der Rechtsanwender einen Spielraum zur Erfindung von Rechtsfolgen hat. Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt diese Überlegung insbesondere bei den Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG und den Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 Nr. 4 OWiG. Gegenüber jungen Menschen gilt umso mehr, dass der Rechtsanwender die Entwicklungssituation des jungen Menschen zu beachten und entsprechend die Rechtsfolge in einer angemessenen Weise zu formulieren hat. (5) Ergebnis Als allgemeine Regelungen der Ermessensausübung wurden das Verhältnismäßigkeitsprinzip, Schuldprinzip, Subsidiaritätsprinzip und Bestimmtheitsgebot benannt. Bei der Anwendung dieser Prinzipien können sich in der Ermessensausübung Einschränkungen aufgrund von jugendspezifischen Umständen und erzieherischen Erwägungen ergeben. bb) Spezielle Regelungen der Ermessensausübung Einschränkungen für junge Menschen können sich aus Ermessensregelungen ergeben, die nur für bestimmte Sanktionen gelten. In diesem Kontext sind insbesondere § 17 OWiG und § 24 OWiG zu nennen. So ist die Bedeutung einer Ordnungswidrigkeit ein Kriterium, das in der Ermessensausübung in Hinblick auf die Bußgeldbemessung zu berücksichtigen ist, § 17 III 1 1. Alt. OWiG. Soweit die Bedeutung der Tat in einem spezifischen Zusammenhang zum Alter des Täters oder sonstigen spezifischen Eigenschaften junger Menschen steht, ist dies als Ermessenserwägung zu beachten.848 Der Vorwurf, der den Täter trifft, ist bei der Geldbuße gem. § 17 III 1 2. Alt. OWiG und bei der Einziehung von Gegenständen gem. § 24 I OWiG Kriterium der Bußgeldbemessung bzw. des Auswahlermessens. Auch ohne ausdrückliche Regelung wäre der Vorwurf wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzips bzw. Schuldprinzips bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.849 Nach § 17 III 2 OWiG können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ein Bemessungskriterium für die Geldbuße sein. In der Subsumtion wird zu berücksichtigen sein, dass das Vermögen eines jungen Menschen regelmäßig gering ist, sodass die wirtschaftlichen Verhältnisse bei einem jungen Menschen regelmäßig nur 847 848 849
Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 126. Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 43 – Heranwachsender, Jugendlicher. Siehe oben Kapitel B. II. 3. c) aa) (1) (d) und Kapitel B. II. 3. c) aa) (2).
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eine geringe Geldbuße rechtfertigen.850 Insbesondere ist hier zu berücksichtigen, dass bei jungen Menschen die Gefahr besteht, dass sie die Geldbuße nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können, sodass Eltern und andere Verwandte die Geldbuße in letzter Konsequenz ganz oder teilweise zahlen. Dies kann den Präventionszweck dahingehend vereiteln, dass der junge Mensch den Eindruck gewinnt, dass man im Leben für eigene Fehler nicht haften muss, weil andere für einen einstehen.851 cc) Ergebnis Bei Verhängung der Rechtsfolge können jugendspezifische Umstände und erzieherische Erwägungen insbesondere bei der Ermessensausübung einschränkend berücksichtigt werden. Eine untergeordnete Rolle spielen ausdrückliche Einschränkungen oder solche, die sich im Wege eines Rechtsreflexes ergeben. d) Ergebnis Auf Ebene der Rechtsfolge können sich in Hinblick auf junge Menschen Einschränkungen für die Sanktionsanwendung ergeben. 4. Einschränkungen der Sanktionierung von jungen Menschen auf Ebene des Verfahrens Es stellt sich hier die Frage, ob es Einschränkungen auf Ebene des Verfahrens gibt, die unabhängig vom Anlass der Sanktionen, den Erscheinungsformen der Maßnahme und den Zwecken sind und gleichwohl Sanktionen gegen junge Menschen ausschließen. a) Ahndungsreife In Betracht kommt zunächst, dass sich aus dem Fehlen der sog. Ahndungsreife (teilweise auch Bußgeldmündigkeit852 genannt) Einschränkungen für das Verfahren ergeben. Die Ahndungsreife beschreibt die Eigenschaft einer Person, einerseits das Unrecht einer Handlung einzusehen und dementsprechend zu handeln, und andererseits
850 Nach Fromm werden gegen junge Auszubildende in der Regel Geldbußen bis zu einer Höhe von 700 EURO wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten verhängt, die oftmals ihr Monatsnettogehalt übersteigen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse würden in den Bußgeldentscheidungen nicht ausreichend gewürdigt. Siehe Fromm, NZV 2016, S. 59. 851 So auch Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 64 – Jugendliche. 852 Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 10, Rn. 7, § 24, Rn. 13.
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wegen der Unrechtseinsicht und des Steuerungsmangels Verantwortung für ihre Handlung durch Ahndung mit staatlichen Sanktionen übernehmen zu müssen.853 Die Ahndungsreife umfasst die Verantwortlichkeit gem. § 12 I OWiG und geht über diese hinaus, weil sie auch die Fähigkeit zur Tragung der Unrechtsfolgen beinhaltet. aa) Kinder Kinder handeln gem. § 12 I 1 OWiG nicht vorwerfbar und können keine Ordnungswidrigkeiten begehen. Kinder können also nicht geahndet werden und sind demnach ahndungsunreif. Das Bußgeldverfahren kann gegen ein Kind also in keinem Fall zur Festsetzung einer Geldbuße und zum Erlass eines Bußgeldbescheides führen. Entsprechend gilt für das Verwarnungsverfahren, dass dieses in keinem Fall zu einer Verwarnung mit oder ohne Verwarnungsgeld führen kann. Ein Strafverfahren, in dem eine Ordnungswidrigkeit verfolgt wird (§ 81 f. OWiG), kann nicht mit einer Verurteilung wegen der Ordnungswidrigkeit enden. Demnach sind Bußgeldverfahren, Verwarnungsverfahren und Strafverfahren gegen Kinder von vornherein sinnlos.854 Nach allgemeiner Auffassung errichtet deshalb § 12 I 1 OWiG ein Verfahrenshindernis.855 Dieses Verfahrenshindernis gilt jedoch nicht für alle Verfahren, sondern nur für solche Verfahren, die die Ahndung eines Kindes wegen einer vorwerfbaren Tat bezwecken. Durchführbar sind Verfahren, die der Gefahrenabwehr oder der Verhinderung rechtswidriger Vermögenslagen dienen. Dies sind solche Verfahren, die die Einziehung von gefährlichen Gegenständen gem. § 22 II Nr. 2 OWiG oder die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG zum Gegenstand haben. Demnach kann z. B. ein Kind Nebenbeteiligter eines Bußgeldverfahrens gem. § 87 I, II OWiG sein, wenn das Kind sich mit einer mit Geldbuße bedrohten Handlung an einer Tat gem. § 14 OWiG beteiligt hat und das Kind Eigentümer eines Gegenstands ist, der gem. § 22 II Nr. 2, III OWiG eingezogen werden kann. Ein Kind kann z. B. auch Einziehungsbeteiligter im Sinne des § 29a OWiG in einem selbstständigen Verfahren gem. § 87 VI OWiG sein, wenn gegen den Täter einer Ordnungswidrigkeit ein Bußgeldverfahren nicht durchgeführt werden kann, das Kind selbst tatunbeteiligt ist und es etwas erlangt hat.
853
Vgl. entsprechend Fuchs zur Strafmündigkeit: Fuchs, S. 43 ff. Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 24, Rn. 13. 855 So auch Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 24, Rn. 13; Roxin, Band 1, § 20, B, Rn. 51. 854
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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bb) Jugendliche Jugendliche sind, sofern die Voraussetzungen des § 12 I 2 OWiG i.V.m. § 3 S. 1 JGG erfüllt sind, verantwortlich und können vorbehaltlich anderer vorwerfbarkeitsausschließender Umstände vorwerfbar handeln. Jugendliche können also Ordnungswidrigkeiten begehen und unter bestimmten Voraussetzungen geahndet werden. Sie sind demnach bedingt ahndungsreif. Da das Bußgeldverfahren, Verwarnungsverfahren oder Strafverfahren nicht von vornherein sinnlos ist, kommt ein Verfahrenshindernis auch nicht in Betracht. cc) Heranwachsende Heranwachsende gelten wie Erwachsene als uneingeschränkt ahndungsreif. dd) Folgen fehlender Ahndungsreife Die Folge fehlender Ahndungsreife ist, dass das Verfahren im jeweiligen Verfahrensstadium aus Legalitätsgründen durch Beschluss eingestellt werden muss, z. B. im behördlichen Verfahren gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 170 II StPO oder im gerichtlichen Verfahren gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 206a I StPO.856 Ein gerichtliches Verfahren gegen Jugendliche kann auch durch Einstellungsurteil beendet werden gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 260 III StPO.857 Eine Einstellung aus Opportunitätsgründen gem. § 47 I, II OWiG ist nicht möglich.858 ee) Ergebnis Einschränkungen für Verfahren ergeben sich bei fehlender Ahndungsreife in Form eines Verfahrenshindernisses, sodass das Verfahren einzustellen ist. Bei Jugendlichen ergibt sich aus der fehlenden Ahndungsreife zwar kein Verfahrenshindernis, aber das Verfahren ist ebenfalls einzustellen oder mit Einstellungsurteil zu beenden. Die Ausführungen gelten für alle Verfahren, die schuldhafte Zuwiderhandlungen zum Gegenstand haben und zum Anlass einer (zumindest) repressiven Sanktion machen. Es muss also konsequenterweise z. B. im Verfahren gegen Kinder wegen Ordnungsverstößen gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 51 I StPO oder § 178 I GVG ebenfalls mangels Ahndungsreife ein Verfahrenshindernis bestehen und das Verfahren eingestellt werden. 856
Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 81. Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 81. 858 Fehlende Ahndungsreife führt nicht zu einer Opportunitätseinstellung gem. § 47 I, II OWiG, vgl. entsprechend Mitsch zur Frage der fehlenden Ahndungsreife bei Jugendlichen, Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 77. 857
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
b) Verhandlungsfähigkeit Es kommt in Betracht, dass junge Menschen aufgrund typischer jugendspezifischer Umstände verhandlungsunfähig sind und dass sich hieraus Einschränkungen für das Verfahren ergeben. Die Verhandlungsfähigkeit ist ein wesentlicher Maßstab für die Vornahme von Verfahrenshandlungen859 durch nichtstaatliche Verfahrensbeteiligte im Strafverfahrensrecht.860 Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständlicher Weise zu führen und Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen.861 Es kommt also im Wesentlichen darauf an, dass die infrage kommende Person hinsichtlich des Verfahrens und seiner Verfahrenshandlungen einsichtsfähig ist.862 aa) Kinder Kinder sind nicht verhandlungsfähig.863 Der Gesetzgeber hat mit § 12 I 1 OWiG die unwiderlegbare Vermutung dafür aufgestellt hat, dass Kinder nicht das Unrecht einer Tat erkennen können. Demnach erscheint es nur konsequent, dass sie auch nicht den Sinn einer Verteidigung wegen eines entsprechenden Tatvorwurfs erkennen können. Da jedoch gegen Kinder schon gar keine Verfahren zur Ahndung einer Ordnungswidrigkeit oder anderer schuldhafter Zuwiderhandlungen durchgeführt werden können,864 ist diese Überlegung auch eher theoretischer Natur. Hieraus kann man aber den allgemeinen Rechtsgedanken folgern, der wiederum für die Verfahren gilt, an denen Kinder beteiligt werden können, dass es für Kinder wohl nicht einsehbar sein wird, warum sie überhaupt vor Gericht wegen einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Angelegenheit verhandeln müssen. Anders ausgedrückt, ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Verhandlungsfä859
Der Begriff der „Verfahrenshandlung“ ist nicht geklärt, vgl. Roxin/Schünemann, § 22, Rn. 1 ff.; Beulke, Rn. 296. Verfahrenshandlung soll hier nur eine solche Handlung sein, die darauf gerichtet ist eine Rechtsfolge willensgemäß auszulösen, Roxin/Schünemann, § 22, Rn. 1. 860 Roxin/Schünemann, § 22, Rn. 5; Beulke, Rn. 297. 861 BGHSt 41, 16 (18); Beulke, Rn. 277; ähnlich Roxin/Schünemann, § 21, Rn. 12; Krey, Band 2, § 23, Rn. 646. 862 Vgl. z. B. zur Einspruchsberechtigung: Ellbogen, in: Senge, § 67, Rn. 14; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 67, Rn. 12. 863 So im Ergebnis Seitz/Bauer, in: Göhler, § 67, Rn. 12; a.A. Roxin/Schünemann, § 21, Rn. 17. 864 Siehe oben zur Möglichkeit der Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohten Handlungen durch Kinder Kapitel B. II. 1. a), zur Möglichkeit der Verwirklichung von quasi-vorwerfbaren Handlungen durch Kinder Kapitel B. II. 1. b), zur Möglichkeit der Verletzung von gesetzlichen und rechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren Kapitel B. II. 1. c) und insbesondere zur Verantwortlichkeit von Kindern gem. § 12 I 1 OWiG Kapitel B. II. 1. a) cc).
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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higkeit bei Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten einerseits und bei Verfahren wegen sonstiger ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sachverhalte andererseits ist nicht ersichtlich. Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht, denn Kinder sind regelmäßig nicht in der Lage, adäquat vor Gericht zu verhandeln. bb) Jugendliche Jugendliche können verhandlungsfähig sein.865 Anders als Kinder müssen sich Jugendliche für das von ihnen verwirklichte Unrecht verantworten, sofern sie verantwortlich im Sinne des § 12 I 2 OWiG sind. Dementsprechend ist ein Gebot des fairen Verfahrens gem. Art. 20 III GG im behördlichen Verfahren bzw. Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 I GG im gerichtlichen Verfahren, dem verhandlungsfähigen Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, zu Wort zu kommen – d. h. nicht nur zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, sondern auch Verfahrenshandlungen vornehmen zu können (z. B. Akteneinsicht, Stellen von Beweisanträgen) –, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ausgang nehmen zu können.866 Im Übrigen ist es für den Erfolg des Verfahrens auch regelmäßig förderlich, den verständigen Jugendlichen einzubeziehen, denn dort wo an dem Jugendlichen vorbei verhandelt wird, droht jugendlicher Trotz oder Resignation vor dem von Erwachsenen dominierten Verfolgungsorgan, den Erfolg des Verfahrens zu vereiteln. Berücksichtigung muss aber auch finden, dass sich Jugendliche noch in einer Übergangsphase von Kindheit und Erwachsenenalter befinden und sich ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten noch entwickeln. Es ist deshalb ebenfalls ein Gebot fairen Verfahrens bzw. des rechtlichen Gehörs, dass Jugendliche nicht vom Rechtsanwender überfordert und vom Verfahren überrollt werden dürfen. Dementsprechend muss die Verhandlungsfähigkeit positiv festgestellt werden, wobei, entsprechend auf die Verhandlung bezogen, auch die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit als Maßstab heranzuziehen ist.867
865
Vgl. anhand des Beispiels der Erhebung eines Einspruchs: Rebmann/Roth/Herrmann, Band 1, § 67, Rn. 2, Stand: 13. Lfg., September 2008; Ellbogen, in: Senge, § 67, Rn. 14; Seitz/ Bauer, in: Göhler, § 67, Rn. 12; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 67, Rn. 8; der Gesetzgeber bestätigt diese Ansicht, wenn er den Jugendlichen das Recht zugesteht, in eigener Person Einspruch zu erheben, siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 91. 866 BVerfGE 101, 397 (404 ff.); 65, 171 (174 f.); 9, 89 (95); demgegenüber wird anscheinend teilweise angenommen, dass das Recht auf rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren auch für das behördliche Verfahren gilt, so Lutz, in: Senge, Vor § 53, Rn. 63, § 55, Rn. 3; Lemke, in: Lemke/Mosbacher, § 55, Rn. 2. 867 Siehe zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit oben Kapitel B. II. 1. a) cc).
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cc) Heranwachsende Heranwachsende werden wie Erwachsene behandelt und gelten deshalb im Regelfall als verhandlungsfähig.868 Eine Verhandlungsunfähigkeit ist wie bei Erwachsenen nur in Ausnahmefällen denkbar und muss positiv festgestellt werden.869 Reifedefizite, die für das frühe Erwachsenenalter noch typisch sein können, sind für ihre Verhandlungsfähigkeit unbeachtlich. dd) Folgen der Verhandlungsunfähigkeit In Betracht kommt, dass die reifebedingte Verhandlungsunfähigkeit von Kindern und Jugendlichen zu Verfahrenshindernissen führt. Nach allgemeiner Auffassung führt dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit zu einem Verfahrenshindernis.870 Dauerhaft in diesem Sinne ist ein auf unbestimmte Zeit bestehender Zustand ohne Aussicht auf Veränderung. Bei der Auslegung des Begriffs der Dauerhaftigkeit muss der Sinn und Zweck des Verfahrenshindernisses berücksichtigt werden: Es soll verhindert werden, dass Verfahren gegen Personen durchgeführt werden, die nicht in der Lage sind, begangenes Unrecht zu verstehen oder nur unter Lebensgefahr an dem Verfahren teilnehmen können.871 Während die kognitive Uneinsichtigkeit Fälle von Demenz oder angeborener Minderbegabung meint, meint die körperliche Unfähigkeit vor allem solche Verfahrensbeteiligte, die sich in einem Zustand schwerer Krankheit oder körperlicher Leiden ohne Aussicht auf Besserung befinden. Dass sich in diesen Fällen ein Verfahrenshindernis ergibt, wird mit der Menschenwürde gem. Art. 1 I GG und dem Ansehen rechtsstaatlicher Rechtspflege begründet;872 in den Fällen von Lebensgefährlichkeit einer Verfah-
868 Ellbogen, in: Senge, § 67, Rn. 14; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 67, Rn. 12; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 67, Rn. 8. 869 Ellbogen, in: Senge, § 67, Rn. 14; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 67, Rn. 12; Mosbacher, in: Lemke/Mosbacher, § 67, Rn. 8. 870 Krey, Band 2, § 23, Rn. 646 ff.; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 24, Rn. 14; nach Beulke ist fehlende Verhandlungsfähigkeit kein Verfahrenshindernis, sondern führt zum Fehlen einer Prozessvoraussetzung; da es keine Rolle spielt, ob man das Fehlen einer Prozessvoraussetzung oder das Vorliegen eines Prozesshindernisses annimmt – denn in beiden Fällen ist die Rechtsfolge, dass aus Legalitätsgründen eingestellt werden muss – soll diese Kontroverse hier nicht weiter entschieden werden; siehe Beulke, Rn. 277; so auch Roxin/Schünemann, § 21, Rn. 12 f.; Bohnert/Bülte nimmt ein Verfahrenshindernis nur dort an, wo der Betroffene verhandeln muss: Bohnert/Bülte, Rn. 137. 871 Beispielsweise bei Geisteskrankheit, BGH NStZ 1983, 280; Beschuldigter befindet sich in einem Zustand, bei dem Lebensgefahr oder die Gefahr eines dauerhaften irreparablen Gesundheitsschadens drohen, BVerfGE 51, 324 (346 ff.); hingegen str., wenn zu erwarten ist, dass der Beschuldigte den Abschluss des Verfahrens nicht mehr erleben würde, bejaht BerlVerfGH NJW 1993, 515 (517); diff. Beulke, Rn. 289. 872 Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 24, Rn. 14.
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rensbeteiligung wird auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 II 1 GG rekurriert.873 Die Verhandlungsunfähigkeit von Kindern und Jugendlichen beruht auf noch nicht vollständig entwickelten kognitiven Fähigkeiten und fehlenden Normkenntnissen. Da die kognitiven Fähigkeiten und Normkenntnisse während des zeitlichen Ablaufs des Verfahrens im Regelfall keine besonderen Entwicklungssprünge machen, ist der Zustand, in dem sich Kinder und Jugendliche befinden, auch von einer gewissen Dauerhaftigkeit. Jedoch ist der Zustand für Kinder und Jugendliche typisch und vorübergehend. Es handelt sich um keinen endgültigen und außergewöhnlichen bzw. krankhaften kognitiven oder körperlichen Zustand. Demnach liegt bei ihrer Verhandlungsunfähigkeit keine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit und somit kein Verfahrenshindernis aus diesem Grund vor. Auch sonst ist kein Verfahrenshindernis bei reifebedingter Verhandlungsunfähigkeit von Kindern und Jugendlichen gerechtfertigt. Die Verfahren, die der Gefahrenabwehr bzw. der Beseitigung rechtswidriger Vermögenslagen dienen, dürfen nicht durch Verfahrenshindernisse blockiert werden. Bei diesen Verfahren überwiegt das Interesse an der Durchführung der Verfahren gegenüber dem Interesse am Schutz des kindlichen bzw. jugendlichen Wohls; letzteres Interesse muss durch eine besonders schonende Durchführung des Verfahrens realisiert werden. Hinsichtlich der Verfahren gegen Jugendliche, die der Ahndung von Unrecht dienen, ist das Ergebnis ebenfalls nicht unbillig, denn fehlende Verhandlungsfähigkeit bedeutet nicht fehlende Ahndungsreife. Bei vorliegender Ahndungsreife besteht trotz fehlender Verhandlungsfähigkeit ein Ahndungsbedürfnis und somit ein Bedürfnis für die Durchführung des Verfahrens. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Verfahrenshindernisse durch reifebedingte Verhandlungsunfähigkeit nicht begründet werden. Die Folge der reifebedingten Verhandlungsunfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist, dass sie sich für die Vornahme von Verfahrenshandlungen von ihren gesetzlichen Vertretern oder Erziehungsberechtigten vertreten lassen müssen.874 ee) Ergebnis Es ergeben sich keine Einschränkungen für Verfahren aus reifebedingter Verhandlungsunfähigkeit. c) Einverständnis des Betroffenen mit Sanktionen Es gibt Sanktionen, die für ihre Wirksamkeit notwendig die Zustimmung des Betroffenen voraussetzen. 873 874
BVerfGE 51, 324 (346 ff.). Ellbogen, in: Senge, § 67, Rn. 26, 30.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Eine Zustimmung des Betroffenen ist erforderlich für die Wirksamkeit der Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG (vgl. § 56 II 1 OWiG). Nach der hier vertretenen Auffassung kann ein Bußgeldverfahren gem. § 47 I, II OWiG unter Auflagen und Weisungen eingestellt werden.875 Für eine Verfahrenseinstellung unter Auflagen und Weisungen gem. § 47 I, II OWiG ist ebenfalls die Zustimmung des Betroffenen erforderlich. Die Verfahrenseinstellung unter Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO verlangt gem. § 153a I 1, II 1 StPO die Zustimmung des Beschuldigten bzw. Angeschuldigten. Das Zustimmungserfordernis ist der Ausgleich dafür, dass dem Beschuldigten bzw. Angeschuldigten eine Leistung abverlangt wird, die Sanktion ist, ohne dass seine Schuld durch autoritativen Wahrspruch festgestellt worden ist oder nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts feststeht. Die notwendige Schuldfeststellung muss zumindest den Anforderungen an einen hinreichenden Tatverdacht gerecht werden.876 Die Situation ist bei der Verfahrenseinstellung unter Auflagen und Weisungen gem. § 47 I, II OWiG identisch, demnach ist auch hier ein Zustimmungserfordernis zu verlangen. Dies gilt auch bei Verfahrenseinstellungen unter Auflagen und Weisungen gem. § 47 I, II OWiG gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden.877 Es stellt sich bei diesen Sanktionen die Frage, ob junge Menschen eine wirksame Zustimmung erteilen können. Für Kinder stellt sich die Frage schon deshalb nicht, weil es sich um Sanktionen handelt, die materiell-rechtlich eine Ordnungswidrigkeit voraussetzen. Mangels vorwerfbaren Handelns gem. § 12 I 1 OWiG kann eine Ordnungswidrigkeit bei Kindern aber unter keinen Umständen gegeben sein. Das Bußgeldverfahren und Verwarnungsverfahren ist in jedem Fall folgenlos einzustellen.878
875
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). Diemer, in: Hannich, § 153a StPO, Rn. 11. 877 Denkbar wäre, in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende an Stelle der Zustimmung ein Geständnis zu fordern. Dies könnte man damit begründen, dass bei Verfahrenseinstellungen unter Auflagen und Weisungen im Strafverfahren ein Geständnis erforderlich ist, vgl. §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG. Ein solcher Ansatz ist aber zu verneinen. Das Geständnis dient erzieherischen Zwecken, vgl. hierzu Meier, in: Meier/Rössner/Schöch, § 7, Rn. 25. Wie bereits festgestellt, dienen das Ordnungswidrigkeitenrecht und das Bußgeldverfahren nur dann erzieherischen Zwecken, wenn es der Gesetzgeber ausdrücklich vorsieht, siehe oben Kapitel B. II. 3. c). Würde man ein Geständnis in Anwendung des Rechtsgedankens des §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG fordern, so würde man diese Systematik durchbrechen. Im Übrigen würden Jugendliche und Heranwachsende dann auch schlechter behandelt als Erwachsene (vgl. zum Schlechterstellungsverbot Kapitel B., Fn. 654). Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis eines Geständnisses schon im Kontext des Jugendstrafverfahrens überwiegend als rechtspolitisch verfehlt angesehen wird, vgl. hierzu Eisenberg, § 45, Rn. 24 ff.; Brunner/Dölling, § 45, Rn. 24. Es spricht jedoch nichts dagegen, ein Geständnis bei der Ermessensausübung in § 47 I, II OWiG als Ermessenserwägung zu berücksichtigen. 878 Siehe oben Kapitel B. II. 4. a) dd). 876
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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Für Jugendliche kommen hingegen diese Sanktionen in Betracht, wenn sie eine Ordnungswidrigkeit begehen und auch sonst keine verfahrensmäßigen Einschränkungen bestehen. Die Zustimmung ist eine Verfahrenshandlung. Oben wurde bereits festgestellt, dass für die Vornahme von Verfahrenshandlungen im Strafverfahrensrecht regelmäßig Verhandlungsfähigkeit erforderlich ist.879 Denkbar wäre indes auch, auf Prozessfähigkeit abzustellen gem. §§ 51, 52 ZPO.880 Sofern man Verhandlungsfähigkeit verlangen würde, wäre das Ergebnis, dass man je nach Einzelfall entscheiden müsste, ob der Jugendliche über die notwendige Einsicht verfügt, die Reichweite des Einverständnisses zu überblicken. Wenn er verhandlungsfähig ist, könnte er selber zustimmen, wenn er nicht verhandlungsfähig ist, müsste er sich von seinen Erziehungsberechtigten oder seinem gesetzlichen Vertreter vertreten lassen. Würde man hingegen auf die Prozessfähigkeit gem. §§ 51, 52 ZPO abstellen, so käme man zu dem Ergebnis, dass der Jugendliche gem. § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig ist und sich deshalb bei der Vornahme des Einverständnisses von seinem gesetzlichen Vertreter vertreten lassen muss. Die besseren Gründe sprechen dafür, auf die Verhandlungsfähigkeit für die Vornahme des Einverständnisses abzustellen. Dies ist erstens damit zu begründen, dass das Einverständnis im Zusammenhang mit der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit geschieht. Der Jugendliche muss sich selbst verantworten, weshalb es angebracht ist, dass er auch selber entscheidet, wenn er hierzu in der Lage ist (Maßstab: Einsichtsfähigkeit). Da es zweitens in der Sache auch regelmäßig nur um Sanktionen mit geringer Sanktionslast gehen wird, kann eine eigenverantwortliche Handhabung durch den Jugendlichen dem Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter auch zugemutet werden. Im Übrigen ist drittens regelmäßig als positiver Nebeneffekt zu erwarten, dass die Einbindung in den Sanktionierungsvorgang auf Seiten des Jugendlichen weniger Trotz und Resignation vor den von Erwachsenen dominierten Verfolgungsorganen hervorruft und eher dazu führt, dass der Jugendliche die Sanktion annimmt. Fraglich ist, ob im Falle der Verhandlungsunfähigkeit des Jugendlichen dem gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten das Zustimmungsrecht einzuräumen ist. Dagegen spricht bei der Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG der Wortlaut des § 56 II 1 OWiG, denn dieser verlangt die Zustimmung des Betroffenen. Bei einer sinngemäßen Übertragung des Regelungsmechanismus des § 153a StPO auf die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, 879
Bohnert formuliert anders, dass die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt ist, der Mitwirkungsfähigkeit voraussetzt. Die Mitwirkungsfähigkeit macht er an der Verantwortlichkeit fest. Siehe Bohnert, S. 81. Siehe auch zur Verhandlungsfähigkeit von Jugendlichen oben Kapitel B. II. 4. b) bb). 880 Das Abstellen auf Prozessfähigkeit im Bußgeldverfahrensrecht wird gelegentlich vertreten, so z. B. Gürtler, in: Göhler, § 87, Rn. 3.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
II OWiG gilt gem. § 153a I 1, II 1 StPO nichts anderes. Dieses Argument kann aber damit überwunden werden, dass es dem Bußgeldverfahrensrecht gem. § 46 I OWiG i.V.m. § 67 JGG nicht fremd ist, dass der gesetzliche Vertreter oder der Erziehungsberechtigte Verfahrenshandlungen aus eigenem Recht neben dem Betroffenen vornehmen kann. Außerdem ist denkbar, in verfassungskonformer Auslegung unter Beachtung des Art. 6 II 1 GG, ein Zustimmungsrecht des gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten zu folgern, auch wenn dieses nicht ausdrücklich im Gesetzestext normiert ist.881 Für eine Einräumung eines Zustimmungsrechts spricht, dass die Zustimmung nur die Art und Weise der Verfahrensbeendigung und nicht das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit betrifft.882 Deshalb wird durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten auch nicht der präventive Zweck der Verwarnung bzw. der Auflagen und Weisungen vereitelt, denn die Zustimmung selber ist kein Bestandteil der präventiven Zweckverfolgung. Außerdem spricht für die Möglichkeit der Zustimmung durch den gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten, dass dem Jugendlichen anderenfalls die rechtlichen Möglichkeiten sehr schonender Verfahrensbeendigungen verloren gehen. Schließlich bleibt nur der Wermutstropfen, dass die Kooperation zwischen Betroffenen und Verfolgungsorgan nach dem gesetzgeberischen Leitbild in der Konstellation verhandlungsunfähiger junger Betroffener nicht funktioniert.883 Die besseren Gründe sprechen aber dafür, die Möglichkeit der Zustimmung durch den gesetzlichen Vertreter zu bejahen. Heranwachsende werden in Hinblick auf die Verhandlungsfähigkeit wie Erwachsene behandelt.884 Sie sind verhandlungsfähig, es sei denn, es kann Verhandlungsunfähigkeit festgestellt werden. Sie können demnach ohne Weiteres selbst den Sanktionen zustimmen. d) Ermessen bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten Wie bereits oben festgestellt worden ist, hat der Rechtsanwender bei der Entscheidung über eine Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts im Regelfall Ermessen.885 Im Ordnungswidrigkeitenrecht wird Ermessen jedoch nicht nur auf Ebene der Rechtsfolge eröffnet. Gem. § 47 I, II OWiG steht schon die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Ermessen der Verfolgungsbehörde und des Gerichts. Dies gilt auch für das Strafverfahren, in dem Ordnungswidrigkeiten und Straftaten verfolgt werden (§§ 40, 45, 82, 83 OWiG).
881
Eisenberg, § 45, Rn. 20, 25. Lutz, in: Senge, § 56, Rn. 18. 883 Vgl. zum Kooperationsgedanken: Lutz, in: Senge, Vor § 56, Rn. 1 f.; Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 25, Rn. 1. 884 Siehe oben Kapitel B. II. 4. b) cc). 885 Siehe oben Kapitel B. II. 3. c). 882
II. Die Anwendbarkeit der Sanktionen auf junge Menschen
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Demnach kann das Verfahren auch schon vor Durchermittlung des Sachverhalts und Rechtsfolgenentscheidung aufgrund von jugendspezifischen Umständen und, sofern erzieherische Sanktionen in Betracht kämen, aus erzieherischen Erwägungen eingestellt werden.886 Diese Gesichtspunkte kommen wiederum in den allgemeinen Regelungen der Ermessensausübung (Verhältnismäßigkeitsprinzip usw.) als Ermessenserwägungen zum Tragen.887 So kann z. B. das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Durchführung eines Verfahrens verbieten und eine Einstellung gem. § 47 I, II OWiG gebieten, wenn der Verdacht einer unbedeutenden Ordnungswidrigkeit besteht und der zu erwartende Verfahrensausgang gegenüber dem zu erwartenden Schaden für die Entwicklung des jungen Menschen infolge der hoheitlichen Behandlung außer Verhältnis steht.888 Denkbar ist indes auch, dass eine Tat z. B. Reifedefizite eines jungen Menschen erkennen lässt und zugleich erkennbar ist, dass die Durchführung des Verfahrens bereits einen ausreichenden präventiven Einfluss hatte, sodass das Verfahren auch ohne Sanktion eingestellt werden kann. e) Ergebnis In diesem Abschnitt wurde aufgezeigt, dass sich jugendspezifische Einschränkungen bei der Durchführung des Verfahrens ergeben, die die Sanktionsverhängung im Vorfeld ausschließen können. Diese Einschränkungen können aus allgemeinen Prinzipien (Ahndungsreife, Verhandlungsfähigkeit) und der Ermessensausübung gefolgert werden. 5. Ergebnis In diesem Kapitel konnte festgestellt werden, dass Kinder, Jugendliche und Heranwachsende Anlässe von Sanktionen verwirklichen können. Bei bestimmten Sanktionen können die Anlässe aber auch durch Dritte verwirklicht werden. Einschränkungen können sich dabei bei den Anlässen der Sanktionen, Maßnahmen und Sanktionszwecken sowie bei der Durchführung des Verfahrens ergeben.
886
So auch Mitsch, in: Senge, § 47, Rn. 79; Seitz/Bauer, in: Göhler, § 47, Rn. 21; Vor § 59, Rn. 164; Krumm, in: Haus/Krumm/Quarch, § 47 OWiG, Rn. 21. 887 Siehe oben Kapitel B. II. 3. c) aa). 888 Es gelten hier sinngemäß die Überlegungen zur jugendstrafrechtlichen Diversion, vgl. hierzu Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 103 ff.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
III. Struktur des Sanktionssystems in Bezug auf junge Menschen Nach all dem Gesagten ist festzustellen, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht in der Gesamtbetrachtung kein umfassendes spezielles Sanktionssystem für junge Menschen bereithält wie das Jugendstrafrecht im JGG (vgl. insbesondere § 5 JGG).889 Das Ordnungswidrigkeitenrecht hält vielmehr ein allgemeines Sanktionssystem mit einer jugendspezifischen Teilkomponente in § 98 OWiG bereit. Ausgeblendet seien im Folgenden zunächst die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung, die auch erzieherische Zwecke verfolgen können und somit ebenfalls eine jugendspezifische Teilkomponente des Sanktionssystems darstellen.890 Sie sollen deshalb zunächst ausgeblendet bleiben, weil sie – es ihr Name schon sagt – außergesetzlich sind und somit nicht zur eigentlichen gesetzgeberischen Konzeption gehören. Unter Beachtung des idealtypischen Falls des Ordnungswidrigkeitenrechts, d. h., die Begehung einer Ordnungswidrigkeit und deren Verfolgung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und der Heranziehung des Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsprinzips als strukturgebende Elemente, die in den gesetzlichen Ermessensvorschriften transportiert werden, andererseits, kann das Sanktionssystem des Ordnungswidrigkeitenrechts in Bezug auf junge Menschen folgendermaßen beschrieben werden: Auf der ersten Stufe steht die Einstellung des Verfahrens gem. § 47 OWiG. In Bezug auf junge Menschen ist insbesondere die Frage der Erforderlichkeit und Angemessenheit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips bzw. das Subsidiaritätsprinzip zu beachten. Es stellt sich die Frage, ob nicht Reaktionen außerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts den Zweck des Ordnungswidrigkeitenrechts – den Rechtsgüterschutz – und die Zwecke seiner Sanktionen – jedenfalls nicht Erziehungszwecke, denn Sanktionen mit solchen Zwecken können nicht unmittelbar angewendet werden – verwirklichen können. Auf der zweiten Stufe steht im idealtypischen Fall die Verhängung einer Geldbuße, wenn nicht schon die Einstellung des Verfahrens oder etwa die Durchführung eines Verwarnungsverfahrens gem. §§ 56 ff. OWiG verhältnismäßiger ist. Die Geldbuße ist die zentrale Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts, auch gegenüber jungen Menschen. Bohnert bezeichnet sie auch als Primärrechtsfolge gegenüber jungen Menschen.891 Wenn ein Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt oder eine Ordnungswidrigkeit originär durch ein Gericht verfolgt wird, können auf der zweiten Stufe die jugendspezifischen Vollstreckungsanordnungen gem. §§ 78 IV, 98 OWiG angeordnet werden. Nach Bohnert handelt es sich bei diesen Vollstreckungsanordnungen 889 Vgl. zur Struktur des Jugendstrafrechts: Rössner, in: Meier/Rössner/Schöch, § 6, Rn. 5 ff. 890 Siehe zu den Zwecken dieser außergesetzlichen Maßnahmen oben Kapitel B. I. 2. b) pp). 891 Bohnert, S. 6 ff.
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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(und dem erst auf dritter Stufe möglichen Jugendarrest) um Sekundärrechtsfolgen gegenüber jungen Menschen.892 Auf der dritten Stufe stehen im idealtypischen Fall die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I OWiG, wenn der junge Mensch die Geldbuße nicht zahlen kann oder zahlen will. Auch hier gilt, dass die Vollstreckungsanordnungen auch nur dann in Betracht kommen, wenn nicht die allgemeinen Vollstreckungsmittel verhältnismäßiger sind (insb. Zahlungserleichterung gem. § 93 OWiG). Wenn bereits auf der zweiten Stufe Geldbuße verhängt sowie Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I OWiG getroffen wurden und der junge Mensch auch weiterhin nicht zahlen will, dann kann gegenüber dem jungen Menschen Jugendarrest gem. § 98 II OWiG angeordnet werden. Auch für den Jugendarrest gilt, dass dieser im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich sein muss. Auf der vierten Stufe kann gegenüber dem jungen Menschen im idealtypischen Fall Jugendarrest gem. § 98 II OWiG angeordnet werden, wenn auf der dritten Stufe Vollstreckungsanordnungen getroffen wurden. Auch auf dieser Stufe ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu prüfen. Anzumerken ist bei Betrachtung dieses Stufensystems, dass es eher einen chronologischen Ablauf des Verfahrens und das Zusammenspiel der Regelungsmechanismen abbildet und weniger die Sanktionen in ein Stufenverhältnis nach Form der Einwirkung und ihrer Intensität stellt, wie es (scheinbar) nach § 5 JGG der Fall ist. Anzumerken ist ferner, dass dieses Stufenmodell zwar überall das Verhältnismäßigkeitsprinzip fruchtbar macht, doch in Hinblick auf den legitimen Zweck ist zu differenzieren: Während im Jugendstrafrecht überall der Erziehungszweck der legitime Zweck des staatlichen Handelns ist, ist er es im Ordnungswidrigkeitenrecht nur dort, wo Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I OWiG und Jugendarrest gem. § 98 II OWiG in Betracht kommen. Diese Aussage trifft jedoch nur bei Betrachtung des gesetzlichen Systems zu. Das Sanktionssystem, so wie es sich aus dem Gesetz ergibt, wird in der Rechtswirklichkeit erweitert, indem die Rechtsanwender ohne gesetzliche Grundlage ermahnen, belehren und aufklären und dies auch mit einem erzieherischen Zweck. Demnach können entgegen dem gesetzlichen System bereits auf der ersten Stufe Sanktionen mit erzieherischen Zwecken stattfinden.
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts mit Verfassungsrecht Im Folgenden soll geprüft werden, ob die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts in Hinblick auf junge Menschen mit Verfassungsrecht vereinbart werden 892
Bohnert, S. 8 ff.
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können.893 Die Untersuchung wird sich dabei auf die Frage konzentrieren, ob die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts insbesondere mit subjektivem Verfassungsrecht, d. h. Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, vereinbart werden können. 1. Prüfungsgegenstände Bei der Prüfung der Freiheitsgrundrechte und der grundrechtsgleichen Rechte sind Prüfungsgegenstände die Sanktionen in Form von Einzelakten. Dies ist damit zu begründen, dass die Sanktionen nicht schon kraft Gesetzes oder ihrer sonstigen rechtlichen Verankerung in Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte eingreifen. Ein Eingriff liegt erst dann vor, wenn es zu einem Einzelakt aufgrund der gesetzlichen bzw. rechtlichen Grundlage kommt. Gleichwohl liegt der Schwerpunkt der nun folgenden verfassungsrechtlichen Untersuchung nicht auf den Einzelakten selbst, sondern auf ihren gesetzlichen bzw. rechtlichen Grundlagen. Bei der Prüfung der Gleichheitsgrundrechte sind Prüfungsgegenstände hingegen unmittelbar die gesetzlichen bzw. rechtlichen Regelungen der Sanktionen, d. h., es geht um die Rechtsetzungsgleichheit. 2. Grundrechtsausübung Von der Frage der Grundrechtsfähigkeit, d. h., der Fähigkeit Träger von Grundrechten zu sein, ist die Frage zu trennen, wer fähig ist, selbst und eigenverantwortlich seine Grundrechte ausüben (oder gebrauchen) zu können.894 Die Frage des Grundrechtsgebrauchs ist von Bedeutung für die Konkurrenz der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des Minderjährigen einerseits und des Erziehungsrechts der Eltern gem. Art. 6 II 1 GG andererseits. Im Einzelnen ist zu dieser Thematik vieles umstritten.895 In dieser Untersuchung ist die Möglichkeit des Grundrechtsgebrauchs durch den Minderjährigen anhand der Grundrechtsmündigkeit zu bestimmen. Die Grundrechtsmündigkeit ist für jedes einzelne Grundrecht bzw. grundrechtsgleiche Recht einzeln zu bestimmen.896 Dabei 893
Siehe eine Zusammenfassung der Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts oben Kapitel B. I. 2. l). 894 Kloepfer, Band 2, § 49, Rn. 24. 895 Teilweise wird der Begriff der Grundrechtsmündigkeit nur als Einschränkung des sachlichen Schutzbereichs verstanden: Hufen, § 6, Rn. 41; teilweise wird die Grundrechtsmündigkeit nur als Ausprägung der Prozessfähigkeit verstanden bzw. befürwortet, sie nur so zu verstehen: Manssen, Rn. 68 ff.; Michael/Morlok, Rn. 452; Dreier, in: Dreier, Band 1, Vorbemerkung, Rn. 114; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 145; teilweise wird er auch als ein materiell-rechtliches und prozessuales Institut verstanden: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 137 ff. 896 So auch Kloepfer, Band 2, § 49, Rn. 27.
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gelten starre Altersgrenzen nur dort, wo verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Regelungen solche konstituieren. Wo hingegen keine verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Altersgrenzen normiert sind, ist auf die Grundrechtsreife, d. h. die Einsichtsfähigkeit des jungen Menschen, abzustellen.897 Spätestens tritt jedoch volle Grundrechtsmündigkeit mit Erreichen der Volljährigkeit ein. Ob eine ungewöhnlich niedrige Intelligenz eines jungen Menschen dazu führt, dass er trotz Volljährigkeit keine Grundrechtsmündigkeit erlangt, ist bisher noch nicht geklärt.898 Konkurrenzen zwischen den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten des Minderjährigen einerseits und dem Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG der Eltern andererseits sind demnach so zu lösen, dass sofern die Grundrechtsmündigkeit nicht gegeben ist, die Eltern über die materiell-rechtliche Grundrechtsausübung ihres Kindes entscheiden und diese sowohl erlauben als auch verbieten können. Sofern Grundrechtsmündigkeit gegeben ist, können die Eltern die Grundrechtsausübung ihres Kindes nicht verbieten.899 Es sei hier darauf hingewiesen, dass diese Lösung nicht zu einem Verlust an grundrechtlichem Schutz führt, denn in beiden Fällen sind die grundrechtlichen Gewährleistungen des Minderjährigen vom elterlichen Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG mitumfasst. Es geht hierbei also vielmehr um die Frage, ob materiell-rechtlich neben dem Grundrecht der Eltern aus Art. 6 II 1 GG auch die Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte ihres Kindes geltend gemacht werden. Im Folgenden wird auf die Grundrechtsmündigkeit explizit hingewiesen, wenn verfassungsrechtliche oder einfachrechtliche Vorschriften diesbezüglich zu beachten sind. Ansonsten gilt stillschweigend die Einsichtsfähigkeit als Maßstab der Grundrechtsmündigkeit. 3. Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG Bei der Herausarbeitung der Sanktionen sind vier Erscheinungen im Ordnungswidrigkeitenrecht festgestellt worden, die in Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG relevant sind: Erstens werden auf Jugendliche und Heranwachsende ausschließlich des Vollstreckungsverfahrens nach § 98 I, II OWiG die gleichen Sanktionen wie auf Erwachsene angewendet. Zweitens werden auf Jugendliche und Heranwachsende in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen die gleichen Sanktionen gem. § 98 I 1 OWiG angewendet. Drittens können im Vollstreckungsverfahren auf Jugendliche und Heranwachsende im Vergleich zu Erwachsenen gem. § 98 I, II OWiG andere Sanktionen angewendet werden. Viertens sind Kinder im Gegensatz zu Jugendlichen, Heranwachsenden und Erwachsenen weitgehend von dem Anwendungsbereich der Sanktionen ausgenommen. 897 898 899
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 138. Vgl. Rüfner, in: HbdStR, Band 9, § 196, Rn. 30; Kloepfer, Band 2, § 49, Rn. 25. So auch Kloepfer, Band 2, § 49, Rn. 29.
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Zu erstens und zweitens stellt sich die Frage, ob hierin eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von Ungleichem liegt; nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG enthält Art. 3 I GG nicht nur ein Differenzierungsverbot, sondern auch ein Differenzierungsgebot.900 Zu drittens und viertens stellt sich die Frage, ob hierin eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Gleichem vorliegt. a) Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits in Hinblick auf die allgemeinen Sanktionen In Betracht kommt, dass die weitreichende Gleichbehandlung in Hinblick auf die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von Ungleichem darstellt. Kinder sind an dieser Stelle aus der Betrachtung herauszunehmen, denn insbesondere aufgrund der Regelung des § 12 I 1 OWiG sind die Sanktionen weitestgehend nicht auf diese anwendbar. Im Folgenden ist zunächst festzustellen, ob erstens eine Gleichbehandlung von zwei Bezugsgruppen gegeben ist, wobei diese Bezugsgruppen zweitens wesentlich ungleich sein müssen. Schließlich darf diese Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem drittens nicht gerechtfertigt sein. aa) Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem Zunächst müsste eine Gleichbehandlung von zwei Bezugsgruppen vorliegen. Jugendliche und Heranwachsende sind auf Rechtsfolgenseite grundsätzlich den gleichen Sanktionen wie Erwachsene ausgesetzt. Durch § 98 OWiG wird in Hinblick auf Jugendliche und Heranwachsende nicht das Rechtsfolgensystem vergleichbar dem Jugendstrafrecht (vgl. § 10 StGB i.V.m. § 5 JGG) ausgetauscht, sondern es wird erweitert. Die Bezugsgruppen sind Jugendliche und Heranwachsende einerseits und Erwachsene andererseits. Bei den genannten Bezugsgruppen handelt es sich um Personengruppen. Es liegt eine rechtliche Gleichbehandlung von Personengruppen vor.901 Weiterhin müssten die gleich behandelten Bezugs- bzw. Personengruppen wesentlich ungleich sein. Die Bestimmung einer Ungleichheit setzt zunächst die Bil-
900
BVerfGE 6, 55 (71); 86, 81 (87); 90, 226 (239); 110, 141 (167); 123, 1 (19); 123, 186 (225); 129, 49 (68); krit. Stern, in: FS-Dürig, S. 207 ff.; Rüfner, in: FS-Kriele, S. 271 ff. 901 Weiterhin muss jede relevante Gleich- oder Ungleichbehandlung durch dieselbe staatliche Gewalt erfolgen; demnach wäre es unzulässig zu rügen, in Hinblick auf denselben Sachverhalt vom Bundesgesetzgeber durch Bundesgesetz in einer bestimmten Weise behandelt zu werden und vom Landesgesetzgeber durch Landesgesetz in einer anderen Weise behandelt zu werden. Vgl. hierzu BVerfGE 33, 224 (230 f.); Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 463. Dass diese Voraussetzung auch bei den weiteren Prüfungen des Art. 3 I GG erfüllt ist, sei im Folgenden stillschweigend voraussetzt.
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dung eines Bezugspunkts (tertium comparationis) voraus.902 Ausgehend von diesem Bezugspunkt muss ein Merkmal (differentia specifica) definiert werden, anhand dessen sich die Personengruppen wesentlich voneinander abgrenzen lassen.903 Bezugspunkt ist der Begriff „natürliche Person“. Ausgehend vom Bezugspunkt natürliche Person können anhand des Merkmals „Lebensalter“ die genannten Personengruppen voneinander unterschieden werden. Das Lebensalter ist auch ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal, denn wie in der Einführung gezeigt, bestehen zwischen Personen mit einem der Zahl nach niedrigen Lebensalter und Personen mit einem der Zahl nach hohen Lebensalter erhebliche physiologische und psychologische Unterschiede. Es bietet sich an, angelehnt an die gesetzliche Systematik, als Grenze zwischen beiden Bezugsgruppen, die Vollendung des 21. Lebensjahres zu wählen. Es liegt also eine wesentliche Ungleichheit vor. Bei der Beurteilung der Ungleichheit billigt das BVerfG dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, deren Nachprüfung in einer bloßen Evidenzkontrolle oder einer strengen inhaltlichen Kontrolle bestehen kann.904 Ob nun eine Evidenzkontrolle oder eine strenge Inhaltskontrolle angezeigt ist, ist anhand der besonderen Eigenart des Sachverhalts, der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und der Frage zu ermitteln, inwieweit der Gesetzgeber im Zeitpunkt der Entscheidung in der Lage gewesen ist, sich ein sicheres Urteil zu bilden.905 Aus den Gesetzesmaterialien ist erkennbar, dass der Gesetzgeber die Ungleichheit der Personengruppen erkannt und mit anderen Gesichtspunkten ausreichend abgewogen hat,906 sodass auch bei einer strengen Inhaltskontrolle nicht der Vorwurf einer unzureichenden Würdigung der Ausgangslage durch den Gesetzgeber angenommen werden kann. Es liegt eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem vor. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem dürfte nicht gerechtfertigt sein. Das Bundesverfassungsgericht hat Art. 3 I GG in seiner älteren Rechtsprechung als Willkürverbot interpretiert und die Rechtfertigung einer Gleichbehandlung verneint, „wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte […] ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt“.907 In seiner neueren Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht restriktiver geworden und sah das Gleichheitsgebot in seiner neuen Formel nach Art. 3 I GG dann als verletzt an, „wenn der Gesetzgeber es unterlässt, tatsächliche Ungleichheiten des zu ordnenden Lebenssachverhalts zu 902 903 904 905 906 907
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 463. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 465. BVerfGE 50, 290 (332 f.); 88, 87 (97); 99, 367 (389 f.); 110, 141 (168). BVerfGE 50, 290 (332 f.); 88, 87 (97); 99, 367 (389 f.); 110, 141 (168). Vgl. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. BVerfGE 90, 226 (239); vgl. auch BVerfGE 76, 256 (329).
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berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen“.908 Demnach soll nicht mehr jede vernünftige Erwägung sachlich rechtfertigen können, sondern nur noch eine solche, die in Abwägung mit derjenigen Erwägung, die gegen eine Gleichbehandlung spricht, überwiegt. Die Gleichbehandlung darf also nicht unverhältnismäßig sein.909 Die Abgrenzung zwischen Willkürverbot und neuer Formel wird vom BVerfG anhand der Intensität vorgenommen, mit der eine Gleichbehandlung die Grundrechtsträger beeinträchtigt.910 Die Intensität wächst je mehr das Kriterium der Gleichbehandlung personen- sowie personengruppen- und je weniger situationsbezogen ist,911 je mehr das Kriterium der Gleichbehandlung einem der nach Art. 3 III GG verbotenen Kriterien ähnelt,912 je weniger der Grundrechtsträger das Kriterium der Gleichbehandlung durch sein Verhalten beeinflussen kann913 und je mehr die Gleichbehandlung den Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten erschwert.914 Auf Gleichbehandlungen geringerer Intensität ist das Willkürverbot anzuwenden, bei Gleichbehandlungen größerer Intensität ist die neue Formel anzuwenden.915 Bei Anwendung des Willkürverbots oder der neuen Formel gilt wiederum, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung eine Einschätzungsprärogative zusteht.916 Die infrage stehende Gleichbehandlung ist von hoher Intensität, denn einerseits ist das Merkmal Lebensalter der Gleichbehandlung personengruppenbezogen und andererseits kann der Grundrechtsträger durch sein Verhalten dieses Merkmal nicht beeinflussen. Demnach ist hier die neue Formel anzuwenden.917
908
(258).
BVerfGE 110, 141 (167); vgl. auch BVerfGE 71, 255 (271); 98, 365 (385); 103, 242
909 Ausdrücklich BVerfGE 88, 87 (96); 95, 267 (316); 99, 367 (388); 107, 27 (45); 123, 1 (19); krit. Ipsen, Rn. 813 ff. 910 BVerfGE 129, 49 (68 f.); 130, 131 (142); anders noch BVerfGE 88, 87 (96 f.); vgl. auch: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 470; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, Art. 3, Rn. 30. 911 BVerfGE 95, 267 (316); 99, 367 (388); 107, 27 (46); 122, 39 (52). 912 BVerfGE 88, 87 (96); 97, 169 (181); 124, 199 (220). 913 BVerfGE 95, 267 (316); 99, 367 (388); 122, 39 (52). 914 BVerfGE 95, 267 (316 f.); 99, 367 (388); 107, 27 (46); 122, 39 (52). 915 BVerfGE 129, 49 (68 f.); 130, 131 (142); vgl. auch: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 471 f.; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, Art. 3, Rn. 30. 916 Vgl. zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei Anwendung des Willkürverbots: BVerfGE 47, 109 (124); 80, 109 (118); 90, 22 (26); zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei Anwendung der neuen Formel: BVerfGE 81, 108 (117 f.); 83, 395 (401); BVerfG Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 708/12 (juris). 917 Vgl. zu den Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der neuen Formel: Osterloh/ Nußberger, in: Sachs, Art. 3, Rn. 18 ff.
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(1) Legitimer Zweck Zunächst müsste die Gleichbehandlung einen legitimen Zweck verfolgen. Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits erfolgt aus der Erwägung heraus, die Anwendung des Ordnungswidrigkeitenrechts zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Vereinfachung bedeutet, dass die im Regelfall mit einer Ordnungswidrigkeit befasste Verwaltungsbehörde von den komplexen Fragen der erzieherischen Einwirkung auf Jugendliche und Heranwachsende freigehalten werden soll, so wie sie sich für das Jugendgericht im Jugendstrafrecht ergeben. Dies begründet der Gesetzgeber zum einen damit, dass die Verwaltungsbehörden regelmäßig fachlich nicht in der Lage seien, eine angemessene erzieherische Maßnahme festzulegen.918 Zum anderen seien erzieherische Maßnahmen bei Ordnungswidrigkeiten im Regelfall nicht angebracht.919 Ordnungswidrigkeiten sind Zuwiderhandlungen, die massenhaft auftreten und einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen. Es ist in Hinblick auf den geringen Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeit weder angebracht, erzieherisch auf den Jugendlichen und Heranwachsenden einzuwirken noch ihn zu diesem Zweck zu explorieren, was jedoch für eine angemessene erzieherische Einwirkung notwendig wäre.920 Vereinheitlichung bedeutet, dass aufgrund der soeben beschriebenen Eigenheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts bei einer Sonderbehandlung die Gefahr bestünde, dass wegen der fehlenden erzieherischen Eignung der im Regelfall befassten Verwaltungsbehörden oftmals nicht die kritischen Fälle einer Sonderbehandlung zugeführt würden.921 Um deshalb eintretende Ungerechtigkeiten innerhalb der Personengruppen der Jugendlichen und Heranwachsenden vorzubeugen, hat der Gesetzgeber auf eine Sonderbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden verzichtet und eine weitgehende Gleichbehandlung mit Erwachsenen vorgenommen. Vereinfachung und Vereinheitlichung des Rechts sind legitime Zwecke.
918 „Die Befugnis erzieherische Maßnahmen anzuordnen, kann den Verwaltungsbehörden nicht übertragen werden, da ihnen diese Aufgabe wesensfremd ist“, Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. 919 „Erziehungsmaßnahmen werden aus Anlass einer solchen Tat grundsätzlich nicht geboten sein“, Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. 920 „Auch die Beurteilung, ob die Tat Erziehungsmängel erkennen lässt, ist nicht einfach. Es ist fraglich, ob die Verwaltungsbehörde, zu deren Aufgaben eine solche Beurteilung gar nicht gehört, die geeigneten Fälle vor den Jugendrichter bringen würde“ [Anm.: Im Entwurf wird an dieser Stelle diskutiert, ob man die Befugnis der Verwaltungsbehörde regeln sollte, die Ahndung mit erzieherischen Maßnahmen dem Jugendrichter anzutragen], Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. 921 Siehe Kapitel B., Fn. 920.
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(2) Geeignetheit Weiterhin müsste die Gleichbehandlung auch geeignet sein, diese Zwecke zu fördern.922 Zweckerreichung ist nicht notwendig.923 Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden entlastet die Behörden bei der Rechtsfolgenentscheidung. Sie müssen in der Ermessensausübung keine besonderen erzieherischen Gesichtspunkte berücksichtigen. Demnach wird durch die Gleichbehandlung der Zweck der Rechtsvereinfachung gefördert. Ungerechten Behandlungen innerhalb der Personengruppen der Jugendlichen und Heranwachsenden dahingehend, dass ggf. erzieherische Maßnahmen in solchen Fällen ergriffen werden, in denen keine Erziehung notwendig ist und umgekehrt, wird durch eine einheitliche Behandlung völlig entgegengewirkt. Der Zweck der Rechtsvereinheitlichung wird also erreicht. Die Gleichbehandlung ist also zur Förderung bzw. Erreichung der Zwecke geeignet. (3) Erforderlichkeit Dann müsste die Gleichbehandlung auch erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Sonderbehandlung die gesetzgeberischen Ziele ebenfalls fördern kann und sich dabei auch als schonender für die betroffenen Rechte und Interessen herausstellt.924 Dabei fordert das BVerfG nicht, dass der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung findet.925 Das gesetzgeberische Ziel der Vereinfachung kann durch eine Sonderbehandlung keinesfalls gefördert werden; sogar umgekehrt ist anzunehmen, dass sich die Rechtsanwendung verkomplizieren und sich Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende wegen notwendiger Persönlichkeitsexploration in die Länge ziehen. Das Ziel der Vereinheitlichung der Rechtsanwendung ließe sich mit einer Sonderbehandlung überhaupt nicht erreichen, denn eine Sonderbehandlung würde genau das Gegenteil bewirken. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Ziele ist die Gleichbehandlung im Ergebnis auch erforderlich. (4) Angemessenheit Schlussendlich muss die Gleichbehandlung auch angemessen sein. Die Angemessenheit erfordert eine Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen der kon922 923 924 925
BVerfGE 81, 156 (192); 103, 293 (307); 121, 317 (354). BVerfGE 63, 88 (115); 67, 157 (175); 96, 10 (23); 103, 293 (307); 121, 317 (354). BVerfGE 81, 156 (192); 125, 1 (23 ff.). BVerfGE 55, 72 (90); 81, 108 (117 f.); 117, 1 (36); 118, 79 (110).
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kreten Gleichbehandlung, wobei Gründe und Ziele des Gesetzgebers sowie die Auswirkungen auf den Rechtsunterworfenen zu berücksichtigen sind.926 Aus der mit der Gleichbehandlung bezweckten Vereinfachung und Vereinheitlichung lassen sich verschiedene Vorteile folgern: Das Verfahren kann zügiger durchgeführt werden, weil die Verwaltungsbehörde auf die Exploration der Täterpersönlichkeit verzichten kann, die für eine angemessene erzieherische Entscheidung notwendig wäre. Die zügigere Erledigung steht auch mit der allgemeinen Konzeption des Ordnungswidrigkeitenrechts im Einklang, Zuwiderhandlungen mit geringem Unrechtsgehalt in einem zügigen Verwaltungsverfahren zu erledigen. Demnach fügt sich die Gleichbehandlung Jugendlicher und Heranwachsender einerseits und Erwachsener andererseits auch in die Gesamtkonzeption des Ordnungswidrigkeitenrechts ein, was dem Gebot der Folgerichtigkeit einfachgesetzlicher Wertungen927 entspricht. Außerdem ist der Verzicht auf erzieherische Einwirkung schonender für den Grundrechtsträger: Erziehung ist eine besonders intensive Form der Einwirkung auf einen Menschen, die auf seine Persönlichkeit zum Zwecke der Normverdeutlichung abzielt und somit auch ein Spannungsverhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG erzeugt.928 Weiterhin ist zu erwarten, dass die Gleichbehandlung gerechter als eine Sonderbehandlung ist, weil bei den in erzieherischen Fragen regelmäßig unfähigen Verwaltungsbehörden die Gefahr besteht, dass Jugendliche und Heranwachsende einer erzieherischen Einwirkung zugeführt würden, die nicht angebracht ist, während auf der anderen Seite eine erzieherische Einwirkung dort unterlassen würde, wo sie angebracht wäre. Schließlich ergibt sich der fiskalische Vorteil, dass der Staat – sofern er diesen Zustand überhaupt beheben wollen würde – Finanzmittel für die Schulung der Verwaltungsbehörden in erzieherischen Fragen einsparen kann. Der Nachteil der Gleichbehandlung ist, dass, sofern eine Tat erzieherische Mängel erkennen lässt, auf diese nicht mit besonderen erzieherischen Maßnahmen reagiert werden kann. Wie gesehen verfolgen die Sanktionen, die unterschiedslos auf Jugendliche und Heranwachsende einerseits und Erwachsene andererseits angewendet werden können, keine besonderen erzieherischen Zwecke. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden können erzieherische Maßnahmen aber effektiv sein, um Reifedefiziten sittlicher Natur entgegenzuwirken, weil Jugendliche und Heranwachsende in ihrem Verhalten gegenüber Erwachsenen noch beeinflussbarer sind.
926
Osterloh/Nußberger, in: Sachs, Art. 3, Rn. 22. BVerfGE 117, 1 (30); 120, 1 (29, 44); 120, 125 (155); 123, 111 (121); 124, 282 (295). 928 Siehe zur Zielrichtung der Erziehung oben Kapitel B. I. 1. c) ff) (3) und zum Spannungsverhältnis zwischen Erziehung und allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG oben Kapitel B. IV. 5. b). 927
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Dieser Nachteil kann teilweise durch die erzieherischen Maßnahmen ausgeglichen werden, die der Gesetzgeber in § 98 I, II OWiG für das Vollstreckungsverfahren geregelt hat. Dass der Nachteil nur teilweise ausgeglichen werden kann, hängt mit den Voraussetzungen zusammen, die im idealtypischen Verfahren – dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde – an die Vollstreckungsanordnungen geknüpft werden. Voraussetzung dafür, dass eine erzieherische Maßnahme gem. § 98 I, II OWiG angeordnet werden kann, ist, dass der Jugendliche oder Heranwachsende eine festgesetzte Geldbuße nicht zahlt.929 Demnach liegt eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit erzieherischer Maßnahmen außerhalb des staatlichen Entscheidungsbereichs. Wenn also eine Tat erzieherische Mängel erkennen lässt und der Jugendliche oder Heranwachsende die Geldbuße zahlt, so können erzieherische Maßnahmen nicht angewendet werden. Aber auch dann, wenn erzieherische Maßnahmen angeordnet sind, können diese und ihre beabsichtigten erzieherischen Wirkungen leerlaufen, wenn der Jugendliche oder Heranwachsende sich am Ende doch entscheidet, die Geldbuße zu zahlen.930 Eine weitere Voraussetzung für eine erzieherische Maßnahme ist der Antrag der Vollstreckungsbehörde beim Jugendrichter nach Ablauf der Zahlungsfrist. Bei dieser Voraussetzung stellt sich die Frage, ob sie nicht einer effektiven erzieherischen Beeinflussung des Jugendlichen und Heranwachsenden entgegensteht. Im Jugendstrafrecht gilt, dass die Strafe der Tat auf den Fuß folgen muss.931 Hinter dieser Überlegung steckt die Erkenntnis, dass Jugendliche und Heranwachsende eine schnelle Entwicklung durchmachen und sich in ihrer Vorstellungswelt eine Verbindung zwischen begangenem Unrecht und Reaktion nicht einstellt, wenn die Reaktion zu lange auf sich warten lässt. Die Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht produziert erhebliche Verzögerungen, weil sie zum einen erfordert, dass eine Zahlungsfrist abläuft und zum anderen noch die Entscheidung des Jugendrichters eingeholt werden muss. Der beschriebene Nachteil schwächt sich jedoch insgesamt ab, denn es handelt es sich bei Erziehung um eine intensive Einwirkung auf die Persönlichkeit des Jugendlichen und Heranwachsenden, die vor dem Hintergrund des geringen Unrechtsgehalts einer Ordnungswidrigkeit im Einzelfall nicht unbedingt erforderlich sein muss. Die Vorteile einer Gleichbehandlung wiegen schwerer als die Nachteile einer Gleichbehandlung. Dem Gesetzgeber ist demnach bei seiner Einschätzung beizupflichten.932 Die Gleichbehandlung ist angemessen.
929
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2). 931 Vgl. Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 62. 932 „Eine [Sonderbehandlung] ist zwar erwogen, in den Entwurf aber nicht aufgenommen worden, weil ihre Nachteile überwiegen“, Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. 930
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(5) Ergebnis Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits ist im Ordnungswidrigkeitenrecht in Hinblick auf das Rechtsfolgensystem verhältnismäßig und somit gerechtfertigt. cc) Ergebnis Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits stellt im Ordnungswidrigkeitenrecht in Hinblick auf das Rechtsfolgensystem keinen Verstoß gegen Art. 3 I GG dar. b) Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gem. § 98 I 1 OWiG Denkbar ist weiterhin, dass die Vorschrift des § 98 I 1 OWiG eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden ohne ausreichende finanzielle Mittel zur Zahlung der Geldbuße einerseits und Jugendlichen und Heranwachsenden mit ausreichenden finanziellen Mitteln zur Zahlung der Geldbuße andererseits beinhaltet. aa) Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem Es müsste eine Gleichbehandlung von zwei Bezugsgruppen gegeben sein. Die Vollstreckungsanordnungen des § 98 I 1 OWiG werden sowohl auf den Fall angewendet, dass die Vollstreckung nicht möglich ist, weil der Jugendliche oder Heranwachsende über kein Einkommen oder sonst finanzielle Mittel zur Zahlung der Geldbuße verfügt und auf den Fall, dass der Jugendliche oder Heranwachsende über Einkommen oder sonst finanzielle Mittel zur Zahlung der Geldbuße verfügt. Die Bezugsgruppen stellen Sachverhalte dar. Es liegt demnach eine Gleichbehandlung von Sachverhalten vor. Es müsste weiterhin eine Gleichbehandlung von wesentlich ungleichen Bezugsgruppen gegeben sein. Die Sachverhalte lassen sich unter dem Bezugspunkt „wirtschaftliche Verhältnisse“ zusammenfassen. Vollstreckungsanordnungen werden auf Jugendliche und Heranwachsende in dem Fall angewendet, dass eine Geldbuße aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht bezahlt werden kann – dann ist die Zahlung der Geldbuße nicht möglich, vgl. § 98 I 1 OWiG – und auf den Fall, dass die Zahlung einer Geldbuße aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Jugendlichen oder Heranwachsenden zwar möglich ist, aber herkömmliche Vollstreckungsmethoden im Sinne des § 98 I 1 OWiG „nicht angebracht“ sind. Nicht angebracht sind die herkömmlichen Vollstreckungsmethoden, wenn erzieherische
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Mängel bei dem Jugendlichen oder Heranwachsenden bestehen.933 In Hinblick auf den Bezugspunkt ist festzustellen, dass zwei Sachverhalte gleichbehandelt werden, die aber wesentlich ungleich sind. In dem erstgenannten Sachverhalt ist der Grund für die Anordnung der Vollstreckungsanordnungen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Jugendlichen und Heranwachsenden. Im zweitgenannten Sachverhalt ist der Grund für die Anordnung der Vollstreckungsanordnungen das Vorliegen eines erzieherischen Mangels. Es liegen hier zwei wesentlich ungleiche Sachverhalte vor. Aus den Gesetzesmaterialien ist erkennbar, dass der Gesetzgeber die Ungleichheit der Sachverhalte erkannt und mit anderen Gesichtspunkten ausreichend abgewogen hat,934 sodass auch bei einer strengen Inhaltskontrolle nicht der Vorwurf einer unzureichenden Würdigung der Ausgangslage durch den Gesetzgeber angenommen werden kann. Es liegt also eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem vor. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Diese Gleichbehandlung müsste gerechtfertigt sein. Hier ist zu beachten, dass die Gleichbehandlung Sachverhalte und nicht Personengruppen betrifft. Außerdem kann der Grundrechtsträger mehr oder weniger Einfluss auf die rechtliche Behandlung haben. Dementsprechend ist hier vielmehr von einer Gleichbehandlung geringerer Intensität auszugehen, sodass diese lediglich am Willkürverbot zu messen ist. Es müsste demnach ein vernünftiger und einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung geben sein.935 Der Gesetzgeber begründet die Anwendung der Vollstreckungsanordnungen auf die Fälle von Jugendlichen und Heranwachsenden, die die Geldbuße aus wirtschaftlichen Gründen nicht zahlen können und keinen erzieherischen Mangel aufweisen damit, dass es nicht angebracht sei, die herkömmlichen Vollstreckungsmaßnahmen anzuwenden: Erzwingungshaft gem. § 96 f. OWiG ist nicht angebracht, weil sie nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden ändern kann. Beitreibungsmaßnahmen können kein Geld dort auftreiben, wo es nicht vorhanden ist. Eine Zahlungserleichterung könnte nur in einer sehr langen Stundung bestehen.936 Im Ergebnis sind also die herkömmlichen Vollstreckungsmaßnahmen nicht geeignet, die Zwecke der Festsetzung der Geldbuße zu verwirk933
„Aus welchen Gründen die Entscheidungen oder Maßnahmen ,nicht angebracht erscheinen‘, ist nicht ausdrücklich bestimmt. Schon aus der Sonderregelung der Vollstreckung gegen Jugendliche und Heranwachsende folgt, dass die besondere Verfahrensgestaltung nur in Betracht kommt, wenn die Anwendung der allgemeinen Vorschriften aus Gründen, die im Alter des Betroffenen liegen, vor allem also aus Gründen der Erziehung nicht angebracht erscheint“, Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120. 934 Vgl. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120 ff. 935 Siehe oben zum Maßstab des Willkürverbots B. IV. 3. a) bb). 936 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120.
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lichen und es ist sogar ganz im Gegenteil zu erwarten, dass die Anwendung der herkömmlichen Vollstreckungsmaßnahmen ein negatives Bild der Rechtsordnung und der staatlichen Institutionen in der Vorstellungswelt des Jugendlichen oder Heranwachsenden erzeugt, den Zwecken der Geldbuße entgegenwirkt und den Grundstein für erneute Zuwiderhandlungen legt. Es ist deshalb geboten, Vollstreckungsanordnungen auf den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden anzuwenden und ihnen eine wirtschaftlich neutrale Art und Weise zu eröffnen, sich von der Sanktionslast zu befreien. Diese Überlegung kann man dergestalt als Gründe der Erziehung verstehen, als dass geradezu eine unbeabsichtigte und schädliche erzieherische Wirkung durch die Vollstreckungsmaßnahmen vermieden werden soll.937 Die Vollstreckungsanordnungen verfolgen aber gleichwohl in dieser Konstellation keinen erzieherischen Zweck. Ein einleuchtender und vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung ist gegeben. Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gem. § 98 I 1 OWiG kann gerechtfertigt werden. cc) Ergebnis Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gem. § 98 I 1 OWiG stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 I GG dar. c) Ungleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und Erwachsenen andererseits im Vollstreckungsverfahren gem. § 98 I 1 OWiG – insbesondere Ungleichbehandlung von Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits Es stellt sich nun die Frage, ob die Sonderbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden gegenüber Erwachsenen im Vollstreckungsverfahren gem. § 98 OWiG eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Gleichem ist. Dies setzt voraus, dass erstens eine Ungleichbehandlung von zwei Bezugsgruppen gegeben ist, wobei diese Bezugsgruppen zweitens wesentlich gleich sein müssen. Schließlich darf diese Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem drittens nicht gerechtfertigt sein. aa) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Es müsste eine Ungleichbehandlung gegeben sein. Es können auf Jugendliche und Heranwachsende nach Maßgabe des § 98 OWiG im Vollstreckungsverfahren 937
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120.
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andere Sanktionen angewendet werden als auf Erwachsene.938 Die Bezugsgruppen sind hier Jugendliche und Heranwachsende einerseits und Erwachsene andererseits. Es handelt sich bei den Bezugsgruppen um Personengruppen. Es liegt also eine Ungleichbehandlung von Personengruppen vor. Diese Personengruppen müssten wesentlich gleich sein. Es kommt als Bezugspunkt für diese Personengruppen der Begriff „natürliche Person“ in Betracht. Jugendliche und Heranwachsende einerseits und Erwachsene andererseits können grundsätzlich anhand des Merkmals „Lebensalter“ und „kognitiver/sittlicher Entwicklung“ wesentlich voneinander unterschieden werden. Grundsätzlich insoweit, wie man beispielsweise einen 14jährigen Jugendlichen oder 20jährigen Heranwachsenden einerseits und einen 40jährigen Erwachsenen andererseits nebeneinanderstellt. Dementsprechend sind die Personengruppen unter Berücksichtigung der soeben genannten Vorzeichen als wesentlich ungleich zu qualifizieren. Da Art. 3 I GG eine Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichem nicht verbietet, scheidet bei einer solchen Betrachtung eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus. Die soeben angestellten Überlegungen gelten jedoch im Grenzbereich zwischen Heranwachsenden und jungen Erwachsenen, d. h. in einem Bereich um die Vollendung des 21. Lebensjahres, weniger. Zum einen relativiert sich in diesem Grenzbereich das Unterscheidungsmerkmal des Lebensalters. Zum anderen relativiert sich auch das Merkmal der sittlichen Entwicklung, denn es ist nicht untypisch, dass ein junger Erwachsener im 22. Lebensjahr noch in seiner sittlichen Entwicklung einem Heranwachsenden im 20. Lebensjahr gleichsteht.939 Dementsprechend ist der Prüfungsansatz neu zu bilden. Es besteht eine Ungleichbehandlung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen im Bezug auf die anwendbaren Sanktionen im Vollstreckungsverfahren. Die Vergleichsgruppe der Heranwachsenden sei hier im herkömmlichen Sinne zu verstehen, die Vergleichsgruppe der jungen Erwachsenen als Personen ab Vollendung des 21. Lebensjahres bis Vollendung des 27. Lebensjahres. Die obere Altersgrenze in Bezug auf die Vergleichsgruppe der jungen Erwachsenen, d. h. die Vollendung des 27. Lebensjahres, sei hier in Anlehnung an die Regelung des § 41 I 2 2. Hs. SGB VIII formuliert.940 Der Gesetzgeber hat mit der vorstehend genannten Regelung über die Nachbetreuung anerkannt, dass Verzögerungen in der sittlichen Entwicklung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres nicht völlig fern938
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2). Siehe zu umfangreich zu Sozialisationsbedingungen, die zu einer Verzögerung der sittlichen Entwicklung führen können: Busch, S. 75 ff.; siehe hierzu auch Kreuzer, in: Junge Volljährige, S. 55 ff. 940 Denkbar wäre auch gewesen, die obere Altersgrenze für die Personengruppe der jungen Erwachsenen mit der Vollendung des 24. Lebensjahres zu setzen. Diese Altersgrenze wird häufig im Schrifttum im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Jungtäterrecht genannt, vgl. Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 88 m.w.N. 939
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liegend sind, wenn sie auch eine Ausnahme darstellen.941 Die Ausdehnung der Altersgrenzen bei diesen Vergleichsgruppen über den oben beschriebenen Grenzbereich hinaus, soll damit gerechtfertigt sein, dass dadurch interindividuellen, sittlichen Entwicklungsverläufen weitestgehend Rechnung getragen werden kann. Schließlich ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Vergleichsgruppen auch weiterhin um Personengruppen handelt. Nach dem oben Gesagten ist bei den Personengruppen Heranwachsende und junge Erwachsene zumindest in Bezug auf das Merkmal sittliche Entwicklung von einer wesentlichen Gleichheit auszugehen. Sofern man ein großzügiges Verständnis des Begriffs Lebensalter zugrunde legt, d. h. den Begriff nicht im Sinne eines Lebensjahres, sondern im Sinne einer mehrere Lebensjahre umfassenden Lebenszeitspanne versteht, wird man auch eine wesentliche Gleichheit in Bezug auf dieses Merkmal feststellen können. Es kann eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem festgestellt werden. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Gesetzgeber hat rechtsetzungstechnisch mit einer sog. materiellen Typisierung Heranwachsende und junge Erwachsene voneinander abgegrenzt. Eine materielle Typisierung liegt vor, wenn ein Lebenssachverhalt aufgrund einer vereinfachenden Sachverhaltswürdigung unter bewusster Ignorierung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls in seiner typischen Erscheinungsform als gegeben angesehen wird, ohne dass ein Gegenbeweis zulässig ist.942 Eine solche Form der Typisierung kommt in § 98 IV OWiG zum Ausdruck, in dem der Gesetzgeber die Personenkategorie der Heranwachsenden normiert und auf diese das Verfahren nach § 98 OWiG erstreckt hat. Grundsätzlich ist festzustellen, dass das BVerfG Typisierungen der hier vorliegenden Art für zulässig hält. Der Gesetzgeber müsse generalisieren.943 Er könne seine Tatbestände nach sozialtypischen Befunden bilden, das Individuelle im Typischen erfassen, das Konkrete verallgemeinern und Unterschiedlichkeiten vergröbern.944 Der Gesetzgeber könne sich am Regelfall, verstanden als einem aus gesammelten
941 Regierungsentwurf zum SGB VIII, BT-Drs. XI/5948, S. 78; so sieht es auch Brunner/ Dölling, Einf II, Rn. 40; neuer entwicklungsbezogene Forschungen legen nahe, dass die besondere jugendspezifische Risikobereitschaft durchschnittlich bis zu einem Alter von 26 Jahren erhalten bleibt und sich die Entwicklung der Fähigkeit zur vorausschauenden Planung und Organisation von Verhalten bis zu einem Alter von 25 Jahren hinziehen kann, woraus Dünkel/ Geng folgern, dass die Übergangsphase von jungen Menschen zu Erwachsenen bis in die Mitte des dritten Lebensjahrzehnts andauern kann, Dünkel/Geng, in: FS-Kerner, S. 567, 569, 571. 942 Brockmeyer, in: FS-Offerhaus, S. 15. 943 BVerfGE 11, 245 (254). 944 BVerfGE 82, 159 (185 f.); 87, 234 (255).
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Erfahrungen gewonnenen Gesamtbild, orientieren, ohne für jede Besonderheit eine Sondervorschrift zu erlassen.945 Als verfassungsrechtliche Anforderung an Typisierungen formuliert das BVerfG regelmäßig, dass, außer bei vereinzelten oder nicht sehr intensiven durch die Typisierung verursachten Ungleichbehandlungen, eine Typisierung dann zulässig sei, wenn die Vorteile einer Typisierung mit den Nachteilen in einem rechten Verhältnis stünden.946 Als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab kommen demnach auch in diesem Zusammenhang Willkürverbot und neue Formel in Betracht, wobei sich die Abgrenzung nach den bereits dargestellten Kriterien richtet.947 Im vorliegenden Fall liegt eine Ungleichbehandlung von hoher Intensität vor, denn zum einen sind von der Ungleichbehandlung Personengruppen betroffen und zum anderen kann ein Grundrechtsträger auf ein Kriterium der Ungleichbehandlung, das Lebensalter, keinen Einfluss nehmen. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist deshalb anhand der neuen Formel zu prüfen. (1) Legitimer Zweck Die Einführung der Personenkategorie des Heranwachsenden und die damit einhergehende Unterscheidung zu der Personengruppe der jungen Erwachsenen begründet der Gesetzgeber in den Gesetzgebungsmaterialien zum OWiG zunächst pauschal unter Hinweis auf die etablierte strafrechtliche Rechtslage.948 Die insoweit unzulängliche Begründung macht es erforderlich, die Gesetzgebungsmaterialien zum JGG und die dort enthaltenen Erwägungen zur Einführung der Personenkategorie des Heranwachsenden heranzuziehen. Der Gesetzgeber hat sich bereits in der ersten Wahlperiode im Jahre 1952 der Personenkategorie der Heranwachsenden angenommen. Eindrucksvoll hat er die Einführung dieser Personenkategorie mit den Auswirkungen des 2. Weltkrieges begründet: „Der Krieg und seine Folgen haben die Gruppe der jetzt Heranwachsenden in ihrer normalen Entwicklung besonders hart getroffen. Die unmittelbaren Erlebnisse des Krieges, der oft rücksichtslose Kampf um das nackte Leben auf der Flucht, der Verlust von Eltern und Angehörigen, Besitz und Heimat haben die Entwicklung von vielen jungen Menschen empfindlich gestört und ihre soziale Eingliederung in die Gemeinschaft erschwert. Die unbeschreibliche Not der Nachkriegsjahre und das schlechte Beispiel der Erwachsenen haben ein übriges getan“.949 Zugleich hat der Gesetzgeber aber festgestellt, dass das in Zukunft geltende Strafrecht für Heranwachsende nicht auf den besonderen Verhältnissen der Nach945 946 947 948 949
BVerfGE 82, 159 (185 f.); 87, 234 (255). BVerfGE 21, 12 (27); 65, 325 (354 f.); 96, 1 (8 f.). Siehe oben Kapitel B. IV. 3. a) bb). Vgl. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 36.
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kriegszeit werde aufbauen können, denn die aus den genannten Umständen herrührenden Fehlentwicklungen seien schon in einigen Jahren überwunden.950 Anders als der historische Gesetzgeber es vorhergesehen hat – und dies kann man im Folgenden nur mit Bedauern feststellen –, haben seine Überlegungen über die schädlichen Auswirkungen von Kriegszeiten auf die Entwicklung junger Menschen wieder besondere Aktualität und Legitimität erhalten. Unter den Flüchtlingen, die beispielhaft aus den derzeitigen Bürgerkriegsregionen des Nahen Ostens nach Deutschland kommen, sind viele junge Menschen, die ebenjene Situationen erlebt haben, die der historische Gesetzgeber in Bezug auf den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit beschrieben hat. Aber auch diese aktuelle Entwicklung ist keine singuläre Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Retrospektiv gab es in den letzten 60 Jahren immer wieder Ereignisse, die dazu geführt haben, dass junge Menschen nach Deutschland gekommen sind, die kriegerische Konflikte miterlebt haben. Beispielhaft genannt seien jene junge Menschen, die in den 70er und 80er Jahren infolge des Vietnamkrieges (sog. Boatpeople) oder in den 90er Jahren infolge des Bürgerkrieges in Jugoslawien nach Deutschland gekommen sind. Wie bereits festgestellt wurde, hat der Gesetzgeber die Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit als Begründung für die Schaffung der Personenkategorie der jungen Menschen nicht dauerhaft für tragfähig gehalten. Deshalb hat er die Einführung dieser neuen Personenkategorie auch ganz allgemein damit begründet, dass bei jungen Menschen die charakterliche und sittliche Reifung mit der körperlichen und intellektuellen Reifung nicht mehr Schritt halte.951 Heranwachsende würden häufig äußerlich einen reifen Eindruck machen, doch bei einhergehender Untersuchung seien sie in ihrer sittlichen und charakterlichen Entwicklung zurückgeblieben.952 Auch die biologisch einwandfrei festgestellte Verlangsamung des Reifungsprozesses, die wahrscheinlich mit der erhöhten durchschnittlichen Lebenserwartung des Menschen zusammenhänge, zwinge zu der Forderung, dass den Heranwachsenden ganz allgemein in Zukunft eine Beurteilung strafbarer Handlungen widerfahren solle, die ihre Jugend berücksichtige.953 Weil die Erfahrung zeige, dass staatliche Maßnahmen bei jungen, noch nicht voll ausgereiften Menschen im Gegensatz zu Erwachsenen eine deutlich nachhaltigere Besserung erzielen und Heranwachsende oftmals erzieherischen Einwirkungen noch zugänglich seien, sei die Anwendung der beweglichen, erzieherischen Maßnahmen des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende angebracht und nicht die Anwendung der starren Formen des allgemeinen Strafrechts.954
950 951 952 953 954
Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 37. Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 36. Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 36. Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 37. Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 36.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Der Zweck der Ungleichbehandlung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen besteht also in dem bestehenden Bedürfnis nach einer erzieherischen Behandlung von Heranwachsenden, soweit sittliche Defizite gegeben sind. Neben dem entwicklungspsychologisch und soziologisch begründeten erzieherischen Zweck hat der historische Gesetzgeber auch eine Gerechtigkeitserwägung angeführt: „Das 21. Lebensjahr sei, wenn auch nicht im entwicklungspsychologischen Sinne, so doch im Hinblick auf die Volljährigkeit mit ihren Auswirkungen auf die Fähigkeit zu rechtsgeschäftlicher Verpflichtung, zur Eheschließung, zur Ausübung des aktiven Wahlrechts und zur Übernahme öffentlicher Ämter von einschneidender Bedeutung. Solange ein junger Mensch in persönlicher und politischer Hinsicht nicht als voll geschäftsfähig anerkannt werde, erscheine es nicht gerechtfertigt, ihn für seine strafbaren Handlungen voll verantwortlich zu machen“.955 Erkennbar wird anhand der zitierten Textpassagen, dass der Gesetzgeber im Jahr 1952 einer besonderen strafrechtlichen Behandlung Heranwachsender aus entwicklungspsychologischen und soziologischen Gründen noch zurückhaltend gegenüberstand.956 Diese Zurückhaltung hat der Gesetzgeber einerseits mit der zunehmenden wissenschaftlichen Durchdringung der späten Adoleszenz aufgegeben – dies kommt z. B. in den Gesetzgebungsmaterialien zur Novellierung des Jugendhilferechts im SGB VIII zum Ausdruck.957 Andererseits wird für das Umdenken auch der gesellschaftliche Umbruch der 1968er Jahre verantwortlich sein. Die Gerechtigkeitserwägung ist heute allerdings nicht mehr tragfähig. Der Gesetzgeber hat in der Zwischenzeit die angesprochenen Altersgrenzen – sieht man einmal von bestimmten Fällen der Übernahme politischer Ämter wie demjenigen des Bundespräsidenten ab, vgl. Art. 54 I 2 GG – auf die Vollendung des 18. Lebensjahres abgesenkt. Weiterhin ist festzustellen, dass der Gesetzgeber durch die Verwendung der Personenkategorie des Heranwachsenden im OWiG beabsichtigt hat, einen Gleichlauf in Hinblick auf die Altersgrenzen im Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht herzustellen. Als ein weiterer Zweck der Regelung kann also die Rechtsvereinheitlichung identifiziert werden.958 Ein weiterer für die Zwecksetzung beachtlicher Gesichtspunkt ist, dass Heranwachsende ausnahmslos dem besonderen Vollstreckungsverfahren des § 98 OWiG unterworfen sind, vgl. § 98 IV OWiG. Der Gesetzgeber hat auf eine Vorschrift vergleichbar § 105 I JGG verzichtet, wonach Heranwachsende – jedenfalls nach der
955 Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 37; so auch Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 40. 956 Vgl. Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 36 f. 957 Regierungsentwurf zum SGB VIII, BT-Drs. XI/5948, S. 78. 958 Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. a) bb) (1).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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gesetzgeberischen Konzeption –959 im Regelfall wie Erwachsene zu behandeln sind und nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter jugendspezifischer Umstände einer jugendgemäßen Behandlung zuzuführen sind. Eine entsprechende Regelung hätte wohl eine Ungleichbehandlung zwischen Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits relativiert, jedoch dann konsequenterweise die Frage nach der Ungleichbehandlung von Jugendlichen einerseits und Heranwachsenden andererseits aufgeworfen. Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 98 IV OWiG mit dem Zweck der Rechtsvereinfachung begründet.960 Es geht hierbei darum, dass das Verfahren nach § 98 OWiG durch den Verzicht auf eine Persönlichkeitsexploration oder Tatbewertung – so wie sie nach § 105 I Nr. 1 und Nr. 2 JGG vorgesehen werden – entlastet werden soll.961 Dieser Zweck ist ein klassischer Ausdruck der eingangs beschriebenen Rechtsetzungstechnik der Typisierung.962 Ein weiterer Gesetzeszweck, den der Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich in den Gesetzgebungsmaterialien zum OWiG oder JGG formuliert hat, aber gelegentlich zur Begründung von altersmäßigen Grenzziehungen heranzieht, ist der Zweck der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.963 Durch die Verwendung des Begriffs des Heranwachsenden in § 98 IV OWiG und die damit einhergehende Bezugnahme auf § 1 II JGG, hat der Gesetzgeber eine starre Altersgrenze zwischen Heranwachsenden und jungen Erwachsenen entlang der Vollendung des 21. Lebensjahres gezogen. Eine starre Altersgrenze dient dazu, dem Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen eine klare Abgrenzung hinsichtlich der Anwendbarkeit einer Vorschrift zu ermöglichen. Auch dieser Gesetzeszweck geht klassischerweise mit Typisierungen einher.964 Die vorstehend bezeichneten Zwecke, soweit sie noch als gültig erachtet werden können, sind allesamt als legitim zu bezeichnen, sodass von einer legitimen Zwecksetzung des Gesetzgebers auszugehen ist. (2) Geeignetheit Die Regelung von erzieherischen Maßnahmen gegenüber Heranwachsenden in § 98 I, II, IV OWiG erreicht den Zweck, erzieherischen Bedarf in Ansehung der Personengruppe der Heranwachsenden zu begegnen. Die Verwendung derselben Personenkategorien im Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht erreicht den Zweck einer Rechtsvereinheitlichung. 959 Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 36. In der Praxis werden Heranwachsende ganz überwiegend nach Jugendstrafrecht behandelt, vgl. Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 71. 960 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 122. 961 Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. a) bb) (1). 962 Vgl. BVerfGE 13, 331 (341); 21, 12 (27). 963 So z. B. Regierungsentwurf zum SGB VIII, BT-Drs. XI/5948, S. 50; so sieht es Brunner/ Dölling in Bezug auf § 1 II JGG, Brunner/Dölling, § 1 Rn. 7. 964 Vgl. BVerfGE 96, 1 (7); 99, 280 (290).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Die Regelung des § 98 IV OWiG, wonach das besondere Vollstreckungsverfahren nach § 98 OWiG auf Heranwachsende ohne vergleichbare Einschränkungen wie nach § 105 I JGG angewendet wird, stellt auf den ersten Blick eine deutliche Rechtsvereinfachung im Ordnungswidrigkeitenrecht gegenüber dem Jugendstrafrecht dar: Die Vollstreckungsbehörde oder der Jugendrichter, wenn ihm unmittelbar die Vollstreckung obliegt, muss nicht erst anhand wertungsmäßiger Tatbestandsmerkmale, wie sie in § 105 I JGG enthalten sind, entscheiden, „ob“ das Verfahren nach § 98 OWiG anwendbar ist. Dies scheint insbesondere für die Verwaltungsbehörde eine Verfahrensvereinfachung zu sein, der erzieherische Maßnahmen in der Regel wesensfremd sind.965 Bei genauer Betrachtung relativiert sich diese Verfahrensvereinfachung jedoch wieder: Wenn es um die Auswahl der konkreten Maßnahme nach § 98 I, II OWiG durch den Jugendrichter geht – also dem „wie“ des Verfahrens – und ob dieser Maßnahme ein erzieherischer Zweck beigemessen werden soll,966 dann ist im Rahmen der Ermessensausübung durchaus eine Betrachtung von Täterpersönlichkeit oder Tat vergleichbar dem § 105 I JGG vorzunehmen. Insoweit liegt weder Zweckerreichung noch bloße Zweckförderung bezüglich des Aspekts der Rechtsvereinfachung vor. Aber auch auf Seiten der Verwaltungsbehörde relativiert sich der Aspekt der Rechtsvereinfachung: Sofern die Verwaltungsbehörde das Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Erlass eines Bußgeldbescheides eingeleitet hat – dies ist der Regelfall –, kann nur aufgrund ihres Antrages in das Verfahren nach § 98 I 1 OWiG vor dem Jugendrichter übergegangen werden, vgl. § 98 I 1 OWiG. Ob die Verwaltungsbehörde diesen Antrag stellt oder das allgemeine Vollstreckungsrecht selbst anwendet, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Bei ihrer Ermessensausübung zugunsten eines Vollstreckungsverfahrens nach § 98 OWiG wird sie deshalb prüfen müssen, ob erzieherische Maßnahmen aufgrund der Täterpersönlichkeit oder Tat gegenüber den allgemeinen Vollstreckungsmaßnahmen vorrangig sind. Man wird zwar nicht erwarten müssen, dass die Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung die erzieherischen Erwägungen des Jugendrichters antizipiert. Jedoch kommt sie nicht umhin, zumindest oberflächliche erzieherische Überlegungen anzustellen. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die erklärte Absicht des Gesetzgebers, die Verwaltungsbehörde von erzieherischen Erwägungen freizuhalten, auch deshalb widersprüchlich anmutet, bedenkt man weiter, dass der Gesetzgeber den Verwaltungsbehörden auch die Prüfung der materiell-rechtlichen Verantwortlichkeit von Jugendlichen gem. § 12 I 2 OWiG übertragen hat. Es ist also auch hier festzustellen, dass der Zweck der Rechtsvereinfachung weder erreicht noch gefördert wird. Anders mag sich dies alles nur dann darstellen, wenn – was in dieser Untersuchung für möglich gehalten wird – das Vollstreckungsverfahren nach § 98 OWiG nur wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit durchgeführt wird und auch eine 965 966
Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. a) bb) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Maßnahme nach § 98 I 1 OWiG nicht mit erzieherischer Zielrichtung durchgeführt wird.967 In diesem Fall kann eine Zweckerreichung durchaus bejaht werden. Im Ergebnis ist also festzustellen, dass der Zweck der Rechtsvereinfachung durch die Regelung des § 98 IV OWiG nur teilweise erreicht wird. Schlussendlich erreicht der Gesetzgeber den Zweck der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Verwendung des Begriffs des Heranwachsenden in § 98 IV OWiG und damit einhergehend die Bezugnahme auf § 1 II JGG setzt entlang der Vollendung des 21. Lebensjahres eine starre Altersgrenze hinsichtlich der Anwendbarkeit des Vollstreckungsverfahrens gem. § 98 I, II OWiG. Eine starre Altersgrenze gibt dem Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen einen unmissverständlichen rechtlichen Anhaltspunkt bezüglich der Anwendbarkeit einer gesetzlichen Vorschrift. Die Ungleichbehandlung ist vor dem Hintergrund ihrer Zwecke überwiegend geeignet. (3) Erforderlichkeit Im Rahmen der Erforderlichkeit ist zu beachten, dass das BVerfG bei Ungleichbehandlungen in Form von Typisierungen dem Gesetzgeber einen erheblichen Gestaltungsspielraum zugesteht und sich regelmäßig auf die Überprüfung der Einhaltung der äußeren Grenzen dieses Gestaltungsspielraums beschränkt.968 Es überprüft wiederum nicht, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gefunden hat.969 Eine Gleichbehandlung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen dahingehend, das Verfahren nach § 98 OWiG nicht auf Heranwachsende anzuwenden und sie somit dem allgemeinen Vollstreckungsrecht zu unterwerfen, kann das Ziel des Gesetzgebers, Heranwachsende einer erzieherischen Behandlung zuzuführen, weder fördern noch erreichen. Eine Gleichbehandlung steht diesem Zweck entgegen. Die Ungleichbehandlung ist in diesem Zusammenhang erforderlich. Zweifelhaft erscheint, ob die Ungleichbehandlung in Hinblick auf den Zweck der Rechtsvereinfachung als erforderlich beurteilt werden kann. Zunächst könnte man den Aspekt der Rechtsvereinfachung allein vor dem Hintergrund der Ungleichbehandlung zwischen Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits betrachten. Nimmt man hypothetisch eine Gleichbehandlung dieser Personengruppen dergestalt an, dass Heranwachsende nicht in den Anwendungsbereich des Verfahrens nach § 98 OWiG einbezogen wären, so wäre das Ordnungswidrigkeitenverfahren um eine Auswahlentscheidung des Rechtsanwenders zwischen dem besonderen Vollstreckungsverfahren nach § 98 OWiG einerseits 967 968 969
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h) aa) (2). Vgl. BVerfGE 27, 58 (67); 27, 375 (390); 84, 348 (359). BVerfGE 27, 58 (67); 27, 375 (390); 84, 348 (359).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
und dem allgemeinen Vollstreckungsverfahren andererseits entlastet. Die Gleichbehandlung wäre vor dem Hintergrund der Rechtsvereinfachung als einfachere Lösung zu werten. Somit ist umgekehrt die Ungleichbehandlung durch die Regelung des § 98 IV OWiG, weil sie eine komplexere Rechtslage herstellt, nicht erforderlich. Anders stellt sich dies teilweise dann dar, wenn man den Aspekt der Rechtsvereinfachung vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden sachlichen Erwägungen betrachtet, d. h. die Vereinfachung des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahrens im Vergleich zum Jugendstrafverfahren. Wie bereits im Rahmen der Geeignetheit gezeigt wurde, sind trotz der Regelung des § 98 IV OWiG sowohl von der Verwaltungsbehörde als auch vom Jugendrichter regelmäßig erzieherische Erwägungen im Rahmen der Ermessensausübung anzustellen, die eine Betrachtung von Täterpersönlichkeit und Tat vergleichbar dem § 105 I JGG erfordern.970 Insoweit besteht entgegen des gesetzgeberischen Ziels teilweise faktisch eine Gleichbehandlung und es stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit nicht. Nur in dem Falle, dass das Verfahren nach § 98 OWiG wegen der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Heranwachsenden durchgeführt wird und auch die Maßnahme nach § 98 I 1 OWiG keinen erzieherischen Zweck verfolgen soll, könnte die Ungleichbehandlung eine Rechtsvereinfachung herbeiführen. Stellt man sich eine Gleichbehandlung dergestalt vor, dass nach § 98 IV OWiG eine Betrachtung vergleichbar dem § 105 I JGG vorzunehmen wäre, dann würde das Verfahren nach § 98 OWiG für die Verwaltungsbehörde und den Jugendrichter um eine Vorprüfung bezüglich der Anwendbarkeit des § 98 OWiG belastet und somit komplexer. In diesem Fall würde eine Gleichbehandlung keine Rechtsvereinfachung herbeiführen. Die Ungleichbehandlung ist also in diesem bestimmten Fall eine Rechtsvereinfachung und somit erforderlich. In der Zusammenschau des bis hierhin Gesagten kann festgestellt werden, dass sich die Regelung des § 98 IV OWiG vor dem Hintergrund der Rechtsvereinfachung nicht als die zweckmäßigste Lösung herausstellt. Da die Regelung in diesem Zusammenhang jedoch auch nicht vollkommen leerläuft, mag sie noch als erforderlich zu beurteilen sein. Im Hinblick auf den Aspekt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit kann nicht davon gesprochen werden, dass eine Gleichbehandlung von Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits, d. h. ein Verzicht auf eine Sonderbehandlung von Heranwachsenden, eine größere Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erzeugen würde. Eine starre Altersgrenze ist ein unmissverständliches Instrument der Rechtsetzungstechnik. Die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist im hypothetischen Fall der Gleichbehandlung und im tatsächlichen Fall der Ungleichbehandlung gleichwertig. Die Ungleichbehandlung ist demnach in diesem Zusammenhang als erforderlich zu bezeichnen.
970
Siehe oben Kapitel B. IV. 3. c) bb) (2).
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Demgegenüber ist die Ungleichbehandlung in Bezug auf Rechtssicherheit und Rechtsklarheit jedenfalls erforderlich, sofern man eine Gleichbehandlung dergestalt gedanklich durchspielt, wonach § 98 IV OWiG eine dem § 105 I JGG vergleichbare Regelung enthalten würde. In diesem Fall wäre die Anwendung des Verfahrens nach § 98 OWiG nicht nur von der Feststellung des Lebensalters eines Betroffenen, sondern auch vom Vorliegen wertungsmäßiger Umstände abhängig. Ob diese wertungsmäßigen Umstände gegeben sind, könnte der Rechtsanwender erst nach oftmals eher umfangreicher Prüfung feststellen. Naturgemäß wäre diese zusätzliche Prüfung eine Öffnung hin zu Einzelfallentscheidungen. Demgegenüber ist durch die Formulierung einer starren Altersgrenze de lege lata, sofern das Lebensalter des Betroffenen feststeht oder festgestellt werden kann, stets unzweifelhaft, ob das Verfahren nach § 98 OWiG angewendet werden kann. Im Ergebnis ist demnach eine Gleichbehandlung, so wie sie eingangs beschrieben wurde, gegenüber der Ungleichbehandlung de lege lata ein Minus an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für den Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen. In diesem Abschnitt konnten tragfähige Erwägungen herausgearbeitet werden, die die Ungleichbehandlung vor dem Hintergrund ihrer Zwecke überwiegend als erforderlich erscheinen lassen. Es konnte hingegen nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber die Grenzen seines verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums überschritten hat. Im Ergebnis ist deshalb die Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung gegeben. (4) Angemessenheit Im Rahmen der Angemessenheit soll zunächst diskutiert werden, ob die Ungleichbehandlung von Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits im sachlich-inhaltlichen Sinne – mit anderen Worten, im materiellen Sinne – angemessen ist. Danach soll thematisiert werden, ob auch die Typisierung als Rechtsetzungstechnik im vorliegenden Sachzusammenhang – mit anderen Worten, im formellen Sinne – angemessen ist. (a) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im materiellen Sinne Als Vorteil der Ungleichbehandlung kann angeführt werden, dass ein Teil der jungen Volljährigen, namentlich die Personengruppe der Heranwachsenden, einer erzieherischen Behandlung zugeführt werden kann. Es wurde in dieser Untersuchung bereits festgestellt, dass sittliche Defizite auch bei jungen Menschen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres nicht untypisch sind: Schwierigkeiten und Überforderungssituationen können sich insbesondere aus dem Übergang in die rechtliche Eigenverantwortlichkeit und die Änderung der Sozialisationsbedingungen ergeben.971 Typischerweise ist die Persönlichkeit bei einem Menschen bis etwa zur Vollendung des 21. Lebensjahres auch noch nicht zu sehr verfestigt und deshalb eine 971
Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (c).
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erzieherische Einwirkung noch erfolgversprechend. Insoweit steht die Ungleichbehandlung auch mit der Rechtsprechung des BVerfG im Einklang, wonach der Gesetzgeber der Typisierung keinen atypischen Fall zugrunde legen dürfe.972 Ein weiterer Vorteil des Verfahrens nach § 98 OWiG ist, dass dem wirtschaftlich leistungsunfähigen Heranwachsenden eine im Wesentlichen finanziell neutrale Möglichkeit gegeben wird, sich durch die Erfüllung von Vollstreckungsanordnungen nach § 98 OWiG von der Sanktionslast zu befreien, auch ohne dass es auf ein Reifedefizit ankommt. Die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit ist typischerweise auch bei Heranwachsenden ein festzustellender Faktor. Ein Nachteil der Regelung des § 98 IV OWiG ist, dass junge Erwachsene mit sittlichen Reifedefiziten von einer erzieherischen Behandlung nach § 98 OWiG ausgeschlossen werden und dem allgemeinen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vollstreckungsverfahren unterworfen sind. Wie bereits angeklungen ist, sind auch bei jungen Erwachsenen Reifeverzögerungen nicht untypisch. Es stellt sich demnach die Frage, ob nicht auch junge Erwachsene in den Anwendungsbereich des besonderen Vollstreckungsverfahrens nach § 98 OWiG einbezogen werden sollten. Die soeben angesprochene Einbeziehung könnte z. B. dadurch geschehen, dass in § 98 IV OWiG anstelle der Personenkategorie der Heranwachsenden eine solche Personenkategorie normiert würde, die junge Erwachsene von Vollendung des 18. Lebensjahres bis Vollendung des 27. Lebensjahres umfasst. Denkbar wäre auch, neben der Personenkategorie der Heranwachsenden in § 98 IV OWiG eine weitere Personenkategorie junger Menschen zu normieren, beispielhaft diejenige der jungen Erwachsenen, die für Personen ab Vollendung des 21. Lebensjahres bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres steht. Ob in den soeben genannten Regelungsbeispielen auch eine andere Rechtsetzungstechnik zur Umsetzung der Typisierung angezeigt ist,973 soll zunächst offenbleiben, um die Ausdehnung der Anwendbarkeit des besonderen Vollstreckungsverfahrens gem. § 98 OWiG ganz grundsätzlich zu diskutieren. Gegen eine Einbeziehung von jungen Erwachsenen in den Anwendungsbereich des besonderen Vollstreckungsverfahrens nach § 98 OWiG spricht erstens, dass der Gesetzgeber die mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintretende Volljährigkeit des jungen Menschen, d. h. seine Eigenverantwortlichkeit, zu respektieren hat. Die Eigenverantwortlichkeit verdichtet sich zunehmend bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und mit Erreichen dieses Zeitpunkts hat der junge Mensch ein Recht, von Erziehung verschont zu bleiben. Dieses Recht eines jeden Volljährigen wird verfassungsrechtlich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG geschützt.974 Dementsprechend bedarf eine staatliche Erziehungsmaß972
BVerfGE 27, 142 (150). Siehe zu den rechtsetzungstechnischen Möglichkeiten bezüglich altersmäßiger Typisierungen oben Kapitel A. I. 974 Siehe zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG auch unten Kapitel B. IV. 5. b). 973
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nahme, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres stattfindet, immer stärker der Rechtfertigung, desto weiter sie zeitlich von dieser Altersgrenze entfernt liegt.975 Dabei darf man insbesondere auch nicht den Umstand aus den Augen verlieren, dass eine erzieherische Maßnahme generell grundrechtsintensiver ist, als eine Maßnahme, die einen allgemeinen spezialpräventiven Zweck verfolgt;976 dementsprechend liegen auch die Anforderungen an eine Rechtfertigung bei erzieherischen Einwirkungen naturgemäß besonders hoch. Eine Rechtfertigung für eine erzieherische Einwirkung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres zum einen durch die bereits mehrfach beschriebene Übergangsphase, in der sich Heranwachsende befinden, gegeben. Typischerweise treten junge Menschen zwischen Vollendung des 18. Lebensjahres bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres nach einer handwerklichen Ausbildung in das Berufsleben ein oder sie beginnen nach Erwerb der allgemeinen oder fachbezogenen Hochschulreife ein Studium.977 Wie bereits mehrfach erwähnt, wird dieser Übergang auch von einer räumlichen wie auch geistigen Loslösung vom Elternhaus begleitet. Daneben braucht der junge Mensch auch Zeit, um die ihm mit Volljährigkeit erwachsenen, neuen rechtlichen Möglichkeiten zu begreifen und einzuüben. Die Zusammenschau der vorstehend genannten Umstände lässt eine Übergangsphase von Vollendung des 18. Lebensjahres bis Vollendung des 21. Lebensjahres als sachgerecht erscheinen. Zudem muss eine Übergangsphase – sofern man den Zeitraum, den die Personenkategorie Heranwachsender abdeckt, als solche versteht – naturgemäß nicht das vollständige oder weitgehende Ankommen in neuer Sozialisation und rechtlichen Rahmenbedingungen abdecken. Sie muss vielmehr so lang bemessen sein, dass erste Verstetigungen im Lebenswandel genauso möglich sind wie ein erstes Umkehren von einem Irrweg. Eine weitere Rechtfertigung ist daraus herzuleiten, dass Heranwachsende in ihrer Persönlichkeit noch beeinflussbarer sind, was einerseits mit dem Mangel an Lebenserfahrung und andererseits mit einer noch nicht allzu weit vorangeschrittenen Verstetigung des Lebenswandels zu erklären ist. Demgegenüber erscheint jedoch eine erzieherische Behandlung nach Vollendung des 21. Lebensjahres nicht mehr sachgerecht zu sein. Wenn soeben festgestellt worden ist, dass eine Übergangsphase von Vollendung des 18. Lebensjahres bis Vollendung des 21. Lebensjahres längstens sachgerecht erscheint, so kann dieser Gesichtspunkt nicht mehr für junge Menschen ab Vollendung des 21. Lebensjahr ins Feld geführt werden. Mit Ende der Übergangsphase muss die Eigenverantwort975 Das BVerfG hat die erzieherische Einwirkung auf Heranwachsende auch nach Herabsetzung des Volljährigkeitsalters gebilligt, BVerfGE 74, 102 (124 f.); für eine erzieherische Einwirkung auf Heranwachsende auch Schaffstein, NStZ 1987, 502 (503) und KG NStZ 2003, 207 f.; Ostendorf hält eine staatliche Erziehungsmaßnahme ab Volljährigkeit für unzulässig, Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 302. 976 Siehe auch oben Kapitel B. I. 1. c) ff). 977 Vgl. Wingerter, WISTA Februar 2011, S. 102 f., https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Arbeitsmarkt/EintrittErwerbsleben0211.pdf, zuletzt aufgerufen am 31. 08. 2017.
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lichkeit für den Lebenswandel und das Recht auf Verschonung von Erziehung vollends respektiert werden. Die gegebenenfalls noch bestehende Beeinflussbarkeit kann daneben nicht allein eine erzieherische Einwirkung rechtfertigen. Dies bedeutet zweitens nicht, dass der Umstand der besonderen Beeinflussbarkeit junger Erwachsener leichtfertig aus der Hand gegeben wird. Er kann auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres noch bei der Anwendung der allgemeinen Mittel des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vollstreckungsrechts Bedeutung erlangen.978 Diese sind zwar weniger individuell, aber sie bauen dennoch einen Sozialisationsdruck auf. Sofern man drittens in der Erstreckung des Verfahrens nach § 98 OWiG auf Heranwachsende eine Privilegierung dieser Personenkategorie dergestalt sieht, dass Heranwachsenden gem. § 98 I 1, III 2 OWiG die Möglichkeit geboten wird, sich durch eine im Wesentlichen finanziell neutrale Handlung von der Sanktionslast einer Geldbuße zu befreien, so erscheint es angebracht, diese Privilegierung mit Ablauf von drei Jahren seit Eintritt der Volljährigkeit zurückzunehmen. Dieser Überlegung liegt zugrunde, dass der Zeitraum zwischen Eintritt der Volljährigkeit und Vollendung des 21. Lebensjahres den Übergang von der eingeschränkten Verantwortlichkeit im Sinne des § 12 I 2 OWiG zur vollen Verantwortlichkeit abfedern soll. Da der junge Mensch mit Vollendung des 18. Lebensjahres die vollen rechtlichen Handlungsmöglichkeiten erhält, ist es richtig, ihm auch eine Erprobungsphase einzuräumen, in der nachsichtig mit seinem Fehlverhalten umgegangen wird. Hingewiesen sei hier nur auf die neuen rechtlichen Handlungsmöglichkeiten, die sich mit der Volljährigkeit im Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen ergeben und den sich hiermit ebenfalls neu ergebenden Möglichkeiten, Verkehrsordnungswidrigkeiten zu verwirklichen. Wenn also die Quintessenz des vorstehend Gesagten ist, dass ein dreijähriger Zeitraum seit Vollendung des 18. Lebensjahres längstens ausreichend ist, damit der Heranwachsende seine neuen rechtlichen Möglichkeiten erproben kann, so ist umgekehrt auch aus diesem Gesichtspunkt keine Forderung nach einer Einbeziehung von jungen Erwachsenen in § 98 IV OWiG herzuleiten. Viertens können im Vollstreckungsverfahren besondere Härten des Einzelfalls, die sich für einen jungen Erwachsenen in wirtschaftlicher Hinsicht ergeben, im Rahmen des § 95 II OWiG bei der Ermessensausübung ausgeglichen werden. Fünftens ist aus einer sozialpädagogischen Perspektive festzustellen, dass junge Erwachsene regelmäßig einen altersspezifischen und keinen jugendspezifischen Hilfebedarf haben – auch wenn die Ursache für ihr Fehlverhalten möglicherweise in einem Verharren in jugendgemäßen Verhaltensweisen bestehen möge.979 Junge Erwachsene sehen sich selbst nicht mehr als Jugendliche, denn sie beanspruchen neue Lebensräume für sich (z. B. eigene Wohnung, ggf. Familie).980 Dementsprechend ist auch die Ansprechbarkeit junger Erwachsener mit den jugendgemäßen Maßnahmen 978 979 980
Siehe zu den Vollstreckungsmaßnahmen oben Kapitel B. I. 2. g). Busch, S. 339 f. Busch, S. 339 f.
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des § 98 OWiG mit zunehmender Entfernung vom 21. Lebensjahr stark sinkend. Sofern man also gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Bereich der Sanktionierung junger Erwachsener sieht, kann die Lösung – um im bestehenden System des OWiG zu bleiben – nicht die Ausdehnung eines jugendgemäßen Vollstreckungsrechts, sondern nur ein altersspezifisches Vollstreckungsrecht sein.981 Wie aber bereits festgestellt worden ist, kann den Besonderheiten des jungen Erwachsenenalters auch in der Ermessensausübung im allgemeinen Vollstreckungsrecht ausreichend Rechnung getragen werden. Im Ergebnis erscheint auch aus einer sozialpädagogischen Perspektive und vor dem Hintergrund der bestehenden rechtlichen Handlungsmöglichkeiten eine Einbeziehung von jungen Erwachsenen in den Anwendungsbereich des § 98 IV OWiG nicht sachgerecht. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Herausbildung der Personenkategorie der Heranwachsenden und ihre Abgrenzung zu den jungen Erwachsenen mit sachgerechten Erwägungen begründet werden kann. Umgekehrt kann ebenfalls sachgerecht begründet werden, warum junge Erwachsene nicht in den Anwendungsbereich des § 98 OWiG einzubeziehen sind. Sofern sich also ein Nachteil für junge Erwachsene ergibt, so ist dieser aufgrund der vorstehenden Überlegungen nicht besonders schwerwiegend. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Vorteile den soeben diskutierten Nachteil der Ungleichbehandlung überwiegen. Die Ungleichbehandlung im materiellen Sinne ist angemessen. (b) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im formellen Sinne Ein Vorteil der Rechtsetzungstechnik des § 98 IV OWiG besteht zunächst ganz eindeutig im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Gesetzgeber hat in § 98 IV OWiG auf die Personenkategorie des Heranwachsenden Bezug genommen und auf wertungsmäßige Tatbestandsmerkmale vergleichbar § 105 I JGG verzichtet. Demnach wird der Anwendungsbereich des Verfahrens nach § 98 OWiG in Bezug auf Heranwachsende allein durch starre Altersgrenzen entlang der Vollendung des 18. Lebensjahres als untere Grenze und entlang der Vollendung des 21. Lebensjahres als obere Grenze festgelegt. Es ist also wie bereits festgestellt wurde für Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen ganz unmissverständlich, wann der Anwendungsbereich des Verfahrens nach § 98 OWiG eröffnet ist. Der Aspekt der Rechtsvereinheitlichung mag den Vorteil liefern, dass wissenschaftliche Erkenntnisse und hieran ausgerichtete Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Jugendstrafrecht auf das Ordnungswidrigkeitenrecht übertragen werden können, soweit diese Entwicklungen mit den Eigenheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts vereinbar sind. Das Anstellen einer solchen Erwägung 981 Einen ähnlichen Gedanken äußern Brunner/Dölling jedoch in Hinblick auf die Anwendbarkeit der jungendstrafrechtlichen Sanktionen auf Heranwachsende, vgl. Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 41.
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ist auch aufgrund der Verwandtschaft von Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht angebracht. Demgegenüber fällt der Vorteil der Rechtsvereinfachung nur marginal aus. Wie gezeigt worden ist, kommt der Gesichtspunkt der Rechtsvereinfachung nur in derjenigen Konstellation voll zur Entfaltung, wenn ein Heranwachsender wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit die Geldbuße nicht gezahlt hat und die Maßnahme nach § 98 I OWiG dem Heranwachsenden eine im Wesentlichen finanziell neutrale Möglichkeit eröffnen soll, sich von der Sanktionslast zu befreien.982 In dieser Konstellation müssen erzieherische Erwägungen nicht angestellt werden, sodass eine Prüfung im Sinne des § 105 I JGG hinsichtlich der Anwendbarkeit des Verfahrens nach § 98 OWiG unzweckmäßig ist. Ein Nachteil der Typisierung scheint zu sein, dass sie die hinter der Ungleichbehandlung stehenden Zusammenhänge stark vergröbert. Wie bereits festgestellt worden ist, verzichtet die Ungleichbehandlung auf wertungsmäßige Tatbestandsmerkmale im Sinne des § 105 I JGG. Es sind grundsätzlich alle Heranwachsenden dem Vollstreckungsverfahren nach § 98 OWiG unterworfen. Doch hieraus darf nicht voreilig geschlossen werden, dass der Gesetzgeber hierdurch ein allgemeines Reifedefizit dem Fehlverhalten von Heranwachsenden beimisst. Wie gesehen dient das Verfahren nach § 98 OWiG nicht nur der erzieherischen Behandlung von Heranwachsenden, sondern soll diesen auch die Möglichkeit eröffnen, sich bei wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit durch eine im Wesentlichen finanziell neutrale Sanktion der Sanktionslast der Geldbuße zu entledigen. Die starke Vergröberung ist außerdem Ausdruck der Eigenheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts: Weil Ordnungswidrigkeiten idealtypisch nur einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen und deshalb die ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen idealtypisch eine eher geringe Sanktionslast enthalten, ist eine genauere Einordnung von Täterpersönlichkeit und Tat – so wie sie § 105 I JGG vorsieht – nicht angezeigt. Einhergehend mit dem zur Rechtsvereinfachung Gesagten relativiert sich der Nachteil der Vergröberung auch wieder, weil sich Erwägungen, so wie sie nach § 105 I JGG anzustellen sind, selten von vornherein vermeiden lassen und zumindest oberflächlich anzustellen sind.983 Ein weiterer Nachteil könnte sein, dass die Ungleichbehandlung nicht differenziert genug ausgefallen ist. Man könnte etwa überlegen, dass die Regelung der Personenkategorie der Heranwachsenden in § 98 IV OWiG nicht ausreichend genug ist, um dem Problem der Delinquenz von jungen Menschen Rechnung zu tragen und dass deshalb weitere Personenkategorien zu typisieren wären. Einem solchen Ansatz soll jedoch unter Verweis auf die oben erfolgten Ausführungen zur Angemessenheit der Ungleichbehandlung im materiellen Sinne eine Absage erteilt werden.984 982 983 984
Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (a). Siehe oben Kapitel B. IV. 3. c) bb) (2). Siehe oben Kapitel B. IV. 3. c) bb) (4) (a).
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Wägt man nun die Vor- und Nachteile der Ungleichbehandlung ab, so überwiegen ihre Vorteile. Ausschlaggebend ist an dieser Stelle der Gesichtspunkt der Rechtsvereinheitlichung. Ihm kommt eine besondere Bedeutung zu, da er nützliche Verbindungen zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht herstellt. Die Ungleichbehandlung ist auch im formellen Sinne angemessen. (c) Ergebnis Die Ungleichbehandlung ist im materiellen und formellen Sinne angemessen. (5) Ergebnis Die Ungleichbehandlung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. cc) Ergebnis Die Sonderbehandlung von Heranwachsenden gegenüber jungen Erwachsenen gem. § 98 OWiG ist kein Verstoß gegen Art. 3 I GG. d) Ungleichbehandlung von Kindern einerseits und älteren Personen andererseits in Bezug auf die Anwendbarkeit der Sanktionen – insbesondere Ungleichbehandlung von älteren Kindern einerseits und jüngeren Jugendlichen andererseits Die Untersuchung hat in Kapitel B. II. gezeigt, dass Kinder weitestgehend aber nicht vollständig vom Anwendungsbereich der Sanktionen herausgenommen sind. Hierin könnte eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem liegen. aa) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Insbesondere nach Maßgabe des § 12 I 1 OWiG sind Kinder vom Anwendungsbereich der meisten Sanktionen im Gegensatz zu Jugendlichen, Heranwachsenden und Erwachsenen ausgenommen. Als Bezugsgruppen können demnach Kinder einerseits und Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene andererseits genannt werden. Wiederum handelt es sich bei den Bezugsgruppen um Personengruppen. Eine Ungleichbehandlung von Personengruppen liegt vor. Zweifelhaft ist jedoch, ob diese Personengruppen wesentlich gleich sind. Als gemeinsamer Bezugspunkt lässt sich für die Personengruppen wiederum derjenige der „natürlichen Person“ formulieren. Doch lassen sich Kinder einerseits und Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene andererseits anhand des Merkmals des „Lebensalters“ und der „kognitiven/sittlichen Entwicklung“ voneinander wesentlich unterscheiden. Es liegt also auch hier wesentlich Ungleiches vor.
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Im altersmäßigen Grenzbereich zwischen Kindern und Jugendlichen, d. h. in einem Bereich um die Vollendung des 14. Lebensjahres, relativieren sich aber auch hier wieder die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale. Ein Kind im 14. Lebensjahr ist von einem Jugendlichen im 15. Lebensjahr wohl selten in Hinblick auf kognitive/sittliche Entwicklung wesentlich unterscheidbar. Den 13jährigen und 14jährigen treffen gleichermaßen die physiologischen und psychologischen Entwicklungsvorgänge, die durch die eintretende Pubertät ausgelöst werden.985 Schnell aufeinanderfolgende kognitive Entwicklungsschübe, die eine wesentliche Unterscheidbarkeit begründen könnten, sind eher im frühkindlichen Alter, aber nicht mehr in diesem Grenzbereich zu beobachten.986 Der Übergang vom 14. Lebensjahr in das 15. Lebensjahr ist auch nicht typischerweise mit einer erheblichen Sozialisationsveränderung im schulischen, beruflichen oder häuslichen Bereich verbunden, die vom jungen Menschen eine besondere sittliche Weiterentwicklung in dieser Hinsicht abverlangen würde; die Sozialisierung in Familie, Schule und in der Gruppe Gleichaltriger bleibt in diesem Grenzbereich im Wesentlichen konstant.987 Das Lebensalter stellt in diesem Grenzbereich schließlich auch kein wesentliches Unterscheidungsmerkmal dar. Dementsprechend ist der Prüfungsansatz neu zu bilden. Nach dem soeben Gesagten kann eine Ungleichbehandlung von älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen festgestellt werden. Unter dem Begriff „ältere Kinder“ sollen Personen von Vollendung des 11. Lebensjahres bis Vollendung des 14. Lebensjahres zu verstehen sein. Unter dem Begriff „jüngere Jugendliche“ sollen Personen von Vollendung des 14. Lebensjahres bis Vollendung des 16. Lebensjahres zu verstehen sein. Im Unterschied zum vorangegangenen Abschnitt über die Ungleichbehandlung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen werden hier kleinere Vergleichsgruppen durch die Festlegung bestimmter Altersspannen gebildet und nicht ganze Personenkategorien der Betrachtung zugrunde gelegt.988 Dies hat den Hintergrund, dass kognitive und sittliche Entwicklung in einem Zeitraum zwischen Geburt bis Vollendung des 18. Lebensjahres derart vielgestaltig und umfangreich sind, dass eine bloße Gegenüberstellung der Personengruppen Kinder und Jugendliche die Zusammenhänge zu stark vergröbert. Das 11. Lebensjahr wurde als untere Grenze bei der Vergleichsgruppe der älteren Kinder gewählt, weil unter Beachtung interindividueller Entwicklungsverläufe ab diesem Zeitpunkt bei jungen Menschen am frühesten der Höhepunkt der Denkleistung erreicht wird.989 Die Grenze zwischen den Vergleichsgruppen erklärt sich anhand der Regelung des § 12 I 1 OWiG. Das 16. Lebensjahr als obere Grenze bei der Vergleichsgruppe der jüngeren Jugendlichen sei deshalb gewählt, weil in diesem Lebensjahr die ersten Jugendlichen typischerweise eine besondere Sozialisationsveränderung durch den 985 986 987 988 989
Vgl. Oerter/Montada, S. 289 ff. Vgl. Oerter/Montada, S. 159 ff. Vgl. Oerter/Montada, S. 317 ff. Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. c) aa). Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (2).
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Eintritt in die Berufsausbildung durchleben, was zu einem besonderen Schub in der sittlichen Entwicklung führt. Schließlich ist festzustellen, dass es sich bei den Vergleichsgruppen der älteren Kinder und jüngeren Jugendlichen um Personengruppen handelt. Aus dem zum Grenzbereich und zur Neubildung des Prüfungsansatzes Gesagten folgt im Umkehrschluss, dass die Personen von Vollendung des 11. Lebensjahres bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres, also die älteren Kinder und die jüngeren Jugendlichen, als wesentlich gleich in Hinblick auf kognitive/sittliche Entwicklung sowie Lebensalter – wiederum bei einem großzügigen Verständnis des Begriffs des Lebensalters –990 zu qualifizieren sind. Es liegt eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Zur Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung können einige der Überlegungen aus dem vorangegangenen Abschnitt über die Ungleichbehandlung von Heranwachsenden einerseits und jungen Erwachsenen andererseits herangezogen werden.991 Soweit dies möglich ist, wird sich die Darstellung kurzfassen und auf die wesentlichen Abweichungen konzentrieren. Die älteren Kinder gehören der Personenkategorie der Kinder im Sinne des § 12 I 1 OWiG an. Bei der Personenkategorie Kinder handelt es sich wiederum um eine grundsätzlich zulässige Typisierung durch den Gesetzgeber.992 Die Ungleichbehandlung zwischen älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen hat eine hohe Intensität, denn zum einen sind Personengruppen betroffen und zum anderen haben die Grundrechtsträger auf die Kriterien der Ungleichbehandlung, (zumindest) die kognitive Entwicklung und das Lebensalter, keinen Einfluss. Prüfungsmaßstab ist wiederum die neue Formel.993 (1) Legitimer Zweck Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 12 I 1 OWiG zunächst damit begründet, dass klargestellt werden soll, dass Kinder nicht ahndbar sind.994 Es solle sich dieser bedeutende Grundsatz nicht erst aus dem Umkehrschluss des § 12 I 2 OWiG ergeben.995 Es handelt sich hierbei um den Zweck der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. 990 991 992 993 994 995
Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. c) aa). Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. c) bb). Siehe oben Kapitel B. IV. 3. c) bb). Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. a) bb). Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Weiterhin hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die Altersgrenze entlang der Vollendung des 14. Lebensjahres ausdrücklich auf den Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1962 Bezug genommen.996 In § 23 StGB E 1962 sollte die Regelung des § 1 III JGG 1953 über die Schuldunfähigkeit des Kindes in das Kernstrafrecht überführt werden,997 was jedoch erst durch das 2. Gesetz zur Reform des Strafrechts in § 19 StGB entsprechend umgesetzt worden ist.998 In den Gesetzgebungsmaterialien zu § 23 StGB E 1962 formuliert der Gesetzgeber, dass die Straflosigkeit von Kindern jugendpsychologischen Einsichten und praktischen Bedürfnissen entspreche.999 Mit den jugendpsychologischen Einsichten ist gemeint, dass die Sanktionierung von Kindern eher belastend als nützlich wirke.1000 Insoweit kann als Zweck der Regelung des § 12 I 1 OWiG der Schutz der jugendmäßigen Entwicklung von Kindern benannt werden. Mit praktischen Bedürfnissen ist gemeint, dass der generelle Ausschluss aufwändige und schwierige Begutachtungen der Schuldfähigkeit erspart.1001 Eine weitere Zwecksetzung des Gesetzgebers ist also wiederum die Rechtsvereinfachung. Schließlich ist auch hier als Zweck die Rechtsvereinheitlichung zu nennen. Der Gesetzgeber hat durch seine Bezugnahme auf das Kernstrafrecht zum Ausdruck gebracht, dass er Kinder im Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht gleich behandeln möchte.1002 Die vorstehend bezeichneten Zwecke sind legitim. (2) Geeignetheit Die Regelung des § 12 I 1 OWiG erreicht den Zweck der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Gesetzgeber hat die Anwendbarkeit der Regelung des § 12 I 1 OWiG nur anhand einer starren Altersgrenze entlang der Vollendung des 14. Lebensjahres bestimmt. Eine Charakteristika starrer Altersgrenzen ist, dass sie für den Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen einen unmissverständlichen Anhaltspunkt über die Anwendbarkeit einer Vorschrift liefern. Demnach ist es für den Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen unmissverständlich, welche Personen vom Ausschluss vorwerfbaren Handelns gem. § 12 I 1 OWiG erfasst sind. Die Regelung fördert den Zweck des Schutzes der jugendmäßigen Entwicklung von Kindern. Zwar werden aufgrund der Regelung des § 12 I 1 OWiG Kinder weitestgehend von Sanktionen ausgenommen.1003 Jedoch wurde bereits festgestellt, dass Kinder von staatlicher Seite insbesondere mit außergesetzlichen Maßnahmen 996
Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. Regierungsentwurf zum StGB E 1962, BT-Drs. IV/650, S. 14. 998 Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969, BGBl. I S. 720. 999 Regierungsentwurf zum StGB E 1962, BT-Drs. IV/650, S. 137. 1000 Streng, in: Joecks/Miebach, § 19, Rn. 1. 1001 Streng, in: Joecks/Miebach, § 19, Rn. 1. 1002 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 47. 1003 Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) cc). 997
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wie Ermahnungen usw. für ihr Fehlverhalten sanktioniert werden.1004 Dementsprechend verwirklicht sich dieser Zweck nicht vollends. Die Regelung des § 12 I 1 OWiG fördert den Zweck der Rechtsvereinfachung weitestgehend. Soweit das Alter des Betroffenen feststeht und nicht erst ermittelt werden muss, kann das Ordnungswidrigkeitenverfahren frühzeitig eingestellt werden und erspart somit der Behörde das weitere Verfahren.1005 Der Gesetzgeber erreicht den Zweck der Rechtsvereinheitlichung. Durch die Regelung des § 12 I 1 OWiG wird im Ordnungswidrigkeitenrecht die Deliktsstufe der Vorwerfbarkeit in Bezug auf Kinder ausgeschlossen. Die Vorwerfbarkeit steht materiell und funktional der Schuld im strafrechtlichen Sinne gleich.1006 Dementsprechend besteht ein Gleichlauf zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht. Die Regelung ist geeignet, denn sie erreicht bzw. fördert die herausgearbeiteten Zwecke. (3) Erforderlichkeit Eine Gleichbehandlung von älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen ist in Hinblick auf den Zweck der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht erforderlich. Eine Gleichbehandlung würde bedeuten, dass auch ältere Kinder einer dem § 12 I 2 OWiG vergleichbaren Regelung unterworfen wären. Demnach müsste die Verwaltungsbehörde prüfen, ob bei älteren Kinder die Voraussetzungen des § 3 S. 1 JGG gegeben sind, d. h. ob Einsichts- und Steuerungsfähigkeit vorliegen. Eine solche Gleichbehandlung würde das Verfahren bezüglich älterer Kinder mit einer wertungsmäßigen Prüfung belasten, deren Ergebnis regelmäßig vom Einzelfall abhängt. Die Folge wäre ein Minus an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Demnach ist eine Ungleichbehandlung erforderlich. Auch ist eine Gleichbehandlung von älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen nicht in Hinblick auf den Zweck des Schutzes der jugendmäßigen Entwicklung von Kindern angezeigt. Eine Gleichbehandlung in dem Sinne, ältere Kinder wie Jugendliche zu behandeln, würde bedeuten, ältere Kinder auch potentiell in den Anwendungsbereich repressiver Sanktionen zu bringen. Dies wollte der Gesetzgeber jedoch wegen der schädlichen Einflüsse von Sanktionierungsprozessen auf die kindliche Entwicklung und auch in Hinblick auf die Rechtslage des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 und des Reichsjugendgerichtsgesetzes von 1943 vermeiden.1007 Eine Gleichbehandlung kann die gesetzgeberischen Zwecke demnach weder fördern noch erreichen. 1004
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). Siehe oben Kapitel B. II. 4. a) dd). 1006 Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) cc). 1007 Regierungsentwurf zum JGG, BT-Drs. I/3264, S. 39; Regierungsentwurf zum StGB E 1962, BT-Drs. IV/650, S. 137. 1005
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Weiterhin ist eine Gleichbehandlung auch nicht in Hinblick auf den Zweck der Rechtsvereinfachung erforderlich. Eine Gleichbehandlung im Sinne einer Ausgestaltung des § 12 I 1 OWiG im Sinne des § 12 I 2 OWiG würde das Verfahren um eine Prüfung der kognitiven und sittlichen Entwicklung des älteren Kindes durch die Verwaltungsbehörde belasten. Dementsprechend würde das Verfahren komplexer. Im Ergebnis ist deshalb vor dem Hintergrund des Zwecks der Rechtsvereinfachung umgekehrt eine Ungleichbehandlung erforderlich. Eine Gleichbehandlung von älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen würde eine Abweichung von Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht herstellen. Dementsprechend kann nur eine Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen in Hinblick auf den Zweck der Rechtsvereinheitlichung erforderlich sein. Die Regelung des § 12 I 1 OWiG ist vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Zwecke erforderlich. (4) Angemessenheit Im Rahmen der Angemessenheit soll wiederum im materiellen und formellen Sinne differenziert werden.1008 (a) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im materiellen Sinne In Ansehung des herausgearbeiteten Zwecks des Schutzes der jugendmäßigen Entwicklung von Kindern mag ein Vorteil sein, dass auch ältere Kinder noch von für die jugendmäßige Entwicklung schädlichen Sanktionierungsprozessen weitgehend freigehalten werden. Die Untersuchung hält insoweit an der althergebrachten These über die Schädlichkeit von Sanktionen und Sanktionierungsprozessen gegenüber Kindern und ihre fehlende normative Ansprechbarkeit fest,1009 auch wenn diese These einer aktuellen empirischen Evaluation bedarf. Zu beachten ist, dass Kinder körperlich und kognitiv immer früher heranzureifen scheinen, während ihre emotionale und sittliche Entwicklung dem immer weniger hinterher zu kommen scheint.1010 Ein Grund für das Hinterherhinken der sittlichen Entwicklung mag sein, dass die Gesellschaft zunehmend an Komplexität gewinnt, sodass Lernprozesse immer langwieriger werden. Die Zusammenschau des bis hierhin Gesagten legt deshalb den Verdacht nahe, dass die althergebrachte These und das darauf fußende Rechtsinstitut der Verantwortlichkeit unterkomplex ist. Ob die Antwort hierauf die Heraufsetzung bzw. Herabsetzung der Ahndungsmündigkeitsgrenze des § 12 I 1 OWiG1011 oder etwa die Normierung einer wertenden Betrachtung im Sinne des § 12 I 2 OWiG ist, soll an 1008 Siehe zu den Begriffen Ungleichbehandlung im formellen und materiellen Sinne oben Kapitel B. IV. 3. c) bb) (4). 1009 Roxin, Band 1, § 20, B, Rn. 50. 1010 Vgl. Brunner, JZ 1997, S. 494; Hinz, ZRP 2000, S. 110 f. 1011 Ausführlich zu diesen Ansätzen: Brunner/Dölling, Einf II, Rn. 35.
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Vor dem Hintergrund des Ordnungswidrigkeitenrechts spricht jedenfalls gegen eine Herabsetzung der Ahndungsmündigkeitsgrenze, dass erstens die Gebote und Verbote des Ordnungswidrigkeitenrechts regelmäßig weniger elementare Lebensbereiche als das Kriminalstrafrecht betreffen. Dementsprechend wird auch die normative Ansprechbarkeit von jungen Menschen in Bezug auf die geschützten Rechtsgüter des Ordnungswidrigkeitenrechts regelmäßig erst später als im Kriminalstrafrecht einsetzen, sodass eine früher einsetzende Ahndung nicht angebracht erscheint.1012 Zweitens ist die Ahndung durch Bußgeldbescheid im idealtypischen Ordnungswidrigkeitenverfahren de lege lata wenig sachgerecht in Hinblick auf Kinder. Zum einen ist nicht anzunehmen, dass Kinder die Ernsthaftigkeit eines Bußgeldbescheides begreifen. Zum anderen erscheint eine Geldsanktion wenig sinnvoll, da Kinder finanzielle Mittel im Regelfall lediglich in geringer Höhe in Form von Taschengeld beziehen. Den Weg zu spontanen jugendgemäßen Sanktionen verstellt sich das Ordnungswidrigkeitenrecht durch den Regelungsmechanismus des § 98 I 1 OWiG selbst.1013 Ein Nachteil könnte sein, dass jüngere Jugendliche nicht von schädlichen Auswirkungen durch Sanktionen und Sanktionierungsprozessen freigehalten werden. Dieser Nachteil relativiert sich jedoch, wenn man auch hier die Überlegung zugrunde legt, dass junge Menschen anscheinend immer früher heranreifen. Jüngere Jugendliche haben in der Regel bereits einen kognitiven und emotionalen Entwicklungsstand erreicht, der nicht erwarten lässt, dass staatliche Sanktionen und Sanktionierungsprozesse sich schädlich auf ihre weitere Entwicklung oder ihren weiteren Lebenswandel auswirken. Außerdem relativiert sich der genannte Nachteil dadurch, dass jüngere Jugendliche durch die Regelung des § 12 I 2 OWiG geschützt werden. Soweit die kognitive/sittliche Entwicklung von jüngeren Jugendlichen im erheblichem Ausmaß unterdurchschnittlich verläuft, ist eine Ahndung mangels vorwerfbaren Handelns gem. § 12 I 2 OWiG ausgeschlossen. In diesem Fall werden jüngere Jugendliche im gleichen Maße wie Kinder von Sanktionen und Sanktionierungsprozessen freigehalten.1014 Die Abwägung des gefundenen Vor- und Nachteils der Ungleichbehandlung lässt den Vorteil als gewichtiger erscheinen. Demnach ist die Ungleichbehandlung im materiellen Sinne angemessen. (b) Angemessenheit der Ungleichbehandlung im formellen Sinne In Ansehung der Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist zunächst ein Vorteil der Regelung des § 12 I 1 OWiG, dass aufgrund der Rechtsetzungstechnik, d. h. durch das Ziehen einer starren Altersgrenze entlang der Vollendung des 14. Lebensjahres, für den Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen von vornherein erkennbar ist, wer in den Genuss der Regelung des § 12 I 1 OWiG kommt. 1012 1013 1014
Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) cc). Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3). Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) cc).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Eine mitunter schwierige Beurteilung der kognitiven/sittlichen Entwicklung im Sinne des § 12 I 2 OWiG ist ebenso wenig notwendig wie die wertungsmäßige Beurteilung von Tat und Täter im Sinne des § 105 I JGG. Anknüpfend an den letztgenannten Gesichtspunkt kann auch die Rechtsvereinfachung als Vorteil angesehen, solange das Alter des Täters bekannt ist oder ohne besondere Schwierigkeiten festgestellt werden kann; aber auch wenn das Alter des Täters ermittelt werden muss, so stellt der weitere Verzicht auf eine im Sinne des § 12 I 2 OWiG oder § 105 I JGG vorzunehmende Prüfung immer noch eine deutliche Rechtsvereinfachung dar. Schließlich lässt sich wiederum in Hinblick auf den Gesichtspunkt der Rechtsvereinheitlichung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht der Vorteil feststellen, dass hierdurch soziologische/entwicklungspsychologische Erkenntnisse gleichermaßen zur Anwendung gebracht werden können. Ein Nachteil der starren Altersgrenze des § 12 I 1 OWiG könnte sein, dass sie entwicklungspsychologische und soziologische Zusammenhänge stark vergröbert. Diese Überlegung trifft aber nur bei isolierter Betrachtung des § 12 I 1 OWiG und nicht bei einer Gesamtbetrachtung der Regelungen des § 12 I OWiG zu. Der Gesetzgeber hat mit dem Rechtsinstitut der Verantwortlichkeit in § 12 I OWiG ein System geschaffen, das entwicklungspsychologische und soziologische Zusammenhänge stufenweise berücksichtigt. Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge hat der Gesetzgeber in § 12 I 1 OWiG normiert, dass Kinder unwiderleglich unverantwortlich handeln. Jugendliche handeln gem. § 12 I 2 OWiG nur dann verantwortlich, wenn bei ihnen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nachgewiesen werden kann. Dabei ist nach Vorstellung des Gesetzgebers im idealtypischen Fall das Vorliegen von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit anzunehmen, je näher Jugendliche altersmäßig an die Vollendung des 18. Lebensjahres herankommen.1015 Mit Vollendung des 18. Lebensjahrs wird die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit widerleglich vermutet. Dem System der Verantwortlichkeit liegt die Überlegung zugrunde, dass besondere entwicklungspsychologische und soziologische Umstände, die eine besondere Behandlung von Kindern und Jugendlichen rechtfertigen, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres soweit abgenommen haben oder durch die Heranreifung in der Person des jungen Menschen kompensiert werden können, sodass eine weitere besondere Behandlung nicht mehr erforderlich ist.1016 Eine starke Vergröberung der entwicklungspsychologischen und soziologischen Zusammenhänge kann nach dem bis hierhin Gesagten nur in Hinblick auf die Personengruppe der älteren Kinder festgestellt werden. Unter Zugrundlegung eines allgemeinen entwicklungspsychologischen und soziologischen Befundes wird gem. § 12 I 1 OWiG für die gesamte Personenkategorie der Kinder einschließlich der Personengruppe der älteren Kinder die Verantwortlichkeit negiert, ohne dass ent1015
Vgl. Eisenberg, JGG, § 3, Rn. 22; Altenhain/Laue, in: Joecks/Miebach, Band 6, § 3 JGG, Rn. 18; Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 66. 1016 Vgl. Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 3, Rn. 17; Ostendorf, in: Ostendorf, JGG, § 3, Rn. 5.
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wicklungspsychologische und soziologische Umstände für den Einzelfall noch von Bedeutung wären. Gleichwohl ist die starke Vergröberung aber sachlich gerechtfertigt. In dieser Untersuchung wird die These vertreten, dass Sanktionen und Sanktionierungsprozesse schädlich auf die Entwicklung von Kindern einschließlich älterer Kinder einwirken.1017 Weil aus diesem Grund eine Ahndung in jedem Fall unangebracht ist, besteht aus ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sicht kein Bedürfnis dafür, ältere Kinder einer individuellen Betrachtung in Hinblick auf entwicklungspsychologische und soziologische Umstände zu zuführen. Demgegenüber liegt keine starke Vergröberung in Hinblick auf jüngere Jugendliche vor. Den Bedürfnissen von jüngeren Jugendlichen wird durch die Regelung des § 12 I 2 OWiG ausreichend Rechnung getragen. Diese Regelung ist gerade darauf ausgelegt, die spezifischen entwicklungspsychologischen und soziologischen Gegebenheiten von Jugendlichen in das ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfahren einzuführen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass allenfalls ein Nachteil im Sinne einer starken Vergröberung der Zusammenhänge in Bezug auf ältere Kinder besteht. Der Nachteil wiegt allerdings nicht besonders schwer. Die Abwägung der Vorteile und des Nachteils der Ungleichbehandlung, die allesamt die Ebene der Rechtsetzungstechnik betreffen, führt zu einem deutlichen Überwiegen der Vorteile der Ungleichbehandlung. Im Ergebnis ist also die Ungleichbehandlung im formellen Sinne angemessen. (c) Ergebnis Die Ungleichbehandlung von älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen ist im materiellen und formellen Sinne angemessen. (5) Ergebnis Die Ungleichbehandlung von älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. cc) Ergebnis Die Sonderbehandlung von Kindern dergestalt, dass sie vom Anwendungsbereich der meisten Sanktionen ausgenommen sind, ist kein Verstoß gegen Art. 3 I GG. e) Ergebnis Die Behandlung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht ist mit Art. 3 I GG vereinbar. 1017
Siehe oben Kapitel B. IV. 3. d) bb) (4) (a).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
4. Elterliches Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG Denkbar ist, dass die Sanktionen gegenüber jungen Menschen das Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern gem. Art. 6 II 1 GG verletzen. Die Verletzung des Grundrechts der Eltern aus Art. 6 II 1 GG setzt voraus, dass erstens der personelle und zweitens der sachliche Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 6 II 1 GG eröffnet ist, drittens ein Eingriff in diesen Schutzbereich vorliegt und viertens dieser Eingriff nicht gerechtfertigt werden kann. a) Personeller Schutzbereich Art. 6 II 1 GG enthält eine Institutsgarantie, in deren Kernbereich die Elternschaft der leiblichen Eltern geschützt wird.1018 Leibliche Eltern sind zunächst die Frau und der Mann, von denen das Kind abstammt, wenn sie tatsächlich Pflege- und Erziehungsverantwortung für das Kind wahrnehmen.1019 Auch der als leiblicher Vater geltende Ehemann ist durch die Institutsgarantie Grundrechtsträger, wenn er Pflegeund Erziehungsverantwortung trägt.1020 Daneben ist der leibliche, nicht rechtliche Vater eines Kindes Grundrechtsträger aus der Institutsgarantie, wenn er die Anerkennung als rechtlicher Vater und die Wahrnehmung von Pflege- und Erziehungsverantwortung begehrt.1021 Außerhalb der Institutsgarantie hat der Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit, auch andere Personen durch die rechtliche Zuordnung von Pflege- und Erziehungsverantwortung für ein Kind in den Schutzbereich einzubeziehen (rechtliche Eltern).1022 Im Gegensatz zu leiblichen Eltern, die den Schutz des Art. 6 II 1 GG ohne Weiteres genießen, sind rechtliche Eltern nur nach Maßgabe gesetzlicher Zuweisung Träger des Grundrechts aus Art. 6 II 1 GG.1023 Die Grundrechtsträgerschaft aus Art. 6 II 1 GG hat eine zeitliche Dimension. Sie beginnt mit der Zeugung des Kindes.1024 Bis zum Erreichen der Volljährigkeit nimmt der Umfang der Grundrechtsträgerschaft in dem Verhältnis ab, wie das Selbstbestimmungsrecht des jungen Menschen mit seiner fortschreitenden Entwicklung
1018
Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 147; vgl. auch Jestaedt, in: Kahl/ Waldhoff/Walter, Band 3, Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3, Rn. 11, 53, Stand: 74. Lfg., Dezember 1995; Burgi, in: Friauf/Höfling, Band 1, Art. 6, Rn. 82, Stand: 22. Erg.-Lfg. Dezember 2007; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 1, Art. 6 Abs. 2, Rn. 141, 163. 1019 BVerfGE 92, 158 (176 ff.); Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 147. 1020 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 147. 1021 BVerfGE 92, 158 (176 ff.); Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 147. 1022 BVerfGE 133, 59 (77); Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 148. 1023 BVerfGE 133, 59 (77); Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 147. 1024 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 164.
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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zunimmt.1025 Mit Erreichen der Volljährigkeit des jungen Menschen erlischt die Grundrechtsträgerschaft vollständig.1026 Nach all dem Gesagten besteht eine Grundrechtsträgerschaft der leiblichen oder rechtlichen Eltern nur für Personen, die im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts als Kinder und Jugendliche zu bezeichnen sind. Für Heranwachsende besteht hingegen keine Grundrechtsträgerschaft der Eltern. b) Sachlicher Schutzbereich Sachlich schützt Art. 6 II 1 GG die Pflege und Erziehung des Kindes durch die Eltern. Nach h.M. sind Pflege und Erziehung als einheitlicher Begriff aufzufassen, der sowohl die Sorge um die Person und ihre Entwicklung wie auch die vermögensrechtlichen Rechte und Pflichten umfasst.1027 Der Begriff der Pflege beschreibt in diesem Sinne die allgemeine Sorge um die Person des Kindes, ihr körperliches Wohl und ihre geistige und charakterliche Entwicklung.1028 Erziehung beschreibt in diesem Sinne die Sorge um die Ausbildung und Bildung durch Entfaltung der Fähigkeiten des Kindes.1029 Teilweise wird die geistige und charakterliche Entwicklung auch dem Begriff der Erziehung zugeordnet.1030 Das Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern umfasst nach allgemeiner Auffassung auch die Befugnis der Eltern, Erziehungsziele und -mittel ohne staatliche Beeinflussung zu bestimmen.1031 Die Grenze des sachlichen Schutzbereichs liegt dort, wo Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder unterlassen, ihr Verhalten objektiv nicht dem Kindeswohl dient oder sie sogar die Entwicklung des Kindes gefährden.1032 Dies ist damit zu
1025
Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 162, 164. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 164. 1027 Badura, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 6, Rn. 107, Stand: 69. Lfg., Mai 2013; CoesterWaltjen, in: von Münch/Kunig, Band 1, Art. 6, Rn. 63; Burgi, in: Friauf/Höfling, Band 1, Art. 6, Rn. 111, Stand: 22. Erg.-Lfg., Dezember 2007; Jestaedt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Band 3, Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3, Rn. 102, Stand: 74. Lfg., Dezember 1995; Robbers, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Band 1, Art. 6 Abs. 2, Rn. 143; a.A. Gröschner, in: Dreier, Band 1, 2. Aufl., Art. 6, Rn. 109. 1028 Badura, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 6, Rn. 107, Stand: 69. Lfg., Mai 2013. 1029 Badura, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 6, Rn. 107, Stand: 69. Lfg., Mai 2013. 1030 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 159. 1031 BVerfGE 107, 104 (117); Badura, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 6, Rn. 109., Stand: 69. Lfg., Mai 2013. 1032 BVerfGE 24, 119 (143 f.); 103, 89 (107); vgl. auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 161; Höfling, in: HdbStR, Band 7, § 155, Rn. 17. 1026
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
begründen, dass das Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern gem. Art. 6 II 1 GG nur dem Kindeswohl und nicht ihrer Selbstbestimmung dient.1033 Die festgestellten Sanktionen wirken sich unterschiedlich auf den Schutzbereich von Art. 6 II 1 GG aus. Es ist festzustellen, dass nicht nur die erzieherischen Sanktionen z. B. aus § 98 OWiG den Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG tangieren, sondern – und dies gerade aufgrund des weiten Schutzbereichs – alle Sanktionen. Die Sanktionen können in verschiedene Fallgruppen eingeteilt werden, wobei die Zuordnung jeweils nach dem wesentlichen Schwerpunkt der Maßnahme einer Sanktion gewählt ist. aa) Sanktionen mit Geldzahlungspflicht Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts können darin bestehen, dass Kinder und Jugendliche im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts mit der Pflicht belastet werden, einen Geldbetrag zu zahlen (Geldbuße1034, Einziehung des Geldwertersatzes gem. § 25 OWiG1035, Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG1036, Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG1037, Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG1038, Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG1039, Ordnungsgeld1040, Zwangsgeld1041). Die Berührungspunkte dieser Sanktionen mit dem elterlichen Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Sieht man einmal von der Verwarnung mit Verwarnungsgeld und den Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG ab, die jeweils das Einverständnis des Kindes oder des gesetzlichen Vertreters voraussetzen,1042 so können diese Sanktionen ohne Zustimmung der Eltern angewendet werden und beschneiden somit erstens ihr Bestimmungsrecht in vermögensrechtlichen Fragen. Indem der Staat sanktioniert, beschneidet er zweitens das Recht der Eltern zu entscheiden, ob und in welcher Form sie ihr Kind für das Fehlverhalten sanktionieren wollen. Der Staat bestimmt mit seiner Sanktion auch die Zwecke, mit denen auf den jungen Menschen eingewirkt wird, und beschneidet drittens das Auswahlrecht der 1033
BVerfGE 61, 358 (371 f.); Badura, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 6, Rn. 109 f., 115, Stand: 69. Lfg., Mai 2013; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 142, 161. 1034 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 1035 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee). 1036 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg). 1037 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh). 1038 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). 1039 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). 1040 Siehe oben Kapitel B. I. 2. h). 1041 Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). 1042 Siehe oben Kapitel B. II. 4. c).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Eltern, mit welchen Zwecken auf Fehlverhalten ihres Kindes reagiert werden soll. Zwar umfasst das elterliche Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG nur die Auswahl von Erziehungsmitteln. Man könnte deshalb meinen, dass die genannten Sanktionen, die allesamt keine erzieherischen Zwecke verfolgen (Geldbuße1043; Einziehung des Geldwertersatzes gem. § 25 OWiG1044 ; Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG1045 ; Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG1046; Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG1047; Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG1048 ; Ordnungsgeld1049; Zwangsgeld1050), auch nicht mit den Erziehungsmitteln der Eltern in Konflikt geraten könnten. Jedoch ist der Begriff der elterlichen Erziehungsmittel weit auszulegen, sodass er auch jede Beeinflussung des jungen Menschen durch die Eltern umfasst und somit das Recht zur Entscheidung über Erziehungsmittel auch mit den Sanktionen in Konflikt gerät. So ist es denkbar, dass Eltern eine repressive oder abschreckende Behandlung von Fehlverhalten junger Menschen ablehnen. Somit werden z. B. repressive und negativ spezialpräventive Sanktionen gegenüber Jugendlichen in Konflikt mit dem Auswahlrecht der Eltern in Hinblick auf die Sanktionszwecke geraten. Schließlich dient die staatliche Sanktion viertens der Norminternalisierung. Sofern bestimmte Normen von den Eltern abgelehnt werden und die Eltern nicht möchten, dass das Kind diese Normen lernt, so gerät die Sanktion in Konflikt mit dem Recht der Eltern über die Erziehungsziele zu bestimmen. Den Schutzbereich eröffnen jedenfalls die Sanktionen Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG nicht, wenn der Jugendliche selbst zustimmen kann. Ist seine Einsichtsfähigkeit soweit vorhanden, dass er als verhandlungsfähig gilt und selbst entscheiden kann, so ist der Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG insoweit zurückgenommen und es entsteht kein Konflikt zwischen staatlicher Sanktion und elterlichem Erziehungs- und Pflegerecht gem. Art. 6 II 1 GG. Liegt hingegen wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit das Zustimmungsrecht bei den Eltern, so ist die Zustimmung der Eltern als Verzicht auf ihre Rechte aus Art. 6 II 1 GG zu werten,1051 sodass der Schutzbereich ebenfalls nicht eröffnet ist; dies bedeutet aber nicht, dass gar kein Grundrechtsschutz des jungen Menschen 1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051
Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ee). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Vgl. zum Grundrechtsverzicht: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 146 ff.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
gegeben wäre, denn es sind noch andere Grundrechte des jungen Menschen selbst zu beachten. Im Übrigen ist das Begehen von Anlasshandlungen im Sinne des Sanktionsbegriffs nicht zwingend dahingehend zu interpretieren, dass hierdurch ein Versagen der Eltern vor ihrer Elternverantwortung gegeben ist, sodass der Schutzbereich nicht eröffnet ist. Fehlverhalten junger Menschen ist statistisch gesehen nur episodenhaft und nimmt regelmäßig seinen Anlass nicht im Erziehungsverhalten der Eltern.1052 Gleichwohl sind aber auch Fälle denkbar, in denen die Eltern ihr Bestimmungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG dazu ausnutzen, ihr Kind zu Ordnungswidrigkeiten zu veranlassen,1053 oder sie die Ausübung ihres Rechts gem. Art. 6 II 1 GG unterlassen und so Rahmenbedingungen schaffen, in denen Ordnungswidrigkeiten durch ihr Kind begangen werden. In diesen Fällen ist der Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG nicht eröffnet. bb) Sanktionen mit sonstigen Handlungspflichten Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts können weiterhin darin bestehen, dass einem Kind oder Jugendlichen im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts die Pflicht auferlegt wird, einen Eigentumsgegenstand herauszugeben oder ihn in einer bestimmten Weise zu behandeln (Einziehung von Gegenständen1054 ; Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG1055). Sanktionen können darin bestehen, dass dem jungen Menschen konkrete Handlungspflichten wie z. B. Arbeitsleistungen oder die Teilnahme an einem Verkehrsunterricht auferlegt werden (Vollstreckungsanordnungen, z. B. gem. § 98 I 1 Nr. 2 OWiG1056 ; Verbreitung einer rechtskräftigen Bußgeldentscheidung gem. § 49 IV RStV oder § 24 VI JMStV1057; auch das Erscheinen zum Haftantritt bei Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG1058, Ordnungshaft1059 und Erzwingungshaft1060). 1052
Vgl. zur Episodenhaftigkeit der Delinquenz junger Menschen: Göppinger, § 24, Rn. 13 ff., 36 ff., 50. 1053 Vgl. zur kindlichen Delinquenz: Göppinger, § 24, Rn. 25. 1054 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb). 1055 Siehe zur Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG oben Kapitel B. I. 2. b) dd). 1056 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (a). 1057 Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Kinder und Jugendliche Rundfunkveranstalter im Sinne des § 49 I RStV sind, denn dies ist schon jede Person, die ein Rundfunkprogramm unter eigener inhaltlicher Verantwortung anbietet (§ 2 II Nr. 13 RStV) und mit wenig technischen Aufwand lässt sich bereits ein Internetradio betreiben. Da die Sanktion an Bußgeldentscheidungen anknüpft und auch schon die schuldunabhängige Einziehung des Wertes von Taterträgen oder die Einziehung von Gegenständen zum Gegenstand einer Bußgeldentscheidung werden können, können potenziell auch Kinder Adressaten der Sanktion nach § 49 IV RStV oder § 24 VI JMStV sein. Siehe zum Begriff der Bußgeldentscheidung oben Kapitel B. I. 2. g). Siehe zur Einziehung des Wertes von Taterträgen oben Kapitel B. I. 2. b) gg) und zur Einziehung von Gegenständen oben Kapitel B. I. 2. b) bb). 1058 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4).
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Soweit diese Sanktionen das Eigentum des jungen Menschen betreffen, so besteht hier wiederum erstens eine Einwirkung auf das elterliche Bestimmungsrecht in vermögensrechtlichen Fragen. Weiterhin können Einwirkungen auf das elterliche Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG dergestalt festgestellt werden, dass zweitens der Staat an Stelle der Eltern sanktioniert und dass drittens der Staat die Form sowie viertens die Zwecke der Sanktion unabhängig einer Entscheidung der Eltern bestimmt. cc) Sanktionen mit Duldungspflichten Sanktionen können darin bestehen, dass einem Kind oder einem Jugendlichen im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts die Duldung eines bestimmten Verhaltens abverlangt wird. Diese Duldung kann darin bestehen, dass ein Jugendlicher Haft erdulden muss (Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG1061; Ordnungshaft1062 ; Erzwingungshaft1063), dass ein Kind oder ein Jugendlicher die Vornahme einer Handlung an seinem Eigentumsgegenstand gem. § 24 II OWiG erdulden muss (Mindermaßnahme gem. § 24 OWiG1064), dass ein Kind oder Jugendlicher keinen Entschädigungsanspruch gegen den Staat nach einer Einziehung von Gegenständen gem. § 28 II OWiG1065 erhält und deshalb eine Vermögenseinbuße dulden muss, dass ein Kind oder ein Jugendlicher den Verlust von Vermögen dulden muss, das der Staat bereits sichergestellt oder beschlagnahmt hat (Einziehung von Gegenständen1066 ; Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG1067), dass ein Kind oder ein Jugendlicher eine Ermahnung, Belehrung, Aufklärung1068 dulden muss, dass ein Jugendlicher eine Verwarnung im Falle einer Verwarnung ohne Verwarnungsgeld gem. § 56 I 2 OWiG1069 dulden muss, dass ein Kind oder ein Jugendlicher unmittelbaren Zwang1070 dulden muss und dass ein Kind oder ein Jugendlicher dulden muss, dass durch eine Auflösungsentscheidung gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG oder 81 I 1 GenG1071 ihrer Gesellschafterstellung ein zeitlich absehbares Ende gesetzt wird. 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069 1070 1071
Siehe oben Kapitel B. I. 2. h). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ff). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ll). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Siehe oben Kapitel B. I. 2. j) bb).
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Diese Sanktionen betreffen wiederum teilweise vermögensrechtliche Fragen und beschneiden somit erstens das diesbezügliche Bestimmungsrecht der Eltern aus Art. 6 II 1 GG. Weiterhin können Einwirkungen auf das elterliche Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG dergestalt festgestellt werden, dass zweitens der Staat an Stelle der Eltern sanktioniert und dass drittens der Staat die Form sowie viertens die Zwecke der Sanktion unabhängig von einer Entscheidung der Eltern bestimmt. dd) Sanktionen mit Unterlassungspflichten Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts können die Pflicht des Jugendlichen im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts begründen, bestimmte Handlungen zu unterlassen. Zu nennen sind hier die Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG1072, das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG1073 und das Jagdverbot gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG1074. Es können Einwirkungen auf das elterliche Pflege- und Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG dergestalt festgestellt werden, dass erstens der Staat an Stelle der Eltern sanktioniert und dass zweitens der Staat die Form sowie drittens die Zwecke der Sanktion unabhängig von einer Entscheidung der Eltern bestimmt. ee) Ergebnis Die Sanktionen – ausschließlich der Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG und der Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG – berühren den sachlichen Schutzbereich des elterlichen Pflege- und Erziehungsrechts gem. Art. 6 II 1 GG. c) Eingriff Eingriff ist nach dem klassischen Verständnis jedes staatliche Verhalten, das final, unmittelbar, rechtlich und mit Befehl angeordnet sowie mit Zwang durchsetzbar ist.1075 Finalität bedeutet, dass die Folge beabsichtigte und nicht unbeabsichtigte Folge eines auf andere Ziele gerichteten staatlichen Verhaltens ist.1076 Unmittelbarkeit bedeutet, dass die Folge nicht noch das Dazwischentreten eines weiteren staatlichen Aktes erfordert oder gar die Handlung einer Privatperson sein darf.1077 1072
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ii). 1074 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) jj). 1075 BVerfGE 105, 279 (299 f.); Dreier, in: Dreier, Band 1, Vorbemerkung, Rn. 124; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 251. 1076 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 251; Peine, in: HbdGR, Band 3, § 57, Rn. 26. 1077 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 251; Peine, in: HbdGR, Band 3, § 57, Rn. 25. 1073
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Rechtlichkeit bedeutet, dass das staatliche Handeln rechtliche und nicht nur tatsächliche Wirkung zeitigen darf.1078 Mit Befehl angeordnet bedeutet, dass der Staat dem Bürger etwas gebieten oder verbieten können muss, mit Zwang durchsetzbar, dass der Staat die Möglichkeit hat, das Gebot oder Verbot gegen den Willen des Betroffenen durchzusetzen.1079 Dieses klassische Verständnis wird mittlerweile als zu eng abgelehnt.1080 Das moderne Eingriffsverständnis bezeichnet jedes staatliche Verhalten dann als Eingriff, wenn es ein privates Verhalten, das ganz oder teilweise in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht.1081 Mindestvoraussetzung der Beurteilung eines staatlichen Verhaltens als Eingriff ist demnach die Kausalität des Staatshandelns.1082 Welche Voraussetzungen überdies zu verlangen sind (z. B. Schwere des Grundrechtseingriffs)1083, ist bislang nicht geklärt.1084 Mit Ausnahme der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung unterfallen alle schutzbereichsrelevanten Sanktionen im Falle ihrer konkreten Anwendung dem klassischen Eingriffsbegriff. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärungen erfüllen nicht das Merkmal der Rechtlichkeit, denn sie wirken nur tatsächlich. Jedoch gilt auch hier, dass sofern sie von Hoheitsträgern aus Anlass einer Zuwiderhandlung gegen die Normen des Ordnungswidrigkeitenrechts oder in Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ausgesprochen werden, sie kausal vom Staat ausgehen. Außerdem beeinträchtigen sie auch das alleinige Bestimmungsrecht der Eltern in Hinblick auf den Umgang mit dem Fehlverhalten ihres Kindes und machen somit den Grundrechtsgebrauch aus Art. 6 II 1 GG ganz unmöglich. Somit liegt bei den angewendeten außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärungen auch ein Eingriff im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs vor. Die schutzbereichsrelevanten Sanktionen stellen Eingriffe in das elterliche Erziehungs- und Pflegerecht gem. Art. 6 II 1 GG dar.
1078
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 251; Peine, in: HbdGR, Band 3, § 57, Rn. 27. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 251; Peine, in: HbdGR, Band 3, § 57, Rn. 23 f. 1080 BVerfGE 105, 279 (300 f.); Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 252. Dem liegt im Übrigen auch ein Begriffswandel zugrunde, der das verbindende Glied zwischen Schutzbereich und Rechtfertigungsbedürftigkeit nicht mehr in der staatlichen Maßnahme, sondern vielmehr in der vom Staat hervorgerufenen Wirkung sieht, vgl. hierzu Peine, in: HbdGR, Band 3, § 57, Rn. 18. 1081 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 253. 1082 BVerfGE 66, 39 (60 ff.); Sachs, in: Sachs, Vor Art. 1, Rn. 83. 1083 So z. B. Hufen, § 8, Rn. 11. 1084 Sachs, in: Sachs, Vor Art. 1, Rn. 83. 1079
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
d) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Eingriff in das elterliche Erziehungs- und Pflegerecht gem. Art. 6 II 1 GG kann nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, wenn erstens die Verfassung Beschränkungen des Grundrechts zulässt und diese Beschränkungen wiederum zweitens den Anforderungen der Verfassung genügen. aa) Schranken Für das elterliche Erziehungs- und Pflegerecht gem. Art. 6 II 1 GG bestehen jedenfalls verfassungsimmanente Schranken aus kollidierendem Verfassungsrecht.1085 Umstritten ist demgegenüber, ob das staatliche Wächteramt gem. Art. 6 II 2 GG einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt darstellt. Richtiger Ansicht nach enthält Art. 6 II 2 GG keinen qualifizierten Gesetzesvorbehalt:1086 Das Wächteramt des Staates gem. Art. 6 II 2 GG dient dem Schutz des Kindeswohls in Situationen, in denen die Eltern sich außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 II 1 GG bewegen, indem sie Pflege und Erziehung unterlassen, ihr Verhalten objektiv nicht dem Kindeswohl dient oder ihr Verhalten die Entwicklung ihres Kindes gefährdet.1087 Als Schranke des elterlichen Pflege- und Erziehungsrechts gem. Art. 6 II 1 GG kommt hier allein das verfassungsrechtliche Gebot des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes in Betracht, dass das BVerfG wie folgt beschreibt: „Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege […], die zum Schutz der Bürger den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten Verfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll […]. Strafnormen und deren Anwendung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben“.1088 1085 BVerfGE 107, 104 (118); Burgi, in: Friauf/Höfling, Band 1, Art. 6, Rn. 132, Stand: 22. Erg.-Lfg. Dezember 2007; Burgi, in: HbdGR Band 4, § 109, Rn. 36; Höfling, in: HbdStR, Band 7, § 155, Rn. 54; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 172; Pieroth/Schlink/ Kingreen/Poscher, Rn. 714. 1086 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 172; Hufen, § 16, Rn. 28; a.A. Burgi, in: Friauf/Höfling, Band 1, Art. 6, Rn. 132, Stand: 22. Erg.-Lfg. Dezember 2007; Burgi, in: HbdGR, Band 4, § 109, Rn. 36; Höfling, in: HbdStR, Band 7, § 155, Rn. 54; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 76; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 55; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 707, 713; Epping, Rn. 525; diff. Jestaedt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Band 3, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 162 ff., 163, Stand: 75. Lfg., Dezember 1995. 1087 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 172. 1088 BVerfGE 107, 104 (118 f.); vgl. auch BVerfGE 39, 1 (45 ff.); 51, 324 (343 f.); 57, 250 (275); 88, 203 (257 f.).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Der strafrechtliche Rechtsgüterschutz umfasst auch die gesetzliche Normierung und Anwendung von Ordnungswidrigkeitenrecht, denn das Ordnungswidrigkeitenrecht dient wie das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz.1089 Irrelevant für die verschiedenen Formen der Haft, die in dieser Untersuchung als Sanktion gekennzeichnet wurden (z. B. Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG1090), ist im Übrigen Art. 6 III GG, der besondere Voraussetzungen für eine Trennung des Kindes von seinen Eltern vorsieht. Zum einen handelt es sich bei dieser Vorschrift konsequenterweise auch nicht um eine Schranke des Art. 6 II 1 GG, denn sofern die Voraussetzungen des Art. 6 II 1 GG gegeben sind, so bewegen sich die Eltern außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 II 1 GG, sodass die Trennung schon gar keinen Eingriff darstellen kann.1091 Zum anderen stellen die verschiedenen Haftformen keine Trennung des Kindes von seinen Eltern im Sinne des Art. 6 III GG dar. Trennung bedeutet, dass das Kind faktisch von seinen Eltern separiert wird und der Staat durch die Separierung bezweckt, den elterlichen Erziehungseinfluss zurückzudrängen und einer Erziehung durch den Staat oder durch von diesem bestellten Dritten zu unterwerfen.1092 Die verschiedenen Haftformen führen zwar zu einer tatsächlichen Separierung der Eltern von ihrem Kind, jedoch dienen sie nicht dazu, den erzieherischen Einfluss der Eltern auf das Kind zurückzudrängen und einer Erziehung durch den Staat oder durch ihn bestellte Dritter zuzuführen;1093 insbesondere dient der Jugendarrest nicht dazu, den jungen Menschen einer weiteren staatlichen Erziehung zuzuführen, sondern der Jugendarrest gem. § 98 II OWiG selbst ist das erzieherische Mittel. Demnach ist also das verfassungsrechtliche Gebot des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes Schranke des elterlichen Pflege- und Erziehungsrechts gem. Art. 6 II 1 GG. bb) Schranken-Schranken Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts müssten verfassungsgemäßer Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes sein.
1089
Roxin, Band 1, § 2, E, Rn. 62. Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4). 1091 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 192. 1092 BVerfGE 31, 194 (210); Jestaedt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Band 3, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 234 f., Stand: 75. Lfg., Dezember 1995. 1093 Jestaedt verneint dies hinsichtlich der Frage, ob die Anordnung einer Freiheitsstrafe gegen ein Elternteil oder das Kind eine Trennung im Sinne des Art. 6 III GG darstellt: Jestaedt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Band 3, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 237, Stand: 75. Lfg., Dezember 1995. 1090
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(1) Prüfungsmaßstab und Abgrenzung der Sanktionen Unter den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Schranken hervorzuheben ist Art. 103 II GG. In Art. 103 II GG heißt es: „Eine Tat kann nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“. Hieraus folgt das Gesetzlichkeitsprinzip, wonach Strafbarkeitsvoraussetzungen (Kein Verbrechen ohne Gesetz) und Strafbarkeitsfolgen (Keine Strafe ohne Gesetz) einer gesetzlichen Grundlage bedürfen.1094 Aus dem Gesetzlichkeitsprinzip werden vier weitere Prinzipien gefolgert: Das Analogieverbot, das Verbot strafbegründenden und strafschärfenden Gewohnheitsrechts, das Rückwirkungsverbot und das Verbot unbestimmter Strafgesetze und Strafen.1095 Das Gesetzlichkeitsprinzip und die aus dem Gesetzlichkeitsprinzip abgeleiteten Prinzipien gelten auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht. Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 3 OWiG und entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des BVerfG.1096 Art. 103 II GG gilt aber nicht für alle Sanktionen im Sinne dieser Untersuchung, sondern nur für Strafen und strafähnliche Maßnahmen.1097 „Strafe ist die Auferlegung eines Rechtsnachteils wegen einer schuldhaft begangenen rechtswidrigen Tat. Sie ist – neben ihrer Aufgabe abzuschrecken und zu resozialisieren – eine angemessene Antwort auf strafrechtlich verbotenes Verhalten […]. Mit der Strafe wird ein rechtswidriges sozial-ethisches Fehlverhalten vergolten. Das dem Täter auferlegte Strafübel soll den schuldhaften Normverstoß ausgleichen; es ist Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit […]. Art. 103 II GG unterliegen aber auch solche Maßnahmen, die wie eine Strafe wirken. Strafähnlich ist eine Maßnahme freilich nicht schon dann, wenn sie mit einer Einbuße an Freiheit oder Vermögen verbunden ist und damit faktisch die Wirkung eines Übels entfaltet. Bei der Beurteilung des pönalen Charakters einer Rechtsfolge sind vielmehr weitere, wertende, Kriterien heranzuziehen, insbesondere der Rechtsgrund der Androhung und der mit ihr verfolgte Zweck […]“.1098 Mit den Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbuße bedrohten Handlungen und den quasi-vorwerfbaren Handlungen ist kein sozial-ethischer Vorwurf verbunden.1099 Dies gilt auch für die Pflichtverletzungen, die im Zusammenhang mit dem Ordnungswidrigkeitenverfahren verbunden sind. Dementsprechend kann auch keine Sanktion, die an eine der vorstehend genannten Formen von Fehlverhalten anknüpft, als Unwerturteil über sozial-ethisches Fehlverhalten aufgefasst werden. Sozial1094 Nach h.M. hat auch das Gesetzlichkeitsprinzip in Hinblick auf die Strafbarkeitsfolgen Verfassungsrang, Roxin, Band 1, § 5, A, Rn. 5 f. 1095 Wolff, in: HbdGR, Band 5, § 134, Rn. 19 f.; Roxin, Band 1, § 5, B, Rn. 7 ff. 1096 BVerfGE 38, 348 (371), 71, 108 (114); 81, 132 (135), 87, 399 (411); Rogall, in: Senge, § 3, Rn. 1. 1097 Degenhart, in: Sachs, Art. 103, Rn. 57. 1098 BVerfGE 110, 1 (13 f.); die kursiven Passagen entsprechen nicht dem Originalzitat. 1099 BVerfGE 27, 18 (33).
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ethischer Vorwurf und entsprechendes Unwerturteil ist gerade den Straftaten und der Kriminalstrafe vorbehalten.1100 Demnach ist auch keine der Sanktionen als Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren. Für die Einordnung einer Maßnahme als strafähnlich steht nach der Rechtsprechung des BVerfG im Vordergrund, dass die Maßnahme an einen Schuldvorwurf anknüpft und einen repressiven Zweck verfolgt.1101 Demnach können bestimmte Sanktionen im Sinne dieser Untersuchung als strafähnliche Maßnahmen eingeordnet werden: Dies sind die Geldbuße1102, die (ahnende) Einziehung von Gegenständen gem. § 22 I, II Nr. 1 OWiG1103 und § 23 OWiG1104, die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 3 OWiG1105, Mindermaßnahme und Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG, wenn sie an eine ahndende Einziehung von Gegenständen anknüpfen,1106 die Einziehung des Wertersatzes gem. § 25 OWiG1107 sowie die Verweigerung einer Entschädigung gem. § 28 II Nr. 1 und Nr. 2 OWiG1108. Ferner verfolgen einen repressiven Zweck das Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG1109, das Verbot der Jagdausübung gem. § 41a I Nr. 2 BJagdG1110, die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld gem. § 56 I 2 OWiG1111, die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG1112 und der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG1113. In diese Kategorie fallen ebenfalls die repressiv-präventiven Ordnungsmaßnahmen.1114 Schließlich ist die Anordnung der Verbreitung einer rechtskräftigen Bußgeldentscheidung gem. § 49 IV RStVoder § 24 VI JMStVeine strafähnliche Maßnahme, wenn die Anordnung der Verstärkung einer repressiven Sanktion dient.1115
1100
BVerfGE 27, 18 (33). BVerfGE 20, 323 (331); Degenhart, in: Sachs, Art. 103, Rn. 57. 1102 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 1103 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). 1104 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (b). 1105 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) cc) (2). 1106 Siehe oben z. B. zur Maßnahme gem. § 24 II OWiG gegenüber dem Täter Kapitel B. I. 2. b) dd) (1) oder zur Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG gegenüber dem Täter Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). 1107 Siehe oben z. B. Geldwertersatzeinziehung gegenüber dem Täter gem. § 25 I OWiG Kapitel B. I. 2. b) ee) (1) und gem. § 25 II OWiG Kapitel B. I. 2. b) ee) (4). 1108 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ff). 1109 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ii). 1110 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) jj). 1111 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) ll). 1112 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3). 1113 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4). 1114 Siehe oben Kapitel B. I. 2. h). 1115 Siehe oben Kapitel B. I. 2. j) dd). 1101
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Keine Strafen und strafähnlichen Maßnahmen sind die (präventive) Einziehung gem. § 22 II Nr. 2, III OWiG1116, die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 II 2 OWiG1117, die Mindermaßnahme und Vorbehaltsanordnung gem. § 24 OWiG, wenn eine vorwiegend präventive Einziehung zugrunde liegt,1118 die Abführung des Mehrerlöses gem. § 8 WiStG1119, Zwangsmaßnahmen1120, die Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG1121, die Anordnung der Verbreitung von rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen gem. § 49 IV 1 RStV oder § 24 VI 1 JMStV1122, wenn diese an eine nur präventive Sanktion (z. B. Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG) anknüpft. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Aufklärung und Belehrung können in die Kategorien strafähnliche Maßnahmen fallen, wenn sie an ein schuldhaftes Verhalten anknüpfen und einen repressiven Zweck verfolgen.1123 Wenn sie hingegen nicht an ein schuldhaftes Verhalten anknüpfen und nur einen präventiven Zweck verfolgen, sind sie weder als Strafen noch als strafähnliche Maßnahmen einzuordnen.1124 Fraglich ist, in welche Kategorie die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG einzuordnen ist. Das BVerfG hat die Einziehung des Wertes von Taterträgen ausdrücklich nicht als strafähnliche Maßnahme, sondern als kondiktionsähnliche Maßnahme eigener Art beschrieben.1125 Dem ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt zu folgen, dass der Gesetzgeber der Einziehung des Wertes von Taterträgen keine repressiven Zwecke zugeordnet hat.1126 Gleichwohl muss jedoch festgestellt werden, dass, wenn die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach dem Bruttoprinzip bemessen wird und dem Betroffenen eine Vermögenseinbuße über die Abschöpfung des Tatgewinns hinaus abverlangt wird, die Einziehung des Wertes von Taterträgen eine empfindliche repressive Wirkung entfaltet, die sich weder als unvorhersehbare Nebenwirkung oder notwendige Begleitwirkung beschreiben lässt.1127 Diese repressive Wirkung rechtfertigt es, entgegen der Auffassung des BVerfG, die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG, bei Anwendung des 1116
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (2) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) cc) (1). 1118 Siehe oben z. B. zur Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG gegenüber dem Täter Kapitel B. I. 2. b) dd) (1) oder zur Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG gegenüber dem Täter Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). 1119 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) hh) (1). 1120 Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). 1121 Siehe oben Kapitel B. I. 2. j) bb). 1122 Siehe oben Kapitel B. I. 2. j) dd). 1123 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). 1124 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). 1125 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 1126 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg) (1). 1127 Eser, in: FS-Stree/Wessels, S. 844; Hoyer, GA 1993, S. 406 (422); Drathjer, S. 51 f.; Mitsch, in: Senge, § 29a, Rn. 12 ff.; Streng, Sanktionen, Rn. 369. 1117
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Bruttoprinzips als strafähnliche Maßnahme einzuordnen.1128 Hingegen ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG, bei Anwendung des Nettoprinzips weder als Strafe noch als strafähnliche Maßnahme zu qualifizieren. Soweit die Sanktionen unter den Begriff der strafähnlichen Maßnahmen subsumiert werden können, gelten für sie die Voraussetzungen des Art. 103 II GG, soweit diese die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen verdrängen. Für diejenigen Sanktionen, die nicht unter Art. 103 II GG subsumiert werden können, gelten die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen. (2) Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG Für die als strafähnliche Maßnahme bezeichneten Sanktionen enthält Art. 103 II GG mit dem sog. Gesetzlichkeitsprinzip eine besonders strenge Ausformung des Vorbehalts des Gesetzes, wonach keine Strafe ohne gesetzliche Grundlage erfolgen darf.1129 Das Gesetzlichkeitsprinzip gilt gem. § 3 OWiG auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht.1130 Zweifelhaft ist, ob Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in Form strafähnlicher Maßnahmen mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vereinbart werden können. Ermahnung, Belehrung und Aufklärung können Rechtsfolgen einer Tat sein.1131 Das Gesetzlichkeitsprinzip erfordert, dass – seien sie auch nur wenig intensiv – Strafen und strafähnliche Maßnahmen gesetzlich normiert sind. Vorliegend sind diese Maßnahmen nicht gesetzlich normiert.1132 Dass es nicht erforderlich sei, solche Maßnahmen zu normieren, kann dadurch widerlegt werden, dass der Gesetzgeber inhaltlich vergleichbare Maßnahmen im OWiG (§ 56 I 1 OWiG) und im JGG (§ 14 JGG) ausdrücklich normiert hat. Im Ergebnis sind also Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in Form strafähnlicher Maßnahmen, – unabhängig davon, ob sie gegenüber jungen Menschen oder Erwachsenen erfolgen – nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG zu vereinbaren. Es ist nicht ersichtlich, dass andere strafähnliche Maßnahmen gegen das Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG verstoßen.
1128 Hierzu hat sich der Gesetzgeber in der jüngsten Reform von 2017 nicht ganz eindeutig geäußert, siehe Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525, S. 46 f., 47. Der Gesetzgeber scheint zur Auffassung des BVerfG zu tendieren. 1129 Degenhart, in: Sachs, Art. 103, Rn. 54. 1130 BVerfGE 38, 348 (371), 71, 108 (114); 81, 132 (135), 87, 399 (411). 1131 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). 1132 Nach Bohnert sollen diese Reaktionsweisen im Natur- oder Vernunftrecht verankert sein: Bohnert, S. 81.
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(3) Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG Art. 103 II GG enthält ein Gebot der Gesetzesbestimmtheit, das nicht nur für die Strafbarkeitsvoraussetzungen (Strafe ist im Folgenden im verfassungsrechtlichen Sinne1133 zu verstehen), sondern auch für die Strafbarkeitsfolgen gilt.1134 Dieses Gebot gilt nicht nur für diejenigen Strafbarkeitsfolgen, die als Strafen bezeichnet werden, sondern auch für die strafähnlichen Maßnahmen. Im Übrigen gilt das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG gem. § 3 OWiG auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht und seine Rechtsfolgen, soweit sie strafähnlich sind.1135 Bestimmtheit der Strafandrohung bedeutet einerseits, dass für den Rechtsunterworfenen vorhersehbar sein müsse, mit welchen Konsequenzen er im Falle eines Normbruchs zu rechnen habe.1136 Bestimmtheit der Strafandrohung bedeutet andererseits, dass die Strafandrohung Art und Ausmaß der anzuwendenden Sanktion erkennen lasse1137 und dass die Strafandrohung auf den Tatbestand und das in ihm vertypte Unrecht abgestimmt sein müsse.1138 In dieser Abstimmung komme die gesetzgeberische Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Tatbestandes zum Ausdruck.1139 Dabei ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber bei der Festlegung der Rechtsfolgen auf ein abstraktes Höchstmaß an Präzision verzichte, wie es mit absoluten Strafen zu erreichen möglich wäre, und stattdessen dem Richter die Festsetzung einzelner Rechtsfolgen innerhalb gesetzlich festgelegter Strafrahmen überlässt; im Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls könne nämlich regelmäßig erst der Rechtsanwender die Schuldangemessenheit der konkret bemessenen Strafe beurteilen.1140 Zu betonen ist hierbei, dass Auslegungsbedürftigkeit die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht ausschließt.1141 Bei der Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsfolgen und Zumessungsregeln zu stellen sind, geraten also zwei Verfassungsprinzipien in ein Spannungsverhältnis: Die Rechtsfolgenbestimmtheit und Rechtssicherheit einerseits sowie das Schuldprinzip und die Einzelfallgerechtigkeit andererseits müssen abgewogen und in einen tragfähigen Ausgleich gebracht werden, der den für das Strafrecht (im weiteren Sinne) unverzichtbaren Prinzipien möglichst viel an Substanz belässt.1142 1133 1134 1135 1136 1137 1138 1139 1140 1141 1142
Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (1). BVerfGE 105, 135 (152 ff.). Vgl. oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (1). BVerfGE 26, 41 (42); 45, 363 (370 ff.). BVerfGE 32, 346 (362 f.). BVerfGE 86, 288 (313). BVerfGE 25, 269 (286). BVerfGE 105, 135 (154). BVerfGE 85, 69 (73); 87, 363 (391 f.); 126, 170 (195 f.). BVerfGE 105, 135 (155).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Möglicherweise ist § 98 I 1 Nr. 4 OWiG nicht bestimmt genug, wonach der Jugendrichter die Erbringung „sonst bestimmter Leistungen“ anordnen kann. Dies ist aber zu verneinen. Die Rechtsprechung hat verschiedene Aspekte entwickelt, die der Rechtsfolge Konturen verleihen: Die wichtigste Einschränkung ist, dass ein einleuchtender Zusammenhang zwischen Tat und Rechtsfolge bestehen muss.1143 Diese Voraussetzung folgt aus erzieherischen Gesichtspunkten und soll ermöglichen, die Maßnahme individuell am Fehlverhalten auszurichten. Demnach gibt das Fehlverhalten selbst die Konturen der Maßnahme vor. Weiterhin sollten nur solche Leistungen angeordnet werden, die auch zuverlässig überprüft werden können.1144 Im Übrigen werden die Maßnahmen auch negativ eingegrenzt durch gesetzlich normierte Maßnahmen (z. B. wäre es unzulässig, als Leistung das Unterlassen des Führens eines Fahrzeuges oder das Abgeben des Führerscheins anzuordnen, weil dann die Voraussetzungen des § 25 StVG umgangen würden)1145 und schließlich dürfen sie auch nicht gegen Verfassungsrecht verstoßen (z. B. die Anordnung des regelmäßigen Kirchenbesuchs verstößt gegen Art. 4 I GG1146 ; die Anordnung, einen bestimmten Ausbildungsplatz anzunehmen, verstößt gegen Art. 12 I GG1147). Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass die Vorschrift des § 98 I 1 Nr. 4 OWiG nicht gegen das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG verstößt. Es ist ansonsten kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 II GG durch diejenigen Sanktionen, die als strafähnliche Maßnahmen bezeichnet wurden, ersichtlich. (4) Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 103 III GG Zweifelhaft ist, ob das Verbot der Doppelbestrafung gem. Art. 103 III GG auf das Ordnungswidrigkeitenrecht angewendet werden kann. Das BVerfG versteht unter den allgemeinen Strafgesetzen im Sinne des Art. 103 III GG nur das Kern- und Nebenstrafrecht, nicht aber das Ordnungswidrigkeitenrecht.1148 Im Schrifttum hingegen scheint es h.M. zu sein, Art. 103 III GG auch auf das Ordnungswidrigkeitenrecht anzuwenden.1149 Die Fragestellung kann jedoch offenbleiben, denn auch
1143 1144 1145 1146 1147
Rn. 18. 1148
Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (d). Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 19. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1968, 2156 f. Eisenberg, § 10, Rn. 10; Mitsch, in: Senge, § 98, Rn. 18. LG Würzburg NJW 1983, 463 f.; Eisenberg, § 10, Rn. 19; Mitsch, in: Senge, § 98,
BVerfGE 43, 101 (105). Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 3, Art. 103 Abs. 3, Rn. 215; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103, Rn. 74; für eine analoge Anwendung: Kunig, in: von Münch/Kunig, Band 2, Art. 103, Rn. 41; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Band 6, Art. 103 Abs. 3, Rn. 289, Stand: 30. Lfg., Dezember 1992; Mitsch meint hingegen, das Doppelbestrafungsverbot würde für das Ordnungswidrigkeitenrecht aus dem Rechtsstaatsprinzip folgen, Mitsch, in: Senge, Einleitung, Rn. 142. 1149
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
wenn das Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 103 III GG anwendbar wäre, sind keine Verstöße ersichtlich: Denkbar wäre zwar, dass die im Regelfall separat von der Verhängung der Geldbuße ergehenden Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG eine wegen der derselben Tat erfolgende mehrfache Bestrafung im Sinne des Art. 103 III GG darstellen.1150 Dies ist jedoch zu verneinen: Art. 103 III GG verbietet die mehrfache Bestrafung wegen eines Lebenssachverhalts in verschiedenen Verfahren. Geldbuße und Vollstreckungsanordnungen werden aber sowohl im idealtypischen Verfahren, d. h. Anordnung von Geldbuße durch eine Verwaltungsbehörde und nachträgliche Anordnung von Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG durch den Jugendrichter, als auch im Verfahren nach § 78 IV OWiG, d. h. gleichzeitige Anordnung von Geldbuße und Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG durch den Jugendrichter, in demselben Verfahren vorgenommen. Im Übrigen ist auch zweifelhaft, ob sich die Sanktionen im idealtypischen Verfahren auf dieselbe Tat beziehen, denn Anknüpfungspunkt ist für die Geldbuße die Ordnungswidrigkeit und für die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG die Nichtzahlung der Geldbuße, demnach also unterschiedliche Lebenssachverhalte.1151 Schließlich stehen Geldbuße und Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG in einem alternativen und nicht in einem kumulativen Verhältnis.1152 Verstöße gegen das Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 103 III GG sind nicht gegeben. (5) Freiheitsbeschränkungen gem. Art. 104 GG Verschiedene Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts können zu Beschränkungen der Freiheit der Person führen gem. Art. 2 II 2 GG. Der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 II 3 GG wird in Art. 104 GG konkretisiert, wobei das Gesetz zwischen Freiheitsbeschränkungen im engeren Sinne gem. Art. 104 I GG und Freiheitsentziehungen gem. Art. 104 II bis IV GG unterscheidet. Möglicherweise kann der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG nicht mit Art. 104 GG vereinbart werden. Der Jugendarrest ist unter Zugrundelegung formaler Kriterien eine Freiheitsentziehung, denn durch ihn wird eine Person an einem „eng umgrenzten Raum“1153 festgehalten, sodass die „körperliche Bewegungsfreiheit in alle Richtungen hin aufgehoben“1154 ist. 1150 Vgl. zum Begriff „derselben Tat“: Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 3, Art. 103 Abs. 3, Rn. 202; vgl. zum Begriff der „mehrfachen Bestrafung“: Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 3, Art. 103 Abs. 3, Rn. 216. 1151 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (a). 1152 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3). 1153 BVerwGE 62, 325 (327 f.); Dürig, in: Maunz/Dürig, Band 6, Art. 104, Rn. 7, Stand: Grundwerk. 1154 BVerfGE 94, 166 (198); 105, 239 (248); BGHZ 82, 261 (266 f.); 145, 297 (303).
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Für die Verhängung des Jugendarrests gem. § 98 II 1 OWiG ist nicht ausdrücklich der Jugendrichter als sachlich zuständiger Hoheitsträger benannt. Die Freiheitsentziehung steht aber gem. Art. 104 II 1 GG grundsätzlich unter Richtervorbehalt. Richter in diesem Sinne ist der gesetzliche Richter gem. Art. 92 GG.1155 Aus der Zusammenschau der Regelungen des § 98 OWiG, der die Entscheidungen über die Vollstreckungsmaßnahmen ansonsten ausnahmslos in die Hand des Jugendrichters gibt, folgt, dass der Jugendrichter auch für die Entscheidung über den Jugendarrest zuständig ist. Die Zuständigkeit des Jugendrichters entspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers.1156 Demnach kann der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG mit Art. 104 II 1 GG vereinbart werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber ansonsten gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Freiheitsbeschränkungen verstoßen hat. (6) Verhältnismäßigkeitsprinzip Der Gesetzgeber ist an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden. Dass eine der hier benannten Sanktionen in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung unverhältnismäßig wäre, ist nur schwer vorstellbar. Die hier als Sanktionen benannten Rechtsfolgen stehen fast ausschließlich im Ermessen des Rechtsanwenders. Der Ermessensspielraum eröffnet dem Rechtsanwender die Möglichkeit, unbillige Härten für den Rechtsunterworfenen abzuwenden, insbesondere unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.1157 Somit verlagert sich das Problem möglicher Unverhältnismäßigkeit von der gesetzlichen Ausgestaltung hin zur Rechtsanwendung im Einzelfall. Es lässt sich die Frage aufwerfen, ob möglicherweise die strafähnlichen Maßnahmen ausschließlich derjenigen Maßnahmen, die erzieherische Zwecke verfolgen (Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärung mit erzieherischen Zweck1158 ; Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG1159 ; Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG1160) nicht verhältnismäßig und stattdessen erzieherische Maßnahmen verhältnismäßig sind. Dabei stellt sich im Wesentlichen die Frage, ob vielleicht nur oder vorrangig eine erzieherische Zweckverfolgung gegenüber jungen Menschen und keine sonstige Zweckverfolgung oder keine vorrangige sonstige Zweckverfolgung bei Zuwiderhandlungen legitim ist. Außerdem stellt sich die Frage, ob nicht Maßnahmen mit erzieherischen Zwecken gegenüber den strafähnlichen Maßnahmen mit den herkömmlichen repressiv-präventiven Sanktionszwecken erforderlicher sind. 1155 1156 1157 1158 1159 1160
Degenhart, in: Sachs, Art. 104, Rn. 20. Vgl. Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 120. Siehe oben Kapitel B. II. 3. c) aa) (1). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (a). Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Diese Thesen sind im Ergebnis zu verneinen, wobei auf bereits erfolgte Argumentationsmuster zurückzugreifen ist: Erstens handelt es sich bei den Zuwiderhandlungen im Sinne dieser Untersuchung nicht um solche Verhalten, die stets eine Einwirkung mit erzieherischer Intention erforderlich machen, denn regelmäßig werden erzieherische Mängel nicht die Ursache der Zuwiderhandlungen sein. Deshalb ist zweitens die Normierung von Maßnahmen mit ausschließlicher oder vorrangiger erzieherischer Intention für junge Menschen nicht notwendig. Dementsprechend ist drittens im Ergebnis auch eine ausschließliche erzieherische Zweckverfolgung nicht allein legitim. Verstöße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip sind durch die gesetzliche Ausgestaltung der Sanktionen nicht ersichtlich. (7) Ergebnis Die schutzbereichsrelevanten Sanktionen sind ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne verfassungsgemäßer Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne können nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG vereinbart werden.1161 cc) Ergebnis Die schutzbereichsrelevanten Sanktionen sind ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne in Hinblick auf Art. 6 II 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt. e) Ergebnis Mit Ausnahme der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne sind die schutzbereichsrelevanten Sanktionen mit Art. 6 II 1 GG vereinbar. 5. Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des jungen Menschen Neben Art. 3 I GG könnte die Sanktionierung von jungen Menschen auch weitere Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des jungen Menschen verletzen.
1161
Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (2).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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a) Allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG In Betracht kommen Verletzungen der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG durch die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts. aa) Personeller Schutzbereich Träger der allgemeinen Handlungsfreiheit als Jedermann-Grundrecht sind alle natürlichen Personen.1162 Dies gilt insbesondere auch für junge Menschen.1163 Der personelle Schutzbereich ist für junge Menschen eröffnet. bb) Sachlicher Schutzbereich Nach heute h.M. schützt die allgemeine Handlungsfreiheit in sachlicher Hinsicht jedes menschliche Verhalten im umfassenden und nicht durch qualitativ-wertende Merkmale eingegrenzten Sinne.1164 Zum sachlichen Schutzbereich gehören also Betätigungen jedweder Art und Güte, ohne dass diese einen besonders prägenden Bezug zur Entfaltung der Individualpersönlichkeit oder eine gewisse sonstige Valenz entsprechenden Verhaltens aufweisen müssten.1165 Abgesehen von der Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und den Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG führen alle Sanktionen dazu, dass dem Grundrechtsträger vom Staat einseitig Pflichten auferlegt werden.1166 Diese Pflichten schränken den Grundrechtsträger in seinem Handlungsspielraum ein, denn es wird ihm – ggf. mit Zwang – benommen, die geforderte Handlung zu unterlassen. Dies bedeutet z. B. im Falle der Geldbuße, dass dem Grundrechtsträger benommen ist, es zu unterlassen, einen Geldbetrag an den Staat zu zahlen.1167 Im Falle der Verwarnung ohne Verwarnungsgeld gem. § 56 I 2 OWiG ist es dem Grundrechtsträger aufgrund der Duldungspflicht benommen, sich 1162
Dreier, in: Dreier, Band 1, Art. 2 I, Rn. 44. BVerfGE 53, 185 (203); 59, 360 (382); 99, 145 (156). 1164 BVerfGE 6, 32 (36 f.); 90, 145 (171); 97, 332 (340); 113, 29 (45); Di Fabio, in: Maunz/ Dürig, Band 1, Art. 2, Rn. 15, Stand: 39. Lfg., Juli 2001; Dreier, in: Dreier, Band 1, Art. 2 I, Rn. 26; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 1, Art. 2 Abs. 1, Rn. 13; Kunig, in: von Münch/Kunig, Band 1, Art. 2, Rn. 12; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 5; Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 52; Höfling, in: Friauf/Höfling, Band 1, Art. 2, Rn. 31, Stand: Grundwerk; Lorenz, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Band 1a, Art. 2, Rn. 15, 52, Stand: 133. Lfg., April 2008; Kahl, in: HbdGR, Band 5, § 124, Rn. 53; Cornils, in: HbdStR, Band 7, § 168, Rn. 1; Pieroth/ Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 386; Hufen, § 14, Rn. 4 ff.; Ipsen, Rn. 765 ff.; Epping, Rn. 549 ff.; a.A. Peters, in: FS-Laun, S. 673 f.; Peters, S. 48 f.; BVerfGE 80, 137 (168) – Sondervotum Grimm; Hesse, Rn. 428. 1165 Dreier, in: Dreier, Band 1, Art. 2 I, Rn. 26. 1166 Siehe zur Einteilung der Sanktionen in solche, die Geldzahlungs-, sonstigen Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten begründen, oben Kapitel B. IV. 4. b). 1167 Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). 1163
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
einfach nicht von einem Hoheitsträger sagen zu lassen bzw. anhören zu müssen, dass man einen Normbruch begangen hat und sich selbst als Normbrecher zu verstehen hat.1168 Der Schutzbereich ist durch diese Sanktionen jedenfalls tangiert. Die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG hingegen setzen zu ihrer Wirksamkeit die Zustimmung des Betroffenen und die Erbringung der Leistung voraus. Demnach kann nicht davon gesprochen werden, dass der Betroffene zu einem bestimmten Zeitpunkt verpflichtet ist, etwas zu tun, es sei denn, man konstruiert eine Pflicht für eine logische Sekunde im Zeitpunkt der Erfüllung der Leistung, aber ein solches wäre auch nur eine rechtliche Fiktion und arg gekünstelt. Die Konstruktion einer Pflicht ist aber auch vor dem Hintergrund des Art. 2 I GG gar nicht notwendig. Der Staat setzt durch sein Verhalten (Angebot der Erledigung durch Verwarnung oder Auflage) einen zurechenbaren Impuls dafür, dass sich jemand selbst in seinen Handlungsspielraum beschränkt. Demnach wird auch durch die Verwarnung mit dem Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG der Schutzbereich tangiert. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 I GG ist eröffnet. cc) Eingriff Mit Ausnahme von Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG, Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG und den außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung unterfallen alle angewendeten Sanktionen dem klassischen Eingriffsbegriff.1169 Die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG erfüllen nicht das Merkmal, dass sie mit Befehl angeordnet werden und mit Zwang durchgesetzt werden können, denn sie setzen die Zustimmung des Betroffenen und seine freiwillige Erfüllung voraus.1170 Gleichwohl werden die Nachteilszufügungen der Sanktionen durch den Staat veranlasst, denn der jeweilige Hoheitsträger (Verwaltungsbehörde, Gericht) eröffnet dem Betroffenen die Möglichkeit, diese Sanktionen gegen sich selbst zu vollziehen und somit weitere Sanktionen zu vermeiden. Kausalität im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs kann bejaht werden. Weiterhin wird das alleinige Bestimmungsrecht der Eltern in Hinblick auf das Vermögen des Kindes und das Fehlverhalten durch eine staatliche Entscheidung beeinträchtigt und somit der Grundrechtsgebrauch ganz unmöglich gemacht.
1168
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). Siehe zum klassischen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c). 1170 Siehe oben zur Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG Kapitel B. I. 2. b) kk) und zu den Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG Kapitel B. I. 2. b) mm). 1169
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Demnach sind die vom Staat veranlassten Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG und die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG als Eingriffe im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs zu verstehen. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung sind Eingriffe im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs.1171 Die Sanktionen stellen allesamt Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 2 I GG dar. dd) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung (1) Schranken Die allgemeine Handlungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, worunter das BVerfG die Gesamtheit jener Normen versteht, die formell und materiell verfassungsgemäß sind.1172 Die verfassungsmäßige Ordnung stellt demnach einen einfachen Gesetzesvorbehalt dar.1173 (2) Schranken-Schranken Zu den Schranken-Schranken gilt das zum elterlichen Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG Gesagte entsprechend.1174 Deshalb beschränkt sich die Darstellung im Folgenden im Wesentlichen auf die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG und die Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG. Im Übrigen sollen noch vertiefende Hinweise zum Verhältnismäßigkeitsprinzip im Kontext von Art. 2 I GG erfolgen. (a) Gesetzlichkeitsprinzip Die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG haben keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage und sind somit grundsätzlich nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG zu vereinbaren.1175 Jedoch erscheint es hier angebracht, das Gesetzlichkeitsprinzip in Ansehung der Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG teleolo1171
Siehe zum modernen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c). BVerfGE 6, 32 (38 ff.); 80, 137 (153). 1173 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 408. Nach h.M. haben die Rechte anderer und das Sittengesetz neben der verfassungsmäßigen Ordnung keine eigenständige Bedeutung mehr, so Dreier, in: Dreier, Band 1, Art. 2 I, Rn. 52, 59; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 14 f.; a.A. Ipsen, Rn. 778 ff. 1174 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb). 1175 Siehe hierzu auch oben Kapitel B. I. 2. b) mm). 1172
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
gisch zu reduzieren. Zweck des Gesetzlichkeitsprinzips ist es, den Bürger vor willkürlichen repressiven Einwirkungen des Staates zu schützen.1176 Dieser Zweck greift nicht, wenn der Staat die Sanktion nicht einseitig verhängen kann, sondern der Zustimmung des betroffenen Bürgers bedarf. Dies ist der Fall bei den Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG. Demnach ist Art. 103 II GG nicht auf die Auflagen und Weisungen gem. § 47 I, II OWiG anzuwenden. (b) Analogieverbot Das strafrechtliche Analogieverbot in Hinblick auf Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG wurde bereits im Sanktionsabschnitt geprüft. Eine Verletzung dieses Grundsatzes wurde in Ansehung der Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG verneint.1177 (c) Bestimmtheitsgebot In Betracht kommt, dass die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG diesem Gebot nicht gerecht werden. Da es an einer Rechtsgrundlage für diese fehlt, kann der Rechtsunterworfene grundsätzlich nicht vorhersehen, welche Folgen sein Verhalten haben wird. Jedoch wurde darauf hingewiesen, dass sich die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG an den Rechtsgedanken des § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG orientieren,1178 die einen möglichen Orientierungspunkt für den Rechtsunterworfenen geben. Außerdem kann nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auch die bereits erfolgte Rechtsprechung durch die Fachgerichte als Interpretationsquelle herangezogen werden.1179 Somit kann die Rechtsprechung zu § 153a StPO und §§ 45 III 1, 47 I 1 Nr. 3 JGG zur Konkretisierung der Auflagen und Weisungen herangezogen werden. Im Ergebnis wird deshalb ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot durch Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG nicht gegeben sein. Schließlich stehen die Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG unter Zustimmungsvorbehalt, sodass sich der Bürger auch einer nicht vorhersehbaren individuellen Auflage oder Weisung durch Ablehnung entziehen kann. (d) Verhältnismäßigkeitsprinzip Auch hier ist zu beachten, dass dadurch, dass der Gesetzgeber die schutzbereichsrelevanten Sanktionen weitgehend in das Ermessen des Rechtsanwenders 1176 1177 1178 1179
Wolff, in: HbdGR, Band 5, § 134, Rn. 11 f. Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) mm). BVerfGE 96, 68 (98 f.).
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gestellt hat, sich Probleme der Verhältnismäßigkeit nicht auf Ebene des Gesetzes, sondern vielmehr auf Ebene des Einzelfalls ergeben. Im Kontext der allgemeinen Handlungsfreiheit hat das BVerfG zum Verhältnismäßigkeitsprinzip festgestellt, dass je mehr ein Eingriff elementare Äußerungsformen berührt, desto sorgfältiger die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe mit dem Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden müssen.1180 Diese auf den ersten Blick nicht besonders bemerkenswerte Beschreibung der Angemessenheitsprüfung, weist jedoch auf einen Gesichtspunkt hin, der für junge Menschen an besonderer Relevanz gewinnt, nämlich den Gesichtspunkt der elementaren Äußerungsformen. Für junge Menschen ergeben sich naturgemäß aus ihrer Entwicklung ganz spezifische elementare Äußerungsformen (z. B. das kindliche Spiel, jugendliche Ausprobierverhalten). Wie bereits festgestellt wurde, können bestimmte Tatbestände reflexartig – d. h. vom Gesetzgeber unbeabsichtigt –1181 diese jugendspezifischen elementaren Äußerungsformen erfassen. Der Rechtsanwender muss deshalb genau abwägen, ob die Sanktionierung einer solchen Äußerungsform angebracht ist oder ob die Sanktionierung ein für die Entwicklung des jungen Menschen schädliches Ereignis produziert. Es besteht stets die Gefahr, dass der junge Mensch für seine Entwicklung förderliche Handlungen mit dem negativen Ereignis der Sanktionierung verknüpft und deshalb unterlässt. (e) Ergebnis Ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form, sind die schutzbereichsrelevanten Sanktionen mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an Grundrechtsbeschränkungen zu vereinbaren. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form können nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip und somit nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Grundrechtsbeschränkungen vereinbart werden.1182 (3) Ergebnis Ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form, sind die schutzbereichsrelevanten Sanktionen verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form sind nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
1180 1181 1182
BVerfGE 17, 306 (314). Vgl. oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (b). Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (2).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
ee) Ergebnis Die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG wird durch die schutzbereichsrelevanten Sanktionen ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form nicht verletzt. b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG In Betracht kommt, dass die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG verletzen. aa) Personeller Schutzbereich Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG ist ein Jedermann-Grundrecht, d. h. es schützt jede natürliche Person.1183 Demnach ist der personelle Schutzbereich in Hinblick auf junge Menschen jedenfalls eröffnet. bb) Sachlicher Schutzbereich Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist vom BVerfG aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG entwickelt worden.1184 Es hat seine Wurzeln in Art. 2 I GG, weil es wie die allgemeine Handlungsfreiheit nicht auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt ist, sondern in allen Lebensbereichen relevant ist.1185 Es hat seine Verbindung zu Art. 1 I GG, weil es wie die Menschenwürde den Einzelnen weniger mit seinem Verhalten als vielmehr in seiner Qualität als Subjekt schützt.1186 Die verschiedenen Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die das BVerfG entwickelt hat, gelten demnach auch nicht verschiedenen Lebensbereichen, sondern verschiedenen Entfaltungsweisen des Subjekts, namentlich den Bereichen Selbstbestimmung, Selbstbewahrung und Selbstdarstellung.1187 Selbstbestimmung bedeutet, dass der Einzelne das Recht hat, seine Identität selbst zu bestimmen.1188 Dazu gehört auch das Recht, sich seiner eigenen Identität zu vergewissern und die Freiheit, bei der Identitätsbildung und -behauptung nicht vom Staat beeinträchtigt zu werden.1189 Selbstbewahrung ist das Recht des Einzelnen, sich 1183
Dreier, in: Dreier, Band 1, Art. 2 I, Rn. 85. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 391; umfangreiche Rechtsprechungsnachweise in: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 393, 395, 398. 1185 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 391. 1186 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 391. 1187 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 391. 1188 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 392. 1189 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 392. 1184
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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zurückzuziehen, abzuschirmen, für sich und allein zu bleiben.1190 Das Selbstbewahrungsrecht ist vor allem sozial, aber auch räumlich zu verstehen.1191 Selbstdarstellung bedeutet, dass der Einzelne das Recht hat, sich herabsetzender, entstellender und unerbetener öffentlicher Darstellungen erwehren zu können.1192 In Hinblick auf Minderjährige wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch als „Menschwerdungsrecht“ oder „Persönlichkeitswerdungsrecht“ bezeichnet.1193 Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts unterscheiden sich von denen des Strafrechts darin, dass sie kein sozialethisches Unwerturteil enthalten.1194 Sie bezwecken nicht die Stigmatisierung als Täter und dadurch seine Diskriminierung.1195 Gleichwohl haben die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts aber eine diskriminierende Wirkung:1196 Es wurde festgestellt, dass die Nachteilszufügung der Verwarnung gem. § 56 I OWiG (d. h. Verwarnung ausschließlich eines Verwarnungsgeldes) in der autoritativen Feststellung eines Normbruchs und der autoritativen Zuweisung der Rolle des Normbrechers besteht.1197 Diese Nachteilszufügung macht das Wesen der Verwarnung aus. Sie haftet aber als Nebeneffekt auch allen anderen hier benannten Sanktionen an. Diese diskriminierende Wirkung berührt das Recht auf Selbstbestimmung, weil der Staat durch die Zuweisung der Rolle des Normbrechers dem Einzelnen eine Identität zuweist. Die diskriminierende Wirkung betrifft zugleich auch das Recht auf Selbstdarstellung, denn die Zuweisung einer diskriminierenden Rolle wirkt sich auch auf die Selbstbestimmung des Einzelnen über seine Darstellung in der Öffentlichkeit aus. Daneben sind aber auch diejenigen Sanktionen, die einen spezialpräventiven und generalpräventiven Zweck haben, relevant für den Schutzbereich. Sie zielen darauf ab, dass eine Person ihr allgemeines Legalverhalten ändert. Die Art und Weise, wie man sich im Allgemeinen in Bezug auf Rechtsnormen verhält, hängt untrennbar mit der Persönlichkeit zusammen, denn Verhalten ist Ausdruck der Persönlichkeit. Wenn der Staat mit spezial- und generalpräventiven Maßnahmen auf einen Einzelnen bzw. die Allgemeinheit einzuwirken versucht, dann berührt er die Persönlichkeit und somit das Selbstbestimmungsrecht seiner Bürger. Dies gilt umso mehr, wenn der Staat durch erzieherische Maßnahmen (Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärungen1198 ; Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG1199 ; der Jugendarrest 1190
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 394. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 394. 1192 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 397. 1193 BVerfG NJW 2005, 1857 (1858). 1194 BVerfGE 9, 167 (171); 22, 49 (80); 27, 18 (33); 45, 272 (288 f.); BGHSt 11, 263 (266); Mitsch, in: Senge, § 17, Rn. 5; Gürtler, in: Göhler, Vor § 1, Rn. 9. 1195 Meier, S. 16. 1196 So auch Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 14, Rn. 3. 1197 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) kk). 1198 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) pp). 1199 Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (a). 1191
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
gem. § 98 II 1 OWiG1200) auf einen jungen Menschen einwirkt, denn erzieherische Maßnahmen bezwecken noch viel stärker als sonstige präventiv-verhaltenssteuernde Maßnahmen die Einwirkung auf die Persönlichkeit eines Einzelnen. Der sachliche Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG ist eröffnet. cc) Eingriff Mit Ausnahme der Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG, der Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und den außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärungen unterfallen alle angewendeten Sanktionen dem klassischen Eingriffsbegriff.1201 Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG, Verwarnung mit Verwarnungsgeld gem. § 56 I 1 OWiG und die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärungen sind, soweit sie stattfinden, Eingriffe im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs.1202 Es liegen somit Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG vor. dd) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht unter dem Gesetzesvorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gem. Art. 2 I 2. Hs. GG, der nach dem BVerfG die Gesamtheit der formell und materiell mit dem Grundgesetz in Einklang stehenden Gesetze umfasst.1203 Es handelt sich demnach um einen einfachen Gesetzesvorbehalt.1204 Außerdem ist hier auch kollidierendes Verfassungsrecht im Sinne des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes Eingriffsermächtigung.1205 Zu den Schranken-Schranken gilt das zu Art. 6 II 1 GG1206 und Art. 2 I GG1207 Gesagte entsprechend. Ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne sind die Sanktionen ver1200
Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4). Siehe zum klassischen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c). 1202 Siehe zum modernen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c). 1203 BVerfGE 6, 32 (38); 80, 137 (153). 1204 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 408. 1205 Vgl. dafür, dass bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt auch kollidierendes Verfassungsrecht Schranke sein kann, BVerfGE 66, 116 (136); 73, 118 (166); 111, 147 (157); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1, Rn. 50; Epping, Rn. 89; a.A. Pieroth/Schlink/Kingreen/ Poscher, Rn. 342. Siehe zum strafrechtlichen Rechtsgüterschutz als Eingriffsermächtigung oben Kapitel B. IV. 4. d) aa). 1206 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb). 1207 Siehe oben Kapitel B. IV. 5. a) dd) (2). 1201
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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fassungsgemäßer Ausdruck des Gesetzesvorbehalts gem. Art. 2 I 2. Hs. GG und des verfassungsrechtlichen Gebots des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes. Die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne können nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG vereinbart werden und sind deshalb kein verfassungsgemäßer Ausdruck des Gesetzesvorbehalts gem. Art. 2 I 2. Hs. GG und des verfassungsrechtlichen Gebots des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes.1208 Ausschließlich der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne sind die Sanktionen in Hinblick auf Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt. ee) Ergebnis Mit Ausnahme der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung im strafähnlichen Sinne sind die Sanktionen mit Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG vereinbar. c) Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG Möglicherweise verletzen die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG. aa) Grundrechtsgebrauch Die Grundrechtsmündigkeit richtet sich nach überwiegender Meinung nach der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit gem. §§ 104 ff. BGB.1209 Demnach können Kinder als Geschäftsunfähige (§ 104 Nr. 1 BGB) nur dann ihr Grundrecht gebrauchen, wenn sie durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten werden. Kinder und Jugendliche als beschränkt Geschäftsfähige (§§ 2, 106 BGB) können von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, wenn sie durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten werden oder dieser ihrem Grundrechtsgebrauch zustimmt. Heranwachsende können als unbeschränkt Geschäftsfähige ihr Grundrecht vollumfänglich eigenständig gebrauchen.
1208
Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (2). So Sieckmann, in: Friauf/Höfling, Band 2, Art. 14, Rn. 95, Stand: 44. Erg.-Lfg., November 2014; Wendt, in: Sachs, Art. 14, Rn. 20; Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 1, Art. 14, Rn. 186; a.A. Hufen, § 38, Rn. 18. 1209
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
bb) Personeller Schutzbereich Die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG ist ein Jedermann-Grundrecht, d. h., es schützt jede natürliche Person.1210 Demnach ist der personelle Schutzbereich in Hinblick auf junge Menschen jedenfalls eröffnet. cc) Sachlicher Schutzbereich Unter den Begriff des Eigentums im Sinne des Art. 14 I GG fällt alles, was das einfache Recht zu einem bestimmten Zeitpunkt als Eigentum definiert.1211 Eigentum in diesem Sinne ist jedenfalls das Eigentum nach Bürgerlichem Recht1212 und alle privatrechtlichen vermögenswerten Rechte.1213 Das Vermögen als solches, d. h. die in der Hand einer Person vereinigte Gesamtheit von Geld und geldwerten Gütern unterfällt nicht Art. 14 I GG.1214 Belastungen des Vermögens werden erst dann relevant, wenn sie erdrosselnde Wirkung haben.1215 Sofern ein Gegenstand Eigentum darstellt, wird der Bestand und die Nutzung des Eigentums geschützt.1216 Die Eigentumsfreiheit wird durch die Einziehung von Gegenständen tangiert. Denn diese führt gem. § 26 I OWiG zu dem Verlust einer Eigentumsposition auf Seiten des Einziehungsbetroffenen.1217 Die Eigentumsfreiheit wird weiterhin durch die Anordnung einer Maßnahme und Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG tangiert. Die Unbrauchbarmachung führt zu einem Substanzeingriff in das Eigentum und berührt somit den Bestand und die Nutzung des Eigentums.1218 Soweit die Maßnahme nur in der Anordnung besteht, den Gegenstand nicht mehr in einer bestimmten Art und Weise zu benutzen, so ist nur das Nutzungsrecht berührt.1219 Die Anordnung des Vorbehalts der Einziehung von Gegenständen führt zu einem Veräußerungsverbot gem. § 26 III 2 OWiG und beschneidet somit ebenfalls das Nutzungsrecht des Eigentümers. Außerdem wird durch die Anordnung des Erlöschens von Drittrechten gem. § 26 III OWiG an einem Eigentumsgegenstand, ein privatrechtliches vermögenswertes Recht aufgelöst und somit auch der Bestand und Nutzung eines privat1210
Dreier, in: Dreier, Band 1, Art. 14, Rn. 84. BVerfGE 58, 300 (336). 1212 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 979. 1213 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 981. 1214 BVerfGE 4, 7 (17); 123, 186 (258 f.). 1215 BVerfGE 14, 221 (241); 87, 153 (169). 1216 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 990, 992. 1217 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb) (1). 1218 Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1). 1219 Siehe oben zur Mindermaßnahme gem. § 24 II OWiG gegenüber dem Täter Kapitel B. I. 2. b) dd) (1) und zur Vorbehaltsanordnung gem. § 24 II OWiG gegenüber dem Täter Kapitel B. I. 2. b) dd) (4). 1211
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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rechtlichen vermögenswerten Rechts berührt.1220 Die Verweigerung eines Entschädigungsanspruchs gem. § 28 II OWiG berührt hingegen nicht die Eigentumsfreiheit.1221 In den Fällen des § 28 II OWiG hat nie ein Entschädigungsanspruch im Sinne eines privaten vermögenswerten Rechts bestanden, sodass durch die Verweigerung kein privates vermögenswertes Recht in seinem Bestand beeinträchtigt worden ist. Dies führt jedoch nicht zu Lücken im Grundrechtsschutz, weil in den Fällen des § 28 II OWiG der Betroffene zugleich Eigentum oder ein Recht (§ 26 III OWiG) verloren hat und somit schon deshalb grundrechtsbetroffen ist. Die Eigentumsfreiheit wird hingegen nicht von solchen Sanktionen berührt, die dem Betroffenen eine Geldzahlungspflicht auferlegen,1222 denn diese betreffen nur das Vermögen als solches.1223 Der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG ist in Hinblick auf bestimmte Sanktionen eröffnet. dd) Eingriff In Hinblick auf Art. 14 I GG wird bei Eingriffen zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 I 2 GG) einerseits und Enteignungen (Art. 14 III GG) andererseits unterschieden. Ein Eingriff durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen liegt vor, wenn der Gesetzgeber den Inhalt des Eigentumsbegriffs ändert oder der Nutzung des Eigentums Schranken zieht,1224 d. h. es muss eine gesetzliche Regelung gegeben sein, die generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers festlegt.1225 Ein Eingriff durch Enteignung ist demgegenüber die vollständige oder teilweise Entziehung einer durch Art. 14 I 1 GG geschützten Rechtsposition zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben.1226 Die schutzbereichsrelevanten Sanktionen sind in Form ihrer gesetzlichen Ausgestaltung allesamt als Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu qualifizieren.1227
1220
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) cc) (1). Siehe zur Verweigerung eines Entschädigungsanspruchs gem. § 28 II OWiG oben Kapitel B. I. 2. b) ff). 1222 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. b) aa), 1223 BVerfGE 4, 7 (17); 81, 108 (122). 1224 Wieland, in: Dreier, Band 1, Art. 14, Rn. 89. 1225 BVerfGE 52, 1 (27); 72, 66 (76). 1226 BVerfGE 104, 1 (9). 1227 So auch das BVerfG zur Einziehung von Gegenständen: „Das heutige Recht kennt unabhängig vom Enteignungstatbestand den Verlust von Eigentum als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung – die Einziehung der instrumenta und producta sceleris […]. Diese Tatbestände gehören zu den traditionellen Beschränkungen des Eigentums […]“, BVerfGE 22, 387 (422). 1221
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Sofern die Sanktionen angewendet werden, wäre denkbar, dass es sich bei den Einziehungen um Enteignungen im Sinne des Art. 14 III GG handelt.1228 Dies ist jedoch zu verneinen, denn es fehlt den Einziehungen am Gemeinwohlbezug.1229 Die Enteignung hat den Zweck, das Wohl der Allgemeinheit durch Zuführung des Eigentumsgegenstandes zu einer sozialnützlicheren Verwendung zu fördern.1230 D. h. die Enteignung hat ein positives Ziel, sie soll einen Gegenstand nicht nur aus dem Verkehr drängen, sondern einer bestimmten Aufgabe zuführen.1231 Demgegenüber ist die Einziehung von Gegenständen auf ein negatives Ziel gerichtet, sie soll den Eigentumsgegenstand nur aus dem Verkehr drängen, ohne dass es auf sein weiteres Schicksal ankäme.1232 Dass es sich um Enteignungen im Sinne des Art. 14 III GG handelt, kann auch nicht daraus geschlossen werden, dass das OWiG Entschädigungsregelungen in § 28 OWiG bereithält.1233 Die Rechtsakte, durch die die gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen von Rechtsprechung und Verwaltung konkretisiert und individualisiert werden, sind als enteignungsähnliche Eingriffe zu qualifizieren.1234 1228
So Gilsdorf, JZ 1958, 641 (645 ff.); H. Schmidt, NJW 1957, 1628 f.; sie kommen im Wesentlichen zu diesem Ergebnis, weil sie das Tatbestandsmerkmal Gemeinwohlbezug ohne das Element der Zuführung des Eigentums zu einer sozialnützlichen Verwendung definieren. 1229 Eser, S. 160 ff.; Zeidler NJW 1954, 1148 (1149). 1230 Eser, S. 161; Zeidler NJW 1954, 1148 (1149). 1231 Eser, S. 161; Zeidler NJW 1954, 1148 (1149). 1232 Eser, S. 161 f.; Zeidler NJW 1954, 1148 (1149). 1233 Das OWiG sieht Entschädigungsregelungen vor, die sich nach dem hier Gesagten nicht als Ausfluss des Art. 14 III 2 GG interpretieren lassen, sondern nur als Mittel zur Vermeidung unbilliger Härten. Dabei kann die innere Struktur der Entschädigungsregelung nur mit Hilfe des polizeirechtlichen Verursacherprinzips erklärt werden, siehe zum Verursacherprinzip: Götz/ Geis, § 14, Rn. 1. Dass ein völlig unbeteiligter Dritter für den Verlust eines konkreten Gegenstandes (§ 22 II Nr. 2 OWiG) oder eines Rechts (§ 26 II 2 OWiG) eine Entschädigung gem. § 28 I OWiG erhält, ist so zu erklären, dass er keinen Beitrag zur Zuwiderhandlung geleistet hat und sich auch sonst nicht in diese verstrickt hat. Dass der Täter bei einer rein oder vorwiegend präventiven Einziehung von Gegenständen keine Entschädigung erhält, lässt sich dann nur so erklären, dass der Täter mit seinem Verhalten einen rechtswidrigen Zustand verursacht habe, der eine Entschädigung unbillig erscheinen lasse, siehe Mitsch, in: Senge, § 28, Rn. 5. Dies gilt auch für den Täter bei einer ahndenden Einziehung (§ 22 II Nr. 1 OWiG) und den Dritten bei einer ahndenden Einziehung (§ 23 OWiG) bzw. ahndenden Entziehung eines Rechts (§ 26 II 3 OWiG). Außerdem ist in der letztgenannten Konstellation zu beachten, dass Täter und Dritter durch ihr Verhalten den Schutz des Art. 14 I GG verwirkt haben, sodass auch eine Versagung des Eigentumsschutzes gerechtfertigt ist, siehe Mitsch, in: Senge, § 28, Rn. 5. Schließlich würde in der letztgenannten Konstellation eine Entschädigung dem bezweckten repressiven Übel entgegenlaufen. 1234 Die Einziehungen sind auch keine enteignende bzw. enteignungsgleiche Eingriffe im Sinne des Staatshaftungsrechts. Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff setzen ein öffentlich-rechtliches Handeln mit Gemeinwohlbezug voraus, siehe Detterbeck, Rn. 1147, 1169. Hieran fehlt es, denn der Eigentumsgegenstand soll nicht einer sozialnützlichen Verwendung zugeführt werden. Weiterhin setzen enteignender und enteignungsgleicher Eingriff ein Sonderopfer voraus. Ein Sonderopfer liegt vor, wenn dem Betroffenen eine im Vergleich zu anderen Personen ungleiche Belastung zugemutet wird, welche die allgemeine Opfergrenze
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Die schutzbereichsrelevanten Sanktionen sind Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 14 I GG. ee) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Als Schrankenregelung für Eingriffe in die Eigentumsfreiheit kommt hier allein Art. 14 I 2 GG in Betracht, weil es sich wie bereits festgestellt wurde bei den Sanktionen nicht um Enteignungen im Sinne des Art. 14 III GG handelt, sondern um enteignungsähnliche Rechtsakte aufgrund von Inhalts- und Schrankenbestimmungen. In Hinblick auf die schutzbereichsrelevanten Sanktionen ist insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Der Gesetzgeber und der Rechtsanwender müssen das Interesse der Eigentümer und die Sozialbindung des Eigentums in einen gerechten Ausgleich bringen.1235 Dabei muss er insbesondere die Bedeutung des vermögenswerten Guts oder Rechts für den Eigentümer beachten.1236 Dass junge Menschen insbesondere durch die gesetzliche Ausgestaltung in unverhältnismäßiger Weise belastet werden, ist nicht ersichtlich. Auch hier gilt, dass dadurch, dass der Gesetzgeber die schutzbereichsrelevanten Sanktionen weitgehend in das Ermessen des Rechtsanwenders gestellt hat, sich Probleme der Verhältnismäßigkeit nicht auf Ebene des Gesetzes, sondern vielmehr auf Ebene des Einzelfalls ergeben. Bei jungen Menschen spielt insbesondere der Gesichtspunkt der Bedeutung des Eigentums für den Grundrechtsträger bei der Anwendung der Sanktion eine Rolle. überschreitet, siehe Wieland, in: Dreier, Band 1, Art. 14, Rn. 162. Dabei ist zu differenzieren: Soweit die schutzbereichsrelevanten Sanktionen an ein schuldhaftes bzw. quasi-schuldhaftes Handeln anknüpfen, so kann man nicht von einem Opfer sprechen, wenn die Eigentumsposition nicht schützenswert ist, so auch Eser, S. 164. Die Schutzwürdigkeit der Eigentumsposition – aber nicht ihre Eigenschaft als Eigentum im Sinne des Art. 14 I GG als solche – wird dort geschmälert, wo Eigentum schuldhaft zu Zuwiderhandlungen verwendet (§ 22 II Nr. 1 OWiG) oder überlassen (§ 23 Nr. 1 OWiG) bzw. zu Zuwiderhandlungen verwendetes oder aus Zuwiderhandlungen hervorgebrachtes Eigentum erworben wird (§ 23 Nr. 2 OWiG). Sofern eine schutzbereichsrelevante Sanktion aus rein oder vorrangig präventiven Zwecken Eigentum entzieht (§ 22 II Nr. 2 OWiG), so fehlt es an einem Sonderopfer, weil der Eigentumsgegenstand ebenso wenig schutzwürdig ist: Ist der Gegenstand gefährlich oder besteht die Gefahr, dass er zu neuen Zuwiderhandlungen verwendet wird (§ 22 II Nr. 2 OWiG), so steht er nicht mit der Rechtsordnung im Einklang und verdient keinen Schutz, sodass auch die Entziehung als ausnahmsweises Opfer bezeichnet werden kann, a.A. Eser, S. 164. Dasselbe gilt für Rechte Dritter an Einziehungsgegenständen (§ 26 II 2 OWiG), denn ist schon der Einziehungsgegenstand nicht schutzwürdig wegen Vorliegen der Voraussetzungen einer Tatbestandsalternative des § 22 II Nr. 2 OWiG, so kann auch nicht das Recht an einem solchen Gegenstand schutzwürdig sein. 1235 BVerfGE 101, 239 (259); 112, 93 (109). 1236 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 1010 f.; „Soweit es um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht, genießt dieses einen besonders ausgeprägten Schutz“, BVerfGE 101, 54 (75).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Für junge Menschen im Sinne von Kindern und Jugendlichen ist es aufgrund der zivilrechtlichen Regelungen der Geschäftsfähigkeit schwieriger, Eigentum an Sachen und dingliche Rechte zu erwerben. Außerdem verfügen junge Menschen regelmäßig über kein oder kaum Vermögen, aus dem sie die Gegenleistungen erbringen könnten, um dingliche Erwerbsvorgänge zu veranlassen. Wenn demnach der Rechtsanwender in Eigentumspositionen des jungen Menschen eingreift, die trotz dieser Schwierigkeiten auf Seiten des jungen Menschen entstanden sind, so wirkt sich dies auf den jungen Menschen regelmäßig schwerwiegender als auf einen Erwachsenen aus. Eine besondere Schutzwürdigkeit ist jedoch dann nicht gegeben, wenn der junge Mensch Eigentumspositionen nur in der Hoffnung übertragen bekommen hat, dieses dem Zugriff des Staates zu entziehen. Eingriffe in die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt. ff) Ergebnis Art. 14 I GG wird durch die schutzbereichsrelevanten Sanktionen nicht verletzt. d) Freiheit der Person gem. Art. 2 II 2 GG Denkbar ist, dass die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts das Grundrecht auf Freiheit der Person gem. Art. 2 II 2 GG verletzen. aa) Personeller Schutzbereich Träger des Grundrechts ist jede natürliche Person.1237 Der personelle Schutzbereich ist insbesondere unabhängig von Alter und Geschäftsfähigkeit.1238 Der personelle Schutzbereich ist demnach für junge Menschen eröffnet. bb) Sachlicher Schutzbereich Art. 2 II 2 GG erfasst nur die körperliche Bewegungsfreiheit.1239 Der systematische Zusammenhang mit Art. 104 GG und mit Art. 2 II 1 GG sowie die Entstehungsgeschichte zeigen, dass Art. 2 II 2 GG davor schützen will, in seiner räumlichen Entfaltung gegen seinen Willen auf einen relativ begrenzten Raum beschränkt 1237
Schulze-Fielitz, in: Dreier, Band 1, Art. 2 II, Rn. 100. BVerfGE 10, 302 (309 f.); 58, 208 (224); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Band 1, Art. 2 II, Rn. 100; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Band 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Rn. 21, Stand: 55. Lfg., Mai 2009. 1239 BVerfGE 94, 166 (198); 96, 10 (21); 105, 239 (247). 1238
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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zu sein, wie dieses typischerweise mit allen Formen staatlicher Haft verbunden ist.1240 Relevant für den Schutzbereich sind hier typischerweise der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG1241, die Ordnungshaft1242 und die Erzwingungshaft gem. § 96 f. OWiG sowie sonstige Zwangshaft1243. Ferner ist unmittelbarer Zwang im Sinne einer Zwangsmaßnahme schutzbereichsrelevant, wenn er dazu dient, eine Person unter Ausschluss ihrer eigenen Fortbewegungsmöglichkeiten an einem Ort festzuhalten oder zu entfernen.1244 Der Schutzbereich von Art. 2 II 2 GG ist eröffnet. cc) Eingriff Die Anwendung von Haft und unmittelbarem Zwang stellen Eingriffe im klassischen Sinne dar.1245 dd) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Freiheit der Person steht unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt gem. Art. 2 II 3 GG. Als Schranken-Schranken sind zunächst die Anforderungen des Art. 104 GG zu beachten. Hierzu wurde bereits oben abschließend Stellung genommen.1246 Als wichtigste Schranken-Schranke ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu nennen. Da der Gesetzgeber die schutzbereichsrelevanten Sanktionen in das Ermessen des Rechtsanwenders gestellt hat, ergeben sich Probleme der Verhältnismäßigkeit nicht auf Ebene des Gesetzes, sondern vielmehr auf Ebene des Einzelfalls. Wie bereits ausgeführt wurde, ist im Einzelfall in Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit zu beachten, dass junge Menschen wegen geringerer Zeiterfahrung und Raumerfahrung Einsperrungen schwerwiegender empfinden als Erwachsene.1247 Wenn sie im Einzelfall überhaupt sinnvoll und keineswegs schädlich für die Entwicklung des jungen Menschen sein können, so wird im Regelfall auch nur eine besonders kurze Haft verhältnismäßig sein. Eingriffe in die Freiheit der Person gem. Art. 2 II 2 GG können verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. 1240 1241 1242 1243 1244 1245 1246 1247
Schulze-Fielitz, in: Dreier, Band 1, Art. 2 II, Rn. 98. Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (4). Siehe oben Kapitel B. I. 2. h). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Siehe oben Kapitel B. I. 2. i). Siehe zum klassischen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c). Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (5). Siehe oben Kapitel B. II. 3. c) aa) (1) (d).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
ee) Ergebnis Art. 2 II 2 GG wird durch die schutzbereichsrelevanten Sanktionen nicht verletzt. e) Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 I GG In Betracht kommt eine Verletzung der individuellen Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 I GG durch die Anordnung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG. aa) Grundrechtsausübung Sachverhalte, die junge Menschen betreffen, können auch Art. 9 I GG berühren. Insbesondere ist in Hinblick auf Kinder und Jugendliche darauf hinzuweisen, dass diese bestimmte Organstellungen in Verbänden nicht einnehmen können.1248 Kinder und Jugendliche können aber gleichwohl Gesellschafter in einem Verband sein. Inwieweit Kinder und Jugendliche ihre Rechte selbst geltend machen können, ist abhängig davon, ob sie als grundrechtsmündig eingestuft werden können.1249 Die Grundrechtsmündigkeit richtet sich hier nach der Einsichtsfähigkeit, weil die infrage stehenden Sachverhalte, Auflösungsentscheidungen gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG, lediglich geduldet werden müssen, aber keine rechtsgeschäftlichen Handlungen voraussetzen oder zu rechtsgeschäftlichen Bindungen führen können.1250 Demgegenüber können Heranwachsende auch Gesellschafter und Organe von Verbänden sein.1251 Heranwachsende sind uneingeschränkt grundrechtsmündig. bb) Personeller Schutzbereich Die Vereinigungsfreiheit ist dem Wortlaut nach ein individuelles Bürgerrecht, dessen Träger alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes sind.1252 Somit ist der personelle Schutzbereich für junge deutsche Staatsangehörige eröffnet. cc) Sachlicher Schutzbereich In den sachlichen Schutzbereich des Art. 9 I GG fällt das Recht Vereine und Gesellschaften zu bilden, wobei es sich bei den ausdrücklich genannten Verbands1248 1249 1250 1251 1252
Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (b). Bauer, in: Dreier, Band 1, Art. 9, Rn. 32. Bauer, in: Dreier, Band 1, Art. 9, Rn. 32. Siehe oben Kapitel B. II. 1. a) aa) (1) (b). Bauer, in: Dreier, Band 1, Art. 9, Rn. 30.
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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formen nur um Beispiele handelt.1253 Der dem Grundrecht seinen Namen gebende Begriff der „Vereinigung“ ist weit zu verstehen und umfasst das gesamte Spektrum des Assoziationswesens von der lose gefügten Bürgerinitiative bis zum hoch-aggregierten Spitzenverband.1254 Daneben schützt Art. 9 I GG auch das Recht, zu bestehenden Vereinigungen beizutreten, sich im und mit der Vereinigung zu betätigen und in der Vereinigung zu bleiben.1255 Daneben schützt Art. 9 I GG das Recht einer privatrechtlichen Vereinigung fernbleiben oder aus ihr austreten zu können.1256 Durch die Anordnung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG und die Beendigung der Gesellschaft büßt der Gesellschafter seine Gesellschafterstellung ein. Sofern ein junger Mensch eine Gesellschafterstellung innehat, berührt also die Auflösungsanordnung die Gesellschafterstellung des jungen Menschen, weil dieser Gesellschafterstellung nun zeitlich ein unplanmäßiges und vorhersehbares Ende gesetzt wird. Der Schutzbereich des Art. 9 I GG ist eröffnet. dd) Eingriff Die Anordnung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG ist auf die Herbeiführung des Abwicklungsverfahrens gerichtet und nicht unmittelbar auf seine Existenzvernichtung. Deshalb geht durch die Anordnung nicht unmittelbar die Gesellschafterstellung verloren. Daraus folgt für den Eingriff, dass die Anordnung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG mangels unmittelbaren Befehls an den Grundrechtsträger kein Eingriff im klassischen Sinne ist.1257 Gleichwohl ist aber der Verlust der Gesellschafterstellung der Auflösungsanordnung zuzurechnen, sodass ein Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff gegeben ist.1258 Die Anordnung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG stellt einen Eingriff dar. ee) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Nach h.M. enthält Art. 9 II GG einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt für die Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 I GG, wonach als Schranken die Strafgesetze, die verfassungsmäßige Ordnung und die Gedanken der Völkerverständigung zu nennen
1253 1254 1255 1256 1257 1258
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 783. Rinken, in: Wassermann, Art. 9 Abs. 1, Rn. 46. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 789. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 789. Siehe zum klassischen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c). Siehe zum modernen Eingriffsbegriff oben Kapitel B. IV. 4. c).
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
sind.1259 Daneben bestehen für die Vereinigungsfreiheit verfassungsimmanente Schranken durch kollidierendes Verfassungsrecht.1260 Als kollidierendes Verfassungsrecht kommen allein Grundrechte Dritter oder Rechtsgüter mit Verfassungsrang in Betracht.1261 Auf den qualifizierten Gesetzesvorbehalt gem. Art. 9 II GG lassen sich §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG nicht stützen.1262 Eine verfassungsimmanente Schranke im Sinne der Grundrechte Dritter kann aber Art. 14 I GG begründen, wenn durch gesetzwidriges Verhalten einer Gesellschaft die vermögenswerten Rechte eines breiten Personenkreises in einer volkswirtschaftlich erheblichen Dimension bedroht werden. Zwar kann der Schutzzweck der §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG auch unmittelbar im Sinne des Schutzes der Volkswirtschaft interpretiert werden,1263 jedoch hat die Volkswirtschaft (auch die soziale Marktwirtschaft)1264 nicht den Rang eines Verfassungsguts. Die §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG können auch als Ausdruck des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 II 1 GG und des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20a GG interpretiert werden, wenn z. B. die Auflösung eines Unternehmens angeordnet wird, das schädlich auf die Umwelt einwirkt, im dem es z. B. entgegen dem Bundesbodenschutzgesetz1265 schädliche Bodenveränderungen vornimmt. Zu beachten ist in diesem Kontext ebenfalls das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wobei wiederum auch hier gilt, dass dadurch, dass der Gesetzgeber die Sanktionen aus §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG in das Ermessen des Rechtsanwenders gestellt hat, sich Probleme der Verhältnismäßigkeit nicht auf Ebene des Gesetzes, sondern vielmehr auf Ebene des Einzelfalls ergeben.
1259 Bauer, in: Dreier, Band 1, Art. 9, Rn. 54 ff.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 806 ff. 1260 BVerfGE 30, 227 (243). 1261 Bauer, in: Dreier, Band 1, Art. 9, Rn. 59; Kloepfer, Band 2, § 64, Rn. 32. 1262 Strafgesetze im Sinne des Art. 9 II GG sind die Rechtsfolgen aus §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG nicht, wenn sie an Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts anknüpfen. Strafgesetze im Sinne des Art. 9 II GG stellen nach h.M. nur die Tatbestände des Strafrechts im engeren Sinne dar, siehe Scholz, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 9, Rn. 125, Stand: 35. Lfg., Februar 1999; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 45; Kloepfer, Band 2, § 64, Rn. 27. Die Rechtsfolgen aus §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG, sofern sie an Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts anknüpfen, können auch nicht als Ausdruck der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder des Gedankens der Völkerverständigung angesehen werden, weil keine Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts ersichtlich sind, die die vorstehend genannten Verfassungsgüter schützen. 1263 Siehe zu § 396 AktG: Koch, in: Hüffer/Koch, § 396, Rn. 2. 1264 Gröschner, in: Dreier, Band 2, 2. Aufl., Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 54. 1265 Bundes-Bodenschutzgesetz vom 17. März 1998 (BGBl. I S. 502), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 5 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808) geändert worden ist.
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 I GG sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt. ff) Ergebnis Art. 9 I GG wird durch die schutzbereichsrelevanten Sanktionen nicht verletzt. f) Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG In Betracht kommt, dass die Sanktionen die individuelle Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG verletzen. aa) Grundrechtsausübung Der Grundrechtsgebrauch richtet sich auch für Art. 12 I GG nach den Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit im Bürgerlichen Recht.1266 Demnach gelten die Ausführungen zur Grundrechtsmündigkeit bei Art. 14 I GG hier entsprechend.1267 bb) Personeller Schutzbereich Grundrechtsträger der Berufsfreiheit gem. Art. 12 I 1 GG sind alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes.1268 Somit ist in Hinblick auf junge Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit der personelle Schutzbereich eröffnet. cc) Sachlicher Schutzbereich Die Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG schützt den Beruf als eine auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.1269 Diese Tätigkeit darf weiterhin nicht schlechthin verboten sein.1270 Daneben schützt Art. 12 I GG auch die Freiheit, keinen Beruf zu ergreifen.1271 Art. 12 I GG enthält einen einheitlichen Schutzbereich, der sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung gleichermaßen schützt.1272 Weiterhin schützt Art. 12 I GG die Wahl der Ausbildung und der Ausbildungsstelle1273 sowie den Arbeitsplatz.1274 1266
Scholz, in: Maunz/Dürig, Band 2, Art. 12, Rn. 117, Stand: 47. Lfg, Juni 2006. Siehe oben Kapitel B. IV. 5. c) aa). 1268 Wieland, in: Dreier, Band 1, Art. 12, Rn. 56. 1269 BVerfGE 7, 377 (397); 97, 228 (252 f.); Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 879 ff. 1270 BVerwGE 22, 286 (289); teilweise wird anstelle des Verbotenseins die „Sozialschädlichkeit“ oder „Gemeinschädlichkeit“ genannt, vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 879. 1271 BVerfGE 58, 358 (364). 1272 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 877. 1267
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
Die Sanktionen, die zu einer Inhaftierung des jungen Menschen führen, verhindern die Berufsausübung und können, im ungünstigsten Fall, auch zum Verlust von Ausbildung oder Arbeitsplatz führen. Daneben können z. B. die auferlegten speziellen Handlungspflichten per Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 OWiG oder Auflagen und Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG verhindern, dass eine Person ihren Beruf ausüben oder ihrer Ausbildung nachgehen kann. Schließlich kann die Anordnung der Auflösung eines Verbandes gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG dazu führen, dass ein Heranwachsender seine Organstellung und somit seine Berufswahl und Berufsausübung verliert. Insbesondere wird der Schutzbereich in Hinblick auf die Wahl eines Berufs oder einer Arbeits- oder Ausbildungsstätte durch die Anordnung Arbeitsleistungen zu erbringen, wie es z. B. nach einer Auflage und Weisung bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG oder einer Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG möglich ist, nicht eröffnet. Die Anweisung Arbeitsleistungen zu erbringen enthält keine Zuweisung eines Berufs oder einer Arbeits- oder Ausbildungsstätte.1275 Im Ergebnis können bestimmte Sanktionen, die Duldungspflichten oder spezielle Handlungspflichten beinhalten, den sachlichen Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnen. dd) Eingriff Jedenfalls fehlt es den schutzbereichsrelevanten Sanktionen in Form ihrer gesetzlichen Ausgestaltung an Finalität, denn der Gesetzgeber beabsichtigt nicht durch die Sanktionen in eine der Gewährleistungen des Art. 12 I 1 GG einzugreifen. Außerdem sind die Wirkungen teilweise nur mittelbar, wenn etwa Ausbildungs- oder Arbeitsstelle aufgrund des Fernbleibens wegen Haft verlustig gehen, dann liegt dem die unmittelbare Entscheidung des Ausbildungsträgers bzw. des Arbeitgebers zugrunde. Dass die Auflösungsanordnung gem. §§ 396 I 1 AktG, 62 I GmbHG und 81 I 1 GenG nicht zum unmittelbaren Verlust der Organstellung führt, sondern die Organstellung erst mit der Beendigung verloren geht, wurde oben bereits gesagt.1276 Bei mittelbaren und faktischen Eingriffen in Art. 12 I 1 GG fordert das BVerfG, dass die Auswirkungen von einigem Gewicht sind, in einem engen Zusammenhang mit einer der Gewährleistungen des Art. 12 I 1 GG stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen.1277 Die Sanktionen sind jedenfalls nur dann von Gewicht, wenn durch sie Ausbildungs- oder Arbeitsstätte verloren gehen. Es fehlt den Sanktionen jedoch an einem 1273 1274 1275 1276 1277
BVerfGE 33, 303 (329). Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 891. BVerfGE 74, 102 (125 f.). Siehe oben Kapitel B. I. 2. j) bb). BVerfGE 70, 191 (214); 95, 267 (302).
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
293
engen sachlichen Zusammenhang mit einer Gewährleistung des Art. 12 I 1 GG, denn sie sind auf den Rechtsgüterschutz bzw. die Gefahrenabwehr gerichtet. Deshalb ist auch eine berufsregelnde Tendenz zu verneinen. Anders kann sich dies im Einzelfall darstellen, wenn etwa der Jugendrichter darauf abzielt, dem Jugendlichen oder Heranwachsenden durch die Anordnung bestimmter Arbeitsleistungen gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG eine bestimmte Berufswahl aufzudrängen oder der Jugendrichter etwa darauf abzielt, dass der Jugendliche oder Heranwachsende eine bestimmte Arbeitsstätte durch eine Inhaftierung gem. § 95 f. OWiG verliert. In diesen Fällen liegt im Einzelfall jedenfalls ein Eingriff im klassischen Sinne vor. ee) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Soeben wurde aufgezeigt, dass nur bei der Rechtsanwendung im Einzelfall rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in Art. 12 I 1 GG denkbar sind. Jedoch handelt es sich um solche Eingriffe, die jedenfalls nicht angemessen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips und somit verfassungswidrig sind. Die genannten Eingriffe im Einzelfall könnten nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. ff) Ergebnis Art. 12 I GG wird durch die schutzbereichsrelevanten Sanktionen in Form ihrer gesetzlichen Ausgestaltung nicht verletzt. g) Verbot des Arbeitszwangs gem. Art. 12 II GG und der Zwangsarbeit gem. Art. 12 III GG Denkbar ist, dass die Anordnung Arbeitsleistungen zu erbringen gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG oder durch Auflagen und Weisungen bei Einstellung gem. § 47 I, II OWiG Arbeitszwang gem. Art. 12 II GG oder Zwangsarbeit gem. Art. 12 III GG darstellen. Das Verbot des Arbeitszwangs gem. Art. 12 II GG und der Zwangsarbeit gem. Art. 12 III GG sind Menschenrechte, die Jedermann zustehen und auf die sich grundsätzlich auch junge Menschen gegenüber dem Staat berufen können.1278 Der personelle Schutzbereich ist demnach eröffnet. In sachlicher Hinsicht ist jedoch weder Arbeitszwang im Sinne des Art. 12 II GG noch Zwangsarbeit im Sinne des Art. 12 III GG gegeben. Die Begriffe Arbeitszwang 1278
Mann, in: Sachs, Art. 12, Rn. 179, 189.
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
und Zwangsarbeit sind als eine bewusste Antwort auf die nationalsozialistische Herrschaft zu verstehen.1279 Sie sollen verhindern, dass Menschen zu herabwürdigender und diskriminierender Arbeit gezwungen werden.1280 Die gesetzliche Androhung der Verpflichtung zu Arbeitsleistungen innerhalb eines gesetzlich ausgeformten Sanktionssystems als Folge eines Fehlverhaltens eines jungen Menschen zum Zwecke seiner Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Person innerhalb der menschlichen Gemeinschaft, kann nicht als herabwürdigend und diskriminierend bezeichnet werden.1281 Die gesetzliche Androhung von Arbeitsleistungen gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG ist demnach kein Arbeitszwang und keine Zwangsarbeit. Dasselbe gilt für die rechtliche Möglichkeit, eine Einstellung gem. § 47 I, II OWiG von der Erbringung von Arbeitsleistungen abhängig zu machen. In beiden Fällen ist überdies zu beachten, dass – jedenfalls in der gesetzlichen bzw. rechtlichen Ausgestaltung – der Erbringung der Arbeitsleistungen entweder zugestimmt werden muss (so bei den Auflagen oder Weisungen bei Verfahrenseinstellung gem. § 47 I, II OWiG) oder eine Handlungsalternative bleibt (Zahlung der Geldbuße bei Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I 1 Nr. 1 OWiG), weshalb auch nicht von Zwang gesprochen werden kann. Der sachliche Schutzbereich der Art. 12 II GG und Art. 12 III GG wird durch die genannten Sanktionen in Form ihrer gesetzlichen bzw. rechtlichen Ausgestaltung nicht eröffnet. Denkbar ist aber, dass im Einzelfall die Auferlegung von Arbeitsleistungen nur herabwürdigende und diskriminierende Zwecke verfolgt. In diesen Fällen wird Art. 12 II GG und Art. 12 III GG einschlägig und verletzt sein. h) Grundrecht auf Pflege und Erziehung durch Eltern gem. Art. 6 II 1 GG Ob ein Grundrecht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch die Eltern aus Art. 6 II 1 GG oder aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG folgt, ist umstritten. Das BVerfG und Teile des Schrifttums bejahen dies.1282 Die Untersuchung schließt sich dieser Auffassung an. Es gelten demnach die Ausführungen zum elterlichen Erziehungsrecht gem. Art. 6 II 1 GG hier entsprechend.1283
1279
BVerfGE 74, 102 (116). BVerfGE 74, 102 (120 ff.). 1281 BVerfGE 74, 102 (122). 1282 Vgl. BVerfGE 56, 363 (381); 68, 256 (269); 121, 69 (93); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 48; a.A. Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 1, Art. 6 Abs. 2, Rn. 182; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Band 1, Art. 6, Rn. 152. 1283 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. 1280
IV. Die Vereinbarkeit der Sanktionen mit Verfassungsrecht
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Es ist deshalb insoweit festzustellen, dass nur die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form nicht mit dem Grundrecht aus Art. 6 II 1 GG des Kindes vereinbart werden können.1284 i) Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG Das Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG sowie die sich aus dem Gesetzlichkeitsprinzip ergebenden Prinzipien haben den Rang grundrechtsgleicher Rechte. Es bzw. sie gelten auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht.1285 Die grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 103 II GG stehen Jedermann zu,1286 sodass sich auch junge Menschen unmittelbar auf sie berufen können. Die hier genannten grundrechtsgleichen Verbürgungen wurden teilweise bereits in Form von Schranken-Schranken im Rahmen der Prüfung des elterlichen Erziehungsrechts gem. Art. 6 II 1 GG geprüft.1287 Dabei wurde festgestellt, dass die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in Form strafähnlicher Maßnahmen nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vereinbart werden können.1288 Die Ausführungen gelten hier entsprechend. Demnach gilt also, dass junge Menschen auch unmittelbar auf Art. 103 II GG gestützt, die Verfassungswidrigkeit der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form behaupten können. 6. Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass nur die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form verfassungswidrig sind. Sie können nicht mit dem Grundrecht der Eltern aus Art. 6 II 1 GG1289 und den Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten des jungen Menschen aus Art. 2 I GG1290 (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG1291 (allgemeines Persönlichkeitsrecht), Art. 6 II 1 GG1292 (Erziehungs- und Pflegerecht des Kindes) und Art. 103 II GG1293 (Gesetzlichkeitsprinzip) vereinbart werden. 1284
Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (2). Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (1). 1286 Wolff, in: HbdGR, Band 5, § 134, Rn. 25; Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 3, Art. 103 Abs. 2, Rn. 162. 1287 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb). 1288 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (2). 1289 Siehe oben Kapitel B. IV. 4. 1290 Siehe oben Kapitel B. IV. 5. a). 1291 Siehe oben Kapitel B. IV. 5. b). 1292 Siehe oben Kapitel B. IV. 5. h). 1293 Siehe oben Kapitel B. IV. 5. i). 1285
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B. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege lata
V. Ergebnis Die verfassungsrechtliche Überprüfung der in dieser Untersuchung als Sanktionen benannten Maßnahmen hat ergeben, dass die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form nicht mit dem Grundgesetz vereinbart werden können. Im Übrigen haben sich die Sanktionen in Form ihrer gesetzlichen Ausgestaltung als verfassungsgemäß erwiesen. Insbesondere wird durch die Beherrschung des Ordnungswidrigkeitenrechts durch das Opportunitätsprinzip die Frage der Verhältnismäßigkeit von der gesetzlichen Grundlage der Sanktionen hin zur Rechtsanwendung im Einzelfall verlagert.
C. Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht de lege ferenda In diesem Abschnitt sollen verschiedene Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts in Hinblick auf die Sanktionierung von jungen Menschen diskutiert werden. Angemerkt sei hierbei, dass es hierzu keine ersichtliche Reformdiskussion gibt, an die die Untersuchung anschließen könnte.
I. Keine Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht Eine mögliche Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts könnte darin bestehen, die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht abzuschaffen. Ein solches Reformvorhaben kann nur für die außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form verfassungsrechtlich untermauert werden.1 Im Übrigen haben die Sanktionen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standgehalten, sodass ein solches Vorhaben nur mit Überlegungen der Zweckmäßigkeit zu begründen ist. Bevor nun die tragenden Zweckmäßigkeitsüberlegungen und rechtstechnische Umsetzungsmaßnahmen diskutiert werden können, muss zunächst die Reichweite eines solchen Vorschlags bedacht und dieser möglicherweise eingeschränkt werden. Der eingangs formulierte Vorschlag könnte zunächst dahingehend verstanden werden, jede Sanktion gegen junge Menschen auszuschließen. Einem solchen Vorschlag kann von dieser Seite nicht zugestimmt werden. Im Abschnitt über die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts wurde herausgearbeitet, dass bestimmte Sanktionen präventiv-gefahrenabwehrrechtliche – insbesondere die Einziehung von Gegenständen gem. § 22 II Nr. 2, III OWiG –2 bzw. präventiv-ordnende – dies ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a OWiG –3 Zwecke verfolgen. Es wurde weiterhin festgestellt, dass diese Sanktionen gegen junge Menschen angewendet werden können, wenn diese jungen Menschen
1 2 3
Siehe zur Verfassungswidrigkeit dieser Maßnahmen oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (2). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) bb). Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) gg).
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
zumindest eine mit Geldbuße bedrohte Handlung begangen haben oder die Handlung eines Dritten gegeben ist.4 Die präventiv-gefahrenabwehrrechtlichen Sanktionen dienen dem Schutz der Allgemeinheit und des jungen Menschen selbst. Ein Verzicht z. B. auf eine gefahrenabwehrrechtliche Einziehung gem. § 22 II Nr. 2, III OWiG könnte zu dem nicht hinnehmbaren Ergebnis führen, dass ein junger Mensch einen gefährlichen Gegenstand behalten dürfte. Ein Verzicht z. B. auf die präventiv-ordnende Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 29a II OWiG könnte zu dem ebenso wenig hinnehmbaren Ergebnis führen, dass Gewinne aus Ordnungswidrigkeiten auf junge Menschen übertragen werden könnten, um sie dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Diskutabel ist allenfalls ein Vorschlag, wonach repressive und präventiv-verhaltenssteuernde – insbesondere erzieherische – Sanktionen gegenüber jungen Menschen abzuschaffen wären. Die Abschaffung repressiver und präventiv-verhaltenssteuernder Sanktionierung von jungen Menschen könnte zunächst mit der Ideenlehre der kritischen Erziehungswissenschaft begründet werden. Grundannahme der kritischen Erziehungswissenschaft ist, dass jede Form der Repression – worunter auch präventiv-verhaltenssteuernde Beeinflussung und Erziehung verstanden wird – hinterfragt werden müsse, sofern sie die Entwicklung eines Menschen zu einer kritischen und mündigen Persönlichkeit negativ beeinflusst.5 Übertragen auf den Gegenstand der Untersuchung könnte man sich fragen, ob möglicherweise die formelle oder informelle Sanktionierung von jungen Menschen wegen begangener Ordnungswidrigkeiten durch Vertreter des Staates eine Wirkung entfaltet, die geeignet ist, die Entwicklung des jungen Menschen zu einer kritischen und mündigen Persönlichkeit negativ zu beeinflussen. Dass dies so sein kann, wird man nicht von der Hand weisen können. Dass eine Sanktionierung möglicherweise nicht angebracht ist, könnte man auch damit begründen, dass es sich bei Ordnungswidrigkeiten um gesetzlich typisierte Verhaltensweisen handelt, die nur einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen, sodass Eingriffe aufgrund eines solchen eher geringfügigen Anlasses übermäßig erscheinen. Schließlich wird man sich auch fragen können, ob nicht die informelle Sanktionierung durch nichtstaatliche Akteure einer Verwirklichung des Entwicklungsziels der kritischen Erziehungswissenschaft besser dient oder für dieses wenigstens weniger schädlich ist. Ausgedrückt in der Formensprache der Rechtsdogmatik, die Sanktionierung von jungen Menschen könnte nicht verhältnismäßig, d. h. insbesondere nicht erforderlich und unangemessen sein.
4 Siehe dazu, wenn ein junger Mensch als Täter zumindest einer mit Geldbuße bedrohten Handlung in Betracht kommt, Kapitel B. II. 1. a) und wenn ein Dritter handelt Kapitel B. II. 2. 5 Siehe oben Kapitel B. I. 1. c) ff) (1).
II. Jugendordnungswidrigkeitengesetz
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Die rechtsetzungstechnische Umsetzung eines solchen Vorschlags erfordert verschiedene Maßnahmen: Es müsste erstens der § 12 I OWiG geändert werden. Im neu zu regelnden § 12 I OWiG könnte sinngemäß stehen, dass nicht vorwerfbar handelt, wer bei Begehung einer Handlung noch nicht achtzehn bzw. einundzwanzig ist – ausgeklammert sei an dieser Stelle die Frage, ob nur Jugendliche oder auch Heranwachsende einbezogen oder ob ganz neue Altersgrenzen bestimmt werden sollten. In Folge dessen würden dann bestimmte Vorschriften des Besonderen Teils keinen Sinn mehr ergeben und sollten gestrichen werden, z. B. § 98 OWiG oder etwa § 75 Nr. 7 und Nr. 8 FeV. Um zweitens die außergesetzlichen Sanktionen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form in Zukunft zu unterbinden, wäre ein ausdrückliches gesetzliches Verbot entsprechender Verhaltensweisen durch staatliche Träger denkbar. Möglicherweise kann die Verbindung eines solchen Verbots mit einem unmittelbaren Schmerzensgeldanspruch zur Disziplinierung der Behörden beitragen. Drittens müsste eine Regelung in das OWiG aufgenommen werden, wonach die Betroffenheit von jungen Menschen allein durch Sanktionszwecke berücksichtigt wird. Im Abschnitt über die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts wurde herausgearbeitet, dass bei bestimmten Sanktionen der Adressat von Nachteilszufügung und Sanktionszweck nicht vollidentisch sein muss (so z. B. bei der Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG)6. Einen Ausgleich dafür, dass in diesen Fällen den jungen Menschen doch eine Sanktionswirkung trifft, könnte pragmatisch durch eine Entschädigungsregelung entgegengetreten werden. Von dieser Seite kann einem solchen Vorschlag aber auch nicht zugestimmt werden. Empirische Befunde dahingehend, dass formelle oder informelle staatliche Sanktionen generell einen schädlichen Einfluss auf die Persönlichkeit von jungen Menschen und ihre Entwicklung zeitigen, existieren nicht.7 Erkenntnisse zur Präventionsforschung deuten auch nicht darauf hin, dass formelle oder informelle staatliche Sanktionen deutlich unwirksam und deshalb abzuschaffen wären.8 Außerdem wird das Ordnungswidrigkeitenrecht durch das Opportunitätsprinzip beherrscht, d. h. die Schwere der Sanktion kann dem Einzelfall entsprechend angepasst oder sogar ganz auf eine Sanktion verzichtet werden, um so Schäden für die Entwicklung des jungen Menschen abzuwenden.
II. Jugendordnungswidrigkeitengesetz Zunächst könnte man überlegen, die Behandlung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht wie im Strafrecht in einem speziellen Jugendordnungswidrigkeitengesetz zu regeln, das nach dem Vorbild des Jugendgerichtsge6 7 8
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) aa). Vgl. oben Kapitel B. IV. 3. d) bb) (4) (a). Einen Überblick zu Rückfallquoten bei: Rössner, in: Meier/Rössner/Schöch, § 1, Rn. 38.
300
C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
setzes (JGG) für junge Menschen spezielle Sanktionen und ein spezielles Verfahren bereithält. Eine solche Variante ist nie ersichtlich diskutiert worden, denn der Gesetzgeber hat sich für eine Konzeption des Ordnungswidrigkeitenrechts entschieden, die mit einem Jugendordnungswidrigkeitenrecht nach dem Vorbild des JGG nur schwer vereinbar wäre. Erstens wird eine durchgängige erzieherische Behandlung von jungen Menschen, wie sie das Jugendstrafrecht vorsieht, nicht geboten sein. Zum einen betrifft das Ordnungswidrigkeitenrecht im Vergleich zum Strafrecht idealtypisch Fehlverhalten mit sehr geringem Unrechtsgehalt. Aufgrund des geringen Unrechtsgehalts ist auch bei Vorliegen bestimmter Reifedefizite eine Intervention des Staates unter der Flagge der Erziehung regelmäßig nicht angebracht. Zum anderen betrifft das Ordnungswidrigkeitenrecht grundsätzlich weniger elementare Lebensbereiche (z. B. Umwelt [vgl. BNatSchG, BImSchG9, TierSchG10] oder Wirtschaft [vgl. GewO, HwO11, GWB12]). Sachverhalte in diesen Lebensbereichen werden junge Menschen oftmals nur atypischerweise betreffen, sodass in Ansehung eines solchen Lebensbereichs kaum vom Vorliegen eines relevanten Reifedefizits gesprochen werden kann, sodass dann aber auch eine erzieherische Einwirkung nicht angebracht ist. Das soeben Gesagte mag sich für den Straßenverkehr, in dem das Ordnungswidrigkeitenrecht eine bedeutsame Rolle spielt, anders darstellen. Dass dies in einem Lebensbereich vielleicht anders ist, vermag jedoch nicht zu rechtfertigen, junge Menschen in allen Lebensbereichen durch ein spezielles Jugendordnungswidrigkeitengesetz zu behandeln. Zweitens ist das Ordnungswidrigkeitenrecht auf Verfahrensvereinfachung und schnelle Erledigung ausgelegt. Die Verfahren vor der Bußgeldbehörde und vor dem Gericht sind in Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten vereinfacht (vgl. z. B. §§ 55 [Verzicht auf Anhörung], 72 [Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren durch Beschluss] OWiG). Wesentlicher Ausdruck ist hierfür, dass idealtypisch die Ordnungswidrigkeit durch Bußgeldbescheid der Verfolgungsbehörde erledigt wird. Das Jugendstrafverfahren hingegen ist zwar auch von der Beschleunigungsidee beseelt. Jedoch nicht deshalb, weil die Straftaten junger Menschen geringen Unrechtsgehalt hätten, sondern weil die psychisch-physische Entwicklung eines jungen Menschen 9 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2771) geändert worden ist. 10 Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 141 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist. 11 Handwerksordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. September 1998 (BGBl. I S. 3074; 2006 I S. 2095), die zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2143) geändert worden ist. 12 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2739) geändert worden ist.
III. Anwendung des JGG auf Ordnungswidrigkeiten
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schnell voranschreitet und ein Verfahren, das zu lange auf sich warten lässt, möglicherweise schon auf eine andere Persönlichkeit als jene trifft, die die Zuwiderhandlung begangen hat. Wie gesehen, unterscheiden sich die Grundkonzeptionen des Ordnungswidrigkeitenrechts und des Jugendstrafrechts, sodass ein Jugendordnungswidrigkeitenrecht nach Vorbild des JGG nur unter der Prämisse möglich wäre, von den Grundkonzeptionen des Ordnungswidrigkeitenrechts abzurücken. Ein solches Ansinnen ist jedoch abzulehnen. Dies ist mit den strukturellen Unterschieden zu begründen, die Ordnungswidrigkeit und Straftat voneinander abgrenzen (idealtypisch geringerer Unrechtsgehalt und Rechtsgüterschutz im weniger elementaren Lebensbereich).
III. Anwendung des JGG auf Ordnungswidrigkeiten Überlegenswert ist es, den Anwendungsbereich des JGG auf Ordnungswidrigkeiten zu erweitern, um dadurch die jugendgemäßen Sanktionen des JGG auch auf Ordnungswidrigkeiten von jungen Menschen anwenden zu können. Ein solcher Rechtszustand ließe sich am einfachsten durch eine Änderung des § 1 I JGG erreichen, indem der 2. Hs. mit den Worten „oder mit Geldbuße“ ergänzt wird. § 1 I JGG hätte dann in einer solchen Fassung den folgenden Wortlaut: „Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe oder mit Geldbuße bedroht ist.“ Bei einer solchen Überlegung wären noch deutlich mehr gesetzliche Änderungen und Ergänzungen inhaltlicher und terminologischer Natur im JGG notwendig, um die Behandlung der Ordnungswidrigkeit des jungen Menschen passgenau in dieses einzugliedern. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf zwei wesentliche Aspekte, die den Sanktionskatalog des JGG betreffen: Es kann kaum angemessen sein, aus Anlass einer Ordnungswidrigkeit unmittelbar Jugendarrest gem. § 16 JGG festzusetzen. Deshalb müsste – an dieser Stelle sei unterstellt, es wird an der Regelungssystematik des § 98 I, II OWiG festgehalten – beispielsweise in § 16 JGG in einem neuen Abs. 5 festgelegt werden, dass Jugendarrest nur in den Fällen des § 11 III JGG oder § 15 III JGG angewendet werden darf. Eine Verschärfung des Rechtszustandes dahingehend, dass Jugendarrest auch unmittelbar auf Ordnungswidrigkeiten junger Menschen angewendet werden könnte, ist abzulehnen.13 In keinen Fall kann die Verhängung von Jugendstrafe gem. § 17 JGG aus Anlass einer Ordnungswidrigkeit angemessen sein, sodass diese beispielsweise in einem § 17 III JGG im Falle einer Ordnungswidrigkeit ausdrücklich auszuschließen sein wird. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wird auch die Anwendung des § 12 JGG aus Anlass einer Ordnungswidrigkeit in einem neuen Satz 2 auszuschließen sein.14 13 14
Vgl. unten Kapitel C. IV. 4. Vgl. unten Kapitel C. VI.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Im Ergebnis ist die Anwendung des JGG auf Ordnungswidrigkeiten nicht sachgerecht und deshalb abzulehnen. Erstens ist in Hinblick auf die möglichen Sanktionen im Vergleich zu § 98 OWiG qualitativ nichts gewonnen. Die sich aus den Katalogen des §§ 10 I 3, 15 JGG ergebenden Weisungen und Zuchtmittel sind teilweise bei Ordnungswidrigkeiten nicht denkbar oder unverhältnismäßig. Da es in der Regel bei Ordnungswidrigkeiten an einem Opfer im Sinne einer privaten natürlichen Person fehlt, wird beispielsweise die Erziehungsmaßregel nach § 10 I 3 Nr. 7 JGG (Bemühung um einen Täter-Opfer-Ausgleich) oder das Zuchtmittel gem. § 15 I 1 Nr. 2 JGG (persönliche Entschuldigung beim Verletzten) nicht in Betracht kommen. Die Erziehungsmaßregeln nach § 10 I 3 Nr. 1 (Weisungen bezüglich Aufenthaltsort), Nr. 2 (Wohnen bei einer Familie oder in einem Heim), Nr. 3 (Annahme einer Ausbildungs- oder Arbeitsstätte), Nr. 8 (u. a. den Verkehr mit bestimmten Personen zu unterlassen) JGG werden wohl kaum aus Anlass einer Ordnungswidrigkeit verhältnismäßig sein können. Im Übrigen wird sich der Jugendrichter wie zuvor in vergleichbarer Weise nach § 98 I 1 Nr. 4 OWiG nicht gesetzlich normierte Weisungen – der Katalog des § 10 I 3 JGG ist nicht abschließend;15 anders der Katalog nach § 15 I 1 JGG –16 ausdenken müssen. Zweitens ist wie im vorangegangenen Kapitel festgestellt worden ist, eine durchgängige erzieherische Behandlung von jungen Menschen aus Anlass einer Ordnungswidrigkeit – so wie es aber durch die Anwendung des JGG der Fall wäre – nicht angezeigt.17 Drittens würde hierdurch das Wesen der Ordnungswidrigkeit verändert, soweit es durch die Rechtsfolge definiert wird. Die Rechtsfolge ist ein Ausdruck für den idealtypischen Unrechtsgehalt, der einem Verhalten beizumessen ist. Während die Geldbuße für Erwachsene weiterhin Ausdruck eines bagatellartigen Fehlverhaltens ist, würden die Rechtsfolgen Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel dem Fehlverhalten Ordnungswidrigkeit in Ansehung von jungen Menschen ein schwerwiegenderes Gepräge geben. In der Konsequenz würde der Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeit in Ansehung von Erwachsenen einerseits und jungen Menschen andererseits eine gewisse Ambivalenz anhaften. Diese Ambivalenz im idealtypischen Unrechtsgehalt vermag sich jedoch dadurch abzuschwächen, dass auch nach dem eingangs gemachten Vorschlag der tatbestandliche Anknüpfungspunkt eine Tat bleibt, die nach der gesetzgeberischen Entscheidung nur „mit Geldbuße bedroht“ ist. Viertens ist schließlich das jugendstrafrechtliche Verfahren gem. §§ 33 ff. JGG vor dem Jugendrichter ungeeignet, die tatsächlich hohe Anzahl von Ordnungswidrigkeiten – maßgeblich hervorgerufen durch Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr – und die deshalb durchzuführenden Ordnungswidrigkeitenverfahren zu bewältigen. Um überhaupt Ordnungswidrigkeiten praktikabel verfahrensrechtlich im Jugendstrafverfahren nach JGG behandeln zu können, müssten wohl derart gravierende Veränderungen im verfahrensrechtlichen Teil des JGG vorgenommen werden, dass sich das JGG in Ansehung der Ordnungswidrigkeit dem Verfahrensrecht des OWiG 15 16 17
Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 10, Rn. 26. Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 15, Rn. 2. Siehe oben Kapitel C. II.
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen
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annähern würde. Insbesondere wäre es erforderlich, ein behördliches Vorverfahren einzurichten, um dadurch die Gerichte zu entlasten. Dieser letzte Gesichtspunkt zeigt deutlich, dass durch die Eingliederung der Ordnungswidrigkeit in das JGG in Hinblick auf Verfahrens- und Rechtsetzungsökonomie nichts gewonnen wäre.
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen Die Untersuchung plädiert aufgrund der beiden vorangegangenen Kapitel für ein eigenes Sanktionsrecht für junge Menschen im OWiG, das sich aber in das bestehende Ordnungswidrigkeitenrecht und seine Regelungsmechanismen einbettet. Denkbar wäre, in den ersten Teil des OWiG als achten Abschnitt ein spezielles Sanktionsrecht für junge Menschen einzurichten, dass sich aber nur auf die Begehung von Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 1 I OWiG bezieht; dementsprechend wäre dieser Abschnitt gem. § 12 I 1 OWiG nicht auf Kinder, sondern nur auf Jugendliche und Heranwachsende anwendbar. Die dort zu regelnden Vorschriften könnten folgendermaßen lauten: Achter Abschnitt Maßnahmen gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden § 34a Ermahnung (1) Die Verfolgungsbehörde soll die Ordnungswidrigkeit eines Jugendlichen (§ 1 II 1 JGG) mit Ermahnung ahnden. Neben der Ermahnung darf die Geldbuße gegen den Jugendlichen nicht verhängt werden. Soweit eine Maßnahme nach einem Gesetz die Festsetzung einer Geldbuße voraussetzt, so ist diese Maßnahme auch dann zulässig, wenn eine Ermahnung nach dieser Vorschrift erfolgt ist. (2) Vor der Ermahnung hat die Verfolgungsbehörde den Jugendlichen anzuhören. In der Anhörung sind die Tat, die dem Jugendlichen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften mitzuteilen. Außerdem sind die Beweismittel zu benennen und ihr Inhalt dem Jugendlichen zu eröffnen. Dem Jugendlichen ist Möglichkeit zur Äußerung zu geben. (3) Die Ermahnung hat mündlich zu erfolgen. Sie soll in den Räumlichkeiten der Verfolgungsbehörde stattfinden. (4) Die Verfolgungsbehörde hat dem Jugendlichen über die Ermahnung einen Bescheid auszuhändigen. Der Ermahnungsbescheid steht dem Bußgeldbescheid gleich. § 66 ist entsprechend anzuwenden. (5) Mit Aushändigung des Ermahnungsbescheides, darf die Tat nicht mehr unter dem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. (6) Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung auf Heranwachsende (§ 1 II 2 JGG).
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda § 34b Maßnahmen durch den Jugendrichter
(1) Der Jugendrichter kann dem Jugendlichen (§ 1 II 1 JGG) auferlegen, 1. Arbeitsleistungen zu erbringen, 2. nach Kräften den verursachten Schaden wiedergutzumachen, 3. bei der Verletzung von Verkehrsvorschriften an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen oder 4. sonst eine bestimmte Leistung zu erbringen. Er kann den Jugendlichen auch ermahnen; § 34a ist entsprechend anzuwenden. (2) Der Jugendrichter hat dem Jugendlichen für die Erfüllung einer Maßnahme eine angemessene Frist zu setzen. Die Fristsetzung hat Rechtsbehelfsfristen berücksichtigen. (3) Der Jugendrichter kann Maßnahmen nach Satz 1 nebeneinander anordnen. Die Anordnung weiterer Maßnahmen und die nachträgliche Änderung von verhängten Maßnahmen ist nur nach Maßgabe des § 98 II zulässig. (4) Die Verfolgungsbehörde kann, wenn eine Ermahnung (§ 34a) nicht angebracht ist, beim Jugendrichter beantragen, Maßnahmen nach Abs. 1 anzuordnen. § 34a II ist entsprechend anzuwenden. Der Jugendrichter entscheidet bei Antrag der Verfolgungsbehörde durch Beschluss. Der Beschluss ist durch sofortige Beschwerde anfechtbar. (5) Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung auf Heranwachsende (§ 1 II 2 JGG). § 34c Ziel der Maßnahmen (1) Die Anwendung der Maßnahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts soll erneuten Zuwiderhandlungen eines Jugendlichen und Heranwachsenden (§ 1 JGG) entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, können erzieherische Erwägungen in die Ermessensausübung einbezogen werden. (2) Das Erziehungsrecht der Eltern muss beachtet werden. § 34d Mehrere Ordnungswidrigkeiten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden Hat der Jugendliche oder Heranwachsende mehrere Ordnungswidrigkeiten begangen, so werden diese, wenn sie Gegenstand desselben Verfahrens sind, in einem einheitlichen Rechtsfolgenausspruch geahndet. § 34b I 2 bleibt unberührt. § 34e Mehrere Ordnungswidrigkeiten in verschiedenen Altersund Reifestufen Für mehrere Ordnungswidrigkeiten, die gleichzeitig geahndet werden und für die teils die Regelungen dieses Abschnitts und teils die Regelungen des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts anzuwenden wären, finden einheitlich die Regelungen dieses Abschnitts Anwendung, wenn das Schwergewicht bei den Ordnungswidrigkeiten liegt, die nach diesem Abschnitt zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, dann findet einheitlich das allgemeine Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung.
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen
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§ 34f Verfahren Es gelten die allgemeinen Verfahrensvorschriften dieses Gesetzes, soweit dieser Abschnitt keine besonderen Regelungen trifft. […] § 78 Weitere Verfahrensvereinfachungen […] (4) (aufgehoben) […] § 98 Vollstreckungsanordnungen (1) Wird eine gegen den Jugendlichen festgesetzte Geldbuße auch nach Ablauf der in § 95 I bestimmten Frist nicht gezahlt und kommt die Bewilligung einer Zahlungserleichterung (§ 93) nicht in Betracht, so kann der Jugendrichter auf Antrag der Vollstreckungsbehörde oder, wenn ihm selbst die Vollstreckung obliegt, von Amts wegen Maßnahmen gegenüber dem Jugendlichen gem. § 34b anordnen. Er kann den Jugendlichen auch ermahnen; § 34a ist entsprechend anzuwenden. (2) Hat der Jugendliche nach Ablauf der gem. § 34b II gesetzten Frist die angeordneten Maßnahmen nicht erfüllt, so kann der Jugendrichter weitere Maßnahmen anordnen oder bestehende Maßnahmen nachträglich ändern. Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung auf Heranwachsende (§ 1 II 2 JGG).
1. Ersetzung der Geldbuße durch Ermahnung (§ 34a) Der neu zu regelnde § 34a hat die Aufgabe, die Geldbuße als Hauptsanktion gegenüber Jugendlichen durch die Ermahnung zu ersetzen. Die Ersetzung der Geldbuße ist angezeigt, weil Jugendliche regelmäßig nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um Geldbußen zu zahlen und deshalb häufig Dritte die Geldleistung aufbringen.18 Dieses Problem stellt sich parallel im Jugendstrafrecht für die Geldauflage gem. § 15 I 1 Nr. 4 JGG, weshalb der Gesetzgeber auch gem. § 15 II Nr. 1 JGG ausdrücklich verlangt, dass anzunehmen sein muss, dass der Jugendliche die Geldauflage aus Mitteln zahlen wird, über die er selbstständig verfügen darf. Wegen der vorstehend beschriebenen Problemlage verzichtet der Entwurf von vornherein auf eine dem § 15 I 1 Nr. 4 JGG entsprechende Maßnahme. Die Idee einer Geldsanktion gegen einen Jugendlichen erscheint auch wenig effektiv: Die Geldsanktion soll in einer an Konsum orientierten Gesellschaft den Menschen dazu zwingen, auf Konsum und Bedürfnisbefriedigung zu verzichten.19 18 Der Gesetzgeber hatte dies anders eingeschätzt, siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39. 19 So Meier zur kriminalpolitischen Zielsetzung der Geldstrafe: Meier, S. 64.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Die Enttäuschung über die nicht mögliche Bedürfnisbefriedigung – und somit das bezweckte Übel – wiegt umso schwerer, wenn das verlustig gegangene Vermögen, das die Bedürfnisbefriedigung ermöglichen sollte, durch Arbeit erworben wurde. Nur wenn der Jugendliche schon über ein Einkommen durch Arbeit verfügt, wird ihn die Geldsanktion so schwer wie einen Erwachsenen treffen. Oftmals beziehen Jugendliche aber nur ein mehr oder weniger regelmäßiges Taschengeld. Der Verlust von Taschengeld wird für einen Jugendlichen sicherlich oft auch eine empfindliche Enttäuschung hervorrufen. Jedoch wird die Wirkung nicht so schwer sein, wie wenn der Jugendliche den verloren gegangenen Vermögenswert durch Arbeit erworben hat. Schließlich ist im idealtypischen Verfahren die Geldbuße im Bußgeldbescheid ein ungünstiger kommunikativer Akt.20 Das Sanktionssubjekt bleibt unsichtbar und der Jugendliche hat kaum Möglichkeiten, sich zu dem Vorgang zu äußern. Außerdem ist anzumerken, dass zwar die Begründungen der Bußgeldbescheide den Anlass der Sanktionierung erkennen lassen, aber hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung oftmals floskelhaft bleiben und kaum Möglichkeiten bieten, das Ausmaß der Sanktionierung zu verstehen.21 Dem setzt der Entwurf eine mündliche Ermahnung als Hauptsanktion entgegen. Diese soll nach einer persönlichen Anhörung des Jugendlichen erfolgen, in der dem Jugendlichen die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften mitgeteilt werden. Diese Mitteilung soll dem Jugendlichen sein verwirklichtes Unrecht vor Augen führen und einen Zusammenhang zwischen verwirklichten Unrecht und Sanktionierung einerseits sowie staatlichen Verfahren andererseits deutlich machen. Insbesondere soll durch das mündliche Gespräch das Sanktionssubjekt personalisiert werden und durch das Gespräch sich der Jugendliche als Normbrecher identifizieren. Die personalisierte Ansprache von Jugendlichen ist unter spezialpräventiven und erzieherischen Gesichtspunkten effektiver als das weitgehend anoynmisierte Bußgeldverfahren im idealtypischen Fall.22 Im Übrigen soll diese personalisierte Ansprache vielleicht auch ein schonender erster Kontakt mit den Vertretern der Rechtsordnung sein und somit auch über die konkrete Zuwiderhandlung hinaus Rechtsbewusstsein erzeugen. Zu betonen ist aber hierbei, dass die Sanktionierung durch eine Atmosphäre geprägt sein muss, die im Sinne positiver Spezialprävention Rechtsbewusstsein weckt, auch wenn sie abschreckende und repressive Zwecke verfolgt. Da Zuwiderhandlungen von jungen Menschen nach kriminologischer Erfahrung regelmäßig 20
Siehe oben Kapitel B. I. 2. a). Vgl. zum mangelnden Begründungseifer der staatlichen Beteiligten in Bußgeldverfahren, Ostendorf, ZRP 1994, S. 335 ff. 22 Deshalb ist im Jugendstrafrecht auch das Strafbefehlsverfahren ausgeschlossen, siehe Sommerfeld, in: Ostendorf, Grdl. z. den §§ 79 – 81, Rn. 5; Rössner, in: Meier/Rössner/Trüg/ Wulf, § 79, Rn. 1; Eisenberg, § 79, Rn. 2. 21
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen
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nur episodenhaft sind, scheint eine solche Behandlung auch vollkommen ausreichend, ein Interventionsbedürfnis zu befriedigen.23 Die bisherigen Ausführungen legen zugrunde, dass das persönliche Gespräch wichtige Bedingung für einen erfolgreichen Sanktionierungsvorgang ist. Um das Stattfinden dieses kommunikativen Akts zu gewährleisten, sieht der Entwurf zwingende Verfahrensregelungen vor (§ 34a II, III). Nach § 34a III des Entwurfs hat die Ermahnung mündlich und in den Räumen der Verfolgungsbehörde zu erfolgen. Dass die Ermahnung in den Räumen der Verfolgungsbehörde stattfinden soll, soll die Wirkungen der Ermahnung verstärken. In geeigneten Fällen kann sie aber auch außerhalb ihrer Räumlichkeiten stattfinden, z. B. unmittelbar bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle (hierbei wären ggf. noch z. B. Vordrucke oder technische Möglichkeiten notwendig, die eine unmittelbare Ausstellung von Ermahnungsbescheiden ermöglichen). Es kann aber auch angezeigt sein, die Ermahnung an einem anderen Ort (z. B. am Wohnort des Jugendlichen) erfolgen zu lassen, wenn davon auszugehen ist, dass eine Einbestellung des Jugendlichen eine zu einschüchternde Wirkung zeitigen könnte. Wichtig ist, dass vor der Ermahnung eine Anhörung stattfinden soll (§ 34a II). Zweck der Anhörung ist zu vermeiden, dass der Jugendliche den Eindruck gewinnt, dass über ihn hinweg verhandelt wird und dass deshalb Trotz aus falschem Gerechtigkeitsempfinden heraus entsteht. Weiterhin enthält der Entwurf in § 34a IV eine Regelung die gewährleisten soll, dass der Jugendliche eine Manifestation der Ermahnung zur Erinnerung – einen Ermahnungsbescheid – erhält (§ 34a IV). Ein weiterer Grund für die Ausgestaltung des Ermahnungsverfahrens mit zwingenden Vorschriften ist, dass die Verfolgungsbehörden abgehalten werden sollen, aus prozessökonomischen Gründen das Verfahren zu verschriftlichen und wieder zu entpersonalisieren. Demnach haben die zwingenden Verfahrensvorschriften auch ein Lenkungsziel für den staatlichen Bereich. Die Ermahnung wurde im Entwurf als eine Sollbestimmung geregelt. Die Ermahnung soll im Regelfall die Geldbuße ersetzen. Ausnahmsweise sollen die Verwaltungsbehörden auch weiterhin die Geldbuße anordnen können, wenn beispielsweise eine Zuwiderhandlung nach einer Ermahnung wiederholt wird oder dem Jugendlichen das Erscheinen vor der Behörde unzumutbar ist (z. B. wegen Entfernung). Die Nachteilszufügung bzw. Maßnahme besteht in der Pflicht, vor der Behörde zu erscheinen und einen förmlichen Tadel dulden zu müssen. Die Ermahnung hat die Aufgabe, dem Jugendlichen die Verletzung einer Rechtsnorm vor Augen zu führen und ihn darauf hinzuweisen, wie mit Erwachsenen im Falle eines Normbruchs umgangen wird.
23
Siehe hierzu Kapitel B., Fn. 823.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Die Ermahnung kann dabei neben repressiven und spezialpräventiven Zwecken auch erzieherische Zwecke (§ 34c I) verfolgen. 2. Maßnahmen durch den Jugendrichter (§ 34b) Der neu zu regelnde § 34b hat die Aufgabe, erzieherische Maßnahmen gegenüber Jugendlichen schneller zur Anwendung bringen zu können. Im idealtypischen Verfahren hat die Verfolgungsbehörde gem. § 34b IV des Entwurfs nunmehr unmittelbar die Möglichkeit, Maßnahmen beim Jugendrichter zu beantragen und muss nun nicht mehr abwarten, ob der Jugendliche zahlt oder nicht zahlt (§ 98 I 1 OWiG).24 Die Maßnahmen werden nur dann angezeigt sein, wenn Reifedefizite gegeben sind, die durch erzieherische Einwirkung bewältigt werden können. Sofern der Jugendliche mittellos ist und keine behandlungsbedürftigen Reifedefizite gegeben sind, so wird die Ermahnung (§ 34a) bereits ein ausreichendes Mittel sein. Der Jugendrichter hat für die Erfüllung der angeordneten Maßnahmen nach § 34b II 1 des Entwurfs dem Jugendlichen eine angemessene Frist zur Erfüllung zu setzen. Dabei hat der Jugendrichter gem. § 34b II 2 des Entwurfs ausdrücklich Rechtsbehelfsfristen gegen seine Entscheidung zu beachten. Unzulässig wäre etwa eine Maßnahme, die unmittelbar am nächsten Tag nach der Entscheidung zu erfüllen wäre. Dies hat den Grund, dass anderenfalls effektiver Rechtsschutz gegen eine Maßnahme nicht möglich wäre und die Verweigerung effektiven Rechtsschutzes möglicherweise beim Jugendlichen die Vorstellung hervorruft, ungerecht behandelt zu werden, was wiederum die Zwecke einer Maßnahme zu vereiteln droht. Welche Rechtsbehelfsfrist zu beachten ist, richtet sich nach der Form der Entscheidung, in der der Jugendrichter die Maßnahmen anordnet: Im Regelfall wird das jugendrichterliche Verfahren durch Antrag der Verfolgungsbehörde in Gang gesetzt. In diesem Fall entscheidet der Jugendrichter gem. § 34b IV 3 des Entwurfs durch Beschluss. Dies ist damit zu begründen, dass aufgrund des regelmäßig niedrigen Unrechtsgehalts des Gegenstands des Ordnungswidrigkeitenverfahrens von einem Urteil als Verfahrensabschluss eine zu starke und deshalb unangemessene Symbolwirkung ausgehen wird. Gleichwohl aber soll die Entscheidung durch Beschluss nicht zu einem rein schriftlichen Verfahren führen, sondern gleichwohl eine vorherige Anhörung erfordern, vgl. § 34b II des Entwurfs. Die Rechtsbehelfsfrist beträgt eine Woche und ist gem. § 34b II 2 des Entwurfs bei der Fristsetzung über die Maßnahme zu beachten. Sofern eine Ordnungswidrigkeit im Jugendstrafverfahren verfolgt wird (§ 45 OWiG) und eine Entscheidung des Jugendrichters durch Urteil ergeht, so sind bei der Fristsetzung zur Erfüllung der Maßnahme gem. § 34b II 2 des Entwurfs als 24 Eine ähnliche Befugnis hatte der Gesetzgeber erwogen, aber schließlich verworfen, Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 39.
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen
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Rechtsbehelfsfristen die Frist von einer Woche bei Berufung (§ 314 I StPO) und Revision (§ 341 I StPO) zu beachten. In Anlehnung an den bisherigen § 98 I 2 OWiG hat der Jugendrichter auch gem. § 34b I 2 des Entwurfs weiterhin die Möglichkeit, mehrere Maßnahmen in einem Rechtsfolgenausspruch nebeneinander anzuordnen. Die in § 98 I 2 OWiG bestehende Möglichkeit, den Inhalt von bestehenden Vollstreckungsanordnungen nachträglich zu ändern oder weitere neue Vollstreckungsanordnungen zu treffen, bleibt für die Maßnahmen nach § 34b I des Entwurfs entsprechend im neu zu regelnden § 98 II des Entwurfs erhalten. 3. Verankerung des Erziehungsgedankens (§ 34c I 2) In § 34c des Entwurfs soll nunmehr der Erziehungsgedanke ausdrücklich in das Ordnungswidrigkeitenrecht eingeführt werden. Das Ergebnis dieser Untersuchung war, dass der Erziehungsgedanke im Ordnungswidrigkeitenrecht nur dort gilt, wo er ausdrücklich geregelt ist.25 Die Vorschrift soll dies ändern und den Erziehungsgedanken als mögliche aber nicht zwingende Ermessenserwägung etablieren. Da nicht jede Zuwiderhandlung auf Reifedefizite zurückzuführen ist, kann der Erziehungsgedanke auch ausgeklammert und die allgemeinen Sanktionszwecke angewendet werden. Wenn Verfolgungsbehörde oder Gericht bei der Rechtsfolgenentscheidung auch erzieherische Erwägungen gem. § 34c I 2 des Entwurfs einbeziehen möchten, so ist es erforderlich Reifedefizite zu ermitteln. Es kann hierbei der Rechtsgedanke des § 105 I JGG herangezogen werden, sodass Reifedefizite entweder durch eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit (§ 105 I Nr. 1 JGG) oder der Tat (§ 105 I Nr. 2 JGG) festzustellen sind. Die Maßnahmen zur Persönlichkeits- bzw. Taterforschung dürfen vor dem Hintergrund des idealtypisch geringen Unrechtsgehalts einer Ordnungswidrigkeit zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht überspannt werden. Feststellungen zur Persönlichkeit und Tat des Jugendlichen, werden z. B. im Falle der Ermahnung gem. § 34a I 1 des Entwurfs regelmäßig im ausreichenden Umfang im Verlauf der Anhörung nach § 34a II 1 des Entwurfs einzuholen sein. 4. Änderung und Streichung von Vorschriften Der Entwurf schlägt weiterhin vor, § 78 IV OWiG zu streichen, denn aufgrund des neu zu regelnden § 34b wird diese Vorschrift obsolet. § 98 OWiG der bestehenden Fassung wird durch den Entwurf vollständig geändert und hat im Entwurf nunmehr folgenden Inhalt: 25
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) nn) und Kapitel B. II. 3. c).
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Die Regelung des § 98 I OWiG ist dahingehend zu ändern, dass im Vollstreckungsverfahren nachträglich Maßnahmen nach § 34b getroffen werden können, wenn der Jugendliche nicht zahlt und eine Zahlungsbewilligung nicht in Betracht kommt. Der § 34b des Entwurfs ist bei Anwendung über diesen Verweis nur als Surrogat der Geldbuße bei Zahlungsunfähigkeit anzusehen. Die Maßnahme gem. § 98 I des Entwurfs i.V.m. § 34b des Entwurfs verfolgt in dieser Konstellation keine erzieherischen Zwecke. Dann ist in § 98 II des Entwurfs eine Regelung für den Fall aufzunehmen, dass der Jugendliche den Maßnahmen des Jugendrichters nach § 34b des Entwurfs aus dem Hauptverfahren oder Vollstreckungsverfahren innerhalb einer nach § 34b II 1 des Entwurfs gesetzten Frist nicht nachkommt. In diesem Fall können bestehende Maßnahmen geändert oder neue Maßnahmen angeordnet werden. Dies entspricht auch der alten Rechtslage, soweit im Vollstreckungsverfahren Vollstreckungsanordnungen auch nachträglich geändert werden konnten (§ 98 I 2 OWiG). Der Ungehorsamsarrest wird gestrichen. Die Untersuchung schließt sich der h.M. in der Literatur an, die den Jugendarrest auch in Form des Ungehorsamsarrest in seiner derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung als schädlich ansieht.26 Der Ungehorsamsarrest ist allenfalls durch eine Form eines stationären sozialen Trainingskurses zu ersetzen.27 Es wurde darauf verzichtet einen entsprechenden Regelungsvorschlag zu machen, denn die Diskussion ist diesbezüglich noch nicht abgeschlossen und die Erarbeitung eines entsprechenden Regelungsvorschlags würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Die Ergänzung des Entwurfs um einen entsprechenden Regelungsvorschlag ist aber denkbar. Zu betonen wäre hierbei aber weiterhin, dass der Ungehorsamsarrest seiner Funktion nach keine Sanktion für die begangene Ordnungswidrigkeit sei, sondern an die Nichtbefolgung der richterlichen Maßnahme (§ 34b I) anknüpfen würde. 5. Geldbuße und Ermahnung; Anwendbarkeit der übrigen Sanktionen Nach dem Entwurf schließen sich Ermahnung und Geldbuße gegenseitig aus (§ 34a I 2). Es wurde bereits festgestellt, dass die für das Ordnungswidrigkeitenverfahren idealtypische Verhängung einer Geldbuße im Bußgeldbescheid einen ungünstigen kommunikativen Akt darstellt. Um diesen ungünstigen kommunikativen Akt zu vermeiden, wird deshalb die Festsetzung einer Geldbuße neben einer Ermahnung – wobei letztere nach dem Regelungsentwurf die vorrangige Rechtsfolge 26
Vgl. Albrecht, S. 224 ff.; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 213; Schöch, in: Meier/ Rössner/Schöch, § 10, Rn. 31, 46 f.; Laubenthal/Baier/Nestler, Rn. 692 ff.; diff. Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 421. 27 So z. B. Koepsel, in: FS-Böhm, S. 619, 626 ff.; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 213. Streng ist dafür, den Dauerarrest in diesem Sinne umzugestalten, siehe Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 421.
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen
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aufgrund der Sollbestimmung ist – für unzulässig erklärt. Der Ausschluss der Geldbuße hat demnach primär einen Lenkungszweck für den staatlichen Bereich. Wie bereits festgestellt wurde, bedeutet dies aber nicht, dass die Geldbuße überhaupt nicht festgesetzt werden dürfte. Im Übrigen sind die Sanktionen ausschließlich der Geldbuße neben der Ermahnung anwendbar. § 34a I 3 des Entwurfs stellt dies klar, indem die Geldbuße als gesetzliches Merkmal durch die Ermahnung surrogiert werden kann. So kann neben einer Ermahnung nach einer Verkehrsordnungswidrigkeit auch ein Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG verhängt werden.
6. Anwendbarkeit der Vorschriften auf Heranwachsende Die Maßnahmen sind allesamt auch auf Heranwachsende im Sinne des § 1 II 2 JGG anwendbar. Dies wird durch § 34a VI, § 34b V, § 98 III des Entwurfs klargestellt. Außerdem wird in § 34c I 1 des Entwurfs klargestellt, dass der Erziehungsgedanke auch auf Heranwachsende angewendet werden kann, wenn diese noch Reifedefizite aufweisen. Dem Vorschlag, Heranwachsende auch primär mit Ermahnung zu sanktionieren, mag man vielleicht entgegenhalten, dass das Argument von der Ungeeignetheit einer Geldsanktion für Jugendliche nicht auf Heranwachsende übertragen werden könne.28 Heranwachsende haben oft bereits ihre Berufsausbildung abgeschlossen und verfügen über ein eigenes Einkommen. Diese Überlegung wird durch statistische Untersuchungen gestützt.29 Deshalb sei vielleicht sogar eine Sanktionierung mit Geldbuße und eine unterschiedslose Behandlung von Heranwachsenden mit Erwachsenen angezeigt. Gleichwohl sprechen die besseren Gründe dafür, Jugendliche und Heranwachsende im Sinne des Entwurfs gleich zu behandeln. Wenn Heranwachsende bereits über ein eigenes Einkommen aufgrund beruflicher Tätigkeit verfügen, dann ist dieses in der Regel noch gering. Ferner ist im Altersbereich vom 18. bis 21. Lebensjahr eine Übergangsphase gegeben, in der es auch nicht untypisch ist, wenn Heranwachsende sich am Anfang oder am Ende ihrer Ausbildung befinden und deshalb noch über kein oder nur über ein sehr geringes eigenes Einkommen aufgrund geringfügiger Tätigkeit oder Unterstützung von Verwandten verfügen. Da in der Regel das Einkommen gering sein wird, wären für eine Geldbuße unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die wirtschaftlichen Verhältnisse des Heranwachsenden gem. § 17 III 2 OWiG regelmäßig zu ermitteln. Die Ermittlung der wirtschaftlichen 28
Siehe oben Kapitel C. IV. 1. Nach den Zahlen des statistischen Bundesamtes zu den Einnahmen und Ausgaben in privaten Haushalten 2014 besteht in Haushalten, in denen ein 18 – 25jähriger die Haupteinkommensperson ist, ein durchschnittliches Bruttoeinkommen vom 1.967 Euro monatlich, vgl. Statistisches Jahrbuch 2016, S. 169, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/StatistischesJahr buch/EinkommenKonsumLeben.pdf, zuletzt aufgerufen am 31. 08. 2017. 29
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Verhältnisse ist bei einer Ermahnung nach § 34a des Entwurfs nicht erforderlich und kann somit das Verfahren in vorzugswürdiger Weise vereinfachen und beschleunigen. Es wurde auf eine Eröffnungsklausel nach Vorbild des § 105 I JGG oder eine Verweisung auf § 105 I JGG verzichtet, was zur Konsequenz hat, dass ohne weitere Voraussetzungen Ermahnung gem. § 34a des Entwurfs und die speziellen Maßnahmen gem. § 34b des Entwurfs auch auf Heranwachsende angewendet werden können. Hingegen sind im Jugendstrafrecht die besonderen Rechtsfolgen des JGG nur dann anwendbar, wenn der Heranwachsende jugendtypische Reifedefizite aufweist (§ 105 I Nr. 1 JGG) oder die Tat des Heranwachsenden die typischen Merkmale einer Jugendverfehlung aufweist (§ 105 I Nr. 2 JGG). Diese Abweichung vom JGG setzt die im Ordnungswidrigkeitenrecht gem. § 98 IV OWiG bestehende Rechtslage fort, wonach die besonderen Maßnahmen der § 98 I, II OWiG auch nicht den Voraussetzungen des § 105 I JGG bzw. § 105 I JGG vergleichbaren Voraussetzungen unterliegen. Der Gesetzgeber hat die Abweichung des § 98 IV OWiG von § 105 I JGG mit dem Gedanken der Rechtsvereinfachung begründet.30 Vor dem Hintergrund des geringen Unrechtsgehalts einer Ordnungswidrigkeit und den weniger einschneidenden Rechtsfolgen des Ordnungswidrigkeitenrechts sei eine Persönlichkeits- oder Taterforschung wie es § 105 I JGG vorsieht nicht geboten. Wie bereits aufgezeigt worden ist, lässt sich de lege lata eine Untersuchung von Täterpersönlichkeit oder Tat kaum vermeiden, sodass der soeben beschriebene Zweck weitgehend leerläuft.31 Gleichwohl soll der Zweck der Rechtsvereinfachung auch bei diesem Entwurf mit der Überlegung tragend sein, dass die Sanktionen des Entwurfs im Regelfall dazu dienen sollen, Heranwachsenden eine im Wesentlichen finanziell neutrale Möglichkeit zu eröffnen, sich von der Sanktionslast zu befreien. Vor einem solchen Hintergrund, ist die Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse ausreichend. Weitaus schwierigere Erwägungen im Sinne des § 105 I JGG sowie eine entsprechende Vorschrift erübrigen sich somit. Dies bedeutet aber nicht, dass Persönlichkeits- und Taterforschung im Sinne des § 105 I JGG in Bezug auf Heranwachsende im Entwurf gar keine Bedeutung hätten. Wenn Verfolgungsbehörde oder Gericht bei der Rechtsfolgenentscheidung auch erzieherische Erwägungen gem. § 34c I 2 des Entwurfs einbeziehen möchten, ist eine Persönlichkeits- bzw. Taterforschung unumgänglich. Aber auch in einem solchen Fall bedarf es einer Vorschrift im Sinne des § 105 I JGG nicht.
30 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 122. Siehe hierzu auch ausführlich oben Kapitel B. IV. 3. c) bb) (1). 31 Siehe hierzu oben Kapitel B. IV. 3. c) bb) (2).
IV. Spezielles Sanktionsrecht im OWiG für junge Menschen
313
7. Behandlung von Tatmehrheiten (§§ 34d, 34e) Beim Zusammentreffen von mehreren Gesetzesverletzungen sieht § 34d des Entwurfs vor, dass nur einheitlich ein Rechtsfolgenausspruch ergeht. Dieser Rechtsfolgenausspruch kann auch mehrere Maßnahmen enthalten. Die Regelung des § 34d des Entwurfs orientiert sich an § 31 I 1 JGG. Sie bezweckt, den jungen Menschen durch eine einheitliche Rechtsfolgenentscheidung zügig aus dem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu entlassen. Wenn § 31 I 1 JGG einen einheitlichen Rechtsfolgenausspruch mit erzieherischen Gedanken begründet,32 kann diese Überlegung jedenfalls dann für § 34d des Entwurfs nicht greifen, wenn die Rechtsfolgenentscheidung nicht auf erzieherische Erwägungen gestützt wird. Die tragende Überlegung des § 34d des Entwurfs ist deshalb ganz allgemein, die Belastung des jungen Menschen durch das Verfahren zu reduzieren. Im Falle des Zusammentreffens von mehreren Ordnungswidrigkeiten in verschiedenen Reifestufen sieht § 34e des Entwurfs vor, dass je nach Schwerpunkt der Zuwiderhandlungen einheitlich die Regelungen des neuen achten Abschnitts oder die allgemeinen Regelungen des OWiG Anwendung finden. Die Regelung orientiert sich an § 32 JGG. Der Zweck des § 32 JGG ist es, ein Nebeneinander von Jugend- und Erwachsenenstrafrecht zu vermeiden.33 Probleme würden sich bei einem Nebeneinander insbesondere in Hinblick auf die teilweise Ungleichartigkeit der Rechtsfolgensysteme ergeben. Außerdem wird durch die Festlegung auf ein Rechtsfolgensystem auch die Rechtsanwendung vereinfacht. Die genannten Überlegungen tragen auch den § 34e des Entwurfs. 8. Verfahren § 34f des Entwurfs stellt klar, dass die allgemeinen Verfahrensvorschriften gem. §§ 35 ff. OWiG gelten, soweit die §§ 34a ff. des Entwurfs keine Sonderregelungen enthalten. 9. Rechtsschutz Der Ermahnungsbescheid steht dem Bußgeldbescheid gleich (§ 34a IV des Entwurfs). Demnach kann er insbesondere mit Einspruch gem. §§ 67 ff. OWiG angegriffen werden. Mit welchen Rechtsbehelfen die gerichtliche Entscheidung nach § 34b des Entwurfs angegriffen werden kann, wurde oben bereits besprochen.34
32 33 34
Schatz, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 31, Rn. 3; Eisenberg, § 31, Rn. 3. Schatz, in: Diemer/Schatz/Sonnen, § 32, Rn. 1. Siehe oben Kapitel C. IV. 2.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht Im Folgenden sollen verschiedene neuartige Sanktionsformen entwickelt und diskutiert werden. 1. Geldbuße auf Bewährung Denkbar wäre z. B. auch eine Geldbuße gegen einen jungen Menschen auf Bewährung zu verhängen. Vorbild könnte hierfür die Regelung des §§ 59 ff. StGB sein. Ein solches Modell ist abzulehnen. Zum einen ist die Geldsanktion kein effektives Mittel gegen junge Menschen.35 Zum anderen ist es nicht angemessen, einen jungen Menschen in Anbetracht des idealtypisch geringen Unrechtsgehalts seiner Zuwiderhandlung für einen Zeitraum mit der Gefahr der Sanktionsverwirklichung zu belegen. Das ständig über ihm schwebende Damoklesschwert der Sanktion zeitigt zu starke repressive Wirkungen und droht eine zu große Einschüchterungswirkung auf die junge Persönlichkeit zu entfalten. Es ist besser, die Sache für den jungen Menschen mit der Festsetzung einer Sanktion zu beenden. In Anbetracht der Episodenhaftigkeit von Zuwiderhandlungen junger Menschen sollte eine einmalige Ansprache auch völlig ausreichend sein. Im Übrigen würde ein solches Modell auch einen Bruch mit der Konzeption des Ordnungswidrigkeitenrechts bedeuten, denn dem Ordnungswidrigkeitenrecht ist Probation fremd.36 2. Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Zeit In Betracht kommt die Regelung einer Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Zeit, wonach der Adressat der Maßnahme einen Gegenstand nicht dauerhaft, sondern nur zeitweise den Staat oder einen Dritten zur Verwahrung abgeben müsste. Die Maßnahme könnte eine besondere spezialpräventive Wirkung entfalten, wenn sie auf einen Gegenstand abzielt, der eine besondere emotionale Bedeutung für den jungen Menschen hat und ein innerer Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Einziehungsgegenstand besteht. Ein solcher Effekt ist insbesondere bei Verkehrsordnungswidrigkeiten denkbar, wenn der junge Mensch für einen bestimmten Zeitraum ein in seinem Eigentum stehendes oder dauerhaft in seinem Besitz befindliches Fahrzeug an den Staat oder einen Dritten zur Verwahrung übergeben müsste. Im vorstehend genannten Beispielsfall würde sich auch eine interessante Alternative zu § 25 I 1 StVG auftun, denn der junge Mensch müsste – insbesondere wenn er im ländlichen Raum mit schlechter Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr lebt – nicht auf eine eigen35 36
Siehe oben Kapitel C. IV. 1. Vgl. Mitsch, Ordnungswidrigkeitenrecht, § 14, Rn. 4.
V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
315
ständige motorisierte Fortbewegung verzichten – er könnte sich z. B. das Fahrzeug seiner Eltern leihen oder ein Fahrzeug für einen Zeitraum anmieten – und gleichwohl bestünde wie beim Fahrverbot gem. § 25 I 1 StVG ein besonderer innerer Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Sanktion. Was auf den ersten Blick nach einer bahnbrechenden Idee klingt, ist aber nach dem OWiG in der bestehenden Fassung möglich. § 24 II 1 OWiG ermöglicht, dass anstelle einer Einziehung von Gegenständen weniger einschneidende Maßnahmen angeordnet werden können. Der Katalog des § 24 II 2 OWiG ist nicht abschließend37 und abstrakt betrachtet ist eine zeitweise Einziehung von Gegenständen im Regelfall stets weniger einschneidend als eine dauerhafte Einziehung von Gegenständen. Eine Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Zeit wäre als eine Maßnahme im Sinne des § 24 II 1 OWiG möglich. Dies bedeutet aber auch nicht, dass de lege lata bereits uneingeschränkt Einziehungen auf bestimmte Zeit möglich wären. Eine Maßnahme gem. § 24 II 1 OWiG ist nur dann zulässig, wenn eine Einziehung von Gegenständen zulässig wäre. Eine Einziehung von Gegenständen setzt insbesondere voraus, dass der Gesetzgeber in einem Gesetz die Einziehung von Gegenständen für eine bestimmte Ordnungswidrigkeit ausdrücklich zulässt, § 22 I OWiG. Um also eine Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Zeit als neue Sanktionsform über § 24 II 1 OWiG zu etablieren, müsste der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Delikte neu regeln. Bei der Lösung über § 24 II 1 OWiG ergeben sich verschiedene Probleme: Wenn der Gesetzgeber die Einziehung von Gegenständen auf Zeit als jugendgemäße Sanktion über den § 24 II 1 OWiG etablieren möchte, dann muss der Gesetzgeber sich vorher die Frage stellen, welche Ordnungswidrigkeitentatbestände typischerweise von jungen Menschen verwirklicht werden. Zwar finden sich auch einige Ordnungswidrigkeitentatbestände, die gerade an junge Menschen adressiert sind (z. B. § 99 I Nr. 1 LSchulG Rh.-Pf.), doch beziehen sich diese selten auf bestimmte Gegenstände. Es stellt sich die Anschlussfrage, ob man sich dann von einem inneren Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Einziehungsgegenstand lösen sollte. Diese Frage ist wohl zu verneinen. Zum einen ist nur bei einem inneren Zusammenhang zwischen Ordnungswidrigkeit und Einziehungsgegenstand ein besonderer spezialpräventiver Effekt zu erwarten. Zum anderen müsste anderenfalls der Bereich des jungen Menschen nach geeigneten Einziehungsgegenständen ausgeforscht werden, was wohl ein recht aufwändiges Unterfangen darstellen wird und regelmäßig auf die Mitwirkung des jungen Menschen angewiesen ist; ganz abgesehen davon, dass eine solche Ausforschung auch in Hinblick auf die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG geschützte Privatsphäre problematisch ist. 37
Siehe oben Kapitel B. I. 2. b) dd) (1).
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Stattdessen eine Generalklausel in das OWiG neu einzufügen, wonach Gegenstände auf Zeit eingezogen werden können, wenn Jugendliche und Heranwachsende Ordnungswidrigkeiten begehen, löst die skizzierten Probleme in Hinblick auf die andere Variante ebenso wenig und erscheint ebenfalls bedenklich. Das eingangs gemachte Beispiel zu Verkehrsordnungswidrigkeiten kann vielleicht ein Versuchsfeld für eine neue Sanktion Einziehung von Gegenständen auf bestimmte Zeit sein. Der Gesetzgeber müsste hierfür in das StVG eine dem § 22 I OWiG genügende Anwendbarkeitsklausel aufnehmen. 3. Verbot der Nutzung sozialer Netzwerke Überlegenswert wäre, ein zeitweises Verbot der Nutzung sozialer Netzwerke als neues Reaktionsmittel einzuführen. Junge Menschen verbringen erhebliche Zeit in sozialen Netzwerken, sodass anzunehmen ist, dass eine entsprechende Beschränkung ein empfindliches Übel für sie darstellen würde.38 Denkbar wäre, eine solche Regelung im obigen Entwurf des § 34b als eine neue Nr. 4 zu regeln und die Regelung der Nr. 4 in eine neue Nr. 5 zu verschieben. Problematisch wäre hierbei zunächst, dass der Gesetzgeber weitere Regelungen schaffen müsste, um die Durchführbarkeit einer solchen Sanktion abzusichern. Erstens müsste eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, damit der Richter die Mitgliedschaft eines jungen Menschen in einem sozialen Netzwerk bei privaten Anbietern abfragen kann. Zweitens müsste der Richter gesetzlich ermächtigt werden, gegenüber den privaten Anbietern das Sperren von Benutzerkonten anordnen zu können. Es ergeben sich Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit einer solchen Sanktion: Es kann zwar ein Benutzerkonto gesperrt werden. Es besteht aber die Gefahr, dass der junge Mensch die Sanktion umgeht, indem er einfach ein neues Benutzerkonto bei einem anderen privaten Anbieter anlegt. Dieser Gefahr könnte dadurch vorgebeugt werden, indem vielleicht ein Register oder eine Sperrliste angelegt wird, in der junge Menschen, denen die Nutzung sozialer Netzwerke verboten ist, vermerkt werden können. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist es nicht möglich, den privaten Anbietern dauerhafte und uneingeschränkte Einsicht in diese Register oder Sperrlisten zu gewähren (z. B. durch das Aufrufen einer Internetseite, die vom Staat betrieben wird und in die nur die privaten Anbieter nach Akkreditierung Zugang haben); jedoch wäre es denkbar, die privaten Anbieter gesetzlich dazu zu verpflichten, bei der Registrierung eines neuen Benutzerkontos durch einen jungen 38
Dies legt eine Studie nahe, die sich mit Nutzung von Facebook durch junge Menschen beschäftigt hat, DIVSI-U25-Studie, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der digitalen Welt, S. 69 ff., https://www.divsi.de/wp-content/uploads/2014/02/DIVSI-U25-Studie.pdf, zuletzt aufgerufen am 31. 08. 2017. So auch Hasebrink/Rohde, in: Schmidt/Paus-Hasebrink/ Hasebrink, S. 84 ff., 104 ff.
V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
317
Menschen eine Anfrage an eine Behörde zu stellen, die dann Auskunft darüber geben würde, ob der junge Mensch derzeit in einem Register oder einer Sperrliste eingetragen ist oder nicht. Nicht verhindert werden kann aber, dass der junge Mensch ein Benutzerkonto unter einem anderen Namen anlegt. Dem könnte man nur entgegensteuern, wenn man die privaten Anbieter in irgendeiner Art und Weise gesetzlich verpflichtet, bei der Registrierung die genaue Identität des sich Neuregistrierenden abzufragen. Schließlich sind bei dieser Sanktion auch gewisse verfassungsrechtliche Bedenken zu berücksichtigen: Durch die Sperrung des Zugangs zu einem sozialen Netzwerk greift der Staat jedenfalls in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG ist, ein, wenn er einzelne Daten des jungen Menschen erhebt.39 Ein Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ist nicht tangiert, denn die Abfrage der Informationen durch den Jugendrichter wäre wohl keine heimliche Ausspähung des jungen Menschen.40 Weiterhin kommt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG von jungen Menschen in Betracht, denn soziale Netzwerke dienen im erheblichen Maße der Persönlichkeitsentwicklung im Sinne von Selbstdarstellung, wenn durch das Darstellen von bestimmten Inhalten im Benutzerprofil (z. B. Bildern) ein bestimmtes Selbstbild präsentiert werden soll und der Staat die Möglichkeit hierzu zeitweise unterbindet.41 Durch das Unterbinden der Teilnahme an sozialen Netzwerken kommt auch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I 1 GG in Betracht, denn die präsentierten Inhalte können auch Meinungen transportieren. Schließlich wird durch eine solche Verbotsanordnung auch die Kommunikation zwischen Personen in einem sozialen Netzwerk verhindert und somit die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG tangiert.42 Geht man davon aus, dass eine solche Sanktion verfassungsgemäß geregelt werden kann, so wird der Jugendrichter bei der Sanktionsanwendung im Einzelfall regelmäßig besonderes Augenmerk auf die Angemessenheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeit legen müssen. 4. Öffentliche Bekanntmachung einer Zuwiderhandlung Das Strafrecht kennt in § 200 StGB die öffentliche Bekanntmachung einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Beleidigung. Vorstellbar wäre, die Begehung 39 40 41 42
BVerfGE 65, 1 (41 ff.); 113, 29 (45 f.); 118, 168 (183 ff.). BVerfGE 120, 274 (302 ff.). Siehe zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht oben Kapitel B. IV. 5. b). Siehe zur allgemeinen Handlungsfreiheit oben Kapitel B. IV. 5. a).
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
von Ordnungswidrigkeiten durch junge Menschen auf einer öffentlichen Plattform bekanntzumachen. Als öffentliche Plattform käme insbesondere eine staatliche Internetseite in Betracht. Ein solcher Vorschlag ist jedoch abzulehnen. Erstens dient die Bekanntgabe einer Verurteilung im strafrechtlichen Kontext dazu, eine Beleidigung, die durch bestimmte Kommunikationswege einem breiten Personenkreis zugänglich gemacht wurde und in besonderen Maßen dem Ansehen und der Achtung einer Person geschadet hat, entgegenzuwirken und dem Opfer der Beleidigung Genugtuung zu verschaffen.43 Diese Zwecke können aber nicht allgemein auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten übertragen werden. Zweitens kann eine solche Sanktion in besonderem Maße Ansehen und Achtung des Täters schaden, was in keinem Verhältnis zum Unrechtsgehalt einer Ordnungswidrigkeit steht. Drittens ist zu erwarten, dass ein öffentliches Anprangern von jungen Menschen eine zu starke negative Wirkung auf ihre Entwicklung zeitigt, d. h. entweder junge Menschen zu stark einschüchtert oder diese gerade aus jugendlichem Trotz zu neuen Zuwiderhandlungen anstachelt und somit den gewünschten spezialpräventiven Zwecken entgegenwirkt. Diese Wirkungen hat der Gesetzgeber auch erkannt und deshalb eine entsprechende Sanktion für das Strafrecht verboten, vgl. § 6 I 2 JGG. Viertens ist es auch möglich, dass eine solche Sanktion völlig wirkungslos ist, weil sie in und von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird. Ordnungswidrigkeiten werden in einer derart hohen Anzahl geahndet, dass auf einer entsprechenden Bekanntmachungsplattform täglich dutzende, wenn nicht hunderte neue Eintragungen veröffentlicht würden. Der einzelne Angeprangerte würde in der Masse völlig untergehen. Fünftens könnte eine solche Sanktion in zeitlicher Dimension unerträglich werden, wenn eine Anprangerung dauerhaft erhalten bliebe. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG folgt ein Recht darauf, nach Verbüßung der Strafe resozialisiert zu werden.44 Dieses Recht würde bei einer solchen Ehrensanktion dergestalt eingreifen, dass wenn eine Person sich gut geführt hat, nach einem gewissen Zeitraum die Begehung der Ordnungswidrigkeit vom Staat von der Bekanntmachungsplattform gelöscht wird. Problematisch bleibt aber, dass ggf. trotz Löschung der Eintragung gleichwohl noch Suchmaschinen die Eintragung anzeigen oder Private die Eintragungen archivieren und jedermann oder bestimmten Personen (z. B. potentielle Arbeitgeber oder Vermieter) entgeltlich oder frei zugänglich machen könnten.
5. Entziehung und Ausschluss von öffentlichen Ämtern Eine neuartige Sanktion könnte vielleicht darin bestehen, dem jungen Menschen wegen einer begangenen Ordnungswidrigkeit ein öffentliches Amt zu entziehen oder von der Wahl zu einem öffentlichen Amt zeitweise auszuschließen. Denkbar wäre es 43 44
Regge/Pegel, in: Joecks/Miebach, Band 4, § 200, Rn. 1. Streng, Sanktionen, Rn. 31.
V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
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z. B. dem jungen Täter einer Ordnungswidrigkeit das Amt eines Klassensprechers45 oder die Mitgliedschaft in einer kommunalen Jugendvertretung46 zu entziehen. Solche Sanktionen sind aber abzulehnen. Erstens ist es für Straftaten ausgeschlossen, dass jungen Menschen öffentliche Ämter entzogen bzw. junge Menschen zeitweise von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden, vgl. § 6 II JGG. Die Ratio dahinter ist, dass die freiwillige Übernahme von öffentlichen Ämtern der Einübung verantwortungsvollen gemeinschaftsbezogenen Handeln diene und deshalb förderlich für die soziale Entwicklung eines jungen Menschen sei.47 Die Entziehung oder der Ausschluss von öffentlichen Ämtern vereitelt diesen förderlichen Effekt und die Sanktion sowie ggf. eine andere Begleitsanktion werden wohl kaum in der Lage sein, einen vergleichbaren förderlichen Effekt herzustellen. Diese Überlegung gilt entsprechend auch vor dem Hintergrund einer neu zu regelnden Sanktion im Ordnungswidrigkeitenrecht. Zweitens ist fraglich, ob eine solche Sanktion für eine Ordnungswidrigkeit mit ihrem niedrigeren Unrechtsgehalt überhaupt angebracht ist. Ausschluss und Entziehung von öffentlichen Ämtern gem. § 45 StGB haben den Zweck, das öffentliche Leben reinzuhalten, d. h. das Vertrauen der Allgemeinheit in seine Hoheitsträger und die Integrität der öffentlichen Ämter, die durch eine Straftat mit Verbrechensqualität erschüttert bzw. beschädigt wurden, wiederherzustellen, indem der Hoheitsträger, der eine Straftat mit Verbrechensqualität begangen hat, aus seinem Amt entfernt wird.48 Eine Ordnungswidrigkeit hat einen geringeren Unrechtsgehalt als eine Straftat mit Verbrechensqualität und erschüttert nicht wie eine Straftat das Vertrauen der Allgemeinheit in seine Hoheitsträger und die Integrität in öffentliche Ämter. Demnach ist es auch nicht angebracht, eine entsprechende Sanktion für das Ordnungswidrigkeitenrecht zu regeln. Drittens trifft eine solche Sanktion den jungen Menschen wohl regelmäßig in Lebensbereichen, die mit der Ordnungswidrigkeit nicht in Zusammenhang stehen und somit die Zuwiderhandlung publik machen. Eine hierdurch entstehende Prangerwirkung wird regelmäßig in unangemessener Weise die Achtung und das Ansehen des jungen Menschen beschädigen und somit Gefahr laufen, sich negativ auf die Entwicklung des jungen Menschen auszuwirken und somit spezialpräventive Zwecke zu vereiteln.49
45 Im Schulgesetz des Landers Rheinland-Pfalz ist z. B. das Amt des Klassensprechers in § 32 II SchulG Rh.-Pf. geregelt. 46 In der Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz ist z. B. in § 56b GemO Rh.-Pf. vorgesehen, dass in Gemeinden per Satzung Jugendvertretungen eingerichtet werden können. 47 Altenhain/Laue, in: Joecks/Miebach, Band 6, § 6 JGG, Rn. 1. 48 Radtke, in: Joecks/Miebach, Band 2, § 45, Rn. 10. 49 Siehe zum Vorschlag der Sanktionierung durch öffentliche Bekanntmachung einer Zuwiderhandlung oben Kapitel C. V. 4.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
6. Sanktionen mit spielerischen Elementen Es ist eine fundamentale Erkenntnis der Entwicklungspsychologie, dass das Spielen ein wesentliches Element zur Entwicklung von Verhalten bei jungen Menschen ist.50 Diese Erkenntnis ist auch der Kriminologie nicht verborgen geblieben, die gelegentlich feststellt, dass Fehlverhalten von jungen Menschen oftmals spielerische Züge trägt.51 Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick hin zur Motivationsforschung, die unter dem Stichwort „Gamification“ aufgezeigt hat, dass auch noch im Erwachsenenalter die Verwendung von spielerischen Elementen in spielfremden Bereichen zu einer Verbesserung von Lern- und Arbeitsprozessen beitragen kann.52 Nimmt man diese Überlegungen zusammen, so stellt sich die Frage, ob nicht Sanktionen mit spielerischen Elementen angereichert werden könnten, um die Akzeptanz des Normerlernens durch Sanktion und die Effektivität dieses Normlernprozesses zu steigern. Man könnte dem entgegenhalten, dass spielerische Elemente nicht mit der Ernsthaftigkeit staatlichen Sanktionierens vereinbart werden könnten. Außerdem könnte im Empfängerhorizont des jungen Normbrechers der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Sanktion nicht deutlich werden, wenn der junge Mensch etwa spieltypisch eine Belohnung für die Erfüllung der Sanktion erlangt. Es bestünde sogar die Gefahr, dass motivierende Elemente einer spielerischen Sanktion nicht von neuen Fehlverhalten abschrecken, sondern umgekehrt Anreize zur erneuten Begehung von Fehlverhalten schaffen. Ruft man sich auf der anderen Seite ein weiteres Mal die eingangs gemachten Überlegungen zur Bedeutung des Spielens in der kindlichen und jugendlichen Entwicklung ins Gedächtnis, so ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass spielerische Elemente die Wirksamkeit von Sanktionen gegenüber jungen Menschen deutlich erhöhen könnten. In jedem Fall handelt es sich hierbei um einen Ansatz, dessen empirische Durchdringung sehr lohnenswert erscheint. Jene Ansätze, die unter dem Begriff Gamification zusammengefasst werden, nennen oft folgende spielerische Elemente, mit denen spielfremde Prozesse angereichert werden:53 Einer Person (im Folgenden: Aufgabenerfüller) wird eine größere Aufgabe (im Folgenden: Gesamtaufgabe) gestellt, die sich in verschiedene kleinere Aufgaben (im Folgenden: Teilaufgaben) unterteilt. Die Teilaufgaben können sich in Größe und Komplexität erheblich voneinander unterscheiden. Dabei kann die Erledigung bestimmter Teilaufgaben auch nur dann möglich sein, wenn zuvor eine andere Teilaufgabe erfüllt worden ist. Der ggf. bestehende Zusammenhang zwischen den Teilaufgaben kann von vornherein erkennbar sein oder erst im Verlauf der Aufgabenerfüllung erkennbar werden. Oft können Aufgaben nicht durch den Auf50 51 52 53
Vgl. Mogel, S. 135 ff.; Oerter, S. 255 ff.; Oerter/Montada, S. 239 ff., 245 f. Kaiser, § 51, Rn. 9; Göppinger, § 24, Rn. 47; Schneider, Kriminologie, S. 612. Vgl. Rapp, in: Schwarzer/Spitzer, S. 107 ff.; Oerter, S. 310 f. Vgl. Rapp, in: Schwarzer/Spitzer, S. 116 ff.
V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
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gabenerfüller allein erledigt werden, sondern bedürfen der Kooperation mit anderen Personen. Die Aufgaben können mit einem Punktesystem verbunden sein. So könnte beispielsweise die Gesamtaufgabe im Erreichen einer bestimmten Gesamtpunktzahl bestehen. Diese Gesamtpunktzahl würde sich der Aufgabenerfüller durch die Erledigung der Teilaufgaben verdienen, für die er jeweils Punkte gutgeschrieben bekommt. Punktesysteme werden nicht selten an Stufensysteme gekoppelt, wonach beim Erreichen bestimmter Punktzahlen nach und nach aufsteigend nummerierte Stufen durchlaufen werden, wobei der Aufgabenerfüller am Anfang auf der untersten Stufe beginnt. Regelmäßig steigt die für eine höhere Stufe erforderliche Punktzahl immer weiter an. Die ansteigenden Stufen dokumentieren und repräsentieren die aufgewendete Zeit sowie die Fähigkeiten und Erfahrung des Aufgabenerfüllers. Der Aufgabenerfüller kann für die Erledigung einer Teilaufgabe – auch neben einer Punktegutschrift in einem Punktesystem – oder der Gesamtaufgabe eine Belohnung erhalten. Diese Belohnung kann in einem Sachgegenstand oder in Form einer Auszeichnung (z. B. ein bestimmtes Abzeichen) bestehen. Alternativ oder kumulativ können diese Belohnungen auch an das Erreichen höherer Stufen in einem Stufensystem geknüpft werden. Schließlich ist der Fortschritt in Bezug auf die Erledigung der Gesamtaufgabe für den Aufgabenerfüller stets transparent. Dementsprechend steht von vornherein regelmäßig fest, welchen Anteil die Teilaufgaben an der Gesamtaufgabe bzw. welchen punktemäßigen Wert Teilaufgaben und Gesamtaufgabe in einem Punktesystem haben. Im Folgenden sollen zwei Beispiele für Sanktionen gebildet werden, die einige der soeben genannten spielerischen Elemente aufgreifen: Denkbar wäre beispielsweise bei Ordnungswidrigkeiten, die einen gewissen destruktiven Bezug zur Umwelt haben, verschiedene Aufgaben zum Thema Umweltschutz zu stellen. Ein diesbezüglicher Sachverhalt könnte so aussehen, dass ein junger Mensch Essensverpackungen und Getränkeflaschen aus Kunststoff auf einer öffentlichen Grünfläche hinterlässt und sich deshalb gem. §§ 28 I 1, 69 I Nr. 2 KrWG ahndbar macht. In einem solchen Fall könnte man beispielsweise als Gesamtaufgabe die Bepflanzung einer öffentlichen Grünfläche nehmen, wobei als Teilaufgaben die Auswahl und Vorbereitung der zu bepflanzenden Stelle sowie die Bepflanzung der Stelle selbst in Betracht kämen. Die Durchführung der Aufgaben sollte unter Aufsicht und mit Hilfestellungen der örtlichen Grünflächenverwaltung erfolgen. Sinnvoll wäre es, wenn in diesem Zusammenhang Teilaufgaben noch bei anderen Stellen zu erledigen wären, wie beispielsweise die Auswahl und Besorgung von Setzlingen in einer örtlichen öffentlichen Gärtnerei. Am Ende einer jeden Aufgabe sollte die jeweils aufsichtführende Stelle dem jungen Menschen die Aufgabenerledigung bestätigen und den Fortschritt in Hinblick auf die Gesamtaufgabe feststellen. Denkbar wäre in
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
diesem Zusammenhang, dem jungen Menschen einen Laufzettel zu Beginn auszuhändigen, auf dem die jeweils aufsichtführende Stelle die Aufgabenerledigung dokumentiert. Dieser Laufzettel könnte schließlich beim Jugendrichter als Bestätigung der Erledigung der Gesamtaufgabe abzuliefern sein. Eine Belohnung könnte am Ende beispielsweise sein, dass der junge Mensch einen Pflanzenkübel mit den von ihm ausgewählten und ausgesäten Setzlingen zur weiteren eigenverantwortlichen Pflege behalten darf. Man könnte die Belohnung aber auch an ein Punktesystem koppeln. In Betracht kommt, dass die aufsichtführende Stelle Punkte für die Erledigung der Teilaufgaben und Gesamtaufgabe vergibt. Nach Beendigung der Gesamtaufgabe könnte sich der junge Mensch eine Belohnung je nach erreichter Gesamtpunktzahl aus einem Katalog aussuchen (z. B. eine Freikarte für ein örtliches Schwimmbad). In diesem Beispiel könnte die Generalklausel des § 98 I 1 Nr. 4 OWiG einen rechtlichen Anknüpfungspunkt liefern, wonach der Jugendrichter individuelle Maßnahmen anordnen kann, die in einem gewissen sachlichen Bezug zu der Tat stehen sollen.54 Denkbar wäre auch, eine solche Sanktion auf die Vollstreckungsanordnung nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG zu stützen, wonach der Richter dem jungen Menschen die Erbringung von Arbeitsleistungen auferlegen kann. Jedenfalls müssten, wegen der Aufteilung der Aufgabe in verschiedene Teilaufgaben, mehrere Vollstreckungsanordnungen nach § 98 I 2 OWiG nebeneinander getroffen werden. Wichtig ist, dass alle erforderlichen Vollstreckungsanordnungen schon zu Beginn getroffen worden und die Gesamtaufgabe und Teilaufgaben deshalb bereits vollständig konturiert sind. Dies ist damit zu begründen, dass es dem Element der Transparenz widerspricht, wenn Aufgaben noch nachgeschoben würden. Außerdem würde ein Nachschieben schnell Frustration und Trotz auf Seiten des jungen Menschen heraufbeschwören, wenn der junge Mensch den Eindruck gewinnt, dass sich seine Bemühungen wegen des Nachschiebens – im schlimmsten Fall wieder und wieder – im Nachhinein als noch nicht ausreichend darstellen, um sich von der Sanktionslast zu befreien. Um den erheblichen Organisationsaufwand im erstgenannten Beispiel für den Jugendrichter und die zu beteiligenden Dritten gering zu halten, könnten Gesamtaufgaben und Teilaufgaben durch öffentlich-rechtliche Vereinbarung für eine Vielzahl von Fällen vorab geregelt werden. So könnte im oben genannten Beispiel die Aufgabe der Bepflanzung von Grünflächen in einer Vereinbarung zwischen Grünflächenverwaltung und Justizverwaltung weitgehend vorab geregelt werden, sodass der Jugendrichter nur noch die Inhalte der Vereinbarung in Beschlussform gießen müsste. Das vorstehend genannte Beispiel hat versucht, eine Sanktion mit spielerischen Elementen ohne elektronische Hilfsmittel zu konstruieren. Deshalb mag dieses Beispiel vielleicht auch altmodisch wirken. Da junge Menschen wohl eine Sanktion mit spielerischen Elementen in einem elektronischen Gewand ansprechender emp54
Siehe oben Kapitel B. I. 2. g) aa) (3) (d).
V. Neue Sanktionen für junge Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht
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finden mögen, soll nun auch ein entsprechendes Beispiel in seinen Grundzügen entwickelt werden. Weil es den Rahmen dieser Bearbeitung sprengen würde sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass datenschutzrechtliche Überlegungen im Folgenden ausgeklammert werden. Denkbar wäre, eine Software für den Computer oder das Smartphone zu entwickeln, die auf einer Karte der näheren Umgebung verschiedene Aufgaben anzeigt. Diese Aufgaben könnten beispielsweise von öffentlichen oder gemeinnützigen Einrichtungen in die Software eingestellt und nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durch die öffentlichen oder gemeinnützigen Einrichtungen mit Punkten bewertet werden. Als Aufgaben kämen alle möglichen Hilfsleistungen im Rahmen öffentlicher oder gemeinnütziger Einrichtungen in Betracht. Der junge Mensch könnte über sein Smartphone eine Aufgabe buchen und würde dann nach Erledigung der Aufgabe die entsprechenden Punkte gutgeschrieben bekommen. Die Anzahl der insgesamt zu erreichenden Punkte, die notwendig sind, um die Sanktion zu erledigen, würde vorab der Jugendrichter festlegen und in die Software in Bezug auf den jungen Betroffenen eingeben. Ein Diagramm in der Software würde jederzeit den Gesamtfortschritt unter Abgleich der insgesamt zu erreichenden Punkte mit den bereits gutgeschriebenen Punkten darstellen. Auch hier könnte man wie im vorangegangenen Beispiel überlegen, die Erledigung der Gesamtaufgabe mit einer Belohnung zu versehen, die sich der junge Mensch aus einem Katalog aussuchen kann. Dieser Katalog und die Möglichkeit, die Belohnung zu bestellen, könnten praktischerweise in die Software integriert sein. In diesem Beispiel stellt es sich schwieriger dar, einen rechtlichen Anknüpfungspunkt zu bilden. Da von vornherein nicht feststünde, welche Aufgaben der junge Mensch erledigt, fehlt es an der Möglichkeit, vorab eine Vollstreckungsanordnung oder mehrere Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG bestimmt zu formulieren. Ob es sich bei einer Anordnung mit dem Inhalt, verschiedene Aufgaben zur Erreichung eines bestimmten Punktestandes zu erfüllen, um eine hinreichend bestimmte Vollstreckungsanordnung im Sinne des § 98 I 1 Nr. 4 OWiG handelt, erscheint zweifelhaft. Andererseits dürfen in Anbetracht des idealtypisch niedrigen Unrechtsgehalts und der entsprechend niedrigen Sanktionslast die Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes gem. Art. 103 II GG nicht überspannt werden,55 sodass eine Anwendung des § 98 I 1 Nr. 4 OWiG als Rechtsgrundlage für eine solche Sanktion in dieser Untersuchung für möglich gehalten wird. Sofern man jedenfalls eine spezielle gesetzliche Grundlage für einen solchen elektronischen Ansatz für erforderlich hält, dann wäre zu Erprobungszwecken ein eigenständiges Gesetz sinnvoll (beispielsweise: Gesetz über die Ausführung von Vollstreckungsanordnungen unter Verwendung elektronischer Geräte – GAVVeG). In § 98 I 1 Nr. 5 OWiG sollte dann ein entsprechender Verweis auf dieses Gesetz enthalten sein, beispielhaft: „5. bestimmte Leistungen nach Maßgabe des Gesetzes 55 Siehe zu den Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes oben Kapitel B. IV. 4. d) bb) (3).
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
über die Ausführung von Vollstreckungsanordnungen unter Verwendung elektronischer Geräte in der Fassung vom [usw.] zu erbringen […].“ Ein solcher Sanktionstyp hätte den Vorteil, dass der junge Mensch sich seine Aufgaben und somit die Zusammensetzung seiner Sanktion in den Grenzen der verfügbaren Aufgabenangebote selbst aussuchen kann. Dies motiviert ihn möglicherweise stärker, der Sanktion nachzukommen, als wenn diese vom Jugendrichter festgelegt wird. Weitere Vorteile wären, dass der Jugendrichter von der Suche und Auswahl entsprechender Möglichkeiten für Arbeitsleistungen im Sinne des § 98 I 1 Nr. 1 OWiG bzw. bestimmter Leistungen im Sinne des § 98 I 1 Nr. 4 OWiG entlastet wäre und dass er bei entsprechender technischer Umsetzung die Vollstreckung am Computer im Richterzimmer überwachen könnte.
VI. Kinder- und Jugendhilferecht statt Ordnungswidrigkeitenrecht Abzulehnen ist ein Ausschluss einer Behandlung von jungen Menschen durch das Ordnungswidrigkeitenrecht und eine ausschließliche Behandlung von jungen Menschen durch das Kinder- und Jugendhilferecht (KJHG; SGB VIII). Zweck des Kinder- und Jugendhilferecht ist es jungen Menschen Hilfestellungen zu bieten, die sie in ihrer Familie und ihrem sonstigen sozialen Umfeld nicht erhalten können.56 Dieser Zweck deckt sich nicht mit demjenigen des Ordnungswidrigkeitenrechts. Das Ordnungswidrigkeitenrecht dient dem Schutz von Rechtsgütern, die nicht dem Täter einer Zuwiderhandlung zustehen. Demnach kann das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht ohne Weiteres durch das Kinder- und Jugendhilferecht surrogiert werden. Jedoch schließt das nicht aus, dass beide Rechtsgebiete denselben Sachverhalt erfassen, weil die Ordnungswidrigkeit eines jungen Menschen Ausdruck der Hilfsbedürftigkeit eines jungen Menschen sein kann. Außerdem muss beachtet werden, dass die Maßnahmen des Kinder- und Jugendhilferechts sehr grundrechtsintensiv sind und im Falle einer idealtypischen Ordnungswidrigkeit und vor dem Hintergrund der Episodenhaftigkeit von Zuwiderhandlungen junger Menschen kaum angebracht sind. Richtiger erscheint im Ergebnis vielmehr, das Nebeneinander von Ordnungswidrigkeiten- sowie Kinder- und Jugendhilferecht beizubehalten.
56
Vgl. Münder, in: Münder/Meysen/Trenczek, Einleitung, Rn. 24 ff., § 1, Rn. 24.
VII. Ausbau verfahrensrechtlicher Sanktionen
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VII. Ausbau verfahrensrechtlicher Sanktionen und Änderung des Regelungsmechanismus Das OWiG hat bestimmte Sanktionen im Verfahrensrecht institutionalisiert. Hervorzuheben sind darunter die Verwarnung mit und ohne Verwarnungsgeld gem. §§ 56 ff. OWiG, die Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I OWiG und der Jugendarrest gem. § 98 II OWiG. Man könnte sich nun die Frage stellen, ob nicht die bestehenden verfahrensrechtlichen Sanktionen zu ergänzen oder auszubauen sind. Denkbar wäre z. B. eine eigenständige Rechtsgrundlage für Ermahnungen zu schaffen, um somit der Praxis der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnungen, Belehrungen und Aufklärungen eine Rechtsgrundlage zu geben. Denkbar wäre vielleicht auch die Ergänzung der Vollstreckungsanordnungen in § 98 I 1 OWiG durch eine Ermahnung. Die Ergänzung des Verfahrensrechts um eine Ermahnung, die nunmehr auch vom Richter ausgesprochen werden könnte, ist begrüßenswert. Denkbar wäre eine Regelung wie sie oben im Sinne eines neuen § 34a beschrieben worden ist in einem dritten Abschnitt als einzuschiebender Teilabschnitt „IIa. Ermahnungsverfahren“.57 Zu ergänzen wäre in dieser neu zu schaffenden Vorschrift eine Regelung, die die Zwecke der Ermahnung ausdrücklich regelt, so wie sie oben im Entwurfsvorschlag in § 34c beispielhaft formuliert worden ist.58 Denkbar ist auch die Ergänzung der Vollstreckungsanordnungen gem. § 98 I 1 OWiG um eine Ermahnung, die dann als schwächste Maßnahme jedenfalls als neue Nr. 1 zu regeln wäre. Änderungsbedürftig ist der Regelungsmechanismus der §§ 78 IV, 98 OWiG und der Jugendarrest gem. § 98 II 1 OWiG ist abzuschaffen. Der Regelungsmechanismus der §§ 78 IV, 98 OWiG ist abzulehnen, weil er keine stimmige Systematik aufweist. Erzieherische Maßnahmen sind nur dann angebracht, wenn behandlungsfähige Reifedefizite vorliegen. Der Regelungsmechanismus, dass der junge Mensch alternativ die Geldbuße erfüllen kann und sich somit die erzieherische Maßnahme und eine festgestellte Erziehungsbedürftigkeit erledigt, ist absurd. Dass der Jugendrichter gem. § 78 IV OWiG mit der Geldbuße zugleich erzieherische Maßnahmen anordnen kann, lässt die Absurdität des Regelungsmechanismus noch deutlicher sichtbar werden: Der Jugendrichter stellt Erziehungsbedürftigkeit fest und ordnet deshalb gebotene erzieherische Maßnahmen an und muss zugleich aber die Geldbuße als allgemeine Sanktion anordnen, die erzieherisch keine Auswirkungen hat und deshalb nicht geboten ist. Im Übrigen scheint auch die Berücksichtigung der Willkür auf Seiten des Betroffenen nicht angebracht, denn der Staat zeigt sich gegenüber dem jungen Menschen nicht gerade von seiner starken Seite, wenn er erzieherische Maßnahmen anordnet, die er aber nicht durchsetzen 57 58
Siehe zu dem Entwurfsvorschlag oben Kapitel C. IV. Siehe zu dem Entwurfsvorschlag oben Kapitel C. IV.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
kann, sollte sich der junge Mensch entscheiden, doch zu zahlen. Außerdem erscheint es formalistisch, eine Geldbuße gegen einen jungen Menschen festsetzen zu müssen, wenn schon ersichtlich ist, dass er nicht zahlen können wird. Wegen dieser Gründe wird vorgeschlagen, den Regelungsmechanismus dahingehend zu ändern, dass die Verfolgungsbehörde die Angelegenheit direkt dem Jugendrichter zur Entscheidung vorlegen und dieser Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar treffen kann oder dass, wenn der Jugendrichter unmittelbar mit der Sache befasst ist, auch ausschließlich Vollstreckungsanordnungen treffen kann. Das Alternativverhältnis von Geldbuße und Vollstreckungsanordnungen sollte beseitigt werden. In einem solchen Falle wird aber das bestehende Vollstreckungsmodell als solches hinfällig, sodass diese Vorschläge wiederum auf die Schaffung eines eigenständigen Sanktionsrechts für junge Menschen im OWiG hinauslaufen.59 Zu fordern ist schließlich auch die Abschaffung des Jugendarrests.60
VIII. Sanktionierung der Erziehungsberechtigten Schließlich könnte man auch über eine Sanktionierung der Erziehungsberechtigten des jungen Menschen nachdenken, wenn der junge Mensch eine Ordnungswidrigkeit oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung begangen hat. Ziel dieser Maßnahme wäre es, Erziehungsberechtigte zur Erfüllung ihrer Pflichten aus Art. 6 II 1 GG und zur Überwachung der Legalbewährung ihres Schützlings anzuhalten.61 Diese Idee ist nicht neu. Im StGB existierten mit § 143 StGB a.F.62 und mit § 361 Nr. 8 StGB a.F.63 Vorschriften, die Strafe für die Erziehungsberechtigten in dem Falle vorsahen, dass der Schützling eine Straftat begangen hat, die bei gehöriger Wahr59
Siehe oben Kapitel C. IV. Siehe oben Kapitel C. IV. 4. 61 Siehe zum Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG oben Kapitel B. IV. 4. b). 62 § 143 StGB a.F. Enthielt folgende Regelung: „(1) Wer einen noch nicht Achtzehnjährigen, dessen Beaufsichtigung ihm obliegt, nicht gehörig beaufsichtigt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn der zu Beaufsichtigende eine als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung begeht, die der Aufsichtspflichtige durch gehörige Aufsicht hätte verhindern können. Dies gilt nicht, soweit in sonstigen Vorschriften eine andere Strafe angedroht ist. (2) Aufsichtspflichtig im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige, dem die Sorge für die Person des Kindes oder des Jugendlichen obliegt, oder dem das Kind oder der Jugendliche zur Erziehung und Pflege ganz oder überwiegend anvertraut ist.“ 63 § 361 Nr. 8 StGB a.F. enthielt folgende Regelung: „[…] wer Kinder oder andere unter seiner Gewalt stehende Personen, welche seiner Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, von der Begehung von Diebstählen, sowie von der Begehung strafbarer Verletzungen, der Zoll- oder Steuergesetze, oder der Gesetze zum Schutze der Forsten, der Feldfrüchte, der Jagd oder der Fischerei abzuhalten unterläßt. Die Vorschriften dieser Gesetze über die Haftbarkeit für die den Thäter treffenden Geldstrafen oder anderen Geldleistungen werden hierdurch nicht berührt.“ 60
VIII. Sanktionierung der Erziehungsberechtigten
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nehmung der Aufsichtspflicht durch die Erziehungsberechtigten hätte verhindert werden können.64 Außerdem hatte der Gesetzgeber im Entwurf eines Ordnungswidrigkeitengesetzes vom 8. Januar 196765 beabsichtigt, im Besonderen Teil des OWiG eine entsprechende Vorschrift aufzunehmen.66 Eine Parallele hierzu lässt sich im bestehenden Ordnungswidrigkeitenrecht in der Vorschrift des § 130 I OWiG erblicken, wonach der Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens sich ahndbar macht, wenn er Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen seiner Untergebenen zu verhindern. Diese vorstehend genannten Beispiele knüpfen an ein eigenes Verschulden des Erziehungsberechtigten bzw. im genannten Parallelfall an das des Betriebs- oder Unternehmensinhabers an. Denkbar wäre aber auch eine bloße Zurechnung fremden Verschuldens z. B. nach dem Vorbild des § 30 OWiG, d. h. eine Zurechnung des Verschuldens des Schützlings an seine Erziehungsberechtigten.67 Die Ansätze verdienen keine Zustimmung. Hierfür streiten diejenigen Gründe, die auch ehemals zur Abschaffung des § 143 StGB a.F. und § 361 Nr. 8 StGB a.F. geführt haben. Erstens bieten die familiengerichtlichen Maßnahmen gem. § 1666 BGB und die Schadensersatzpflicht gem. § 832 BGB eine angemessene Handhabe im Umgang mit nachlässigen Erziehungsberechtigten.68 Zweitens sind solche Vorschriften auch familienpolitisch verfehlt, denn – und dies ist wohl damals wie heute die überwiegende Anschauung in der Gesellschaft – mit zunehmendem Alter sollte das Verhältnis zwischen Erziehungsberechtigten und ihrem Schützling durch wachsendes Vertrauen und nicht durch strenger werdende Aufsicht geprägt sein.69 Die Pönalisierung der Erziehungsberechtigten sollte sie nicht dazu zwingen, Aufsichtsmaßnahmen anzuwenden, die sie aus ernst zu nehmenden erzieherischen Gründen für unangebracht halten.70 Drittens ist der Vorschlag einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung der Erziehungsberechtigten für fremdes Verschulden nach Vorbild des § 30 OWiG abzulehnen. Mit Ausnahme des § 30 OWiG, kennt das deutsche Strafrecht im weiteren Sinne keine strafrechtliche Haftung für fremdes Verschulden. 64
Beispielsweise existiert noch heute in England und Wales bei Zuwiderhandlungen der Erziehungsberechtigten gegen gerichtliche Erziehungsanordnungen (sog. parenting orders) die Möglichkeit, die Erziehungsberechtigten zu bestrafen, vgl. hierzu Gensing, S. 459 f. 65 Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269. 66 § 24 des Entwurfs sah vor: „(1) Ordnungswidrig handelt, wer leichtfertig durch Verletzung der Pflicht zur Aufsicht über ein Kind oder einen Jugendlichen, für die ihm die Personensorge obliegt oder die seiner Erziehung anvertraut sind, dazu beiträgt, daß der Schutzbefohlene vorsätzlich eine mit Geldbuße bedrohte Handlung begeht. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit der Hälfte des für die Handlung des Schutzbefohlenen angedrohten Höchstbetrages der Geldbuße geahndet werden, jedoch nicht mit einer höheren Geldbuße als tausend Deutsche Mark. Siehe Regierungsentwurf zum OWiG, BT-Drs. V/1269, S. 8, 66 f. 67 Eine solche Form der Sanktionierung existiert z. B. in Belgien, vgl. Gensing, S. 459. 68 Regierungsentwurf zum StrRG, BT-Drs. V/1552, S. 11. 69 Regierungsentwurf zum StrRG, BT-Drs. V/1552, S. 11. 70 Regierungsentwurf zum StrRG, BT-Drs. V/1552, S. 11.
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C. Die Sanktionierung von jungen Menschen de lege ferenda
Dieser Rechtszustand ist Ausfluss des Schuldprinzips gem. Art. 103 II GG. Im Übrigen passt auch nicht der Rechtsgedanke des § 30 OWiG auf die vorliegende Konstellation: Die Verbandsgeldbuße soll (auch) verhindern, dass Delikte unter dem Deckmantel undurchsichtiger Unternehmensstrukturen begangen werden. Dieser Rechtsgedanke kann nicht auf das enge familiäre Verhältnis übertragen werden. Viertens erscheint es auch insgesamt nicht angebracht, die Erziehungsberechtigten wegen des Fehlverhaltens ihres Schützlings zu pönalisieren, weil das Fehlverhalten im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts regelmäßig geringfügig sein wird, nach kriminologischen Erkenntnissen auch Fehlverhalten zum Erwachsenwerden dazugehören kann und Fehlverhalten von jungen Menschen im Regelfall auch nur eine Episode darstellt.
IX. Das „junge Alter“ als kodifizierter Milderungsgrund Im Wege des Rechtsvergleichs können im Wesentlichen zwei Modelle beobachtet werden, die bezüglich der Anwendbarkeit des Kriminalstrafrechts auf Personen im frühen Erwachsenenalter vorherrschend sind:71 Zum einen ein Modell im Sinne des § 105 JGG, wonach jugendstrafrechtliche Sanktionen angewendet werden können, wenn solche bei wertender Betrachtung von Täter oder Tat angemessen erscheinen. Zum anderen gibt es ein Modell, wonach das allgemeine Strafrecht angewendet wird, aber ein spezieller Strafmilderungsgrund im Sinne des jungen Alters des Täters besteht. Denkbar wäre, für das Ordnungswidrigkeitenrecht im OWiG einen Milderungsgrund in Bezug auf das „junge Alter“ des Täters zu kodifizieren, wonach das Ausmaß der Sanktion zu reduzieren ist. Dieser könnte z. B. in § 17 III OWiG in einem neuen Satz 3 normiert werden und lauten: „Ist eine Ordnungswidrigkeit durch das junge Alter des Täters bedingt, so darf die Geldbuße nicht mehr als fünfundzwanzig von hundert des gesetzlichen Bußgeldrahmens betragen.“ In Betracht käme auch, einen allgemeinen Milderungsgrund z. B. in § 12 I OWiG in einen neuen Satz 3 aufzunehmen. Eine entsprechende Vorschrift könnte lauten: „Ist eine Ordnungswidrigkeit durch das junge Alter des Täters bedingt, so ist dieser Umstand mildernd bei Auswahl und Bemessung einer Rechtsfolge zu berücksichtigen.“ Beide Beispielsregelungen könnten auch noch um die Wendung „im Regelfall“ ergänzt werden, um in besonderen Fällen Abweichungen von diesen Regelungen zu ermöglichen. Aus der Wendung „im Regelfall“ würde sich zum Schutze des jungen Menschen eine Begründungspflicht für diejenigen Fälle ergeben, in denen der Rechtsanwender von der Regelung abweichen möchte. Die Normierung eines solchen Milderungsgrundes ist nicht zwingend, denn auch ohne sie könnte im Rahmen des im Ordnungswidrigkeitenrechts allgegenwärtigen Opportunitätsprinzips das junge Alter des Täters als Ermessenserwägung mildernd 71
Vgl. hierzu Dünkel/Geng, in: FS-Kerner, S. 564.
X. Ergebnis
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berücksichtigt werden. Sie erscheint jedoch wünschenswert, um die besondere Bedeutung des jungen Alters des Täters und die damit einhergehenden jugendspezifischen Umstände dem Rechtsanwender – im Regelfall eine Behörde, die in erzieherischen Fragen unbewandert ist – vor Augen zu führen und auf ihre Beachtung hinzuwirken. Sie wäre auch deshalb wünschenswert, um dem Ordnungswidrigkeitenverfahren vielleicht auch schon vor Prüfung und Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens nach § 98 OWiG einen stärkeren jugendmäßigen Einschlag auf Rechtsfolgenseite geben zu können. Schließlich könnte so vielleicht auch auf die Bedürfnisse junger Erwachsener reagiert werden, die im Rechtsfolgensystem des OWiG ansonsten keine besondere Beachtung mehr finden, obwohl bei ihnen auch noch Reifeverzögerungen gegeben sein können, die auch bei Heranwachsenden zu beobachten sind und eine mildere Sanktion rechtfertigen würden.72
X. Ergebnis Die Untersuchung plädiert für eine Neuregelung des Sanktionsrechts im OWiG für junge Menschen.73 Der bisherige Regelungsmechanismus ist nicht stimmig und sollte deshalb aufgehoben werden. Überlegenswert erscheint die Erprobung von Sanktionen mit spielerischen Elementen.74 Denkbar wäre schließlich auch die Normierung eines besonderen Milderungsgrundes, der aus Gründen des jungen Alters des Täters eine Sanktionsmilderung anordnet.75
72 73 74 75
Siehe oben Kapitel B. IV. 3. a). Siehe oben Kapitel C. IV. Siehe oben Kapitel C. V. 6. Siehe oben Kapitel C. IX.
D. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Untersuchung ist zu folgenden Ergebnissen gelangt: Erstens können junge Menschen – d. h. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende – nach Maßgabe des in dieser Untersuchung verwendeten Sanktionsbegriffs Adressaten von Sanktionen werden. Zweitens können sich jugendspezifische Einschränkungen sowohl auf materiellrechtlicher als auch auf verfahrensrechtlicher Ebene ergeben. Drittens sind die nach Maßgabe des hier verwendeten Sanktionsbegriffs herausgearbeiteten Sanktionen aus dem Blickwinkel von jungen Menschen mit Ausnahme der außergesetzlichen Maßnahmen Ermahnung, Belehrung und Aufklärung in strafähnlicher Form verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Viertens plädiert die Untersuchung dafür, die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht de lege ferenda weiterzuentwickeln, indem im OWiG ein eigenes Sanktionsrecht für junge Menschen geregelt wird. Überlegenswert erscheint außerdem die Erprobung von Sanktionen mit spielerischen Elementen. Denkbar wäre schließlich auch die Normierung eines besonderen Milderungsgrundes, der aus Gründen des jungen Alters des Täters eine Sanktionsmilderung anordnet.
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Stichwortverzeichnis Ahndungsempfindlichkeit 202 Ahndungsreife 205 Anfangsverdacht siehe Normbruch Auslegung, jugendadäquate – Begriff 162 – Grenzen 165 – Heranwachsende 165
– – – – – – –
Bevollmächtigte siehe Repräsentant Bußgeldentscheidung 122
Formel, neue
Eingriff – klassischer 260 – moderner 261 Einsichtsfähigkeit siehe Verantwortlichkeit Einverständnis – Begriff 211 – Prozessfähigkeit 213 Entwicklung, kognitive siehe Verantwortlichkeit Entwicklung, sittliche siehe Verantwortlichkeit Ermessen – Auswahlermessen 195 – Entschließungsermessen 195 – Rechtsfolgenermessen 48 – Verfolgungsermessen 48 Erwachsene – Begriff 159 – junge 230 Erziehung – Begriff 41 – Erwachsene, junge 241 – Erziehungsbedürftigkeit 199 – Erziehungsfähigkeit 199 – Erziehungswilligkeit 200 – geisteswissenschaftliche 42 – Heranwachsende 241 – kritische 42 – Ordnungswidrigkeitenrecht 198 – prinzipienwissenschaftliche 41
reflexive 44 Regelungsentwurf 309 strafrechtliche 45 strukturalistische 43 Systemtheorie 43 Verhältnismäßigkeit, Abwägung Wertfreiheit 44
202
221
Gamification 320 Gesellschafter, vertretungsberechtigte siehe Repräsentant Gewinnabschöpfung 51 Handelnder 178 Handlung – eine mit Geldbuße bedrohte 33 – quasi-vorwerfbare 33 Hauptfolge 50 Heranwachsende – Ahndungsreife 207 – Ausfüllung, jugendspezifische 168 – Auslegung, jugendadäquate 165 – Begriff 25, 159 – Einverständnis 212 – Entstehungsgeschichte 232 – Entwicklung, soziale 165 – Ermessensausübung, Reifedefizite 196 – Erziehung 241 – Repräsentantenstellung 195 – Subsumtion, jugendspezifische 170 – Verantwortlichkeit 175 – Verfahrenskosten 116 – Verhandlungsfähigkeit 210 Imperativentheorie
32
Jugendliche – Ahndungsreife 207 – Begriff 22, 24, 159
342 – – – – – – – – – –
Stichwortverzeichnis
Einverständnis 213 Entwicklung, kognitive 170 Entwicklung, soziale 165 Grundrechtsmündigkeit 218 jüngere 246 Repräsentantenstellung 194 Tatobjekt 24 Verantwortlichkeit 173 Verfahrenskosten 116 Verhandlungsfähigkeit 209
Kinder – Ahndungsreife 206 – ältere 246 – Begriff 21, 159 – Einverständnis 212 – Entwicklung, kognitive 169 – Grundrechtsmündigkeit 218 – Repräsentantenstellung 194 – Tatobjekt 24 – Verantwortlichkeit 172 – Verhandlungsfähigkeit 208 Lage, konkrete
181
Maßnahme – Begriff 36 – quasi-kondiktionelle – strafähnliche 264 Mensch, junger 159
91
Nachteilszufügung siehe Sanktion Nebenfolge 50, 52 Normbruch – Anfangsverdacht 35 – Annahme 34 – Tatverdacht, hinreichender 34 – Überzeugung 34 – Vermutung 34 Ordnungswidrigkeit 33 Organe siehe Repräsentant Organwalter siehe Repräsentant Person, juristische siehe Verband Personen mit Leitungsbefugnissen siehe Repräsentant
Personen mit Überwachungs- und Kontrollbefugnissen siehe Repräsentant Personenvereinigung siehe Verband Prävention – Erziehung 41 – Gefahrenabwehr 40 – Generalprävention, negative 40 – Generalprävention, positive 40 – präventiv-ordnend 91 – Spezialprävention, negative 40 – Spezialprävention, positive 40 – Verhaltensorientierung 39 – Verhaltenssteuerung 39 Rechtsgüter siehe Verantwortlichkeit Reife siehe Verantwortlichkeit Repräsentant – Begriff 53 – Rechtsreflex, Einschränkung 194 – Repräsentantenhaftung 97 Repression 38 Restitution 39 Rolle, soziale 180 Sanktion – Begriff 49 – Erscheinungsformen 35 – Maßnahme 36 – Nachteilszufügung 35 – Normbruch 32 – Sanktionsnorm 36 – Sanktionsverzicht 36 – Verhaltensnorm 32 – Zwecke 37 Sanktionsspirale 202 Sanktionsverzicht siehe Sanktion Steuerungsfähigkeit siehe Verantwortlichkeit Strafe 264 Tatverdacht, hinreichender siehe Normbruch Typisierung, materielle 231 Umstände, jugendspezifische 159 Unterlassungsdelikt, unechtes 168 Verantwortlichkeit – Einsichtsfähigkeit
173
Stichwortverzeichnis – Rechtsgüter 174 – Reife, geistige 173 – Reife, sittliche 173 – Steuerungsfähigkeit 173 – Störung, pathologisch 176 Verband – Begriff 54 – Schuldvorwurf 54 Verhaltensnorm siehe Sanktion
343
Verhandlungsfähigkeit 208 Verletzung einer Pflicht im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren 34 Versuch 177 Vorstände siehe Repräsentant Vorstandsmitglieder siehe Repräsentant Willkürverbot
221